224 8 22MB
German Pages 2103 [2104] Year 2022
Runkel/Schmidt Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht
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Anwalts-Handbuch
Insolvenzrecht herausgegeben von
Hans P. Runkel Rechtsanwalt und
Dr. Jens M. Schmidt Rechtsanwalt bearbeitet von
RA Dr. Dirk Andres RA Volker Böhm RA Dr. Christian Brünkmans, LL.M. RA Michael Dahl RiinLG Dr. Vera Drees RA Robert Fliegner RA Achim Frank RA Dr. Ulrich Graf RA Sebastian Harder RA Silvio Höfer RA Dr. Thomas Hoffmann RA Markus Koch RA Dr. Guido Krüger RA Prof. Dr. Klaus Pannen RA Christof Püschel RAin Dr. Susanne Riedemann RAin Dr. Anne Deike Riewe RA Hans P. Runkel RA Dr. Jens M. Schmidt RA Dr. Sven-Holger Undritz RAin Dr. Irene Wunsch
4., völlig neu bearbeitete Auflage
2022
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Runkel/Schmidt (Hrsg.), AHB Insolvenzrecht, 4. Aufl., § … Rz. …
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-18081-2 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Eberl & Kœsel FinePrints, Krugzell Printed in Germany
Vorwort zur 4. Auflage Seit das „Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht“ zuletzt neu aufgelegt worden ist, sind sieben Jahre vergangen, innerhalb derer sich die etwa durch das ESUG angestoßenen Entwicklungen zu einem moderneren Insolvenzrecht fortgeschrieben haben. Deutlicher als zuvor wurden diese Veränderungen begleitet von zahlreichen äußeren Impulsen, die den gesetzgeberischen Bestrebungen teilweise vorauseilten und zeitweise, insbesondere während der COVID-19-Pandemie, ein schnelles Tätigwerden notwendig machten. Herausgeber und Autorenteam blicken damit auf ein Insolvenzrecht, das sich – aus verschiedensten Gründen – nicht dynamischer hätte entwickeln können. Dieser Befund betrifft den wissenschaftlichen Diskurs ebenso wie die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats oder der Instanzgerichte, die in der hiermit vorliegenden Neuausgabe umfassend berücksichtigt werden. Der besondere Fokus gilt aber zahlreichen Bestrebungen des deutschen Gesetzgebers, ob in Umsetzung (geordnet) geplanter Gesetzgebungsinitiativen (Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen), in (vorauseilender) Reaktion auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen (SanInsFoG) oder europarechtlichen Vorgaben (Restrukturierungs- und Insolvenzrichtlinie EU 2019/1023) folgend. All diesen Entwicklungen war die vollständig aktualisierte, mittlerweile vierte Auflage geschuldet. In den Kontext der gesetzgeberischen Aktivität gehört zunächst das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ vom 29.3.2017, das die als solche diagnostizierte „Ausdehnung der Insolvenzanfechtung“ wieder in geregelte Bahnen lenken will. Punktuelle Neujustierungen haben vornehmlich die Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) und das Bargeschäft (§ 142 InsO) erfahren, welche – gleichsam aus unterschiedlichen Blickwinkeln – die Handhabung der Insolvenzanfechtung durch Insolvenzverwalter und -gerichte eindämmen und damit zur Rechtssicherheit beitragen sollen. Nachdem die Gesetzesinitiative (vorerst) den Endpunkt der vorausgegangenen Diskussionen und Reformbestrebungen markiert, sind die Neuerungen längst in der Insolvenzpraxis und bei den Gerichten angekommen. Besondere Regelungen zum Konzerninsolvenzrecht wurden im Jahr 2018 mit dem „Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ in die Insolvenzordnung integriert. Hierzu gehören in den §§ 3a ff. InsO Vorschriften zum Gruppengerichtsstand oder nach § 56b InsO die Möglichkeit der Bestellung desselben Insolvenzverwalters für Konzerngesellschaften. Regelungen zur Verfahrenskoordinierung finden sich in einem völlig neuen Siebten Teil der Insolvenzordnung (§§ 269a ff. InsO). Wenngleich das Prinzip der Haftungstrennung nicht angetastet wurde, bietet das Gesetz vielversprechende Möglichkeiten der Verfahrenszentralisierung und -koordinierung. Nachdem in der dritten Auflage RA Dr. Christian Brünkmans die Reformbestrebungen anhand der am 30.1.2014 in den Bundestag eingebrachten Entwurfsfassung (BT-Drucks. 18/407) erläuterte und dadurch erste Grundlagen schuf, nimmt er nun in § 4 die „fertigen“ neuen Vorschriften und vor allem die Erfahrungen, die die Praxis mit ihnen gemacht hat, näher in den Blick. Besonderes mediales Aufsehen gebührte dem Insolvenzrecht im Zuge der COVID-19-Pandemie. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber bereits am 27.3.2020 ein „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ verabschiedet, womit er auf verschiedenste Belange des Privatrechts- und Wirtschaftsverkehrs reagierte. Hinzu trat die (voreilige) Sorge vor einer über das Land rollenden Insolvenzantragswelle. Betroffenen Gesellschaften sollte trotz finanzieller Schieflage die Möglichkeit gegeben werden, mit Gläubigern und Kapitalgebern Sanierungsabreden zu treffen oder staatliche Überbrückungshilfen in Anspruch zu nehmen. Maßgeblicher Teil des Pakets war daher die zeitweise Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) durch das COVInsAG, welches in mehrere Bereiche der anwaltlichen Beratung ausstrahlt und deshalb an entsprechender Stelle dieses Handbuchs beleuchtet wird. Schließlich stellt der Gesetzgeber mit dem „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen“ (StaRUG) vom 22.12.2020 ein vollwertiges Instrumentarium zur Sanierung drohend zahlungsunfähiger Unternehmen bereit. Das größtenteils am 1.1.2021 in Kraft getretene Gesetz bietet dem Schuldner mit dem „vorinsolvenzlichen Restrukturierungs- und Sanierungsverfahren“ V
Vorwort zur 4. Auflage eine neuartige Verfahrensart, die Eingriffe in die Rechte bestimmter Gläubigergruppen auch außerhalb eines Regelinsolvenz-, Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahrens zulässt. In weiten Teilen orientiert es sich an der eigenverwaltungsbasierten Plansanierung. Ihm wird unter § 2 dank RA Volker Böhm – den wir neu gewinnen konnten – ein eigener Beitrag gewidmet. Nicht zuletzt wegen der umfassenden Darstellung des StaRUG ist eine neue Anordnung der nachfolgenden Kapitel unumgänglich geworden. Das StaRUG ist zugleich Teil eines größeren Gesetzespakets „zur Fortentwicklung des Sanierungsund Insolvenzrechts“ (SanInsFoG), ebenfalls vom 22.12.2020, welches im Wesentlichen auf die EURichtlinie 2019/1023 zurückgeht. Die Gesetzesinitiative nahm der Gesetzgeber auch zum Anlass, die Vorschriften zum Insolvenzplan neu zu fassen und anzupassen, was insbesondere in den §§ 217, 220, 222, 223a und 254 InsO zum Ausdruck kommt. Dabei regelt ein Großteil der Vorschriften die Plangestaltbarkeit gruppeninterner Drittsicherheiten (z.B. § 217 Abs. 2 InsO). Die so geschaffenen Gestaltungsmöglichkeiten ermöglichen es dem Planersteller, Folgeinsolvenzen gruppenzugehöriger Unternehmen abzuwenden und damit den Wert der Unternehmensgruppe insgesamt zu erhalten. Nicht nur das Kapitel zum Insolvenzplan (§ 3), sondern auch das Kapitel zur Konzernsanierung (§ 4) bedurfte daher (erneut) der Aktualisierung. Auch der bisherige Normbestand, der das Eigenverwaltungsverfahren zum Gegenstand hatte (§§ 270– 270c InsO), wurde in Umsetzung der ESUG-Evaluierung angepasst und um diverse Vorschriften (§§ 270–270g InsO) erweitert mit dem Ziel, den Zugang zum Eigenverwaltungsverfahren teilweise zu erschweren. In § 3 werden die bedeutsamen Neuerungen im Bereich der Eigenverwaltung umfassend berücksichtigt und für die praktische Anwendung der gesteigerten Eignungsvoraussetzungen aufgearbeitet. Längst überfällig war die rechtsformneutrale Verortung des Zahlungsverbots für Geschäftsleitungsorgane im neu geschaffenen § 15b InsO (§ 5). Schließlich wurden die insolvenzrechtlichen Vergütungsvorschriften angepasst. Ebenfalls zum Jahreswechsel ist das „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften“ vom 22.12.2020 in Kraft getreten, das Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern einen schnelleren Neuanfang ermöglichen soll. Neben dem SanInsFoG handelt es sich um das zweite Gesetz, das auf der europäischen Restrukturierungs- und Insolvenzrichtlinie (EU 2019/1023) beruht. Der Schwerpunkt liegt auf der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf regelmäßig drei Jahre (§§ 287, 300 InsO). Für die Darstellung der Verbraucherinsolvenz in § 18 konnte RA Sebastian Harder als ausgewiesener Experte gewonnen werden. Er folgt Manfred Ley, der sich ebenso wie RA Dr. Andreas Ringstmeier aus dem Autorenkreis zurückzog. Für das von Ringstmeier verantwortete Insolvenzstrafrecht konnten wir RA Christof Püschel gewinnen. Durch seine Tätigkeit als Strafverteidiger verschiebt sich der Fokus und gewinnt einen strafrechtlicheren Einschlag. Außerdem tritt RA Markus Koch in den Autorenkreis ein, der das bisher von RA Silvio Höfer allein verfasste Kapitel zu den Arbeitsverhältnissen im Insolvenzverfahren (§ 15) nunmehr mit verantwortet. Nicht gewonnen, aber zumindest mit der Insolvenz des Freiberuflers gehalten werden konnte der Seniorherausgeber. „Seine“ Beratung des ungesicherten Gläubigers übergibt er RAin Dr. Anne Deike Riewe. Sie würdigt die Nachfolge in einer für das Handbuch gewinnenden Weise dadurch, dass sie den „Insolvenzverwalter“ aus dem übernommenen Kapitel (§ 9) extrahiert und zu einem eigenen Kapitel (§ 22) formt. Dieses wird in vielen Beratungskonstellation über den Insolvenzverwalter als Akteur das „Tor“ zum Handbuch darstellen und auf die zahlreichen weiteren Kapitel verweisen. Die Neuauflage dieses Handbuchs trägt den zahlreichen Neuerungen nicht nur Rechnung, sondern will deren praktische Bedeutung aufzeigen und Leitlinien für die Umsetzung prägen, ohne hierbei die immer komplexer werdende Materie auf Checklisten oder Musterschreiben zu reduzieren. Andererseits darf das – einem hohen Anspruch gerecht werdende – Bedürfnis für eine wissenschaftliche Absicherung den Insolvenzpraktiker nicht inhaltlich verlieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn man – wie wir – auch die anwaltliche Beratungspraxis im (besonderen) Fokus hat, die nur gelegentlich mit „unserem Insolvenzrecht“ in Berührung kommt.
VI
Vorwort zur 4. Auflage
Aus diesem Grund wurde auch an der strukturellen Orientierung des Handbuchs an der Beratungskonstellation und an den Akteuren des Insolvenzverfahrens festgehalten. Entsprechend der gesetzgeberischen Entwicklung gewinnt die Beratung des Schuldners an Bedeutung. Waren es früher oftmals nur die Antragspflichten und Haftungsgefahren, so sind es heute zusätzlich die (Gestaltungs-) Optionen, die die Krise des gut beratenen Unternehmers zur Chance werden lassen: (i) Außergerichtliche Sanierung, (ii) Durchführung eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG oder (iii) Einleitung eines (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahrens mit dem Ziel der Plansanierung. Grundlage der Eingangskapitel bleibt weiterhin das Bewusstsein und Wissen um diese Optionen und rechtzeitiges Handeln. An diesem Leitfaden orientieren sich nunmehr insbesondere die §§ 1–4. Misst man die Weiterentwicklung des Insolvenzrechts an unseren Worten aus der Vorauflage, so kann die Insolvenzpraxis nicht unzufrieden sein: Nach den ersten beiden Jahren seit seinem Inkrafttreten bleibt das Gesetz [ESUG] als „Chance“ und „Risiko“ zugleich in Erinnerung. Als „Chance“, um das Sanierungs- und Reorganisationspotential eines deutschen Insolvenzverfahrens an das (internationale) Licht zu führen und außergerichtlichen Sanierungen selbstbewusst gegenüberzustellen. Als „Gefahr“, wenn hierbei das Primat der Gläubigerbefriedigung Schaden nimmt. Letzteres ist insbesondere gebannt durch die Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung und gezielte Änderungen durch das SanInsFoG, unter anderem in Reaktion auf die ESUGEvaluation. Denkt man in und an „Chancen“, so muss die Einführung des Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG hervorgehoben werden, obwohl das bisherige Schattendasein unbestritten ist. Gleichwohl ist hiermit ein Instrument eingeführt, dass die außergerichtliche und gerichtliche Sanierung intelligent verzahnt. Die Anwendungsbereiche werden nicht so schematisch und offensichtlich sein wie bei der „Eigenverwaltung“ und dem „Insolvenzplan“, aber gesichert entstehen und integraler Bestandteil der Sanierungspraxis werden. Die Herausgeber bedanken sich für den enormen Einsatz der Autorinnen und Autoren. Ohne sie wäre die stetige Weiterentwicklung dieses Handbuchs nicht möglich gewesen. Die Dynamik des Insolvenzrechts hat gerade in den letzten Jahren – und dies trotz ausgebliebener Insolvenzwelle – gezeigt, dass auf das überobligatorische Engagement des Autorenteams Verlass ist. Auch dem Lektor Rüdiger Donnerbauer sei an dieser Stelle genauso herzlich gedankt, wie unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Tim Breuer, der mit seiner Präzision und sprachlichen Akribie dem Werk den letzten Schliff gab. Hinweise und Anregungen zur Verbesserung dieses Handbuchs werden auch weiterhin gerne entgegengenommen. Im März 2022
Die Herausgeber
VII
Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V XXIX XXXV
§ 1 Schuldnerberatung (Andres) Rz.
Seite
I. 1. 2. 3.
Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatsächliche Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Honorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 5 22
2 2 3 9
II. 1. 2. 3. 4.
Insolvenzeröffnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 42 51 107 114
18 18 20 36 38
III. 1. 2.
Beseitigung der Insolvenzgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beseitigung der Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163 164 183
50 50 55
§ 2 Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Böhm) I. 1. 2. 3.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 5
68 68 69 69
II. 1. 2. 3. 4.
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restrukturierungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzeige des Restrukturierungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 10 22 29
70 70 70 72 73
III. 1. 2.
Beteiligung von Arbeitnehmern und Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerbeirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 34 36
74 74 74
IV. 1. 2. 3. 4. 5.
Der Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingriffsbefugnisse in Gesellschafterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten (Vergleichsrechnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungen bei persönlicher Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 42 56 58 65 70
75 75 78 78 79 80 IX
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustimmung und Zustimmungsersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 79 97 104 109 114 118
81 82 85 86 87 88 89
VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Der Restrukturierungsbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der obligatorische Restrukturierungsbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der fakultative Restrukturierungsbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl und Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 123 124 131 134 141 144 150
90 90 90 92 92 94 94 96
VII. 1. 2. 3. 4. 5.
Die Stabilisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckungssperre und Verwertungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dauer der Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidung und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159 162 176 185 196 199
98 98 101 103 106 106
VIII. 1. 2. 3.
Pflichten der Geschäftsleitung, Haftung und Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten außerhalb einer Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten und Haftung nach Anzeige der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . .
206 206 207 214
107 107 108 109
IX.
Finanzierung und Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
111
X. 1. 2. 3. 4.
Die Sanierungsmoderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugangsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sanierungsmoderator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sanierungsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensdauer und Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231 232 233 238 242
112 112 112 113 114
1 1 51 97 255 296 309 397 434 509 515
118 118 132 147 209 218 221 246 255 274 275
§ 3 Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (Frank) I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
X
Beratung bei Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Grundverständnis des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine strategische Überlegungen zum Planverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Schuldner/Insolvenzverwalter als Planersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gläubiger als Planbetroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Insolvenzgericht in der Notarfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antragsgebundener Rechtsschutz der Planbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen des rechtskräftigen Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsfragen im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema: Zeitlicher Ablauf des Insolvenzplanverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsübersicht
II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Beratung bei Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis der Eigenverwaltung zum Insolvenzplan-, Verbraucher- und Restschuldbefreiungs- sowie den sonstigen besonderen Arten des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbare Vorschriften im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Antragsrecht des Schuldners und seine Stellung im Verfahren . . . . . . . . . . . . Die Gläubiger im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entscheidungen des Gerichts zur Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mitwirkung des Sachwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsfragen im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema: Zeitlicher Ablauf der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
517 517
278 278
529 534 551 650 688 746 790 799 805
282 284 288 328 336 350 362 364 366
§ 4 Beratung im Konzern – insbesondere Konzernsanierung im Insolvenzverfahren und nach StaRUG (Brünkmans) I.
Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
371
II. 1. 2. 3.
7 7 9
373 373 373
4. 5.
Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (KIG) . . . Sinn und Zweck des KIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich des KIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Separate Prüfung von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unter Beachtung der Konzerneinbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten im Cash-Pool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle der Konzernspitze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 18 31
374 376 378
III.
Zentrale vs. koordiniert dezentrale Verfahrensabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
379
IV. 1. 2. 3.
Verfahrenszentralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtskonzentration durch Gruppengerichtsstand nach § 3a InsO . . . . . . . . . . Zentrale Verfahrensstrukturen zur Bewältigung von Gruppeninsolvenzen . . . . . .
33 33 34 67
379 379 379 387
V. 1. 2. 3.
Dezentrale Verfahrensabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kooperationspflichten zwischen den Verfahrensorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Koordinationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 98 99 123
394 394 394 399
VI. 1.
Einbeziehung nicht insolventer Gruppen-Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koordination der Verfahren über die verbleibende gesellschaftsrechtliche Konzernleitungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppeninterne Drittsicherheiten, § 223a InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155
405
155 161
405 407
Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koordinierte Insolvenzpläne in den Einzelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Koordinationsplan nach § 269h InsO als „Masterplan“ der Konzernsanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelung von Drittsicherheiten einer Konzerntochter im Insolvenzplanverfahren
162 162 164
407 407 408
175 178
410 411
VIII. Fortbestand von Unternehmensverträgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
414
2. VII. 1. 2. 3. 4.
XI
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Konzernsanierung durch StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernleitungsmacht nach StaRUG-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppengerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kooperations- und Koordinationsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koordinierte Restrukturierungspläne in den Einzelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200 200 201 204 207 208 210 225 227
415 415 416 416 417 417 417 420 421
X.
Europäisches Konzerninsolvenzrecht, Art. 56 bis 70 EuInsVO . . . . . . . . . . . . .
230
422
§ 5 Geschäftsleiterberatung (Andres) I.
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
424
II.
Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag . . . .
2
424
III.
Anzeigepflicht gem. § 49 Abs. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
426
IV.
Sanierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
427
V. 1. 2. 3.
Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfüllung der Antragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen der Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 11 16 21
428 428 430 431
VI. 1. 2.
Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organschaftliche Stellung des Geschäftsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 22 36
432 432 435
VII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 15a Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . Innenhaftung nach § 15b InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsmodelle der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 64 S. 3 GmbHG a.F./§ 15b Abs. 5 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtverantwortung/Ressortverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktischer Geschäftsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weisung, Verzicht, Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung – § 15b Abs. 7 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung ohne Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 41 43 66a 88 102 108 115 120 121 124 129 131 132
436 436 437 444 457 461 462 464 465 466 467 468 469 469
VIII. Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
470
IX.
Haftung für Verfahrenskosten gem. § 26 Abs. 3, 4 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
471
X.
Haftung wegen Betruges und Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
472
XII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
Haftung für Sozialabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 148 152
474 474 476
XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
477
XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
479
XIV. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Steuerrechtliche Haftung gem. § 69 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz der anteiligen Tilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . Abzugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsteuerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsleiterwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168 170 178 182 183 184 186
480 481 483 484 484 485 485
XV.
Haftung bei anderen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
486
XVI. Geschäftsleiterhaftung bei ausländischen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190
486
XI. 1. 2.
§ 6 Gesellschafterberatung (Andres) I.
Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
490
II. 1. 2. 3.
Überblick über die Änderungen durch das „MoMiG“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 4 7 8
490 490 491 491
III. 1. 2. 3.
Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . Gründung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalerhöhung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalerhaltung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 10 42 54
491 492 501 506
IV. 1. 2.
Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 77 87
512 512 515
V. 1. 2. 3. 4.
Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92 92 94 100 101
517 517 517 519 519
VI. 1. 2. 3.
Haftung des Personengesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unbeschränkte Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommanditistenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 103 108 130
520 520 521 528
VII. 1. 2. 3.
Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanzerstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 164 165 168
539 539 539 540
XIII
Inhaltsübersicht
4. 5. 6.
Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
170 191 201
541 547 550
§ 7 Risiken der Gesellschafterfinanzierung (Riedemann) I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
557
II. 1. 2. 3.
Das Reformkonzept des MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtslage bis zum MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtslage nach dem MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtfertigung des Eigenkapitalersatzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 5 11 16
560 560 561 562
III. 1. 2.
Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . Nachrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 22 29
563 563 565
IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzanfechtungsreform 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtbare Rechtshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens . . . . . . . Konkurrenz mit anderen Anfechtungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 31 33 39 40 41 43 47
566 566 566 567 567 567 568 569
V. 1. 2. 3.
Anfechtbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . Aus-/Absonderungsrechte für besicherte Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . .
53 53 54 57
570 570 570 571
VI. 1. 2. 3.
Nutzungsüberlassung durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussonderungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 60 63 66
572 572 572 573
VII. 1. 2. 3.
Gesicherte Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doppelsicherung durch Gesellschaft und Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzichts- und Vergleichsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67 67 68 72
573 573 573 574
VIII. 1. 2. 3.
Geschäftsführerhaftung für Zahlungen an Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführerhaftung nach § 15b Abs. 5 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 79 83 85
575 576 576 577
IX.
Privilegierung nach § 90 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
577
X.
Privilegierte Kredite nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
579
XI.
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
579
XIV
Inhaltsübersicht
§ 8 Insolvenzstrafrecht (Püschel) Rz.
Seite
1. 2. 3.
Die Beratung, Vertretung und Verteidigung der am Insolvenz(straf)verfahren beteiligten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor dem Ermittlungsverfahren/Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach Stellung eines Eröffnungsantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Insolvenzstrafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 41 55
582 583 591 594
II. 1. 2.
Strafprozessuale Besonderheiten im Kontext der Insolvenzdelikte . . . . . . . . . . Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 71
597 597 599
III. 1. 2. 3. 4.
Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Täter und Teilnehmer der Insolvenzdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bankrottdelikte, §§ 283 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Straftatbestände aus dem StGB und dem Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . .
77 77 95 189 229
601 601 606 629 637
I.
§ 9 Beratung des ungesicherten Gläubigers (Riewe) I. 1. 2. 3.
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 7
651 651 651 652
II. 1. 2. 3.
Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präventive Gestaltungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungsdurchsetzung und Anfechtungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 10 13
652 652 653 653
III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatsächliche Grundlagen des Gläubigerinsolvenzantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellen des Insolvenzantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen des Insolvenzgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den antragstellenden Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 37 45 54 94 111
658 658 660 662 672 675
117
676
IV. 1. 2. 3. 4. 5.
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationserlangung durch Gläubiger im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . Möglichkeit der Forderungsdurchsetzung im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147 147 148 157 164 177
681 681 681 683 685 687
V. 1. 2.
Beratung im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
184 184 197
688 688 690
XV
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
3. 4.
Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerorgane im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223 372
695 720
VI. 1. 2.
Beratung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger . . . . . . . . .
450 451 480
734 734 738
VII. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
512 513 519
743 743 744
§ 10 Beratung des gesicherten Gläubigers (Drees/Schmidt/Hoffmann) I. 1. 2. 3. 4. 5.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die gesetzlichen Änderungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 8 11 15 16
747 747 749 750 751 754
II. 1. 2. 3. 4.
Aussonderungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realisierung der Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ersatzaussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 17 21 89 125
754 754 755 779 792
III. 1. 2. 3.
Absonderungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realisierung der Absonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 135 138 203
799 799 800 833
IV.
Sicherheitenpool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
414
907
V. 1. 2.
Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realisierung der Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419 419 420
910 910 911
VI.
Drittsachsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
488
930
VII. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnungsverbote nach § 96 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
496 497 507 519 530 531 534
932 932 934 937 939 939 940
XVI
Inhaltsübersicht
§ 11 Beratung bei gegenseitigen Verträgen (Dahl) Rz.
Seite
I. 1. 2.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines/Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 7
944 944 945
II. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahlrecht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 10 15 28 47 54 64
948 948 949 955 959 962 972
III. 1. 2. 3.
Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 68 71 80
973 973 974 976
IV. 1. 2. 3. 4. 5.
Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO . . . . . . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxistipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 91 95 99 107 111
981 981 982 983 984 985
V. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 114 115 127 136 141 142
985 985 986 987 989 990 990
VI.
Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 144 148 152 172
991 991 991 994 997
VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . 3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kündigungssperre, § 112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenvermietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 174 181 193 203 228 238 250 268b 269
998 998 999 1006 1010 1024 1035 1039 1046 1048
1. 2. 3. 4.
XVII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
VIII. Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, §§ 115, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen, §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notgeschäftsführung, §§ 115 Abs. 2, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unverschuldete Unkenntnis der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 2 InsO . . . . . 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273 273 275 280 285 288 289
1049 1049 1050 1053 1054 1054 1055
IX. 1. 2. 3. 4.
Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notgeschäftsführung und Insolvenzunkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292 292 294 299 302
1055 1055 1056 1057 1058
X. 1. 2.
Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
308 308 309
1059 1059 1060
§ 12 Beratung von Banken (Hoffmann) I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1068
II. 1. 2. 3. 4.
Kreditgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreditgeschäft in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreditgeschäft im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreditgeschäft im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 5 40 60 61a
1069 1069 1079 1084 1085
III. 1. 2.
Sicherheitenbestellung in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachbesicherung bestehender Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besicherung neu ausgereichter Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 63 73
1085 1085 1088
IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Sicherheiten in der Krise und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Globalzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atypische Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherheiten-Poolverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 82 87 93 97 98 103 104 111
1089 1089 1092 1093 1095 1096 1096 1097 1097 1099
V. 1. 2. 3. 4.
Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsbeziehung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Girovertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontokorrentvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 115 118 120 126
1101 1101 1101 1103 1105
VI. 1.
Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überweisungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 139
1108 1109
XVIII
Inhaltsübersicht
2. 3.
Lastschriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cash-Pool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
152 167
1111 1113
1 1 2 16 21
1118 1118 1118 1121 1123
25 52
1124 1132
55 55 62 86 119
1133 1133 1136 1143 1152
128
1154
145 145
1158 1158
147 157 163
1159 1160 1161
§ 13 Insolvenzanfechtung (Graf/Wunsch) I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. II. 1. 2. 3. 4. 5. III.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur und Ausübung der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich, Abgrenzung und Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Anfechtungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand der Insolvenzanfechtung: die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Beratungskonstellationen für den Rechtsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers (kongruente oder inkongruente Deckung, §§ 130, 131 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung . . . . . . . . . . . . . Anfechtung einer kongruenten Deckung, § 130 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung einer inkongruenten Deckung, § 131 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderproblem: Anfechtung einer Aufrechnung nach §§ 130, 131 InsO, insbesondere bei Verrechnung durch Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. 4.
Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte des Schuldners, § 132 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich und Überblick über die Tatbestandsalternativen . . . . . . . . . . Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, § 132 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Rechtshandlungen des Schuldners i.S.d. § 132 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . Anfechtungszeiträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtshandlungen des Schuldners, § 133 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zehnjährige Anfechtungsfrist bei Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerbenachteiligung und dahin gehender Vorsatz des Schuldners . . . . . . . . § 133 Abs. 2 InsO: Vierjährige Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 133 Abs. 4 InsO: Entgeltlicher Vertrag mit nahestehender Person . . . . . . . . . . .
168 168 173 179 180 207 209
1162 1162 1163 1164 1165 1171 1172
V. 1. 2.
Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO . . . . . . . . . Unentgeltliche Leistung des Schuldners, § 134 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausnahme: gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts, § 134 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 214
1173 1173
235 238
1178 1179
Anfechtung der Rückgewähr und Besicherung von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellten Forderungen, § 135 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
1179
VII. Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr und des Erlasses eines Verlustanteils, § 136 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242 242
1179 1179
1. 2.
3. VI.
XIX
Inhaltsübersicht
2. 3. 4. 5. 6.
Anfechtbare Rechtshandlungen: Einlagenrückgewähr und Erlass eines Verlustanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss der Anfechtung nach § 136 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
248 259 261 262 263
1180 1182 1182 1182 1182
VIII. Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt, § 140 InsO . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO: Maßgeblichkeit des Eintretens der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eintragungsbedürftige mehraktige Rechtsgeschäfte, § 140 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . 4. Bedingte und befristete Rechtshandlungen, § 140 Abs. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . .
264 264
1183 1183
266 272 279
1183 1185 1186
IX. 1. 2.
Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begriff des Bargeschäfts i.S.d. § 142 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
283 283 286
1187 1187 1188
X. 1. 2.
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückgewähranspruch der Masse, §§ 143, 145, 146 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenansprüche des Anfechtungsgegners, § 144 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309 309 361
1193 1193 1201
XI. 1.
Insolvenzanfechtung und das COVInsAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie in Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (CoVAbmildG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
373
1203
373 374
1203 1203
XII. Insolvenzanfechtung und das StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regelungen der §§ 89, 90 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
393 393 394
1207 1207 1208
2.
§ 14 Steuerrechtliche Beratung (Krüger) I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1212
II. 1. 2.
6 6
1213 1213
3. 4.
Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untergang von Verlust- und Zinsvorträgen auf Grund von Gestaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Behandlung von Sanierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanierungsbesteuerung bei Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 16 50
1214 1216 1223
III. 1. 2.
Steuerforderungen und Einleitung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . Steuerforderungen als Auslöser eines Insolvenztatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Fiskus als antragstellender Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58 58 61
1225 1225 1226
IV. 1.
Steuerrechtliche Fragestellungen im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . . . . Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufwertung bestimmter Steuerforderungen zu Masseverbindlichkeiten . . . . . . . . Steuerrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren und bei vorläufiger Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
1229
70 79
1229 1231
80
1232
2. 3.
XX
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
82 82
1232 1232
88 103 109 130
1234 1237 1239 1244
Steuerliche Folgen besonderer insolvenzrechtlicher Verfahrensgestaltungen . . Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbraucherinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139 139 150 167
1247 1247 1249 1252
VII. Anfechtung von Steuerzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
1253
VIII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauabzugssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kfz-Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
178 178 211 217 223 231 239 271 278
1254 1254 1262 1263 1265 1267 1268 1276 1278
IX. 1. 2. 3. 4.
Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung von Geschäftsführern für Steuerverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung der Organgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Steuerberaters des Insolvenzschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281 282 291 295 296
1279 1279 1281 1282 1282
3. 4. 5.
Steuerrechtliche Fragestellungen im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . Schuldner als Steuersubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerrechtliche Stellung, steuerliche Pflichten und Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Steuerforderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit . . . . . . . . Geltendmachung von Steuerforderungen im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnung mit Steuerforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. 1. 2. 3.
V. 1. 2.
§ 15 Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren (Höfer/Koch) I. 1. 2.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen des Insolvenzantrages und der Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3
1286 1286 1288
II. 1.
Das vorläufige Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der vorläufige Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1288
5
1289
37 58
1294 1297
59a 59a 65 69
1298 1298 1300 1303
105
1321
2. 3. III. 1. 2. 3. 4.
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren – Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
5. 6.
Beschlussverfahren nach § 126 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 159
1323 1329
IV. 1. 2. 3.
Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerrufsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230 230 231 235
1348 1348 1349 1349
V. 1. 2. 3. 4.
Kündigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schadensersatz (§ 113 Satz 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250 250 251 324 327
1352 1352 1352 1370 1371
VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Massenentlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unwirksamkeit der Entlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freifrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332 332 340 343 347 349 350
1372 1372 1374 1375 1376 1377 1378
VII. Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351 351 361
1378 1378 1380
VIII. 1. 2. 3. 4. 5.
Vergütungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeiten nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freistellung von der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsentgeltansprüche bei Masseunzulänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeiten vor Insolvenzeröffnung (Insolvenzgeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374 374 375 380 387 583
1382 1382 1382 1384 1386 1422
IX. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Der Betriebsübergang in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Betriebserwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 128 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
613 613 636 645 651 659 660 667
1429 1429 1436 1438 1442 1443 1443 1445
§ 16 Beratung des Massegläubigers (Pannen) I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1447
II. 1. 2. 3.
Vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Schwacher“ vorläufiger Verwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderproblem: Erfüllung von Altverbindlichkeiten – „Erpressungsfälle“ . . . . . .
8 11 37 91
1450 1450 1458 1475
XXII
Inhaltsübersicht
III. 1. 2. 3. IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Rz.
Seite
Vorläufiger Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren (Rechtslage bis 31.12.2020) . . . . . . . . . . . „Schutzschirmverfahren“ (Rechtslage bis 31.12.2020) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderung der Vorschriften über die Eigenverwaltung durch das SanInsFoG (Rechtslage seit 1.1.2021) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92 92f 92n
1477 1477 1479
92r
1480
Begründung von Verbindlichkeiten durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . Ermessen des Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehen der Verbindlichkeit nach Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine reine Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unwirksame Handlungen des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problem: Haftet die Masse auch für Sekundäransprüche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafte Behandlung von Masseverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 99 100 103 106 111 113 116 119
1480 1482 1482 1482 1483 1484 1484 1484 1485
§ 17 Unternehmenskauf in der Insolvenz (Undritz) I. 1. 2. 3. 4.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sanierungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Formen der Unternehmensübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 6 12 15 27
1488 1491 1493 1494 1496
II. 1. 2.
Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 31 59
1496 1496 1503
III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Typischer Ablauf eines Unternehmenskaufes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivermittlung und Strategieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Suche nach geeigneten Zielobjekten bzw. Erwerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung/Kaufpreisfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung der Zustimmungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsgewinnung (Due Diligence) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Signing/Closing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 105 179 186 204 259 311
1520 1520 1534 1535 1538 1549 1558
IV.
Vertragsgestaltung (Vertragsmuster mit Kommentierung) . . . . . . . . . . . . . . . .
326
1561
1
1574
1 4 15 17
1574 1575 1578 1579
§ 18 Insolvenz und Entschuldung der natürlichen Person (Harder) I. 1. 2. 3. 4.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Recht der Insolvenz der natürlichen Personen: Anwendungsbereich und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzrecht im Wandel – Ein kurzer Blick zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele des Privatinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
II. 1. 2. 3.
Abgrenzung Verbraucher- und Regelinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 27 40
1580 1580 1581 1583
III. 1. 2. 3. 4.
47 47 50 51
1585 1585 1585 1586
5. 6. 7.
Das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligte des Schuldenbereinigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Vergleichsangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bescheinigung der Durchführung des Einigungsversuchs durch geeignete Person oder Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Beratung und eingehende Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annahme des Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheitern des Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 63 75 77
1587 1588 1590 1590
IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Gerichtliches Schuldenbereinigungsplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich/Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustimmungsersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen der Annahme des Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheitern des Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82 82 88 92 98 113 120
1592 1592 1593 1593 1594 1597 1598
V. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Verfahrensrechtliches und Verfahrensbeteiligte des Insolvenz(eröffnungs)verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltung der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensbeteiligte und Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzfähigkeit, Verfahrens-/Prozessfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Betreuung . Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensgrundsätze des § 5 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122 122 125 130 133 144 156
1598 1598 1599 1599 1600 1602 1604
VI. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Das Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eröffnungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eröffnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Verfahrenskostenstundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Entscheidungen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingangsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzeröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweisung mangels Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 175 190 202 203 206 212 221 225
1608 1608 1610 1614 1614 1614 1616 1618 1619
VII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Insolvenzverfahren und Wohlverhaltensphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die einzelnen Verfahrensstadien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umfang der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten der Massegenerierung in der Privatinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . Aus- und Absonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterhalt für den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussverteilung, Verfahrensaufhebung und Wohlverhaltensphase . . . . . . . . . . . Asymmetrische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 228 230 235 341 352 360 365 378
1619 1619 1620 1621 1640 1642 1644 1644 1646
VIII. Der selbstständig tätige Schuldner in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO und ihre Auswirkungen . . . . . . . . .
381 381 387
1647 1647 1648
XXIV
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
3. 4. 5.
Anspruch auf Entscheidung über Freigabe gem. § 35 Abs. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . Einkünfte des selbstständig tätigen Schuldners in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . Erneutes Insolvenzverfahren über freigegebenes Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
403 409 435
1651 1652 1656
IX. 1. 2. 3. 4. 5.
Dauer des Verfahrens und Möglichkeiten der Verkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtslage bis zum 30.6.2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Regelungen des § 300 InsO aF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensverkürzung auf drei Jahre nach § 300 nF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgestufte Verfahrensdauer nach Art. 103k Abs. 2 EGInsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
437 437 441 453 460 463
1657 1657 1657 1660 1661 1662
X. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
Restschuldbefreiung: Umfang, Versagung und Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erteilung durch Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umfang der Restschuldbefreiung und ausgenommene Forderungen . . . . . . . . . . . Wirkung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versagung der Restschuldbefreiung nach §§ 295, 295a, 296 Abs. 1 Satz 1 InsO . . Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO . . . . . . . . . . . . Versagung der Restschuldbefreiung nach § 297 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versagung der Restschuldbefreiung nach § 297a InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versagung der Restschuldbefreiung nach § 298 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerruf der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten des Versagungs- und Widerrufsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintragung in das Schuldnerverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
466 466 471 480 483 526 530 547 610 638 641 647 655 660 673 678
1662 1662 1663 1664 1665 1672 1673 1676 1687 1692 1693 1693 1695 1696 1697 1698
XI. 1. 2. 3. 4.
Besondere Verfahrensarten und alternative Wege zur Entschuldung . . . . . . . . Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restrukturierung nach dem StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich und Einstellung des Verfahrens mit Zustimmung der Gläubiger . . . . . .
681 681 701 702 708
1699 1699 1702 1703 1704
715 715
1705 1705
719 727 731
1706 1708 1708
Tod des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tod des Schuldners im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tod des Schuldners im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tod des Schuldners in der Wohlverhaltensphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tod des Schuldners nach Erteilung des Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . .
746 747 748 751 753
1711 1711 1712 1712 1713
XIV. Insolvenzbedingte Berufsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erlaubnisfreie Gewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erlaubnis- oder zulassungspflichtige Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
754 754 762
1713 1713 1715
XII. Kosten, Verwalter- und Treuhändervergütung, Stundung der Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters in Regel- und Verbraucherinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergütung des Treuhänders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahrenskostenstundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. 1. 2. 3. 4.
XXV
Inhaltsübersicht
§ 19 Beratung in der Freiberuflerinsolvenz (Runkel) Rz.
Seite
I.
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1717
II.
Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1719
III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Erhalt oder Wegfall der Berufszulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychotherapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patentanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftsprüfer und Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Architekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 10 15 16 17 18 20 21 22 23
1720 1720 1721 1721 1722 1722 1723 1724 1724 1724
IV. 1. 2. 3.
Verwertungsrecht des Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwertung beweglicher Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungsverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 26 30 40
1725 1725 1725 1727
V. 1. 2. 3.
Praktische Ausgestaltung der „Betriebsfortführung“ bei einem Freiberufler . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 61 62 64
1731 1731 1732 1732
VI. 1. 2. 3.
Rechtliche Stellung der Neugläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzeswortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 73 78 79
1733 1733 1735 1735
VII. Verfahrensabkürzung durch Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
1739
VIII. Der Selbständige in der Wohlverhaltensperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen für den weiterhin tätigen Selbständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100 100 102
1740 1740 1740
108
1741
IX.
Zeitraum zwischen Schlussrechnungslegung und Beginn der Wohlverhaltensperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 20 Internationales Insolvenzrecht (Pannen) I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1745
II. 1. 2.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsquellen des internationalen Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 7 66
1746 1746 1763
III.
Ausländisches Insolvenzverfahren im Inland: EuInsVO und deutsche Ausführungsbestimmungen, Art. 102c EGInsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsbereich der EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 70
1765 1765
1. XXVI
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfüllung von laufenden Verträgen im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzerninsolvenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140 149 170 194 263 285 302 304
1789 1790 1793 1797 1806 1809 1811 1812
IV. 1.
Ausländisches Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der §§ 335 ff. InsO Grundsätzliche Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens und anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eröffnungsverfahren, öffentliche Bekanntmachung und Grundbucheintragung . Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechte des ausländischen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenseitige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beendigung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
1817
310 318 350 364 375 400 418 438 449
1818 1818 1823 1825 1826 1829 1831 1833 1835
Auslandswirkung eines inländischen Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslandswirkung eines inländischen Insolvenzverfahrens im Verhältnis zu Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
453 463 468
1836 1837 1837
516
1844
Territorialinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partikularinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
585 596 622
1853 1854 1858
VII. Wortlaut der EuInsVO (mit den Anhängen A und B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
679
1865
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. V. 1. 2. 3. VI. 1. 2.
§ 21 Beratung bei Nachlassinsolvenz (Fliegner) I.
Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1924
II. 1. 2. 3. 4. 5.
Erbenhaftung und Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen der Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachlasssonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittel erbrechtlicher Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Inventar und Aufgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kumulatives Hinzutreten weiterer Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 5 6 7 36 45
1925 1925 1925 1926 1931 1933
III. 1. 2. 3. 4. 5.
Prüfung von Insolvenzgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziel: Finden der bestmöglichen Handlungsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung von Zahlungsunfähigkeit und drohender Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . Nachlassspezifische Überschuldungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antragspflicht bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51 55 62 63 104
1934 1934 1935 1936 1937 1946
XXVII
Inhaltsübersicht
IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrenszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsbeschränkende Einrede nach Verfahrensbeendigung (§ 1989 BGB) . . . . Exkurs: Zusammentreffen von Nachlass- und Erbeninsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Der Tod des Schuldners in Insolvenz- und Insolvenzeröffnungsverfahren
Rz.
Seite
105 106 107 115 119 122 123
1946 1946 1946 1948 1949 1950 1950
§ 22 Der Insolvenzverwalter (Riewe) I.
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1953
II. 1.
3
1954
3 17 20 41
1954 1957 1957 1960
6. 7. 8. 9. 10.
Der vorläufige Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung: Maßnahmen des Insolvenzgerichts im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben, § 22 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Rechtsfolgen seines Handelns, insbesondere Begründung von Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufsicht und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechnungslegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Wirkungen und flankierende Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 50 59 66 68 78
1961 1961 1963 1964 1965 1966
III. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Der Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überwachung und Entlassung durch das Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütung und Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82 82 97 116 120 181 196 222
1967 1967 1969 1973 1974 1984 1987 1992
2. 3. 4. 5.
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXVIII
1995
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XXXIV
Abkürzungsverzeichnis
a.A. a.a.O. abgedr. Abh. Abk. abl. ABlEG Abs. Abschn. abw. AcP a.E. a.F. AFG AFRG Ag AG AGB AID AktG allg. Alt. a.M. amtl. ÄndG Anf. AnfG Anh. Anm. AnwBl. AO AP ArbG ArbGG ArbuR ArplSchG Art. Auff. Aufl. AÜG ausf. Az.
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort abgedruckt Abhandlungen Abkommen ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abschnitt abweichend Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Reformgesetz Antragsgegner/in Amtsgericht, Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Arbeitskreis der Insolvenzverwalter Deutschlands Aktiengesetz allgemein Alternative andere/r Meinung amtlich Änderungsgesetz Anfechtung AnfechtungsG Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeit und Recht (Zeitschrift) Arbeitsplatzschutzgesetz Artikel Auffassung Aufl. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausführlich Aktenzeichen
BAföG BAG BAGE BAnz Bay.,
Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanzeiger bay. Bayern, bayerisch/e
XXXV
Abkürzungsverzeichnis BayObLG BayObLGZ(St) BB Bbg., BBiG Bd. bearb. Bearb. Begr. Bek. BErzGG bes. Beschl. Beschw. BeschwGer Bespr. bestr. betr. BetrAVG BetrVG BezG BfA BFH BFHE BFH/NV BGB BGBl. BGH BGHZ BilMoG BKR BMJ BörsG BPatG BR BRAGO BRAK-Mitt. Braun/Bearbeiter BRD BR-Drucks. BReg BR-Prot. BSG BSGE BSHG BStBl. BTag BT-Drucks. BtPrax BT-Prot. BuB BUrlG XXXVI
Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungssammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen (Strafsachen) Betriebsberater bbg. Brandenburg, brandenburgisch (e) Berufsbildungsgesetz Band bearbeitet Bearbeiter, Bearbeitung Begründung Bekanntmachung Bundeserziehungsgeldgesetz besonders Beschluss Beschwerde Beschwerdegericht Besprechung bestritten betreffend/betrifft Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge Betriebsverfassungsgesetz Bezirksgericht Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des BFH Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof (St) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Strafsachen) Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Justiz Börsengesetz Bundespatentgericht Bundesrat Bundesrechtsanwalts-Gebührenordnung Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung Bundesrepublik Deutschland Bundesratsdrucksache Bundesregierung Ständige Berichte des Bundesrates Bundessozialgericht Entscheidungen des BSG Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestag Bundestagsdrucksache Betreuungsrechtliche Praxis (Zeitschrift) Ständige Berichte des Bundestages Bankrecht und Bankpraxis, herausgegeben von Hellner/Steuer, Loseblatt Bundesurlaubsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW, bzgl. bzw.
Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des BVerwG bw. Baden-Württemberg, baden-württembergisch(e) bezüglich beziehungsweise
ca. COMI
circa Center of Main Interest (i.S.d. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO)
DB DGVZ d.h. DiskE Diss. DJ DJT DJZ DNotZ DÖV DRiZ DRZ DStr dt. DtZ DVBl. DVO DZWIR
Der Betrieb Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt Diskussionsentwurf Disseration Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Notar-Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richter-Zeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Strafrechts-Zeitung deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EDV EFG EFTA EG EGBGB EGInsO EGMR Einf. EinigungsV Einl. einschl. einschr. E-InsVV EMRK Entsch. entspr. ErbbauVO erg. Erg. Erl. EStAL EStG
Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone) Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einigungsvertrag Einleitung einschließlich einschränkend Entwurf der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung Europäische Menschenrechtskonvention Entscheidung entsprechend Verordnung über das Erbbaurecht ergänzend Ergänzung; Ergebnis Erläuterung European State Aid Law (Zeitschrift) Einkommensteuergesetz XXXVII
Abkürzungsverzeichnis ESUG ESVGH
EuInsVO europ. EuZW eV evtl. EWiR EWIV EzA
Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Sammlung der Entscheidungen des hessischen und des baden-württembergischen VGH et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren europäisch(e) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein eventuell Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
f. FamG FamR FamRZ ff. FK-InsO Fn. FS
folgende Familiengericht Familienrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Festschrift
G GA GBA GBO GBl. GbR GebrMG gem. GenG GeschmMG GeschO GesO ggf. GK-ArbGG GKG GmbH GmbHG GmbHR GMBl. GmSOGB grdl.; grds. GS GSZ
Gericht; Gesetz Goltdammer´s Archiv für Strafrecht Grundbuchamt Grundbuchordnung Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz gemäß Genossenschaftsgesetz Geschmacksmustergesetz Geschäftsordnung Gesamtvollstreckungsordnung gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz Gerichtskostengesetz & Co Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Compagnie Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichte des Bundes Grdl. grundlegend; Grundlage grundsätzlich Großer Senat (St) Großer Senat in Zivilsachen (Strafsachen)
etc. EU EuGH EuGHE EuGVV
XXXVIII
Abkürzungsverzeichnis
GV GVBl. GVG GVGA
Gerichtsvollzieher Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsvollziehergesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher
h.A. HAG Hbg.; Hdb. HdwO Hess.; HGB HK-InsO HK-KSchG
herrschende Ansicht Heimarbeitsgesetz hbg. Hamburg; hamburgisch Handbuch Handwerksordnung hess. Hessen; hessisch(e) Handelsgesetzbuch Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung Heidelberger Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz (Dorndorf/Weller/Hauck Hrsg.) herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz
h.L. h.M. Hrsg. Hs. i.d.F. i.d.R. i.E. i.e.S. i.F. IGH insb. InsO InsOÄndG INSOL InsR InsVV int. InVo IPR IPRax IPRspr i.R.d. i.R.v. i.S. i.S.d. i.S.v. i.Ü. i.V.m. IWF i.w.S. JA Jb. JFG
in der Fassung in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne im Fall Internationaler Gerichtshof insbesondere Insolvenzordnung Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze International insolvency review: journal of the International Association of Insolvency Practioners Insolvenzrecht Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung international Insolvenz und Vollstreckung (Praktikerzeitschrift) Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Internationaler Währungsfond im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch Jahrbuch für Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts XXXIX
Abkürzungsverzeichnis JMBl. JR Jura JurBüro JuS Justiz JVBl. JW JZ
Justizministerialblatt Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Juristische Schulung Die Justiz Justizverwaltungsblatt Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
KAGG Kap. KG KGaA KO Komm. KR KreisG krit. KSchG KTS KWG
Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung Kommentar KR Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz (Hrsg: Becker/Etzel) Kreisgericht kritisch Kündigungsschutzgesetz Konkurs, Treuhand, Sanierung –Zeitschrift für Insolvenzrecht Gesetz über das Kreditwesen
LAG Lfg. LG lit. Lit. LM LOI LöschG LReg LS LT-Drucks. LuftfRG LVerf LZ
Landesarbeitsgericht; Lastenausgleichsgesetz Lieferung Landgericht Buchstabe Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier, Möhring u.a. Letter of Intend Gesetz über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften Landesregierung Leitsatz Landtagsdrucksache Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Landesverfassung Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
m. MarkenG Mat. m.a.W. MBI MBl. MBO MDR m.E. mglw. MitRhNotK Mizi MK
mit Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Materialien mit anderen Worten Management Buy In Ministerialblatt Management Buy Out Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens möglicherweise Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Allgemeine Verfügung über Mitteilungen in Zivilsachen Münchener Kommentar
XL
Abkürzungsverzeichnis
m.N. MoMiG MünchKommBGB MuSchG m.w.N. m.W.v.
mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Mißbräuchen Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom
n.F. NJ NJW NJW-CoR NJW-RR Nr. NRW NStE NStZ n.v. NVwZ NVwZ-RR NWB NZA NZG NZI
neue Fassung Neue Justiz Neue juristische Wochenschrift NJW-Computerreport NJW-Rechtsprechungsreport Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechung-Report Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung
ö. o.a. o.Ä. ÖBA OFD OFH o.g. oHG OLG OLGE OLG-Report OLGZ OVG OVGE
österreichisch(e/er) oben angegeben(e) oder Ähnlich(e) Österreichisches Bankarchiv (Jahr, Seite) Oberfinanzdirektion Oberster Finanzhof oben genannte(n) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte OLG-Report (getrennt für jedes OLG) (St) Rechtsprechung der OLG in Zivilsachen (Strafsachen) Oberverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen der OVG Lüneburg und Münster
PartGG PatG PKH PKW Prot. PSV PSVaG
Gesetz über die Partnerschaftsgesellschaft Patentgesetz Prozesskostenhilfe Personenkraftwagen Protokoll Pensions-Sicherungsverein Pensions-Sicherungsverein auf Gegenseitigkeit
RA RabelsZ RAG RefE
Rechtsanwalt Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Referentenentwurf XLI
Abkürzungsverzeichnis RegE RG RGBl. RGRK RGZ RhPf.; RIW Rn. ROHG Rpfleger RPflG RRG Rspr. RT-Drucks. RVG Rz. S.; SachenRBerG SchiffsregO SchuRModG SeuffArch SG SGB s.o. sog. SprAG
Regierungsentwurf Reichsgericht Reichsgesetzblatt Kommentar zum BGB, hrsg. von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern (St) Amtliche Sammlung der Entscheidungen des RG in Zivilsachen (Strafsachen) rhpf. Rheinland-Pfalz; rheinland-pfälzisch(e) Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rentenreformgesetz Rechtsprechung Reichtagsdrucksache Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randzeichen
StB StBerG StGH str. st.Rspr. StVG s.u. SV SZIER
s. Seite, Satz (bei Rechtsnormen); siehe Sachenrechtsbereinigungsgesetz Schiffsregisterordnung Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts Seufferts Archiv Sozialgericht Sozialgesetzbuch siehe oben so genannte Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen Der Steuerberater, Zeitschrift für Beruf und Praxis Steuerberatungsgesetz Staatsgerichtshof streitig ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsgesetz siehe unten Sachverständiger Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht
TV tw.
Tarifvertrag teilweise
u.a. u.Ä. u.a.m. überw. umstr. UN
unter anderem; und andere und Ähnliches und anderes mehr überwiegend umstritten Vereinte Nationen (United Nations)
SanInsFoG StA StaRUG
XLII
Abkürzungsverzeichnis
UNCITRAL unstr. UrhG Urt. usw. u.U. UVG UVR
United Nations Commission on International Trade Law unstreitig Urheberrechtsgesetz Urteil und so weiter unter Umständen Unfallversicherungsgesetz Umsatzsteuer- und Verkehrsteuerrecht (Zeitschrift)
v. VAG Var. VbrInsVV VerbrKG Verf. VerfGH VerglO vern. VG VGH vgl. VJSchrStFr VO Vorb. vorl. VormG VVG
von; vom Versicherungsaufsichtsgesetz Variante Verbraucherinsolvenzvordrucksverordnung Verbraucherkreditgesetz Verfahren; Verfasser; Verfassung Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung verneinend Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht Verordnung Vorbemerkung vorläufig Vormundschaftsgericht Versicherungsvertragsgesetz
WEG wiss. wistra WM WPg WPK-Mitt. WRV WuB
Wohnungseigentumsgesetz wissenschaftlich Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung Mitteilungen der Wirtschaftsprüferkammer Weimarer Reichsverfassung Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht
ZAkDR z.B. ZDG ZEV ZflR ZGR ZHR ZInsO ZIP zit. ZMR ZPO ZPO-RG ZRP ZS
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zivildienstgesetz Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Insolvenzrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Zivilprozessreformgesetz Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat XLIII
Abkürzungsverzeichnis ZSEG ZStW z.T. ZUM zust. ZustRG zutr. ZVG ZVI zw. zz. ZZP ZZPInt
XLIV
Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswirtschaft zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zustimmend Zustellungsreformgesetz zutreffend Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Verbraucher- und Privatinsolvenzrecht zweifelhaft zurzeit Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
§1 Schuldnerberatung I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Tatsächliche Umstände . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Honorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a) Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 b) Zahlungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . 10 c) Praxisempfehlung . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) Vertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . 22 aa) Vertrag zugunsten und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 25 bb) Drittschadensliquidation . . . . . . 29 cc) Auskunftsvertrag . . . . . . . . . . . . 30 dd) Haftung als Sachwalter oder Verhandlungsgehilfe . . . . . . . . . 31 ee) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . 38 II. Insolvenzeröffnungsgründe . . . . . . . . . . 42 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Überblick, praktische Relevanz . . . . . 51 b) Objektive Verhältnisse . . . . . . . . . . . 55 c) Zahlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Keine anderen Leistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Vorläufig titulierte Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 d) Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) „Zwangskredite“ der Lieferanten 69 bb) Behördliche Schonfristen . . . . . 72 cc) Kontoüberziehung . . . . . . . . . . 73 dd) Nachrangige Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern (§ 39 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . 76 e) Geringfügigkeitsausnahmen . . . . . . . 79 aa) Zeitliche Geringfügigkeit (Zahlungsstockung) . . . . . . . . . 81 bb) Quantitative Geringfügigkeit . . 82 cc) Qualitative Geringfügigkeit . . . . 85 f) Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 g) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit 92 aa) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (1) Zahlungsmittelbestand . . . . 97 (2) Auszahlungen . . . . . . . . . . . 98 (3) Zahlungsprognose . . . . . . . 100 cc) Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 h) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
3. Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . a) Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgebender Betrachtungszeitraum . c) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick, praktische Relevanz . . . . . b) Feststellung der sog. rechnerischen Überschuldung (1. Stufe) . . . . . . . . . . aa) Prüfungsreihenfolge . . . . . . . . . . bb) Bilanzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Liquidationswerte . . . . . . . . . . . c) Fortführungsprognose . . . . . . . . . . . . aa) Prognosegegenstand: Ertragsoder Zahlungsfähigkeit? . . . . . . . bb) Prognosemethode . . . . . . . . . . . cc) Prognosezeitraum . . . . . . . . . . . dd) Fortführungswille . . . . . . . . . . . ee) Abhängigkeit von Dritten . . . . . ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . d) Einzelheiten zum Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . . (1) Insolvenzbedingte Kosten . . (2) Bewertungsbedingte Kosten (3) Geplante Kosten . . . . . . . . . bb) Einzelne Aktiva . . . . . . . . . . . . . (1) Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer . . . (2) Ansprüche gem. §§ 92, 93 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine Ausnahme für GmbH & Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Immaterielle Vermögensgegenstände . . . . . . . . . . . . . (5) Schwebende Geschäfte und Roh, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB) . . . . . . . . . . . . (6) Derivativer Firmenwert . . . . (7) Wert der Firma . . . . . . . . . . (8) Sicherungs- und aufrechnungsbelastete Vermögensgegenstände . . . . . . . . . . . . . (9) Insolvenzanfechtung . . . . . . cc) Einzelne Passiva . . . . . . . . . . . . . (1) Darlehen der Gesellschafter . (2) Rückstellungen . . . . . . . . . . e) Dokumentation, Sachverständigengutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 107 108 112 114 114 116 116 117 118 120 120 122 129 130 131 132 133 134 136 137 139 140 141 142 145 147 148 150 151 152 153 154 155 159 162
Andres | 1
§ 1 Rz. 1 | Schuldnerberatung III. Beseitigung der Insolvenzgründe . . . . . . 1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit . . . a) Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kreditaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . c) Gesellschafterfinanzierung . . . . . . . . . d) Verkauf von Aktiva, Anzahlungen . . . 2. Beseitigung der Überschuldung . . . . . . . a) Maßnahmen Aktiva . . . . . . . . . . . . . . aa) Verkauf von Aktiva . . . . . . . . . . . bb) Wertgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erhöhung des Stammkapitals (Registerpublizität) . . . . . . . . . . . dd) Kapitalerhöhung ohne Registerpublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßnahmen Passiva . . . . . . . . . . . . . aa) Besserungsschein, Rangrücktrittsvereinbarung . . . . . . . . . . . .
163 164 165 166 167 171 176 181 183 183 183 184 185 186 188
(1) Gestaltungsmöglichkeiten . . (2) Auswirkungen auf Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auswirkungen auf die (Steuer-)Bilanz, Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Auswirkungen auf den Überschuldungsstatus . . . . . (5) Formulierungshinweise . . . (6) Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen . . . . (b) Rangrücktrittsvereinbarung bb) Forderungsbeschränkungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gleichbehandlung bei außergerichtlicher Sanierung? . . . . . . c) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189 190 193 198 199 200 200 203 205 206 210
188
I. Mandatssituation 1. Tatsächliche Umstände 1
Mit der Einführung der Insolvenzordnung hat der Gesetzgeber 1999 die drohende Zahlungsunfähigkeit eingeführt, um dem Schuldner einen frühzeitigen Insolvenzantrag zu ermöglichen. Er wollte damit die Chancen einer Sanierung verbessern – dies ist bislang nur in Ausnahmefällen genutzt worden. Im März 2012 ist das ESUG in Kraft getreten. Der Gesetzgeber gewährt dem Schuldner mit dem jetzt eingeführten Schutzschirmverfahren in größerem Umfang Freiheiten im Rahmen des Insolvenzverfahrens, wenn er einen Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit stellt. Im Rahmen des dann möglichen Schutzschirmverfahrens kann der Schuldner sich in Eigenverwaltung sanieren und die Person des Sachwalters auswählen. Die typische Beratungssituation ist aber nach wie vor wie zu Zeiten der Konkursordnung dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner erst zum Anwalt kommt, wenn längst Zahlungsunfähigkeit und erst recht Überschuldung eingetreten sind. Das kann für den Anwalt gefährlich sein. Ein Honorarverlust ist noch der geringste Schaden. Viel brisanter ist eine Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung, zu einem Bankrottdelikt oder gar zum Betrug gegenüber künftigen Gläubigern. Der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (s. dazu § 8 Rz. 35, Rz. 94) folgt die zivilrechtliche Haftung auf dem Fuße.
2
Der beratende Anwalt sollte deshalb stets die besonderen Rahmenbedingungen der Krisenberatung vor Augen haben. Wirtschaftlich geht es um die Existenz des Mandanten, der psychologisch „von Hause aus“ Optimist ist, sonst wäre er nicht Unternehmer geworden. Er neigt dazu, Risiken zu bagatellisieren. Das gilt jedenfalls für den Gesellschafter-Geschäftsführer oder den Inhaber einer Einzelfirma. Aber auch der angestellte Manager ist an einer Erhaltung seiner Position interessiert und stellt die Verhältnisse positiver als ein unbefangener Dritter dar. Die Verdrängung unerwünschter Informationen ist ein alltägliches Phänomen, das umso massiver auftritt, je nachteiliger die Informationen sind. Der Mandant ist kein bewusster Lügner, sondern ein unbewusster „Verdränger“. Das ist für den Anwalt gefährlich. Geht es später einmal um Haftungsansprüche, wird der Mandant zwischen seinem Wissen und dessen Verdrängung nicht mehr unterscheiden. Plötzlich ist es der Anwalt, der alles gekannt und schlecht beraten haben soll.
2 | Andres
I. Mandatssituation | Rz. 6 § 1
In der Krise ist äußerste Eile geboten. Will der Anwalt Erfolg haben, muss er sich die erforderlichen Informationen schnellstens beschaffen. Dazu sollte er neben den Informationen der Geschäftsführung neutrale Personen einbeziehen. Das kann im Unternehmen die „zweite Reihe“ sein, aber auch ein kompetenter Sachbearbeiter oder der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer. Da der Geschäftsführer oftmals noch nicht weitere Mitarbeiter einbeziehen will, wird oftmals der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer der sachkundigste und objektive Ansprechpartner sein. Die Aussagen des Geschäftsführers sind mit den Angaben des Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers zu verproben. Daneben sollten die Aussagen für eine zukünftige, ggf. auch kurzfristig positiv gesehene Entwicklung des Unternehmens mit Planungen und erreichten Werten der Vergangenheit abgeglichen werden. Je weiter sich hierbei eine Diskrepanz ergibt, desto kritischer sollten die Aussagen des Mandanten gesehen werden.
3
Durch die Neuregelungen des ESUG steht seit einigen Jahren häufiger die Beratung des schuldnerischen Unternehmens vor dem Hintergrund einer möglichen Sanierung im Rahmen eines Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahrens im Fokus. Bei einer solchen Beratung steht neben den rechtlichen Voraussetzungen für den Mandanten auch immer die Frage der Erfolgschancen einer Sanierung des Unternehmens mithilfe dieser Instrumente im Vordergrund. Dies ist in wesentlichen Zügen auch eine betriebswirtschaftliche Frage. Rechtsanwälte, die in diesem Umfeld beraten, sollten daher im Rahmen der Mandatsvereinbarung genau abgrenzen, welche Leistungen sie erbringen und welche Leistungen ggf. durch einen betriebswirtschaftlichen Berater erbracht werden, der gesondert vergütet wird. Diese Abgrenzung ist insbesondere für spätere Haftungsfragen, wenn der gewünschte Erfolg nicht eintritt, erheblich. Ähnliche Fragestellungen werden sich in Zukunft auch im Zusammenhang mit einer Sanierung nach dem StaRUG im Rahmen eines Restrukturierungsplans oder eines Sanierungsvergleichs ergeben. Die vergütungsrechtlichen Fragen sind analog denen bei einem Eigenverwaltungsoder Schutzschirmverfahren zu beurteilen.
4
2. Honorar a) Bemessung Nach § 34 RVG soll der Rechtsanwalt für eine Beratung oder ein Gutachten auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit in Teil 2 Abschnitt 1 VV keine Gebühren bestimmt sind. Wird keine Vereinbarung getroffen, soll der Anwalt Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts erhalten.
5
Die Tätigkeit des Anwalts geht bei Insolvenzmandanten meist weit über die rechtliche Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts hinaus und umfasst deren Ermittlung und Gestaltung sowie Verhandlungen mit Lieferanten und Kunden. Das RVG enthält ebenso wenig wie die frühere BRAGO Honorarvorschriften zur Krisenberatung. Soweit es die Mitwirkung an dem Insolvenzantrag auf der Grundlage eines feststehenden Sachverhalts betrifft, ist die Beratung über die Insolvenzgründe und die damit zusammenhängende Insolvenzverschleppungshaftung mit der Gebühr der Nr. 3313 RVG-Vergütungsverzeichnis abgegolten. Insbesondere bei der Überschuldung ist der Sachverhalt aber häufig erst mit anwaltlicher Hilfe zu ermitteln. Das kann weit über eine Vorbereitungstätigkeit i.S.v. § 19 RVG hinausgehen und ist gesondert zu vergüten. Einen Gebührentatbestand sucht man dafür im RVG bzw. im zugehörigen Vergütungsverzeichnis vergebens. Das gilt erst recht für die Planung von Sanierungsmaßnahmen und die Beteiligung an Sanierungsverhandlungen. Auch zum Gegenstandswert gibt es im RVG keine spezielle Vorschrift. § 28 Abs. 1 RVG bestimmt zwar i.V.m. § 58 GKG den Wert der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage, gilt aber nur für die dort genannten Tätigkeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem gerichtlichen Insolvenzverfahren stehen, nicht jedoch für die außergerichtliche Sanierung. § 28 Abs. 3 RVG verweist auf die allgemeine Wertvorschrift in § 23 Abs. 3 RVG und gilt damit ebenfalls nur für die Tätigkeiten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens1 einschließlich des Eröffnungsverfahrens. Die außergerichtlichen Verhandlungen mit Gläubigern wird man schwerlich mit den Gebühren der Nrn. 2000 und 2400 des RVG-Vergütungsverzeichnisses für
6
1 Bräuer in Bischof/Jungbauer, RVG, § 28 Rz. 8, 14 f.
Andres | 3
§ 1 Rz. 6 | Schuldnerberatung jeden einzelnen Gläubiger nach der jeweiligen Nominalforderung abrechnen dürfen; denn dessen Forderung ist nicht streitbefangen. Vielmehr geht es um Stundung oder Erlass, so dass gem. § 23 Abs. 3 RVG höchstens der begehrte Erlassbetrag zugrunde gelegt werden darf. Die positiv-rechtlichen Vergütungsbestimmungen sind also unbefriedigend. 7
Wenn ausnahmsweise die Vergleichsverhandlungen in einer Versammlung aller Gläubiger zusammenfassend geführt werden, liegt eine Analogie zu den Vorschriften über die Vertretung des Schuldners im Insolvenzverfahren nahe, Nrn. 3313 ff. RVG-Vergütungsverzeichnis. Wegen der Konzentration aller Beteiligter auf ein Verfahren gibt es dort auch nur eine – gegebenenfalls erhöhte – Gebühr, die unabhängig von der Anzahl der Gläubiger ist. Sie berechnet sich teilweise nach der Insolvenzmasse, z.B. Nr. 3317 RVG-Vergütungsverzeichnis i.V.m. § 28 Abs. 1 RVG, teilweise nach billigem Ermessen, §§ 28 Abs. 3, 23 Abs. 2 RVG. Das gilt insbesondere für die Vertretung des Schuldners im Insolvenzplanverfahren, Nr. 3319 RVG-Vergütungsverzeichnis. Da der Schuldner durch den Plan gem. § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO aber keinen „wirtschaftlichen Wert“ erhalten darf, will er nicht die Ablehnung des Plans riskieren, bleibt die Bestimmung des Gegenstandswertes auch für die ein Insolvenzplanverfahren vorbereitende Tätigkeit schwierig.
8
Eine Analogie zur insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung scheitert an § 1 Abs. 2 RVG. Zwar kann der Sanierungsberater schnell in die Rolle des Sanierungsmanagers schlüpfen müssen. Damit verlässt er jedoch den Bereich der anwaltlichen Berufstätigkeit (§ 1 Abs. 1 RVG), so dass er nicht mehr die taxmäßige Vergütung des RVG abrechnen darf, sondern auf die übliche rekurrieren muss, § 612 Abs. 2 BGB. Dann allerdings kommt je nach dem Umfang des Auftrages eine entsprechende Anwendung der insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung durchaus in Betracht. Das gilt insbesondere für den Liquidator.2
9
Wegen der erheblichen Unsicherheiten über die Höhe der gesetzlichen Gebühren ist eine Honorarvereinbarung unbedingt zu empfehlen. § 4 RVG nennt Pauschal- und Zeitvergütungen. Eine Pauschalvergütung ist schwer zu kalkulieren. Der Arbeitsaufwand hängt wesentlich vom Vorbereitungsstand des Mandanten und dem „Verärgerungsstand“ der Gläubiger ab, wenn nicht nur über den Insolvenzantrag beraten, sondern auch der Insolvenzgrund beseitigt werden soll. Das ist zwar auch in anderen Beratungsangelegenheiten der Fall, potenziert sich hier jedoch, weil die Krisenberatung das gesamte Unternehmen umfasst. Eine Zeitvergütung ist deshalb vorzuziehen. In jüngerer Zeit wird die Beratung eines Unternehmens in Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren häufig an die Vergütung eines Insolvenzverwalters gekoppelt. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist, dass die Insolvenzgerichte bereits in der Vergangenheit oftmals den Nachweis verlangt haben, dass diese Verfahren nicht teurer als die Regelverfahren sind. Dies hat der Gesetzgeber jetzt auch in der Neuregelung der Eigenverwaltung in § 270a InsO aufgenommen und sieht in § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO vor, dass eine begründete Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten zu erfolgen hat. Auch die Gläubigerausschüsse halten eine Orientierung an der Vergütung eines Insolvenzverwalters für sinnvoll. Es wird dann regelmäßig in den Vergütungsvereinbarungen vorgesehen, dass die Berater des Unternehmens eine Vergütung erhalten in Höhe der Vergütung eines fiktiven Insolvenzverwalters abzgl. der Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters sowie eines weiteren Prozentsatzes um sicherzustellen, dass das Gesamtvergütungsvolumen unter dem des Regelverfahrens liegt. Diese Art der Vergütungsvereinbarung stellt ohne weiteres sicher, dass keine zu hohe Vergütung anfällt, problematisch ist lediglich der Fall, wenn die Eigenverwaltung scheitert und das Verfahren in ein Regelverfahren übergeht. Für diesen Fall muss die Vergütungsvereinbarung dann berücksichtigen, dass nicht nur die Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters, sondern auch die des dann tatsächlich bestellten Insolvenzverwalters abgezogen wird. Je nach Höhe der Vorschusszahlungen kann sich dann ein Erstattungsanspruch des Beraters gegenüber der Insolvenzmasse ergeben.
2 Bischof in Bischof/Jungbauer, RVG, § 1 Rz. 53.
4 | Andres
I. Mandatssituation | Rz. 12 § 1
b) Zahlungsmodalitäten Der Anwalt muss jederzeit einen Insolvenzantrag gegen seinen Mandanten befürchten, wird doch das Ersuchen der Gläubiger um eine Stundung oder einen Forderungsverzicht häufig mit dem Hinweis verbunden, anderenfalls zahlungsunfähig bzw. überschuldet zu bleiben. Einfacher als durch eine solche Aussage kann der Weg für einen Gläubiger nicht bereitet werden, den Eröffnungsgrund bei einem Insolvenzantrag glaubhaft zu machen, § 14 Abs. 1 InsO.3 Deshalb sollte zu Beginn einer Krisenberatung immer ein Honorarvorschuss gezahlt werden. Zwar ist eine Vergütung theoretisch auch noch nach dem Insolvenzantrag zulässig, sofern sich die Zahlung noch als Bargeschäft darstellt.4 Häufig ordnet das Gericht jedoch alsbald Sicherungsmaßnahmen der in § 21 InsO bestimmten Art an, so dass der Schuldner nicht mehr allein verfügungsbefugt ist.
10
Allerdings kann die Honorarzahlung der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterliegen. Zu unterscheiden ist die erleichtert anfechtbare inkongruente von der nur unter besonderen subjektiver Voraussetzungen anfechtbaren kongruenten Deckung (vgl. § 13 Rz. 55 ff.). Eine inkongruente Deckung liegt vor, wenn der Anwalt eine Leistung erhält, „die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“, § 131 Abs. 1 InsO. Das ist insbesondere der Fall bei Erfüllungssurrogaten wie der Übergabe von Kundenschecks oder der Abtretung von Forderungen des Mandanten, es sei denn, dies wird von vornherein bei Begründung des Mandatsverhältnisses konkret so vereinbart. Besser ist, konkrete Forderungen oder Vermögensgegenstände als Sicherheit zu bestellen. Werden diese Sicherheiten später durch eine inkongruente Leistung abgelöst, fehlt es im Ablösezeitpunkt an einer Gläubigerbenachteiligung, die Voraussetzung jeder Anfechtung ist, § 129 InsO. Deshalb empfiehlt es sich, derartige Sicherheiten bei einer vermutlich länger dauernden Beratung sofort und nicht erst später, wenn Leistungen bereits erbracht sind, hereinzunehmen.
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Inkongruent ist auch eine Honorarzahlung, die vom RVG nicht gedeckt ist, soweit es sich um anwaltliche Tätigkeiten i.S.v. § 1 Abs. 1 RVG handelt und nicht um eine reine betriebswirtschaftliche Beratung. Dabei ist der Anwendungsbereich für die Anwaltstätigkeit recht weit zu fassen, ist der Rechtsanwalt gem. § 3 Abs. 1 BRAO doch der „berufene unabhängige Berater … in allen Rechtsangelegenheiten.“ Nicht vom RVG gedeckt ist es, wenn noch ein Vorschuss verlangt wird (§ 9 RVG), obwohl die Angelegenheit beendet und deshalb die Vergütung gem. § 8 RVG fällig ist. Allein der Umstand, dass die nach § 10 RVG erforderliche Abrechnung bei einem umfangreichen Mandat noch geraume Zeit in Anspruch nimmt, gibt dem Anwalt nicht das Recht auf einen (weiteren) Vorschuss, wenn der Auftrag rechtlich beendet ist. Wird er gleichwohl vom Mandanten entrichtet, erhält der Anwalt etwas, worauf er keinen Anspruch hat, was die Tatbestandsmerkmale der inkongruenten Deckung erfüllt.5 Das gilt auch dann, wenn der „Auftrag“ mehrere „Angelegenheiten“ betrifft, da die endgültige Vergütung laut § 8 Abs. 1 RVG für jede Angelegenheit gesondert fällig wird, sobald sie abgeschlossen ist. Inkongruent ist auch eine Honorarzahlung, wenn die Vergütungsvereinbarung nicht den formellen Anforderungen des § 4 RVG entspricht. Zwar muss der Anwalt den Betrag schuldrechtlich nicht erstatten, § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG. Er hatte darauf aber keinen durchsetzbaren Anspruch, so dass die Voraussetzungen des § 131 InsO erfüllt sind.6
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3 BGH v. 4.10.2001 – IX ZR 81/99, MDR 2001, 1437 = ZIP 2001, 2097; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = ZIP 2006, 2222; LG Berlin v. 3.5.2004 – 86 T 385/04, ZInsO 2004, 875; Sternal in HK/ InsO, § 14 Rz. 25. 4 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 480/00, MDR 2002, 1454 = DZWiR 2003, 31 = KTS 2003, 134. 5 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, MDR 2007, 113 = NJW 2006, 2701, wobei der BGH nicht erörtert, ob es an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen könnte, wenn der derselbe Betrag statt als Vorschuss auch als Schlusszahlung hätte beansprucht werden können. Zwar sind hypothetische Kausalverläufe i.d.R. nicht zu berücksichtigen. Nach BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, MDR 2005, 1312 = ZIP 2005, 1243 kommt es jedoch nicht nur auf die Kausalität an, sondern es ist im Rahmen wertender Betrachtungsweise auch noch die Zurechenbarkeit zu prüfen, die im Urteilsfall aus 2006 hätte verneint werden können. 6 Vgl. Thole in HK/InsO, § 131 Rz. 17.
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§ 1 Rz. 13 | Schuldnerberatung 13
All das zeigt: Bei Mandatserteilung getroffene formwirksame Vereinbarungen über Höhe, Fälligkeit und Besicherung des Honorars reduzieren das Anfechtungsrisiko. Sie beseitigen es aber nicht. So liegt es auf der Hand, dass das Schuldnervermögen unter dem Deckmantel der anwaltlichen Beratung nicht gemindert werden darf, wenn diesem keine adäquate Leistung gegenüber steht. Unmittelbar nachteilige Rechtsgeschäfte sind gem. § 132 InsO anfechtbar und die daraufhin erbrachten Honorarzahlungen zu erstatten. Unmittelbar nachteilig ist eine unangemessen hohe Honorarvereinbarung, wobei der „richtige“ Stundensatz eine große Bandbreite aufweist.7 Außerdem haben die Parteien analog § 315 Abs. 3 BGB einen erheblichen Beurteilungsspielraum; denn was bei einseitiger Leistungsbestimmung nach dieser Vorschrift rechtmäßig ist, kann auch anfechtungsrechtlich nicht unmittelbar benachteiligend sein. Das gilt insbesondere auch für ein Pauschalhonorar, selbst wenn sich nachträglich herausstellt, dass sich der Auftrag früher erledigt als ursprünglich geplant, indem beispielsweise kurzfristig ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Es ist das Wesen des Pauschalhonorars, dass es sich sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Mandanten auswirken kann. Allerdings darf es nicht unvertretbar hoch sein, also eine Größenordnung nicht wesentlich überschreiten, die üblicherweise bei Mandaten der beauftragten Art anfallen. Ist eine Vergütung unangemessen hoch, kann sie schuldrechtlich gem. § 4 Abs. 4 RVG auf den angemessenen Teil reduziert werden. Ob das auch für die insolvenzrechtliche Anfechtung in dem Sinne gilt, dass nur der den angemessenen Teil überschreitende Betrag zur Insolvenzmasse erstattet werden muss, ist eine Frage der Teilanfechtung. Grundsätzlich ist eine einheitliche Rechtshandlung nur im Ganzen anfechtbar,8 wobei es auch höchstrichterliche Entscheidungen gibt, die bei wirtschaftlicher Teilbarkeit die Rückgewähr auf den überschießenden Teil beschränken.9 Nach einem älteren Urteil des früher für das Konkursrecht zuständigen VIII. Zivilsenats gilt das auch für ein überhöhtes Anwaltshonorar.10
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Ein anderes Anfechtungsrisiko kann sich daraus ergeben, dass der Mandant von vornherein seine Zahlungsunfähigkeit einräumt oder der Anwalt die Zahlungsunfähigkeit sofort erkennt und erst anschließend sein Honorar erhält. Dann sind die Voraussetzungen der Anfechtung wegen kongruenter Deckung erfüllt. Helfen kann ihm nur noch das Bargeschäftsprivileg gem. § 142 InsO (vgl. § 13 Rz. 283 ff.).
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Nach dem Wortlaut des § 142 InsO liegt ein Bargeschäft vor, wenn in das Vermögen des Schuldners unmittelbar eine seiner Zahlung gleichwertige Gegenleistung gelangt. Daran bestehen bei Beratungstätigkeiten Zweifel, weil sie nicht „in sein Vermögen“ gelangen, die verteilungsfähige Masse also nicht im Umfang der Honorarzahlungen erhöhen. Trotzdem akzeptiert die Rechtsprechung grundsätzlich das Bargeschäftsprivileg mit der Begründung, dass die Unterstützung bei einer Sanierung oder einem ordnungsgemäßen Insolvenzantrag auch den Gläubigern diene.11
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Diese Überlegung beschränkt zugleich den Anwendungsbereich des Bargeschäfts in zeitlicher und wertmäßiger Hinsicht: Darf ein Schuldner seinen Insolvenzantrag nicht mehr verzögern, ist zunächst nur die Beratung über die Antragsvoraussetzungen (vgl. § 28 RVG i.V.m. Nr. 3313 Vergütungsverzeichnis) anfechtungsresistent – aber nur, soweit der Antrag nicht auch alleine von dem Schuldner hätte gestellt werden können.12 Während der Verschleppungsphase erbrachte Leistungen sind hin-
7 BGH v. 27.1.2005 – IX ZR 273/05, BGH v. 27.1.2005 – IX ZR 273/02, MDR 2005, 1255 = NJW 2005, 2142 hat unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit – nicht der Anfechtbarkeit – ausgesprochen, dass eine Überschreitung der gesetzlichen Gebühren – die es, wie dargelegt, für eine umfassende Insolvenz- und Sanierungsberatung nicht gibt – als das Fünffache für regelmäßig unangemessen. 8 BGH v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, MDR 2008, 884 = ZInsO 2008, 558 Rz. 16 = ZIP 2008, 1028; BGH v. 13.7.1995 – IX ZR 81/94, MDR 1996, 412 = ZIP 1995, 1364. 9 Vgl. Thole in HK/InsO, § 129 Rz. 97 f. 10 BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, MDR 1980, 843 = NJW 1980, 1962 = ZIP 1980, 618 11 BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, MDR 1980, 843 = NJW 1980, 1963 = ZIP 1980, 618; Hölzle, DStR 2003, 2075, 2077 für den Steuerberater. 12 BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, MDR 2008, 339 = ZIP 2008, 232.
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I. Mandatssituation | Rz. 19 § 1
gegen rechtlich nicht als im Interesse der Gläubiger liegend geschützt.13 Damit ist der Mandant nicht beistandslos. Ist ein Antrag gestellt, dürfen Sanierungsmaßnahmen sowie Gläubigerverhandlungen mit Hilfe des Anwalts fortgesetzt und – solange keine Verfügungsbeschränkungen angeordnet sind – zeitnah bezahlt werden. Vor wie nach dem Antrag gilt jedoch, dass diese Maßnahmen nicht von vornherein aussichtslos sein dürfen14 und die vom Anwalt erbrachten Tätigkeiten sachgerecht sind.15 Die bargeschäftliche Gleichwertigkeit des Leistungsaustausches liegt bei sachgerechten Tätigkeiten immer vor, wenn nach den gesetzlichen Gebühren abgerechnet wird oder das Zeit- bzw. Pauschalhonorarhonorar vertretbar ist. Dafür gilt das oben zur Gläubigerbenachteiligung Gesagte entsprechend.
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Für die bargeschäftliche Unmittelbarkeit ist zu berücksichtigen, dass die Vergütung erst „nach der Leistung der Dienste zu entrichten“ ist, § 614 BGB. Deshalb hat der BGH eine Zahlung für wirksam gehalten, die sogar erst nach dem Insolvenzantrag erfolgte.16 Allerdings muss der zeitliche Zusammenhang gewahrt bleiben, der für jedes Bargeschäfts gefordert wird. Ein Abstand von drei Wochen17 ist noch zulässig, zwei Monate hingegen sind zu lang.18 Schien die Frist in den früheren Entscheidungen wegen § 614 BGB noch mit der Fälligkeit des Honoraranspruchs zu beginnen, stellt der BGH nunmehr auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ab. Es komme nicht auf die formaljuristische Fälligkeit an, sondern auf die tatsächliche Leistungserbringung. Wenn zwischen dem Beginn der anwaltlichen Tätigkeit und der Vergütungszahlung mehr als 30 Tage liegen, sei der Bargeschäftszusammenhang nicht mehr gewahrt. Diese Grenze entnimmt der BGH dem Rechtsgedanken des § 286 Abs. 3 BGB. Gleiches soll auch für den umgekehrten Fall eines Vorschusses gelten: Übersteigt er die wertäquivalente Vergütung für die nächsten 30 Tage, fehlt es ebenfalls an den Voraussetzungen des Bargeschäfts.19 In der Praxis sollte zunächst vor Beginn der Beratung ein Vorschuss vereinbart und gezahlt werden. In der Folge sollte dann zumindest im 14-tägigen Rhythmus eine Abrechnung stattfinden. Erfahrungsgemäß benötigt der Schuldner immer einige Tage, um die gestellte Rechnung zu begleichen. Verlängert man das Abrechnungsintervall über zwei Wochen hinaus, besteht die Gefahr, aus dem 30Tages-Zeitraum heraus zu fallen.
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Unabhängig von der Anfechtbarkeit muss bei den Zahlungsterminen auch die Organhaftung berücksichtigt werden.20 Nach Eintritt des Insolvenzgrundes getätigte Zahlungen sind in sämtlichen beschränkt haftenden Gesellschaften von den Organen auszugleichen, es sei denn, dass sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind (§ 5 Rz. 66a ff.). Diese Sorgfalt ist insolvenzbezogen zu interpretieren. Mit ihr stehen nur diejenigen Zahlungen im Einklang, die die spätere Insolvenzmasse wertmäßig zu erhalten helfen. Darunter wird man zwar mit denselben Überlegungen wie beim Bargeschäft auch Beratungsleistungen subsumieren dürfen – aber nur, soweit sich die Zahlung nicht als Befriedigung einer schon bestehenden Verbindlichkeit darstellt. Ebenso wie bei der Anfechtung ist auch hier die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend. Die formaljuristische Fälligkeit des Honorars spielt keine Rolle. Vielmehr kommt es darauf an, ob bereits erbrachte oder neue Leis-
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13 Vgl. BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, MDR 2001, 405 = ZIP 2001, 33; BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, MDR 1980, 843 = NJW 1980, 1962 = ZIP 1980, 618. 14 Vgl. OLG Bdb. v. 21.3.2002 – 8 U 71/01, ZIP 2002, 1902, 1907 zur Besicherung eines aussichtslosen Sanierungskredits. 15 BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, MDR 2001, 405 = ZIP 2001, 33,35; BGH v. 17.11.1958 – II ZR 224/ 57, BGHZ 28, 344 ff. 16 BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, MDR 1980, 843 = NJW 1980, 1962, 1963 = ZIP 1980, 618. 17 BGH v. 17.11.1958 – II ZR 224/57, BGHZ 28, 347. 18 BGH v. 18.7.2002 – IX 480/00 = ZIP 2002, 1540, BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 480/00, MDR 2002, 1454 = ZIP 2002, 1540 f. 19 BGH v. 15.12.2011 – IX ZR 118/11, MDR 2012, 311 = ZInsO 2012, 241 Rz. 25 = ZIP 2012, 333; BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, MDR 2007, 113 = ZIP 2006, 1261; BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, MDR 2008, 339 = ZIP 2008, 232. 20 S. ausführlich § 5 Rz. 43 ff. u. 66a ff.; s. ferner: Schmittmann, ZInsO 2011, 545, 552.
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§ 1 Rz. 19 | Schuldnerberatung tungen bezahlt werden sollen. Ob auch bei § 15b S. 1 InsO der bargeschäftliche Zusammenhang gilt, so dass eine vor dem Eintritt des Insolvenzgrundes entstandene Verbindlichkeit noch zeitnah bezahlt werden darf, ist zwar zweifelhaft.21 Andererseits würde der bisherige Anwalt mangels Zahlung seine Tätigkeit einstellen und die Mandatierung eines neuen Büros Verzögerungen und Mehrkosten mit sich bringen. Deshalb ist bei einer längeren Beratung nicht jede Zahlung haftungsschädlich, die kalkulatorisch auf Tätigkeiten vor Eintritt des Insolvenzgrundes entfällt. Bleibt der Altanteil unter den Mehrkosten einer hypothetischen Neubeauftragung, ist die Zahlung noch von der geschäftsmännischen Sorgfalt des § 15b Abs. 2 InsO gedeckt. Zahlungen, die für Leistungen getätigt werden, die die Stellung des Insolvenzantrages vorbereiten, sind in jedem Fall zulässig, § 15b Abs. 2 S. 2 InsO. Auf die nach Eintritt des Insolvenzgrundes erbrachten Leistungen wird man hingegen den Bargeschäftsgedanken analog anwenden können, so dass hinsichtlich der Geschäftsführerhaftung das oben bei Rz. 11 f. zur Anfechtung Gesagte auch hier gilt. 20
Ob ein Honorarvorschuss auch die Beratung des Schuldners nach dem Insolvenzantrag gegenüber einem vorläufigen Insolvenzverwalter (anfechtungsfrei) abgelten darf, ist fraglich. Da durch die Beratungstätigkeit die Insolvenzmasse nicht erhöht wird, kann die von § 142 InsO verlangte Vermögensneutralität nur normativ verstanden werden als eine Beratung im Interesse aller (künftigen) Verfahrensbeteiligten. Die Beratung gegenüber dem Verwalter gehört nicht dazu. Sie dient regelmäßig nur noch dem Schuldner- bzw. Geschäftsführerinteresse. Zwar hat ein Schuldner Anspruch auf einen Anwalt, so dass angemessene Zahlungen an ihn nicht etwa ein Bankrottdelikt begründen.22 Das durchbricht jedoch nicht die insolvenzrechtlichen Masseerhaltungs- und Verteilungsvorschriften. Ist der Schuldner eine natürliche Person, sind die Kosten aus dem gem. § 100 InsO (die Vorschrift spielt allerdings in der Praxis keine Rolle) zu bewilligenden Unterhalt aufzubringen, also aus dem, was ohnehin nicht in der Masse verbleibt. Ist der Schuldner hingegen eine Gesellschaft, gibt es keinen Anspruch auf „Unterhalt“ der Geschäftsführung. Ihre Ansprüche richten sich allein nach der insolvenzrechtlichen Behandlung des Dienstvertrages einschließlich der (Beratungs-)Auslagen. Hinsichtlich der GmbH als der Insolvenzschuldnerin obliegt es nunmehr dem vorläufigen Verwalter, die Masse im Interesse der Gläubiger zu sichern. Für eine weitere ebenfalls im Interesse der Gläubiger durchgeführte Beratungstätigkeit eines Schuldner-Anwalts ist daneben kein Raum, es sei denn, dass dies in Abstimmung mit dem vorläufigen Verwalter geschieht. Das gilt sogar für die Ausarbeitung eines Insolvenzplans, weil der Schuldner keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf professionelle Beratung hat.23 Hat das Insolvenzgericht überdies eine Verfügungsbeschränkung als vorläufige Sicherungsmaßnahme angeordnet, unterliegt dem auch der im Vorschusswege erworbene Leistungsanspruch. Er kann nicht mehr durch Leistung an den Schuldner erfüllt werden, §§ 24, 82 InsO. Der Anwaltsvertrag endet außerdem gem. §§ 115, 116 InsO (vgl. § 11 Rz. 273 ff.) spätestens mit dem Tage der Insolvenzeröffnung und ist analog § 628 Abs. 1 BGB abzurechnen. § 628 Abs. 2 BGB (Schadensersatz wegen Kündigung bei vertragswidrigem Verhalten) findet keine Anwendung,24 da man §§ 115 f. InsO (Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen) nicht nur auf den Auftrag, sondern auch auf den zugrunde liegenden Dienstvertrag erstreckt25 und dies keine vertragswidrige Kündigung ist.
c) Praxisempfehlung 21
Zusammenfassend kann für die Praxis nur dringend empfohlen werden, – eine möglichst zeitbezogene Honorarvereinbarung zu treffen – mit kurzen Abrechnungsintervallen und Zahlungsintervallen von 14 Tagen, maximal 30 Tagen 21 22 23 24 25
Vgl. BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, MDR 2003, 818 = ZIP 2003, 1005. BGH v. 29.9.1988 – 1 StR 332/88, MDR 1989, 368 = NJW 1989, 1167, 1168. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, MDR 2008, 339 = ZIP 2008, 232. Sinz in Uhlenbruck, InsO, §§ 115, Rz. 12. BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, MDR 2007, 737 = ZIP 2007, 543; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, MDR 2007, 107 = ZIP 2006, 1781.
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I. Mandatssituation | Rz. 24 § 1
– gegen Vorschuss zumindest in Höhe der für das nächste Abrechnungsintervall erwarteten Vergütung – sowie Besicherung des anschließend voraussichtlich anfallenden Vergütungsanspruchs – und Einholung der Zustimmung eines vorläufigen Verwalters für den Verbrauch eines Vorschusses nach Insolvenzantrag. Dies gilt auch für die Eigenverwaltung. – Bei der Beratung in einer Eigenverwaltung ggf. eine Pauschalvergütung orientiert an der Vergütung eines fiktiven Insolvenzverwalters abzgl. der Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters und eines weiteren prozentualen Abschlags.
3. Haftung a) Vertragliche Haftung Der Mandant, der einen Rechtsanwalt in der wirtschaftlichen Krise aufsucht, erwartet eine umfassende Aufklärung über die Handlungsmöglichkeiten und Haftungsrisiken.26 Der Auftrag mag sich in einem einzigen Beratungsgespräch erschöpfen, in dem regelmäßig nur allgemeine Wenn-Dann-Aussagen getroffen werden können. Häufig ist es aber so, dass die rechtsrelevanten Informationen erst beschafft werden müssen. Eine Überschuldung beispielsweise ergibt sich nicht unmittelbar aus der handelsrechtlichen Buchführung. Vielmehr sind u.a. die Verkehrswerte zu ermitteln. Das kann bei komplexen Verhältnissen geraume Zeit in Anspruch nehmen. Parallel werden dann meist schon Verhandlungen mit den Geschäftspartnern des Mandanten begonnen, um sie für eine Beteiligung an der Sanierung zu gewinnen. Während der Dauer seiner Tätigkeit ist der Anwalt verpflichtet, ständig auf die Auswirkungen neuer Erkenntnisse über die Vermögens- und Finanzlage des Schuldners hinzuweisen. Zumeist wird die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzgrund sein, der dem Mandanten droht. Insoweit obliegt es dem Rechtsanwalt den Mandanten darauf hinzuweisen, dass dieser in einer Krisensituation dazu verpflichtet ist, sich ständig, ggf. auch täglich, einen Überblick über seine Zahlungsfähigkeit zu verschaffen.
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Die Insolvenz- und Sanierungsberatung erfolgt im Weges eines Dienstvertrages (§ 611 BGB), auf den gem. § 675 BGB die Vorschriften über die Geschäftsbesorgung ergänzend Anwendung finden, wenn sich die Tätigkeit nicht nur auf das interne Beratungsgespräch beschränkt, sondern der Anwalt Aufgaben wahrnimmt, deren Erfüllung dem Mandanten bzw. dem Geschäftsführer obliegen.27 Ein bestimmter Erfolg wie beispielsweise die Beseitigung des Insolvenzgrundes ist nicht geschuldet, wohl aber kann ein bestimmtes Arbeitsergebnis wie z.B. ein Gutachten über das Bestehen eines Insolvenzgrundes geschuldet sein. Dann tritt an Stelle des Dienstvertrages das Werkvertragsrecht, §§ 675, 631 BGB.
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Verletzt der Anwalt seine Beratungspflicht, schuldet er Schadensersatz, § 280 Abs. 1 BGB. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gem. § 281 Abs. 2 BGB ist entbehrlich, weil der Schaden gerade durch die nicht rechtzeitige Aufklärung über die mit den jeweiligen Entwicklungen verbundenen Risiken eintritt.28 Allerdings mindert die unterlassene Aufklärung über Haftungsrisiken nicht das Vermögen des Schuldners. Vielmehr sind es die Geschäftsführer und Vertragspartner, die den Anwalt später für Nachteile verantwortlich machen. Bei der Krisenberatung steht deshalb die Frage nach der Haftung gegenüber Dritten im Vordergrund. Außer der noch zu erörternden deliktischen Haftung kommt in
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26 Überblick zur Anwaltshaftung bei: Schmittmann, ZInsO 2011, 545; Ganter, Die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH zur Anwaltshaftung seit 1984, WM 2001, Sonderbeilage 6; zur vertraglichen Haftung des Steuerberaters gegenüber Dritten: Zugehör, DStR 2007, 723 ff. Für den Anwalt gilt das entsprechend.Zu den Anforderungen an die Krisenberatung vgl. Frege, NZI 2006, 545, 547 ff. 27 BGH v. 25.10.1988 – XI ZR 3/88, MDR 1989, 256 = NJW 1989, 1216 = ZIP 1988, 1474. 28 Anders mag es liegen, wenn der Anwalt z.B. einen Überschuldungsstatus erstellen soll und dies nicht mit der Unverzüglichkeit erledigt, die der Geschäftsführer in der Krise beachten muss.
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§ 1 Rz. 24 | Schuldnerberatung Betracht ein Vertrag unmittelbar zugunsten Dritter oder mittelbar mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, eine Drittschadensliquidation, ein Auskunftsvertrag sowie schließlich die Sachwalter- bzw. Vertrauenshaftung des Verhandlungsgehilfen, die in § 311 Abs. 3 BGB angesprochen wird. aa) Vertrag zugunsten und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 25
Bei einem Vertrag zugunsten Dritter hat der Dritte ein eigenes Forderungsrecht auf die primäre Leistung, während er beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nur einen eigenen (sekundären) Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung der primären Leistungspflicht herleiten kann. Verträge zugunsten Dritter sind bei der Sanierung keine Seltenheit. So kommt es vor, dass der Schuldner als vertrauensbildende Maßnahme sein Vermögen ganz oder zur Abwicklung bestimmter Aufträge teilweise einem Treuhänder überträgt, der es im Interesse der Gläubiger verwenden soll.29 Dem Treuhänder können daraus unmittelbar Erfüllungspflichten gegenüber dem Dritten erwachsen.30 Aber auch jenseits solcher Treuhandvereinbarungen empfiehlt es sich, bei Mandanten, deren Bearbeitung auch im Interesse Dritter liegt, den Begünstigten, den Tätigkeitsumfang und die Haftung im Vertrag genau zu regeln. Ohne eine gesonderte Vereinbarung erhält der begünstigte Dritte nicht mehr Rechte als der Auftraggeber,31 so dass der Anwalt ihm die Einwände aus dem Vertragsverhältnis entgegenhalten kann, § 334 BGB.
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Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter begründet zwar kein eigenes Forderungsrecht, aber ähnliche Schutzpflichten wie ein Vertrag zugunsten Dritter. Grundlage ist auch hier die Vereinbarung mit dem Auftraggeber. Findet sich in ihm keine Regelung, ist durch Auslegung32 zu klären, in welchem Umfang die Beratungstätigkeit des Anwalts im Interesse des Dritten erbracht werden soll. Voraussetzung dafür ist, dass dem Anwalt ein berechtigtes Interesse des Mandanten an der Einbeziehung des Dritten erkennbar ist.33 Das ist der Fall, wenn die anwaltliche Leistung typischerweise auch Rechtsgüter des Dritten berührt. Er muss ein Schutzbedürfnis haben, weil er den Gefahren einer Leistungsstörung ebenso intensiv ausgesetzt ist wie der Vertragspartner.34 Daran fehlt es beispielsweise, wenn der Dritte einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch gegen einen anderen Berater hat.35
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Die Voraussetzungen einer Schutzwirkung sind regelmäßig erfüllt bei einem Anwaltsvertrag mit einer GmbH im Hinblick auf den Schutz ihres Geschäftsführers. Die Mandatierung in der Krise, die naturgemäß durch die vertretungsberechtigten Personen erfolgt, dient regelmäßig sogar vorrangig der Vermeidung ihrer persönlichen Haftung.36 Ebenso können die Gesellschafter in den Schutzbereich ein-
29 Zur Kollision mit Bankrottdelikten – z.B. §§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 283c StGB für den Schuldner, § 283d StGB für den Treuhänder, s. § 8 Rz. 182 ff. 30 Vgl. BGH v. 12.10.1989 – IX ZR 184/88, MDR 1990, 238 = ZIP 1989, 1466, 1468 zum sog. Treuhandkontenmodell bei der Fertigstellung eines Bauvorhabens durch einen insolventen Schuldner, sowie BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 234/96, MDR 1997, 958 = ZIP 1997, 1551, 1553; BGH v. 24.1.2002 – IX ZR 180/99, MDR 2002, 718 = ZIP 2002, 535. 31 BGH v. 15.6.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 272. 32 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, MDR 2012, 1089 = ZInsO 2012, 1312 Rz. 14 = ZIP 2012, 1353; BGH v. 15.6.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 273; BGH v. 2.11.1983 – IVa ZR 20/82, MDR 1984, 296 = NJW 1984, 355, 356. 33 BGH v. 2.7.1996 – X ZR 104/94, MDR 1997, 26 = NJW 1996, 2927, 2928 = ZIP 1996, 1664; BGH v. 17.9.2002 – X ZR 237/01, MDR 2003, 377 = DStR 2003, 170; zur Steuerberaterhaftung: BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, MDR 2013, 713 = ZInsO 2013, 826 Rz. 25 = ZIP 2013, 829. 34 Zugehör in Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, Rz. 1661. 35 BGH v. 2.7.1996 – X ZR 104/94, MDR 1997, 26 = NJW 1996, 2927, 2929 = ZIP 1996, 1664. 36 Ein Vertrag zugunsten Dritter mit eigenem Forderungsrecht der Geschäftsführer wird jedenfalls dann nicht anzunehmen sein, wenn die Geschäftsführer auch Gesellschafter sind und in der Krise die Bezahlung von Leistungen für die Gesellschafter eine unzulässige Einlagenrückgewähr darstellen kann, §§ 30 f. GmbHG.
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I. Mandatssituation | Rz. 28 § 1
bezogen werden37 wie umgekehrt die GmbH im Schutzbereich eines mit dem Gesellschafter geschlossenen Vertrages stehen kann.38 Entwirft der Anwalt zur Verbesserung der Liquidität beispielsweise einen sale-and-lease-back-Vertrag zwischen der GmbH und ihrer Konzernmutter, ohne über das Risiko der Anfechtung eines Unter-Preis-Verkaufs oder die Rechtsfolgen der Nutzungsüberlassung in der Insolvenz aufzuklären, wird er auch gegenüber dem Gesellschafter haften müssen. Bei Satzungsänderungen und insbesondere bei Kapitalmaßnahmen anlässlich einer Sanierung besteht für den Anwalt immer das Risiko der Schutzbereichsausweitung auf Gesellschaft, Gesellschafter und Geschäftsführer. Allerdings darf das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, nicht durch eine großzügige Anerkennung drittschützender Pflichten unterlaufen werden. Besteht zwischen Mandant und Vertragspartner (= Drittem) ein Interessengegensatz, fehlt es jenem an der berechtigten Schutzerwartung.39 Deshalb gehören Vertragsgegner40 oder Insolvenzgläubiger41 regelmäßig nicht zu dem privilegierten Personenkreis. Der Steuerberater einer GmbH hat grds. nicht die Pflicht, bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz die Geschäftsführung darauf hinzuweisen, das Vorliegen einer Insolvenzreife zu prüfen.42 Eine entsprechende drittschützende Pflicht trifft ihn auch gegenüber der Geschäftsführung nicht.43 Das kann anders zu beurteilen sein, wenn sich das Mandat ausdrücklich auf die Prüfung der Insolvenzreife bezieht.44 Zudem definiert § 102 StaRUG nunmehr eine Hinweispflicht für Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte auf einen möglichen Insolvenzgrund, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind. Dies wird bei der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO in der Regel häufiger sein als bei der Überschuldung nach § 19, da sich diese oftmals erst nach der Prüfung einer Fortbestehensprognose ergibt und diese oftmals nicht offenkundig sein wird. Zudem besteht die Hinweispflicht nur, wenn dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist, § 102 2. Hs. StaRUG. Unter dem Schlagwort Expertenhaftung wird der Sonderfall behandelt, dass der Berater über besondere Kenntnisse verfügt und das Ergebnis seiner Tätigkeit erkennbar (auch) für Dritte bestimmt ist. Paradigma ist das Gutachten eines Sachverständigen.45 In der Beratungspraxis kommt es häufig vor, dass die wesentlichen Gläubiger ihr Verhalten in der Krise des Schuldners von einer Prüfung der Sanierungsaussichten durch einen Sachverständigen abhängig machen. Er wird im allseitigen Einvernehmen benannt, aber allein von dem Schuldner beauftragt und – teilweise aus einem zweckbestimmten Kredit – bezahlt. Stellt sich später heraus, dass sein Gutachten nicht mit der berufsüblichen Sorgfalt erstellt wurde, kann der Sachverständige gegenüber denjenigen haften, die ihre Entscheidungen von dem Ergebnis seines Gutachtens abhängig gemacht haben. Umstritten ist zwar, ob der Haftungsgrund in § 311 Abs. 3 BGB oder im Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter liegt.46 Einigkeit besteht aber darüber, dass der Experte nicht als Interessenvertreter des Schuldners, sondern als neutraler Gutachter tätig werden muss, was beim Wirtschaftsprüfer näher liegt47 als beim Anwalt. Für ihn gilt auch als „Experte“ der obige Grundsatz, dass Vertragsgegner wegen der vorrangigen Pflicht, die Mandanteninteressen zu wahren, ohne besondere Anhaltspunkte keine berechtigte Schutzerwartung haben dürfen. 37 BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 415/98, MDR 2000, 358 = NJW 2000, 725 = ZIP 2000, 72 für einen Vertrag mit der GmbH zugunsten der Gesellschafter bei verdeckter Sacheinlage. BGH v. 10.10.1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581, 582. 38 BGH v. 10.10.1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581, 582 = ZIP 1985, 1495. 39 BGH v. 17.5.1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 32, 33. 40 BGH v. 17.5.1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 32, 33. 41 , BGH v. 18.2.1987 – IVa ZR 232/85, VersR 1988, 178, 179. 42 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, MDR 2013, 713 = ZInsO 2013, 826 Rz. 15 f. = ZIP 2013, 829. 43 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, MDR 2013, 713 = ZInsO 2013, 826 Rz. 26 f. = ZIP 2013, 829. 44 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, MDR 2012, 1089 = ZInsO 2012, 1312 Rz. 12 f. = ZIP 2012, 1353. 45 BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 327/95, NJW 1997, 1235 = ZIP 1997, 419; BGH v. 17.10.2000 – X ZR 169/ 99, MDR 2001, 499 = ZIP 2001, 338; BGH v. 14.11.2000 – X ZR 203/98, MDR 2001, 623 = NJW 2001, 514 = ZIP 2001, 574; BGH v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, ZIP 1998, 826 = BGHZ 138, 257 = MDR 1998, 993 = MDR 1998, 1124. 46 Palandt/Heinrichs, BGB, § 311 Rz. 52 a.E. 47 WP-Hdb. II, 2002, 331; vgl. § 43 Abs. 1 WPO.
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§ 1 Rz. 29 | Schuldnerberatung bb) Drittschadensliquidation 29
Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hat der Geschädigte einen eigenen vertraglichen Haftungsanspruch. Demgegenüber wird bei der Drittschadensliquidation der Schaden eines Dritten geltend gemacht. Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird die vertragliche Anspruchsgrundlage zum Schaden und bei der Drittschadensliquidation der Schaden zur vertraglichen Anspruchsgrundlage gezogen. In der insolvenzrechtlichen Beratung spielt die Drittschadensliquidation keine Rolle. Es fehlt regelmäßig an dem Auseinanderfallen von Vertragspartner und Inhaber des nach dem Vertragszweck geschützten Rechtsgutes.48 Bezieht der Anwaltsvertrag von vornherein Dritte als Begünstigte ein, sind die soeben unter (aa) dargestellten Ansprüche vorrangig. cc) Auskunftsvertrag
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Bei Sanierungsverhandlungen kommt es häufig darauf an, wie die Gläubiger mit und ohne Insolvenzverfahren stünden, namentlich, ob ein außergerichtlicher Erlassvergleich vorteilhafter ist als eine spätere Insolvenzquote. Natürlich kann wegen des dringenden Handlungsbedarfs nicht jeder Gesprächspartner eigene Untersuchungen der wirtschaftlichen Verhältnisse seines Schuldners anstellen. Vielmehr ist er auf dessen Informationen angewiesen. Sie werden häufig vom Anwalt erteilt. Erweisen sie sich später als falsch, wird schnell an seine Haftung aus einem konkludent geschlossenen Auskunftsvertrag gedacht. In der Praxis spielt ein solcher Vertrag vor allem bei Bankauskünften eine Rolle. Natürlich kann er auch in allen anderen Geschäftsbeziehungen relevant werden.49 Er wird angenommen, wenn eine Information für den Empfänger von erkennbar wesentlicher Bedeutung ist, weil er Vermögensdispositionen darauf stützen will.50 Weiterhin ist erforderlich, dass der Auskunftsgeber entweder besonders sachkundig ist – insofern gibt es Überschneidungen zur Expertenhaftung – oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt.51 Die Entscheidungsrelevanz der den Gesprächspartnern bei Sanierungsverhandlungen übermittelten Daten wird regelmäßig bestehen, ist doch gerade Ziel der Verhandlungen, Rechte aufzugeben und/oder künftige Geschäfte einzugehen. Auch wird man die besondere Sachkunde bei einem Sanierungsberater voraussetzen können. Hinzu kommen muss jedoch, dass er auch zu erkennen gibt, die Informationen eigenverantwortlich überprüft zu haben und nicht nur auf die vom Mandanten bereitgestellten Daten zurückzugreifen. Das wird dem Rechtsberater des Schuldners nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden können. Im Übrigen gilt wie bei den Verträgen im Drittinteresse, dass der Anwalt allein die Belange seines Mandanten wahrnehmen muss und Dritte regelmäßig keinen Schutz erwarten dürfen.52 Wird den Verhandlungspartnern allerdings auf konkrete Fragen eine bewusst falsche Auskunft oder eine Auskunft ins Blaue erteilt, kommt eine deliktische Haftung auch des Anwalts unter dem Gesichtspunkt des § 263 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht (zur Betrugsstrafbarkeit des Schuldnerberaters vgl. § 8 Rz. 92, Rz. 189 ff.). Es sollte jedoch möglichst immer ein Hinweis erfolgen, dass die Informationen, die weitergegeben werden, aus dem Unternehmen kommen und nicht eigene Erkenntnisse des Rechtsanwalts sind.
48 Vgl. die Fallgruppen bei Grüneberg in Palandt, BGB, Vorb. v. § 249 Rz. 106 ff. 49 Palandt/Sprau, BGB, § 675 Rz. 48 ff. 50 BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 12/05, MDR 2009, 495 = NJW 2009, 1141 Rz. 10; BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 50/98 = ZIP 1999, 275; BGH v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, MDR 2004, 520 = ZIP 2004, 452. 51 BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 12/05, MDR 2009, 495 = NJW 2009, 1141 Rz. 10, 11; BGH v. 13.2.1992 – III ZR 28/90, MDR 1992, 708 = NJW 1992, 2080, 2082; BGH v. 15.6.1993 – XI ZR 111/92, MDR 1994, 830 = NJW 1993, 3073, 3075. 52 Vgl. BGH v. 24.1.1978 – VI ZR 105/76, WM 1978, 576; BGH v. 13.2.1992 – III ZR 28/90, MDR 1992, 708 = NJW 1992, 2080, 2083 zur Bonitätsauskunft des Anwalts im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen.
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I. Mandatssituation | Rz. 32 § 1
dd) Haftung als Sachwalter oder Verhandlungsgehilfe Sanierungsverhandlungen stoßen regelmäßig auf großes Misstrauen der Gesprächspartner. Die Versuchung ist groß, für den Mandanten eine „Ehrenerklärung“ abzugeben. Sie reicht von subjektiven Aussagen zur persönlichen Integrität der Geschäftsführer über Erklärungen zu den tatsächlichen Verhältnissen bis hin zu der Versicherung, man habe die Sanierungschancen positiv geprüft, worauf sich die Gesprächspartner verlassen könnten. Scheitert die Sanierung, suchen die Gläubiger ihr „Glück“ in der Haftung des Beraters, der ihr Vertrauen enttäuscht hat.
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Soweit es unzutreffende Auskünfte anbetrifft, wurde soeben schon aufgezeigt, dass eine Haftung aus einem konkludent geschlossenen Auskunftsvertrag nur mit großer Zurückhaltung angenommen werden darf. Nicht anders verhält es sich mit der Haftung als Verhandlungsgehilfe. Zwar scheint einem enttäuschten Gläubiger § 311 Abs. 3 BGB auf dem ersten Blick Recht zu geben. Danach kommt ein Schuldverhältnis mit einem Verhandlungsgehilfen schon dann zustande, wenn er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch den Vertragsschluss gefördert hat. Dieses Vertrauen muss jedoch ein „besonderes“ sein. Es wird dem Anwalt des Schuldners regelmäßig nicht entgegen gebracht. Er ist Parteivertreter. Seine Aufgabe ist es nicht, die Interessen der Gegenseite zu wahren. Allein die Übernahme der Verhandlungsführung, die stets einer gewissen Vertrauensbasis bedarf, genügt dafür ebenso wenig53 wie der Hinweis auf die eigene Sachkunde.54 Ihrer bedarf es schon zur ordnungsgemäßen Auftragserledigung gegenüber dem eigenen Mandanten. Hinzu kommen muss deshalb ein Verhalten, das als Ausdruck der Übernahme persönlicher Gewähr für die Seriosität des Mandanten55 oder die ordnungsgemäße Durchführung der Sanierung56 gewertet werden darf. Die Haftung eines Unternehmenssanierers hat der BGH bisher nur einmal unter dem Gesichtspunkt der Sachwalterhaftung bejaht.57 Auch in dieser Entscheidung aus dem Jahr 1990 betont der BGH jedoch, dass der Hinweis auf die besondere Sachkunde allein keine Haftung begründet. Der Urteilsfall wies jedoch die Besonderheit auf, dass der Sanierer die laufenden Geschäfte führte. Zudem hatte er durch Hinweise auf seine Sanierungserfolge besonderes Vertrauen in Anspruch genommen, obwohl er Zeugnisse darüber gefälscht hatte, wegen Betruges verurteilt worden war und die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Zu Recht hat der BGH gemeint, dass Derartiges nicht hätte verschwiegen werden dürfen. Dieses Urteil wird für die Anwaltshaftung wohl kaum relevant sein. Selbst für den Geschäftsführer hat der BGH 1994 die Haftungsvoraussetzungen erheblich eingeengt.58 Danach reicht es nicht aus, dass er auf seine Sachkenntnis hinweist und am Erfolg der Sanierung großes (mittelbares) wirtschaftliches Interesse hat, etwa weil er der Gesellschaft Darlehen gegeben oder für deren Verbindlichkeiten gebürgt hat. Das Urteil erging zwar lange vor der Schuldrechtsreform. Nach der Begründung zum Entwurf des § 311 Abs. 3 BGB soll sich an den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen jedoch nichts ändern.59 Auch wenn der Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB insbesondere auf die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens und die Beeinflussung von Vertragsverhandlungen abstellt, wird von der Rechtsprechung zusätzlich gefordert, dass der Verhandlungsführer ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse am Ergebnis haben muss.60 Ein mittelbares Interesse wie z.B. die Vermeidung einer Bürgenhaftung reicht nicht aus, namentlich genügt es nicht, wenn der Anwalt nur sein eigenes Honorar retten will. Vielmehr müssen die Verhältnisse so liegen, dass der Vertreter
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53 54 55 56
57 58 59 60
BGH v. 7.12.1992 – II ZR 179/91, MDR 1993, 620 = ZIP 1993, 363. BGH v. 17.10.1989 – XI ZR 173/88, MDR 1990, 434 = NJW 1990, 506 = ZIP 1990, 43. BGH v. 6.2.2003 – IX ZR 77/02, MDR 2003, 688 = NJW-RR 2003, 1064. Vgl. BGH v. 26.9.2000 – X ZR 94/98, MDR 2001, 324 = NJW 2001, 360 = ZIP 2000, 2114 zur Einstandspflicht für die ordnungsgemäße Abwicklung eines Vertrages; zur Haftung des Rechtsanwalts bei zusätzlicher Gewährsübernahme s. auch BGH v. 9.11.1992 – II ZR 141/91, MDR 1993, 84 = NJW 1993, 199 = ZIP 1992, 1744; des Wirtschaftsprüfers BGH v. 26.9.2000 – X ZR 94/98, NJW 2001, 360; Henssler/Dedek, WPK-Mitt. 2002, 278, 281 = ZIP 2000, 2114. BGH v. 3.4.1990 – XI ZR 206/88, MDR 1991, 48 = NJW 1990, 1907 = ZIP 1990, 659. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103. Vgl. Canaris, JZ 2001, 499 ff. S. Beispiele bei Grüneberg in Palandt, BGB, § 311 Rz. 61 f.
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§ 1 Rz. 32 | Schuldnerberatung gleichsam in eigener Sache handelt, die Gesellschaft also nur vorgeschoben wird. Bei einem Beratungsmandat sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. 33
Die Zurückhaltung bei der Annahme einer persönlichen Haftung des Sachwalters wird durch ein Obiter dictum des BGH in einem Urteil zur Insolvenzverwalterhaftung bestätigt. Allein die Aussage, die Zahlung aller Lieferungen und Leistungen sei gesichert, reiche noch nicht aus, um eine persönliche Haftung des Verwalters zu begründen. Vielmehr müsse er klar zum Ausdruck bringen, dass er eine über die gesetzliche Haftung hinausgehende Einstandspflicht übernehmen wolle.61 Was für den Insolvenzverwalter gilt, muss erst recht für den Anwalt gelten, der vorrangig die Interessen seines Mandanten und nicht die des Verhandlungsgegners zu vertreten hat. ee) Praxishinweise
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Wegen der Komplexität des Sachverhalts ist eine Krisenberatung haftungsträchtiger als ein Prozessmandat. Die Praxis zeigt, dass neben einer falschen Interpretation der Insolvenzgründe insbesondere Haftungstatbestände aus dem Gesellschafts-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht leicht übersehen werden. Aber auch die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Vermögensverfügungen und Verträgen kann sich anders darstellen, wenn ein Insolvenzverwalter den vom Berater gestalteten Sachverhalt später in Ruhe mit den ex post gewonnenen Erkenntnissen in einer Ausführlichkeit untersucht, die vorher bei der kurzfristig in der Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO aufzustellenden Sanierungsplanung kaum möglich ist. Deshalb ist die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung sinnvoll.62 Ferner sollte sowohl gegenüber dem Mandanten als auch den Verhandlungspartnern und weiteren Beratern des Mandanten die Aufgabenverteilung klargestellt werden. Das gilt insbesondere, wenn der Anwalt nicht mit der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beauftragt ist, sondern seine Beratung auf die Angaben des Mandanten zu den tatsächlichen Verhältnissen stützt. Über die typischen Risiken kann der Mandant mit folgendem Zehn-Punkte-Merkblatt aufgeklärt werden, dessen Aushändigung dokumentiert wird:
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Pflichten des GmbH-Geschäftsführers in der Krise 1. Ein Geschäftsführer ist verpflichtet, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Versäumt er die Frist, haftet er gegenüber den sog. Neugläubigern, die durch Lieferungen oder Leistungen nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist einen Schaden erleiden. 2. Zahlungsunfähigkeit ist eingetreten, wenn 10 % oder mehr der fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt werden können. Sie müssen noch nicht angemahnt oder gar vollstreckt worden sein. Nur die mit aller Sorgfalt gebildete und durch Fakten unterlegte Überzeugung, dass eine Zahlungsunfähigkeit innerhalb von drei Wochen seit ihrem Beginn beseitigt wird, ist eine die Antragspflicht nicht auslösende Zahlungsstockung. 3. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Dies muss anhand einer Prognoserechnung dargelegt werden, die eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen durchzuführende Ertrags- und Finanzrechnung fordert. Ergibt sich eine positive Ertragsplanung, muss diese auf tauglichen Annahmen beruhen und die Finanzierung gesichert sein. Ist die Ertragsplanung negativ, muss die Verlustfinanzierung gesichert sein, um eine Überschuldung zu vermeiden. Sowohl für die Aktiva als auch für die Passiva sind nicht die handelsrechtlichen Buch-, sondern die tatsächlichen Verkehrswerte maßgebend. Letzteres ist in einem späteren Haftungsprozess vom Geschäftsführer zu beweisen. 61 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, MDR 2004, 1321 = ZIP 2004, 1107, 1113. 62 Zu den Anforderungen s. Rinkler in Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, Rz. 475 ff.; KleineCosack, BRAO, § 51a; Ganter, WM 2001, Sonderbeilage 6, 28.
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I. Mandatssituation | Rz. 35 § 1
4. Ein Geschäftsführer ist bei Anzeichen einer Krise zur ständigen Prüfung des Insolvenzgrundes verpflichtet. Prüfungsdurchführung und -ergebnis sollten dokumentiert und erläutert werden. Es wird empfohlen, bei komplexeren Verhältnissen Sachverständige heranzuziehen, die über sämtliche erheblichen Umstände informiert werden müssen. Selbst dann bleibt der Geschäftsführer zu einer Plausibiliätskontrolle verpflichtet. Die Zahlungsfähigkeit ist ggf. täglich zu überprüfen. 5. Ab Eintritt des Insolvenzgrundes – nicht erst nach Ablauf der in Ziff. 1 genannten Antragsfrist – müssen die Geschäftsführer sämtliche Zahlungen und Verfügungen über Vermögensgegenstände unterlassen, die nicht unbedingt erforderlich sind, um das Aktivvermögen bzw. das Unternehmen zu erhalten. Dabei kommt es auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Vermögensminderung und dem Vermögensvorteil an. Insbesondere die Bezahlung von Verbindlichkeiten für bereits erfolgte Lieferungen oder Leistungen ist unzulässig, soweit nicht werthaltige Sicherungsrechte abgelöst werden. Die Zahlung darf auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Krise verheimlicht werden soll, um die Geschäftstätigkeit nicht zu erschweren. Zulässig ist beispielsweise der Einkauf von Rohstoffen zur Aufrechterhaltung einer – auch verkäuflichen – Produktion. Die unter Verstoß gegen dieses Verbot geleisteten Zahlungen hat der Geschäftsführer persönlich zu erstatten, soweit sie nicht zur Vermeidung einer persönlichen Haftung für Sozialabgaben und Steuern gemäß der nachfolgenden Ziff. 6 und 7 getätigt werden. 6. Der Geschäftsführer haftet gegenüber dem Sozialversicherungsträger für die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung mit Ausnahme derjenigen, die während der in Ziff. 1 genannten Insolvenzantragsfrist fällig werden. Für die Haftung kommt es nicht darauf an, ob Löhne und Gehälter gezahlt werden. Es reicht aus, dass die Arbeitsleistung erbracht wird. 7. Gegenüber dem Fiskus trifft den Geschäftsführer eine persönliche Haftung, soweit er die fälligen Steuerschulden nicht im selben Umfang zahlt wie andere Verbindlichkeiten (Beispiel: Die fälligen Verbindlichkeiten betragen 100.000 €, an nützliche Gläubiger werden die „letzten“ 20.000 € gezahlt. Stattdessen hätte auch das Finanzamt mit ca. 20 % berücksichtigt werden müssen.). Für die Lohnsteuer haftet der Geschäftsführer in voller Höhe, soweit sie rechnerisch auf den ausbezahlten Lohn entfällt. Sind nicht genügend Mittel vorhanden, vermeidet er die Haftung nur, indem er Nettolohn- sowie Lohnsteuer um denselben Prozentsatz kürzt und die Steuer an das Finanzamt abführt. Gleiches gilt für andere Auszahlungen, von denen eine Steuer einzubehalten und abzuführen ist. 8. Eine Gesellschafterversammlung ist bereits dann einzuberufen, wenn das Reinvermögen der Gesellschaft die Hälfte des Stammkapitals unterschreitet. Maßgebend dafür sind – im Gegensatz zum Überschuldungsstatus – die handelsrechtlichen Buchwerte. Über danach eintretende wesentliche Entwicklungen müssen die Gesellschafter informiert werden. Die Geschäftsführer haben ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. 9. Die vorgenannten Verantwortlichkeiten treffen auch den ressortfremden Geschäftsführer. Jeder muss sich ständig vergewissern, ob die Gesellschaft ihren grundliegenden Pflichten nachkommt. Werden ihm Informationen vorenthalten, muss er zur Vermeidung der Haftung sein Amt niederlegen, falls die Gesellschafter in angemessen kurzer Frist keine Abhilfe schaffen. Besteht ein Insolvenzgrund, muss jeder Geschäftsführer auch ohne Mitwirkung der anderen einen Insolvenzantrag stellen. 10. § 1 StaRUG normiert die Verpflichtung der Geschäftsleiter bei bestandsgefährdenden Veränderungen die Gesellschafter und Aufsichtsorgane über diese Entwicklungen zu informieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Dies sollte ebenfalls von den Geschäftsleitern dokumentiert werden. 11. Neben die zivilrechtliche Haftung tritt die strafrechtliche. Verstöße gegen die Pflicht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung bei Verlust des halben Stammkapitals oder zur fristgerechten Einreichung eines Insolvenzantrages sind strafbar. Die Inanspruchnahme eines Geld- oder Lieferantenkredits in Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit ist Betrug. Die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist regelmäßig strafbar. Vermögensgegenstände dürAndres | 15
§ 1 Rz. 35 | Schuldnerberatung fen nicht verheimlicht und Gläubiger nicht begünstigt werden. Die Buchführungspflichten müssen eingehalten werden, es sei denn, dass die Hilfe externer Fachleute erforderlich ist und nicht mehr bezahlt werden kann. 36
Diese Hinweise bieten nur eine erste Orientierung, die die Beratung im konkreten Einzelfall nicht ersetzt.
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Die Einzelheiten werden in den Rz. 42 ff. und in § 5 Rz. 7 ff. eingehend erläutert.
b) Deliktische Haftung 38
In der Krise neigen einige Mandanten zur Handlungsunfähigkeit, so dass der Anwalt leicht in die Rolle des Entscheiders bis hin zum faktischen Geschäftsführer gedrängt wird. In dieser Situation kann er als unmittelbarer Täter sämtliche Straftatbestände erfüllen, die unter § 8 Rz. 14 ff., Rz. 77 ff. für den Schuldner bzw. dessen Geschäftsführer erläutert werden. Dem folgt die zivilrechtliche Haftung. Die schleichende Übernahme von Geschäftsführungsaufgaben ist für den Anwalt jedoch die Ausnahme. Berufstypisch relevant ist eher die Verletzung eines Schutzgesetzes i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB durch die Beteiligung an einer fremden Tat des Mandanten.63 Im Vordergrund steht die Beihilfe zur Insolvenzverschleppung. Die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO bzw. entsprechender Vorschriften für die Organe anderer Gesellschaften ist strafbewehrt, § 15a Abs. 4 InsO, und zugleich ein Schutzgesetz gem. § 823 Abs. 2 BGB64 (vgl. § 8 Rz. 189 ff.). Nach allgemeinen Grundsätzen reicht sowohl für die strafrechtliche65 als auch für die zivilrechtliche66 Haftung bereits eine psychische Beihilfe aus. Die zuständigen Staatsanwaltschaften prüfen in einem sprunghaft gestiegenen Umfang unter diesem Gesichtspunkt auch die Rolle der Anwälte. Zu einer Haftung kann nicht erst die Empfehlung führen, den Insolvenzantrag zu verzögern,67 sondern schon die Unterstützung der Geschäftsführung beispielsweise in Sanierungsverhandlungen während dieses Zeitraumes. Ein Hinweis darauf, dass eine Überschreitung der Insolvenzantragsfrist allein im Risikobereich des Mandanten liegt, reicht nicht aus, wenn das mit dem Optimismus des vermeintlich erfolgreichen Anwalts verknüpft wird, man „kriege eine Sanierung trotzdem hin“. Andererseits muss dem Mandanten in dieser Phase nicht jede Unterstützung versagt werden. Hat er pflichtwidrig keinen Antrag gestellt und ergibt sich doch noch die Möglichkeit zu Verhandlungen mit den Gläubigern, muss der Anwalt seine Beteiligung nicht gänzlich ablehnen. Der BGH stellt an den Beihilfevorsatz strenge Anforderungen.68 Die Abgrenzung zwischen psychischer Beihilfe zur Tat des anderen und der erlaubten Wahrnehmung eigener Beratungspflichten bleibt jedoch mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit69 verbunden. Dieses Risiko der strafrechtlichen Haftung strahlt auf das der zivilrechtlichen Haftung wegen der Beteiligung an einer Verletzung des § 64 Satz 1 GmbHG als Schutzgesetz zugunsten derjenigen Gläubiger aus, die während des Verschleppungszeitraums neue Verluste erlitten haben. Strafrechtlich enden Anschuldigungen meist mit einem Strafbefehl, der de facto eine Präjudizwirkung für die zivilrechtliche Haftung entfaltet.
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Ein anderes typisches Haftungsrisiko ist die Teilnahme an einem Bankrottdelikt, namentlich im Zusammenhang mit Vermögensverlagerungen. Geschieht dies ohne Verschleierung und zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger in Form einer treuhänderischen Vermögensübernahme, ist das unbedenklich.70 Zivilrechtlich fehlt es bereits an einem Schaden. Strafrechtlich fehlt es an einem Beiseite-
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Überblick zu den strafrechtlichen Risiken bei Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff. S. § 5 Rz. 88 ff. BGH v. 24.10.2001 – 3 StR 257/01, NStZ 2002, 139 = ZIP 2002, 220. BGH v. 29.10.1974 – VI ZR 182/73, NJW 1975, 49. BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134 = MDR 1990, 136 = ZIP 1989, 1341 = ZIP 1991, 1610. BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/89, NStZ 2000, 34. Zur vermeintlichen Privilegierung „neutraler“ Beihilfehandlungen am Beispiel der Bankenhaftung vgl. Smid, ZIP 2006, 1973, 1974 ff. 70 OLG München v. 29.8.2000 – Ws 991/00, OLG München v. 29.8.2000 – 2 Ws 991/00, ZIP 2000, 1841.
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I. Mandatssituation | Rz. 40 § 1
schaffen i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 1, 288 Abs. 1 StGB.71 Die Übertragung des Vermögens auf eine Auffanggesellschaft ist zwar ebenfalls nicht unbedingt ein Beiseiteschaffen. In der Praxis liegt ihr Zweck jedoch gerade darin, unbelastet von den alten Gläubigeransprüchen weiterzumachen, die übertragenen Vermögensgegenstände also dem Gläubigerzugriff zu entziehen. Fließt dafür unmittelbar ein gleichwertiger Kaufpreis in das Vermögen des Schuldners, ist das anfechtungs-, straf- und haftungsrechtlich unbedenklich, solange der Verkauf nicht deshalb erfolgt, um das Geld leichter den Gläubigern zu entziehen. Häufig ist jedoch schon die Gegenleistung weder äquivalent noch präsent. Stattdessen erhalten die Gläubiger des Schuldners nur einen „Hoffnungswert“ in Form des Kaufpreisanspruches gegen die Auffanggesellschaft, oder es werden in Anrechnung auf den Kaufpreis Verbindlichkeiten besonders nützlicher oder der dem Schuldner nahestehender Personen übernommen. In diesen Fällen steht nicht mehr nur ein Bankrottdelikt in Rede. Wenn z.B. der Auffanggesellschaft Vorteile ohne angemessene Vergütung eingeräumt werden, kann es sich bei personellen Verflechtungen um einen Verstoß gegen § 30 GmbHG in der übertragenden Gesellschaft handeln, weil solche Vorteile den Gesellschaftern zugerechnet werden. Da die Gesellschafter im Schutzbereich des § 30 GmbHG nicht über das Gesellschaftsvermögen disponieren dürfen, ist seine Verletzung zugleich eine Untreue i.S.d. § 266 StGB72 (s. § 8 Rz. 251). Selbst die Bilanzneutralität der Maßnahme, wenn der Schuldnerin ein Kaufpreisanspruch in angemessener Höhe gegen die Auffanggesellschaft eingeräumt wird, beseitigt den Verstoß gegen § 30 GmbHG nicht; denn eine Forderung gegen einen Gesellschafter bedeutet oft nur „funny money“. Ihre Realisierung hängt von der Bonität der Auffanggesellschaft ab. Ihre anderen Gläubiger können ebenfalls auf die übertragenen Vermögensgegenstände zugreifen. Plötzlich konkurrieren also die Gläubiger der schuldnerischen Gesellschaft indirekt mit denen der Auffanggesellschaft. Das soll durch § 30 GmbHG vermieden werden.73 Etwas anderes könnte möglicherweise74 gelten, wenn der Kaufpreisanspruch im Vermögen der Auffanggesellschaft oder durch Dritte vollständig besichert ist. Das ist jedoch die Ausnahme. Die Haftungsrisiken bei Vermögensverlagerungen sind nicht auf den bei der Schuldnerin eintretenden Verlust begrenzt. Mit dem „Bremer Vulkan“-Urteil75 hat der BGH die analoge Anwendung der aktienrechtlichen Konzernvorschriften auf die Haftung des GmbH-Gesellschafters endgültig aufgegeben und dies durch die Haftung für einen existenzvernichtenden Eingriff ersetzt. Relevant wurde das zuerst im „KBV“-Urteil.76 Dort hatten die Gesellschafter Vermögensgegenstände auf eine ihnen (teilweise) gehörende Auffanggesellschaft übertragen, die als Gegenleistung einen Teil der Schulden übernahm. Zwischen dem Wert des Vermögens und der Schulden klaffte eine Lücke von 380.000 DM. Ein wenig später gestellter Insolvenzantrag wurde mangels Masse abgewiesen.77 Nach Auffassung des BGH müssen die Gesellschafter nicht nur diese Lücke ausgleichen, sondern den Gläubigern unbeschränkt haf71 Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, § 283 Rz. 4: Beiseiteschaffen nur bei nicht ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung. 72 „Bremer Vulkan“: BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = NJW 2001, 3622 = ZIP 2001, 1874; s. ferner: BGH v. 30.8.2011 – 3 StR 228/11, NZG 2011, 1238 Rz. 12, 13; BGH v. 6.5.2008 – 5 StR 34/08, NStZ 2009, 153 Rz. 15 = ZIP 2008, 1222. 73 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, MDR 2004, 341 m. Anm. Lux = DStR 2004, 427 zur Kreditgewährung an Gesellschafter = ZIP 2004, 263; dazu Helmreich, GmbHR 2004, 457 ff.; Schilmar, DB 2004, 1411 ff.; Saenger/Saenger, NZG 2004, 271 ff. 74 Ausdrücklich offen gelassen von BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, MDR 2004, 341 m. Anm. Lux = DStR 2004, 427, 429; dazu Wessels, ZIP 2004, 793 ff. 75 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = NJW 2001, 3622 = ZIP 2001, 1874. 76 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024 = ZIP 2002, 1578. 77 Das ist häufig auch das Ziel derartiger Maßnahmen, das in der Praxis aber selten eintritt. Bei „KBV“ war die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit evident. Es fehlte nicht nur an der Äquivalenz, sondern auch an der Unmittelbarkeit des Vermögenszuflusses für ein der Anfechtung entzogenes Bargeschäft. Eine die Verfahrenskosten deckende Masse wäre vorhanden gewesen, falls die Anfechtungsansprüche zumindest teilweise werthaltig gewesen wären. Zwar mag in diesem Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung die Liquidität gefehlt haben. Das aber steht einer Massekostendeckung nicht unbedingt entgegen, vgl. AG Hamburg v. 2.2.2000 – 67c IN 157/99, NZI 2000, 140.
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§ 1 Rz. 40 | Schuldnerberatung ten; denn der Gesellschaft sei unter Umgehung der Liquidationsvorschriften Vermögen entzogen und dadurch ihre Fähigkeit zur Erfüllung der Verbindlichkeiten gröblich beeinträchtigt worden. Die genauen Haftungsvoraussetzungen nach dieser Rechtsprechung sind umstritten.78 Sie betrifft insbesondere die „kalte Liquidation“, also der Vermögensübertragung auf eine Auffanggesellschaft unter Hinterlassung einer insolventen Gesellschaftshülle. Die schlagwortartige Bezeichnung als Existenzvernichtungshaftung darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich nicht um eine Haftung für die Vernichtung der häufig längst schon gescheiterten Existenz der GmbH handelt, sondern um eine solche für Vermögensverlagerung (s. ergänzend § 5 Rz. 164 ff.). 41
Die Haftung der Gesellschafter folgte beim existenzvernichtenden Eingriff bisher aus einer teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbH und wird nunmehr unter Beibehaltung der Haftungsvoraussetzungen auf § 826 BGB gestützt. Sie verlieren das Recht, sich auf das Privileg der Haftungsbegrenzung zu berufen. Zugleich kann in derartigen Vorgängen aber auch eine Untreue zu Lasten der Gesellschaft und eine sittenwidrige Schädigung der Gläubiger liegen.79 Der Anwalt haftet dann für seine Beteiligung an derartigen Vorgängen gegenüber den Gläubigern gem. §§ 826, 830, 840 BGB. Zwar muss der Gläubiger zur Kausalität zwischen Beratung, Vermögensentzug und Schaden vortragen. Zu berücksichtigen ist jedoch die sekundäre Behauptungslast der „Insider“ wie Geschäftsführer, Gesellschafter und Berater.80 Gibt es für eine sittenwidrige Schädigung genügend Anhaltspunkte, ist es an dem beklagten Anwalt, dies substantiiert zu entkräften. Kann er den Schadensumfang nicht begrenzen, ist künftig zu befürchten, dass den Berater eine Schadensersatzpflicht in Höhe des vollen Gläubigeranspruchs trifft.
II. Insolvenzeröffnungsgründe 1. Bedeutung 42
Das Gesetz kennt die drei Insolvenz(eröffnungs)gründe der – Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO, – drohenden Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO, – Überschuldung, § 19 InsO.
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Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist nur zulässig, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt, § 16 InsO. Zunächst einmal dient das dem Schutz des Schuldners; denn die Eröffnung stellt einen schweren Eingriff in seine Grundrechte dar. Er verliert die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein bestehendes und künftiges Vermögen, §§ 35, 80, 148 InsO. Ihn treffen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten,81 §§ 97 ff. InsO. Sogar eine Postsperre kann in begründeten Fällen angeordnet werden.
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Die abschließende Aufzählung der Insolvenzgründe dient des Weiteren dem Schutz vor gesellschaftsrechtlichen Sonderinteressen. So darf die Liquidation der Gesellschaft ohne Insolvenzgrund nur nach den dafür maßgebenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften durchgeführt werden, nicht aber durch
78 S. unten § 5 Rz. 164 ff. 79 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = NJW 2002, 1803 = ZIP 2002, 848 lehnte im konkreten Fall § 826 BGB unter denselben Voraussetzungen wie die Existenzvernichtungshaftung ab, was auf die Identität der Tatbestandsvoraussetzungen hindeutet. 80 Vgl. hinsichtlich der Gesellschafter die nach wie vor noch gültigen Ausführungen des BGH im „TBB“Fall, dem letzten Konzernhaftungsurteil, BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = MDR 1993, 427 = NJW 1993, 1200 = ZIP 1993, 589 = ZIP 1993, 589 A. 81 LG Potsdam v. 30.5.2002 – 5 T 124/02, ZInsO 2002, 885; BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, MDR 2004, 233, NZI 2004, 21 = ZIP 2003, 2123.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 49 § 1
einen eilig unter Umgehung der Gesellschafterversammlung gestellten Insolvenzantrag. Deshalb muss über einen Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit im Innenverhältnis analog § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG die Gesellschafterversammlung entscheiden (s. unten Rz. 107 ff.). Und deshalb können ihn – anders als den Antrag wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (s. aber § 15 Abs. 2 S. 1 InsO) – nur die in der erforderlichen Anzahl vertretungsberechtigten Personen stellen, § 18 Abs. 3 InsO. Schließlich dient die Begrenzung der Insolvenzgründe dem Schutz der Gläubiger. Sie verlieren ihre Durchsetzungsbefugnis für die Forderungen, §§ 38, 87, 174 InsO (vgl. § 9 Rz. 258 ff.), und ihr Recht zur Verwertung von Sicherheiten, §§ 166 ff. InsO (vgl. § 10 Rz. 29 ff.). Außerdem sehen sie sich bei schwebenden Verträgen mannigfachen Gestaltungsrechten des späteren Verwalters ausgesetzt, §§ 103 ff. InsO (vgl. § 11 Rz. 10 ff.). All das gilt es, durch den Insolvenzgrund als Voraussetzung für die Verfahrenseinleitung zu vermeiden. Zwar eröffnet die drohende Zahlungsunfähigkeit dem Schuldner einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Aber zumindest konkurrierende Gläubiger werden davon abgehalten, über einen unberechtigten Insolvenzantrag die Rechtsverfolgung anderer zu erschweren.
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Die bei einem Insolvenzverfahren stattfindenden Eingriffe in die Rechtspositionen sowohl des Schuldners und seiner Gesellschafter als auch der Gläubiger dürfen mithin nur zulässig sein, wenn sie durch einen besonderen Grund legitimiert werden. Er liegt vor, falls eine Befriedigung sämtlicher Gläubiger entweder nicht zum geschuldeten Termin (Zahlungsunfähigkeit) oder voraussichtlich nicht in der geschuldeten Höhe (Überschuldung) erfolgen kann. Die Überschuldung kommt allerdings nur bei einer beschränkten Haftung in Betracht,82 während die Zahlungsunfähigkeit der für alle Schuldner geltende Eröffnungsgrund ist.
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Wesentlich für das Verständnis der Insolvenzgründe ist, dass sie im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen müssen. Deshalb wird bei der Zahlungsunfähigkeit zu erörtern sein, ob ein nur vorübergehender Liquiditätsengpass oder eine Säumnis bei nur einem kleinen Teil der Verbindlichkeiten ausreicht. Ebenso ist diese Verhältnismäßigkeit bei der Überschuldung zu berücksichtigen. Zwar gibt es keine Insolvenzausnahme für nur ein „bisschen überschuldete“ Gesellschaften. Der Schwere des Eingriffs ist jedoch bei dem Verfahren zur Feststellung der Überschuldung Rechnung zu tragen. Eine Bewertung des Vermögens, bspw. das aus Vereinfachungsgründen bei den Buchwerten ansetzt oder die künftige Entwicklung unberücksichtigt lässt, wird der Bedeutung des Insolvenzgrundes als Legitimationsgrundlage für den Entzug der Verfügungsbefugnis nicht gerecht. Dem entspricht es, dass nach neuem Recht allein die positive Fortführungsprognose eine Überschuldung verhindert, § 19 Abs. 2 S. 1 InsO.
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Eine Zwitterstellung hat der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Er verlangt keine akute Gläubigerbeeinträchtigung. Deshalb vermag er auch keine Insolvenzeröffnung gegen den Willen des Schuldners zu rechtfertigen. Hier steht der Sanierungsgedanke des betroffenen Unternehmens im Vordergrund, den der Gesetzgeber in § 1 InsO als ein Verfahrensziel aufgenommen hat. Immerhin ist aber erforderlich, dass der Schuldner „voraussichtlich“ (§ 18 Abs. 2 InsO) nicht in der Lage sein wird, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Der Gesetzgeber hat hierzu seit dem 1.1.2021 auch den Prognosezeitraum mit 24 Monaten definiert, Abs. 2 S. 2.
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Das formaljuristische Verhältnis der drei Insolvenzgründe zueinander ist so, dass die Zahlungsunfähigkeit „allgemeiner Eröffnungsgrund“ (§ 17 Abs. 1 InsO) ist, der einen Gläubigerantrag gegen sowohl natürliche als auch juristische Personen zulässt. Die Überschuldung ist hingegen nur dort relevant, wo die Haftung auf ein Sondervermögen beschränkt ist (§§ 19 Abs. 1 und 3, 320 InsO). Das ist de
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82 Die Begrenzung dieses Insolvenzgrundes ist bei einer ökonomischen Betrachtung nicht nachvollziehbar; denn auch bei unbeschränkt haftenden Personen (Gesellschaften) gibt es eine Vermögensinsuffizienz, die es angezeigt erscheinen lässt, den Wettlauf einzelner Gläubiger um die beste Position im Wege der Einzelzwangsvollstreckung durch einen concursus creditorum unter dem Gebot der Gleichbehandlung zu ersetzen, vgl. K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, S. 57 ff.
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§ 1 Rz. 49 | Schuldnerberatung facto zwar auch bei natürlichen Personen der Fall. Der Anwendung dieses Insolvenzgrundes nur auf juristisch beschränkt haftende Vermögensmassen liegt ein überkommener statischer Vermögensbegriff zugrunde. Die Überschuldung hielt man bei natürlichen Personen u.a. deshalb für kein Insolvenzkriterium, weil sie mit ihrer Arbeitskraft über die Quelle künftiger Wertschöpfung verfügen, die sie in die Lage versetzen könnte, ihre Verbindlichkeiten irgendwann einmal auszugleichen. Demgegenüber wurde die Ertragskraft eines Unternehmens als ein Kriterium der Vermögensbewertung über viele Jahrzehnte nicht akzeptiert. Bis vor ungefähr 25 Jahren war der sog. Substanzwert in Rechtsprechung und Literatur der herrschende Bewertungsansatz.83 Noch heute beeinflusst er die Überschuldungsdiskussion wesentlich. 50
Die drohende Zahlungsunfähigkeit berechtigt nur den Schuldner, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Sie hat eine Brückenfunktion zwischen dem allgemeinen Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit und dem besonderen der Überschuldung. Jede Überschuldung impliziert eine (mindestens) drohende Zahlungsunfähigkeit, so dass auf diese Weise auch natürliche Personen mittelbar wegen Überschuldung das Verfahren einleiten können.
2. Zahlungsunfähigkeit a) Überblick, praktische Relevanz 51
„Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“, § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. Der Wortlaut ist auf den ersten Blick eindeutig. Für Irritation sorgt allenfalls Satz 2: „Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.“ Die Zahlungseinstellung ist mithin eine Indiztatsache („in der Regel“) für die Zahlungsunfähigkeit. Was aber ist der Unterschied, bedeutet doch schon die Zahlungsunfähigkeit nach Satz 1, dass der Schuldner zwangsläufig einige Zahlungen nicht leisten kann, also einstellen muss? Er liegt in der Außenwirkung. Die Zahlungsunfähigkeit ist ein schuldnerinternes Phänomen,84 dessen Eintritt sich nur anhand der Geschäftsunterlagen ermitteln lässt. Demgegenüber ist die Zahlungseinstellung die nach außen hervorgetretene Zahlungsunfähigkeit.85 Dafür genügt es nicht, dass der eine oder andere Gläubiger kein Geld erhält, solange es sich um keine wesentliche Verbindlichkeit handelt. Das ist die typische Situation der Einzelzwangsvollstreckung. Gesamtvollstreckungsrechtlich wird das erst relevant, wenn aus der Anzahl oder der Bedeutung der Verbindlichkeiten für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar ist, dass die Nichtzahlung keine Einzel-, sondern eine Gesamtwirkung hat, d.h. der Eindruck der Zahlungsunfähigkeit muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise aufdrängen.86 Dann kann auch schon die Nichtzahlung einer einzigen Schuld, die für das Unternehmen oder die Geschäftsführer wegen der persönlichen Haftung insbesondere gegenüber Sozialversicherungsträgern oder dem Finanzamt von wesentlicher Bedeutung ist, eine Zahlungseinstellung bedeuten.87
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Rundschreiben an Gläubiger, in denen der Schuldner um Stundung und/oder teilweisen Erlass seiner Verbindlichkeiten bittet mit der Begründung, sie nicht zeitgerecht bzw. vollständig erfüllen zu können, 83 Temme, Die Eröffnungsgründe der Insolvenzordnung, 1997, S. 129 ff.; Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1846 f. 84 Vgl. Mönning/Gutheil in Nerlich/Römermann, InsO, § 17 Rz. 7. 85 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, MDR 2012, 549 = ZInsO 2012, 648 Rz. 13 = ZIP 2012, 723; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, MDR 2011, 946 = ZInsO 2011, 1410 Rz. 12; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/ 06, MDR 2008, 590 = ZInsO 2008, 273 Rz. 21. 86 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, MDR 2012, 608 = ZInsO 2012, 696 (Rz. 9; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, MDR 2011, 946 = ZInsO 2011, 1410 Rz. 12; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, MDR 2008, 590, ZInsO 2008, 273 Rz. 21 = ZIP 2008, 420. 87 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, MDR 2012, 549 = ZInsO 2012, 648 Rz. 13 = ZIP 2012, 723; BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837 = ZInsO 2010, 673 Rz. 39 = ZIP 2010, 682; BGH v. 24.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rz. 5.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 58 § 1
sind eine deutliche Dokumentation der Zahlungseinstellung.88 Der Anwalt hat den Schuldner darüber aufzuklären, dass jeder Gläubiger daraufhin problemlos einen Insolvenzantrag stellen kann. Die Bedeutung der Zahlungseinstellung als Manifestation der Zahlungsunfähigkeit liegt darin, dass sie zugunsten des Gläubigers eine Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes, zu seinen Lasten aber auch die insolvenzrechtliche Anfechtung des späteren Insolvenzverwalters (s. § 13 Rz. 87 ff.) erleichtert. Für die Beratung des Schuldners ist sie ohne Bedeutung, wenn es um die Prüfung des Insolvenzgrundes geht; denn die Zahlungsunfähigkeit ist nicht nur wesentlich früher als die Zahlungseinstellung gegeben, sondern der Berater hat auch Einblick in die Geschäftsunterlagen. Die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung benötigt er deshalb nicht. Sie ist nur für außen stehende Gläubiger relevant, denen ein Einblick in die internen Verhältnisse regelmäßig verwehrt ist.
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Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn
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– objektiv – Zahlungspflichten – bei Fälligkeit nicht erfüllt werden können – und, so der ungeschriebene Zusatz, deshalb die Eröffnung des Insolvenzverfahrens angemessen ist.
b) Objektive Verhältnisse Das Merkmal der Objektivität bedeutet, dass es weder auf die Kenntnis noch auf den Willen des Schuldners ankommt.89 Zahlungsunfähig ist auch derjenige, der es noch nicht weiß, derjenige hingegen nicht, der nur zahlungsunwillig ist, etwa weil er meint, dass er sich gegen eine Inanspruchnahme erfolgreich wehren kann.
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c) Zahlungspflichten aa) Keine anderen Leistungspflichten Das Merkmal der Zahlungspflicht schließt die nicht durch Zahlung zu erfüllenden Schulden aus.90 Verbindlichkeiten auf Lieferungen oder Leistungen einschließlich Gewährleistungen bleiben unberücksichtigt. Ein Bauunternehmen beispielsweise kann noch zahlungsfähig sein, auch wenn es fällige Mängelbeseitigungen schon längst nicht mehr durchführen kann. Solange diese Verbindlichkeiten nicht in Zahlungspflichten übergegangen sind, mögen sie eine Überschuldung begründen, nicht jedoch eine Zahlungsunfähigkeit.
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bb) Vorläufig titulierte Verbindlichkeiten Nach einer verlorenen Instanz stellt sich häufig die Frage, ob die Zahlungsunfähigkeit allein daraus folgt, dass der Schuldner nach entsprechender Sicherheitsleistung des Gläubigers einen vorläufig vollstreckbaren Zahlungstitel nicht bedienen kann, auch wenn er – vermeintlich – zu Unrecht verurteilt wurde. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kommt es nur auf die „Zahlungspflicht“ an. Sie besteht unabhängig davon, ob ein Titel materiell-rechtlich zutreffend ist.
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Deshalb wurde in der Vorauflage die Auffassung vertreten, dass auch vorläufig vollstreckbare Zahlungstitel die Zahlungsunfähigkeit begründen können, sobald die Vollstreckungsvoraussetzungen er-
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88 BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, MDR 2013, 302 = ZInsO 2013, 190 Rz. 23 = ZIP 2013, 228; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, MDR 2008, 590 = ZInsO 2008, 273 Rz. 21 = ZIP 2008, 420. 89 S. Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. 90 Rüntz in HK/InsO, § 17 Rz. 6.
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§ 1 Rz. 58 | Schuldnerberatung füllt sind, insbesondere also eine etwa erforderliche Sicherheitsleistung erbracht ist. Demgegenüber will Uhlenbruck91 zwischen materiell-rechlicher und vollstreckungsrechtlicher Fälligkeit unterscheiden. Auch wenn das vorläufig vollstreckbare Urteil dem Kläger einen Anspruch zubillige, stehe damit materiell-rechtlich keineswegs fest, dass dieser Anspruch auch tatsächlich existiere. Es werde lediglich eine vollstreckungsrechtlich formelle Fälligkeit fingiert. Daraus folge aber nicht, dass eine materiell fällige Verbindlichkeit existiere. 59
Für eine Stellungnahme kommt es zunächst darauf an, ob aus der Vollstreckbarkeit überhaupt eine Zahlungspflicht folgt; denn gem. § 803 Abs. 1 ZPO findet die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen durch Pfändung, also durch Belastung (Verstrickung) von Vermögensgegenständen statt, die anschließend verwertet werden, § 814 ZPO. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass ein vollstreckbarer Titel genauso wenig eine fällige Zahlungspflicht begründet wie eine Verbindlichkeit, die zur Erbringung einer Lieferung oder Leistung verpflichtet. Andererseits spricht auch Uhlenbruck von einer „formellen Fälligkeit“. Sehr plastisch hat das LG Dresden den Vergleich zur Erbenhaftung gezogen. Zwar sei der Erbe persönlicher Schuldner, seine Haftung beschränke sich jedoch auf eine Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass, §§ 19, 75 BGB, 780 ZPO. Gleichwohl sei die Zahlungsunfähigkeit für den Nachlass ein Insolvenzgrund, § 320 InsO.92 Also müsse ein Zahlungstitel auch dann die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen können, wenn aus ihm nur die Zwangsvollstreckung in Vermögensgegenstände betrieben werden dürfe.93
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Allerdings ist diese Begründung nicht zwingend. Eine Zahlungspflicht des Erben als Schuldner ist trotz der auf den Nachlass beschränkten Haftung denkbar, so dass die Frage bleibt, ob diese Zahlungspflicht schon durch einen vorläufig vollstreckbaren oder erst durch einen rechtskräftigen Titel begründet wird. Die Antwort könnte dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO zu entnehmen sein. Danach kommt es für die Beurteilung der Liquidität nur auf die Zahlungspflichten an. Die von Uhlenbruck vertretene Differenzierung zwischen formeller und materieller Fälligkeit nimmt das Gesetz nicht vor. Nach dem Wortlaut kommt es nur darauf an, ob gezahlt werden muss, egal aus welchem Grund. Die Zahlungspflicht aber wird durch das Urteil festgestellt, wenn auch nur vorläufig. Maßgebend sind die Fälligkeiten und nicht die Fälligkeitsgründe, was aus dem umgekehrten Fall deutlich wird, dass ein Aktivprozess vorläufig verloren geht. Auch dann fehlt es dem Gläubiger an den eingeklagten Zahlungsmitteln, was ihn zu einem Insolvenzantrag zwingen könnte.
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Der BGH hat eine Entscheidung der Frage bisher ausdrücklich offen gelassen.94 Gleichwohl ist der Auffassung Uhlenbrucks zu folgen. Das ergibt sich aus einem Vergleich mit der Situation beim Überschuldungsstatus.95 Dort kommt es nämlich auf die Verkehrswerte der einzelnen Vermögensgegenstände an (vgl. Rz. 114 ff.). Rechtlich definierte Werte wie insbesondere die Bilanzansätze spielen keine Rolle. Dem entsprechend darf auch allein die Vollstreckbarkeit eines Titels die Höhe der Verbindlichkeit nicht definieren. Stets kommt es auf den wahren Wert an. Er ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 GmbHG) zu schätzen. Daraus folgt für die Zahlungsunfähigkeit: Käme es auf die Verkehrswertbetrachtung nur beim Überschuldungs-, nicht hingegen beim Liquiditätsstatus an, könnte es passieren, dass eine vorläufig vollstreckbar titulierte Verbindlichkeit zwar in dem einen nicht passiviert wird, gleichwohl in dem anderen aber zur Zahlungsunfähigkeit führt – ein nicht akzeptabler Wertungswiderspruch. Deshalb ist entscheidend, ob eine Zahlungspflicht unabhängig von dem noch nicht rechtskräftigen Titel besteht.
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Für diese Betrachtungsweise spricht schließlich auch die Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Gläubigerantrages. Es ist nicht der Sinn eines Insolvenzverfahrens, den Streit über eine Verbindlichkeit des
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Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338, 341; a.A. Mock in Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 112. Vgl. zur Antragspflicht § 1980 BGB. LG Dresden v. 7.3.2005 – 5 T 889/04, ZIP 2005, 955, 957. BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZInsO 2011, 1742 = ZIP 2011, 1875. Zu Rückstellungen für Prozessrisiken: Osterloh-Konrad, DStR 2003, 1631 ff., 1675 ff.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 66 § 1
Schuldners de facto durch die Verfahrenseröffnung zu entscheiden, wenn der Insolvenzgrund allein von dieser streitigen Verbindlichkeit abhängt. Vielmehr muss dann die Forderung vom antragstellenden Gläubiger bewiesen und nicht nur i.S.v. § 14 InsO glaubhaft gemacht werden.96 Gegen eine Berücksichtigung streitiger Verbindlichkeiten im Liquiditätsplan mit dem Schätzwert lässt sich allerdings einführen, dass dadurch einer Insolvenzverschleppung Tür und Tor geöffnet wird. Um den subjektiven Entscheidungsspielraum zu reduzieren, schlagen Schmidt/Roth97 vor, streitige Verbindlichkeiten voll zu passivieren, wenn das schuldnerische Unternehmen ohnehin liquidiert werden müsse. Dann gebühre im Insolvenzverfahren der Vorzug vor dem außergerichtlichen Liquidationsverfahren, weil Manipulationen vermieden werden. Sei hingegen die Fortführung möglich, würde die volle Passivierung der streitigen Verbindlichkeit einen unangemessenen Vergleichsdruck auf den Schuldner ausüben, falls nur durch eine Vergleichszahlung die Insolvenz vermieden werden könne. Deshalb schlagen sie bei einer positiven Fortführungsprognose bestimmte Bewertungspauschalen je nach Prozessstand vor. Dem ist nicht zu folgen. Der Vorrang der Insolvenz vor der außergerichtlichen Liquidation ergibt sich weder aus dem Gesetz noch entspricht er dem grundrechtlichen Eigentumsschutz sowohl für Schuldner als auch für Gläubiger, deren Vollstreckungsmöglichkeiten beschnitten werden. Voraussetzung dafür ist ein Insolvenzgrund. Er darf nicht umgekehrt von der gewünschten Verfahrensart (Fortführung insolvenzfrei, Liquidation insolvenzgebunden) abhängig gemacht werden. Auch darf die sorgfältige Einschätzung der Prozessaussichten nicht durch Pauschalen ersetzt werden. Sie muss zwar auch das Prozessstadium berücksichtigen, z.B. weil ein neuer Vortrag in der nächsten Instanz ausgeschlossen sein kann. Das ist aber nur ein Kriterium neben anderen. Eine streitige Verbindlichkeit nur deshalb mit 10 % zu passivieren, weil es noch keinen Prozess gibt, macht keinen Sinn, wenn die Risiken gering sind. Das gilt selbst bei einer verlorenen I. Instanz. Also kann auch pauschal von vornherein verzichtet werden. Es bleibt bei der Einschätzung mit der auch für den Überschuldungsstatus maßgebenden Sorgfalt.
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Somit ist eine Verbindlichkeit mit derselben Quote, mit der sie im Überschuldungsstatus angesetzt wird, auch bei den Auszahlungen im Liquiditätsplan zu berücksichtigen.98 Existiert ein vorläufig vollstreckbarer Titel, kann die Bewertungsunsicherheit schnell verschwinden: Hat nämlich der Gläubiger so viel Vertrauen in dessen Bestand, dass er trotz der Haftungsgefahr aus § 717 Abs. 2 ZPO die Zwangsvollstreckung betreibt und auf diese Weise z.B. die Konten pfändet, kann als Folge die Zahlungsunfähigkeit eintreten. Jetzt ist es für den Schuldner nicht mehr zulässig einzuwenden, dass der Titel zu Unrecht ergangen sei und die Vollstreckungsmaßnahmen später aufgehoben werden würden; denn die Zahlungsunfähigkeit ist ein Factum, auch wenn sie zu Unrecht herbeigeführt wurde, sei es durch Zahlungsverweigerung eines Kunden, sei es durch Vollstreckung eines Gläubigers aus einem später aufgehobenen Titel.
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d) Fälligkeit Das Merkmal der Fälligkeit entsprach nach bisher überwiegender Ansicht in der Literatur demjenigen der §§ 271, 286 BGB.99 Bei Schuldnern herrscht demgegenüber immer noch die Meinung vor, der Eröffnungsgrund erfordere eine finanzielle Notlage – und eine Not sei erst gegeben, wenn die Gläubiger drängen würden. Das war zwar lange Zeit konkursrechtliches Gemeingut, hat sich aber mit der InsO geändert. Eines ernsthaften Einforderns durch die Gläubiger bedarf es nicht.100
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Allerdings ist der BGH auch nicht den Stimmen gefolgt, die eine bloße Fälligkeit im zivilrechtlichen Sinn ausreichen lassen. Vielmehr fordert er zusätzlich den Willen des Gläubigers, vom Schuldner Er-
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96 97 98 99 100
BGH v. 14.12.2005 – IX ZR 207/04, ZIP 2006, 247. Schmidt/Roth, ZInsO, 2006, 236. A.A., soweit es um einen nur quotalen Ansatz geht, Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338, 341 f. Rüntz in HK/InsO, § 17 Rz. 8; MünchKomm/InsO/Eilenberger, 2013, § 17 Rz. 7. BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, MDR 2001, 761 = ZIP 2001, 524; Rütz in HK/InsO, § 17 Rz. 9.
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§ 1 Rz. 66 | Schuldnerberatung füllung zu verlangen.101 Das ist jedoch nicht so zu verstehen, dass der Gläubiger – wie unter der Konkursordnung – neben der Fälligkeit noch einmal ausdrücklich auf die Zahlungspflicht hinweisen muss. Die Übersendung einer Rechnung beispielsweise genügt. Der BGH zieht die Grenze eher negativ: Nur der Gläubiger, „der in eine spätere oder nachrangige Befriedigung eingewilligt hat, darf … nicht berücksichtigt werden, auch wenn keine rechtlich bindende Vereinbarung getroffen worden ist …“.102 Die zivilrechtliche Fälligkeit, die insbesondere für den Verzug und den Verjährungsbeginn erforderlich ist, bleibt von dieser insolvenzrechtlichen Betrachtung unberührt. 67
Eine solche „insolvenzrechtliche Stundung“ kann sich auch aus den Umständen ergeben, z.B. aus einer ständigen Übung dahingehend, dass die zivilrechtliche Fälligkeit stets überschritten wird. Ist die Forderung aber fällig, bedarf es zur Vermeidung der insolvenzrechtlichen Fälligkeit eindeutiger Abreden, wie z.B. eines Stillhalteabkommens, auch wenn das keine zivilrechtliche Stundung sein muss, sondern der – noch nicht einmal bindende103 – Verzicht auf die zwangsweise Durchsetzung ausreicht.104 Der Schuldner tut dann gut daran, entsprechende Abreden zu dokumentieren. Hierzu sollte beispielsweise eine mündlich getroffene Absprache noch einmal per Brief oder E-Mail dem Gläubiger bestätigt werden.
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Diese Rechtsprechung birgt für die Praxis erhebliche Gefahren,105 zu groß ist die Versuchung bei Schuldnern, einen nachrangigen Willen des Gläubigers zu unterstellen. Als Ausnahme vom gesetzlichen Normalfall trägt der Schuldner dafür jedoch die Beweislast. Auch ist unklar, welche Qualitäten diese „insolvenzrechtliche Stundung“ haben muss. Im Ausgangsfall106 war der Insolvenzgrund dauerhaft – jedenfalls bis zum Ende des Verfahrens beim BGH – beseitigt worden. Haftungs- und anfechtungsrelevant wird das erst, wenn die Zahlungsunfähigkeit alsbald (wieder) eintritt. Nach ständiger Rechtsprechung wird die einmal gegebene Zahlungsunfähigkeit nur beseitigt, wenn der Schuldner die Zahlung im Allgemeinen wieder aufnimmt.107 In quantitativer Hinsicht gehört dazu, dass die Liquidität ausreicht zur Befriedigung aller anderen Gläubiger, die keine „insolvenzrechtliche Stundung“ gewährt haben. Sie muss darüber hinaus auch tatsächlich zur Befriedigung dieser Gläubiger und nicht etwa des Stundungsgläubigers verwendet werden. Ob die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlung auch in zeitlicher Hinsicht nachhaltig sein muss, wie der 2. Zivilsenat für die Beseitigung einer Finanzierungskrise i.R.d. – inzwischen abgeschafften – Eigenkapitalersatzrechts verlangt,108 ist unklar. Da der BGH noch nicht einmal eine rechtliche Bindung verlangt, kann es erst recht nicht auf eine Mindestlaufzeit der „insolvenzrechtlichen Stundung“ ankommen. Nach der unten zur Zeitpunktilliquidität noch darzustellenden Entscheidung des BGH v. 24.5.2005 – liegt eine insolvenzrechtlich unbeachtliche Zahlungsstockung vor, wenn eine Zahlungslücke spätestens innerhalb von drei Wochen beseitigt wird.109 Dieser Zeitraum sollte bei einer wertenden Betrachtungsweise auch für die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit durch eine „insolvenzrechtliche Stundung“ herangezogen werden. Tritt sie da-
101 BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZInsO 2011, 1742 Rz. 9 = ZIP 2011, 1875; BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, MDR 2007, 1395 = ZIP 2007, 1666 m. zust. Anm. von Erdmann, NZI 2007, 695; Tetzlaff, ZInsO 2007, 133. 102 BGH v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, MDR 2013, 246, = ZInsO 2013, 76 Rz. 8 = ZIP 2013, 79; BGH v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, MDR 2008, 711 = ZInsO 2008, 378 Rz. 21; BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, MDR 2007, 1395 = ZIP 2007, 1666 Rz. 18. 103 BGH v. 7.2.2008 – IX ZR 47/06, n.v. 104 BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, MDR 2008, 590 = ZIP 2008, 420. 105 Tetzlaff, ZInsO 2007, 133. 106 BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, MDR 2007, 1395 = ZIP 2007, 166. 107 BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, MDR 2013, 302 = ZInsO 2013, 190 Rz. 33 = ZIP 2013, 228; BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837 = ZInsO 2010, 673 Rz. 44 = ZIP 2010, 682; BGH v. 20.11.2008 – IX ZR 188/07, MDR 2009, 352 = ZInsO 2009, 145 Rz. 12. 108 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 229/03, MDR 2006, 276 = ZIP 2005, 2016 zur Beseitigung der Unterbilanz. 109 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZIP 2005, 1426; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = ZIP 2006, 2222.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 72 § 1
nach wieder ein, weil der Aufschub nur befristet ist, handelt es sich bis dahin um eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit. aa) „Zwangskredite“ der Lieferanten Für die Praxis hat das enorme Auswirkungen. In einigen Branchen gehört es zum sozialadäquaten Verhalten, Zwangskredite der Lieferanten in Anspruch zu nehmen. Im Baugewerbe wird selten bei Fälligkeit gezahlt. Der Auftraggeber lässt seinen Auftragnehmer warten, der Auftragnehmer seinen Subunternehmer und dieser seine Lieferanten etc. Das geht häufig über Jahre gut, und erst ein über diese Zwangskreditlinie hinausgehender Liquiditätsbedarf wird als Zahlungsunfähigkeit interpretiert. Ob sich der Mandant trotz dieses sozialadäquaten Verhaltens später sagen lassen muss, dass er schon seit mehreren Jahren zahlungsunfähig ist und sich einer Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat, wurde höchstrichterlich noch nicht entschieden. Sofern die jeweilige Handhabung nicht nachweisbar allgemeiner Usus in der betroffenen Branche ist, muss jedoch im Zweifelsfall davon ausgegangen werden, dass die Rechtsprechung diese Sachverhalte eng sehen wird. Anderenfalls ist der Schutz des Rechtsverkehrs vor nicht leistungsfähigen Vertragspartnern nicht gewährleistet.
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Als einen Handelsbrauch i.S.v. § 346 HGB wird die Zwangskreditierung wohl nicht anzusehen sein; denn gem. § 353 HGB werden vom Tage der Fälligkeit an Zinsen geschuldet, auf die ein Verzicht über die Fiktion der hinausgeschobenen Fälligkeit nicht unterstellt werden darf. Das gilt erst recht in Anbetracht der verzugsbegründenden Bedeutung der Fälligkeit gem. § 286 Abs. 3 BGB.
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Dennoch sollte man auch unterhalb eines Handelsbrauchs für die Verhältnisse des Schuldners in langjähriger Übung unbeanstandete Zahlungsfristen akzeptieren;110 denn das Insolvenzverfahren soll die Befriedigung der Gläubiger verbessern. Solange die Gläubiger aber de facto – trotz formaljuristisch eingetretenen Verzugs – noch keine Befriedigung erwarten, macht es keinen Sinn, das Verfahren durch eine enge Interpretation des Insolvenzgrundes aufzulösen.111 In seinen grundlegenden Entscheidungen vom 24.5.2005112 und 12.10.2006113 will der BGH in Übernahme der konkursrechtlichen Handhabung nur die fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten berücksichtigen, ohne diese über den Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO hinausgehende Ergänzung zu erläutern. Ein Indiz gegen die Einforderung ist die Ausführung weiterer Lieferungen und Leistungen trotz fälliger Forderungen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt kann die sogleich noch darzustellende qualitative Geringfügigkeitsausnahme sein. Bis zu einer Entscheidung des BGH gilt für die Praxis jedoch vorsorglich, dass allein eine Stundung die Fälligkeit beseitigt.114 Dabei ist gegenüber konkludenten Vereinbarungen Zurückhaltung geboten. Meist ist es nur die fehlende Mahnung, die der Mandant als konkludente Stundung missversteht.
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bb) Behördliche Schonfristen Behördliche Schonfristen wie bspw. im Steuerrecht diejenige gem. § 240 Abs. 3 AO suspendieren die Fälligkeit nicht.115 Sehr gefährlich ist die „technische Stundung“ des Finanzamtes. Ganz im Sinne des Wortes handelt es sich hierbei um eine Dateneingabe in den Computer, so dass keine automatischen Mahnungen an den Schuldner verschickt werden. Eine formelle Stundung gem. § 222 AO stellt dies nicht dar.116 Sie wäre ein Verwaltungsakt, der wegen verwaltungsinterner Zustimmungsvorbehalte bis 110 Rüntz in HK/InsO, § 17 Rz. 8. 111 Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 11. So ausdrücklich BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, MDR 2007, 1395 = ZIP 2007, 1666; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, MDR 2008, 590, ZIP 2008. 112 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZIP 2005, 1426. 113 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = ZIP 2006, 2222. 114 Rütz in HK/InsO, § 17 Rz. 8 stellt auf die Verkehrsüblichkeit ab; IDW PS 800, S. 5. 115 Umkehrschluss aus § 240 Abs. 1 AO, s. auch Klein/Rüsken, AO, § 240 Rz. 27 ff. 116 Klein/Rüsken, AO, § 222 Rz. 39.
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§ 1 Rz. 72 | Schuldnerberatung – bei sehr hohen Forderungen – hin zum Finanzministerium von den Beteiligten gerne vermieden wird. Die „technische Stundung“ wird regelmäßig nur kurzfristig gewährt, insbesondere dann, wenn in den nächsten Tagen eine Steuererklärung eingehen soll, aus der sich eine Verrechnungsmöglichkeit mit Steuerschulden ergibt. Gelegentlich wird die „technische Stundung“ aber auch über Monate aufrechterhalten. Insbesondere bei politisch bedeutsamen Unternehmenskrisen kommen langfristige informelle „technische“ Umsatzsteuerstundungen schon einmal vor. Die technische Dauerstundung beseitigt die Fälligkeit nicht, weil nur auf das ernsthafte Einfordern (Mahnung), verzichtet wird. cc) Kontoüberziehung 73
Ein typisches Problem bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung ist der überzogene Kontokorrentkredit. Für ihn ist die Abgrenzung zur konkludenten Kreditgewährung schwieriger als bei Forderungen der Lieferanten, denen regelmäßig kein Stundungswille unterstellt werden darf (oben Rz. 64). Die Bank kann jederzeit den Ausgleich einer Überziehung verlangen. Deshalb hat der BGH unter dem Gesichtspunkt der insolvenzrechtlichen Anfechtung auch keinen Zweifel daran gelassen, dass zur Rückführung der Überziehung an die Bank geleistete Zahlungen kongruente, dem fälligen Anspruch entsprechende Deckungen darstellen117 (s. unten § 13 Rz. 60 ff. und 127 ff.).
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Noch nicht entschieden hat der BGH bisher, wann eine geduldete Überziehung zu einer konkludenten Kreditvereinbarung wird. Konkret geht es darum, ab wann das Verhalten der Bank den Schluss zulässt, dass für die Rückführung des Überziehungskredits eine vorherige Kündigung erforderlich ist. Zwar ist in Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken bzw. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen keine Kündigungsfrist vorgesehen, wenn es an einer Laufzeitvereinbarung fehlt. Diese Regelung wird auch AGB-rechtlich trotz der – dispositiven – Dreimonatsfrist des § 489 Abs. 2 BGB für zulässig gehalten, weil die jeweiligen Vorschriften als Korrektiv ausdrücklich bestimmen, dass auf die Belange des Kunden Rücksicht zu nehmen ist.118 Entscheidend für die Zahlungsunfähigkeit ist aber nicht die Länge der Kündigungsfrist, sondern allein die Tatsache, dass eine konkludente Erhöhung des Kreditrahmens erst nach einer Kündigung zurückgeführt werden muss und bis dahin keine fällige Zahlungspflicht besteht. Ein Kriterium für die Erhöhung der Kreditlinie ist die Dauer der Überziehung. Wer sie nur gelegentlich und kurzfristig in Anspruch nimmt, sieht sie nicht als dauerhafte Kreditgewährung an. Umgekehrt ist es für die Bank überflüssig, jeweils eine Kündigung auszusprechen. Voraussetzung einer konkludenten Kreditvereinbarung ist also die regelmäßige Inanspruchnahme der höheren Linie über einen Zeitraum, der beim Kunden die berechtigte Erwartung weckt, erst nach einer Kündigung zur Rückzahlung verpflichtet zu sein.119 Angesichts der Kürze der Kündigungsfrist kommt es für die Auslegung des Verhaltens der Bank darauf an, ab wann sie bei der Rückforderung auf die besonderen Belange des Kunden i.S.d. oben genannten Banken- bzw. Sparkassen-AGB Rücksicht nehmen muss. Dies wird man schon bei einer nachhaltigen Überziehung für die Dauer von 60 Tagen annehmen müssen.120 Der Zeitraum könnte sogar kürzer sein, wenn die Bank nicht nur die Überziehung unbeanstandet lässt, sondern sogar noch weitere Verfügungen gestattet („Überziehung der Überziehung“). Natürlich ist ein entgegenstehender Wille der Bank zu berücksichtigen. Er muss aber ausdrücklich erklärt werden. Äußerungen des Kundenbetreuers wie „darüber müssen wir einmal reden“ reichen bei einer dauerhaft geduldeten Überziehung wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens nicht aus. Den zuständigen Bearbeitern des Kreditinstituts werden Überziehungen täglich gemeldet. Sie unterliegen standardisierten Handlungsanweisungen. Wird die Rückführung der Überziehung nicht deutlich verlangt, muss die Differenz zwischen der durchschnittlich nachhaltig in Anspruch genommenen und der ausdrücklich vereinbarten Linie nicht in die fälligen Zahlungen einbezogen werden.
117 BGH v. 7.7.2011 – IX ZR 100/10, MDR 2011, 1072 = ZInsO 2011, 1500 Rz. 6 = ZIP 2010, 1615 = ZIP 2011, 1576. 118 Baumbach/Hopt, HGB, § 19 AGB-Banken, Rz. 2; OLG Köln v. 22.1.1999 – 6 U 70/98, WM 1999, 1004. 119 Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1144. 120 Lwowski, FS Uhlenbruck, 2000, S. 229, 314.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 79 § 1
Im umgekehrten Fall der ausdrücklichen Kündigung des Kredites rechtfertigt es die Zulassung weiterer Verfügungen dagegen nicht, darin die Zurücknahme der Kündigung oder die Stundung der Rückzahlungspflicht zu sehen.121
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dd) Nachrangige Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern (§ 39 InsO) Gemäß dem durch das MoMiG zum 1.11.2008 abgeschafften Eigenkapitalersatzrecht waren entsprechend verstrickte Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern aufgrund der Auszahlungssperre der §§ 30, 31 GmbHG a.F. nicht fällig.122 Die nun vorgesehenen Rechtsfolgen (§§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1, 2 InsO) treten erst nach einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein, entfalten aber vorher keine Wirkung. Daher sind diese Zahlungsansprüche von Gesellschaftern im Liquiditätsstatus zu passivieren.123 Das gilt somit auch für die übrigen in § 39 Abs. 1 InsO genannten Verbindlichkeiten, die im Fall der Insolvenz nachrangig werden.
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Rangrücktrittserklärungen enthalten regelmäßig nur die Formulierung, dass die zurückgetretene Forderung aus einem die anderen Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögen im Rang nach § 39 Abs. 2 InsO zu bedienen ist. Sie zielen auf die Vermögens- und nicht die Liquiditätsverhältnisse ab. Sollte es ausnahmsweise einmal so sein, dass ein freies Vermögen vorhanden ist, aus dem die im Rang zurückgetretene Verbindlichkeit bedient werden muss, durch diese Zahlung aber eine Illiquidität eintreten würde, wird man die im Rang zurückgetretenen Verbindlichkeiten ausklammern dürfen; denn der Zweck der Rangrücktrittserklärung ist die Vermeidung der Insolvenz, die nicht über die „Hintertür“ der bei der Formulierung übersehenen Zahlungsunfähigkeit eingeführt werden soll.
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Der durch das MoMiG eingefügte Tatbestand einer Organhaftung in § 64 S. 3 GmbHG (bzw. § 92 Abs. 2 S. 3 AktG, § 130a Abs. 1 S. 3 HGB) begründet ein Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft, d.h. Zahlungen an die Gesellschafter können verweigert werden, wenn diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen.124 Sofern dem eine fällige Forderung eines Gesellschafters zugrunde liegt, ändert das Leistungsverweigerungsrecht aber nichts daran, dass solche Zahlungspflichten in der Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind.125 Wenn auf dieser Grundlage bereits Zahlungsunfähigkeit vorliegt kann sie nicht mehr i.S. dieser Vorschrift verursacht werden. Damit ist der Anwendungsbereich dieses Haftungstatbestandes klein, was dem Gesetzgeber aber bewusst war.126
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e) Geringfügigkeitsausnahmen Das Merkmal der Geringfügigkeit ist dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO nicht zu entnehmen. Andererseits spricht das Gesetz auch nicht davon, dass der Schuldner „jede“ seiner fälligen Zahlungspflichten „sofort“ erfüllen können muss, um nicht als illiquide zu gelten. Dementsprechend heißt es in der Regierungsbegründung zur zeitlichen Komponente: „Dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründet, braucht im Gesetzestext nicht besonders zum Ausdruck gebracht zu werden; es versteht sich von selbst, dass ein Schuldner, dem in einem Zeitpunkt liquide Mittel fehlen – etwa, weil eine erwartete Zahlung nicht 121 BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, MDR 2001, 761 = NZI 2001, 247, 248 = ZIP 2001, 524. 122 BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, MDR 2009, 1069 = ZInsO 2009, 1254 Rz. 20. 123 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = ZIP 2012, 2391 Rz. 12, 15; BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 214/10, MDR 2011, 815, ZInsO 2011, 1063 Rz. 11 = ZIP 2011, 1161; s. zum Ganzen auch: Vallender/ Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 37 f. 124 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = ZIP 2012, 2391 Rz. 18; Poertzgen, ZInsO 2012, 249, 253; entgegen: OLG München v. 6.5.2010 – 23 U 1564/10, ZIP 2010, 1236, 1237. 125 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = ZIP 2012, 2391 Rz. 7 f.; Henkel, EWiR 2010, 745, 746; Spliedt, ZIP 2009, 149, 160. 126 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = ZIP 2012, 2391 Rz. 13.
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§ 1 Rz. 79 | Schuldnerberatung eingegangen ist –, der sich die Liquidität aber kurzfristig wieder beschaffen kann, im Sinne der Vorschrift ‚in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen´“.127 Zur quantitativen Komponente, also zur Höhe der Unterdeckung, wird ausgeführt, auch hier sei es „selbstverständlich, dass ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“.128 80
Das führt zu der Überlegung, ob der Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO durch Verhältnismäßigkeitserwägungen einschränkend ausgelegt werden muss. Dafür kann zwischen zeitlicher, quantitativer und qualitativer Geringfügigkeit unterschieden werden. aa) Zeitliche Geringfügigkeit (Zahlungsstockung)
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Über die Ausfüllung dieser Kriterien gab es eine erhebliche Unsicherheit129 bis zum richtungsweisenden Urteil des BGH am 24.5.2005,130 an dem sich die Rechtsprechung seither orientiert131: Bei der zeitlichen Geringfügigkeit hält der BGH drei Wochen für ausreichend. Kann eine Zahlungsunfähigkeit während dieses Zeitraumes beseitigt werden, liegt eine bloße Zahlungsstockung vor, die keinen Insolvenzgrund darstellt. Wirtschaftlich rechtfertigt der Senat die Länge der Frist damit, dass sie ausreiche, um bei bestehender Bonität eine Liquiditätslücke durch eine (Bank-)Kreditaufnahme zu schließen. Die Praxis bestätigt diese Einschätzung zwar nicht. Der BGH war jedoch in der Zwickmühle, weil der Gesetzgeber mit der InsO den bisher für eine unbeachtliche Zahlungsstockung angesetzten Zeitraum verkürzen wollte. Unter Geltung der Konkursordnung wurde ein Monat noch als unschädlich angesehen. Die verkürzte Frist entlehnt er aus der Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO. bb) Quantitative Geringfügigkeit
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Aber nicht nur bei der wirtschaftlichen Geringfügigkeit befand sich der BGH in der Zwickmühle, sondern auch bei der Festlegung der quantitativen und qualitativen Geringfügigkeit; denn in der Regierungsbegründung132 wird ein starrer Prozentsatz ausdrücklich abgelehnt. Andererseits dient er der Rechtsicherheit, die gerade bei so wesentlichen Einschnitten wie der Insolvenzeröffnung dringend geboten ist. Der BGH behilft sich mit einer flexiblen Vermutungsregel, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles ergänzend berücksichtigt werden. Der zweite Leitsatz des Urteils vom 24.5.2005 lautet: „Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % bei fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.“ Zum umgekehrten Fall heißt es im dritten Leitsatz: „Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist“.133 127 128 129 130 131
Begr. RegE, RWS Dok 18, 171. Begr. RegE, RWS Dok 18, 171. Vgl. die Nachweise in § 1 Rz. 52 ff. der 2. Aufl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZIP 2005, 1426. BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, MDR 2012, 786 = ZIP 2012, 1124 Rz. 10; BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZInsO 2011, 1742 Rz. 7 = ZIP 2011, 1875; BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, MDR 2009, 1069 = ZInsO 2009, 1254 Rz. 37; BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, MDR 2007, 1395 = ZInsO 2007, 939 Rz. 30. 132 Begr. RegE., BT-Drucks. 12/2443, 114. 133 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZIP 2005, 1426; Hervorh. d. Verf.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 85 § 1
Das bedeutet:
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– Eine Liquiditätsunterdeckung, gleich welcher Höhe, über einen Zeitraum von weniger als drei Wochen ist irrelevant. – Bei einer Unterdeckung von länger als drei Wochen ist der Schwellenwert von 10 % entscheidend. – Sind es weniger als 10 %, besteht Zahlungsfähigkeit, falls keine Vergrößerung der Lücke „absehbar“ ist. – Sind es 10 % oder mehr, muss die Lücke „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ fast vollständig – also nicht nur bis auf 10 % – geschlossen werden können und den Gläubigern ein Abwarten zumutbar sein. Sonst besteht Zahlungsunfähigkeit. Jedes der vorgenannten Szenarien erfordert eine Prognose: Zunächst muss prognostiziert werden, ob eine Unterdeckung überhaupt länger als drei Wochen dauert. Wird das bejaht, muss geprüft werden, ob es nach Ablauf der drei Wochen mehr als 10 % sind. Wird auch das bejaht, bedarf es einer Prognose darüber, ob diese Lücke während eines den Gläubigern zumutbaren Zeitraums geschlossen wird. Dabei werden an die Prognosesicherheit hohe Anforderungen gestellt: Sie muss sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfüllen. Erfüllt sie sich nicht, wird ein Geschäftsführer Schwierigkeiten haben, die Prognosesicherheit später nachzuweisen. Da er sich auf eine Ausnahme von der Vermutung beruft, dass bei mehr als 10 % Zahlungsunfähigkeit gegeben ist, trifft ihn, so der BGH, die Beweislast. Sind es hingegen weniger als 10 %, ist es nicht der Geschäftsführer, der sich zur Absehbarkeit einer Vergrößerung der Lücke äußern muss, sondern derjenige, der sich auf die Zahlungsunfähigkeit beruft.
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cc) Qualitative Geringfügigkeit Bei einer Liquiditätslücke ab 10 % ist, wie dargelegt, eine Zahlungsunfähigkeit auch dann zu verneinen, wenn sie sich erst nach mehr als drei Wochen schließt, falls den Gläubigern ein Abwarten zumutbar ist. Gemeint ist damit, dass in bestimmten Branchen wie z.B. der Bauwirtschaft, dem Fremdenverkehr oder bei Herstellern typischer Saisonartikel (Bademoden, Wintersportartikel) saisonale Flauten von teilweise mehreren Monaten überbrückt werden müssen. Wer sich dort betätige, müsse, so der BGH, immer wieder mit Liquiditätsengpässen rechnen. Ob auch individuelle Umstände jedes einzelnen Gläubigers bei der Zumutbarkeit berücksichtigt werden müssen, erörtert der BGH nicht. Denkbar wäre z.B., dass der Gläubiger die Saisonabhängigkeit des Geschäftsbetriebes kennt, oder dass er selbst durch das Abwarten nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Eine solche Einzelfallbetrachtung ist für die Auslösung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens, bei dem die Gläubiger eine Solidargemeinschaft bilden, jedoch ungeeignet. Ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Zahlungsfähigkeit vollständig wiederhergestellt wird, ist jedem Gläubiger ein Abwarten nur dann unzumutbar, wenn die Befriedigung im Insolvenzverfahren schneller erfolgen würde.134 Mit einer Verteilung kann erst nach dem allgemeinen Prüfungstermin begonnen werden, § 187 InsO, der regelmäßig mit oder nach dem Berichtstermin stattfindet, §§ 29, Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 1 InsO. Vor dem Ablauf von drei Monaten ist eine (Abschlags-)Verteilung in der Praxis außerordentlich selten. Deshalb liegt es nahe, die Zumutbarkeit des Abwartens an diesen drei Monaten zu orientieren, und zwar für alle Gläubiger einheitlich. Voraussetzung ist nur, dass eine Beseitigung der Lücke – und zwar vollständig – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. In der Praxis wird das äußerst selten sein.
134 Vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZIP 2005, 1426, unter III. 3. b) bb) der Entscheidungsgründe.
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§ 1 Rz. 86 | Schuldnerberatung 86
Bei einer Unterdeckung von weniger als 10 % ist eine absehbare Vergrößerung dieser Lücke nur einer von mehreren „besonderen Umständen“, die es rechtfertigen, trotzdem eine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Da der BGH die Vermutungsregel gerade nicht als starre Grenze verstehen will, gibt es auch Raum für andere „besondere Umstände“. Als einen solchen hat es das OLG Rostock angesehen, wenn über eine Zeitspanne von eineinhalb Jahren Sozialversicherungsbeiträge jeweils verspätet gezahlt werden, so dass stets ein Rückstandssaldo bleibt, auch wenn das Defizit bei sämtlichen Verbindlichkeiten der Schuldnerin kleiner als 10 % ist. Ein Unternehmen, dass dauerhaft eine geringfügige Liquiditätslücke aufweise, erscheine nicht erhaltungswürdig.135 Ob das allerdings mit dem Grundsatzurteil des BGH im Einklang steht, ist zweifelhaft, weil der BGH eine unter 10 % bleibende Liquiditätslücke auch bei mehr als drei Wochen für akzeptabel hält. Warum ein Unternehmen dann nicht erhaltenswürdig sein soll, begründet das OLG Rostock nicht.
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Eine vollständige Schließung der Lücke verlangt der BGH hingegen, wenn sie im Beurteilungszeitraum bereits den Schwellenwert von 10 % überschritten hatte. Warum es nicht ausreicht, dass der Schwellenwert wieder unterschritten wird, begründet der BGH nicht. Wahrscheinlich ist das auf die Rechtsprechung zurückzuführen, wonach eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit erst wieder beseitigt ist, wenn die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden.136
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der BGH den Schwellenwert ausdrücklich nur als eine Vermutungsregel versteht. „Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist“.137
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In der Literatur wird diskutiert, ob die Zahlungsunfähigkeit eine Zeit- oder eine Zeitraumiliquidität ist.138 Da eine Prognose über die Liquiditätsentwicklung anzustellen ist, ist sie einerseits Zeitraumiliquidität. Andererseits bedarf es der Prognose aber gerade deshalb, weil nicht erst in Ruhe abgewartet werden darf, wie sich die Verhältnisse tatsächlich entwickeln, sondern weil die Erwartungen auf den Zeitpunkt projiziert werden müssen, für den die Zahlungsfähigkeit ermittelt werden muss (Stichtag). Maßgebend ist allein dieser Zeitpunkt. Die Zahlungsunfähigkeit ist mithin eine stichtagsbezogene (prognostische) Zeitraumiliquidität. Auswirkungen hat das, wenn sich die Prognose später als unzutreffend erweist. Dann ist der Schuldner nicht etwa rückwirkend seit dem Stichtag im Rechtssinne zahlungsunfähig – vorausgesetzt natürlich, dass die Prognose mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt wurde –, sondern er ist es erst ab dem Zeitpunkt, in dem sich der Irrtum herausstellt. Wird dann erwartet, dass sich die Lücke innerhalb von weiteren drei Wochen schließen lässt, wird das an der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit wohl nichts mehr ändern, weil man sonst die Insolvenzantragspflicht leicht umgehen könnte. Immerhin aber beginnt erst jetzt die dreiwöchige Frist des § 15a InsO bzw. die Masseerhaltungspflicht des § 64 GmbHG. Diese von der Rechtsprechung bisher nicht abgesegnete Addition von Prognose- und Antragszeitraum von jeweils drei Wochen ist sinnvoll, weil bei positiver Prognose noch kein Insolvenzgrund und ohne Insolvenzgrund kein Anlass für Sanierungsmaßnahmen besteht. In der Praxis sollte die angestellte Prognose des Schuldners mit den zugrunde liegenden Prämissen dokumentiert sein, um sie später für den Fall des zivil- oder strafrechtlichen Vorwurfs der Insolvenzverschleppung präsent zu haben.
135 OLG Rostock v. 10.7.2006 – 3 U 158/05, ZInsO 2006, 1109. 136 BGH v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, MDR 2012, 1495 = ZInsO 2012, 2244 Rz. 18 = ZIP 2012, 2355; BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837 = ZInsO 2010, 673 Rz. 44= ZIP 2010, 682; BGH v. 20.11.2008 – IX ZR 188/07, MDR 2009, 352 = ZInsO 2009, 145 Rz. 12 = ZIP 2009, 189. 137 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZIP 2005, 1426. 138 Häsemeyer, InsR, 137 f.; Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 6 ff.; K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz Rz. 819 m.w.N.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 91 § 1
f) Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, wird die Zahlungsunfähigkeit vermutet, § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Eine Zahlungseinstellung liegt vor, wenn nach außen erkennbar wird, dass er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann.139 Für die Beratung des Schuldners ist die Zahlungseinstellung ohne Bedeutung, weil Zugriff auf die internen Informationen über die Finanzlage besteht, so dass es keiner Vermutungsregel bedarf. Im Außenverhältnis erleichtert sie hingegen dem Gläubiger die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes. Außerdem hat die Zahlungseinstellung Bedeutung für die Kenntnis des Gläubigers bei der insolvenzrechtlichen Anfechtung, wobei es die Sonderregelung über die Umstandskenntnis in § 130 Abs. 2 InsO gibt. Sie geht über die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung hinaus, weil sie alle Umstände erfasst, die auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, ohne dass die Zahlungen bereits eingestellt worden sein müssen.
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In der Praxis kommt es kaum vor, dass ein Schuldner vor dem Eröffnungsantrag überhaupt keine Zahlungen mehr tätigt. Die Vermutungswirkung wäre überflüssig, wenn allein der totale Zahlungsstopp Voraussetzung für die Zahlungseinstellung wäre.140 Vielmehr greift sie schon dann ein, wenn quantitativ141 oder qualitativ wesentliche Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllt werden.142 Ein Gläubiger kann sich auf die Vermutungswirkung berufen, wenn auch nur eine einzige, für die Verhältnisse des Schuldners hohe oder wesentliche Verbindlichkeit nicht bezahlt wird143 (quantitativer Aspekt). Eine Darlegung und Feststellung der Höhe der Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 % bedarf es nicht.144 Das OLG Celle145 hat diese Vermutungswirkung auch einer eidesstattlichen Versicherung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beigemessen. Gleiches gilt für erfolglose Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Kündigt, um ein anderes Beispiel zu nennen, die einzige Hausbank den Kredit, verlangt sodann von dem Schuldner die unverzügliche Tilgung und lässt keine Verfügungen mehr zu, wird sie regelmäßig wissen, dass der Schuldner keine wesentlichen Zahlungen mehr tätigen kann.146 Der qualitative Aspekt stellt auf die Bedeutung der unterlassenen Zahlungen ab.147 Sie basiert auf der Überlegung, dass ein Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit nach außen i.S. einer Zahlungseinstellung dokumentiert, wenn er die zur Vermeidung einer persönlichen Haftung oder zur Aufrechterhaltung des Betriebes wesentlichen Verbindlichkeiten nicht bedient.148 Ist er z.B. einem Einkaufsverband angeschlossen, der sein größter Lieferant ist, liegt eine Zahlungseinstellung vor, wenn er rückständige Schulden zur Abwendung eines Lieferstopps nicht begleichen kann. Ein anderes Beispiel ist die Nichtzahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, für die ein Geschäftsführer
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139 S. bereits Rz. 51. 140 S. dazu das Urteil des BGH v. 17.5.2001 – IX ZR 188/98, MDR 2001, 1259 = ZIP 2001, 1155 ff., allerdings noch zur KO. 141 Vgl. BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = ZIP 2006, 2222. 142 Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, 114; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, MDR 2011, 946 = ZInsO 2011, 1410 Rz. 12; BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837 = ZInsO 2010, 673 Rz. 42 = ZIP 2010, 682. 143 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, MDR 2012, 549 = ZInsO 2012, 648 Rz. 13 = ZIP 2012, 723; BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837 = ZInsO 2010, 673 Rz. 39; BGH v. 24.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rz. 5. 144 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, MDR 2012, 608 = ZInsO 2012, 696 Rz. 9 = ZIP 2012, 735; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, MDR 2011, 946 = ZInsO 2011, 1410 Rz. 13 = ZIP 2011, 1416. 145 OLG Celle v. 29.10.2001 – 2 W 114/01, ZInsO 2001, 1106. 146 BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, MDR 2008, 590 = ZInsO 2008, 273 Rz. 22 = ZIP 2008, 420; BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, MDR 2007, 1344 = ZInsO 2007, 816 Rz. 31 = ZIP 2007, 1469; BGH v. 17.1.2002 – IX ZR 170/00, ZInsO 2002, 200: Das bloße „Einfrieren“ einer Kreditlinie reicht dagegen nicht aus. 147 Beispiele bei BGH v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, MDR 2006, 1430 = ZIP 2006, 1056; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = ZIP 2006, 2222. 148 BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 318/01, ZIP 2004, 669, 671; OLG Hamm v. 16.10.2007 – 27 U 179/06, ZInsO 2008, 511, 512.
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§ 1 Rz. 91 | Schuldnerberatung persönlich haftet, § 266a StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB.149 Gleiches gilt für die persönliche Haftung bei Steuerverbindlichkeiten nach §§ 69, 380 AO, 26a UStG.
g) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit aa) Verfahren 92
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Die Zahlungsunfähigkeit ist, wie dargelegt, eine zeitpunktbezogene Zeitraumilliquidität. Der Zahlungsmittelbestand im Beurteilungszeitraum ist um die prognostizierten Einzahlungen der nächsten drei Wochen zu ergänzen und zu den fälligen sowie während dieses Zeitraums erwarteten Auszahlungen ins Verhältnis zu setzen: Zahlungsmittelbestand + Einzahlungen 21 Tage × 100 > 90 %? fällige und fällig werdende Auszahlungen 21 Tage
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Nachdem lange unklar war, wie sich der BGH bezüglich der Berücksichtigung der im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten verhält, hat er dies nunmehr entschieden.150 Auch die im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten sind bei der Prüfung der Deckungslücke zu berücksichtigen (sog. Passiva II).
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Für die insolvenzrechtliche Liquiditätsbestimmung können die Liquiditätsgrade in der betriebswirtschaftlichen Bilanzanalyse151 nicht verwendet werden. Die größte Übereinstimmung gibt es zwischen der insolvenzrechtlichen zeitpunktbezogenen Liquiditätskennziffer und der betriebswirtschaftlichen Liquidität 1. Grades, die die Zahlungsmittel ins Verhältnis zu den kurzfristigen – nicht unbedingt schon fälligen – Verbindlichkeiten setzt. Die bilanzanalytische Liquidität 2. Grades ergänzt die Zahlungsmittel um die kurzfristigen Forderungen, die Liquidität 3. Grades zusätzlich auch noch um die Vorräte, während sich an den kurzfristigen Verbindlichkeiten als der jeweiligen Bezugsgröße nichts ändert.
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Juristisch handelt es sich bei den in der Bilanzanalyse berücksichtigten Umständen um Indiztatsachen: Von bilanziellen Bestandsgrößen wird auf die Liquidität geschlossen, basierend auf der Annahme, dass die in einer Bilanz oder Summen- und Saldenliste ausgewiesenen kurzfristigen Forderungen auch realisierbar und Vorräte kurzfristig liquidierbar sind. Diese Prämisse ist in der Krise jedoch selten gerechtfertigt. Außerdem lassen die bilanzorientierten Liquiditätskennziffern die Wertschöpfung aus der laufenden Geschäftstätigkeit ebenso außer Betracht wie andere Möglichkeiten der Finanzmittelbeschaffung. Das fängt bei einer noch nicht ausgenutzten Kreditlinie an, geht weiter zur Veräußerung von Anlagevermögen (sale-and-lease-back) bis hin zur Außenfinanzierung durch Stundungen, Kredite, Gesellschafterdarlehen oder Kapitalerhöhung. All das kann nur in einem kurzfristigen Finanzplan abgebildet werden. Die Liquiditätskennziffern, die in den monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen wiedergegeben werden, bieten nur erste Anhaltspunkte. Auf sie mag in einem späteren Prozess über die insolvenzrechtliche Anfechtung oder Haftung wegen Insolvenzverschleppung als Indiz zurückgegriffen werden, wenn weitere Unterlagen der Schuldnerin verloren gegangen sind. Für die Krisenberatung mit einem Zugriff auf das Rechnungswesen und weitere Informationsquellen sind sie hingegen ungeeignet.152
149 BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, MDR 2011, 946 = ZInsO 2011, 1410 Rz. 15; BGH v. 17.6.2010 – IX ZR 134/09, ZInsO 2010, 1324 Rz. 9; BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, MDR 2007, 52 = ZIP 2006, 1457; BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 89/02, MDR 2003, 1376 = ZIP 2003, 1666, 1669. 150 BGH v. 19.12.2017, ZIP 2018, 283. 151 Überblick bei: Wöhe, Einf. in die Allg. Betriebswirtschaftslehre, 895 ff. 152 Zur Vorgehensweise bei der Liquiditätsprüfung der Finanzverwaltung: Maus, ZInsO 2004, 837 ff.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 100 § 1
bb) Einzelheiten (1) Zahlungsmittelbestand Der am Stichtag vorhandene Zahlungsmittelbestand setzt sich aus allem zusammen, was nach der Verkehrsauffassung wie Bargeld behandelt wird. Dazu gehören Kassenbestand und Schecks ebenso wie Bankguthaben, Festgeld mit täglicher Kündigung und der noch nicht ausgeschöpfte Teil einer Kreditlinie.153 Man spricht hier von Forderungen aus dem reinen Finanzbereich.154 Zweckgebundene Mittel dürfen nur zur Bedienung der (künftigen) Verbindlichkeiten herangezogen werden, für die sie vorgesehen sind.155 Damit darf keine Liquiditätslücke überbrückt werden.
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(2) Auszahlungen Für die Auszahlungen gilt Entsprechendes. Außer den fälligen Geldverbindlichkeiten jeder Art sind auch die fälligen Zahlungssurrogate einzubeziehen. Dazu gehören insbesondere unterwegs befindliche Schecks und Überweisungen, falls die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten schon als erfüllt gebucht wurden. Schulden, die nicht in Geld, sondern als Lieferung oder Leistung zu erfüllen sind, werden bei der zeitpunktbezogenen Liquiditätsprüfung nicht angesetzt. Vielmehr sind die für ihre Erfüllung erforderlichen Zahlungen erst bei der Zeitraumbetrachtung zu berücksichtigen. Ist beispielsweise bei den Zahlungseingängen der Verkaufspreis für eine Warenauslieferung enthalten, muss bei den Zahlungsausgängen der Einkaufspreis berücksichtigt werden, falls die Ware nicht im Lager ist. Ferner sind auch alle neuen, während 30 Tagen entstehenden oder fällig werdenden Auszahlungen einzubeziehen. Die hierfür relevanten Zahlungspflichten und Fälligkeiten wurden oben erläutert.
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Diejenigen Verbindlichkeiten, die nach ständiger und unbeanstandeter Geschäftspraxis erst nach der formellen Fälligkeit beglichen werden, sind mit der üblichen Frist anzusetzen. Allerdings ist auf eine Prognosekontinuität zu achten. Auszahlungen unter Hinweis auf die Üblichkeit nach hinten zu verschieben, das Gleiche aber bei den erwarteten Einzahlungen zu unterlassen, führt zu Ermittlungsfehlern und zieht möglicherweise eine persönliche Haftung nach sich, wenn hierdurch eine an sich eingetretene Zahlungsunfähigkeit nicht erkannt wurde und nicht zu den entsprechenden Handlungen der Geschäftsleiter geführt hat.
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(3) Zahlungsprognose Die für die Folgezeit erwarteten Ein- und Auszahlungen beruhen naturgemäß auf einer subjektiven Schätzung. Sie muss nachprüfbar sein, um die Feststellung des Insolvenzgrundes nicht der Willkür preiszugeben.156 Zwar führen konkrete Prozentsätze für die Eintrittswahrscheinlichkeit leicht zu einer Scheingenauigkeit. Der Ausnahmecharakter einer Zahlungsstockung verlangt aber zumindest, dass die erwarteten Zahlungseingänge voraussichtlich stattfinden.157 Zum Streit kommt es erst im Nachhinein, wenn die Insolvenz nicht vermieden werden konnte. Dann stellt sich die Frage, ob der Schuldner in vertretbarer Weise einen letztlich doch ausgebliebenen Zahlungseingang für überwiegend wahrscheinlich halten durfte. Theoretisch richtig wäre es zwar, mit mehrwertigen Prognosen zu arbeiten, weil die Entwicklung von vielen sich in unterschiedlicher Weise gegenseitig beeinflussenden Faktoren abhängt.158 In der Krisenberatung drängt jedoch die Zeit. Jede zusätzliche Prüfungshandlung schadet durch die damit verbundene Verzögerung mehr, als dass sie nutzt. Deshalb reicht eine zweiwertige Prognose über die überwiegend wahrscheinliche und die nicht überwiegend wahrscheinliche Entwick153 OLG Hamm v. 16.10.2007 – 27 U 179/06, ZInsO 2008, 511, 513; Plagens/Wilkens, ZInsO 2010, 2107, 2113; Bork, ZIP 2008, 1749, 1750. 154 Eilenberger in MünchKomm/InsO, § 17 Rz. 14. 155 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 505/06, juris = ZIP 2007, 1621 156 Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 111 ff.; Bork, ZIP 2000, 1709, 1712. 157 Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 111 ff. („hinreichende Sicherheit“). 158 Groß/Amen, Wpg 2002, 433; Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56, 60.
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100
§ 1 Rz. 100 | Schuldnerberatung lung aus.159 Hierbei sollte, sofern vorhanden, auf Erfahrungswerte aus der Vergangenheit mit den jeweiligen Vertragspartnern zurückgegriffen werden. Dies hat zudem den Vorteil, dass die zugrunde gelegte Prognose durch die Vergangenheitswerte nachvollziehbar gemacht wird. 101
Somit sind bei den Zahlungsmitteln anzusetzen: – Forderungen des Finanzbereichs, – Forderungen aus schwebenden Geschäften, – sonstige kurzfristig liquidierbare Aktiva, – erwartete Einnahmen aus Neugeschäften, sofern sie innerhalb von 21 Tagen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Einzahlungen führen. cc) Muster
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Die Ermittlung der Zahlungsfähigkeit vollzieht sich in drei Stufen.160 Die erste Stufe ist die Erstellung eines Finanzstatus, in dem die gesamte Liquidität einschließlich der nicht ausgeschöpften Kreditlinien zu einem bestimmten Stichtag erfasst wird. Um die Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsstockung abzugrenzen, muss in einem zweiten Schritt die weitere Entwicklung dieser Anfangsliquidität betrachtet werden. Das geschieht mit Hilfe des Finanzplanes. Die Basis des Finanzplanes ist ein Unternehmenskonzept, in dem die wirtschaftliche und technische Ausrichtung des Unternehmens definiert wird.161 Dazu gehören z.B. Umsatz- und Kapazitätsplanungen, Deckungsbeitragsrechnungen, Investitionspläne etc. Das Unternehmenskonzept und die Finanzplanung stehen im Wechselverhältnis zueinander. Das eine muss jeweils an das andere angepasst werden; denn es hat keinen Sinn, ein Szenario zu entwickeln, das nicht finanzierbar ist, wie umgekehrt die durch die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit bedingten Restriktionen das Unternehmenskonzept verändern. Insofern ist das Unternehmenskonzept eine verbale und rechnerische Darstellung der Prämissen, auf denen die letztlich getroffene Aussage über die Zahlungsfähigkeit beruht.
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In Ergänzung zum IDW Prüfungsstandard „Empfehlungen zur Prüfung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen“162 kann die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach folgendem Muster erfolgen: Anfangsbestand
Wochen 1|2|3|4
I. Anfangsbestände 1. Zahlungsmittel 1.1 Kasse 1.2 Bankguthaben 1.3 Eingangsschecks 2. Sofort liquidierbare Vermögensgegenstände (z.B. Anleihen) 3. Offene Kreditlinien 3.1 Bank A 3.2 Bank B 4. Summe Anfangsbestände 159 160 161 162
Harz, ZInsO 2001, 193, 198 f. Ein anderes Beispiel bei MünchKomm/InsO/Drukarczyk, § 18 Rz. 37 ff. Bork, ZIP 2000, 1709, 1711. IDW S 11 Fn. 4/2015, 202.
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Summen
II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 104 § 1 II. Einzahlungen 1. aus Forderungsinkasso 2. aus laufendem Geschäftsbetrieb 2.1 Barverkäufe 2.2 Leistungen auf Ziel 2.3 Anzahlungen 3. aus Desinvestitionen 3.1 Anlagenverkäufe 3.2 Auflösung von Finanzinvestitionen 4. aus Finanzerträgen 4.1 Zinserträge 4.2 Beteiligungserträge 5. Summe Einzahlungen III. Auszahlungen 1. für den laufenden Geschäftsbetrieb 1.1 Gehälter/Löhne 1.2 Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe 1.3 Steuern/Abgaben 2. für Investitionen 2.1 Sachinvestitionen Ankäufe Vorauszahlungen Restzahlungen 2.2 Finanzinvestitionen 3. im Rahmen des Finanzverkehrs 3.1 Kredittilgung 3.2 Akzepteinlösung 3.3 Eigenkapitalminderungen (z.B. Privatentnahmen) 3.4 Zinsen 4. Summe Auszahlungen IV. Ermittlung der Über- bzw. Unterdeckung durch I + II ./. III V. Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen 1. Bei Unterdeckung (Einzahlungen) 1.1 Kreditaufnahme 1.2 Eigenkapitalerhöhung 1.3 Rückführung gewährter Darlehen 1.4 zusätzliche Desinvestitionen 2. Bei Überdeckung (Auszahlungen) 2.1 Kreditrückführung 2.2 Anlage in liquiden Mitteln VI. Zahlungsmittelbestand am Periodenende unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen
Das Finanzplanmuster des IDW Prüfungsstandards sieht ergänzend eine tage- und eine monatsweise Erfassung vor. Eine tageweise Planung führt zu Scheingenauigkeiten, weil ein Unternehmen in der Krise regelmäßig keinen eigenen Liquiditätsspielraum mehr hat, sondern von dem Einzahlungsverhalten Dritter abhängig ist, das nicht taggenau prognostiziert werden kann. Eine Erfassung der Monats-
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§ 1 Rz. 104 | Schuldnerberatung zeiträume ist nur von Bedeutung für die Ermittlung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als dem fakultativen Insolvenzgrund.
h) Praxishinweise 105
Für größere Unternehmen empfiehlt sich die Verwendung eines Unternehmensplanungsprogramms, bei dem nicht nur die Daten des Liquiditätsplanes miteinander verknüpft sind, sondern auch eine automatische Querverbindung zur Plan-GuV sowie Plan-Bilanz gezogen wird.
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Die Erfahrung zeigt, dass der Mandant eine Zahlungsunfähigkeit frühestens annimmt, wenn er massiv eingeforderte Verbindlichkeiten nicht bezahlen kann. Dann ist es in der Regel zu spät. Jede anwaltliche Beratung führt zu einer Verzögerung des Insolvenzantrages und – für Organe juristischer Personen – meist auch zur persönlichen Haftung bis hin zur strafrechtlichen Verantwortung. Der Mandant sollte nachweisbar über die restriktive Handhabung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit informiert werden (s. Checkliste Rz. 35).
3. Drohende Zahlungsunfähigkeit a) Praktische Relevanz 107
Ein „Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen“, § 18 Abs. 2 InsO. Der Gesetzgeber hat mit dem SanInsFoG den Prognosezeitraum ab dem 1.1.2021 in § 18 Abs. 2 S. 2 InsO in aller Regel auf 24 Monate festgelegt. Er grenzt mit der Neuregelung nunmehr den Anwendungsbereich des Insolvenzgrundes der Überschuldung in § 19 InsO ab, in dem jetzt in § 19 Abs. 2 S. 1 InsO ein Prognosezeitraum von 12 Monaten für die Überschuldungsprüfung festgelegt wird. Dieser Eröffnungsgrund ist im Zusammenhang mit dem Ziel des Gesetzgebers der InsO zu sehen, die Rahmenbedingungen für ein insolvenzrechtliches Reorganisationsverfahren zu schaffen (vgl. § 1 Satz 1 a.E. InsO), dessen möglichst frühzeitige Einleitung die Erfolgschancen einer Sanierung erhöht. Dieser Ansatz steckt auch hinter der Einführung des sog. Schutzschirmverfahrens in § 270b a.F. InsO durch den ESUG-Gesetzgeber bzw. § 270d InsO (s. § 6 Rz. 164 f.). Danach kann das Insolvenzgericht unter näher bestimmten Voraussetzungen die vorläufige Eigenverwaltung mit dem Ziel der Vorlage eines Insolvenzplans anordnen, wenn der Schuldner lediglich drohend zahlungsunfähig oder überschuldet ist. In der Praxis ist von diesem Instrument in den vergangenen Jahren mehr und mehr Gebrauch gemacht worden.
b) Maßgebender Betrachtungszeitraum 108
Über die Tatbestandsvoraussetzungen herrschte in der Vergangenheit Unsicherheit. Man war sich zwar einig, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit natürlich eine Zeitraumilliquidität ist.163 Aber schon bei der Länge des Zeitraumes und den berücksichtigungsfähigen Zahlungspflichten bestanden unterschiedliche Auffassungen. Die Ursache war der Gesetzeswortlaut, der auf die „bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit“164 abstellt. Daraus wurde geschlussfolgert, der Prognosezeitraum erstrecke sich bis zu dem Datum, an dem die zuletzt fällig werdende Verbindlichkeit bezahlt werden müsse.165 Dies können mehrere Jahre sein. Das war zu lang: Der Zahlungsmittelbestand ist ein Saldo, der von der Entwicklung sämtlicher Aktiva genauso abhängt wie von derjenigen sämtlicher Passiva. Maßgebend für den Prognosezeitraum konnte deshalb nur die Überlegung sein, bis zu welchem Termin sich die Entwicklung sämtlicher Aktiva und Passiva noch voraussehen lässt. Die Laufzeit nur
163 Harz, ZInsO 2001, 193. 164 Hervorhebung d. Verf.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 113 § 1
einer einzigen langfristigen Verbindlichkeit war kein geeignetes Kriterium für die Länge des Prognosezeitraumes. Der Gesetzgeber hat diese Problematik nunmehr durch die Einführung des in aller Regel anzunehmenden Prognosezeitraums in § 18 Abs. 2 S. 2 InsO geklärt. Der Betrachtungszeitraum ist jetzt maximal 24 Monate.
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Der Gesetzgeber hat diese Problematik nunmehr durch die Einführung des in aller Regel anzunehmenden Prognosezeitraums in § 18 Abs. 2 S. 2 InsO geklärt. Der Betrachtungszeitraum ist jetzt maximal 24 Monate. Daraus folgt, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit anhand der unternehmensinternen Liquiditätsplanung für diesen Zeitraum ermittelt werden muss.
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Zwar kann sich eine Krisenentwicklung schon Jahre vor dem Eintritt eines Insolvenzgrundes abzeichnen.166 Dem wird man jedoch durch eine außergerichtliche Sanierung oder eine Sanierung unter Zuhilfenahme des StaRUG begegnen.167 Die Hilfe des Insolvenzrechts werden die Schuldner frühestens dann in Anspruch nehmen, wenn sich konkret abzeichnet, dass die außergerichtliche Sanierung zu scheitern droht und auch ein Restrukturierungsplan nach dem StaRUG im Stadium einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder davor keine Lösung der Restrukturierungssituation verspricht. In der Praxis werden das, außer bei Saisonbetrieben, Prognosezeiträume von höchstens sechs bis zwölf Monaten sein. Außerhalb dieses Zeitraums wird der Schuldner im Regelfall die Einleitung eines Insolvenzverfahrens vermeiden. Die regelmäßig mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens verbundenen Nachteile werden in solch einem frühen Stadium die Vorteile des Verfahrens nicht überwiegen. Es bleibt auch abzuwarten, ob in der Praxis Schutzschirmverfahren von den Gläubigern positiv aufgenommen werden, die mit dem Hinweis auf eine Illiquidität am Ende des neuen 24-monatigen Prognosezeitraums eingeleitet werden. Es ist zu vermuten, dass die Gläubiger sich in diesen Fällen oftmals gegen Verzichte sträuben werden.
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c) Praxishinweise Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist zwar regelmäßig nur ein vorgeschobener Insolvenzgrund; denn kein Schuldner möchte sich mit der Angabe einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit in die Nähe der Insolvenzverschleppung rücken. Mittlerweile nehmen aber die Reorganisationsverfahren in der Kombination von Insolvenzplan und Eigenverwaltung zu (zu dem dann bestehenden Beratungsbedarf vgl. § 3). Die Einführung des StaRUG und die Möglichkeiten, die dort für eine Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit gegeben sind, werden zu einer Zunahme von Verfahren bei drohender Zahlungsunfähigkeit führen. Für beide Verfahren kann sich die drohende Zahlungsunfähigkeit als ein wichtiger Antragsgrund erweisen, wie umgekehrt die Insolvenzverschleppung wegen der in § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO erwähnten Nachteilsbesorgnisse ein Aufhebungsgrund für die Eigenverwaltung ist. Angesichts großer Haftungsgefahren (§ 5 Rz. 41 ff.) und Anfechtungsrisiken (§ 13 Rz. 86 ff.) für Maßnahmen in der Krise außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist immer zu prüfen, ob ein frühzeitiger Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG ggf. kombiniert mit der Beantragung einer Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG sinnvoll ist.
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Diese Wege sind ein durchaus geeignetes taktisches Kalkül, um dissentierende Gläubiger und Gesellschafter in eine Sanierung einzubinden. Dabei gibt das StaRUG durch seine Nicht-Öffentlichkeit im Gegensatz zu einem Insolvenzantrag mit den sich daraus in aller Regel ergebenden Öffentlichkeitswirkungen, eine oftmals bessere Möglichkeit Druck auszuüben, ohne direkt unumkehrbare Tatsachen zu
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166 Wirtschaftsprüfer-Handbuch Bd. II, Abschn. F Rz. 30. 167 Aus diesem Grund und wegen der Weite des Überschuldungsbegriffs sehen K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 45, und Schüppen, DB 1994, 197, 200, keine große praktische Relevanz der drohenden Zahlungsunfähigkeit.
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§ 1 Rz. 113 | Schuldnerberatung schaffen. Das gilt bei einem bestandsgefährdenden Gerichtsprozess, der bereits in einer Instanz verloren wurde oder zu verloren werden droht,168 genauso wie bei bestandsgefährdenden Dauerschuldverhältnissen, die dem Erfüllungswahl- oder Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegen. Zwar hat die Nichterfüllung Schadensersatzpflichten zur Folge. Diesbezüglich ist der Vertragspartner jedoch nicht mehr Neugläubiger, sondern (alter) Insolvenzgläubiger und als solcher mit allen anderen gleich zu behandeln. Das erleichtert eine Verständigung erheblich.169
4. Überschuldung a) Überblick, praktische Relevanz 114
Während die Zahlungsunfähigkeit der allgemeine Eröffnungsgrund für alle Schuldner ist, kommt die Überschuldung nur bei juristischen Personen zur Anwendung, § 19 Abs. 1 InsO. „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“, § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ein solcher Aktiva-Passiva-Vergleich ist aus der Handelsbilanz geläufig: Hier wie dort stellen sich die Fragen nach den berücksichtigungspflichtigen Vermögensgegenständen (Mengengerüst) und – vor allem – nach ihrer Bewertung. Allein die positive Fortführungsprognose für die nächsten zwölf Monate kann eine Überschuldung im Rechtssinn ausschließen,170 d.h. die Fortführungsprognose ist ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Nach dem ursprünglichen Überschuldungsbegriff der InsO hatte diese Prognose nur Bedeutung dafür, ob die Bewertung der Aktiva und der Passiva nach Liquidations- oder Fortführungswerten vorzunehmen war. Der Prognosezeitraum von zwölf Monaten ist zum 1.1.2021 neu in den Überschuldungstatbestand eingefügt worden.
115
In der Praxis ist die erste Stufe der Überschuldung (Passiva > Aktiva) meist offenkundig. Regelmäßig ist es erst der Druck von außen, der den Schuldner veranlasst, anwaltlichen Rat einzuholen. Dann sind längst Verbindlichkeiten in einer das Vermögen übersteigenden Höhe aufgelaufen. Insbesondere aber bei der rechtzeitigen Beratung großer Unternehmen kann die Überschuldungsprüfung kompliziert sein. Ansonsten werden die nachfolgend dargestellten Einzelheiten insbesondere erst relevant, wenn nach der Eröffnung des Verfahrens Ansprüche gegen die Organe wegen Insolvenzverschleppung geltend gemacht werden. Dann ist ein reichhaltiger „Argumentationshaushalt“ der in Anspruch Genommenen sehr wichtig.
b) Feststellung der sog. rechnerischen Überschuldung (1. Stufe) aa) Prüfungsreihenfolge 116
Die Prüfung der Überschuldung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst ist auf der 1. Stufe zu prüfen, ob die Passiva die Aktiva übersteigen (sog. rechnerische Überschuldung). Ist das nicht der Fall, scheidet eine rechtliche Überschuldung von vornherein aus. Andernfalls schließt sich auf der 2. Stufe die Prüfung der Fortführungsprognose an (s. dazu Rz. 120). Ist diese negativ liegt Überschuldung gem. § 19 InsO vor. Sofern es im Einzelfall einfacher sein sollte, kann selbstverständlich auch die umgekehrte Prüfungsreihenfolge gewählt werden. bb) Bilanzwerte
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Der von jedem Kaufmann regelmäßig erstellte Vermögensvergleich ist die Handelsbilanz. Sie ist zwar nach wie vor als Krisensignal wichtig. Insbesondere kann sie einer der Anlässe sein, die Überschul168 Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338, 342. 169 Zur außergerichtlichen vs. gerichtlichen Sanierung aus Sicht von Schuldner, Berater und Gläubigern: Ehlers, ZInsO 2005, 169, 170 ff. 170 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, MDR 2013, 713 = ZIP 2013, 829 Rz. 18.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 120 § 1
dung eingehend zu prüfen. Auf sie kommt es auch an, wenn es um die Anzeige geht, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist, § 49 Abs. 3 GmbHG. Ansonsten besteht Einigkeit, dass sie wegen der Standardisierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung eine gesonderte Überschuldungsbilanz nicht ersetzt.171 Insolvenzrechtlich geht es um die Prüfung, ob die Gläubiger aus dem Vermögen des Schuldners befriedigt werden können. Dafür kommt es auf die Verkehrs-, nicht auf die Buchwerte an. Die Überschuldungsbilanz kann jedoch aus der Handelsbilanz entwickelt werden, die insoweit Indizwirkung hat.172 cc) Liquidationswerte Bei den Verkehrswerten wird grds. unterschieden zwischen den Liquidations- und den Fortführungswerten. Ein Rechenzentrum beispielsweise besteht aus zahlreichen Einzelgeräten verschiedener Hersteller, Software und speziell mit Klimatisierung sowie Sicherheitsanlagen eingerichteten Räumen. Der Wert dieses Rechenzentrums ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel der Komponenten. Die Veräußerung einzelner Gegenstände der Hardware wird nur geringe Erlöse bringen, und die Einbauten werden überhaupt nicht vergütet, falls sich nicht zufällig jemand findet, der dort ein anderes Rechenzentrum betreiben will. Anders ist es, wenn das Rechenzentrum als betriebswirtschaftlich-technische Einheit fortgeführt werden kann. Die Fortführung ist das Szenario für die Ermittlung der Fortführungswerte, die Veräußerung hingegen das Szenario für die Ermittlung der Liquidationswerte. Dabei bedeutet Veräußerung nicht zwingend den Verkauf jedes einzelnen Gerätes. Es können auch Gerätegruppen sein oder gar alle Gegenstände zusammen mit der Software. Von der sog. Zerschlagungsintensität hängt es ab, in welchem Umfang Einzelwerte oder (teilweise) Gesamtwerte anzusetzen sind.173 In der Praxis werden regelmäßig die Einzelwerte zugrunde gelegt, wenn nicht ausnahmsweise die betriebswirtschaftliche Einheit insgesamt an einen Erwerber übertragen werden kann.
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Nach neuer Rechtslage seit Inkrafttreten des FMStG bzw. dessen Entfristung spielen – wie unter Geltung der KO174 – Fortführungswerte keine Rolle mehr. Es sind stets ausschließlich die Liquidationswerte anzusetzen.175 Nach altem Recht war die Bewertung nach Fortführungswerten vorzunehmen, wenn eine positive Fortführungsprognose vorlag.176
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c) Fortführungsprognose aa) Prognosegegenstand: Ertrags- oder Zahlungsfähigkeit? Das Gesetz stellt in § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf das Vermögen des Schuldners ab. Es kommt also auf die Fortführungsfähigkeit der Gesellschaft und nicht einzelner Teilbereiche an. Zudem stellt sich die Frage, ob die Fortführungsfähigkeit bereits gegeben ist, wenn die Zahlungsfähigkeit besteht oder darüber hinaus eine Ertragsfähigkeit gegeben sein muss.177 Ziel der Insolvenzordnung ist es, den Geschäftsverkehr vor Unternehmen zu schützen, die ihre Gläubiger nicht mehr befriedigen können. Ziel ist aber
171 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 Rz. 5; BGH v. 26.4.2010 – II ZR 60/09, MDR 2010, 1127 = ZInsO 2010, 1396 Rz. 11 = ZIP 2009, 808 = ZIP 2010, 1443; BGH v. 2.4.2009 – IX ZR 236/07, MDR 2009, 1008 = ZInsO 2009, 1060 Rz. 55 = ZIP 2009, 1080. 172 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 Rz. 5; BGH v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, MDR 2011, 1123 = ZInsO 2011, 1470 Rz. 4; BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZInsO 2011, 970 Rz. 33 = ZIP 2011, 1007. 173 Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1846 f.; IDW PS 270, 9/2003, S. 2. 174 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, MDR 1992, 1135 = NJW 1992, 2891, 2894 = ZIP 1992, 1382. 175 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZInsO 2011, 970 Rz. 30, 35 = ZIP 2011, 1007. 176 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, MDR 2011, 1123 = ZInsO 2011, 1470 Rz. 8 = ZIP 2011, 1410; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 Rz. 12 = ZIP 2009, 1220. 177 S. dazu: AG Hamburg v. 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZInsO 2012, 183, 184; Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733; Frystatzki, NZI 2011, 173.
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120
§ 1 Rz. 120 | Schuldnerberatung nicht die dauerhafte Ertragsfähigkeit eines Unternehmens für die Inhaber zu schützen.178 Die Ertragsfähigkeit wird dabei als Fähigkeit des Unternehmens, aus den erwirtschafteten Erträgen zumindest seine Verbindlichkeiten und Kosten des laufenden Betriebes zu decken, definiert. Dem Gläubiger eines Unternehmens wird es aber regelmäßig nicht interessieren, ob er aus den Erträgen des Unternehmens selbst oder sonstigen dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Mitteln die Befriedigung seiner Forderung erlangt. Ihm kommt es letztlich nur darauf an, Befriedigung zu erlangen. Auf welchem Weg ist für ihn oftmals auch nicht nachzuvollziehen. Daher ist die Fortführungsfähigkeit in aller Regel bereits dann gegeben, wenn die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens besteht.179 Die Frage ist, ob sich nach der Neuregelung des Prognosezeitraums etwas anderes überhaupt ergeben kann. Zur alten Regelung hatte das AG Hamburg einen Fall zu entscheiden, in dem eine Gesellschaft reine Verwalterin von Kapitalvermögen war und nur über feste Einnahmen verfügte, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die in einigen Jahren anfallenden Pensionsverpflichtungen nicht mehr decken würden.180 Nach der alten Regelung bestand in diesem Ausnahmefall die Möglichkeit, eine Überschuldung anzunehmen. Nach dem neuen Recht ist es aber so, dass anders als beim neu eingefügten Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit dieser bei der Überschuldung nicht „in aller Regel“ anzunehmen ist, sondern der Prüfungszeitraum ist fest mit zwölf Monaten definiert. Damit dürfte der Fall des AG Hamburg heute nicht mehr zu einer Antragstellung wegen Überschuldung führen. Ggf. kommt nur eine Antragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit in Betracht, wenn man den neuen Regelzeitraum dann außer Acht lässt und einen längeren Zeitraum wegen der sicher eintretenden Illiquidität zulässt. 121
Als Ergebnis ist festzuhalten: – Gegenstand der Fortführungsprognose ist die Zahlungsfähigkeit der gesamten Unternehmensträgergesellschaft für die nächsten zwölf Monate. bb) Prognosemethode
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Ist somit die Zahlungsfähigkeit der Unternehmensträgergesellschaft als primärer Prognosegegenstand identifiziert, stellt sich als nächstes die Frage nach der Prognosemethode. Die Fortführungsprognose ist eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose.
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Jede Einschätzung künftiger Ereignisse ist naturgemäß subjektiv.181 Eine objektive Wahrscheinlichkeit gibt es nur bei dem, was als das „Gesetz der großen Zahl“ bezeichnet wird. Dies ist nur bei Vorgängen, die in einer hohen wiederholbaren Zahl von ähnlich gelagerten Fällen auftreten, der Fall. Entwicklungen hingegen, die nicht auf einer solchen Wiederholung standardisierter Vorgänge beruhen, können nur subjektiv erwartet werden.182 Erst hinterher steht objektiv fest, ob die tatsächlichen Verhältnisse den prognostizierten entsprachen. Sollte dem nicht so sein, muss die Prognose nicht fehlerhaft gewesen sein. Eine objektive Prognose von künftigen Ereignissen gibt es nicht.183 Es kann immer nur darum gehen, ob sie subjektiv mit der gebotenen Sorgfalt angestellt wurde. Da es zum Streit erst kommt, wenn sich die Erwartungen nicht erfüllt haben, jeder Haftungskläger und jedes Gericht im Nachhinein also „schlauer“ sind, muss die Erstellung der Prognose genau dokumentiert werden. Nur dann lässt sich später die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt darlegen.
178 Zur Definition der Ertragsfähigkeit s. Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733, 1736. 179 Dies wird in der Literatur unterschiedlich betrachtet. Die herrschende Meinung geht von der hier vertretenen Auffassung aus. Zum Meinungsstand im Einzelnen vgl. Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733, 1736 f. 180 AG Hamburg, v. 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZInsO 2012, 183, 184. 181 Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., DB 2003, 105, 106; Schüppen, DB 1994, 197, 199, spricht von der Gefahr des Selbstbetrugs. 182 Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56, 60. 183 Zur Fortführungsprognose s. Mock in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 209 ff.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 127 § 1
Grundlage ist u.a. ein Finanzplan für das Unternehmen, wie es steht und liegt.184 Künftige Strukturänderungen dürfen berücksichtigt werden, wenn es dafür konkrete Ansätze gibt, die mit nachvollziehbaren Prämissen unterlegt sind.
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Die Fortführung muss gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO „überwiegend wahrscheinlich“ sein, also zu mehr als 50 % erwartet werden dürfen.185 Um das zu belegen, bedarf es der Darstellung von (mindestens) zwei Szenarien, nämlich der überwiegend und der nicht überwiegend wahrscheinlichen Entwicklung.186 Zwar steht der Gesetzeswortlaut einer einwertigen Prognose nicht entgegen. Dann müssen aber die weniger wahrscheinlichen Entwicklungen verbal erläutert werden. Ohne die Zusammenstellung der Liquiditätsauswirkungen in einem Zahlenwerk wird man im Nachhinein, wenn es wider Erwarten doch zur Insolvenz gekommen ist, kaum die Sorgfältigkeit der positiven Prognose belegen können. Daher ist es wichtig, die Annahmen, die der gemachten Planung zugrunde lagen, hinreichend zu dokumentieren. Hierbei kann nur empfohlen werden, dies in einer auch für Dritte nachvollziehbaren Art und Weise zu dokumentieren. Die Planung ist bei abweichenden Entwicklungen oder neuen Erkenntnissen ständig zu aktualisieren.
125
Zukünftige Entwicklungen können in so zahlreichen Varianten eintreten, dass schon die nur zweiwertige Prognose eine sehr grobe Vereinfachung ist. Bei großen Unternehmen und einem entsprechend ausgestatteten Sanierungsteam sollten mehr als nur die wahrscheinliche und die weniger wahrscheinliche Alternative aufgezeigt werden.187 Scheitert die Fortführung, ist der Vorwurf, bestimmte Entwicklungen bei einer nur zweiwertigen Prognose fahrlässig nicht bedacht zu haben, schnell bei der Hand. Im Regelfall besteht aber weder genügend Zeit noch genügend Geld für die Anwendung einer ausgefeilten Prognosetechnik. Da sich dem Gesetzeswortlaut nichts Gegenteiliges entnehmen lässt, kann man sich mit einem zweiwertigen Verfahren begnügen. Jeder denkbaren Entwicklung ist dabei eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit zuzuordnen.
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Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit ist eine Ja-Nein-Aussage, für die es nicht darauf ankommt, in welcher Höhe Unter- und Überdeckung ausfallen könnten. Das soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Im Szenario 1 ergibt sich eine Liquiditätsüberdeckung von 20 €, deren Eintritt die Geschäftsführung eine Wahrscheinlichkeit von 60 % beimisst. Im Szenario 2 wird eine Unterdeckung von 40 € erwartet. Dies hält die Geschäftsführung zu 40 % für wahrscheinlich. Daraus sind zwei Schlussfolgerungen denkbar: Entweder werden die + 20 € zugrunde gelegt, weil dieses Szenario überwiegend wahrscheinlich ist, oder es wird das arithmetische Mittel beider Erwartungswerte angesetzt: (+ 20 × 60 %) − (40 × 40 %) = −4. Bei der zweiten Methode wäre die Aufrechterhaltung der Liquidität nicht überwiegend wahrscheinlich. Der Grund liegt darin, dass die hohe Unterdeckung im schlimmsten Fall die geringere Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts kompensiert. Eine solche Betrachtung räumt also den Konsequenzen – 40 € sind im schlimmsten Fall wesentlich gravierender als die nur + 20 € im best case – dieselbe Bedeutung ein wie der Eintrittswahrscheinlichkeit. Das widerspricht dem Gesetz, dessen Wortlaut nur auf die Eintrittswahrscheinlichkeit abstellt. Das arithmetische Mittel aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Eintrittsfolgen ist deshalb nicht zu bilden,188 so dass im Beispiel die Fortführung mit 60 % überwiegend wahrscheinlich ist und demzufolge eine positive Fortführungsprognose gegeben ist.
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184 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, MDR 2013, 713 = ZIP 2013, 829 Rz. 18; Kallmeyer, GmbHR 1999, 16, 17 m.w.N.; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799, 1805 Rz. 16, der auf die Zweiteilung in künftige Zahlungsfähigkeit und positive Ertragsentwicklung verweist; a.A., nur auf allgemeine Aussage zur Unternehmenszukunft abstellend, Burger/Schellberg, KTS 1995, 563, 571 f. 185 MünchKomm/InsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rz. 77; OLG Naumburg v. 20.8.2003 – 5 U 67/03, GmbHR 2004, 361; Sikora, ZInsO 2010, 1761, 1766. 186 Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1844; Nonnenmacher, Sanierung, Insolvenz und Bilanz, in FS Moxter, S. 1313 ff., S. 1316 f. und insb. S. 1326 f. 187 Groß/Amen, Wpg 2002, 225 ff.; Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56 ff.; Groß/Amen, Wpg 2003, 67 ff. 188 A.A.: MünchKomm/InsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rz. 61 ff.
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§ 1 Rz. 128 | Schuldnerberatung 128
Zu beachten ist auch, dass Grundlage für eine positive Fortführungsprognose ist, dass die geplante Geschäftsentwicklung mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln auch möglich ist. In der Praxis wird oftmals eine Geschäftsplanung vorgelegt, die zwar positive Erträge in der Zukunft darstellt, aber die für diese Entwicklung erforderliche Finanzierung ist nicht vorhanden. Insoweit ist essentieller Bestandteil der Planung auch die Umsetzung der Geschäftsplanung in einer Finanzplanung.189 cc) Prognosezeitraum
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Als Prognosezeitraum wurde zum alten Recht das laufende und das folgende Geschäftsjahr für erforderlich gehalten.190 Das bedeutete zum Teil einen erheblichen Unterschied, je nachdem, wann man die Prognose anstellte. Für eine im Dezember angestellte Prognose war das ein, für eine im Januar angestellte hingegen zwei Jahre, vorausgesetzt, dass das Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr identisch ist. Der Gesetzgeber hat dies zum 1.1.2021 mit dem SanInsFoG geändert und den Prognosezeitraum in § 19 Abs. 2 S. 1 InsO jetzt auf zwölf Monate festgelegt. Die zwölf Monate gelten dabei unabhängig vom Geschäftsjahr immer vom jeweiligen Betrachtungsstichtag ab. dd) Fortführungswille
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In Haftungsprozessen sind Geschäftsführer naturgemäß bemüht, die Aktiva im Nachhinein „rosig“ darzustellen. Auf die Fortführungswerte kommt es jedoch nicht mehr an, wenn sie durch ihr eigenes Verhalten dokumentieren, dass sie die Einstellung der Geschäftstätigkeit vorbereiten.191 Neben der finanzwirtschaftlichen Überlebensfähigkeit des Schuldners setzt eine günstige Fortführungsprognose auch einen Fortführungswillen voraus.192 ee) Abhängigkeit von Dritten
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Eine Sanierung aus eigener Kraft ist selten. Eine positive Fortführungsprognose basiert häufig darauf, dass Gläubiger auf Forderungen verzichten, Kunden einen bestimmten Auftrag erteilen, eine bestimmte Lizenz eingeräumt wird oder mit einem Hersteller z.B. ein Vertragshändlervertrag geschlossen wird. Die gewöhnliche Geschäftstätigkeit basiert zwar auch darauf, dass in Zukunft eine Vielzahl neuer Einund Verkaufsverträge geschlossen werden, was Gegenstand der Prognose ist. Eine verlässliche Prognose von wichtigen Einzelvereinbarungen, mit denen die weitere Geschäftstätigkeit steht und fällt, bedarf hingegen großer Zurückhaltung. Sie dürfen der Planung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn es konkrete Indizien dafür gibt, dass eine Beteiligung des Dritten als überwiegend wahrscheinlich i.S.v. § 19 Abs. 2 InsO ist.193 Anderenfalls bleiben nur die drei Wochen des § 15a Abs. 1 S. 2 InsO, um die Fortführungsvoraussetzungen herzustellen. Dies gilt auch für Finanzierungsvereinbarungen mit Bankinstituten. ff) Zusammenfassung
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Man kann also im Ergebnis festhalten, dass eine juristische Person, bei der die Aktiva die Passiva übersteigen unabhängig von dem Bestehen einer Fortführungsprognose nicht überschuldet ist. Übersteigen die Passiva die Aktiva, muss zur Vermeidung der insolvenzrechtlichen Überschuldung eine positive
189 S. hierzu auch Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 19 Rz. 44 m.w.N. 190 H.M., Rüntz in HK/InsO, § 19 Rz. 10; Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 57 f.; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 19 Rz. 40; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799, 1805 Rz. 17. 191 Vgl. den Fall von KG v. 1.11.2005 – 7 U 49/05, GmbHR 2006, 374. 192 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, MDR 2013, 713 = ZIP 2013, 829 Rz. 18; BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, MDR 2011, 196 = ZInsO 2010, 2396 Rz. 13 = ZIP 2010, 2400. 193 BGH v. 23.2.2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049; OLG Köln v. 5.2.2009 – 18 U 171/07, ZInsO 2009, 1402, 1404; Sikora, ZInsO 2010, 1761, 1771.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 136 § 1
Fortführungsprognose für die nächsten zwölf Monate hinzu kommen. Diese setzt nur die Zahlungsfähigkeit in den kommenden zumindest zwölf Monaten und nicht die Ertragsfähigkeit voraus. Die zugrunde gelegte Geschäftsplanung muss durch eine Finanzplanung abgesichert sein, anderenfalls besteht keine Fortführungsmöglichkeit und damit auch keine positive Fortführungsprognose.
d) Einzelheiten zum Überschuldungsstatus Die Wertermittlung muss in jedem Fall nach der gesetzlichen Neuregelung zum Liquidationswert erfolgen. Bei der Wertermittlung sind im Einzelnen die nachfolgenden Punkte zu beachten.
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aa) Stichtagsprinzip Jede Vermögensermittlung ist stichtagsgebunden. Das gilt für die Handelsbilanz genauso wie für die Bewertung eines Unternehmens zum Zwecke der Einbringung als Sacheinlage194 oder der Abfindung ausscheidender Gesellschafter195 – und das gilt natürlich auch für den Überschuldungsstatus.196 Verschlechterungen, die nach dem Stichtag eintreten, begründen allenfalls eine neue Überschuldungssituation, wirken aber nicht zurück. Dennoch ist jede Bewertung zukunftsbezogen. Für das Umlaufvermögen wird untersucht, in welcher Höhe eine Forderung zeitnah realisiert werden kann, ob sich gegebenenfalls Einwände beseitigen lassen, wie hoch bei unfertigen Erzeugnissen der restliche Fertigstellungsaufwand ist, welche Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für den laufenden Geschäftsbetrieb voraussichtlich noch benötigt werden und welche einen überhöhten Bestand darstellen, der nur noch unter den Einkaufspreisen losgeschlagen werden kann, etc. Beim Anlagevermögen wird überlegt, welche Maschinen nach Maßgabe der Produktions- und Absatzplanung noch betriebsnotwendig sind, ob und in welcher Höhe sich stille Reserven durch den Verkauf einzelner Gegenstände/Grundstücke realisieren lassen, was häufig mit einer Planung neuer Betriebsabläufe in der Zukunft einhergeht. Ein Autohändler beispielsweise, dessen Ausstellungs- und Werkstattgebäude an einer Hauptverkehrsstraße liegt, muss bereits heute bei der Bewertung berücksichtigen, dass in drei Jahren die von der Gemeinde geplante Ortsumgehung fertig gestellt und die vorbeiführende Straße nunmehr eine verkehrsberuhigte Zone wird.
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Hieraus wird deutlich, dass sich künftige Ereignisse stets im stichtagsbezogenen Verkehrswert abbilden. Naturgemäß ist das bei der Ermittlung des Liquidationswertes wegen der Aktualität weniger relevant als bei der Ermittlung eines Fortführungswertes. Eine für die Überschuldungsprüfung zentrale Frage lautet, welche nach dem Stichtag erwarteten Aufwendungen berücksichtigt werden müssen. Hierbei sollte zwischen den insolvenzbedingten, den bewertungsbedingten sowie den geplanten Kosten unterschieden werden.
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(1) Insolvenzbedingte Kosten Die Überschuldungsbilanz dient der Prüfung, ob der Eröffnungsgrund vorliegt. Deshalb müssen alle Verbindlichkeiten, die vom Ergebnis dieser Prüfung abhängen, unberücksichtigt bleiben.197 Das gilt insbesondere für die Verfahrenskosten, Sozialplanabfindungen oder Leerkosten, die infolge einer Insolvenzeröffnung anfallen. Ein anderes Beispiel ist die Vorsteuerkorrektur gem. § 17 Abs. 1 UStG (vgl. § 14 Rz. 45 ff.), die eingreift, wenn die Schuldnerin insolvenzbedingt ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann, für die sie Vorsteuer in Anspruch genommen hatte.
194 195 196 197
Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rz. 54. Scholz/Westermann, GmbHG, § 34 Rz. 47. Smid/Leonhard in Smid, InsO, § 19 Rz. 23; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 19 Rz. 30. Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 39; Mock in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 199 f.
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§ 1 Rz. 137 | Schuldnerberatung (2) Bewertungsbedingte Kosten 137
Von den insolvenzbedingten Kosten sind die bewertungsbedingten Kosten zu unterscheiden. Das sind diejenigen Aufwendungen, die getätigt werden müssen, um den im Überschuldungsstatus angesetzten Wert zu realisieren. Die Frage lautet simpel: Darf bis zur Entstehung der entsprechenden Verbindlichkeit – z.B. bis zur Vereinbarung eines Sozialplans bei Stilllegung der Produktionsstätte – gewartet werden, oder müssen die künftigen Aufwendungen bereits am Stichtag im Überschuldungsstatus als Rückstellung passiviert werden? Das ist zu bejahen, soweit es sich um Kosten handelt, die mit dem Wertungsansatz verbunden sind. Nur dann ist die Bewertung widerspruchsfrei. Es gibt keinen Grund, mit dem Insolvenzantrag so lange zu warten, bis die Liquidationskosten als Verbindlichkeit rechtlich entstanden oder gar fällig geworden sind. In der allgemeinen Begründung zum Regierungsentwurf der InsO heißt es, es werde „allgemein als wünschenswert angesehen, dass insolvente Schuldner früher als heute in das Insolvenzverfahren gelangen“.198 Sich auf der einen Seite durch die Realisierung stiller Reserven „reich zu rechnen“ und auf der anderen Seite die mit der Realisierung des Reichtums verbundenen Aufwendungen nicht zu berücksichtigen, wäre ein Wertungswiderspruch. Letztlich ist die Realisierung stiller Reserven nichts anderes als die Prognose des Gewinns aus einem künftigen Geschäft. Für die normale Umsatztätigkeit ist es aber völlig selbstverständlich, dass die Überschüsse aus künftigen Geschäften nur nach Abzug sämtlicher mit ihnen verbundener Aufwendungen ermittelt werden dürfen.
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Diese Aufwendungen sind, da rechtlich noch nicht entstanden, im Überschuldungsstatus als Rückstellung anzusetzen. Der Passivierung eines solchen Aufwandes kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass derartige Rückstellungen nicht vom enumerativen Katalog des § 249 HGB erfasst sind. Der Überschuldungsstatus richtet sich nach den Verkehrswerten. Handelsrechtliche Ansatzund Bewertungsvorschriften spielen keine Rolle. Das gilt sowohl zugunsten – z.B. beim Ansatz immaterieller Vermögensgegenstände (das handelsrechtliche Bilanzierungsverbot wurde durch das BilMoG aber eingeschränkt, § 248 Abs. 2 HGB) – als auch zuungunsten des Schuldners. Stille Reserven sind genauso zu berücksichtigen wie stille Lasten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn von der Passivierung der entsprechenden Beträge die Notwendigkeit der Stellung eines Insolvenzantrages abhängt.199 (3) Geplante Kosten
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Von den insolvenz- und den bewertungsbedingten Kosten unterscheiden sich die geplanten Kosten dadurch, dass sie unabhängig vom Insolvenzereignis und auch unabhängig von einer Verwertungsplanung anfallen, die dem Überschuldungsstatus zugrunde liegt. Sie sollen am Beispiel des „Sowieso-Sozialplans“ erläutert werden. Überwiegend200 wird eine Passivierung des Sozialplanaufwandes erst verlangt, wenn die Stilllegungsentscheidung endgültig gefasst wurde. Diese Ansicht beruht auf der Überlegung, dass der Aufwand frühestens anzusetzen ist, wenn er sich durch eine Unternehmerentscheidung konkretisiert hat. Diese Sichtweise entspricht § 249 Abs. 2 HGB, der Rückstellungen „für ihrer Eigenart nach genau umschriebene“ Aufwendungen zulässt. Die handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften sind für den Überschuldungsstatus jedoch nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verkehrswert. Auch die Passiva müssen so angesetzt werden, wie es ein Dritter tun würde, der dem Schuldner das Vermögen einschließlich künftiger Verbindlichkeiten abkaufen würde. Für ihn käme es auf die Unausweichlichkeit des Aufwands an. Seine Erfassung im Überschuldungsstatus kann nicht davon abhängen, ob die Geschäftsleitung den Stilllegungsbeschluss über den Bewertungsstichtag hinaus verzögert. Was also im Unternehmenskonzept, an dem sich die Zahlungsfähigkeitsprognose ausrichtet, als Maßnahme geplant ist, muss im Überschuldungsstatus auch als Rückstellung für die damit verbundenen (Sanierungs-)Kosten erfasst werden.
198 Begr. RegE, RWS Dok. 18, 97. 199 So auch Mock in Uhlenbruck, § 19 Rz. 200. Vgl. zu dem vielfältig hier vertretenen Meinungsstand MünchKomm/InsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rz. 120 ff. 200 Mock in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 162.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 145 § 1
bb) Einzelne Aktiva In der Literatur201 finden sich umfangreiche Hinweise zur Bewertung einzelner Positionen. Hängt die Verwertung des Umlaufvermögens davon ab, ob noch wertverbessernde Maßnahmen unternommen werden – das betrifft insbesondere die Vollendung unfertiger Erzeugnisse und die Mängelbeseitigung zur Durchsetzung einredebehafteter Forderungen –, ist der Aufwand von dem dann erzielbaren Erlös in Abzug zu bringen. Das sind die oben erwähnten bewertungsbedingten Kosten.
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(1) Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer sind unabhängig davon zu aktivieren, ob sie bisher in der Handelsbilanz berücksichtigt wurden. Das gilt insbesondere für Ansprüche im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Gebote der Kapitalaufbringung und −erhaltung oder im Rahmen der Existenzvernichtunghaftung.202 Ansprüche gegen die Organe aus § 64 S. 1, 3 GmbHG oder § 92 Abs. 2 S. 1, 3 AktG (seit dem SanInsFoG als einheitliche Regelung in § 15b InsO) sind ebenfalls anzusetzen, allerdings sind – bilanzneutral – gleichzeitig die Forderungen der bevorzugt befriedigten Gläubiger bei den Passiva zu erfassen.203
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(2) Ansprüche gem. §§ 92, 93 InsO § 93 InsO verpflichtet den Insolvenzverwalter, für die Dauer des Verfahrens die persönliche Haftung eines Gesellschafters geltend zu machen. Das gilt dem Wortlaut nach nur für Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Bei ihnen ist die Überschuldung nur dann ein Insolvenzgrund, wenn keine natürliche Person zu den persönlich haftenden Gesellschaftern gehört, §§ 130a, 177a HGB.
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Die auf § 93 InsO gestützten Ansprüche sind im Überschuldungsstatus nicht zu aktivieren, weil es sich um Forderungen der Gläubiger handelt, die der Verwalter als eine Art Prozessstandschafter geltend macht.204 Sie gehören nicht zum Gesellschaftsvermögen. Überdies greift § 93 InsO erst mit Verfahrenseröffnung ein, kann also die Frage, ob das Verfahren wegen Überschuldung eröffnet werden soll, nicht beantworten.
143
Die unter § 92 InsO fallenden Ansprüche auf Ausgleich sog. Gesamtgläubigerschäden im Überschuldungsstatus dürfen ebenfalls nicht aktiviert werden, weil es sich nicht um Ansprüche des Schuldners, sondern der Gläubiger handelt, die der Verwalter ebenfalls nur Kraft besonderer Ermächtigung geltend macht.
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(3) Keine Ausnahme für GmbH & Co. Nach §§ 130a, 177a HGB ist für eine Personengesellschaft des Handelsrechts205 auch bei Eintritt der Überschuldung ein Insolvenzverfahren zu beantragen, falls kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.206 Dem Wortlaut nach kommt es für die Auslösung der Antragspflicht einzig und allein auf die Vermögensverhältnisse der Personengesellschaft an. Die Bonität der beschränkt
201 Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 109 f.; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff., 1809 ff.; Reck, ZInsO 2004, 728, 729 f. 202 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 25; Frystatzki, NZI 2013, 161, 164. 203 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 25; Brünkmans, ZInsO 2011, 2167; a.A.: Frystatzki, NZI 2013, 161, 162. 204 Mock in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 96. 205 Für die BGB-Gesellschaft gilt das nicht. 206 Für den Gläubigerantrag ist die Überschuldung hingegen nicht ausreichend, da der allgemeine Eröffnungsgrund in § 19 InsO nur für juristische Personen gilt. Antragspflicht und Antragsrecht divergieren bei der Personengesellschaft mit beschränkt haftenden Gesellschaftern.
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145
§ 1 Rz. 145 | Schuldnerberatung haftenden Gesellschafter ist unbeachtlich. Es ist demnach kein konsolidierter Status zu erstellen, der ihre Vermögensverhältnisse einbezieht.207 Als Konsequenz wird die Antragspflicht mit der in § 130a Abs. 2 und 3 HGB verbundenen Verschleppungshaftung auch dann ausgelöst, wenn die Gläubiger über die Komplementärhaftung noch vollständig befriedigt werden können. 146
In diesem Punkt besteht eine Ungleichbehandlung mit denjenigen Personengesellschaften, für die es wegen der unbeschränkten Haftung von natürlichen Personen bei Eintritt der Überschuldung keine Antragspflicht gibt. Obwohl auch das Vermögen natürlicher Personen „endlich“ ist und eine GmbH als Komplementärin durchaus leistungsfähiger als eine natürliche Person sein kann, dürfen wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts die Haftungsansprüche nicht aktiviert werden, obwohl sie gem. § 93 InsO im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Masse erhöhen.208 Sollte die Komplementär-GmbH für eine Unterdeckung eintreten können und wollen, ist mit ihr eine entsprechende Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft (Einlage, Darlehen mit Rangrücktritt o.Ä.) zu vereinbaren. (4) Immaterielle Vermögensgegenstände
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Bestimmte immaterielle Vermögensgegenstände dürfen in der Handelsbilanz nicht angesetzt werden, wenn sie selbst geschaffen wurden, § 248 Abs. 2 S. 2 HGB. Das gilt auch dann, wenn eigene Entwicklungsergebnisse durch Patente oder Geschmacksmusterrechte etc. geschützt sind. Für den Überschuldungsstatus greift dieses Ansatzverbot hingegen nicht ein. Kann der Vermögensgegenstand selbständig veräußert werden, ist der mutmaßliche Erlös einzustellen. (5) Schwebende Geschäfte und Roh, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB)
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Für die Handelsbilanz gilt das Realisationsprinzip, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Gewinne aus schwebenden Geschäften dürfen erst berücksichtigt werden, wenn das Geschäft vom Schuldner ausgeführt wurde. Auch das findet auf den Überschuldungsstatus keine Anwendung. Der Wert unfertiger Erzeugnisse entspricht dem Vertragspreis für das fertige Erzeugnis abzgl. der restlichen Fertigstellungskosten (retrograde Bewertung). Nichts anderes gilt, wenn mit der Ausführung des Geschäfts noch nicht begonnen wurde. Dann sind die gesamten Fertigstellungskosten vom Kontraktpreis abzuziehen, und zwar nicht nur die variablen, sondern sämtliche Kosten einschließlich der anteiligen Gemeinkosten; denn ein Vertrag, der keinen die noch aufzuwendenden Vollkosten übersteigenden Erlös bringt, hat keinen Wert, wie umgekehrt ein „guter“ Vertrag mit dem voraussichtlichen Gewinn aktiviert werden kann. Voraussetzung ist, dass die Vollendung unfertiger Erzeugnisse oder die Erfüllung eines Vertrages noch finanziert werden kann. Kann die Geschäftstätigkeit hingegen nicht dauerhaft fortgesetzt werden, lässt sich ein „guter“ Vertrag allenfalls noch verkaufen. Das bedarf der Zustimmung des Auftraggebers. Auch wird ein Übernehmer nicht den Gewinn vergüten, den er eventuell nach erfolgreicher Vertragserfüllung später einmal realisieren wird. Deshalb sind vom kalkulierten Überschuss Abschläge vorzunehmen. Bei der Bewertung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen gilt es nach den vorstehenden Grundsätzen zu bewerten, ob diese noch zu fertigen Produkten verarbeitet werden können und was hierfür aufgewendet werden muss. Zudem muss beurteilt werden, ob das fertige Produkt überhaupt noch veräußerungsfähig ist. Hier kann sich je nach Art des Produktes noch ein erheblicher Wertzuwachs auf der Aktivseite ergeben oder im anderen Extremfall die Berücksichtigung einer erheblichen Verbindlichkeit, weil eine Veräußerung nicht mehr in Betracht kommt und zusätzlich noch Entsorgungskosten entstehen.
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Ähnlich wie mit schwebenden Verträgen, die auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sind, verhält es sich mit den Dauerschuldverhältnissen. Günstige Einkaufsverträge, lukrative Abnahmevereinbarungen oder attraktive Mietverträge haben einen „Wert“, wenn sie übertragbar sind. Ist nichts 207 Vgl. dazu Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 246 ff. 208 Wobei hier nicht erörtert werden kann, ob diese Masse auch für Masseschulden verwendet werden darf.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 154 § 1
anderes vereinbart, bedarf es dafür der Zustimmung des Vertragspartners, der dies bei für ihn ungünstigen Vereinbarungen von Nachbesserungen abhängig machen wird, so dass der Vorteil für den Schuldner schwindet. Auch hier gilt im Übrigen für die Fortführung, dass die günstigen Verträge in den Zukunftserfolgswert einfließen. (6) Derivativer Firmenwert Als derivativer Firmenwert wird regelmäßig die Differenz zwischen dem von dem Schuldner für den Erwerb eines Unternehmens gezahlten Kaufpreis und dem Wert der einzelnen Vermögensgegenstände bezeichnet, vgl. § 246 Abs. 1 S. 4 HGB. Dieser Betrag wird von später notleidenden Käufern in der Handelsbilanz gerne möglichst lange als Firmenwert vorgetragen, indem nicht die relativ kurze Regelabschreibung des § 255 Abs. 3 S. 1 HGB vorgenommen wird, sondern eine wesentlich längere nach der vermeintlich längeren Nutzungsdauer. In Wahrheit hat sich das erworbene Unternehmen als nicht so lukrativ erwiesen, wie es der Schuldner beim Erwerb eingeschätzt hatte. Sonst wäre die Krise nicht eingetreten. Aber selbst wenn die Krisenursache in anderen Umständen liegen sollte, ist der Firmenwert nicht isoliert veräußerbar.
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(7) Wert der Firma Vom Firmenwert zu unterscheiden ist der Wert der Firma (§ 17 Abs. 1 HGB), die häufig auch noch als Marke geschützt ist. Sowohl die Firma (vgl. §§ 32 f. HGB) als auch die Marke (vgl. § 27 MarkenG) können übertragen werden, die Firma allerdings nur zusammen mit dem Handelsgeschäft, was bei einer Liquidation jedoch kein Hindernis ist.209
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(8) Sicherungs- und aufrechnungsbelastete Vermögensgegenstände Die Aktiva sind unabhängig davon anzusetzen, ob sie mit Sicherungs- oder Aufrechnungsrechten belastet sind. Anderenfalls müssten die Passiva um denselben Verkehrswert reduziert werden, mit dem die Aktiva unberücksichtigt blieben. Das verstößt gegen das Gebot der Vollständigkeit eines Überschuldungsstatus (vgl. § 246 Abs. 2 S. 1 HGB für die Handelsbilanz). Bei der Ermittlung einer aus dem Überschuldungsstatus abgeleiteten außergerichtlichen Vergleichsquote ist zu beachten, dass die Gläubiger nicht mit einer Quote auch für denjenigen Teil ihrer Forderungen einverstanden sein werden, für den sie durch Aufrechnung oder Sicherheitenverwertung eine volle Befriedigung erwarten können.
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(9) Insolvenzanfechtung Insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche dürfen nicht aktiviert werden, weil sie außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht zur Schuldendeckung beitragen. Außerdem dienen sie der Gläubigergleichbehandlung mit der Konsequenz, dass der Anfechtungsgegner im Gegenzug eine Forderung gegen den Schuldner erhält, § 144 InsO. Das Reinvermögen wird durch die Anfechtung nicht verändert.
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cc) Einzelne Passiva Auf der Passivseite des Überschuldungsstatus müssen sämtliche Schulden angesetzt werden, die aus dem Aktivvermögen zu befriedigen sind, unabhängig davon, ob sie fällig sind, vgl. § 41 InsO.
209 S. § 23 HGB; zur Problematik der Firmenfortführung bei Ausscheiden des namensgebenden Gesellschafters s. Weßling, GmbHR 2004, 487 ff.
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§ 1 Rz. 155 | Schuldnerberatung (1) Darlehen der Gesellschafter 155
Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder entsprechende Forderungen sind im Insolvenzverfahren nur mit Nachrang zu berücksichtigen, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Auch weil diese Wirkung erst nach Verfahrenseröffnung eintritt sind die entsprechenden Verbindlichkeiten als Passiva anzusetzen.210 Zudem ergibt sich das als Rückschluss aus § 19 Abs. 2 S. 2 InsO, wonach die Passivierungspflicht nur bei einem Rangrücktritt entfällt. Das entspricht der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des MoMiG.211
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Die Konsequenzen können fatal sein. Denkt der Geschäftsführer rechtzeitig an die Rangrücktrittsvereinbarung, hat der Minderheitsgesellschafter ein Druckmittel in der Hand, um sich sein wertloses Darlehen samt Geschäftsanteil von der Mehrheit abkaufen zu lassen. Die Mehrheit wird an einer Insolvenzvermeidung regelmäßig wesentlich interessierter sein als die Minderheit, weil sie die höheren Verluste tragen würde und bei einer Fortsetzung zudem den Vorteil hätte, die durch den Rangrücktritt weiterlebende Gesellschaft zu beeinflussen. Das Verbot sittenwidriger Schädigung bzw. das Gebot der Treuepflicht212 wird wegen des Zeitdrucks nur eine stumpfe Waffe sein.
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Häufig sind sich die Organe gar nicht dessen bewusst, dass die Gesellschafterfinanzierung eine Überschuldung begründen kann. Intuitiv haben die Gesellschafter in der Vergangenheit genau die Finanzierungsverantwortung übernommen, die letztlich hinter den Regelungen steht. Im Haftungsprozess stellt sich die Frage, ob der schleunigst nachgeholte Abschluss von Rangrücktrittsvereinbarungen es gestattet, die Gesellschafterdarlehen ex tunc unberücksichtigt zu lassen. Das ist namentlich dann von Bedeutung, wenn der nachgeholte Rangrücktritt die inzwischen vertiefte Überschuldung nicht mehr beseitigen kann, so dass dem Geschäftsführer mit einer ex nunc-Wirkung nicht gedient ist. Die Gesellschaft wäre, würde man die Rückwirkung ablehnen, bereits zu einem Zeitpunkt überschuldet gewesen, zu dem bei einer ex tunc-Wirkung die Überschuldung noch hätte vermieden werden können. Da der Rangrücktritt Verfügungscharakter hat (Rz. 189), dürfte ihm jedoch nur eine ex nunc-Wirkung zukommen. Bei der Haftung wegen Insolvenzverschleppung könnte allenfalls damit „geholfen“ werden, dass es am Verschulden fehlt, wenn der Insolvenzgrund durch einen erwarteten Rangrücktritt hätte vermieden werden können, der später tatsächlich nachgeholt wird. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist hierzu jedoch nicht ergangen.
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Haben die Gesellschafter, statt Darlehen auszureichen, Sicherheiten für Forderungen Dritter bestellt (vgl. § 135 Abs. 2 InsO), müssen diese Verbindlichkeiten weiterhin im Überschuldungsstatus passiviert werden.213 Besteht ein vertraglich vereinbarter Freistellungsanspruch gegen den Gesellschafter, ist dieser Anspruch (soweit er werthaltig ist) zu aktivieren, wenn der Sicherungsgeber gleichzeitig auf seinen Rückgriffsanspruch verzichtet oder zumindest den Rangrücktritt erklärt hat.214 Das gilt entsprechend bei einer sog. harten internen Patronatserklärung.215 Hier ist indes immer zu überprüfen, ob der Gesellschafter wirtschaftlich in der Lage ist seiner Verpflichtung nachzukommen.
210 BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, MDR 2010, 1490 = ZInsO 2010, 2091 Rz. 10 = ZIP 2010, 2055; Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 43. 211 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235, 236 ff. 212 Vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819 ff. („Girmes“) zur Treuepflicht der Aktionäre. 213 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 42; Meyer-Löwy, ZIP 2003, 1920, 1923 ff. 214 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 42; Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 125, 140 m.w.N. 215 Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 125, 167 m.w.N.
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II. Insolvenzeröffnungsgründe | Rz. 162 § 1
(2) Rückstellungen Die in einer Handelsbilanz gebotenen Rückstellungen müssen regelmäßig auch in der Überschuldungsbilanz angesetzt werden.216 Das gilt namentlich für Verluste aus schwebenden Geschäften.217 Dazu gehören nicht nur die Geschäfte, die bei Erfüllung durch die Schuldnerin einen Verlust bringen, sondern auch diejenigen, die bei negativer Fortführungsprognose nicht mehr erfüllt werden können. Für sie sind entsprechende Schadensersatzansprüche zurückzustellen.218
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Bei Krisenunternehmen bestehen häufig langfristige Verpflichtungen aus Dauerschuldverhältnissen, denen kein Vorteil für das Unternehmen gegenübersteht. Das ist z.B. der Fall bei nicht mehr genutzten Mieträumen und -gegenständen. Hier sind die noch vertraglich geschuldeten Miet- oder Leasingraten zu berücksichtigen. Eine Verringerung der Belastung aufgrund der Möglichkeit einer vorzeitigen anderweitigen Vermietung oder einer Verwertung des Leasinggegenstandes darf nur abgezogen werden, wenn es hierfür konkrete Folgemieter gibt oder der Wert des Leasinggegenstandes anhand marktgängiger Methoden bewertet werden kann.
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Für die Bewertung unsicherer Verbindlichkeiten empfehlen Schmidt/Roth219 ein objektiviertes System, um das subjektive Bewerterermessen zu reduzieren. Bei einer negativen Fortführungsprognose sollen streitige Verbindlichkeiten voll passiviert werden, um früher ein Insolvenzverfahren auszulösen, dass aus Gründen des Gläubigerschutzes Vorrang gegenüber einem außergerichtlichen Liquidationsverfahren haben soll. Bei einer prinzipiell gegebenen Fortführungsfähigkeit müsse hingegen eine vorschnelle Zerschlagung des Unternehmens vermieden werden. Deshalb sollen die von Gläubigern behaupteten Verbindlichkeiten zwischen 0 % bei evidentem Rechtsmissbrauch der Gläubigerforderung über 2 bis 5 % bei Lästigkeit des Gläubigers und ca. 15 % bei Beginn eines Rechtsstreits bis hin zu 50 % bei Verlust der I. Instanz angesetzt werden. Dem ist nicht zu folgen. Für einen Vorrang des Insolvenzvor dem Liquidationsverfahren gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte. Lästigkeitsprämien von 2 bis 5 % sind Scheingenauigkeiten und ein Prozessverlust ersetzt keine konkrete Risikobeurteilung, so dass auf die Pauschalen von vornherein verzichtet werden kann. Es kommt allein darauf an, den Verpflichtungsüberschuss oder die drohende bzw. streitige Verbindlichkeit mit einer quotalen Eintrittswahrscheinlich zu versehen, die entgegen § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB nicht mit Vorsicht, sondern gem. § 43 Abs. 1 GmbHG mit geschäftsmännischer Sorgfalt geschätzt werden muss.
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e) Dokumentation, Sachverständigengutachten Bewertung ist immer Prognose, weil es darum geht abzuschätzen, was für einen Einzelnen oder einen Inbegriff von Vermögensgegenständen erzielt werden kann. Nur die Prognoserisiken sind bei den einzelnen Vermögensgegenständen und Bewertungsverfahren unterschiedlich. Wer ein gängiges Kfz verkaufen will, muss sich im Internet nur die Preise ansehen. Schwieriger ist es hingegen schon bei einer Spezialmaschine. Die größten Risiken bestehen wegen des langen Zeitraums bei der Unternehmensbewertung, auch wenn der Barwert von den erst in ferner Zukunft erwarteten Zahlungsströmen weit geringer als der Nominalwert ist. Für die Beratung folgt daraus, dass die Gründe für die jeweiligen Zahlungserwartungen genau dokumentiert werden müssen. Hilfreich sind auch Sachverständigengutachten zu den Liquidationswerten der einzelnen Vermögensgegenstände. Diese werden für Gegenstände des immobilen und mobilen Anlagevermögens noch am einfachsten erreichbar sein. Für die sonstigen Vermögenswerte sollten die Bewertungsansätze genau dokumentiert werden, damit in einem eventuellen späteren Gerichtsverfahren die Prüfung plausibel dargestellt und nachvollzogen werden kann. In der Praxis sind Gefälligkeitsgutachten des Hausberaters keine Seltenheit. Einer Haftung entzieht er sich dadurch, dass seine Stellungnahme auf den vom Schuldner gelieferten Zahlen beruht.
216 217 218 219
BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, MDR 2004, 103 = ZIP 2003, 2068, 2070. Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 37. Mock in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 159 ff. Schmidt/Roth, ZInsO 2006, 236.
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162
§ 1 Rz. 162 | Schuldnerberatung Notgedrungen kann das Resultat nur eine self fullfilling prophecy sein, die den Schuldner nicht entlastet, wenn er durch die Art des Hinweises erkennen konnte, dass der Berater nichts anderes macht, als die vom Schuldner gelieferten Daten nur neu zu „verpacken“. Anderenfalls kommt eine Haftung des Beraters in Betracht. Sogar eine gemeinsame Haftung ist denkbar, wenn der Berater mit dem Siegel seines Gutachtens eine psychische Beihilfe zur Insolvenzverschleppung begangen hat. Um den Geschäftsführer zu entlasten, muss der Sachverständige sorgfältig und umfassend informiert werden. Außerdem hat der Schuldner das Gutachten auf Plausibilität zu prüfen.220
III. Beseitigung der Insolvenzgründe 163
Eine Sanierung des Schuldners erfordert sowohl absatz- und leistungswirtschaftliche als auch finanzwirtschaftliche Maßnahmen. Der leistungswirtschaftliche Bereich ist regelmäßig die Insolvenzursache. Er ist nur langfristig zu ändern und gehört nicht zur Domäne des Anwalts. Seine Aufgabe beschränkt sich meist darauf, bei der Beseitigung der Insolvenzgründe durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen mitzuwirken. Nur um sie geht es nachfolgend. Im Sinne einer nachhaltigen Sanierung des Unternehmens sollte der Anwalt bei der Erkenntnis, dass leistungswirtschaftliche Defizite vorliegen jedoch den Mandanten dazu anhalten auch diese Defizite abzustellen. Anderenfalls ist dem Mandanten durch eine finanzwirtschaftliche Sanierung zwar kurzfristig, aber nicht langfristig geholfen.
1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit 164
Die Zahlungsunfähigkeit ist beseitigt, wenn die fälligen Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wieder nachhaltig aufgenommen werden.221 Das ist möglich entweder durch eine Zunahme der Zahlungsmittel oder durch eine Abnahme der Zahlungspflichten.
a) Stundung 165
Eine Stundungsvereinbarung ist das am geringsten in die Gläubigerposition eingreifende Mittel. Bei Geldkrediten gehören Prolongationsverhandlungen zum Tagesgeschäft der Banken. Stundungsersuchen gegenüber den Lieferanten sind hingegen mit Vorsicht zu behandeln. Sie vermuten dahinter regelmäßig größere Schwierigkeiten, weil die Bank offenbar nicht mehr bereit ist, eine kurzfristige Zwischenfinanzierung zu gewähren. Die Konsequenz ist, dass zwar eine Stundung bewilligt, dafür aber neue Lieferungen nur Zug-um-Zug abgewickelt werden, was den beabsichtigten Liquiditätseffekt konterkariert. Außerdem sind Überschreitungen der Zahlungsziele ab einer gewissen Dauer den Kreditversicherern zu melden, was zu einem Domino-Effekt führt. Für die Praxis gilt deshalb: Wenn schon eine Verunsicherung der Gläubiger, dann in einem Umfang, dass später nicht „nachgelegt“ werden muss. Die ihnen abverlangten Sanierungsbeiträge müssen auch bei einer schlechter als erwartet eintretenden Entwicklung ausreichen, um eine Insolvenz zu vermeiden; denn die einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit wird nur dann beseitigt, wenn der Schuldner seine Zahlungen allgemein – und damit auch nachhaltig – wieder aufnimmt.222
b) Kreditaufnahme 166
Bevor sich ein Schuldner an die Geschäftspartner wendet, wird er sich um neue Darlehen bemühen. Banken sind jedoch bei der Vergabe von Sanierungskrediten – das sind Finanzierungen zur Vermei-
220 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZIP 2007, 1265. 221 BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837 = ZInsO 2010, 673 Rz. 44 = ZIP 2010, 682; BGH v. 20.11.2008 – IX ZR 188/07, MDR 2009, 352 = ZInsO 2009, 145 Rz. 12 = ZIP 2009, 189. 222 BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, MDR 2007, 1344 = ZIP 2007, 1469.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 169 § 1
dung oder Beseitigung eines Insolvenzgrundes – äußerst zurückhaltend. Die Gründe sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern beruhen insbesondere bei kleinen Häusern auf einer Unsicherheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen.223 aa) Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit Eine Besicherung von Neukrediten stellt ein Bargeschäft dar, bei dem gem. § 142 InsO die Anfechtung eingeschränkt ist224 (vgl. § 13 Rz. 263 ff.). Anders verhält es sich mit der Besicherung von Altkrediten. Sie ist eine inkongruente Deckung,225 die gem. § 131 InsO und unter erleichterten Voraussetzungen auch gem. § 133 InsO der Anfechtung unterliegt (vgl. § 13 Rz. 119 ff.). Der in den AGB der Banken und Sparkassen vorgesehene Nachbesicherungsanspruch bezieht sich nicht auf einen konkreten Gegenstand und vermag deshalb keine Kongruenz zu begründen.226 Allerdings setzt jede insolvenzrechtliche Anfechtung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus. Sollte es dazu kommen, steht die Bank auch nicht schlechter da als ohne die zusätzliche Besicherung des Altkredits. Deshalb werden Neukreditvergaben gelegentlich mit der Nachbesicherung auch des Altkredits verbunden. Damit kann ein Insolvenzantrag verzögert werden, so dass die inkongruente Deckung hinsichtlich des Altkredits aus der Drei-Monats-Frist des § 131 Abs. 1 InsO herausfällt. Eine unentgeltliche Leistung gem. § 134 InsO (vgl. § 13 Rz. 202 ff.), die auch außerhalb dieser Frist angegriffen werden kann, liegt nicht vor; denn die Stellung von Sicherheiten ist ein Minus gegenüber einer (Rück-)Zahlung, darf also nicht unter leichteren Voraussetzungen angefochten werden als eine Befriedigung.227 Das gilt jedenfalls bei einer nachträglichen Besicherung eigener Schuld, während der BGH bei einer Besicherung fremder Schuld selbst bei einem Eigeninteresse des Sicherungsgebers Unentgeltlichkeit annimmt, wenn die Forderung des nachträglich besicherten Gläubigers nicht mehr durchsetzbar ist.228
167
Daneben besteht – außer einem eventuellen Verdikt der Sittenwidrigkeit (s.u.) – für die Besicherung sowohl des Neu- als auch und erst recht des Altkredits die Gefahr der Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO (vgl § 13 Rz. 168 ff.). Wird nur der Neukredit besichert, wird es regelmäßig an einem Nachteil für die Gläubiger fehlen; denn die Vermögensbelastung geht mit einer Vermögenserhöhung in Form der Kreditauszahlung einher. Ausgeschlossen ist die Anfechtung zwar auch dann nicht. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, dass der Schuldner bzw. Geschäftsführer von vornherein die Absicht hat, die Kreditmittel für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden. Das geht mit Geld leichter als mit den zur Sicherheit hingegebenen Vermögensgegenständen, so dass „unterm Strich“ eine Gläubigerbenachteiligung eintreten kann. Der Bank wird so etwas allerdings verschlossen bleiben. Ihr fehlt dann die für § 133 Abs. 1 InsO erforderliche Kenntnis von der Benachteiligungsabsicht, so dass die Anfechtung in der Praxis nur relevant werden kann, wenn – zumindest zusätzlich – ein Altkredit besichert wird.
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Ist sich der Schuldner der Krise bewusst – was ex definitione der Anlass für einen Sanierungskredit ist –, fehlt es ihm am Benachteiligungsvorsatz nur, wenn er subjektiv davon überzeugt sein durfte,
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223 Überblick bei Kiethe, KTS 2005, 179; Schäffler, BB 2006, 56; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553; zum strafrechtlichen Risiko s. Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, 103 ff. zum Haftungsrisiko der organschaftlichen Vertreter der Bank bei der Vergabe von Sanierungskrediten: Witte/Hrubesch, BB 2004, 725, 729 ff. 224 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, MDR 2002, 966 = ZIP 2002, 812, 814. Überblick zur Anfechtung von Kreditsicherheiten bei Bork JuS 2019,656. 225 BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 28/12, NZI 2013, 253 Rz. 23; BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, MDR 2010, 1019 = ZInsO 2010, 807 Rz. 16 = ZIP 2010, 841. 226 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/70, ZInsO 2008, 91 Rz. 17; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, MDR 2002, 966 = ZIP 2002, 812; Feuerborn, ZIP 2002, 290, 293. 227 Ede/Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 142 Rz. 45 ff. 228 BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 21/12, MDR 2013, 680 = ZIP 2013, 223 Rz. 29, 31; BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 71/08, MDR 2009, 1006 = ZIP 2009, 1122 Rz. 12.
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§ 1 Rz. 169 | Schuldnerberatung dass die Zahlungsunfähigkeit nachhaltig beseitigt werden kann.229 Dafür reicht eine aus dem Blauen geschöpfte Hoffnung nicht aus, vielmehr bedarf es konkreter Anhaltspunkte, wobei die Rechtsprechung die pflichtgemäße Einschätzung eines objektiven Dritten erwähnt.230 Der Dritte kann auch der Steuerberater oder Anwalt des Schuldners sein. Da die Kenntnis der Bank vom Benachteiligungsvorsatz vermutet wird, wenn sie von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste, § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO, wird sie ein unabhängiges Sachverständigengutachten verlangen. 170
Für den Sachverständigen gilt jedoch ebenso wie für den Schuldner, dass es nur subjektive Prognosen gibt. Hinzu kommt, dass es ihm in der bei Sanierungen gebotenen Eile häufig nicht möglich sein wird, sich in den Stand der Technik und die Marktverhältnisse einzuarbeiten, um die Wettbewerbssituation zu klären. Auch wird er kurzfristig keine eigene Produkt- bzw. Auftragskalkulation erstellen können. Sein Urteil muss deshalb auf den subjektiven Einschätzungen der jeweiligen Ressortleiter beruhen, auf die er seine eigene subjektive Plausibilitätskontrolle stützt. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des prognostizierten Erfolges erhöht sich dadurch kaum. Die Einschaltung eines Sachverständigen ist deshalb nicht mehr als eine „Versicherung“ dagegen, dass das Verfahren bei Erstellung der Prognose geschäftsmännischer Sorgfalt i.S.d. § 43 Abs. 1 GmbHG widerspricht. Juristisch erforderlich ist das aber nicht. Zu Recht hat der BGH auch andere Indizien gegen den Benachteiligungsvorsatz akzeptiert. Insbesondere ließ er es zum Nachweis des Vertrauens in den Sanierungserfolg ausreichen, dass die Gesellschafter ihr finanzielles Engagement im erheblichen Umfang erhöhten.231 bb) Sittenwidrigkeit
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Eine weitere Gefahr droht dem Sanierungskredit unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit. Die Rechtsfolgen sind – außer der Unwirksamkeit des Kreditvertrages – sowohl die Nichtigkeit der Sicherheitenbestellung, § 138 BGB,232 als auch die Haftung wegen sittenwidriger Schädigung Dritter, § 826 BGB.233 In Form der Übersicherung kommt sie de facto nicht vor, weil der Schuldner in der Krise selten die Kreditforderung übersteigende Sicherheiten aufbringen kann. Auch die Knebelung des Schuldners als eine Fallgruppe der Sittenwidrigkeit ist bei der Vergabe von Sanierungskrediten kaum anzutreffen. Allein die Tatsache, dass die Bank anlässlich einer Nachfinanzierung auch noch das letzte bis dahin freie Vermögen erhält, reicht selbst dann nicht für eine Knebelung aus, wenn sie die einzige Bank ist und nunmehr sämtliche Vermögensgegenstände zur Sicherung innehat; denn für eine Knebelung muss zur Vermögensübertragung die Verfügungsbeschränkung hinzukommen. Erst wenn der Schuldner seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit verliert, wird der Verbotsbereich berührt.234 Daran werden die Banken kein Interesse haben, müssen sie doch sonst sämtliche Einzelverfügungen genehmigen und damit eine Art faktischer Geschäftsinhaberschaft durch personelle Kompetenzen und Weisungsrechte dokumentieren. Solange der Schuldner berechtigt bleibt, im ordnungsgemäßen Geschäftsgang über die Sicherungsgüter zu verfügen, liegt keine Knebelung vor.
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Ein anderer Fall der sittenwidrigen Kreditvergabe besteht darin, dass die Bank in der Krise ihre Stellung rücksichtslos und eigennützig auf Kosten anderer Gläubiger zu verbessern sucht. Ein Beispiel ist das am Umlaufvermögen gesicherte Kreditinstitut, das den Schuldner durch Neukredite „über Wasser“ hält, um die Verwertung unfertiger Erzeugnisse zu ermöglichen und den Erlös in voller Höhe zu vereinnahmen, während die neuen Lieferanten oder auch Gewährleistungsgläubiger von eiligst und
229 Ede/Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 133 Rz. 129 f.; BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, MDR 1993, 528 = ZIP 1993, 276. 230 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (zum Sanierungsprivileg des § 32a Abs. 3 GmbHG); BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, MDR 1993, 528 = ZIP 1993, 276, 280. 231 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248, 252. 232 Ellenberger in Palandt, BGB, § 138 Rz. 86, 97. 233 Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rz. 13, 35 ff. 234 Siehe Überblick bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.8 ff.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 177 § 1
deshalb mangelhaft durchgeführten Leistungen ausfallen.235 Das stellt zugleich eine deliktische Beteiligung an einer Insolvenzverschleppung dar, wenn es sich bei der Schuldnerin um eine juristische Person handelt. Um einer Haftung wegen Sittenwidrigkeit zu entgehen, wird ebenso wie zur Vermeidung einer Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung behauptet, dass erst eine genaue Sanierungsprüfung durch einen Sachverständigen erforderlich sei, bevor ein Neukredit vergeben werden dürfe.236 Das ist jedoch überzogen. Zwar verlangt die Sittenwidrigkeit keine Schädigungsabsicht, die billigende Inkaufnahme der Schädigung anderer Gläubiger reicht aus.237 Die Bank ist aber nicht Hüter der Interessen dieser Gläubiger. Nur eine besonders grobe Nachlässigkeit, bei der die Augen vor der Schädigung Dritter verschlossen werden, rechtfertigt einen solchen Vorwurf.238 Eine Kreditvergabe „ins Blaue“ kommt in der Praxis aber kaum vor. Vielmehr erstellt der Schuldner für die Kreditgespräche ein eigenes Konzept. Dann reicht es aus, wenn die Bank es auf Sorgfalt und Plausibilität prüft. Die Ausführungen zur Bedeutung des Sachverständigengutachtens im Zusammenhang mit der Anfechtbarkeit vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligungen gelten hier erst recht, verlangt die Sittenwidrigkeit doch ein über die Gläubigerbenachteiligung hinausgehendes Unwerturteil.239
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Es gibt Situationen, in denen ein kurzfristiger Kreditbedarf eintritt und noch nicht einmal das Sanierungskonzept des Schuldners vorliegt. Dann kann die Bank für die Dauer der Sanierungsprüfung einen Überbrückungskredit gewähren, ohne sich dem Vorwurf der Sittenwidrigkeit auszusetzen.240
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Eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung der sittenwidrigen Schädigung ist neben der Schädigungsabsicht der Eigennutz. An ihr wird es regelmäßig fehlen, wenn die Bank kein über die Neukreditvergabe hinausgehendes Interesse verfolgt, was insbesondere der Fall ist, wenn der Sanierungskredit bei einer neuen Bank aufgenommen wird. In der Krise wird eine neue Bank Darlehen aber nur dann ausreichen, wenn sie gesellschafterseitig besichert wird. Geschieht dies gar ohne parallel von der Schuldnerin gestellte Sicherheiten, bedarf es für die Neukreditvergabe keiner weiteren Prüfung. Insofern gilt nichts anderes als für die unmittelbare Gesellschafterfinanzierung. Die Gesellschafter sind frei, die Krise durch eine Kapitalerhöhung oder Darlehen zu überwinden, mögen diese Maßnahmen auch von leichtfertiger Hoffnung getragen sein. Ein Sittenverstoß wird ihnen nicht angelastet werden dürfen.
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c) Gesellschafterfinanzierung Von den „Alt-“Gesellschaftern ausgereichte Darlehen sind nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nachrangig, sofern das Kleingesellschafterprivileg nicht eingreift, § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 5 InsO. Für die umgekehrte Konstellation, dass nicht ein Alt-Gesellschafter neue Darlehen, sondern ein Darlehensgeber Neu-Gesellschafter wird, enthält § 39 Abs. 4 S. 2 InsO das sog. Sanierungsprivileg. Es wird auf die Krisenfinanzierung der Alt-Gesellschafter selbst dann nicht analog angewendet, wenn ein Gesellschafter von anderen die Mehrheit zusammenkauft und in diesem Zusammenhang ein neues Sanierungsdarlehen ausreicht.
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Mit der Gesellschafterfinanzierung wird eine Zahlungsunfähigkeit beseitigt, eine Überschuldung jedoch nur, wenn zugleich der Rangrücktritt vereinbart wird. Im Übrigen unterliegt die Kreditvergabe nicht der Gefahr einer Haftung wegen sittenwidriger Schädigung (s. § 5 Rz. 16 ff.).
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235 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.9 ff. 236 So der BGH ursprünglich (BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228) und neuerdings wieder ähnlich (BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248 = ZIP 1998, 248). 237 Ellenberger in Palandt, BGB, § 138 Rz. 8. 238 Ellenberger in Palandt, BGB, § 138 Rz. 40. 239 Koller, JZ 1985, 1013; Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rz. 36. 240 Zu Sanierungskrediten s. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.28 ff.
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§ 1 Rz. 178 | Schuldnerberatung 178
Eine andere Möglichkeit, die Kreditausweitung bei Banken oder Lieferanten zu erleichtern, besteht in der Unterstützung der Gesellschaft durch Abgabe einer Patronatserklärung241 seitens der Gesellschafter. In der Regel handelt es sich hierbei um eine Erklärung gegenüber einem oder mehreren Gläubigern der Gesellschaft. Mit einer Bürgschaft hat sie gemein, dass sie dem Schutz des Gläubigers dient. Von ihr unterscheidet sie sich, indem der Patron nicht unmittelbar eine Zahlung an ihn verspricht, sondern erklärt, dass die schuldnerische Gesellschaft jederzeit ihren Verpflichtungen nachkommen kann. Die „weiche“ Patronatserklärung ist nur eine good-will-Erklärung („wir stehen hinter unserer Gesellschaft, die auch weiterhin in den Konzern eingebunden bleiben wird“). Sie allein führt nicht zur Haftung. Bei einer „harten“ Patronatserklärung begründet der Patron hingegen eine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger, so dass er im Falle der Insolvenz von diesem oder vom Insolvenzverwalter242 aus einem Garantievertrag in Anspruch genommen werden kann.243
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Die Patronatserklärung ist regelmäßig ein Vertrag zwischen Gesellschafter und Gläubiger (externe Patronatserklärung), der üblicherweise über die schuldnerische Gesellschaft vermittelt wird. Nicht selten erklärt der Gesellschafter auch nur ihr gegenüber (intern), sie in die Lage zu versetzen, stets ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Der Sache nach ist das eine unbegrenzte Nachschusspflicht. Da sie keine satzungsrechtliche, sondern eine individualvertragliche Grundlage hat, ist trotz der Ähnlichkeit zu §§ 26 f. GmbHG eine Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag mit der Folge einer Beurkundungsbedürftigkeit nicht erforderlich.244 Auch handelt es sich wegen der beabsichtigten Werterhaltung der Gesellschaftsbeteiligung nicht um ein beurkundungsbedürftiges Schenkungsversprechen.245 Handelt es sich bei der Abrede um eine „harte“ Einstandspflicht, insbesondere mit dem Zweck, ein Insolvenzverfahren zu vermeiden, können werthaltige Ansprüche auf Ausgleich der Überschuldung aktiviert werden.246 Dann bedarf es aber einer Rangrücktrittsvereinbarung des Gesellschafters, weil sonst die Aktivmehrung mit einer Passivmehrung korrespondieren würde.
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Für die Praxis ist zu berücksichtigen, dass die Figur der „harten“ Patronatserklärung eigentlich überflüssig ist; denn im Verhältnis zu den Gläubigern entspricht sie einer Bürgschaft und im Verhältnis zur Gesellschaft einer Verlustausgleichsvereinbarung. Trotzdem bevorzugen viele Mandanten eine Patronatserklärung, weil sie meinen, daraus nicht so leicht wie aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen zu werden. Deshalb ist in der Krise in jedem Fall eine Klarstellung der Haftung erforderlich.
d) Verkauf von Aktiva, Anzahlungen 181
Andere Möglichkeiten der Liquiditätsverbesserung sind Objektfinanzierungen, insbesondere in Form des sale and lease back-Verfahrens. Dabei werden Vermögensgegenstände an eine Leasinggesellschaft verkauft und langfristig zurückgeleast. Hierbei handelt es sich um ein unanfechtbares Bargeschäft, wenn der Kaufpreis dem Verkehrswert des Gegenstandes entspricht, § 142 InsO (zum Ausnahmefall der Absichtsanfechtung s. § 13 Rz. 168 ff.). Hierbei gilt es aber zu bedenken, dass der Verkauf von Aktiva und deren sich daran anschließende Anmietung letztlich der Anfang vom Ende ist. Es werden Vermögensgegenstände mit erheblichem Wert liquidiert, um dann wiederum die Nutzungsmöglich-
241 Überblick bei Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 165 f.; Haußer/Heeg, ZIP 2010, 1427, 1430. 242 Zur Aktivlegitimation s. Kiethe, ZIP 2005, 646; Wolf, ZIP 2006, 1885. 243 BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, BGHZ 117, 127, 130 ff. = MDR 1992, 367 = ZIP 1992, 338; BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, MDR 2003, 868 = BB 2003, 1300, 1302 = ZIP 2003, 1097. 244 Scholz/Cziupka, GmbHG, § 3 Rz. 109, Scholz/Emmerich, § 26 Rz. 7. 245 BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, MDR 2006, 1356 = ZIP 2006, 1199. 246 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, MDR 2010, 1403 = ZInsO 2010, 2137 Rz. 17, 18, 35 = ZIP 2010, 2092; OLG Celle v. 18.6.2008 – 9 U 14/08, ZIP 2008, 2416, 2417. Diese Ansprüche sind entgegen LG München II v. 25.2.2004 – 5 O 6088/02, ZInsO 2004, 626, 628, selbstverständlich auch im Insolvenzverfahren durchsetzbar, BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, MDR 2011, 885 = ZInsO 2011, 1115 Rz. 19 = ZIP 2011, 1111.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 184 § 1
keit des Gegenstandes gegen Zahlung einer Miete zu sichern. Ein solches Geschäft führt der Unternehmer nur durch, wenn er auf anderem Weg keine Liquidität erhält; sprich andere Finanzierungsformen bereits ausgereizt sind. Wenn dann auch noch die so gewonnene Liquidität verbraucht ist, droht spätestens die Insolvenz. Wertvolle Zeit, die zu einer Beseitigung der Verlustbringer und der Sanierung des Unternehmens erforderlich ist, ist dann oftmals vertan. In Betracht kommt des Weiteren eine Liquiditätsschöpfung aus dem Umlaufvermögen. Darunter fällt zunächst der Forderungsverkauf, der jedoch regelmäßig daran scheitert, dass die Forderungen bereits einer Bank zur Sicherheit abgetreten wurden. Bei einer Abhängigkeit des Kunden von dem notleidenden Schuldner ist auch dessen Einbindung in die Sanierung beispielsweise durch vorgezogene Anzahlungen möglich. Der Vorratsabbau ist ebenso wie die Reduzierung der Forderungslaufzeiten ein Weg, der regelmäßig schon beschritten wurde, bevor externe Beratung in Anspruch genommen wird. Der Anwalt stellt dann meist fest, dass das Vorratsvermögen als Kleid für das sog. „window dressing“ herhalten musste. Das sind schmückende Vorräte und Forderungen, die längst hätten wertberichtigt worden sein müssen. Zur Vorbereitung von Sanierungsverhandlungen sollte darauf besonderes Augenmerk gelegt und die Werthaltigkeit mit Personen aus dem schuldnerischen Unternehmen besprochen werden, die ohne gesteigertes Eigeninteresse Hinweise geben können. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass Unternehmen wieder vermehrt auf das Instrument des echten Factoring zurückgreifen, da Kreditinstitute oftmals die Forderungen eines Unternehmens nicht als Basis für eine Finanzierung ansehen. Hier kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass das Unternehmen sich durch eine zu frühe Fakturierung einer Forderung noch vor Auslieferung der Ware oder auch durch sog. „Luftrechnungen“ Liquidität von Seiten des Factors „borgt“. Diese Handlungen stellen Betrugstatbestände i.S.d. § 263 StGB dar und der Mandant sollte tunlichst auf die straf- und zivilrechtliche Relevanz seines Handelns hingewiesen werden.
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2. Beseitigung der Überschuldung a) Maßnahmen Aktiva aa) Verkauf von Aktiva Beseitigung der Überschuldung heißt Vermögensmehrung oder Schuldenminderung. Für die Vermögensmehrung reicht es nicht aus, dass stille Reserven aufgedeckt werden; denn das ist im Überschuldungsstatus schon geschehen. Dort werden die Verkehrswerte angesetzt, ohne dass es eines Verkaufs bedarf. Bei einem Stützungskauf von Vermögensgegenständen durch Gesellschafter können jedoch höhere Beträge zustande kommen. Sie wollen damit allerdings häufig „zwei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen: Der Vermögensgegenstand, bspw. ein Grundstück, dient der finanzierenden Bank als Sicherheit für einen Kredit, den die Gesellschafter verbürgt haben. Für sie ist es ein wirtschaftlich neutrales Geschäft, wenn sie die Immobilie statt z.B. für einen Verkehrswert von 800 € für 1.000 € erwerben, den Kaufpreis an die Bank zahlen und in dieser Höhe von ihrer Bürgenhaftung frei werden. Dabei wird jedoch regelmäßig § 135 Abs. 2 InsO übersehen. Sollte es später zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen, wird der Verwalter den Gesellschafter auf Erstattung des an die Bank geflossenen Kaufpreises in Anspruch nehmen. Das ist allerdings nur möglich, wenn der Eröffnungsantrag innerhalb eines Jahres seit der Handlung gestellt wird.
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bb) Wertgarantie Statt eines Verkaufs von Aktiva kommt auch die Garantie eines über dem mutmaßlichen Verkehrswert liegenden Betrages in Betracht, um die Überschuldung zu beseitigen. Außerdem ist eine Garantie sinnvoll, wenn zweifelhaft ist, ob bestimmte Vermögensgegenstände (z.B. Forderungen oder Erlöse aus noch fertig zu stellenden Arbeiten) den in der Überschuldungsbilanz angegebenen Wert haben. Dann kann sich ein Dritter oder ein Gesellschafter verpflichten, eine etwaige Differenz zum Realisationswert an die Schuldnerin auszugleichen.
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§ 1 Rz. 185 | Schuldnerberatung cc) Erhöhung des Stammkapitals (Registerpublizität) 185
Die Kapitalerhöhung schlägt sich buchhalterisch auf der Passivseite nieder, bewirkt aber im Überschuldungsstatus eine Erhöhung des Reinvermögens. Als Erstes kommt die Stammkapitalerhöhung in Betracht. Zwar lassen sich Gesellschafterversammlungen relativ kurzfristig einberufen (§ 51 Abs. 1 GmbHG: eine Woche; § 123 AktG: 30 Tage). Ein akuter Liquiditätsbedarf wird aber von maßgebend beteiligten Gesellschaftern gelegentlich schon vor einer Beschlussfassung befriedigt. Dann stellt sich die Frage, ob die Einlage wirksam erbracht ist, weil bis zur beurkundeten Beschlussfassung noch nicht einmal im Innenverhältnis der Gesellschafter untereinander ein Rechtsgrund für die Einlageleistung besteht. Häufig zeichnen die Gesellschafter nur deshalb eine Kapitalerhöhung, weil bestimmte, ihnen nahestehende oder für ihren eigenen, außerhalb der Gesellschaft bestehenden Geschäftsbetrieb wichtige Gläubiger daraus befriedigt werden sollen. Solche Verwendungsabsprachen können insbesondere bei Direktzahlungen an die Gläubiger dazu führen, dass die erhöhte Einlage nicht geleistet wurde. Eine Kapitalerhöhung wird in der Krise regelmäßig mit einer Kapitalherabsetzung verbunden, wenn neue Gesellschafter hinzutreten. Damit soll erreicht werden, dass die Altgesellschafter, deren Beteiligungen durch die Verluste der Gesellschaft unterhalb der Nominalwerte liegen, dieselben Mitgliedschaftsrechte repräsentieren wie die durch den Einsatz von „fresh money“ erworbenen Neu-Anteile. Hierfür bietet sich die vereinfachte Kapitalherabsetzung gem. § 58a GmbHG an. Fehler bei Kapitalveränderungen können auch bei einem mit der Gesellschaft geschlossenen Beratungsvertrag die Haftung des Anwalts gegenüber den Gesellschaftern begründen (vgl. Rz. 22 ff.), aber auch gegenüber dem Geschäftsführer, wenn der Geschäftsführer es unterlässt, eine fehlerhaft geleistete Einlage ein zweites Mal einzufordern. Für die Einzelheiten wird auf § 6 zur „Gesellschafterberatung“ verwiesen. dd) Kapitalerhöhung ohne Registerpublizität
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Die vorgenannten Risiken resultieren allein aus der Formstrenge der Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsvorschriften, die an das im Handelsregister publizierte Kapital anknüpfen.
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Solange die Publizität nicht berührt wird, ist jede Form der Vermögenszuführung zulässig, insbesondere auch ein „Debt-Equity-Swap“. Dabei werden Verbindlichkeiten in die Rücklagen umgegliedert, so dass sich das Eigenkapital erhöht. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf die Bewertung der „swappenden“ Forderung zu legen. Es handelt sich bei dem „Debt-Equity-Swap“ um eine Form der Sachkapitalerhöhung. Wenn die „swappende“ Forderung zu hoch bewertet wird, trifft den Gläubiger und Neugesellschafter unter Umständen in der Folge die Haftung für den Fehlbetrag nach § 7 Abs. 1 GmbHG. Der Gläubiger kann, wenn er nicht ohnehin schon Gesellschafter ist, einen bestehenden oder geringen neuen Anteil im Wege der Barkapitalerhöhung erwerben, meist kombiniert mit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung. Im Gesellschaftsvertrag können ihm darüber hinaus besondere Mitsprache- und Vermögensrechte als Gegenleistung dafür eingeräumt werden, dass er auf Forderungen verzichtet oder der Gesellschaft Vermögensgegenstände überträgt. In der GmbH sind weder Mehrstimm- noch Mehrgewinnrechte verboten. Bei der AG scheitert das zwar am Gleichbehandlungsgebot der §§ 53, 134 Abs. 2 AktG. Aber auch hier sind Ausweichlösungen denkbar wie beispielsweise die Umwandlung von Schulden in Genussrechte, vgl. § 221 Abs. 4 AktG. Die Überschuldung wird dadurch allerdings nur beseitigt, wenn sich die Genussrechte auf einen Anspruch auf künftige Gewinne oder einen Liquidationsüberschuss erstrecken.247 Ansonsten kommen stille Beteiligungen oder partiarische Darlehen in Betracht. Bei ihnen ist darauf zu achten, dass die Rückzahlungsforderungen wie bei einem Besserungsschein nur aus einem Vermögenszuwachs befriedigt werden dürfen.248 Sonst muss die Passivierung im Überschuldungsstatus beibehalten werden, was sich für stille Beteiligungen aus § 236 Abs. 1 HGB und für partiarische Darlehen aus dem Charakter als normale Verbindlichkeit ergibt.
247 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 42. 248 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 43.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 190 § 1
b) Maßnahmen Passiva aa) Besserungsschein, Rangrücktrittsvereinbarung Im Unterschied zum „Debt-Equity-Swap“ gewährt ein „Besserungsschein“ keine Beteiligung an einem nach der Sanierung wieder steigenden Unternehmenswert, sondern im günstigen Fall nur die Tilgung der Nominalforderung, evtl. zzgl. Zinsen. Denkbar ist allerdings, beides in Form eines besserungsbedingten partiarischen Darlehens zu kombinieren.
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(1) Gestaltungsmöglichkeiten Der Besserungsschein kommt in zwei Varianten vor: als Forderungsverzicht oder als Rangrücktrittserklärung. Der Forderungsverzicht ist ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) unter der auflösenden Bedingung, dass die Forderung nach Maßgabe der Besserungsabrede (= Besserung der Vermögensverhältnisse) wieder auflebt. Die Rangrücktrittsvereinbarung, die seit dem MoMiG gesetzlich geregelt ist (§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO), ist eine (verfügende)249 Änderung des Schuldverhältnisses250 mit dem Inhalt, dass der Gläubiger die Forderung im Insolvenzverfahren nur mit Nachrang und außerhalb des Insolvenzverfahrens nur aus einem künftigen Vermögenszuwachs geltend machen darf. Um den Gesellschaftern einen Anreiz für die Stärkung des Eigenkapitals zu bieten, wird der Vermögenszuwachs durch Kapitalerhöhungen meist nicht als Besserung angesehen, die eine Fälligkeit der zurückgetretenen Schuld herbeiführen soll. Allerdings kann die Beschränkung auf Gewinne zu einem steuerpflichtigen Sanierungsgewinn führen (s.u.). Die Vereinbarung über ein „Wieder-Vortreten“ der Verbindlichkeit ist wirtschaftlich dem Bedingungseintritt beim Forderungsverzicht gegen Besserungsschein gleichwertig. Beide Gestaltungsmittel sind zur Beseitigung der Überschuldung nach Maßgabe der im Folgenden erläuterten Besonderheiten weitgehend austauschbar. Unterschiede gibt es vor allem in den steuerlichen Konsequenzen und bei den Sicherheiten.
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(2) Auswirkungen auf Sicherheiten Die Auswirkungen auf die Sicherheiten sind konträr: Beim Forderungsverzicht erlöschen die akzessorischen Sicherheiten (z.B. Mobiliarpfandrecht, Hypothek, Bürgschaft) und die nicht akzessorischen sind zurückzugeben,251 es sei denn, dass etwas anderes vereinbart wird. So kann die nicht akzessorische Sicherheit durchaus bestehen bleiben, um für die später evtl. wieder auflebende Forderung zu haften. Für eine Sanierung ist das in der Regel jedoch nicht hilfreich.
249 K. Schmidt, FS Raupach, 405; der selbst in einem qualifizierten Rangrücktritt nur ein pactum de non petendo sieht, während die herrschende Meinung den Rangrücktritt als Inhaltsänderung der Forderung und damit als Verfügung über dieses Recht ansieht. Dem ist zuzustimmen, Roth/Altmeppen, GmbHG, § 42 Rz. 49 f. wäre es keine Inhaltsänderung, müsste ein selbstständiges Leistungsverweigerungsrecht konstruiert werden, damit der Schuldner auch bei einer Abtretung der Forderung dem neuen Gläubiger den Rangrücktritt entgegenhalten kann, § 404 BGB. Um die Verfügung kommt man somit nicht umhin. Wesentlich ist der Verfügungscharakter in den Fällen, in denen nachträglich ein Rangrücktritt vereinbart wird, z.B. um eine spätere Inanspruchnahme wegen Insolvenzverschleppung zu vermeiden. Da dingliche Rechtsänderungen immer nur ex nunc wirken und eine Rückwirkung allein im Innenverhältnis zwischen den beteiligten Parteien möglich ist, arg. e § 159 BGB, kann auf diese Weise der Schutz der Rangrücktrittsvereinbarung unbeteiligten Gläubiger nicht umgangen werden. 250 Knobbe-Keuk, ZIP 1983, 127, 140; wohl auch Lutter/Hommelhoff/Timm, BB 1980, 737, 740; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1337; Priester, DB 1991, 1917, 1920. 251 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 41; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 1.1349; Bsp. Grundschuld: aus Sicherungsabrede oder §§ 875, 1183, 1192 BGB.
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§ 1 Rz. 191 | Schuldnerberatung 191
Umgekehrt beseitigt der Rangrücktritt nur die Durchsetzbarkeit der Forderung, so dass keine Verwertungsreife eintritt. Zurückzuübertragen sind die Sicherheiten erst mit Insolvenzeröffnung, weil dann eine Verwertungsreife endgültig ausscheidet.252
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Für die Praxis empfiehlt sich eine genaue Regelung der Sicherheiten. In beiden Fällen ist es ungünstig, einerseits die Durchsetzbarkeit der Forderung von einem Sanierungserfolg abhängig zu machen, ihn andererseits aber dadurch zu erschweren, dass die alten – beim Forderungsverzicht nur die nicht akzessorischen – Sicherheiten für neue Kredite blockiert bleiben. Bestehen auch externe, insbesondere von den Gesellschaftern gestellte Sicherheiten, sind Gläubiger regelmäßig nicht gewillt, mithaftende Dritte aus dem Obligo zu entlassen. Ihre Position sollte gemeinsam und ausdrücklich geregelt werden. Das gilt sowohl für den Forderungsverzicht gegen Besserungsschein, weil z.B. Gesellschafterbürgschaften sonst entfallen, als auch für die Rangrücktrittsvereinbarung, die zur Durchsetzungssperre (§ 768 BGB), u.U. sogar zum Verlust der Bürgenhaftung (vgl. §§ 767 Abs. 1 Satz 3, 776 BGB) führen kann. (3) Auswirkungen auf die (Steuer-)Bilanz, Umsatzsteuer
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In der Handels- und in der Steuerbilanz führt ein Forderungsverzicht dazu, dass die Passivierung entfällt.253 Die Tatsache, dass die Verbindlichkeit bei späteren Gewinnen wieder entsteht, ist nicht wie ein rückstellungspflichtiges schwebendes Geschäft zu behandeln. Für das Steuerrecht ist das in § 5 Abs. 2a EStG ausdrücklich erwähnt. Die Konsequenz ist, dass sich aus dem Forderungsverzicht ein Sanierungsgewinn ergibt, der mit Verlustvorträgen – im Rahmen der dafür geltenden Begrenzung („Mindestbesteuerung“) – verrechnet werden kann.
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Eine Sonderrolle spielt der Forderungsverzicht des Gesellschafters. Der Verzicht kommt der Leistung einer – außerhalb einer förmlichen Stammkapitalerhöhung erbrachten – Einlage gleich, aber nur insoweit, als die Forderung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch einlagefähig ist. Sie ist es nur in Höhe ihres werthaltigen Anteils. Der darauf entfallende Verzicht ist als Einlageleistung nicht ertragswirksam. Im Übrigen bleibt es bei der gewinnerhöhenden Wirkung, wie sie auch dem Forderungsverzicht eines „normalen“ Gläubigers zukommt.254
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Verbleibt nach der Verrechnung mit Verlustvorträgen ein Sanierungsgewinn, ist er steuerpflichtig, wobei die darauf entfallende Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer aus Billigkeitsgründen erlassen werden kann. Die Einzelheiten regelt der Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27.3.2003 zur ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen, Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 222, 227 AO).255 Zur Berechnung der Steuer hat das Bayerische Landesamt für Steuern in Abstimmung mit den Landesfinanzbehörden am 23.10.2006 eine Verfügung erlassen.256 Sofern ausreichend Zeit vorhanden ist, sollte zur Vermeidung steuerlich nachteiliger Folgen eine verbindliche Auskunft bei der Finanzverwaltung beantragt werden. Erfahrungsgemäß ist diese innerhalb von vier bis sechs Wochen zu erhalten. Für den Bereich der Gewerbesteuer ist die Frage der Stundung und des Erlasses oftmals mit erheblich größeren Komplikationen belastet, da hier die Gemeinde, ggf. auch mehrere und nicht die Finanzverwaltung zuständig ist. Werden zudem noch Anteile übertragen, ist die Vorschrift des § 8c Abs. 1a KStG zu beachten, deren Anwendbarkeit allerdings momentan wegen eines vor dem EuGH laufenden Verfahrens in Frage steht und bis zur endgültigen Klärung vorübergehend außer Kraft gesetzt ist.257 Es ist damit zu rechnen, dass auf dem Gebiet des Sanie-
252 Zum Ganzen s. Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239, 241. 253 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1339. 254 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BB 1997, 1735. Zur Anwendung durch die Finanzverwaltung BMF-Schreiben v. 2.12.2003 – IV A 2 - S 2743-5/03, DStR 2004, 34 f.; dazu Budde, ZInsO 2010, 2251, 2265; Schwenker/Fischer, DStR 2010, 1117, 1119; Hoffmann, DStR 2004, 293 ff. 255 BMF v. 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140-8/03, ZIP 2003, 690 ff. Dazu Janssen, BB 2005, 1026. 256 NZI 2007, 94; Erläuterung bei Crezelius, NZI 2007, 91, 92. 257 BMF-Schreiben v. 30.4.2010.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 199 § 1
rungssteuerrechts in den kommenden Jahren Änderungen durch den Gesetzgeber erfolgen. Bei der Beratung sollten daher die steuerrechtlichen Fragestellungen ein besonderes Augenmerk erhalten. Demgegenüber lässt die Rangrücktrittsvereinbarung die handelsrechtliche Passivierung der Verbindlichkeit unberührt.258 Gleiches gilt für die Steuerbilanz,259 es sei denn, dass die Verbindlichkeit nur aus künftigem Gewinn oder sonstigem freien Vermögen bedient werden soll.260 Nur dann entfällt die Schuld in der Steuerbilanz mit der Folge, dass ein Sanierungsgewinn entsteht. Will man für die Gesellschafter einen Anreiz zur Kapitalerhöhung schaffen, die nicht sofort durch den Eintritt der Besserungsbedingung zugunsten der zurückgetretenen fremden Gläubiger verpufft, ist das möglich, solange die Besserungsbedingung nicht allein an künftige Gewinne anknüpft.261
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Ein in der Praxis meist übersehenes Problem stellt die Umsatzsteuer dar. Wird eine Lieferantenforderung uneinbringlich, muss die daraus von der Schuldnerin gezogene Vorsteuer korrigiert und dem Finanzamt wieder erstattet werden, § 17 UStG. Der Uneinbringlichkeit steht ein Forderungsverzicht des Gläubigers oder sogar eine Vereinbarung gleich, mit der er für unbestimmte Dauer auf die Durchsetzung seiner Forderungen verzichtet.262 Deshalb wird man eine Vorsteuerkorrektur auch bei einem Rangrücktritt annehmen müssen. Auswirkungen hat das sowohl auf die Zahlungsunfähigkeit als auch auf die Überschuldung, weil mit der Umsatzsteuerkorrektur eine sofort fällige Verbindlichkeit entsteht. Dies kann dadurch vermieden werden, dass mit dem Lieferanten erfüllungshalber vereinbart wird, den Zahlungsanspruch in ein Darlehen umzuwandeln (Novation). Dann wird er so behandelt, als hätte er den Betrag erhalten und an die Schuldnerin als Kredit ausgereicht.263 Dazu wird der Gläubiger allerdings nur schwer bereit sein, weil die Vorsteuerkorrektur beim Schuldner mit einem Erstattungsanspruch bei ihm korrespondiert, der Gläubiger bei einer solchen Novation mithin auf diesen Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt verzichtet.
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(4) Auswirkungen auf den Überschuldungsstatus Im Überschuldungsstatus entfällt sowohl die erlassene als auch die nur zurückgetretene Verbindlichkeit. Der frühere Streit, welche Rangtiefe ein Rangrücktritt haben muss, ist heute nicht mehr relevant. Durch § 19 Abs. 2 S. 2 InsO ist klargestellt, dass ein Rücktritt in den Rang des § 39 Abs. 2 InsO und daher vor § 199 S. 2 InsO genügt.
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(5) Formulierungshinweise Neben dem Rangrücktritt müssen die Bedingungen formuliert werden, unter denen der Gläubiger bei einer Erholung des Schuldners wieder bedient wird. Im Allgemeinen wird das – bei einer beabsichtigten Stilllegung des Geschäftsbetriebs – an den Liquidationsüberschuss oder – bei Fortsetzung – an den handelsrechtlichen Bilanzgewinn geknüpft. Damit bleiben der Gesellschaft allerdings handelsrechtliche Bilanzierungswahlrechte, mit denen sie die Besserungsbedingung steuern kann. Auch kann sie den Gewinn durch Verrechnungspreise mit nahe stehenden Unternehmen beeinflussen. Treu und Glauben gem. § 242 BGB werden diese Gestaltungsmöglichkeiten erst begrenzen, wenn sie (evident) missbräuchlich ausgenutzt werden. Deshalb wird häufig eine Zinsregelung getroffen, so dass der Schuldner an einer Verzögerung des Eintritts der Besserungsbedingung kein Interesse hat. Bei einer 258 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235 ff. m. Anm. Altmeppen; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1341 m.w.N.; OLG Frankfurt v. 20.2.2003 – 3 U 37/99, GmbHR 2004, 53 m. Anm. Blöse. 259 BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04, ZIP 2006, 249. 260 BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, GmbHR 2012, 406 Rz. 20; Klein, GmbHR 2005, 663, 669. 261 Zu den steuerlichen Auswirkungen verschiedener Gestaltungen: Kammeter/Geißelmeier, NZI 2007, 214; Heerma/Heerma, ZIP 2006, 2202. 262 BFH v. 10.3.1983 – V B 46/80, BStBl. II 1983, 389; Lippross, UStG, 750 f. 263 Vgl. FG Münster v. 5.9.1995 – 15 K 4867/92, EFG 1996, 295.
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§ 1 Rz. 199 | Schuldnerberatung Rangrücktrittserklärung laufen die vereinbarten Zinsen ohnehin weiter, falls sie nicht ausdrücklich von dem Rangrücktritt erfasst werden. Fälligkeits- oder Verzugszinsen entstehen hingegen nicht (mehr). Bei einem Forderungsverzicht entfallen die Zinsen im Zweifel mit der Hauptforderung. (6) Muster (a) Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen
200
M 1 Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen zwischen der … – Bank – im Folgenden „Bank“ genannt – und der Firma […] – im Folgenden „Kreditnehmer“ genannt – 1. Erlöschen von Forderungen Bank und Kreditnehmer sind sich darüber einig, dass aus ihren Krediten, die sich per … (Abrechnungstag) auf … Euro zuzüglich Zinsen von … Euro belaufen, Forderungen in Höhe von … Euro zuzüglich sämtlicher Zinsen erlöschen. (Oder: Die Forderungen einschließlich Zinsen von insgesamt … Euro erlöschen in Höhe von … Euro.) 2. Sicherheiten Die für diese Kredite bestellten Sicherheiten wird die Bank dem Kreditnehmer in gesonderten Vereinbarungen zurückübertragen, soweit sie nicht ohnehin kraft Gesetzes erlöschen oder aufgrund vertraglicher Vereinbarung an ihn zurückfallen oder nicht erloschene Forderungen sichern. Für die nicht erloschenen Forderungen bleiben folgende Sicherheiten bestehen: … 3. Wiederaufleben von Forderungen Die nach Nr. 1 erloschenen Forderungen werden wieder aufleben, sobald und soweit ihre Erfüllung dem Kreditnehmer aus einem Vermögenszuwachs möglich ist. Maßgebend ist der im Jahresabschluss ausgewiesene Bilanzgewinn i.S.v. § 268 Abs. 1 HGB, jedoch vor Dotierung von Rücklagen, vor Gewinnausschüttungen und vor Passivierung der auflebenden Forderungen. Wird die Gesellschaft liquidiert, tritt an die Stelle des Bilanzgewinns ein die sonstigen Schulden übersteigender Liquidationserlös. Damit ist der Forderungsverzicht auflösend bedingt. Die erloschenen Zinsansprüche leben nicht wieder auf. Zinsen werden erst berechnet, wenn und soweit die Forderungen wieder entstehen. Der Zinslauf beginnt am Ende des Geschäftsjahres, in dem die Voraussetzungen für das Wiederaufleben der Forderungen eingetreten sind. Die wieder entstandenen Forderungen sind drei Wochen nach Feststellung des Jahresabschlusses, spätestens jedoch zum 1. Oktober des Folgejahres fällig. Oder: Auf die erloschene Forderung werden kalkulatorisch X % p.a. ab Unterzeichnung dieser Vereinbarung berechnet. Sie sind unter denselben Voraussetzungen wie die wiederauflebende Forderung zur Zahlung fällig, wobei zunächst die kalkulatorischen Zinsansprüche und erst danach die Hauptforderung wieder entstehen.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 202 § 1 Dem Kreditnehmer bleibt der Nachweis vorbehalten, dass trotz eines handelsrechtlichen Bilanzgewinns, der zum Wiederaufleben der Forderung führt, am Bilanzstichtag eine insolvenzrechtliche Überschuldung bestand. Soweit und solange dies der Fall ist, kann er von der Bank verlangen, sich nicht auf den Eintritt der Besserungsbedingungen zu berufen. Das Gleiche gilt, soweit und solange die wiederauflebenden Forderungen zu einer Zahlungsunfähigkeit führen. 4. Verhältnis zu anderen Gläubigern/Gesellschaftern Mehrere in gleicher Form verzichtende Gläubiger sind anteilig im Verhältnis ihrer Forderungen zu behandeln. Diese Vereinbarung steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass alle Gesellschafter auf sämtliche Forderungen, die ihnen am Abrechnungstag zustanden, verzichten bzw., soweit seither Zahlungen erfolgt sind, diese der Gesellschaft erstatten und aus einer Besserungsvereinbarung erst bedient werden, nachdem sämtliche von diesem Verzicht erfasste Forderungen der Bank beglichen worden sein werden. 5. Unterrichtungspflichten Der Kreditnehmer verpflichtet sich, der Bank jeweils spätestens sechs Monate nach seinem Bilanzstichtag einen Jahresabschluss vorzulegen, der von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater testiert ist. Unabhängig davon hat die Bank das Recht, jederzeit die Vorlage von Bilanzen und zusätzlichen Unterlagen zu verlangen und Einsicht in die Geschäftsbücher des Kreditnehmers zu nehmen. Ort, Datum … …
…
Unterschrift Bank
Unterschrift Kreditnehmer
Die Besserungsbedingung knüpft im Formulierungsvorschlag an den Bilanzgewinn an. Das ist aus zwei Gründen problematisch. Der Bilanzgewinn ist ein Gewinn nach Saldierung mit sämtlichen Verlustvorträgen, betrifft also auch die Verrechnung mit dem Eigenkapitalverlust. Es kann deshalb passieren, dass die Besserungsbedingung erst eintritt, nachdem ein hohes Eigenkapital wieder erwirtschaftet wurde. Das lässt sich vermeiden, indem man den „Bilanzgewinn abzüglich eines Betrags X“ als Bemessungsgrundlage vereinbart.
201
Der Gefahr der „Übersanierung“ durch die vorrangige Beseitigung des Verlustvortrages einerseits steht das Risiko der „Untersanierung“ andererseits gegenüber: Anlass für den Forderungsverzicht ist die Überschuldung. Sie bemisst sich nach den Verkehrs-, nicht aber nach den Bilanzwerten. Wenn die Besserungsbedingung aus Vereinfachungsgründen an den Bilanzwerten festgemacht wird, muss dem Kreditnehmer der Nachweis offen gehalten werden, dass ein im insolvenzrechtlichen Sinn die Schulden übersteigendes Vermögen noch nicht erwirtschaftet wurde und auch keine positive Fortführungsprognose im Sinne des zuvor dargestellten besteht. Dies wird regelmäßig eine komplexere Prüfung sein und daher kann die Anknüpfung an die Bilanzwerte erhebliche Gefahren für einen Rückfall des Unternehmens in eine Überschuldung bieten. Es sollten daher bei einer Vereinbarung über Besserungsscheine erhebliche Puffer einkalkuliert werden, um nicht die Fortbestehensprognose durch neuerlich entstehende Verbindlichkeiten zu belasten.
202
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§ 1 Rz. 203 | Schuldnerberatung (b) Rangrücktrittsvereinbarung
203
M 2 Rangrücktrittsvereinbarung zwischen … – im Folgenden „Gläubiger“ genannt – der Firma … – im Folgenden „Schuldnerin“ genannt – und den Gesellschaftern der Firma … [Forderungsfeststellung wie bei der Verzichtsvereinbarung gemäß Rz. 200 oben] 1. Rangrücktritt264 Zur Vermeidung der Überschuldung tritt der Gläubiger mit seinen Ansprüchen auf Rückzahlung und Verzinsung265 seines vorbezeichneten Darlehens im Rang hinter die Forderungen aller bestehenden und künftigen Gläubiger der Gesellschaft zurück, so dass er die Erfüllung dieser Ansprüche nur verlangen kann, soweit ein Liquidationsüberschuss oder ein die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigendes Vermögen (eventuell: zuzüglich eines Eigenkapitals in Höhe von …) oder ein sonstiges freies Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung steht. Im Falle eines Insolvenzverfahrens hat die Forderung den Rang nach § 39 Abs. 1 InsO, aber vor § 199 Satz 2 InsO. 2. Anpassungsverlangen Die Rangrücktrittsvereinbarung ist auf Verlangen des Gläubigers aufzuheben oder auf einen Teilbetrag seiner rangrücktrittbehafteten Forderung zu beschränken, wenn durch die Aufhebung keine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit entsteht oder zu entstehen droht. 3. Gesellschafteransprüche Am Abrechnungsstichtag bestehende Ansprüche der Gesellschafter dürfen erst befriedigt werden, nachdem sämtliche Ansprüche des Gläubigers befriedigt worden sind, mit denen er in dieser Vereinbarung zurückgetreten ist. Ort, Datum …
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…
…
Unterschrift Gläubiger
Unterschrift Schuldnerin
Statt des Anpassungsverlangens kann auch vereinbart werden, dass die Rangverbesserung wie beim Muster für den Forderungsverzicht automatisch i.S. einer Bedingung eintritt. bb) Forderungsbeschränkungsvertrag
205
Sanierungsverhandlungen scheitern leicht an unterschiedlichen Auffassungen der gesicherten Gläubigers über den Wert der Sicherheiten und damit über die Angemessenheit eines Forderungsverzichts. Bei dem Ringen um Erlassquoten rechtfertigt jeder seine geringere Verzichtsbereitschaft damit, dass er bei einer Sicherheitenverwertung im Insolvenzverfahren besser stünde. Zur Streitvermeidung kann eine Forderungsbeschränkungsvereinbarung hilfreich sein, die bewirkt, dass der gesicherte Gläubiger nur aus dem Verwertungserlös seiner Sicherheiten befriedigt wird, während der Rest (= Ausfall) das 264 Vgl. Kahlert/Gercke, DStR 2010, 227, 230; Kussmaul, DB 2002, 2258, 2259 f. 265 Die Zinsen können von dem Rangrücktritt ausgenommen werden.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 208 § 1
Schicksal der ungesicherten Forderungen teilt, insbesondere also nur mit einer Quote befriedigt wird. Für den Überschuldungsstatus folgt daraus, dass eine Erhöhung oder Verringerung des Wertes der Sicherheit auf der Aktivseite mit einer entsprechenden Veränderung der gesicherten Verbindlichkeit korrespondiert. Wie bei einer Wertgarantie werden also Bewertungsrisiken reduziert und eine Gleichbehandlung der Gläubiger erleichtert. In der Vereinbarung sind die Verwertungskosten der Schuldnerin zu berücksichtigen. Das umfasst insbesondere die Kosten der Verarbeitung von Vorräten. cc) Gleichbehandlung bei außergerichtlicher Sanierung? Bei jeder außergerichtlichen Sanierung gibt es „Akkordstörer“. Sie hoffen darauf, dass genügend andere Gläubiger verzichten, um das Unternehmen zu retten, und sie dann in voller Höhe befriedigt werden; denn kein Schuldner will nach weitgehend gelungener Sanierung ein Insolvenzverfahren nur wegen eines nicht verzichtenden Restes an Gläubigern einleiten. Ein solches „Trittbrettfahren“ ist nicht rechtsmissbräuchlich.266 Eine Zustimmungspflicht kraft Treuebindung, wie sie für Gesellschafter bei Sanierungsmaßnahmen besteht,267 gibt es zwischen den Gläubigern nicht. Ihr Votum kann in einem Restrukturierungsplan (§§ 2 ff. StaRUG), der gerichtlich bestätigt wird, überstimmt (§ 25 StaRUG) oder ersetzt (§ 26 StaRUG) werden (vgl. § 2 Rz. 97). Alternativ auch in einem Insolvenzplanverfahren „überstimmt“ (§§ 243 f. InsO) oder ersetzt (§ 245 InsO) werden (vgl. § 3 Rz. 296 ff.), (vgl. § 3 Rz. 70).
206
Bei der außergerichtlichen Sanierung gibt es kein Gleichbehandlungsgebot.268 Jeder Gläubiger kann sich mit einer geringeren Quote zufrieden geben als ein anderer.269 Kaum ein Gläubiger wird jedoch auf Forderungen verzichten, wenn andere voll befriedigt werden. Das ist so lange ein unbeachtlicher Motivirrtum, solange der Schuldner nicht ausdrücklich oder konkludent erklärt, dass er sämtliche Gläubiger gleich behandelt. Verstößt er dagegen und erfährt der Gläubiger von seiner Benachteiligung, wird er den erlassenen Teil unter Berufung auf eine arglistige Täuschung oder Vertragsverletzung wieder fordern.270 Nach Auffassung des KG271 soll dann sogar der gesamte Vergleich mit allen Gläubigern unwirksam sein. Ein solches Ergebnis ist zwar fraglich. In der einen wie der anderen Konstellation wäre die Überschuldung jedoch nicht endgültig beseitigt worden, wenn später ein oder mehrere Gläubiger erhebliche Nachforderungen stellen können. Kommt es schließlich doch noch zum Insolvenzverfahren, laufen die Geschäftsführer Gefahr, eine Insolvenzverschleppung begangen zu haben, weil sie diese Nachforderungen von vornherein im Überschuldungsstatus per Rückstellung hätten passivieren müssen.
207
Um das zu vermeiden, werden Forderungen „hartnäckiger“ Gläubiger gelegentlich von einem nahe stehenden Unternehmen aufgekauft, das sich anschließend mit der Quote am Sanierungsvergleich beteiligt. Derartige „Zuschüsse“ von außen für bestimmte Gläubiger sind zulässig. Hier liegt ein Gestaltungsvorteil gegenüber der Insolvenzplansanierung, bei der der BGH Forderungskäufe zur Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses für unlauter i.S.v. § 250 Nr. 2 InsO hält.272
208
266 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, MDR 1992, 252 = NJW 1992, 967, 969 f. = ZIP 1992, 191. 267 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, MDR 2011, 742 = ZIP 2011, 768 Rz. 20 f.; BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, MDR 2010, 95 = ZIP 2009, 2289 Rz. 23 f.; BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 = MDR 1988, 474 = ZIP 1988, 301 für Mehrheitsaktionär; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = ZIP 1995, 819 = ZIP 1995, 1415 = ZIP 1996, 161 für Minderheitsaktionär; K. Schmidt, GesR, § 20 IV.2.c. 268 A.A.: Uhlenbruck in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Rz. 437. 269 Zum Gleichbehandlungsgebot bei der Ablehnung eines Insolvenzantrages mangels Masse BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, MDR 2000, 1388 = ZIP 2000, 1896, 1897 f.; Bespr. K. Schmidt, GmbHR 2000, 1225, 1228; s. auch Wimmer/Scholl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 9. Kap. Rz. 123: Gläubiger können sich Titel verschaffen und mittels Einzelpfändung pfänden. 270 RG v. 23.2.1937 – VII 222/36, RGZ 153, 395, 397; KG v. 28.4.1980 – 20 U 310/80, ZIP 1980, 963, 965. 271 KG v. 26.4.2000 – 23 U 9752/97, ZInsO 2001, 79. 272 BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, MDR 2005, 829 = ZIP 2005, 719.
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§ 1 Rz. 209 | Schuldnerberatung 209
Bei einer Sanierung nach dem seit dem 1.1.2021 in Kraft getretenen StaRUG können die Gläubiger – ähnlich wie in einem Insolvenzplanverfahren – in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden (§ 9 StaRUG), wenn hierzu ein sachlicher Grund vorliegt und dann auch unterschiedlich behandelt werden. Innerhalb einer Gruppe müssen aber alle Gläubiger gleich behandelt werden (§ 10 StaRUG). Insgesamt müssen sie aber alle besser durch den Restrukturierungsplan gestellt werden, als sie ohne diesen stünden, § 27 StaRUG. Der Restrukturierungsplan ist aber für überstimmte oder nicht teilnehmende Gläubiger nur bindend, wenn er gerichtlich bestätigt wird, § 67 Abs. 1 StaRUG. Eine weitere Möglichkeit des StaRUG ist der im Rahmen einer Sanierungsmoderation (§§ 94 ff. StaRUG) mögliche Sanierungsvergleich. Dieser bietet aber gesetzlich keine Möglichkeit eines Überstimmens eines hartnäckig sich weigernden Gläubigers.
c) Praxishinweise 210
Jede Sanierung ist zuerst ein Planungs- und dann ein Kommunikationsproblem. Es hat überhaupt keinen Sinn, mit Außenstehenden in Verhandlungen zu treten, ohne vorher ein stimmiges Konzept erarbeitet zu haben. Anderenfalls wird das Gegenteil erreicht: Banken kündigen ihre Kredite, Lieferanten die Zahlungsziele, Kunden die Bestellungen und die qualifiziertesten Arbeitnehmer ihren Arbeitsvertrag. Jede noch so gute Absicht scheitert, wenn es nicht gelingt, die Nachricht von der Krise mit Vertrauen in die Fortführung zu verbinden.
211
Die Kommunikation der Krisenmaßnahmen wird nicht durch Rundschreiben ersetzt. Mit den wichtigsten Geschäftspartnern müssen persönliche Gespräche und Verhandlungen geführt werden. Die Reihenfolge kann sich an der Fristigkeit der Kapitalüberlassung orientieren: Zunächst sind es die – wegen § 49 Abs. 3 GmbHG ohnehin zu informierenden – Gesellschafter, dann die stillen Gesellschafter, danach die Banken und schließlich die wesentlichen Lieferanten oder auch Kunden, mit denen das Konzept abgestimmt wird. Eine wichtige Rolle spielen die Arbeitnehmer, die erfahrungsgemäß zu Sanierungsbeiträgen bereit sind, wenn deutlich gemacht wird, dass sie der Unternehmenserhaltung und nicht der Umverteilung zugunsten der Gesellschafter dienen. Betriebsräte und Gewerkschaften können hier einen positiven Beitrag leisten, wenn mit ihnen transparent und offen kommuniziert wird. Nur der Pensionssicherungsverein hat sich in dieser Kette als ungeeignet erwiesen, weil er zunächst die Reaktion anderer Gläubiger abwarten muss.273 Das Gleiche gilt für Gläubigergruppen, die aus tatsächlichen Gründen kurzfristig nicht handlungsfähig sind, bspw. die Inhaber von börsennotierten Anleihen.
212
Ab der ersten Verhandlung mit einem Lieferanten sind unbedingt sämtliche Kreditversicherer über die Sanierungsmaßnahmen zu informieren. Erfahren sie von dritter Seite, dass der Schuldner seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann, kündigen sie die Linien ihrer Versicherungsnehmer. Das führt sofort zu Lieferverzögerungen mit der Folge von Leerkosten etc., Erschwernisse, die in der Krise erst recht nicht verkraftet werden können.
213
Allerdings ist es unmöglich, derartige Zusatzkosten völlig zu vermeiden. Jede betriebswirtschaftliche Krise, die sich bis zum Insolvenzeröffnungsgrund vertieft hat, kostet immer (wesentlich) mehr als Maßnahmen in einem Zeitpunkt, zu dem die Geschäftsführung noch keinem insolvenzrechtlichen Handlungszwang unterliegt. Diese Kosten sind im Sanierungskonzept unbedingt zu berücksichtigen.
214
Genauso wichtig wie Konzept und Kommunikation ist die persönliche Kompetenz der Unternehmensleitung. Einem Berater wird es kaum gelingen, Banken von den Zukunftsaussichten des Unternehmens zu überzeugen, wenn die Geschäftsführung ihren persönlichen „Kredit“ verspielt hat. Die
273 Da er kein Insolvenzantragsrecht besitzt, nimmt er erst im eröffneten Verfahren, und zwar im Planverfahren, als Gläubigergruppe teil; Gottwald/Uhlenbruck/Schmahl, InsRHdb, § 8 Rz. 44; Gottwald/Braun, InsRHdb, § 67 Rz. 52.
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe | Rz. 216 § 1
Anamnese früherer Sanierungsversuche muss für den Anwalt wesentlicher Bestandteil der Vorbereitung von Gläubigergesprächen sein. In manchen Regionen gibt es sog. „runde Tische“, an denen Vertreter der Landesregierung, der örtlichen Handelskammer und der beteiligten Banken mit dem Schuldner sowie seinen Beratern Sanierungsgespräche führen. Eine solche Runde löst das Kommunikationsproblem, wenn sie rechtzeitig zusammentritt, was selten der Fall ist. Die erste Unterredung endet häufig mit der Beauftragung eines Gutachtens, dessen Finanzierung gelegentlich mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird. Die Geschäftsführer der Schuldnerin meinen dann, dass ein Abwarten des Ergebnisses nichts Unrechtes sein könne, wenn diese Phase „offiziell“ begleitet werde. Stattdessen läuft jedoch die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO. Darauf muss der beratende Anwalt nicht nur hinweisen, sondern hat gegebenenfalls auch seine weitere Unterstützung zu versagen, wenn sie als Beihilfe zur Insolvenzverschleppung gewertet werden könnte (Rz. 1 ff.), (§ 8 Rz. 36).
215
Es bleibt abzuwarten, wie sich das StaRUG mit seinen Möglichkeiten auch auf die außergerichtliche, konsensuale Sanierung auswirkt. Aus ersten Fällen lässt sich bereits vermuten, dass sich Akkordstörer ggf. in Zukunft auch ohne einen Restrukturierungsplan nach dem StaRUG „einfangen“ lassen, wenn eine nachhaltige Drohung mit dem Überstimmen im Rahmen eines StaRUG Verfahrens in Betracht kommt. Die Praxis wird aber erst in einigen Jahren zeigen, ob das StaRUG und seine Möglichkeiten ggf. bereits bei einer davor liegenden konsensualen Sanierung argumentativ erfolgreich zur Hilfe genommen werden können.
216
Andres | 65
§2 Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen I. 1. 2. 3. II.
1. 2.
3.
4. III. 1. 2. IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
8. 9. 10.
11. 12.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Struktur . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten . . . . . Restrukturierungsfähigkeit . . . . . . . . . Anzeige des Restrukturierungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Anzeige . . . . . . . . . . . . . Wirkungen der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens . . . . . . . . a) Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot von Lösungsklauseln . . . . . . Öffentliche Bekanntmachung . . . . . . . Beteiligung von Arbeitnehmern und Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . Gläubigerbeirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Restrukturierungsplan . . . . . . . . . Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . Eingriffsbefugnisse in Gesellschafterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung und Aufbau . . . . . . . . . . . . Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten (Vergleichsrechnung) . . . . . . . . . . . . . . Regelungen bei persönlicher Haftung . Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Planangebot und Planannahme . . . c) Planerörterungs- und Abstimmungstermin . . . . . . . . . . . . d) Vorprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustimmung und Zustimmungsersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Minderheitenschutz nach § 64 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sofortige Beschwerde gem. § 66 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 5
9 9 10 11 14 22 22 26 29 32 34 36 42 42 56 58 65 70 71 79 79 80 85 94 97 104 109 109 111 114 118
VI. Der Restrukturierungsbeauftragte . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der obligatorische Restrukturierungsbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der fakultative Restrukturierungsbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Restrukturierungsbeauftragte als Gutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die fakultative Bestellung nach §§ 77 ff. StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswahl und Bestellung . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Aufgaben des von Amts wegen bestellten Restrukturierungsbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Aufgaben des auf Antrag bestellten Restrukturierungsbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Vergütung und Haftung . . . . . . . . . . . . a) Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Stabilisierungsmaßnahmen . . . . . . 1. Vollstreckungssperre und Verwertungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vollstreckungssperre . . . . . . . . . . . . b) Verwertungssperre . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsbereich und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . bb) Folgen der Verwertungssperre . . 2. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt des Antrages . . . . . . . . . . . . . b) Dem Antrag beizufügende Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Notwendige Erklärungen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerichtlicher Prüfungsumfang . . . . b) Anforderungen an die Restrukturierungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Voraussetzungen . . . . . . . . d) Folgen bei Mängeln . . . . . . . . . . . . . e) Erschwerter Zugang . . . . . . . . . . . . . 4. Dauer der Stabilisierungsanordnung . . 5. Entscheidung und Rechtsfolgen . . . . . . a) Gerichtliche Entscheidung und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 123 124 131 131 132 134 141 144 145
149 150 150 157 159 162 162 165 165 168 176 176 179 181 185 185 188 190 193 194 196 199 199
Böhm | 67
§ 2 Rz. 1 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen
VIII. 1. 2. 3.
b) Vertragsrechtliche Wirkungen . . . . . c) Kreditverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . Pflichten der Geschäftsleitung, Haftung und Anfechtung . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten außerhalb einer Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . Pflichten und Haftung nach Anzeige der Restrukturierungssache . . . . . . . . . a) Die Pflichten nach § 32 StaRUG . . .
200 205 206 206 207 214 214
IX. X. 1. 2. 3. 4.
b) Haftung nach § 43 StaRUG . . . . . . . c) Haftung nach § 57 StaRUG . . . . . . . d) Haftungsprivilegierung nach § 89 Abs. 3 StaRUG . . . . . . . . . . . . . Finanzierung und Anfechtbarkeit . . . . Die Sanierungsmoderation . . . . . . . . . Zugangsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . Der Sanierungsmoderator . . . . . . . . . . Der Sanierungsvergleich . . . . . . . . . . . . Verfahrensdauer und Beendigung . . . .
221 224 227 228 231 232 233 238 242
I. Einführung 1. Entstehungsgeschichte 1
Durch das StaRUG1 wurde zum 1.1.2021 mit dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ein völlig neues, eigenständiges Verfahren eingeführt, das die Lücke zwischen den Möglichkeiten einer außergerichtlichen, nach Rechtsprechungsregeln funktionierenden Sanierung und den nach den strengen Formalien des Insolvenzverfahrens regulierten Sanierungen schließen soll. Die Initiative geht zurück auf die EU, die in ihren Bemühungen zur Vereinheitlichung der Rechtsordnungen im Bereich der Sanierung und Insolvenz die Richtlinie 2019/10232 erlassen hat. In dieser Richtlinie wurde den Mitgliedsstaaten aufgegeben, ein Gesetz zur Abwendung einer Insolvenz einzuführen.
2
Der in Anlehnung an die EU-Richtlinie sog. „präventive Restrukturierungsrahmen“ wurde in der Fachwelt intensiv und kontrovers diskutiert. Von der einen Seite wurde das Instrument mit Hinweis auf das funktionierende Insolvenzrecht als unnötig abgetan, von institutionellen Gläubigern als Gefahr für die Finanzierungen eingeschätzt und von Seiten der Sanierungsberater dagegen als zwingend notwendiges Mittel begrüßt, um Blockadesituationen in Restrukturierungsverhandlungen zu überwinden. Wesentlicher Diskussionspunkt war dabei zum einen, wie das von der Richtlinie geforderte Abstandsgebot zum Insolvenzverfahren im deutschen Recht umgesetzt werden sollte. Die Richtlinie wollte das Verfahren für Unternehmen ermöglichen, bei denen es eine „likelihood of insolvency“ gibt.3 Dieser Anknüpfungspunkt schien einigen Kritikern schwer vereinbar mit dem deutschen Insolvenzrecht zu sein, da der Insolvenzgrund der Überschuldung bereits frühzeitig ansetzt und im Rahmen der Tatbestandsprüfung eine Prognose, ob der Schuldner die Zahlungsfähigkeit erhalten kann, anzustellen ist.4 Ein weiterer, stark kontroverser und die Grundstruktur des Verfahrens betreffender Punkt war die Frage, ob in dem Verfahren eine Möglichkeit angeboten werden sollte, dass sich das in der Restrukturierung befindliche Unternehmen von Verträgen lösen kann. Dies war in Deutschland bisher nur dem Insolvenzverfahren vorbehalten. Kritiker empfanden die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung, wie
1 Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen als Art. 1 des SanInsFoG vom 22.12.2020, BGBl. 2020 I, 3256. 2 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Überschuldung und Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132, Amtsblatt der Europäischen Union vom 26.6.2019, L 172/18. 3 RL EU 2019/1023, L 172/22. 4 Vgl. zur Diskussion z.B. Piekenbrock, NZI Beilage 1/2019, 47; Thole, ZInsO 2019, 1622, noch zur alten Rechtslage bis 31.12.2020, wonach die Überschuldung ausschied, wenn die Zahlungsfähigkeit für das laufende und das folgende Geschäftsjahr bestand.
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I. Einführung | Rz. 7 § 2
sie der Regierungsentwurf5 vorsah, als zu weitgehend und gegen den Grundsatz „pacta sunt servanda“ verstoßend. Befürworter hielten dies für einen bedeutenden Schritt in Richtung eines starken Sanierungsverfahrens, das den Sanierern große Optionen eröffnet hätte. Nachdem es in dem verabschiedeten Gesetz hierzu nicht gekommen ist, verbleibt es dabei, dass das Verfahren sich vornehmlich für finanzielle Restrukturierungen eignet, bei denen die in der Regel auch notwendige leistungswirtschaftliche Sanierung ohne die Sonderkündigungsrechte eines Insolvenzverfahrens auskommen muss.
2. Aufbau und Struktur Das StaRUG gliedert sich in vier Haupteile, nämlich die Krisenfrüherkennung und das Krisenmanagement (Teil 1, § 1), den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Teil 2, §§ 2–93), die Sanierungsmoderation (Teil 3, §§ 94–100) und die Frühwarnsysteme (Teil 4, §§ 101–102). Das Gesetz ist als modulares System aufgebaut nach dem Prinzip, dass sich der Schuldner die für ihn konkret erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen im Einzelfall auswählen kann. Die verschiedenen Instrumente werden im 2. Kapitel 1. Abschnitt des 2. Teils in den §§ 29 ff. StaRUG zunächst nur aufgeführt. Der Schuldner kann aus diesen Instrumenten je nach Bedarf auswählen und hat dabei auch die Möglichkeit, das Verfahren ohne Gerichtseinbindung durchzuführen. Wie die einzelnen vom Schuldner zu wählenden Instrumente ausgestaltet sind, findet sich dann in den folgenden Abschnitten des 2. Kapitels.
3
Kernelement des Verfahrens ist der Restrukturierungsplan, der im 1. Kapitel des 1. Teils unter den §§ 2 ff. StaRUG normiert wird. Er gliedert sich wie ein Insolvenzplan in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil. Die Beteiligten können über ihn mit oder ohne gerichtliche(r) Beteiligung entscheiden. Mit dem Restrukturierungsplan kann der Schuldner in die Rechte einzelner Gläubigergruppen eingreifen. Er kann dabei entscheiden, in welche Gläubigerrechte eingegriffen werden soll. Denn anders als im Insolvenzverfahren gilt nicht der Grundsatz der Gesamtabwicklung und Gesamtgläubigergleichbehandlung.6
4
3. Verfahrensablauf Der Restrukturierungsrahmen steht jeder insolvenzfähigen Person offen (Ausnahme § 1 Abs. 19 KWG), solange ein Insolvenzgrund noch nicht eingetreten ist und sie nur drohend zahlungsunfähig ist. Für natürliche Personen ist das Verfahren nur zugänglich, soweit sie unternehmerisch tätig sind (§ 30 StaRUG).
5
Das Verfahren beginnt mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei Gericht (§ 31 StaRUG). Ziel ist es, dass die Mehrheit der vom Restrukturierungsplan betroffenen Gläubiger diesem zustimmt. Der Schuldner hat dabei die Möglichkeit, das Verfahren außergerichtlich (§§ 17 ff. StaRUG) oder gerichtlich (§ 23 i.V.m. §§ 45 f. StaRUG) durchzuführen. Er kann für die außergerichtlichen Planverhandlungen einen vom Gericht zu bestimmenden Sanierungsmoderator hinzuziehen (§§ 94 ff. StaRUG). Außerdem kann auf Antrag des Schuldners ein (fakultativer) Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden, der bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzepts und -plans sowohl den Schuldner als auch die Gläubiger unterstützt (§§ 77 ff. StaRUG). Darüber hinaus kann das Gericht Stabilisierungsanordnungen erlassen, insbesondere ein Vollstreckungs- oder Verwertungsverbot (§§ 49 ff. StaRUG).
6
Mit dem Restrukturierungsplan hat der Schuldner die Möglichkeit, in die in § 2 StaRUG aufgeführten Ansprüche und Forderungen einzugreifen. Dies umfasst nicht nur bestehende Forderungen (Restrukturierungsforderungen, § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), sondern auch bestehende Rechte am schuldnerischen Vermögen, die im Falle eines Insolvenzverfahrens ein Absonderungsrecht begründen würden
7
5 §§ 51–55 StaRUG gemäß RegE SanInsFoG vom 14.10.2020, BT-Drucks. 19/24181. 6 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 89.
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§ 2 Rz. 7 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Absonderungsanwartschaften, § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) sowie auch die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§ 2 Abs. 1, Abs. 3 StaRUG) und Rechte gegenüber verbundenen Unternehmen (§ 2 Abs. 4 StaRUG). Von besonderer Bedeutung für finanzielle Restrukturierungen ist, dass nicht nur Forderungen und Sicherungsrechte umgestaltet werden können, sondern durch § 2 Abs. 2 StaRUG auch die Umgestaltung bestimmter vertraglicher Einzelbestimmungen, insbesondere bei Konsortialfinanzierungen und Finanzierung von Schuldtiteln, möglich ist. Nicht regelbar sind im Restrukturierungsplan allerdings Forderungen von Arbeitnehmern und solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (§ 4 StaRUG). 8
Um sein Ziel zu erreichen, kann der Schuldner sämtliche in § 29 StaRUG aufgeführten Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nutzen: das gerichtliche Planabstimmungsverfahren, die gerichtliche Vorprüfung, die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der Rechtsdurchsetzung und die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans.
II. Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten 1. Restrukturierungsfähigkeit 9
Die Restrukturierungsfähigkeit gem. § 30 StaRUG läuft im Wesentlichen gleich mit der Insolvenzfähigkeit nach der InsO. Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, dass der Restrukturierungsrahmen für alle Schuldner eröffnet ist, für die auch ein Insolvenzverfahren möglich ist.7 Im Grundsatz können alle natürlichen und juristischen Personen, nicht rechtsfähigen Vereine und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit die Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente der §§ 29 ff. StaRUG in Anspruch nehmen. Bei natürlichen Personen wird die Restrukturierungsfähigkeit jedoch begrenzt auf diejenigen, die unternehmerisch tätig sind, § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Ausgenommen sind Unternehmen der Finanzbranche i.S.d. § 1 Abs. 19 KWG.
2. Anzeige des Restrukturierungsvorhabens 10
Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist eine den Vorgaben des § 31 StaRUG entsprechende Anzeige beim zuständigen Restrukturierungsgericht. Die Anzeige dient insbesondere zur Vorbereitung und Informationsgewinnung des Restrukturierungsgerichtes. Sie sollte daher möglichst frühzeitig erfolgen.8
a) Zuständiges Gericht 11
Das Restrukturierungsgericht ist nach § 34 StaRUG an dem AG zu bilden, in dessen Bezirk ein OLG seinen Sitz hat. Die daraus resultierende Konzentration soll eine professionelle, der wirtschaftlichen Komplexität gerecht werdende Behandlung durch die Gerichte gewährleisten.9 In der Praxis werden die Restrukturierungsgerichte von denselben Richtern und Rechtspflegern gebildet, die an den Insolvenzgerichten des jeweiligen AG tätig sind.
12
Für die örtliche Zuständigkeit ist nach § 35 StaRUG der allgemeine Gerichtsstand entscheidend. Bei einem abweichenden Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners, liegt dort der (ausschließliche) Gerichtsstand. Da eine vorgeschlagene „Suspektperiode“10 entsprechend den Regelungen
7 8 9 10
Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 133. Haffa/Schuster in Braun, StaRUG, § 31 Rz. 8. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 141. Vorgeschlagen von Frind in ZInsO 2020, 2241.
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II. Inanspruchnahme von Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten | Rz. 19 § 2
der EUInsVO nicht geregelt wurde, kann ein „Forum Shopping“ durch kurzfristige Sitzverlegung nicht ausgeschlossen werden.11 Mit der Anzeige wird die Restrukturierungssache rechtshängig (verfahrensrechtliche Funktion der Anzeige), so dass für sämtliche Sanierungsinstrumente nun stets dasselbe Gericht zuständig ist, § 36 StaRUG. Das Gericht kann auf Wunsch des Schuldners auch für ein sich etwaig anschließendes Insolvenzverfahren örtlich zuständig bleiben, wenn bei dem dortigen Restrukturierungsgericht Instrumente des § 29 StaRUG in Anspruch genommen worden sind, § 3 Abs. 2 InsO.
13
b) Inhalt der Anzeige Der Anzeige sind kumulativ die in § 31 Abs. 2 StaRUG aufgeführten Anlagen zwingend beizufügen, die das Gericht insbesondere in die Lage versetzen sollen, die Notwendigkeit der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 1 StaRUG zu prüfen.12
14
Demzufolge hat der Schuldner den Entwurf eines Restrukturierungsplanes oder alternativ, konnte dieser noch nicht ausgearbeitet werden, zumindest ein Konzept für die Restrukturierung vorzulegen. Dieses muss unter Darstellung der Art, des Ausmaßes und der Ursachen der zu bewältigenden Krise das Restrukturierungsziel und die Maßnahmen beschreiben, die zur Erreichung des Restrukturierungsziels ergriffen werden sollen.
15
Bei der Frage, ob der Schuldner ausnahmsweise noch keinen Restrukturierungsplan zur Begründung der Rechtshängigkeit vorlegen muss, ist dem Restrukturierungsgericht ein weiter Ermessensspielraum zuzugestehen. Dabei hat es zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber offensichtlich bewusst dem Schuldner einen weiten Handlungsspielraum und größtmögliche Flexibilität einräumen wollte.13
16
Allerdings ist, wenn noch kein Restrukturierungsplan vorgelegt werden kann, mit dem Konzept die ernsthafte und gründliche Auseinandersetzung mit dem Sanierungsvorhaben zu belegen. Der Gesetzgeber fordert damit zumindest in Grundzügen, das darzulegen, was auch beispielsweise in einem Sanierungsgutachten nach IDW S 6 darzulegen wäre. Allerdings dürfen die Voraussetzungen an die Detailtiefe und die Konkretisierung nicht überspannt werden, so dass die an ein Grobkonzept als Vorstufe für ein Sanierungskonzept anzulegenden Anforderungen ausreichen müssen, wie sie sich aus dem IDW-Standard S 9 ergeben.14
17
Der Gesetzgeber räumt dem Schuldner einen Zeitraum von sechs Monaten ein, um sein Restrukturierungsvorhaben mit den Gläubigern zu verhandeln und den Plan einzureichen, § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG.15 Es ist also möglich, dass der Schuldner bei der Anzeige zunächst ein Grobkonzept vorlegt, dieses konkretisiert und im Rahmen seiner weiteren Verhandlungen und Ermittlungen anpasst. Zu fordern ist aber, dass der Schuldner mit der Anzeige belegt, dass er sich bereits intensiv und ernsthaft mit dem Restrukturierungsvorhaben auseinandergesetzt hat. Es soll vermieden werden, dass der Schuldner durch die Anzeige und die Stabilisierungsmaßnahmen das Verfahren nutzt, um eine Sanierung oder ein Insolvenzverfahren hinauszuzögern, ohne eine ernsthafte Sanierungsaussicht oder Konzeption zu haben.
18
Des Weiteren ist der Stand der Verhandlungen mit den Beteiligten darzulegen. Entsprechend der Begründung des Regierungsentwurfes soll dadurch dem Gericht eine Einschätzung ermöglicht werden,
19
11 12 13 14
Baumert in Braun, StaRUG, § 35 Rz. 10. Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18 ff., 19. Vgl. hierzu Haffa/Schuster in Braun, StaRUG, § 31 Rz. 10. Dies nimmt das IDW in seiner an das BMJV gerichteten Stellungnahme vom 2.10.2020 zum RefE SanInsFoG an, dort S. 6; abrufbar unter https://www.idw.de/blob/120372/3d6ea9f2a8ce115d92f2fd8cddcb 7901/down-positionspapier-restrukturierung-data.pdf, zuletzt abgerufen am 8.3.2021. 15 Haffa/Schuster in Braun, StaRUG, § 31 Rz. 30.
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§ 2 Rz. 19 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen wieviel Zustimmung das Vorhaben erfährt und ob mit Widerständen zu rechnen ist, die ggf. durch die Anordnung von Stabilisierungsmaßnahmen bewältigt werden können.16 20
Da den Schuldner nach § 32 StaRUG umfangreiche Pflichten treffen, hat er auch darzulegen, wie er sicherstellt, dass er diese erfüllen kann. Da zur Erfüllung dieser Pflichten umfangreiche Sanierungsexpertise, insbesondere auch rechtliche Kenntnisse erforderlich sind, wird man hier im Regelfall fordern müssen, dass sich, wie es bereits im Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren üblich ist, der Schuldner nicht zwingend im Organ, aber zumindest durch entsprechende Berater die notwendige Expertise hinzu holt.17
21
In besonderen Fällen ergeben sich außerdem Anzeigetatbestände aus § 31 Abs. 2 Satz 2–4 StaRUG, nämlich dann, wenn beabsichtigt ist, dass auch Verbraucher oder kleine und mittlere Unternehmen in die Restrukturierung eingebunden werden sollen. Dies dürfte, da die Instrumente auf Finanzrestrukturierungen zugeschnitten sind, eher die Ausnahme darstellen und im Hinblick auf die damit einher gehenden zusätzlichen Anforderungen und den erhöhten Kommunikationsbedarf auch nur in wenigen Fällen angeraten sein.
3. Wirkungen der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens a) Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache 22
Durch die Anzeige wird die Restrukturierungssache gem. § 31 Abs. 3 StaRUG rechtshängig, ohne dass es einer Entscheidung des Gerichts bedarf.18 Ab diesem Zeitpunkt kann der Einwand der Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 ZPO erhoben werden, so dass auch eine danach erfolgende Sitzverlegung nicht zu einer Änderung der örtlichen Zuständigkeit führen würde.19
23
Ob der vorgelegte Restrukturierungsplan bzw. das Restrukturierungskonzept den inhaltlichen Anforderungen genügt, spielt für die Rechtshängigkeit keine Rolle. Der Gesetzgeber wollte bewusst die aus einer entsprechenden Anknüpfung resultierende Rechtsunsicherheit vermeiden.20
24
Wichtigste Folge der Rechtshängigkeit ist das gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG eintretende Ruhen der Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB. Stattdessen hat der Schuldner aber die Pflicht, den Eintritt eines Insolvenzgrundes dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen, § 42 Abs. 1 StaRUG. Da die Verletzung dieser Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 3 StaRUG strafbewehrt ist, muss der Schuldner während des gesamten Restrukturierungsverfahrens die Erkennbarkeit des Eintritts der Insolvenzreife sicherstellen.21
25
Die Rechtshängigkeit endet nach § 31 Abs. 4 StaRUG mit der Rücknahme der Anzeige durch den Schuldner, dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über die Planbestätigung, der Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Gericht oder nach Ablauf der Maximalfrist von zwölf Monaten, wenn der Schuldner die Sechs-Monats-Frist verlängert hat.
b) Verbot von Lösungsklauseln 26
Eine wesentliche Voraussetzung für jede erfolgreiche Restrukturierung ist, dass der Geschäftsbetrieb nicht negativ beeinflusst wird. Durch die Einleitung und vor allem Bekanntgabe eines Restrukturie-
16 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 135. 17 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 135. 18 Gerichtliche Maßnahmen schließen sich an die Anzeige der Restrukturierungssache nicht zwingend an, vgl. Vallender, ZInsO 2020, 2677 und NZI-Beilage 2021, 30. 19 Vgl. Haffa/Schuster in Braun, StaRUG, § 31 Rz. 23. 20 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 136. 21 Haffa/Schuster in Braun, StaRUG, § 31 Rz. 25.
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II. Inanspruchnahme von Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten | Rz. 31 § 2
rungsvorhabens könnten einzelne Vertragspartner erwägen, zur Risikovermeidung vorsorglich die Geschäftsbeziehung zu beenden. Aufgrund der Vorgaben in Art. 7 Abs. 5 RL haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass weder die Beantragung noch die Eröffnung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens oder die Gewährung der Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen Anknüpfungspunkt für vertragliche Klauseln sind, die es ohne weiteres ermöglichen, sich vom Vertrag zu lösen, Leistungen fällig zu stellen, zu verweigern oder eine Anpassung des Vertrages zu verlangen.22 Dies wurde in § 44 StaRUG umgesetzt, der entsprechende vertragliche Vereinbarungen für unwirksam erklärt. Ausgenommen hiervon sind gem. § 44 Abs. 3 StaRUG Geschäfte nach § 104 Abs. 1 InsO und Vereinbarungen nach § 104 Abs. 3 und 4 InsO, also Warentermin- und Finanzleistungsverträge einschließlich Finanzsicherheiten nach § 1 Abs. 17 KWG.
27
Knüpfen also Vereinbarungen an einem der genannten Ereignisse an, sind diese unbeachtlich. Allerdings sind andere Anknüpfungspunkte weiterhin zulässig. Wie der Gesetzeswortlaut „ohne Weiteres“ deutlich macht, kann bei Hinzutreten anderer bzw. weiterer Gründe, wie z.B. einem Schuldnerverzug oder auch einer sonstigen Leistungsstörung, diese von dem Verbot der Lösungsklauseln nicht berührt sein.23 Dies bedeutet, dass Vertragsregelungen, die an andere Umstände als die Einleitung einer Restrukturierungssache anknüpfen, zulässig sind, wie etwa das außerordentliche Kündigungsrecht wegen wesentlicher Vermögenverschlechterung in § 19 Abs. 3 AGB-Banken. Gesetzliche Lösungsrechte bleiben von § 119 InsO und damit auch von § 44 StaRUG unberührt.24
28
4. Öffentliche Bekanntmachung Von der Anzeige beim Restrukturierungsgericht zu unterscheiden ist die Frage, ob das Restrukturierungsvorhaben öffentlich bekannt gemacht werden soll. Während die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bzw. nach einem Insolvenzantrag angeordnete Sicherungsmaßnahmen im Internet, im Handelsregister und im Bundesanzeiger von Amts wegen bekannt gemacht werden, und damit im Regelfall entsprechende Reaktionen von Kunden und Lieferanten des Unternehmens erfolgen, besteht die Möglichkeit, sowohl die Sanierungsmoderation, als auch das Restrukturierungsverfahren ohne öffentliche Bekanntmachung durchzuführen. Allerdings kann die Veröffentlichung einer Restrukturierungssache – nicht der Sanierungsmoderation25 – auf Antrag des Schuldners nach § 84 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erfolgen. Insbesondere wenn der Restrukturierungsplan nur den Eingriff in die Rechte einer bestimmten Gläubigergruppe, beispielsweise die der Finanzgläubiger, vorsieht, ist ein Verzicht auf die mit der Veröffentlichung erfolgende Publizität zu überlegen.
29
Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass nur mit einer öffentlichen Bekanntmachung die Restrukturierungssache als Insolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO qualifiziert wird und damit europaweite Anerkennung erhält. Die entsprechenden Vorschriften treten allerdings erst am 17.7.2022 in Kraft.26
30
Voraussetzung für die Anerkennung ist allerdings, dass der Antrag auf öffentliche Bekanntmachung vor der ersten Entscheidung des Restrukturierungsgerichts erfolgt, die dann als Eröffnungsentscheidung i.S.d. Art. 2 Nr. 7 EuInsVO gilt. Soll also der Restrukturierungsplan auch unter Einbeziehung von Forderungen im Ausland ansässiger Gläubiger umgesetzt werden oder z.B. für Schuldverschreibungen, deren Verträge einen Gerichtsstand im Ausland vorsehen, muss sich der Schuldner daher frühzeitig überlegen, ob die Beantragung der öffentlichen Bekanntmachung der Restrukturierungssache nach § 84 StaRUG nicht sinnvoll und notwendig ist.
31
22 Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie (EU 2019/1023 vom 20.6.2019) sowie Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 146. 23 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 146. 24 Zu § 119 InsO: Huber in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 119 Rz. 19. 25 Vgl. Tashiro in Braun, StaRUG, § 84 Rz. 6. 26 Art. 25 Abs. 3 SanInsFoG, BGBl. 2020 I, 3298.
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§ 2 Rz. 32 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen
III. Beteiligung von Arbeitnehmern und Gläubigern 32
Der Schuldner soll mit dem Restrukturierungsrahmen die Möglichkeit erhalten, mit einem von ihm ausgewählten Teil der Gläubiger einen bindenden Vergleich mit Mehrheitsentscheidung abschließen zu können. Entsprechend dieser im Vergleich zum Insolvenzverfahren nur teilweisen Einbeziehung der Gläubiger ist auch die Gläubigerbeteiligung bei der Beratung und Abstimmung über den Plan nur auf den betroffenen Kreis beschränkt.
33
In bestimmten Fällen erfolgt die Beteiligung zusätzlich durch den Gläubigerbeirat. Da keine Eingriffsrechte in die Arbeitnehmerrechte bestehen, konstituiert § 92 StaRUG auch keine zusätzlichen Einsichts- oder Mitwirkungsrechte, sondern stellt lediglich klar, dass die allgemeinen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungsorgane nach den betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften auch im Restrukturierungsverfahren Geltung behalten.
1. Arbeitnehmerbeteiligung 34
Nach Art. 13 der EU-Richtlinie27 sind die nationalen Gesetzgeber verpflichtet, die Einhaltung der individual-arbeitsrechtlichen und kollektiv-arbeitsrechtlichen Rechte der ArbeitnehmerInnen während des gesamten Verfahrens sicherzustellen. Arbeitnehmer sollen den vollen arbeitsrechtlichen Schutz im Verfahren genießen. Entsprechend stellt § 92 StaRUG klar, dass auch während der Nutzung des Restrukturierungsrahmens sämtliche Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz weiter Gültigkeit haben.
35
Dazu zählen insbesondere auch die Beteiligungsrechte des Wirtschaftsausschusses gem. § 106 BetrVG. Der Arbeitgeber hat den Wirtschaftsausschuss über Maßnahmen unter Nutzung des Restrukturierungsrahmens rechtzeitig und umfassend zu informieren (§ 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) und sich mit ihm über die geplanten Maßnahmen zu beraten (§ 106 Abs. 1 BetrVG).28
2. Gläubigerbeirat 36
In § 93 StaRUG wird mit dem Gläubigerbeirat ein Gremium ähnlich dem Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren geschaffen. Allerdings kann das Gericht einen Gläubigerbeirat nur für den Fall einsetzen, dass das Verfahren durch die Einbeziehung aller Gläubiger gesamtverfahrensartige Züge aufweist. Ob ein Gläubigerbeirat eingesetzt wird, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei hat es zu berücksichtigen, was die Ziele des Restrukturierungsverfahrens sind, und ob die unterstützende und überwachende Funktion des Gläubigerbeirats geeignet ist, das Erreichen des Sanierungsziels zu unterstützen.29
37
Hinsichtlich der Besetzung des Gläubigerbeirates verweist § 93 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auf eine entsprechende Anwendung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO. Dies bedeutet über den dortigen Verweis auf § 67 Abs. 2 InsO, dass absonderungsberechtigte Gläubiger, Gläubiger mit den höchsten Forderungen und Kleingläubiger vertreten sein sollen, und nach § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO auch ein Vertreter der Arbeitnehmer, obwohl Rechtsverhältnisse von Arbeitnehmern nach § 4 StaRUG von der Gestaltbarkeit im Plan grundsätzlich ausgenommen sind.
27 Siehe Fn. 2. 28 Vgl. hierzu von Saenger in Braun, StaRUG, § 92 Rz. 7 ff. 29 Vgl. dazu auch Ahrens, NZI-Beilage 2021, 57 ff., 58.
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IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 43 § 2
§ 93 Abs. 1 Satz 3 StaRUG stellt klar, dass auch nicht von dem Plan betroffene Gläubiger vertreten sein dürfen und sollen.30 Über diese Regelung besteht auch die Möglichkeit, z.B. externe Sanierungsexperten in den Ausschuss zu berufen. Wie auch im Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren können Mitglieder des Beirates sowohl natürliche als auch juristische Personen werden.
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Die Mitglieder des Gläubigerbeirates haben nach § 93 Abs. 3 Satz 1 StaRUG den Schuldner bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen, aber auch zu überwachen. Sie müssen also insbesondere darauf achten, dass der Schuldner gem. § 43 StaRUG die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. Darüber hinaus haben die Beiräte zu prüfen, dass die einer Stabilisierungsanordnung zugrunde liegenden Angaben richtig sind, vgl. § 57 Satz 1 StaRUG, und dass die Erlöse nach § 54 Abs. 2 StaRUG ordnungsgemäß ausgekehrt oder verwahrt werden, vgl. § 57 Satz 3 StaRUG.31
39
Zugleich stellt der Beirat ein übergeordnetes Kommunikations- und Informationsaustauschgremium dar,32 das den Schuldner unterstützen und begleiten soll. Die Ausschussmitglieder haften nach § 93 Abs. 1 Satz 2 StaRUG i.V.m. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a, 71 Satz 1 InsO den Gläubigern bei pflichtwidrigem Verhalten auf Schadensersatz. Entsprechend empfiehlt sich der Abschluss einer Haftpflichtversicherung wie für den Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren. Die Kosten hierfür können als Auslagen zusätzlich zu der Vergütung geltend gemacht werden.
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Nach § 93 Abs. 4 Satz 1 StaRUG haben die Mitglieder des Gläubigerbeirats einen Anspruch auf Vergütung, der sich nach den Vorschriften des § 17 Abs. 1 Satz 1 InsVV richtet. Danach wird die Tätigkeit auf Basis einer Stundenabrechnung mit einem Stundensatz im Regelfall zwischen 50 € und nunmehr 300 € vergütet. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Gerichte in komplexen Insolvenzverfahren und bei entsprechender Qualifikation des Mitgliedes durchaus bereit sind, für Gläubigerausschussmitglieder einen Stundensatz, der über dem gesetzlichen Rahmen liegt, zu gewähren.33
41
IV. Der Restrukturierungsplan 1. Gestaltungsmöglichkeiten Der Restrukturierungsplan bietet dem Schuldner die Möglichkeit, einen Sanierungsvergleich durch Mehrheitsentscheidung verbindlich auch gegen opponierende Gläubiger durchzusetzen. Auch wenn der Restrukturierungsplan dem Insolvenzplan nachgebildet ist, gibt es doch erhebliche Unterschiede. Besteht beim Insolvenzplan die Notwendigkeit, Regelungen für alle Insolvenzgläubiger vorzusehen, ist dies bei dem im früheren Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit angesiedelten Restrukturierungsplan nicht erforderlich. Der Planersteller hat daher die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welche Gläubiger er den Regelungen seines Restrukturierungsplanes unterwerfen will, und wie in bestehende Rechtspositionen eingegriffen werden soll.
42
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG kann in jede gegen den Schuldner begründete Forderung eingegriffen werden, sog. Restrukturierungsforderung. Ausgenommen sind die Forderungen von Arbeitnehmern
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30 Auszug aus dem Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) vom 16.12.2020 zum RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, 11, abgedruckt in Braun, StaRUG, Anhang D Rz. 42; so auch Hirte in Braun, StaRUG, § 93 Rz. 5. 31 Hirte in Braun, StaRUG, § 93 Rz. 12. 32 Jedoch nicht nur ein „formloses, ohne eigene Rechte ausgestattetes Informationsgremium“, wie Ahrens zurecht feststellt, NZI-Beilage 2021, 57. 33 So z.B. BGH, ZIP 2021, 581, allerdings noch zu den alten Stundensätzen des § 17 InsVV (35 bis 95 €); ob ein Überschreiten der nunmehr seit dem 1.1.2021 deutlich erhöhten Stundensätze von bis zu 300 € in der Praxis häufig erfolgen wird, ist offen.
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§ 2 Rz. 43 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, und zwar einschließlich der Zusagen aus betrieblichen Altersversorgungen, vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. 44
Dem Schuldner verbleibt aber weiterhin die Möglichkeit, mit dem Betriebsrat Zugeständnisse zu verhandeln. Die Einleitung eines Restrukturierungsvorhabens dürfte in diesem Zusammenhang auch die Ernsthaftigkeit der Situation unterstreichen. § 92 StaRUG stellt klar, dass die gesetzlichen Pflichten gegenüber den Organen der Arbeitnehmervertretung sowie deren Beteiligungsrechte unberührt bleiben. Soll also das Restrukturierungsvorhaben Maßnahmen umfassen, die nach dem BetrVG oder anderen Vorschriften der kollektiven Arbeitnehmerbeteiligung unterliegen, gibt es für das StaRUG-Verfahren keine Privilegierungen.34
45
Insbesondere bei natürlichen Personen relevant ist, dass auch keine Forderungen aus unerlaubten Handlungen dem Restrukturierungsplan zugänglich sind.35 Dies betrifft im unternehmerischen Bereich insbesondere Forderungen aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Schutzgesetzen wie § 263 StGB (Betrug), § 266 StGB (Untreue), § 266a StGB (Vorenthalten von Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträgen) und auch § 15a InsO (Insolvenzverschleppung).36 Genauso sind die in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO aufgeführten Geldstrafen, Geldbußen etc. einer Regelung durch den Restrukturierungsplan nicht zugänglich.37 Anders als in der Restschuldbefreiung (§ 302 InsO) sind Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis auch dann durch einen Restrukturierungsplan regelbar, wenn der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach §§ 370, 373 oder 374 AO verurteilt worden ist.38
46
Die Forderungen, in die mit dem Plan eingegriffen werden soll, müssen entsprechend der Systematik des Insolvenzverfahrens (§ 38 InsO) bereits begründet sein. Maßgeblicher Zeitpunkt ist nach § 2 Abs. 5 StaRUG derjenige, zu dem der Schuldner „sich des Plans zu dem Zweck entäußert, eine Planabstimmung durchzuführen“.39 Dies kann je nach gewähltem Vorgehen die Unterbreitung des Planangebots nach § 17 StaRUG sein oder die Antragstellung auf gerichtliche Planabstimmung (§ 45 StaRUG) bzw. bei einer Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG der Zeitpunkt der Erstanordnung.
47
Mit dem Restrukturierungsplan kann nur in bestehende Forderungen eingegriffen werden. Der Regierungsentwurf hatte noch vorgesehen, dass neben bestehenden Forderungen auch Vertragsverhältnisse von Änderungen durch den Restrukturierungsplan betroffen sein können. So hätte sich aus den §§ 51– 55 StaRUG gemäß dem RegE SanInsFoG die Möglichkeit ergeben, gegenseitige, nicht beiderseits vollständig erfüllte Verträge auf Antrag des Schuldners durch das Restrukturierungsgericht zu beenden, wenn der Vertragspartner nicht freiwillig der Anpassung oder Beendigung des Vertrages zugestimmt hat. Damit hätte dem Schuldner im Restrukturierungsverfahren ein wesentliches, bislang dem Insolvenzverfahren vorbehaltenes Instrument zur Verfügung gestanden. Dieses Vorhaben wurde nicht nur wegen Verletzung des Abstandsgebots zum Insolvenzverfahren kritisiert, sondern auch wegen der befürchteten Folgen insbesondere in der Immobilienwirtschaft, wenn durch dieses Instrument beispielsweise Filialunternehmen ihre Mietverträge zu ihren Gunsten anpassen bzw. beenden können.40 Auf Empfehlung des Rechtsausschusses41 wurden die Regelungen zur Vertragsbeendigung schließlich „auf 34 Vgl. ausführlich zu den betroffenen Organen und Rechten bzw. Pflichten von Saenger in Braun, StaRUG, § 92 Rz. 1 ff. 35 § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG. 36 zu § 302 InsO: Sternal in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 302 Rz. 11 ff. 37 § 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG. 38 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 115. 39 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 114. 40 So u.a. Hofmann, NZI 2020, 871; Müller, ZIP 2020, 2253; Thole, ZIP 2020, 1985; Gravenbrucher Kreis in seiner Stellungnahme zum RegE vom 30.9.2020, S. 5 ff., abrufbar unter https://www.gravenbrucherkreis.de/2020/10/02/gravenbrucher-kreis-nimmt-stellung-zum-referentenentwurf-eines-gesetzes-zur-fort entwicklung-des-sanierungs-und-insolvenrechts/, zuletzt abgerufen am 9.3.2021. 41 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25303.
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IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 54 § 2
den letzten Metern“ des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen. In der derzeitigen Fassung des StaRUG verbleibt es daher dabei, dass Verträge nicht einseitig beendet werden können. In Forderungen aus gegenseitigen Verträgen kann daher nur eingegriffen werden, wenn die andere Vertragspartei bereits vorgeleistet hat und insoweit ebenfalls Gläubiger ist, vgl. § 3 Abs. 2 StaRUG. Von der Vertragsbeendigung und Gestaltung künftiger Verträge zu unterscheiden ist die Möglichkeit, bei bestehenden Verträgen in die Vertragsbedingungen einzugreifen. Zumindest dann, wenn die Forderungen auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern beruhen, können gem. § 2 Abs. 2 StaRUG auch die Einzelbestimmungen dieses Rechtsverhältnisses geändert werden. Damit wird eine Vertragsmodifikation möglich.
48
Der Gesetzgeber hat hier zum einen Konsortialkredite im Auge, bei denen zwischen den Darlehensgebern und dem Schuldner ein einheitliches Vertragsverhältnis besteht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG), zum anderen aber auch Schuldverschreibungen oder Schuldscheindarlehen, bei denen es gerade kein Schuldverhältnis zwischen allen Beteiligten gibt (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Der Restrukturierungsrahmen ist somit eine zusätzliche Option zu der Restrukturierung nach den Vorschriften des Schuldverschreibungsgesetzes.42
49
Indem er die Änderung von Bedingungen und Nebenbestimmungen durch den Plan einräumt, wollte der Gesetzgeber verhindern, dass an solchen Bestimmungen die Sanierung scheitert, weil z.B. wegen Verstoßes gegen das Einhaltungsgebot bestimmter Finanzzahlen-Relationen gläubigerseits die Kündigung erfolgen muss.43
50
Möglich ist dabei nicht nur die Änderung der vertraglichen Bestimmungen zwischen Gläubiger(n) und Schuldner, sondern auch der Regelungen zwischen den Gläubigern untereinander. Eine Grenze findet die Modifikationsmöglichkeit darin, dass das zu ändernde Vertragsverhältnis dasjenige sein muss, auf dem die Restrukturierungsforderungen und/oder Absonderungsanwartschaften beruhen, es bedarf also eines Kausalzusammenhangs. Ohne diesen ist eine Umgestaltung vertraglicher Einzelbestimmungen durch den Restrukturierungsplan nicht möglich.44
51
Auch in die im Fall eines Insolvenzverfahrens als Absonderungsrechte zu berücksichtigenden Rechtspositionen kann eingegriffen werden, sog. Absonderungsanwartschaften, § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Ausgenommen hiervon sind – wie im Insolvenzplanrecht – Finanzsicherheiten und Sicherheiten des Betreibers eines Absicherungssystems i.S.d. § 1 Abs. 16 und 17 KWG.45
52
Bei den Absonderungsanwartschaften handelt es sich insbesondere um Forderungen, die durch Sicherungsübereignungen, Forderungsabtretungen oder Pfandrechte gesichert sind, vgl. §§ 49, 51 InsO. Nicht dagegen können im Restrukturierungsplan Eingriffe in Aussonderungsrechte, also Volleigentum oder Eigentumsvorbehalte, geregelt werden.
53
Möglich sind die Kürzung der gesicherten Forderung oder der (teilweise) Verzicht auf das Sicherungsrecht, die Stundung der Forderung und damit das Aufschieben der Sicherheitenverwertung oder anderweitige Modifikationen der Besicherung, wie etwa der Austausch der Sicherheiten, deren Einbringung in einen Sicherheitenpool oder die Übertragung auf einen Treuhänder.46
54
42 43 44 45
Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 23. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 111. Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 19. In Umsetzung der Vorgaben der Finanzsicherheitenrichtlinie 2002/47/EG und der Finalitätsrichtlinie 199826/EG, vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 111. 46 Riggert, NZI-Beilage 2021, 40 ff., 42; vgl. auch zum Insolvenzplan mit weiteren Beispielen Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 Rz. 11 ff.
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§ 2 Rz. 55 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen 55
Wird der Sicherheitengläubiger durch die Planregelung schlechter gestellt, als er ohne Plan stünde, und stimmt er deshalb gegen den Plan, kann er nach § 64 StaRUG beantragen, dass dem Plan die gerichtliche Bestätigung versagt wird. Die Gefahr der Versagung der Bestätigung kann der Planersteller abwenden, indem im Plan Mittel bereitgestellt werden für eine Ausgleichszahlung an einen schlechter gestellten Gläubiger. Ob dieser tatsächlich eine Zahlung erhält, ist für die Abweisung des Versagungsantrags unerheblich und außerhalb der Restrukturierungssache zu klären, § 64 Abs. 3 StaRUG.47
2. Eingriffsbefugnisse in Gesellschafterrechte 56
Auch in Gesellschafterrechte kann gem. § 2 Abs. 3 StaRUG eingegriffen werden. Die im Insolvenzplan bestehende Möglichkeit, Anteils- und Mitgliedschaftsrechte umzugestalten, soll auch im Restrukturierungsplan zur Verfügung stehen. Voraussetzung ist, dass der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist. Dann können Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgestaltet werden, § 7 Abs. 4 StaRUG. Dies kann nicht gegen den Willen der beteiligten Gläubiger erfolgen (§ 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) und, anders als beim Insolvenzplan, den auch der Insolvenzverwalter vorlegen kann, nicht gegen den Willen des Schuldners, der der einzige Planvorlageberechtigte im StaRUG ist.
57
Neben den in § 7 Abs. 4 StaRUG beispielhaft aufgeführten Möglichkeiten der Kapitalerhöhung und -herabsetzung, der Leistung von Sacheinlagen, dem Ausschluss von Bezugsrechten oder der Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter kann der Plan insbesondere eine Umwandlung der Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften in Anteile am Schuldnerunternehmen vorsehen, sog. Debt-to-Equity-Swap.48 Die für die Umsetzung notwendigen Willenserklärungen können direkt in den gestaltenden Teil des Plans aufgenommen werden und gelten damit gem. § 68 StaRUG als in der vorgeschriebenen Form abgegeben, so dass insbesondere auch notarielle Beurkundungen entfallen können.
3. Gliederung und Aufbau 58
Der Restrukturierungsplan gliedert sich wie der Insolvenzplan in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil. Als Vorbild für eine Planstruktur kann daher das Gerüst für einen Insolvenzplan herangezogen werden. Entscheidend für die Akzeptanz des Planes ist nicht nur dessen materieller Inhalt, sondern auch, dass die Ausführungen gut nachvollziehbar sind. Eine klare, übersichtliche und in sich schlüssige Darstellung sämtlicher relevanter Sachverhalte und Aspekte ist daher wichtig.
59
Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 StaRUG muss der darstellende Teil alle Angaben enthalten, die für die Gläubiger und das Gericht entscheidungserheblich sind. Im darstellenden Teil des Planes ist zunächst darzulegen, welches Ziel mit dem Plan verfolgt wird, und wie die Regelungsstruktur ist. Da mit dem Restrukturierungsplan nicht in die Rechte aller Gläubiger unter dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung eingegriffen wird, sondern es sich um ein teilkollektives Verfahren handelt, ist auch darzustellen, in welche Gläubigerforderungen eingegriffen werden soll, und wie die Gruppenbildung erfolgt.
60
Zunächst ist die aktuelle Ist-Situation des Unternehmens darzustellen. Danach sind die notwendigen Unternehmensdaten, insbesondere die rechtlichen Verhältnisse, darzulegen. Es sollte dann die unternehmerische Entwicklung des Schuldners geschildert und auf die finanzwirtschaftlichen sowie die leistungswirtschaftlichen Verhältnisse eingegangen werden.
61
Zwar sind durch die Vorschrift des § 5 Satz 2 und 3 StaRUG (teilweise) die offenzulegenden rechtlichen und finanzwirtschaftlichen Informationen in den Anlagen aufzuführen. Im darstellenden Teil
47 Fendel in Braun, StaRUG, § 64 Rz. 14. 48 Vgl. dazu ausführlich Frank, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 3 Rz. 276 ff.
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IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 67 § 2
ist aber gleichwohl ein Gesamtbild des Unternehmens zu zeichnen. Dies umfasst die Krisen- und Ursachenanalyse. Des Weiteren ist darzustellen, mit welchen konkreten Sanierungsmaßnahmen die Krise überwunden werden soll, und welche Beiträge hierzu von den Gläubigern erforderlich sind. Der Standard IDW S 249 für Insolvenzpläne ist nicht zwingend einzuhalten, ebenso muss das dem Restrukturierungsplan zugrunde liegende Konzept nicht explizit den Anforderungen an ein Sanierungskonzept im Sinne des IDW-Standards S 650 genügen. Allerdings ist gerade in größeren und solchen Fällen, in denen es um Umfinanzierungen und auch notwendige Neufinanzierungen geht, zu erwarten, dass die betroffenen Finanzgläubiger verlangen, ein Sanierungskonzept nach IDW S 6 zu beauftragen, das dann auch die Grundlage für den Restrukturierungsplan bietet. Denn die Entscheidung, das Unternehmen zu unterstützen, wird für Finanzgläubiger regelmäßig nur dann möglich sein, wenn wie in der außergerichtlichen Sanierung die Sanierungsfähigkeit entsprechend belegt ist. Andernfalls laufen die Gläubiger Gefahr, sich wegen Verstoßes gegen interne oder finanzaufsichtsrechtliche Regularien selbst Haftungsrisiken auszusetzen.
62
Ein wesentlicher Bestandteil des darstellenden Teiles, der auch für den Insolvenzplan erst mit dem SanInsFoG als verpflichtend in das Gesetz aufgenommen wurde,51 ist die Vergleichsrechnung, in der den Gläubigern Alternativszenarien aufgezeigt werden und mit der somit gleichzeitig der wirtschaftliche Eingriffsrahmen in Form eines Mindestangebotes für die Gläubiger festgelegt wird, vgl. im Folgenden Rz. 65.
63
Der Gesetzgeber hat in § 16 StaRUG die Verpflichtung für das BMJV aufgenommen, eine Checkliste für Restrukturierungspläne auf seiner Homepage zu veröffentlichen. So soll auch kleineren und mittleren Unternehmen der Zugang zum Verfahren ermöglicht werden.
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4. Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten (Vergleichsrechnung) Der Vergleichsrechnung nach § 6 Abs. 2 StaRUG kommt entscheidende Bedeutung zu: Sie liefert die wirtschaftlichen Fakten für die Planbetroffenen, mit denen die Vorteilhaftigkeit der Durchführung des Restrukturierungsvorhabens belegt wird. Sie ist aber auch die Grundlage für die Entscheidungen des Gerichts im Rahmen der Zustimmungsersetzung einer dissentierenden Gruppe (sog. „cross-class cram-down“) gem. § 26 StaRUG.
65
Während mit der nach § 14 StaRUG geforderten Ergebnis- und Finanzplanung nachgewiesen werden muss, dass die Restrukturierung finanzierbar ist, sind in der Vergleichsrechnung mögliche Befriedigungsszenarien darzustellen. In der Vergleichsrechnung müssen die Auswirkungen des Restrukturierungsplans auf die Befriedigungsaussichten der vom Plan betroffenen Gläubiger hin untersucht werden, d.h. es ist gegenüberzustellen, wie sich die Befriedigungsquoten ohne einen Plan darstellen würden, und welche Quoten mit Durchführung des Planes erreichbar sind.
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Da das Restrukturierungsverfahren zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Insolvenz dient, wäre naheliegend, dass in dem Vergleichsszenario dargestellt wird, was die Gläubiger in der Alternative Durchführung eines Insolvenzverfahrens erhalten würden. Allerdings fordert § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG, dass, wenn der Plan – was die Regel sein wird – eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens vorsieht, bei dem Vergleichsszenario grundsätzlich ebenfalls die Unternehmensfortführung zu unterstellen ist. Nur dann, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist, darf ein Nicht-Fortführungsszenario für die Vergleichsrechnung zugrunde gelegt werden, § 6 Abs. 2 Satz 3 StaRUG. Dies ist auch sachgerecht. Könnte der Schuldner in seiner Ver-
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49 Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) S 2 „Anforderungen an Insolvenzpläne“, Stand 18.11.2019, veröffentlicht in IDW Life 1/2020, 45 ff. 50 Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) S 6 „Anforderungen an Sanierungskonzepte“, Stand 16.5.2018, veröffentlicht in IDW Life 8/2018, 813 ff. 51 § 220 InsO n.F.
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§ 2 Rz. 67 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gleichsrechnung als Maßstab, den es zu übertreffen gilt, immer die Liquidation des Unternehmens in Ansatz bringen, würde dies in der Regel nicht zu interessengerechten Ergebnissen führen. Der Schuldner hätte dann als Eingriffsmöglichkeit die Differenz zwischen Liquidations- und Fortführungswert des Unternehmens, wird die Insolvenz als Alternative gerechnet zzgl. der Verfahrenskosten. 68
Der Schuldner muss daher in der Vergleichsrechnung darlegen, was das nächstbeste Alternativszenario ist52 und warum es keine andere – bessere – Alternative zu dem Restrukturierungsplan gibt. Da das Verfahren bei drohender Zahlungsunfähigkeit eingeleitet wird, wird ein going-concern Szenario, das keine Einschnitte von den Planbetroffenen verlangt, in der Regel ausscheiden. Denkbare Alternative zwischen der Restrukturierung des Unternehmens mit dem Plan und der Einleitung eines Insolvenzverfahrens, die nach dem Gesetzeswortlaut überprüft werden muss, ist aber nicht nur die „anderweitige“ Fortführung, sondern auch der Verkauf – oder Teilverkauf – des Unternehmens. Da allerdings ein Markttest durch ein „dual Track“-Verfahren, wie es im Insolvenzplanverfahren häufig gefordert wird,53 sich nicht mit dem Ziel, ein schnelles und vor allem „stilles“ Verfahren anzubieten, verträgt, wird man ein mögliches Verkaufsszenario nur theoretisch bzw. rechnerisch darstellen können. Auf Basis des Restrukturierungskonzeptes des Schuldners – ohne Maßnahmen, die nur durch den Plan erreicht werden können – kann mit einer Discounted cashflow Methode entsprechend dem Standard 1 des IDW54 ein Marktwert des Unternehmens ermittelt werden. Dieser kann mit Multiples abhängig von Branche, Unternehmensgröße, Rechtsform auf Basis von operativen Ergebnissen wie z.B. EBITDA und EBIT plausibilisiert werden.55 Dabei könnten die Forderungen der Planbetroffenen unberücksichtigt bleiben und als abzulösen unterstellt werden. Der so ermittelte potentielle Kaufpreis ist auf die Planbetroffenen aufzuteilen, um zu ermitteln, ob sie bei einem Verkauf besser stünden. Voraussetzung für dieses Szenario ist allerdings, dass das Unternehmen in der aktuellen Situation überhaupt verkäuflich und finanzierbar ist. Die in diesem Zusammenhang notwendigen Markteinschätzungen sollte der Schuldner nicht ausschließlich selbst anstellen, sondern von einem mit einschlägiger Sachkunde ausgestatteten neutralen Sachverständigen erstellen oder zumindest überprüfen lassen.
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Der Befassung mit einem Alternativszenario außerhalb eines Insolvenzverfahrens und der entsprechenden Darstellung kommt nicht nur in Hinblick auf die zu erzielende Akzeptanz bei den Gläubigern entscheidende Bedeutung zu. Will der Schuldner das Insolvenzszenario als einzige Alternative darstellen, muss er nach dem Gesetzeswortlaut darlegen, warum ein Verkauf oder eine anderweitige Fortführung ausscheidet.
5. Regelungen bei persönlicher Haftung 70
Durch die Befreiung oder Reduzierung von Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften, die für den Schuldner durch den Restrukturierungsplan erreicht wird, reduziert sich gem. § 11 Satz 2 StaRUG auch die persönliche Haftung unbeschränkt haftender Gesellschafter von Personengesellschaften. Unberührt von dieser Enthaftung bleiben allerdings die Ansprüche aus einer vertraglichen Haftungsübernahme, z.B. aus Schuldbeitritt oder Bürgschaft. In diese kann aber über § 2 Abs. 4 StaRUG eingegriffen werden.56 Für beide Fälle ist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 und 2 StaRUG eine Kompensationszahlung im Plan vorzusehen, um den planbetroffenen Gläubigern einen Ausgleich für den Wegfall des Mithafters zu gewähren. Begrenzt ist die Entschädigungsleistung jedoch auf die Höhe,
52 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 128. 53 Vgl. ausführlich zu den Vor- und Nachteilen des Dual-Track-Verfahrens und m.w.N. Geiwitz/von Danckelmann in BeckOK, InsO, § 220 Rz. 25.1–25.3. 54 Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) S 1 „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“, Stand 4.7.2016, veröffentlicht in IDW Life 8/2016, 731 ff. 55 Zu den verschiedenen Bewertungsmethoden vgl. ausführlich Langer/Wolf in Morgen, Präventive Restrukturierung, 1. Aufl., Art. 14 Rz. 27 ff. 56 Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 64 ff.
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IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 76 § 2
in welcher der Anspruch gegen den Mithafter werthaltig ist.57 Die Vorschrift trägt damit dem Umstand Rechnung, dass den Gläubigern ein weiteres Haftungssubjekt zur Verfügung steht und damit ein weiterer Vermögenswert, der letztendlich auch in einer Vergleichsrechnung zu berücksichtigen ist. Es ist aber realistisch einzuschätzen, was aus der persönlichen Haftung für die Gläubiger realisiert werden kann, denn nur insoweit haben die Gläubiger eine zu schützende Vermögensposition. Dies bedeutet für den Planersteller, dass wenn eine natürliche Person voll haftet oder eine Mithaft übernommen hat, letztendlich deren Vermögensverhältnisse vollumfänglich offengelegt werden müssen. Vermögenswerte wie z.B. Immobilien müssen nachvollziehbar bewertet werden, damit die Gläubiger in die Lage versetzt werden, über die Angemessenheit des angebotenen Ausgleichs auf einer sachlichen Grundlage entscheiden zu können.
6. Gruppenbildung Der Schuldner muss für seinen Restrukturierungsplan erreichen, dass idealerweise alle, zumindest aber die Mehrheit der Gruppen zustimmt. Denn nur dann hat er die Möglichkeit, über eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung die fehlende Zustimmung einer Gruppe zu ersetzen. Nicht nur der Auswahl der Planbetroffenen, sondern auch der Bildung von Gruppen, in denen diese abstimmen, kommt daher erhebliche strategische Bedeutung zu.
71
Dabei muss der Planersteller zunächst berücksichtigen, dass, sind Eingriffe beabsichtigt, die folgenden Pflichtgruppen zu bilden sind, § 9 Abs. 1 Satz 2: für Inhaber von Absonderungsanwartschaften (Nr. 1), für Inhaber von Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht nachrangige Insolvenzforderungen sind (Nr. 2, sog. einfache Restrukturierungsgläubiger), für Inhaber nachrangiger Restrukturierungsforderungen (Nr. 3), für Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (Nr. 4) und für Gläubiger mit gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 1 Satz 3).
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Möglich ist es, im Restrukturierungsplan innerhalb der Gruppen weitere Untergruppen zu bilden, wenn diese nach wirtschaftlichen Interessen sachgerecht abgegrenzt werden können, vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG. Die Kriterien der Abgrenzung sind dann im Plan anzugeben.
73
Eine quasi Pflicht-Untergruppe sieht der Gesetzgeber in § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG vor: Wird in die Rechte von Kleingläubigern eingegriffen, ist für diese eine selbständige Untergruppe zu bilden. Damit soll einer Majorisierung durch Großgläubiger vorgebeugt werden, da im Restrukturierungsplan allein die Mehrheit der an der Forderungshöhe bemessenen Stimmrechte ausschlaggebend ist und nicht, wie im Insolvenzplan, zusätzlich auch eine Kopfmehrheit erforderlich ist.58
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Denkbare weitere Untergruppen wären z.B. eine Gruppe der Lieferanten, der Vermieter, der Dienstleister etc. Innerhalb der jeweiligen Gruppe sind die Planbetroffenen gleich zu behandeln. In diesem Zusammenhang ist aber § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zu beachten: Die Gläubiger der Gruppen müssen angemessen am Plan beteiligt sein, was beinhaltet, dass sie nicht weniger erhalten dürfen, als andere Planbetroffene. Hiervon kann nur in Ausnahmefällen (§ 28 Abs. 1 StaRUG)59 oder bei Zustimmung der betreffenden Planbetroffenen abgewichen werden, vgl. § 10 Abs. 2 StaRUG.
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Rechnet der Planersteller bereits damit, dass eine Gruppe nicht zustimmt oder es auf das Obstruktionsverbot, mithin auf die Ersetzung einer fehlenden Zustimmung ankommt, muss der Planersteller bei der Gruppenbildung, will er nur in bestimmte Gläubigerrechte oder in gleichrangige Gläubigerrechte unterschiedlich eingreifen, die Regelungen zur absoluten Priorität in den §§ 27 und 28 StaRUG beachten. Danach ist ein Abweichen vom Gleichbehandlungsgebot gleichrangiger Gläubiger unter Berücksichtigung der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und aufgrund der Umstände
76
57 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 114; Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 67. 58 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 119. 59 Herzig in Braun, StaRUG, § 26 Rz. 17.
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§ 2 Rz. 76 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG grundsätzlich zulässig, aber nur dann, wenn die qualifizierte Mehrheit nach § 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG erreicht wird. 77
Grundsätzlich wird es nicht selten sinnvoll sein, dass einzelne Gläubiger nicht um einen Beitrag gebeten werden. Es ist ja gerade ein Konstruktionsmerkmal des Restrukturierungsplanes, dass er selektiv eingesetzt werden kann und kein Gesamtvollstreckungs- und Gesamtgläubigerregulierungsverfahren ist wie der Insolvenzplan. Insoweit muss es die Möglichkeit geben, eine Ungleichbehandlung in derselben Rangklasse insbesondere der nicht nachrangigen, also einfachen Restrukturierungsgläubiger, zu ermöglichen. Diese Durchbrechung der absoluten Priorität ist unter § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG grundsätzlich möglich, wenn es hierfür entsprechende Gründe gibt. Dies kann z.B. bei einem laufenden Geschäftsbetrieb das Bemühen sein, das Unternehmen frei von Friktionen mit seinen Lieferanten zu halten.60
78
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG erfordert, dass auf die bestimmte Gruppe nicht mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass nunmehr zusätzlich zu dem Erfordernis, dass die Mehrheit der Gruppen und damit jeweils die qualifizierte Summenmehrheit innerhalb der Mehrzahl der Gruppen zugestimmt hat, noch zusätzlich 50,1 % aller Stimmberechtigten der gleichen Rangklasse dem Plan zugestimmt haben müssen, um ein Negativergebnis einer Gruppe zu überwinden.61 Dies ist bei der Gestaltung zu berücksichtigen und muss in einer entsprechenden Proberechnung vom Planersteller simuliert werden.
7. Planabstimmung a) Allgemeines 79
Entsprechend dem Grundgedanken, ein Sanierungsverfahren ohne oder mit nur geringer Gerichtsbeteiligung zur Verfügung zu stellen, bietet das StaRUG auch die Möglichkeit, die Planabstimmung durch den Schuldner privatautonom durchzuführen. Die gerichtliche Erörterung und Abstimmung des Restrukturierungsplanes kann der Schuldner fakultativ gem. §§ 45, 46 StaRUG als Verfahrenshilfe in Anspruch nehmen. Allerdings ist das Planabstimmungs- und -bestätigungsverfahren ein dem gerichtlichen Insolvenzplan nachgebildetes Verfahren, das aufgrund seiner formellen Anforderungen Risiken für den Schuldner mit sich bringt. Bestehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans, gehen diese gem. § 63 Abs. 3 StaRUG zu Lasten des Schuldners. Die Durchführung einer gerichtlichen Planabstimmung kann daher zur Vermeidung eines Streites über den ordnungsgemäßen Ablauf und damit zur Vermeidung eines Versagungsgrundes nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG sinnvoll sein.62
b) Planangebot und Planannahme 80
Der Abschluss eines Sanierungsvergleiches erfordert die Abgabe eines Planangebotes, das den Erfordernissen des § 17 StaRUG genügt. Das Planangebot muss den ausdrücklichen Hinweis darauf enthalten, dass der Plan im Fall seiner mehrheitlichen Annahme und gerichtlichen Bestätigung auch gegenüber Planbetroffenen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen. Um den Planbetroffenen zu ermöglichen, sich mit dem Planangebot inhaltlich vollumfänglich auseinanderzusetzen, muss das Planangebot gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 StaRUG den vollständigen Restrukturierungsplan nebst Anlagen sowie eine Darstellung der bereits angefallenen und der noch zu erwartenden Kosten enthalten. Wie sich aus § 17 Abs. 2 StaRUG ergibt, muss der jeweilige Planbetroffene aus dem Planangebot zweifels-
60 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 129. 61 Vgl. hierzu Herzig in Braun, StaRUG, § 28 Rz. 6. 62 Hirte in Braun, StaRUG, § 45 Rz. 2.
82 | Böhm
IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 88 § 2
frei erkennen können, mit welchen Forderungen oder Rechten und in welchem Umfang er in den Plan einbezogen wird. Des Weiteren ist darzustellen, in welchen Gruppen er jeweils mit welchem Stimmrecht abstimmen darf. Da im Gegensatz zum Insolvenzplan nicht alle Forderungen eines Planbetroffenen vollständig in den Restrukturierungsplan einbezogen werden müssen, kommt dieser Anforderung besondere Bedeutung zu.
81
Sollte die Abstimmung ohne vorherige Versammlung der Planbetroffenen erfolgen, muss das Planangebot auch den Hinweis enthalten, dass auf Verlangen eines Planbetroffenen eine Versammlung zur Erörterung des Planes abgehalten wird, § 17 Abs. 3 StaRUG.
82
Das Planangebot unterliegt der Schriftform, wenn keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde, § 17 Abs. 4 StaRUG. Auch die Planannahme hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen, sofern der Schuldner keine andere Form der Annahme bestimmt.63
83
Um die Auslegungsregelung des § 18 StaRUG nicht bemühen zu müssen, sollte der Plan des Weiteren ausdrücklich bestimmen, dass das Planangebot unter der Bedingung steht, dass sämtliche Planbetroffene zustimmen, oder dass der Plan gerichtlich bestätigt wird. Damit ist klargestellt, dass das Planangebot im Zweifel nicht auf eine isolierte Bindung des Schuldners im Verhältnis einzelner Planbetroffener gerichtet ist, die das Angebot annehmen.
84
In dem Planangebot ist auch eine Frist zur Annahme zu setzen, die in der Regel mindestens 14 Tage beträgt, vgl. § 19 StaRUG.
c) Planerörterungs- und Abstimmungstermin Entscheidet sich der Schuldner dafür, das Verfahren ohne Gerichtsbeteiligung durchzuführen, kann er gem. § 20 StaRUG den Restrukturierungsplan im Rahmen einer Versammlung der Betroffenen zur Abstimmung stellen.
85
Bei der Einberufung sind die Fristenregelungen des § 20 Abs. 1 StaRUG zu beachten. Die Einberufungsfrist beträgt grundsätzlich 14 Tage. Räumt der Schuldner die Teilnahme im Wege elektronischer Kommunikation ein, verkürzt sich die Frist auf sieben Tage gem. § 20 Abs. 1 Satz 4 StaRUG. Der Schuldner kann hiervon aber in dem Angebot abweichen und beispielsweise die elektronische Form ausschließen. Von der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit, die Zustimmung per Fax oder E-Mail zuzulassen, sollte wegen der damit verbundenen Risiken kein Gebrauch gemacht werden.
86
Den Vorsitz der Versammlung hat gem. § 20 Abs. 3 Satz 1 StaRUG der Schuldner inne. Eine Delegation des Versammlungsvorsitzes ist für den Schuldner zulässig,64 so dass er diesen z.B. auch an einen Notar delegieren kann. Der Schuldner muss ermöglichen, dass jeder Planbetroffene auf Anfrage Auskunft über den Restrukturierungsplan erhält. Planbetroffene haben die Möglichkeit, Vorschläge zur Änderung des Plans zu unterbreiten. Diese Vorschläge sind dem Schuldner mindestens einen Tag vor dem Beginn der Versammlung in Textform zugänglich zu machen. In der Versammlung kann auch über einen modifizierten Plan abgestimmt werden, wenn dieser aufgrund der Erörterungen in der Versammlung inhaltlich in einzelnen Punkten abgeändert wird, § 20 Abs. 4 StaRUG.
87
Die Abstimmung durch die Planbetroffenen erfolgt jeweils in Gruppen. Die Stimmabgabe kann – ebenso wie die Teilnahme – auch im elektronischen Wege ermöglicht werden. In diesem Fall ist der Eingang dieser Stimmen ebenfalls elektronisch zu bestätigen, § 20 Abs. 5 Satz 3 StaRUG.
88
63 Vgl. dazu auch Pehl in Braun, StaRUG, § 17 Rz. 6. 64 Pehl in Braun, StaRUG, § 20 Rz. 13.
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§ 2 Rz. 89 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen 89
Die Durchführung eines Abstimmungstermins im Sinne einer persönlich oder elektronisch durchgeführten Versammlung der Planbetroffenen ist nicht zwingend vorgesehen. Es wäre auch möglich, die Abstimmung nur auf schriftlichem Wege durchzuführen. Dies wird vom jeweiligen Einzelfall abhängen, insbesondere von der Anzahl der Planbetroffenen und deren Bedürfnissen.
90
Zu unterscheiden von dem Abstimmungstermin ist der Erörterungstermin. Im gerichtlichen Verfahren werden beide Termine zusammen durchgeführt (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Entscheidet sich der Schuldner für eine privatautonome Durchführung des Abstimmungsprozesses und setzt er keinen Erörterungstermin an, kann auf Antrag eines einzelnen Planbetroffenen ein Erörterungstermin „erzwungen“ werden, vgl. § 17 Abs. 3 StaRUG. Die Einberufung erfolgt ebenfalls schriftlich und mit der Möglichkeit auch einer elektronischen Teilnahme. Im Rahmen des Erörterungstermins soll die Möglichkeit zum Austausch über den Restrukturierungsplan gegeben werden, ohne dass dort abgestimmt wird. Das Zusammenlegen des Erörterungs- und Abstimmungstermins dürfte aber, wie auch im gerichtlichen Abstimmungsverfahren und im Insolvenzplanverfahren, zulässig und sinnvoll sein.
91
Der gesamte Ablauf des Planannahmeverfahrens und das Ergebnis der Abstimmung sind nach § 22 StaRUG vom Schuldner zu dokumentieren. Genauso muss ein etwaiges streitiges Stimmrecht dokumentiert werden. Obwohl dies in § 22 StaRUG nicht ausdrücklich geregelt ist, empfiehlt es sich wegen der „Zweifels-Regelung“ des § 63 Abs. 3 Satz 1 StaRUG für den Schuldner, das gesamte Verfahren einschließlich der ordnungsgemäßen Einladung zur Abstimmung und der Übersendung des Planangebots zu dokumentieren.65
92
Entscheidet sich der Schuldner, den Restrukturierungsplan in einem gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung zu stellen, wird gem. § 45 Abs. 1 StaRUG von vornherein ein kombinierter Erörterungsund Abstimmungstermin, in dem sowohl der Restrukturierungsplan als auch das Stimmrecht der Planbetroffenen erörtert und anschließend über den Plan abgestimmt wird, angesetzt. Die Vorschriften der §§ 239–242 InsO über die Durchführung eines Abstimmungstermins im Insolvenzplanverfahren finden dann gem. § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG entsprechende Anwendung. Das Restrukturierungsgericht kann den Schuldner mit der Zustellung der Ladung beauftragen, in besonderen Fällen auch den Restrukturierungsbeauftragten, § 76 Abs. 6 Satz 1 StaRUG.
93
Die beim Gericht vorhanden Erfahrungen und Kenntnisse für die Durchführung des Erörterungsund Abstimmungsprozesses zu nutzen, dürfte sich in der Regel anbieten, um einen möglichst unangreifbaren Prozess sicherzustellen.
d) Vorprüfung 94
Sowohl im gerichtlichen Verfahren, als auch im privatautonom durchgeführten Verfahren kann eine Vorprüfung des Restrukturierungsplans durch das Gericht herbeigeführt werden. Dies erfolgt entweder auf Antrag des Schuldners nach § 47 StaRUG in einem schriftlichen Verfahren, wenn der Schuldner den privatautonomen Weg gewählt hat, oder im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren auf Antrag des Schuldners nach § 46 StaRUG in einem gesonderten Vorprüfungstermin, zu dem auch die Planbetroffenen zu laden sind, wie aus dem Verweis in § 46 Abs. 1 Satz 3 auf § 45 Abs. 3 StaRUG folgt.66 Im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren kann das Gericht auch von Amts wegen einen Vorprüfungstermin bestimmen, § 46 Abs. 3 StaRUG. Auch der Restrukturierungsbeauftragte kann eine Vorprüfung herbeiführen, § 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG.
95
Gegenstand der Vorprüfung kann jede für die Bestätigung des Plans erhebliche Frage sein, § 47 Satz 2 StaRUG und § 46 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Das Gericht fasst das Ergebnis in einem Hinweisbeschluss
65 Pehl in Braun, StaRUG, § 22 Rz. 6 f. 66 Vgl. hierzu Hirte in Braun, StaRUG, § 46 Rz. 4.
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IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 101 § 2
nach § 48 Abs. 2 StaRUG zusammen. Dieser entfaltet zwar keine Bindungswirkung,67 zeigt dem Schuldner aber auf, welcher Nachbesserungsbedarf besteht. Durch die Anhörungspflicht gem. § 48 Abs. 1 StaRUG soll ermöglicht werden, dass etwaige Einwände der Planbetroffenen frühzeitig bekannt werden.68 Die Vorprüfung ist für den Schuldner eine empfehlenswerte Option, um bereits frühzeitig eine intensive Befassung des Gerichts mit dem Restrukturierungsplan herbeizuführen und Hinweise auf etwaige Bedenken zu erhalten.
96
8. Zustimmung und Zustimmungsersetzung Nach § 25 StaRUG ist es erforderlich, dass in jeder Gruppe mindestens 75 % der planbetroffenen Gläubiger dem Plan zustimmen. Damit ist erforderlich, dass auch tatsächlich diese Anzahl der Gläubiger präsent oder wirksam vertreten ist, und diese sich positiv für den Plan aussprechen.
97
Die fehlende Zustimmung einer Gruppe kann unter den Voraussetzungen des § 26 StaRUG (gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung) ersetzt werden. Dies ist grundsätzlich dann möglich, wenn die Mehrheit der gebildeten Gruppen dem Plan zugestimmt hat, § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG. Wenn nur zwei Gruppen gebildet wurden, genügt es, dass eine der beiden Gruppen zugestimmt hat. Dies gilt ausnahmsweise allerdings dann nicht, wenn die zustimmende Gruppe sich ausschließlich aus Anteilsinhabern oder nachrangigen Restrukturierungsgläubigern zusammensetzt, vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 StaRUG.
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Die Zustimmung einer Gruppe kann nur dann ersetzt werden, wenn die betreffende Gruppe durch den Plan nicht schlechter gestellt wird, § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Dies hat das Restrukturierungsgericht anhand der im Restrukturierungsplan notwendigerweise enthaltenen Vergleichsrechnung zu überprüfen. Wie die gesetzliche Formulierung „voraussichtlich“ zeigt, hat das Gericht eine Einschätzung vorzunehmen und festzustellen, ob die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass eine Schlechterstellung der Gruppenmitglieder nicht eintritt. Der Gruppenbildung kommt daher unter diesem Gesichtspunkt besondere strategische Bedeutung zu.
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Weitere Voraussetzung ist, dass die Mitglieder der zu überstimmenden Gruppe auch angemessen am wirtschaftlichen Wert, dem sog. Planwert, beteiligt werden, § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Wann eine angemessene Beteiligung vorliegt, ist in § 27 StaRUG geregelt. Nach der dort geregelten und auch im Insolvenzplanverfahren in § 245 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 InsO geltenden sog. Absolute Priority Rule dürfen die Gläubiger in der betreffenden Gruppe nicht schlechter gestellt werden als die Gläubiger anderer Gruppen. Sieht der Restrukturierungsplan unterschiedliche Leistungen (z.B. Geldleistungen) zu unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkten vor, muss das Gericht bei der Überprüfung auch eine Abzinsung vornehmen.69
100
Nach den Regelungen des § 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG darf kein planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Im Verhältnis zum Schuldner und den nachrangigen Gläubigern regelt § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, dass diese keinen Wert erhalten dürfen, der nicht durch Leistungen in das Vermögen des Schuldners ausgeglichen wird. Hiervon kann nach § 28 Abs. 2 StaRUG nur dann abgewichen werden, wenn die Mitwirkung des Schuldners oder der am Schuldner beteiligten Personen für die Fortführung und damit zur Erreichung der Planziele unerlässlich ist, und der Schuldner sich dazu verpflichtet, an der Erreichung des Planzieles mitzuwirken sowie wirtschaftliche Werte für den Fall, dass aus von ihm zu vertretenden Gründen innerhalb von fünf Jahren die Mitwirkung nicht mehr möglich ist, zu übertragen. Damit von dieser Ausnahme
101
67 Hirte in Braun, StaRUG, § 48 Rz. 6. 68 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 149. 69 Vgl. Braun/Frank in Braun, InsO, § 245 Rz. 8 zum Insolvenzplan.
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§ 2 Rz. 101 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Gebrauch gemacht werden kann, muss letztendlich die Fortführung von dem Gesellschafter oder dem Schuldner selbst abhängen. Nur dann ist gerechtfertigt, dass er durch seine Unternehmensbeteiligung und den Erhalt des Unternehmens auch einen entsprechenden Mehrwert zugewendet bekommt, obwohl die Gläubiger Sanierungsbeiträge leisten, indem sie z.B. auf Forderungen (teilweise) verzichten. 102
Eine weitere Ausnahme von der „Absolute Priority Rule“ ist in § 28 Abs. 1 StaRUG geregelt. Eine Abweichung von der Gleichbehandlung der Planbetroffenen soll dann gerechtfertigt sein, wenn dies nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. Dies ist allerdings nach Satz 2 dieser Vorschrift dann nicht der Fall, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als 50 % der Stimmrechte aller Gläubiger derselben Rangklasse entfallen. Kann diese Schwelle überschritten werden, also wenn unabhängig von der Gruppenbildung 50,1 % aller Stimmberechtigten dem Plan zugestimmt haben, ist zusätzlich die Sachgerechtheit der Abweichung zu prüfen. Dies kann z.B. bejaht werden, wenn die Rechte der für die Weiterführung des Geschäftsbetriebes notwendigen Geschäftspartner weniger tangiert werden. Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang, ob nicht deshalb, weil diesen Gläubigern z.B. als Lieferanten aufgrund einfachen Eigentumsvorbehalts ohnehin Aussonderungsrechte zustehen, eine andere Behandlung gerechtfertigt ist. Im Ergebnis dürfte aber durch das quasi zweite Mehrheitserfordernis des § 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG die Abstimmung und die Prognose nochmals verkompliziert und eine zusätzliche Hürde aufgebaut werden.70
103
Eine weitere Einschränkung der Ersetzungsmöglichkeiten gilt für den Fall, dass eine Gruppenzustimmung ersetzt werden soll, bei der Gläubiger betroffen sind, in deren Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten eingegriffen wird, § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG. Dies ist gem. § 26 Abs. 2 StaRUG nur dann möglich, wenn die vorgesehene Entschädigung für den Rechteverlust angemessen ist.
9. Planbestätigung 104
Sowohl nach einem privatautonomen, als auch nach einem gerichtlichen Abstimmungsverfahren kann auf Antrag des Schuldners gem. § 60 StaRUG eine Bestätigung des von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplans durch Beschluss des Restrukturierungsgerichts erfolgen. Erst mit Bestätigung des Restrukturierungsplans treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen gegenüber allen Planbetroffenen ein, unabhängig davon, ob sie gegen den Plan gestimmt haben oder an der Abstimmung teilgenommen haben, vgl. § 67 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StaRUG. Der Schuldner wird daher auf eine Planbestätigung nur in den Fällen verzichten können, in denen er sich mit allen Planbetroffenen auf eine Planlösung geeinigt hat. Voraussetzung für eine Planbestätigung ist immer der Antrag des Schuldners, der auch bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin gestellt werden kann, vorausgesetzt der Plan wurde zuvor von den Planbetroffenen mehrheitlich angenommen. Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren gem. § 45 StaRUG erfolgt, muss der Schuldner dem Restrukturierungsgericht mit dem Antrag alle Informationen und Unterlagen übermitteln, die für die Bestätigungsentscheidung benötigt werden, § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG. Persönlich haftende Gesellschafter des Schuldners, die natürliche Personen sind, müssen dem Plan gem. § 60 Abs. 2 StaRUG zustimmen.
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Das Gericht kann vor der Bestätigung die Planbetroffenen anhören. Für den Fall, dass die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgte, muss das Gericht vor der Bestätigung einen Termin zur Anhörung der Planbetroffenen durchführen, vgl. § 61 Satz 2 StaRUG. Das Gericht hat vor der Bestätigungsentscheidung für den Fall, dass es sich um einen bedingten Plan handelt, zu prüfen, ob die vorgesehenen Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht wurden, vgl. § 62 StaRUG.
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Das Gericht versagt von Amts wegen die Bestätigung, wenn einer der in § 63 StaRUG aufgeführten, zwingenden Versagungsgründe gegeben ist:
70 Vgl. zur Kritik Herzig in Braun, StaRUG, § 28 Rz. 6.
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IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 109 § 2
– Wenn keine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, Abs. 1 Nr. 1. Der Schuldner soll die Restrukturierungssache grundsätzlich nur dann betreiben können, wenn eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt.71 Liegt daher keine drohende Zahlungsunfähigkeit mehr, sondern bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit vor, ist die Planbestätigung von Amts wegen genauso zu versagen, wie wenn noch nicht einmal eine drohende Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Es ist davon auszugehen, dass, wenn die Zahlungsunfähigkeit in fortgeschrittenem Stadium des Restrukturierungsverfahrens eingetreten ist, für einen bereits angenommenen Restrukturierungsplan die Bestätigung unmittelbar erfolgen kann. Dies folgt daraus, dass auch eine Fortführung der Restrukturierungssache trotz eingetretener Insolvenzreife denkbar ist, wenn die angestrebte Restrukturierung kurz vor dem Abschluss steht, vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG.72 – Wenn die Vorschriften über den Planinhalt oder die verfahrensmäßige Behandlung des Plans sowie über die Annahme des Plans durch die Planbetroffenen in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Schuldner den Mangel nicht mehr beheben kann bzw. nach Setzung einer angemessenen, vom Gericht gesetzten Frist nicht behoben hat. – Wenn die Ansprüche, die den Planbetroffenen in dem gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans zugewiesen werden, und die Ansprüche der Gläubiger, die nicht vom Plan betroffen sind, offensichtlich nicht mehr erfüllt werden können. Die Nichterfüllbarkeit muss offenkundig sein. Anders als bei der Frage der Zahlungsunfähigkeit gem. § 63 Abs. 1 Nr. 1 verweist § 73 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG nicht auf § 63 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG, so dass sich das Restrukturierungsgericht hierbei nicht eines Sachverständigen bedienen kann. Dies ist insoweit auch konsistent, da der Versagungsgrund auf eine Offenkundigkeitsprüfung beschränkt ist. Dem würde der Einsatz eines Sachverständigen, der nur dann Sinn machen würde, wenn tiefgehender geprüft wird, widersprechen. Eine inhaltliche Prüfung des Restrukturierungskonzeptes hat im Rahmen der Bestätigungsentscheidung nicht in jedem Fall zu erfolgen, sondern nur dann, wenn der Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung vorsieht, vgl. § 63 Abs. 2 StaRUG. Hierunter sind Darlehen oder sonstige Kredite gem. § 12 StaRUG zu verstehen. Sind solche Finanzierungen vorgesehen, die dann über § 90 StaRUG in einem möglichen späteren Insolvenzverfahren vor einer Anfechtung geschützt werden, hat das Restrukturierungsgericht das Restrukturierungskonzept auf Schlüssigkeit hin zu überprüfen und muss bei Unschlüssigkeit, Unrichtigkeit oder mangelnden Erfolgsaussichten die Bestätigung versagen. Hierdurch ist letztendlich die Prüfung der Anfechtbarkeit von Sanierungskrediten entsprechend der BGHRechtsprechung im StaRUG verankert.73
107
Wird die Annahme des Planes unlauter herbeigeführt, insbesondere indem einzelne Planbetroffene zu ihrer Zustimmung durch Begünstigungen bewegt wurden, ist dies ebenfalls ein zwingender Versagungsgrund, § 63 Abs. 4 StaRUG.
108
10. Rechtsmittel a) Minderheitenschutz nach § 64 StaRUG Eine Versagung der Bestätigung erfolgt nach § 64 StaRUG, wenn ein Planbetroffener einen nach dieser Vorschrift zulässigen Antrag gestellt hat. Sind im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplanes Mittel für den Fall bereitgestellt, dass ein Planbetroffener eine Schlechterstellung nachweist, ist der Antrag
71 Fendel in Braun, StaRUG, § 63 Rz. 3. 72 Vgl. hierzu auch Fendel in Braun, StaRUG, § 63 Rz. 3. 73 so auch Fendel in Braun, StaRUG, § 63 Rz. 13.
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§ 2 Rz. 109 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen abzuweisen, § 64 Abs. 3 Satz 1 StaRUG. Voraussetzung ist allerdings, dass die Mittel ausreichend sind und ihre Verfügbarkeit sichergestellt ist.74 110
Antragsberechtigt sind nur Planbetroffene, dies können nach § 7 Abs. 1 StaRUG sowohl Gläubiger als auch Anteilsinhaber sein. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist, dass sie dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen und dort bereits geltend gemacht haben, dass sie durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt werden, als sie ohne Plan stünden, § 64 Abs. 2 Satz 1 StaRUG. Hat die Planabstimmung in einem gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin gem. § 45 StaRUG stattgefunden, muss der Antragsteller spätestens in diesem Termin glaubhaft gemacht haben, durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt zu werden, § 64 Abs. 2 Satz 2 StaRUG. Die notwendige Glaubhaftmachung des Antragstellers, dass er durch den Plan mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schlechter gestellt wird,75 erfordert einen substantiierten Vortrag, in dessen Rahmen sich der Antragsteller insbesondere mit der Vergleichsrechnung und den darin erhaltenen Angaben und Prämissen auseinandersetzen muss.
b) Sofortige Beschwerde gem. § 66 StaRUG 111
§ 66 StaRUG räumt dem Planbetroffenen die Möglichkeit ein, mittels einer sofortigen Beschwerde die Planbestätigung anzufechten. Dem Schuldner wird mit dieser Vorschrift spiegelbildlich die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Planbestätigung eingeräumt.
112
Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung des Beschlusses und beträgt zwei Wochen. Voraussetzung ist, dass der Beschwerdeführer dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen und gegen den Plan gestimmt hat, § 66 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StaRUG. Inhaltlich ist die Beschwerde darauf zu stützen, dass der Beschwerdeführer durch den Restrukturierungsplan wesentlich schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde, und dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung analog § 64 Abs. 3 StaRUG ausgeglichen werden kann, § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG. Die Schlechterstellung muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintreten und ist vom Beschwerdeführer glaubhaft zu machen. Dies erfordert insbesondere eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Vergleichsrechnung.
113
Die sofortige Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Eine aufschiebende Wirkung besteht nur dann, wenn dies das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers anordnet, § 66 Abs. 4 StaRUG. Voraussetzung hierfür ist, dass der Vollzug des Restrukturierungsplans zu schwerwiegenden, nicht rückgängig zu machenden Nachteilen für den Beschwerdeführer führt, die außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzuges stehen.76 Dies wird nur in besonderen Ausnahmefällen gegeben sein. Zuständig für die sofortige Beschwerde ist nach § 72 GVG das LG. Eingelegt werden kann die Beschwerde allerdings nur beim Restrukturierungsgericht, § 40 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.
11. Planwirkungen 114
Die Regelungen im Plan treten bereits mit der Verkündung der Bestätigung in Kraft, ohne dass es weiterer Vollzugsakte bedarf. Die vom Plan umfassten Rechtsverhältnisse werden mit der Verkündigung und damit vor Rechtskraft wirksam, mit der Folge, dass z.B. Kürzungen gem. § 7 Abs. 2 StaRUG sofort wirksam werden. Die von der Kürzung umfassten Teile einer Forderung sind daher ab Verkündung nicht mehr durchsetzbar und können gem. § 390 BGB auch nicht mehr zur Aufrechnung herangezogen werden.77 Der Planbetroffene kann dies nur verhindern, wenn er sofortige Beschwerde einlegt
74 75 76 77
Vgl. zum Insolvenzplan Frank in Braun, InsO, § 251 Rz. 9. Vgl. hierzu Fendel in Braun, StaRUG, § 64 Rz. 13. Vgl. Fendel in Braun, StaRUG, § 66 Rz. 12. Bauch in Braun, StaRUG, § 67 Rz. 3.
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IV. Der Restrukturierungsplan | Rz. 120 § 2
und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde nach § 66 Abs. 4 StaRUG stellt. Hieran sind aber hohe Anforderungen gestellt. Gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG werden alle Planbetroffenen in den Wirkungskreis des Plans einbezogen, unabhängig davon, ob diese gegen Plan gestimmt oder nicht am Abstimmungsverfahren teilgenommen haben. Sofern es sich bei der Schuldnerin um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien handelt, erstreckt sich die Befreiungswirkung des gestaltenden Teils auch auf deren persönlich haftende Gesellschafter, sofern nichts anderes bestimmt ist, vgl. § 67 Abs. 2 StaRUG. Gegenüber Dritten, wie z.B. Mitschuldnern und Bürgen des Schuldners, können die Planbetroffenen dagegen weiterhin ihre Ansprüche geltend machen, sofern nicht bei gruppeninternen Sicherheiten ein Eingriff nach § 2 Abs. 4 erfolgte, vgl. § 67 Abs. 3 Satz 1 StaRUG. Daraus resultierende Rückgriffsansprüche gegenüber dem Schuldner sind allerdings von der Befreiungswirkung umfasst, § 67 Abs. 3 Satz 2 StaRUG.
115
Gemäß § 67 Abs. 5 StaRUG wird klargestellt, dass bei einem Debt-to-Equity-Swap keine Nachschusspflicht besteht und auch die Geltendmachung von subsidiären Ansprüchen von Gesellschaftern gegen neue Gesellschafter aus alten Sachverhalten, wie z.B. die Haftung für rückständige Einlagen, ausgeschlossen ist.
116
Gemäß § 67 Abs. 6 StaRUG werden mit rechtskräftiger Bestätigung Mängel im Verfahren der Planabstimmung sowie Willensmängel von Planangebot und Planannahme geheilt. Davon sind auch Verfahrensmängel bei der Planabstimmung umfasst. Will also ein Planbetroffener die in dem Restrukturierungsplan beabsichtigten Maßnahmen verhindern oder zumindest ihre Ausgestaltung beeinflussen, ist es wichtig, dass er sich frühzeitig und aktiv in das Verfahren einbringt.
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12. Planüberwachung Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans kann die Planüberwachung vorgesehen werden. In diesem Fall ist ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen zu bestellen, § 73 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG. Ihm obliegt es, die Erfüllung der im Restrukturierungsplan vorgesehenen Leistungen an die Planbetroffenen zu überwachen. Die Planüberwachung kann längstens für drei Jahre ab Rechtskraft des Restrukturierungsplans angeordnet werden, § 72 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG. Sie endet auch, wenn die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht werden soll, befriedigt sind, § 72 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG, oder im schlechten Fall, wenn das Restrukturierungsvorhaben nicht erfolgreich war und aufgrund dessen über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wurde, § 72 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG. Nach § 72 Abs. 3 StaRUG hat der Restrukturierungsbeauftragte, wenn er feststellt, dass die Erfüllung der Ansprüche nicht erfolgen kann, dies sowohl dem Restrukturierungsgericht als auch den Planbetroffenen unverzüglich anzuzeigen. Wie auch die Anzeige nach § 262 InsO, an die § 72 Abs. 3 StaRUG angelehnt ist,78 löst die Anzeige keine Rechtsfolgen aus, sondern hat rein informativen Charakter.79
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Es ist Sache der planbetroffenen Gläubiger, wie sie auf die Anzeige reagieren, ob sie z.B. eine Stundung vereinbaren oder darauf warten, dass der Schuldner mit seinen Leistungen in erheblichen Rückstand i.S.d. § 69 Abs. 1 StaRUG gerät, so dass ihre Forderungen wieder in voller Höhe aufleben. Dies setzt allerdings gem. § 69 Abs. 1 Satz 2 StaRUG voraus, dass der Gläubiger den Schuldner zur Zahlung gemahnt hat mit einer Fristsetzung von mindestens zwei Wochen, und der Schuldner dennoch die fällige Leistung nicht erbracht hat.
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Die Überwachungspflicht des Restrukturierungsbeauftragten besteht auch nach der Anzeige fort, so dass grundsätzlich auch jede neuerliche Nichtzahlung oder Gefahr der Nichtzahlung anzeigepflichtig
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78 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 169. 79 Freund in Beck OK InsO, 22. Ed. Stand 15.1.2021, § 262 Rz. 6.
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§ 2 Rz. 120 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist. Nur wenn sicher ist, dass die Gläubiger aufgrund vorangegangener Benachrichtigungen ausreichende Kenntnis von den Zahlungsschwierigkeiten des Planschuldners haben und dennoch nicht handeln, kann der Restrukturierungsbeauftragte weitere Anzeigen unterlassen.80 Zur Haftungsvermeidung empfiehlt sich jedoch für den Restrukturierungsbeauftragten, im Zweifel lieber eine Anzeige zu viel vorzunehmen, als eine zu wenig. Wie im Insolvenzplan häufig praktiziert, ist es auch im Restrukturierungsplan ratsam, die Kontrolldichte der Überwachung sowie die anzusetzende Frist für die Prognose der künftigen (Nicht-)Erfüllbarkeit bereits im gestaltenden Teil festzulegen.81 121
Die Planüberwachung dürfte sich in vielen Fällen als zusätzliche vertrauensbildende Maßnahme anbieten. Es empfiehlt sich dann auch festzulegen, entweder im Plan oder durch Vereinbarung mit dem Restrukturierungsbeauftragten, welche Auswertungen zu welchen Terminen verbindlich übermittelt werden. Eine Gefährdung der Erfüllung der Ansprüche ist auch dann anzunehmen, wenn der Schuldner seinen Informationspflichten nicht nachkommt und damit für den Restrukturierungsbeauftragten keine verlässliche Informationsgrundlage zur Erfüllung seiner Überwachungspflichten zur Verfügung gestellt wird.
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Gehören zu den planbetroffenen Gläubigern entsprechend aktive und professionelle Gläubiger, kann auch, wie in außergerichtlichen Sanierungen üblich, die Einrichtung eines Sanierungsbeirats durch entsprechende Vereinbarungen außerhalb des Restrukturierungsplans, gegenüber dem dann bestimmte Berichtspflichten bestehen, sinnvoll sein. Dies wird allerdings nur in Verbindung mit entsprechenden Finanzierungsauflagen und daraus folgenden Konsequenzen bei Verstoß für die betreffenden Gläubiger eine Notwendigkeit sein bzw. einen Mehrwert schaffen.
VI. Der Restrukturierungsbeauftragte 1. Allgemeines 123
In bestimmten Fällen von Amts wegen, sowie auf Antrag des Schuldners oder eines Quorums der Planbetroffenen,82 bestellt das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten. Das Gericht kann den Restrukturierungsbeauftragen auch als Sachverständigen bestellen. Je nach Ausgestaltung des Beschlusses und des Restrukturierungsfalles übernimmt er daher kontrollierende, unterstützende, moderierende und gutachterliche Aufgaben. Da auf ihn keine Verfügungsbefugnisse übergehen, kann man seine Rechtsstellung am ehesten mit der eines Sachwalters vergleichen. Als neutrale, unabhängige und idealerweise fachkundige, von allen Parteien akzeptierte Person kann er einen wesentlichen, verfahrensfördernden Beitrag leisten.
2. Der obligatorische Restrukturierungsbeauftragte 124
In bestimmten Fällen hat das Restrukturierungsgericht von Amts wegen einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, § 73 StaRUG. In diesen Fällen wird die Aufgabe des Restrukturierungsbeauftragten konkretisiert werden durch Anordnungen nach § 76 Abs. 2 Nr. 2, 3 und Abs. 3 StaRUG, so dass der Restrukturierungsbeauftragte eine sachwalterähnliche Stellung erlangen wird. Dies ist dann der Fall, wenn im Rahmen der Restrukturierung in die Rechte von Verbrauchern oder mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen eingegriffen wird, der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung nach §§ 49 ff. StaRUG beantragt, die sich gegen alle oder zumindest im Wesentlichen gegen alle Gläubiger wendet, und wenn der Restrukturierungsplan eine Planüberwachung vorsieht. 80 Stephan in MünchKomm/InsO, 4. Aufl., § 262 Rz. 15. 81 Freund in Beck OK InsO, 22. Ed. Stand 15.1.2021, § 262 Rz. 6.1. 82 Das Antragsrecht steht nach § 77 StaRUG den Gläubigern gemeinschaftlich zu, wenn auf sie mehr als 25 % der Stimmrechte in einer Gruppe entfallen oder voraussichtlich entfallen werden, und wenn sie sich zur gesamtschuldnerischen Übernahme der Kosten der Beauftragung verpflichten.
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VI. Der Restrukturierungsbeauftragte | Rz. 130 § 2
Dabei bezieht sich der Gesetzgeber auf die Definitionen von Verbrauchern in § 13 BGB sowie bei mittleren, kleinen und Kleinstunternehmen auf die Empfehlung 2003/361/EG der EU-Kommission vom 6.5.2003.83 Demnach handelt es sich bei Kleinstunternehmen um solche mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz bzw. einer Bilanzsumme von maximal 2 Mio. Euro, bei einem Kleinunternehmen um ein Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von maximal 10 Mio. Euro und bei mittleren Unternehmen um solche, die über weniger als 240 Beschäftigte und entweder einen Jahresumsatz von maximal 50 Mio. Euro oder eine Bilanzsumme von maximal 43 Mio. Euro verfügen.
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Erfährt das Restrukturierungsverfahren durch eine Stabilisierungsanordnung, die sich an überwiegend alle Gläubiger des Unternehmens richtet, eine quasi insolvenzverfahrensartige Prägung, ist ebenfalls ein Restrukturierungsbeauftragter einzusetzen, § 73 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG.
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Eine neutrale, überwachende Funktion wird auch dann erforderlich, wenn der Restrukturierungsplan vorsieht, dass die Quotenzahlungen an die Planbetroffenen überwacht werden sollen. Die Überwachung ist gem. § 73 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 72 Abs. 2 StaRUG einem Restrukturierungsbeauftragten zu übertragen, der im Falle der Nichterfüllung oder Nichterfüllbarkeit der Planansprüche eine entsprechende Anzeige an das Restrukturierungsgericht und die betroffenen Plangläubiger zu machen hat.
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In den genannten Fällen kann das Gericht von der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten nur dann absehen, wenn die Einsetzung nicht erforderlich oder offensichtlich unverhältnismäßig ist, § 73 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Bei jeder Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten ist daher von dem Restrukturierungsgericht zu prüfen, ob diese verhältnismäßig ist. Die Bestellung ist dadurch in das Ermessen des Gerichts gestellt und kann immer dann unterbleiben, wenn das Gericht der Auffassung ist, dass sie nicht erforderlich ist oder insbesondere die Kosten zu dem Nutzen außer Verhältnis stehen würden. Es ist davon auszugehen, dass dies in den genannten Regelfällen die Ausnahme bleiben wird, und nur bei Sachverhalten von einer Bestellung abgesehen werden kann, in denen z.B. nur ein oder wenige KMUs beteiligt sind, von dem bzw. denen feststeht, dass sie über die nötige Erfahrung und Expertise bei der Teilnahme an einem Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG verfügen.84
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Das Restrukturierungsgericht hat gem. § 73 Abs. 2 StaRUG auch dann einen Restrukturierungsbeauftragten einzusetzen, wenn absehbar ist, dass der Plan oder das Restrukturierungskonzept nur gegen den Widerstand von Betroffenen durchsetzbar ist, die in einer Abstimmungsgruppe eine Mehrheit bilden werden, so dass eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung nach § 26 StaRUG erforderlich wird. Die Prüfung dieses Anwendungsfalls dürfte für die Gerichte insbesondere zu Beginn des Verfahrens schwierig sein. Das Gericht wird dies nur prüfen können, wenn es von dem Schuldner entsprechende Hinweise erhält. Wird das Verfahren eingeleitet, wird das Gericht entsprechende Hinweise ggf. über betroffene Gläubiger erhalten. Die Darlegung dieses Umstandes kann damit eine weitere Möglichkeit für die Gläubiger begründen, neben §§ 77 ff. StaRUG einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, auch außerhalb der Fälle des § 73 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StaRUG.
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Das Gericht kann auch während des Verfahrens den Restrukturierungsbeauftragten bestellen und ist nicht gehindert, dies im Nachhinein zu tun, wenn es bei Anzeige der Restrukturierungssache noch nicht erkennen konnte, dass die Voraussetzungen vorliegen bzw. diese zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen.85
130
83 Vgl. hierzu Blümle/Erbe in Braun, StaRUG, § 73 Rz. 5. 84 Der Gesetzgeber wollte bewusst nicht in jedem Fall einen Restrukturierungsbeauftragten einsetzen, sondern es soll eine Bestellung von Amts wegen im Interesse nur der Beteiligten erfolgen, deren Möglichkeiten zur effektiven Interessenwahrnehmung eingeschränkt sind, vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 93. 85 Dies legen auch Blümle/Erbe in Braun, StaRUG, § 73 Rz. 24, zugrunde.
Böhm | 91
§ 2 Rz. 131 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen
3. Der fakultative Restrukturierungsbeauftragte a) Der Restrukturierungsbeauftragte als Gutachter 131
Das Restrukturierungsgericht kann gem. § 73 Abs. 3 StaRUG einen Restrukturierungsbeauftragten als Gutachter bzw. Sachverständigen für bestimmte Problemfelder bestellen. Dies ist nach den aufgeführten Regelbeispielen insbesondere dann der Fall, wenn die Voraussetzungen der Bestätigung bzw. Versagung des § 63 Abs. 1 Nr. 1 (keine drohende Zahlungsunfähigkeit), des § 63 Abs. 2 (neue Finanzierung und unschlüssiges Restrukturierungskonzept oder mangelnde Erfolgsaussichten) oder des § 64 Abs. 1 StaRUG (Minderheitenschutz) zu überprüfen sind.
b) Die fakultative Bestellung nach §§ 77 ff. StaRUG 132
Auf Antrag des Schuldners oder einer Gläubigergruppe kann ein sog. fakultativer Restrukturierungsbeauftragter durch das Gericht bestellt werden. Er hat die Aufgabe, die Verhandlungen zwischen den Beteiligten zu fördern. Seine Position ist daher eher mit der eines Sanierungsmoderators86 zu vergleichen als mit der des nach §§ 73 ff. StaRUG eingesetzten Restrukturierungsbeauftragten, der Sachwalter-ähnliche Befugnisse hat bzw. haben kann. Denkbar ist auch die Bestellung eines personenverschiedenen, fakultativen Restrukturierungsbeauftragten zusätzlich zu einem von Amts wegen eingesetzten Restrukturierungsbeauftragten, der die Aufgaben nach §§ 73 ff. StaRUG wahrnimmt.87
133
Auch dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten können auf Antrag zusätzlich eine oder mehrere Aufgaben nach § 76 StaRUG zugewiesen werden. Damit auf diesem Wege kein „unbedeutender“ Gläubiger das Verfahren beeinflussen kann, ist für einen Gläubigerantrag Voraussetzung, dass eine Gruppe von Gläubigern, der mehr als 25 % der Stimmrechte einer Gruppe zusteht, den Antrag gemeinschaftlich stellt. Außerdem müssen die Gläubiger sich bereit erklären, die Kosten des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten bzw. seiner Beauftragung zu übernehmen. Von einem Vorschlag zu der Person des Restrukturierungsbeauftragten, den eine Gläubigergruppe vorschlägt, in der alle planbetroffenen Gruppen repräsentiert sind, kann das Gericht nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist, oder der Schuldner dem Vorschlag widerspricht, § 78 Abs. 2 StaRUG.
4. Auswahl und Bestellung 134
Dem Restrukturierungsbeauftragten kommt zwar keine einem Insolvenzverwalter vergleichbare zentrale Rolle im Verfahren zu. Er kann aber durchaus verfahrensfördernd einwirken. Insbesondere da er, sollte später dann doch ein Insolvenzverfahren notwendig werden, voraussichtlich auch zum Insolvenz- oder Sachwalter bestellt wird, kommt der Auswahl Bedeutung zu.
135
Der Gesetzgeber gibt, wie auch bei der Auswahl des Insolvenzverwalters, nur eine grobes Anforderungsprofil für den zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten vor. Gesetzlich ausdrücklich klargestellt ist im Hinblick auf die Diskussion, ob auch eine juristische Person zum Insolvenzverwalter bestellt werden kann, dass nur natürliche Personen Restrukturierungsbeauftragter werden können. Entsprechend den Regelungen zum Insolvenzverwalter muss es sich um eine für den Einzelfall geeignete Person handeln. Damit wird vorgegeben, dass die individuellen Fähigkeiten des Beauftragten für die konkrete Bestellungsentscheidung, also den jeweiligen Einzelfall, passend sein müssen.88 Hinsichtlich der Qualifikation werden die Berufe mit Berufsexamina wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt genannt, allerdings sind auch sonstige natürliche Personen mit einer vergleichbaren Qualifikation zugelassen. Hinzu kommt das Kriterium, dass die Person in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahren sein muss. Dies ist nicht alternativ, sondern kumulativ und im Hinblick auf 86 Vgl. §§ 94 ff. StaRUG. 87 Blümle/Erbe in Braun, StaRUG, § 77 Rz. 1. 88 Vgl. hierzu Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 171.
92 | Böhm
VI. Der Restrukturierungsbeauftragte | Rz. 139 § 2
die Pflicht, den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu überwachen und auch dem Gericht anzuzeigen, erforderlich, vgl. § 76 Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG. Für die erforderliche Sachkunde im konkreten Einzelfall können insbesondere auch Kriterien wie Branchenexpertise oder Erfahrung in ähnlich strukturierten Fällen, wie z.B. Sanierungen in Konzernen oder Konzerninsolvenzen, eine Rolle spielen. Die Auswahl hat aus dem Kreis der zur Übernahme des Amtes bereiten Personen zu erfolgen. Damit ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber entsprechende Vorauswahllisten für die Restrukturierungsgerichte als sinnvoll erachtet, so wie es sich bereits bei den Insolvenzverwalterbestellungen herausgebildet hat. Auch die Richtlinie ging offensichtlich von einem „Pool“ der für die Tätigkeit geeigneten Personen aus.89 Es ist davon auszugehen, dass die Restrukturierungsgerichte, die gleichzeitig Insolvenzgerichte sind, bevorzugt auf einen Teil der von ihnen regelmäßig bestellten Insolvenz- und Sachwalter zurückgreifen werden. Im Hinblick auf den großen Sanierungs- und betriebswirtschaftlichen Schwerpunkt bieten sich aber auch andere qualifizierte Berufsgruppen für diese Tätigkeit an. Es wird sich zeigen, ob sich eine ähnliche Auseinandersetzung über die Einschränkung der Berufsfreiheit bei Nichtbestellung einer grundsätzlich geeigneten Person wie bei der Bestellpraxis des Insolvenzverwalters entwickeln wird.90
136
Wie auch beim Insolvenzverwalter und dem Sachwalter ist Voraussetzung für die vollumfängliche Akzeptanz der Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten im konkreten Fall seine Unabhängigkeit. Er darf weder dem Schuldner, noch den Gläubigern verpflichtet sein, sondern muss seine Tätigkeit objektiv einzig am Verfahrenszweck ausrichten. Dies kann im Spannungsverhältnis zu dem Bedürfnis der beteiligten Gläubiger und des Schuldners stehen, die eigenen Erfahrungen bzw. die Erfahrungen der Berater mit bestimmten Insolvenzverwaltern zu nutzen und Einfluss zu nehmen, dass eine der am Markt etablierten, positiv eingeschätzten Personen das Amt übernimmt. Sofern dies mit dem Ziel geschieht, den für den Sanierungsprozess bestmöglichen Restrukturierungsbeauftragten zu erhalten, ist hiergegen nichts einzuwenden. Entscheidend ist, dass durch das Vorschlagswesen die Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt wird. Der Gesetzgeber hat sich für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten an die Systematik bei der Insolvenzverwalterbestellung angelehnt. Nach § 74 Abs. 2 StaRUG berücksichtigt das Restrukturierungsgericht bei der Auswahl Vorschläge des Schuldners, der Gläubiger und der Gesellschafter, d.h. es hat diese Vorschläge in seine Ermessensentscheidung einzubeziehen.
137
In bestimmten Fällen ist das Restrukturierungsgericht an den Vorschlag gebunden und kann hiervon nur abweichen, wenn die Person offensichtlich ungeeignet ist. In diesem Fall muss das Gericht die Abweichung begründen. Der Vorschlag des Schuldners ist nach § 74 Abs. 2 Satz 2 StaRUG dann bindend, wenn er eine Bescheinigung eines in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorlegt, dass die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG erfüllt sind, nämlich die Anordnungsvoraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung nach diesen Vorschriften, vgl. hierzu unten Ziffer VII. 3. Nur bei offensichtlicher Ungeeignetheit kann das Gericht in diesem Fall von einem Vorschlag abweichen.
138
Aber auch die Gläubiger können nach dem System des Gesetzgebers einen weitestgehend bindenden Vorschlag für einen von Amts wegen einzusetzenden Restrukturierungsbeauftragten unterbreiten, von dem ebenfalls nur bei Ungeeignetheit und mit schriftlicher Begründung abgewichen werden kann. Voraussetzung für den Gläubigerantrag nach § 74 Abs. 2 Satz 3 StaRUG ist, dass 25 % des Stimmrechtes aller zu bildenden Gruppen sich auf einen Vorschlag einigen. In der Theorie wird dies, zumindest wenn ein Restrukturierungsbeauftragter zu Beginn des Verfahrens eingesetzt werden soll, in vielen Fällen nicht umsetzbar sein. In Fällen, bei denen sich die Restrukturierungssache auf einen Kreis von Finanzgläubigern beschränkt und mit diesen entsprechende Vorgespräche geführt wurden, ist denk-
139
89 ErwG 88 der Richtlinie (EU 2019/1023 v. 20.6.2019), vgl. Fn. 2. 90 Vgl. hierzu BVerfG, NZI 2004, 574 ff.
Böhm | 93
§ 2 Rz. 139 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen bar, dass sich diese entsprechend organisieren und einen Vorschlag unterbreiten. Die Praxis zur Insolvenzverwalterbestellung zeigt aber, dass dies eher die Ausnahme sein wird und es dem Schuldner und dessen Berater überlassen bleibt, einen entsprechenden, für alle Beteiligten akzeptablen Vorschlag zu unterbreiten. Die Durchsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten, der nur das Vertrauen einzelner Gruppen oder des Gesellschafters des Schuldners oder des Gerichts hat, belastet regelmäßig das Verfahren erheblich und sollte daher unbedingt vermieden werden. 140
Wenn das Gericht einem Vorschlag folgt, kann es allerdings einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten bestellen und ihm bestimmte Aufgaben übertragen, nämlich nach § 74 Abs. 3 StaRUG alle dem Restrukturierungsbeauftragten zuweisbaren Aufgaben mit Ausnahme der Entscheidung über die Art der Abstimmung über den Restrukturierungsplan sowie die Leitung und Dokumentation der außergerichtlichen Planabstimmung (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 1 und 2 StaRUG). Durch einen solchen „Sonderbeauftragten“ kann das Gericht bei etwaigen Zweifeln sicherstellen, dass der Schuldner durch einen neutralen und unabhängigen Restrukturierungsbeauftragten überwacht wird. Da durch die Beauftragung zweier Restrukturierungsbeauftragter der Abstimmungs- und Kommunikationsaufwand in der Regel noch größer werden dürfte, empfiehlt es sich, eine Verständigung unter den Beteiligten auf einen Restrukturierungsbeauftragten, der das Vertrauen des Schuldners, der Planbetroffenen, aber insbesondere auch des Gerichts genießt, herbeizuführen.
5. Rechtsstellung 141
Der Restrukturierungsbeauftragte steht unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichtes. Ihm obliegt insoweit eine Auskunftspflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht, nicht aber gegenüber anderen einzelnen Beteiligten.91 Allerdings wird sich anbieten, dass der Restrukturierungsbeauftragte auch ähnlich wie ein Sachwalter Zwischenberichte fertigt, die den Planbetroffenen zugänglich gemacht werden.
142
In Anlehnung an die Vorschriften zum Insolvenzverwalter kann auch der Restrukturierungsbeauftragte aus wichtigem Grund entlassen werden. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn er seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann oder sich zeigt, dass der Restrukturierungsbeauftragte nicht unabhängig ist. Die fehlende Unabhängigkeit ist ein Grund, der auch einen Entlassungsantrag eines Gläubigers oder des Schuldners rechtfertigt. Der Antragsteller muss diesen Grund aber glaubhaft machen, § 75 Abs. 2 Satz 3 StaRUG.
143
Der Restrukturierungsbeauftragte soll seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit und entsprechend dem Insolvenzverwalter unparteiisch wahrnehmen, § 75 Abs. 4 StaRUG. Verletzt er diese Pflichten, kann er zum Schadensersatz verpflichtet sein, vgl. dazu Rz. 157 f.
6. Aufgaben 144
Die Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten unterscheiden sich danach, ob es sich um einen obligatorischen oder einen fakultativen Beauftragten handelt. Zu den von Amts wegen Bestellten gehört auch der nach dem Ermessen des Gerichts von diesem eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte, der für Prüfungen als Sachverständiger eingesetzt wird, oder der Restrukturierungsbeauftragte, der eingesetzt wird, weil absehbar ist, dass es zu nicht-konsensualen Entscheidungen kommt, § 73 Abs. 3 und Abs. 2 StaRUG.
91 Blümle/Erbe in Braun, StaRUG, § 75 Rz. 11.
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VI. Der Restrukturierungsbeauftragte | Rz. 149 § 2
a) Die Aufgaben des von Amts wegen bestellten Restrukturierungsbeauftragten Als Generalaufgabe für den von Amts wegen durch das Gericht bestellten Restrukturierungsbeauftragten legt der Gesetzgeber in § 76 Abs. 1 StaRUG die Pflicht fest, dem Gericht Umstände mitzuteilen, die eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 StaRUG rechtfertigen würden.
145
Ist ein Restrukturierungsbeauftragter zwingend zu bestellen, weil der Plan in die Rechte von Verbrauchern oder KMU eingreifen soll (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), eine Stabilisierungsanordnung gegen im Wesentlichen alle Gläubiger beantragt wurde (§ 73 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) oder absehbar ist, dass ein cross-class cram-down nach § 26 StaRUG notwendig ist (§ 73 Abs. 2 StaRUG), gehört es zu den Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten, über die Art der Durchführung der Planabstimmung zu entscheiden, also ob eine Planabstimmung im gerichtlichen Verfahren nach §§ 45 f. StaRUG oder außergerichtlich nach §§ 17 ff. StaRUG erfolgen soll, § 76 Abs. 2 StaRUG. Entscheidet der Restrukturierungsbeauftragte, dass die Versammlung nicht vom Gericht geleitet wird, obliegt es ihm, die Versammlung zu leiten und die Abstimmung zu dokumentieren. Der Beauftragte prüft außerdem die Forderungen, die Absonderungsanwartschaften und die gruppeninternen Drittsicherheiten in Hinblick auf das daraus resultierende Stimmrecht.
146
Dies gilt auch bei streitigen Forderungen. Hier weist der Restrukturierungsbeauftragte nach den gesetzlichen Vorgaben die Planbetroffenen darauf hin, dass die Forderungen strittig oder zweifelhaft sind und wirkt auf eine Stimmrechtsfestsetzung im Wege einer gerichtlichen Vorprüfung nach § 47 f. StaRUG hin.
147
Im Gesetz finden sich aber auch Vorschriften, die die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständiger bzw. für weitere Aufgaben vorsehen. So kann gem. § 76 StaRUG ein Restrukturierungsbeauftragter damit beauftragt werden, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG), den Zahlungsverkehr des Schuldners zu übernehmen (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG), Zahlungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs des Schuldners zu prüfen und diesen ggf. zuzustimmen (§ 76 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG), den Fortbestand der Anordnungsvoraussetzungen bzw. das Vorliegen eines Aufhebungsgrunds zu prüfen, wenn eine Stabilisierungsanordnung ergangen ist (§ 76 Abs. 3 StaRUG), und den vom Schuldner zur Bestätigung vorgelegten Restrukturierungsplan zu prüfen bzw. zur Erklärung des Schuldners oder eines Dritten nach § 14 StaRUG zur Bestandsfähigkeit Stellung zu nehmen (§ 76 Abs. 4 StaRUG).
148
b) Die Aufgaben des auf Antrag bestellten Restrukturierungsbeauftragten Der auf Antrag des Schuldners oder einer Gläubigergruppe92 eingesetzte fakultative Restrukturierungsbeauftragte unterstützt nach § 79 StaRUG den Schuldner und die Gläubiger bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzeptes und des auf diesem Restrukturierungskonzept basierenden Plans. Damit fallen die dem von Amts wegen eingesetzten Restrukturierungsbeauftragten gem. § 76 StaRUG zugewiesenen Überwachungsaufgaben dem fakultativen Restrukturierungsbeauftragten grundsätzlich nicht zu. Eine entsprechende Aufgabenzuweisung durch das Gericht kann nur auf Antrag des Schuldners oder der Gläubigergruppe erfolgen, § 77 Abs. 2 StaRUG. Die grundlegende Aufgabenstellung unterscheidet sich damit deutlich: Von einer auch überwachenden, einem Sachwalter angenäherten Position hin zu einer Mediatorenrolle. Der auf Antrag eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte überwacht und prüft nicht die Voraussetzungen für die Eingriffe in die Gläubigerrechte, sondern versucht, im Interesse aller Beteiligten den Restrukturierungsprozess zu fördern, indem er z.B. Informationsasymmetrien ausgleicht und als Mediator fungiert.93
92 Beantragt werden kann die Einsetzung vom Schuldner oder den Gläubigern, wenn diese mehr als 25 % der Stimmrechte in einer etwaigen Gruppe vertreten und wenn sie sich zur gesamtschuldnerischen Übernahme der Kosten verpflichten, § 77 Abs. 1 StaRUG. 93 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 175; Blümle/Erbe in Braun StaRUG, § 77 Rz. 13.
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§ 2 Rz. 150 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen
7. Vergütung und Haftung a) Vergütung 150
Anders als der Sach- oder Insolvenzverwalter wird der Restrukturierungsbeauftragte wie auch der Sanierungsmoderator nicht nach einem Gegenstandswert vergütet, sondern mit einem Zeithonorar. Nach den Regelungen des § 81 StaRUG erhalten er und die von ihm eingesetzten Mitarbeiter ein Stundensatzhonorar, das sich für den Restrukturierungsbeauftragten auf maximal 350 € beläuft. Für qualifizierte Mitarbeiter beträgt die Vergütung maximal 200 €.
151
Die Stundensätze werden jeweils im Einzelfall vom Restrukturierungsgericht festgelegt. Bei der Ermittlung der Angemessenheit des Stundensatzes sind sowohl die Qualifikation des Restrukturierungsbeauftragten als auch die Komplexität des Verfahrens und die Haftungsrisiken zu berücksichtigen. Nach § 81 Abs. 3 StaRUG sind die Unternehmensgröße sowie die Art und der Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners als weitere Kriterien explizit angeführt. Zieht man die Parallele zu marktüblichen Stundensätzen von in Wirtschaftskanzleien tätigen Rechtsanwälten, ist davon auszugehen, dass in größeren Fällen Stundensätze von 350 € angesetzt werden können. Aber auch bei mittleren und kleineren Fällen wird voraussichtlich ein Stundensatz von 250 € nicht unterschritten werden.
152
Die Festsetzung des Stundensatzes erfolgt bereits mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten. Von dem Restrukturierungsbeauftragten sind die zum Einsatz kommenden qualifizierten Mitarbeiter dem Restrukturierungsgericht zu benennen. Die Stundensätze sind dann für den jeweiligen Restrukturierungsfall verbindlich. Eine nachträgliche Änderung ist nicht mehr möglich, die sofortige Beschwerde dagegen ist aber nach § 82 Abs. 3 StaRUG sowohl für den Restrukturierungsbeauftragten als auch für jeden Auslagenschuldner zulässig.94
153
In besonderen Fällen können die Höchstsätze des § 81 Abs. 3 StaRUG gem. § 83 StaRUG überschritten werden. Dies ist dann der Fall, wenn eine Einigung zwischen dem Restrukturierungsbeauftragten und den voraussichtlichen Auslagenschuldnern über eine höhere Vergütung als den Höchststundensatz erfolgt ist, § 83 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Alternativ ist dies dann möglich, wenn nicht zu erwarten ist, dass zu einem Höchstregelstundensatz eine geeignete Person gefunden werden kann, die die Tätigkeit übernimmt. Dies könnte in besonders komplexen Fällen mit hohen Haftungsrisiken der Fall sein. Die dritte Möglichkeit eines besonderen Falles sieht der Gesetzgeber dann als gegeben an, wenn dem Restrukturierungsbeauftragten so weitreichende Aufgaben übertragen werden, dass diese denen des Sachwalters in einem Eigenverwaltungsverfahren ähneln. Dies wäre dann z.B. der Fall, wenn über eine Stabilisierungsanordnung oder einen Restrukturierungsplan nahezu alle Gläubiger in das Verfahren einbezogen werden. Denkbar wäre dann, dass die Vergütung auch den Vergütungsmodellen in einem Insolvenzverfahren, also einer Sachwaltervergütung angenähert wird.95 Zu beachten ist allerdings, dass auch in diesen Fällen grundsätzlich die Vergütung durch das Restrukturierungsgericht festzusetzen ist. Eine etwaige zwischen den Parteien vorher abgeschlossene Vergütungsvereinbarung hat insoweit grundsätzlich keine bindende Wirkung. Ausgenommen hiervon ist jedoch nach § 83 Abs. 2 StaRUG der Fall, dass die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten auf einstimmigen Antrag oder Vorschlag der Auslagenschuldner erfolgt.
154
Gleichzeitig mit der Festsetzung der Stundensätze bestimmt das Gericht auch ein Stundenbudget, das dem Restrukturierungsbeauftragten und seinen Mitarbeitern zur Verfügung steht. Das Zeitbudget begrenzt den Vergütungsanspruch damit ebenfalls in seiner Höhe und kann nur unter den Bedingungen des § 81 Abs. 6 StaRUG angepasst werden, nämlich wenn das Budget für eine sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse nicht ausreicht, der Beauftragte Grund und Ausmaß des Erhöhungsbedarfs unverzüglich dem Restrukturierungsgericht darlegt und die Auslagenschuldner durch
94 Vgl. hierzu Wolf in Braun, StaRUG, § 81 Rz. 6. 95 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 178.
96 | Böhm
VI. Der Restrukturierungsbeauftragte | Rz. 158 § 2
das Gericht angehört worden sind. Zu Beginn des Verfahrens wird der Gesamtaufwand regelmäßig schwer abzuschätzen sein; das Gericht wird sich hierzu sinnvollerweise mit dem Restrukturierungsbeauftragten abstimmen. Neben dem Honorar sind auch die Auslagen Bestandteil der Vergütung. § 81 Abs. 7 StaRUG verweist insoweit auf § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 sowie die §§ 6 und 7 und den § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG.96 Die Vergütung wird durch das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Restrukturierungsbeauftragten festgesetzt und zunächst aus der Staatskasse bezahlt. Im zweiten Schritt werden dann diese gerichtlichen „Auslagen“ im Sinne von Nr. 9017 KV GKG, also die Vergütung und die Auslagen des Restrukturierungsbeauftragten, die aus der Staatskasse bezahlt wurden, auf den oder die Auslagenschuldner umgelegt. Im Regelfall ist dies der Schuldner, § 82 Abs. 2 Satz 2 StaRUG. Nur bei der Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag einer Gläubigergruppe werden die Kosten des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten auf die antragstellenden Gläubiger als Auslagenschuldner umgelegt, § 82 Abs. 2 Satz 3 StaRUG, soweit sie für Tätigkeiten entstehen, die dem Beauftragten auf den Gläubigerauftrag hin zugeordnet wurden.
155
Nach § 81 Abs. 5 StaRUG soll die Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragten erst nach Zahlung der Gerichtsgebühr für die Bestellung und eines Vorschusses auf die Auslagen erfolgen. Im Falle einer Bestellung von Amts wegen soll auch über die Beantragung von Stabilisierungsmaßnahmen erst entschieden werden, wenn die Gerichtsgebühren und ein Vorschuss auf die Auslagen bezahlt sind. So ist sichergestellt, dass die Staatskasse nicht Gefahr läuft, mit dem Erstattungsanspruch der Gerichtskosten sowie der festzusetzenden und zu verauslagenden Vergütung für den Restrukturierungsbeauftragten auszufallen.
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b) Haftung Gemäß § 75 Abs. 4 Satz 3 StaRUG haftet der Restrukturierungsbeauftragte gegenüber den Betroffenen auf Schadensersatz, wenn er die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt. Verstöße gegen die Neutralitätspflicht, z.B. ein kollusives Zusammenwirken mit dem Schuldner, könnten einen solchen Schadensersatzanspruch begründen. Allerdings wird der Nachweis der Kausalität für eine Entscheidung der Gläubiger, z.B. für die Zustimmung zu dem Restrukturierungsplan, und für die Höhe des Schadens schwierig sein. Auch der Nachweis eines Schadens bei Verstoß gegen Verschwiegenheitspflichten dürfte in der Praxis nur schwer zu führen sein.
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Im Rahmen der Pflicht des Restrukturierungsbeauftragten, das Gericht über den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu informieren, kann es zwar grundsätzlich zu einer Haftung im Falle der Pflichtverletzung kommen. Allerdings soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine Informationspflicht nur bezüglich solcher Umstände bestehen, die der Restrukturierungsbeauftragte feststellt, also die ihm positiv bekannt werden, und sollte explizit keine Pflicht statuiert werden, die Verhältnisse des Schuldners fortlaufend aktiv auf das Vorliegen oder Eintreten solcher Gründe zu prüfen.97 Insofern dürfte hier ein Schadensersatzanspruch nur in Frage kommen, wenn der Planbetroffene nachweisen kann, dass dem Restrukturierungsbeauftragten der vorliegende Insolvenzgrund bekannt war und er den ihm obliegenden Hinweis an das Gericht schuldhaft unterlassen hat.
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Schadensersatzansprüche gegen den Restrukturierungsbeauftragten verjähren in drei Jahren ab Beendigung der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache.
96 Vgl. hierzu im Einzelnen Wolf in Braun, StaRUG, § 81 Rz. 10. 97 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 173.
Böhm | 97
§ 2 Rz. 159 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen
VII. Die Stabilisierungsmaßnahmen 159
Nach dem modularen System des StaRUG darf der Schuldner die im konkreten Fall passenden bzw. notwendigen Verfahrenshilfen in Anspruch nehmen. Diese im Gesetz als „Instrumente“ bezeichneten Verfahrenshilfen sind in § 29 Abs. 2 StaRUG benannt. Es handelt sich dabei zum einen um die in Zusammenhang mit dem Restrukturierungsplan stehenden Instrumente der gerichtlichen Planabstimmung, der gerichtlichen Vorprüfung und der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans (vgl. hierzu Kap. IV), zum anderen um die gerichtlichen Anordnungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung, § 29 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. §§ 49 ff. StaRUG.
160
Mit den Verfahrenshilfen soll es dem Schuldner möglich sein, die Verhandlungen mit den Gläubigern sowie die Abstimmung über den Restrukturierungsplan umsetzen zu können und in dieser Phase vor Einzelvollstreckungen ähnlich wie in einem Schutzschirmverfahren geschützt zu sein. Die Verfahrenshilfen werden nur auf Antrag des Schuldners angeordnet. Die Anordnungsdauer beträgt zunächst maximal drei Monate, mit einer Verlängerungsoption auf insgesamt maximal acht Monate, § 53 StaRUG. Die „Stabilisierung“ dient der Sperrung der Rechtsdurchsetzung des einzelnen Gläubigers, um die Umsetzung eines Restrukturierungsplans durch die gemeinsame Entscheidung aller planbetroffenen Gläubiger zu ermöglichen.
161
Da die Instrumente der Stabilisierung der Umsetzung eines Restrukturierungsplans dienen sollen, kann nur in Rechtspositionen eingegriffen werden, die auch zur Disposition im Restrukturierungsplan stehen können. Insoweit heißt es in § 49 Abs. 1 StaRUG „soweit es zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist“. Daraus folgt, dass gem. § 49 Abs. 2 StaRUG Forderungen, die einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich sind, von einer entsprechenden Anordnung unberührt bleiben.
1. Vollstreckungssperre und Verwertungssperre a) Vollstreckungssperre 162
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG kann auf Antrag des Schuldners angeordnet werden, dass Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt werden (sog. Vollstreckungssperre). Nach § 49 Nr. 2 StaRUG kann angeordnet werden, dass Rechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, von den Gläubigern nicht durchgesetzt werden dürfen und dass solche Gegenstände auch zur Fortführung des Unternehmens eingesetzt werden können (Verwertungssperre).
163
Weil die Anordnungen nach § 49 StaRUG nur gegenüber Planbetroffenen möglich sind, dürfen Vollstreckungs- bzw. Verwertungssperren nicht angeordnet werden, soweit Forderungen von Arbeitnehmern oder sonstige Forderungen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen, einschließlich der Rechte auf Zusagen aus betrieblicher Altersversorgung, berührt werden, des Weiteren bei Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und Geldstrafen sowie bei diesen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO gleichgestellten Forderungen wie Geldbußen, Ordnungsgeldern und Zwangsgeldern.
164
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung im Sinne der Vorschrift sind solche, welche von einer Justizbehörde, einer Verwaltungsbehörde oder kraft Gesetzes gewährt werden.98 Anders als bei den Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzverfahren kann dabei die Vollstreckungssperre sowohl gegen Vollstreckungen in das bewegliche als auch in das unbewegliche Vermögen angeordnet werden. Aus der Sperre ergibt sich ein zwangsweises Ruhen im Sinne eines Verfahrensstillstandes, der auch nach § 204
98 Riggert in Braun, StaRUG, § 49 Rz. 3.
98 | Böhm
VII. Die Stabilisierungsmaßnahmen | Rz. 169 § 2
Abs. 1 Nr. 10a BGB die Verjährung zugunsten des Gläubigers hemmt.99 Bei einer Vollstreckungssperre in das unbewegliche Vermögen ist zu beachten, dass der Antrag hierfür auch beim Restrukturierungsgericht zu stellen ist, der Vollzug der einstweiligen Einstellung und Untersagung jedoch durch das Vollstreckungsgericht erfolgt.
b) Verwertungssperre aa) Anwendungsbereich und Voraussetzungen Durch die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG geregelte Verwertungssperre kann zum einen den Gläubigern die Verwertung verwehrt werden. Vorbereitende Handlungen wie die Kündigung eines Kredits100 zur Auslösung des Sicherungsfalls oder der Widerruf einer Ermächtigung zur Weiterveräußerung von Eigentumsvorbehaltsware durch den Lieferanten sind hingegen zulässig.101 Zum anderen kann dem Schuldner die Nutzung der in einem Insolvenzverfahren mit Aus- und Absonderungsrechten belegten Gegenstände gewährt werden, soweit diese Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind.
165
In die Kategorie der Absonderungsrechte bzw. -anwartschaften fallen dabei insbesondere die geschäftsüblichen Banksicherheiten wie die Sicherungsübereignung und die Globalzession, sowie der verlängerte und der erweiterte Eigentumsvorbehalt von Lieferanten. Auch der einfache Eigentumsvorbehalt des Lieferanten ist als Aussonderungsrecht bzw. -anwartschaft von der Regelung umfasst.
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Die Anordnung der Verwertungssperre setzt voraus, dass die Gegenstände für die Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung sind. Was unter der erheblichen Bedeutung zu verstehen ist, wird vom Gesetzgeber nicht definiert. Abzustellen ist dabei auf die Regelungen im Restrukturierungsplan und die Unternehmensfortführung. Es ist davon auszugehen, dass sämtliches Produktionsanlagevermögen wie auch das in der laufenden Fortführung eingesetzte Umlaufvermögen für die Sanierung eines Unternehmens mit laufendem Geschäftsbetrieb regelmäßig von erheblicher Bedeutung sein wird.
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bb) Folgen der Verwertungssperre Setzt der Schuldner auf Basis eines Verwertungsverbotes Gegenstände ein, an denen bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Aus- oder Absonderungsrechte bestünden, oder zieht der Schuldner Forderungen ein, an denen Absonderungsrechte bestünden, so sind die hieraus für die Gläubiger entstehenden Nachteile auszugleichen.
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Nach § 54 Abs. 1 StaRUG sind zum einen dem Gläubiger, dem eine Absonderungsanwartschaft oder ein Aussonderungsrecht an einem beweglichen Gegenstand, der nicht zur Verarbeitung oder Veräußerung gedacht ist, zusteht, die für die Nutzung vertragsgemäß geschuldeten Zinsen zu bezahlen. Hierbei handelt es sich um die Nutzungsausfallentschädigung, die dafür zu zahlen ist, dass der Drittrechtsinhaber den Gegenstand nicht selber nutzen kann.102 Wenn keine vertraglich vereinbarte Zinshöhe besteht, ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zu § 169 InsO nicht der Verzugszins anzusetzen, sondern der Zinssatz von 4 % gem. § 246 BGB.103
169
99 Riggert in Braun, StaRUG, § 49 Rz. 3. 100 Die Kündigung kann nach § 55 StaRUG ausgeschlossen sein, wenn sie allein an die rückständigen Leistungen des Schuldners anknüpft. Eine Kündigung, die (auch) aus einem weiteren Grund erfolgt, bleibt jedoch möglich, vgl. dazu Ziffer VII 5 Rz. 199 ff. 101 Str. wie hier Thole, ZIP 2020, 1985; Riggert in Braun, StaRUG, § 54 Rz. 2; a.A. Knauth, NZI 2021, 158. 102 BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131. 103 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, MDR 2006, 1130 = ZIP 2006, 814.
Böhm | 99
§ 2 Rz. 170 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen 170
Des Weiteren ist der durch die Nutzung eintretende Wertverlust durch laufende Zahlungen auszugleichen. Davon ist nur abzusehen, soweit der Gläubiger nicht mit einer Befriedigung rechnen könnte, wenn der Gegenstand verwertet wird, also dann, wenn der Gläubiger quasi „untersichert“ ist.104 Bei den entsprechenden Regelungen in der Insolvenzordnung wird bei der Zahlung einer Nutzungsentschädigung wie auch bei der Zahlung des Zinssatzes überwiegend von einer monatlichen Zinszahlung ausgegangen.105 Dabei ist regelmäßig streitig, wie der Nachweis für den Wertverlust geführt wird und wer die Beweislast trägt. Es bietet sich an, hierfür die AfA-Tabellen heranzuziehen, wie es der BGH im Anwendungsbereich des § 169 InsO für Kraftfahrzeuge für möglich hält.106
171
Wie in der Rechtsprechung zu § 169 InsO ist außerdem davon auszugehen, dass ein Wertverlustausgleich grundsätzlich nur geschuldet ist, wenn er nicht bereits mit der vertraglich vereinbarten Nutzungsentschädigung abgegolten ist,107 wie dies bei Leasingverträgen regelmäßig der Fall ist, in denen die Leasingraten Zins und Wertverlust abgelten.
172
Bei beweglichen Gegenständen des Vorratsvermögens geht das „Einsetzen“ im Rahmen der Betriebsfortführung in der Regel weiter als die reine Nutzung des drittrechtsbehafteten Gegenstandes. Nutzt der Schuldner den Gegenstand nicht nur, sondern verwertet oder verarbeitet er ihn, oder zieht er eine Forderung ein, so ist er nach den Regelungen des § 54 Abs. 2 StaRUG dazu verpflichtet, die dabei erzielten Erlöse entweder an den Berechtigten auszukehren oder zumindest unterscheidbar zur verwahren, wenn er mit den Berechtigten keine hiervon abweichende Vereinbarung getroffen hat. Die Verarbeitung und Veräußerung des Gegenstandes ist dabei nur möglich, solange der Sicherungsgläubiger die Ermächtigung zum Einzug bzw. zur Verarbeitung und/oder Veräußerung noch nicht widerrufen hat, oder wenn nach dem Widerruf eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Berechtigten getroffen wurde.108 Eine Einräumung eines solchen Rechtes durch eine Anordnung ist dagegen nicht möglich.109
173
Da in Restrukturierungsverfahren eine Fortführung des Geschäftsbetriebes die Regel sein wird, ist davon auszugehen, dass die Konstellation, dass Gegenstände, an denen Drittrechte bestehen, verwertet und verarbeitet werden, den Regelfall darstellen. Gläubiger, die im Hinblick auf ihre Sicherheitenposition hiergegen vorgehen wollen, können nur die vertraglichen Verarbeitungs- und Einziehungsbefugnisse widerrufen. Dies ist durch eine Anordnung nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nicht gesperrt.110 Auch die zu beachtenden Grenzen der §§ 44 (Verbot von Lösungsklauseln) und 55 StaRUG (Einschränkung der Vertragsänderungsbefugnis) stehen dem Widerruf der Einziehungs- bzw. Verarbeitungs-/Veräußerungsermächtigung nicht entgegen, da der Widerruf einer dinglichen Ermächtigung in aller Regel keine Vertragsänderung darstellt.111 Allerdings setzt der Widerruf regelmäßig vertragsgemäß voraus, dass seitens des Schuldners kein ordnungsgemäßer Geschäftsgang mehr gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des BGH steht die Stellung eines Insolvenzantrags oder die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzantragsverfahren per se nicht der Annahme des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs entgegen.112 Erstrecht kann also allein die Tatsache, dass ein StaRUG-Verfahren angezeigt und Stabilisierungsanordnungen erlassen wurden, nicht die Annahme begründen, dass ein ordnungsgemäßer Geschäftsgang nicht mehr gegeben ist, soweit gegen eine Beeinträchtigung der Ausund Absonderungsrechte während der Fortführung Vorkehrungen getroffen werden.
104 105 106 107 108 109 110 111 112
Riggert in Braun, StaRUG, § 54 Rz. 4. Kern in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 169 Rz. 42. BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131. BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131. Vgl. Riggert in Braun, StaRUG, § 54 Rz. 2. So auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1996. str., vgl. Fn. 101. Thole, ZIP 2020, 1985, 1996. BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/47, ZIP 2019, 472; weiterführend Kap. 10 Rz. 127 ff.
100 | Böhm
VII. Die Stabilisierungsmaßnahmen | Rz. 176 § 2
Die Ausgangslage wird regelmäßig sein, dass an den Forderungen zumindest durch die Lieferanten verlängerte Eigentumsvorbehaltsrechte bestehen und zusätzlich im Regelfall eine Globalabtretung zugunsten eines Finanzgläubigers vorhanden ist. Ähnlich verhält es sich beim Vorratsvermögen, das regelmäßig durch einfache Eigentumsvorbehalte oder Kontokorrentvorbehalte belastet ist, die mit Raumsicherungsübereignungen konkurrieren. Nach der gesetzlichen Konzeption sind Erlöse, die aus der Verarbeitung oder Veräußerung beweglicher Gegenstände oder dem Einzug von Forderungen entstehen, auszukehren oder doch zumindest unterscheidbar zu verwahren, § 54 Abs. 2 StaRUG. Ein quasi 1:1-Abgelten ist allerdings für den Schuldner zumindest nicht zeitnah leistbar. Denkbar ist nur das turnusmäßige Abrechnen, wie es z.B. im Insolvenzeröffnungsverfahren nach Abschluss des vorläufigen Verfahrens der Fall ist. Auch die alternativ mögliche und unterscheidbare Verwahrung ist in der Praxis problematisch. Führt der Schuldner die Zahlungseingänge auf einem gesonderten Konto, sind diese doch in einem möglichen späteren Insolvenzverfahren Bestandteil der Insolvenzmasse. Eine wirkliche Absicherung bieten nur Treuhandverhältnisse, insbesondere die doppelseitige Sicherungstreuhand, bei der die Sicherungs- und Verwaltungstreuhand in Kombination vereinbart werden. Der Treuhänder erhält in diesem Fall die Erlöse vorrangig für den Sicherungsnehmer und verwaltet diese im Verhältnis zum Schuldner. In dieser Konstellation erhält der Treuhänder in der Insolvenz des Schuldners ein Absonderungsrecht am Sicherungsgut.113 Allerdings hilft diese Konstruktion dem Schuldner nicht über die Problematik hinweg, dass er, um auf der einen Seite den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten, das Sicherungsgut verarbeiten und verwerten muss, und auf der anderen Seite, um seine laufende Liquidität sicherzustellen, aus den Zahlungserlösen auch wieder seine laufenden betriebsnotwendigen Ausgaben tätigen muss. Es wird in Fortführungsfällen, die nicht die Ausproduktion oder abschließende Verwertung eines vorhandenen Vorratsvermögens zum Gegenstand haben, kaum denkbar sein, dass ein Schuldner es sich leisten kann, Zahlungseingänge aus dem laufenden Geschäftsbetrieb, wenn auch nur für den beschränkten Zeitraum eines Restrukturierungsverfahrens, für die Gläubiger zu hinterlegen.
174
In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Schuldner in diesen Fällen letztendlich nur fortführen kann, wenn er mit den Berechtigten eine Verwertungsvereinbarung trifft. Hier bietet sich insbesondere an, den Verwertungserlös zu besichern. Bei revolvierenden Sicherheiten wie der Globalzession ist dies ohnehin der Fall. Nachdem die Anordnung einer Verwertungssperre aber regelmäßig dann beantragt werden wird, wenn es keine einvernehmliche Regelung mit einem Gläubiger gibt, kann dies in der Praxis zu Schwierigkeiten führen, wenn das Verfahren in Fällen mit Konflikten zu einzelnen Gläubigern eingesetzt wird, zu deren Gunsten Sicherheiten am Umlaufvermögen bestehen. Wegen dieser Konsequenzen sollte eine Verwertungssperre nur dann beantragt werden, wenn dies zwingend notwendig ist. Ist eine abweichende Vereinbarung mit den Berechtigten nicht möglich, muss durch eine Berücksichtigung in der Liquiditätsplanung sichergestellt werden, dass die Auskehr der Erlöse an die Sicherungsgläubiger gem. § 54 Abs. 2 StaRUG erfolgen kann. Die für die Betriebsfortführung notwendige Liquidität muss dann nötigenfalls durch anderweitige Finanzierungen generiert werden.
175
2. Antrag a) Inhalt des Antrages Der Inhalt des Antrages ist so konkret vom Schuldner zu bezeichnen, dass auf dieser Basis die Anordnung ergehen kann. Der Schuldner hat zunächst zu entscheiden, gegen wen sich die Stabilisierungsanordnung richten soll, also konkret gegen einzelne Gläubiger oder sämtliche (planbetroffenen) Gläubiger. Bei der Entscheidung, wie groß der Adressatenkreis zu ziehen ist, ist zu berücksichtigen, dass bei einer Anordnung, die alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger betrifft, gem. § 73 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG grundsätzlich ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen ist. Da eine Erweiterung des Adressatenkreises auch noch nachträglich im Rahmen einer Folgeerweiterung möglich ist, empfiehlt es sich daher, die Anordnung zunächst nur so weit wie nötig zu fassen, wenn man die obligatorische 113 Riggert in Braun, StaRUG, § 54 Rz. 7.
Böhm | 101
176
§ 2 Rz. 176 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten einschließlich der dadurch (für den Schuldner) entstehenden Mehrkosten vermeiden möchte. 177
Für den Erlass einer Vollstreckungssperre ist zwar nicht erforderlich, dass die Vollstreckung bereits begonnen hat, ist dies aber der Fall, hat der Schuldner möglichst genau zu bezeichnen, aus welchem Vollstreckungstitel vorgegangen wird. Der Schuldner muss glaubhaft machen, dass die Vollstreckung droht, was grundsätzlich bei Zustellung eines Vollstreckungstitels bereits der Fall ist. Bei einem generellen Vollstreckungsverbot gegen alle Gläubiger, das nach § 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG explizit möglich ist, muss der Schuldner plausibilisieren, dass dies zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist. Insbesondere wenn (auch) Kleingläubiger betroffen sind, dürfte dieser Nachweis in der Praxis schwierig zu führen sein, da ein Eingriff in deren Rechte in aller Regel nur einen geringen liquiditätsmäßigen Vorteil mit sich bringen dürfte.114 Außerdem könnte die Notwendigkeit einer gegen alle Gläubiger gerichteten Durchsetzungssperre auf eine materielle Insolvenz des Schuldners hindeuten.115
178
Bei einem Antrag auf Anordnung einer Verwertungssperre ist die der Aus- oder Absonderungsanwartschaft zugrunde liegende Sicherungsvereinbarung samt ihres Abschlussdatums zu bezeichnen und sind die von der Verwertungssperre betroffenen Gegenstände möglichst konkret zu benennen. Im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, dem der § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nachempfunden ist, hat der BGH entschieden, dass eine Pauschalanordnung nicht wirksam ist, sondern genau bezeichnet werden muss, welches Aus- oder Absonderungsgut welcher Gläubiger eingesetzt werden soll. Für diese Gegenstände muss explizit begründet werden, dass sie für die Betriebsfortführung von erheblicher Bedeutung sind.116
b) Dem Antrag beizufügende Unterlagen 179
Gemäß § 50 Abs. 2 StaRUG hat der Schuldner dem Antrag eine Restrukturierungsplanung beizufügen, die einen aktualisierten Entwurf des Restrukturierungsplans oder zumindest ein auf den Tag des Antrags aktualisiertes Konzept für die Restrukturierung gem. § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG enthält. Es muss sich dabei um eine Darstellung handeln, die Ausmaß und Ursache der Krise, das Ziel der Restrukturierung sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden. Das Konzept muss bereits den Vorgaben117 des Restrukturierungsplans nach § 8 ff. StaRUG angenähert sein. Da mit der Anordnung einer Vollstreckungs- oder Verwertungssperre bereits in die Rechte der Gläubiger eingegriffen wird, müssen die Voraussetzungen noch höher sein, als bei der Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG.
180
Dementsprechend wird auch zusätzlich gefordert, dass der Schuldner einen Finanzplan vorlegt, der den Zeitraum von sechs Monaten umfasst, und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch die die Fortführung abgesichert werden soll, § 50 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass die Anforderungen an den Finanzplan entsprechend den Zugangsvoraussetzungen des § 270a InsO n.F. zu stellen sind. Danach sind auf der Grundlage allgemeiner betriebswirtschaftlicher Grundsätze die verfügbaren Mittel, die überwiegend wahrscheinlich zu erwarten sind, zugrunde zu legen, und sämtliche Kosten einschließlich der Restrukturierungskosten und Kosten des Verfahrens einzustellen.118
114 115 116 117 118
Riggert in Braun, StaRUG, § 51 Rz. 7. Müller, ZIP 2020, 2253, 2258. BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, MDR 2010, 526 = ZIP 2010, 141. Vgl. dazu Böhm in Braun, InsO, § 21 Rz. 63 m.w.N. vgl. Riggert in Braun, StaRUG, § 50 Rz. 9 m.V.a. Begr. RegE SanInsFoG zu § 270a InsO, BT-Drucks. 19/24181, 204.
102 | Böhm
VII. Die Stabilisierungsmaßnahmen | Rz. 186 § 2
c) Notwendige Erklärungen des Schuldners Der Schuldner hat nach § 50 Abs. 3 StaRUG verbindliche Erklärungen abzugeben, die es dem Anordnungsgericht erlauben, eine Einschätzung über die finanzielle Lage des Schuldners und die Aussichten des Restrukturierungsvorhabens zu gewinnen. Der Schuldner hat dabei zu erklären, in welchem Umfang und gegenüber welchen Gläubigern er sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten in Verzug befindet. Allerdings ist die Anforderung insoweit eingeschränkt, als dass sich diese Auskunftspflicht auf Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen, dem Steuerschuldverhältnis sowie gegenüber Lieferanten und Sozialversicherungsträgern beschränkt. Ausgenommen von der Erklärungspflicht sind daher Verbindlichkeiten gegenüber Darlehensgebern und Gesellschaftern.
181
Sollte der Schuldner bei den genannten Gläubigern bereits mit umfangreichen Verbindlichkeiten in Verzug sein, ist dies ein Indiz dafür, dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Schuldner in der Lage ist, seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten. Je nach Höhe der Forderungen kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine „vertiefte Insolvenz“ handelt, die durch die Maßnahmen eines Restrukturierungsverfahrens nicht mehr beseitigt werden kann bzw. für die die Eignungsvoraussetzungen nicht vorliegen.119
182
Des Weiteren muss der Schuldner angeben, ob bereits zu seinen Gunsten innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Antrag Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach dem StaRUG oder nach der Insolvenzordnung angeordnet wurden. Nach der Gesetzesbegründung ist die wiederholte Inanspruchnahme von solchen Sicherungsmaßnahmen ein Indiz dafür, dass es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die Krise nachhaltig zu bewältigen.120
183
Der Schuldner hat auch anzugeben, ob er für die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre seinen Offenlegungspflichten aus den §§ 325–328 HGB oder § 339 HGB nachgekommen ist. Verletzungen dieser Pflichten sind ein Indiz für die fehlende Zuverlässigkeit des Schuldners und ein Hinweis, dass eine Restrukturierung im Gläubigerinteresse nicht erfolgen würde.
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3. Voraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung a) Gerichtlicher Prüfungsumfang Die Entscheidung des Restrukturierungsgerichtes erfolgt ausschließlich aufgrund der vom Schuldner eingereichten Angaben und Erklärungen. Das Gericht prüft nur, ob die vorgelegte Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist. Damit schränkt § 51 StaRUG den Amtsermittlungsgrundsatz des § 39 StaRUG ein, was gem. § 39 Abs. 2, Halbs. 2 StaRUG ausdrücklich möglich ist. Dadurch soll sichergestellt werden, dass eine unter Umständen zeitkritische Stabilisierungsanordnung nicht erst nach einer langwierigen Prüfung, ggf. unter Einbeziehung eines Sachverständigen, ergehen kann.121 Wenn dem Gericht Umstände nach § 51 Abs. 1 Nr. 1–4 StaRUG bekannt sind, also insbesondere die geplante Restrukturierung aussichtlos ist oder der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig, ist die Anordnung ausgeschlossen. Dies gilt jedoch nur, wenn dem Gericht entsprechende Umstände positiv bekannt sind; eine Amtsermittlungspflicht besteht auch insoweit nicht.
185
Das Gericht kann zwar im Zusammenhang mit einem Stabilisierungsantrag zu seiner weiteren Unterstützung auch einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, § 73 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Dies ist aber nur möglich, wenn die Stabilisierungsanordnung gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger ge-
186
119 Zwar bezieht sich diese Begründung auf § 270a InsO n.F., aber aus der Begründung zu § 57 Abs. 3 (jetzt § 50 Abs. 3) StaRUG ergibt sich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine Stabilisierungsanordnung nicht leichter zu erlangen sein soll als die Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung, vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 155. 120 Begr. RegE SanInsFoG zu § 270a InsO, BT-Drucks. 19/24181, 204. 121 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 155.
Böhm | 103
§ 2 Rz. 186 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen richtet sein soll. Möglich ist allerdings die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständiger über § 73 Abs. 3 StaRUG, der sich seinem Wortlaut nach („insbesondere“) nicht auf die in Abs. 3 Nr. 1 und 2 StaRUG genannten Fälle beschränkt. Prüfungsgegenstand eines solchen Sachverständigenauftrags dürfen aber nicht die Punkte sein, bei denen der Gesetzgeber auf die vorhandene Kenntnis abstellt, also die des § 51 Abs. 1 Nr. 1–4 und Abs. 2 StaRUG.122 Als Anwendungsbereich für einen Sachverständigenauftrag im Zusammenhang mit einer Stabilisierungsanordnung kommt daher z.B. die Schlüssigkeitsprüfung der Restrukturierungsplanung in Betracht.123 187
Zu beachten ist, dass das Gericht mit der Anordnung nicht warten soll, bis alle etwaigen Zweifel ggf. durch eine Sachverständigenprüfung ausgeräumt sind. Anordnungen können trotz Zweifeln ergehen und dann nach Aufklärung durch den Beauftragten ggf. wieder aufgehoben werden.124
b) Anforderungen an die Restrukturierungsplanung 188
Ausgangspunkt für die Prüfung des Gerichtes ist die vom Schuldner vorgelegte Restrukturierungsplanung. Diese umfasst den Entwurf des Restrukturierungsplans oder hilfsweise ein aktuelles Konzept für die Restrukturierung.125 Die Restrukturierungsplanung muss vollständig und schlüssig sein. D.h. das Gericht hat zunächst rein formal zu prüfen, ob die inhaltlichen Anforderungen vollständig umgesetzt sind. Inhaltlich muss der Schuldner transparent offenlegen, wie er sein Restrukturierungsziel erreichen will.126 Schlüssig im Sinne der Vorschrift ist die Planung nach § 51 Abs. 1 S. 2 StaRUG dann, wenn nicht offensichtlich ist, dass die Ziele mit den dargestellten Maßnahmen nicht erreichbar sind. Offensichtlich ist dies dann, wenn sich dies evident und eindeutig aus der Planung ergibt. Eine eigene Zweckmäßigkeitsprüfung nimmt das Restrukturierungsgericht dabei nicht vor.127
189
Weitere Voraussetzung ist, dass keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Restrukturierungsplanung oder die dem Antrag zugrunde liegenden Erklärungen nach § 50 Abs. 3 StaRUG nicht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruhen, § 51 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG.
c) Sonstige Voraussetzungen 190
Des Weiteren dürfen keine Umstände bekannt sein, aus denen sich ergibt, dass die Restrukturierung aussichtslos ist, weil keine Aussichten bestehen, dass ein Restrukturierungsplan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt werden würde, § 51 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Voraussetzung für diesen Ausschlussgrund ist, dass das Gericht bei seiner Prognoseentscheidung zu dem Ergebnis kommt, dass es nahezu ausgeschlossen ist, dass es zu einer Annahme des Planes kommt. Bei dieser Entscheidung hat das Gericht zurückhaltend zu agieren. Es muss dabei berücksichtigen, dass es Sache der Gläubiger ist, die Zweckmäßigkeit des Planes zu beurteilen und dass der Schuldner noch im Abstimmungstermin die Möglichkeit hat, den Plan zu ändern.128
191
Da die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nur zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden dürfen, ist weiteres Ausschlusskriterium, dass diese noch nicht vorliegt. Der Gesetzestext „noch keine Umstände bekannt“
122 Riggert in Braun, StaRUG, § 51 Rz. 1, 2. 123 Begr. RegE SanInsFoG zu § 80 Abs. 3 (nunmehr § 73 Abs. 3) StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, 171. 124 So für die damals noch explizit die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständiger bei der Anordnung der Stabilisierungsanordnung erwähnende Regelung des § 78 Abs. 3 RefE StaRUG, vgl. RefE SanInsFoG, S. 188, abgedruckt in Braun, StaRUG, Anhang B, Rz. 374; vgl. dazu auch Riggert in Braun, StaRUG, § 51 Rz. 1. 125 Vgl. dazu Ziffer VII. 2b) Rz. 179 f. 126 Riggert in Braun, StaRUG, § 51 Rz. 3. 127 Vgl. zum Begriff der Offensichtlichkeit bei § 231 InsO Breuer in MünchKomm/InsO, § 231 Rz. 22. 128 Riggert in Braun, StaRUG, § 51 Rz. 4.
104 | Böhm
VII. Die Stabilisierungsmaßnahmen | Rz. 195 § 2
schränkt insoweit den Amtsermittlungsgrundsatz dahingehend ein, dass das Gericht keine eigenen Prüfungen zum Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit anstellen muss. Nur wenn sich aus den Unterlagen oder den Umständen ergibt, dass der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist, liegen die Voraussetzungen nicht vor, § 51 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG. Das Gericht hat hier insbesondere nicht einen Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen mit der Ermittlung zu beauftragen. Genauso verhält es sich bei dem Ausschlusskriterium, dass die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen, § 51 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG. Wenn sich aus dem Antrag und den vorgelegten Unterlagen ergibt, dass offensichtlich keine Notwendigkeit besteht, eine entsprechende Einschränkung in die Rechte der Gläubiger anzuordnen, hat das Gericht hiervon abzusehen. Der praktische Anwendungsbereich dieser Vorschrift dürfte eher gering sein. Sollte z.B. offensichtlich sein, dass die Gegenstände, für die eine Verwertungssperre beantragt wird, nicht für die Betriebsfortführung benötigt werden, so scheitert eine entsprechende Anordnung schon daran, dass der Schuldner die Anordnungsvoraussetzung der erheblichen Bedeutung i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nicht glaubhaft machen kann. Ergibt sich z.B. aus den Unterlagen, dass eine Vollstreckungssperre gegen Kleingläubiger nicht notwendig ist, weil deren Forderungen die Liquidität nur unwesentlich belasten und die Fortführung nicht gefährden, könnte man annehmen, dass hierin ein Anwendungsfall des § 51 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG liegt.129 Allerdings erlaubt § 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG explizit eine Anordnung, die sich gegen alle Gläubiger richtet, und wird der Schuldner diese Notwendigkeit in aller Regel begründen, so dass eine Zurückweisung auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG in dieser Konstellation wohl ein Ausnahmefall bleiben dürfte.
192
d) Folgen bei Mängeln Liegen behebbare Mängel vor, dann kann das Gericht gleichwohl eine entsprechende Anordnung erlassen und dem Schuldner nach § 51 Abs. 1 Satz 3 StaRUG gleichzeitig aufgeben, die Mängel in einer Frist von maximal 20 Tagen zu beheben. Die Mängel müssen sich dabei auf die Restrukturierungsplanung beziehen und dürfen nicht derartig gravierend sein, dass der gesamte Restrukturierungsplan in Frage steht. Dies wäre z.B. der Fall, wenn der Plan im Wesentlichen darauf fußt, dass in Arbeitnehmerrechte oder andere nach § 4 StaRUG ausgenommene Forderungen eingegriffen werden soll. Liegt noch kein Restrukturierungsplan vor, kann das Gericht dem Schuldner eine Frist zur Vorlage setzen, § 51 Abs. 3 StaRUG.
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e) Erschwerter Zugang In bestimmten Fällen soll eine Stabilisierungsmaßnahme nur ausnahmsweise angeordnet werden. Dies ist dann der Fall, wenn erhebliche Rückstände gegenüber Arbeitnehmern, aus Pensionszusagen, gegenüber Sozialversicherungsträgern, Lieferanten oder aus dem Steuerschuldverhältnis bestehen, § 51 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 50 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG; des Weiteren, wenn der Schuldner für mindestens eines der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre gegen seine Offenlegungspflichten nach §§ 325–328 oder § 339 HGB verstoßen hat, oder wenn bereits in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrages entsprechende Vollstreckungs- und Verwertungssperren oder eine vorläufige Sicherungsanordnung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO angeordnet wurde und sofern der Grund für diese Anordnung nicht durch eine nachhaltige Sanierung wieder beseitigt wurde.
194
In diesen Fällen erfolgt die Stabilisierungsanordnung nur, wenn trotzdem zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Um in diesen Fällen eine positive Entscheidung des Gerichtes zu erlangen, obliegt es dem Schuldner, darzulegen, wie er die Gläubigerinteressen wahren will. Geeignet hierfür wird entsprechend dem Ei-
129 Vgl. dazu Riggert in Braun, StaRUG, § 51 Rz. 7.
Böhm | 105
195
§ 2 Rz. 195 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen genverwaltungsverfahren die Hinzuziehung entsprechender Sanierungsexperten in die Geschäftsleitung oder zumindest in die Beratung sein.
4. Dauer der Stabilisierungsanordnung 196
Gemäß § 53 Abs. 1 StaRUG kann die Stabilisierungsanordnung für eine Dauer von bis zu drei Monaten ergehen. Eine Verlängerung um einen Monat ist gem. § 53 Abs. 2 StaRUG allerdings möglich, wenn der Schuldner den Gläubigern bereits ein Planangebot unterbreitet hat und damit zu rechnen ist, dass der Plan binnen eines Monats angenommen wird. In diesem Fall richtet sich die verlängerte Anordnung ausschließlich gegen Planbetroffene.
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Wenn der Plan bereits von den Planbetroffenen mit der erforderlichen Mehrheit angenommen wurde, der Schuldner die gerichtliche Bestätigung des Plans beantragt hat und der Restrukturierungsplan nicht offensichtlich nicht bestätigungsfähig ist, können Folge- oder Neuanordnungen sogar für einen Zeitraum von bis zu insgesamt acht Monaten ergehen, § 53 Abs. 3 StaRUG. Dies gilt gem. § 53 Abs. 4 StaRUG nicht, wenn der Schuldner seinen Sitz erst innerhalb der letzten drei Monate vor der ersten Inanspruchnahme eines Instruments des Restrukturierungsrahmens aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat nach Deutschland verlegt hat und keine öffentlichen Bekanntmachungen nach §§ 84–86 StaRUG erfolgen.
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Auch eine Folgeanordnung nach § 52 StaRUG, mit der eine Stabilisierungsanordnung auf weitere Gläubiger ausgeweitet, inhaltlich erweitert oder zeitlich verlängert bzw. – soweit die Anordnungsdauer bereits überschritten wurde – auch nochmalig angeordnet werden kann, darf den Gesamtzeitrahmen des § 53 StaRUG nicht überschreiten. Eine Folgeanordnung ist allerdings auch nur im Rahmen der Voraussetzungen des § 51 StaRUG möglich, d.h. insbesondere darf weiterhin keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten und das Restrukturierungskonzept nicht aussichtslos geworden sein. Außerdem muss nach § 51 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG auch die Folgeanordnung erforderlich sein, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen.
5. Entscheidung und Rechtsfolgen a) Gerichtliche Entscheidung und Rechtsmittel 199
Über den Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung entscheidet das Gericht durch einen Beschluss, gegen den dem Schuldner im Falle der Ablehnung die sofortige Beschwerde zusteht, § 51 Abs. 5 StaRUG. Der Beschluss weist insbesondere den von der Anordnung betroffenen Adressatenkreis sowie den konkreten Inhalt der Stabilisierungsanordnung und deren Dauer aus.
b) Vertragsrechtliche Wirkungen 200
Zur Unterstützung des Verfahrenszieles, die Sanierung von Unternehmen zu ermöglichen, sieht das Gesetz Einschränkungen der Vertragspartner vor, in bestehende Vertragsverhältnisse zum Nachteil des Schuldners einzugreifen. Umfasst werden sowohl Leistungsverweigerungs-, als auch Vertragsbeendigungsrechte.
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Dabei werden insbesondere das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB sowie das Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB durch § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG eingeschränkt. Voraussetzung hierfür ist, dass nicht nur zum Zeitpunkt der Erstanordnung eine rückständige Leistung des Schuldners besteht, sondern dass die vom Gläubiger potentiell zu verweigernde Leistung im Anordnungszeitraum fällig ist. Dabei handelt es sich um den Zeitraum, den das Gericht als Anordnungsdauer für die ursprüngliche Stabilisierungsanordnung oder eine spätere Folgeanordnung festgesetzt hat.130 Sehr wohl verwei-
130 Vgl. Riggert in Braun, StaRUG, § 55 Rz. 5.
106 | Böhm
VIII. Pflichten der Geschäftsleitung, Haftung und Anfechtung | Rz. 206 § 2
gern darf der Gläubiger denjenigen Teil der ihm obliegenden Leistung, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt, § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG. Leistet der Gläubiger trotz Ausschluss des Verweigerungsrechtes nicht, so haftet er nach den Verzugsvoraussetzungen gemäß den §§ 280, 281 BGB auf Schadensersatz, z.B. für den Mehraufwand für eine Ersatzbeschaffung, die der Schuldner wegen des ausgeübten Zurückbehaltungsrechtes tätigen muss.
202
Auch Vertragsbeendigungsrechte sind eingeschränkt. Vertragsbeendigungsrechte sind nicht nur Kündigungsrechte, sondern auch die Anfechtungsrechte der §§ 119 ff. BGB, Rücktrittsrechte und Widerrufsrechte. Eine Vertragsbeendigung, die gegen diese Vorschrift verstößt, führt nicht zum Schadensersatz, sondern ist von vornherein unwirksam. Die Einschränkung greift allerdings nur, wenn die Vertragsbeendigung allein wegen der Einleitung der Restrukturierungssache erfolgt. Andere Gründe bleiben dagegen weiterhin gültig und können zu einer Vertragsbeendigung herangezogen werden. Ein Vertragsbeendigungsrecht z.B. aus § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung oder wegen einer Vertragsverletzung des Schuldners (z.B. § 543 BGB) bleibt weiterhin möglich. Entsprechend ist es auch möglich, den Schuldner in Verzug zu setzen und dann alle Rechtsfolgen hieraus geltend zu machen.131
203
Auch das Recht, Verträge abzuändern, ist eingeschränkt. Sämtliche Vereinbarungen, die zu einer Vertragsanpassung berechtigen würden, sind ebenfalls suspendiert. Eine Sonderregelung beinhaltet § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG: Ist der Gläubiger vorleistungspflichtig, hat er aber noch keine Vorleistung getätigt und hat der Schuldner die von ihm geschuldete Leistung noch nicht erbracht, kann der Gläubiger seine Leistungen verweigern nach § 320 BGB. Der Gläubiger kann eine angemessene Sicherheitsleistung oder eine Zug-um-Zug-Leistung verlangen. § 273 BGB ist dagegen nicht anwendbar. Hierdurch kommt – wie auch in § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG – der Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass dem Gläubiger keine Vorleistungspflicht auferlegt werden soll, wo ihn normalerweise keine treffen würde.132
204
c) Kreditverhältnisse Nach § 490 BGB hat der Darlehensgeber ein außerordentliches Kündigungsrecht, wenn in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers oder in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung eintritt oder einzutreten droht. Diese Regelung nimmt § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG von dem Beendigungsverbot nach § 55 Abs. 1 StaRUG aus, allerdings beschränkt auf Darlehensverhältnisse vor ihrer Auszahlung. Ist das Darlehen bereits ausgezahlt, greift demnach der Kündigungsausschluss des § 55 Abs. 1 StaRUG, der auch eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 BGB ausschließt.133 Die Regelung gilt auch für andere Kreditzusagen wie etwa Avalkreditlinien, § 55 Abs. 3 Satz 3 StaRUG.
205
VIII. Pflichten der Geschäftsleitung, Haftung und Anfechtung 1. Allgemeines Das StaRUG erlegt den Mitgliedern der Geschäftsführung Krisenfrüherkennungs- und Krisenmanagementpflichten auf. Diese gelten neben den allgemeinen Pflichten aus den Vorschriften des Aktienund GmbH-Rechts.134 Davon zu unterscheiden sind die Pflichten, die die Geschäftsleiter nach Einlei-
131 132 133 134
Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 158. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 158. Riggert in Braun, StaRUG, § 55 Rz. 10. Dazu ausführlich Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27.
Böhm | 107
206
§ 2 Rz. 206 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen tung einer Restrukturierungssache treffen. Dabei ist zu berücksichtigen, wie sich die Einleitung des Verfahrens auf die haftungsbewehrten Insolvenzantragspflichten auswirkt.
2. Pflichten außerhalb einer Restrukturierungssache 207
In § 1 des StaRUG hat der Gesetzgeber eine allgemeine, rechtsformunabhängige Krisenfrüherkennungs- und Reaktionspflicht der zur Geschäftsführung berufenen Organe einer juristischen Person geschaffen. Die Vorschriften sind über § 1 Abs. 2 StaRUG auch für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit anwendbar, sofern für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter persönlich haftet.
208
Unberührt von den möglicherweise weitergehenden spezialgesetzlichen Regelungen wie z.B. § 91 Abs. 2 AktG oder § 25a Abs. 1 Satz 3 und 4 KWG werden Mindestanforderungen an die Geschäftsleitung gestellt. Adressat sind, wie sich aus dem Begriff Geschäftsleiter ergibt, allein die Mitglieder der vertretungsberechtigten Organe. Diese haben die Pflicht, Entwicklungen, die zur Bestandsgefährdung ihres Unternehmens führen können, zu überwachen. Die konkrete Ausformung und Reichweite dieser Pflicht ist dabei von der Größe, der Branche, der Struktur und auch der Rechtsform des jeweiligen Unternehmens abhängig.135 Wie ein entsprechendes Kontrollsystem auszusehen hat, ist dabei offen und an den Einzelfall anzupassen. Entscheidend ist, dass die Unternehmensleiter ein System einrichten, das es ihnen erlaubt, Entwicklungen, die für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens relevant sind, laufend zu überwachen und zu überprüfen, ob sie ggf. bei einer weiteren ungehinderten Entwicklung das Potential haben, den Fortbestand des Unternehmens zu gefährden. Stellen sie solche Entwicklungen fest, haben sie den Überwachungsorganen, also insbesondere dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, unverzüglich Bericht zu erstatten und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Sofern die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeit anderer Organe, z.B. der Gesellschafterversammlung der GmbH, betreffen, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf eine Befassung durch diese hin.
209
Im Regierungsentwurf des StaRUG136 war in §§ 2 und 3 eine Verpflichtung der Geschäftsleiter vorgesehen, ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubiger, und nicht mehr die der Gesellschafter zu berücksichtigen. Dieser sog. „shift of duties“ hätte die Geschäftsleiter in einen schwierigen Zwiespalt zwischen den Pflichten gegenüber den Gesellschaftern, deren Interesse in aller Regel auf den Erhalt ihrer Unternehmensanteile gerichtet ist, und den Risikovermeidungspflichten in Richtung Gläubiger gebracht.
210
Das StaRUG in der jetzigen Fassung verpflichtet die Geschäftsleiter außerhalb eines gerichtlichen Restrukturierungsverfahrens dagegen „nur“ zu der genannten Krisenfrüherkennung, der Information an die Aufsichtsorgane und zur Ergreifung geeigneter Gegenmaßnahmen. Da keine Haftung für den Fall einer Verletzung dieser Pflichten im StaRUG statuiert wurde, ist ein Haftungsrisiko in der Praxis nur anzunehmen, wenn das Verhalten auch Pflichten der Geschäftsleitung nach anderen Gesetzen verletzt, die nach § 1 Abs. 3 StaRUG explizit unberührt bleiben, und wenn sich aus diesen Haftungsfolgen ergeben, z.B. nach § 93 Abs. 3 AktG.
211
Nicht im Gesetz geregelt, aber sehr praxisrelevant ist die Frage, ob die Geschäftsleiter verpflichtet sind, vor der Anzeige eines StaRUG-Verfahrens die Zustimmung der Gesellschafter dazu einzuholen. Eine entsprechende Verpflichtung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn durch den Plan in die Anteile der Gesellschafter und damit in die Struktur der Gesellschaft eingegriffen werden soll, da es sich hierbei um ein Grundlagengeschäft i.S.d. § 49 Abs. 2 GmbHG handelt, das der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf.
135 Ehret in Braun, StaRUG, § 1 Rz. 4 m.V.a. Begr. RegE des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, BT-Drucks. 13/9712, 15. 136 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 14.
108 | Böhm
VIII. Pflichten der Geschäftsleitung, Haftung und Anfechtung | Rz. 217 § 2
Nach der wohl herrschenden Ansicht ist auch für StaRUG-Verfahren, in denen nicht in die Gesellschaftsanteile bzw. -struktur, sondern nur in die Rechte einzelner Gläubiger eingegriffen werden soll, ein Gesellschafterbeschluss erforderlich, da die mit dem Plan einhergehende Veränderung der Geschäftsleiterpflichten in den Kompetenzbereich der Gesellschafter und nicht der Geschäftsführer selbst fällt.137
212
Aus der Annahme einer solchen Verpflichtung, vor Einleitung des StaRUG-Verfahrens einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss zu erwirken, ergibt sich, dass das Verfahren jedenfalls nicht in Fällen geeignet sein dürfte, in denen Unstimmigkeiten unter den Gesellschaftern durch einen Restrukturierungsplan gelöst werden sollen.
213
3. Pflichten und Haftung nach Anzeige der Restrukturierungssache a) Die Pflichten nach § 32 StaRUG Nach Anhängigkeit einer Restrukturierungssache ist der Schuldner und damit die für den Schuldner handelnde Geschäftsleitung den Gläubigern verpflichtet, deren Vermögensinteressen zu wahren. Nach § 32 Abs. 1 StaRUG hat der Schuldner dabei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers anzuwenden. Der Sorgfaltsmaßstab ähnelt damit der Formulierung des § 43 Abs. 1 GmbHG, wobei in § 32 StaRUG der Maßstab insoweit angehoben wird, als es sich um den Sanierungsgeschäftsführer handeln muss, also eine in der Sanierung erfahrene, zumindest kundige Person. Die Formulierung, dass er dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren hat, zeigt die Anlehnung an die Pflichten eines Insolvenzverwalters oder des Schuldners im Eigenverwaltungsverfahren. Der Schuldner handelt damit während der Restrukturierungssache wie ein für die Gläubiger tätiger, selbständiger, treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens.138 Dabei hat der Schuldner alles zu unterlassen, was mit dem Restrukturierungsziel nicht zu vereinbaren wäre oder die in Aussicht genommene Restrukturierung gefährden könnte. Darunter fällt nach der gesetzlichen Vorgabe auch die Zahlung oder Besicherung von Forderungen, in die durch den Restrukturierungsplan eingegriffen werden soll.
214
Damit das Restrukturierungsgericht seinen Überwachungspflichten nachkommen kann, hat der Schuldner jede wesentliche Änderung in dem Restrukturierungsprozess dem Gericht anzuzeigen. Wann eine Änderung wesentlich ist, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere davon, welche Auswirkungen die Veränderung auf die Gläubiger hat. Wurden die Gläubigerrechte z.B. durch eine Vollstreckungs- oder Verwertungssperre eingeschränkt, muss der Schuldner dem Gericht auch alle Änderungen der Restrukturierungsplanung mitteilen, damit dieses prüfen kann, ob die Stabilisierungsanordnung evtl. nach § 59 Abs. 1 StaRUG aufzuheben ist. Die Anzeigepflichten nach § 32 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG (Mitteilung wesentlicher Änderungen betreffend das Vorhaben, den Verhandlungsstand oder die Planung) bestehen, wenn ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt ist, kumulativ auch ihm gegenüber.
215
Kommt der Schuldner dieser Verpflichtung nicht nach, riskiert er eine Verfahrensaufhebung nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG. Es empfiehlt sich daher, dem Gericht und ggf. dem Restrukturierungsbeauftragten eher mehr als weniger mitzuteilen.
216
Der Schuldner hat auch mitzuteilen, wenn die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, und bei juristischen Personen oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit mit keiner natürlichen Person als Vollhafter, auch wenn Überschuldung eingetreten ist. Grundsätzlich ist daraufhin das Verfahren aufzuheben, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 oder 3 StaRUG vor, und das Erreichen des Restrukturierungszieles ist trotzdem als wahrscheinlich anzusehen.
217
137 Vgl. z.B. Rauhut, NZI-Beilage 2021, 52. 138 Vgl. hierzu Weber/Dömmecke in Braun, StaRUG § 32 Rz. 3.
Böhm | 109
§ 2 Rz. 218 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen 218
Stellt der Schuldner den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung fest, hat er die Anzeige unverzüglich vorzunehmen. Die Drei- bzw. Sechs-Wochen-Höchstfrist zur Prüfung oder Wahrung von Sanierungschancen, wie sie in § 15a Abs. 1 InsO vorgesehen ist, gilt hier nicht. Für die Geschäftsleiter wichtig ist, dass zwar die Insolvenzantragspflicht durch Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache nach § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ruht, dass allerdings die Verletzung der Anzeigepflicht des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegenüber dem Restrukturierungsgericht ebenfalls strafbewehrt ist, § 43 Abs. 3 StaRUG. Hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache nach Anzeige der Insolvenzreife gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG auf, lebt die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO sofort auf und es besteht mangels Sanierungsaussichten in der Regel auch keine drei- bzw. sechswöchige Sanierungsfrist mehr.139
219
Gemäß § 42 Abs. 3 StaRUG ist auch die fahrlässige Nichtanzeige der Insolvenzreife strafbar, weshalb es sich für den Schuldner bzw. dessen Organe empfiehlt, den Eintritt der Insolvenzgründe unter Einbeziehung qualifizierter Berater zu prüfen, sobald sich Anzeichen für eine mögliche Insolvenzreife ergeben.
220
Genauso sind dem Gericht unverzüglich anzuzeigen die mangelnden Umsetzungsaussichten, § 32 Abs. 4 StaRUG. Diese sind dann nicht mehr vorhanden, wenn diejenigen Planbetroffenen, deren Zustimmung zur Erreichung der nach § 25 ff. StaRUG vorgeschriebenen Mehrheiten erforderlich wäre, diese endgültig verweigert haben. Im Hinblick auf die weitreichenden Folgen der Anzeige muss es auch dem Schuldner möglich sein, eine abschließende endgültige Klärung herbeizuführen. Eine Anzeigepflicht besteht insofern nicht bereits, wenn der Gläubiger angekündigt hat, nicht zustimmen zu wollen, und man noch in Verhandlungen mit dem Gläubiger steht.
b) Haftung nach § 43 StaRUG 221
Die Folgen der Verletzung der Pflichten des § 32 StaRUG ergeben sich aus der zentralen Haftungsnorm des § 43 StaRUG. Dieser zufolge müssen die Geschäftsleiter einer juristischen Person oder anderen Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der keine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter fungiert, darauf hinwirken, dass der Schuldner die Restrukturierungssache ab deren Rechtshängigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gläubigergesamtheit wahrt. Die Obliegenheiten des Schuldners sind nicht konkret umrissen, ein Zahlungsverbot soll sich aus der Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch nicht ergeben.140 Die Wahrung der Gläubigerinteressen führt jedenfalls dazu, dass unnötige Vermögensminderungen zu unterlassen sind, da diese die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse schmälern würden.
222
Bei Verletzung dieser Pflicht haftet jedes Mitglied der Geschäftsleitung gesamtschuldnerisch nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG dem Schuldner gegenüber für den Schaden, der den Gläubigern entstanden ist, also den Quotenschaden. Ausnahmsweise entfällt die Haftung, wenn die Geschäftsleiter die Pflichtverletzung nicht zu vertreten haben. Hierfür tragen sie aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG („ …, es sei denn…“) die Beweislast.
223
Neben dieser Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft kommt grundsätzlich auch eine Außenhaftung nach den allgemeinen Vorschriften in Betracht. Allerdings sind weder § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG noch § 32 StaRUG Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB,141 so dass eine direkte Inanspruchnahme der Organe durch die Gläubiger nur im Ausnahmefall erfolgreich sein dürfte.
139 Haffa/Schuster in Braun, StaRUG, § 42 Rz. 12. 140 Weber/Dömmecke in Braun, StaRUG § 43 Rz. 7. 141 Weber/Dömmecke in Braun, StaRUG § 43 Rz. 1.
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IX. Finanzierung und Anfechtbarkeit | Rz. 229 § 2
c) Haftung nach § 57 StaRUG In Zusammenhang mit einer Stabilisierungsanordnung trifft die Geschäftsleiter des schuldnerischen Unternehmens, wenn dieses eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO ist, ein weiteres Haftungsrisiko. Ergeht nämlich eine solche Anordnung auf Grundlage vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben des Schuldners, so haften die Geschäftsleiter gem. § 57 Satz 1 StaRUG den von der Anordnung betroffenen Gläubigern für den durch die Anordnung entstehenden Schaden.
224
Darüber hinaus haften die Geschäftsleiter für einen Schaden, der einem oder mehreren Sicherungsgläubigern aus einer nicht ordnungsgemäßen Verwahrung oder Auskehrung der Verwertungserlöse nach § 54 Abs. 2 StaRUG entsteht.
225
Das Verschulden wird nach dem Gesetzeswortlaut des § 57 Satz 2 StaRUG vermutet. Es genügt Fahrlässigkeit. Um sich zu exkulpieren, muss der Geschäftsleiter nachweisen, dass er eigene und fremde Angaben mit der gebotenen Sorgfalt geprüft hat, ggf. durch einen ausreichend qualifizierten Dritten, bezüglich dessen ihn kein Auswahlverschulden trifft. Bei einer mehrköpfigen Geschäftsleitung ist auch die Ressortzuständigkeit zu berücksichtigen. Diese kann unter bestimmten Voraussetzungen zur Exkulpation der nicht zuständigen Mitglieder der Geschäftsleitung führen.142 Haften dennoch mehrere Geschäftsleiter, dann als Gesamtschuldner.
226
d) Haftungsprivilegierung nach § 89 Abs. 3 StaRUG Eine Haftungsprivilegierung erhält der Geschäftsführer über § 89 Abs. 3 StaRUG. Hat er während eines Verfahrens dem Gericht angezeigt, dass die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten ist, sind Ausgaben im Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebes von vornherein bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache privilegiert und gelten als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar. Allerdings muss der Geschäftsführer darauf achten, dass er nur die dringend notwendigen Zahlungen leistet und nicht auch Zahlungen, die noch zurückgehalten werden können, vgl. § 89 Abs. 3 Satz 2 StaRUG.
227
IX. Finanzierung und Anfechtbarkeit In den Restrukturierungsplan können auch Regelungen zur Finanzierung der Restrukturierung aufgenommen werden, § 12 StaRUG. Hierzu gehören sowohl neue Finanzierungen, als auch die Zwischenfinanzierung und Finanzierungsformen wie das Factoring. Die Prolongation und Stundung sind hiervon, da sie im Gegensatz zum Referentenentwurf nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden, ausgenommen.143 Davon umfasst sind dagegen gemäß der ausdrücklichen Anordnung in § 12 Satz 2 StaRUG auch Besicherungen.
228
Um Rechtssicherheit für die Finanzierer zu gewährleisten, schränkt das StaRUG die Anfechtbarkeit von diesen sog. „neuen Finanzierungen“ ein. Umfasst von dem Anfechtungsschutz sind aber auch andere Maßnahmen im Zusammenhang mit der Durchführung und der Umsetzung des Restrukturierungsplans. Nach § 89 Abs. 1 StaRUG kann nicht angenommen werden, dass eine Finanzierung oder sonstige Rechtshandlung ein sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung ist, mit der Begründung, der Beteiligte habe durch Kenntnis von der Restrukturierungssache auch Kenntnis von einer drohenden Insolvenz oder Krise des Unternehmens. Dasselbe gilt für eine Anfechtung nach § 133 InsO, die die Kenntnis von einem Gläubigerbenachteili-
142 Weber/Dömmecke in Braun, StaRUG § 43 Rz. 5. 143 Vgl. hierzu Tashiro in Braun, StaRUG, § 12 Rz. 14.
Böhm | 111
229
§ 2 Rz. 229 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gungsvorsatz des Anfechtungsgegners voraussetzt. Dies kann nicht allein auf die Kenntnis von dem Restrukturierungsvorhaben gestützt werden. Andere Anknüpfungspunkte für das Vorliegen der subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen sind hiervon allerdings nicht ausgeschlossen. 230
Auch alle Handlungen in Umsetzung des Restrukturierungsplanes sind nur unter bestimmten Voraussetzungen anfechtbar. Nach § 90 StaRUG sind lediglich Leistungen und Sicherheitsleistungen auf nachrangige Forderungen ohne Einschränkungen anfechtbar. Andere Planleistungen sind der Anfechtung nur zugänglich, wenn die Planbestätigung auf Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und der Planbetroffene, der die Leistung in Umsetzung des Plans erhält, dies positiv wusste, vgl. § 90 Abs. 1 StaRUG. Allerdings soll diese Privilegierung nur bis zum Ende der nachhaltigen Restrukturierung gelten. Das bedeutet: Werden Leistungen erbracht, obwohl die im Anschluss an die Bestätigung des Restrukturierungsplanes durchgeführte Sanierung nicht mehr nachhaltig möglich ist, kann eine Anfechtbarkeit wieder gegeben sein. Diese zu Recht kritisierte Vorschrift144 konterkariert zum einen den Gesetzeszweck, eine Sicherheit für Gläubiger zu schaffen.145 Zum anderen ist die Nachprüfbarkeit, wann der richtige Zeitpunkt hierfür ist, schwierig. Dies bedeutet aber auch, dass je länger die im Plan vorgesehenen Leistungen zeitlich gestreckt werden, je höher das Risiko ist für die Gläubiger, dass die an sie erbrachten Zahlungen doch noch einer Anfechtung unterliegen können.
X. Die Sanierungsmoderation 231
Mit der in den §§ 94 bis 100 StaRUG geregelten Sanierungsmoderation hat der Gesetzgeber ein neues, nicht in das Restrukturierungsverfahren unmittelbar eingebundenes, vorgelagertes Verfahren geschaffen. Mit diesem soll dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden, ohne Berater, aber mit Hilfe des Sanierungsmoderators eine Einigung mit seinen Gläubigern über einen Sanierungsvergleich zu erzielen. Orientiert an dem französischen „mandat ad hoc“ handelt es sich um ein nicht öffentliches Unterstützungsverfahren zur Einigung in der Krise.
1. Zugangsvoraussetzungen 232
Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens ist, dass der Schuldner noch nicht zahlungsunfähig oder überschuldet ist (§ 94 Abs. 1 StaRUG). Im Gegensatz zum Restrukturierungsverfahren muss der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig sein. Das Verfahren wird nur auf Antrag beim Restrukturierungsgericht eingeleitet. Der Antrag muss die im § 94 Abs. 2 StaRUG aufgeführten Pflichtangaben, nämlich Gegenstand des Unternehmens und Art der wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten enthalten. Dem Antrag sind ein Verzeichnis der Gläubiger, ein Vermögensverzeichnis sowie die Erklärung des Schuldners, nicht zahlungsunfähig und überschuldet zu sein, beizufügen.
2. Der Sanierungsmoderator 233
Da der Sanierungsmoderator gem. § 100 Abs. 2 StaRUG auch später zum Restrukturierungsbeauftragten bestellt werden kann und auch in einem möglichen Insolvenzverfahren zum Insolvenzverwalter, werden an ihn gem. § 94 Abs. 1 StaRUG dieselben Anforderungen gestellt: Es muss sich um eine geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubiger und dem Schuldner unabhängige na144 Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43. 145 In der Literatur wird deshalb teilweise gefordert, § 90 StaRUG dahingehend auszulegen, dass auch die Rückzahlungen auf ein anfechtungsfest gewährtes Darlehen von der Anfechtung ausgenommen sein müssen, vgl. z.B. Madaus, NZI-Beilage 2021, 35 mit Hinweis auf den Telos der EU-Richtlinie und Tashiro in Braun, StaRUG, § 90 Rz. 4 ff. unter Verweis auf ein etwaiges Missverständnis in der Gesetzesbegründung.
112 | Böhm
X. Die Sanierungsmoderation | Rz. 240 § 2
türliche Person handeln. Für den Schuldner ist im Gegensatz zur Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten (§ 74 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) kein Vorschlagsrecht für die Person des Sanierungsmoderators gesetzlich vorgesehen. Es dürfte aber nichts entgegensprechen und sogar sinnvoll sein, dass der Schuldner einen Sanierungsmoderator vorschlägt, da dieser nicht nur das Vertrauen der Gläubiger und des Gerichtes, sondern auch des Schuldners haben muss. Die zentrale Aufgabe des Sanierungsmoderators ist, die Sanierung durch die Vermittlung zwischen den Beteiligten zu fördern. Dazu hat er sich zunächst einen Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Schuldners zu verschaffen und die Interessen der einzelnen Beteiligten zu ermitteln. Zur Förderung der Moderation zwischen den Beteiligten kann er auch getrennte und vertrauliche Gespräche führen. Er ist nicht Interessenvertreter des Schuldners oder der Gläubiger, sondern neutraler Mittler.
234
Der Sanierungsmoderator steht unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts, § 96 Abs. 5 StaRUG. Er hat gem. § 96 Abs. 3 StaRUG monatlich schriftlich gegenüber dem Gericht Bericht zu erstatten. Der Bericht muss Art und Ursache der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, den Kreis der in die Verhandlungen einbezogenen Gläubiger und sonstigen Beteiligten, den Gegenstand sowie das Ziel der Verhandlungen und den voraussichtlichen Fortgang der Verhandlungen darstellen.
235
Gemäß § 96 Abs. 4 StaRUG hat der Sanierungsmoderator dem Gericht anzuzeigen, wenn ihm die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners bekannt wird. Damit ist aber keine permanente Prüfpflicht des Sanierungsmoderators begründet, denn er ist gerade kein Restrukturierungsbeauftragter oder Gutachter. Dies bedeutet, er hat den Eintritt der Insolvenzreife nur dann anzuzeigen, wenn sie offenkundig ist.146 Er hat aber gem. § 97 Abs. 2 StaRUG zu den Voraussetzungen bzw. Versagungsgründen des Sanierungsvergleiches Stellung zu nehmen.
236
Vergütet wird der Sanierungsmoderator gem. § 98 Abs. 1 StaRUG nach Zeit- und Sachaufwand. Die §§ 80–83 StaRUG sind entsprechend anwendbar, so dass die Vergütung pro Stunde basierend auf einem Regelsatz von maximal 350 € erfolgt. Bei Einverständnis des Schuldners können auch höhere Vergütungen vereinbart werden. Die Vergütung wird, wie beim Restrukturierungsbeauftragten, nach Antrag beim Restrukturierungsgericht durch Beschluss gem. § 82 Abs. 1 StaRUG festgesetzt. Der Vergütungsanspruch richtet sich gegen die Staatskasse.
237
3. Der Sanierungsvergleich Ziel der Sanierungsmoderation ist es, einen Sanierungsvergleich mit den von dem Schuldner ausgewählten Gläubigern zu erreichen. Anders als bei einem Vergleich durch einen Restrukturierungsplan bedarf es, wie in jeder außergerichtlichen Sanierung, einer Einigung mit jedem Gläubiger. Der Vorteil liegt in der Möglichkeit, durch die gerichtliche Bestätigung eine Anfechtungseinschränkung herbeizuführen.
238
Auf Antrag des Schuldners gem. § 97 Abs. 1 StaRUG kann der Sanierungsvergleich durch das Restrukturierungsgericht bestätigt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass das dem Vergleich zugrunde liegende Sanierungskonzept schlüssig ist und von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht. Für die Beurteilung wird das Gericht in der Regel die Stellungnahme des Sanierungsmoderators nach § 97 Abs. 2 StaRUG zugrunde legen.147 Eine tiefere inhaltliche Prüfung erfolgt durch das Gericht allerdings nicht. Dem Gericht kommt insoweit quasi lediglich eine Beurkundungsfunktion zu.
239
Folge dieser Bestätigung ist die begrenzte Anfechtbarkeit des Vergleichs gem. § 97 Abs. 3 StaRUG. Eine Anfechtung ist nur noch unter den Voraussetzungen des § 90 StaRUG möglich, nämlich dann,
240
146 Blümle/Erbe in Braun, StaRUG, § 96 Rz. 18. 147 Ausführlich zu dem Prüfungsmaßstab des Sanierungsmoderators Blümle/Erbe in Braun, StaRUG, § 97 Rz. 11 ff.
Böhm | 113
§ 2 Rz. 240 | Präventiver Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen wenn die Bestätigung des Sanierungsvergleichs auf unrichtigen und unvollständigen Angaben des Schuldners beruhte und dies dem anderen Teil dies bekannt war. Aus Sicht der Gläubiger ist daher auf die gerichtliche Bestätigung Wert zu legen. 241
Allerdings ist zu beachten, dass sich nach dem Wortlaut des § 97 Abs. 3 StaRUG die Anfechtungsbeschränkung nur auf den Sanierungsvergleich an sich bezieht, nicht aber auf darauf basierende Erfüllungshandlungen, so dass diesbezüglich dennoch die Gefahr der Anfechtung bestehen könnte. Da dies den Inhalt des Anfechtungsprivilegs erheblich eingrenzen und die Attraktivität der Sanierungsmoderation schmälern könnte, wird in der Literatur – wohl zurecht – angenommen, dass es sich bei der eingeschränkten Verweisung um ein Versehen handeln muss.148 Versagt das Gericht die Bestätigung des Sanierungsvergleichs, so ist dieser gleichwohl wirksam, steht jedoch nicht unter Anfechtungsschutz.
4. Verfahrensdauer und Beendigung 242
Die Bestellung des Sanierungsmoderators erfolgt zunächst für einen Zeitraum von drei Monaten. Der Zeitraum kann auf Antrag des Moderators und mit Zustimmung des Schuldners sowie der beteiligten Gläubiger um bis zu drei weitere Monate verlängert werden, § 95 StaRUG. Tritt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein, muss ein Insolvenzantrag gestellt und das Moderationsverfahren aufgehoben werden, § 99 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG.
243
Im Rahmen der Überschuldungsprüfung können bei der Fortführungsprognose die Aussichten für die Durchführung des Restrukturierungsverfahrens einbezogen werden. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Überschuldungsprüfung auch unterstellt werden darf, dass die Restrukturierungssache erfolgreich abgeschlossen werden und damit die positive Fortbestehensprognose bestätigt werden kann, so dass nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO eine Überschuldung ausscheidet.149
148 Hoegen, NZI-Beilage 2021, 59; so wohl auch schon Thole, ZIP 2020, 1985. 149 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 137.
114 | Böhm
§3 Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung I. Beratung bei Insolvenzplan . . . . . . . . . . 1. Das Grundverständnis des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Reformziele des Gesetzgebers der InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die wesentlichen Grundsätze des Insolvenzplanverfahrens . . . . . . . . . . c) Die Macht des Faktischen: Rechtspraxis vs. Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . d) ESUG: Ein Gesetz unter dem Vorbehalt der Nachprüfung . . . . . . . . . . . . e) SanInsFoG: Antwort auf Europa und Folge der ESUG-Evaluation . . . . . . . 2. Allgemeine strategische Überlegungen zum Planverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Antragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung durch Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren . . . . . . . c) Der Zeitfaktor: Von der Erarbeitung des ersten Entwurfs bis zur rechtskräftigen Planbestätigung . . . . . . . . . d) Aufhebung des Insolvenzverfahrens . e) Unternehmensbezogene Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Liquiditätsbedarf bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans − Zwischenfinanzierung . . . . . . . . . . . . g) Gruppenorientierte Mehrheitsbildung aa) Erforderliche Mehrheiten . . . . . bb) Obstruktionsverbot . . . . . . . . . . 3. Der Schuldner/Insolvenzverwalter als Planersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Berechtigung zur Planeinreichung aa) Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . (1) Originäres Planvorlagerecht (2) Die Gläubigerversammlung als Auftraggeber des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . cc) Vorlage mehrerer Insolvenzpläne b) Gliederung und Inhalt eines Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Darstellender Teil . . . . . . . . . . . (1) Der darstellende Teil als Informations- und Datenpool (2) Erarbeitung des darstellenden Teils . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gestaltender Teil . . . . . . . . . . . . cc) Plananlagen . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 1 8 18 26 34 51 53 57
59 61 64 66 69 70 72 97 97 97 105 105 107 111 117 119 119 124 125 128
(1) Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplanung . . . (2) Muster: Plan-G+V, PlanLiquiditätsrechnung, Planbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Weitere Pflichtanlagen . . . . . dd) Regelungsfreiheit . . . . . . . . . . . . (1) Finanzwirtschaftlich orientierte Pläne . . . . . . . . . . . . . (2) Leistungswirtschaftlich orientierte Pläne . . . . . . . . . (3) Eigensanierungspläne . . . . . (4) Übertragende Sanierungspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Liquidationspläne . . . . . . . . (6) Moratoriumspläne . . . . . . . . (7) Weitere Plan- und Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Vorgabe des Gesetzes: Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Der modifizierte Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . gg) Der PSVaG als besonderer Gläubiger beim Eigensanierungsplan hh) Änderung des Plans . . . . . . . . . . ii) Planberichtigung . . . . . . . . . . . . jj) Bedingter Plan . . . . . . . . . . . . . . kk) Überwachung der Planerfüllung ll) Kreditrahmen . . . . . . . . . . . . . . . c) Abstimmung mit den (Haupt-)Beteiligten − prepackaged plan . . . . . d) Ausgleichszahlungen für widersprechende Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . e) Muster: Gliederung eines Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Gläubiger als Planbetroffener . . . . . a) Einflussnahme auf die Plangestaltung aa) Planinitiativrecht durch Beauftragung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Mitwirkungshandlungen und Rechte der Gläubiger . . b) Gruppenbildung: Organisation der gemeinsamen Interessen . . . . . . . . . . c) Gesellschaftsrechtlicher Einfluss im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verzahnung von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . bb) Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital . . . . . . . . . . . . . . (1) Wahlrecht zur Teilhabe am Sanierungserfolg . . . . . . . . .
128 138 143 152 154 155 156 157 158 159 160 162 179 185 203 207 210 216 228 245 249 254 255 255 255 256 262 267 272 276 279
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§ 3 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
5.
6.
7.
8.
(2) Unternehmerisches Engagement aus Sicht der Gläubiger Die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitwirkung an Grundlagen- und Strukturentscheidungen . . . . . . . . . . . b) Auswirkung des Eingriffs in die Anteilsrechte für das Planverfahren . . . . Das Insolvenzgericht in der Notarfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorprüfung durch das Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Den Erörterungs- und Abstimmungstermin vorbereitende Maßnahmen . . c) Leitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erörterung durch die Planbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stimmrechtsfestsetzung für die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abstimmung über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der gesonderte Abstimmungstermin als Ausnahme . . . . . . . . . d) Feststellung des Abstimmungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Planbestätigung durch das Gericht f) Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antragsgebundener Rechtsschutz der Planbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Minderheitenschutz einzelner Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerspruchsrecht des Schuldners . . c) Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sofortige Beschwerde nach § 6 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorprüfungsverfahren . . . . . (2) Planbestätigung . . . . . . . . . . (3) Planberichtigung . . . . . . . . . Folgen des rechtskräftigen Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirkungen des Insolvenzplans auf Planbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkungserstreckung auf unbekannte Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundregelung durch den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verjährungsfrist und Vollstreckungsschutz als gesetzliche Auffangklauseln . . . . . . . . . . . . . c) Die Einbindung von Mitschuldnern, Bürgen und sonstigen Nicht-Planbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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287 296 296 9. 301 309 309
10.
326
II. 1. 2.
339 342 343 354
3.
357 360 365 382 397 397 407 410 410 413 419 420 433 434 434 451 451 457
467
4.
d) Wiederaufleben gestundeter oder teilerlassener Forderungen . . . . . . . . e) Vollstreckungsmöglichkeit aus dem Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Steuerliche Wirkungen und Folgen des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . Haftungsfragen im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsrisiken im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema: Zeitlicher Ablauf des Insolvenzplanverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratung bei Eigenverwaltung . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis der Eigenverwaltung zum Insolvenzplan-, Verbraucher- und Restschuldbefreiungs- sowie den sonstigen besonderen Arten des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbare Vorschriften im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Vorschriften, Eröffnungsvoraussetzungen und Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzmasse, Einteilung und Organe der Gläubiger . . . . . . . . . . . . c) Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Befriedigung der Insolvenzgläubiger und Einstellung des Verfahrens . . . . . f) Ergänzung durch die Zivilprozessordnung und andere Gesetze . . . . . . Das Antragsrecht des Schuldners und seine Stellung im Verfahren . . . . . . . . . . a) Antragstellung durch den Schuldner aa) Der konzeptionierte Schuldnerantrag als unabdingbare Voraussetzung jeder Eigenverwaltung . (1) Eigenverwaltungsplanung . . (2) Erklärungen des Schuldners zu den Begleitumständen . . bb) Zeitpunkt der Antragstellung . . cc) Antragsberechtigung bei Gesellschaften oder sonstigen Personenvereinigungen . . . . . . . . . . . dd) Die Ausgestaltung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens (1) Der Schutzschirm als Option im Eröffnungsverfahren . . . (2) Schutzschirm-Bescheinigung (3) Sicherung der Insolvenzmasse und Betriebsfortfüh-
470 479 488 509 509 512 515 517 517
529 534 536 544 545 547 548 549 551 551 551 555 570 572 575 577 577 593
Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung | § 3 rung im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren . . . . . 601 ee) Rücknahmeberechtigung . . . . . 609 ff) Muster: Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person unter gleichzeitiger Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung (Eigenantrag mit Primärzugang) 615 b) Befugnisse und Pflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 aa) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse . 619 bb) Verfahrensführende Aufgaben . 628 cc) Mitwirkungspflichten . . . . . . . . 636 dd) Informationspflichten . . . . . . . . 637 ee) Ausgaben für die Lebensführung 641 ff) Sonstige Beteiligungsrechte . . . . 645 c) Antragsrecht zur Aufhebung der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 647 5. Die Gläubiger im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 a) Aufgaben des vorläufigen Gläubigerausschusses im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . 650 b) Antrag zur Anordnung der Eigenverwaltung durch die Gläubiger . . . . 655 c) Antrag zur Aufhebung der Eigenverwaltung durch eine Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 d) Aufhebung der Eigenverwaltung nach Antrag eines Gläubigers. . . . . . 664 e) Muster: Antrag eines Gläubigers auf Aufhebung der Eigenverwaltung . . . 666 f) Mitwirkung von Gläubigerausschuss bzw. Gläubigerversammlung . . . . . . 667 g) Antrag auf Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . 676 aa) Das Recht der Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . 676 bb) Antragsberechtigung einzelner Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 cc) Folgen der Anordnung . . . . . . . 683 6. Die Entscheidungen des Gerichts zur Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688 a) Maßnahmen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . 688 aa) Der Primärzugang: Eigenverwaltungsplanung . . . . . . . . . . . . . . 690 bb) Der überprüfte Zugang: Gläubigerinteressenwahrung . . . . . . . . 694
7.
8. 9. 10.
cc) Der vom vorläufigen Gläubigerausschuss unterstützte Zugang: Einstimmigkeit mit Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . ee) Mitteilungspflicht bei Aussichtslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Schutzschirmverfahren . . . . . . . . gg) Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . hh) Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . ii) Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . b) Schema: Zeitlicher Ablauf des Schutzschirmverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Anordnung der Eigenverwaltung aa) Eigenverwaltung aufgrund Schuldnerantrag . . . . . . . . . . . . . bb) Eigenverwaltung durch nachträgliche Anordnung aufgrund Beschluss der Gläubiger . . . . . . . cc) Im Zusammenhang mit der Anordnung der Eigenverwaltung zu treffende gerichtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Ablehnung der Eigenverwaltung . f) Die Aufhebung der Eigenverwaltung . Die Mitwirkung des Sachwalters . . . . . . a) Tätigkeiten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungs- und Überwachungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterstützung in der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung . . . . . . . . . . d) Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfahrenstypische Maßnahmen . . . . f) Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . g) Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Partielles Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse . i) Rechtsstellung des Sachwalters . . . . . . Rechtsschutz der Betroffenen . . . . . . . . . Haftungsfragen im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema: Zeitlicher Ablauf der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
698 700 702 704 710 711 713 724 725 727 730
731 735 739 742 746 746 753 757 760 766 778 779 782 783 790 799 805
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§ 3 Rz. 1 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
I. Beratung bei Insolvenzplan 1. Das Grundverständnis des Insolvenzplans a) Die Reformziele des Gesetzgebers der InsO 1
Die Vorgabe1 der Reformer war eindeutig: Das neue Verfahren soll eine marktkonforme Insolvenzbewältigung ermöglichen und hierfür die Voraussetzungen schaffen. Den Ansatz, die Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu nutzen, fand der Gesetzgeber in der bestehenden Rechts- und Wirtschaftsordnung. Mit der Anknüpfung an vorhandene marktkonforme Rahmenbedingungen und der damit verbundenen Entscheidungsfreiheit der Beteiligten über Liquidation oder Sanierung wurde die dem Vergleichsund Konkursrecht eigene Tendenz zur Zerschlagung beseitigt. Der Gesetzgeber stellt im Ausgangspunkt die Regelabwicklung zur Verfügung und bietet optional das „Insolvenzplanverfahren“ an, um Alternativen der Verwertung im Wettbewerb und in freien Verhandlungen zu finden.
2
Mit der angestrebten vermögensorientierten Verhandlungslösung unter den Beteiligten soll die bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens als Haftungsobjekt durch die Abwicklung oder Umgestaltung der Finanzstruktur – ggf. in Kombination mit leistungswirtschaftlichen Maßnahmen – ermöglicht werden. Die Beteiligten sollen eine Rentabilitätsentscheidung treffen, die denselben Grundsätzen wie eine außergerichtliche Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung folgt.2
3
Welche Verwertungsart des Schuldnervermögens marktwirtschaftlich sinnvoll oder umgekehrt sinnwidrig ist, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden, weshalb kein Typenzwang herrschen oder die Bevorzugung eines Verfahrensziels erfolgen soll. Vielmehr wird ein gleichrangiges Angebot von Liquidation, übertragende Sanierung, Eigensanierung oder jede andere denkbare Lösung den Beteiligten im freien Wettbewerb der besten Verwertungsart unterbreitet. Aus der marktwirtschaftlichen Ordnung hat der Gesetzgeber adaptiert, dass privatautonome Entscheidungen ein höheres Maß an wirtschaftlicher Effizienz verbürgen als die hoheitliche Regulierung wirtschaftlicher Abläufe. Den Beteiligten wird mit der vorgenommenen Deregulierung ein Höchstmaß an Flexibilität, Differenzierung und Individualität für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz angeboten, weshalb in einem Insolvenzplan in jeder Hinsicht von der gesetzlichen Zwangsverwertung der Insolvenzmasse abgewichen werden kann. Das Recht der Beteiligten, auf die Auswahl der Verwertungsart Einfluss zu nehmen, wird folgerichtig unabhängig vom Verfahrensziel gewährt.
4
Zwangseingriffe in die zivilrechtliche Güter- und Haftungsordnung der einzelnen Beteiligten zu- und untereinander sowie in die Verteilungsordnung der Gesamtvollstreckung mit der Folge von Vermögensverlagerungen zur Durchsetzung eines Verfahrensziels oder zur Schaffung zweckwidriger Sondervorteile Einzelner werden nicht ermöglicht. Die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorgefundenen Verhältnisse sollen Maßstab für die Desinvestition in der Zwangsverwertung des Schuldnervermögens wie auch für die Investition im Rahmen einer Fortführung oder Sanierung bleiben. Die günstigste Masseverwertung wäre aber nicht durchführbar, wenn Sicherungsgläubiger das ihnen haftende Sicherungsgut aus dem Unternehmensverbund des Schuldners lösen und damit die Realisierung und Erhaltung des Verbundwerts verhindern könnten. Die Wirkungen des externen Zugriffs werden deshalb dem Verfahrensziel angepasst und Sicherungsgläubiger in das Verfahren eingebunden (vgl. hierzu ausführlich § 10 Rz. 8 ff.). Wettbewerbsverzerrungen werden vermieden, indem die zeitweilig vorenthaltene Nutzung des Sicherungsguts mit einem marktgerechten Preis entschädigt wird.
5
Weil Mehrheitsentscheidungen nicht das wirtschaftliche Optimum garantieren, hat in wirtschaftlichen Angelegenheiten die Mehrheit prinzipiell nicht mehr Recht als die Minderheit. Es soll deshalb 1 Ausführlich Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 143 ff. 2 Eine Investitionsentscheidung liegt vor, wenn die planvorgeschlagene Alternativlösung angenommen wird. Im Falle der Desinvestitionsentscheidung wird die Regelverwertung der Vermögensgegenstände mit der anschließenden Auskehr der Erlösquote an die Gläubiger durchgeführt.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 9 § 3
kein einzelner Beteiligter gezwungen werden, die im Regelinsolvenzverfahren entstehende Liquidationsquote alternativ und plangeregelt dauernd oder zeitweilig in das Schuldnerunternehmen zu investieren oder anstelle seines Rechts eine Abfindung hinzunehmen. Umgekehrt soll aber eine Minderheit innerhalb einer Plangruppe eine bestimmte, für die anderen Beteiligten dieser Gruppe vorteilhafte Art der Masseverwertung nicht verhindern können oder eine einzelne Beteiligtengruppe ein schrankenloses Vetorecht gegen einen für andere Gruppen vorteilhaften Plan haben. Der Gesetzgeber lässt deshalb klar obstruktives Verhalten unbeachtet, um marktkonforme Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu fördern.3 Die den regelabweichenden Entscheidungen immanente Unsicherheit und das damit verbundene Risiko trifft diejenigen Personen, deren Vermögenswerte im Unternehmen gebunden sind. Die Entscheidung soll deshalb allein den Gläubigern (mit dem ESUG4 auch den Eigenkapitalgebern) des Schuldners zustehen.5 Außenstehende können allenfalls versuchen, die Beteiligten für ihre Ziele zu gewinnen, um so mittelbar auf die Investitionsentscheidung Einfluss zu nehmen.
6
Nicht nur der Ausgang, sondern auch der Gang des Insolvenzverfahrens soll von den Beteiligten bestimmt werden, und zwar nach Maßgabe des Werts ihrer in das Verfahren einbezogenen Rechte (zum Ansatz des Wertmaßstabes auch für die Einbeziehung der Anteilsinhaber über das ESUG vgl. Rz. 29). Die Einbindung der Sicherungsrechte (mit dem SanInsFoG6 auch von gruppeninternen Drittsicherheiten) muss deshalb im Entscheidungsprozess Berücksichtigung finden. Sicherungsgläubiger werden im Stimmrecht nicht nur auf ihre Ausfallforderung beschränkt, sondern sind insgesamt, d.h. auch mit dem Wert ihres Absonderungsrechts, stimmberechtigt (zum Ansatz des Wertmaßstabes auch für die Einbeziehung der gruppeninternen Drittsicherheiten über das SanInsFoG vgl. Rz. 69). Dem Insolvenzgericht obliegt es ausschließlich, die Rechtmäßigkeit des Handelns zu überwachen, ansonsten hat es allenfalls vermittelnde und schlichtende Aufgaben, um die Einigung zu fördern. Die Rolle des Insolvenzverwalters verändert sich nicht, er hat insbesondere die Interessen der Gläubiger zu wahren.
7
b) Die wesentlichen Grundsätze des Insolvenzplanverfahrens Im Insolvenzverfahren sollen die Gläubiger des Schuldners durch die Vermögensverwertung und anschließende Erlösverteilung gemeinschaftlich befriedigt werden. Neben diesem klassischen, abwickelnden Ansatz im Regelinsolvenzverfahren eröffnet das im Zuge der Insolvenzrechtsreform eingeführte Insolvenzplanverfahren7 alternative und gleichrangige Möglichkeiten der Insolvenzbewältigung, insbesondere zum Erhalt eines Unternehmens. Das Gesetz bestimmt dabei nicht, welches Ziel das konkrete Insolvenzplanverfahren verfolgt. Die Ergebnisoffenheit lässt vielmehr im Ausgangspunkt jede nur denkbare Lösung als eine von der Regelabwicklung abweichende, gleichrangige Alternative zu (§ 1 InsO). Dabei kann Inhalt des Insolvenzplans jede Regelung sein, die individualvertraglich außerhalb eines Insolvenzverfahrens getroffen werden kann.8
8
Das Insolvenzplanverfahren ist Teil des (Regel-)Insolvenzverfahrens, das – ohne besondere Verfahrensart zu sein – alternativ die Insolvenz bewältigt/abwickelt. Aus diesem Grund ist kein besonderer Antrag zu stellen, ausreichend ist die Planvorlage an das Insolvenzgericht. Im Anschluss daran hat das
9
3 Unter Obstruktion (lat. obstruere: versperren) versteht man allgemein den gezielten/planmäßigen Widerstand, mit dem unerwünschte Maßnahmen verhindert werden sollen, i.e.S. das Verhalten einer Minderheit, durch sachfremde Aktionen Beschlüsse der Mehrheit zu verzögern, idealiter zu verhindern. 4 ESUG: Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I 2011, 2582. 5 Nicht dem Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter oder Sachwalter. 6 SanInsFoG: Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, BGBl. I 2020, 3256. 7 Ausführlich hierzu Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 162 ff. 8 Haas in HK/InsO, vor §§ 217 ff. Rz. 14, § 217 Rz. 15; zur Unterscheidung in verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Regelungen vgl. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 3 f.
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§ 3 Rz. 9 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Gericht eine Vorprüfung vorzunehmen und bei erfolgreichem Abschluss das weitere Insolvenzplanverfahren von Amts wegen in Gang zu setzen. 10
Den Beteiligten wird mit den Vorschriften zum Insolvenzplan ein Rechtsrahmen vorgegeben, der bei passenden tatsächlichen wie rechtlichen Verhältnissen anstelle der Regelabwicklung eine alternative Insolvenzbewältigung zulässt. Damit ist auch klar, dass der Insolvenzplan selbst weder saniert noch liquidiert oder eine sonstige Verwertung vornimmt, er schafft lediglich die formellen Voraussetzungen dafür. Die Beteiligten sollen eine einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen erreichen können, wobei von sämtlichen Vorschriften über die insolvenzmäßige Verwertung und Verteilung abgewichen werden kann (§ 217 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nicht zur Disposition der Beteiligten stehende Vorschriften der Insolvenzordnung sind hingegen auch im Planverfahren bindend.9
11
In Verbraucherinsolvenz- und sonstigen Kleinverfahren kann ein Insolvenzplanverfahren seit dem 1.7.2014 in Gang gesetzt werden. Mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte wird § 312 Abs. 3 InsO, der den bisherigen Ausschluss des Planverfahrens für das Verbraucherinsolvenzverfahren vorsah, gestrichen.10 Verbraucher werden so nicht mehr ausschließlich auf eine Insolvenzbewältigung mit dem Schuldenbereinigungsplan nach den §§ 305 Abs. 1 Ziff. 2 InsO verwiesen.11 Ob ein Verbraucherinsolvenzverfahren vorliegt, ergibt sich aus § 304 InsO (vgl. § 18 Rz. 27 ff.).
12
Mit der Orientierung am Vergleich und Zwangsvergleich sowie Anleihen im ausländischen, vornehmlich dem US-amerikanischen Recht wird der Plan als privatautonome, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Übereinkunft der mitspracheberechtigten Beteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens unter voller Garantie des Werts der Beteiligtenrechte beschrieben. Die Gläubigergesamtheit organisiert, nicht aus freiem Willen zusammengefunden, sondern als zusammengefügte Schicksalsgemeinschaft ihre Befriedigung aus dem Schuldnervermögen. So gesehen ist der Insolvenzplan seinem Wesen nach ein spezifisch insolvenzrechtliches Instrument.12 Obwohl der Insolvenzplan kein Vertrag im herkömmlichen Sinne ist, wird seine Auslegung für zulässig erachtet. Auslegungsmaßstab ist das individuelle Verständnis derjenigen, die ihn beschlossen haben. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Ermittlung des gemeinsamen Verständnisses im Wege der Auslegung ist der Erörterungs- und Abstimmungstermin.13 Eine Auslegung nach dem objektiven Erklärungsbefund, wie sie etwa bei AGB oder Emissionsprospekten stattfindet, ist nicht zulässig.14
9 Haas in HK/InsO, vor §§ 217 ff. Rz. 2. Im Umkehrschluss zu § 217 InsO ergeben sich die nicht zur Disposition des Planverfassers stehenden Vorschriften, vgl. hierzu Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 1 und 3 ff. 10 Ausführlich hierzu Regierungsentwurf Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte, BT-Drucks. 17/11268 v. 31.10.2012; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/13535 v. 15.5.2013. 11 Vgl. zur Rechtslage bis zum Jahr 2018 bspw. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 1. Einen Vergleich zwischen Schuldenbereinigungsplan und Insolvenzplan stellt an Rugullis, NZI 2013, 869 ff.; ebenso Rein, ZVI 2014, 239 ff.; Lissner, ZInsO 2014, 1835 ff. 12 BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, MDR 2006, 594 = ZInsO 2006, 38, 39, mit entsprechenden Nachweisen zu den bisher vertretenen Ansätzen im Schrifttum, die Rechtsnatur des Insolvenzplans dogmatisch abzuleiten. Einen Überblick unter Berücksichtigung der ESUG Regelungen gibt Madaus, KTS 2012, 27 ff. 13 OLG Dresden v. 15.8.2012 – 13 U 1757/11, ZInsO 2013, 996 ff. 14 BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, MDR 2006, 594 = ZInsO 2006, 38, 39; unzutreffend Frind, NZI 2007, 374, 377, der aus der Entscheidung des BGH die Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts herauslesen will. Dem Grunde nach dem BGH zustimmend, jedoch die in diesem Zusammenhang getroffene Feststellung, eine normative Wirkung über den Kreis derjenigen, die den Plan beschlossen haben, komme dem Plan nicht zu, zutreffend kritisierend Bähr/Landry, EWiR 2006, 87, 88.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 19 § 3
Der Insolvenzplan bezweckt weder eine Rechtswohltat für den Schuldner, noch kann gegen seinen Willen die Fortführung des Unternehmens in der vorhandenen Organisationsstruktur oder die Leistung eines Eigentümerbeitrags durchgesetzt werden. Das Recht, nicht etwa eine die Regelverwertung verdrängende Pflicht zur Planeinreichung, spiegelt die Möglichkeit zum Wettbewerb um die beste Vermögensart wider. Dabei steht die Befugnis zur Planvorlage neben dem Insolvenzverwalter dem Schuldner zu, der damit frühzeitig tätig werden und zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen kann (§ 218 Abs. 1 InsO). Die Gläubigerversammlung kann den Insolvenzverwalter bzw. in der Eigenverwaltung den Sachwalter oder Schuldner beauftragen, nicht aber selbst planeinreichend tätig werden (§§ 218 Abs. 2, 284 Abs. 1 Satz 1 InsO). Eine mittelbare Planberechtigung hat auch der vorläufige Gläubigerausschuss in der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO).
13
Um die unterschiedlichen Vermögensinteressen berücksichtigen zu können, wird die den Plan legitimierende, mehrheitsgetragene Entscheidung in unterschiedlichen Abstimmungsgruppen gesucht, was gleichzeitig größtmögliche Flexibilität bei der Differenzierung der Planwirkung auf den einzelnen Beteiligten bietet. Unterschiedliche Betroffenheit und unterschiedliche Interessen sollen nicht i.S.d. „par conditio creditorum“ über alle Gläubiger hinweg zwanghaft gleichbehandelt werden müssen.
14
Weil kein Beteiligter, auch nicht der Schuldner oder an ihm beteiligte Personen, gegen seinen Willen schlechter stehen soll als bei der insolvenzmäßigen Regelverwertung, wird als Korrektiv zur Mehrheitsentscheidung an verschiedenen Stellen Minderheitenschutz gewährt (§§ 245, 247, 251 InsO).
15
Trotz unterschiedlicher vermögensrechtlicher Betroffenheit können über den uneingeschränkt gewährten Minderheitenschutz in den einzelnen Gläubigergruppen gleiche Mehrheitsanforderungen nach „Kopf und Summe“ aufgestellt werden (für die mit dem ESUG einbezogene Gruppe der Anteilsinhaber nach deren Beteiligung, für die mit dem SanInsFoG einbezogenen gruppeninternen Drittsicherheiten nach dem erwarteten Befriedigungsbetrag). Um zu verhindern, dass Gruppen sich die Zustimmung zum Plan von anderen Beteiligten (in anderen Gruppen) durch ungerechtfertigte Zugeständnisse abkaufen lassen, obwohl die Planlösung deren Interessen wahrt, genügt es, dass die Mehrheit der gebildeten Gruppen dem Insolvenzplan zustimmt (§ 245 Abs. 1 Ziff. 3 InsO).15
16
Der Zweck des Insolvenzplanverfahrens ist die Gewährleistung des in den Reformzielen beschriebenen marktkonformen Insolvenzverfahrens.16
17
c) Die Macht des Faktischen: Rechtspraxis vs. Gesetz Schon im Vorfeld des Inkrafttretens der Insolvenzordnung gab es unterschiedliche Ansichten über Sinn und Zweck, Vor- und Nachteile, Chancen und Gefahren des Insolvenzplanverfahrens. Der Gesetzgeber sah sich mit seinem „Kernstück“ der Insolvenzrechtsreform von Praktikern und Theoretikern bestätigt, andere dagegen sahen dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet und sprachen der Insolvenzrechtskultur in Deutschland die schlimmsten Befürchtungen aus.
18
Selbst nach den ersten Jahren praktischer Planerfahrung stellte man nicht sonderlich überrascht fest, dass der „Meinungskampf“ um das Insolvenzplanverfahren weiterhin besteht. Das Scheitern des ersten Insolvenzplanverfahrens wurde zum Nährboden der eigenen Skepsis und zur weiteren Kritik genutzt.17
19
15 Die Interessenwahrung der anderen Beteiligten erfolgt, weil deren Gruppe nicht schlechter gestellt ist im Vergleich zur (naheliegenden bestmöglichen) insolvenzmäßigen Regelverwertung und diese Gruppe auch an einem etwaigen Planumsetzungswert des Schuldnerunternehmens ranggemäß beteiligt ist (vereinfacht der Regelungsgehalt des § 245 InsO). 16 Ausführlich Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 27 ff. 17 Handelsblatt v. 26.5.1999.
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§ 3 Rz. 19 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Es gab fragend formulierte Aussagen wie „Ein Schlag ins Wasser?“ oder geäußerte „Schreckensbilder“, die nun in die Wirklichkeit umgesetzt worden seien.18 20
Im Gegensatz dazu sahen sich die Befürworter bestätigt, als kurz darauf ein Insolvenzplanverfahren als erstes erfolgreich in Deutschland abgeschlossen werden konnte. Eine kühne, aber wenig realitätsnahe Mutmaßung, „jedes dritte Unternehmen könnte gerettet werden“, konnte man der Presse entnehmen.19 Es gab aber durchaus realitätsnahe Aussagen, die dem Planverfahren „einen überzeugenden Start“ attestierten.20
21
Eine interessante Frage ist, wie die Verfasser dieser Publikationen zu ihrer Überzeugung gelangen. Es gab nicht die zahllosen Meldungen über Insolvenzplanverfahren, wie man sie über Regelinsolvenzverfahren las. Nur wenige Planverfahren wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht bzw. öffentlichkeitswirksam „vermarktet“, wobei seit dem ESUG und dem damit installierten Schutzschirmverfahren wie auch der modifizierten Eigenverwaltung (vgl. Rz. 30) die Beteiligten, insbesondere Berater (nicht immer die anwaltlichen und sonstigen Regeln zur Verschwiegenheit wahrend) spürbar die Öffentlichkeit suchen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Mehrzahl der Insolvenzpläne entweder das Insolvenzverfahren verhindern, weil sie im Vorfeld der Insolvenz als Verhandlungsinstrument bei Gläubigern eingesetzt gerade das erreichen, was im nachfolgenden Planverfahren bewirkt werden soll, oder als „prepackaged plan“, d.h. in Abstimmung mit den wesentlichen Betroffenen, erarbeitet werden und verständlicherweise in diesem Stadium bzw. nach Überwindung der Krise die Beteiligten nicht gerade die Öffentlichkeit suchen.21
22
Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung mit seinen wesentlichen Teilen zum 1.1.199922 muss sich das Planverfahren auch an Zahlen messen lassen. Verglichen mit den Daten zu Unternehmensinsolvenzverfahren wird klar, dass die Regelabwicklung deutlich überwiegt.23 Jahr
Insolvenzanträge mit Insolvenzplan
gemäß § 231 InsO zurückgewiesene Insolvenzpläne
durchgeführte Insolvenzplanverfahren
1999
47
9
24
2000
76
4
56
2001
96
6
79
2002
154
7
121
2003
163
3
126
2004
208
16
168
2005
226
12
200
2006
258
9
206
18 Wellensiek, NZI 2000, Heft 9, Editorial; Smid, InVo 2000, 1 ff., zu LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 ff. 19 Sächsische Zeitung v. 17.7.1999. 20 Braun, NZI 1999, 473 ff. 21 Ein Beispiel für einen „außergerichtlichen Insolvenzplan“ beschreibt van Zwoll, ZInsO 2008, 418 ff. 22 Die Auswirkungen der Änderungen von Verfahrensvorschriften der InsO stellt Schmerbach, ZInsO 2014, 132 ff., dar. 23 Die nachfolgende Darstellung gibt die Anzahl der Insolvenzplanverfahren in Deutschland wieder. Die Daten wurden erhoben von Schultze & Braun bei den jeweiligen Insolvenzgerichten. Mit Beginn der Erhebung im Jahr 1999 lag die Rücklaufquote bei 66 %, im Anschlussjahr bei 100 %. Die Akzeptanz zur Beantwortung der Fragen nahm in den letzten dargestellten Jahren ab und lag im Jahr 2018 bei nur noch 60 %. Die Beantwortungsquote lies somit keine belastbare Aussage mehr zu, so dass entschieden wurde, die Erhebung nicht mehr weiterzuführen. Der Nachbesserungsbedarf beim Gesetz über die Insolvenzstatistik (Insolvenzstatistikgesetz – InsStatG) besteht weiterhin.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 23 § 3 Jahr
Insolvenzanträge mit Insolvenzplan
gemäß § 231 InsO zurückgewiesene Insolvenzpläne
durchgeführte Insolvenzplanverfahren
2007
278
15
238
2008
283
13
257
2009
362
8
302
2010
262
7
213
2011
247
7
191
2012
231
3
189
2013
248
4
208
2014
164
3
119
2015
220
6
143
2016
273
8
154
2017
276
9
119
2018
172
4
111
Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass geringe Zahlen nicht per se gegen den Insolvenzplan sprechen oder diesen diskreditieren.24 Es gibt trotz aller Skepsis erfolgreiche Planverfahren, seit dem ESUG in Eigenverwaltung z.T. als Schutzschirmverfahren organisiert, und es gibt plangeeignete Szenarien, die mit der altbekannten Zerschlagung oder übertragenden Sanierung gerade nicht gelöst werden können.25 So sind Fälle denkbar, in denen der Rechtsträger erhalten werden muss, um steuerliche Verlustvorträge oder eine bestimmte Qualifizierung nicht zu verlieren.26 Sollen nachrangige Verbindlichkeiten endgültig reguliert werden und ist mit der Zustimmung des (insbesondere öffentlich-rechtlichen) Gläubigers nicht zu rechnen, kann das Planverfahren eine Lösung bieten.27 Drohen aufgrund bestehender Finanzierungsverflechtungen Domino-Insolvenzen innerhalb eines Verbundes, kann das Planverfahren das probate Mittel sein (mit dem SanInsFoG können zur Konzentration auf ein oder wenige
24 Paffenholz/Kranzusch, Insolvenzplanverfahren – Sanierungsoption für mittelständische Unternehmen, 2007, stellen mit ihrer Studie die Auswertung etwa 50 insolventer Unternehmen und der bei ihnen durchgeführten Insolvenzplanverfahren dar. Zu den Bereichen Eigenverwaltung und Insolvenzplan auch Kranzusch, ZInsO 2008, 1346 ff., und ZInsO 2012, 688 ff. 25 Dies gestehen auch Kritiker ein, bspw. Wellensiek, NZI 2002, 233. du Carrois, Insbüro 2012, 15 ff. vergleicht die Einstellung des Verfahrens (§ 213 InsO) mit dem Insolvenzplan und dem Vergleich in der Wohlverhaltensperiode. 26 Zu denken ist insbesondere an öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Fördermittel, Lizenzen so wie auch an Konzessionen oder den Erhalt der Spielklasse in der Insolvenz eines Sportvereins. Vgl. zu unterschiedlichen Anwendungsbeispielen die Einsatzmöglichkeit des Insolvenzplans: Bornheimer, KTS 2008, 145, 160 ff.; Haas, NZI 2003, 177 ff.; Korff, ZInsO 2013, 1277 ff.; Weber, NZI 2013, 476 ff.; Hölzle, FR 2006, 447, 469, diskutiert die Insolvenzplanlösung bei der Beteiligung insolvenzbefangener Rechtsträger am Beispiel einer Umwandlung. Umwandlungsmaßnahmen als Teil der ESUG-Regelung in § 225a InsO untersucht Becker, ZInsO 2013, 1885 ff., wie auch Brünkmans, ZInsO 2014, 2533 ff. Gerbers, ZInsO 2006, 633 ff., stellt die Realisierung stiller Reserven bei Verwertung von Anlagevermögen und damit die Ertragssteuerlast als Masseverbindlichkeit dem Sanierungsgewinn bei Insolvenzplanlösungen gegenüber. Schröder/Berner, NZI 2017, 837 ff., beschreiben die Ausgliederung eines einzelkaufmännischen Unternehmens anhand eines Praxisfalles. Keramati/Hölken, NZI 2019, 833 ff., skizzieren anhand eines Apothekenfalles die Kombination von Insolvenzplan und Eigenverwaltung. 27 § 225 Abs. 1 InsO, der als gesetzliche Folge den Erlass der nachrangigen Forderung vorsieht, und § 237 InsO, der Stimmrechte für nachrangige Gläubiger nur für den Fall gewährt, dass Rechte der nachrangigen Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan gestaltet werden (mittelbar über den Nichtverweis auf § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO).
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23
§ 3 Rz. 23 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Verfahren auch gruppeninterne Drittsicherheiten in den Plan einbezogen werden).28 Entsprechendes gilt, soweit die persönliche Arbeitskraft des Schuldners wesentlicher Vermögensposten ist (mit dem SanInsFoG wird die Mitwirkung bei der Fortführung des Unternehmens als Kompensationsfaktor für den Erhalt des Unternehmens bei gleichzeitigem Verzicht der Gläubiger auf ihre Restforderung normiert) oder schlicht der Zeitfaktor in der Abwicklung und im Abschluss des Insolvenzverfahrens ausgenutzt werden soll.29 Internationale Rechtsbeziehungen und damit nicht selten zusammenhängende unklare Anwendungsfragen materiellen Rechts können mittels Insolvenzplan zeitnahen Lösungen anstelle langfristiger Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zugeführt werden.30 24
Es lässt sich aber auch konstatieren, dass zur Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens die Rechtspraxis über die gesetzlichen Vorgaben hinaus derzeit mehr fordert, nämlich die Beseitigung gedanklicher Hürden: So liest und spürt man oft, Altbewährtes genüge den Anforderungen, die an ein modernes Insolvenzrecht gestellt werden. Ebenso begegnet man dem weit verbreiteten Irrtum, der Insolvenzplan sei vom Gesetzgeber schlechthin zur Insolvenzbewältigung eingeführt worden, aber aufgrund der nur spärlichen Anwendung bereits gescheitert. Deshalb wird erst gar nicht der Versuch unternommen, das Instrument des Insolvenzplans, wohl verstanden und redlich einmal selbst einzusetzen oder entsprechend zuzulassen, als das was es ist: ein Verhandlungsinstrument zur Selbstorganisation wirtschaftlicher Interessen durch die beteiligten Betroffenen.31 Weder in der allgemeinen Begründung des Regierungsentwurfs noch in dem Bericht des Rechtsausschusses finden sich Angaben darüber, wie häufig das Planverfahren Anwendung finden wird. Schon der Bericht der Kommission für Insolvenzrecht warnt vor den Erwartungen, die das Reorganisationsverfahren (heute in Teilen das Insolvenzplanverfahren) nicht erfüllen könne.32 Gleichwohl hat die Kommission die Einführung des Reorganisationsverfahrens für lohnend erachtet und darauf verwiesen, dass der Erfolg des neuen Verfahrens entscheidend davon abhängen wird, ob qualifizierte Richter und Rechtspfleger sowie geeignete Insolvenzverwalter zur Verfügung stehen.33
25
Hinweis: Das Planverfahren ist kein Massenphänomen, es ist vielmehr, sinnvoll und überlegt eingesetzt, eine Möglichkeit, die Insolvenz zu bewältigen. Als Baustein darf der Insolvenzplan im Werkzeugkasten des Sanierers oder 28 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105 ff., stellen ausgehend von den Gestaltungsmöglichkeiten im StaRUG die Bedeutung der Regelungsmöglichkeit für die Haftungsgemeinschaft zentral finanzierter Konzerne auch im Insolvenzplanverfahren dar. 29 Vornehmlich in der Insolvenz des Freiberuflers: vgl. Graf/Wunsch, ZVI 2005, 1055 ff.; Hess/Röpke, NZI 2003, 233 ff.; Schmittmann, ZInsO 2006, 419 ff.; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393 ff. Zum Zeitfaktor insbesondere beim Freiberufler, der die Berufszulassung bzw. Amtsenthebung befürchten muss, auch Runkel/Fliegner, EWiR 2005, 171 f. Planverfahren können im Übrigen nach der Verfahrenseröffnung innerhalb von drei Monaten abgewickelt werden, vgl. Steffen/Kussmaul, DB 2000, 1849 ff., was zugleich als Praxisfall für ein gescheitertes Planverfahren zu nennen ist, vgl. Stuttgarter Nachrichten v. 2.7.2003 (der Plan allein saniert eben nicht). 30 Fritze, DZWiR 2007, 89 ff., stellt den Fall Senator Entertainment AG vor. 31 Hingerl, ZInsO 2008, 404 ff., beschreibt das immer noch vorhandene Missverständnis bzw. die Unkenntnis der Beteiligten wie auch seine Erfahrungen anhand fünf Fälle aus der Praxis. Hingerl, ZInsO 2009, 759 f., mit dem Hinweis auf die Insolvenzgerichte, die Insolvenzpläne als ein lästiges Hindernis in der Bewältigung des Tagesgeschäfts sehen. Priebe, ZInsO 2011, 467, 476, beklagt, dass im Zusammenhang mit der Gestaltung von Insolvenzplänen nach wie vor starre Musterpläne dominieren und damit einem einheitlichen Schema folgen. Er führt dies im Wesentlichen auf die mangelnde Praxis der Anwender mit dem Medium Insolvenzplan zurück. Bähr, EWiR 2008, 411 f., stellt im Jahr 2008 konsterniert fest, dass die Praxis nach mehr als zehn Jahren seit der Einführung des Insolvenzplanverfahrens nicht einmal dessen Grundzüge beherrscht. 32 Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 160. 33 Dies stellt auch Braun fest, der die Insolvenzverwalter als das „Nadelöhr des Planverfahrens“ bezeichnet: Braun in Berger/Bähr/Naumann/Winderlich/Ferber/Oldiges/Melchior/Sturm, Zweiter Leipziger Insolvenzrechtstag, 2001, 51, 53. Vgl. hierzu auch Jaffé, ZIP 2001, 2302. Einen Erfahrungsbericht aus Richtersicht gibt Gerster, ZInsO 2008, 437 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 28 § 3 Insolvenzverwalters/Schuldners nicht fehlen. Es gibt vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, die es zu erkennen gilt.34 Dort, wo es neue Möglichkeiten gibt, treten regelmäßig bislang nicht bekannte Probleme auf, die rechtlich wie auch tatsächlich unter fachkundiger Anleitung und Beratung zu lösen sind. Letztlich ist der konkrete Erfolg des Insolvenzplanverfahrens nicht an Zahlen zu messen, sondern daran, ob eine marktwirtschaftlich sinnvolle und zur Regelabwicklung alternative Insolvenzbewältigung ermöglicht wird.
d) ESUG: Ein Gesetz unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Die mediale Präsenz erfolgreicher Restrukturierungen verfestigte den Insolvenzplan (in Einzelfällen mit angeordneter Eigenverwaltung) als Handlungsoption im Sanierungsverfahren.35 Die Krisenbewältigung mittels Insolvenzverfahren wurde salonfähig, weil die wirtschaftlich Betroffenen entsprechende Anforderungen an die Berater, Insolvenzverwalter und die Insolvenzgerichte formulierten und sich nicht ihrem wirtschaftlichen Schicksal verbunden mit der gesetzlich streng regulierten Unternehmensabwicklung ohne Einwirkungsmöglichkeit hingaben. Dort, wo man bereit war sich mit einem solchen Vorhaben offen auseinanderzusetzen, stieg zugleich die Akzeptanz und in geeigneten Fällen konnte von der Abwicklung im Regelverfahren abgewichen werden. Entgegnete man bereits in der Anbahnung solcher Verfahren mit Skepsis oder klar formulierter Ablehnung, blieben die Handelnden nicht untätig. Der Markt suchte Alternativen, die man außerhalb Deutschlands mit dem zur Restrukturierung vorteilhafter empfundenen ausländischen Recht fand.
26
Dem zunehmenden Trend, im Inland faktisch ansässige, zumindest aber wirtschaftende Unternehmen unter Anwendung ausländischen Rechts zu sanieren, konnte man sich nicht mehr verschließen. Freilich betraf dies im Wesentlichen die großen Restrukturierungsverfahren, die um die Insolvenzordnung geführten Diskussionen (zum Planverfahren vgl. Rz. 18 ff.) wurden so aber um ein globales Sachthema, den Sanierungsstandort Deutschland, erweitert und entsprechend kontrovers fortgeführt.36 Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat der Gesetzgeber im Jahr 2011 auf die in den insolvenzrechtlichen Fachkreisen geführten Diskussionen in Teilbereichen reagiert.37
27
Als Element eines dreistufigen Reformvorhabens (frühzeitige Sanierung insolvenzbedrohter Unternehmen, Verbraucherinsolvenzverfahren und Konzerninsolvenzrecht) trat das ESUG am 1.3.2012 überwiegend in Kraft.38 Um die Schwächen des geltenden deutschen Rechts abzubauen und den Sanierungsstandort Deutschland zu stärken, wurden u.a. erweiterte Möglichkeiten zur Sanierung mittels des Insolvenzplans geschaffen und das Blockadepotential im Verfahrensablauf abgebaut (Ausbau
28
34 So auch Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbemerkung §§ 217 ff. Rz. 30, der feststellt, dass die Sanierungs- bzw. Insolvenzverwaltungsbranche allmählich von den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten des Insolvenzplans Gebrauch macht. Hagebusch/Oberle, NZI 2006, 618, 622, stellen zutreffend dar, dass das Insolvenzplanverfahren bereits mit dem Eintritt des Investors in die Gesellschafterstellung neuerdings als strategisches Sanierungsinstrument und „Exit-Szenario“ in die Betrachtungen und Berechnungen mit einbezogen wird. Das ESUG schafft hier ein Mehr an rechtlichen Möglichkeiten. Madaus, ZIP 2012, 2133 ff., beschreibt losgelöst von § 225a InsO die gesellschaftsrechtliche Regelungsmacht des Insolvenzplans anhand von Umwandlungen; hierzu auch Simon/Brünkmans, ZIP 2014, 657 ff. Brünkmans, ZIP 2014, 1857 ff., zeigt zudem die Möglichkeit zur Unternehmensakquisition mittels Insolvenzplan auf. Steiger/Schulz, NZI 2016, 335 ff., beschäftigen sich mit der Beendigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, soweit die Muttergesellschaft nicht alleiniger Aktionär ist. 35 Bspw. Ihr Platz (im Rahmen der Insolvenz von Schlecker musste allerdings erneut Insolvenzantrag gestellt werden), Karstadt, Märklin, Schiesser oder SinnLeffers, um nur einige zu nennen. 36 Einen Überblick zum Meinungsbild DiskE-ESUG in der Literatur gibt Frind, ZInsO 2011, 373 ff. Das Normsetzungsverfahren mit Hinweisen zu fehlenden Regelungen fasst Heinrich, NZI 2012, 235 ff., zusammen. Flöther, ZIP 2012, 1833 ff., beleuchtet zudem die ersten Auswirkungen des ESUG in der Praxis. 37 Ausführlich hierzu Regierungsentwurf zum ESUG, BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511 v. 26.10.2011. 38 BGBl. I 2011, 2582.
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§ 3 Rz. 28 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung und Straffung des Insolvenzplanverfahrens). Restrukturierungsverfahren sollen so in Deutschland schneller und effektiver werden, um den Abwanderungen betroffener Unternehmen ins Ausland („forum shopping“) Einhalt zu gebieten. Zudem wird den Beteiligten ein berechenbares Insolvenzverfahren an die Hand gegeben, um bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit und damit frühzeitig die Möglichkeit zur Sanierung über ein gerichtsbetriebenes, weniger von Zufällen abhängiges Verfahren zu schaffen. Erneut stellt dabei der Gesetzgeber auf das Insolvenzplanverfahren als das zentrale Mittel ab39: 29
Die strikte Trennung zwischen Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht wird mit dem ESUG aufgegeben. Fortan werden zur Optimierung der Sanierungsmöglichkeiten neben der bislang nur individualvertraglich gestaltbaren Bedingung zur Verknüpfung der beiden Rechtsgebiete Kapitalmaßnahmen über mehrheitsbestimmte Planregelungen zulässig, insbesondere die Umwandlung von Forderungen in Gesellschaftsanteile („dept equity swap“). Im Vergleich zur übertragenden Sanierung, die die Vermögenswerte vom Inhaber/Rechtsträger trennt, wird gerade auch dadurch die vom Gesetzgeber vorgegebene Gleichwertigkeit der Abwicklungsalternativen (§ 1 Satz 1 InsO) hergestellt.40 Gläubiger stehen künftig nicht mehr vor dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, wenn Anteilsinhaber Kapitalmaßnahmen blockieren und so die zugewiesenen Planquoten als abschließende Wertzuschreibung fixiert werden. Die Gläubiger haben nun die Chance, durch unmittelbar plangestalterisch wirkende Elemente an den Erträgen des sanierten Unternehmens zu partizipieren und dessen Aktivitäten mitzubestimmen; wie bisher bleibt die Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger außen vor. Anteilsinhaber werden so direkt in den Sanierungsprozess eingebunden, weil sich deren schützenswerte Rechtsposition nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den restlichen Vermögenswert ihres Anteils- und Mitgliedschaftsrecht beschränkt: In einem Regelinsolvenzverfahren wird der Rechtsträger abgewickelt und im Register gelöscht. Dies berücksichtigend sind die Anteilsinhaber unmittelbar Planbetroffene und werden in Bezug auf Stimmrecht, Minderheitenschutz und Rechtsmittel den Gläubigern gleichgestellt. Die im Geschäftsverkehr bei Kapitalmaßnahmen üblichen „change-of-control“Klauseln werden für das Planverfahren außer Kraft gesetzt und den bisherigen Anteilsinhabern wird ein wichtiger Grund zum Austritt eröffnet.
30
Mit Einführung der Insolvenzordnung wurde dem Schuldner die Verwaltung der eigenen Insolvenz gestattet, mit Leben erfüllt wurde die Eigenverwaltung allerdings nicht wirklich. Es lag weniger an den Unternehmen, die Insolvenzgerichte zögerten, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem Schuldner im Eröffnungsverfahren wie auch nach der Verfahrenseröffnung zu belassen. Der gut gemeinte Ansatz, mit frühzeitig gestellten Anträgen und einem von Gläubigerseite ausgesprochenen Vertrauen den Gang ins Insolvenzverfahren eigenorganisiert anzutreten, konnte in der Praxis spürbar nicht umgesetzt werden; erfolgreiche Einzelfälle bestätigen gleichwohl die Sinnhaftigkeit eines solchen Ansatzes. Anstelle des vom Gesetzgeber dort nicht weiter verfolgten vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens (mit dem SanInsFoG, konkret dem dortigen Art. 1, Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen – StaRUG, wurde dies zum 1.1.2021 nachgeholt, allerdings veranlasst durch eine europäische Vorgabe, vgl. Rz. 34) werden mit dem ESUG die Anforderungen der Eigenverwaltung gelockert: Die Gläubiger sollen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Unterstützt ein vorläufiger Gläubigerausschuss einstimmig den Antrag des Schuldners, kann das Gericht den Antrag nicht mehr als „an den Gläubigerinteressen nicht ausgerichtet“ ablehnen. Das Gericht soll zudem aussichtsreiche Anträge durch die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (anstelle eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters) unterstützen. Als weiteren Anreiz zur frühzeitigen Sanierung wird dem Schuldner das „Schutzschirmverfahren“ zur Verfügung gestellt. Bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung kann der Schuldner im Rahmen des Eröffnungsverfahrens binnen einer Frist von bis zu drei Monaten einen Insolvenzplan zur Sanierung erarbeiten. 39 Ausgangspunkt für das ESUG-Gesetzgebungsverfahren war ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen v. 9.6.2010, BT-Drucks. 17/2008 v. 9.6.2010, 1: „Insolvenzplanverfahren attraktiver gestalten“. 40 Vgl. hierzu Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 217 Rz. 83 f.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 34 § 3
Mit der erfolgreichen Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger war das Verfahren aber noch nicht durchlaufen, Ungemach drohte den Planbefürwortern regelmäßig zum Ende des Verfahrens: Das Wirksamwerden des Insolvenzplans konnte durch Rechtsbehelfe (Minderheitenschutz, sofortige Beschwerde) einzelner, bisweilen untätiger Gläubiger verzögert werden, wie auch die Verfahrensaufhebung durch die Verpflichtung zur Berichtigung aller unstreitigen Masseansprüche in einem laufenden Geschäftsbetrieb kaum denkbar war. So wurde ein wesentlicher Vorteil des Planverfahrens, die zeitoptimierte Verfahrensgestaltung, konterkariert. Die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen wurde gehemmt, neben den schwer erträglichen Umständen des Zuwartens für die Beteiligten kam die Erfolg versprechend gestartete Restrukturierung zum Erliegen, in einzelnen Fällen scheiterte sie. Diese übermäßigen Verzögerungen sollen mit dem ESUG verhindert werden. So muss der Beschwerdeführer vor der Entscheidung über die Planbestätigung seine verfahrensmäßigen Möglichkeiten ausschöpfen, die daneben geforderte materielle Beschwer setzt eine wesentliche wirtschaftliche Beeinträchtigung voraus. Über vom Insolvenzplan geregelte Ausgleichszahlungen wird der Streit der glaubhaft zu machenden Planschlechterstellung außerhalb des Insolvenzverfahrens vor den ordentlichen Gerichten geführt, womit die Bestätigung des Plans hiervon losgelöst erfolgen kann. Ergänzt wird diese Regelung um ein dem Vorbild des Aktienrechts folgendes Freigabeverfahren (§ 246a AktG): Die Beschwerdemöglichkeit gegen einen Insolvenzplan wird eingeschränkt, womit ungeachtet der Anhängigkeit der sofortigen Beschwerde der Insolvenzplan vollzogen werden kann (und nicht mehr rückabzuwickeln ist). Die Pflicht des Verwalters, vor Aufhebung des Verfahrens die unstreitigen Masseansprüche zu erfüllen, wird auf die fälligen Ansprüche beschränkt, für alles andere reicht der Nachweis der Erfüllbarkeit über einen Finanzplan bzw. die Sicherheitsleistung aus.
31
Für das Insolvenzplanverfahren wird die funktionale Zuständigkeit mit dem ESUG ab dem 1.1.2013 vom Rechtspfleger auf den Richter übertragen.41 Die mit der Stärkung des Insolvenzverfahrens erstrebte wirtschaftliche Bedeutung in Sanierungsverfahren und die Möglichkeit, über Insolvenzpläne in die Rechtsstellung von Gesellschaftern eingreifen zu können, war Anlass für den Gesetzgeber, das Insolvenzplanverfahren in Gänze auf den Richter zu übertragen.42
32
Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren aufgefordert, fünf Jahre nach dem Inkrafttreten u.a. zu prüfen und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten, ob die Eingriffsmöglichkeit in Eigenkapitaltitel genutzt wurde und welche Auswirkungen sich daraus ergeben, ob sich das Schutzschirmverfahren bewährt hat und darüber hinaus ein Bedürfnis für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren besteht und ob die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger eine effektive Verfahrensabwicklung ermöglicht oder die funktionelle Zuständigkeit neu geregelt werden soll.43 Insoweit stand das ESUG von Anfang an unter verstärkter Beobachtung, jenseits der bislang geäußerten Meinungsbekundungen und dokumentierten Erfahrungsberichte.
33
e) SanInsFoG: Antwort auf Europa und Folge der ESUG-Evaluation Die mit SanInsFoG44 auf den Weg gebrachte Fortentwicklung und Ergänzung des Sanierungs- und Insolvenzrechts fußt auf zwei Säulen: der EU-Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen45
41 Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess, BT-Drucks. 17/11385 v. 8.11.2012. Von der grundsätzlichen Zuständigkeitsverlagerung ausgenommen bleiben das Klauselverfahren gem. § 257 InsO und die Prüfung der Schlussrechnung nach § 66 InsO. 42 Auf die Akzeptanz im internationalen Bereich hinweisend: Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 514 f. 43 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511 v. 26.10.2011, 6. 44 Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortenwicklungsgesetz vom 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 ff. 45 RL (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung
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34
§ 3 Rz. 34 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung und den Ergebnissen der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Überprüfung des ESUG,46 die neben einer statistischen Analyse eine Expertenbefragung sowie einen rechtswissenschaftlichen Teil umfasst.47 35
Mit der dabei vorgenommenen Anpassung des Insolvenzrechts werden u.a. im Bereich des Insolvenzplanrechts Mechanismen des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens, StaRUG,48 übernommen, soweit jetzt auch schuldnerfremde Dritte den Planregelungen unterworfen werden können (gruppeninterne Drittsicherheiten). Die Nachjustierung im Anwendungsbereich des Insolvenzplans fällt im Übrigen moderat aus, soweit in Teilbereichen die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgte Rechtsfortbildung in Gesetzesform gegossen wird und einzelne Verbesserungsvorschläge aus der Evaluierung integriert werden (Benennung der Vergleichsrechnung, Aufnahme des Regel- und Ausnahmeprinzips für die Ermittlung des Regelabwicklungswertes, Verfahrenserleichterungen und Klarstellungen).
36
Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Eigenverwaltung werden anhand der Ergebnisse aus der ESUG-Evaluierung mit dem SanInsFoG nicht nur präzisiert, sondern der Zugang zum Eigenverwaltungsverfahren wird über weite Strecken neu gefasst. Dem Umstand Rechnung tragend, dass eine uneinheitliche Handhabung wie auch Rechtsunsicherheit dazu führten, dass ein signifikanter Anteil der eingeleiteten Verfahren sich als für die Eigenverwaltung ungeeignet erwiesen haben, waren Schuldner oftmals auch schlecht vorbereitet. Das Eigenverwaltungsverfahren wird stärker an den Zwecken eines solchen Verfahrens und den Interessen der Gläubigergemeinschaft ausgerichtet mit dem Ziel, anstelle der bisherigen Orientierung am unbestimmten Rechtsbegriff des Nachteils („…keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird…“), den betriebswirtschaftlichen Ansatz stärker zu gewichten. Damit bleibt, bei aller berechtigten Kritik an der bisherigen Vorbereitung und Durchführung von Eigenverwaltungsverfahren, die Insolvenzverfahrensabwicklung ohne Insolvenzverwalter weiter möglich. Der Vertrauensvorschuss, der dem schuldnerischen Unternehmen zur eigenen Verfahrensbewältigung gegeben wird, bedingt eine rechtzeitige und gewissenhafte Vorbereitung, um eine akute Zahlungsunfähigkeit und den dadurch entstehenden enormen Handlungsdruck zu vermeiden. Hier wird mit dem SanInsFoG deutlich nachjustiert.
37
Mit dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung ist nunmehr eine Planung vorzulegen, die unter Analyse der Krisenursachen und -erscheinungen die Bewältigung der Insolvenz bzw. Durchführung des entsprechenden Verfahrens abbildet. Hierbei ist mit einem Grobkonzept darzulegen, wie die Unternehmensfortführung und Finanzierung derselben für die ersten sechs Monate des Verfahrens erfolgt, um die Ernsthaftigkeit und Solidität des Vorhabens unter Beweis zu stellen. Kostenvor- oder -nachteile der Eigenverwaltung im Vergleich zur Regelabwicklung sind im Zuge der Antragstellung ergänzend aufzuzeigen. Ungeplante wie auch spontane oder sich gar an Insolvenzverschleppungen anschließende Eigenverwaltungen sollen so unterbunden werden.
38
Bei Vorlage einer vollständigen und schlüssigen Eigenverwaltungsplanung wird dem Schuldner der Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung gewährt. Nur wenn Umstände bekannt sind, dass die Planung in wesentlichen Punkten von unzutreffenden Tatsachen ausgeht, erfolgt eine weitere Prüfung durch das Gericht.
der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), Amtsblatt der Europäischen Union v. 26.6.2019, L 172/18 ff. 46 Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7.12.2011, BT-Drucks. 19/4880 v. 11.10.2018. 47 Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ZInsO 2018, 2402 ff., Evaluierung, Kurzbericht. 48 Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), Art. 1 des SanInsFOG, BGBl. I 2020, 3256 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 42 § 3
Bestehen nicht nur unmaßgebliche Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern, Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten oder in Steuerangelegenheiten, wurde für die letzten drei Geschäftsjahre gegen handelsrechtliche Offenlegungspflichten verstoßen oder in den letzten drei Jahren eine Vollstreckungs- oder Verwertungssperre nach der InsO oder dem StaRUG angeordnet, kann der Zugang zur Eigenverwaltung verweigert werden. Dies gilt ebenso, wenn das Eigenverwaltungsverfahren nicht durchfinanziert ist (Verluste entstehen) oder prognostiziert wesentlich teurer als ein Regelverfahren ist. Die Eigenverwaltung ist hierbei nicht per se ausgeschlossen und wird weiter als Handlungsoption zur Verfügung gestellt, kommt jedoch nur noch dann in Betracht, wenn die, vom Gesetzgeber so beschrieben, prima facie dann nicht auszuschließenden Nachteile für die Gläubigergemeinschaft durch diese Verfahrensart nicht bestehen. Das Insolvenzgericht muss in diesen Fällen davon überzeugt werden, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, die Geschäftsführung an den Interessen seiner Gläubiger auszurichten.
39
Zugleich werden bislang ungeregelte, durch die Praxisumsetzung zu Tage getretene Einzelfragen zum Eigenverwaltungsverfahren einer Regelung zugeführt, wie z.B. die Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sowie die Haftung des Schuldners und der Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger.49
40
Das SanInsFoG ist gem. Art. 25 mit seinem wesentlichen Teilen am 1.1.2021 in Kraft getreten. Auf Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt worden sind, sind die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden, Art. 103m EGInsO.
41
Hinweis: Unter den Bedingungen der aufgrund der COVID-19-Pandemie zu bewältigenden Wirtschaftskrise sollen die strenger gefassten Zugangsregeln zum Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung vorübergehend und beschränkt auf Unternehmen, deren finanzielle Krise auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist und damit eine Sondersituation durchleben, gelockert werden.50
42
Soweit die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, sind auf Eigenverwaltungsverfahren, die zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 beantragt werden, die §§ 270 bis 285 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung weiter anzuwenden,51 § 5 Abs. 1 COVInsAG.52 Hierfür muss gegeben sein, dass die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung auf die Pandemie zurückzuführen sind. Dies wird vermutet, soweit der Schuldner zum 31.12.2019 weder zahlungsunfähig noch überschuldet war (Ziff. 1), er ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem 1.1.2020 erwirtschaftet hat (Ziff. 2) und ein Umsatzeinbruch aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit in 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 % gegeben ist (Ziff. 3). Die Voraussetzungen sind durch eine Bescheinigung einer in Insolvenzsachen erfahrenen Person, bspw. ei-
49 Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 2 und S. 84 f. 50 Der Übersichtlichkeit wegen werden in dieser 4. Auflage die §§ 270 ff. InsO, die insbesondere die Voraussetzungen für die Antragstellung und das Eröffnungsverfahren bis zur Anordnung der Eigenverwaltung inkl. des Schutzschirmverfahrens regeln, in ihrer Geltung ab dem 1.1.2021 dargestellt. Der Leser ist gebeten zur Strukturierung des Verfahrens unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie auf die Vorauflage (3. Aufl. 2015) zuzugreifen und die aktuelle Rechtsprechung und Literaturmeinungen den (dort zitierten) gängigen Kommentaren zu entnehmen. 51 Blankenburg, ZInsO 2021, 753 ff., hebt hervor, dass keine Rechtswahl durch den Schuldner stattfindet, sondern das Gericht von Amts wegen zu ermitteln hat, welches Recht zur Anwendung gelangt. 52 Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG), Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569 ff. § 5 COVInsAG wurde eingefügt mit dem SanInsFoG und trat zum 1.1.2021 in Kraft.
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§ 3 Rz. 42 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung nem Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt, zu bestätigen, § 5 Abs. 2 Satz 1 COVInsAG.53 Anstelle der Voraussetzungen Ziff. 2 und 3 können Besonderheiten beim Schuldner bzw. der angehörenden Branche wie auch sonstige Umstände oder Verhältnisse die Insolvenzreife aufgrund der COVID-19Pandemie begründen, was gleichermaßen aus der Bescheinigung hervorgehen muss, § 5 Abs. 2 Satz 2 COVInsAG. Entsprechendes gilt, soweit zum Zeitpunkt der Antragstellung keine Verbindlichkeiten, die am 31.12.2019 bereits fällig und noch nicht bestritten waren, bestehen, was zusätzlich im Eröffnungsantrag nach § 13 InsO als richtig und vollständig zu bestätigen ist, § 5 Abs. 3 COVInsAG. Weil die COVID-19-Pandemie nicht voraussehbar war, kann dem Schuldner für das Eigenverwaltungsverfahren nicht entgegengehalten werden, mangels ausreichender Vorkehrungen zur Sicherstellung seiner Fähigkeiten zur Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten würde die Anordnung der Eigenverwaltung zu Nachteilen i.S.v. § 270 Abs. 2 Ziff. 2 InsO a.F. führen, § 5 Abs. 6 COVInsAG. Entsprechend eröffnet § 6 COVInsAG den Zugang zum Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO a.F. bei einem zwischen dem 1.1.2021 und 31.12.2021 gestellten Insolvenzantrag. Die COVID-19-Pandemie bedingte Zahlungsunfähigkeit hindert für diese Anwendungsfälle die Anordnung des Schutzschirmverfahrens nicht. Erlangt das Gericht Kenntnis davon, dass die finanzielle Krise nicht auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, kann es im Eröffnungs- wie auch im eröffneten Verfahren die Eigenverwaltung aufheben, § 5 Abs. 4 COVInsAG. Ein Wechsel in das Eigenverwaltungsverfahren in Anwendung der ab dem 1.1.2021 geltenden Eigenverwaltungsvorschriften findet hierbei nicht statt.54 Für das Insolvenzplanverfahren bleibt es bei der klaren zeitlichen Zäsur. Verfahren, die ab dem 1.1.2021 beantragt werden, haben bei der Insolvenzplanerstellung die neuen Regelungen anzuwenden. Dies gilt auch für den Insolvenzplan, der im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens bzw. in einem Eigenverwaltungsverfahren aufgestellt wird. 43–48
Einstweilen freibleibend.
53 Für die Übergangsregelung wird der mit dem ESUG eingeführte Mechanismus der Bescheinigung im Schutzschirmverfahren gem. § 270d Abs. 1 InsO (entsprechend angepasst) genutzt. 54 Morgen/Ahrends, ZIP 2021, 447, 452 ff. weisen zutreffend darauf hin, die Parameter der Entscheidung, das Eigenverwaltungs- bzw. Schutzschirmverfahren nach der InsO a.F. oder n.F. durchzuführen, ausreichend zu dokumentieren, um sich exkulpieren zu können für den Fall, dass sich nachträglich die Einschätzung als unzutreffend erweist.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 49 § 3
Schema: Zeitlicher Anwendungsbereich der §§ 270 ff. InsO aufgrund der COVID-19-Pandemie
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49
§ 3 Rz. 50 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 50
Zum StaRUG, dem Rechtsrahmen, der insolvenzabwendende Sanierungen ermöglicht, vgl. § 2 Rz. 1 ff.
2. Allgemeine strategische Überlegungen zum Planverfahren 51
Gemessen an den Handlungsmöglichkeiten in der Vergleichs-, Konkurs- oder Gesamtvollstreckungsordnung bietet das Insolvenzplanverfahren dem Schuldner, den Gläubigern und mit dem ESUG auch den an dem Schuldner beteiligten Personen neue Alternativen, ihr Verhalten und Vorgehen zu entwickeln. Um den rechtlich vorgegebenen Rahmen umsetzen zu können, sind analytisches Vordenken von denkbaren Szenarien und vergleichende Betrachtungen mit dem Ziel, wünschenswerte, im Regelfall vorteilhaftere Entwicklungen über das bloße Dabeisein hinaus durch aktives Handeln und steuernde Beiträge zu beeinflussen, anzustellen. Die Beteiligten müssen Strategien entwickeln, um nach der Bestimmung des Ziels den Weg dorthin auswählen zu können.55 Das Planverfahren will im Rahmen eines Insolvenzverfahrens den Wettbewerb um die beste Verwertung fördern.56
52
Hinweis: Soweit ein Insolvenzverfahren unzulässig ist oder die Eröffnung abgelehnt wird, kommt ein Planverfahren nicht in Betracht. Davon zu trennen ist die Frage, ob der Insolvenzplan (oder sein Entwurf) als Ausgangspunkt weiterer Verhandlungen genutzt werden kann.57 Auch für die Anteilsinhaber bieten sich nunmehr Optionen. Bislang wird im Wesentlichen auf das von Gläubigern initiierte „Hinausdrängen“ der Altgesellschafter im Wege der Forderungsumwandlung abgestellt. § 225a Abs. 2 InsO beschreibt hierzu den Anwendungsfall der Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital. Der Plan kann aber mehr: Die Auseinandersetzung/Trennung im Gesellschafterkreis, das Ausscheiden, das individualvertraglich mangels fehlender Zustimmung außerhalb der Insolvenz nicht umgesetzt werden konnte, wird so innerhalb eines Planverfahrens strategisches Ziel auf Ebene der verbleibenden Anteilsinhaber. § 225a Abs. 3 InsO bietet hierfür die Basis. Mitunter konnte gerade wegen unterschiedlicher Wertvorstellungen im Vorfeld noch keine Einigung gefunden werden, bei im Übrigen vorhandenem Konsens über die künftige Gesellschafterstruktur. Dies erkennend mag auch im Rahmen einer Vermeidungsstrategie ein nicht auszuschließendes Insolvenzplanverfahren zerstrittene Gesellschafterkreise wieder an den Verhandlungstisch bringen,58 setzt aber die Statthaftigkeit ganz grundsätzlich voraus. Im Rahmen eines „Konzerns“ muss man sich für den Insolvenzfall (d.h. die Obergesellschaft wird insolvent und zieht die Insolvenz von Tochtergesellschaften nach sich, oder eine Tochtergesellschaft wird insolvent und beeinträchtigt damit andere Gesellschaften im Verbund) von der im Gesellschaftsrecht oder auch in der Betriebswirtschaft bekannten „konsolidierenden“ Betrachtung einer betriebswirtschaftlichen Einheit (dem Gesamtunternehmen) lösen. Das deutsche Insolvenzrecht ist streng rechtsträgerorientiert und kennt in seiner Abwicklung noch kein das Gesamtvermögen verwertendes Konzerninsolvenzrecht.59 Es ist deshalb
55 56 57 58
Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, vor § 217 Rz. 217. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 164. Ein Beispiel für einen „außergerichtlichen Insolvenzplan“ beschreibt van Zwoll, ZInsO 2008, 418 ff. Der so verfolgte strategische Ansatz muss sich am Ziel des Insolvenzverfahrens in Form des Planverfahrens (ggf. vorbereitend über ein Schutzschirmverfahren mit nachfolgender Eigenverwaltung) messen lassen und ist verfehlt, wenn er rechtsmissbräuchlich betrieben wird. In diese Richtung auch Madaus, ZIP 2014, 500 ff., wie auch Brünkmans/Uebele, ZInsO 2014, 265 ff. Zum strategischen Eigenantrag Brinkmann, ZIP 2014, 197 ff. Zur Position des Minderheitengesellschafters bspw. Meyer, ZInsO 2013, 2361 ff. Den Grenzbereich im Gesellschafterstreit aufzeigend Fölsing, ZInsO 2013, 1325 ff. Vgl. hierzu statt vieler auch LG Frankfurt/M v. 19.7.2013 – 3-09 O 78/13, NZI 2013, 749 f., mit Anm. Fölsing, a.a.O., 750 f. Wechselseitig potentiell zustehende Schadenersatzansprüche werden nur in Teilen den Verlust kompensieren, der einhergeht, wenn man nicht abgestimmt selbst, sondern andere (dann wieder im Regelverfahren) über die Zukunft des Unternehmens entscheiden. 59 Das in die Insolvenzordnung mit dem Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 13.4.2017, BGBl. I 2017, 866 ff., als dritte Stufe des Reformvorhabens (vgl. § 4 Rz. 7 ff.) eingeführte Konzerninsolvenzrecht beschränkt sich auf die Bündelung des Gerichtsstands bei einem einzigen Gericht und den Regeln zur Abstimmung unterschiedlicher Insolvenzverfahren aufeinander, §§ 3a ff., 269a ff. und § 270g InsO.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 55 § 3 zunächst zu klären, welchen Rechtsträger man zum Ausgangspunkt seiner insolvenzrechtlichen Überlegungen macht und ob Ziel der Überlegungen u.a. auch der Erhalt, zumindest aber die Einbeziehung des Verbunds oder seiner wesentlichen Teile sein kann.60 In aller Regel wird die Insolvenz einzelner Rechtsträger Auswirkungen auf andere Rechtsträger im Unternehmensverbund haben, und es werden entsprechende Wechselwirkungen bestehen. Deshalb ist losgelöst von der insolvenzrechtlich geprägten Orientierung am Rechtsträger eine rechtsträgerübergreifende Konzeption zu entwickeln. Es kann deshalb sinnvoll sein, (vereinfacht) einen Hauptinsolvenzplan für den zum Ausgangspunkt gemachten Rechtsträger zu erstellen (weniger im Sinne eines Rangverhältnisses), der die Gesamtkonzeption federführend entwickelt bzw. darstellt und dabei gestaltend ausschließlich Regelungen für den betroffenen Rechtsträger umsetzt. Die Insolvenzen aller anderen Rechtsträger werden mittels Nebeninsolvenzplänen (oder im Regelverfahren oder überhaupt nicht insolvenzbelastet still) abgewickelt, die entweder auf die Darstellung des Hauptinsolvenzplans verweisen oder diese wiederholen, während gestaltend jeweils die für den Rechtsträger erforderliche Regelung (in der Gesamtabstimmung) getroffen wird. Hauptund Nebeninsolvenzplan bedingen sich wechselseitig und werden so aufeinander bezogen. Formal kann sogar ein einziger Plan (i.S. einer Unterlage) erstellt werden, der materiell getrennt die Regelungen für den einzelnen Rechtsträger ausweist, die sodann in den einzelnen Insolvenzplanverfahren behandelt werden. Maßstab für die Zulässigkeit eines solchen Vorhabens ist die Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit für die Beteiligten. Dies gilt unabhängig von allen Problemen, die eine Konzerninsolvenz mangels rechtlicher Rahmenbedingungen sonst mit sich bringt.61 Das SanInsFoG stellt für einen Teilbereich eine konkrete Gestaltungsmöglichkeit in einem Plan mit Auswirkungen auf alle betroffenen Konzerngesellschaften zur Verfügung, in dem gruppeninterne Drittsicherheiten geregelt werden können.
a) Der Antragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit Zur Anwendung der Regelungen über das Insolvenzplanverfahren muss das Insolvenzverfahren eröffnet sein62 (zu den Eröffnungsgründen vgl. § 1 Rz. 51 ff., 107 ff. und 114 ff.). Vorausgesetzt wird demnach die Insolvenz, etwas, was der Schuldner und die übrigen Beteiligten eigentlich nicht wollen, das in der subjektiven Betrachtung des unmittelbar Betroffenen regelmäßig das Übel schlechthin ist. Zum Positiven gewendet, kann jetzt immerhin in einem Insolvenzverfahren unter Anwendung der Insolvenzordnung abweichend von der Regelabwicklung mittels Insolvenzplan die Krise/besondere Situation bewältigt werden.
53
Im bereits eröffneten Insolvenzverfahren gestaltend i.S.v. § 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO tätig zu werden ist nicht unmöglich, erfordert aber regelmäßig ein Mehr an Arbeit und Überzeugungskraft im Bestreben, den Beteiligten die Vorteile des Insolvenzplanverfahrens näher zu bringen, als ein Tätigwerden beizeiten.63 In der Phase des eröffneten Verfahrens sind nicht selten bereits irreparable Schäden eingetreten, die man als gegeben und als die Ausgangssituation des Insolvenzplans, wie im Übrigen auch die des Regelverfahrens, nicht gerade förderlich hinnehmen muss.
54
Mit § 18 InsO ist die Möglichkeit gegeben, einen Antrag auf Verfahrenseröffnung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu stellen.64 Macht der Verantwortliche (Einzelunternehmer, Geschäftsführer, Vorstand etc.) in dieser Situation nichts, wird er also nicht tätig, ist allein das Nichtwahrnehmen der
55
60 Den Fall Senator Entertainment AG beschreibend Fritze, DZWiR 2007, 89 ff. 61 Zum Konzerninsolvenzrecht vgl. § 4 Rz. 9 ff. sowie bspw. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 92 ff. 62 § 1 InsO: „Das Insolvenzverfahren dient dazu …“. Dem vorgelagert und zugelassen wird die Einreichung eines Insolvenzplans durch den Schuldner bereits mit der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO; alternativ steht dem Schuldner das Schutzschirmverfahren als Teil des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens zur Vorbereitung der Sanierung mittels Insolvenzplans gem. § 270d InsO im Rahmen des eigenverwalteten Insolvenzverfahrens zur Verfügung. 63 Genau genommen wird ein Vorteil von Gesetzes wegen nicht vorausgesetzt. Vermögensorientiert reicht die (voraussichtliche) Nichtschlechterstellung der Beteiligten aus, vgl. die §§ 245, 247, 251 InsO. 64 Der Rechtsbegriff ist legaldefiniert. Zu Einzelheiten bspw. Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 18 Rz. 1 ff.
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§ 3 Rz. 55 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung möglichen Antragstellung für ihn rechtlich weder strafbewehrt noch sonst sanktioniert. Tatsächlich nimmt er sich aber die Chance, den Verfahrensgang im gesetzlichen Rahmen zu steuern (zum Insolvenzstrafrecht vgl. § 8). 56
Hinweis: Durch das frühzeitige Tätigwerden kann der Insolvenzsachverhalt relativiert wie auch antizipiert werden, was ein besonderes Kalkül und damit ein strategisches Element für den Schuldner und andere Verfahrensbeteiligte sein kann. Die Notwendigkeit, frühzeitig einen Insolvenzplan zu erstellen, zeigen Entscheidungen, die standes- bzw. berufsrechtlicher Natur sind und sich auf einen zwar widerlegbaren, aber zunächst vermuteten Vermögensverfall stützen.65 Ist das insolvente Unternehmen ein Versicherungsunternehmen oder ein Kreditinstitut, fallen Antragsrecht und Planvorlagerecht auseinander (vgl. Rz. 97).
b) Gestaltung durch Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren 57
Mit dem in den §§ 217 bis 269 InsO geregelten Insolvenzplanverfahren steht ein universelles Instrument zur Verfügung, das den Beteiligten die Möglichkeit zur Prozesssteuerung im rechtlich vorgegebenen Rahmen gibt, innerhalb eines Insolvenzverfahrens alternativ eine von der Verwertung des Schuldnervermögens und der Erlösverteilung an die Gläubigergemeinschaft abweichende Gestaltung vorzunehmen. Als ein Ziel gibt dabei § 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO den Erhalt des Unternehmens vor.66 Um sich die Kenntnisse und Erfahrungen des Schuldners im Insolvenzverfahren zu Nutze machen zu können, sehen die §§ 270 ff. InsO die Möglichkeit vor, ein eigenverwaltetes Insolvenzverfahren zu betreiben. Der Schuldner wird während der (vom Insolvenzgericht auf Antrag angeordneten) Eigenverwaltung anstelle des Insolvenzverwalters im Interesse der Gläubiger tätig und wickelt, unterstützt durch einen im Wesentlichen überwachenden Sachwalter, seine eigene Insolvenz ab.67
58
Hinweis: Kombiniert der Schuldner den Insolvenzplan mit dem Antrag auf Eigenverwaltung und reicht er beides bereits mit Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 9 Rz. 37 ff.) ein, wird ihm die Möglichkeit zu initiativem Handeln und zur aktiven Teilnahme am Geschäftsverkehr, nahezu so, wie er es als Unternehmer kannte, belassen.68 Ein Schuldnerantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit in Verbindung mit einem Antrag auf (vorläufige) Eigenverwaltung ist als Muster unter (Rz. 615) dargestellt.69
65 Bspw. BGH v. 22.3.2010 – AnwZ (B) 28/09, BeckRS 2010, 08907; BGH v. 22.3.2010 – AnwZ (B) 100/08, BeckRS 2010, 10702; BGH v. 9.11.2009 – AnwZ (B) 89/06, BeckRS 2009, 87758; BGH v. 21.2.2018 – AnwZ (Brfg) 72/17, NZI 422 ff.; Lösungsansätze skizzieren Graf/Wunsch, ZVI 2005, 105 ff.; Schmittmann, ZInsO 2006, 419 ff.; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393 ff. Für eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der Widerrufsvorschriften im Lichte von § 35 InsO und Art. 12 GG Niesert/Georgiev, NZI 2013, 1007 ff. Zu den Anforderungen zur Versagung berufsrechtlicher Genehmigungen BVerfG v. 2.8.2013 – 1 BvR 2912/11, NJW 2013, 3357 ff.; Ehlers/Schmid-Sperber, ZInsO 2008, 879 ff., beschreiben und standardisieren einen denkbaren Verfahrensablauf über einen Musterinsolvenzplan für Freiberufler bei Vermögensverfall. 66 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 203 f.; zu den sich ergebenden Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers vgl. bspw. Mann, DStR 2002, 1104 ff.; Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375 ff. m.w.N. 67 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 526 f. 68 Frank, Der Syndikus, November/Dezember 2000, 27, 28; Spies, ZInsO 2005, 1254 ff.; Schmudde/Vorwerk, ZInsO 2006, 347 ff., mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Eigenverwaltung nicht den Regelfall darstellt und man deshalb, um der Vielfältigkeit des Planverfahrens nicht ungenügend Rechnung zu tragen, in seinen strategischen Überlegungen die Durchführung eines Planverfahrens nicht zwingend an die Eigenverwaltung koppeln darf. Auch wenn der Gesetzgeber in § 270 InsO mit dem ESUG das Regel-Ausnahme-Prinzip zwischen Eigenverwaltung und Regelverfahren aufgegeben hat (was auch mit dem SanInsFoG weiter so ist) und mit § 270d InsO eine sanierungsorientierte Modifizierung des vorläufigen Insolvenzverfahrens mit der Erstellung eines Insolvenzplans in Eigenverwaltung zur Verfügung stellt, gelten die grundsätzlichen Überlegungen von Schmudde/Vorwerk weiter. 69 Vgl. hierzu auch Friedhoff, ZIP 2002, 497 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 60 § 3 Der eigentlichen Eigenverwaltung, die ab der Verfahrenseröffnung angeordnet wird, werden zwei unterschiedliche Eröffnungsverfahren vorgeschaltet, §§ 270b mit dem regulären vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren und 270d InsO mit dem als Option ausgestalteten (besonderen) Schutzschirmverfahren. Gelingt es dem Schuldner nicht, zeitoptimiert bis zur Antragstellung den Insolvenzplan zu fertigen, kann er das (besondere) Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO beantragen. Dem Schuldner wird so von Gesetzes wegen ermöglicht, unter dem Schutz des vorläufigen Insolvenzverfahrens, das zudem auf die Eigenverwaltung ausgerichtet ist, binnen einer Frist von drei Monaten die Eigensanierung vorzubereiten.70 Bis zur Verfahrenseröffnung wird dem Schuldner gestattet, mit Blick auf das beantragte Eigenverwaltungsverfahren zu agieren. Eine weitere Besonderheit besteht zum regulären vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach den §§ 270b und 270c InsO: Der Schuldner hat das Recht, den vorläufigen Sachwalter auszuwählen, § 270d Abs. 2 Satz 2 InsO. Ein Muster der für das Schutzschirmverfahren erforderlichen Bescheinigung gem. § 270d Abs. 1 S. 1 InsO ist unter Rz. 594 dargestellt. Der Schuldner muss insoweit abwägen, ob er die Zeit des Eröffnungsverfahrens zur Vorbereitung der späteren Umsetzung des Planverfahrens mit einem bereits vorliegenden Insolvenzplan nutzen will, er dafür auch bereits bei den Beteiligten werben kann oder die Sanierung erst noch strukturiert und der Insolvenzplan erstellt werden muss, er dann aber den Sachwalter selbst bestimmen kann (entweder selbst oder über den von ihm vorgeschlagenen Gläubigerausschuss).
c) Der Zeitfaktor: Von der Erarbeitung des ersten Entwurfs bis zur rechtskräftigen Planbestätigung Eine, wenn nicht die wesentliche strategische Überlegung zur Durchsetzung eines Insolvenzplans ist die Entwicklung eines klaren Zeitkonzepts. Entscheidend ist, inwieweit der Planersteller die Möglichkeit hat, den zeitlichen Geschehensablauf zu beeinflussen. Derjenige, der den Zeitpunkt bestimmen kann, zu dem er den Beteiligten einen Vorschlag auf abweichende Abwicklung eines Insolvenzverfahrens unterbreiten kann, hat den psychologischen Vorteil des Handelns im ersten Zugriff. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass der Planverfasser Zeit braucht, um Unterlagen und Informationen im Unternehmen zu erheben und Analysen durchzuführen, um nachfolgend einen Plan zu erarbeiten, verbunden mit dem Problem, dass ab dem Zeitpunkt, zu dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, die Fortführung des Betriebs ohne Entscheidung über den weiteren Fortgang zeitlich limitiert ist.71
59
Hinweis: Es sind in aller Regel Zeitvorstellungen für die nachfolgenden Abläufe zu entwickeln: 1. Entwurfsphase: 1.1. Erstellung der Planhypothese 1.2. Daten- und Informationserhebung 1.3. Erstellung des Insolvenzplans im Entwurf 1.4. Abstimmung des Planentwurfs mit Dritten 1.5. Modifikation und Fertigstellung des Insolvenzplans nach Abstimmung mit Dritten 2. Planeinreichung bei Gericht: 2.1. Vorprüfung durch das Gericht 2.2. Erläuterungen an das Gericht und ggf. Einholung eines Sachverständigengutachtens 2.3. Einholung von Stellungnahmen 2.4. Niederlegung auf der Geschäftsstelle 3. Gläubigerabstimmung über den Plan: 3.1. Terminierung von Berichts-, Prüf- und Erörterungs- und Abstimmungstermin 3.2. Vertagung des Erörterungs- und Abstimmungstermins bzw. gesonderter Abstimmungstermin
60
70 Zu den sich regelmäßig stellenden Fragen Bremen, NZI 2014, 137 ff., der in kompakter Form ein Leitbild der Schutzschirmsanierung entwickelt. 71 Die Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung beleuchten Nickert/Nickert, Insbüro 2014, 121 ff., als Aufgabe des Projektmanagements.
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§ 3 Rz. 60 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 4. Vor der Planbestätigung: 4.1. Erfüllung der Planbedingungen 4.2. Geltendmachung Minderheitenschutz durch einzelne Beteiligte 5. Planbestätigung durch das Gericht: 5.1. Prüfung des Obstruktionsverbots 5.2. Ggf. Einholung eines Sachverständigengutachtens 6. Rechtsmittel gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts 7. Aufhebung des Insolvenzverfahrens
d) Aufhebung des Insolvenzverfahrens 61
Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans treten die im gestaltenden Teil des Insolvenzplans festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein (§ 254 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Insolvenzverfahren ist aber noch nicht aufgehoben und erfordert ein weiteres Tätigwerden der Beteiligten (§ 258 InsO). Insbesondere liegt es an der Person des Insolvenzverwalters, bisweilen auch am Insolvenzgericht, nicht durch dilatorisches Verhalten im Umgang mit dem Rechtsinstrument des Insolvenzplans, den mühsam erarbeiteten Zeitvorteil durch zögerliche Behandlung im Abschluss des Verfahrens zunichte zu machen. Ebenso wenig helfen übereilte Aktionen, insbesondere vor dem Hintergrund haftungsauslösender Tatbestände. Die Beteiligten müssen ihr Tätigwerden danach ausrichten, dass in einem gläubigerorientierten Verfahren die Gläubiger (und ggf. Anteilsinhaber) dem Insolvenzplan und seiner Umsetzung zugestimmt haben, was insbesondere in der Fortführung des Geschäftsbetriebs ein ungestörtes und unbehindertes Tätigwerden erfordert.
62
So hat der Insolvenzverwalter unmittelbar Schlussrechnung zu legen, soweit der Insolvenzplan keine abweichende Regelung trifft (§ 66 InsO), sowie die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten; alternativ kann für die nicht fälligen Masseansprüche ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich die Erfüllung dieser Ansprüche ableiten lässt (§ 258 Abs. 2 InsO). Hat das Insolvenzgericht die Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses festgesetzt, kann das Insolvenzverfahren aufgehoben werden. Vereinzelt gehen Insolvenzgerichte in Abstimmung mit dem Verwalter dazu über, nach rechtskräftiger Planbestätigung das Insolvenzverfahren „partiell aufzuheben“ und dem Schuldner nur für diesen Teil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu übertragen. Dieses Vorgehen ist contra legem und dient eher dazu, langjährig geübte Verfahrensabläufe, vornehmlich im Zeitverhalten nicht ändern zu müssen. Erforderlich ist stattdessen die alsbaldige Umsetzung der noch zu treffenden Maßnahmen innerhalb des Insolvenzverfahrens und damit vor der Verfahrensaufhebung. Die Planerfüllung wie auch sonstige Maßnahmen zur Umsetzung sind damit nicht angesprochen. Das Planverfahren lässt von der Konzeption her offen, ob die Planleistung noch im laufenden Insolvenzverfahren oder nach dessen Aufhebung zu erfolgen hat. Es bleibt dem Planersteller überlassen, dies zu regeln, weshalb entsprechende Überlegungen anzustellen sind.
63
Hinweis: Wird das Insolvenzverfahren nicht zeitnah aufgehoben, steht der Schuldner vor dem Dilemma, dass er selbst noch durch das Insolvenzverfahren gebunden (ihm ist abgesehen von der Eigenverwaltung die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis bislang entzogen), der Insolvenzverwalter seinerseits aber durch den rechtskräftigen Insolvenzplan an weiterführenden Maßnahmen gehindert ist. Dies muss auch bei den Überlegungen zum zeitlichen Ablauf berücksichtigt werden (vgl. Rz. 59).
e) Unternehmensbezogene Überlegungen 64
Neben den allgemeinen strategischen Überlegungen muss unternehmens- und branchenbezogen individuell geplant werden. Anders formuliert und als Frage gestellt: Welche Auswirkungen hat das Planverfahren auf das tägliche Geschäft des Schuldners? So hat ein Produktionsunternehmen langlebiger, hochwertiger Investitionsgüter andere Problemfelder zu beachten als ein Unternehmen, dessen Pro136 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 69 § 3
dukte chargen- oder auftragsbezogen oder saisonal orientiert sind, oder als ein im Handel befindliches Unternehmen. Hinweis: Es sind insbesondere nachfolgende Vorüberlegungen anzustellen: 1. Welche Reflektion erfolgt auf dem Markt und im Unternehmen selbst bei Bekanntwerden des Planvorschlags (Umfeld, Kunden, Mitarbeiter/regional, national, international)? 2. Ist die Errichtung eines Informationssystems oder der Einsatz eines Pressesprechers erforderlich? 3. Welche freie Liquidität (cash flow) ist vorhanden und steht voraussichtlich zur Verfügung? 4. Kann Eigenkapital und/oder Fremdkapital eingesetzt werden? 5. Sind steuerrechtliche Auswirkungen durch die Einleitung des Planverfahrens oder die Planhypothese zu erwarten? 6. Kann das Schuldnerunternehmen das Planverfahren neben der Betriebsfortführung personell leisten? 7. Zusammenstellung eines Planarbeitsteams: Wer kommt für die Übernahme von Aufgaben im Planverfahren in Betracht? 8. Müssen die Hauptverantwortlichen im Unternehmen ausgetauscht werden? 9. Bestehen allgemein regelungsbedürftige Arbeitnehmerfragen? 10. Gibt es Handlungsbedarf bei den Versicherungen? 11. Sind Umweltschutzmaßnahmen verfolgt worden, müssen solche beachtet werden? 12. Welchen Fortführungs- und welchen Zerschlagungswert repräsentiert das Unternehmen des Schuldners? 13. Kommt die Eigenverwaltung/Regelverwaltung in Betracht?
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f) Liquiditätsbedarf bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans − Zwischenfinanzierung Neben den eigentlichen Planrechnungen, die auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans abzustellen sind und regelmäßig detailliert erst mit der Erarbeitung des Insolvenzplans aufgestellt werden, bedarf es vorab in etwa der Abschätzung des Gesamtfinanzierungsbedarfs für die Plandurchführung, der im weiteren Verlauf zu konkretisieren ist.
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Hinweis: Damit sind neben der eigentlichen Planumsetzung (nach Bestätigung) auch die Planerarbeitung (reine Planerstellungskosten) und, je nach Planziel, die Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs oder der laufenden sonstigen Verwaltung der Insolvenzmasse vom Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Planbestätigung in die Berechnung einzustellen. Wird ein Eigenverwaltungsverfahren beantragt, sind der Finanzplan (für die nächsten 6 Monate) und eine begründete Darstellung der Mehr- und Minderkosten, die im Vergleich zum Regelverfahren anfallen, Kernelemente der dem Antrag beizufügenden Eigenverwaltungsplanung, § 270a Abs. 1 InsO.
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Es ist zu klären, ob der Kassenbestand, eingeräumte Kreditlinien oder Guthaben für die Zwischenfinanzierung verwendet werden können, ob auf Forderungen aus der Fortführung des Geschäftsbetriebs laufend zurückgegriffen werden kann, wann und wie ein Massekredit aufzunehmen ist und wie ein etwaiger Liquiditätsüberschuss aus dem Eröffnungsverfahren genutzt werden kann. Es ist wenig zielführend, nachfolgend durchführbare Planmaßnahmen zu gestalten, wenn bereits während des laufenden Insolvenzverfahrens auf dem Weg zur Planbestätigung die Liquidität oder der Finanzierungsbedarf an Eigen- und Fremdkapital nicht gedeckt ist.
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g) Gruppenorientierte Mehrheitsbildung Das Insolvenzplanverfahren ermöglicht, von sämtlichen Vorschriften des Regelverfahrens über die Verwertung und Verteilung abzuweichen, gestattet über die Regelungen des ESUG auch den Eingriff in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen und ermöglicht mit dem SanInsFoG gruppeninterne Drittsicherheiten einzubeziehen. Trotz des Einbezugs des Gesellschafterkreises bleibt es ein gläubigerorientiertes Verfahren, in dem abschließend der Restvermögenswert Frank | 137
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§ 3 Rz. 69 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen garantiert werden muss; alle anderen Überlegungen richten sich an den Interessen der Gläubiger zur bestmöglichen Befriedigung, zumindest soweit sie keiner anderweitigen Regelung zustimmen, aus. Sieht der Insolvenzplan Regelungen zur Einbindung der Anteilsinhaber vor, können sie, den plangeregelten Eingriff rechtfertigend, im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens mitentscheiden. Für sie wird eine Abstimmungsgruppe gebildet und sie werden insoweit den Gläubigern gleichgestellt. Der Gesetzgeber trägt diesem Umstand Rechnung, indem er die Gläubiger und die Anteilsinhaber als „Beteiligte“ oder auch „Gruppenangehörige“ bezeichnet, an Stellen, an denen die Gleichstellung erforderlich ist. Im Übrigen stellt er, wo unterschiedliche Rahmenbedingungen gelten, konkret auf den Anteilsinhaber oder Gläubiger ab. Der Planersteller muss deshalb ausschließlich gläubigerorientiert planen, soweit der Insolvenzplan keinen Eingriff in die Rechte der Anteilsinhaber vorsieht, er muss sich an den Beteiligten oder Gruppenangehörigen orientieren, soweit in die Rechte der Anteilsinhaber eingegriffen werden soll. Nutzt der Planersteller zudem die Möglichkeit, gruppeninterne Drittsicherheiten zu regeln, ist für den Planersteller von Bedeutung, welchem der Gläubiger hieran Rechte zustehen. Er wird einer weiteren Gruppe zugewiesen und übt dort als Gläubiger seine bereits an anderer Stelle bekannten Rechte aus. Den Drittbezug zur Unternehmensgruppe stellt der Planersteller her, indem der Sicherheitensteller als der Planregelung zustimmender Dritter sein Votum mittels Plananlage dokumentiert und für die Regelungen dieses Drittrechts eine angemessene Entschädigung dem betroffenen Gläubiger gewährt. In jedem Fall muss der Planvorlegende mehrheitsorientiert planen.72 aa) Erforderliche Mehrheiten 70
Das Insolvenzplanverfahren stellt in der Frage der Annahme der alternativen Insolvenzbewältigung nicht auf die im Regelverfahren praktizierte Mehrheitsfindung über alle Gläubiger hinweg auf die Summe der Forderungen ab (§ 76 Abs. 2 InsO), sondern ermöglicht die Abstimmung über den Insolvenzplan entsprechend wirtschaftlich unterschiedlicher Interessen in den einzeln gebildeten Gruppen (§§ 222, 243 InsO), dort nach Kopf- und Summenmehrheit, soweit es die Gläubiger betrifft (§ 244 Abs. 1 und 2 InsO), nach Mehrheit der Summe der Beteiligungen am Schuldner, soweit die Anteilsinhaber abstimmen (§ 244 Abs. 3 InsO).73
71
Hinweis: Der Planverfasser wird deshalb potentielle „Planstörer“ ausfindig machen und diese in, den Anforderungen des Gesetzes Rechnung tragende, Gläubigergruppen einordnen. Der Planarchitekt muss antizipierend über die Kopf- und Summenmehrheit bzw. Mehrheit der Beteiligungssumme innerhalb der jeweiligen Gruppe das störende Verhalten Einzelner kompensieren. Gelingt dies allein aufgrund der Einordnung in eine Gruppe wegen der Summe der dem obstruierenden/störenden Gruppenangehörigen zustehenden Forderungshöhe, Höhe der Beteiligung oder nach Köpfen nicht, muss der Planverfasser in ausreichender Zahl Gruppen bilden. Er muss über die Mehrheit der gebildeten abstimmenden und dem Plan zustimmenden Gruppen dafür Sorge tragen, dass die (wegen gruppenintern fehlender Kopf- und/oder Summenmehrheit bzw. Mehrheit der Beteiligungssumme) dem Plan nicht zustimmenden Gruppen (und damit auch die einzelnen Planstörer) über das Obstruktionsverbot gem. § 245 InsO nicht mit ihrer Störertaktik obsiegen.
bb) Obstruktionsverbot 72
Werden die Mehrheitserfordernisse in der Abstimmung über den Insolvenzplan gem. § 244 InsO nicht erreicht, ermöglicht § 245 InsO dem Insolvenzgericht, die Zustimmung der nicht zustimmenden Gruppe(n) als erteilt zu betrachten, wenn die planablehnende Haltung missbräuchlich oder willkür-
72 Die Gruppenbildung, um Gruppenmehrheiten zu erreichen, ist für sich betrachtet weder rechtswidrig, noch manipulativ, LG Mannheim v. 24.7.2020 – 4 T 127/17, ZInsO 2021, 456, 457. 73 Auf die Kopfmehrheit kommt es in den Gruppen für Anteilsinhaber nicht an. Der Gesetzgeber nimmt die Wertungen des Gesellschaftsrechts auf, wonach über die Kapitalverhältnisse Entscheidungen herbeigeführt werden, BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 50.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 76 § 3
lich ist.74 Der Planersteller muss deshalb in seiner strategischen Planung die negativ votierende Gruppe zum Ausgangspunkt seiner Planregelungen machen.75 § 245 InsO verfolgt primär das Ziel, eigennützige Erwägungen einzelner Gruppen zu verhindern und die Durchsetzbarkeit des eingereichten Insolvenzplans zu erreichen, wenn die übrigen Gruppen dem Insolvenzplan zustimmen und somit die Umsetzung der Planregelung wünschen. Umgekehrt und damit dem Schutz der Gruppenangehörigen dienend, formuliert § 245 InsO ein Mindestmaß dessen, was den Gruppen angeboten werden muss, um eine von der Regelabwicklung abweichende Insolvenzbewältigung durch den Insolvenzplan zu ermöglichen, nämlich die Gewährung des Regelabwicklungswerts und die angemessene und ranggemäße Beteiligung an einem durch den Insolvenzplan realisierten Mehrwert. Daneben gibt es eine weitere zentrale Schutzvorschrift, § 251 InsO, die den individuellen Schutz des Gläubigers oder Anteilsinhabers bezweckt (vgl. Rz. 397 ff.).
73
Hinweis: Die Gruppenbildung zusammen mit dem Obstruktionsverbot ist damit der Schlüssel eines erfolgreichen Insolvenzplanverfahrens. Die Durchsetzbarkeit trotz negativen Votums einzelner Gruppen unter Berücksichtigung eines Mindestmaßes an Wertzuwendungen an die den Insolvenzplan ablehnenden Gruppen folgt den Grundsätzen eines interessengerechten Ausgleichs innerhalb einer vom Gesetz vorgegebenen und im Einzelnen näher bestimmten angemessenen Interessenabwägung.76 § 245 InsO stellt dafür inhaltliche und formale Anforderungen. Ausgangspunkt für die Prüfung des Obstruktionsverbots ist allein die negativ votierende Gruppe. Hat eine Gruppe dem Insolvenzplan zugestimmt, hat das Insolvenzgericht bspw. nicht zu überprüfen, ob die zustimmende Gruppe angemessen am wirtschaftlichen Wert gem. § 245 Abs. 1 Ziff. 2 InsO beteiligt ist.77
74
Was als Missbrauch oder Willkür angesehen wird oder, anders gewendet, was als Mindestmaß dessen normiert ist, was den Angehörigen der Gruppen geboten werden muss, beschreibt zunächst § 245 Abs. 1 InsO, der mit Abs. 2 für die Gläubiger und Abs. 3 für die Anteilsinhaber den Rechtsbegriff der „angemessenen Beteiligung“ kumulativ und abschließend näher bestimmt.78 Während Abs. 1 Ziff. 1 eine vergleichende Betrachtung zwischen Regelabwicklung und Insolvenzplanlösung für die widersprechende Gruppe fordert, stellt Abs. 1 Ziff. 2 i.V.m. Abs. 2 bzw. Abs. 3 auf näher beschriebene Vergleichspositionen mit gruppenfremden Gläubigern bzw. Anteilsinhabern ab.79 Die gruppeninterne Gleichbehandlung wird über § 226 InsO gewährleistet (vgl. Rz. 179).
75
Die Angehörigen der die Zustimmung nicht erteilenden Gruppe dürfen gem. § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne Insolvenzplan stünden. Das wirtschaftliche Ergebnis im Falle der Planlösung ist mit dem hypothetischen Ergebnis
76
74 Vgl. zum Obstruktionsverbot bspw. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 ff.; OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660; LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951; AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953, (Otte), EWiR 2002, 877 f.; LG Magdeburg v. 25.4.2001 – 3 T 12/01, NZI 2001, 326 f.; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724 ff. 75 Vgl. hierzu LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, NZI 2005, 41 ff.: Der Planverfasser hat auf die geänderte Sach- und Rechtslage im Erörterungs- und Abstimmungstermin nur unzureichend reagiert und den widersprechenden Gläubiger im Verhältnis zu anderen Gläubigern nicht zumindest gleichbehandelt. 76 Vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 51, 79, der dies als Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung beschreibt. 77 Dem in der Gruppe mehrheitlich überstimmten einzelnen Angehörigen bleibt freilich der Einwand nach § 251 InsO erhalten, er sei durch die Planlösung voraussichtlich schlechter gestellt, als er ohne Plan stünde. 78 OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660. 79 Dies ergibt sich auch aus § 245 Abs. 1 Ziff. 2 InsO („die Angehörigen dieser Gruppe …“) und der Eingangsformulierung im nachfolgenden Abs. 2 („Für eine Gruppe der Gläubiger …“) bzw. Abs. 3 („Für eine Gruppe der Anteilsinhaber …“).
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§ 3 Rz. 76 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung der Regelabwicklung zu vergleichen.80 Abgestellt wird in der vergleichenden Betrachtung auf eine gedachte (zügige und alsbaldige) Beendigung des Insolvenzverfahrens anhand der konkreten Verfahrensumstände, wie sie sich zum Zeitpunkt des (angenommenen) Inkrafttretens des Insolvenzplans darstellen.81 Hierbei wird eine Beweislastumkehr für den Planersteller formuliert: Regelt der Insolvenzplan die Unternehmensfortführung, ist für die voraussichtliche Befriedigung ohne Plan zu unterstellen, dass das Unternehmen fortgeführt wird. Dies gilt nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist, § 220 Abs. 2 Satz 3 und 4 InsO. Das, was die Angehörigen der nicht zustimmenden Gruppe aus der Regelabwicklung abschließend mit der Schlussverteilung erhalten würden, ist die eine Vergleichsgröße, die Planzuwendung die andere, was hilfreich in einer Vergleichsrechnung gegenübergestellt werden kann.82 77
Hinweis: Die mit dem SanInsFoG eingebrachte Gesetzesänderung zur Vergleichsrechnung mit dem wertbasierten Regel-Ausnahme-Prinzip führt dazu, dass der Planersteller zwingend Ausführungen im Plan aufnehmen muss, warum keine Fortführungswerte angesetzt werden. An der tatsächlichen Ausgangssituation wird sich allerdings nichts ändern: Wenn es keine konkreten Anhaltspunkte für eine übertragende Sanierung oder sonstige Fortführung gibt, kann dies nicht zum Maßstab der vergleichenden Betrachtung werden. Insbesondere kann daraus keine Pflicht abgeleitet werden, in jedem Fall ein Dual Track Verfahren zu initiieren.83
78
Für den Schuldner als natürliche Person ergänzt § 245a InsO die Ermittlung der Vergleichsgröße für das Regelverfahren. Für die Schlechterstellungsprüfung ist im Wege widerlegbarer Vermutung davon auszugehen, dass der Schuldner für die Zeit der unbeschränkten Haftung gegenüber seinen Gläubigern gleichbleibende Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die anzusetzenden Verhältnisse ist hierbei der Zeitpunkt der Planeinreichung, der das in Satz 1 angesprochene Verfahren in Gang setzt. Soweit der Schuldner einen zulässigen Restschuldbefreiungsantrag gestellt hat, wird ebenso widerlegbar vermutet, dass die Restschuldbefreiung zum Ablauf der Abtretungsfrist des § 287 Abs. 2 InsO erteilt wird.
79
Hinweis: Weil § 302 InsO im Planverfahren ohne entsprechende Planregelung keine Anwendung findet, gilt für die Ermittlung des Regelabwicklungswerts beim zulässig gestellten Antrag auf Restschuldbefreiung die Frist des § 287 Abs. 2 InsO entsprechend für die im regulären Restschuldbefreiungsverfahren ansonsten ausgenommenen Forderungen. Welche Forderungen im Planverfahren nicht erlassen werden, regelt der Plan selbst sowie die §§ 225 Abs. 3 und § 227 InsO. Wollte man § 302 InsO in der Wertermittlung zur Anwendung bringen, würde die gesetzliche Regelung, nach § 227 Abs. 1 InsO einen umfänglichen Erlass von den restlichen Verbindlichkeiten erwirken zu können, an dieser Stelle ins Leere laufen, weil der Schuldner hierauf
80 §§ 156 bis 173, 187 bis 216 InsO. Niering, NZI 2010, 285, 287 f., sieht bspw. für den Planverfasser durch die vom Gesetz für das Insolvenzplanverfahren nicht vorgesehene relative Höchstgrenze für aufgestellte Sozialpläne nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO die Gefahr, dass sich die Insolvenzgläubiger bei Überschreiten dieser Grenze im Planverfahren erfolgreich darauf berufen können, durch den Plan schlechter als im Regelverfahren gestellt zu sein, weil die erhöhten Masseverbindlichkeiten ihre Befriedigung beinträchtigen. Dem kann nicht gefolgt werden, soweit die Gläubiger im Planverfahren wirtschaftlich voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als in der Regelverwertung. Vergleichend betrachtet wird (nur) das zu erwartende wirtschaftliche Ergebnis der jeweiligen Verfahrensabwicklung, nicht die Herleitung bzw. Entwicklung etwaiger Auszahlungsbeträge. 81 Haas in HK/InsO, § 245 Rz. 7. 82 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 3; Haas in HK/InsO, § 245 Rz. 8; vgl. auch LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951; AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953 mit Anmerkung von Otte, EWiR 2002, 877 f., nahm eine Besserstellung an, weil der Schuldner ohne Insolvenzplan beschäftigungslos würde. 83 Vgl. hierzu noch vor SanInsFoG: LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614 ff., dem zustimmend: Schröder, ZInsO 2018, 668 ff. Kritisch betrachtet zurecht die Entscheidung Rendels, EWiR 2018, 345 f.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 82 § 3 innerhalb der außerhalb der InsO verankerten Verjährungsfrist eine Quote von bis zu 100 % zu leisten hätte.84 Soweit von dritter Seite Zuwendungen an Beteiligte erfolgen, sind diese nur in die vergleichende Betrachtung einzustellen, wenn auch im Regelinsolvenzverfahren hierauf ein Rechtsanspruch bestehen würde. Erfolgen Drittzuwendungen, kann Bedarf bestehen, dies im Insolvenzplan offen zu legen, um den Vorwurf des Stimmenkaufs oder den Einwand des Verstoßes gegen § 226 InsO zu entkräften (vgl. Rz. 179 ff.). Die gegebenen Verfahrensumstände sind auch in der vergleichenden Betrachtung für die Anteilsinhaber heranzuziehen, so dass nicht pauschaliert von einem Wert „0“ der Rechtsposition des Anteilsinhabers ausgegangen werden kann. Aus der Mehrzahl abgewickelter Insolvenzverfahren wird man jedoch unschwer die allgemeine Erkenntnis ziehen können, dass im Regelverfahren mit der Abwicklung des Rechtsträgers und der abschließenden Löschung im Register unter Berücksichtigung der Verteilungsrangfolge gem. § 199 InsO (alle Insolvenzgläubiger i.S.v. § 38 InsO, d.h. die in § 39 InsO bezeichneten nachrangigen und übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger sind maßgeblich) die wirtschaftliche Berechtigung der Anteilsinhaber regelmäßig gegen Null gehen wird – ein restlicher Vermögenswert wird damit aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Der Insolvenzplan wird deshalb hierzu eine konkrete Aussage treffen müssen. Für den Gläubiger, der Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten ist, ist eine angemessene Entschädigung, sprich der Befriedigungsbeitrag aus der mutmaßlichen Geltendmachung zu berücksichtigen, womit regelmäßig Ausführungen auch zu der Gruppengesellschaft aufzunehmen sind, § 220 Abs. 3 InsO. Zum Detailliertheitsgrad vgl. Rz. 119 ff., Rz. 126).
Für die vergleichende Betrachtung sind objektivierbare Maßstäbe heranzuziehen. Nicht entscheidend ist, ob ein Gruppenangehöriger die sofortige einer später höheren Zahlung vorziehen würde. Sieht der Insolvenzplan Ratenzahlungen vor, müssen Zins- und Risikoelemente im Rahmen von Auf- oder Abzinsungen berücksichtigt werden. Die Vergleichsposition ist weiter davon abhängig, welche Form der Verwertung in der Regelabwicklung im konkreten Fall zu erwarten ist. Liegen Anhaltspunkte vor, dass eine übertragende Sanierung möglich ist, weil entsprechende Kaufangebote existieren, ist in die wertende Betrachtung der konkret gebotene Veräußerungswert einzustellen. Eine „going-concern“-Bewertung nach allgemein anerkannten betriebswirtschaftlichen Methoden ist in diesem Fall nicht zulässig.85 Gibt es keine konkreten Angebote, existieren keine konkreten Anfragen oder handelt es sich um geäußerte Wunschvorstellungen einzelner Beteiligter, sind Zerschlagungswerte für die einzelnen Gegenstände des schuldnerischen Unternehmens anzusetzen, § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO. Ein solcher Fall ist auch dann gegeben, wenn von einem potentiellen Investor die erforderliche Finanzierungsbestätigung fehlt und diese nicht mehr zeitig beigebracht werden kann.86
80
Hinweis: Entscheidend ist die Schlechterstellung im wirtschaftlichen Endergebnis, nicht die rechtliche oder die Schlechterstellung in irgendeinem Punkt. Deshalb sind einzelne weiterreichende Eingriffe als in der Regelabwicklung in Rechte der Gruppenangehörigen möglich, wenn dies an anderer Stelle wirtschaftlich kompensiert wird. So können Absonderungsrechte zur Masse gezogen werden, wenn gleichzeitig die Barzahlung des Verkehrswerts der Sicherungsrechte zugesagt wird.87
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In Anlehnung an die Interpretation des Wortes „voraussichtlich“ in den §§ 18 Abs. 2, 26 Abs. 1 Satz 1, 61 Satz 2 und 208 Abs. 1 Satz 2 InsO hat das Insolvenzgericht eine Prognose vorzunehmen, ob die Schlechterstellung der Gruppenangehörigen durch den Insolvenzplan wahrscheinlicher ist als eine Nichtschlechterstellung.88 Das Insolvenzgericht soll die Entscheidung ohne Zuhilfenahme von Sach-
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84 Der Gesetzgeber spricht von einer Prüfungserleichterung der Vermögensverhältnisse, nicht von einer Aufnahme des Regelungsgehalts von § 302 InsO in das Planverfahren, Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 201 f. 85 Dies kann aber der Fall sein, wenn der Käufer bereit ist, den per Sachverständigengutachten zu findenden Wert zu bezahlen. 86 LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 726. 87 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 3. 88 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 500.
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§ 3 Rz. 82 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung verständigen treffen; gehindert an der Hinzuziehung ist es allerdings nicht.89 Maßgeblich ist der Sachvortrag des Planvorlegenden, der sich aus dem eingereichten Insolvenzplan und dem Ergebnis der Erörterung im Abstimmungs- und Erörterungstermin ergibt. Eine Ermittlungspflicht von Amts wegen besteht für das Insolvenzgericht insoweit nicht.90 Kommt das Insolvenzgericht zu keiner entsprechenden Überzeugung, gehen Zweifel im Rahmen von § 245 InsO zu Lasten des Planvorlegenden.91 83
Hinweis: Unterstellt, die Gesellschafterstruktur soll erhalten bleiben, in Absonderungsrechte wie auch gruppeninterne Drittsicherheiten nicht eingegriffen werden, nachrangige Insolvenzforderungen als erlassen gelten und es keine zu regelnde Betriebsrentensachverhalte im Falle der Fortführung des Unternehmens oder eines Betriebes gibt, muss dies in den strategischen Überlegungen zur Gruppenbildung dazu führen, dass der Planersteller mit einem „prepackaged plan“ die Summen- und Kopfmehrheit über alle Gläubiger hinweg anstrebt, um eine Gruppe bilden zu können, die dann mehrheitlich dem Insolvenzplan zustimmt.92 Eine gesonderte Gruppe ist weder für die Anteilsinhaber noch für die absonderungsberechtigten Gläubiger und auch nicht für die Gläubiger, die Rechte an gruppeninternen Drittsicherheiten haben, zu bilden, weil in deren Rechte nicht eingegriffen wird (§ 222 Abs. 1 Ziff. 1, 4 und 5 InsO). Entsprechendes gilt für die Betriebsrentensachverhalte, wenn keine Fortführung des Unternehmens oder eines Betriebes geplant ist oder der Träger der Insolvenzsicherung auf eine gesonderte Gruppenbildung verzichtet (§ 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG, vgl. hierzu auch Rz. 185 ff.). Die überstimmten Gläubiger innerhalb der Gruppe können sich nicht auf § 245 InsO berufen, weil die einzig gebildete – und damit alle i.S.v. § 244 InsO – Gruppe zugestimmt hat.93 Der Minderheitenschutz des einzelnen Gläubigers wird in diesen Fällen über § 251 InsO gewährt. Dort trägt die Last einer „non-liquet“-Entscheidung der einzelne Beteiligte, der spätestens im Termin schriftlich oder zu Protokoll widersprechen und einen Antrag unter Glaubhaftmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung stellen muss, und nicht der Planvorlegende wie in § 245 InsO (vgl. Rz. 397). Zur Gruppenbildung aus Sicht der Gläubiger vgl. Rz. 262 ff, zur Einbeziehung der Anteilsinhaber vgl. Rz. 296 ff.
84
Um die Zustimmung über § 245 InsO als erteilt anzusehen, müssen die Angehörigen der die Zustimmung nicht erteilenden Gruppe gem. § 245 Abs. 1 Ziff. 2 InsO neben der Gewährung des Regelabwicklungswerts angemessen am wirtschaftlichen Wert beteiligt sein, der durch den Insolvenzplan realisiert werden soll. Nicht entscheidend ist demnach, ob bspw. von Dritten dem schuldnerischen Unternehmen finanzielle Mittel oder sonstige Werte außerhalb des Insolvenzplans zugewandt werden oder am Rechtsträger beteiligte Personen (Anteilsinhaber) dies nachfolgend tun (Zuführung von „fresh money“). Was als angemessene Beteiligung zu verstehen ist, wird kumulativ und abschließend in Abs. 2 für die Gläubiger und in Abs. 3 für die Anteilsinhaber formuliert.94
85
Hinweis: Formal gesehen können außerplanmäßige Zuwendungen von dritter Seite mit dem Insolvenzplan gem. § 230 Abs. 3 oder § 249 InsO verknüpft werden. In Einzelfällen kann eine Offenlegungspflicht bestehen, bspw. um Einwände gem. § 226 InsO oder des Missbrauchs qua Stimmenkauf zu entkräften (vgl. Rz. 181 ff.).
89 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 501. 90 Vgl. zu den verfahrensrechtlichen Grundsätzen Koch/de Bra in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 66 Rz. 28 ff. Die Einholung eines Sachverständigen ist wegen der anzustellenden Prognose regelmäßig nicht erforderlich, AG München v. 14.8.2018 – 1511 IN 2673/17, ZInsO 2018, 1925 ff., zugleich den unterschiedlichen Prüfungsrahmen von § 245 und § 251 InsO aufzeigend. 91 Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 245 Rz. 6. 92 Die in jedem Insolvenzplan zu bildende Gruppe der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 2 InsO. Eine (freibleibende) weitergehende Untergliederung nach wirtschaftlichen Kriterien gem. Abs. 2 unterbleibt. 93 AG Duisburg v. 15.8.2001 – 43 IN 40/00, NZI 2001, 605. Für den umgekehrten Fall, in der einzigen über den Plan abstimmenden Gruppe wird die Kopf- und Summenmehrheit nicht erreicht, weshalb die Zustimmung nicht über das Obstruktionsverbot fingiert werden kann, zutreffend AG Göttingen v. 6.7.2019 – 74 IK 271/17, NZI 2019, 673. 94 OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660 ff.; kritisch hierzu Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, § 245 Rz. 74 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 88 § 3 Insbesondere wenn Anteilsinhaber solche Leistungen erbringen, muss man sich im Klaren sein, über wessen Vermögen das Insolvenzverfahren betrieben wird und ob ggf. Verpflichtungen bestehen, die bei Realisierung durch den Insolvenzverwalter zur Masse gezogen werden können.
Nach § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 bzw. Abs. 3 Ziff. 1 InsO darf kein (anderer) Gläubiger wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Werden im Insolvenzplan zukünftig unterschiedliche Geldleistungen angeboten, sind diese auf den Tag des Inkrafttretens des Insolvenzplans entsprechend der Laufzeit abzuzinsen. Eine Bewertungsentscheidung ist ebenso zu treffen, wenn unterschiedliche Vermögensgegenstände zugewandt werden sollen.
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Eine angemessene Beteiligung liegt nach § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO vor, wenn weder Gläubiger, die im Regelinsolvenzverfahren mit Nachrang gegenüber der negativ votierenden Gläubigergruppe zu befriedigen wären, noch der Schuldner oder an ihm beteiligte Personen einen durch Leistung in das Vermögen des Schuldners nicht vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhalten. Die Insolvenzordnung definiert in § 39 InsO insgesamt fünf Klassen von nachrangigen Insolvenzforderungen zu den nicht nachrangigen Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO, wobei die Aufzählung selbst wieder hintereinander gestuft ist. Ein Rangverhältnis i.S.v. § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO besteht deshalb ausschließlich zwischen den in den §§ 38 und 39 InsO beschriebenen Gläubigerforderungen. Absonderungsrechte (vgl. § 10 Rz. 135 ff.) stehen in keinem Rangverhältnis zu den Insolvenzforderungen, sondern sind als „aliud“ zu betrachten.95 Eine entsprechende Regelung, wie sie § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO für die Gläubiger vorsieht, ist in Abs. 3, der die angemessene Wertzuwendung für den Anteilsinhaber regelt, nicht aufgenommen. Dies ist Ausdruck der in § 199 InsO geregelten Verteilungsrangfolge, wonach erst nach der Befriedigung aller Forderungen der Insolvenzgläubiger der Anteilsinhaber Zahlungen erlangen kann, vgl. auch Rz. 79.
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Führt der bisherige Rechtsträger bei personenidentischen Beteiligungsstrukturen das Unternehmen fort, treten regelmäßig Schwierigkeiten bei der Frage der Wertzuwendung an den Schuldner oder einer an ihm beteiligten Person auf. Mit dem Insolvenzplan soll eine (Teil-)Entschuldung herbeigeführt werden, wobei die Gläubiger keine umfängliche Befriedigung erhalten, der Schuldner aber das Unternehmen (unterstellt) rentabel fortführen kann. Ist bereits hierin die Zuwendung eines wirtschaftlichen Werts zu sehen, könnte der Insolvenzplan nicht gegen den Willen der negativ votierenden Gläubigergruppe bestätigt werden.96 Das Belassen der ursprünglichen Beteiligungsstruktur bzw. die reine Fortführungsmöglichkeit stellt noch keine Wertzuwendung dar.97 Den Gläubigern steht aber zu, was über § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO entsprechend auszugleichen ist, der mit der Zäsur der Eröffnung des Insolvenzverfahrens feststehende Haftungswert der Insolvenzmasse, erhöht oder vermindert um das Ergebnis der Verfahrensabwicklung und vermehrt (jedenfalls voraussichtlich nicht schlechter) um den durch den Plan mit der Verfahrensaufhebung geschaffenen Zusatzwert. Der zu erbringende Ausgleich als Teil der Haftungsverwirklichung ist damit kein Zukunftswert als kapitalisierter Sanierungsmehrwert. Wer an Zukunftswerten partizipieren will, muss mitfinanzieren und sich entsprechend beteiligen. Dies können Gläubiger tun, indem sie Anteils- und Mitgliedschaftsrechte erwerben. Sieht dies die Planstruktur nicht vor, wollen die Gläubiger aber auf einen künftigen Sanierungsmehrwert setzen, müssen sie den Insolvenzplan ablehnen und über den Insolvenzverwalter, der ein entsprechendes Planvorlagerecht für die Gläubigerversammlung hat, tätig werden. Ansonsten wird ihnen der Zerschlagungswert des Regelverfahrens gewährt ohne Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, weil die Planlösung voraussichtlich nicht schlechter sein darf, als ohne Plan (also mindestens den Zerschlagungswert leistet), § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO. Für die darüber hinaus erforderliche angemessene Teilha-
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95 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 10, sowie LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/ 99, NZI 1999, 461 ff.; a.A. Smid, InVo 2000, 7 ff.; Smid, WM 2002, 1035 ff. 96 Vgl. hierzu auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 11 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck/ Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 24 ff. 97 LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 726: solange jedenfalls kein fremder Dritter bereit ist, das Unternehmen an Stelle des Schuldners oder seiner Eigner fortzuführen.
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§ 3 Rz. 88 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung be am Planwert gibt es den mit der Verfahrensaufhebung feststehenden und messbaren Mehrwert, § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO. Damit fordert das Gesetz nicht, dass Gläubiger per se an den künftigen Chancen (einem Sanierungsmehrwert) beteiligt werden. Die Barwertoption der Zukunft ist demnach kein Haftungssubstrat, auf das die Gläubiger als ihnen angemessen zustehend rekurrieren können, solange sie sich nicht am Unternehmen beteiligen. 89
Der Wertausgleich kann für den geschäftsführenden Eigenkapitalinhaber (der Schuldner als natürliche Person wie auch der Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten) in Fällen, in denen seine Mitwirkung an der Fortführung des Unternehmens unerlässlich ist und er sich entsprechend verpflichtet hat, kompensiert werden, wenn zugleich die Verpflichtung zur wirtschaftlichen Wertübertragung bei zu vertretender Beendigung der Mitwirkung vor Ablauf von fünf Jahren (oder einer für den Planvollzug kürzeren Frist) abgegeben wird, § 245 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO.98
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Hinweis: Eine generalisierende Betrachtung, wie bspw. der Ruf nach einer „Öffnungsklausel“, scheidet aus.99 Im jeweiligen Einzelfall ist zu bestimmen, ob insbesondere die Leistungen, die der Schuldner nach dem Plan zu erbringen hat, den noch vorhandenen Wert des Unternehmens aufwiegen. Die Frage, was als Wertzuwendung zu sehen ist, ist ausgehend von einer zunächst statischen Vermögensbetrachtung zu prüfen. Nur wenn sich in einem Vermögensstatus/Bilanz nach Plandurchführung ein positiver Kapitalsaldo darstellt, kann überhaupt von einer Vermögenswertzuwendung gesprochen werden und sich eine wertende Gesamtbetrachtung im konkreten Fall, losgelöst von der zunächst hilfsweise angestellten statischen Betrachtung, anschließen. Dies bedeutet aber auch, dass derjenige Gläubiger, der zu einem positiven Saldo nichts beigetragen hat, weil er bspw. nicht verzichtet, sondern nur gegen angemessene Verzinsung seine Forderung stundet, sich nicht auf eine solche Wertzuwendung berufen kann. Berücksichtigt werden muss auch die Zuführung neuen Kapitals („fresh money“), gleichgültig ob dies vom Schuldner, an ihm beteiligten Personen oder Dritten erfolgt. Bleibt letztlich ein Vermögenswert durch den Verzicht der Gläubiger, so müssen die Gläubiger hieran beteiligt werden (bspw. durch sofortige Abgeltung, in Form einer stillen Gesellschaft, die den festgeschriebenen Wert über zukünftige Erträge leistet, oder über die Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechte, § 225a InsO, womit die Gläubiger darüber hinaus einen Sanierungsmehrwert erlangen können). An dieser Stelle ist im Einzelnen nach wie vor noch vieles unklar, auch wenn der Gesetzgeber mit dem SanInsFoG über § 245 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO einen Teil der Thematik geregelt hat.100 Wer nachfolgende Verfahrensverzögerung vermeiden will, insbesondere wenn das Insolvenzgericht eine solch wertende Betrachtung vornehmen muss, muss als Planersteller die strategische Überlegung anstellen, nur eine einzige Gruppe zu bilden, wenn er mit der entsprechenden Mehrheit rechnen kann und auch die übrigen Voraussetzungen für eine solche Eingruppenbildung vorliegen (vgl. Rz. 83).101 Die Regelung zum Wertausgleich gilt für alle Vorrangfälle, damit auch für nachrangige Gläubiger, die etwas erhalten sollen, bevor nicht nachrangige Gläubiger vollständig befriedigt werden. Dies mutet beim Nachranggläubiger auf den ersten Blick komisch an, wenn er eine Quotenzahlung erhält und den so erlang-
98 Siehe hierzu noch vor SanInsFoG: AG Osnabrück v. 12.7.2017 – 38 IN 25/15, ZInsO 2017, 1624 ff., mit der die Entscheidung kritisierenden Anmerkung von Hofmann, EWiR 2017, 765 f. Hier war die Mitwirkung des Inhabers bis zum Verkauf des einen Teilbetriebs innerhalb des Insolvenzverfahrens erbracht, woraus der Planmehrwert erzielt werden konnte. Der Insolvenzplan sah die Fortführung des anderen Teilbetriebs durch den Inhaber vor. Die Entscheidung zeigt zutreffend, dass Ausgangspunkt der Planregelung keine Besserstellung, sondern die voraussichtliche Nichtschlechterstellung der Gläubiger ist, womit selbst innerhalb des Eigenverwaltungsverfahrens vor der Verfahrensaufhebung geschaffene Planmehrwerte für eine Wertkompensation ausreichend sein können. Wie hier und der Entscheidung zustimmend Schröder/Rabenhorst, ZInsO 2017, 1769 ff. 99 Unter einer Öffnungsklausel wird eine Regelung im Schuldnerplan verstanden, nach der jeder Interessent ein identisches bzw. besseres Angebot als der Schuldner unterbreiten und nachfolgend anstelle des Schuldners das Unternehmen fortführen kann. Schon in der Nichtaufnahme einer solchen Klausel wird vereinzelt ein faktisches Bestätigungshemmnis im Rahmen von § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO gesehen; Wittig, ZinsO 1999, 378 ff. 100 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 11 ff. m.w.N. 101 AG Duisburg v. 15.8.2001 – 43 IN 40/00, NZI 2001, 605 f.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 93 § 3 ten Wert ausgleichen soll. Hier ist an einen Tausch zu denken: Eine Quote ist immer die Zahlung in Geld, Wertersatz kann aber in anderer Form gewährt werden, bspw. einem dinglichen Gegenstand. Für die Anwendung des Obstruktionsverbots beim Gesellschafter ist zu unterscheiden, ob er als Gläubiger angesprochen wird, der auf seine Nachrangforderung eine Quote erhält, oder als eine am Schuldner beteiligte Person, der seine Beteiligung behält, und hierfür den Wertausgleich auch durch seine Mitwirkung leisten kann.
Schließlich kann gem. § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO eine Gläubigergruppe unangemessen am wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, wenn andere, i.S.d. §§ 38 und 39 InsO, gleichrangige Gläubiger bessergestellt werden als die Gläubiger dieser Gruppe.102 Auch hier sind Bewertungsentscheidungen zu treffen, wenn nicht einheitlich bestimmte Geldbeträge, sondern diese zeitlich gestreckt zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder unterschiedliche Vermögensgegenstände geboten werden. Ein ebenso beachtlicher Verstoß ergibt sich aus der Parallelregelung in § 245 Abs. 3 Ziff. 2 InsO für die Gruppen der Anteilsinhaber.
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Hinweis: Die Gesetzesbegründung führt als Beispiel für § 245 Abs. 3 Ziff. 2 InsO höhere Zahlungen an geringfügig beteiligte Anteilsinhaber an, die einer gesonderten Kleinanlegergruppe gem. § 222 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 InsO zugeordnet sind. Sollen die Kleinanleger mehr bekommen, als die übrigen, rechtlich gleichstehenden Anteilsinhaber, soll hiernach über das Obstruktionsverbot die fehlende Zustimmung der Anteilsinhaber nicht überwunden werden können. Diese formal am Wortlaut orientierte Überlegung überzeugt nicht. In der Gesetzesbegründung zur Kleinanlegergruppe wird gerade der nicht vorhandene unternehmerische Einfluss im Bereich von Anteilsinhabern im Streubesitz, wie es bei börsennotierten Aktiengesellschaften öfter anzutreffen ist, hervorgehoben, der eine besondere Behandlung von solchen Anteilsinhabern ermöglichen soll. Wenn mit dieser Gruppenbildung gerade wirtschaftlich unwesentliche Blockadehaltungen der Kleinanleger überwunden werden sollen, kann § 245 Abs. 3 Ziff. 2 InsO im Wege teleologischer Reduktion hierauf keine Anwendung finden.103 Diese Überlegung kommt auch zum Tragen im Bereich der Kleingläubiger gem. § 222 Abs. 3 Satz 2, Halbs. 1 InsO. Schon hier führt der Gesetzgeber aus, dass die volle Befriedigung zweckmäßig sein kann, um die Durchführung des Verfahrens zu vereinfachen.104 Aus Praktikabilitätsgründen erkennt der Gesetzgeber die Möglichkeit der besonderen Behandlung – nicht allein der Gruppenbildung – an.105 § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO wird demnach für Kleingläubiger keine Anwendung finden können, will man dem Vorhaben des Gesetzgebers Rechnung tragen.
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Formal fordert § 245 Abs. 1 Ziff. 3 InsO, dass die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Insolvenzplan mit den erforderlichen Mehrheiten (tatsächlich) zugestimmt hat. Werden Zustimmungen für einzelne Gruppen gem. § 246 InsO bzw. § 246a InsO fingiert, bleiben solche Gruppen bei der Berechnung dieser Mehrheiten außer Betracht (zur Feststellung des Abstimmungsergebnisses vgl. Rz. 360).106
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102 LG Magdeburg v. 25.4.2001 – 3 T 12/01, NZI 2001, 326; LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, NZI 2005, 41 ff.; AG Saarbrücken v. 20.4.2001 und 2.7.2001 – 61 IK 177/00, ZInsO 2002, 340, zur Parallelproblematik der Zustimmungsersetzung bei § 309 InsO. Zum „Verbot“ der Besserstellung gleichrangiger Gläubiger und der Sonderregelung in § 7 Abs. 4 BetrAVG zugunsten des PSVaG vgl. Rz. 200. 103 Vgl. BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 45 f. und 51. Wie hier Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 41. Vgl. hierzu auch Smid, ZInsO 2019, 1981 ff., der die Ungleichbehandlung von Gläubigern im Insolvenzplan als wesentliche Funktion hervorhebt und keinen Verstoß gegen die „absolute priority rule“ feststellt, wenn zwar nicht die Gläubiger innerhalb einer Gruppe unterschiedlich behandelt werden (§ 226 InsO), sondern den im Rang des § 38 InsO ansonsten Gleichrangigen nach Zugehörigkeit zu jeweils unterschiedlichen Gruppen eine abweichende Quote gewährt wird. 104 Die volle Befriedigung der Kleingläubiger ist indes nicht erforderlich, sie wird als eine Möglichkeit vom Gesetzgeber beschrieben, AG Ludwigshafen v. 26.1.2021 – 3 a IN 139/19, NZI 2021, 329 ff. 105 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 473. 106 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 500.
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§ 3 Rz. 94 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 94
Hinweis: Das Insolvenzgericht darf nicht eigenständig prüfen, ob zu erwarten ist, dass das reorganisierte Unternehmen am Markt Bestand haben wird oder entgegen der Erwartung des Planerstellers liquidiert werden muss, was allgemein als „Machbarkeitsprüfung“ verstanden wird.107 Diese Voraussetzung der Planbestätigung, die im US-amerikanischen Recht selbständig neben dem „best interests of creditors test“ steht, gibt es im deutschen Recht so nicht.108 Das Insolvenzgericht hat allerdings bei einem vom Schuldner eingereichten Insolvenzplan im Rahmen von § 231 Abs. 1 Ziff. 3 InsO Vergleichbares zu prüfen, nämlich ob die Ansprüche, die den Beteiligten nach dem gestaltenden Teil eines vom Schuldner vorgelegten Plans zustehen, offensichtlich nicht erfüllt werden können (vgl. Rz. 321).109 Die Betonung liegt dabei auf dem Wort „offensichtlich“, so dass nur in eindeutigen Fällen die Zurückweisung erfolgen darf, ansonsten es den Gläubigern überlassen bleibt, über die Planregelung abzustimmen. Nehmen die Gläubiger den Insolvenzplan an, ist das deren Entscheidung. Das Gericht soll nicht für die Gläubiger die Entscheidung über die Machbarkeit treffen und ggf. deren Entscheidung korrigieren können. Lehnen dagegen Gruppen den Plan ab, kann sich für das Insolvenzgericht eine „beschränkte Machbarkeitsprüfung“ ergeben, wenn zwar entsprechend den Ausführungen des Insolvenzplans den Gruppenangehörigen das Mindestmaß dessen zugestanden wird, was sie im Falle der insolvenzrechtlichen Regelverwertung erhalten würden, aber die Unternehmensfortführung genau das aufzehren würde, was zuvor die Zerschlagungsquote gewesen wäre, so dass bei einem Scheitern der Fortführung der Liquidationswert nicht mehr vorhanden wäre. Aber auch hier gilt, dass deutliche Hinweise auf die Nichtdurchführbarkeit und damit auf das Scheitern des Plans vorliegen müssen. Nur erhebliche Zweifel gehen zu Lasten des Planvorlegenden. Für das Insolvenzgericht beschränkt sich die Frage der Machbarkeitsprüfung im Rahmen von § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO auf die Gewährung der Regelabwicklungsquote, andere Zweifel an der Plandurchführung sind für § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO nicht entscheidungserheblich.110
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Mitunter kann die vergleichende Betrachtung schwierig sein und deshalb Zeit in Anspruch nehmen, die der Schuldner regelmäßig im Insolvenzverfahren nicht hat. Um (beabsichtigte) Verfahrensverzögerungen zu vermeiden und alsbald die rechtskräftige Planbestätigung herbeizuführen, können Ausgleichszahlungen in den Insolvenzplan aufgenommen werden (vgl. Rz. 249 f.).111
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Um gruppeninterne Drittsicherheiten gem. § 217 Abs. 2 InsO mit dem Plan gestalten zu können, sieht § 223a Satz 2 InsO eine angemessene Entschädigung vor.112 Eine wertbasierte Prüfung kann im Planverfahren an zwei Stellen erfolgen, erstmals im Rahmen des Obstruktionsverbotes, wenn die gebildete Gläubigergruppe gegen den Plan stimmt und die Zustimmung ersetzt werden soll, § 245 Abs. 2a InsO. Die Angemessenheit der Entschädigungsleistung muss neben den Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 gegeben sein, damit das Gericht die Zustimmung als erteilt feststellen kann. Ein zweites Mal hat das Gericht die Werthaltigkeit der Entschädigungsleistung zu prüfen, wenn im Rahmen der Bestätigungsentscheidung nach § 248 InsO der von einem Gläubiger vorgetragene Minderheitenschutz nach § 251 InsO zu prüfen ist. Für das Vorprüfungsverfahren durch das Insolvenzgericht ist nur von Belang, dass der Plan eine Wertentschädigung vorsieht. Ist dies nicht der Fall, ist der Planersteller zur Nachbesserung mit Fristsetzung aufzufordern (behebbarer Mangel). Ist hingegen eine Entschädigungsklausel im Plan aufgenommen, ist dies für das Vorprüfungsverfahren ausreichend (es sei denn, es ist offensichtlich, dass der Plan scheitert bzw. nicht erfüllbar ist, § 231 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 InsO; vgl. Rz. 319 ff.). Entsprechendes gilt, wenn das Gericht über die Bestätigung des Plans zu entscheiden hat. Die wirt107 Im US-amerikanischen Recht wird geprüft, ob der Planvorschlag „feasible“ (machbar) ist. 108 Der entsprechenden Vorschrift zu § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO. 109 Legt der Insolvenzverwalter den Insolvenzplan vor, findet keine Prüfung statt. Ihm kommt ein Vertrauensvorschuss zur Durchführbarkeit des Insolvenzplans zu. 110 Ausführlich hierzu Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 5 ff.; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 4. 111 Die entsprechenden Regelungen wurden vom ESUG in den §§ 251 und 253 InsO aufgenommen. Schon vorher wurden solche Ausgleichsposten als „salvatorische Klausel“ für zulässig erachtet. 112 Zur Angemessenheit der Entschädigung vgl. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 223a Rz. 9 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 98 § 3
schaftliche Machbarkeit ist nicht zu prüfen, wenn die Gruppe für den Plan gestimmt hat und auch kein Gläubiger seinen Minderheitenschutz beantragt hat.113
3. Der Schuldner/Insolvenzverwalter als Planersteller a) Die Berechtigung zur Planeinreichung aa) Schuldner § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO gewährt dem Schuldner das Recht, einen Insolvenzplan vorzulegen.114 Das Initiativ- und Planvorlagerecht entspricht der fortgeführten Befugnis nach altem Recht, einen (Zwangs-)Vergleich nach der Vergleichs-, Konkurs- oder Gesamtvollstreckungsordnung vorzuschlagen.115 Dem Schuldner steht es frei, den Insolvenzplan bereits mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des laufenden Insolvenzverfahrens bis zum Schlusstermin einzureichen, § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO.116 Das Recht zur frühestmöglichen Planeinreichung mit Antragstellung hat der Gesetzgeber dem Schuldner bewusst an die Hand gegeben.117
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Hinweis: Der Schuldner kann zu einem frühen Zeitpunkt ohne den zeitlichen Druck des eröffneten Insolvenzverfahrens den Insolvenzplan sorgfältig erarbeiten und mit den Gläubigergruppen abstimmen.118 Dies ist die zeitlich optimale Variante. Gelingt ihm dies nicht, kann er mit dem Schutzschirmverfahren immerhin noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für maximal drei Monate ein in das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren integriertes Sanierungsvorbereitungsverfahren zur Erstellung eines Insolvenzplans nutzen, soweit er anstelle des regulären Insolvenzverfahrens ein Eigenverwaltungsverfahren durchführen möchte, § 270d InsO. Anders gewendet: Tendenziell kritischer wird dem Planvorschlag des Schuldners begegnet werden, je näher die Einreichung des Insolvenzplans dem Zeitpunkt des Schlusstermins kommt. Ist der Schlusstermin bereits terminiert, reicht die bloße Ankündigung, einen Insolvenzplan einreichen zu wollen, nicht aus, eine Aufhebung des anberaumten Schlusstermins zu bewirken. Über § 4 InsO findet § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO Anwendung, wonach die mangelnde Vorbereitung ohne entsprechende Entschuldigung keinen erheblichen Grund für eine Verlegung des Termins darstellt.119 Die Notwendigkeit, frühzeitig einen Insolvenzplan einzureichen, zeigen Entscheidungen, die berufsrechtlicher Natur sind und sich auf einen zwar widerlegbaren, aber zunächst vermuteten Vermögensverfall stützen.120 Die Realisierungschancen eines spät eingereichten
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113 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 561: Die Frage der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ist Angelegenheit der Gläubiger. 114 Dies gilt ebenso für Versicherungsunternehmen und Kreditinstitute, auch wenn das Antragsrecht auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zusteht, § 312 VAG und § 46b KWG. Sollen Antragstellung und Planvorlage zeitgleich erfolgen, muss eine entsprechende Abstimmung vorgenommen werden; s. hierzu auch Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 15; a.A. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 218 Rz. 80. Vogl, DZWiR 2004, 490 ff., will der Aufsichtsbehörde und dem Schuldner das Planvorlagerecht zugestehen. Dem Insolvenzplanverfahren sind bei Kreditinstituten vorgelagert das Sanierungsund Reorganisationsverfahren nach den §§ 2 bzw. 7 KredReorG als spezielle Planverfahren, bei Versicherungsunternehmen sind dies ein Sanierungs- und Finanzierungsplan, § 136 VAG. 115 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 162 ff. und S. 464. 116 Für die Insolvenz einer Genossenschaft gilt dies mit der Maßgabe, dass gem. § 116 Ziff. 1 GenG bis zur Beendigung des Nachschussverfahrens die Planvorlage erfolgen kann. Ist die Nachschusspflicht in den Statuten der Genossenschaft ausgeschlossen, § 6 Ziff. 3 GenG, bleibt es bei der allgemeinen Regelung; vgl. hierzu auch Terbrack, ZInsO 2001, 1027 ff.; Benthien/Titze, ZIP 2002, 1116 ff. 117 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 465. 118 Die Insolvenzordnung bietet somit die Möglichkeit des sog. „prepackaged plan“, der im Chapter 11 BC-Verfahren der USA einen hohen Stellenwert hat; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 17. 119 AG Hannover v. 5.1.2021 – 904 IK 204/19, ZInsO 2021, 159 ff. 120 Bspw. BGH v. 22.3.2010 – AnwZ (B) 28/09, BeckRS 2010, 08907; BGH v. 22.3.2010 – AnwZ (B) 100/ 08, BeckRS 2010, 10702; BGH v. 9.11.2009 – AnwZ (B) 89/06, BeckRS 2009, 87758; BGH v. 21.2.2018
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§ 3 Rz. 98 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Insolvenzplanes sind – abgesehen von der tatsächlichen Schwierigkeit, dass ein bestellter Insolvenzverwalter bereits Verwertungs- und Verteilungsmaßnahmen vorgenommen haben kann, §§ 159, 233 InsO – deutlich geringer. Nicht selten wird man solchen Plänen auch den Vorwurf des Taktierens zur Verfahrensverzögerung vorhalten können.121 Die Beiordnung eines Rechtsanwalts zwecks Unterstützung im Verfahren bzw. Fertigung eines Insolvenzplans kann im Einzelfall gerechtfertigt sein, auch wenn die Planerstellung keine Pflichtaufgabe, sondern nur ein Recht des Schuldners darstellt.122 Soweit zugunsten des Schuldners keine Vereinbarung getroffen wird, hat der Schuldner keinen Anspruch auf Ersatz entstandener Planerstellungskosten.123 Der Insolvenzplan kann allerdings Regelungen über die Erstattung solcher Kosten zugunsten des Schuldners enthalten.124 Im Rahmen der anzustellenden Einzelfallbetrachtung begründet allein der Umstand, dass ein Insolvenzverfahren betrieben wird, noch keine Beiordnungsnotwendigkeit. Mit der Überlegung, ob ein vernünftiger, mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestatteter Beteiligter in der gegebenen Problemlage einen Anwalt mit seiner Vertretung beauftragen würde, kann aufgrund der Komplexität eines Gesamtzusammenhangs die Beiordnung eines Rechtsanwalts befürwortet werden. 99
Die Planvorlageberechtigung des Schuldners besteht auch in Fällen, in denen kein Eigenantrag des Schuldners vorliegt, sondern ein Gläubiger den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat.125 Nimmt der Gläubiger seinen Antrag nach der Planeinreichung durch den Schuldner zurück, muss der Schuldner seinerseits einen Antrag auf Verfahrenseröffnung stellen und den Plan (wiederholt) einbringen, will er ein Planverfahren durchführen.126 Muss ein rechtskräftig bestätigter Insolvenzplan, bspw. aufgrund geänderter Sach- oder Rechtslage geändert werden, gilt das jeweilige Planvorlagerecht des § 218 InsO entsprechend.127
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Verbunden mit dem Antrag auf Eigenverwaltung gemäß der §§ 270 ff. InsO offeriert die Insolvenzordnung dem Schuldner die Chance, sich mit den Gläubigern abweichend von der Zerschlagung als Regelabwicklung zu einigen und bestmöglich die Gestaltungsfreiheit durch Erhalt der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis zu nutzen.128 Im Rahmen der Eigenverwaltung kann der Schuldner anstelle des Sachwalters durch Auftrag der Gläubigerversammlung verpflichtet werden, einen Insolvenzplan zu erstellen. Der Schuldner ist dann an die Vorgaben der Gläubigerversammlung durch das qua Auftrag abgeleitete Planvorlagerecht gebunden. Im Eröffnungsverfahrung ist der Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans an den vorläufigen Sachwalter oder Schuldner zu richten, § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO. Zur Frage, ob der beauftragte Schuldner durch die Beauftragung an der Ausarbeitung eines „eigenen“
121 122 123 124 125 126 127 128
– AnwZ (Brfg) 72/17, NZI 422 ff.; Lösungsansätze skizzieren Graf/Wunsch, ZVI 2005, 105 ff.; Schmittmann, ZInsO 2006, 419 ff.; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393 ff. Für eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der Widerrufsvorschriften im Lichte von § 35 InsO und Art. 12 GG Niesert/Georgiev, NZI 2013, 1007 ff. Zu den Anforderungen zur Versagung berufsrechtlicher Genehmigungen BVerfG v. 2.8.2013 – 1 BvR 2912/11, NJW 2013, 3357 ff.; Ehlers/Schmid-Sperber, ZInsO 2008, 879 ff., beschreiben und standardisieren einen denkbaren Verfahrensablauf über einen Musterinsolvenzplan für Freiberufler bei Vermögensverfall. Braun/Riggert/Herzig, Schwerpunkte des Insolvenzverfahrens, S. 172. LG Bonn v. 2.9.2009 – 6 T 239/09, ZInsO 2010, 61, 62; a.A. LG Bochum v. 30.12.2002 – 10 T 64/02, ZInsO 2003, 89, 91, und LG Bochum v. 30.12.2002 – 10 T 33/02, ZInsO 2003, 91, 93. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, MDR 2008, 339 = NZI 2008, 173, 175. Lüer/Streit in Uhlenbruck/ Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 50. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 15; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 218 Rz. 22 und 24. Zu den Planerstellungskosten im Schutzschirmverfahren vgl. auch Hölzle, ZIP 2012, 855 ff. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 2; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 218 Rz. 89 ff. Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz, Rz. 28. AG Frankfurt/O v. 8.11.2005 – 3.1 IN 35/03, DZWiR 2006, 87. Zur Einreichung mehrerer Insolvenzpläne vgl. Rz. 111 ff. Frank, Der Syndikus, November/Dezember 2000, S. 27 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 105 § 3
Planes gehindert ist, vgl. Rz. 109. Der (vorläufige) Sachwalter wirkt in den Auftragsfällen bei der Erstellung des Insolvenzplans beratend mit, § 284 Abs. 1 Satz 3 InsO.129 Ist der Schuldner keine (einzelne) natürliche Person, sondern handelt es sich um eine Personenmehrheit oder eine juristische Person, ist die Planeinreichung von der ausübungsberechtigten Person(engruppe) vorzunehmen.130
101
Unabhängig von der gesetzlichen oder vertraglichen Ausgestaltung der Organvertretung normiert § 15 InsO für jedes Mitglied des Vertretungsorgans oder jeden persönlich haftenden Gesellschafter bzw. Abwickler die Berechtigung, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, soweit der Antragsgrund der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Das Einzelantragsrecht kompensiert die – in nicht wenigen Fällen – strafbewehrte Antragspflicht einzelner Personen (zum Insolvenzstrafrecht vgl. § 8 Rz. 189 ff.). Die strafbewehrte Antragspflicht besteht dagegen nicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Sie gibt dem Schuldner vielmehr die Möglichkeit zur frühzeitigen Antragstellung. § 18 Abs. 3 InsO schränkt das beschriebene Einzelantragsrecht nach § 15 InsO ein, indem der Antrag von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans oder allen persönlich haftenden Gesellschaftern bzw. Abwicklern gestellt sein muss, mindestens müssen die Antragsteller vertretungsberechtigt sein.
102
Der unterschiedliche Ansatz zur Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beeinflusst auch das Verständnis zur Vorlageberechtigung eines Insolvenzplans. Der Gesetzgeber bietet den Insolvenzplan als gleichrangige Alternative den Insolvenzverfahrensbeteiligten zur Regulierung der Insolvenz an. Es besteht kein Vor- oder Nachrang zum Regelinsolvenzverfahren und auch keine Pflicht zur Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens. Will der Schuldner vom Regelverfahren abweichen und einen Insolvenzplan einreichen, ist er hierzu nach § 218 InsO befugt. Er muss dies allerdings durch die vertretungsberechtigten Organe oder persönlich haftenden Gesellschafter bzw. Abwickler entsprechend der gesetzlichen oder vertraglichen Vertretungsbefugnis gewährleisten.131
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Hinweis: Insolvenzantragstellung und Planeinreichung müssen deshalb bezogen auf die handelnden Personen ggf. unterschiedlich vorgenommen werden. Ein Schuldnerantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit in Verbindung mit einem Antrag auf Eigenverwaltung ist als Muster unter Rz. 615 dargestellt.
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bb) Insolvenzverwalter (1) Originäres Planvorlagerecht Dem Insolvenzverwalter steht neben dem Schuldner ein eigenes, originäres Initiativ- und Vorlagerecht zu, § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO.132 Stellt der Verwalter den Plan auf, muss er den Gläubigerausschuss, den Betriebsrat, den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten und den Schuldner über den Beginn seiner Planarbeiten informieren, damit die Mitwirkung gem. § 218 Abs. 3 InsO sicher-
129 Riggert in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 284 Rz. 3 f. 130 Zur Frage, ob eine Pflicht des Geschäftsführers besteht, einen Insolvenzplan zu erstellen, vgl. Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 218 Rz. 10 f. m.w.N.; Mann, DStR 2002, 1104 ff.; Schluck-Amend/ Walker, GmbHR 2001, 375 ff. 131 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 2; Haas in HK/InsO, § 218 Rz. 7 ff.; ausführlich Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 11 ff.; Spahlinger in Kübler/ Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 26. 132 Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 9 ff.; Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 218 Rz. 1; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 388; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kapitel 9 Rz. 21; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 11; a.A. noch Maus in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000, S. 931 ff.; Warrikoff, KTS 1997, 527, 528; Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 87; Evers/Möhlmann, ZInsO 1999, 21, 22.
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§ 3 Rz. 105 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung gestellt werden kann.133 Eine Zustimmung oder das Einvernehmen der Mitwirkenden ist nicht erforderlich. Der Schuldner kann allenfalls über § 97 InsO angehalten werden, an der Planerstellung mitzuwirken.134 106
Hinweis: Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter gem. § 22 Abs. 1 InsO bestellt und nach § 21 Abs. 2 Ziff. 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen, werden verschiedene Wirkungen der späteren Verfahrenseröffnung vorweggenommen135 (zur Person des vorläufigen Verwalters vgl. § 16 Rz. 8 ff.). In diesen Fällen wird man über den Wortlaut hinaus auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter ein Planvorlagerecht zugestehen können. Es besteht die Notwendigkeit, frühzeitig Maßnahmen vorzubereiten, um die bestmögliche Haftungsverwirklichung des Schuldnervermögens zu gewähren. Denn in der Insolvenz hat man eines regelmäßig nicht: Zeit. Reicht der vorläufige Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan ein, hat das Gericht entsprechend den Regelungen zum eingereichten Schuldnerplan tätig zu werden, dabei allerdings zu berücksichtigen, dass es sich um einen (künftigen) Insolvenzverwalterplan handelt.136
(2) Die Gläubigerversammlung als Auftraggeber des Insolvenzverwalters 107
Die Gläubigerversammlung kann nach § 157 Satz 2 InsO den Verwalter beauftragen, einen Insolvenzplan zu erarbeiten und dabei das Ziel des Plans vorgeben (zur Gläubigerversammlung allgemein vgl. § 9 Rz. 417 ff.). Unmittelbar haben einzelne Gläubiger oder die Gläubigerversammlung kein Planvorlagerecht. Der Gläubigerversammlung steht es gleichfalls frei, über einen bereits ausgearbeiteten Plan förmlich zu beschließen und den Verwalter zur Einreichung zu beauftragen.137 Mittelbar hat damit die Gläubigerversammlung ein Initiativrecht bezüglich des „Ob“ und des „Wie“, das allein in der Umsetzung der Mitwirkung des Insolvenzverwalters durch die Planvorlage bei Gericht bedarf. Hat die Gläubigerversammlung den Verwalter beauftragt einen Plan auszuarbeiten, hat der Verwalter gem. § 218 Abs. 2 InsO den Plan binnen angemessener Frist dem Gericht vorzulegen. Wie diese Frist zu bemessen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Selbst in einfach gelagerten Fällen, kann eine Frist von vier Wochen noch angemessen sein.138 Kommt der Verwalter der Pflicht zur Planvorlage nicht nach, hat das Gericht Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen, §§ 58 ff. InsO.
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Wird von der Gläubigerversammlung dem Verwalter bereits ein vorgefertigter Plan mit dem Auftrag zur Einreichung übergeben, kann der Verwalter Mitwirkungsrechte, etwa vergleichbar § 218 Abs. 3 InsO, nicht für sich in Anspruch nehmen. Will er abweichend eigene Vorschläge zur alternativen Insolvenzbewältigung einbringen, muss der Insolvenzverwalter einen eigenen Insolvenzplan erstellen und einreichen.139 Entsprechendes gilt, soweit der Insolvenzverwalter den Planansatz der Gläubiger für unzutreffend hält.140
133 Zur Mitwirkung des Betriebsrats Berscheid, ZInsO 1999, 27, 28 ff.; vgl. hierzu auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 6 ff. 134 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 6. 135 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 3. 136 Wie hier Seagon/Wiester, ZInsO 1999, 627, 631; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 3; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 44: Die Planerarbeitung wird durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zugelassen, jedoch soll die Einreichung mit dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung verbunden werden. A.A. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 8 f.; Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 218 Rz. 3. 137 Der Beschluss nach § 157 Satz 2 InsO ist mit der Summenmehrheit gem. § 76 Abs. 2 InsO zu fassen und präkludiert weder, noch nimmt er die spätere Abstimmung über den Insolvenzplan im Erörterungs- und Abstimmungstermin gemäß der §§ 235 ff. InsO vorweg. 138 Braun/Riggert/Herzig, Schwerpunkte des Insolvenzverfahrens, S. 175; Maus in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000, 931, 940. 139 Er ist dazu entsprechend berechtigt, auch wenn er sich damit in Konkurrenz zum Gläubigerauftrag stellt, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 3. 140 Dem Insolvenzverwalter wird die Abwehr eines aus seiner Sicht „falschen“ Insolvenzplans somit nicht über § 78 Abs. 1 InsO ermöglicht.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 113 § 3
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, der Auftragsbeschluss der Gläubigerversammlung überlagere das originäre Planvorlagerecht des Insolvenzverwalters. Vereinzelt wird auch eine Untersagungsmöglichkeit zur Planerstellung durch die Gläubigerversammlung gegenüber dem Verwalter diskutiert.141 Das Zugeständnis, der Gläubigerversammlung im Rahmen von § 157 Satz 2 InsO eine das Verwalterrecht ausschließende – oder auch Negativ-Befugnis – an die Hand zu geben, übersieht die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die mittelbare Gläubigerbefugnis gem. § 157 Satz 2 InsO ist nicht als das Recht des Verwalters verdrängend, sondern als es ergänzend zu betrachten.
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Hinweis: Es darf insbesondere nicht übersehen werden, dass unterschiedliche Beteiligte mit unterschiedlich erforderlichen Quoren über die Beauftragung des Insolvenzverwalters zur Planeinreichung gem. § 157 Satz 2 i.V.m. § 76 Abs. 2 InsO einerseits und den vom Verwalter originär vorgelegten Plan gemäß der §§ 237, 238, 238b und 243 ff. InsO wie auch § 238a InsO, soweit Rechte der am Schuldner beteiligten Personen geregelt werden und damit Anteilsinhaber mit zu entscheiden haben. Die Entscheidung, den Verwalter zur Vorlage eines Insolvenzplans zu beauftragen, schränkt deshalb das eigene Planvorlagerecht des Verwalters nicht ein, wie auch ein untersagender Beschluss der Gläubigerversammlung das Recht des Verwalters nicht ausschließen kann.142
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cc) Vorlage mehrerer Insolvenzpläne Die Ergebnisoffenheit des Insolvenzplanverfahrens kann dazu führen, dass unterschiedliche Lösungsansätze zur Abwicklung bzw. Bewältigung der Insolvenz in Betracht kommen. Der Planvorlageberechtigte wird jeweils (eigen-)interessenorientiert im Insolvenzplan seine oder der Insolvenzverwalter/der Schuldner im Rahmen der Eigenverwaltung auch die über die Gesellschafterversammlung beauftragte Konzeption als Alternative zur Regelabwicklung anbieten.
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Die Insolvenzordnung lässt es zu, dass eine und zugleich jede den Mehrheitserfordernissen entsprechende andersartige Insolvenzbewältigung erfolgen kann. Nur aus Gründen des Schutzes betroffener Beteiligter bestehen Schranken u.a. in der Garantie des Regelabwicklungswerts (bspw. für Gläubiger und Anteilsinhaber). Damit ist zugleich geklärt, dass der Planvorlegende nicht die „optimale, bestmögliche“ Planlösung vorgeben muss. Es reicht aus, dass im Vergleich zur Regelabwicklung (voraussichtlich) keine Schlechterstellung erfolgt.143
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Damit kann es Konstellationen geben, in denen Schuldner und Insolvenzverwalter jeweils verschieden orientiert einen Insolvenzplan erarbeiten oder auch der Insolvenzverwalter aus eigenem Recht und daneben beauftragt von der Gläubigerversammlung tätig wird. Schließlich ist denkbar, dass sowohl Schuldner als auch Insolvenzverwalter – jeweils für sich gesehen – alternative Planszenarien in jeweils verschiedenen Insolvenzplänen zeitgleich oder nacheinander darstellen und zur Abstimmung den
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141 Sog. „Oktroy“ des Gläubigerversammlungsbeschlusses, vgl. Smid, WM 1996, 1249, 1252 f.; Dinstühler, InVo 1998, 333, 338; Eidenmüller, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 1996, 164,175, sieht die Befugnis des Verwalters, einen eigenen Plan einzureichen, erlöschen, sobald ein Auftrag durch die Gläubigerversammlung erfolgt; ausführlich dazu auch Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 218 Rz. 29 f.; Haas in HK/InsO, § 218 Rz. 14; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 218 Rz. 37 ff., will den Missbrauch als Grenze für die Verdrängung des Verwalterrechts ansehen. 142 Vgl. Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 9 ff.; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 473 f.; Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz, Rz. 16; Hess/Weis, WM 1998, 2349, 2351; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kapitel 9 Rz. 22; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 5 ff.; wohl auch Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 15. 143 Tan/Lambrecht, NZI 2019, 249 ff., stellen dies zutreffend dar und formulieren ihrerseits die Quotenvergleichsrechnung im Insolvenzplan als Instrument der Interessenverfolgung.
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§ 3 Rz. 113 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Gläubigern vorlegen wollen.144 Zudem kann es Sachverhalte geben, in denen Insolvenzpläne nacheinander eingebracht werden müssen, bspw. um einer veränderten Sach- oder Rechtslage Rechnung zu tragen.145 Kurzum: Es können mehrere Insolvenzpläne eingereicht werden, die um die jeweilige Zustimmung der Gruppenmitglieder werben. 114
Ist das Verfahren des zunächst eingelegten Insolvenzplans beendet, ohne dass es zur rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans kommt, und ist der Schlusstermin der Regelabwicklung noch nicht abgehalten, können jeweils nach Abschluss des zuerst eingereichten Insolvenzplans weitere Insolvenzpläne vom selben Planvorlegenden eingereicht werden.146 Vom Schuldner eingereichte „Zweitpläne“ können dabei unter erleichterten Bedingungen zurückgewiesen werden (vgl. Rz. 323). Zeitgleich oder während eines noch laufenden Planverfahrens können vom selben Berechtigten nicht mehrere Insolvenzpläne eingereicht werden, arg e § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO.147
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Fälle der echten Plankonkurrenz, wenn Insolvenzverwalter und Schuldner vom Vorlagerecht Gebrauch machen und einen Insolvenzplan einreichen, sind in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich geregelt, so dass die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden.148 Aufgrund derer muss das Insolvenzgericht jeden Insolvenzplan so behandeln, als sei kein weiterer Insolvenzplan eingereicht. Jeder Insolvenzplan muss ein eigenständiges Planverfahren durchlaufen. Das Insolvenzgericht darf keinen Insolvenzplan wegen des Vorliegens eines anderen Insolvenzplans zurückweisen, sondern muss nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, in welcher Reihenfolge die Pläne behandelt werden.149 Die Gläubiger sind von der Entscheidung des Gerichts entsprechend zu informieren, so dass (spätestens) zur Erörterung und Abstimmung über einen Plan die Möglichkeit zur Befassung mit dem Konkurrenzplan besteht. Der alleinige Verweis auf den Prioritätsgrundsatz mag hier nicht recht weiterhelfen, da die Besonderheiten des Einzelfalles nicht genügend Berücksichtigung finden. Die gleichzeitige Abstimmung über die vorgelegten Insolvenzpläne ist unzulässig, wobei für das Insolvenzgericht die Mög-
144 Alternativ- oder Eventualszenarien in einem Insolvenzplan sind bereits aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes unzulässig. Dagegen sind zur Wahl der Gläubiger gestellte, unterschiedliche Planleistungen möglich, vgl. Rz. 184. 145 AG Frankfurt/O v. 8.11.2005 – 3.1 IN 35/03, DZWiR 2006, 87: Ein bereits rechtskräftig bestätigter Insolvenzplan musste vor der Verfahrensaufhebung wegen der Weigerung des Registergerichts auf Eintragung der Fortführung des Schuldners (Verein) ergänzt werden durch ein zweites Planverfahren (Neuverhandlung). 146 Bspw. weil der Insolvenzplan zurückgewiesen, nicht bestätigt oder zurückgenommen wird. Dagegen führt die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens, soweit kein verfahrensleitender Plan gegeben ist (§§ 217 Abs. 1 Satz 1, 258 Abs. 1 InsO). Damit ist die Einreichung weiterer Insolvenzpläne ausgeschlossen, ihnen fehlt das allgemeine Rechtsschutzinteresse an einer abweichenden Insolvenzregelung gem. § 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO; vgl. auch § 218 Abs. 1 Satz 3 InsO. 147 Dort ist im Singular formuliert: „… zur Vorlage eines Insolvenzplans …“; (mehrere) Alternativpläne wie auch Eventualpläne scheiden damit aus, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 12. Vogl, DZWiR 2004, 490 ff., dagegen stellt auf das handelnde Organ als „den Planvorlageberechtigten“ ab, gesteht im Wege einer „Notvertretung“ jedem Vertretungsorgan ein Planvorlagerecht zu und kommt so zum Ergebnis, dass für eine Schuldnergesellschaft mehrere Pläne parallel eingereicht werden können. 148 Den Ausschluss echter Plankonkurrenz hätte der Gesetzgeber ausdrücklich regeln müssen, so dass im Umkehrschluss mehrere Pläne miteinander konkurrieren können. 149 So auch Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 143 und S. 154 f.; Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 218 Rz. 6, § 235 Rz. 5; Haas in HK/InsO, § 235 Rz. 11, sieht eine Pflicht des Insolvenzgerichts, einen einheitlichen Termin abzuhalten; vgl. hierzu auch Kaltmeyer, ZInsO 1999, 316, 322; Hess/Weis, WM 1998, 2349, 2359.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 119 § 3
lichkeit besteht, die Termine gem. § 4 InsO i.V.m. § 147 ZPO zu verbinden.150 Die Abstimmung muss gesondert stattfinden. Hinweis: Es kann geschehen, dass in diesen Fällen mehrere Insolvenzpläne durch die Gläubiger angenommen werden. Das Insolvenzgericht hat unter Prüfung der §§ 248 ff. InsO und Beachtung des Grundsatzes der Gläubigerautonomie zu entscheiden, welcher Insolvenzplan bestätigt wird. Dabei wird sich das Insolvenzgericht nicht am Inhalt der Pläne/Ergebnisse für die Gläubiger, sondern an der größeren Zustimmung der Gläubiger zu orientieren haben. Derjenige Insolvenzplan, dem die größere Zahl von Gläubigern mit Kopf- und Summenmehrheit zugestimmt hat, ist vom Insolvenzgericht zu bestätigen. Hat dem einen Plan die größere Kopfmehrheit, dem anderen Plan die größere Summenmehrheit zugestimmt, ist die Summenmehrheit ausschlaggebend. Bis zur Rechtskraft des bestätigten Insolvenzplans ruht das Verfahren über den Konkurrenzplan. Mit Rechtskraft des vom Gericht bestätigten Insolvenzplans tritt Erledigung der anderen Insolvenzpläne ein. Wird im Beschwerdeverfahren der bestätigte Insolvenzplan aufgehoben, kann das Verfahren der Konkurrenzpläne aufgenommen und wie vorbeschrieben verfahren werden.151
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b) Gliederung und Inhalt eines Insolvenzplans Der Insolvenzplan besteht gem. § 219 InsO aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil sowie den in den §§ 229 und 230 InsO genannten Anlagen. Mit dieser formalen Vorgabe wird der Insolvenzplan in einen Informationsteil, der die Konzeption des Insolvenzplans darlegt und entsprechende Erläuterungen gibt, und einen Vollzugsteil, der die Rechtsänderung konstitutiv herbeiführt und das Konzept des Insolvenzplans umsetzt, getrennt. Die inhaltlichen Anforderungen sind rudimentär in den §§ 220 bis 230 InsO geregelt, ansonsten der Gestaltungsfreiheit des Planvorlegenden überlassen.152
117
Hinweis: Der Planersteller hat zu bedenken, dass der Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 5 InsO für das Planverfahren keine Anwendung findet. Unter Berücksichtigung des Beibringungsgrundsatzes ist ein schlüssiger Insolvenzplan vorzulegen und sind die sonstigen Verfahrensvoraussetzungen darzutun. Nur in ausdrücklich dem Insolvenzgericht zugewiesenen Fällen greift der Amtsermittlungsgrundsatz.153
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aa) Darstellender Teil (1) Der darstellende Teil als Informations- und Datenpool Mit seinem darstellenden Teil muss der Insolvenzplan den Beteiligten die Grundlage bieten, informiert über den Vorschlag zur abweichenden Insolvenzbewältigung zu entscheiden. § 220 InsO gibt
150 Eidenmüller, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 1996, 164, 176 und Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 641, weisen zu Recht darauf hin, dass durch eine gemeinsame Abstimmung das Abstimmungsergebnis verfälscht würde; so auch Kaltmeyer, ZInsO 1999, 316, 322. 151 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 12 und § 248 Rz. 6 m.w.N.; Braun/Riggert/Herzig, Schwerpunkte des Insolvenzverfahrens, S. 215 ff.; a.A. Haas in HK/InsO, § 248 Rz. 1 ff., und Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 235 Rz. 43 ff., die jeweils den Entscheidungsfindungsprozess ausschließlich und solange den Gläubigern zuweisen, bis ein Insolvenzplan verbleibt, der bestätigt werden kann, hilfsweise durch Wiederaufnahme der Erörterung und Abstimmung, soweit die Bestätigung des zuletzt verbliebenen Insolvenzplans noch im Termin versagt wird; in diese Richtung auch Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 37; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 316, 322; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 21, will die Frage der Plankonkurrenz im Beschwerdeverfahren einer Lösung zuführen. 152 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 470. 153 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 623 ff.; Stahlschmidt, ZInsO 2018, 494 f.
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§ 3 Rz. 119 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung einen Rahmen vor, ohne detaillierte Aufzählungen, die noch der Regierungsentwurf enthielt.154 Alle Maßnahmen, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind oder noch getroffen werden sollen, die Ausgangspunkt und Ziel beschreiben und die im gestaltenden Teil aufgenommenen Rechtsänderungen rechtfertigen, sowie alle sonstigen, für Entscheidungen der Beteiligten und des Insolvenzgerichts erheblichen Angaben zu den Grundlagen und Auswirkungen des Insolvenzplans sind im darstellenden Teil aufzunehmen.155 Als Pflichtangabe ist zur Entscheidungsfindung der Beteiligten gem. § 220 Abs. 2 Satz 2 ff. InsO insbesondere eine Vergleichsrechnung aufzunehmen, mit der die voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger veranschaulicht werden soll. Die zu vergleichende Alternative für die mittels Plan angebotene Fortführung des Unternehmens ist gleichermaßen eine angenommene Unternehmensfortführung im Regelinsolvenzverfahren, soweit diese nicht aussichtslos ist.156 Liegt der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit vor, können sich darüber hinaus Fortführungsszenarien in Form der individuell mit den Gläubigern vereinbarten Eigensanierung oder des Verkaufs des fortgeführten Unternehmens wie auch der Restrukturierung des Unternehmens unter Nutzung des StaRUG ergeben. Es ist das nächstbeste Alternativszenario, das in der konkreten Situation hinreichend wahrscheinlich ist (nicht aussichtslos i.S.v. § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO) in der Vergleichsrechnung darzustellen.157 Weitergehende Ausführungen sind zur Werthaltigkeit der gruppeninternen Drittsicherheit und damit zum Konzernunternehmen insgesamt erforderlich, soweit eine entsprechende Regelung im Plan erfolgt, § 220 Abs. 3 InsO. 120
Für den Sicherheitensteller als Drittschuldner ist zu berücksichtigen, dass mit der ihn treffenden Planregelung der Ausschluss der Einstandspflicht seines persönlich haftenden Gesellschafters einhergehen kann (bspw. für die rechtsfähige Personengesellschaft oder die Kommanditgesellschaft auf Aktien). Diese persönliche Haftung ist bei der Bemessung der Werthaltigkeit zu berücksichtigen und beeinflusst somit auch die Höhe der angemessenen Entschädigung, die für einen Eingriff zu leisten ist, § 223a Satz 2 InsO.
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Hinweis: Bildlich gesprochen ist der darstellende Teil das Exposé, das den Käufer (die Beteiligten) vom Erwerb (der Planlösung) überzeugen muss.158 § 220 Abs. 2 InsO erwähnt nun ausdrücklich die Vergleichsrechnung als 154 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 466 f. Die Streichung/Kürzung des Gesetzestextes erfolgte allein aus redaktionellen Erwägungen. Dementsprechend sind die noch im Regierungsentwurf enthaltenen inhaltlichen Vorgaben weiter als Leitbild zum darstellenden Teil heranzuziehen; vgl. bspw. Haas in HK/InsO, § 220 Rz. 6. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, DZWiR 2015, 560, 564 f. stellte bereits zur Rechtslage vor dem 1.1.2021 klar (vor dem SanInsFoG, BGBl. I 2020, 3256 ff., war in § 220 Abs. 2 InsO formuliert, dass der darstellende Teil alle sonstigen Angaben enthalten „soll“), dass es dem Planersteller obliegt und dem Insolvenzgericht zur Prüfung im Rahmen von § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 250 Nr. 1 InsO übertragen ist, für jeden Einzelfall zu klären, was der Grundbestand an Informationen für die Gläubiger ist. Die entsprechenden Angaben sind zwingend anzugeben. Dies fortführend LG Wuppertal v. 15.9.2015 – 16 T 324/14, NZI 2016, 494 ff.: Es ist Sache der Gläubiger, die Frage der Zustimmung zum Plan in Kenntnis aller sich konkret ergebenden Möglichkeiten zu entscheiden und nicht Sache des Schuldners, den Gläubigern Handlungsmöglichkeiten zu verschweigen, weil er sie für nicht realistisch oder nicht zumutbar hält. AG Köln v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, ZInsO 2019,1754 f.: Vermögenswerte, die nicht offensichtlich wertlos oder unpfändbar sind, müssen angegeben werden. Besteht die Möglichkeit, dass Vermögensgegenstände noch einen Wert haben, sind diese anzugeben. 155 Für die Genossenschaft gibt es Regelungen außerhalb der Insolvenzordnung, die im Überblick von Terbrack, ZInsO 2001, 1027 ff., oder Benthien/Titze, ZIP 2002, 1116, 1122 ff. dargestellt werden. Bspw. regelt § 116 Ziff. 2 GenG für die Erstellung des Insolvenzplans die Pflicht zur Angabe der potentiell verfügbaren Nachschussmasse. 156 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, §§ 219–221 Rz. 7 ff. 157 Vgl. hierzu auch Skauradszun, ZIP 2021, 1091 ff., m.w.N. 158 Dem darstellenden Teil kann indizielle Wirkung für Auslegungsfragen des gestaltenden Teils zukommen, Lüer//Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 254 Rz. 7. Zur Auslegung nach dem individuellen Verständnis derjenigen, die den Insolvenzplan beschlossen haben, BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, MDR 2006, 594 = ZInsO 2006, 38, 39.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 123 § 3 zentrales Element des Insolvenzplans. Mit der Annahme, dass Fortführungswerte anzusetzen sind, wird eine Empfehlung der ESUG-Evaluierung umgesetzt. Es soll das künstliche Kleinrechnen mit einer Beweislastumkehr verhindert werden. Der Planersteller muss berücksichtigen, dass die in Abs. 3 geforderten Angaben sich auf die Werthaltigkeit der gruppeninternen Drittsicherheit, die reguliert werden soll, bezieht. Damit ist für das Konzernunternehmen ein Weniger an Darstellung als zum schuldnerischen Unternehmen zu geben, nur die Werthaltigkeit beeinflussende Faktoren sind entscheidungserheblich. Ein quasi zweiter Insolvenzplan im darstellenden Teil für das Konzernunternehmen überdehnt den Begriff der Informationsverschaffung für die Entscheidungsfindung der Gläubiger, verstößt zudem gegen die Verschwiegenheitspflicht sowie das Banken- und Steuergeheimnis des Drittunternehmens.
Schon aus der Kernaussage in § 1 Satz 1 InsO, der zur Regelabwicklung die alternative und gleichrangige Insolvenzplanlösung anbietet, folgt, dass eine vergleichende Betrachtung anzustellen ist. Der Gläubiger muss in die Lage versetzt werden, Rentabilitätsüberlegungen wie bei einer außergerichtlichen Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung anzustellen.159 Er investiert, zwar nicht im Sinne der Zuführung neuer Finanzmittel, sondern mit seiner Zustimmung zum Plan und damit dem Stehenlassen der Quote in die Erwartung, seinen Anteil zu verbessern. Oder er desinvestiert, indem er den Plan ablehnt und die Quote aus der Regelabwicklung fordert. Neben den Ausführungen zur eigentlichen Insolvenzplanlösung sind deshalb auch Informationen zur Regelabwicklung zu geben.160
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Hinweis: Fehlen detaillierte Angaben zur Regelabwicklung, wie sie üblicherweise in den Berichten des Insolvenzverwalters zu finden sind, stellt dies per se keinen Mangel i.S.v. § 231 Abs. 1 Ziff. 1 InsO dar, der die Zurückweisung des Plans durch das Insolvenzgericht im Vorprüfungsverfahren rechtfertigen würde. Es kommt darauf an, welche Planregelung bezweckt ist. Der Plan muss in sich geschlossen und vollständig konzipiert sein, so dass auch an anderer Stelle bereits bekannte Gegebenheiten, wenn auch weniger detailliert, im Plan zu wiederholen sind.161 Umgekehrt kann bei einem reinen „Zuzahlungsplan“ (ein Dritter bewirkt eine zusätzliche Leistung, die im Regelverfahren nicht zur Verfügung steht, um eine Besserstellung bei ansonsten identischer Vermögensabwicklung zu realisieren) eine rein tabellarische Auflistung der vom Insolvenzverwalter übernommenen Regelabwicklungswerte ausreichend sein. Die Gläubiger müssen letzten Endes selbst entscheiden, ob die Aussage, welche Leistung der Plan alternativ zur Regelabwicklung erbringt, für sie ausreichend ist. Ist dies nicht der Fall, müssen sie spätestens im Erörterungs- und Abstimmungstermin den Klärungsbedarf anbringen und, soweit keine ausreichende Informationsverschaffung erfolgt, den Plan ablehnen. Anderenfalls treffen sie ihre zustimmende Entscheidung ins Blaue hinein. Hingegen ist die vom Gesetz vorgegebene Vergleichsrechnung (genauer: vergleichende Darstellung, eine tabellarische Gegenüberstellung ist nicht erforderlich), welche die sich ergebenden Befriedigungsaussichten aus der Verwertung mit und ohne Plan sachgerecht dokumentiert, von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung der Gläubiger. Die Veränderungen der zur Abstimmung stehenden Alternativen sind für die Beteiligten abhängig vom Umfang der Masse und der Größe des Verfahrens nachvollziehbar aufzuzeigen.162 Hierbei kann der Planersteller auch von den Bewertungsansätzen des Insolvenzverwalters abweichen, wenn dies nachvollziehbar erläutert wird, wie auch nur Erinnerungswerte angeben, wenn keine belastbare Prognose möglich ist.163
123
159 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 143; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, §§ 219–221 Rz. 4; ausführlich Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 220 Rz. 6 und 27 ff. 160 Maßgeblich sind die Umstände der konkreten Plangestaltung: BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, MDR 2012, 254 = NZI 2012, 139 ff., wonach im darstellenden Teil Angaben zur Verurteilung des Schuldners wegen Insolvenzstraftaten nur aufgenommen werden müssen, wenn der Plan auf eine Unternehmensfortführung abzielt. Vgl. hierzu auch den zutreffenden Hinweis von Rendels, EWiR 2012, 215 f., dass selbst bei Fortführung die Angaben unterbleiben können, wenn die Mittel zur Quotenzahlung nicht aus der Unternehmensfortführung, sondern bspw. von dritter Seite geleistet werden. Zur Frage, ob auf mögliche Versagungsgründe für die Restschuldbefreiung hinzuweisen ist: BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, MDR 2009, 1131 = NZI 2009, 515 ff. mit Anmerkung Frank, FD-InsR 2009, 284371. Ausführlich zu den Angaben auch Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 220 Rz. 1 ff. 161 So auch Skauradszun/Spahlinger/Tresselt, DZWiR, 2015, 539, 544, in der Besprechung des Beschlusses vom BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560 ff. 162 BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, DZWiR 2018, 486, 489 f. 163 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 565.
Frank | 155
§ 3 Rz. 124 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (2) Erarbeitung des darstellenden Teils 124
Checkliste: A. Bisherige Unternehmensentwicklung164 1. Unternehmensgeschichte 1.1 Entwicklung der Kapitalverhältnisse 1.2 Entwicklung der Gesellschafterstruktur 1.3 Entwicklung der Unternehmensleitung 1.4 Entwicklung der Produkt- u. Leistungspalette 2. Finanzwirtschaftliche Entwicklung 2.1 Wesentliche Posten des Anlagevermögens 2.2 Wesentliche immaterielle Vermögenswerte 2.3 Wesentliche Posten des Umlaufvermögens 2.4 Wesentliche Posten der Verbindlichkeiten 2.5 Umsätze 2.6 Materialeinsatz 2.7 Personalkosten 2.8 Neutraler Aufwand/Ertrag 2.9 Abschreibungen 2.10 Investitionen 3. Management 3.1 Zahl und Altersstruktur der leitenden Mitarbeiter 3.2 Zuständigkeiten 3.3 Ausbildungs- und Fortbildungsstand 3.4 Bindung an das Unternehmen 3.5 Ersatzpotential 3.6 Führung und Beratung 4. Mitarbeiter 4.1 Zahlenmäßige Entwicklung der Arbeiter und Angestellten 4.2 Entwicklung der Personalkosten 4.3 Entwicklung der Leistung je Mitarbeiter 4.4 Dauer der Betriebszugehörigkeit (Fluktuationsrate), Kündigungsfristen 4.5 Entwicklung der Arbeitszeit einschl. Überstunden, Kurzarbeit, Absentismus 5. Betriebliche Altersversorgung 5.1 Umfang nach Kopfzahl 5.2 Umfang nach Verpflichtung 5.3 Beitragspflicht und Situation gegenüber dem PSVaG 6. Tarifgebundenheit und Betriebsvereinbarung 6.1 Geltende Tarifverträge, Laufzeit ggf. Allgemeinverbindlichkeit 6.2 Vertragliche Modifikation der ggf. vorhandenen Tarifbindung 6.3 Betriebsverfassungsrechtliche Situation 6.4 Umfang und Änderbarkeit von Betriebsvereinbarungen für die Sanierung B. Rechtliche Verhältnisse 1. Gesellschaftsrechtliche Ebene 1.1 Satzung/Gesellschaftsvertrag 1.2 Geschäftsführung
164 Die Checkliste ist als Zusammenfassung dargestellt und entnommen aus Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, 1998, S. 153 ff.
156 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 124 § 3 2. Organschaftsverhältnisse 2.1 Beherrschungsverträge 2.2 Faktische Leitungsmacht 2.3 Betriebsaufspaltung 3. Kapitalerhaltung und Kapitalersatz 3.1 Zahlungen bzw. Leistungen an Gesellschafter 3.2 Kapitalersatz oder Unterbilanz 3.3 Rückzahlungsansprüche 4. Verbundene Unternehmen und Beteiligungen 5. Steuerrechtliche Verhältnisse 5.1 Steuerliche Organschaften 5.2 Außensteuerrechtliche Sachverhalte 5.3 Stand des Besteuerungsverfahren, ggf. anhängige Rechtsbehelfe 6. Dauerschuldverhältnisse 6.1 Bezugsverpflichtungen/Energielieferungsverträge 6.2 Miet- und Pachtverträge 6.3 Leasingverträge 7. Relevante Rechtsstreite C. Finanzwirtschaftliche Verhältnisse 1. Finanzierung 1.1 Darlehen, Kreditlinien und Kreditinanspruchnahme 1.2 Bankenpool 1.3 Innenfinanzierungsspielraum 1.4 Ergänzende Kapitalaufbringungsmöglichkeiten 1.5 Finanzplan 1.6 Kapitalbedarf 1.7 Debitoren- und Kreditorenumschlagsdauer, Zahlungsmodalitäten 1.8 Zahlungen an Gesellschafter 2. Kreditsicherheiten 2.1 Begebene Kreditsicherheiten 2.2 Nicht ausgeschöpfte Kreditsicherheiten, daraus erwachsendes Kreditpotential 3. Vermögens- und Schuldenlage 3.1 Stille Reserven 3.2 Nicht betriebsnotwendiges Vermögen 3.3 In der Buchführung nicht erfasste Verbindlichkeiten 4. Erfolgslage 4.1 Verlustpotential im Auftragsbestand 4.2 Forderungsausfälle D. Leistungswirtschaftliche Verhältnisse 1. Produkte 1.1 Hauptproduktgruppen (-Leistungen) 1.2 Produkt-/Leistungsqualität 1.3 Geplante Verbesserungen/Innovationen 1.4 Service/Wartung 2. Beschaffung 2.1 Bestellwesen 2.2 Materialwirtschaft 2.3 Beschaffungswege und Bezugsquellen 2.4 Verbrauchsanalysen 2.5 Bestandsführung
Frank | 157
§ 3 Rz. 124 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 3. Produktion 3.1 Produktionskonzept 3.2 Technische Ausstattung 3.3 Produktionsprogramm und Fertigungstiefe 3.4 Produktionskapazität und Kapazitätsauslastung 3.5 Produktionstechnologie und Elastizität der Produktionsanlagen 3.6 Produktivitätsentwicklung und Ausschussquote 4. Absatz 4.1 Bedingungen auf dem Absatzmarkt 4.2 Marktvolumen und Marktpotential, Branchenentwicklung 4.3 Marktanteile 4.4 Lebenszyklen der Produkte 4.5 Substituierbarkeit des Produkts bzw. der Leistung 4.6 Wettbewerbsverhältnisse 4.7 Rechtliche Rahmenbedingungen 5. Auftragsbestand, Bestelleingang, langfristige Lieferverträge 6. Vertrieb und Marketing 6.1 Vertriebs- und Marketingkonzept 6.2 Absatzwege und Struktur der Abnehmer 6.3 Kundenpotential 7. Forschung und Entwicklung 7.1 Grundlagenforschung, Produktentwicklung, Produkt- und Prozessverbesserung 7.2 Technische und personelle Ausstattung 7.3 Patente und Lizenzen 8. Standort 8.1 Zahl, Größe und Art der Standorte 8.2 Standortmerkmale 8.3 Beschaffungsmarkt 8.4 Absatzmarkt 8.5 Infrastruktur 8.6 Arbeitsmarkt 8.7 Regionale Förderung 8.8 Kapitalmarkt E. Organisatorische Grundlagen 1. Aufbauorganisation und Ablauforganisation 1.1 Abgrenzung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung 1.2 Stellenbeschreibungen 1.3 Stellvertretungsregelungen 1.4 Organisation der betrieblichen Abläufe 2. Informationssystem 2.1 Berichtswesen 2.2 Ausgestaltung des Rechnungswesens 2.3 Arbeitsrückstände bei der Bearbeitung von Daten für das Rechnungswesen 2.4 Betriebliche Informatik und EDV 3. Controlling F. Umwelt 1. Möglichkeiten 2. Gefährdungen
158 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 127 § 3
bb) Gestaltender Teil Soweit der Insolvenzplan angenommen und rechtskräftig bestätigt wird, muss der gestaltende Teil all das in rechtlicher Form umsetzen können, was vorab verbal beschrieben wird. Der gestaltende Teil vollzieht den darstellenden Teil und muss inhaltlich entsprechend bestimmt sein. Insoweit sind im gestaltenden Teil schuldrechtliche Verpflichtungen bzw. Vereinbarungen wie auch dingliche Rechtsänderungen vorzunehmen, §§ 221 und 228 InsO. Wirkt das oben beschriebene Exposé (der darstellende Teil) überzeugend, wird nachfolgend der Vertrag geschlossen und die dingliche Übertragung vereinbart. Die erforderlichen Regelungen sind im gestaltenden Teil enthalten.
125
Im Vergleich zum darstellenden Teil hat der Gesetzgeber für den gestaltenden Teil neben den Grundnormen der §§ 221 und 228 InsO in den §§ 222 bis 227 InsO detaillierte Regelungen zur Gruppenbildung und Gleichbehandlung der einzelnen Gruppenmitglieder (§§ 222 und 226 InsO), zu den Eingriffsmöglichkeiten in die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 223 InsO), in die Rechte der Inhaber aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 223a InsO), der nicht nachrangigen Gläubiger (§ 224 InsO), der nachrangigen Gläubiger (§ 225 InsO) und in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen (§ 225a InsO) sowie der Haftung des Schuldners nach erfolgreichem Abschluss des Insolvenzplanverfahrens (§ 227 InsO) aufgenommen.165 Abschließend sind diese Regelungen nicht.166 Wie schon beim darstellenden Teil bleibt es der Gestaltungsfähigkeit des Planvorlegenden überlassen, was er in der ergebnisoffenen und alternativen Insolvenzbewältigung mittels Insolvenzplan anbieten und regeln möchte.167
126
Hinweis: Nicht selten haben die Gläubiger zum Anteilsinhaber in der Insolvenz jegliches Vertrauen verloren, er ist häufig auch nicht mehr in der Lage oder willens, das Unternehmen mit einem Plan zu sanieren. Den Gläubigern stehen Anteilsinhaber gegenüber, die trotz dieses Befundes ihre Anteile nicht im Wege einvernehmlich abgestimmter Prozesse übertragen. Doppelseitige Treuhandverhältnisse oder das Modell des „Sanierungseigentümers“, die die Gesellschaftsanteile fungibel gestalten können, müssen zur rechten Zeit (vor der Krise) umgesetzt werden. Ein zusätzlicher Vermögenswert, über die übertragbaren Vermögensgegenstände (assets) hinaus und repräsentiert in der organisationsrechtlichen Zusammenfassung der Gesellschaft, war trotz Einführung des Planverfahrens, das gerade diese Werte in der Insolvenz erhält, für die Gläubiger zunächst nicht verfügbar. Die Werterealisierung fand, von den Gläubigern zumindest so empfunden, ausschließlich beim Gesellschafter statt. Zum Erfordernis der angemessenen Beteiligung der Gläubiger am wirtschaftlichen Wert gem. § 245 Abs. 1 Ziff. 2 InsO vgl. Rz. 84 ff.
127
Mit dem ESUG lässt die Insolvenzordnung erstmals den Eingriff in Eigenkapitaltitel zu (§ 225a InsO) und beseitigt damit eine Schwäche des deutschen Planverfahrens (Einzelheiten hierzu unter Rz. 271 ff.). Alternative Lösungen, die die rechtliche Verknüpfung von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht über § 249 InsO ermöglichen, sind dadurch keineswegs obsolet, sondern stehen als Gestaltungselement im Planverfahren weiter zur Verfügung. Die notwendigen Änderungen auf der Kapitaleignerseite werden dabei vor der Planbestätigung, aber nach der Planannahme durchgeführt, vorausgesetzt, der Gesellschafter ist hierzu bereit. Steht auf der einen Seite die Übertragung der Eigenkapitaltitel ohne den Eingriff nach § 225a InsO, wird man als Gegenleistung für das Überlassen der Anteile die (Teil-)Befreiung von regelmäßig vorliegenden persönlichen Haftungstatbeständen des Kapitaleigners oder seiner nahestehenden Personen erörtern können. Auch über „Besserungsklauseln“, gleich welcher rechtlichen Ausgestaltung man sich bedienen mag, können Werte, die auf der Grundlage des Plans geschaffen werden, den Gläubigern zufließen.168
165 Ausführlich hierzu mit den Ausführungen zu den §§ 219 bis 227 bspw. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung; Eidenmüller in MünchKomm/InsO. 166 Für die Genossenschaft kann bspw. über die §§ 116 Ziff. 2, 105 Abs. 1 Satz 2 GenG die Nachschusspflicht vorgesehen werden, wenn § 6 Ziff. 3 GenG eine solche nicht ausgeschlossen hat. Liegt ein Ausschluss vor, besteht die Möglichkeit zur Satzungsänderung über die Verknüpfung des § 249 InsO. 167 Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 221 Rz. 7 stellt zutreffend fest, dass der Phantasie des Planerstellers keine Grenzen gesetzt sind. 168 Nicht Besserungsklauseln sind schlecht, sondern die Verfasser solcher Klauseln regeln nicht selten ungenau, weshalb Unstimmigkeiten vorprogrammiert sind. Es bleibt aber selbst bei sachgerechter und
Frank | 159
§ 3 Rz. 128 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung cc) Plananlagen (1) Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplanung 128
Soll das Schuldnerunternehmen (teilweise) fortgeführt und sollen die Gläubiger aus den künftigen Erträgen befriedigt werden, ist ergänzend zu den nach § 220 InsO erforderlichen Informationen eine stichtagsbezogene Vermögensübersicht sowie eine zeitraumbezogene Ergebnisrechnung (Plan-G+V) und Finanzrechnung (Plan-Liquiditätsrechnung) zur Plausibilisierung der im Insolvenzplan angenommenen leistungswirtschaftlichen und/oder finanzwirtschaftlichen Sachverhalte und Maßnahmen gem. § 229 InsO zu erstellen.169 Dem beteiligten Gläubiger sollen künftige Vorgänge und Entwicklungen, die seine Entscheidung zwischen Investition und Desinvestition beeinflussen, transparent und überzeugend geschildert werden. Dies erfolgt mittels einer integrierten Verprobungsrechnung, die ausreichende Überschüsse und Liquidität zur Deckung der versprochenen Planleistungen ausweisen muss.
129
Hinweis: Für unmittelbar aus der Insolvenzmasse zu erbringende Einmalzahlungen, oder laufende Zahlungen, die nicht aus den künftigen Erträgen des Unternehmens, sondern von Dritten zugesagt werden, bedarf es keiner Planrechnung i.S.v. § 229 InsO, die als Anlage beizufügen ist. § 229 InsO dient dem Schutz der Gläubiger. Sie sollen eine Entscheidung darüber treffen, ob aus den künftigen Erträgen die im Plan zugesagten Leistungen erfüllt werden können. Die betroffenen Gläubiger können auf die Beifügung solcher Planrechnungen verzichten, § 229 InsO ist insoweit disponibel. Die entsprechende Erklärung ist dem Plan als gesonderte Anlage beizufügen. Stimmt nur ein Gläubiger, der aus den künftigen Erträgen bedient werden soll, dem Verzicht auf die Planrechnung nicht zu, müssen die Rechenwerke dem Plan beigefügt werden. Gläubiger, die eine Einmalzahlung erhalten bzw. laufende Zahlungen von dritter Seite beziehen, müssen schon keine Zustimmungserklärung abgeben. Sie unterfallen nicht dem Schutzbereich des § 229 InsO.
130
Die nach § 229 Satz 1 InsO zu erstellende Vermögensübersicht ist keine Handelsbilanz, auch kein Bestandteil der Buchhaltung, sondern eine Vermögensdarstellung der Aktiva und Passiva mit den Wertansätzen, die beizulegen wären, wenn der Insolvenzplan wirksam wird.170 Die Vermögensübersicht nimmt deshalb die Planprämissen auf und stellt darauf aufbauend das Planszenario zum Zeitpunkt des voraussichtlichen Inkrafttretens des Insolvenzplans dar. Damit unterscheidet sich die Vermögensübersicht nach § 229 InsO von der wortidentischen Vermögensübersicht nach § 153 Abs. 1 InsO.171
131
Die Vermögensübersicht nach § 229 Satz 1 InsO übernimmt primär den Nachweis der insolvenzrechtlichen Sanierung durch den Insolvenzplan.172 Daneben benötigen die Gläubiger für ihre Entscheidung, ob sie der Planregelung anstelle der Regelabwicklung zustimmen, wie auch das Insolvenzgericht im Rahmen zu treffender Entscheidungen gemäß der §§ 245 Abs. 1 Ziff. 1, 247 Abs. 2 Ziff. 1, 248, 251
169
170 171 172
konkreter Formulierung die Unsicherheit, dass unternehmerisches Tätigwerden abgebildet in der Rechnungslegung einen wirtschaftlichen Rahmen sowohl im Ansatz als auch in der Bewertung zulässt und auch Informationsrechte dies nicht verhindern können. Will man nicht die Unternehmerrolle übernehmen, muss man als Beteiligter diese Unwägbarkeiten hinnehmen. Einen kompakten Überblick zur Funktion der 229er Plananlagen gibt bspw. Heni, ZInsO 2006, 57 ff. Unerheblich ist, ob der Schuldner selbst oder ein Dritter – unter Beibehaltung des Rechtsträgers oder im Wege der übertragenden Sanierung – das Unternehmen fortführt. In der Praxis wird dies vereinfacht durch entsprechend geeignete Software, bspw. „U-Plan“ oder „Professional Planer“. Hier werden zusammenhängende Einzahlungen und Auszahlungen MS-Excel-basierend für die einzelnen Einnahmen-/Ausgabenposten verknüpft, wobei individuell Zahlungsströme auch verändert werden können. Wird ein Teilbetrieb eingestellt, sind für diesen Bereich Liquidationswerte anzusetzen. Wird ein anderer Teilbereich fortgeführt, ist dafür „going concern“ zu bewerten. Eine kompakte Betrachtung enthält Braun in Braun, Insolvenzordnung, § 229 Rz. 3 ff. Es kann also weiterhin eine „unschöne“ Handelsbilanz mit einer Kapitalunterdeckung/einem negativen Kapitalausweis vorliegen.
160 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 135 § 3
Abs. 1 Ziff. 2 InsO eine Vergleichsrechnung, die die Werte der Regelabwicklung darstellt.173 Die Vermögensübersicht kann diese Aufgabe zusätzlich übernehmen, indem neben den Planwerten in einer weiteren Spalte die Regelabwicklungswerte dargestellt werden.174 Hinweis: Die vorwegnehmende Betrachtung der Planumsetzung in der Vermögensübersicht wird dazu nicht einfacher, wenn der Planvorlegende vom Instrument des „prepackaged plan“ Gebrauch machen will, d.h. der Insolvenzplan vor dem eigentlichen Insolvenzverfahren erstellt und gerechnet werden muss. In diesen Fällen muss der Planersteller abschätzen und gleichfalls antizipieren, welche Auswirkungen die Insolvenzeröffnung auf die Vermögenswerte des schuldnerischen Unternehmens haben wird.
132
Die Ergebnis- und Finanzrechnung nach § 229 Satz 2 InsO hat in ihrem Teilbereich der Plan-G+V das Ertragspotential aus Aufwendungen und Erträgen über den gesamten Zeitraum abzubilden, über den die Gläubiger nach den Vorgaben des gestaltenden Teils des Insolvenzplans befriedigt werden sollen. Daneben ist eine Plan-Liquiditätsrechnung für den identischen Zeitraum zu erstellen, um in der Abfolge Ein- und Auszahlungen und damit Änderungen des Zahlungsmittelbestandes anzugeben.175 Die Finanzrechnung wird aus der Ergebnisrechnung abgeleitet. Zusammen mit den Planannahmen, im Einzelnen dargelegt im darstellenden Teil des Insolvenzplans, muss der Gläubiger ersehen können, ob der Insolvenzplan so umsetzbar ist.
133
Zur Vervollständigung und Abrundung des Rechenwerks sollte darüber hinaus eine von Gesetzes wegen nicht geforderte Plan-Bilanz als Eröffnungsbilanz für den Zeitpunkt der Planwirksamkeit beigefügt werden. Ohne die Plan-Bilanz als Basis können die Plan-G+V sowie Plan-Liquiditätsrechnung nicht als integriertes Plan-Rechenwerk erstellt werden.176 Um eine lückenlose Fortschreibung zu gewähren und eine in sich geschlossene, integrierte- und damit aussagekräftige Ergebnis – und Finanzplanung zu erhalten, reicht die isolierte Betrachtung des Zeitraums ab dem Inkrafttreten des Insolvenzplanes nicht aus. Zutreffend wäre diese Art der Betrachtung allein, wenn bspw. weder Gewinn- noch Verlustvortrag bestünden und keinerlei Anfangs-/Endbestände vorhanden wären, was bei einem operativ tätigen Geschäftsbetrieb regelmäßig nicht der Fall sein wird. Es sind deshalb Rechnungen für den Zeitraum bis zur Insolvenzverfahrenseröffnung sowie nachfolgend bis zum Inkrafttreten des Insolvenzplans erforderlich. Die Ergebnis- und Finanzrechnung setzt damit und nachfolgend auf einem fortgeschriebenen handelsbilanziellen Status auf, der formal in die Vermögensrechnung nach § 229 Satz 1 InsO durch Ergänzung einer weiteren Spalte mit den Handelsbilanzwerten eingebunden werden kann.177
134
Hinweis: Von Gesetzes wegen nicht gefordert, in seiner Erstellung jedoch sinnvoll, kann eine fortgeschriebene Vermögensübersicht auf das Ende des Planrealisierungszeitraums sein. Dem Gläubiger kann, für ihn damit überprüfbar, dargestellt werden, dass die in der Plan-G+V ausgewiesenen einzelnen Aufwendungen letztlich in der Summe seiner plangeregelten Forderung zufließen und diese bis zur vollständigen Tilgung bedienen.
135
173 Der Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung hatte dies noch als Bestandteil des darstellenden Teils vorgesehen, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 467, der Gesetzgeber hatte jedoch von einer detaillierten Regelung im Wege einer redaktionellen Straffung des Gesetztextes abgesehen. Mit dem SanInsFoG findet die erforderliche Vergleichsrechnung Eingang in den Gesetzeswortlaut, § 220 Abs. 2 Satz 2 bis 4 InsO (vgl. hierzu auch Rz. 257). 174 Die Gegenüberstellung von Plan- und Regelabwicklungswerten ist unabhängig von der in § 229 vorausgesetzten Unternehmensfortführung und der Gläubigerbefriedigung aus den künftigen Erträgen erforderlich, § 220 Abs. 2 Satz 2–4 InsO. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 229 Rz. 4; Eilenberger in MünchKomm/InsO, § 229 Rz. 9. 175 Insoweit unzutreffend Andres in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, § 229 Rz. 6, der den Planungshorizont der Plan-Liquiditätsrechnung auf mindestens 12 Monate festmachen will. 176 So auch Sinz in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 229 Rz. 3. 177 Die oben beschriebene (reine) Vermögensrechnung nach § 229 Satz 1 InsO ist hierfür nicht geeignet. Dies alles ist Ausdruck der technischen Darstellung und vom Einzelfall abhängig. Es spricht nichts dagegen, die erforderlichen Informationen in eigenständigen Übersichten darzustellen.
Frank | 161
§ 3 Rz. 135 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Zwar kann dies auch durch schlichte rechnerische Saldoziehung zu jedem beliebigen Stichtag aus den in § 229 InsO bestimmten Rechenwerken erfolgen, die Vermögensübersicht als Zwischen- oder Endstatus erleichtert dies aber durch den ausgewiesenen Restbestand an Verbindlichkeiten und gibt dazu über die gleichzeitig erfolgte Verprobung eine Kontrollmöglichkeit. 136
Der Ausweis der Ergebnisse in tabellarischer Form wird nicht gefordert.178 Entscheidend ist, ob im Gesamtzusammenhang, d.h. aus dem Anlagenwerk verbunden mit dem darstellenden (und auch gestaltenden) Teil des Insolvenzplans die Beteiligten die maßgeblichen Daten und Informationen ersehen können. Standardisierte Rechenwerke helfen unabhängig hiervon, Sachverhalte zu vereinheitlichen und damit effizienter zu bearbeiten. Dem Planverfasser sollte bewusst sein, dass Unbekanntes zur Unsicherheit führt, was gerade auch für formale Aspekte gilt, und „Berufsgläubiger“ (PSVaG, Finanzverwaltung, Sozialversicherungsträger) oft eigene Vorstellungen hierzu entwickeln.
137
Mit der Klarstellung in § 229 Satz 3 InsO, flankiert von den Regelungen der §§ 259a und 259b InsO, soll das Risiko minimiert werden, dass ein rechtskräftig bestätigter Insolvenzplan durch nachträglich angemeldete Forderungen zu Fall gebracht wird.179 Ausgehend von der konkreten Plangestaltung musste dies der Planverfasser auch schon in seinen 229er a.F. Rechenwerken berücksichtigen. Der Planverfasser muss alle ihm bekannten, auch die nicht angemeldeten Forderungen berücksichtigen (vgl. insoweit auch § 254b InsO). Der Wortlaut ist missverständlich, weil berücksichtigen nicht meint, automatisch Planquoten rechnerisch zuzuweisen, sondern bekannte Forderungen anzusetzen, allerdings mit dem Wert, den die konkrete Plangestaltung den bekannten, aber nicht angemeldeten (und geprüften) Forderung zuweist.180 (2) Muster: Plan-G+V, Plan-Liquiditätsrechnung, Planbilanz
138
Es handelt sich um die von § 229 InsO geforderte Darstellung mit Plan-G+V und Plan-Liquiditätsrechnung, bezogen auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Plans, wobei die Plan-Bilanz (vom Gesetz nicht gefordert) fortgeschrieben wird. Die in § 229 InsO benannte Vermögensübersicht wird nicht dargestellt.181 Daneben können weitere Angaben erforderlich sein, wie bspw. die zu vergleichenden Regelabwicklungswerte oder die aus dem handelsbilanziellen Rechenwerk fortgeführte Ergebnis- und Finanzrechnung über den Zeitraum der Insolvenzverfahrenseröffnung bis hin zum Inkrafttreten des Insolvenzplans. Aus Gründen der Übersicht wird hier auf die Ergänzung weiterer Spalten verzichtet sowie lediglich ein Jahresverlauf dargestellt. Je nach Dauer der Rückführung/Bezahlung der Planquote ist die Planung über einen längeren Zeitraum, ggf. nachfolgend quartals- oder jahresmäßig, darzustellen.
139
Die nachfolgenden Tabellen bilden den Geschäftsbetrieb eines Herstellungsunternehmens mit typischem Saisonverlauf, d.h. Verlust- und cash-Finanzierung am Saisonanfang ab. Ebenso findet zu diesem Zeitpunkt der Bestandsaufbau sowie der zeitlich vorgelagerte Materialaufwand und -einkauf statt. Im Rahmen der Liquiditätsplanung ist die Zahlung der Verbindlichkeiten für den Monat März vorgesehen. Im Insolvenzplan ist die regelmäßige Bedienung des Kapitaldienstes geregelt. Die Finanzierung der Saisonlinie (stark erhöhte unterjährige Inanspruchnahme) wird im Rahmen der Planung unterstellt und entsprechend im Insolvenzplan als Regelung aufgenommen (zur Frage der Konzerninsolvenz und damit zusammenhängend einer konsolidierten Betrachtung vgl. Rz. 52).182 178 BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, NZI 2010, 101; s. hierzu auch Frank, FD-InsR 2010, 297036. 179 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 32. 180 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 229 Rz. 9b ff., will dem Planersteller abgeleitet aus § 229 Satz 3 InsO weitergehende Pflichten auferlegen. Letztlich ist dies eine Frage der Planumsetzbarkeit, die über die konkrete rechtliche Gestaltung des Insolvenzplans und den tatsächlichen Gegebenheiten entschieden wird. 181 Der Aufbau kann gängigen Darstellungen zur Vermögensübersicht nach § 153 InsO entnommen werden, bspw. Breuer, Insolvenzrechts-Formularbuch, S. 197 ff.; zu den Wertansätzen sind die Besonderheiten des § 229 InsO zu beachten; vgl. insgesamt hierzu auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 229 Rz. 3 ff. m.w.N. 182 Rundungsdifferenzen können in den nachfolgenden Tabellen auftreten.
162 | Frank
10. Erträge aus Beteiligungen
9. Erträge aus Gewinngemeinschaften
8. Sonstige betriebliche Aufwendungen
7.2 Abschreibung Umlaufvermögen
7.1 Abschreibung Anlagevermögen
7. Abschreibungen
6.2 Soziale Abgaben, Aufwand Altersversorgung
6.1 Löhne und Gehälter
6. Personalaufwand
5.2 bezogene Leistungen
5.1 Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe bzw. Waren
5. Materialaufwand
4. Sonstige betriebliche Erträge
3. Andere aktivierte Eigenleistungen
2. Bestandsveränderung
1. Umsatzerlöse
Postenbezeichnung/Monat
Angaben in Tsd. Euro
−265
−570
−122
−92
−122
−411
−98
−691
57
1.027
202
Feb.
−441
−753
70
882
65
Jan.
−463
−122
−100
−458
−305
56
464
1.155
März
−357
−123
−109
−501
−709
84
957
764
Apr.
52
833
1.302
Juni
83
315
3.549
Juli
55
35
3.890
Aug.
−392
−123
−143
−521
−307
−125
−124
−528
−292
−125
−128
−525
−425
−127
−153
−509
−1.343 −1.065 −1.355 −1.595
72
801
1.855
Mai
Plan-Gewinn- und Verlustrechnung AB-GLAS KG/CD GmbH (konsolidiert)
−468
−127
−110
−503
−558
83
1.267
3.915
Sept.
Nov.
−906
−129
−114
−525
−523
76
4.031
−529
−128
−158
−518
−301
78
645
8.168 2.237
Okt.
−772
−128
−102
−470
−230
171
282
539
Dez.
−5.743
−1.501
−1.431
−5.910
−9.427
937
977
27.640
Jahr
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 140 § 3 140
Frank | 163
164 | Frank −684
−763
16. Ergebnis
−793 −1.508 −1.417
25. Kumuliert
29. Entnahmen aus Gewinnrücklage
28. Einstellung in Kapitalrücklage
27. Entnahmen aus der Kapitalrücklage
26. Gewinn-/Verlustvortrag Vorjahr
905
−714
−793
24. Jahresüberschuss/-fehlbetrag
905
−2
905
90
−2
−28
21. Sonstige Steuern
20. Steuern Einkommen/Ertrag
−2
−28
120
−118
11
März
−28
19. Außerordentliches Ergebnis
18. Außerordentliche Aufwendungen
17. Außerordentliche Erträge
−96
10
Feb.
−111
10
Jan.
15. Zinsen und ähnliche Aufwendungen
14. Aufwendungen Verlustübernahme
13. Abschreibungen auf Finanzanlagen
12. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge
11. Erträge aus anderen Wertpapieren
Postenbezeichnung/Monat
51
−2
−28
81
−138
13
Mai
−133
−2
−28
−103
−155
14
Juni
905
905
905
1.555 −1.504 −1.637
−138
−2
−28
−108
−125
12
Apr.
905
−921
716
−2
−28
746
−161
15
Juli
905
68
989
−2
−28
1.019
−169
16
Aug.
905
853
784
−2
−28
814
−168
16
Sept.
−116
−2
−28
−86
−140
17
Nov.
−810
−2
−28
−780
−87
17
Dez.
905
905
905
2.702 2.586 1.776
1.849
−2
−28
1.879
−153
17
Okt.
905
1.776
1.776
−24
−337
2.136
−1.620
168
Jahr
§ 3 Rz. 140 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
32. Bilanzgewinn/Bilanzverlust
31. Ausschüttung/Kapitalherabsetzung
30. Einstellung in Gewinnrücklage
Postenbezeichnung/Monat
112
Jan.
−603
Feb.
−512
März
−650
Apr.
−599
Mai
−732
Juni
−16
Juli
973
Aug.
1.758
Sept.
Nov.
Dez.
3.607 3.491 2.681
Okt.
2.681
Jahr
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 140 § 3
Frank | 165
166 | Frank −135 −2 −248
−65
−435
−207
3. Materialauszahlungen
4. Personalauszahlungen
5. Sonstige betriebliche Auszahlungen
15. Ertragsteuerauszahlungen
14. Außerordentliche Auszahlungen
13. Außerordentliche Zahlungen
12. Ergebnis
11. Zinsen und ähnliche Auszahlungen
10. Auszahlungen Verlustübernahme
9. Zinseinzahlungen
8. Einzahlungen andere Wertpapiere
7. Einzahlungen aus Beteiligungen
6. Einzahlungen Gewinnabführung
72
30
2. Sonstige betriebliche Einzahlungen
35
−387
−24
−44
−59
393
349
1. Umsatzeinzahlungen
Feb.
Jan.
−1
−3.486
−141
−828
−1.078
−1.780
22
320
März
−1
−1.038
−75
−421
−594
−411
321
142
Apr.
−335
−400
−664
−1.415
36
958
Juni
−24
−1
−1.510 −1.771
−88
49
−424
−610
−1.036
101
547
Mai
−1
525
−113
−299
−652
−1.062
12
2.639
Juli
−24
−586
−121
−318
−653
−1.372
49
3.002
Aug.
Okt.
Nov.
Dez.
−107
−550
−613
−576
47
−94
−826
−603
−518
33
−254
74
−572
−676
−300
34
−1
−1
−24
−1
1.011 5.331 1.143 3.981
−189
−428
−661
−1.548
20
3.818 7.129 3.150 5.676
Sept.
−103
4.421
−1.620
123
−5.520
−7.242
−10.218
777
28.121
Jahr
141
Postenbezeichnung/ Monat
Angaben in Tsd. Euro
Liquiditätsplanung (direkte Methode) AB-GLAS KG/CD GmbH (konsolidiert)
§ 3 Rz. 141 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
42. Zu-/Abgang pass. Rechnungsabgr.
41. Zu-/Abgang Gesellschafter
40. Zu-/Abgang s. Verbindlichkeiten
36. Erhaltene Anzahlungen
35. Aufnahme und Tilgung Darlehen
34. Zu-/Abgang Anleihen
33. Verbrauch sonstige Rückstellungen
32. Verbrauch Steuerrückstellungen
28. Zu-/Abgang aktive Rechnungsabgr.
25. Zugang/Abgang Beteiligungsuntern.
24. Zugang/Abgang verb. Unternehmen
23. Besitzwechsel Zu- und Abgang
22. Geleistete Anzahlungen
21. Anlageverkäufe
20. Anlagekäufe
−8
−100
−16
−10
20
−8
−79
−10
9
−389
−41
−2
−2
16. Sonstige Steuerauszahlungen
19. Ergebnis
Feb.
Jan.
Postenbezeichnung/ Monat
−8
−205
−10
−218
−3.489
−2
März
−8
−100
−10
−153
−44
−1.041
−2
Apr. −2
Juni
−8
−23
−196
−25
−8
−382
−23
−283
−50
−1.536 −1.774
−2
Mai
−8
−100
−23
−142
522
−2
Juli
−8
−23
−87
−80
560
−2
Aug. −2
Okt. −2
Nov. −2
Dez.
−8
−205
−23
−76
−8
−100
−23
−65
−62
−8
−23
−44
−48
−8
−382
−23
−283
1.008 5.328 1.117 3.978
−2
Sept.
−99
−1.573
−95
−220
−981
20
−350
4.294
−24
Jahr
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 141 § 3
Frank | 167
168 | Frank −19
−3.953
−24
März
−1.356
Apr.
Juni
−1.788 −2.520
Mai
249
Juli
362
Aug.
Okt.
696 5.069
Sept.
Dez.
995 3.849
Nov.
1.241
246
Jahr
−6.462 −6.481 −10.434 −11.791 −13.578 -16.098 -15.849 -15.487 -14.790 -9.721 -8.727 -4.878 −4.878
−343
46. Liquidität mit Vortrag
45. laufende Liquidität
69
201
43. Umsatzsteuerzahlungen Finanzamt
Feb.
Jan.
Postenbezeichnung/ Monat
§ 3 Rz. 141 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
15. Ausleihungen Beteiligungsunternehmen
14. Sonstige Beteiligungen
13. Beteiligungen assoziierte Unternehmen
12. Ausleihungen verbundene Unternehmen
11. Anteile an verbundenen Unternehmen
10. Geleistete Anzahlungen, Anlagen im Bau
9. Andere Anlagen
8. Technische Anlagen und Maschinen
7. Grundstücke und Gebäude
6. Geleistete Anzahlungen
5. Kapitalkonsolidierung
4. Geschäfts- oder Firmenwert
3. Konzessionen
2. Ingangsetzung Geschäftsbetrieb
1. Ausstehende Einlagen
Postenbezeichnung/ Monat
Angaben in Tsd. Euro
222
1.071
1.101
222
376
12.553
94
172
31. Jan.
398
12.598
95
175
1. Jan.
Planbilanz AB-GLAS KG/CD GmbH (konsolidiert)
222
1.020
354
12.508
93
169
Feb.
222
969
332
12.463
92
166
März
222
927
344
12.418
91
163
Apr.
222
888
335
12.373
90
160
Mai
222
885
312
12.328
89
157
Juni
222
831
289
12.283
88
154
Juli
222
827
296
12.238
87
151
Aug.
222
772
272
12.193
86
148
Sept.
222
766
261
12.148
85
145
Okt.
222
723
272
12.103
84
142
Nov.
222
668
248
12.058
83
139
Dez.
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 142 § 3 142
Frank | 169
170 | Frank
31. Disagio
30. Aktive Rechnungsabgrenzung
29. Steuerabgrenzungsposten
28. Flüssige Mittel
27. Wertpapiere
26. Sonstige Vermögensgegenstände
25. Forderungen Gesellschafter
24. Forderungen verbundene Unternehmen (USA)
23. Forderungen aus Lieferungen
22. Erhaltene Anzahlungen
2.954
1.142
680
2.585
738
4.511
20. Fertige Erzeugnisse, Waren
21. Geleistete Anzahlungen
283
1.809
1. Jan.
19. Unfertige Erzeugnisse
18. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe
17. Sonstige Ausleihungen
16. Wertpapiere des Anlagevermögens
Postenbezeichnung/ Monat
985
693
2.558
489
5.393
283
1.809
31. Jan.
920
707
2.564
297
6.420
283
1.809
Feb.
904
720
2.790
1.132
6.884
283
1.809
März
617
734
2.951
1.754
7.841
283
1.809
Apr.
537
760
3.156
3.063
8.642
283
1.809
Mai
503
786
3.401
3.407
9.475
283
1.809
Juni
525
812
3.554
4.317
9.160
283
1.809
Juli
Sept.
Okt.
Nov.
283
283
283
481
839
493
865
472
892
467
918
3.653 3.742 3.820 3.877
5.205 5.302 6.340 5.428
9.195 7.928 3.898 3.253
283
1.809 1.809 1.809 1.809
Aug.
555
945
2.676
1.147
3.534
283
1.809
Dez.
§ 3 Rz. 142 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
241
36. Kapitalrücklage
49. Verbindlichkeiten Kreditinstitute
21.091
571
47. Sonstige Rückstellungen
48. Anleihen
111
3.316
46. Steuerrückstellungen
45. Pensionsrückstellungen
44. Sonderrücklagen
43. Sonderposten mit Rücklageanteil
42. Sonderposten Investitionszuschüsse
41. Gesellschafterdarlehen
40. Ausgleichsp. Anteile and. Gesellsch.
39. Bilanzgewinn
38. Unterschiedsbetrag Kapitalkonsolid.
905
650
37. Gewinnrücklage
29.702
35. Gezeichnetes Kapital
411
1. Jan.
34. Bilanzsumme Aktiva
33. Nicht d. Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag
32. Sonstige
Postenbezeichnung/ Monat 401
Feb.
18.380
571
123
3.266
112
241
650
18.399
571
48
3.216
−603
241
650
27.103 27.768
406
31. Jan.
22.148
571
75
3.166
−512
241
650
29.163
396
März 386
Mai 381
Juni 376
Juli 371
Aug. 366
Sept. 361
Okt. 356
Nov. 351
Dez.
23.404
571
102
3.116
−650
241
650
25.192
571
106
3.066
−599
241
650
27.330
571
133
3.016
−732
241
650
26.981
571
160
2.966
−16
241
650 241
650 241
650
241
650
571
192
571
219
571
223
571
250
2.716
2.681
241
650
26.618 25.717 20.548 19.553 15.322
571
164
2.916 2.866 2.816 2.766
973 1.758 3.607 3.491
241
650
30.545 32.703 34.038 34.703 35.656 34.482 31.501 29.937 24.718
391
Apr.
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 142 § 3
Frank | 171
172 | Frank
63
57. Rechnungsabgrenzungsposten
29.702
482
56. Gesellschafterdarlehen
58. Bilanzsumme Passiva
1.455
817
1. Jan.
55. Sonstige Verbindlichkeiten
54. Verbindlichkeiten Beteiligungsuntern.
53. Verbindlichkeiten verbundene Untern.
52. Wechselverbindlichkeiten
51. Verbindlichkeiten aus Lieferungen
50. Erhaltene Anzahlungen
Postenbezeichnung/ Monat
63
466
2.034
2.682
Feb.
27.103 27.768
63
474
1.510
1.713
31. Jan.
29.163
63
458
1.372
931
März
63
441
1.472
1.501
Mai
63
433
1.245
1.088
Juni
63
425
1.294
1.369
Juli
Okt.
737 1.035
Sept.
516
Nov.
63
417
63
408
63
400
63
391
1.349 1.279 1.352 1.471
1.693
Aug.
63
383
1.201
640
Dez.
30.545 32.703 34.038 34.703 35.656 34.482 31.501 29.937 24.718
63
450
1.403
1.196
Apr.
§ 3 Rz. 142 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 146 § 3
(3) Weitere Pflichtanlagen Im Falle der (teilweisen) Fortführung des Schuldnerunternehmens ist die Bereitschaft des Schuldners hierzu, wenn dieser eine natürliche Person ist, in der Anlage zum Insolvenzplan zu dokumentieren, es sei denn, er hat den Insolvenzplan selbst vorgelegt, § 230 Abs. 1 Sätze 1 und 3 InsO.183 Ist Rechtsträger des schuldnerischen Unternehmens eine rechtsfähige Personengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, ist die Haftungsbereitschaft von den Personen zu erklären und als Anlage beizufügen, die nach dem Plan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO. Dies gilt sowohl für persönlich haftende Gesellschafter, die bereits diese Stellung innehaben als auch für solche, die erst durch den Vollzug eines dept equity swap (vgl. § 225a Abs. 2 InsO) in die Gesellschaft eintreten.184 Die Erklärung zur Übernahme der Haftungsbereitschaft gemäß Satz 2 ist auch beizufügen, wenn das Schuldnerunternehmen selbst den Insolvenzplan einreicht.
143
Handelt es sich beim Rechtsträger des Schuldnerunternehmens um eine Personenmehrheit oder eine juristische Person, ist (darüber hinaus) ein Fortsetzungsbeschluss der Gesellschafter bzw. Mitglieder erforderlich.185 Über die §§ 225a Abs. 3 und 254a Abs. 2 und 3 InsO können die entsprechenden Erklärungen formwirksam im Insolvenzplan aufgenommen werden.
144
Wird in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen nicht eingegriffen oder werden diese nicht über § 225a InsO durch den Insolvenzplan, sondern individualvertraglich geregelt, kann der Fortsetzungsbeschluss erst nach der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans und nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gefasst werden. Die Beifügung dieses Beschlusses schon als Anlage zur Planeinreichung kann deshalb nicht erfolgen.186 Alternativ kann der Insolvenzplan für diesen Fall als bedingter Plan erstellt werden und entsprechende Beschlüsse fordern, bevor die Bestätigung durch das Insolvenzgericht erfolgen darf, § 249 InsO.187 Die Beschlüsse ihrerseits sind dann bedingt durch die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens.188
145
Hinweis: § 225a Abs. 3 InsO ist lex specialis bspw. zu den §§ 42 Abs. 1 BGB, 728 Abs. 1 BGB, 144 Abs. 1 HGB, 117 Abs. 1 Satz 1 GenG, 274 Abs. 2 Ziff. 1 AktG, 60 Abs. 1 Ziff. 4 GmbHG und verdrängt deren Anwendungsbereich. Dadurch gelten die in den Insolvenzplan aufgenommenen Beschlüsse als in der vorgeschriebenen Form abgegeben und wirksam bekannt gemacht (§ 254a Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO). Lediglich Publizitätsakte selbst, wie die Eintragung in die jeweiligen öffentlichen Register können nicht der Plangestaltung unterworfen werden (vgl. Rz. 443). Die Registeranmeldungen sind grundsätzlich durch die zuständigen gesellschaftsrechtlichen Organe des Schuldners vorzunehmen.189 Zur Verfahrensbeschleunigung kann hierzu auch der Insolvenzverwalter ermächtigt werden, § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO.
146
Die wechselseitige Bedingung des Gesellschafterbeschlusses einerseits und des Insolvenzplans andererseits fordert eine handwerklich sauber formulierte Abstimmung und ist nicht zu unterschätzen. Sich widerspre-
183 Für die Eigenverwaltung ist dies erforderlich, soweit der Schuldner von der Gläubigerversammlung nach § 157 Satz 2 InsO beauftragt wird, Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 230 Rz. 7. 184 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 48. 185 Vgl. bspw. die §§ 728 Abs. 1 BGB, 144 Abs. 1 HGB, 117 Abs. 1 Satz 1 GenG, 60 Abs. 1 Ziff. 4 GmbHG. Für die Genossenschaft ist darüber hinaus gem. § 117 Abs. 1 Satz 2 GenG ein weiterer Beschluss zu fassen, nämlich ob die Genossen Nachschüsse zur Insolvenzmasse zu leisten haben. Den Unterschied zwischen der Bereitschaftserklärung zur Fortführung des Unternehmens und dem Fortsetzungsbeschluss zeigt LG Potsdam v. 14.11.2013 – 2 T 62/113, ZInsO 2013, 2566 f., auf. 186 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 481. 187 LG Dessau v. 5.7.2000 – 9 T 327/00, ZInsO 2001, 1167; so jetzt auch Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 230 Rz. 10 ff. 188 Ausführlich hierzu Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender bzw. Sinz in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 18 ff. und § 230 Rz. 3, mit zum Teil abweichender Auffassung. 189 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 55.
Frank | 173
§ 3 Rz. 146 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung chende Bedingungen können zum unüberwindbaren Hindernis für die Bestätigung des Insolvenzplans werden, soweit der Insolvenzverwalter nach § 221 Satz 2 InsO nicht (oder nicht mehr) nachbessern kann. Alternativ hierzu können die Gesellschafter bzw. Mitglieder eine unbedingte Verpflichtung dem Plan als Anlage gem. § 230 Abs. 3 InsO beilegen, nach rechtskräftiger Planbestätigung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Fortsetzungsbeschluss herbeizuführen. Fassen die Gesellschafter einen solchen Beschluss nachfolgend nicht, können Schadensersatzansprüche gegeben sein. Ein Scheitern des Insolvenzplans ist damit nicht zwingend verbunden. Die planentschuldete Gesellschaft ist gesellschaftsrechtlich außerhalb des gerichtsbetriebenen Insolvenzverfahrens abzuwickeln, was die Planerfüllung per se nicht ausschließt. 147
Um zu vermeiden, Gläubigern durch die Planannahme ein unternehmerisches Risiko aufzuerlegen, indem Anteils-, Mitgliedschafts- oder Beteiligungsrechte an einer juristischen Person, einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer rechtsfähigen Personengesellschaft anstelle der Befriedigung in Geld zugeteilt werden, auch wenn damit keine persönliche Haftungsübernahme verbunden ist, fordert § 230 Abs. 2 InsO die vorherige zustimmende Erklärung eines jeden betroffenen Gläubigers, die als Anlage beizufügen ist.190
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Die Erklärung nach § 230 Abs. 3 InsO schafft vor der Abstimmung über den Insolvenzplan Klarheit darüber, dass Dritte, die Verpflichtungen zur Unterstützung der Planregelungen übernehmen (sog. Plangaranten), auch tatsächlich bindungswillig sind. Nicht ausgeschlossen wird aber, dass Dritte nachträglich, bspw. im Zusammenhang mit dem Erörterungstermin oder sogar danach (dann als Planbedingung i.S.v. § 249 InsO) Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernehmen.191
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Hinweis: § 230 Abs. 3 InsO ist nicht abschließend zu verstehen. Soweit es zur Informationsverschaffung sinnvoll und für die Entscheidungsfindung der Gläubiger von Bedeutung ist, können weitere Anlagen dem Insolvenzplan beizufügen sein. Im Plan bezeichnete Drittmittel müssen frei verfügbar und bestandssicher sein. Wie der Nachweis erfolgt, der für den Plangaranten erforderlich ist, weil seine Vermögensverhältnisse nicht schon mit dem Insolvenzverfahren wie beim Schuldner offengelegt sind, hängt vom Einzelfall ab. Schematische Anforderungen verbieten sich, die InsO macht hierzu keine Vorgaben. Insbesondere Bonitätsbestätigungen können dem Informationsgehalt dienlich sein, wenn die vom Plangaranten zugesagte Leistung nicht schon vorgeleistet wird, bspw. Zuzahlungsbeträge auf einem dafür eingerichteten Konto vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin entsprechend verwaltet werden. Jedes Mehr an Entscheidungsgrundlage für die Gläubiger hilft im Zuge der Planzustimmungsfindung.192 In diesen Fällen ist es nicht zu beanstanden, anstelle der vorherigen Beifügung den Insolvenzplan als bedingten Plan gem. § 249 InsO auszugestalten und erst nach Vorliegen entsprechender Erklärungen oder Unterlagen die Bestätigung des Insolvenzplans vorzunehmen.
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Den Gedanken der Dokumentation gegenüber Gläubigern von Dritten zu erbringenden Leistungen setzt § 230 Abs. 4 InsO für die Zustimmung verbundener Unternehmen fort, die plangeregelte gruppeninterne Drittsicherheit gewährt haben. Werden solche Sicherheiten mit dem Plan geregelt, wird die Konzerngesellschaft zum beteiligten Drittschuldner und hat die in § 223a Satz 2 InsO vorgesehene Entschädigungspflicht zu leisten.
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Hinweis: Der Gläubiger, dem diese Rechte zustehen, muss keine gesonderte Erklärung abgeben, weil seine Zustimmung zur Regelung der gruppeninternen Drittsicherheit mit der mehrheitsgetragenen Entscheidung der ge-
190 Erfasst werden auch Absonderungsrechtsinhaber, vgl. Ober in Braun, Insolvenzordnung, § 230 Rz. 8; sinngemäß gilt dies in allen Fällen, in denen die Befriedigung entweder gar nicht oder nur mittelbar in Geld erfolgt, bspw. die Beschäftigung als Arbeitnehmer oder Geschäftsführer. 191 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 482. 192 Wie hier LG Hamburg v. 18.11.2015 – 326 T 109/15, NZI 2016, 34 f., sowie LG Düsseldorf v. 16.4.2020 – 25 T 135/20, ZInsO 2020, 1935 f. A.A. Weßling, ZInsO 2020, 714 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 153 § 3 bildeten Gruppen entbehrlich wird. Alternative Gestaltungen, in denen sich der Schuldner verpflichtet, anstelle des Drittschuldners die Entschädigung zu leisten, sind machbar, womit die Zustimmung der Konzerngesellschaft entfallen kann, soweit sich keine anderweitigen Verpflichtungen für die Konzerngesellschaft aus der Planregelung ergeben.193 Gleichermaßen gilt dies für jeden Dritten, der bereit ist, die Entschädigungsleistung i.S.v. § 223a Satz 2 InsO an den berechtigten Gläubiger zu erbringen. In diesem Fall muss der Dritte seine Bereitschaft gem. § 230 Abs. 3 InsO mittels Anlage zum Plan dokumentieren.
dd) Regelungsfreiheit Das Insolvenzplanverfahren ist als ergebnisoffenes Verfahren konzipiert. Die inhaltliche Ausgestaltung ist bewusst dem Planvorlegenden und der Privatautonomie der Beteiligten überlassen. Planinhalt kann jede Regelung sein, die auch individualvertraglich außerhalb eines Insolvenzverfahrens getroffen werden könnte. Die §§ 219 ff. InsO geben deshalb nur einen Rahmen vor, der ein Mindestmaß dessen normiert, was in einer alternativen Insolvenzbewältigung den Beteiligten zukommen muss. Im Übrigen ist es aber den Beteiligten überlassen, wie sie sich vereinbaren, d.h. welchen Lösungsansatz sie annehmen bzw. ablehnen.194 Soll der Insolvenzplan u.a. Grundlage etwaig nachfolgender Zwangsvollstreckung sein, muss er abhängig von der jeweiligen Ausgestaltung im konkreten Fall dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen.
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Hinweis: Der Planersteller als auch derjenige, der die Interessen der Beteiligten zu vertreten hat, muss zunächst bestimmen, welches Ziel mit dem Insolvenzplan erreicht werden soll. Ist das Ziel definiert bzw. erfasst, können Überlegungen angestellt werden, welchen Inhalt der Insolvenzplan haben muss, um das beabsichtigte Ziel zu erreichen und eine in sich widerspruchsfreie Konzeption aufzuzeigen. Die Enthaftung bzw. die Restschuldbefreiung des Schuldners oder für den Schuldner handelnder Personen kann dabei auch ein Ziel sein.195 So kann die Haftung des antragspflichtigen Mitglieds des Vertretungsorgans und Abwicklers dem Schuldner gegenüber für unzulässige Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung in einem Insolvenzplan geregelt werden, soweit eine solche zugleich vermögensrealisierende Maßnahme nicht evident insolvenzzweckwidrig ist, § 15b Abs. 4 Satz 5 InsO, § 43 Abs. 2 Satz 2 StaRUG.196
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Obwohl als ergebnisoffenes Verfahren zur Verteilung nach Verwertung der Insolvenzmasse konzipiert (vgl. § 217 Abs. 1 InsO), sollen die Regelungen zur Feststellung der Forderungen gemäß der §§ 174–186 InsO nicht modifiziert werden können.197 Die Insolvenztabelle hat im Regelverfahren jedoch nur Zuteilungs- und Titulierungsfunktion, ohne den materiellen Gehalt einer Forderung zu regeln (vgl. Rz. 167), was für das Planverfahren gerade der Insolvenzplan übernimmt.198
193 Die Möglichkeit der Entschädigungsleistung durch den Schuldner findet sich in der Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift von § 223a Satz 2 InsO, Regierungsentwurf zum SanInsFoG: § 2 Abs. 4 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 113. 194 Ausführlich zu den möglichen Plantypen Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 217 Rz. 71 ff. und § 220 Rz. 7 ff.; ebenso Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, vor §§ 217–269 Rz. 8 ff.; vgl. auch LG München I v. 5.9.2003 – 14 T 15659/03, ZVI 2003, 473, 474. Stapper, ZInsO 2009, 2361, 2362, widerlegt anhand der Beschreibung seiner praktischen Erfahrungen mit dem Insolvenzplan die in der Praxis vorherrschende Auffassung, Planverfahren eignen sich nur für Großverfahren. 195 Diese Überlegung aufgreifend und die Vermeidung der Insolvenz des Gesellschafter-Geschäftsführers als ein (weiteres) zulässiges Planziel und damit nicht unlauter feststellend: AG Cuxhaven v. 14.9.2017 – 12 IN 168/16, ZInsO 2017, 2128 f. 196 Regierungsentwurf zum SanInsFoG: 15b InsO, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 193 f.; Bericht des Rechtsausschusses zum SanInsFoG: 43 StaRUG, BT-Drucks. 19/25353 v. 16.12.2020, S. 8. 197 So BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, MDR 2009, 590 = NZI, 230 ff.; zustimmend Landry, EWiR 2009, 251 f.; demgegenüber offen einer Planregelung zum Prozedere der Forderungsfeststellung Rendels, INDat-Report 2/2009, 34 ff. 198 Die Statthaftigkeit einer entsprechenden Planregelung entgegen BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, MDR 2009, 590 = NZI 2009, 230 ff., bejahend: Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 224 Rz. 2 i.V.m. Fn. 4; Baumert/Frank, FD-InsR 2009, 277437; Heinrich NZI 2009, 546 ff.
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§ 3 Rz. 154 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (1) Finanzwirtschaftlich orientierte Pläne 154
Die aktuelle Rechtslage führt dazu, dass es keinen, den materiellen Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit, der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung beseitigenden Insolvenzplan ohne finanzwirtschaftliche Maßnahmen geben wird. Es bedarf entweder der Vereinbarung abweichender Fälligkeiten von Verbindlichkeiten, der Zuführung neuen Kapitals oder der Zuführung neuer Vermögenswerte auf der Aktivseite bzw. der Entlastung der Passivseite, oder es ist eine neue Gesellschaft mit veränderter Bilanzstruktur als Übernahmegesellschaft vorzusehen.199 (2) Leistungswirtschaftlich orientierte Pläne
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Leistungswirtschaftliche Maßnahmen können, müssen aber nicht wie finanzwirtschaftliche Maßnahmen Gegenstand eines Insolvenzplans sein. Einmalige, außerbetriebliche Umstände sind denkbar, die allein über finanzwirtschaftliche Maßnahmen beseitigt werden können.200 Nicht selten werden aber leistungswirtschaftliche Ursachen zu Verlusten führen, die in einem ersten Schritt zur Beseitigung der materiellen Insolvenzgründe finanzwirtschaftliche Maßnahmen erfordern. Diese allein sind aber sinnlos, wenn nicht gleichzeitig die leistungswirtschaftliche Restrukturierung eingeleitet wird, um die Rentabilität (wieder) herzustellen.201 (3) Eigensanierungspläne
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Mit einem Insolvenzplan zur Eigensanierung wird der Erhalt und die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens unter Beibehaltung des bisherigen Unternehmensträgers bezweckt. Nicht notwendigerweise geht dies einher mit dem Erhalt des gesamten Geschäftsbetriebs. Denkbar ist demnach auch die (eingeschränkte) Fortführung bestimmter Geschäftsbereiche, unter klassischer Abwicklung unrentabler Geschäftszweige. Insoweit entfällt die klassische Verwertung gemäß der §§ 159 ff. InsO. Für die Gläubiger können anstelle der Barerlösverteilung neue Ansprüche oder auch Anteilsrechte am schuldnerischen Unternehmen vereinbart werden. (4) Übertragende Sanierungspläne
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Gegenstand der Regelungen eines Übertragungsplans ist die Übertragung der wesentlichen Vermögensgegenstände des Anlage- und/oder Umlaufvermögens auf einen neuen Rechtsträger, etwa eine Auffanggesellschaft oder einen sonstigen Erwerber. Aus Sicht des Schuldners wird dabei jeder einzelne Vermögensgegenstand liquidiert. Die Gegenleistung des Erwerbers kann in der Zahlung eines Geldbetrages in die Insolvenzmasse oder in der Begründung von Forderungsrechten für die Gläubiger gegen den neuen Unternehmensträger/Erwerber bestehen. Erfolgt der „asset deal“ auf eine Auffanggesellschaft, kann der Erwerb durch die Ausgabe von Anteilsrechten oder die Abgabe von Verpflichtungserklärungen an die Gläubiger finanziert werden. Die Regelungen eines Übertragungsplans führen insofern zu einer Abweichung von den allgemeinen insolvenzrechtlichen Vorschriften, als die §§ 160 Abs. 2, 161 bis 163 sowie 187 ff. InsO nicht zur Anwendung gelangen, sondern Planregelungen die Einzelheiten bestimmen202 (näher zum „asset deal“ § 17 Rz. 16 ff.). 199 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 571. 200 Zu denken ist an Naturkatastrophen, an Dominoinsolvenzen entweder zwischen konzern-/haftungsverbundenen Mutter- und Tochtergesellschaften oder bedingt durch den Ausfall einer großen Forderung bei überwiegender Abhängigkeit vom insolventen Auftraggeber, sowie an außerbetriebliche Gründe, die die erforderliche Eigenkapitalausstattung des Unternehmens beeinträchtigen. 201 Der Nachweis der Rentabilität fordert die Entwicklung und Überprüfung von leistungswirtschaftlichen Sanierungskonzepten, vgl. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 572 f. In einer Gesamtschau skizzieren Steffan/Oberg/Poppe, ZIP 2021, 617 ff., Anforderungen an betriebswirtschaftliche Konzepte in Restrukturierungsplan, Eigenverwaltung und Insolvenzplan. 202 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, vor § 217–269 InsO Rz. 8 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 160 § 3
(5) Liquidationspläne Die Vermögensverwertung in Form der Veräußerung der einzelnen Vermögensgegenstände und die anschließende Erlösverteilung ist gem. § 1 InsO Ziel des ordentlichen (Regel-)Insolvenzverfahrens. Der Gesetzgeber hat diese Art der Insolvenzbewältigung nicht ausschließlich dem Regelverfahren zugeordnet, weshalb die Erstellung eines Liquidationsplans denkbar ist. Gegenstand eines solchen Insolvenzplans kann eine Regelung zur Verwertung der Vermögensgegenstände mit anschließender Erlösverteilung mit der Option sein, von allen nicht verbindlichen Verfahrensvorschriften abzuweichen und dem Schuldner nach der Planerfüllung die Befreiung von noch verbleibenden Verbindlichkeiten zu erteilen.203 Dem Schuldner als natürliche Person wird dabei die Befreiung von seinen Verbindlichkeiten ohne das mehrjährige Restschuldbefreiungsverfahren nach den §§ 286 ff. InsO gewährt.204 Die Besserstellung der Gläubiger durch den Insolvenzplan wird erreicht, indem neben der Verwertung der schuldnerischen Vermögensgegenstände zusätzliche Mittel (bspw. in Form eines Darlehens von einer dem Schuldner nahestehenden Person) geleistet werden, die zweckgebunden zur (teilweisen) Befriedigung der Gläubiger dienen und dem Schuldner im Regelinsolvenzverfahren nicht zur Verfügung stehen.205 Damit ist der Insolvenzplan nicht insolvenzüberwindend, sondern enthält verfahrens-/abwicklungstechnische Regelungen, § 217 Abs. 1 InsO (… sowie die Verfahrensabwicklung …).
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(6) Moratoriumspläne Der Stundungs- oder auch Moratoriumsplan sieht vor, dass die Gläubiger für einen bestimmten Zeitraum ihre Forderungen gegen das schuldnerische Unternehmen nicht geltend machen. Den Gläubigern wird weder ein Rangrücktritt, Verzicht oder ein sonstiger Rechtsverlust angedient. Aufgrund des moderaten Eingriffs, der geringen Eingriffstiefe, kann der Planverfasser von einem hohen Grad der Akzeptanz bei dieser Art von Insolvenzplänen ausgehen.
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(7) Weitere Plan- und Mischformen Mittels Insolvenzplan können masseunzulängliche Verfahren abgewickelt und damit für diesen Sonderfall auch Masseforderungen geregelt werden, § 210a InsO. Die Verwertung und Verteilung der Masse kann in einer abweichenden Planlösung Sinn machen, wenn der Fortführungswert des schuldnerischen Unternehmens größer ist, als der Liquidationswert und damit die Sanierung den Gläubigern und übrigen Beteiligten einen größeren Nutzen bringt.206 Für diese Art von Insolvenzplänen ist zu bedenken, dass in der Reihenfolge der Befriedigung von Gesetzes wegen die Verfahrenskosten und Neumassegläubiger gedeckt sein müssen. Massearmut i.S.v. § 207 InsO darf nicht vorliegen. In die Rechte der Altmassegläubiger kann mittels Planregelung eingegriffen werden, wobei von den nicht quotal befriedigten restlichen Altmasseverbindlichkeiten befreit wird (§ 227 Abs. 1 InsO). Nicht nachrangige Insolvenzforderungen gelten als erlassen, sie treten an die Stelle der nachrangigen Insolvenz-
203 Der Insolvenzverwalter kann abweichend zu § 159 InsO – der unverzüglichen Verwertung – den Geschäftsbetrieb zeitweise fortführen und erst im Anschluss daran verwerten; dies gilt gleichermaßen für absonderungsrechtsverhaftete Vermögensgegenstände in Abweichung zu den §§ 165 ff. InsO; regelbar ist eine differenzierte Verteilung des Verkaufserlöses; neben dem Schuldner gem. § 227 Abs. 1 InsO kann bei einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien auch der persönlich haftende Gesellschafter die Schuldbefreiung erlangen, § 227 Abs. 2 InsO. 204 Einen solchen Insolvenzplan stellt Ehlers, DStR 2010, 2523 ff., für einen (Klein-)Gewerbetreibenden dar. 205 Zur Frage, ob die Vermögenszuflüsse auf die Dauer der Wohlverhaltensperiode gem. § 287 i.V.m. § 301 InsO als Teil der vergleichenden Betrachtung begrenzt sind, vgl. § 245a Satz 2 InsO. Die etwaigen steuerlichen Folgen für den Schuldner hieraus sind unter Rz. 504 dargestellt. 206 Die Pflicht für den Insolvenzverwalter besteht trotz Masseunzulänglichkeit im Regelinsolvenzverfahren fort, vgl. § 208 Abs. 3 InsO. Zimmer, ZInsO 2012, 390 ff., setzt sich kritisch mit dieser Form des Insolvenzplanverfahrens auseinander.
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§ 3 Rz. 160 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung forderungen, § 210a Ziff. 2 InsO. Damit besteht insbesondere auch für die Anteilsinhaber Gestaltungsspielraum, wenn im Insolvenzverfahren Masseunzulänglichkeit eintritt und in deren Rechte nicht eingriffen wird.207 Die Entschuldung auf null (bezogen auf die nicht nachrangigen und die nachrangigen Insolvenzgläubiger) ist so denkbar. Denkbar sind auch Stufenpläne, die auf der ersten Stufe für einen bestimmten Zeitraum ein modifiziertes Regelinsolvenzverfahren mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung und begleitend die Erstellung eines leistungswirtschaftlichen Eigensanierungskonzepts zulassen und im Falle des Scheiterns der Verkaufsbemühungen auf der zweiten Stufe die Einzelzerschlagung oder die Eigensanierung des schuldnerischen Unternehmens vorsehen. 161
Hinweis: Über einen Insolvenzplan, der ein masseunzulängliches Verfahren zum Gegenstand hat, stimmen regelmäßig die Massegläubiger gem. § 209 Abs. 1 Ziff. 3 InsO ab. Dies ist konsequent, da die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) in aller Regel keine Befriedigung ihrer Forderungen zu erwarten haben und deshalb an die Stelle treten, die sonst den nachrangigen Insolvenzgläubigern (§ 39 InsO) zukommt, § 210a Ziff. 2 InsO. Folglich gilt die Zustimmung der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger zum Plan erteilt, wenn sich diese an der Abstimmung über den Plan nicht beteiligen, § 210a Ziff. 2 i.V.m. § 246 Ziff. 2 InsO.
ee) Vorgabe des Gesetzes: Gruppenbildung 162
Die Gruppenbildung ist das entscheidende Element bei der Erstellung eines Insolvenzplans, soweit es in der strategischen Planung um die Frage geht, erfolgreich Mehrheiten zu gewinnen. Hält man sich vor Augen, dass über die Annahme des Insolvenzplans die Mehrheitsquoren innerhalb der gebildeten Gruppen und nicht etwa über alle Gläubiger hinweg entscheiden (§§ 243, 244 InsO), wird dies deutlich. Der Insolvenzplan soll die vermögensrechtliche Stellung der Beteiligten nach Möglichkeit verbessern, jedenfalls keinen Beteiligten gegen seinen Willen schlechter stellen, als er im Falle der Regelabwicklung stünde. Dieses Ziel kann der Insolvenzplan nur erreichen, wenn er die unterschiedliche Rechtsstellung der Beteiligten im Insolvenzverfahren und bei identischer Rechtsstellung unterschiedliche insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen berücksichtigen kann.208
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Der Planersteller wird nicht verpflichtet, verschiedene Gruppen zu bilden. § 222 Abs. 1 Ziff. 2 InsO gibt vor, mindestens eine Gruppe, nämlich die der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) zu bilden. Damit gibt es zwingend eine Pflichtgruppe, die in jedem Insolvenzplan zu bilden ist, mehr aber auch nicht.209 Wird diese eine Pflichtgruppe gebildet, können damit alle nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger angesprochen werden. Eine weitergehende Differenzierung ist, soweit dies nicht gesetzlich verpflichtend vorgegeben ist, nicht erforderlich. Hingegen ist eine Gesamtgläubigergruppe wie das Absehen von einer Gruppenbildung, um alle Gläubiger zu erfassen und die aus dem Regelverfahren bekannte Gläubigerversammlung gem. § 74 InsO im Insolvenzplanverfahren fortzusetzen, nicht statthaft. Nur wenn durch den Insolvenzplan in die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger eingegriffen wird (§§ 49 bis 51, 222 Abs. 1 Ziff. 1 InsO), die nachrangigen Insolvenzforderungen nicht entsprechend § 225 Abs. 1 InsO als erlassen gelten sollen, sondern mittels Insolvenzplan eine abweichende Regelung erfahren (§§ 39, 222 Abs. 1 Ziff. 3 InsO), Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen einbezogen werden (§ 222 Abs. 1 Ziff. 4 InsO) oder gruppeninterne
207 Vgl. hierzu auch Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 210a Rz. 10. 208 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 471 ff.; Kriterien zur Gruppenbildung beschreiben bspw. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 595 ff.; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 222 Rz. 13 ff.; Haas in HK/InsO, § 222 Rz. 12 ff. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 562: Maßstab für die fakultative Gruppenbildung ist die insolvenzbezogene wirtschaftliche Betroffenheit. LG Bielefeld v. 20.1.2021 - 23 T 478/20, NZI 2021, 891 f.: rein ideelle Interessen sind nicht ausreichend. 209 AG Duisburg v. 15.8.2001 – 43 IN 40/00, NZI 2001, 605. Unklar Hingerl, ZInsO 2007, 1337 ff., der bei Gläubigern mit gleicher Rechtsstellung auf eine Pflichtgruppe verzichten und die Mehrheitsverhältnisse im Rahmen der Abstimmung über den Plan an § 76 Abs. 2 InsO bestimmen will.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 164 § 3
Drittsicherheiten, die Gläubigern zustehen, geregelt werden sollen (§ 222 Abs. 1 Ziff. 5 InsO)210, ist der Planersteller verpflichtet, bis zu vier weitere (Pflicht-)Gruppen zu bilden.211 Die eigene Gruppe für die gruppeninternen Drittsicherheiten spiegelt die unterschiedliche rechtliche Wirkungsweise von Dritt- und Eigensicherheiten wider. Innerhalb eines Konzerns können sich zudem unterschiedliche insolvenzbezogene wirtschaftliche Konstellationen ergeben, so dass auch hier eine (fakultative) Untergruppenbildung über § 222 Abs. 2 InsO denkbar ist. Eine weitere und damit Pflichtgruppe Nr. 6 kommt hinzu, soweit die Fortführung des Unternehmens oder eines Betriebes beabsichtigt ist und Betriebsrentensachverhalte vorliegen (§ 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG). Dem Träger der Insolvenzsicherung wird eine eigene Plangruppe gewährt, worauf er (nicht der Planersteller) im freien Ermessen verzichten kann. Anders gewendet bedeutet dies aber, dass Betriebsrenten im Fortführungsfall einen Eingruppenplan verhindern können und der Planersteller, soweit er den Plan gegen das Votum des Trägers der Insolvenzsicherung durchzusetzen hat, mindestens eine weitere, dritte Gruppe bilden muss, weil es eine § 26 Abs. 1 Ziff. 3 StaRUG vergleichbare Regelung im Planrecht nicht gibt (beim Zweigruppenplan reicht die Zustimmung der anderen Gruppe aus, soweit diese nicht ausschließlich durch Anteilsinhaber oder nachrangige Gläubiger gebildet wird). Hinweis: Die Bestimmung des plangeregelten Eingriffs in Rechte und Forderungen der Beteiligten mit der Folge der Gruppenbildung i.S.d. §§ 222 ff. InsO ist zunächst festzulegen in der vergleichenden Betrachtung des Regelinsolvenzverfahrens und des Planverfahrens und zu unterscheiden von der Frage, ob durch die Planregelung dem Betroffenen ein Nachteil entsteht, der (und nur der) ein Stimmrecht i.S.d. §§ 237 Abs. 2, 238 Abs. 2, 238a Abs. 2 InsO gewährt (vgl. Rz. 343 ff.). Wird für einen im Besitz des Schuldners befindlichen Absonderungsgegenstand das Befriedigungsrecht der Regelabwicklung „gewährt“, d.h. der Erlös aus unverzüglicher Verwertung abzgl. Kostenbeiträgen und ggf. Zinsen (§§ 166, 169, 171 InsO) zur Verfügung gestellt, liegt schon kein Eingriff vor, so dass keine Gruppe für dieses Absonderungsrecht zu bilden ist.212 Ebenso liegt kein Eingriff in ein Absonderungsrecht vor, wenn ausschließlich die zugrunde liegende Forderung im Plan gestaltet wird. Die Forderung bleibt grds. als nicht durchsetzbare, aber jederzeit erfüllbare unvollständige Verbindlichkeit bestehen, so dass daran anknüpfende Sicherungsrechte nicht schon über die Planregelung der Forderung untergehen.213 Soweit aber aus einer Forderungsregelung mittelbar das fiduziarische Absonderungsrecht mit der Planbestätigung an der Durchsetzung nach Maßgabe der plangestalteten Forderung über die vergleichbare Verwertung in der Regelabwicklung gehindert wird, ist dies rechtlich ein Stehenlassen/Stunden des Absonderungsrechts und damit ein Eingriff in das Absonderungsrecht.214 Sieht der Insolvenzplan keine besonderen Regelungen vor, greift eine auf Insolvenzforderungen bezogene Planregelung gemäß der §§ 222 Abs. 1 Ziff. 2, 224 InsO in den ungesicherten Teil der dem absonderungsberechtigten Gläubiger zustehenden Forderung ein215: Der gesicherte Gläubiger nimmt nur mit seiner Ausfallforderung i.S.v. § 52 InsO an der Planleistung und damit -regelung teil. § 227 InsO, der den Erlass der restlichen Verbindlichkeiten regelt, betrifft damit ausschließlich den restlichen Teil als Ausfallforderung. Der gesicherte Teil der Forderung bleibt weiter Grundlage für die Verwertung des Sicherungsguts durch den absonderungsberechtigten Gläubiger. Welchem Eingriff ein (teil-)gesicherter Gläubiger letztlich unterliegt (Ab210 Der Eingriff ist über die Grundnorm des § 217 Abs. 2 InsO optional ausgestaltet, weshalb der Gesetzeswortlaut zu ergänzen ist, „wenn deren Rechte in die Gestaltung des Insolvenzplans einbezogen werden“. Gruppeninterne Sicherheiten können bspw. gewährt werden von in Mehrheitsbesitz stehenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen, von abhängigen oder herrschenden Unternehmen, von Konzernunternehmen, von wechselseitig beteiligten Unternehmen oder von Beteiligten eines Unternehmensvertrags, § 15 AktG. Erfasst werden sämtliche Personal- wie auch dingliche Sicherheiten, nicht hingegen die aus der Beteiligtenstellung (bspw. als Gesellschafter) originär resultierende Haftung, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 223a Rz. 4 ff. 211 Auch wenn keine weitere Gruppe gebildet wird, erfolgt der Schutz der nachrangigen Insolvenzgläubiger, deren Forderungen gem. § 225 InsO als erlassen gelten, über die §§ 250 und 251 InsO. 212 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 223 Rz. 4. 213 Zur Rechtsnatur vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 512. 214 Andres in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, § 223 Rz. 3; Haas in HK/InsO, § 223 Rz. 5 f. 215 Mangels spezieller Planregelungen gelten die allgemeinen Vorschriften des Regelverfahrens, soweit nicht die §§ 217 ff. InsO eine abweichende Handhabung vorgeben.
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§ 3 Rz. 164 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung sonderungsrecht und/oder Insolvenzforderung), wird maßgeblich über die Gruppenzuordnung und damit über den Wert seines Sicherungsgutes bestimmt. Der Wert des Absonderungsrechts hat zugleich Einfluss auf die Höhe seiner Ausfallforderung. Wird das schuldnerische Unternehmen fortgeführt, sind nicht die Zerschlagungs- oder Nominalwerte, sondern Fortführungswerte für das Sicherungsgut anzusetzen. Dies gilt aus Gläubigersicht für die angestrebte optimale Befriedigung über einen Insolvenzplan.216 Gesetzliche Vorgabe hingegen ist dies nicht. Der Plan soll voraussichtlich nicht schlechter stellen als im Fall der Regelabwicklung. Wird in der Regelabwicklung der Geschäftsbetrieb eingestellt, ist aus Sicht des Planerstellers Ausgangsgröße allein der Zerschlagungswert. Gläubiger- und Schuldnerwert fallen so deutlich auseinander.217 Die sehr feinsinnige Unterscheidung in Insolvenzforderung und Absonderungsrecht wird in der Praxis oftmals übersehen. Es werden Mischgruppen oder auch Absonderungsrechtsgruppen gebildet und dabei Planleistungen auf die – in einer solchen Gruppe nicht geregelten – Insolvenzforderungen erbracht.218 Oder dem Gläubiger wird auf sein wertloses Absonderungsrecht gegen Erteilung einer Löschungsbewilligung zusätzlich zu den übernommenen Löschungskosten eine Geldleistung versprochen. Im Regelinsolvenzverfahren ist eine solche Abrede insolvenzzweckwidrig und damit nichtig.219 Im Insolvenzplan ist dies eine Leistung, die entweder eine gegen § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 InsO verstoßende Wertzuwendung (bei Eingruppierung in eine Gruppe für Absonderungsrechte) oder einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in den §§ 226 und 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO (bei Zuordnung in eine Gruppe nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger) darstellt. Die fehlerhafte Behandlung bleibt gleichwohl sanktionslos, solange ein solcher Insolvenzplan von allen Gruppen angenommen und anschließend der Plan rechtskräftig bestätigt wird. Mitunter kann es für den Absonderungsberechtigten erforderlich sein, nachrangige Insolvenzforderungen über eine Gruppenbildung zu erhalten, ohne auf diese nachrangige Insolvenzforderung eine Planzuwendung zu erhalten. Weil die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen gem. § 39 Abs. 1 Ziff. 1 InsO nachrangige Forderungen sind, gelten sie ohne weitere Planregelung als erlassen, § 225 InsO. Sichert das (fiduziarische) Absonderungsrecht des Gläubigers neben der Hauptforderung auch Zinsen seit der Verfahrenseröffnung, müssen − will der Gläubiger auf diesen Zinsteil sein Absonderungsrecht geltend machen und Planleistungen darauf erhalten − diese Zinsen im Bestand erhalten werden. Dies kann nur über eine eigene Gruppenbildung zum Erhalt der nachrangigen Insolvenzforderung erfolgen220 (zum Absonderungsrecht vgl. § 10 Rz. 135 ff.). Der Erhalt der Forderung ist noch keine Zuteilung eines Vermögenswertes, so dass § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO nicht entgegensteht. 165
Der Insolvenzplan unterscheidet damit wie die Insolvenzordnung im Übrigen die rechtliche Stellung von absonderungsberechtigten Gläubigern, nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern, nachrangigen Insolvenzgläubigern und Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen und bezieht auch Gläubigern gestellte gruppeninterne Drittsicherheiten ein. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Gruppenangehörigen innerhalb der einzelnen (bis zu fünf) Pflichtgruppen weitere unterschiedliche Rechtsstellungen haben können, was allerdings nicht verpflichtend für die Gruppenbildung im insolvenz(plan)rechtlichen Sinne ist.
216 Dem Grunde nach zutreffend BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, MDR 2006, 114 = NZI 2005, 619 ff. Zu Recht kritisieren Smid, NZI 2005, 613, 615, und von Gleichenstein, EWiR 2006, 279 f., die vom BGH angestellten Überlegungen zur Berechnung des Fortführungswertes. 217 Tan/Lambrecht, NZI 2019, 249 ff., stellen dies zutreffend dar und formulieren ihrerseits die Quotenvergleichsrechnung im Insolvenzplan als Instrument der Interessenverfolgung. 218 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 222 Rz. 1, 5 und 19. Die Bildung einer Gruppe, die Gläubiger mit werthaltigen und nicht werthaltigen Absonderungsrechten in sich vereint, ist grundsätzlich unzulässig, BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, MDR 2006, 114 = NZI 2005, 619 ff.; Smid, NZI 2005, 296, 297, will Mischgruppen zulassen, soweit durch die gebildete Mischgruppe keine Benachteiligung der anderen, dort nicht zugeordneten nicht nachrangigen Gläubiger entstehen kann. 219 BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, MDR 2008, 824 = DZWiR 2008, 376 f., und Anmerkung von Smid, DZWiR 2008, 501 ff. Grundsätzlich zur Nichtigkeit von Rechtshandlungen nach den Grundsätzen der evidenten Insolvenzzweckwidrigkeit Hölken, DZWiR 2019, 51 ff. 220 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 225 Rz. 4.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 168 § 3 Hinweis: Abgesehen von der Differenzierung in den §§ 38, 39, 49 ff. und 199 Satz 2 bzw. § 222 Abs. 1 InsO begründen alle weiteren unterschiedlichen Rechtsstellungen für sich allein gesehen keine zusätzliche Gruppeneinteilung und können damit kein sachgerechtes Kriterium für eine im Insolvenzplan anzugebende Gruppendifferenzierung sein.
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Drittsicherheiten sind kein Bestandteil der Insolvenzmasse, weshalb Rechte an Drittsicherheiten durch einen Insolvenzplan nicht gestaltet werden können. Die entsprechende Klarstellung, dass mit dem Plan kein Zugriff auf Drittrechte erfolgt, findet sich in § 254 Abs. 2 InsO. Die mittelbare Einbeziehung ist im Wege einer individuellen Regelung, d.h. mit Einverständnis des betroffenen Drittschuldners und des berechtigten Gläubigers dagegen möglich (womit keine mehrheitsgetragene Planentscheidung vorliegt, sondern eine nur zwischen den betroffenen Vertragsparteien wirkende vertragliche Vereinbarung). Kann so kein Konsens erzielt werden, musste bislang für eine Gruppensanierung nicht selten ein paralleles Insolvenzverfahren initiiert werden. Jetzt findet sich eine Ausnahmeregelung für den Dritteinbezug von Sicherheiten in § 217 Abs. 2 InsO, soweit es sich um eine Sicherheit handelt, die von einem Konzernunternehmen dem Gläubiger gestellt wird (vgl. Rz. 101).221 Die dem PSVaG mit dem SanInsFoG zugestandene eigene Pflichtgruppe ist eine solche, die aufgrund des unterschiedlichen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interesses zu bilden ist (vgl. Rz. 176) und nicht rechtlich unterscheidet. Dies gilt auch für die als Wahlgruppen ausgestaltete Arbeitnehmergruppe, die für Kleinanleger und geringfügig beteiligte Anteilsinhaber (§ 222 Abs. 3 InsO).
Maßgeblich für die Zuordnung zu einer gebildeten Gruppe sind die materiell-rechtlichen Regelungen der im/während des Insolvenzverfahren/s bestehenden Rechte und Forderungen, nicht hingegen bspw. die namentliche Aufnahme in einer Anlage (dies dient allein einer vereinfachten Information der Beteiligten), es sei denn, der gestaltende Teil des Insolvenzplans stellt über die Anlage eine Ausschließlichkeit her („…soweit Gläubiger in der Plananlage aufgeführt sind, die abschließend ist…“), der Stand der Insolvenztabelle, der die Teilnahme-/Teilhabeberechtigung der Gläubiger im Regelverfahren untereinander bewirkt, und auch nicht die Stimmrechtsfeststellung im Erörterungs- und Abstimmungstermin, die maßgeblich für die Rückstandsregelung bei streitigen und Ausfallforderungen gem. § 256 InsO ist (vgl. Rz. 345). Dieser Rechtsgedanke findet sich in § 254b InsO wieder, der die Planwirkungen abseits der Tabellenfunktion auf alle Beteiligten erstreckt.222 Verknüpft hingegen der Insolvenzplan seine gestaltende Wirkung, insbesondere die Planleistungen mit den Feststellungen der Insolvenztabelle, kann die materiell-rechtliche Begründung des Rechts oder der Forderung durch die Rechtskraftwirkung der Feststellung einer Forderung zur Tabelle gem. § 178 Abs. 3 InsO überlagert werden, soweit die Feststellung zur Tabelle nicht unlauter i.S.v. § 250 Ziff. 2 InsO herbeigeführt worden ist.223
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Damit wird auch ersichtlich, wer als Gruppenteilnehmer Planbetroffener sein kann und den Regelungen des Insolvenzplans, auch gegen seinen Willen, unterliegt: Gläubiger mit Absonderungsrechten, Gläubiger mit nicht nachrangigen und/oder nachrangigen Insolvenzforderungen sowie die am Schuldner beteiligten Personen mit ihren Anteils- und Mitgliedschaftsrechten. § 217 InsO ergänzt insoweit § 222 InsO klarstellend, als der Schuldner selbst Planbetroffener ist. Weil nunmehr auch gruppeninterne Drittsicherheiten in die Planregelungen einbezogen werden können, sind auch diese Dritten als Sicherheitensteller unmittelbar Planbetroffene. Die Planwirkungen können sich über § 254 InsO
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221 Zum systematischen Novum des Einbezugs von Drittsicherheiten Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 2. 222 OLG Schleswig v. 6.4.2017 – 11 U 96/16, ZInsO 2017, 1554, 1555, zur Wirkung der Plananlage im Zusammenhang mit der Gruppenbildung. 223 LG Berlin v. 8.2.2005 – 86 T 5/05, DZWiR 2005, 301 ff.: Im entschiedenen Fall (Senator Entertainment AG) ging es um komplexe Rechtsfragen des Eigenkapitalersatzrechtes. Die angemeldeten Forderungen sind, nachdem sie zunächst bestritten waren, nachträglich in Höhe des nachzuweisenden Ausfalls mit dem Rang des § 38 InsO festgestellt worden. Ein Verhalten wider Treu und Glauben lag nach den Feststellungen des Gerichts nicht vor. Durch die rangmäßige Feststellung wurde der Gläubiger einer Gruppe der nicht nachrangigen Gläubiger zugeordnet und nahm dort an der Abstimmung über den Plan sowie den Planleistungen teil.
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§ 3 Rz. 168 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung auch auf außerhalb des Konzerns stehende Dritte erstrecken, insbesondere Mitschuldner und Bürgen. Im Falle der Masseunzulänglichkeit gem. § 210a InsO bzw. bei Sozialplanansprüchen gem. § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO sind auch Masseforderungen den Planregelungen zugänglich. Neben diesen, gegen den Willen des Planbetroffenen aufgrund mehrheitsgetragener Gruppenentscheidung durchsetzbaren Plangestaltungen, können im Insolvenzplan ergänzend aufgrund individuell abgegebener Willenserklärung auch sonstige Beteiligte, bspw. Aussonderungsberechtigte oder Neugläubiger, in die Plankonzeption eingebunden werden, womit zugleich gem. § 254a InsO formwahrend die entsprechenden Regelungen getroffen werden.224 169
Hinweis: Im Bereich der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte hat der Planverfasser klar zu unterscheiden, um welche Art von Teilhabe es sich handelt: vermögensrechtliche Ansprüche oder mitgliedschaftliche Rechte.225 Anteilsinhaber können so mit ihrer Mitgliedschaft als Gesellschafter über § 225a InsO wie auch vermögensrechtlich als Insolvenzgläubiger i.S.d. §§ 224, 225 InsO in den Plan eingebunden werden. Die Differenzierung mag mitunter Schwierigkeiten bereiten. So haben Ansprüche auf Nachzahlung nicht geleisteter Vorzugsdividenden im Rang hinter den Ansprüchen der Gläubiger (§ 39 Abs. 1 Ziff. 5 InsO) zurückzutreten und gelten mangels gesonderter Planregelung gem. § 225 InsO als erlassen.226 Der BGH geht zwar von einem mitgliedschaftlichen Recht aus, das erst zu einem selbständigen Anspruch erstarkt, wenn ein Gewinnverwendungsbeschluss gefasst oder von einer Satzungsregelung (im vorliegenden Fall § 141 Abs. 3 AktG) Gebrauch gemacht werde. Nur der Inhaber eines selbständig übertragbaren Anspruchs wäre Insolvenzgläubiger. Im Wege der Rechtsfortbildung unter Berücksichtigung der Rangfolge in § 199 InsO qualifiziert der BGH jedoch die unselbständigen Forderungen der Aktionäre als im Rang nach § 39 Abs. 1 InsO zu behandelnde Ansprüche um.227 Die Entscheidung des BGH noch zur Rechtslage vor dem ESUG wird in die Überlegungen des Planverfassers zu § 225a InsO und den dort gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten einfließen müssen.
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Der Insolvenzplan kann Absonderungsrechte und Forderungen der Gläubiger abschließend regeln, soweit der Insolvenzbeschlag wirkt. Gibt der Insolvenzverwalter der Masse zugehöriges Vermögen frei, erlangt der Schuldner diesbezüglich seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis während des Verfahrens (und vor Rechtskraft des Insolvenzplans) zurück. Das freigegebene Vermögen kann den gestaltenden Regelungen des Insolvenzplans nicht mehr unterliegen, hierauf können Gläubiger, soweit sie entsprechende Rechtspositionen daran haben oder wiedererlangen, individuell und außerhalb des Insolvenzverfahrens zugreifen. Dies ist für etwaige Freigabeentscheidungen durch den Insolvenzverwalter zu berücksichtigen, insbesondere soweit für den Schuldner diese Vermögenswerte für die Umsetzung des Insolvenzplans benötigt werden. Allein der Umstand, dass der Schuldner darauf zugreifen kann, ist nicht ausreichend. Darauf lastende Rechtspositionen der Gläubiger müssen mittels Insolvenzplan oder individuell geregelt werden. Kommt eine individuelle Regelung nicht in Betracht, darf die Freigabeentscheidung nicht erfolgen, um die Planwirkungen weiter auf den Vermögenswert zu erstrecken. Droht der Insolvenzplan an der Freigabe zu scheitern, wird man dem Schuldner das Antragsrecht nach § 233 InsO in entsprechender Anwendung gewähren müssen.
224 Für den Neugläubiger, der seine Zustimmung zu den ihn betreffenden Regelungen mittels Anlage gem. § 230 Abs. 2 InsO dokumentiert, LG Düsseldorf v. 21.9.2015 – 25 T 404/15, ZIP 2015, 2182. 225 Unklar Schröder, ZInsO 2014, 2069, 2073 ff., die den vermögensrechtlichen Verteilungsansatz in § 199 Satz 2 InsO mit der Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 InsO verknüpft. Die Vermögensposition des Gesellschafters wird über eine Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 und Ziff. 5 InsO abgebildet, sein Mitgliedschaftsrecht hingegen über Ziff. 4. 226 BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, MDR 2010, 1215 = NZI 2010, 603 ff.; kritisch dazu Madaus, ZIP 2010, 1214 ff. Zur Vorinstanz OLG Düsseldorf v. 30.9.2009 – 6 U 166/08, ZInsO 2009, 2395 ff.; Hirte/ Mock, ZInsO 2009, 1129 ff.; Frank, GWR 2009, 455. 227 Die Argumentation des BGH (§ 199 InsO) kann nur außerhalb eines Planverfahrens überzeugen, da das Planverfahren gerade von der Vollbefriedigung der Gläubiger (und damit von der strengen Rangwahrung des § 199 InsO) abweichen will, soweit die Beteiligten im Rahmen mehrheitlicher Entscheidungen, ggf. über das Obstruktionsverbot von § 245 InsO erreicht, damit einverstanden sind.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 173 § 3 Hinweis: Weil nunmehr auch gruppeninterne Drittsicherheiten gem. § 217 Abs. 2 InsO mit dem Insolvenzplan geregelt werden können, wird man die Verwertungsaussetzung und Erlösverteilung nach § 233 InsO hierauf erstrecken müssen. Eine entsprechende Regelung findet sich in § 49 Abs. 3 StaRUG, einer Stabilisierungsanordnung des einen Restrukturierungsplan unterstützenden Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Das gesetzgeberische Ziel, auch gruppeninterne Drittsicherheiten Insolvenzplan befangen und eingriffsunterwerfend zu gestalten, wird ansonsten mit dieser Lücke kaum gewahrt werden können.228
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Ein Weiteres ist zu berücksichtigen: Unterliegt das Vermögen dem Insolvenzbeschlag, kann der grundsätzlich absonderungsberechtigte Gläubiger während des Verfahrens keine Rechte an den Vermögensgegenständen erwerben, § 91 InsO. Wird seine (Ausfall-)Forderung mittels Insolvenzplan geregelt, erlangt der Schuldner über § 227 InsO den Erlass seiner restlichen Verbindlichkeiten auch diesem Gläubiger gegenüber. Zwar besteht die dem Erlass unterliegende (Ausfall-)Forderung als Naturalobligation fort, sie ist aber vom Gläubiger nicht mehr durchsetzbar, weshalb er nach Beendigung des Insolvenzplanverfahrens aus seiner Rechtsposition nicht weiter gegen den Schuldner vorgehen kann. Anders ist dies im Falle der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters (s. Rz. 170) und soweit Mitschuldner oder Bürgen vorhanden sind, gegen die der Gläubiger aufgrund der speziellen Regelung in § 254 Abs. 2 InsO trotz der Qualifizierung als Naturalobligation vorgehen kann (s. hierzu auch Rz. 444).229
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Nur wenn die unterschiedliche Rechtsstellung auch unterschiedliche insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen nach sich zieht, können aus den rechtlichen Gruppen gem. § 222 Abs. 1 InsO weitere, im Einzelnen nicht vorgegebene (Wahl-)Gruppen gebildet werden, § 222 Abs. 2 InsO.230 Dies gilt auch dann, wenn nur ein Gläubiger der optional gebildeten Gruppe zugeordnet wird.231 Dem Planersteller wird damit Gestaltungsspielraum anhand insolvenzbezogener wirtschaftlicher Kriterien bzw. Be-
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228 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 233 Rz. 3. 229 Vgl. hierzu auch BGH v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, MDR 2013, 1314 = ZInsO 2013, 1246 ff., der die Wirkung des § 91 InsO auf das dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen vor und nach der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters aufzeigt. Münzel, ZInsO 2014, 761 ff., übersieht bei seinen Überlegungen zum Insolvenzplanverfahren die Umsetzung des Insolvenzplans mit der Erlasswirkung des § 227 InsO und die Wirkungen der Naturalobligation. Horstkotte, ZInsO 2014, 1297, 1308 beschreibt im Rahmen seiner Überlegungen einen anderen Fall: Die für ein Absonderungsrecht „vergessene Regelung“, was im Fall des § 91 InsO nicht gegeben ist (es besteht schon kein Absonderungsrecht). 230 Unzutreffend deshalb Heinze, ZVI 2006, 14, 15, der über die Privilegierung des Restschuldbefreiungsverfahrens in § 302 InsO für Forderungen aus unerlaubter Handlung und Geldstrafen über den Wortlaut des § 222 Abs. 2 InsO verpflichtend Untergruppen bilden will. Geldstrafen werden zudem gem. § 225 Abs. 3 InsO schon gar nicht erlassen, weshalb für sie auch keine nachrangige Gruppenbildung gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 3 InsO erfolgen kann. In diese Richtung auch Bähr, EWiR 2016, 85, 86, der aus der anzustellenden Vergleichsrechnung mit § 302 InsO für das Restschuldbefreiungsverfahren eine zwingend notwendige Gruppenbildung ableitet. Hingegen zutreffend auf das Sachargument abstellend, ein im Restschuldbefreiungsverfahren privilegierter Gläubiger kann, soweit man ihm eine abweichende Quotenzahlung gewähren will, eine Untergruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO begründen, AG Hannover v. 6.11.2015 – 908 I 1886/13 - 7, ZInsO 2015, 2385, 2387. In diese Richtung auch AG Köln v. 14.11.2017 – 73 IN 173/15, ZIP 2018, 1405 ff., das allerdings im umgekehrten Fall, der Plan sieht für einen solchen Gläubiger keinen Erlass gem. § 227 InsO vor, keine Anwendungsmöglichkeit des § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO sehen möchte. Aufgrund der Privilegierung gem. § 302 InsO sei die Ungleichbehandlung immanent, weshalb der Ausschluss von der Restschuldbefreiung keine solche wäre. Die Ungleichbehandlung, die Maßstab bspw. für das Obstruktionsverbot ist, bezieht sich immer auf die wirtschaftlichen Rahmendaten. Diese können ungleich sein über die Höhe der zugewiesenen Quote, wie umgekehrt im Anwendungsausschluss von § 227 InsO. § 302 InsO mag eine insolvenzbezogene wirtschaftliche Untergruppenbildung ermöglichen, eine wirtschaftliche Ungleichbehandlung wird allein dadurch aber noch nicht ausgeschlossen. 231 Hingerl, ZInsO 2007, 1337 ff.
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§ 3 Rz. 173 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung troffenheit gewährt.232 Ob, in welcher Zahl und mit welcher Abgrenzung Gruppen nach § 222 Abs. 2 InsO gebildet werden, obliegt ausschließlich der Entscheidung des Planverfassers.233 Die Gliederung kann nach materiellen oder rein formalen Interessen erfolgen, sie müssen jedoch insolvenzbezogen sein.234 Wird von der Möglichkeit einer solchen Wahlgruppenbildung Gebrauch gemacht, muss eine sachgerechte Abgrenzung vorgenommen werden. Die Kriterien für die Abgrenzung sind im Insolvenzplan anzugeben.235 Die Abgrenzungskriterien dürfen nicht rein floskelhaft und unbestimmt formuliert sein.236 174
Eine weitere Option zur Bildung von (Wahl-)Gruppen gibt § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO für Kleingläubiger und geringfügig beteiligte Anteilsinhaber vor.237 Nicht erforderlich ist, dass diese Gruppenangehörigen unterschiedliche wirtschaftliche Interessen zu anderen (Wahl-)Gruppenangehörigen gem. § 222 Abs. 2 InsO haben. Anknüpfungspunkt ist allein die Erfassung als Kleingläubiger oder geringfügig beteiligter Anteilsinhaber.238 Eine so gebildete Wahlgruppe soll der Verfahrensvereinfachung dienen. Zugleich ist die Eigenschaft, Kleingläubiger zu sein, anders als bei den Kleinanlegern, nicht an absoluten Zahlen, bezogen auf die Forderungshöhe, zu messen.239 Will der Planersteller über die Gruppenbildungsmöglichkeit für Kleingläubiger oder geringfügig beteiligte Anteilsinhaber gem. Abs. 3 weitere Untergruppierungen vornehmen, ist Maßstab der vorgehende Abs. 2 von § 222 InsO. Dort wird der Grundsatz differenzierter Behandlung im Bereich der Gruppenbildung formuliert: Liegen unterschiedliche insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen vor, können Untergruppen gebildet werden, wenn die Abgrenzungskriterien im Plan angegeben werden.240
232 Außerhalb der Insolvenzordnung wird dies bspw. in § 116 Ziff. 3 GenG klargestellt. Zu den Besonderheiten für die Genossenschaft vgl. auch Terbrack, ZInsO 2001, 1027 ff.; Beuthien/Titze, ZIP 2002, 1116 ff. 233 LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 725. 234 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, DZWiR 2015, 560, 562: Maßstab für die fakultative Gruppenbildung ist die insolvenzbezogene wirtschaftliche Betroffenheit. LG Bielefeld v. 20.1.2021 – 23 T 478/20, NZI 2021, 891 f.: rein ideelle Interessen sind nicht ausreichend. Zu weitgehend AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240, das aus der Gestaltungsfreiheit zur Gruppenbildung, die vom Planersteller im Falle der Nutzung zu begründen ist, ein grundsätzliches Differenzierungsverbot herauslesen und darüber hinaus für solche Untergruppen eine unterschiedliche Zuweisung von Rechten in Abgrenzung zu den Gruppen nach § 222 Abs. 1 InsO fordern will. 235 Von einer Angabe und Erläuterung kann nur abgesehen werden, wenn die Kriterien der Gruppenbildung auf der Hand liegen, so z.B. für Arbeitnehmer und die Bundesagentur für Arbeit oder öffentlich-rechtliche Forderungen des Fiskus und der Sozialversicherungsträger, BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 563. Der BGH lässt dem Planersteller freie Hand, ob die Ausführungen hierzu im darstellenden oder gestaltenden Teil erfolgen. 236 LG Mainz. v. 2.11.2015 – 8 T 182/15, EWiR 2016, 183 f. 237 Für Anteilsinhaber – im Gegensatz zu den Kleingläubigern – definiert das Gesetz die Geringfügigkeit mit einer Beteiligung am Haftkapital von weniger als einem Prozent oder weniger als 1.000 €. 238 Nicht erwähnt sind an dieser Stelle Mitgliedschaftsrechte. Für die Bildung einer Untergruppe im Bereich bspw. der Genossenschaft oder des Vereins muss deshalb auf § 222 Abs. 2 InsO zurückgegriffen werden. 239 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 473; AG Ludwigshafen v. 26.1.2021 – 3 a IN 139/19, NZI 2021, 329, 330: fixe betragsmäßige Kriterien sind regelmäßig ungeeignet. Maßgeblich hängt es von der Größe und Struktur des Verfahrens ab, weshalb in geeigneten Fällen – wie in einem Insolvenzplanverfahren über das Vermögen einer Genossenschaft geschehen – auch eine Kleingläubigergruppe mit Forderungen von jeweils bis zu 40.000 € gebildet werden kann; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 222 Rz. 3 f.; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 222 Rz. 134. Bei den Kleinanlegern wird der nicht vorhandene unternehmerische Einfluss im Bereich von Anteilsinhabern im Streubesitz, wie es bei börsennotierten Aktiengesellschaften öfter anzutreffen ist, hervorgehoben, der eine besondere Behandlung ermöglichen soll; hierfür hat der Gesetzgeber eine Größenordnung vorgegeben, BT-Drucks. 17/ 5712 v. 4.5.2011, 46. 240 Vgl. hierzu auch LG Bielefeld v. 20.1.2021 – 23 T 478/20, NZI 2021, 891 f., sowie LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, NZI 2013, 646 f., das die Bildung mehrerer Kleingläubigergruppen bei voller
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 176 § 3
Für Arbeitnehmer soll aufgrund der besonderen Betroffenheit gem. § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO eine eigene Gruppe gebildet werden,241 wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind.242 Mit Lohnrückständen aus den letzten drei Monaten vor der Verfahrenseröffnung sind die Arbeitnehmer regelmäßig keine Insolvenzgläubiger, weil ihre Forderungen über die Insolvenzgeldversicherung auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen, §§ 385 ff., 187 ff. SGB III.243 Vergleichbar den Kleingläubigern ist auch hier nicht allein mit absoluten Zahlen der Begriff der unerheblichen Forderung zu füllen. Vielmehr ist nach subjektiven Kriterien aus Sicht der Arbeitnehmer gemessen am Monatsverdienst festzustellen, ob deren Forderungen erheblich sind.244 Die aufgrund des Insolvenzausfallgeldes bezogen auf die Gesamtverbindlichkeiten regelmäßig substantiell nicht ins Gewicht fallenden Arbeitnehmerforderungen (bspw. aus Zeitkontenrückständen, Urlaubsabfindungsansprüchen, vorinsolvenzlichen Sozial-/Interessenausgleichsplänen) rechtfertigen deshalb aufgrund der Arbeitsplatzbetroffenheit die Bildung von Arbeitnehmergruppen. Über die Grundsatzregelung in § 222 Abs. 2 InsO kann dies auch in unterschiedliche Untergruppen erfolgen, soweit unterschiedliche insolvenzbezogene wirtschaftliche Kriterien vorliegen und diese im Plan angegeben werden.245 Mindestbeträge bezogen auf das Jahreseinkommen sind für diese Gruppenbildung nicht erforderlich246 (zu den arbeitsrechtlichen Auswirkungen der Insolvenz auf Vergütungsansprüche s. § 15 Rz. 374 ff.).
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Für den Träger der Insolvenzsicherung wird über § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG n.F. dem Planersteller aufgrund insolvenzbezogener wirtschaftlicher Kriterien die Pflicht auferlegt, eine besondere Gruppe zu bilden, soweit es sich um einen Insolvenzplan handelt, der die Fortführung des Unternehmens oder eines Betriebes vorsieht. Über dies kann das Gruppenmitglied selbst im Wege der außerhalb der Insolvenzordnung verankerten Sonderregelung den Planinhalt festlegen, in dem auf eine gesonderte Gruppenbildung verzichtet werden kann.247
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Befriedigung der Gruppenmitglieder im Rahmen von Abs. 3 zulässt und zugleich klarstellt, dass § 222 Abs. 2 InsO als Grundsatzregelung mit der wirtschaftlichen Interessenlage unter Angabe sachgerechter Abgrenzungskriterien eine Untergruppenbildung im Rahmen von § 222 Abs. 3 InsO ermöglicht. Vgl. hierzu auch die Anmerkungen von Lojowsky, NZI 2013, 647 f., und Frind, EWiR 2013, 661 f. Die volle Befriedigung der Kleingläubiger ist indes nicht für eine Gruppenbildung erforderlich, AG Ludwigshafen v. 26.1.2021 – 3 a IN 139/19, NZI 2021, 329 ff. Eine Pflicht zur Bildung einer Gruppe für Arbeitnehmer besteht nicht. Ob in eine solche Gruppe auch freie Mitarbeiter eingruppiert werden können, ist strittig: ablehnend Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 222 Rz. 32; a.A. Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz, Rz. 205; Masseforderungen können grds. mittels Insolvenzplan nicht reguliert werden, weshalb Arbeitnehmerforderungen nach § 55 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2 nicht plangeregelt werden können, Jaffé in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 221 Rz. 9 f.; Haas in HK/InsO, § 222 Rz. 17; eine Ausnahme gilt für den Fall der Masseunzulänglichkeit (§ 210a InsO) oder für Sozialplanansprüche nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 8 ff. und § 222 Rz. 13; unzutreffend der von Hingerl, ZInsO 2004, 232 f., geschilderte Fall: Das Insolvenzgericht hätte den Insolvenzplan im Rahmen der Vorprüfung gem. § 231 InsO beanstanden müssen. Die rechtskräftige Planbestätigung und die Akzeptanz der Arbeitnehmer durch deren Untätigkeit heilen allerdings diesen Mangel. Kind, InVo 1998, 57, 60 f. So auch LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 725: Lohnrückstände von einem bis sieben Monate können bereits erheblich sein. Hingegen will Jungmann, KTS 2008, 210, 218 ff., in seiner Anmerkung zum Beschluss des LG Mühlhausen mit einer doppelten Voraussetzung (bezogen auf den individuellen Jahresverdienst und auf die Gesamtforderungen der Arbeitnehmerschaft) zur Bildung einer Arbeitnehmergruppe nach § 222 Abs. 3 InsO verpflichten, ansonsten die Bildung der Arbeitnehmergruppe mit Abs. 2 ermöglichen. Ebenso Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 222 Rz. 24. So aber Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 222 Rz. 115. Ausführlich zu den Regelungen, die den PSVaG betreffen: Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 222 Rz. 157 ff., und die Ausführungen unter Rz. 185.
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§ 3 Rz. 177 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 177
Hinweis: Mit dem SanInsFoG soll der Träger der Insolvenzsicherung davor geschützt werden, dass der Schuldner im Zusammenwirken mit anderen Gläubigern die Plangestaltung gezielt auf eine Überstimmung des Trägers der Insolvenzsicherung hin ausrichtet. Damit verlässt die Insolvenzordnung erneut und mehr als deutlich den Ansatz des InsO-Gesetzgebers, der keine Privilegierung einzelner Gläubiger wollte und die Überstimmung einzelner Gläubiger innerhalb einer Gruppe Sinn und Zweck des Pareto Optimum Gedankens ist. Allein mit der Gruppenbildung wird in die Rechtsposition des PSVaG nicht (schutzbedürftig) eingegriffen. Wenn man aber berücksichtigt, welche Herausforderungen § 245 InsO mit sich bringen, weiß man, welche Position der PSVaG jetzt auch gesetzlich geregelt innehat. Zugegebenermaßen wurde dies im Verhandlungswege mit dem PSVaG schon vor dem SanInsFoG faktisch umgesetzt, auch wenn das BetrAVG bislang von einer „Kann-Gruppe“ ausgegangen ist und die Entlastung des PSVaG nur für den Fall der nachhaltigen Besserung umgesetzt werden sollte – sie wurde fast immer gewährt.
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Eine wirtschaftlich begründete Untergruppenbildung kann nicht allein mit dem Charakter als COVID-19-Stützungsmaßnahme begründet werden, § 7 COVInsAG. Mit der Klarstellung im COVID-19Insolvenzaussetzungsgesetz baut der Gesetzgeber vor, dass eine Untergruppenbildung allein mit der Betroffenheit des Schulners begründet wird. Allein insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen und Maßstäbe, die beim betroffenen Gläubiger, nicht beim Schuldner, zu suchen sind, sollen eine solche Untergruppenbildung ermöglichen. ff) Der modifizierte Gleichbehandlungsgrundsatz
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Die Insolvenzordnung mit ihrem wirtschaftlich orientierten Ansatz marktkonformer Insolvenzabwicklung übernimmt den Gleichbehandlungsgrundsatz des bisherigen Konkursrechts, soweit in der Regelabwicklung das (nicht ausreichende) Schuldnervermögen entsprechend den Forderungsquoten proportional gleich an die Gläubiger verteilt wird. Um wirtschaftlich unterschiedliche Sachverhalte auch differenziert regeln zu können, lässt dagegen das freie Instrument der Masseverwertung im Planverfahren zu, wegen des Insolvenzereignisses (insolvenzbezogen) wirtschaftlich unterschiedlich betroffene Gläubigergruppen zu bilden, die zielgerichtet gerade unterschiedlich behandelt werden können (vgl. Rz. 14). Lediglich innerhalb jeder einzelnen Gruppe ist die Gleichbehandlung der Beteiligten gem. § 226 Abs. 1 InsO wieder postuliert. Damit ist das „par conditio-Konzept“ im Planverfahren gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren eingeschränkt auch für Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen.248
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Die unzulässige unterschiedliche Behandlung der Beteiligten einer Gruppe ist Ausdruck des bereits im alten Vergleichsrecht bekannten unlauteren Stimmenkaufs.249 Diesen Ansatz für das Insolvenzplanverfahren fortführend, wird, soweit der Insolvenzplan zustande kommt, ein Forderungskauf i.S.v. § 226 Abs. 3 InsO für nichtig erklärt. Dies gilt allerdings nur dann, wenn ein Insolvenzgläubiger oder Dritter einzelnen anderen Insolvenzgläubigern deren Forderungen zu einem Preis abkauft, der die in dem Insolvenzplan vorgesehene Quote übersteigt, um mit den so erlangten Stimmen die Annahme des Plans zu bewirken. Der im Vergleich zur Planquote erhöhte Kaufpreis ist ein besonderer Vorteil, der die beabsichtigte Herbeiführung der Planannahme unlauter i.S.v. § 250 Ziff. 2 InsO machen kann, unabhängig davon, ob der Forderungskauf unentdeckt durchgeführt wird oder offen.250
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Hinweis: Die den Rechtsgedanken des „unlauteren Stimmenkaufs“ fortführende Entscheidung des BGH gewinnt nicht nur vor dem Hintergrund des Handels mit „non-performing loans“ an Bedeutung. Das Insolvenzplanverfahren orientiert sich ausschließlich am wirtschaftlichen Wert der Rechtspositionen beteiligter und ihre Rechte im Wege mehrheitsgetragener Entscheidungen wahrnehmender Gläubiger. Damit liegt ein vermeintlich unlauterer Stimmenkauf dann nicht vor, wenn entsprechende „Sonderleistungen“ offengelegt werden
248 Das Gesetz spricht vom Beteiligten, nicht vom Gläubiger. 249 § 123 VerglO a.F.; vgl. hierzu bspw. Böhle-Stammschräder, Vergleichsordnung, § 123 Rz. 1 ff. 250 BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, MDR 2005, 829 = DZWiR 2005, 255 ff.
186 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 182 § 3 und den (anderen) Gläubigern die Möglichkeit gegeben wird, über diese Mehrleistung und die Annahme des Insolvenzplans zu entscheiden.251 Beim Forderungskauf ist nicht allein die „Stimmenmacht“ des Aufkäufers ausschlaggebend. Man betrachte nur den Erwerb der Forderungen eines Gläubigers: War dieser schon „stimmenmächtig“, kann der Erwerb, sofern die Mehrleistung im Plan offengelegt wird, nicht disqualifizieren.252 Enthält sich der „stimmenmächtige“ Aufkäufer der Stimmabgabe, bewirkt der Forderungskauf schon nicht die Planannahme. Insoweit muss das Insolvenzgericht auch die Abstimmung durchführen, zumindest solange ein anderer („redlicher“) Gläubiger im Termin anwesend ist (vgl. Rz. 362 ff.). Stimmt der Aufkäufer im Termin ab, sind maßgeblich die im Verfahren möglichen Stimmverhältnisse. Die konkret im Termin abgegebenen Stimmen der anwesenden/ ordnungsgemäß vertretenen Gläubiger oder im Wege der schriftlichen Stimmabgabe gem. § 241 InsO tatsächlich festgestellten Stimmen sind ausschließlich für die Mehrheitsentscheidung gemäß der §§ 243 ff. InsO von Bedeutung, nicht aber für die Frage, ob unlauteres Verhalten vorliegt (bekanntlich nehmen nur wenige der berechtigten Gläubiger ihre Rechte wahr − die Untätigen bedürfen keines übermäßigen Schutzes). Unschädlich ist ein Forderungskauf auch, der erfolgt, noch bevor abschließend geklärt ist, ob das Unternehmen überhaupt in die Insolvenz fällt oder welche Art der Abwicklung in der Insolvenz (Regelverfahren oder Planverfahren) erfolgen wird. Wird, um die Insolvenz zu vermeiden, allen Gläubigern im Vorfeld eine „erhöhte Quote“ gegen Abtretung der Forderung angeboten, kann beim Scheitern des außergerichtlichen Vergleichs dies im Planverfahren nicht eingewandt werden. In allen Fällen des nicht unlauteren Verhaltens kann zudem eine gesonderte Gruppe für den Aufkäufer gem. § 222 Abs. 2 InsO gebildet werden. Die übrigen, nicht bevorteilten Gläubiger werden dem Ansatz des Planverfahrens wirtschaftlich sinnvoller Lösungen folgend, in diesen Konstellationen ausreichend über § 245 und § 251 InsO geschützt. Es bedarf insoweit keiner Korrektur des Abstimmungs-/Planergebnisses durch die Versagung der Planbestätigung.253
Jede modifizierende, gegenüber der Regelabwicklung abweichende Maßnahme in plangemäßer Form wird im Ausgangspunkt von der Grundnorm des § 1 InsO getragen, weshalb auch Forderungskäufe grds. weiter zulässig sind.254 Unzulässig ist jedoch, dass Gläubiger nicht wissen, welche Motive und welche finanziellen Zusagen und Vorteile einen Gläubiger ggf. zur Zustimmung veranlassen.255 Eine vergleichbare Problematik tut sich mit § 254 Abs. 3 InsO auf, der „Überzahlungen“ als mit Rechtsgrund geleistet und damit nicht rückforderbar stellt (vgl. Rz. 444). Damit ist eine nicht klagbare Absichtserklärung des Schuldners, über den Plan hinausgehende Zahlungen zu leisten, zulässig. Ist sie aber Überzeugungsargument für eine Gruppe von Gläubigern, muss dies offengelegt werden, weil die anderen Gläubiger gleichfalls wissen müssen, dass ihnen ggf. solche Zusagen nicht gemacht werden.256
251 So auch BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, MDR 2005, 829 = DZWiR 2005, 255, 257, unter Verweis auf die Gesetzesbegründung, ohne sich näher damit auseinander zu setzen. Planoffengelegte Forderungskäufe sind weiter denkbar, so Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 250 Rz. 8. 252 BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, MDR 2005, 829 = DZWiR 2005, 255, 257, spricht von „Veränderung zu seinen Gunsten“. 253 Vgl. zum Ganzen auch Specovius/Hirte in Kind/Kießner/Frank, FS Eberhard Braun, 2007, S. 239, 247 ff. 254 BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, MDR 2005, 829 = DZWiR 2005, 255 ff. Der entschiedene Fall war „offensichtlich“ (entsprechend dem Rechtsgedanken des § 231 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 InsO), was aus den Leitsätzen und der Entscheidungsbegründung nicht ohne Weiteres hervorgeht. 255 Zur Offenlegung Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 226 Rz. 9 ff. Vgl. hierzu auch AG Köln v. 14.11.2017 – 73 IN 173/15, ZIP 2018, 1405, 1406 f., mit dem Hinweis der Möglichkeit bei Offenlegung mit Gläubigern im Nachgang über weitere Leistungen, die der Plan anderen gleichzustellenden Gläubigern nicht gewährt, zu verhandeln. Zur Frage der von AG Köln angenommenen Privilegierung von Forderungen, die gem. § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind, vgl. auch Rz. 173. 256 Vgl. hierzu auch Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 226 Rz. 9 ff.; so auch Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 226 Rz. 8; Haas in HK/InsO, § 226 Rz. 4; Rattunde in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 226 Rz. 6.
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§ 3 Rz. 183 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 183
Soll von der Gleichbehandlung der Gläubiger innerhalb einer Gruppe abgewichen werden, muss der jeweils betroffene Gläubiger seiner Schlechterstellung schriftlich zustimmen. Die entsprechende Erklärung ist dem Insolvenzplan als Anlage beizufügen, § 226 Abs. 2 InsO.
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Hinweis: Erfolgt ohne entsprechendes Einvernehmen (formal) eine quotale Ungleichbehandlung, begründet dies allein noch keinen Verstoß gegen § 226 Abs. 2 InsO. Entscheidend ist, ob eine materielle Ungleichbehandlung vorliegt, die verneint werden muss, soweit Drittansprüche/-sicherheiten vorhanden sind, die eine nur formal quotale Ungleichbehandlung materiell gesehen ausgleichen. § 254 Abs. 2 InsO stellt dazu korrespondierend fest, dass Drittansprüche/-sicherheiten trotz abweichender Planregelung einer den Drittansprüchen/-sicherheiten gleich lautenden bzw. zugrunde liegenden Forderung unberührt bleiben. Für den PSVaG sind die Regelungen in § 7 Abs. 4 BetrAVG zu berücksichtigen, die als lex specialis keine Ungleichbehandlung i.S.v. § 226 Abs. 2 InsO darstellen (vgl. Rz. 200). Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, den Beteiligten einer Gruppe ein Wahlrecht anzubieten, soweit dieses Wahlrecht jedem Gruppenmitglied zusteht. So kann bspw. eine sofort zu leistende Barabfindung denjenigen angeboten werden, die das „Risiko“ der Fortführung nicht mittragen wollen, während denjenigen, die für die Fortführungslösung plädieren, eine andere Leistung zugestanden wird. Eine solche Regelung kann auch mit sich bringen, den Erlass von den restlichen Verbindlichkeiten gem. § 227 InsO für denjenigen, der von der sofortigen oder auch einer niedrigeren Quote Abstand nimmt und das Risiko der Fortführung tragen will, dem späteren Verhandlungswege zu überlassen oder auch gänzlich auszuschließen. Dieser Ansatz gilt auch für das Obstruktionsverbot gem. § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3, Abs. 3 Ziff. 2 InsO, auch dort begründen Wahlrechte zugunsten gleichrangig gestellter Beteiligter in unterschiedlichen Gruppen keinen Verstoß. Sie müssen dann nur allen, entweder in einer Gruppe oder – soweit das Obstruktionsverbot relevant wird – über die Gruppen gleichrangig zu behandelnder Gläubiger hinweg gewährt werden.257 Nur derjenige, der den Insolvenzplan generell ablehnt, muss negativ abstimmen.258
gg) Der PSVaG als besonderer Gläubiger beim Eigensanierungsplan 185
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückt der PSVaG259 in die Gläubigerposition ein, soweit er in Folge des gesetzlichen Insolvenzschutzes der betrieblichen Altersversorgung für die laufenden Pensionsverpflichtungen und die unverfallbaren Anwartschaften anstelle des Schuldners einzustehen hat.260 Künftig zu zahlende Betriebsrenten werden mittels versicherungsmathematischer Gutachten barwertig ermittelt und vom PSVaG zur Insolvenztabelle angemeldet. Regelmäßig stehen dem PSVaG keine (umfänglich werthaltigen) Sicherungsrechte zu, so dass er am Insolvenzverfahren (auch) als nicht nachrangiger Gläubiger teilnimmt.261 Für die nicht insolvenzgeschützten (Teile der) betrieblichen Altersversorgung erfolgt kein Gläubigerwechsel. Die Berechtigten treten unmittelbar als Gläubiger im Verfahren auf. Dies ist bspw. der Fall, wenn die gesicherte monatliche Höchstgrenze gem. § 7 Abs. 3 BetrAVG überschritten wird oder es um Versorgungszusagen bzw. Unternehmen geht, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 1 bzw. 17 BetrAVG unterliegen.262 257 A.A. AG Köln v. 14.11.2017 – 73 IN 173/15, ZIP 2018, 1405 ff., das die Privilegierung über § 302 InsO, die im Insolvenzplanverfahren gerade keine Anwendung findet, als legitimierendes Element im Rahmen der Prüfung des Obstruktionsverbots für eine Ungleichbehandlung in unterschiedlichen Gruppen sieht. 258 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 226 Rz. 8. 259 PSVaG = Pensions-Sicherungs-Verein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, Köln. 260 Die erst mit der Verfahrenseröffnung erlangte Gläubigereigenschaft berücksichtigt der Gesetzgeber bspw. auch an anderer Stelle, wenn er vorgreiflich in § 21 Abs. 2 Ziff. 1a InsO a.E. regelt, dass zu Mitgliedern des (vorläufigen; Ergänzung des Verfassers) Gläubigerausschusses (können) auch Personen bestellt werden können, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden. 261 Im Falle der Einstandspflicht gehen aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG dem Versorgungsberechtigten zustehende Sicherungsrechte auf den PSVaG über. 262 Die Notwendigkeit, Betriebsrentensachverhalte nicht nur auf den PSVaG zu beschränken, skizziert m.w.N. Bremer, DB 2011, 875.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 189 § 3
Sieht der Insolvenzplan die Liquidation des Unternehmens vor, worunter auch die übertragende Sanierung zu verstehen ist, ergeben sich regelmäßig keine Besonderheiten für die Rechtsstellung des PSVaG. Soll über den Insolvenzplan die Fortführung des Unternehmens im Kleid des bisherigen Rechtsträgers umgesetzt werden, gibt das BetrAVG Regelungen für die Einstandspflicht, Gruppenbildung und Wiederauflebensklauseln vor. Die besonderen Regelungen finden auch Anwendung, wenn nur ein Teil des bisherigen Unternehmens bei gleichzeitiger Liquidation der restlichen Teile mittels Insolvenzplan fortgeführt wird.263
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Grund und Höhe der Einstandspflicht des PSVaG richten sich im Regelverfahren insbesondere nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG. Um den Leistungsumfang für den PSVaG bei einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan zu vermindern, können die Versorgungspflichten auf den Arbeitgeber bzw. den von ihm eingeschalteten sonstigen Träger der Versorgung rückübertragen werden, soweit eine entsprechende Regelung im Insolvenzplan vorgesehen ist, § 7 Abs. 4 Sätze 2 und 3 BetrAVG (KannRegelung).264 Eine solche Rechtsgestaltung „kann“ im Insolvenzplan vorgesehen werden, womit kein Anspruch des PSVaG oder anders gewendet keine Pflicht des Planverfassers bzw. des schuldnerischen Unternehmens besteht die Rückübertragung vorzunehmen.265 Der Planverfasser ist, was Art und Weise wie auch den Umfang der Rückübertragung betrifft, frei zu gestalten.
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Davon zu trennen ist die in § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG geregelte Besserungsklausel, die aufgenommen werden „soll“, um bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners die durch den Insolvenzfall entstandenen Versorgungspflichten des PSVaG zu übernehmen. Die Gemeinschaft der Arbeitgeber, die über Umlagebeiträge die Insolvenzsicherung über den PSVaG finanziert, soll nicht auch noch künftige Versorgungsleistungen der Betriebsrentner des Schuldners übernehmen, wenn sich die wirtschaftliche Situation des Schuldners so verbessert hat, dass er der ursprünglich zugesagten Rentenverpflichtung wieder nachkommen kann. Die Beteiligten werden angehalten, in einem Eigensanierungsplan das Erlöschen der Einstandspflicht des PSVaG zu vereinbaren. Vorgegeben wird, die Versorgungspflichten vom PSVaG auf den Arbeitgeber durch Schuldnerwechsel mit schuldbefreiender Wirkung zugunsten des PSVaG zu übertragen. Es soll primär kein geldwerter Ausgleich des Schuldners an den PSVaG erfolgen. Allerdings können die Umstände des Einzelfalles jede abweichende Regelung rechtfertigen, da nur so dem Anliegen des Gesetzgebers nach Flexibiliät ausreichend Rechnung getragen werden kann.266
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Die Formulierung als Soll-Vorschrift zwingt den Planverfasser, sich mit der „(Ver-)Besserung“ der Situation des PSVaG auseinander zu setzen, mehr aber auch nicht.267 Der Planverfasser muss folglich die entsprechende Befassung dokumentieren bzw. eine entsprechende Erläuterung im Plan aufnehmen und/oder eine Besserungsklausel formulieren.268
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263 Flitsch/Chardon, DZWiR 2004, 485, 486. Vgl. zu weiteren Konstellationen, bspw. dem Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit und der Anwendbarkeit des BetrAVG mit seinen besonderen Planregelungen im Fortführungsfall, Rieger, NZI 2013, 671, 673. 264 Die verschiedenen Möglichkeiten zur Fortführung betrieblicher Altersversorgungen durch den Arbeitgeber mittels Insolvenzplan beschreibt Bremer, DB 2011, 875 ff. 265 Streng genommen ist dies keine Regelung, die ausschließlich für den Eigensanierungsplan gilt. Sie ist aber nur im Zusammenhang mit der Fortführung des Unternehmens sinnvoll einsetzbar. 266 Uhlenbruck, NZI 2020, 878 ff., erläutert § 7 Abs. 4 BetrAVG näher. 267 In diese Richtung Steinmeyer in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 7 BetrAVG Rz. 58. Unzutreffend Eisenbeis/Mues, Arbeitsrecht in der Insolvenz, Rz. 726, die zwingend eine Besserungsklausel fordern, ansonsten den Insolvenzplan an § 231 Abs. 1 Ziff. 1 InsO scheitern lassen wollen: Der gesetzlich vorgegebene Inhalt des Plans werde nicht beachtet. Den Charakter als „nur“ Soll-Vorschrift dagegen hervorhebend Grub, DZWiR 2000, 223, 228. Wie hier auch Flitsch/Chardon, DZWiR 2004, 485, 487, Holthusen, NZI 2021, 705 ff. 268 Zutreffend Rieger, NZI 2013, 671, 674 mit dem Hinweis, dass allein auf den PSVaG übergehende Sicherungsrechte keine Besserung in diesem Sinne darstellen.
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§ 3 Rz. 190 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 190
Wie schon zum Insolvenzplan gibt der Gesetzgeber konsequenterweise auch für die Besserungsklausel den Beteiligten Flexibilität an die Hand, wenngleich er als primäres Ziel die Rückübertragung in Gänze oder in Teilen formuliert. Es ist deshalb weder die Leistungsübernahme durch den Schuldner erforderlich, noch muss diese zeitlich unbefristet erfolgen. Vor diesem Hintergrund können auch Abgeltungsregelungen als „Besserungsklausel“ gestaltet werden, indem eine entsprechende Kapitalisierung der angedachten Leistungsübernahme erfolgt. Entscheidend ist auch, ob ein Volleintritt des PSVaG erfolgt, eine zeitlich unbefristete Aufteilung der Versorgungsverpflichtung vom PSVaG übernommen wird oder nur eine zeitlich befristete Übernahme von Versorgungsverpflichtungen erfolgt. Letztlich liegt in jeder individuell mit dem PSVaG abgestimmten Regelung, die Bestandteil des Planes wird, die flexible Handhabung, die der Gesetzgeber fordert.
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Welche Besserung im Insolvenzplan formuliert werden kann, hängt von den konkreten Umständen ab, wie sie sich mit der rechtskräftigen Planbestätigung künftig darstellen werden. Um spätere Unstimmigkeiten zu vermeiden, muss eine Besserungsklausel im gestaltenden Teil des Insolvenzplans mindestens enthalten, was unter der wirtschaftlichen Lage und einer nachhaltigen Besserung derselben verstanden wird269 (womit mehr als die bloße Insolvenzüberwindung mittels Insolvenzplan zur Eigensanierung angesprochen wird) und es muss klar sein, ob der Arbeitgeber anteilig oder zeitlich befristet Verpflichtungen zu übernehmen hat.
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Hinweis: Für einen Eigensanierungsplan ergeben sich folglich mehrere Varianten, die Versorgungsverpflichtung zu regeln: Der Volleintritt des PSVaG als gesetzlicher Grundfall des Regelverfahrens wird auch im Planverfahren beibehalten (§ 7 Abs. 1 BetrAVG), die Aufteilung der Versorgungspflichten wird quotal, personenbezogen und/oder zeitbezogen zwischen dem PSVaG und dem Unternehmen als Möglichkeit der Plangestaltung vorgenommen (§ 7 Abs. 4, Sätze 2 und 3 BetrAVG), es erfolgt die Aufnahme einer Besserungsklausel (§ 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG), oder jede Art von flexibler Handhabung durch Kombination der verschiedenen Handlungsalternativen wird im Plan geregelt.270 Denkbar ist auch, dass sich der PSVaG „als Gegenleistung“ einer ihn entlastenden Versorgungsrückübernahme im Verhältnis zu anderen Gläubigern schlechter behandeln lässt oder dass er gänzlich auf eine Quotenzahlung als Planleistung an sich verzichtet. Zunehmend wird vom PSVaG auch die Sicherstellung der vom Unternehmen zugesagten und rückzunehmenden Versorgungspflichten nachgefragt. Kann vom Unternehmen keine entsprechende Sicherheit geleistet werden, werden Beiträge von Dritten (bspw. Gesellschaftern) erwartet. An mangelnder Sicherung kann der Plan jedoch nicht scheitern, eine entsprechende gesetzliche Regelung fehlt.
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Weicht der Planverfasser hiervon ab, weil er bspw. keine Besserungsklausel aufnimmt oder eine Abgeltung der Leistungspflicht des PSVaG ohne Rückübertragung vornehmen möchte, muss der Insolvenzplan eine entsprechende Erläuterung im darstellenden Teil aufnehmen.271
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Hinweis: Um zu verdeutlichen, was unter einer Besserungsklausel unter Berücksichtigung des § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG auch verstanden wird, mag nachfolgende, beispielhafte, einfache Formulierung dienen.272 Die zum Insolvenzstichtag unverfallbaren Anwartschaften werden vom Schuldner nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans und Verfahrensaufhebung wieder auf Dauer übernommen. Damit besteht keine
269 So auch Flitsch/Chardon, DZWiR 2004, 485, 488, die zusätzlich erwägen, dem PSVaG ein Einsichtsrecht in die zukünftigen Jahresabschlüsse zu gewähren, um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens beurteilen zu können. 270 Die Gesetzesbegründung spricht von „flexibler Ausgestaltung im Vergleich zum geltenden (alten) Recht“, Begründung RegE EG, Art. 94 (jetzt 91), zu Nr. 2 (§ 7), Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 784. 271 Vom Ansatz her auch Grub, DZWiR 2000, 223, 228, Holthusen, NZI 2021, 705 ff. 272 In der Praxis haben sich klare und einfach gehaltene Bedingungen als mit dem PSVaG verhandelbar herausgestellt, wie diese auch von den übrigen Beteiligten mitgetragen werden. Ein weiteres Formulierungsbeispiel gibt Blank, ZInsO 2008, 412, 414.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 198 § 3 Eintrittspflicht des PSVaG für die betriebliche Altersversorgung des betroffenen Personenkreises im Rahmen der Insolvenz. Demzufolge erhält der PSVaG hierauf auch keine Quotenzahlung (Besserungsklausel gem. § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG).
Für die übrigen Gläubiger gilt es zu erkennen, dass vom Gesetzgeber dem PSVaG eine besondere Rechtsstellung zukommen soll, ohne die noch zu Zeiten der Konkursordnung geltenden Vorrechte zu begründen. Soweit es wirtschaftlich tragfähig ist, soll künftig der PSVaG entlastet werden. Dies darf umgekehrt aber nicht dazu führen, dass nun die übrigen Gläubiger allesamt eine Besserungsklausel für sich in Anspruch nehmen wollen, was vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt war. Kann der Planverfasser dies den übrigen Gläubigern nicht vermitteln, werden diese gegen den Plan stimmen.273 Die mit dem SanInsFoG eingeführte Pflichtgruppe für den PSVaG aufgrund insolvenzbezogener wirtschaftlicher Kriterien gem. § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG n.F. entlastet hierbei nicht. Damit werden die Gruppenbildung und letztlich das Obstruktionsverbot gem. § 245 InsO zum Schlüssel des Planerfolgs (vgl. Rz. 162). Eine Besserungsklausel für die übrigen Gläubiger kann sich nur auf § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO gründen und damit für die überstimmten Gläubigergruppen die Rechtsposition schaffen, um einen Plan ohne Besserungsklausel zu verhindern, wenn dort formuliert ist, dass weder der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält, bevor der Gläubiger zu 100 % befriedigt ist oder der Wert durch Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichen ist (wozu auch die Mitwirkung an der Fortführung des Unternehmens zählen kann). Zum Gleichbehandlungsgrundsatz in den §§ 226 und 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO vgl. Rz. 200.
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Enthält der Insolvenzplan keine Besserungsklausel zugunsten des PSVaG, ohne dass dies durch besondere Umstände gerechtfertigt ist, hat das Insolvenzgericht den Insolvenzplan von Amts wegen gem. § 231 Abs. 1 Ziff. 1 InsO zurückzuweisen (zum Vorprüfungsverfahren und dem beschränkten Prüfungsrahmen des Insolvenzgerichts vgl. Rz. 309 ff.).274
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Ist dagegen im Insolvenzplan eine (wenn auch nach dem Dafürhalten einzelner ungenügende) Besserungsklausel bzw. die entsprechende Erläuterung zum Sachverhalt, warum keine Rückübertragung erfolgt, aufgenommen, darf das Insolvenzgericht den Insolvenzplan nicht zurückweisen. Das Insolvenzgericht darf im Vorprüfungsverfahren dem Planersteller faktisch keine Änderungen des Insolvenzplans vorgeben, um die eigene Sach- wie Rechtsauffassung oder die des PSVaG dem Gläubigervotum aus der Abstimmung über den Plan vorgreifend durchzusetzen. Der PSVaG muss in diesem Fall den Plan im Erörterungs- und Abstimmungstermin ablehnen und ist auf den Rechtsmittelweg zu verweisen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es keine vorrangigen Rechte des PSVaG im Insolvenzverfahren gibt, der Gesetzgeber vielmehr nur die Möglichkeit schaffen wollte, die Einstandspflicht des PSVaG der wirtschaftlichen Situation des gesundeten Unternehmens anzupassen. Wie dies geschieht, hat er ausdrücklich offengelassen und es den Beteiligten (Planverfasser, Schuldner, PSVaG sowie den anderen Beteiligten) zur Verhandlung und Abstimmung überlassen. Dies ist keine Rechtsfrage, sondern Frage der wirtschaftlichen Rahmendaten aus der Planrechnung (vgl. Rz. 128 ff.) für das fortgeführte Unternehmen. Das Insolvenzgericht darf hierbei insbesondere nicht die Rolle desjenigen übernehmen, der die Besserung inhaltlich mit Leben erfüllt.275
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Hinweis: Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzplan somit nur zurückweisen, wenn keine Erläuterung zur abweichenden Regelung und keine Besserungsklausel aufgenommen ist. Liegt eine Erläuterung oder eine Besserungsklausel vor, muss der Insolvenzplan zur Abstimmung den Gläubigern überlassen werden.
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273 So auch Flitsch/Chardon, DZWiR 2004, 485, 486. 274 So die Gesetzesbegründung, Begründung RegE EG, Art. 94 (jetzt 91), zu Nr. 2 (§ 7), Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 784; Bremer, DB 2011, 875, 878. 275 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 561: Die Frage der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ist Angelegenheit der Gläubiger.
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§ 3 Rz. 199 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 199
Für die Gruppenbildung sieht § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG vor, dass für den PSVaG eine eigene Gläubigergruppe gebildet werden muss, wenn der Insolvenzplan die Fortführung des Unternehmens oder eines Betriebes vorsieht. Nur der PSVaG selbst kann auf die Bildung einer gesonderten Gruppe verzichten. Die Möglichkeit zur verpflichtenden (Wahl-)Gruppenbildung knüpft an § 222 Abs. 2 InsO an, wonach Gläubiger mit identischer Rechtsstellung nach unterschiedlichen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen verschieden gruppiert werden können (vgl. Rz. 173). Für den Planverfasser besteht somit die Pflicht, sich mit dem PSVaG im Zuge der Planerstellung in Verbindung zu setzen, um zu klären, ob eine gesonderte Gruppenbildung erforderlich ist. Er kann den PSVaG mit dessen Zustimmung alternativ in der Gruppe der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 2 InsO oder einer gebildeten Untergruppe nach § 222 Abs. 2 InsO zusammen mit anderen Gläubigern belassen. Umgekehrt gilt aber auch für den Fall, dass keine Fortführung des Unternehmens mittels Insolvenzplan bezweckt ist, § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG somit keine Anwendung findet, dass der PSVaG über die Regelung in § 222 Abs. 2 InsO in eine Untergruppe eingegliedert werden und dort auch einziges Gruppenmitglied sein kann.
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Hinweis: Eine im Insolvenzplan geregelte Rückübertragung der Versorgungspflichten, auch soweit es sich um eine solche im Wege einer Besserungsklausel handelt, stellt keine Ungleichbehandlung der Beteiligten einer Gruppe i.S.v. § 226 Abs. 2 InsO oder einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO dar. Die Regelungen des BetrAVG sind lex specialis zur Insolvenzordnung. Sie rechtfertigen damit auch die Eingliederung des PSVaG in eine Gruppe gleichrangiger Gläubiger, soweit der PSVaG auf eine eigene Gruppenbildung verzichtet.276 Die Gleichbehandlung i.S.v. § 226 InsO und § 245 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO ist ausschließlich an den Planleistungen zu messen, die außerhalb des BetrAVG gewährt werden (i.a.R. die Planquote).277 Gleichwohl besteht eine wechselseitige Abhängigkeit: Übernimmt der PSVaG dauerhaft die Versorgungspflichten, berechnet sich daraus (aus dem barwertig ermittelten Rentenvolumen) seine Forderung, mit der er am Verfahren als Gläubiger teilnimmt und darauf die Planquote erhält. Wird aufgrund der nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage eine Besserungsklausel im Insolvenzplan zugunsten des PSVaG aufgenommen, reduziert sich seine Teilhabe als Gläubiger am Verfahren, weil seine (angemeldete) Forderung der Höhe nach neu zu berechnen ist. Nur auf die neu ermittelte (und reduzierte) Forderung wird die Planquote gezahlt. Auch so gesehen kann weder der Inhalt einer Besserungsklausel noch ihr gänzliches Fehlen Maßstab für die Prüfung im Rahmen von § 245 InsO sein.278 Dieses Zusammenspiel macht deutlich, was das Ziel der gesetzlichen Regelung ist: Anstelle der endgültig wirtschaftlichen Abgeltung von zugesagten Betriebsrenten sollen diese vom Schuldner fortgeführt werden, soweit dies möglich ist.
276 Eine in der Gruppe mit anderen Gläubigern vorgenommene Planregelung zur Minderung der Einstandspflicht des PSVaG bewirkt keine Quotenänderung, sondern ist als „aliud“ zu verstehen und damit einer vergleichenden Betrachtung innerhalb des § 226 InsO nicht zugänglich. 277 Die Differenzierung rechtlicher Art wird nicht immer gesehen. Wirtschaftlich betrachtet mag der PSVaG bezogen auf seine (vorläufige) Forderungsanmeldung anteilig mehr erhalten, insbesondere wenn keine Rückübertragung der Versorgungspflichten erfolgt, sondern dem PSVaG dieses Recht abgegolten wird. Rechtlich ist dies aber keine höhere Quotenzahlung, sondern ein aliud mit der frei gestaltbaren Rückübertragungspflicht (eben auch einer Geldzahlung), soweit eine nachhaltige Besserung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners eintritt. So auch Uhlenbruck, NZI 2020, 878, 880 f. 278 Holthusen, NZI 2021, 705 ff., fordert den Prüfungsrahmen des Obstruktionsverbots zu erweitern: Im Wege der Auslegung von § 245 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 2 InsO soll die angemessenen Beteiligung des PSVaG auch den Besserungsansatz des §7 Abs. 4 BetrAVG umfassen. Nur so könne dem darin verankerten sozialpolitischen Regelungsgehalt Rechnung getragen werden. In weiterer Konsequenz soll auch über den Wortlaut des § 253 Abs. 2 InsO hinaus dem PSVaG das Beschwerdeverfahren eröffnet werden. Dies ist indes nicht erforderlich, weil der Regelungsgehalt des § 245 InsO Wertezuweisungen der beteiligten Gläubiger und des Schuldners oder an ihm beteiligte Personen wie auch die wirtschaftliche Betroffenheit zum Maßstab der Beschwerdemöglichkeit in § 253 InsO berücksichtigt. Die Absicht des Gesetzgebers war nicht, dem PSVaG eine den Planinhalt bestimmende Rolle darüber hinaus zuzuweisen.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 204 § 3
Nach § 255 InsO entfallen die im Plan geregelten bzw. von Gesetzes wegen (bspw. §§ 224, 227 InsO) angeordneten Verzichts- und Stundungswirkungen, wenn der Schuldner in Rückstand gerät (gegenüber dem betroffenen Gläubiger, Abs. 1) bzw. soweit vor vollständiger Planerfüllung ein Folgeinsolvenzverfahren eröffnet wird (gegenüber allen Gläubigern, Abs. 2, vgl. Rz. 470). § 9 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG geht über den Anwendungsbereich des § 255 InsO zugunsten des PSVaG hinaus, der bspw. über eine zeitliche oder personengebundene Aufteilung der Versorgungspflicht langfristig einstandspflichtig ist. Wird der Eröffnungsantrag des Folgeinsolvenzverfahrens innerhalb von drei Jahren nach der Aufhebung des ersten Verfahrens gestellt, kann der PSVaG die im Insolvenzplan übernommenen Versorgungsleistungen in einem Folgeinsolvenzverfahren als Insolvenzgläubiger geltend machen, auch wenn im Übrigen bereits die Planerfüllung eingetreten ist. Über die Regelung in § 9 Abs. 4 Satz 2, Halbs. 1 BetrAVG wird wie in § 255 Abs. 3 Satz 1 InsO das Wiederaufleben abdingbar gestellt.
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Hinweis: Die zugunsten des PSVaG im Plan geregelte Rückübertragung, Besserungsklausel oder jede sonstige im Zusammenhang mit der Versorgungspflicht getroffene Planregelung außerhalb der Quotenzahlung ist keine Forderung, die mit der Planleistung als solcher beglichen wird (BetrAVG als lex specialis, vgl. Rz. 200). Dementsprechend findet § 255 InsO hierauf keine Anwendung, weshalb für die plangeregelte Versorgungspflicht die Sonderregelung in § 9 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG aufgenommen wurde. Für zur Insolvenztabelle angemeldete und auch abschließend für den PSVaG stehenbleibende Forderungen, auf die der Plan Leistungen (i.a.R. eine Planquote) erbringt, findet dagegen § 255 InsO Anwendung. Letztlich kann damit der Plan mit der Quotenzahlung (bzw. der sonstigen plangeregelten Behandlung der zur Tabelle angemeldeten Forderungen) i.S.v. § 255 InsO erfüllt werden, auch wenn der Schuldner die mit dem PSVaG gesondert geregelte Versorgungspflicht nicht vollständig erfüllt hat.279
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hh) Änderung des Plans Mitunter kann für die Planvorlegenden die Notwendigkeit bestehen, den eingereichten Plan zu ändern. Gründe hierfür mögen neuere Erkenntnisse, die sich auf den Insolvenzplan auswirken, oder ein drohendes Scheitern in der Abstimmung über den Insolvenzplan sein. Um einen zügigen Verfahrensablauf zu ermöglichen, ist der Planvorlegende berechtigt, den Insolvenzplan aufgrund der Erörterung im Termin in einzelnen Regelungen zu ändern, wobei über den geänderten Plan noch im selben Termin abgestimmt werden kann, § 240 InsO.280 Eine erneute gerichtliche Vorprüfung des geänderten Insolvenzplans nach § 231 InsO, die Einholung von Stellungnahmen der Beteiligten nach § 232 InsO oder die Niederlegung auf der Geschäftsstelle nach § 234 InsO ist nicht vorgesehen.281
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Hinweis: Abgesehen von der Mängelbeseitigung nach § 231 InsO erhält der Planvorlegende nach der Planeinreichung erstmals, aber auch letztmals vor der Abstimmung über den Insolvenzplan die Möglichkeit, diesen zu ändern, soweit der Stand der Erörterung bzw. Diskussion über den Insolvenzplan dies bedingt.282 Ein (ggf. gezielt) unentwegtes Nachreichen von Planänderungen – Planentwürfe sind bereits als solche zur Einreichung nicht zulässig, wohl aber die Vorabstimmung mit dem Insolvenzgericht, um eine zügige Durchfüh-
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279 Vgl. hierzu auch Flitsch/Chardon, DZWiR 2004, 485, 489. 280 Weitergehend Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 240 Rz. 4, der für eine „Probeabstimmung“ wirbt, um zu zeigen, ob der Insolvenzplan angenommen wird oder ggf. gravierende Änderungen erforderlich sind. Der BGH erkennt die „Probeabstimmung“ an, sieht diese aber nach der abgeschlossenen Erörterung des Plans und daraus sich ableitender Planänderungen im Zeitpunkt der Stimmrechtsfestsetzung verankert, um für die Beteiligten zu klären, ob streitige Stimmrechte entscheidungserheblich sind mit dem Ziel, dort auftretende Konflikte zu lösen, BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, MDR 2021, 323 = NZI 2021, 177, 178. 281 A.A. Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 240 Rz. 5, der zudem die Änderung des Plans nur für zulässig erachtet, wenn die hiervon betroffenen Gläubiger im Erörterungs- und Abstimmungstermin anwesend sind oder wenn ein separater Abstimmungstermin durchgeführt wird. 282 Die Erörterung muss ursächlich für die Änderung sein.
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§ 3 Rz. 204 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung rung des Verfahrens zu gewähren283 – wird somit unterbunden, was auch der Verfahrensbeschleunigung dient.284 Der Planvorlegende muss deshalb vor der Einreichung des Insolvenzplans abschließend prüfen und entscheiden, ob der Insolvenzplan, ggf. grundlegend, zu ändern ist. 205
Ausgehend von der Gliederung des Insolvenzplans in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil, wird sich das Änderungsrecht vornehmlich auf den gestaltenden Teil beziehen, was aber Änderungen des darstellenden Teils nicht ausschließt, soweit dies zur Erläuterung bzw. Klarstellung erforderlich ist. Die Änderungsmöglichkeit ist allerdings auf einzelne Regelungen beschränkt.285 Änderungen, die einem Austausch, der Vorlage eines zweiten Plans gleichkommen, sind im Rahmen von § 240 InsO ausgeschlossen. Substantielle Änderungen sind gleichwohl möglich, soweit die Änderungen nachvollziehbar sind. Es besteht jedenfalls kein „Anspruch“, dass der bei Gericht eingelegte Insolvenzplan zur Abstimmung gelangt.286 Dies gilt unabhängig davon, ob ein dadurch Betroffener bisher nicht oder nicht so stark beeinträchtigt war.
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Hinweis: Maßstab für die Zulässigkeit der Änderung ist, ob der Plan für die Beteiligten nach der Änderung im Erörterungs- und Abstimmungstermin undurchsichtig und damit nicht mehr verstanden wird. Den Beteiligten muss die sachgerechte Ausübung ihrer Rechte möglich sein, was nicht der Fall ist, wenn (auch ohne substantielle Änderung) der Plan an so vielen Stellen geändert wird, dass vor dem Hintergrund der sich im selben Termin anschließenden Abstimmung die Übersichtlichkeit des Plans und damit das Gesamtverständnis des einzelnen, durchschnittlichen Beteiligten leidet.287 In Einzelfällen mag hier die Bestimmung eines gesonderten Abstimmungstermins oder die Vertagung des Termins helfen (vgl. Rz. 357). Eine zulässige Planänderung liegt ebenso nicht vor, wenn der Plan sich so von der ursprünglichen Planstruktur löst, dass es sich inhaltlich um einen völlig neuen Planvorschlag handelt.288 Erkennt der Planersteller, dass eine Planänderung nicht zulässig ist, kann er zur Vermeidung einer Entscheidung über den Insolvenzplan die Rücknahme bewirken. Die Rücknahme selbst ist bis zur Rechtskraft des Insolvenzplans möglich.289
283 Zur Vorabstimmung vgl. auch Gerster, ZInsO 2008, 437, 442. 284 Ein Beispiel von unzähligen nachgeschobenen Aktualisierungen in Form einer unzulässigen „Plankette“, die, neben anderen Mängeln, einen in sich widerspruchsfreien Planinhalt mehr als deutlich missen lässt, zeigt AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, BeckRS 2016, 19415. 285 Der Rechtsausschuss hat im Ausschussbericht formuliert, der „Kern müsse erhalten bleiben“, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 493. 286 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 240 Rz. 5 ff., beschreibt die Notwendigkeit, der psychologischen Komponente ausreichend Rechnung zu tragen, z.T. weit mehr, als materiellen Möglichkeiten. 287 Bähr/Landry, EWiR 2005, 575 f. 288 Die Insolvenzpraxis beschreibend Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 240 Rz. 9 ff.; vgl. auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 240 Rz. 4; Hintzen in MünchKomm/InsO, § 240 Rz. 8 ff. Vgl. hierzu auch die Anmerkung von Madaus, NZI 2020, 436 ff., zu LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, a.a.O.: In der Ausgangsentscheidung war eine Gruppenerweiterung als Planänderung nicht zugelassen worden (gegen die ablehnende Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, s. hierzu auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, 240 Rz. 8). AG Köln v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, ZInsO 2019, 1754, 1756 f.: Sind die Ausführungen zur Vermögenssituation bzw. die darauf basierende Vergleichsrechnung als wesentliches Element des darstellenden Teils unvollständig, ist eine Planänderung nicht statthaft. 289 Noch offengelassen: BGH v. 24.4.2007 – IX ZB 5/06, ZInsO 2007, 713. Im entschiedenen Fall wurde der bereits mehrheitlich von den Gläubigern angenommene Plan vom Planverfasser „zurückgenommen“ und ein dem „Diskussionsstand“ angepasster Planentwurf zu einem neu anberaumten Erörterungs- und Abstimmungstermin vorgelegt. Dem Grunde nach ist dies nichts anderes als ein „Zweitplan“, der entweder als konkurrierender Plan im laufenden Planverfahren vorgelegt wird (vgl. zur Plankonkurrenz Rz. 111 ff.), oder einen vom Gericht bereits rechtskräftig bestätigten ersten Plan modifiziert (vgl. Rz. 437). Die Rücknahme zugelassen im Beschwerdeverfahren: BGH v. 15.9.2009 – IX ZB 36/08, ZInsO 2009, 2113 f. Vgl. hierzu auch Madaus, KTS 2012, 27 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 210 § 3
ii) Planberichtigung Neben der Planänderung gem. § 240 InsO durch den Planverfasser ermöglicht das Gesetz seit Inkrafttreten des ESUG jeden Insolvenzplan, auch den vom Schuldner eingebrachten, durch den Insolvenzverwalter berichtigen zu lassen, § 221 Satz 2 InsO.290 Anders als die Planänderung, die es dem Planverfasser gestatten, den Insolvenzplan maßgeblich materiell zu verändern, kann der Insolvenzverwalter mittels einer entsprechenden Planregelung nur ermächtigt werden, den Insolvenzplan nach Annahme durch die Beteiligten um offensichtliche Unrichtigkeiten zu korrigieren. Hierdurch eröffnet sich die Möglichkeit, ohne Weiteres erkennbare Fehler oder Schwächen des Insolvenzplans nachträglich zu beheben, ein anderer Inhalt kann dem Insolvenzplan damit nicht gegeben werden. Der Gesetzgeber hat sich für diese Berichtigungsvorschrift von dem Gedanken leiten lassen, dass in Notarverträgen entsprechende Durchführungs- und Vollzugsvollmachten üblich sind und sich dort bewährt haben, um eine erneute zeitaufwendige und kostspielige Befassung aller Beteiligten zu vermeiden. Die Berichtigung der offensichtlichen Fehler des Plans kann bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgen.291 Entsprechende Korrekturen des Insolvenzplans müssen vom Insolvenzgericht bestätigt werden, § 248a InsO.292 Eine Abstimmung mit dem Insolvenzgericht ist hingegen nicht erforderlich.293
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Hinweis: Gerade durch den mittlerweile möglichen Eingriff in das Eigenkapital ist zu berücksichtigen, dass die Planverfasser neben dem speziellen Wissen um das Insolvenz(plan)recht nun auch Kenntnisse im Gesellschaftsrecht benötigen, um die Verzahnung der beiden Rechtsgebiete bestmöglich zu gestalten. Dabei sind zahlreiche Vorschriften in Randbereichen zu berücksichtigen, die nicht primär im Fokus des auf die alsbaldige Insolvenzüberwindung hinarbeitenden Planverfassers stehen. Die Berichtigungsregelung hilft, den in bester Absicht aufgestellten Insolvenzplan vor einem Scheitern v.a. in formaler Hinsicht zu bewahren. Die Möglichkeit zur Nachbesserung, die bspw. nachhängige Verfahrensverzögerungen vermeiden kann, ist nicht zu unterschätzen gerade im Zusammenhang mit einer durch den Insolvenzplan angestrebten Unternehmensfortführung. Dienstleister für Wirtschaftsauskünfte beziehen ihre Informationen weitestgehend aus Registern, welche öffentlichen Glauben genießen.294 Sind die Register aufgrund bislang nicht eingetragener Umstände unzutreffend, ist der darauf gestützte öffentliche Glaube fehlerhaft. Entsprechendes gilt für Eintragungen in Wirtschaftsauskunftsdateien privater Anbieter, worauf Marktteilnehmer ohne identisch weitreichende materielle Wirkung gleichwohl vertrauen. Die (Wieder-)Aufnahme von Kundenbeziehungen nach erfolgreich überwundenem Insolvenzverfahren kann sich dadurch unnötig schwer gestalten.
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Der Schuldner kann hierzu nicht ermächtigt werden, selbst wenn er den Insolvenzplan erstellt hat. Anders ist dies im Eigenverwaltungsverfahren, dort rückt der Schuldner an die Stelle des Insolvenzverwalters (vgl. ausführlich hierzu Rz. 521 ff.), womit ihm in den dort durchgeführten Planverfahren das Nachbesserungsrecht zusteht.
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jj) Bedingter Plan Die Insolvenzordnung eröffnet mit § 249 InsO die Möglichkeit, einen Insolvenzplan von bestimmten Leistungen oder Maßnahmen abhängig zu machen, die erst zukünftig umgesetzt werden können bzw. 290 Das Nachbesserungsrecht wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses in das ESUG aufgenommen, vgl. BT-Drucks. 17/7511 v. 26.10.2011, 48. Unklar AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZIP 2014, 1601 f., das die Nachbesserungsmöglichkeit dem Bestimmtheitsgrundsatz unterwerfen möchte. Eine inhaltliche Änderung des Plans ist mit der Planberichtigung schon nicht zulässig. Wenn zudem nur bestimmt werden soll, was später zu korrigieren ist, muss dies sogleich konkret korrigiert werden, um den Gläubigern die Entscheidung hierüber sofort zu ermöglichen. Eine nachträgliche Planberichtigung mit der anschließenden Bestätigung durch das Gericht (§ 248a InsO) ist somit entbehrlich. 291 A.A. Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 221 Rz. 16 und § 248a Rz. 2, der auf die Rechtskraft abstellt. 292 Zur Bestätigung der Planberichtigung s. Rz. 365 ff. 293 So aber Jaffè in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 221 Rz. 15. 294 Vgl. bspw. die §§ 891, 892 BGB, § 15 HGB.
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§ 3 Rz. 210 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung sollen, oder aber auch von solchen, die Dritte, die unmittelbar nicht planunterworfen sind und in deren Rechte durch den Insolvenzplan nicht eingegriffen werden kann, zu erbringen haben.295 Der Insolvenzplan wird durch Aufnahme einer Bedingung einerseits Sicherungsinstrument: Den planunterworfenen Beteiligten wird keine Vorleistungspflicht durch die Annahme des Planes angedient, bevor sie nicht sicher sein können, dass zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Insolvenzplan ungewisse Ereignisse, wie im Insolvenzplan unterstellt, eintreten oder Dritte im Planinteresse verpflichtet werden. Andererseits wird der Plan zum (besseren) Verhandlungsinstrument anderen gegenüber, die darauf vertrauen können, dass die im gestaltenden Teil beschriebenen Wirkungen eintreten, weil der Insolvenzplan von den planunterworfenen Beteiligten bereits angenommen ist, und so eher geneigt sein können, nicht (plan)einforderbare Zusagen zu geben.296 211
Ein Hauptanwendungsfall des § 249 InsO war die Einbindung der Gesellschafter, in deren Rechte durch den Insolvenzplan nicht eingegriffen werden konnte. Mit der vom ESUG geschaffenen Möglichkeiten, Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einzubeziehen, können unmittelbar vom Insolvenzplan die erforderlichen Maßnahmen gestaltet werden, § 225a InsO. Eine vergleichbare Gestaltung wird mit dem SanInsFoG für gruppeninterne Drittsicherheiten offeriert, § 223a InsO. Die Einbindung über den Konzern gestellte Sicherheiten zugunsten beteiligter Gläubiger kann nunmehr unmittelbar über die Gruppenbildung des Insolvenzplans erfolgen, eine Verknüpfung über § 249 InsO ist nicht mehr erforderlich. Will man hingegen, wie bislang als einzige Möglichkeit, keinen mehrheitsgetragenen Planeingriff vornehmen, sondern eine individualvertragliche Regelung umsetzen, kann § 249 InsO in diesem Bereich weiter Anwendung finden (vgl. hierzu auch Rz. 127).
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Die im Insolvenzplan aufgenommenen Bedingungen können aufschiebende, aber auch auflösende Wirkungen haben.297
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Der Insolvenzplan darf nur bestätigt werden, wenn sämtliche im Insolvenzplan beschriebenen Bedingungen eingetreten sind. Planbedingungen können so gesehen nur solche Umstände sein, die vor der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten können.298 Damit ist nicht der Plan an sich bedingt, sondern § 249 InsO schafft eine weitere Voraussetzung, deren Eintritt vom Insolvenzgericht zu überprüfen ist, bevor der Plan bestätigt werden kann. Eine teilweise oder sukzessive Bestätigung des Insolvenzplans ist nicht möglich.299
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Beispielhaft für Bedingungen i.S.v. § 249 InsO nennt die Gesetzesbegründung, dass der Verzicht auf ein Pfandrecht erst wirksam werden soll, wenn ein neues Pfandrecht an einer anderen Sache bestellt worden ist, oder die Änderung der Rechtsstellung der Gläubiger erst erfolgen soll, wenn gesellschaftsrechtliche Beschlüsse, wie etwa Kapitalmaßnahmen, gefasst worden sind.300
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Hinweis: Um Verzögerungstaktiken oder längeren Ungewissheiten vorzubeugen, kann das Insolvenzgericht eine angemessene Frist bestimmen, nach deren ergebnislosem Ablauf die Bestätigung des Insolvenzplanes von
295 Wer und in welchem Umfang Planbetroffener ist, regelt die Insolvenzordnung an verschiedenen Stellen, bspw. die §§ 217, 222 Abs. 1 Satz 2 oder 254 Abs. 2 Satz 1 InsO. 296 LG Dessau v. 5.7.2000 – 9 T 327/00, ZInsO 2001, 1167, zum Fortsetzungsbeschluss einer Genossenschaft, mit Anmerkung Scheibner, DZWiR 2001, 392. 297 Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 249 Rz. 5; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 249 Rz. 3. 298 BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, DZWiR 2017, 334, 338. 299 Die Bestätigung der Leistungen/Maßnahmen von den Bedingungen nicht betroffener Gläubiger oder soweit von mehreren Bedingungen einzelne erfüllt sind und die damit zusammenhängenden Planregelungen bestätigt werden könnten. 300 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 506; zu weiteren Maßnahmen vgl. Haas in HK/InsO, § 249 Rz. 3.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 218 § 3 Amts wegen zu versagen ist. Der Planeinreicher wird deshalb bei Bedarf solche Fristen selbst aufnehmen, die damit Planinhalt werden und vom Insolvenzgericht nicht kürzer angesetzt werden können. Es ist gleichermaßen ebenso plangestaltbar, einen Beteiligten (bspw. der Planvorlegende oder Planersteller) zu bestimmen, die Frist zu verlängern, um unvorhersehbare Verzögerung berücksichtigen zu können. Bevor im Falle der planbestimmten Frist das Insolvenzgericht den Plan wegen des Nichteintritts der Voraussetzungen von Amts wegen ablehnt, hat es eine eigene Nachfrist zu setzen.301
kk) Überwachung der Planerfüllung Dem Gläubigerschutzgedanken Rechnung tragend, sehen die §§ 260 ff. InsO die Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans als Option vor, unabhängig vom Planziel.302 Der Planersteller kann im Rahmen seiner Plankonzeption frei entscheiden, ob er eine solche Planüberwachung vorsehen will. Dabei obliegt ihm nicht nur die Entscheidung über das „Ob“, innerhalb der Plangestaltungsfreiheit ist auch das „Wie“ zu regulieren, wobei für die gesetzesabweichende Regelung bestimmte Rechtsfolgen ausgeschlossen sind.303 Entscheidet er sich für die Planüberwachung, bestehen die Ämter des Gläubigerausschusses und des Insolvenzgerichts fort, § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO.304 Zur Person des Überwachenden vgl. Rz. 223. Die Planüberwachung kann auch im Falle eines (partiellen) Rechtsträgerwechsels auf eine Übernahmegesellschaft erfolgen, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegründet oder als Vorratsgesellschaft erworben worden ist, um das Unternehmen oder einen Betrieb des Schuldners zu übernehmen und weiterzuführen, § 260 Abs. 3 InsO.305 Die Erfüllung von Ansprüchen, die sich gegen Dritte richten und durch den Insolvenzplan begründet werden (§§ 230 Abs. 3, 257 Abs. 2 InsO), sind hingegen nicht von der Überwachung umfasst.306
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Hinweis: Den Gläubigern bleibt es vorbehalten, die Modifikation des Insolvenzplans im Erörterungs- und Abstimmungstermin durchzusetzen, indem eine nicht vorgesehene Überwachung der Planerfüllung aufgenommen wird, § 240 InsO. Dabei besteht auch die Möglichkeit, die gesetzlich geregelte Planüberwachung plangemäß zu erweitern und dem Überwachenden weiter gehende Aufgaben zu übertragen. Für diesen Fall ist (rechtlich) die Zustimmung des Schuldners erforderlich, weil in seine Rechtsstellung eingegriffen wird.307 Tatsächlich wird nicht selten die Zustimmung in rein wirtschaftlich sich auswirkenden Änderungen über § 247 InsO fingiert werden können, weil der Schuldner, will er den von ihm vorgelegten Insolvenzplan durchsetzen, keinen Widerspruch gegen den Insolvenzplan erheben wird und er nicht schlechter behandelt wird als ohne Plan. Wird in die Rechtsposition des Schuldners eingegriffen, wird die Ersetzungsbefugnis genau zu prüfen sein, vgl. Rz. 407.
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Auf eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegründete Gesellschaft kann sich die Planüberwachung nicht erstrecken.308
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301 Zu den durch Fristen konkretisierten Planbedingungen: Skauradszun/Spahlinger/Tresselt, DZWiR, 2015, 539, 545 f. 302 D.h. überwacht werden kann neben einem Sanierungsplan auch ein reiner Liquidationsplan; a.A. Rattunde in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 260 Rz. 3. 303 Zustimmungsbedürftige Rechtsgeschäfte können gem. § 263 InsO nur mit dem Insolvenzverwalter als Überwachendem bestimmt werden. Gleiches gilt für den Kreditrahmen und einem daraus resultierenden Vorrang gemäß der §§ 264 ff. InsO; Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 519. 304 Einen kompakten Überblick zu den dann bestehenden Aufgaben gibt Lissner, ZInsO 2012, 1452 ff. 305 Kritisch hierzu Kluth, NZI 2003, 361 ff.; vgl. auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 260 Rz. 7. 306 Andres in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, § 260 Rz. 3; Haas in HK/InsO, § 260 Rz. 3. 307 AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447, 448. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 22.12.2005 – 7 U 148/05, NZI 2006, 240 f., sowie die Besprechung von Smid, NZI 2006, 201 ff., wonach per Sonderregelung im Insolvenzplan 18 Einzelermächtigungen dem Sachwalter zugewiesen waren. Auf die Möglichkeit der Erweiterung mit Zustimmung des Schuldners hinweisend Breutigam in Blersch/Goetsch/ Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 263 Rz. 3. 308 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 519.
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§ 3 Rz. 219 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 219
Der Beginn der Planüberwachung bildet eine mögliche Abschlussvariante für das Insolvenzplanverfahren.309 Voraussetzung hierfür ist die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans, § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO, sowie die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, § 260 Abs. 2 InsO. Ist die Planerfüllung umfänglich erfolgt bzw. dies gewährleistet oder sind seit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens drei Jahre verstrichen und kein Antrag auf Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens gestellt worden, ist die Aufhebung der Überwachung zu beschließen, § 268 InsO.
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Hinweis: Die Dauer der Planüberwachung kann im Insolvenzplan mit Zustimmung des Schuldners erweitert werden (vgl. Rz. 217). Die Kosten der Planüberwachung sind keine Verfahrenskosten, vgl. § 54 InsO. Diese sind vom Schuldner bzw. durch die Übernahmegesellschaft zu tragen, § 269 InsO. Die Vergütung des Insolvenzverwalters als Planüberwacher wird gem. § 64 InsO i.V.m. § 6 Abs. 2 InsVV festgesetzt, die Vergütung der Mitglieder des nach § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO fortbestehenden Gläubigerausschusses richtet sich nach den 17 ff. InsVV (die Festsetzung erfolgt auf Antrag gem. § 8 InsVV). Für den kraft vertraglicher Vereinbarung einbezogenen Sachwalter (vgl. Rz. 223) ist hingegen die Parteivereinbarung maßgeblich. Mit der Planüberwachung kann auch der Gläubigerausschuss betraut werden, womit er sich zum Planüberwachungsausschuss verändert und seine diesbezügliche Tätigkeit privatrechtlichen Charakter erlangt.310 Damit entfällt zugleich seine ansonsten zu erbringende Unterstützungs- und Überwachungsfunktion des Insolvenzverwalters als Planüberwacher. Soweit eine Planrechnung gem. § 229 InsO für den fortzuführenden Geschäftsbetrieb erstellt wird, sind die Planüberwachungskosten dort einzustellen.
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Gegenstand der Überwachung ist grundsätzlich die Erfüllung der Ansprüche der Gläubiger, wie diese im Insolvenzplan geregelt sind (§ 260 Abs. 2 InsO), zu kontrollieren. Dabei kann im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen werden, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners während der Zeit der Überwachung wirksam nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters vorgenommen werden können, § 263 InsO.311 Erfolgt dies und geht der Schuldner gleichwohl die einzeln bestimmten Rechtsgeschäfte ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters ein, sind diese Rechtsgeschäfte absolut unwirksam.
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Hinweis: Der Insolvenzplan kann die Reichweite der Überwachung einschränken, da auch ein Insolvenzplan ohne Überwachung zulässig ist. Entsprechend verändern sich auch die Aufgabenbereiche des Gläubigerausschusses und des Insolvenzgerichts. Erweiternd kann die Planüberwachung allein per Mehrheitsentscheid der Gläubiger (§ 243 InsO) im Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht angeordnet werden. Dies ist mittels Planänderung gem. § 240 InsO und Zustimmung des Schuldners möglich (vgl. Rz. 217). Eine Erweiterung kann insbesondere erforderlich werden, weil mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Möglichkeiten des Insolvenzverwalters erlöschen, Informationen von Dritten zu erhalten, die er zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben benötigt. Verschwiegenheitspflichten sowie das Banken- und Steuergeheimnis bestehen wieder ausschließlich zum Unternehmen.312 Um ausreichende Bestimmtheit zu schaffen, können Regelungen zu Kontrollpflichten wie auch des Maßstabes, der die drohende Nichterfüllung beschreibt, aufgenommen werden. Die Zustimmungsregelung des Insolvenzplans muss die betroffenen Rechtsgeschäfte eindeutig bezeichnen. Als Maßstab können die üblicherweise konkreten Geschäftsführungsvorbehalte in Organdienstverträgen herangezogen werden.313 Eine pauschale Abhängigkeit aller Rechtsgeschäfte oder aller „außergewöhnlichen“ von der Zustimmung des Insolvenzverwalters ist unzulässig. 309 Wird keine Planüberwachung im Insolvenzplan aufgenommen, endet das förmliche Insolvenzplanverfahren bereits mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans. 310 BGH v. 6.5.2021 – IX ZR 57/20, MDR 2021, 963 = ZInsO 2021, 1302 ff. 311 Zur Bestimmtheit vgl. Haas in HK/InsO, § 263 Rz. 2; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 263 Rz. 2. 312 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 258 Rz. 6 f. 313 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 263 Rz. 2.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 227 § 3
Neben der Regelüberwachung mit dem Insolvenzverwalter als überwachendes Organ (§ 261 Abs. 1 Satz 1 InsO) besteht die Möglichkeit, eine Überwachung kraft vertraglicher Vereinbarung mit einem Dritten, der in diesen Fällen als Sachwalter bezeichnet wird, vorzusehen.314 Dieser Sachwalter muss nicht die nach § 56 InsO für den Insolvenzverwalter normierte Unabhängigkeit zu den Gläubigern haben, ansonsten aber gleichfalls hinreichend qualifiziert sein (zu § 56 InsO vgl. § 22 Rz. 97 ff.). Der qua Auftrag über den Plan bestellte Sachwalter steht in einem privatrechtlichen Geschäftsbesorgungsverhältnis zum Schuldner. Wird ein Dritter als Sachwalter eingesetzt, kann die Zustimmungsbedürftigkeit zu bestimmten Rechtsgeschäften (vgl. Rz. 221) nicht als Planregelung aufgenommen werden.315 Für den Gläubigerausschuss gilt dies entsprechend, wenn er anstelle des Insolvenzverwalters als Planüberwachungsausschuss eingesetzt wird. Im Gegensatz zur fortbestehenden Unterstützungsund Überwachungstätigkeit nach § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO im Regelfall wird er nunmehr auf privatrechtlicher Basis tätig, womit auch seine Vergütung entsprechend vertraglich mit dem Schuldner zu vereinbaren ist.316
223
Der Überwachende hat dem Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und dem Insolvenzgericht jährlich über den Stand und die weiteren Aussichten der Erfüllung des Insolvenzplans zu berichten. Unabhängig davon können Gläubigerausschuss und Insolvenzgericht jederzeit Auskünfte und Zwischenberichte anfordern, § 261 Abs. 2 InsO. Um seiner Überwachungspflicht nachkommen zu können, hat der Überwachende die Rechte des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 3 InsO.
224
Hinweis: Es sind deshalb in unregelmäßigen Abständen – auch überraschende – Prüfungshandlungen vorzunehmen, die eine aussagekräftige Beurteilung der (möglichen) Planerfüllung durch den Schuldner geben. Es bietet sich an, über die z.T. gegebenen Anforderungen der Insolvenzordnung hinaus, schriftliche Dokumentationen über die Art und Weise der Tätigkeit und das Ergebnis der Überprüfung zu fertigen und zur Einsichtnahme bzw. Übersendung an die Beteiligten und/oder das Insolvenzgericht bereitzuhalten.317
225
Stellt der Überwachende fest, dass Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, nicht erfüllt werden oder nicht erfüllt werden können, hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Ist kein Gläubigerausschuss bestellt, sind die vom Insolvenzplan betroffenen Gläubiger einzeln zu verständigen. Darüberhinausgehende Pflichten, insbesondere auch die Befugnis, die Umsetzung des Insolvenzplans sicherzustellen oder gar Eingriffsrechte in die Geschäftsführung, hat er nicht. Die Gläubiger sind nunmehr „gewarnt“ und müssen eigene Maßnahmen – soweit ihnen diese tunlich erscheinen – ergreifen, § 262 InsO.318 Auch nach erfolgter Anzeige besteht die Überwachungspflicht fort.
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Hinweis: Die Überwachung durch einen Dritten wird sich insbesondere dann anbieten, wenn spezielle Kenntnisse erforderlich sind, die sich der Insolvenzverwalter selbst einkaufen müsste. Vom namensidentischen Sachwalter im Rahmen des Eigenverwaltungsverfahrens (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO) unterscheidet sich der Sachwalter in der Planüberwachung, dass es sich um eine gläubigerautonom bestimmte Person handelt, der nicht wie im Falle der Eigenverwaltung kraft gesetzlicher Regelung tätig wird.
227
314 In einem eigenverwalteten Insolvenzverfahren tritt kraft Gesetzes der Sachwalter der Eigenverwaltung an die Stelle des Insolvenzverwalters als regelüberwachendes Organ, § 284 Abs. 2 InsO; Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 519. 315 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 519. 316 BGH v. 6.5.2021 – IX ZR 57/20, MDR 2021, 963 = ZInsO 2021, 1302 ff. 317 Zum Kontrollumfang Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 262 Rz. 6 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 261 Rz. 4 ff. 318 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 408, spricht insoweit von einer „beobachtenden Kontrolle“; vgl. auch Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kapitel 9 Rz. 119; insgesamt hierzu auch Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 260 Rz. 3; Haas in HK/InsO, § 262 Rz. 2; Rattunde in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 261 Rz. 2; zu den Grenzen der Überwachungsbefugnis vgl. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 261 Rz. 17.
Frank | 199
§ 3 Rz. 228 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung ll) Kreditrahmen 228
Ist abweichend zur Regelabwicklung mittels Insolvenzplan die Fortführung und Sanierung des schuldnerischen Unternehmens bezweckt, wird dies in der Mehrzahl der Fälle nicht ohne finanzwirtschaftliche Maßnahmen erfolgen können. Nicht selten müssen Kreditmittel zur Fortführungsfinanzierung zugeführt werden, wobei freie Sicherungsmittel regelmäßig nicht zur Verfügung stehen. Mit dem Kreditrahmen soll bei fehlenden üblichen Kreditsicherheiten gleichwohl die Möglichkeit gegeben werden, den Neustart des Unternehmens zu finanzieren und die schwierige Anlaufzeit nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens zu überbrücken: Der Kreditgeber soll im Falle des Scheiterns der Sanierung und der Eröffnung eines Anschlussinsolvenzverfahrens seinen Rückzahlungsanspruch durchsetzen können.319
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Hinweis: Ein bloßer Gläubigerwechsel kann die Privilegien des Kreditrahmens nicht begründen, weil das alte Schuldverhältnis nur mit neuem Vertragspartner fortgeführt und damit der Kredit nicht i.S.v. § 264 InsO neu aufgenommen wird. Erforderlich sind vielmehr die vollständige Ablösung des Altkredits und die Valutierung eines Neukredits. Für eine(n) Massekredit/Masseforderung gem. § 55 InsO reicht dagegen die Prolongation aus, der Insolvenzverwalter hat diesen quasi „neu“ aufgenommen, vgl. § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO.
230
Nur wenn im gestaltenden Teil des Insolvenzplans die Planüberwachung durch den Insolvenzverwalter (nicht durch einen Dritten als Sachwalter, vgl. Rz. 223) vorgesehen ist, kann als weiteres Element der Insolvenzplangestaltung ein Kreditrahmen gem. § 264 InsO bestimmt werden. Der Kreditrahmen bewirkt, dass die Insolvenzgläubiger des mit dem Insolvenzplan abgewickelten (ersten) Insolvenzverfahrens in einem (zweiten, nachfolgenden) Anschlussinsolvenzverfahren nachrangig behandelt werden gegenüber Gläubigern mit Forderungen aus Darlehen und sonstigen Krediten, die der Schuldner oder die Übernahmegesellschaft (des ersten Insolvenzverfahrens) während der Zeit der Planüberwachung aufnimmt oder die ein Massegläubiger in die Zeit der Überwachung hinein stehen lässt.320
231
§ 265 InsO dehnt die Wirkungen des planerklärten Nachrangs auf Neuvertragsgläubiger, d.h. auf solche Gläubiger aus, deren Forderungen während der Zeit der Planüberwachung begründet werden.321 Den Neuvertragsgläubigern werden Gläubiger gleichgestellt, die ein vor der Planüberwachung vertraglich begründetes Dauerschuldverhältnis nicht nach Beginn der Planüberwachung zum ersten Termin gekündigt haben, obwohl dies möglich gewesen wäre.
232
Hinweis: Der Neuvertragsgläubiger unterliegt somit den Regelungen des Insolvenzplans, obwohl er über den Insolvenzplan nicht abstimmen konnte. Ihm steht es allerdings frei, vom Vertragsschluss abzusehen oder in weiterführenden Verhandlungen zu erreichen, selbst mit seiner Forderung in den Kreditrahmen aufgenommen zu werden. Die Kenntnis des Kreditrahmens wird ihm über die öffentliche Bekanntmachung gem. § 267 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 3 InsO und die Eintragung im Handelsregister gem. § 267 Abs. 3 Satz 1 InsO auferlegt. Die Einbeziehung vertraglich begründeter Dauerschuldverhältnisse umfasst auch Arbeits- und Mietverhältnisse.322 Wer sich somit der Wirkung des § 265 Satz 2 InsO entziehen will, muss entsprechend handeln. Auch die Kündigung bzw. Aufhebung mit anschließender Neubegründung hilft nicht weiter, weil in diesen
319 So zumindest die Gesetzesbegründung, Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 522; krit. zum Kreditrahmen als Finanzierungsinstrument, Braun/Frank in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, S. 809 ff. 320 Durch die mehrheitliche Annahme des Insolvenzplans gemäß der §§ 243 ff. InsO wird inhaltlich ein Rangrücktritt bewirkt, formal bezeichnet die Insolvenzordnung das gesamte Institut als „Kreditrahmen“. 321 Neuforderungen aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, die während der Zeit der Planüberwachung begründet werden, bspw. aus Delikt oder Bereicherung, werden nicht erfasst, weil es an der privatautonomen Grundlage sowie der vorherigen Informationsmöglichkeit fehlt. 322 Kern in MünchKomm/InsO, § 265 Rz. 15 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 236 § 3 Fällen der Nachrang über § 265 Satz 1 InsO begründet wird, es sei denn, man erreicht mit den neu begründeten, dann aber auch kreditierten Forderungen in den Kreditrahmen aufgenommen zu werden.
Alle in den Kreditrahmen fallenden Kredite werden während der Phase der Insolvenzplanüberwachung in einem Anschlussinsolvenzverfahren gegenüber anderen Insolvenzforderungen privilegiert und somit tendenziell vergleichbar den vormaligen Konkursvorrechten behandelt.323 Der Vorrang wird gewährt gegenüber nicht nachrangigen wie auch nachrangigen Insolvenzforderungen des ersten Insolvenzverfahrens, § 264 Abs. 1 InsO, sowie Neuvertragsforderungen, § 265 InsO, die im Anschlussinsolvenzverfahren den Status von nicht nachrangigen oder nachrangigen Insolvenzforderungen haben. Gegenüber Neuforderungen im Anschlussinsolvenzverfahren aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis bleibt es bei der Ranggleichheit, soweit es sich nicht um nachrangige Insolvenzforderungen im Anschlussinsolvenzverfahren handelt, die bereits aus sich heraus, § 39 InsO, nachrangig zu behandeln sind.324
233
Hinweis: Vor- und Nachrang wirken sich nur in einem Anschlussinsolvenzverfahren aus, das noch vor der Aufhebung der Überwachung des ersten Insolvenzverfahrens eröffnet wird. Damit wird auch klar, dass die Privilegierung nicht zum Tragen kommt, soweit nachfolgend kein Insolvenzverfahren oder ein solches erst nach Aufhebung der Überwachung des ersten Insolvenzverfahrens eröffnet wird. Auch in Fällen, in denen die Planüberwachungsphase mit Zustimmung des Schuldners über den vom Gesetz vorgegebenen Dreijahreszeitraum hinaus verlängert wird (vgl. Rz. 217), kann sich die gesetzliche Privilegierung des Kreditrahmens nur für den Dreijahreszeitraum ergeben.325 Anderenfalls würde zu Lasten anderer eine gesetzlich nicht vorgesehene Vorrangstellung von den Planbeteiligten begründet werden.
234
Zinsen und Kosten können, soweit diese nicht fortlaufend zu bedienen sind, den Kreditrahmen frühzeitig ausfüllen. Damit kann die zunächst angedachte Finanzierung des Plankonzepts gefährdet werden. Im Plan kann entsprechende Vorsorge getroffen und nur die Hauptforderung der Kreditrahmenregelung unterstellt werden.
Durch die Kreditrahmenregelung werden die Rechte der Massegläubiger des späteren Anschlussinsolvenzverfahrens nicht berührt. Diese sind im Anschlussinsolvenzverfahren weiterhin vor den privilegierten Forderungen aus den Neukrediten zu bedienen. Aussonderungsrechte sind nach § 47 Satz 2 InsO nach den Gesetzen geltend zu machen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten. Die Aussonderungsrechte können deshalb keinem Nachrang i.S.v. § 264 InsO unterworfen werden. Absonderungsrechte bleiben ebenfalls unberührt. Nur soweit die zur Absonderung Berechtigten nach § 52 InsO als Insolvenzgläubiger zu behandeln sind, kann ein Nachrang begründet werden (zu Aus- und Absonderungsrechten vgl. § 10 Rz. 17 ff. und Rz. 135 ff.).
235
In den Kreditrahmen einbezogen werden können Kreditgeschäfte aller Art. Neben sämtlichen Formen des Darlehens fallen somit auch Schuldabänderungen oder Schuldumschaffungen auf Darlehen sowie Lieferantenkredite durch Stundung der Kaufpreisforderung unter die Kreditrahmenprivilegierung. Um eine übermäßige Ausdehnung der Vorrangregelung zu vermeiden, ist der Kreditrahmen betragsmäßig zu beschränken. Die Obergrenze ergibt sich aus dem Aktivvermögen der Vermögensübersicht nach § 229 InsO (§ 264 Abs. 1 Satz 3 InsO).
236
323 Vgl. § 266 InsO. Zur Abschaffung der allgemeinen Konkursvorrechte, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 161; der Gesetzgeber wollte in der Funktionalität des Kreditrahmens an § 106 VerglO anknüpfen, der bestimmte, während des Vergleichsverfahrens begründete Ansprüche aus Darlehen in einem Anschlusskonkurs zu Massekosten erhob, was ersichtlich nicht gelungen ist, vgl. Balz/ Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 522. 324 Kern in MünchKomm/InsO, § 266 Rz. 12 ff., will eine Ausgleichspflicht der Gläubiger aus gesetzlichen Schuldverhältnissen zugunsten der im Anschlussinsolvenzverfahren „nachrangigen“ Gläubiger begründen; zu Recht dagegen Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 266 Rz. 2. 325 AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447, 448.
Frank | 201
§ 3 Rz. 237 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 237
Hinweis: Das Manko der Bezugnahme auf § 229 InsO wird in nicht wenigen Fällen darin liegen, dass die dort genannten Vermögensgegenstände zwar am Stichtag der Planumsetzung vorhanden sind, beim Wirtschaften im Zeitraum aber entweder ganz oder zumindest teilweise aufgezehrt sein werden. Nicht selten werden diese Gegenstände auch mit Absonderungsrechten belastet sein, die der Vorrangregelung gerade nicht unterliegen. Im nachfolgenden Sicherungsfall, der zweiten Insolvenz, zeigt sich auch, dass die in § 229 InsO angelegte „Plan-going-concern-Betrachtung“ nicht umgesetzt werden konnte und so die dort ausgewiesenen Werte nicht tauglich für den Sicherungsfall sind.
238
Es muss in der Vereinbarung über die Kreditaufnahme oder das Stehenlassen der Masseforderung mit dem Gläubiger vereinbart werden, dass und in welcher Höhe der so gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten innerhalb des Kreditrahmens liegt. Der (planüberwachende) Insolvenzverwalter muss den Gläubigern die Vereinbarung schriftlich bestätigen. Dies kann auch nachträglich erfolgen.326 Die Bestätigung des Insolvenzverwalters kann nicht widerrufen werden.327
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Hinweis: Der Insolvenzverwalter hat dabei ausschließlich eine Deckungs- und Eindeutigkeitsprüfung vorzunehmen. Eine Zweckmäßigkeitsprüfung steht dem Insolvenzverwalter nicht zu, es sei denn, im Rahmen der Planüberwachung sind ihm weitergehende Rechte zugestanden worden oder die §§ 262, 263 InsO verpflichten zu entsprechendem Handeln.328 Lässt der Insolvenzverwalter eine Überschreitung des Kreditrahmens zu, geht dies nicht zu Lasten der übrigen Kreditrahmenmitglieder. Es erfolgt keine quotale Kürzung im Vorrang.329 Vielmehr sind die nicht mehr teilnehmenden Gläubiger auf Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter, soweit dieser einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der die Kenntnis des Gläubigers aufgrund der Veröffentlichung des Kreditrahmens überlagert, bzw. auf § 60 InsO zu verweisen.
240
Ist im gestaltenden Teil keine Kreditrahmenregelung aufgenommen, tritt keine Privilegierung ein, auch wenn ein Kredit während der Zeit der Überwachung aufgenommen oder ein Massekredit prolongiert wird. § 264 InsO ist optional ausgestaltet, weshalb der Planvorlegende die Kreditrahmenregelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes aufnehmen muss und die Gläubiger mehrheitlich gemäß den §§ 243 ff. InsO im Erörterungs- und Abstimmungstermin über die Rangrücktrittswirkung entscheiden.
241
Hinweis: Der Massekreditgeber verliert im Falle der Prolongation ohne Kreditrahmenregelung seinen zumindest während der maximal dreijährigen Planüberwachungsphase bestehenden Vorrang.
242
Das Eigenkapital ersetzende Kredite sollen durch den Kreditrahmen nicht privilegiert werden, weshalb § 264 Abs. 3 InsO auf § 39 Abs. 1 Ziff. 5 InsO verweist. Gesellschafter oder gleichgestellte Dritte sollen sich ihrer Pflicht, ausreichendes Eigenkapital zu gewähren, nicht durch Aufnahme der von ihnen gewährten Darlehen in den Kreditrahmen entziehen können.
243
Hinweis: Werden Sanierungskredite nach § 39 Abs. 4 InsO oder Kredite von geschäftsführenden Kleinbeteiligten (bis zu 10 %) i.S.v. § 39 Abs. 5 InsO gewährt, werden solche Kredite nicht ausgeschlossen. In diesen Fällen kann die Privilegierung durch Aufnahme in den Kreditrahmen erfolgen und der vom Gesetzgeber bezweckte Ausschluss greift nicht ein330 (zum Eigenkapitalersatzrecht und Sanierungsprivileg s. § 7 Rz. 1 ff. und Rz. 29 ff.). 326 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 264 Rz. 14. 327 Wie hier Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 264 Rz. 23; a.A. für den Fall des überschrittenen Kreditrahmens Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 264 Rz. 15 f. 328 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 522. 329 So auch Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 264 Rz. 24 und 31; Drukarcyk/Fridgen in MünchKomm/InsO, § 264 Rz. 15; a.A. Pleister in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 264 Rz. 14. 330 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 523, noch zu dem im GmbHG geregelten Eigenkapitalersatzrecht; die Widersprüchlichkeit beschreibend Hirte, ZInsO 1998, 150 ff.; vgl. dazu auch Bieder, ZInsO 2000, 531 ff.; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 264 Rz. 5.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 248 § 3
Die Kreditgewährung im Rahmen eines Kreditrahmens unterliegt nicht der Insolvenzanfechtung im Anschlussinsolvenzverfahren.331 Wird für den Kreditrahmenkredit eine Sicherheit vom Schuldner gewährt, so ist diese der Anfechtung ebenso entzogen, soweit der Insolvenzverwalter als Planüberwachender der Sicherheitengestellung zustimmt.332
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c) Abstimmung mit den (Haupt-)Beteiligten − prepackaged plan Obwohl das Planverfahren als Teil des Insolvenzverfahrens als gerichtliches Verfahren konzipiert ist, zeigt sich, dass eine Vielzahl von Insolvenzplänen nicht erst im Insolvenzverfahren erarbeitet werden, sondern weitgehend auf Planentwürfen basieren, die vor der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erarbeitet werden. Ein so entwickelter Insolvenzplan wird als „prepackaged plan“ bezeichnet.333
245
In komplexeren und größeren Fällen wird sich ein Unternehmen im Vorfeld mit den wesentlichen Beteiligten(gruppen) abzustimmen haben, um Planziele und Abstimmungsverhalten zu erörtern. Die Realisierungschancen sind dort ungleich höher, als wenn Gläubiger und seit dem ESUG auch die am Schuldner beteiligten Personen sich wegen der Größe und bestehender Verflechtungen des Sachverhalts und der Unerfahrenheit mit dem Instrument des Insolvenzplans in eine kategorisch ablehnende Haltung begeben. Hinzu kommt, dass die Durchlaufzeit bei Gericht und damit die Öffentlichkeitswirksamkeit auf das Mindestmaß verkürzt werden kann, wenn das Werben um die Planzustimmung vorgelagert werden kann.334 Die oftmals zeitintensive Suche nach dem Kompromiss mit dem auf den Dialog mit den Beteiligten angelegten Insolvenzplan, kann dem eigentlichen, gerichtsbetriebenen Insolvenz(plan)verfahren vorgezogen werden.
246
Auch wenn sich für die Erstellung des Insolvenzplans die Frage der Finanzierung stellt, weil das Unternehmen hierzu nicht mehr in der Lage ist, was bei Inhabern/Gesellschaftern häufig nicht anders sein wird, oder eine ablehnende Haltung darin begründet ist, dass sie die Chancen des Insolvenzplanverfahrens für das Unternehmen verkennen, wird man sich vorab mit den künftig finanzierenden Beteiligten abzustimmen haben.335 Gleiches gilt, wenn Hauptgläubigern höhere Verzichte als anderen, im Regelinsolvenzverfahren gleichrangig zu behandelnden Gläubigern angetragen werden sollen, die Fortführung des Unternehmens dafür aber den Hauptgläubigern die Chance eröffnet, künftig mit einem rentablen Unternehmen zu wirtschaften, oder nur ein Teil der Gesellschafter weiter beteiligt sind, hingegen die anderen Gesellschafter ausscheiden sollen.
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Hinweis: In nicht wenigen Fällen führt der „prepackaged plan“ den außergerichtlichen Sanierungsversuch weiter und schließt diesen erfolgreich ab oder ersetzt diesen ggf. auch ganz. Ein Insolvenzverfahren kann somit abgewendet werden. Die Diskussion und Erörterung um die Mechanismen des Insolvenzplans überzeugen nicht wenige Gläubiger und auch Gesellschafter, das zu antizipieren, was gegebenenfalls in einem späteren Insolvenz(plan)verfahren auch gegen ihre Stimme durchgesetzt werden kann.336 Daraus versteht sich schon heute
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331 A.A. Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 264 Rz. 12. 332 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 264 Rz. 11; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 263 Rz. 3; für die Sicherheitenbestellung Tom Frank, Die Überwachung der Insolvenzplanerfüllung, 2001, S. 137, 142. 333 Zur Bedeutung im US-amerikanischen Recht vgl. Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, vor § 217 Rz. 203 ff. 334 Ist der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens bereits gestellt, kann zur Verfahrensoptimierung vor der eigentlichen Planentscheidung bei Gericht die Information und Abstimmung mit dem Gericht erfolgen, vgl. hierzu auch Gerster, ZInsO 2008, 437, 442. 335 Dabei geht es oftmals nur um den formalen Unterschied, ob bspw. Finanzkreditgläubiger unmittelbar die Erstellung finanzieren oder dies mittelbar durch Offenhalten der Kreditlinie erfolgt. 336 So auch van Zwoll, ZInsO 2008, 418 ff.
Frank | 203
§ 3 Rz. 248 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung die geringe Zahl an veröffentlichten Insolvenzplänen. Derjenige, der seine insolvenzgeprägte Krise mit Hilfe eines Planentwurfs abgewendet hat, wird nur in seltenen Fällen die Öffentlichkeit informieren. Ein solcher „prepackaged plan“ kann auch mit einem vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren in den Restrukturierungsplan nach dem StaRUG überführt werden, vgl. hierzu grds. § 2 Rz. 9 ff.
d) Ausgleichszahlungen für widersprechende Beteiligte 249
Um den Beteiligten, einzeln oder gruppiert, in einer mehrheitsgetragenen Abstimmung über die Annahme des Insolvenzplanes, der im Ausgangspunkt ergebnisoffen ist und deshalb gravierende Einschnitte in Rechtspositionen der Beteiligten mit sich bringen kann, mindestens den Regelabwicklungswert ihrer Rechte und Forderungen zu gewähren, hat der Gesetzgeber neben den allgemeinen Rechtsbehelfen den Minderheitenschutz in den §§ 245 und 251 InsO formuliert. Die gerichtlich durchzuführende Überprüfung kann allerdings für alle anderen Verfahrensbeteiligten eine Verzögerung des Insolvenzplanverfahrens bedeuten, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass regelmäßig wertende und wirtschaftliche Betrachtungen anzustellen sind und das Insolvenzgericht in Einzelfällen auf die Unterstützung eines Sachverständigen angewiesen ist und deshalb nicht in der gebotenen kurzen Zeit entscheiden kann.
250
Hinweis: Gerade in Insolvenzplanverfahren, die in der Mehrheit der Fälle Sanierungsverfahren sein werden, spielt der Zeitfaktor nicht selten eine entscheidende Rolle. Querulatorische oder auch berechnende Gläubiger oder Gesellschafter, die als potentielle Planstörer darauf aus sind, sich ihre Rechtsposition bzw. ihr Antragsrecht „abkaufen“ zu lassen, können das Planverfahren erheblich verzögern und damit die Realisierungschance deutlich gefährden. Sich umgekehrt durch ein solches Störverhalten haftbar zu machen, hindert die wenigsten, dies dann auch zu tun. Unabhängig hiervon besteht wie bei jeder wertenden Betrachtung ein nicht immer leicht zu kalkulierendes Risiko, weil nach Auffassung des Insolvenzgerichts die im Insolvenzplan zugesagten Leistungen nicht dem Mindeststandard der Regelabwicklung entsprechen. Sich auf zeitraubende Diskussionen und Erörterungen im Versuch, den anderen/das Gericht zu überzeugen, einzulassen, kann bereits das Ende eines erfolgreichen Insolvenzplanverfahrens bedeuten.
251
§ 251 Abs. 3 InsO sieht deshalb die Möglichkeit vor, solche potentiellen Störungen bzw. Diskussionen außerhalb des Insolvenzverfahrens auszutragen. Es ist eine Auffangposition zu schaffen, die Ausgleichszahlungen ermöglicht und vor Geltung des ESUG als „salvatorische Klausel“ bezeichnet wurde. Dieser Ansatz kann entsprechend auch für § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO herangezogen werden.337 Im Insolvenzplan können zusätzliche Leistungen an solche Beteiligten versprochen werden, die dem Insolvenzplan widersprechen und außerhalb des Insolvenzverfahrens den Nachweis führen, dass sie ohne solche Zusatzleistungen durch den Insolvenzplan schlechter gestellt werden als ohne Plan. Enthält der Insolvenzplan eine Regelung für Ausgleichszahlungen und ist die Finanzierung der zusätzlichen Leistung gesichert und ist eindeutig, dass durch diese Zusatzleistung der Mindeststandard der Regelabwicklung erreicht wird, stehen §§ 245 und 251 InsO der Planbestätigung nicht entgegen.338 Das Insolvenzverfahren ist nach rechtskräftiger Planbestätigung aufzuheben, und vermeintlich benachteiligte Beteiligte können nach allgemeinen Grundsätzen gerichtlich die Streitfrage klären lassen.339
252
Enthält der Insolvenzplan eine solche Auffangposition, muss im Rechtsmittelverfahren der Beschwerdeführer zur Zulassung glaubhaft machen, dass der aus der Schlechterstellung für ihn herrührende Nachteil über die Ausgleichszahlung nicht kompensiert werden kann, § 253 Abs. 2 Ziff. 3 InsO (vgl. Rz. 420 ff.). 337 Vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 508, noch zu den „salvatorischen Klauseln“. 338 BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, DZWiR 2017, 535 ff.: Die Finanzierung der Mittel muss gesichert sein und ein vollständiger Ausgleich der Schlechterstellung muss eindeutig erreicht werden. Werden Sicherheiten zur Verfügung gestellt, müssen diese werthaltig sein. 339 Ein Formulierungsbeispiel für eine „salvatorische Klausel“ findet sich bei Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, 1998, S. 85 und S. 89.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 254 § 3 Hinweis: Ausgleichszahlungen können keinen „schlechten Insolvenzplan“ retten. Regelungen hierfür sind kein vom Planersteller einzusetzendes Instrument, um für alle Fälle die Bestätigung des Plans zu erreichen. Dem Planersteller obliegt es im Vorfeld und nach der Einreichung des Plans, spätestens während der Erörterung des Plans abzuklären, wer im Einzelfall als widersprechender Beteiligter in Betracht kommt, alternativ an welcher Stelle die Planlösung insgesamt nachzubessern ist. Ob zusätzliche Leistungen an widersprechende Beteiligte das Risiko der Verfahrensverzögerung (ausschließen oder) vermindern können, hängt von der Höhe des zum Ausgleich der Schlechterstellung erforderlichen Betrages und der Anzahl der widersprechenden Beteiligten einerseits und der gegebenen Möglichkeit einer Sicherung dieses Betrages andererseits ab. Der Planverfasser muss insbesondere auch abwägen, ob er mit Aufnahme einer solchen Regelung Begehrlichkeiten bei den Beteiligten weckt, womit eine höhere Vorsorgeleistung zur Verfügung stehen muss.340 Zu berücksichtigen ist nämlich, dass zwar das Insolvenzgericht keine Entscheidung in der Hauptsache trifft, ob der widersprechende Gläubiger durch den Plan schlechter gestellt ist und ihm deshalb ein Ausgleich zusteht, aber prüfen muss, ob die bereitgestellten Mittel ausreichend sind, um eine (hier nur eine vorgetragene) Schlechterstellung auszugleichen.341 Mit der vom BGH festgestellten Unwirksamkeit von materiellen Ausschlussklauseln342 kann man die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs nicht mittels einer Planregelung zeitlich begrenzen.343 Der mit dem Plan dem Grunde nach begründete Ausgleichsanspruch, der sich der Höhe nach realisiert, soweit eine Schlechterstellung gegeben ist, unterliegt der allgemeinen dreijährigen BGB-Verjährung, die mit der Wirksamkeit des Insolvenzplans zu laufen beginnt.
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Die salvatorische Klausel, als der bereits vom Gesetzgeber der Insolvenzordnung so benannte plantechnische Begriff für die Ausgleichszahlung, ist von der aus dem Allgemeinen Teil des BGB bekannten salvatorischen Klausel zur Abbedingung des § 139 BGB zu trennen: Die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen wird nicht berührt, wenn eine Bestimmung unwirksam ist oder wird, wobei die unwirksame Bestimmung durch eine wirksame Bestimmung zu ersetzen ist, die inhaltlich dem Gewollten weitestgehend entspricht. Entsprechendes gilt für eine Lücke. Die salvatorische Klausel nach BGB ist im Insolvenzplanverfahren unzulässig, allein § 221 Satz 2 InsO kann helfen, offensichtliche Fehler des Plans zu beseitigen, soweit die Umsetzung des Plans daran scheitern sollte.344
e) Muster: Gliederung eines Insolvenzplans Hinweis: Muster(gliederungen) nehmen nicht für sich in Anspruch, das Maß aller Dinge zu sein. Sie helfen aber, Verfahrensabläufe zu standardisieren und zu vereinheitlichen. Damit kann ein gewisser Grad von Anwenderfreundlichkeit erzeugt werden, nicht übersehend, dass entsprechende Vorlagen dem jeweiligen Einzelfall anzupassen sind. Eine Gliederung für einen Insolvenzplan kann wie folgt aussehen345:
340 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 245 Rz. 30 und § 251 Rz. 21, fordert eine der Höhe nach unbeschränkte Gleichstellungsklausel. Dies ist nicht zwingend, birgt zudem die beschriebene Unsicherheit, ob eine taugliche Regelung aufgenommen ist. 341 Zu weitgehend LG Mannheim v. 24.7.2020 – 4 T 127/17, ZInsO 2021, 456, 458, das § 240 BGB anwenden und den Planersteller auffordern will, den Ausgleichsbetrag zu erhöhen, um die Bestätigungsfähigkeit des Plans zu erlangen. Allenfalls ist ein Hinweis gem. § 139 ZPO möglich. Die amtswegige Tätigkeit des Gerichts ebenso ablehnend Smid, a.a.O., 424, 429 f. 342 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560 562 f. 343 Noch vor der BGH-Rechtsprechung zur Unwirksamkeit von materiellen Ausschlussklauseln den Ansatz alsbaldiger Klärung zutreffend beschreibend Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 155. A.A. LG Mannheim v. 24.7.2020 – 4 T 127/17, ZInsO 2021, 456, 458, das wegen der „rudimentären“ Regelung des § 251 Abs. 3 InsO im Vergleich zur abschließenden Nachzüglerregelung in den §§ 259a und b InsO eine Ausschlussklausel für statthaft hält. 344 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 563 f. Kritisch hierzu Madaus, a.a.O., 702, 703, der das Verständnis des BGH zur Rechtsnatur des Insolvenzplans außerhalb der allgemeinen Dogmatik des Zivil- und Prozessrechts als Einordnung ohne Erkenntniskraft wertet. 345 Die Mustergliederung ist entwickelt von und entnommen aus Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, 1998, S. 3 ff. Nach Angaben der Verfasser ist das Beispiel umgesetzt anhand eines konkreten
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254
§ 3 Rz. 254 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Darstellender Teil346 A. Grundsätzliche Ziele und Regelstruktur des Plans I. Art und Ziel des Plans II. Regelungsansatz für 1. absonderungsberechtigte Gläubiger mit gesicherten Finanzkreditforderungen 2. absonderungsberechtigte Gläubiger mit gesicherten Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 3. nicht nachrangige Gläubiger 4. Kleingläubiger 5. Arbeitnehmer B. Gruppenbildung347 Zahl, Art und Abgrenzung der im Plan vorgesehenen Gruppen C. Beschreibung und Offenlegung für die Beurteilung des Plans notwendiger Unternehmensdaten (Informations- und Datenpool)348 Erster Abschnitt: Zeitraum bis zur Stellung des Insolvenzantrags 1. Bisherige Unternehmensentwicklung 1.1 Unternehmensgeschichte 1.2 Finanzwirtschaftliche Entwicklung 1.3 Mitarbeiterentwicklung und arbeitsrechtlicher Rahmen 2. Rechtliche Verhältnisse 2.1 Gesellschaftsrechtliche Ebene 2.2 Kapitalerhaltung und Kapitalersatz 2.3 Verbundene Unternehmen und Beteiligungen 2.4 Steuerrechtliche Verhältnisse 2.5 Dauerschuldverhältnisse 2.6 Relevante Rechtsstreite 3. Finanzwirtschaftliche Verhältnisse 3.1 Finanzierung 3.2 Kreditsicherheiten und Haftungsverhältnisse 3.3 Vermögens- und Schuldenlage 3.4 Erfolgslage
Sachverhalts, nämlich eines Produktionsunternehmens des Maschinenbaus. Daraus verstehen sich die einzelnen konkreten Gliederungspunkte, insbesondere die Gruppenbildung. Von der Möglichkeit, in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen oder gruppeninterne Drittsicherheiten mehrheitsgetragen einzugreifen, wird kein Gebrauch gemacht. Es ist jedoch im gestaltenden Teil unter B. eine individualvertragliche gesellschaftsrechtliche Regelung vorgesehen/aufgenommen. Alternativ kann der Insolvenzplan mit einer Planbedingung i.S.v. § 249 InsO erstellt werden, um diesen Sachverhalt außerhalb und nachgeschaltet zum Insolvenzplan zu regeln. Eine Orientierung gibt ebenso IDW S 2, Stand: 19.11.2019, IDW Life 2020 S. 45 ff. Für ein Verbraucherinsolvenzverfahren kann die am 15.3.2018 auf dem 15. Deutschen Insolvenzrechtstag 2018 im Workshop 2 erarbeitete Gliederung dienen, Insbüro 2018, 225 ff. Den gestaltenden Teil eines Insolvenzplans für Verbraucher mit denkbaren Regelungen skizziert Nawroth, Insbüro 2016, 66 ff. Einfache Insolvenzpläne und deren Gestaltung beschreiben bspw. Beyer, ZVI 2013, 334 ff., und ZVI 2014, 289 ff.; Grote, Insbüro 2014, 203 ff. und 252 ff. 346 § 220 InsO. 347 Die Gruppenbildung ist Bestandteil des gestaltenden Teils, § 222 InsO. Ohne jedoch zumindest die informatorische Angabe über die Gruppenbildung auch an dieser Stelle vorzunehmen, sind die beschreibenden Maßnahmen im darstellenden Teil regelmäßig nicht verständlich. 348 Alternativ dazu kann an dieser Stelle eine Zusammenfassung aufgenommen werden, um den eigentlichen Insolvenzplan nicht mit Informationen zu überladen und dem vornehmlich am Ergebnis interessierten Leser ein Mindestmaß an Information zu vermitteln. Weitere Details können dann in Anlagen zum Insolvenzplan, auf die zu verweisen ist, dargestellt werden.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 254 § 3 4. Leistungswirtschaftliche Verhältnisse 4.1 Produkt- und Leistungsprogramm 4.2 Standort 4.3 Beschaffung 4.4 Produktion 4.5 Absatz 4.6 Forschung und Entwicklung 5. Organisatorische Grundlagen 5.1 Aufbauorganisation 5.2 Informations- und Berichtswesen 5.3 Controlling 6. Umweltrelevante Sachverhalte Zweiter Abschnitt: Zeitraum nach Stellung des Insolvenzantrags […] D. Analyse des Unternehmens I. Insolvenzursachenanalyse II. Lagebeurteilung E. Leitbild für das durch den Insolvenzplan umzugestaltende Unternehmen F. Zusammenfassung der für die Realisierung des Plans nötigen Maßnahmen349 Erster Abschnitt: Seit Antragstellung bereits ergriffene Maßnahmen […] Zweiter Abschnitt: Durch und mit dem Plan beabsichtigte Maßnahmen I. Allgemeines 1. Gesellschafterebene 2. Raumfragen II. Gruppenbildung – Behandlung der Gruppenbeteiligten III. Sonstige Maßnahmen 1. Überwachung der Planerfüllung 2. Kreditrahmen 3. Sonstige Maßnahmen IV. Hinweise zum Obstruktionsverbot und Minderheitenschutz G. Vergleichsrechnung I. Voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger bei Nichtannahme des Plans 1. Voraussichtlicher weiterer Verlauf des Regelinsolvenzverfahrens 2. Ergebnisse für die Gläubiger je Gruppe II. Voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger bei Annahme des Plans 1. Darstellung des weiteren geplanten Geschäftsverlaufs 2. Ergebnisse für die Gläubiger je Gruppe H. Zusammenfassung der Ergebnisse für die Gläubiger bei Annahme des Planvorschlags 1. Ergebnisse für Inhaber von Absonderungsrechten – Finanzkreditgläubiger 2. Ergebnisse für Inhaber von Absonderungsrechten – Gläubiger mit Lieferungen und Leistungen 3. Ergebnisse für nicht nachrangige Gläubiger 4. Ergebnisse für Kleingläubiger 5. Ergebnisse für Arbeitnehmer
349 Die entsprechenden schuld- und sachenrechtlichen Formulierungen sind Bestandteil des gestaltenden Teils und werden hier allein zum besseren Verständnis aufgenommen.
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§ 3 Rz. 254 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung I. Antrag für den Abstimmungstermin zur Beschlussfassung der Gläubiger über eine abweichende Regelung zum Erhalt des Unternehmens350 J. Erläuterung und Analyse der Vermögensübersichten und sonstigen Berechnungen − Kommentierung der Plananlagen Gestaltender Teil351 A. Gruppenbildung352 B. Schuldrechtliche und dingliche Willenserklärungen zur Herabsetzung des Stammkapitals und der nachfolgenden Erhöhung des Stammkapitals353 C. Planregelung für Gläubiger der Gruppe 1: Regelung für absonderungsberechtigte Gläubiger, deren Absonderungsrechte Finanzkreditforderungen sichern D. Planregelung für Gläubiger der Gruppe 2: Regelung für absonderungsberechtigte Gläubiger, deren Absonderungsrechte Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sichern E. Planregelung für Gläubiger der Gruppe 3: Regelung für nicht nachrangige Gläubiger, soweit sie nicht als Kleingläubiger unter lit. F einzuordnen oder keine Arbeitnehmer sind F. Planregelung für Gläubiger der Gruppe 4: Regelung für nicht nachrangige Gläubiger mit Forderungen kleiner als oder ermäßigt auf … Euro, soweit sie nicht Arbeitnehmer sind (Kleingläubiger) G. Regelung für Gläubiger der Gruppe 5: Regelung für nicht nachrangige Gläubiger, die Arbeitnehmer der Schuldnerin sind H. Investitions-/Geschäftsführungsmaßnahmen I. Minderheitenschutzregelung354 J. Wirksamkeitszeitpunkt/Allgemeine Regelungen K. Überwachung der Planerfüllung355 L. Einräumung eines Kreditrahmens356 Plananlagen357 1. Allgemeine Anlage A 1 – A 5
Jahresabschlüsse […] – […]
Anlage A 6
Satzung der Gesellschaft
Anlage A 7
Interessenausgleich
Anlage A 8
Sozialplan
2. Plananlagen gem. § 229 InsO a) Originäre Anlage A 9
Vermögensübersicht mit Darstellung Plan-Bilanz
Anlage A 10
Plan-G+V
Anlage A 11
Plan-Liquiditätsrechnung
350 Vgl. §§ 1 Satz 1 Halbs. 2, 217 ff. InsO. 351 §§ 221 bis 228 InsO. 352 Die Gruppenbildung der Mustergliederung ist auf ein konkretes Beispiel bezogen, das dem jeweiligen Einzelfall anzupassen ist. Aus § 222 i.V.m. § 221 InsO ergibt sich, dass die Gruppenbildung Pflichtbestandteil des gestaltenden Teils des Insolvenzplans ist. Zum Verständnis kann gleichwohl auch im darstellenden Teil eine informatorische Angabe erfolgen. Dies entlastet allerdings nicht davon, im gestaltenden Teil entsprechende Regelungen aufzunehmen. 353 § 228 InsO. 354 Ausgleichszahlungen i.S.v. § 251 Abs. 3 (bzw. § 245 Abs. 1 Ziff. 1) InsO. 355 §§ 260 ff. InsO. 356 §§ 264 ff. InsO. 357 §§ 229, 230 InsO.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 256 § 3 b) Ergänzende Anlage A 12
Vermögensübersicht auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung gem. § 153 InsO mit Regelabwicklungs-(Zerschlagungs-)werten
c) Zusätzliche Anlage A 13
Gläubigerverzeichnis mit Adressen Gruppe 1
Anlage A 14
Gläubigerverzeichnis mit Adressen Gruppe 2
Anlage A 15
Gläubigerverzeichnis mit Adressen Gruppe 3
Anlage A 16
Gläubigerverzeichnis mit Adressen Gruppe 4
Anlage A 17
Gläubigerverzeichnis mit Adressen Gruppe 5
4. Der Gläubiger als Planbetroffener a) Einflussnahme auf die Plangestaltung aa) Planinitiativrecht durch Beauftragung Die Gläubigerversammlung hat gem. § 157 Satz 2 InsO ein Planinitiativrecht, indem sie den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen kann. Es besteht damit auch die Möglichkeit, dass die Gläubigerversammlung den Verwalter durch Beschluss mit der Vorlage eines bereits ausgearbeiteten Plans beauftragt. Der Verwalter muss nachfolgend binnen angemessener Frist den Insolvenzplan vorlegen, § 218 Abs. 2 InsO. Die Angemessenheit der Frist hängt von der konkreten Verfahrens- und Unternehmenssituation ab. Soweit das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung angeordnet hat, ist der Auftrag an den Schuldner oder Sachwalter zu stellen, § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO. Bereits im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist der vorläufige Gläubigerausschuss auftragsberechtigt, dem vorläufigen Sachwalter oder dem Schuldner die Planerstellung aufzugeben, § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO. Mit der Beauftragung bereits im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren sollen mögliche Sanierungen beschleunigt werden. Hierbei geht der Gesetzgeber erkennbar von der Einbindung des vorläufigen Sachwalters aus, auch wenn er den Schuldner als per se Planvorlageberechtigten ebenso als Auftragnehmer bezeichnet hat.358 Ein eigenes unmittelbares Planvorlagerecht steht der Gläubigerversammlung nicht zu (vgl. Rz. 107).
255
bb) Sonstige Mitwirkungshandlungen und Rechte der Gläubiger Stellt der Verwalter einen Insolvenzplan auf, können der Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten mitwirken. Eine Pflicht hierzu besteht nicht. Beratende Mitwirkung i.S.v. § 218 Abs. 3 InsO bedeutet, dass der Verwalter über den grundsätzlichen Entschluss sowie den Fortgang der Umsetzung oder auch die Einstellung weiterer Bemühungen unterrichtet und neben der formellen auch die inhaltliche Möglichkeit zur Diskussion gibt. Die in § 218 Abs. 3 InsO genannten Beteiligten sind zugleich diejenigen, die den Insolvenzplan im Zuge der Vorprüfung durch das Insolvenzgericht zur Stellungnahme gem. § 232 Abs. 1 InsO erhalten. Verletzt der Insolvenzverwalter die Mitwirkungsrechte gem. § 218 Abs. 3 InsO, führt dies nicht zur Zurückweisung des Insolvenzplans gem. § 231 Abs. 1 Ziff. 1 InsO, weil § 218 Abs. 3 InsO einerseits keine zu prüfende Vorschrift über den Inhalt des Plans ist, andererseits über die Möglichkeit zur Stellungnahme das Unterlassen geheilt werden kann.359 358 Noch vor dem SanInsFoG grundlegend zu den möglichen Aufgaben des vorläufigen Sachwalters: BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, MDR 2016, 1291 = NZI 2016, 963 ff. 359 Vgl. hierzu auch Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 9; Kebekus/ Wehler in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 231 Rz. 2; a.A. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 218 Rz. 56 f., der die Vorschrift zum Planvorlagerecht zählt; so auch Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 218 Rz. 14.
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§ 3 Rz. 257 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 257
Das Insolvenzgericht hat dem Gläubigerausschuss (wenn ein solcher bestellt ist), dem Betriebsrat, dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten und davon abhängig, wer den Insolvenzplan vorgelegt hat, dem Insolvenzverwalter oder dem Schuldner den kompletten Insolvenzplan zuzuleiten, um die Möglichkeit zur Information und zur Stellungnahme, die unter Frist zu nehmen ist, zu geben, § 232 Abs. 1 und Abs. 3 und 4 InsO. Hierbei hat das Gericht die Berechtigten auf die Vergleichsrechnung (was erhalten die Gläubiger mit dem Plan, was erhalten die Gläubiger, soweit der Plan nicht umgesetzt wird, § 220 Abs. 2 Satz 2 ff. InsO) besonders hinzuweisen.
258
Nachdem der Insolvenzplan in der Geschäftsstelle zusammen mit den eingegangenen Stellungnahmen niedergelegt ist, haben nunmehr alle Beteiligten das Recht, Einsicht zu nehmen, § 234 InsO (vgl. insbesondere zum Begriff des Beteiligten Rz. 334 ff.).
259
Schließlich gibt der Erörterungstermin (§ 235 InsO) nach der Vorgabe des Gesetzes erstmals die Gelegenheit, (vorab mit Stellungnahmen erhobene) Einwendungen gegen den Insolvenzplan den übrigen Beteiligten mündlich vorzubringen, Fragen zu stellen und sich aus der Diskussion heraus eine Meinung zu bilden oder andere zu überzeugen.
260
Nehmen die Angesprochenen ihr Recht nicht wahr, so beeinflusst dies den weiteren Gang des Planverfahrens nicht. Werden dagegen begründete Ansichten vorgetragen, können diese im Insolvenzplan berücksichtigt werden, insbesondere wenn der Planvorlegende in der Diskussion nicht überzeugen kann und auf die Zustimmung der Mitwirkenden angewiesen ist oder erkennt, dass andere Gläubiger sich den vorgetragenen Argumenten anschließen werden und so erforderliche Mehrheiten in der Abstimmung nicht mehr erreicht werden. Die Änderung des Insolvenzplans, soweit es sich inhaltlich nicht um einen völlig neuen (Zweit-)Plan handelt (vgl. Rz. 203 ff.), erfolgt im Erörterungs- und Abstimmungstermin, § 240 InsO.
261
Hinweis: In komplexen Sachverhalten kann es angezeigt sein, einen Gläubigerausschuss zu bestellen, um die Beteiligung der vertretenen Gläubiger an der Planerstellung durch den Verwalter über die Arbeitnehmerseite hinaus zu gewähren. Einzelnen Gläubigern oder der Gläubigerversammlung steht ein solches Mitwirkungsrecht nicht zu. Abgesehen vom Planinitiativrecht gem. § 157 Satz 2 InsO bleibt im Übrigen, insbesondere in Fällen, in denen der Schuldner den Insolvenzplan erarbeitet, allein die Möglichkeit, aktiv auf den Planersteller zuzugehen und die Mitwirkung bzw. die Gesprächsbereitschaft anzubieten oder entsprechende Angebote von Planerstellerseite von Anfang an wahrzunehmen. Alles was an Einfluss im Planentwurfsstadium geltend gemacht werden kann, muss nicht später – womöglich unter enormen Zeitdruck – im Wege der Erörterung und Abstimmung über den Plan und der Suche nach Verbündeten erreicht werden. Dies bedeutet auch, dass der Gläubiger nicht zuwarten darf, ob überhaupt ein Insolvenzplan vorgelegt wird, sondern auf Planvorlageberechtigte zugehen und solche Möglichkeiten besprechen sollte. § 232 InsO verdeutlicht dies, wenn Stellungnahmen zum überlassenen Insolvenzplan für einzelne Beteiligte erstmals nach der Planeinreichung im Zuge der Vorprüfung durch das Insolvenzgericht möglich sind.
b) Gruppenbildung: Organisation der gemeinsamen Interessen 262
Weil es wesentliches Merkmal eines Insolvenzplans ist, den unterschiedlichen Interessen der Gläubiger Rechnung tragen zu können, sind zunächst anhand rechtlicher Kriterien Gruppen zu unterscheiden (§ 222 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 und 5 InsO). Anschließend können insolvenzbezogene wirtschaftlich unterschiedliche Interessen in verschiedene Gruppen eingeordnet werden (§ 222 Abs. 2 InsO).360 Berücksichtigt man weiter, dass die Abstimmung über die Annahme oder Ablehnung des Insolvenzplanes in den einzelnen gebildeten Gruppen erfolgt, wird deutlich, dass die Gruppenbildung entscheidender Schlüssel dazu ist, die den Beteiligten vorgeschlagene Alternativlösung durchzusetzen (s. auch Rz. 69 ff.). Nicht über alle Gläubiger hinweg, nicht die Absonderungsberechtigten oder die Insolvenzgläubiger, son-
360 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 165 f.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 268 § 3
dern die jeweiligen Gruppen(gläubiger) entscheiden, ob sie von der Regelabwicklung Abstand nehmen wollen oder diese doch erreichen möchten.361 Die Gläubigerversammlung kann, bei entsprechender Mehrheit, den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen, § 157 Satz 2 InsO. Damit hat es die (Beschluss-)Mehrheit der Gläubiger selbst in der Hand, durch entsprechende Vorgaben an den Insolvenzverwalter Gruppen zu bilden und für die Abstimmung entscheidende Mehrheiten, die nicht identisch mit den Beschlussmehrheiten in einer Gläubigerversammlung sind, zu organisieren. Vorweg geht es also darum, in der Gläubigerversammlung die für den dort erforderlichen Beschluss entscheidende Mehrheit zu organisieren. Es ist zu klären, wer eine mögliche Planlösung unterstützt und zu formulieren, welche Planziele verfolgt werden sollen. Dabei versteht es sich von selbst, dass die Gruppenbildung im Auftrag so konkretisiert werden muss, dass die beabsichtigte Regelung in der späteren Abstimmung über den Plan mehrheitsfähig ist.
263
Sieht man einmal vom Planinitiativrecht der Gläubigerversammlung ab, ist auf den ersten Blick vom Wortlaut des Gesetzes nicht weiter zu erkennen, dass die Gläubiger mit dem Planverfahren Optionen haben, die nicht zu unterschätzen sind. Zwar haben es dort andere, nämlich der Insolvenzverwalter kraft eigenen Rechts oder der Schuldner (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO) in der Hand, die Regelungen des Plans, insbesondere die Gruppenbildung vorzunehmen. Aber auch hier geht es entscheidend darum, Mehrheiten zu finden, nämlich die von Gläubigern.
264
Nach der Analyse und Beurteilung des von anderen vorgelegten Plans ist die bestmögliche Organisation der eigenen Interessen, sie mit denen anderer Gläubiger auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, unabhängig davon, ob man den Insolvenzplan unterstützen oder ablehnen will. Es kommt darauf an festzustellen, welcher Gruppe man zugewiesen ist und wer die anderen Gruppenteilnehmer sind. Den Gruppenkonsens, möglicherweise sogar über die eigene Gruppe hinweg zu finden, ist Voraussetzung für den Gläubiger, sich einbringen zu können. Dies muss bereits frühzeitig geklärt werden, insbesondere wenn es sich um inhomogene Gruppen handelt und ansonsten nachfolgend in der Diskussion mit anderen Gläubigern der Konsens und Mehrheiten gefunden werden müssen.
265
Hinweis: Ist der Gläubiger hierzu nicht bereit, wird er im Erörterungs- und Abstimmungstermin auf Zufallsmehrheiten für seine Interessen hoffen müssen.
266
c) Gesellschaftsrechtlicher Einfluss im Unternehmen Ziel des Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Ausgehend von diesem Grundsatz beschreibt die Insolvenzordnung die Verwertung des schuldnerischen Vermögens und Erlösverteilung an die Gläubiger im Regelverfahren. Das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen wird dabei vollständig liquidiert und die Gläubiger erlangen zum Ende des Verfahrens eine (Teil-)Befriedigung in Geld – der Schuldner ist vermögenstechnisch abgewickelt.
267
Mit dem Insolvenzplan wurde den Beteiligten gleichranging zur abschließenden Vermögensverwertung im Regelverfahren ein Rahmen zur Verfügung gestellt, der jede abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens zulässt, indem die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten ergebnisoffen gestaltet werden kann, §§ 1 Satz 1 Halbs. 2, 217 Abs. 1 Satz 1 InsO. So gesehen sollte auch die Befriedigung der Gläubiger im Planverfahren frei geregelt werden können. Der Gesetzgeber zur InsO ließ dies allerdings nicht uneingeschränkt zu. Er folgte der rechtspolitischen Überzeugung, dass keinem Gläubiger gegen seinen Willen durch eine bei der Planabstimmung erfolgende
268
361 Neben den Anteils- und Mitgliedschaftsrechten der am Schuldner beteiligten Personen, die am Planverfahren als stimmberechtigte Gruppe teilnehmen, wenn deren Rechte einbezogen werden, § 222 Abs. 1 Ziff. 4 InsO.
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§ 3 Rz. 268 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Mehrheitsentscheidung anstelle der Befriedigung in Geld eine andere Zuteilung von Rechten oder Vermögenspositionen zukommen sollte. Insoweit versteht sich die (durch das ESUG unverändert gebliebene) Regelung in § 230 Abs. 2 InsO, wonach bei Zuwendung unternehmerischen Risikos, selbst wenn die zugeteilte Position keine persönliche Haftung beinhaltet, die zustimmende Erklärung eines jeden betroffenen Gläubigers erforderlich ist. 269
Ein Weiteres: Selbst wenn Gläubiger die Bereitschaft erkennen ließen, im Rahmen einer Planlösung anstelle (oder ergänzend zu) einer Quotenzahlung Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen zu übernehmen, war dies ohne Zustimmung der Inhaber von solchen Rechten nicht möglich. Die Insolvenzordnung ließ den Eingriff in Eigenkapitaltitel nicht zu. Nur formwahrend konnten die entsprechenden Willenserklärungen der Rechteinhaber in den Insolvenzplan aufgenommen werden, ohne dass sonstige Gestaltungsmaßnahmen mehrheitsgetragen beschlossen werden konnten, vgl. § 254 Abs. 1 Satz 2 InsO a.F. – der Insolvenzplan konnte die Mitwirkung der Rechteinhaber nicht ersetzen.
270
Der Gesetzgeber zur InsO hatte dies bewusst so (un)geregelt (belassen), dabei aber auch verkannt, dass die organisationsrechtliche Zusammenfassung des Unternehmens über seinen Rechtsträger einen Vermögensmehrwert (bspw. Lizenzen, Konzessionen, Abbaugenehmigungen, Dauerschuldverhältnisse mit Drittbezug wie Mietverträge oder sonstige Positionen, die an den Rechtsträger gebunden und nicht frei übertragbar und damit nicht verwertbar sind) darstellt und Haftungsmasse ist, die den Gläubigern in der Insolvenz zusteht und erst nachrangig den Anteilsinhabern. Nachhaltige Umstrukturierungen mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung mussten deshalb nicht selten von den Altgesellschaftern im Verhandlungswege abgekoppelt und im Rahmen eines Gesellschafterwechsels teuer erkauft werden.362 Den Eigentümern wurde mit dieser Regelung ein „Erpressungspotential“ geboten, was das Insolvenzverfahren mit Hilfe des Insolvenzplans und der Regelung des Obstruktionsverbotes gerade beseitigen wollte – einzelne sollten grundsätzlich wirtschaftlich vorteilhaftere Lösungen, und sei es auch nur für andere, nicht verhindern können. Es wurden daher berechtigte Stimmen laut, dass bei einem, den Befriedigungsprozess der Gläubiger nicht unterstützenden Altgesellschafter die Beteiligten eine Möglichkeit haben müssen, sich von ihm zu trennen.363 Gerade auch das Risiko der Sanierungsfinanzierung aus der Insolvenz heraus und die mit der Restrukturierung verbundene unternehmerische Chance mussten wieder deckungsgleich werden.
271
Mit dem ESUG hat der Gesetzgeber u.a. die Möglichkeit geschaffen, Forderungen in Anteilsrechte umzuwandeln.364 Er hat die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger als vorrangiges Ziel des Insolvenzverfahrens herausgestellt, daran will er festgehalten: Trotz der Option, mittels Insolvenzplan den Erhalt eines insolventen Unternehmens zu gestalten, kann dies in einer marktwirtschaftlichen Ordnung (vgl. hierzu auch Rz. 1 ff.) kein Selbstzweck sein. Nur wenn der Fortführungswert des Unternehmens den Zerschlagungswert übersteigt, damit Werte erhalten oder geschaffen und nicht vernichtet werden, ist die Abkehr von der vollständigen Abwicklung, der Liquidation des Rechtsträgers, erstrebenswert. In diesem Fall liegt die Fortführung auch (dies formuliert der Gesetzgeber so, also zugleich nicht ausschließlich aus Sicht der Anteilsinhaber) im Interesse der Gläubiger, die das wirtschaftliche Risiko des Gelingens oder Scheiterns einer Sanierung tragen und daher stärker darüber entscheiden sollen, ob und wenn ja, mit wem eine Sanierung versucht wird. Der Gesetzgeber zum ESUG hat die strikte Trennung von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht aufgegeben. Neben den bisherigen Gestaltungsmöglichkeiten individualvertraglicher Art (vgl. Rz. 127 und Rz. 211) kann der Insolvenzplan über die
362 Einen Gesamtüberblick, in der Literatur diskutierte sowie eigene Lösungsansätze für eine vor dem ESUG eingeforderte Gesetzesreform geben bspw. Sassenrath, ZIP 2003, 1517, und Westphal/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, S. 13 ff. 363 Braun in Ganter/Gottwald/Lwowski, FS Gero Fischer, 2008, S. 53 ff.; Pape, ZInsO 2010, 2155, 2157; Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 204; Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1, 3; Willemsen/Rechel, BB 2010, 2059, 2062 ff. 364 Ausführlich hierzu BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 26 f. und 46 ff.
212 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 275 § 3
mehrheitsgetragene Planabstimmung Kapital- sowie sonstige gesellschaftsrechtliche Maßnahmen umsetzen. Zentrale Norm ist dabei § 225a InsO.365 aa) Verzahnung von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO beschreibt als Grundsatz, dass Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Insolvenzplan einbezogen werden können. Vergleichbar den Eingriffsmöglichkeiten in Forderungen und Rechte der Gläubiger (§§ 223 bis 225 InsO), konkretisiert der Gesetzgeber bei einer entsprechenden Gruppenbildung gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 4 InsO (… wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden …) denkbare Eingriffsgestaltungen in § 225a InsO, ohne dabei eine abschließende Regelung zu treffen.366 Will der Planverfasser von der Möglichkeit Gebrauch machen, Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte mit dem Insolvenzplan zu gestalten, muss er eine entsprechende Regelung aufnehmen. § 225a Abs. 1 InsO stellt klar, dass Inhaberrechte im Grundsatz vom Insolvenzverfahren unangetastet bleiben, die Beteiligten aber die Möglichkeit haben, mit einer entsprechenden Planregelung gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmaßnahmen zu treffen. Für die Teilhabe der am Schuldner beteiligten Personen am Verfahren besteht ohne entsprechende Planregelung kein Anlass, insbesondere nehmen sie nicht an der Abstimmung über den Insolvenzplan teil.
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Alles, was (gesellschafts-)rechtlich individualvertraglich zulässig ist, kann geregelt werden. Es gilt kein Enumerativprinzip (… insbesondere …). Diesen, für das Planverfahren maßgeblichen Grundsatz nimmt § 225a Abs. 3 InsO als Grundnorm im Bereich der Regelung der Inhaberrechte auf und ermöglicht, die gesellschaftsrechtlichen Strukturen des schuldnerischen Unternehmens grundlegend umzugestalten und sie den Bedürfnissen des Insolvenzplanverfahrens anzupassen. Da immer mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens von Gesetzes wegen die betroffene Gesellschaft aufgelöst wird, nennt das Gesetz als typischen Anwendungsfall die Fortsetzung der schuldnerischen Gesellschaft.367 Weiter wird die Übertragung von Beteiligungen des Schuldners an Drittgesellschaften als denkbare Maßnahme angeführt.
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Im Insolvenzplan ist im Einzelnen aufzunehmen, was geregelt und wie die angestrebte Maßnahme technisch umgesetzt werden soll.
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Hinweis: Der Insolvenzplan erfüllt an dieser Stelle die Funktion einer Mantelurkunde. Der Planverfasser fertigt zur Regelung der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte diejenigen Unterlagen und Dokumente, die sonst im Rahmen einer Gesellschafterversammlung vorbereitet und dort zur Abstimmung und weiteren Umsetzung vorgelegt werden, nebst allen sonst erforderlichen formellen Erklärungen. Der Insolvenzplan wahrt verfahrensvereinfachend alle Formvorschriften, § 254a InsO. Die Einbindung kann dabei unmittelbar in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans erfolgen. Der Übersichtlichkeit wegen und, soweit sich im Stadium der Erstellung laufend Änderungen ergeben, bietet sich an, diese Dokumente in den Anlagenteil (§ 230 InsO) auszulagern.368 So kann parallel und unabhängig voneinander gearbeitet werden: Der insolvenzrechtlich ge-
275
365 Die in diesem Zusammenhang angedachte Änderung des Sanierungsprivilegs des § 39 Abs. 4 InsO hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Er hat in Aussicht gestellt, die Auswirkungen des zum 1.11.2008 mit dem MoMiG in die InsO eingefügten Sanierungsprivilegs auf das gestärkte Insolvenzplanverfahren zu beobachten, BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 26. 366 Müller, KTS 2012, 419 ff., beschäftigt sich übergreifend mit den Folgen gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen im Insolvenzplanverfahren. Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 ff., stellt den dept equity swap mit Bezugsrechtsausschluss für die Personengesellschaft, AG und GmbH dar. 367 An die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft anknüpfend beschreiben als einen denkbaren Anwendungsfall Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975 ff., die Ausgliederung anstelle des asset deals im Planverfahren. 368 Entsprechende Formulierungen und Arbeitshilfen können den gängigen gesellschaftsrechtlichen Formular- und Vertragshandbüchern entnommen werden. Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557 ff., stellen
Frank | 213
§ 3 Rz. 275 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung prägte Planverfasser an der Plankonzeption, der gesellschaftsrechtliche Spezialist an den gesellschaftsrechtlichen Unterlagen.
bb) Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital 276
Mit § 225a Abs. 2 InsO wird die Verzahnung zum Gesellschaftsrecht anhand eines weiteren Anwendungsbeispiels konkretisiert. Im gestaltenden Teil kann vorgesehen werden, dass Forderungen von Gläubigern in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden, im internationalen Kontext auch als dept equity swap bezeichnet.369
277
Maßgeblich für den Erfolg einer Restrukturierung und damit zur Abwendung der Regelabwicklung ist im Regelfall die Zufuhr von neuem Kapital. Ist der Gesellschafter dazu nicht Willens oder in der Lage, ist der Eigenkapitalbereich nicht verfügbar. Im Fremdkapitalbereich müssen die Gläubiger, weil Dritte hierzu nicht bereit sein werden, die Finanzierung des Unternehmens übernehmen, wollen sie den mit der Regelabwicklung einhergehenden (und prognostiziert höheren) Verlust abwenden, zumindest sich aber die Chance darauf erhalten. Folglich gewährt der Gläubiger neue Darlehen und Kredite, die er mit Zins und Tilgung zurückgeführt erhält, soweit sich der Sanierungserfolg einstellt. Hat er nur eine Quotenzusage auf seine Altforderungen erhalten, musste er zugleich auf den Restbetrag verzichten. Die Quote bekommt er im Erfolgsfalle ebenso bezahlt, besten Falls erhält er noch eine Besserungszusage auf die erlassenen Altforderungen.
278
Das Risiko des Scheiterns trägt mit der Neufinanzierung der Gläubiger. Die Rückführung der Neufinanzierung, die Bezahlung der Planquote wie auch die Leistung auf die Besserungszusage sind berechtigte (und damit reguläre) Erwartungen der Insolvenzplanunterstützung, geben aber weder die Chance auf Partizipation am Sanierungserfolg, noch stellen sie einen Mehrwert für den Gläubiger dar. Zudem kann er in seiner Position als Gläubiger Unternehmensentscheidungen nicht beeinflussen. Er ist vom Wohl und Wehe der Gesellschafter abhängig. Für ihn würde sich nur etwas ändern, wenn er die Beteiligungsstruktur zu seinen Gunsten verändern könnte. (1) Wahlrecht zur Teilhabe am Sanierungserfolg
279
Hier setzt der dept equity swap gem. § 225a Abs. 2 Satz 1 und 3 InsO an. Er ermöglicht über eine mehrheitsgetragene Entscheidung der Beteiligten und damit auch der Gläubiger, die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital, indem bspw. Regelungen zur Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, der Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Anteilsinhaber vorgesehen werden.370 Die Gläubiger können so Mitgesellschafter weranhand zweier fiktiver Beispiele die Einbeziehung der Anteilsinhaber in den Insolvenzplan mit den entsprechenden Regelungen dar; Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374 ff., geben Formulierungsbeispiele für den dept equity swap. Vgl. auch Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, 1998, S. 76 ff., noch vor ESUG mit in den Insolvenzplan aufgenommenen individuellen Willenserklärungen. 369 Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541 ff., zu den Reformperspektiven einer Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (debt equity swap) im Insolvenzverfahren. Einen kompakten Überblick zum dept equity swap mit Bezugsrechtsausschluss gibt Wertenbruch, ZIP 2013, 1693 ff., für die Personengesellschaft, AG und GmbH. 370 Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 113, schlagen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH zu Strukturmaßnahmen außerhalb einer Insolvenz vor, vorsorglich Ausgleichszahlungen gem. § 251 Abs. 3 InsO zur Abgeltung eines dem Grunde nach vorhandenen (wenn auch geringen) Börsenwerts aufzunehmen. Nawroth/Wohlleber, ZInsO 2013, 1022 ff., zeigen anhand eines Praxisfalls, dass trotz festgestellter Wertlosigkeit der Geschäftsanteile zur Vermeidung jedweder Diskussion um einen Abfindungsanspruch gem. § 225a Abs. 5 InsO dem Altgesellschafter ein (symbolischer) Kaufpreis gezahlt werden sollte. Wienecke/Hoffmann, ZIP 2013, 697 ff., gehen auf die Besonderheiten des Erhalts der Börsennotierung beim echten wie auch unechten dept equity swap ein und stellen dar, weshalb eine Kapitalherabsetzung auf Null die Börsenzulassung über das Insolvenzplanverfahren hinaus gefährdet. Abfin-
214 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 284 § 3
den und die Geschäftspolitik bestimmen. Sie können aber auch am Unternehmensmehrwert, der durch den Sanierungserfolg geschaffen wird, beteiligt werden. Um diese Chance zu erhalten, müssen die Gläubiger die Entscheidung treffen, unternehmerisch tätig zu sein und eine entsprechende Planregelung aufnehmen (lassen). Gegen den Willen des betroffenen Gläubigers kann die Umwandlung nicht durchgeführt werden, § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO. Nicht die Gläubigergemeinschaft, jeder einzelne Gläubiger hat die entsprechende Entscheidung zu treffen. Die erforderliche Zustimmungserklärung ist gem. § 230 Abs. 2 InsO dem Plan beizufügen.
280
Hinweis: Die Zustimmung des Gläubigers kann, anders als die Aufnahme der Regelung zur Umwandlung selbst (Auftrag der Gläubigerversammlung an den Insolvenzverwalter auf entsprechend inhaltliche Ausgestaltung gem. § 157 Satz 2 InsO) oder die Entscheidung über die Planannahme zur Umsetzung des dept equity swap, nicht im Wege einer mehrheitlichen Abstimmung der Gläubiger ersetzt werden.
281
§ 5 Abs. 3 Ziff. 5 SchVG371 sieht unabhängig hiervon die Möglichkeit eines Mehrheitsbeschlusses vor; ergeht ein solcher, ist er als Plananlage gem. § 230 Abs. 2 InsO beizufügen. Bei der Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital kommt es bilanziell gesehen zu einem Passivtausch.372 Die bilanzielle Bereinigung unterstützt die Beseitigung der Überschuldung und stärkt die Eigenkapitalquote. Dies hat bspw. zur Folge, dass bei einem nach abgeschlossener Restrukturierung durchgeführten Bankenrating geringere Finanzierungskosten anfallen als bei einem Unternehmen, welches überproportional fremdfinanziert ist.373
Im Insolvenzplan ist im Einzelnen aufzunehmen, was geregelt und wie die angestrebte Maßnahme technisch umgesetzt werden soll:
282
Üblicherweise erfolgt die Umwandlung einer Forderung in Eigenkapital durch eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung, wobei die Forderung als Sacheinlage eingebracht wird.374 Bei Kapitalgesellschaften kann die Kapitalherabsetzung zu Sanierungszwecken nach den vereinfachten Regeln der §§ 229 ff. AktG bzw. 58a ff. GmbHG erfolgen. Die Einbringung der Forderung als Sacheinlage erfolgt entweder durch Abtretung gem. § 398 BGB, wobei die Forderung dann wegen Konfusion erlischt oder der bisherige Gläubiger schließt mit der Gesellschaft unmittelbar einen Erlassvertrag gem. § 397 BGB.375 Der Umstand, dass die Forderung gegen die Gesellschaft selbst gerichtet ist, ändert an der Einlagefähigkeit nichts.
283
Alternativ zur Sacheinlage können die Altgesellschafter auch bereits bestehende Gesellschaftsanteile auf den Forderungsinhaber übertragen (sog. share deal; abgeleitet auch als „unechter dept equity swap“ bezeichnet), der im Gegenzug auf seine Forderung durch Erlassvertrag gem. § 397 BGB verzichtet.376
284
371 372 373 374 375 376
dungs- und Bewertungsfragen der im Insolvenzplan begründeten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen beleuchtet Brünkmans, ZInsO 2017, 1401 ff. Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen. Zu den Bewertungsfragen vgl. bspw. Weber/Schneider, ZInsO 2012, 374 ff. Schäfer/Wüstemann, ZIP 2014, 1757 ff. Siehe hierzu auch Schmidt, GWR 2010, 568 ff. Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503 ff., zum Kapitalschnitt in der Insolvenz börsennotierter Gesellschaften. Wienecke/Hoffmann, ZIP 2013, 697 ff., plädieren für den Erhalt zumindest eines Teils der bereits börsennotierten Aktien. Meyer/Degner, BB 2011, 846, 847. Wienecke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 705 ff., sehen für den unechten debt equity swap die Möglichkeit, mittels mehrheitsgetragener Planregelung die Lastenfreiheit der Übertragung zu gestalten. Der von ihnen vorgenommene Vergleich mit dem echten dept equity swap, der durch den Kapitalschnitt Drittrechte (wirtschaftlich) untergehen lässt, überzeugt insoweit nicht: Gehen die Gesellschaftsanteile nicht unter, kann der Insolvenzplan Drittrechte nur mit individueller Zustimmung des berechtigten Dritten
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§ 3 Rz. 285 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 285
Die Umwandlung bezieht sich zunächst auf die Forderungen. Bestehen Sicherheiten, sind hierüber gleichfalls Regelungen zu treffen.377 Je nach Ausgestaltung des Innenverhältnisses kann die Sicherheit untergehen. Der Gläubiger muss insoweit in seine Überlegungen auch einbeziehen, ob wirtschaftlich sinnvoller das Stehenlassen oder die Realisierung der Sicherheit ist, oder er auf die Sicherheit verzichtet und durch Umwandlung der Forderung in Anteilsrechte eine Chance auf einen höheren Zuwendungsbetrag hat.
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Hinweis: Gesellschaftsrechtlich bedürfen Kapitalmaßnahmen der Zustimmung bzw. Mitwirkung der bisherigen Gesellschafter. Der vereinfachten Kapitalherabsetzung ist mit einer Dreiviertel-Mehrheit zuzustimmen – soweit die Satzung keine anderweitige Zustimmungsvorrausetzung vorsieht. Gleiches gilt für die nachfolgend zu beschließende Kapitalerhöhung (§§ 119 Abs. 1, 129 Abs. 1 AktG, §§ 58a Abs. 5, 53 Abs. 2 GmbHG). Die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen werden von den insolvenzrechtlichen Vorschriften der §§ 222, 225a, 243 ff. InsO als lex specialis verdrängt. Die Anteilsinhaber können, müssen aber nicht mitwirken, und können sich als Gruppe zudem vollständig gegen die Maßnahme aussprechen. Deren Ablehnung ist im Rahmen des Obstruktionsverbots des § 245 InsO und unter Berücksichtigung des Minderheitenschutzes gem. § 251 InsO unbeachtlich.
(2) Unternehmerisches Engagement aus Sicht der Gläubiger 287
Die Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechten bietet den Gläubigern im Vergleich zur Alternative der Regelabwicklung oder der Insolvenzplanlösung ohne Chance auf die Teilhabe am Sanierungserfolgt nicht nur Vorteile, sondern ist auch mit gewissen Risiken verbunden. Nach bisherigem Recht folgten gesellschaftsrechtliche in das Planverfahren eingebundene Maßnahmen ausschließlich den Regeln außerhalb der Insolvenzordnung. Anknüpfungspunkt zum Insolvenzrecht war die Verknüpfung mittels einer Bedingung (vgl. hierzu Rz. 127). Der Gläubiger rückt durch die Umwandlung seiner Forderungen in Anteilsrechte vollständig in die Gesellschafterstellung und trägt damit künftig auch das Risiko des Unternehmens, mithin auch gegenüber anderen, insbesondere Neugläubigern. Einige der bislang in Betracht kommenden Risiken werden durch das ESUG abgeschwächt, andere bleiben bestehen.
288
Besonderes Augenmerk ist beim gesellschaftsrechtlich veranlassten debt equtiy swap auf die exakte Bewertung der in Eigenkapital umzuwandelnde Forderungen zu legen.378 Bei Kapitalgesellschaften müssen die eingebrachten Forderungen zur übernommenen Kapitalerhöhung werthaltig sein. Entsprechende Werthaltigkeitsprüfungen sind damit unumgänglich, will der Einbringende die sog. Differenzhaftung wegen mangelnder Werthaltig der eingebrachten Forderungen vermeiden.379 Den Gläubiger trifft eine Nachschusspflicht, sofern sich im Nachgang herausstellen sollte, dass die eingebrachte Forderung überbewertet war. Dieses Risiko besteht selbst dann, wenn Werthaltigkeitsgutachten in Auftrag gegeben wurden, da Differenzhaftung verschuldensunabhängig ist. Beauftragte Werthaltigkeitsgutachten können somit allenfalls die Haftung unwahrscheinlicher machen, aber diese nie ganz ausschließen. Gerade die Werthaltigkeit von Forderungen, soweit antizipierend der Regelabwicklungswie auch der Fortführungswert im Insolvenzverfahren zu prognostizieren ist, wird größeren Bandbreiten unterliegen, als bei einem Unternehmen mit einem stabilen Geschäftsgang.
gestalten. Einen Anwendungsfall des unechten dept equity swap schildern Nawroth/Wohlleber, ZInsO 2013, 1022 ff.: Trotz festgestellter Wertlosigkeit der Geschäftsanteile wird dort zur Vermeidung jedweder Diskussion um einen Abfindungsanspruch gem. § 225a Abs. 5 InsO dem Altgesellschafter ein (symbolischer) Kaufpreis geleistet. 377 Zur Bewertung von Sicherheiten beim dept equity swap vgl. bspw. Eckert/Harig, ZInsO 2012, 2318 ff. 378 Vgl. hierzu Brinkmann, WM 2011, 97, 101. Abfindungs- und Bewertungsfragen der im Insolvenzplan begründeten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen beleuchtet Brünkmans, ZInsO 2017, 1401 ff. 379 Grundlegend zur Differenzhaftung bspw. Veil in Scholz, GmbHG, § 9; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, § 9.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 294 § 3
Um Gläubiger als Neugesellschafter diesem Risiko nicht auszusetzen, ordnet § 254 Abs. 4 InsO an, dass der Schuldner (und damit auch ein Insolvenzverwalter in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren) nach gerichtlicher Bestätigung des Insolvenzplans keine Ansprüche an den bisherigen Gläubiger wegen Überbewertung der Forderung als Sacheinlage geltend machen kann (vgl. hierzu Rz. 447 ff.).
289
Hinweis: Der Aufbringungsgrundsatz für Kapitalbeteiligungen ist damit bei sachgerechter Gestaltung kein Hinderungsgrund für eine Gläubigerbeteiligung mehr. Der Kapitalschnitt auf „0“, ein Bezugsrechtsausschluss für Altgesellschafter verbunden mit einer Barerhöhung auf das Mindestkapital und einer moderaten Sacheinlage der Forderungen schließt die Haftung und die Altgesellschafter aus.380
290
Im Bereich der Personengesellschaften sind Forderungsumwandlungen einfacher zu gestalten. Im Innenverhältnis der Gesellschafter zueinander besteht zwar die Pflicht, die Einlage als Beitrag in das Vermögen der Gesellschaft zu leisten. Bei der Bewertung sind die Gesellschafter allerdings frei und können so eine Haftung ausschließen. Im Außenverhältnis greift die gesetzesübliche Haftung, bei Kommanditisten bspw. die im Handelsregister eingetragene Haftsumme. Von dieser nicht dispositiven Außenhaftung wird der Kommanditist nur frei, soweit seine Leistung objektiv dem Wert der Haftsumme entspricht. Hier kann der Kommanditist durch moderate Haftsummen de facto die Haftung beschränken.
291
Die mit der Umwandlung begründete Gesellschafterstellung wirkt sich auf die vom Gläubiger noch stehen gelassenen Forderungen (Darlehen) aus. Gesellschafterdarlehen unterfallen als solche der Nachrangregelung von § 39 Abs. 1 Ziff. 5 InsO, der dept equity swap modifiziert an dieser Stelle nichts. Allerdings schließt § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO bis zur Beseitigung der Insolvenzantragsgründe für den Erwerb neuer Anteile an der Gesellschaft zum Zweck der Sanierung die Nachrangwirkung des § 39 Abs. 1 Ziff. 5 InsO auf bestehende oder neu gewährte Darlehen aus. Damit ist das Sanierungsprivileg dann von Bedeutung, wenn die Forderungsinhaber entweder nur einen Teil ihrer Forderungen in Anteilsrechte tauschen bzw. nach dem Anteilserwerb weitere Darlehen dem Unternehmen als Gesellschafter gewähren. Das Sanierungsprivileg gilt entsprechend für verbleibende Darlehensteile bzw. später neu gewährte Darlehen im Zusammenhang einer späteren Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter gem. § 135 InsO.
292
Hinweis: Da jede Sanierung aus einem Insolvenzverfahren heraus die zur Antragstellung verpflichtenden Insolvenzantragsgründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung im Bereich der Kapitalgesellschaften bzw. gleichgestellten Organisationen beseitigen muss, reduziert sich das Sanierungsprivileg auf den Zeitraum zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit.381 Unbeschadet hiervon besteht die Möglichkeit, die Nachrangqualifizierung über die Regelung des geschäftsführenden Kleinbeteiligten (bis zu 10 %) i.S.v. § 39 Abs. 5 InsO auszuschließen.
293
Schließlich besteht bei einem Anteilserwerb von mindesten 30 Prozent an einer börsennotierten Aktiengesellschaft die Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots. Die §§ 35 ff. WpÜG machen zur Vorrausetzung, dass entweder den übrigen Aktionären ein Pflichtangebot zum Erwerb ihrer Anteile unterbreitet oder eine behördliche Befreiung erteilt wird. Diese Vorschriften bleiben auch nach Geltung des ESUG unberührt, so dass bei den Überlegungen, welche künftige Beteiligungshöhe man als Gläubiger halten möchte, auch die Aufnahme weiterer Anteile über das Pflichtangebot zu berücksichtigen ist.382
294
380 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 54. Kritisch zu den Hinweisen des Gesetzgebers, der Insolvenzverwalter könne nach § 60 InsO haften, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 225a Rz. 11. 381 Die in diesem Zusammenhang angedachte Änderung des Sanierungsprivilegs des § 39 Abs. 4 InsO hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Er hat in Aussicht gestellt, die Auswirkungen des zum 1.11.2008 mit dem MoMiG in die InsO eingefügten Sanierungsprivilegs auf das gestärkte Insolvenzplanverfahren zu beobachten, BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 26. 382 Wienecke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 702 ff., geben einen Überblick zur Befreiung von der Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots.
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§ 3 Rz. 295 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 295
Hinweis: Die Berücksichtigung der entsprechenden Schwellenwerte sind daher für den Neugesellschafter unumgänglich, will er die Abgabe eines Pflichtangebots für die übrigen Aktionäre vermeiden. Alternativ, dann allerdings mit dem Verlust der Börsenzulassung, die den Handel an einem organisierten Markt voraussetzt, kann der Insolvenzplan die Kapitalherabsetzung auf Null vorsehen, womit ein Pflichtangebot entfällt.383
5. Die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte a) Mitwirkung an Grundlagen- und Strukturentscheidungen 296
Die am Schuldner beteiligten Personen waren bis zum Inkrafttreten des ESUG in einer aus ihrer Sicht komfortablen Situation, für die Gläubiger war das Verhalten der Anteilsinhaber eher abwartend, in vielen Fällen auch eine den Entscheidungsprozess störende Haltung: Andere, die Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens bzw. der Insolvenzverwalter, erstellten den Insolvenzplan. Andere, die Gläubiger hatten zu entscheiden, ob sie sich anstelle eines Totalausfalls im Regelinsolvenzverfahren die Chance auf eine höhere Quotenzahlung erhalten wollten, verbunden in aller Regel mit dem Risiko der Finanzierung erforderlicher Sanierungsmaßnahmen. Der Sanierungserfolg blieb im Unternehmen und stand damit den Anteilsinhabern zu. Da die Insolvenzordnung für das Planverfahren fordert, voraussichtlich nicht schlechter gestellt zu werden, als ohne einen Plan, nicht aber bestmöglich (§§ 245 und 251 InsO), mussten andere, Planverfasser und Gläubiger, auf die Anteilsinhaber zugehen und auf individualvertraglicher Basis Verhandlungen führen, am Sanierungserfolg beteiligt zu werden. Eine mehrheitsgetragene Entscheidung mittels Insolvenzplan, vergleichbar zu Gläubigerforderungen und -rechten, war nicht möglich.
297
Die mit dem ESUG einhergehende Eingriffsmöglichkeit in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen bedingt, dass sich Anteilsinhaber künftig aktiv in den Sanierungs- bzw. Planerstellungsprozess einbringen müssen, um sich die Chance auf Teilhabe am Sanierungserfolg zu erhalten. Warten sie weiter ab, ob andere tätig werden, haben der Planverfasser und die Gläubiger die Möglichkeit, Gestaltungen in den Plan aufzunehmen und auch darüber zu entscheiden, ob der Sanierungserfolg jedenfalls nicht mehr ausschließlich den Anteilsinhabern zu Gute kommen soll (§§ 217, 225a InsO).384 Dieser scheinbar neue Regelungsansatz ist dem Regelverfahren nicht fremd: Die Verwertung des schuldnerischen Vermögens durch den Insolvenzverwalter und die anschließende Erlösverteilung an die Gläubiger führt zur Abwicklung des Rechtsträgers, auch soweit die Vermögensverwertung durch eine übertragende Sanierung erfolgt. Die am Schuldner beteiligten Personen erhalten erst nach vollständiger Befriedigung aller Gläubiger einen verbleibenden Überschuss, § 199 InsO. Für das Planverfahren hatte der Gesetzgeber der InsO eine vergleichbare Regelung nicht aufgenommen, mit dem ESUG wurde dieses Versäumnis bereinigt (vgl. hierzu auch Rz. 29 und 79).
298
Die Anteilsinhaber müssen nunmehr agieren und frühzeitig die Weichen der finanziell in Schieflage geratenen Unternehmung zur Stabilisierung des Geschäftsbetriebes mittels Insolvenzplan – ggf. unter Beantragung der Eigenverwaltung – stellen. Rein passives Verhalten wird künftig dazu führen, dass sie über entsprechende Planregelungen ihre Rechte an der Gesellschaft ganz oder in Teilen verlieren, obwohl die Chance zur Sanierung besteht. Dies können die Anteilsinhaber verhindern, indem sie frühzeitig Einfluss auf die Plangestaltung nehmen und einen Insolvenzantrag durch die Geschäftsführungsorgane stellen lassen.
383 Dies beschreibend mit weiteren Handlungsoptionen Wienecke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 702 ff. 384 Schmidt, ZIP 2012, 2085 ff., beginnt seinen Beitrag mit „Die Gläubiger okkupieren die Burg!“ und stößt aus Sicht des Gesellschafters zum Ende ein schützendes Vor-Insolvenzverfahren und ein verbessertes Schutzschirmverfahren an. Auf die aktuelle Situation anwendend bedeutet dies für den Gesellschafter: Frühzeitig tätig werden und sich in die Gestaltung des Verfahrens mittels Plan und Eigenverwaltung, im vorläufigen Verfahren über das Schutzschirmverfahren, einbringen.
218 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 302 § 3
Zur Planvorlage selbst sind die Anteilsinhaber nicht befugt, § 218 InsO. Auch nach Geltung des ESUG sind nur der Schuldner (vertreten durch seine Geschäftsführungsorgane, vgl. Rz. 97 ff.) und der Insolvenzverwalter zur Vorlage eines Insolvenzplans berechtigt. Den Anteilsinhabern steht jedoch der Weg offen, ihren Einfluss auf die Planvorlage und damit auf die Plangestaltung durch entsprechende Gesellschafterbeschlüsse auszuüben, indem sie die Geschäftsführungsorgane rechtzeitig anweisen. Anteilsinhaber können mit der ihnen verliehenen gesellschaftsrechtlichen Weisungskompetenz, solange das Verfahren noch nicht eröffnet ist (bzw. im Eröffnungsverfahren keine entsprechenden Sicherungsmaßnahmen angeordnet sind), Grundlagen- und Strukturentscheidungen treffen und so die Plangestaltung des Schuldners durch frühzeitige Beschlussfassung zu ihren Gunsten maßgeblich beeinflussen.
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Der Gesetzgeber des ESUG spricht bewusst davon, dass die Anteilsinhaber über die Eingriffsrechte und damit zusammenhängenden weitergehenden Regelungen (Gruppenbildung, Stimmrecht, Minderheitenschutz etc.) Beteiligte des Planverfahrens werden und vergleichbar den Gläubigern, natürlich bezogen auf ihre rechtliche und wirtschaftliche Position als Anteilsinhaber, behandelt werden. Insoweit gilt auch für die Anteilsinhaber, dass sie auf die Plangestaltung Einfluss nehmen, gemeinsame Interessen bündeln und mit den Gläubigern in den Dialog treten müssen, künftige Beteiligungsstrukturen zu organisieren (vgl. zur Bündelung gemeinsamer Gläubigerinteressen Rz. 262 ff.).385 Nicht berührt hiervon wird der massenneutrale insolvenzfreie Bereich, egal ob es sich um ein reguläres Insolvenzplanverfahren mit einem Insolvenzverwalter oder ein Verfahren in Eigenverwaltung mit einem Sachwalter handelt. Dieser Bereich bleibt weiterhin dem Gesellschaftsrecht und damit den Anteilseignern zur eigenverantwortlichen Bestimmung vorbehalten. Hier können die Anteilseigner trotz eines Insolvenzverfahrens weiter von sich aus tätig werden bspw. im Bereich der Abberufung oder Neubestellung der Geschäftsführung (im Rahmen der Eigenverwaltung nur mit Zustimmung des Sachwalters, § 276a InsO), einer Satzungsänderung oder Kapitalerhöhung, wie sie auch die Durchführung von Sonderprüfungen beauftragen können.386 Ein Insolvenzplanverfahren verdrängt diese Rechte trotz der mit § 225a InsO gegebenen Gestaltungsmöglichkeit nicht per se.
300
b) Auswirkung des Eingriffs in die Anteilsrechte für das Planverfahren Enthält der Insolvenzplan eine Regelung zur Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen gemäß den §§ 217, 225a InsO, unabhängig davon, ob die Gesellschafter die Geschäftsführung zur Ausarbeitung eines Schuldnerplans mit den entsprechenden Regelungen angewiesen haben oder sich der Insolvenzverwalter als Planverfasser zu einer solchen Gestaltung entschlossen hat, sind die Anteilsinhaber in den Kreis der über den Plan abzustimmenden Beteiligten durch Bildung einer entsprechenden (Pflicht-)Gruppe aufzunehmen, § 222 Abs. 1 Ziff. 4 InsO (vgl. Rz. 162). Neben dem ob (… so können auch Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte … einbezogen werden …, § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO) bestimmt der Planverfasser auch die Art und Weise des Planeingriffs. Dabei kann im Plan jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, § 225a Abs. 3 InsO (vgl. hierzu auch Rz. 273). Vergleichbar den Gläubigern stimmen die betroffenen Anteilsinhaber über die Annahme des Insolvenzplans ab. Die Festsetzung der Stimmrechte der Anteilsinhaber im Erörterungs- und Abstimmungstermin erfolgt gem. § 238a InsO (vgl. auch Rz. 352).
301
Je nachdem, ob die Anteilsinhaber als Gruppe dem Plan zugestimmt oder diesen abgelehnt haben, kommt die Regelung des Obstruktionsverbots nach § 245 InsO zur Anwendung. Ein ablehnendes
302
385 Siehe hierzu auch Fischer, NZI 2013, 823 ff., der den Wettbewerb konkurrierender Investitionsentscheidungen und Bewertungsprognosen zwischen Anteilsinhaber und Gläubiger zutreffend beschreibt und aufzeigt, dass der Anteilsinhaber die Chance hat, das Unternehmen nebst Rechtsträger unter seiner weiteren Beteiligung zu erhalten. Dazu muss der Anteilsinhaber tätig werden. 386 OLG München v. 14.5.2018 – 31 Wx 122/18, DZWiR 2018, 544 ff., zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass entstehende Kosten außerhalb des Insolvenzverfahrens durchgeführter gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen keine Verlagerung der Kompetenzen mit sich bringt, sondern Frage eines etwaigen Erstattungsanspruchs gegen die Insolvenzmasse sind. Zustimmend Schmittmann/Hippeli, a.a.O., 501 ff.
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§ 3 Rz. 302 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Votum der Anteilsinhaber (als Gruppe) kann durch das Gericht ersetzt werden (… gilt die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe als erteilt …), soweit die Anteilsinhaber angemessen am Wert des Unternehmens beteiligt sind und voraussichtlich nicht schlechter stehen, als sie ohne Plan stünden, § 245 Abs. 1 Ziff. 1, Abs. 3 InsO (vgl. hierzu Rz. 72 ff.). 303
Ein Wechsel der am Schuldner beteiligten Personen kann dazu führen, dass für die verbleibenden Anteilsinhaber ein statuarisch vereinbarter, gesetzlich geregelter oder aus sonstigen Rechtsgründen abgeleiteter wichtiger Grund zum Austritt aus der Gesellschaft vorliegt. Der Gesetzgeber stellt mit § 225a Abs. 5 InsO klar, dass die Regelungsfreiheit des Abs. 3 nicht so weit geht, Anteilsinhaber zum dauerhaften Verbleib in der Gesellschaft zu verpflichten, soweit der Insolvenzplan deren Rechtsposition regelt.
304
Hinweis: Der Regelung liegt der Ansatz zugrunde, dass derjenige, der sich vertraglich oder im Wege der Erbfolge mit ihm bekannten Dritten verbunden hat, nicht akzeptieren muss, dass andere (Gläubiger) dieser Einheit beitreten. Dies gilt auch dann, wenn der Anteilsinhaber, weil nur in Teilen seine Rechtsposition im Plan geregelt wird, über eine mehrheitsgetragene Entscheidung an der Teilregelung gebunden ist. Begründet die Teilregelung zugleich einen wichtigen Grund zum Austritt, kann er hierüber frei entscheiden. Regelt der Plan Leistungspflichten, die der bisherige Gesellschaftsvertrag nicht vorsieht (Kapitalerhöhungen, Nachschusspflichten), muss dem verbleibenden Anteilsinhaber ebenso die freie Wahl bleiben, ob er sich diesen Maßnahmen anschließen will und er in der Einheit verbleibt oder er dies als wichtigen Grund zum Anlass nimmt, auszutreten.
305
Um Diskussionen und langwierige Verhandlungen über die Bestimmung der Höhe des Abfindungsanspruches zu vermeiden, wird klargestellt, dass die Vermögenslage maßgeblich ist, die sich bei einer Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens ergeben hätte, § 225a Abs. 5 Satz 1 a.E. InsO. Zudem kann die Auszahlung des Abfindungsanspruches zur Vermeidung einer unangemessenen Belastung der Finanzlage über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren verzinslich gestellt und gestundet werden, § 225a Abs. 5 Satz 2 und 3 InsO. Macht sich der Planverfasser beide Möglichkeiten zu Nutze, kann sichergestellt werden, dass etwaig begründete Abfindungsansprüche nicht zu einer die Sanierung gefährdenden Belastung des Schuldners führen.
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Hinweis: Mit Abwicklung sind die konkreten Verfahrensumstände gemeint, die schon zur Bestimmung des Regelabwicklungswert gemäß den §§ 245 Abs. 1 Ziff. 1 und 251 Abs. 1 Ziff. 2 InsO maßgeblich sind (vgl. hierzu Rz. 76 ff.).387 Dabei ist auch die Verteilungsrangfolge des § 199 InsO zu berücksichtigen. Eine Mindestverzinsung sieht das Gesetz nicht vor. Die Bestimmung des Zinses liegt vielmehr im Ermessen des Planverfassers, der sich an den marktüblichen Zinssätzen zu orientieren hat.
307
Um die angestrebte Sanierung nicht über einen Rücktritt, eine Kündigung oder anderweitige Beendigung von wesentlichen Verträgen, an denen der Schuldner beteiligt ist, zu gefährden, erklärt § 225a Abs. 4 InsO Vertragsklauseln für unwirksam, die solche Handlungen aufgrund geplanter oder durchgeführter gesellschaftsrechtlicher Veränderungen i.S.v. Abs. 2 und 3 zulassen. Anderweitige Pflichtverletzungen des Schuldners, die eine Beendigung des Vertrages ermöglichen, sind unbeschadet hiervon zulässig.
308
Hinweis: In erster Linie sind damit die in der Praxis vertragsüblichen „change-of-control“-Klauseln im Falle des dept equity swap angesprochen, nicht aber abschließend.388 § 225a Abs. 4 InsO knüpft an das Wahlrecht des Insolvenzverwalters und die Regelungen zur Erfüllung der Rechtsgeschäfte gemäß der §§ 103 ff. InsO an und führt dabei insbesondere den Rechtsgedanken in § 119 InsO für das Planverfahren fort, soweit die Sanierung
387 Vgl. hierzu auch Brünkmans, ZInsO 2017, 1401 ff. 388 Längsfeld, NZI 2014, 734 ff., untersucht die (Un-)Wirksamkeit solcher Klauseln. Vgl. hierzu auch Geißler, ZInsO 2015, 787 ff., der von kodifizierter Rechtswohltat spricht.
220 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 310 § 3 bezweckt ist und hierfür die Beteiligungen neu strukturiert werden. Die dem Planverfahren mit dem ESUG gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten sollen nicht durch abweichende Vereinbarungen außer Kraft gesetzt werden. Nur § 225a Abs. 1, 4 und 5 InsO sind spezifisch insolvenzrechtliche Regelungen. Kernstück des § 225a sind Abs. 3 (als Generalklausel) und Abs. 2 (als Anwendungsbeispiel), die dem Gesellschaftsrechtler näherstehen, als dem Insolvenzrechtler.389 In die Planung und Strukturierung komplexer Prozesse werden deshalb künftig die Planarchitekten gerade auch den im Gesellschaftsrecht versierten Berater zuziehen müssen. Dem Planarchitekten fällt damit einmal mehr die moderierende und koordinierende Rolle zu.
6. Das Insolvenzgericht in der Notarfunktion a) Vorprüfung durch das Insolvenzgericht Wird der Insolvenzplan eingereicht, beginnt das Insolvenzgericht unmittelbar nach der Vorlage des Insolvenzplans mit einem Vorprüfungsverfahren,390 dessen Umfang § 231 InsO bestimmt. Der beschränkte (Vor-)Prüfungsrahmen des Insolvenzgerichts auf rechtliche Gesichtspunkte über die Vorlage und den Inhalt des Plans trägt dem Ansatz des Insolvenzplanverfahrens Rechnung, wonach allein die wirtschaftlich Betroffenen (Gläubiger, Schuldner, Anteilsinhaber) über die wirtschaftlichen Auswirkungen der alternativen Insolvenzbewältigung zur Regelabwicklung, oder ob der Plan machbar ist (voraussichtlich Erfolg haben wird), entscheiden.391
309
Dabei ist es nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts, den Insolvenzplan umfassend zu prüfen oder zu bewerten, ob eine andere Gestaltung des Insolvenzplans zu einer effektiveren Befriedigung der Gläubiger führen kann.392 Das Gericht soll eine formell-verfahrensrechtliche sowie eine auf rechtliche Belange beschränkte Inhaltsprüfung vornehmen, um durch unqualifizierte Insolvenzpläne Verfahrensverzögerungen oder eine kostenauslösende bzw. zeitintensive Befassung der Beteiligten mit dem Insolvenzplan
310
389 Vgl. hierzu auch AG Berlin-Charlottenburg v. 9.2.2015 – HRB 153203 B, NZI 2015, 415 ff., mit der Anmerkung Ströhmann/Harder, a.a.O., 417 ff., die zutreffend von „groben Stockfehlern“ des Plans sprechen, wenn gesellschaftsrechtliche Grundregeln nicht eingehalten werden, die aufgrund der (beschränkt bestehenden) Prüfungskompetenz des Registergerichts den Vollzug des Insolvenzplans hindern. Was im Insolvenzplan nicht geregelt werden kann, i.S.v. § 225a Abs. 3 InsO nicht statthaft und somit gesellschaftsrechtlich unzulässig ist, kann trotz Rechtskraft des Plans keine Rechtswirkung entfalten. Mängel werden mit der rechtskräftigen Bestätigung nur bezüglich der materiell bestehenden Plangestaltbarkeit geheilt. Sie bleiben allerdings sanktionslos, wenn der Plan gleichwohl bestätigt und umgesetzt wird. Im konkreten Fall hätte parallel eine Satzungsänderung vorgenommen werden müssen, um die beabsichtigte Kapitalmaßnahme zu gestalten. Vgl. hierzu auch Körner/Rendels, EWiR 2015, 617 f. Den Prüfungsumfang gesellschaftsrechtlicher Planregelungen von Insolvenzgericht und Registergericht grenzen ab Brünkmans/Greif-Werner, ZINsO 2015, 1585 ff. Zum eingeschränkten Prüfungsumfang des Registergerichts auch BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, NZI 2020, 635 ff. 390 Für seit dem 1.1.2013 beantragte Insolvenzverfahren ist funktional zuständiges Organ des Insolvenzgerichts in den Planverfahren der Richter, Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess, BT-Drucks. 17/11385 v. 8.11.2012. Die Zuständigkeitsverlagerung vom Rechtspfleger auf den Richter gilt nicht für das Klauselverfahren gem. § 257 InsO und die Prüfung der Schlussrechnung nach § 66 InsO n.F. Sich ergebende Abgrenzungsfragen aufgrund des fortlaufenden Regelverfahrens mit dem dafür zuständigen Rechtspfleger beleuchten Stapper/Jacobi, ZInsO 2014, 1821 ff. 391 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 561 f. 392 Zweifel an den tatsächlichen Angaben des Schuldners führen nicht zur Zurückweisung des Plans, soweit das Insolvenzgericht keinen Fehler feststellt, so aber AG Köln v. 15.2.2017 – 72 IN 594/13, NZI 2017, 664 ff. Wie hier Stephan, NZI 2017, 666 f., Anmerkung zu AG Köln, a.a.O., der zutreffend darauf hinweist, dass die Gläubiger diesen Umstand bei ihrer Abstimmung über den Plan (bzw. zuvor im Rahmen der Erörterung) zu berücksichtigen haben. Bleiben bei den Gläubigern die vom Gericht geäußerten Zweifel bestehen, haben sie zu entscheiden, ob sie den Plan ablehnen.
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§ 3 Rz. 310 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung zu vermeiden.393 Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass der Planverfasser den Plan im Erörterungsund Abstimmungstermin noch gem. § 240 InsO ändern kann. 311
Hinweis: Das Insolvenzgericht darf allenfalls entsprechende Hinweise i.S.v. § 139 ZPO geben, auch in gemeinsamer Diskussion mit dem Planvorlegenden, muss aber davon Abstand nehmen, diesem faktisch Änderungen des Insolvenzplans vorzugeben oder die eigene Sach- wie Rechtsauffassung dem (unterstellten) Votum der Beteiligten vorgreifend durchzusetzen. Macht der Planersteller von der Möglichkeit Gebrauch, vor der Planeinreichung mit dem Gericht eine Vorabstimmung durchzuführen, muss das Gericht dem Rechnung tragen und auch hier Hinweise i.S.v. § 139 ZPO geben.394
312
Die Vorprüfung ist unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes durchzuführen, weshalb die Entscheidung des Gerichts über die Zulassung bzw. Zurückweisung des Insolvenzplans innerhalb von zwei Wochen nach dessen Vorlage erfolgen soll, § 231 Abs. 1 Satz 2 InsO. Dabei sind weder die Beteiligten anzuhören, noch eigene Ermittlungen seitens des Gerichts anzustellen. Die Entscheidung des Gerichts hat ausschließlich anhand der vorgelegten, ggf. nachgeforderten Unterlagen sowie offenkundiger Tatsachen i.S.v. § 291 ZPO zu erfolgen.395 Einen dies ergänzenden Tatsachenvortrag kann das Gericht aus den angeforderten Stellungnahmen gem. § 232 Abs. 4 InsO zur Entscheidungsfindung verwenden.
313
Hinweis: Die anzustellende Vorprüfung hat in erster Linie den Inhalt des Planes zu berücksichtigen. Nicht gehindert ist das Gericht allerdings, seine daraus gewonnene Erkenntnis mit vorliegenden Stellungnahmen der Beteiligten (bspw. Gläubiger und Insolvenzverwalter) abzugleichen. Hierbei muss das Gericht Zurückhaltung üben, weil sich die Auffassung der Gläubiger bis zur Abstimmung über den Plan noch ändern kann, ein „Verwertungsverbot“ besteht allerdings nicht.396 Das Planverfahren ist auf einen offenen Diskurs angelegt. Die Vorgabe der Insolvenzordnung ist bis zur Abstimmung über den Plan zu wahren, nicht selten geschieht dies unter den Beteiligten auch noch darüber hinaus. Ein Kernelement ist das Ringen um eine bessere Verwertungsart im gemeinsamen Austauschprozess und muss den Beteiligten auch über die Vorprüfung möglich sein. Der Planersteller muss deshalb während des gesamten Planverfahrens auf Veränderungen reagieren können, was über eine voreilige Zurückweisung im Vorprüfungsverfahren konterkariert wird. Allein im Vorfeld gegebenen Erklärungen und Ankündigungen von Beteiligten , die aufgrund ihrer zu diesem Zeitpunkt nur beschränkt zur Verfügung stehenden verfahrensmäßigen Rechte versuchen die eigene Position verbal zu verbessern, bereits die Offenkundigkeit i.S.v. § 231 Abs. 1 Ziff. 2 InsO zuzusprechen, geht zu weit.397 Es ist den Beteiligten zu gestatten, im Erörterungs- und Abstimmungstermin auch bei erklärten Plangegnern weiter um Zustimmung zu werben und gegebenenfalls den Plan noch in den Grenzen des § 240 InsO im Sinne eines Kompromisses zu modifizieren.398
393 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 561 f.: Das Gericht prüft im Rahmen von § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO sämtliche rechtlichen Gesichtspunkte und hat nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 4 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 1 und 6. Einen Erfahrungsbericht aus Richtersicht gibt Horstkotte, ZInsO 2014, 1297 ff. 394 Vgl. hierzu auch Gerster, ZInsO 2008, 437, 442. 395 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 1; Haas in HK/InsO, § 231 Rz. 12; Breuer in MünchKomm/InsO, § 231 Rz. 5. 396 BGH v. 16.12.2010 – IX ZB 21/09, ZIP 2011, 340 f.; BGH v. 30.6.2011 – IX ZB 30/10, BeckRS 2011, 18823, sowie Anm. von Paul, ZInsO 2012, 259 f. BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, DZWiR 2017, 535 ff. 397 So aber Martini, DZWiR 2017, 537 f., in seiner Anmerkung zu BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, a.a.O., 535 f. 398 Wie hier Madaus, NZI 2017, 752 f. Zutreffend AG Düsseldorf v. 30.3.2020 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 1328 f., mit einem offenkundigen Fall gläubigerablehnender Haltung: Wird ein zweiter Insolvenzplan ohne inhaltliche Veränderung für den betroffenen Gläubiger eingereicht, kann aufgrund der kla-
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 317 § 3 Will das Gericht die Zurückweisung des Insolvenzplans im Vorprüfungsverfahren auf den Tatsachenvortrag aus den Stellungnahmen stützen, hat das Gericht die betreffende Stellungnahme dem Planvorlegenden und den nach § 232 Abs. 1 InsO Angefragten zur (weiteren) Stellungnahme unter Fristsetzung von höchstens einer Woche zuzuleiten, § 232 Abs. 4 InsO.
Das Insolvenzgericht hat unabhängig von der Person des Planeinreichenden zu prüfen, ob es sich um vom Gesetz nicht näher bezeichnete unbehebbare Mängel oder unter Fristsetzung behebbare Mängel handelt.399
314
Kann der Planvorlegende einen Mangel nicht beheben, liegt ein unbehebbarer Mangel vor und das Gericht weist den Insolvenzplan von Amts wegen zurück, § 231 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 1 InsO. Dies wird der Fall sein, wenn ein Gläubiger oder eine Gläubigergruppe unmittelbar den Insolvenzplan bei Gericht einreicht.400 Ebenso wird der vorgelegte Insolvenzplan ohne Weiteres zurückzuweisen sein, wenn die Planvorlageberechtigten den Insolvenzplan nicht im vorgegebenen Zeitrahmen einreichen.401 Werden Aussonderungsrechte oder Masseverbindlichkeiten plangeregelt oder wird in die in den §§ 223 Abs. 1 Satz 2, 223a Satz 3 Halbs. 1 InsO genannten Sicherheiten und Finanzsicherheiten i.S.v. § 1 Abs. 17 KWG eingegriffen, liegt ein nicht behebbarer Mangel vor.402 Reicht der Schuldner einen Insolvenzplan ein, ohne auf die Deckung der Massekosten Rücksicht zu nehmen, ist der Insolvenzplan ebenso zurückzuweisen.403
315
Hinweis: Als Masseverbindlichkeiten sind davon abweichend auch im Insolvenzplan regelbar Sozialplanansprüche gem. § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO und Ansprüche der Massegläubiger im Falle eines masseunzulänglichen Verfahrens, (vgl. Rz. 168404 ebenso § 15 Rz. 159 ff.). Die Zurückweisung erfolgt dagegen nicht, wenn der Insolvenzplan das masseunzulängliche Verfahren selbst regeln will, § 210a InsO.
316
Handelt es sich um einen behebbaren Mangel, hat das Insolvenzgericht zunächst eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels zu bestimmen. Dem Planvorlegenden wird Gelegenheit gegeben, den Mangel zu beseitigen. Behebt er den Mangel nicht fristgemäß, hat das Insolvenzgericht den Insolvenzplan endgültig zurückzuweisen, § 231 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 2 InsO. Dies gilt entsprechend, wenn der
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399 400 401 402
403
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ren Haltung des Gläubigers, der gegen den Erstplan votiert hat und beim Zweitplan die Summen- und Kopfmehrheit in seiner Gruppe gegen ihn nicht erreicht werden kann, bei einem Zweigruppenplan von der geforderten Offenkundigkeit i.s.V. § 231 Abs. 1 Ziff. 2 InsO ausgegangen werden. Ausführlich hierzu Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 1 ff. Planvorlageberechtigt sind allein der Schuldner oder der Insolvenzverwalter, § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO. Allerdings können die Gläubiger mittelbar die Einreichung eines Insolvenzplans über den Insolvenzverwalter erreichen, § 157 Satz 2 InsO. Der Insolvenzplan kann frühestens mit Antragstellung durch den Schuldner und muss spätestens zum Schlusstermin durch den Schuldner oder Insolvenzverwalter eingereicht werden, § 218 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO. In einem Insolvenzplan können für die Gläubiger Absonderungsrechte, nicht nachrangige und nachrangige Insolvenzforderungen sowie Rechte an gruppeninternen Drittsicherheiten geregelt werden, vgl. bspw. die §§ 217, 222–225 InsO, die zugleich die nicht regelbaren Bereiche normieren, wie bspw. § 223 Abs. 1 Satz 2 InsO. Vgl. hierzu LG Neubrandenburg v. 21.2.2002 – 4 T 361/01, ZInsO 2002, 296: Die Massekostendeckung ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Die Beseitigung der Massekostenunterdeckung ist erforderlich, LG Dresden v. 15.7.2005 – 5 T 0830/02, ZInsO 2005, 831 f. Ebenso LG Düsseldorf v. 28.11.2018 – 25 T 556/18, ZInsO 2019, 913 f. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 8 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 4; a.A. Haas in HK/InsO, § 217 Rz. 11 (für Sozialplanansprüche); im von Hingerl, ZInsO 2004, 232 f., beschriebenen Fall hätte das Insolvenzgericht den Insolvenzplan beanstanden müssen. Die rechtskräftige Planbestätigung und die Akzeptanz der Arbeitnehmer durch deren Untätigkeit heilen diesen Mangel allerdings.
Frank | 223
§ 3 Rz. 317 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Planvorlegende darauf verzichtet oder die Nachbesserung verweigert.405 Ein behebbarer Mangel kann vorliegen, wenn inhaltlich gegen die Gliederungsvorschriften der §§ 219 ff. InsO verstoßen wird, die in den §§ 229 und 230 InsO bezeichneten Anlagen fehlen, sachgerechte Kriterien zur Gruppenabgrenzung nach § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO nicht angegeben sind oder der Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb einer Gruppe nach § 226 InsO nicht gewahrt ist und die zustimmende Erklärung der benachteiligten Gläubiger fehlt oder eine entsprechende Planbedingung gem. § 249 InsO hierzu nicht aufgenommen ist.406 318
Hinweis: Die Grenze zwischen nicht behebbaren und behebbaren Mängeln kann im Einzelfall fließend und die Abgrenzung schwierig sein. Führt die Beanstandung durch das Insolvenzgericht und die Gelegenheit zur Abhilfe dazu, dass ein neuer Plan vorgelegt werden müsste, handelt es sich um einen nicht behebbaren Mangel.407 Abgrenzungskriterium mag weiter die Nachvollziehbarkeit der Änderung im Plan selbst sein. In Zweifelsfällen muss das Insolvenzgericht von einem behebbaren Mangel ausgehen und eine Frist zur Beseitigung des Mangels setzen. Die bezeichneten Mängel des § 231 InsO sind nicht auf die ggf. gegen den Willen einzelner Beteiligter durchsetzbaren Regelungen mittels Gestaltungsakt des Insolvenzplans beschränkt. Erfasst sind auch „mittelbare“ Planregelungen, d.h. solche, die individuell zu vereinbaren und dem Insolvenzplan lediglich formal beizufügen sind, ohne durch den Insolvenzplan materiell eine gestaltende Wirkung zu erfahren. Sollen deshalb bestehende Dauerschuldverhältnisse i.S.v. § 112 InsO inhaltlich umgestaltet werden – bspw. günstigere Konditionen durchgesetzt werden – was unmittelbar über den Insolvenzplan nicht möglich ist (vgl. die in § 217 InsO geregelte Planbetroffenheit) und fehlt bei Planeinreichung die individuelle Zustimmung des Vertragspartners, ist der Insolvenzplan nach einer Fristsetzung zur Beibringung der Zustimmung gem. § 230 InsO bzw. Änderung des Plans als bedingter Plan gem. § 249 InsO zurückzuweisen, soweit der Planersteller dem nicht abhilft.
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Wird der Insolvenzplan vom Schuldner vorgelegt, muss das Gericht eine weitergehende Prüfung vornehmen.408 Der Schuldnerplan wird gem. § 231 Abs. 1 Ziff. 2 InsO darauf geprüft, ob offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch die Gläubiger oder Bestätigung durch das Gericht gegeben ist. Damit werden extreme Sachverhaltsgestaltungen angesprochen, weil letztlich die Beteiligten darüber entscheiden sollen, ob sie einen Plan annehmen und nicht das Gericht für die Beteiligten diese Entscheidung vorwegnehmen soll.409 Das Gericht kann im Voraus nicht absehen, ob die gebildeten Gruppen nicht doch zustimmen und deswegen eine Bestätigung eines von allen Gruppen akzeptierten Plans ohne sonstigen erkennbaren Rechtsverstoß zwingend vorzunehmen ist. Der Prüfungsumfang reduziert sich somit auf die Zurückweisung unbehebbarer Mängel bzw. mangelnder Bestätigungsfähigkeit rechtlicher Art. Für den Schuldner besteht abweichend zu § 231 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 1 InsO keine Nach405 Vgl. hierzu auch Madaus, NZI 2015, 702 f., Anmerkung zu BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14. Von der Nachbesserungsmöglichkeit darf nur in engen Grenzen abgesehen werden, entweder weil der Mangel in keinem Fall behebbar ist oder der Berechtigte darauf verzichtet. 406 Zur Zurückweisung von Amts wegen vgl. LG Neubrandenburg v. 21.2.2002 – 4 T 361/01, ZInsO 2002, 296. Im Fall des BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 561 f. erfolgt die Zurückweisung des Plans u.a. wegen eines Mangels der fakultativen Gruppenbildung, nachdem der Planersteller in diesem Punkt (nicht ausreichend) nachgebessert hat. 407 Vgl. hierzu Madaus, NZI 2018, 263, mit dem zutreffenden Hinweis, dass für die Nachbesserung des Plans die Begrenzung auf einzelne Regelungen gem. § 240 InsO im Vorprüfungsverfahren keine Anwendung findet, Anmerkung zu LG Hamburg v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, a.a.O., 261 ff. 408 Wird der Insolvenzplan vom Insolvenzverwalter eingereicht, geht das Gesetz davon aus, dass der Plan nicht offensichtlich aussichtslos oder unerfüllbar ist, weshalb die weiter gehende Vorprüfung des Gerichts im Vergleich zu dem vom Schuldner eingereichten Insolvenzplan unterbleibt, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 483; LG München I v. 5.9.2003 – 14 T 15659/03, ZVI 2003, 473, 474; BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, MDR 2006, 114 = NZI 2005, 619, 621. 409 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 483; mit dem Hinweis auf „extreme Ausnahmefälle“ OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, ZIP 2000, 1303; LG München I v. 5.9.2003 – 14 T 15659/03, ZVI 2003, 473, 474.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 323 § 3
besserungsmöglichkeit, soweit das Gericht einen erkennbaren Rechtsverstoß feststellt. Die Zurückweisung hat bspw. zu erfolgen, soweit Planeingriffe in Rechte Dritter beabsichtigt sind, die selbst mit deren Zustimmung nicht wirksam sind.410 Hinweis: Hierunter fallen bspw. Eingriffe in Tarifvertragsrechte, bei denen die betreffenden Arbeitnehmer nicht Tarifvertragspartei sind, d.h. sie darauf auch nicht verzichten können. Eine frühere durch die Gläubigerversammlung entschiedene Ablehnung einer Planaufstellung ist hingegen kein Zurückweisungssachverhalt des konkret eingereichten Insolvenzplans.411 Wegen der gebotenen Zurückhaltung, beschränkt auf eindeutige Fälle, muss in der Rechtsanwendung darauf geachtet werden, die Formulierung „keine Aussicht auf Annahme“ anzuerkennen und nicht als „Wahrscheinlichkeit der Annahme“ auszulegen.412
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Im Falle der offensichtlichen Nichterfüllbarkeit des Plans, sei es nach der Vermögenslage des Schuldners oder den sonstigen Umständen des Einzelfalls, ist der Schuldnerplan gleichfalls zurückzuweisen, § 231 Abs. 1 Ziff. 3 InsO. Auch hier werden eindeutige Fälle angesprochen.413 Zur Beurteilung wird das Gericht auf die beigefügten Anlagen nach den §§ 229 und 230 InsO zurückgreifen (vgl. Rz. 128).414
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Hinweis: Bestehen Zweifel im Spannungsverhältnis zwischen Prognose und Offensichtlichkeit, darf das Gericht den Plan nicht zurückweisen, sondern muss den Beteiligten die Möglichkeit geben, hierüber zu entscheiden.415
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Erfolgt die Planvorlage durch den Schuldner, nachdem er bereits früher einen Plan eingereicht hat, den er entweder nach der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungstermins zurückgezogen hat oder der von den gebildeten Gruppen abgelehnt bzw. vom Gericht nicht bestätigt wurde (Zweitplan), kann zu Lasten des Schuldners eine weitere Planzurückweisung nach § 231 Abs. 2 InsO erfolgen.416 Voraussetzung ist hierfür ein Antrag des Insolvenzverwalters mit Zustimmung des Gläubigeraus-
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410 Z.T. a.A. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 30. 411 Zutreffend deshalb Breuer in MünchKomm/InsO, § 231 Rz. 25 f., mit Nachweisen zur Gegenauffassung. 412 So aber LG München v. 5.10.2001 – 14 T 17 126/01, ZInsO 2001, 1018 f. 413 LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZInsO 2002, 198, zur Frage der „wohlwollenden Prüfung“ des Plankonzepts durch die Finanzverwaltung vor einer Entscheidung über den Erlass der auf den Sanierungsgewinn anfallenden Steuerlast; kritisch hierzu Olbig, EWiR 2002, 1102. Unverständlich die Entscheidung des AG Siegen v. 28.12.1999 – 25 IN 161/99, NZI 2000, 236, das aufgrund eines „erwarteten“ Gewerbeuntersagungsverfahrens die Zurückweisung vornimmt; dem Beschluss dagegen zustimmend Andres in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 9; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 231 Rz. 21 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 12 GewO, der einen materiellrechtlichen Vorrang der Insolvenzordnung bei „ungeordneten Vermögensverhältnissen“ normiert; hierzu Antoni, NZI 2003, 246 ff.; Hessischer VGH v. 21.11.2002 – 8 UE 3195/01, NVwZ 2003, 626 f.; Hattwig, ZInsO 2003, 646 ff. Zum Nebeneinander von Berufsrecht und dem Vorprüfungsverfahren im Bereich der freien Berufe: Frank in Schultze & Braun, Insolvenzjahrbuch 2005, S. 40 ff. sowie die weiteren Nachweise hier bei Rz. 56. 414 BGH v. 6.4.2006 – IX ZB 289/04, BeckRS 2006, 05020: Trägt der Schuldner immer wieder neue Sachverhaltsvarianten mit vermeintlichen, erst noch zu prüfenden Ansprüchen vor, fehlt dem jeweils vorgelegten Zahlenwerk offensichtlich der Wirklichkeitsbezug. Im entschiedenen Fall erfolgte die Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 Ziff. 2 InsO, weil der Plan bereits offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch die Gläubiger hatte. 415 Vgl. hierzu auch Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 519. 416 Zum einschränkenden Verständnis des Wortlauts im Zusammenhang mit der Rücknahme eines Schuldnerplans aus sachlichen Gründen vgl. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 231 Rz. 9; dem zustimmend Breuer in MünchKomm/InsO, § 231 Rz. 27. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 566: Wird der Schuldner nicht selbst aktiv, ist Voraussetzung für die erleichterte Zurückweisung durch das Gericht, dass der Insolvenzplan mindestens bis zur (negativen) Abstimmung der Gläubiger gelangt. Dies ist nicht der Fall, wenn das Gericht den Erstplan im Vorprüfungsverfahren zurückweist.
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§ 3 Rz. 323 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung schusses, falls ein solcher bestellt ist. In diesem Falle muss das Gericht den Zweitplan zwingend zurückweisen. 324
Hinweis: Die erweiterte Zurückweisungsmöglichkeit nach § 231 Abs. 2 InsO bedeutet, dass der Schuldner gegen den Willen des Verwalters (ggf. unter Zustimmung des Gläubigerausschusses) nur eine eingeschränkte Chance zur Vorlage eines weiteren Insolvenzplans hat. Damit soll dem Insolvenzplan als Instrument des Schuldners die Möglichkeit zur Verfahrensverzögerung genommen werden. Bedenkt man, dass an das Insolvenzplanverfahren die Einstellung der Verwertungsmaßnahmen gem. § 233 InsO geknüpft sein kann und dass andererseits eine Planvorlage noch bis zum Schlusstermin möglich ist, wird deutlich, dass eine solche Vorschrift vorbeugenden Charakters notwendig ist. Soweit möglich, sollte das Insolvenzgericht bereits vor der Verfahrenseröffnung einen vorlegten Insolvenzplan gem. § 231 InsO prüfen, um schnellstmöglich die Beseitigung behebbarer Mängel veranlassen bzw. die weiteren Maßnahmen vorbereiten zu können. Die Zurückweisung bzw. Niederlegung auf der Geschäftsstelle zur Vorbereitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins selbst kann allerdings erst mit Verfahrenseröffnung erfolgen.
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Das Insolvenzgericht kann nach freiem Ermessen im Vorprüfungsverfahren bestimmen, ob es zunächst die Vorprüfung gem. § 231 InsO positiv abschließt und danach Stellungnahmen nach § 232 InsO einfordert sowie auf Antrag die Aussetzung von Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse gem. § 233 InsO anordnet, um im Anschluss daran den Insolvenzplan in der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen, § 234 InsO. Zur Beschleunigung des Verfahrens kann das Gericht bereits nach überschlägiger Prüfung des Insolvenzplans, wenn zu erwarten ist, dass § 231 InsO nicht entgegensteht, die Stellungnahmen einfordern und auf Antrag die Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse aussetzen und damit zeitgleich zur eigenen Vorprüfung vorbereitende Maßnahmen zur Abstimmung über den Insolvenzplan treffen, § 232 Abs. 4 InsO.417 Es kann gleichzeitig mit der Einholung der Stellungnahmen schon den Erörterungs- und Abstimmungstermin anberaumen, § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO.
b) Den Erörterungs- und Abstimmungstermin vorbereitende Maßnahmen 326
Soweit das Insolvenzgericht Stellungnahmen einzufordern hat bzw. nach freiem Ermessen Dritten Gelegenheit zur Äußerung gibt, hat es gem. § 232 Abs. 2 Satz 2 InsO eine Frist für die Abgabe der Stellungnahmen zu bestimmen, die nicht über zwei Wochen hinausgehen sollte.418 Ist eine neuerliche Befassung gem. § 232 Abs. 4 InsO erforderlich, darf die weitere Frist nicht über eine Woche hinausgehen. Mit der Einholung der Stellungnahmen kann das Gericht gleichzeitig den Erörterungs- und Abstimmungstermin anberaumen (§ 235 Abs. 1 Satz 3 InsO), der dann zeitlich auf die hierfür gewährte Frist abzustimmen ist. Gehen Stellungnahmen ein, hat das Insolvenzgericht dem Planvorlegenden diese zur Verfügung zu stellen, um entsprechend reagieren zu können und die Möglichkeit zur Planänderung im Erörterungs- und Abstimmungstermin zu geben. Zur Verfahrensbeschleunigung und zur Entlastung des Gerichts kann der Planverfasser vor der Planeinreichung solche Stellungnahmen selbst einholen und dem Gericht mitsamt dem Plan vorlegen.
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Hinweis: § 232 InsO dient allein der Vorbereitung der Entscheidung über den Insolvenzplan und soll den Beteiligten eine Ersteinschätzung – soweit der Insolvenzplan nicht bereits als „prepackaged plan“ erstellt ist – ermöglichen. Eine detaillierte Befassung und Erörterung ist zu diesem Zeitpunkt weder vorgesehen noch notwendig, sondern nach der Planniederlegung dem Erörterungs- und Abstimmungstermin vorbehalten. Das Insolvenzgericht hat deshalb auf eine kurze Fristsetzung zu achten.
417 Die zeitliche Optimierung beschreibt Hingerl, ZInsO 2004, 232 f., mit dem engagierten Richter. 418 § 232 Abs. 3 Satz 2 InsO. Für die Genossenschaft sieht § 116 Ziff. 4 GenG die Anhörung des Genossenschaftsverbandes vor, dem die Genossenschaft angehört (§ 54 GenG).
226 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 332 § 3
Die Insolvenzordnung lässt mit ihrem § 1 Satz 1 Halbs. 2 die alternative Insolvenzbewältigung durch ein Insolvenzplanverfahren gleichrangig neben der Regelabwicklung zu. Dieser rechtliche Ansatz hilft wenig, wenn durch tatsächliches Verhalten die wirtschaftliche Grundlage eines möglichen Planverfahrens zunichte gemacht wird. Eine Konfliktsituation kann entstehen, weil das Planverfahren nicht als besonderes Insolvenzverfahren, sondern innerhalb eines Insolvenzverfahrens als separater Verfahrensabschnitt ausgestaltet ist, der das Regelverfahren weder unterbricht noch hemmt. Ist deshalb zu besorgen, dass der Insolvenzverwalter gem. § 159 InsO mit der (zügigen) Verwertung der Masse (oder ein Gläubiger, dem gruppeninterne Drittsicherheiten gem. § 217 Abs. 2 InsO gestellt wurden, vgl. Rz. 52) beginnen will und damit das Insolvenzplanverfahren gefährdet würde, hat das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners die Aussetzung der Verwertung und Verteilung (ggf. teilweise) anzuordnen, § 233 Satz 1 InsO.419 Reicht der Insolvenzverwalter selbst den Plan ein, hat er es in der Hand, die Verwertung nicht durchzuführen. Der vom Gesetz für diesen Fall für ihn vorgesehene Antrag ist insoweit überflüssig, sein Recht zur Planvorlage überlagert die generelle Pflicht zur zügigen Verwertung der Insolvenzmasse.420 Diese auf den ersten Blick befremdlich wirkende Konstellation gewinnt an Bedeutung, wenn Gläubiger die alsbaldige Verwertung erwarten, der Insolvenzverwalter hingegen einen Insolvenzplan vorlegen will.
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Hinweis: Um einen effektiven Schutz zu erreichen, kann es entgegen des Wortlauts nicht darauf ankommen, dass eine Verwertung und Verteilung bereits stattfindet oder dass erst die Durchführung des vorgelegten Insolvenzplans gefährdet würde.421 Lässt ein vorläufig starker Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb einstellen und erkennen, dass er unverzüglich mit der Verwertung beginnen will, kann der Antrag bereits im Eröffnungsverfahren gestellt werden.422
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Eine § 233 Satz 1 InsO entsprechende Regelung enthält § 30d Abs. 1 Ziff. 3, Abs. 2 ZVG für den Fall, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger die Zwangsversteigerung in ein Grundstück betreiben.
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Der Antrag auf Aussetzung ist abzulehnen bzw. der angeordnete Verwertungs- und Verteilungsstopp aufzuheben, wenn die Gefahr erheblicher Nachteile für die Insolvenzmasse besteht, § 233 Satz 2 InsO. Das Insolvenzgericht hat die (unterstellt eintretenden) Auswirkungen einer Planannahme und die sich in der Aussetzung der Verwertung ergebenden Nachteile gegeneinander abzuwägen. Allein die abstrakte Möglichkeit der späteren Ablehnung des Insolvenzplans reicht nicht aus, um die einstweilige Maßnahme des Verwertungs- und Verteilungsstopps abzulehnen.423 Dem Insolvenzverwalter bleibt es mit Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung unbenommen, die Fortsetzung der Verwertung und Verteilung zu beantragen. Für diesen Fall hat das Insolvenzgericht ohne weitere Sachprüfung den Aussetzungsantrag abzulehnen bzw. die angeordnete Aussetzung aufzuheben.424
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Der – ggf. nach einer Beanstandung und Mangelbehebung nicht zurückgewiesene – Insolvenzplan wird zum Abschluss des Vorprüfungsverfahrens mit seinen Anlagen und den eingeholten Stellungnah-
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419 Andere Maßnahmen außerhalb der Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, auch wenn sie mittelbar die Plandurchführung gefährden würden, können über § 233 InsO nicht untersagt bzw. ausgesetzt werden (bspw. das Delisting eines börsennotierten insolventen Unternehmens, vgl. grds. hierzu LG Frankfurt/M v. 27.9.2001 – 2/22 O 332/01, NZI 2001, 667, m.w.N.). 420 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 233 Rz. 8; Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 233 Rz. 2 ff.; Breuer in MünchKomm/InsO, § 233 Rz. 4; a.A. Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 233 Rz. 10. 421 Dies andeutend auch Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 485. 422 So auch Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 233 Rz. 10. § 233 InsO ist insoweit auch als Ausprägung der in den §§ 22 Abs. 1 Ziff. 2, 158 InsO enthaltenen Grundsätze zu verstehen. 423 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 233 Rz. 9. 424 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 233 Rz. 11; Breuer in MünchKomm/InsO, § 233 Rz. 5.
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§ 3 Rz. 332 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung men auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niedergelegt, § 234 InsO.425 Mit der Niederlegung des Insolvenzplans auf der Geschäftsstelle wird dem Gebot auf rechtliches Gehör Rechnung getragen.426 Spätestens mit der Niederlegung des Insolvenzplans ist ein einheitlicher Termin zur Erörterung und Abstimmung festzusetzen.427 Hat bis dorthin noch kein Prüfungstermin stattgefunden, kann der Prüfungstermin mit dem Erörterungs- und Abstimmungstermin zur zeitlichen Optimierung verbunden werden, wobei der Prüfungstermin vor der Erörterung und Abstimmung stattzufinden hat, § 236 InsO. 333
Hinweis: Der zwingend vorgelagerte Prüftermin soll eine Vorklärung der Stimmrechte für den Erörterungs- und Abstimmungstermin ermöglichen. Hat das Insolvenzgericht Kenntnis, dass ein Planverfahren durchgeführt werden soll, muss es kürzest möglich den Prüftermin festsetzen, um durch den Zeitverlust nicht das Planverfahren zu gefährden. Nachträgliche oder nicht geprüfte Forderungsanmeldungen führen nicht zur Vertagung des Erörterungs- und Abstimmungstermins.428 Der allgemeine Prüfungstermin ist nur eine generelle Voraussetzung für den Erörterungs- und Abstimmungstermin, der ein eigenes Stimmrechtszuteilungsverfahren kennt (vgl. Rz. 343 ff.).429
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Der Erörterungs- und Abstimmungstermin ist öffentlich bekannt zu machen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Plan nebst den eingegangenen Stellungnahmen in der Geschäftsstelle eingesehen werden kann, § 235 Abs. 2 InsO.430 Hierbei bietet sich an, um den Beteiligten den begrenzten Prüfungsumfang des Gerichts im Vorprüfungsverfahren aufzuzeigen, einen dies erläuternden Hinweis aufzunehmen.431 Eine besondere Ladung hat gem. § 235 Abs. 3 InsO an die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger, den Insolvenzverwalter, den Schuldner, den Betriebsrat sowie den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten zu ergehen.432 Darüber hinaus sind die an dem Schuldner beteiligten Personen besonders zu laden, soweit durch den Plan in deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird. Handelt es sich bei dem schuldnerischen Unternehmen um eine Publikumsgesellschaft im Sinne einer AG oder KGaA, ist es ausreichend, wenn die vorgenannten Gesellschafter durch öffentliche Bekanntmachung des Erörterungsund Abstimmungstermins nach § 235 Abs. 2 InsO informiert werden. Einer gesonderten Ladung der Aktionäre oder Kommanditaktionäre bedarf es insoweit nicht.433 Mit der Zustellung von Unterlagen zum Erörterungs- und Abstimmungstermin kann der Insolvenzverwalter beauftragt werden, § 235 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 8 Abs. 3 InsO. Für börsennotierte Gesellschaften hat die Ladung der Aktionäre nach den Regelungen über die Ladung zur Hauptversammlung i.S.v. § 121 Abs. 4a AktG zu erfolgen, d.h. die Bekanntmachung hat über solche Medien zu erfolgen, bei denen davon ausgegangen werden
425 Eine vorsorgliche Terminierung, vor endgültiger Prüfung nach § 231 InsO, ist nicht zu beanstanden, vgl. auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 235 Rz. 2. 426 LG Hannover v. 7.7.2003 – 20 T 36/03, ZInsO 2003, 719, 720. 427 Haas in HK/InsO, § 235 Rz. 4. 428 Haas in HK/InsO, § 236 Rz. 2. 429 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 236 Rz. 4 f. 430 § 9 InsO (www.insolvenzbekanntmachungen.de). Dies kann unterbleiben, wenn die Verhandlung in einer früheren Gläubigerversammlung oder im Erörterungs- und Abstimmungstermin vertagt wird, § 74 Abs. 2 Satz 2 InsO. 431 Stapper/Jacobi, ZInsO 2014, 1821, 1830. 432 Gareis, NZI 2001, 238, mit Verweis auf LG Hanau, Hinweisverfügung vom 14.2.2001 – 8 T 212/00, der ein Bestätigungshindernis gem. § 250 InsO im Falle des Unterlassens der besonderen Ladung sieht; dies kann allerdings nur gelten, soweit unstreitig ist, dass ein solcher Mangel vorliegt. Wird darüber Streit geführt, gilt § 9 Abs. 3 InsO, vgl. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 235 Rz. 9. Zur Frage der Planzusendung an Gläubiger, die nach Bekanntgabe des Erörterungs- und Abstimmungstermins Forderungen anmelden, LG Hannover v. 7.7.2003 – 20 T 36/03, ZInsO 2003, 719, 720. 433 Vgl. BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 49, und § 241 Abs. 2 InsO, wo dies bei identischer Zielsetzung im Gesetzestext formuliert ist.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 338 § 3
kann, dass sie die Informationen in der gesamten Europäischen Union verbreiten.434 Hat die Gesellschaft (ausschließlich) Namensaktien ausgegeben, sind die Aktionäre mit einem geschriebenen Brief zu laden.435 Hinweis: Die frühestmögliche Ladung der Verfahrensbeteiligten kann unter Berücksichtigung der Mindestfrist von sechs Tagen erfolgen (drei volle Tage nach Bewirkung der öffentlichen Bekanntmachung, die wiederum eintritt, wenn nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO i.V.m. § 4 i.V.m. §§ 217 Alt. 2, 219, 222, 227 ZPO).
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Mit der Ladung ist ein Abdruck des Insolvenzplans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zu übersenden, § 235 Abs. 3 Satz 2 und 3 a.E. InsO.436 Bei börsennotierten Gesellschaften ist es ausreichend, wenn die Anteilsinhaber Gelegenheit haben sich auf der Internetseite des Schuldners über den wesentlichen Inhalt des Plans zu informieren, der Gegenstand des Erörterungs- und Abstimmungstermins ist.437
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Für das mit der Niederlegung gem. § 234 InsO verbundene Einsichtsrecht ist zu berücksichtigen, dass im Insolvenzplan sensible und aus der Sicht des Unternehmens vertraulich zu behandelnde Informationen enthalten sein können. Einerseits ist es wichtig, dass die zur Abstimmung berufenen Beteiligten wissen, welche Ursachen die Insolvenz hatte, wie die Situation sich darstellt und ob der gemachte Vorschlag vor dem Hintergrund einer umfassenden Information nach ihrer Einschätzung Aussicht auf Erfolg hat. Andererseits ist zu beachten, dass offen ausgetragene Diskussionen und die Verbreitung aller Informationen in vielen Fällen zu einer (noch weiteren) nachhaltigen Schädigung des Unternehmens führen werden.
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Hinweis: Der Begriff des Beteiligten in § 234 InsO ist deswegen und mit Rücksicht auf die besonders geregelte Informationspflicht des § 235 Abs. 3 InsO restriktiv auszulegen. Beteiligter und Einsichtsberechtigter kann nur derjenige sein, der auch abstimmungsberechtigt ist bzw. Mitwirkungsrechte hat, bspw. der Insolvenzverwalter beim eingereichten Schuldnerplan.438
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434 Liebscher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, AktG, § 121 Rz. 21, sehen als Medium in diesem Sinne den elektronischen Bundesanzeiger (www.ebundesanzeiger.de). A.A. Kubis in MünchKomm/AktG, § 121 Rz. 85, der zur Einhaltung der Veröffentlichungspflicht auf erforderliche Medienbündel nach § 3 WpAIV verweist. 435 Vgl. BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 49. 436 OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, ZIP 2000, 1303, wegen einer fehlenden Seite im überlassenen Insolvenzplan. BGH v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, MDR 2014, 622 = NZI 2014, 262, 263, zur Pflicht der Beteiligten, den Insolvenzplan auf der Geschäftsstelle einzusehen, um den gesamten Inhalt des Insolvenzplans nachzulesen, sowie die Maßgeblichkeit des rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans. 437 Vgl. BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 49. 438 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 234 Rz. 4; weiter Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 234 Rz. 7, der zwar insgesamt eine im Verhältnis zu § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO enge Begriffsauslegung fordert, aber auf die „betroffenen Personen“, insbesondere auf § 217 InsO verweist; Haas in HK/InsO, § 234 Rz. 3, nennt die Insolvenzgläubiger, die Absonderungsberechtigten, den Schuldner und den Insolvenzverwalter; so auch Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 234 Rz. 4; Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 234 Rz. 6, ergänzt diesen Kreis um die aussonderungsberechtigten Gläubiger; so auch Rühle in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 234 Rz. 2 f., der bei Glaubhaftmachung eines hinreichenden Interesses ein erweitertes Einsichtnahmerecht aus den §§ 4 InsO i.V.m. 299 Abs. 2 ZPO ableiten will. Werden die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen, ist der Kreis der Personen, die über die Zustimmung des Plans entscheiden, um die Inhaber zu ergänzen, so dass auch den an dem Schuldner beteiligten Personen Einsicht zu gewähren ist. Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 234 Rz. 4 ff., will das Recht zur partiellen Einsichtsverweigerung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zur Frage der informationellen
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§ 3 Rz. 339 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
c) Leitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins 339
Der Erörterungs- und Abstimmungstermin gibt nach der Vorgabe des Gesetzes für die Beteiligten, die nicht an der Planerstellung beteiligt waren oder zugezogen wurden, erstmals die Gelegenheit, Einwendungen gegen den Insolvenzplan in der Diskussion vorzubringen, Fragen zu stellen und daraus abgeleitet dann eine Entscheidung für oder gegen den Plan (oder auch Stimmenthaltung) zu treffen.439 Der Erörterungs- und Abstimmungstermin ist die mündliche Verhandlung, in der der eingereichte Insolvenzplan erörtert, nach § 240 InsO ggf. geändert und über den anschließend abgestimmt wird, § 235 Abs. 1 Satz 1 InsO.
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Der Erörterungs- und Abstimmungstermin ist eine besondere Gläubigerversammlung, an der auch die am Schuldner beteiligten Personen teilnehmen können, soweit in deren Anteils- und Mitgliedschaftsrechte durch den Plan eingegriffen wird, und die vom Insolvenzgericht gem. § 76 Abs. 1 InsO geleitet wird440 (zur Gläubigerversammlung allgemein § 9 Rz. 417 ff.). Der eigentliche Termin ist in drei Teile, den Erörterungs-, den Stimmrechtsgewährungs- und den Abstimmungsteil, zu trennen. Vorab hat das Insolvenzgericht das Teilnahmerecht der Anwesenden am Erörterungs- und Abstimmungstermin festzustellen.441 Die Vertretung eines Gläubigers mittels Stimmrechtsvollmacht ist zulässig.442 Über den wesentlichen Ablauf des Termins ist ein Protokoll gem. § 4 InsO i.V.m. § 159 ZPO zu führen.
341
Hinweis: Ohne eine klare Strukturierung des Termins werden potentielle Planstörer, die sich im Erörterungsteil mit ihrer Meinung über den Plan nicht durchsetzen konnten, die Gelegenheit nutzen, im Rahmen der Stimmrechtszuteilung oder der Abstimmung eine erneute Diskussion über den Planinhalt zu beginnen, womit der Erörterungs- und Abstimmungstermin zu einem unübersichtlichen und unkontrollierbaren Schauspiel Einzelner zu werden droht. Wird der Plan im Erörterungs- und Abstimmungstermin geändert, ist bei erteilter Stimmrechtsvollmacht das Rechtsberatungsgesetz zu beachten. Dem Vertretenen kann durch die Entscheidung des Bevollmächtigten über die Planänderung ein Rechtsrat erteilt werden. In diesem Fall bedarf es eines solchen Vertreters, der von Gesetzes wegen zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen ermächtigt ist.443 Dies kann nicht der Insolvenzverwalter (oder Sachwalter) sein, weil die Unabhängigkeit der Person die Grundvoraussetzung für die Bestellung in das Amt ist, § 56 InsO. Die Unabhängigkeit liegt ebenso nicht (mehr) vor, wenn aus der Kanzlei des Verwalters ein Sozietätspartner oder angestellter Rechtsanwalt als Vertreter der Gläubiger auftritt und das anwaltliche Berufsrecht der Berufskollegen auch den Verwalter bindet.444
439 440 441
442
443 444
Selbstbestimmung als allgemeinen Rechtsgedanken anwenden und im Einzelfall den Beteiligten das Einsichtsrecht verweigern. Soweit nicht der Insolvenzplan als „prepackaged plan“ erstellt und mit den wesentlichen Gläubigern vor der Einreichung abgestimmt wird. Daneben ermöglicht § 232 InsO einigen Gläubigern, zum Plan Stellung zu nehmen. Ergänzend finden somit die §§ 74 ff. InsO Anwendung. Zur Rolle des Gerichts als „indirekt streitschlichtender Mediator“ vgl. Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 243 Rz. 7 m.w.N. Die Gläubigerversammlung ist eine nicht öffentliche Verhandlung, § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO. Das Teilnahmerecht wird z.T. über § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO, auch im Verhältnis zu den Beteiligten i.S.v. § 234 InsO erweitert. Vgl. hierzu auch Weiß in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 74 Rz. 11 ff.; Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 488 f. Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 250 Rz. 14, diskutiert die Nähe zum unlauteren Stimmenkauf (vgl. hierzu Rz. 180 ff.), wenn der Planverfasser Gläubigern anbietet, einen von ihm benannten Rechtsanwalt zur Teilnahme am Abstimmungstermin zu bevollmächtigen und die anfallenden Kosten zu übernehmen, auch wenn die Vereinbarung die Masse nicht belastet. Sofern allen Gläubigern dies angeboten wird, liegt entgegen Thies jedoch keine Begünstigung Einzelner vor. So auch Buchalik/Stahlschmidt, ZInsO 2014, 1144, 1148, mit einer entsprechenden Musterformulierung. Die Stimmabgabe über einen Insolvenzplan eines aus der Sozietät des Insolvenzverwalters auftretenden Rechtsanwalt behandeln Weßling/Greven, ZInsO 2017, 1595 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 344 § 3
aa) Erörterung durch die Planbeteiligten Das Insolvenzgericht hat darauf zu achten, dass nur im Erörterungsteil Stellungnahmen und Meinungsäußerungen zum Insolvenzplan abgegeben werden. Dem Planvorlegenden wird Gelegenheit zur Darstellung der wesentlichen Ziele und Regelungen des Insolvenzplans gegeben. Das Verlesen des gesamten Insolvenzplans nebst den beigefügten Anlagen ist vom Gesetz nicht vorgesehen.445 Soweit es der Planvorlegende für notwendig erachtet, kann aber eine Verlesung erfolgen. Ein Anspruch hierauf für die im Termin anwesenden Gläubiger, den am Schuldner beteiligten Personen, das Insolvenzgericht oder den Insolvenzverwalter bzw. Schuldner besteht nicht. Danach können Fragen gestellt sowie Beurteilungen des Plans durch die einzelnen Gruppenangehörigen bzw. Teilnehmenden gem. § 235 Abs. 3 Satz 1 und 3 InsO gegeben werden.446 Der Planvorlegende kann im Anschluss daran den Insolvenzplan gem. § 240 InsO ändern, wobei es dem Planvorlegenden im Rahmen der Änderungsmöglichkeit bis zum Abschluss des Erörterungsteils vorbehalten bleibt, einen gesonderten Abstimmungstermin nach § 241 InsO zu beantragen. Stellt der Planvorlegende keinen Antrag auf Bestimmung eines gesonderten Abstimmungstermins, ist noch im selben Termin über den Insolvenzplan abzustimmen.447 § 235 InsO und § 241 InsO stehen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. Soweit nicht besondere Sachverhalte einen gesonderten Abstimmungstermin zwingend erfordern, ist ein Erörterungs- und Abstimmungstermin abzuhalten. Ein gesonderter Abstimmungstermin nach § 241 InsO ist insoweit nicht zulässig (vgl. Rz. 357). Kommt der Planvorlegende trotz der (begrenzten) Änderungsmöglichkeit zur Auffassung, dass der Plan abgelehnt werden wird, kann er diesen zurücknehmen. Die Rücknahme des Insolvenzplanes kann nach der Planeinreichung bis zur Rechtskraft des Plans erfolgen.448
342
bb) Stimmrechtsfestsetzung für die Beteiligten Das Insolvenzgericht hat den Abschluss der Erörterung festzustellen und im Anschluss daran Stimmrechtszuteilungen vorzunehmen, wobei Stellungnahmen und Diskussionen über das Stimmrecht zu gewähren, aber auch ausschließlich darauf zu beschränken sind.449
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Das Insolvenzgericht führt nach dem Ergebnis der Erörterung über die Stimmrechtszuteilung gem. § 239 InsO eine Stimmliste, die Grundlage für die nachfolgende Abstimmung über den Insolvenzplan ist.450 Ist eine Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Gewährung des Stimmrechts erforderlich, müssen neben der Entscheidung auch der Widerspruch und die darin vorgetragenen Gründe protokolliert werden.451 § 236 InsO stellt für die Stimmrechtszuteilung sicher, dass der allgemeine Prüfungstermin bereits durchgeführt und damit eine wesentliche Vorarbeit geleistet ist (vgl. Rz. 333).
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445 So auch Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 235 Rz. 26; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 235 Rz. 20, sieht das Recht der Anwesenden, darauf verzichten zu können. 446 Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass auch den Teilnehmenden ein Rederecht zusteht, wenn auch diese später ggf. kein Stimmrecht haben, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 488 f. 447 Das Insolvenzgericht kann den Erörterungs- und Abstimmungstermin unabhängig davon wie jeden anderen Gerichtstermin nach § 4 InsO i.V.m. § 227 ZPO vertagen. 448 Die Rücknahme zugelassen im Beschwerdeverfahren: BGH v. 15.9.2009 – IX ZB 36/08, ZInsO 2009, 2113 f. Vgl. hierzu auch Madaus, KTS 2012, 27 ff.; zur erweiterten Zurückweisungsmöglichkeit eines Zweitplanes s. § 231 Abs. 2 InsO mit den dortigen Ausführungen unter Rz. 323. 449 Zur Differenzierung Stimmrechtszuteilungsstreit und Stimmrechtsvollmachtsstreit LG Hamburg v. 1.12.2006 – 326 T 93/06, ZInsO 2007, 277 f., sowie Frind, NZI 2007, 374, 376 f. 450 Die Stimmrechtsfestsetzung, die ex nunc wirkt, ist vor der Abstimmung abzuschließen, BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, MDR 2021, 323 = NZI 2021, 177, 178. Unabhängig hiervon lässt der BGH vor der Stimmrechtsfestsetzung eine „Probeabstimmung“ zu, um zu klären, ob streitige und somit festzustellenden Stimmrechte entscheidungserheblich sind. Nach der dann vorzunehmenden Stimmrechtsfestsetzung hat die eigentliche Abstimmung stattzufinden. 451 Hintzen in MünchKomm/InsO, § 239 Rz. 1; zur Berichtigung unrichtiger Stimmrechtsvermerke in der Stimmliste Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 239 Rz. 6 ff.
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§ 3 Rz. 345 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 345
Hinweis: Es gilt zu erkennen, dass mit einer zur Tabelle festgestellten oder mit einer bestrittenen Forderung eines Gläubigers nicht gleichzeitig eine Aussage zum Stimmrecht für den Erörterungs- und Abstimmungstermin getroffen wird, was umgekehrt entsprechend gilt. Beides sind unabhängig voneinander zu treffende Entscheidungen, wobei das Gericht an die jeweils andere nicht gebunden ist, auch nicht an frühere Stimmrechtsfestsetzungen in Gläubigerversammlungen. Die Stimmrechte sind damit neu und ausschließlich für den Erörterungs- und Abstimmungstermin zu erörtern, was nicht ausschließt, dass die vorliegende Tabelle mit den entsprechenden Vermerken aus dem allgemeinen Prüfungstermin (vgl. § 236 InsO) die Feststellung der Stimmrechte erleichtert. Die Anmeldung zur Tabelle und die damit verbundene Erklärung des Verwalters bzw. der widerspruchsberechtigten Gläubiger bezieht sich ausschließlich auf die Frage der Teilnahmeberechtigung der Forderung am Insolvenzverfahren, hingegen erfolgt die Stimmrechtsfestsetzung über die Planabstimmung darauf bezogen gesondert und ist auch abschließend geregelt.452
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Anders als im allgemeinen Prüfungstermin sind Stimmrechte den Insolvenzgläubigern nach den §§ 237, 238b InsO, den absonderungsberechtigten Gläubigern nach § 238 InsO und den Anteilsinhabern nach § 238a InsO zu gewähren, die nur zum Teil auf die allgemeine Stimmrechtsvorschrift des § 77 InsO verweisen, darüber hinaus planorientiert eigene Stimmrechtsregelungen enthalten. Werden die Planbetroffenen nicht beeinträchtigt, haben sie kein Stimmrecht, §§ 237 Abs. 2, 238 Abs. 2, § 238a Abs. 2 InsO.453 Aufschiebend bedingte Forderungen oder Rechte können stimmberechtigt sein, §§ 237 Abs. 1 Satz 1, 238 Abs. 1 Satz 3, 77 Abs. 2, Abs. 3 Ziff. 1 InsO.
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Hinweis: Ein gemäß der §§ 223 bis 225a InsO erfolgter Eingriff in die Rechte bzw. Forderungen der Beteiligten, der zunächst zur Gruppenbildung gem. § 222 InsO führt, berechtigt für sich gesehen noch nicht zur Abstimmung über den Plan. Es ist weiter zu entscheiden, ob ein Nachteil i.S.d. §§ 237 Abs. 2, 238 Abs. 2 bzw. 238a Abs. 2 InsO durch den Eingriff entstehen wird. Erst wenn dies der Fall ist, wird ein Stimmrecht gewährt. Dies gilt entsprechend für das Stimmrecht des Gläubigers, dessen gruppeninterne Sicherheit geregelt wird. Soweit die angemessene Entschädigung, die gem. § 223a Satz 2 InsO zu leisten ist, dem mutmaßlichen Befriedigungsbeitrag gem. § 238b InsO entspricht, steht dem Gläubiger kein Stimmrecht zu. Eine plangewährte marktübliche Verzinsung einer gestundeten, aber sonst umfänglich zu befriedigenden Forderung eines Gläubigers stellt damit keinen Nachteil dar und gewährt folglich kein Stimmrecht. Weit öfter als für Forderungen, die in den heute bekannten Planverfahren regelmäßig mit einer Quote bedient werden und schon deshalb einen Nachteil erleiden, wird sich dies beim Stehenlassen/Stunden des Absonderungsrechts einstellen, wenn es ratierlich, aber vollumfänglich unter Gewährung einer entsprechenden Verzinsung plangemäß bedient werden soll. Ein Nachteil wird dagegen vorliegen, wenn Gläubigern ein Surrogat anstelle einer Forderung gewährt wird (bspw. durch Übertragung von Anteilsrechten gem. §§ 225a Abs. 2, 230 Abs. 2 InsO) oder den Altgesellschaftern eine finanzielle Entschädigung für den Verlust ihrer Anteilsrechte geboten wird, weil in den gesetzlichen Gehalt eingegriffen wird, auch wenn wirtschaftliche Gleichwertigkeit vorliegen sollte.454
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Ausgangspunkt für die Stimmrechtszuteilung an nicht nachrangige Insolvenzgläubiger ist das Ergebnis des allgemeinen Prüfungstermins.455 Ist eine angemeldete Forderung im allgemeinen Prüfungstermin anerkannt worden und wird diese Forderung weder vom Verwalter noch von einem stimmberechtigten Gläubiger bei der Stimmrechtsprüfung bestritten, wird ein Stimmrecht gewährt.456 Ein Bestreiten der Forderung durch den Schuldner ist belanglos, § 178 Abs. 1 Satz 2 InsO. Ist eine ange-
452 BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, NZI 2010, 57 f. 453 Verzögerungen, die durch das Planverfahren entstehen, stellen noch keine Beeinträchtigung dar, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 237 Rz. 8 f.; Haas in HK/InsO, § 237 Rz. 7 ff.; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 237 Rz. 23. 454 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 237 Rz. 8. 455 Die Stimmrechtszuteilung im Insolvenzverfahren beschreibend Lissner, Insbüro 2012, 296 ff. 456 Zu nicht angemeldeten oder nicht geprüften Forderungen vgl. Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 237 Rz. 22 ff.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 351 § 3
meldete Forderung im allgemeinen Prüfungstermin bestritten oder erfolgt dies im Rahmen der Stimmrechtsprüfung, ist das Erörterungs- bzw. Einigungsverfahren im (ggf. zu vertagenden) Termin durchzuführen. Kommt es nach der Erörterung zu einer Einigung, gilt das Stimmrecht im Umfang der Einigung als zugestanden.457 Scheitert eine Einigung, entscheidet das Insolvenzgericht über den Umfang der Stimmrechtsgewährung.458 § 52 InsO qualifiziert Ausfallforderungen absonderungsberechtigter Gläubiger als Insolvenzforderungen. Unter Fortführung dieses Rechtsgedankens behandelt § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO die Ausfallforderung bzw. die mutmaßliche Ausfallforderung wie eine Insolvenzforderung und weist ein Stimmrecht über § 237 InsO zu. Dagegen wird dem (werthaltigen und nicht verzichteten) Absonderungsrecht das Stimmrecht über § 238 InsO gewährt. Während im Rahmen von § 237 InsO neben dem Insolvenzverwalter jeder stimmberechtigte Insolvenzgläubiger (und damit auch der mutmaßliche Ausfallforderungsgläubiger) gegen die Stimmgewährung auf die Forderung opponieren kann, steht ein Widerspruchsrecht im Rahmen von § 238 InsO dem Insolvenzverwalter und neben den Absonderungsrechtsinhabern nur denjenigen Insolvenzgläubigern zu, deren Ausfallforderung als Insolvenzforderung qualifiziert wird, weil in der Entscheidung über die Qualifizierung als Ausfallforderung und/oder Absonderungsrecht die maßgebliche Höhe des Stimmrechtes in der jeweiligen Gruppe (nämlich die Gruppe der Absonderungsrechtsinhaber und die Gruppe der Insolvenz-/Ausfallforderungen) beeinflusst wird. Andere Insolvenzgläubiger haben für die Stimmrechtsfeststellung nach § 238 InsO kein Widerspruchsrecht.459
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Wird die Rechtsstellung absonderungsberechtigter Gläubiger im Insolvenzplan geregelt, ist eine Stimmrechtszuteilung nach § 238 InsO vorzunehmen (zur Rechtsstellung absonderungsberechtigter Gläubiger im Übrigen vgl. § 10 Rz. 135 ff.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass unabhängig von der Frage der unterschiedlichen Zuordnung in Gruppen zu Absonderungsrechten (§ 222 Abs. 1 Ziff. 1 InsO) und aufgrund einer (mutmaßlichen) Ausfallforderung zu Insolvenzforderungen (§ 222 Abs. 1 Ziff. 2 oder 3 InsO) das Insolvenzgericht eine einheitliche Entscheidung im Rahmen von § 238 und § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO zu treffen hat. Das Stimmrechtsverfahren folgt den Grundsätzen der Stimmrechtszuteilung an nicht nachrangige Insolvenzgläubiger. Weil im allgemeinen Prüfungstermin jedoch keine Anmeldung oder Prüfung der Absonderungsrechte erfolgt, sieht § 238 Abs. 1 Satz 2 InsO für jeden Einzelfall die Erörterung der Absonderungsrechte vor. Dabei sind Absonderungsrechte mit einem Geldbetrag zu bewerten, um die Summenmehrheit nach § 244 Abs. 1 Ziff. 2 InsO und den mutmaßlichen Ausfall nach den §§ 52, 237 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmen zu können. Der Wertansatz orientiert sich dabei an der Planregelung.460
350
Werden Forderungen der nachrangigen Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan gestaltet, womit verpflichtend gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 3 InsO entsprechende Gruppen zu bilden sind, ist ihnen vergleichbar den nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern ein Stimmrecht zu gewähren. Ein Stimmrechtsausschluss, wie ihn § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO allgemein für nachrangige Insolvenzgläubiger vorsieht, enthält § 237 InsO mangels Verweises nicht. Allerdings kann die Abstimmung nachrangiger Insolvenzgläubiger entbehrlich sein, soweit nach § 246 InsO die Zustimmung zum Insolvenzplan als erteilt gilt. Für diese Fälle ist trotz Planregelung keine Stimmrechtsfestsetzung erforderlich.461 Das Insolvenzgericht hat ent-
351
457 Die anwesenden stimmberechtigten Gläubiger müssen einstimmig zustimmen und der Insolvenzverwalter darf keinen Widerspruch gegen das Stimmrecht im erörterten Umfang erheben, § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO; vgl. auch AG Duisburg v. 27.3.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447. 458 Die Stimmrechtsentscheidung des Gerichts ist maßgeblich für Planleistungen auf bestrittene Forderungen und Ausfallforderungen, § 256 InsO (vgl. Rz. 476). 459 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 238 Rz. 5 f.; vgl. auch Haas in HK/InsO, § 238 Rz. 4. 460 Fortführungswert oder Veräußerungserlös, Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 491. 461 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 490 und S. 502. Grundsätzlich zur Rolle des nachrangigen Gläubigers auch im Planverfahren, Schröder, ZInsO 2014, 2069, 2073 ff.
Frank | 233
§ 3 Rz. 351 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung sprechend der Gruppenzuordnung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 InsO die Gläubiger nachrangiger Insolvenzforderungen zur Tabellenanmeldung nach § 174 Abs. 3 InsO besonders aufzufordern. Das Verfahren ist identisch dem Verfahren zur Stimmrechtsfeststellung nicht nachrangiger Insolvenzforderungen. Erfolgt keine Planregelung, gelten nachrangige Insolvenzforderungen gem. § 225 Abs. 1 InsO als erlassen. Eine Stimmrechtsfeststellung ist in diesen Fällen nicht durchzuführen.462 352
Erstrecken sich die Planregelungen auf die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Person(en) bzw. erfahren die Rechte dieser Planbeteiligten eine Gestaltung, stimmen die Anteilsinhaber aufgrund der erfolgten Gruppenbildung über den Plan ab (§ 222 Abs. 1 Ziff. 4 InsO). § 238a InsO sieht dabei vor, dass sich das Stimmrecht der Anteilsinhaber nach der Beteiligung am Kapital oder Vermögen bestimmt, wobei gesellschaftsvertragliche oder gesetzliche Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrheitsstimmrechte außer Betracht bleiben.463 Für Kapitalgesellschaften ist der Anteil anhand des in den öffentlichen Registern eingetragenen Haftkapitals zu bestimmen.464
353
Gestaltet der Insolvenzplan gruppeninterne Drittsicherheiten, was vergleichbar den Eingriffsmöglichkeiten in Absonderungsrechte mit der Kürzung um einen Bruchteil, einer Stundung oder Abgeltung wie auch einer sonstigen Regelung einhergehen kann, steht dem Gläubiger, dessen Recht gegenüber dem gruppeninternen Sicherheitensteller verändert wird, eine eigene rechtlich qualifizierte Gruppe zu (§ 222 Abs. 1 Ziff. 5 InsO) und er, nicht etwa der Sicherheitensteller, stimmt über den Insolvenzplan ab. Das Stimmrecht bemisst sich dabei anhand des mutmaßlichen Befriedigungsbetrages im Falle der sofortigen Realisierung der Sicherheit, § 238b InsO. Der Sicherheitensteller, der die angemessene Entschädigung gem. § 223a Satz 2 InsO beizubringen hat, muss sein Einverständnis zur Planregelung inklusive der Entschädigungsleistung mittels des Plans als in der Anlage beizufügende Zustimmung erklären, § 230 Abs. 4 InsO;465 abstimmungsberechtigt über den Plan ist er als Sicherheitensteller nicht. cc) Abstimmung über den Insolvenzplan
354
Sind die Stimmrechte festgestellt, was durch Abschluss der Stimmliste dokumentiert wird, hat das Insolvenzgericht darauf hinzuweisen, dass in die eigentliche Abstimmung eingetreten wird.466 Im Abstimmungsteil gibt es nur Stimmabgaben, eine Erörterung des Insolvenzplans oder eine weitergehende Diskussion über die Stimmrechtszuteilung ist unzulässig.
462 Dies gilt auch für Geldstrafen und diesen in § 39 Abs. 1 Ziff. 3 InsO gleichgestellten Verbindlichkeiten, weil § 225 Abs. 3 InsO auf § 227 InsO Bezug nimmt und die Haftung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens reguliert, ohne eine Plangestaltung oder Planzuwendung an sich vorzunehmen, was zunächst Voraussetzung für eine Gruppenbildung und damit eine Stimmrechtszuteilung ist. 463 Die (in der Gesellschaftsstruktur) stimmrechtslosen Vorzugsaktien sind hiernach an der Abstimmung über der Insolvenzplan zu beteiligen. 464 Vgl. BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 50. 465 Der Sicherheitensteller hat seine Zustimmungserklärung anhand der für ihn maßgeblichen internen Struktur zu organisieren. Eine im Außenverhältnis gleichwohl erklärte Zustimmung kann hiervon unbeschadet die erforderliche Rechtswirkung entfalten. 466 Frind, NZI 2007, 374, will dem Insolvenzgericht bei Kenntnis über die Stimmverhältnisse beeinflussende Abreden, das Recht zugestehen, die Abstimmung abzulehnen. Dies andeutend auch BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, MDR 2005, 829 = DZWiR 2005, 255, 257. Dem kann nicht gefolgt werden: Sind Gläubiger im Termin anwesend, die ein „redliches“ Stimmrecht haben, muss diesen die Abstimmung über den Insolvenzplan ermöglicht werden. Hingegen hat das Insolvenzgericht im Wege der Stimmrechtszuteilung den Sachverhalt der beeinflussenden Abreden zu würdigen und die „unredlichen“ Gläubiger ggf. von der Abstimmung auszuschließen.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 358 § 3
Abgestimmt wird nach § 243 InsO in den jeweils gebildeten Gruppen durch die stimmberechtigten Beteiligten.467 Eine Gesamtabstimmung – über die Gruppen hinweg – findet nicht statt.468 Die Abstimmung erfolgt mündlich, soweit nicht ausnahmsweise ein gesonderter Abstimmungstermin gem. § 241 InsO bestimmt ist, der gem. § 242 InsO eine schriftliche Stimmausübung zulässt. Ist eine schriftliche Abstimmung möglich, müssen die schriftlichen Stimmabgaben bis zum Tag vor dem Abstimmungstermin dem Insolvenzgericht zugegangen sein, § 242 Abs. 2 Satz 2 InsO. Schriftliche Stimmabgaben werden den einzelnen Gruppen zugewiesen und durch Verlesen den im Termin anwesenden Gläubigergruppen im Rahmen der Abstimmung zur Kenntnis gebracht.
355
Mit der Abgabe der Stimme ist das Stimmrecht verbraucht, eine Möglichkeit des Widerrufs der Stimmabgabe, bspw. bis zum Ende des Abstimmungstermins, ist unzulässig.469
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dd) Der gesonderte Abstimmungstermin als Ausnahme Das Insolvenzgericht kann einen gesonderten Termin zur Abstimmung festlegen, in dem das Stimmrecht (auch) schriftlich ausgeübt werden kann, §§ 241, 242 InsO. Um dem Beschleunigungsinteresse Rechnung zu tragen, sollte die Anordnung eines gesonderten Abstimmungstermins die Ausnahme bleiben und nur dann anberaumt werden, wenn der Planvorlegende, der eine abweichende Regelung zur Regelabwicklung anstrebt, dies für sachdienlich hält.470 Er selbst ist in der Lage zu entscheiden, ob die Verzögerung mit dem Planvorschlag vereinbar ist oder nicht. Unabhängig davon kann das Gericht die Anordnung vornehmen, wenn dies aus Gründen der Verfahrensgerechtigkeit ausnahmsweise erforderlich ist, bspw. wenn der Insolvenzplan gem. § 240 InsO in wesentlichen Teilen so geändert worden ist, dass eine „Überrumpelung“ der Gläubiger droht.471 Sonstige Verfahrensbeteiligte haben kein Antragsrecht auf entsprechende Terminierung. Zum Abstimmungstermin sind die stimmberechtigten Gläubiger, der Schuldner und die Anteilsinhaber zu laden, wobei im Falle einer Planänderung auf diese besonders hinzuweisen ist, § 241 Abs. 2 InsO.472 Alternativ dazu besteht die Möglichkeit einer Vertagung des Erörterungs- und Abstimmungstermins, §§ 4 InsO, 227 ZPO.473 Eine gesonderte Ladung kann in diesem Fall unterbleiben, § 74 Abs. 2 Satz 2 InsO.
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Hinweis: Gemäß § 241 Abs. 2 InsO sind in Anlehnung an § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO die Aktionäre und Kommanditaktionäre nicht zu laden. Für diese Verfahrensbeteiligten genügt es, wenn der Termin öffentlich bekannt gemacht wird. Für börsennotierte Gesellschaften hat die Ladung nach Maßgabe des § 121 Abs. 4a AktG zu erfolgen (vgl. Rz. 334).
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467 AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447, will die Stimmabgabe an den Grundsätzen staatsrechtlicher Wahlen überprüfen. 468 Der Gesetzeswortlaut ist missverständlich, gemeint sind die Gruppenzugehörigen, also bspw. auch Absonderungsberechtigte, die nicht i.S.v. § 52 InsO Insolvenzgläubiger sind, vgl. Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 243 Rz. 9. 469 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 243 Rz. 4; Haas in HK/InsO, § 243 Rz. 5; Hintzen in MünchKomm/InsO, § 243 Rz. 4 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 243 Rz. 6. 470 Das Gesetz lässt nicht mehr erkennen, dass § 241 InsO ursprünglich die Regel und nunmehr die Ausnahmevorschrift geworden ist, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 494 ff. 471 Vgl. auch Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 241 Rz. 3; Mann, DStR 2002, 1104, 1106; zu weitgehend Hofmann in Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, Kapitel 13 Rz. 196, der dem Insolvenzgericht dem Grunde nach eine Ermessensentscheidung zugestehen will. 472 Von der Ladung ist die Teilnahmeberechtigung zu unterscheiden. Diese ist identisch mit der Teilnahmeberechtigung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin. Vgl. hierzu auch Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 241 Rz. 15 f. 473 Dies kann insbesondere angezeigt sein, wenn wegen der einzuhaltenden Ladungspflichten aus rein organisatorischen Gründen Verfahrensverzögerungen drohen, MünchKomm/InsO/Hintzen, § 241 Rz. 6 f.
Frank | 235
§ 3 Rz. 358 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Das Insolvenzgericht muss darauf achten, nicht über diese Möglichkeit de facto wieder eine Zweiteilung – mit allen Verzögerungsnachteilen – zu kreieren. Beteiligte, die nicht kompetent im Erörterungstermin vertreten sind und bei denen ihre Vertreter eine „Weisung“ für die Entscheidung benötigen oder deren Zustimmung unter einem „Gremienvorbehalt“ stehen, sollen nicht erfolgreich versuchen können, gesonderte Abstimmungstermine durchzusetzen. Anderenfalls wäre das Beschleunigungsbestreben durch die Konzentration auf einen Erörterungs- und Abstimmungstermin konterkariert. Entsprechend gilt dies, wenn der Planersteller Änderungen am Plan vornimmt. Über den geänderten Plan kann noch in demselben Termin abgestimmt werden, § 240 Satz 2 InsO. Allein die Abwesenheit von Gläubigern ist kein Grund, die Abstimmung über den geänderten Plan zu verschieben.474 359
Weil bei Anordnung eines gesonderten Abstimmungstermins der Erörterungsteil des Erörterungsund Abstimmungstermins – mit entsprechender Änderungsmöglichkeit – abgeschlossen ist, nunmehr also auch feststeht, welchen Inhalt der Plan definitiv hat, kann auch schriftlich abgestimmt werden, § 242 InsO.475
d) Feststellung des Abstimmungsergebnisses 360
Das Ergebnis der Abstimmung in den einzelnen Gruppen ist vom Insolvenzgericht festzustellen. Dies ergibt sich mittelbar aus § 243 InsO. Es erfolgt keine Gesamtabstimmung über alle Beteiligten hinweg. Haben alle Gruppen – jede Einzelne der gebildeten – abgestimmt oder sich der Stimme enthalten, ist die Abstimmung beendet.
361
Die Annahme des Insolvenzplanes erfordert die mehrheitliche Annahme innerhalb einer jeden Gruppe. Die Mehrheitserfordernisse innerhalb einer Gruppe legt § 244 InsO fest. Die Stimmen der abstimmungsberechtigten Gläubiger (absonderungsberechtigte Gläubiger, nicht nachrangige und nachrangige Gläubiger, Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten) sind dabei doppelt, nach Kopfzahl (§ 244 Abs. 1 Ziff. 1 InsO) und nach Summenanteil (§ 244 Abs. 1 Ziff. 2 InsO) zu erfassen. Für die Anteilsinhaber kommt es dagegen nach § 244 Abs. 3 InsO auf die Kapitalmehrheit an, so dass deren Stimme nur einfach erfasst wird. Es genügt jeweils die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Stimmberechtigte, die an der Abstimmung nicht teilnehmen, sind nicht zu berücksichtigen, da passives Gläubigerverhalten bei der Abstimmung über den Insolvenzplan nicht den Ausschlag geben soll.476
362
Hinweis: Ersichtlich ging der Gesetzgeber der InsO davon aus, dass passives Verhalten in der Abstimmung bzw. durch Nichterscheinen zum Termin einzelne Gläubiger bei der Ermittlung des Mehrheitsergebnisses ausschließt. Für eine gesamte (nicht nachrangige) Gläubigergruppe hat er dies nicht ausdrücklich formuliert. Enthält sich eine gesamte (nicht nachrangige) Gläubigergruppe der Stimmabgabe, hat diese Gruppe dem Insolvenzplan bezogen auf § 244 InsO nicht zugestimmt und damit nicht angenommen. In diesem Fall wäre nach dem Gesetzeswortlaut eine mögliche Planannahme über § 245 InsO zu prüfen. Ist eine Gruppe nachrangiger Insolvenzgläubiger gebildet und beteiligt sich diese Gruppe insgesamt nicht an der Abstimmung, wird dagegen über die Sonderregelung in § 246 Ziff. 2 InsO die Zustimmung zum Plan fingiert, eine Prüfung über § 245 InsO ist insoweit entbehrlich.477 Nur für nachrangige Gläubigergruppen
474 „Ius ante scriptum est vigilantibus – Das Recht ist für die Wachsamen geschrieben.“ Wie hier: Hiebert, ZInsO 2015, 113 ff. 475 Die Begründung des Rechtsausschusses lässt auch für den gesonderten Abstimmungstermin zu, dass der Plan erörtert werden kann, Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 495; a.A. Haas in HK/InsO, § 242 Rz. 3; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 242 Rz. 1, stellen klar, dass nochmals eine Erörterung, aber keine Änderung des Plans mehr erfolgen kann. 476 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 498. 477 Die Zustimmungsfiktion gilt allerdings nicht, soweit im Rahmen von § 245 Abs. 1 Ziff. 3 InsO zu prüfen ist, ob die Mehrheit der abstimmenden Gruppen zugestimmt hat, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 500.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 364 § 3 hat der Gesetzgeber seine Erkenntnis normiert, dass Desinteresse nicht die Prüfung nach § 245 InsO begründen kann.478 Es macht aber keinen Unterschied, ob einzelne Gläubiger in einer Gruppe oder gebündelt als gesamte Gruppe – möglicherweise ist nur ein einziger Gläubiger einer Gruppe zugeordnet – sich der Abstimmung verweigern und so den alten „Vergleichsstörer“ aufleben lassen…479 Auch begründet die insolvenzrechtliche Unterscheidung in nachrangige (wenn diese überhaupt eine Regelung im Plan erfahren sollen und deshalb grds. und damit wie nicht nachrangige Insolvenzgläubiger stimmberechtigt wären) und nicht nachrangige Insolvenzgläubiger die unterschiedliche Handhabung des Stimmverhaltens nicht. Will ein Gläubiger oder eine Gläubigergruppe den Insolvenzplan ablehnen, muss an der Abstimmung teilgenommen werden. Ansonsten besteht für diese Gläubiger(gruppen) die Gefahr, dass Einzelne bei der Mehrheitserfassung nicht gewertet werden bzw. die gesamte Gruppe keine weitergehende Prüfung nach § 245 InsO begründen kann.480 Dies gilt, solange zumindest eine Gruppe (§ 245 Abs. 1 Ziff. 3 InsO) über den Plan abgestimmt und diesem zugestimmt hat. Lediglich wenn kein Gläubiger zum Erörterungs- und Abstimmungstermin erscheint bzw. kein Gläubiger eine Stimme abgibt, ist der Insolvenzplan gescheitert und das Regelinsolvenzverfahren gelangt wieder zur Anwendung.481
Mit dem ESUG kann auch in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen eingegriffen werden. § 246a InsO bestimmt vergleichbar der Gläubigerregelung für die Anteilsinhaber, dass die Zustimmung der Gruppe als erteilt gilt, soweit sich kein Mitglied der Gruppe an der Abstimmung beteiligt. Auch für die Anteilsinhaber gilt, dass Desinteresse nicht die Prüfung nach § 245 InsO begründen kann.
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Für die Ermittlung der Kopfzahl nach § 244 Abs. 1 Ziff. 1 InsO ist zu berücksichtigen, dass ein Gläubiger mehrere Kopfstimmen haben kann, wenn er aufgrund der Orientierung nach Forderung/Recht bei der Gruppenbildung in mehreren Gruppen stimmberechtigt ist.482 Gleiches gilt, wenn der stimmberechtigte Anteilsinhaber zugleich Gläubiger (bspw. durch ein der Gesellschaft gewährtes Darlehen) ist. Diese Verfahrensbeteiligten sind dabei nicht durch ihr Stimmverhalten in anderen Gruppen beschränkt, so dass er unterschiedlich votieren kann.483 Dagegen hat ein Gläubiger nur eine Kopfstimme, wenn er in einer Gruppe mehrere Forderungen aus unterschiedlichen Rechtsgründen hat. Steht das Recht mehreren gemeinschaftlich zu bzw. haben deren Rechte bis zum Eintritt des Eröffnungsgrundes ein einheitliches Recht gebildet oder ist ein Recht mit einem Pfandrecht oder Nießbrauch belastet, werden die hieran beteiligten Personen bei der Berechnung der Kopfzahl mit nur einer Stimme gezählt, § 244 Abs. 2 InsO.484 Geregelt wird allein die Mehrheitsberechnung der wirksam abgegebenen
364
478 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 503. 479 So schon die Gesetzesbegründung, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 498. 480 Haas in HK/InsO, § 244 Rz. 4 und § 245 Rz. 6; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 244 Rz. 2 und 4; Wegener, ZInsO 2002, 1157 ff.; Hingerl, ZInsO 2004, 232, 233. 481 Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 244 Rz. 3; Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 244 Rz. 2, und Haas in HK/InsO, § 244 Rz. 2, wollen hingegen bei „erheblichen Gründen“ einen neuen Abstimmungstermin anberaumen (abgeleitet aus § 4 InsO i.V.m. § 227 ZPO). 482 Bspw. der Gläubiger einer teilgesicherten Forderung mit seinem Absonderungsrecht in einer Gruppe „Absonderungsrechte“ und mit seiner Ausfallforderung nach § 52 InsO in einer Gruppe „nicht nachrangige Insolvenzgläubiger“; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 243 Rz. 5. Steht dem Gläubiger zudem eine gruppeninterne Drittsicherheit zu und erfährt diese Sicherheit ebenso eine Regelung, wird der Gläubiger in drei Gruppen erfasst und stimmt in drei Gruppen ab, wobei sich die Gruppe absonderungsberechtigter Gläubiger und die Gruppe der Ausfallforderung in der Bemessung des Stimmrechts wechselseitig bedingen, die Gruppe der gruppeninternen Drittsicherheit hiervon unberührt bleibt. 483 Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 244 Rz. 5; Hintzen in MünchKomm/ InsO, § 244 Rz. 10. 484 Dies sind bspw. Gesamtgläubiger nach den §§ 428 ff. BGB sowie Gesamthandsgemeinschaften wie die BGB-Gesellschaft, OHG, KG, eheliche Gütergemeinschaft oder auch die Erbengemeinschaft. Entsprechendes gilt für den gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger nach § 19 Abs. 2 SchVG, pro Anleihe
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§ 3 Rz. 364 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Stimme. Das materielle Recht bestimmt weiter, wie die Rechtsinhaber im Innenverhältnis abstimmen müssen, um im Außenverhältnis als abgegebene Stimme gewertet zu werden. Dies bedeutet bspw., dass Rechtsinhaber und Pfandrechtsgläubiger einheitlich abstimmen müssen, um mit einer Kopfstimme gezählt werden zu können.485 Dass Innenverhältnis und Außenverhältnis getrennt zu betrachten sind und unterschiedliche Folgen auslösen können, zeigt sich auch bei § 225a InsO mit der Möglichkeit, Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen zu regeln. Die in der Vergangenheit diskutierten Fragen über Entscheidungszuständigkeit und Organkompetenzen in der Krise zwischen den Gesellschaftern wie auch zur Geschäftsführung werden – wenn ungelöst – aktuell im Erörterungs- und Abstimmungstermin diskutiert werden, wenn es darum geht, als Anteilsinhaber für oder gegen den Insolvenzplan zu stimmen. Die §§ 238a und 244 Abs. 3 InsO sind dabei eindeutig: Maßgeblich für die Abstimmung und damit das Außenverhältnis im insolvenzrechtlichen Sinne ist ausschließlich die Summe der Beteiligung am Kapital oder Vermögen des Schuldners. Gesellschaftsrechtliche Zwistigkeiten im Innenverhältnis sollen ohne Einfluss auf den Planansatz bleiben (zur Frage des rechtmissbräuchlich genutzten Insolvenzverfahrens zur Lösung gesellschaftsrechtlicher Sachverhalte vgl. Rz. 52 ff. m.w.N.).486
e) Die Planbestätigung durch das Gericht 365
Haben alle Gruppen dem Insolvenzplan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt, muss das Insolvenzgericht weiter prüfen, ob der Schuldner dem Insolvenzplan zugestimmt hat (§ 247 InsO) und ob die Bestätigung des Insolvenzplans sowie der Planberichtigung erfolgen kann (§§ 248, 248a InsO).
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Haben nicht alle Gruppen dem Insolvenzplan zugestimmt, ist zunächst für die Gruppen mit nachrangigen Insolvenzgläubigern und Anteilsinhaber zu prüfen, ob die Zustimmung dieser Gruppen nach den §§ 246, 246a InsO als erteilt gilt und – unter Berücksichtigung dieser Fiktion – alle, zumindest die Mehrheit der übrigen Gruppen, zugestimmt haben.487
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Sind die Voraussetzungen der §§ 246, 246a InsO nicht erfüllt oder sind gar keine Gruppen für nachrangige Insolvenzgläubiger bzw. Anteilsinhaber gebildet worden, hat aber die einfache Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Insolvenzplan zugestimmt, muss das Insolvenzgericht weiter prüfen, ob die Zustimmung der nicht zustimmenden Gruppen gem. § 245 InsO als erteilt gilt (vgl. Rz. 52). Dies gilt auch für den Fall, dass die Zustimmung für nachrangige Insolvenzgläubigergruppen und Anteilsinhabergruppen nicht über die §§ 246, 246a InsO fingiert werden können. Die §§ 246, 246a InsO verdrängen § 245 InsO nicht, sondern erweitern die Möglichkeit, Zustimmungen zu fingieren.
ist eine Kopfstimme zu berücksichtigen, AG Düsseldorf v. 20.3.2020 – 502 IN 155/19, ZInsO 2020, 905 f. Weitere Fallgruppen sowie Sonderfälle wie Poolverwalter oder PSVaG sind beschrieben von Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 244 Rz. 18 ff.; über § 244 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 InsO wird der Vermehrung der Kopfstimmen durch Forderungsteilung gem. § 420 BGB in Krisensituationen vorgebeugt. 485 §§ 1071, 1077, 1276, 1281 BGB. 486 Zum Vorrang des Insolvenzrechts an dieser Stelle und damit zur Ablehnung des Antrags auf Untersagung der Stimmabgabe per einstweiliger Verfügung OLG Frankfurt v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, DZWiR 2014, 370 ff., mit Anmerkung Bähr, a.a.O., 753 f., und Böcker, a.a.O., 331 ff., wie auch Thole, ZIP 2013, 1937 ff. Zur Vorinstanz LG Frankfurt/M v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13, ZIP 2013, 1831 ff., Anmerkung Hölzle, EWiR 2013, 589 f.; Hölzle, ZIP 2013, 1846 ff. Hierzu auch Fölsing, ZInsO 2013, 2021 ff. Kritisch Spliedt, ZInsO 2013, 2155 ff., der von der gesellschaftsrechtlichen Abstinenz spricht. Zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aufhebung des Abstimmungstermins BVerfG v. 17.10.2013 – 2 BvR 1978/13, ZIP 2013, 2163 f. 487 Vgl. hierzu Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 246 Rz. 5 ff.; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 246 Rz. 1 ff.
238 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 372 § 3
Hat auch nicht die einfache Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Insolvenzplan zugestimmt, ist der eingereichte Insolvenzplan abgelehnt. Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzplan nicht bestätigen, eine weitergehende Prüfung des Insolvenzgerichts unterbleibt.
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Kann das Insolvenzgericht den Insolvenzplan nicht bestätigen und ist kein weiterer Insolvenzplan anhängig, über den im Weiteren ein Erörterungs- und Abstimmungstermin abzuhalten ist (vgl. Rz. 115), muss die gesetzliche Regelverwertung durchgeführt werden. Bis zum Ende des Schlusstermins kann jedoch erneut ein Insolvenzplan vorgelegt werden, § 218 Abs. 1 Satz 3 InsO.
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Ist der Insolvenzplan mit entsprechenden Mehrheiten angenommen und hat der Schuldner dem Insolvenzplan zugestimmt, nicht widersprochen bzw. ist sein Widerspruch unerheblich (§ 247 InsO), können der Insolvenzplan wie auch eine etwaige vom Insolvenzverwalter vorgenommene Planberichtigung (§ 221 Satz 2 InsO, vgl. auch Rz. 207) gemäß den §§ 248, 248a InsO bestätigt werden, soweit die im Plan näher bezeichneten Voraussetzungen gem. § 249 InsO erfüllt sind (sog. Planbedingungen, vgl. Rz. 210), kein Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften gem. § 250 InsO gegeben ist und nicht gem. § 251 InsO einzelne Beteiligte spätestens im Abstimmungstermin dem Plan widersprochen haben bzw. hierüber eine rechtskräftige ablehnende Entscheidung vorliegt (vgl. Rz. 397 ff.). Die gesonderte Bestätigung hat auch zu erfolgen, wenn der Insolvenzplan einstimmig angenommen worden ist. Weil mit der Rechtskraft des bestätigenden Beschlusses die Voraussetzungen für die Planumsetzung und – soweit keine abweichende Regelung getroffen wird, § 258 Abs. 1 InsO – die Verfahrensaufhebung geschaffen werden, ist auf die korrekte Rechtsbehelfsbelehrung ein besonderes Augenmerk zu legen, § 4 InsO i.V.m. § 232 ZPO.488
370
Aufgrund § 250 Ziff. 1 InsO hat das Insolvenzgericht von Amts wegen zu prüfen, ob ein Verstoß gegen die Vorschriften über den Inhalt oder die verfahrensmäßige Behandlung des Insolvenzplans, die Planbestätigung durch die Gläubiger und den Schuldner in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und ob der Mangel nicht behoben, d.h. nicht in zulässiger Art und Weise nachgeholt werden kann. Wesentlich sind Verstöße, wenn sie auf das Zustandekommen der Annahme des Insolvenzplans von Einfluss gewesen sein können.489
371
Hinweis: Vorschriften über den Inhalt sind in den §§ 217 und 219 bis 230 InsO geregelt. Obwohl eine solche Prüfung bereits im Rahmen von § 231 Abs. 1 Ziff. 1 InsO erfolgt, macht dies die Prüfung an dieser Stelle nicht überflüssig.490 Das Insolvenzgericht unterliegt keiner Selbstbindung an seine Entscheidung nach § 231 InsO, das Ergebnis dieser Vorprüfung kann aber indizielle Wirkung haben. Die verfahrensmäßige Behandlung des Plans wird in den §§ 218, 231 und 232 sowie 234 bis 243 InsO vorgegeben.491 Die Planannahme durch die Gläubiger ist in den §§ 244 bis 246a InsO, die des Schuldners in § 247 InsO geregelt. Das Insolvenzgericht hat nicht zu prüfen, ob der Insolvenzplan für die Gläubiger von wirtschaftlichem Wert ist oder es sonstige Alternativen zur Insolvenzbewältigung gibt.492
372
488 Zur Ausgestaltung der Rechtsbehelfsbelehrungspflicht Zipperer, NZI 2013, 865, 867. Vgl. hierzu auch § 11 Abs. 2 Satz 3 RPflG mit der Vermutungswirkung unverschuldeter Fristversäumnis bei unterbliebener oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung. 489 BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, DZWiR 2018, 486, 491. 490 BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, DZWiR 2017, 334, 335. 491 Zur Frage der besonderen Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin vgl. Garais, NZI 2001, 238, unter Hinweis auf die Verfügung des LG Hanau vom 14.2.2001 – 8 T 212/00; zur Frage der vollständigen Übersendung des Insolvenzplans OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, ZIP 2000, 1303; zur Frage der Planzusendung an Gläubiger, die nach Bekanntgabe des Erörterungs- und Abstimmungstermins Forderungen anmelden LG Hannover v. 7.7.2003 – 20 T 36/03, ZInsO 2003, 719, 720. 492 Haas in HK/InsO, § 250 Rz. 1; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 250 Rz. 3.
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§ 3 Rz. 372 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Soweit Bedarf besteht, kann das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Prüfung auch schriftliche Auskünfte oder eine eidesstattliche Versicherung – mit den Konsequenzen des § 156 StGB – von Gläubigern einholen.493 373
Weiter hat das Insolvenzgericht gem. § 250 Ziff. 2 InsO zu prüfen, ob der Insolvenzplan unlauter, d.h. in einem gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhalten, zustandegekommen ist, womit Ursächlichkeit für die Planannahme erforderlich ist.494
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Vor der Entscheidung ist allen Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zum Insolvenzplan zu äußern, was regelmäßig bereits im Abstimmungstermin, spätestens aber in einem alternativ alsbald zu bestimmenden besonderen Verkündungstermin vor der Bestätigung (§ 252 Abs. 1 InsO) erfolgen kann.495 Zusätzlich soll gem. § 248 Abs. 2 InsO die Anhörung des Insolvenzverwalters, Schuldners und des Gläubigerausschusses, falls ein solcher bestellt ist, erfolgen.496
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Hinweis: Mit der Regelung in § 248 Abs. 2 InsO wird klargestellt, dass der Insolvenzverwalter, der Schuldner und der Gläubigerausschuss, falls ein solcher bestellt ist, befragt werden sollen, im Gegensatz zu allen anderen, denen (lediglich) rechtliches Gehör zu gewähren ist.
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Das Nachbesserungsrecht des Insolvenzverwalters gem. § 221 Satz 2 InsO wird durch § 248a Abs. 1 InsO um das Erfordernis einer gerichtlichen Bestätigung ergänzt. Es wird geprüft, ob der Insolvenzverwalter, der den bereits beschlossenen Plan im Rahmen des § 221 Satz 2 InsO ändern kann, zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung ohne zuvor eine erneute Befassung der Beteiligten vorzunehmen, seine Befugnisse eingehalten hat.497 Das Insolvenzgericht hat zu prüfen, ob die Korrekturen formell durch die Vollmacht und materiell durch den im Plan zum Ausdruck kommenden Willen der Beteiligten gedeckt sind. Weil über das Nachbesserungsrecht auch materielle Änderungen vorgenommen werden können, ohne allerdings den Plan inhaltlich zu verändern,498 sind neben dem Insolvenzverwalter, Schuldner und Gläubigerausschuss, falls ein solcher bestellt ist, diejenigen Gläubiger und Anteilsinhaber anzuhören, deren Rechte durch die Nachbesserung betroffen sind, § 248a Abs. 2 InsO.
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Auf Antrag des Schuldners, eines Gläubigers oder Anteilsinhabers ist die Bestätigung der Änderung zu versagen, wenn er durch die Planberichtigung voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne
493 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 250 Rz. 9; AG Duisburg v. 14.11.2001 – 60 IN 107/00, ZInsO 2002, 736 f. 494 LG Berlin v. 8.2.2005 – 86 T 5/05, DZWiR 2005, 301, 305: Unlauterbarkeit liegt bei positiver Kenntnis von der unrichtigen Rangfeststellung einer Forderung vor, nicht hingegen schon bei einem Rechtsirrtum oder der Möglichkeit zur Anfechtung dieser Forderung, (vgl. Rz. 167). Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Stimmenkauf unlauter ist: BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, DZWiR 2005, 255 ff., und Rz. 180. Die materielle Beweislast bei einem behaupteten Stimmenkauf liegt beim Insolvenzgericht, AG Duisburg v. 14.11.2001 – 60 IN 107/00, ZInsO 2002, 736 f. 495 Dies ist Ausdruck des Anspruchs auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG und gilt auch, soweit der Insolvenzplan mehrheitlich abgelehnt worden ist. 496 Ist die Fortsetzung einer Genossenschaft im Insolvenzplan vorgesehen, ist gemäß der §§ 79a, 117 Abs. 2 Satz 2 GenG eine erneute Anhörung (so schon zur Vorbereitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins) des Genossenschaftsverbandes vorgesehen, dem die Genossenschaft angehört (§ 54 GenG). Dies kritisierend Terbrack, ZInsO 2001, 1027 ff.; vgl. insgesamt zur Anhörung Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 248 Rz. 4; Sinz in MünchKomm/InsO, § 248 Rz. 15, will eine Anhörung zwingend für den Fall vornehmen, dass nachträglich Beteiligte hinzugekommen sind. 497 Erfolgt die Berichtigung des Plans vor der eigentlichen Prüfung des Plans nach § 248 InsO, kann das Gericht zusammenhängend prüfen, allerdings um den dann erweiterten Prüfungsrahmen von § 248a InsO. Eine getrennte Behandlung ist nicht erforderlich, Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 248a Rz. 2 f. 498 So auch Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 221 Rz. 13; a.A. Flöther/Wehner in Blersch/ Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 221 Rz. 9: Korrektur nur der Formfehler.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 382 § 3
Änderung des Plans stünde. § 248a Abs. 3 InsO lehnt sich an die Regelung in § 251 InsO zum Minderheitenschutz an, weshalb der Antrag nur zulässig ist, wenn die Schlechterstellung glaubhaft gemacht ist; der Antragsteller trägt die Beweislast.499 Im Anschluss an die Bekanntgabe der Entscheidung, was mittels Verkündung erfolgt, § 252 InsO, erhalten die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger und die am Schuldner beteiligten Personen, deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte geregelt wurden, einen Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts (§ 252 Abs. 2 InsO).500 Zur Verfahrensvereinfachung kann bei einem unverändert angenommenen Insolvenzplan von der Übersendung des Plans oder einer Zusammenfassung nach der Planbestätigung abgesehen werden, wenn der vollständige Plan mit der Ladung übermittelt wurde, § 252 Abs. 2 Satz 3 InsO. Wird hiervon Gebrauch gemacht, sind die Gläubiger über den Verlauf der Gläubigerversammlung in Form des Erörterungs- und Abstimmungstermins mittels Übersendung des gem. § 4 InsO i.V.m. den §§ 159 ff. ZPO zu fertigenden Protokolls zu unterrichten, womit zugleich die Gläubigerinformation über die unveränderte Planannahme erfolgt.
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Hinweis: Ob von der Verfahrenserleichterung Gebrauch gemacht wird, entscheidet das Gericht im pflichtgemäßen Ermessen. Hier bleibt abzuwarten, ob es sich um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers handelt, weil ohne diese Verfahrenserleichterung die Übermittlung allein der Zusammenfassung reicht (mit der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin und nach der Bekanntgabe der Entscheidung), während für die Anwendbarkeit der Erleichterungsregelung die Übersendung des gesamten Plans mit der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin erforderlich sein soll.501
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Mit der Zustellung der Planunterlagen kann der Insolvenzverwalter beauftragt werden, § 252 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 8 Abs. 3 InsO. Aktionären und Kommanditaktionären wird aufgrund praktischer Erwägung aufgegeben, sich über das Akteneinsichtsrecht Kenntnis zu verschaffen, börsennotierte Gesellschaften haben eine Zusammenfassung des wesentlichen Planinhalts über ihre Internetseite zugänglich zu machen, § 252 Abs. 2 Satz 2, Halbs. 2, Satz 3 InsO.502 Sämtliche Willens- und Verfahrensmängel des Planverfahrens werden durch die rechtskräftige Planbestätigung geheilt.503
380
Wird die Bestätigung des Insolvenzplans bzw. der Planberichtigung versagt, ergeht zur Klarstellung und Rechtssicherheit ein Versagungsbeschluss, der zu verkünden ist, § 252 Abs. 1 InsO. Dies gilt auch, wenn das Gericht lediglich feststellt, dass die zur Annahme des Plans erforderliche Mehrheit unter Berücksichtigung einer Zustimmungsfiktion der §§ 245–247 InsO nicht erreicht wurde und eine weitere gerichtliche Prüfung nicht mehr stattfindet.504
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f) Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens Nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans hat das Insolvenzgericht baldmöglichst die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 258 InsO Abs. 1 zu beschließen, um dem Schuldner die Ver-
499 So auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 248a Rz. 6. 500 Vgl. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 252 Rz. 2 ff., insbesondere zur Frage der Terminierung und Ladung. 501 Sinn und Zweck der Planübermittlung oder einer Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts ist die Information der vom Plan unmittelbar betroffenen Gläubiger. Ist dies bereits zum Erörterungsund Abstimmungstermin erfolgt (§ 235 Abs. 2 InsO) und hat sich weder am Planinhalt noch an den beteiligten Gläubigern etwas geändert, kann von einer erneuten Übermittlung abgesehen werden, so schon AG Ludwigshafen v. 8.7.2016 – 3 e IN 380/15, NZI 2016, 918. 502 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 52. 503 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 248 Rz. 4; BGH v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, MDR 2014, 622 = NZI 2014, 262, 263, zur Maßgeblichkeit des rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans. 504 BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, MDR 2021, 323 = NZI 2021, 177 ff.
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§ 3 Rz. 382 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung waltungs- und Verfügungsbefugnis wieder einzuräumen.505 Voraussetzung hierfür ist, dass alle Aufgaben des Insolvenzverfahrens erledigt sind, die der Insolvenzplan selbst vorgibt oder die sich aus den Vorschriften zum Plan − wie auch ergänzend zum Regelverfahren ergeben. … Sobald … ist deshalb nicht gleichzusetzen mit sofort/unmittelbar, sondern mit frühestmöglich und ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig, bspw. wenn ein verfahrensleitender Plan etwas anderes vorsieht.506 Bevor die Aufhebung erfolgen kann, müssen insbesondere der Insolvenzverwalter die Schlussrechnung nach § 66 InsO vorlegen, soweit der Insolvenzplan hierzu keine abweichende Regelung trifft, und das Insolvenzgericht die Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses festsetzen, §§ 63 ff., 73 InsO.507 Im Weiteren sieht § 258 Abs. 2 InsO vor, dass der Insolvenzverwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten, oder alternativ für die nicht fälligen Masseansprüche einen Finanzplan vorzulegen hat, aus dem sich die Erfüllung dieser Ansprüche ableiten lässt. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens sind Streitigkeiten über das Bestehen der so gesicherten Ansprüche mit dem Schuldner zu führen.508 383
Hinweis: Enthält der Insolvenzplan keine Regelung zur Schlussrechnungslegung, § 66 Abs. 4 InsO, kann zur Beschleunigung der Verfahrensaufhebung vom Gläubigerausschuss – wenn es einen solchen gibt – eine externe, von unabhängigen Dritten erledigte permanente Kassenprüfung initiiert werden, womit das Insolvenzgericht von der abschließenden Prüfung weitestgehend entlastet wird. Mit der in Abs. 4 aufgenommenen Regelung sollen die mit dem ESUG entstandenen Unklarheiten vermieden werden. Die gesamte Schlussrechnungslegung, die im Interesse der Gläubiger erfolgt, steht zur Disposition. Damit entfällt auch eine ansonsten vom Gericht durchzuführende Vorprüfung. Die aus der Praxis bekannte permanente/fortgeführte Kassenprüfung zur Vermeidung der gerichtlichen Vorprüfung ist damit nicht mehr erforderlich (für die bisherigen Streitfälle ob des Umfangs des Regelungsgehalts § 66 Abs. 1 Satz 2 InsO a.F.). Ist eine solche im laufenden Verfahren bereits beauftragt, entfällt diese nicht mit der Planregelung zur Schlussrechnungsaufgabe nach § 66 Abs. 4 InsO. Unabhängig von diesen Möglichkeiten ist zu berücksichtigen, dass fremdes Vermögen verwaltet wird, womit eine Rechnungslegung per se geschuldet wird.509 Ein verfahrensleitender Insolvenzplan, der nichts anderes enthält als den Verzicht auf die Schlussrechnung, ist deshalb nicht statthaft. Erforderlich ist eine statthafte verfahrensleitende Regelung durch den Insolvenzplan. Ist dies gewährt, kann für die Schlussrechnung dieses Insolvenzplans eine abweichende Regelung getroffen werden.
505 Vereinzelt heben Insolvenzgerichte in Abstimmung mit dem Verwalter das Insolvenzverfahren „partiell“ auf und übertragen dem Schuldner nur für diesen Teil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Dieses Vorgehen ist contra legem und dient eher dazu, langjährig geübte Verfahrensabläufe, vornehmlich im Zeitverhalten nicht ändern zu müssen. Erforderlich ist stattdessen die alsbaldige Umsetzung der noch verfahrensrechtlich zu treffenden Maßnahmen innerhalb des Insolvenzverfahrens und damit vor der Verfahrensaufhebung. 506 Frank in Kind/Kießner/Frank, FS Eberhard Braun, 2007, S. 219, 232 ff. Wird ein verfahrensleitender Insolvenzplan vorgelegt, der zur Verfahrensbeendigung auf das Regelverfahren verweist, muss bspw. die vollständige Vermögensverwertung und Erlösauskehr erfolgen, bevor die Aufhebung nach § 258 Abs. 1 InsO erfolgen kann. 507 Zur Feststellung der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Insolvenzverwalters im Planverfahren vgl. LG Traunstein v. 18.8.2000 – 4 T 4212/99, ZInsO 2000, 510 ff.; Weber, Rpfleger 2007, 296 ff., mit einem Berechnungsbeispiel; Haarmeyer, ZInsO 2000, 241 ff. Die Vergütungsfestsetzung im Insolvenzplanverfahren setzt neben der Fälligkeit der Vergütung auch eine rechtskräftige Entscheidung (Bestätigung bzw. Ablehnung) über den Insolvenzplan voraus, LG Berlin v. 8.10.2004 – 86 T 588/04, NZI 2005, 338 f. 508 Die Regelungen zur Nachtragsverteilung gemäß der §§ 203 ff. InsO sind im Planverfahren – zumindest so es hierzu keine statthafte Planregelung gibt – nicht anwendbar, wie es auch keine fortdauernde Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters gibt, BGH v. 7.7.2008 – II ZR 26/07, MDR 2008, 1183 = NZI 2008, 561 ff.; BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, MDR 2010, 467 = ZInsO 2010, 82 ff.; vgl. auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 28.51. 509 Dies herausstellend Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 258 Rz. 18.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 386 § 3
Im Aufhebungsbeschluss ist der Zeitpunkt der Aufhebung bekannt zu geben, diese soll frühestens zwei Tage nach der Beschlussfassung gegeben sein. Der Schuldner, Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss sind vorab über den Zeitpunkt zu unterrichten. Der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Aufhebung ist dem Schuldner, dem Insolvenzverwalter und den Mitgliedern des Gläubigerausschusses vorab mitzuteilen, § 258 Abs. 3 Satz 1 und 3 InsO. Der Beschluss und der Grund der Aufhebung sind öffentlich bekannt zu machen, auszugsweise im Bundesanzeiger zu veröffentlichen und in den Registern bzw. im Grundbuch einzutragen, § 258 Abs. 3 Satz 2 und 4 InsO. Fehlt die Angabe über den Zeitpunkt der Aufhebung im Beschluss, wird die Aufhebung zwei Tage nach dem Tag der Veröffentlichung wirksam, § 258 Abs. 3 Satz 5 InsO.
384
Hinweis: Spiegelbildlich zum Eröffnungsbeschluss, der den Eröffnungszeitpunkt benennt, soll der Aufhebungszeitpunkt im Aufhebungsbeschluss genannt werden. Die ESUG-Evaluierung hat dies als einen aufzunehmenden Punkt formuliert. Damit entfällt die Prognose, an welchem Tag die Veröffentlichung erfolgt. Gezielt können damit auch Stichtage der Rechnungslegung angesprochen werden, weil bspw. mit der Verfahrensaufhebung ein neues Geschäftsjahr beginnt, das so auf den Wechsel Monatsende/Monatsbeginn gelegt werden kann.
385
Mit der Aufhebung endet das Insolvenzverfahren und wird auch in den Fällen der Nichterfüllung des Insolvenzplans nicht wieder aufgenommen oder fortgesetzt.510 Die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses erlöschen, sofern keine Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans vorgesehen ist, §§ 259 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 261 Abs. 1 Satz 2 InsO. Eine fortdauernde Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des (vormaligen) Insolvenzverwalters gibt es nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht, soweit der Insolvenzplan keine entsprechende Regelung unter Zustimmung des Schuldners enthält.511 Der Schuldner erlangt ex nunc die freie Verwaltungs- und Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse zurück, §§ 259 Abs. 1 Satz 2, 263 InsO.512 Ihm steht mit der Aufhebung ein Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf Herausgabe der Insolvenzmasse zu.
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510 Vgl. § 255 Abs. 2 InsO. Zur Frage, wann nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens für ein Anschlussinsolvenzverfahren und damit ggf. erneut ein Insolvenzgeldanspruch entstehen kann: BSG v. 29.5.2008 – B 11a AL 57/06 R, ZInsO 2008, 1325 ff., wonach die angeordnete Planüberwachung (Angabe gemäß sollte im konkreten Fall der Plan eine 6-jährige Überwachungsdauer regeln) die Fortdauer der Sperrwirkung nicht entfallen lässt. Hierzu auch Heinrich, NZI 2006, 83 ff., und Frank/Heinrich, NZI 2011, 570 ff. Z.T. weiterführend BSG v. 6.12.2012 – B 11 AL 11/11 R, NZI 2013, 454 ff., mit dem Hinweis, dass ein einheitlicher Insolvenztatbestand auch dann vorliegen kann, wenn keine Überwachung der Planerfüllung stattfindet; vgl. hierzu auch die Anm. von Rein, NZI 2013, 456 f. 511 BGH v. 7.7.2008 – II ZR 26/07, MDR 2008, 1183 = NZI 2008, 561 ff., BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/ 08, MDR 2010, 467 = ZInsO 2010, 82 ff., mit grundsätzlichen Ausführungen, wonach der Schuldner das Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse zurückerhält und selbst wieder prozessführungsbefugt wird. Ebenso BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, DZWiR 2018, 486, 488 f., zur Möglichkeit der planregelbaren Vermögensübertragung auf einen Dritten gem. § 228 InsO, womit der Schuldner diesbezüglich keine Verfügungsbefugnis erlangt. Martini, DZWiR 2018, 451 ff., will unter Hinweis auf eine allzu formale Argumentation des BGH (mit dem Weg über § 228 InsO) an einer Lösung ohne formale Vermögensübertragung weg vom Schuldner festhalten. So auch Madaus, EWiR 2018, 401 f. 512 Hingerl, ZInsO 2010, 1876 ff., schlägt eine Ergänzung von § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO und eine Neufassung von § 259 Abs. 3 InsO vor, um die Nachtragsverteilung als mehrheitsgetragene Planregelung vorsehen zu können. Kühne/Hancke, ZInsO 2012, 812 ff., sehen diese Möglichkeit bereits über § 263 InsO als „a maiore ad minus“ als gegeben an. Hiergegen klarstellend BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, DZWiR 2018, 486, 488 f.
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§ 3 Rz. 387 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 387
Hinweis: Eine Nachtragsverteilung gem. § 203 InsO kommt deshalb nicht in Betracht.513 Allerdings ermöglichen die Planwirkungen eines rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans514 über § 228 InsO materiell-rechtlich die Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis noch von der Insolvenzmasse an einen Dritten partiell oder auch gänzlich, bspw. im Wege einer Treuhandlösung an die Person des vormaligen Insolvenzverwalters (nicht an das Amt, das es nicht mehr gibt), wie auch der Plan die eigentliche Planerfüllung und nachfolgende Erlösverteilungen, bspw. im Wege eines Besserungsscheins, regeln kann.515 Den Besserungsschein hat der Schuldner in Person zu bewirken, es sei denn, er berechtigt alternativ und aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt seiner erlangten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens mittels individueller Willenserklärung Dritte zur Realisierung und Verteilung der Vermögenswerte, womit er den Insolvenzplan gem. § 254a InsO als formwahrendes Vehikel seiner verpflichtenden und verfügenden Erklärung nutzt.516 Der Planersteller muss demnach entscheiden, ob er den Weg der mehrheitsgetragenen Planregelungen geht (§ 228 InsO) oder den Schuldner ergänzend individuell sich erklären lassen will.
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Verfügungen des Schuldners über Massegegenstände während des Verfahrens sind absolut unwirksam, § 81 InsO. Damit scheidet ein Wirksamwerden der Verfügung per se mit der Verfahrensaufhebung aus.517 Solche Verfügungen können aber nach der Aufhebung durch den Schuldner gem. § 185 BGB geheilt werden. Nur wenn der Insolvenzverwalter wirksam anderweitig über einen Gegenstand verfügt hat, behält die Verfügung des Insolvenzverwalters ihre Wirksamkeit; eine Heilung der abweichenden, unwirksamen Verfügung des Schuldners kommt nicht mehr in Betracht.
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Ist eine Gesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst, wird die Auflösung durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht geheilt, die Gesellschaft bleibt aufgelöst. Die Gesellschafter haben einen entsprechenden Fortsetzungsbeschluss zu fassen, soweit der Insolvenzplan keine unmittelbare Regelung gem. § 225a Abs. 3 InsO enthält. Alternativ dazu kann die Verknüpfung zum Gesellschaftsrecht über eine Planbedingung gem. § 249 InsO erfolgen (vgl. Rz. 210 ff.), verpflichtend ist dies aber nicht. Der Fortsetzungsbeschluss kann auch losgelöst vom Planverfahren nachgeholt werden.
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Hinweis: Werden die Gläubiger nicht aus den Erträgen des fortgeführten Unternehmens befriedigt, kann der Insolvenzplan es den Gesellschaftern überlassen, die abschließende Entscheidung über die Fortführung erst später 513 Schulte-Kaubrügger, ZInsO 2009, 1321 ff., will eine Nachtragsverteilung für nachträglich ermittelte Gegenstände zulassen. Dieser Ansatz ist denkbar, wenn der Insolvenzplan eine entsprechende Regelung enthält, bspw. dass alle zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände (eben auch solche, die nachträglich ermittelt werden) verwertet werden und der Erlös an die Gläubiger ausgekehrt wird. 514 Dies war Angabe gemäß vorliegend nicht gegeben. 515 Vgl. bspw. hierzu BGH v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, MDR 2008, 514, BGH v. 4.10.2007 – I ZR 143/04, MDR 2008, 221 = ZIP 2008, 564 ff., mit dem Hinweis, dass der im Prozess als „Insolvenzverwalter“ Auftretende nicht mehr als Partei kraft Amtes, sondern nur aus eigenem Recht als Zessionar den Anspruch weiterverfolgen kann. Smid, ZInsO 2010, 641 ff., zeigt materiell-rechtliche wie auch zivilprozessuale Folgen auf. Vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf v. 17.12.2020 – 12 U 27 /20, NZI 2021, 681 ff., mit Anmerkung von Dellit, a.a.O. (686 f.), der die unterschiedlichen Wirkungen einer Treuhandlösung in einem Folgeinsolvenzverfahren beleuchtet. 516 Zu weitgehend LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920 ff., das im Interesse der Gläubiger eine vom Schuldner unabhängige Person, wie bspw. den Insolvenzverwalter oder Sachwalter für nach der Verfahrensaufhebung vorzunehmende Erlösverteilungen sieht. Eine schuldnerfremde Person fordern mit einem Treuhänder auch Horstkotte/Pickartz, ZInsO 2020, 170 ff., die eine „Pflicht“ zum gestaltenden Eingriff sehen, um Erlöse den Gläubigern zukommen zu lassen. Das Gesetz verpflichtet im Ausgangspunkt den Schuldner hierzu, der die umfängliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erhält. D.h. wenn er verteilen kann, kann es auch jemand sein, der in seinem Lager steht und seine Interessen vertritt. Eine solche Person im Plan als „Treuhänder“ zu bezeichnen, wird dann allerdings eine „Mogelpackung“ sein. 517 Vgl. hierzu ausführlich Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 259 Rz. 8.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 393 § 3 zu treffen. Eine entsprechend im Plan beschriebene Möglichkeit reicht aus, um bspw. den Anforderungen des § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG zu genügen. Dies gilt auch, wenn der Plan hierzu der Auslegung bedarf, die allerdings möglich sein muss. Unbeschadet hiervon müssen für den Fortsetzungsbeschluss und die Weiterführung alle gesellschaftsrechtlichen Vorgaben erfüllt werden, bspw. auch den Anforderungen einer wirtschaftlichen Neugründung entsprechen, wenn die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum den Geschäftsbetrieb eingestellt hat und erst wieder aufnimmt. Wurde bereits mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens unter den Gesellschaftern begonnen, ist die Fortsetzung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG ausgeschlossen.518
§ 259 Abs. 3 InsO eröffnet die Möglichkeit, im Insolvenzplan die Weiterführung eines Anfechtungsrechtsstreits durch den Insolvenzverwalter als Prozessstandschafter vorzusehen. Ist dies grds. im Plan aufgenommen, wird der Rechtsstreit ohne weitergehende Regelung für Rechnung des Schuldners geführt, § 259 Abs. 3 Satz 2 InsO. Dabei reicht der Verweis auf § 259 Abs. 3 InsO aus, detaillierte Regelungen sind nicht erforderlich.519 Da der darstellende Teil des Insolvenzplans nur informatorischen Charakter hat, ist für das Fortbestehen der Aktivlegitimation unbeachtlich, ob zum Anfechtungssachverhalt Angaben gemacht sind. § 259 Abs. 3 InsO lässt auch zu, dass anstelle der generellen Zuweisung nur ausgewählte Anfechtungssachverhalte vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.520 Ist dies der Fall, sind weiterführende Angaben im Insolvenzplan erforderlich, die eine konkrete Zuordnung ermöglichen. Die Zuweisungsmöglichkeit der Anspruchsverfolgung an den Insolvenzverwalter ist zeitlich limitiert. Längstens bis zur Verfahrensaufhebung ist die Erhebung der Anfechtungsklage durch den Insolvenzverwalter gestattet.521
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Weitergehende Angaben sind ebenso erforderlich, wenn Anfechtungsansprüche nicht weiterverfolgt werden. Eine Pflicht zur Durchsetzung der Anfechtung besteht nicht, auch nicht für sonstige Haftungs- und Erstattungsansprüche. Solche Ansprüche bzw. deren Durchsetzung sind plandispositiv. Die Beteiligten müssen jedoch aufgrund der gegebenen Informationen entscheiden können, ob und wie die Mittelherkunft und -verwendung zur Realisierung der Planquote vonstattengeht.522 Dabei ist die Gesamtschau maßgeblich, nicht der einzelne Anspruch, wie es auch zu Ausgleichszahlungen kommen kann, ohne dies zur Pflicht zu machen.
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Hinweis: Sieht der Plan hingegen eine solche Regelung nicht vor, ist nicht etwa der Schuldner zur Geltendmachung der Anfechtungsansprüche berechtigt, vielmehr gelangt § 18 AnfG zur Anwendung. Danach können nach Beendigung des Insolvenzverfahrens Anfechtungsansprüche, die der Insolvenzverwalter begonnen hat geltend zu machen, von den einzelnen Gläubigern nach dem AnfG verfolgt werden, soweit nicht dem Anspruch entgegenstehende Einreden, auch soweit diese gegen den Insolvenzverwalter begründet wurden, gegeben sind.523
393
518 BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, MDR 2020, 868 = NZI 2020, 635 ff., mit Anmerkung Madaus, a.a.O., 640. Vorgehend bereits Brünkmans/Brünkmans, NZI 2019, 433 f., zur Vorinstanz OLG Celle v. 8.3.2019 – 9 W 17/19, a.a.O., 431 ff. 519 Zum ausreichenden Hinweis auf § 259 Abs. 3 InsO: BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, MDR 2006, 594 = ZinsO 2006, 38 ff. Unter Hinweis auf die Anforderungen zur Prozessunterbrechung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 240 ZPO) klarstellend, dass ein „anhängiger Rechtsstreit“ nicht vorliegt, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrensaufhebung die Klage noch nicht zugestellt ist: BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, MDR 2013, 1003 = NZI 2013, 489 ff.; vgl. hierzu auch die Anmerkung von Harig, DZWiR 2013, 411 ff. Den Begriff „anhängiger Rechtsstreit“ untersuchend bspw. Priebe, ZInsO 2012, 1015 ff., und Wollweber/Hennig, ZInsO 2013, 49 ff. 520 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 222/12, MDR 2013, 677 = ZInsO 2013, 721. 521 BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, DZWiR 2018, 486, 487 f. 522 Hierzu auch Thole, ZIP 2014, 1653, 1657 ff.; Buchalik/Hiebert, ZInsO 2014, 109 ff.; Wollring/Quitzau, ZRI 2021, 616 ff. 523 Madaus/Huber in MünchKomm/InsO, § 259 Rz. 25; Kebekus/Wehler in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 259 Rz. 2.
Frank | 245
§ 3 Rz. 394 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 394
Die Eröffnung eines Folgeinsolvenzverfahrens vor Realisierung gem. § 259 Abs. 3 InsO geregelter Anfechtungssachverhalte führt zur Unterbrechung der anhängigen Prozesse analog § 240 ZPO. Der Insolvenzverwalter des Folgeinsolvenzverfahrens kann den Rechtsstreit analog § 85 ZPO aufnehmen. Tut er dies nicht, ist der Erstverwalter weiter legitimiert, den Prozess zu führen. Die auf diese Weise geltend gemachten Ansprüche fallen in die Masse des Folgeinsolvenzverfahrens. Ist der Erstplan dadurch nicht vollständig erfüllt, sind Stundungen oder (Teil-)Erlasse für alle Gläubiger hinfällig, § 255 Abs. 2 InsO. Im Übrigen bleibt der Erstplan bestehen und wird nicht etwa hinfällig.524
395
Andere Prozesse, die der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes geführt hat, werden durch die Aufhebung unterbrochen und müssen vom Schuldner aufgenommen werden.525 Hat sich der Insolvenzverwalter im Rahmen der Prozessführung anwaltlich vertreten lassen, wirkt die erteilte Vollmacht für den Schuldner fort, das Verfahren wird nur auf Antrag entsprechend § 246 ZPO unterbrochen. Durch die Eröffnung des Verfahrens gem. § 240 ZPO unterbrochene Prozesse, die der Insolvenzverwalter nicht aufgenommen hat, fallen automatisch an den wieder prozessführungsbefugten Schuldner zurück.
396
Hinweis: Für andere Prozesse schließt die Nichtanwendbarkeit des § 259 Abs. 3 InsO allerdings nicht aus, dass der Insolvenzverwalter nachfolgend in Person als Rechtsanwalt privatrechtlich mandatiert wird, um entsprechende Prozesse zu führen. Dies kann im Plan verpflichtend für den Schuldner als Planbedingung gem. § 249 InsO oder bereits vereinbart mit Beifügung entsprechender Unterlagen gem. § 230 Abs. 3 InsO aufgenommen werden. Der Schuldner muss dieser Regelung zustimmen, eine Ersetzungsbefugnis kann aus § 247 InsO nicht hergeleitet werden. Entsprechendes kann im Wege der erweiterten Aufgabenzuweisung im Wege der Planüberwachung an den Sachwalter erfolgen. Auch hier ist die Zustimmung des Schuldners erforderlich (vgl. Rz. 217 und Rz. 407).526
7. Antragsgebundener Rechtsschutz der Planbeteiligten a) Minderheitenschutz einzelner Beteiligter 397
Das im Planverfahren geltende Mehrheitsprinzip, entweder nach der Kopf- und Summenmehrheit, soweit es die Gläubiger betrifft (§ 244 Abs. 1 und 2 InsO), oder nach der Mehrheit der Summe der Beteiligungen am Schuldner, soweit die Anteilsinhaber abstimmen (§ 244 Abs. 3 InsO), kann dazu führen, dass in einer Gruppe mehrheitlich der Planlösung zugestimmt wird und sich die Beteiligten dieser Gruppe im Vergleich zur Regelabwicklung schlechter behandeln lassen.
398
Hinweis: Die Gründe hierfür können unterschiedlich sein, bspw. versprechen sich die zustimmenden Beteiligten aus der Betriebsfortführung künftige Geschäftsbeziehungen, die den Planausfall „kompensieren“, oder Gläubiger sind über Drittsicherheiten ausreichend gesichert und erleiden somit wirtschaftlich gesehen keinen Ausfall.
399
Damit wäre innerhalb einer Gruppe die Investitionsfreiheit des Einzelnen bis zur Grenze des missbräuchlichen Verhaltens nicht ausreichend geschützt, weil die Interessenlage subjektiv geprägt nicht für alle Beteiligte innerhalb einer Gruppe identisch sein muss. Ein Insolvenzplan soll die wirtschaftliche Situation der Beteiligten verbessern, es soll jedoch kein Beteiligter schlechter gestellt werden, als er 524 BGH v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, MDR 2014, 622 = NZI 2014, 262 ff., mit Anmerkung Schmidt/Rodine, a.a.O., 265 f.; hierzu auch Madaus, EWiR 2014, 117 f. 525 BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, DZWiR 2018, 486, 488 f. Für die Nichtübertragbarkeit des Rechtsgedankens von § 259 Abs. 3 InsO auf andere Prozesse vgl. bspw. auch Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 259 Rz. 19; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 259 Rz. 25. 526 Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 22.12.2005 – 7 U 148/05, NZI 2006, 240 f., sowie die Besprechung von Smid, NZI 2006, 201 ff., wonach per Sonderregelung im Insolvenzplan 18 Einzelermächtigungen dem Sachwalter zugewiesen waren.
246 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 402 § 3
im Falle der Regelabwicklung des Schuldnervermögens stünde, es sei denn, er stimmt dem zu.527 § 251 InsO ergänzt deshalb für den einzelnen Beteiligten den Gedanken des Schutzes der Gruppenangehörigen in § 245 InsO, indem unabhängig vom Gruppenvotum dem einzelnen Beteiligten sein Regelabwicklungswert gewährleistet wird.528 Durch die Möglichkeit in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen gestaltend einzugreifen (§§ 217, 225a InsO), ist der Anwendungsbereich des Minderheitenschutzes mit dem ESUG auch für diesen Personenkreis anzuwenden. Hiermit wird gewährleistet, dass neben dem Obstruktionsverbot (§ 245 InsO) und dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen eine Planberichtigung (§ 248a InsO) wie auch gegen die Entscheidung zur Planbestätigung oder Versagung der Bestätigung (§ 253 InsO) über § 251 InsO der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz der betroffenen Anteilsinhaber hinreichend geschützt wird. Hinweis: Das Obstruktionsverbot des § 245 InsO verfolgt eine andere Zielrichtung als § 251 InsO, auch wenn beide Vorschriften in Teilen vergleichbar formuliert sind. Für die Regelung in den §§ 243 und 244 InsO dient das Obstruktionsverbot insgesamt als Korrektiv, wonach für die Planannahme die einstimmige Zustimmung der abstimmenden Gruppen als Voraussetzung normiert wird. Willkürliches Stimmverhalten soll die Planablehnung nicht legitimieren können. § 245 InsO dient demnach im Ausgangspunkt der Durchsetzung des wirtschaftlich sinnvollen Planvorschlags, indem Negativvoten der abstimmenden Gruppen unbeachtlich sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, und damit ist § 245 InsO vor allem eine Gruppenschutzvorschrift, dass für die jeweils negativ votierende Gruppe der Mindestwert der Regelabwicklung und eine angemessene ranggemäße Teilhabe an den Planrealisierungswerten gewährleistet wird. § 245 InsO und die damit zusammenhängenden Detailfragen werden aus Sicht des Planeinreichenden im Rahmen der allgemeinen strategischen Frage, ob ein Plan durchsetzbar ist, unter Rz. 69 ff. behandelt.
400
Das Recht, dem Insolvenzplan gem. § 251 InsO zu widersprechen, hat ein Beteiligter auch dann, wenn er kein Stimmrecht oder an der Abstimmung nicht teilgenommen hat.529
401
Erforderlich ist ein gesonderter Antrag eines Gläubigers oder Anteilsinhabers, die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen.530 Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Gläubiger oder Anteilsinhaber dem Insolvenzplan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zum gerichtlichen Terminsprotokoll widersprochen hat und spätestens im Abstimmungstermin glaubhaft macht, dass er durch den Insolvenzplan voraussichtlich schlechter gestellt wird. Der Begriff der Glaubhaftmachung ist über § 4 InsO in § 294 ZPO legaldefiniert. Dem Insolvenzgericht ist in einem geringeren Grade von Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer Tatsache zu vermitteln als bei einem vollen Beweis, wobei die Beweisführung sofort möglich sein muss.531 Aufwendige Ermittlungen des Gerichts aufgrund eines auf bloße Vermutungen gestützten Antrags oder aufgrund einer abstrakten Möglichkeit künftiger Entwicklungen sind dadurch entbehrlich.532 Die Prüfung ist auf die vom Antragsteller vorgebrachten
402
527 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 507 f. 528 Terbrack, ZInsO 2001, 1027 ff., will Genossen, die einer statuarischen Nachschusspflicht im Insolvenzfall der Genossenschaft unterliegen, den Antrag nach § 251 InsO ermöglichen, zumindest in Fällen, in denen eine höhere Nachschusspflicht im Insolvenzplan als in der Regelverwertung vorgesehen wird. Der Insolvenzplan kann allerdings gegen den – ggf. in der Genossenschaft mehrheitlich zu findenden – Willen der Genossen nicht zu einer höheren Nachschusspflicht verpflichten, als bereits statutarisch vorgesehen. Wollen die Genossen dies nicht, müssen sie dies auf Ebene der Genossenschaft durchsetzen. Es liegt keine Regelungslücke vor, die über den erweiterten Anwendungsbereich von § 251 InsO zu schließen wäre. 529 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 508; Haas in HK/InsO, § 251 Rz. 3. 530 Im Rahmen von § 245 InsO reicht bereits das negative Votum einer Gruppe aus. Das Insolvenzgericht muss sodann von Amts wegen tätig werden und die Voraussetzungen des Obstruktionsverbots prüfen. 531 Glaubhaft gemacht ist eine Behauptung, wenn sie überwiegend wahrscheinlich ist, Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 294 Rz. 1. 532 BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 97/12, MDR 2013, 1491 = ZInsO 2013, 2333 ff. Der Glaubhaftmachung bedarf es nicht, wenn die Tatsachen unstreitig sind, so BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, MDR 2009, 590 = NZI 2009, 230 ff. Soweit damit offenkundig i.S.v. 291 ZPO gemeint ist, kann der abstrakten Über-
Frank | 247
§ 3 Rz. 402 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (und glaubhaft gemachten) Tatsachen und Schlussfolgerungen beschränkt, womit die Aussetzung des Verfahrens mit dem Ziel, die Entwicklung des Lebenssachverhaltes zur Feststellung dann konkreter Umstände abzuwarten, unzulässig ist.533 403
Hinweis: Antrag und Widerspruch sind von Gesetzes wegen getrennt, weshalb im Widerspruch nicht automatisch der Antrag gem. § 251 InsO zu sehen ist. Wird im Termin der Antrag auf Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans gestellt, ist der grundsätzlich vorzuschaltende Widerspruch entbehrlich.534 Im negativen Votum des einzelnen Beteiligten innerhalb der Gruppenabstimmung ist dagegen kein inzident erklärter Widerspruch gegen den Insolvenzplan zu sehen.535 Dies folgt aus der vergleichenden Betrachtung zu § 245 InsO und den dortigen Mechanismen der anschließenden, von Amts wegen durchzuführenden Prüfung.
404
Materiell-rechtlich ist der Antrag des Beteiligten begründet, wenn er durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde. Die Beweislast trägt somit der antragstellende Beteiligte.536 Der Regelabwicklungswert gem. § 251 InsO ist inhaltsgleich zu § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO zu verstehen (vgl. Rz. 72). Für den Schuldner als natürliche Person gelten die Vermutungsregelungen des § 245a InsO zur Ableitung des Regelabwicklungswertes (vgl. Rz. 78). Mitunter kann die vergleichende Betrachtung wie auch bei § 245 InsO schwierig sein und deshalb Zeit in Anspruch nehmen, die der Schuldner regelmäßig im Insolvenzverfahren nicht hat. Um (beabsichtigte) Verfahrensverzögerungen zu vermeiden und alsbald die rechtskräftige Planbestätigung herbeizuführen, kann der Planverfasser gem. § 251 Abs. 3 InsO in den Insolvenzplan Regelungen für Ausgleichszahlungen („salvatorische Klauseln“) aufnehmen (vgl. hierzu ausführlich Rz. 249 f.). Ist für eine Schlechterstellung ein finanzieller Ausgleich vorgesehen, hat das Gericht den Antrag auf Minderheitenschutz abzuweisen. Die Klärung, ob ein Ausgleich zu leisten ist, erfolgt außerhalb des Insolvenzverfahrens vor den ordentlichen Gerichten.537
405
Hinweis: Wird der Antrag auf Minderheitenschutz nach § 251 Abs. 3 InsO zurückgewiesen, kann der Antragsteller sein Begehren auf zweierlei Weise verfolgen: Er erhebt Ausgleichsklage bei dem Prozessgericht, wobei er darzulegen hat, dass eine Schlechterstellung gegenüber der Regelabwicklung tatsächlich vorliegt. Er kann aber auch die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung einlegen, sofern die Abweisung seines Antrages auf Minderheitenschutz nicht mit § 251 Abs. 1 oder 2 InsO, sondern allein mit § 251 Abs. 3 InsO begründet wird. In diesem Fall kann er über § 253 Abs. 2 Ziff. 3 InsO vorgehen, wenn er glaubhaft macht, dass die im Plan ausgewiesenen Ausgleichsbeträge zum Ausgleich seines Nachteils nicht ausreichen.538
406
Abweichend zu § 245 InsO gewährt § 251 InsO dem einzelnen Beteiligten nur den Mindeststandard der Regelabwicklung, nicht dagegen eine angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Wert der Planrealisierung an die Beteiligten, näher beschrieben in § 245 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2 und 3 InsO.539
533 534 535 536 537 538 539
legung zustimmt werden. Im konkreten Fall („Phoenix“) war dies allerdings nicht gegeben, weil der Plan unterschiedliche Berechnungsmodelle dargestellt hat und konkret nicht glaubhaft gemacht wurde, dass die Schlechterstellung erfahren werde. Kritisch hierzu auch Heinrich, NZI 2009, 547, 548. BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, MDR 2007, 1040 = ZInsO 2007, 491 f.; BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 124/09, MDR 2010, 407 = ZInsO 131 f. Vgl. hierzu auch Frank, FD-InsR 2010, 297037. BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522 f., der den Wortlaut der Vorschrift (noch zu § 251 InsO a.F.) nach Sinn und Zweck einschränkend auslegt. LG Neubrandenburg v. 31.7.2000 – 4 T 260/00, ZInsO 2000, 628; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 251 Rz. 5. Sinz in MünchKomm/InsO, § 251 Rz. 19 ff. BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 52. Vgl. Madaus, NZI 2012, 597 ff. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 508.
248 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 410 § 3
b) Widerspruchsrecht des Schuldners § 247 InsO trägt dem Gedanken Rechnung, dass der Insolvenzplan Eingriffe in Rechte des Schuldners ermöglicht, die über die Pflichtenstellung des Schuldners im Falle der Regelabwicklung hinausgehen. Die Möglichkeit, sich einvernehmlich zu einigen, lässt das Gesetz zu. Werden dem Schuldner jedoch gegen seinen Willen über die Regelabwicklung hinausgehende Pflichten auferlegt, ist er vergleichbar einem Gläubiger oder den am Schuldner beteiligten Personen, denen der sich an der Regelabwicklung orientierende Vermögenswert erhalten bleiben soll, schutzbedürftig. Der Schuldner kann deshalb gem. § 247 InsO dem Insolvenzplan widersprechen. § 247 InsO nimmt die Zustimmung des Schuldners zum Plan an, soweit er nicht spätestens im Abstimmungstermin schriftlich widerspricht oder sein Widerspruch unbeachtlich ist. Das ist der Fall, wenn der Schuldner durch den Plan voraussichtlich nicht schlechter gestellt wird, als er ohne Plan stünde, und kein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigt.540
407
„Voraussichtlich“ bedeutet wie bei § 245 InsO, dass die Nichtschlechterstellung des Schuldners wahrscheinlicher sein muss als die Schlechterstellung. Insoweit ist ein Vergleich zwischen der Plansituation und der Situation für den Fall der Regelabwicklung anzustellen.
408
Hinweis: Entgegen des identischen Wortlauts zu § 245 Abs. 1 Ziff. 1 InsO ist nicht auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise abzustellen (vgl. dazu Rz. 81), da die Insolvenzordnung dem Schuldner ein Mindestmaß an Rechten gewährt, die einer möglichen (wirtschaftlichen) Kompensation nicht zugänglich sind.541 Dementsprechend kommt es auf die Rechtsstellung des Schuldners an, denkbar im Rahmen der Verweigerung oder Erschwerung der Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO), der Verweigerung der Auskehrung eines Übererlöses (§ 199 InsO) oder des Zugriffs auf das insolvenzfreie Vermögen.542
409
Bei juristischen Personen oder Personenmehrheiten üben die Vertretungsberechtigten das Widerspruchsrecht aus. Im Gegensatz zum Schuldner haben die am Schuldner beteiligten Personen (Anteilsinhaber) kein Widerspruchsrecht. Durch die Einbeziehung der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in die Planregelungen gem. § 225a InsO und der damit einhergehenden Gruppenbildung gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 4 InsO, stimmen die Anteilsinhaber schon über den Insolvenzplan ab; ihr „Widerspruch“ ist das Votum gegen den Insolvenzplan.543 § 246a regelt mit einem anderen Gehalt, dass mangels Abstimmung die Zustimmung der Gruppe als erteilt gilt (vgl. Rz. 362 ff.). Zur Frage, ob die Gesellschafter mangels Beschlussfassung zur Fortsetzung der Gesellschaft den Insolvenzplan verhindern können, vgl. Rz. 146. Dem Schuldner steht kein Widerspruchsrecht gegen den von ihm vorgelegten Insolvenzplan zu. Er kann alternativ den Insolvenzplan zum Abschluss der Erörterung gem. § 240 InsO ändern oder den Plan bis zur Abstimmung zurücknehmen.544
c) Rechtsbehelfe aa) Allgemeines In Insolvenzverfahren ist die sofortige Beschwerde in den abschließend bezeichneten Fällen gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts statthaftes Rechtsmittel, § 6 InsO. Soll eine Entscheidung des 540 Ein mündlicher Widerspruch ist unbeachtlich, es wird aber ein entsprechender Hinweis des Gerichts ergehen müssen, § 4 InsO i.V.m. § 139 ZPO. 541 Wie hier Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.40. 542 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 504; trifft der Plan keine Regelung, erfolgt die Restschuldbefreiung, § 227 InsO. A.A. Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 247 Rz. 7, das Gericht habe nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. 543 Macht der Anteilsinhaber im Erörterungs- und Abstimmungstermin Minderheitenschutz geltend, ist der dort geforderte und vorzuschaltende Widerspruch (§ 251 Abs. 1 Ziff. 1 InsO) durch den gestellten Antrag entbehrlich, vgl. Rz. 403. 544 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 247 Rz. 9; Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 247 Rz. 4.
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410
§ 3 Rz. 410 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Rechtspflegers überprüft werden, ist die Rechtspflegererinnerung zulässig (§ 11 Abs. 2 RPflG), soweit kein allgemeines Rechtsmittel gegeben ist (§ 11 Abs. 1 RPflG). Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle können mit der Erinnerung (§ 573 ZPO) angefochten werden. Als allgemeine Rechtsbehelfe545 sind schließlich insbesondere die Gegenvorstellung, die Dienstaufsichtsbeschwerde sowie die Petition zu nennen.546 411
Soweit die Insolvenzordnung wie auch das Rechtspflegergesetz keine speziellen Regelungen enthalten, finden über § 4 InsO bzw. § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 6 RPflG ergänzend die Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung (bspw. zur sofortigen Beschwerde).
412
Hinweis: Die Einlegung eines Rechtsbehelfs bedeutet für alle anderen Verfahrensbeteiligten eine Verzögerung des Verfahrens. Gerade in Insolvenzverfahren, speziell in Planverfahren, spielt der Zeitfaktor nicht selten eine entscheidende Rolle, weshalb die Gefahr besteht, dass potentielle Störer sich des Rechtsbehelfsverfahrens bedienen.547 Hier kann nur entschiedenes Vorgehen helfen, um bereits im Ansatz das Vorbringen zu entkräften. In geeigneten Fällen kann eine Regelung auf Ausgleichszahlung („salvatorische Klausel“) bewirken, dass die streitige Auseinandersetzung losgelöst von der Bestätigungsproblematik nach Rechtskraft des Insolvenzplans und außerhalb des Insolvenzverfahrens behandelt wird (vgl. Rz. 249).
bb) Sofortige Beschwerde nach § 6 InsO 413
Die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger als Organe des Insolvenzgerichts sieht die Zuständigkeit des Rechtspflegers für das Insolvenzverfahren vor, soweit nicht dem Richter die Aufgabe zugewiesen wird oder der Richter sich die Angelegenheit vorbehalten hat (§§ 3 Ziff. 2 lit. e, 4 Abs. 2 und 18 Abs. 1 und Abs. 2 RPflG). Entscheidungen des Rechtspflegers sind immer anfechtbar. In den Fällen, in denen nach den allgemeinen prozessualen Vorschriften (§ 11 Abs. 1 RPflG) kein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, findet gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG binnen einer Frist von zwei Wochen die Erinnerung statt. Der Rechtspfleger kann der Rechtspflegererinnerung abhelfen, § 11 Abs. 2 Satz 5 RPflG. Hilft er nicht ab, legt er die Sache dem Richter zur Entscheidung vor, der über die Erinnerung abschließend entscheidet, § 11 Abs. 2 Satz 6 RPflG.
414
Mit dem ESUG hat der Gesetzgeber wegen der wirtschaftlichen Bedeutung und den rechtlichen Implikationen des Insolvenzplanverfahrens die funktionale Zuständigkeit für das gesamte Planverfahren dem Richter zugewiesen (§ 18 Abs. 1 und Abs. 2 RPflG). Innerhalb des Planverfahrens ergeben sich Ausnahmen für das Klauselverfahren nach § 257 InsO, womit dem Rechtspfleger die qualifizierte Klauselerteilung zugewiesen ist bzw. bei den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle verbleibt, wie auch für die Schlussrechnungsprüfung, die dem Rechtspfleger obliegt, soweit im Insolvenzplan keine abweichende Regelung zur Rechnungslegung vorgesehen ist, § 66 Abs. 4 InsO.548 Mit der geänderten Zuständigkeit hat der Gesetzgeber zugleich die Möglichkeit verändert, Entscheidungen des Insolvenzgerichts zu überprüfen.549 545 Mit der Zuständigkeit des Richters in den Insolvenzplanverfahren (ab dem 1.1.2013 beantragte Insolvenzverfahren) entfällt der Richterentscheid für Stimmrechtsentscheidungen, die ansonsten durch den Rechtspfleger gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG vorzunehmen sind. 546 Zur nunmehr unzulässigen außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit vgl. BGH v. 7.3.2002 – IX ZB 11/02, MDR 2002, 901 = NZI 2002, 398 ff.; Baumert in Braun, Insolvenzordnung, § 6 Rz. 48. 547 Dies anhand eines Praxisfalls (Konsum) beschreibend: Heublein, NZI 2005, 381 ff.; Smid, NZI 2005, 613 ff. Das zeitliche Dilemma des Rechtsbeschwerdeverfahrens auch hervorhebend (Senator Entertainment AG): Fritze, DZWiR 2007, 89, 93. 548 Hierbei handelt es sich nicht um einen planspezifischen Verfahrensteil, sondern um eine allgemeine insolvenzverfahrensrechtliche Pflicht des Gerichts. Für die Schlussrechnungsprüfung: AG Ludwigshafen v. 10.4.2015 – 3 f IN 27/14, NZI 2015, 469. 549 Sich ergebende Abgrenzungsfragen aufgrund des fortlaufenden Regelverfahrens mit dem dafür zuständigen Rechtspfleger beleuchten Stapper/Jacobi, ZInsO 2014, 1821 ff.
250 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 420 § 3
Wie bislang kann nur in den von der Insolvenzordnung ausdrücklich genannten Fällen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, § 6 InsO. Für das Planverfahren ist die sofortige Beschwerde somit nur in drei Fällen denkbar, im Vorprüfungsverfahren gegen die Zurückweisung des Insolvenzplans, nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin gegen die Bestätigung oder Versagung der Bestätigung einer Planberichtigung sowie nach abschließender Prüfung durch das Insolvenzgericht gegen die Bestätigung oder Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans (§§ 231 Abs. 3, 248a Abs. 4, 253 Abs. 1 InsO). Mit der Zuständigkeit des Richters entfällt damit im Planverfahren in allen anderen Fällen die Möglichkeit, die Entscheidung des Insolvenzgerichts einer Überprüfung zuzuführen (zu den Ausnahmen s. Rz. 414).
415
Die sofortige Beschwerde ist beim Amtsgericht als dem Insolvenzgericht einzulegen, § 6 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 InsO. Auf die korrekte Rechtsbehelfsbelehrung ist ein besonderes Augenmerk zu richten.550 Das Insolvenzgericht kann der sofortigen Beschwerde abhelfen, § 4 InsO i.V.m. § 572 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 ZPO. Wird durch das Insolvenzgericht nicht abgeholfen, so entscheidet das Landgericht über die sofortige Beschwerde, § 4 InsO i.V.m. § 572 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 ZPO. Die Beschwerdefrist gegen die Entscheidung beginnt mit der Verkündung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung (§ 6 Abs. 2 Satz 1 InsO) und beträgt als Notfrist zwei Wochen, § 4 InsO i.V.m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
416
Hinweis: Die (zulassungsfreie) Rechtsbeschwerde gem. § 7 InsO a.F. gegen Beschwerdeentscheidungen nach § 6 InsO wurde ersatzlos gestrichen.551 Die Zulassungsbeschwerde ist damit nur noch unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO möglich, entweder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO) oder zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO).552
417
Wird eine qualifizierte Vollstreckungsklausel beantragt, für deren Erteilung weiter der Rechtspfleger zuständig ist, ist gegen die Klauselversagung die Rechtspflegererinnerung statthaft.553
418
(1) Vorprüfungsverfahren Im Vorprüfungsverfahren ist die sofortige Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss statthaft, gegen die Zulassung des Insolvenzplans ist kein Rechtsbehelf gegeben, § 231 Abs. 3 InsO. Beschwerdebefugt ist der Planvorlegende (Schuldner bzw. Insolvenzverwalter, § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ergänzend gelten die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung, §§ 4 und 6 InsO.
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(2) Planbestätigung Mit dem ESUG hat der Gesetzgeber einem seit langem von der Praxis geforderten Ansatz Konturen gegeben. Taktische Rechtsmittel, denen erhebliches Störpotential zukommt, die das Verfahren über mehrere Monate verzögern und damit die Sanierung mittels Insolvenzplan gefährden, sollen verhindert werden. Gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt554 oder durch den die Bestä-
550 Zur Ausgestaltung der Rechtsbehelfsbelehrungspflicht Zipperer, NZI 2013, 865, 867. Vgl. hierzu auch § 11 Abs. 2 Satz 3 RPflG mit der Vermutungswirkung unverschuldeter Fristversäumnis bei unterbliebener oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung. 551 Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, BGBl. I 2011, S. 2082, mit Wirkung zum 27.10.2011. 552 Zu den Einzelheiten vgl. Baumert, MDR 2011, 1145 f. 553 Hierzu bspw. Baumert in Braun, Insolvenzordnung, § 6 Rz. 49 ff., sowie Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 257 Rz. 10 ff. 554 Einen kompakten Überblick zur Bestimmung des § 253 InsO gibt Fischer, NZI 2013, 513 ff.
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§ 3 Rz. 420 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung tigung versagt wird, sind die Gläubiger, der Schuldner und die am Schuldner beteiligten Personen beschwerdebefugt, nicht hingegen der Insolvenzverwalter, § 253 Abs. 1 InsO.555 421
Allgemeine Voraussetzung der sofortigen Beschwerde ist wie bislang das Vorliegen einer Beschwer. Der Plan muss grundsätzlich in die Rechte des Beschwerdeführers eingreifen. Konnte die sofortige Beschwerde vor dem ESUG so geführt werden, dass der Beschwerdeführer (nur) eine denkbare formelle und materielle Beschwer vorgetragen hat, sind mit dem ESUG weitere Zulässigkeitsbedingungen formuliert worden, neben den allgemein gem. §§ 4 und 6 InsO zur Anwendung kommenden Vorschriften der Zivilprozessordnung. Nach § 253 Abs. 2 InsO muss formell der Beteiligte seine verfahrensmäßigen Möglichkeiten zweifelsfrei ausgeschöpft haben, um die Bestätigung des Plans zu verhindern. Er muss spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zum gerichtlichen Terminsprotokoll widersprochen haben (Ziff. 1) und zudem an der Abstimmung teilgenommen und gegen den Insolvenzplan gestimmt haben (Ziff. 2).
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Hinweis: Die Stimmrechtsentscheidung des Richters ist im Planverfahren abschließend.556 Soweit dem Gläubiger kein Stimmrecht gewährt wird, nimmt er an der Abstimmung nicht teil und kann insoweit auch nicht gegen den Plan stimmen. Für diesen Fall reicht die formelle Beschwer nach Ziff. 1. Der Gläubiger hat seine verfahrensmäßigen Möglichkeiten, die der Gesetzgeber mit dem ESUG als Zulässigkeitsvoraussetzung für die sofortige Beschwerde nach § 253 InsO einfordert, gewahrt.557
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Weiter muss der Beteiligte wirtschaftlich beeinträchtigt sein und insoweit glaubhaft machen, dass er wesentlich schlechter gestellt wird als im Vergleich zum Regelverfahren und, unterstellt, er ist wesentlich beeinträchtigt, muss es ausgeschlossen sein, dass dieser Nachteil nicht durch eine im Insolvenzplan vorgesehene Vorsorgemaßnahme (Ausgleichszahlung, „salvatorische Klausel“ (vgl. Rz. 249)) ausgeglichen werden kann, materielle Beschwer (Ziff. 3). Die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung ist zwingender Bestandteil jeder gegen die Bestätigung des Insolvenzplans gerichteten Beschwerde. Dies gilt auch, wenn sich die Beschwerde lediglich auf einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften (§§ 248 bis 250, 252 InsO) stützt.558
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Hinweis: Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung als Teil der materiellen Beschwer ist die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung, nicht hingegen soll es der Antrag auf Minderheitenschutz im Rahmen der Planbestätigung sein.559 Der Beschwerdeführer kann sich jedoch mit der Beschwerde nicht auf eine Verletzung des § 251 InsO berufen, wenn er es gegenüber dem Insolvenzgericht versäumt hat, die behauptete Schlechterstel-
555 Insoweit weicht § 253 Abs. 1 InsO von § 231 Abs. 3 InsO ab, der im Vorprüfungsverfahren dem Insolvenzverwalter als Planvorlegendem die Beschwerdebefugnis zugesteht. Dies klarstellend BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, MDR 2009, 590 = NZI 2009, 480 f. Allerdings ebenso BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, MDR 2006, 114 = NZI 2005, 619, 629 mit dem Hinweis, dass der Insolvenzverwalter im Beschwerdeverfahren die Interessen der Gläubiger mit wahrnimmt. Abgestellt wird beim Anteilsinhaber auf die rechtliche Beteiligung, so dass im Treuhandverhältnis der Treuhänder beschwerdebefugt ist, LG Wuppertal v. 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164 f. 556 Zur Rechtslage bis zum 31.12.2012 (funktionale Zuständigkeit des Rechtspflegers im Planverfahren) mit der Möglichkeit des Richterentscheids nach § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG: BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, MDR 2009, 223 = NZI 2009, 106 ff., und BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, NZI 2010, 57 f. 557 Zur formellen Beschwer: BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 53. 558 BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, MDR 2014, 1110 = NZI 2014, 751 ff. 559 Der BGH, a.a.O., trennt strikt zwischen dem Bestätigungshindernis des § 251 InsO und der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 253 Abs. 2 Ziff. 3 InsO; so auch Hölzle, ZIP 2014, 1819 ff. A.A. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 253 Rz. 11 ff. Brünkmans, ZInsO 2014, 939 ff., m.w.N., will differenzieren: Antrag auf Minderheitenschutz erforderlich, wenn Schlechterstellung vorgetragen wird, bei der Überprüfung von Verfahrensfehlern hingegen nicht. Kritisch auch Smid, ZInsO 2014, 1873 ff., zur Frage des Minderheitenschutzantrags als Teil des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses, wie auch der weiteren Befassung des BGH zu den Wertsätzen im Regelverfahren.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 428 § 3 lung glaubhaft zu machen (Antrag auf Minderheitenschutz). Der Prüfungsrahmen der Begründetheit bezieht sich dann nicht auf einen Verstoß gegen § 251 InsO, sondern beschränkt die Prüfung auf die §§ 249 bis 250 InsO sowie § 252 InsO. Dass solche weitergehenden Verstöße nicht durch Mittel, die nach § 251 Abs. 3 InsO bereitgestellt werden, ausgeglichen werden können, ist unbeachtlich; der Fonds für Ausgleichszahlungen ist Voraussetzung nur für die Zulässigkeit, für die weitere Prüfung der Begründetheit jedoch unbeachtlich. Nicht beschwert sind Gläubiger, deren Rechte durch den Insolvenzplan nicht berührt werden, bspw. nachrangige Insolvenzgläubiger, deren Forderungen gem. § 225 Abs. 1 InsO erlassen werden, oder am Schuldner beteiligte Personen, deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan nicht eingezogen werden.
Die Zulassungsvoraussetzungen der sofortigen Beschwerde und des Minderheitenschutzes gem. § 251 InsO sind damit in Teilen deckungsgleich.560 Abweichungen bestehen insoweit, als der Beschwerdeführer gegen den Insolvenzplan gestimmt haben muss und hinsichtlich der Schlechterstellung. Im Rahmen von § 251 InsO darf der Antragsteller voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, § 253 InsO hingegen fordert eine wesentliche Schlechterstellung. Die Grenzen der erheblichen Schlechterstellung sind gesetzlich nicht geregelt. Die Gesetzgesetzesbegründung sieht Abweichungen von unter zehn Prozent als unerheblich an.561
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Liegen die Voraussetzungen nach § 253 Abs. 2 InsO kumuliert nicht vor, ist die sofortige Beschwerde unzulässig.562 Die Ziff. 1 und 2 sind allerdings nur dann Zulässigkeitsvoraussetzung für die sofortige Beschwerde, wenn in der öffentlichen Bekanntmachung des Termins (§ 235 Abs. 2 InsO) und in den Ladungen zum Termin (§ 235 Abs. 3 InsO) auf die Notwendigkeit des Widerspruchs und die Ablehnung des Plans besonders hingewiesen wurde, § 253 Abs. 3 InsO.
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Hinweis: Der Planverfasser wird im eigenen Interesse dafür Sorge tragen müssen, dass die formellen, einfach zu prüfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen, über entsprechende Hinweise in den Ladungen und den öffentlichen Bekanntmachungen nicht fehlen und somit die Beteiligten Kenntnis erlangen können. Die entsprechende Vorsorge muss standardisiert organisiert werden.563
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Da der gestaltende Teil des Insolvenzplans erst mit der Rechtskraft der Bestätigungsentscheidung Wirkungen entfaltet (§ 254 Abs. 1 InsO), kann der Vollzug des Insolvenzplans trotz der erhöhten Zulässigkeitsvoraussetzungen im Beschwerdeverfahren weiter verzögert und auch gefährdet werden.564 In der Abwägung des Rechtsschutzinteresses der Rechtsmittelführer gegen das Vollzugsinteresse der weiteren Beteiligten stellt der Gesetzgeber des ESUG ein Freigabeverfahren über § 253 Abs. 4 InsO zur Verfügung, das der Struktur des § 246a AktG folgt.565 Auf Antrag des Insolvenzverwalters wird demnach die sofortige Beschwerde durch das Landgericht zurückzuweisen sein, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplans vorrangig gegenüber den zu erwartenden Nachteilen des Beschwerdeführers nach freier Überzeugung des Gerichts erscheint. Verglichen wird die Lage einer sofortigen Bestätigung des Insolvenzplans ohne Sachprüfung der Beschwerde (Nachteile für den Beschwerdeführer) mit der Lage, die sich bei einer späteren Bestätigung des Insolvenzplans nach rechtskräftiger Sachprüfung
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560 Insoweit kann auf die Ausführungen unter Rz. 397 ff. verwiesen werden. 561 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 53. LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, NZI 2021, 397 ff., will zudem die Geringwertigkeitsgrenze gem. § 511 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO mit einem absoluten Betrag zur Bestimmung der wesentlichen Schlechterstellung heranziehen. Den zusätzlichen Nutzen insoweit bezweifelnd Madaus, a.a.O., 399, ebenso Harig, EWiR 2021, 438, 440. Dem ist zuzustimmen, starre Grenzen tragen dem konkreten Verfahren nicht ausreichend Rechnung. 562 LG Bonn v. 10.7.2014 – 6 T 178/14, ZInsO 2015, 43 ff. 563 So auch Buchalik/Stahlschmidt, ZInsO 2014, 1144, 1148, mit einer entsprechenden Musterformulierung. AG Köln v. 18.9.2017 – 1 T 349/17, ZinsO 2017, 2563 ff.: Einer weiteren Belehrung im Termin bedarf es nicht. 564 Entgegen § 570 Abs. 1 ZPO hat die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung somit aufschiebende Wirkung (Suspensiveffekt). 565 BT-Drucks. 17/7511 v. 26.10.2011, 49.
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§ 3 Rz. 428 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung der Beschwerde ergibt (Nachteile für die übrigen Planbetroffenen). Nachteile, die sich aus einer möglichen Aufhebung des Insolvenzplans im Beschwerdeverfahren und damit seiner Nichtdurchführung für die übrigen Planbetroffenen ergeben können, sind nicht maßgeblich.566 Liegt dem Beschwerdegericht zugleich ein Antrag auf Freigabe nach § 253 Abs. 4 InsO vor, kann das Beschwerdegericht nicht die Beschwerde verwerfen und anschließend über die Freigabe entscheiden.567 429
Zur weiteren Verfahrensbeschleunigung wird in diesem Zusammenhang zugleich die Abhilfebefugnis des erkennenden Insolvenzgerichts nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO ausgeschlossen. Zur Entscheidung ist ausschließlich, soweit § 253 Abs. 4 InsO greift, das Landgericht als Beschwerdegericht zuständig. Nur wenn der in Satz 2 genannte extreme („… besonders schwerer …“) Rechtsverstoß vorliegt und damit das Freigabeverfahren nicht zur Anwendung kommt, bleibt für ein Abhilfeverfahren Raum. Das Gericht muss dabei im Rahmen seiner Rechtsprüfung zur Überzeugung gelangen, dass dem Insolvenzplan der Makel quasi „auf die Stirn geschrieben“ steht.568
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Dem Beschwerdeführer bleibt im Falle der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Freigabeverfahren nach Satz 1 ein gesondertes, vor den ordentlichen Gerichten auszutragendes Schadensersatzverfahren vorbehalten, § 253 Abs. 4 Sätze 3 und 4 InsO. Ein Rechtsmittel gegen einen auf dieser Grundlage (§ 254 Abs. 4 InsO) erlassenen Beschluss ist nicht statthaft.569 Für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches ist das Landgericht zuständig, das die sofortige Beschwerde zurückgewiesen hat.570 Die Rückgängigmachung der Wirkungen des Insolvenzplans kann der Beschwerdeführer dabei nicht als Schadensersatz geltend machen.
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Hinweis: Das Freigabeverfahren ist als Eilverfahren konzipiert, so dass eine summarische Prüfung zur Abwägung der wechselseitigen wirtschaftlichen Interessen vorzunehmen ist.571 Die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs werden die Nachteile des einzelnen Beschwerdeführers regelmäßig dann überlagern, wenn ein fortzuführender Geschäftsbetrieb, insbesondere mit einer gewissen Zahl von Arbeitsplätzen, betroffen ist. Der Beschwerdeführer wird sich auf seine finanziellen Interessen im Schadensersatzwege beschränken müssen. Bei reinen Liquidationsplänen reichen bloße Verzögerungen der Liquidation nicht aus, solange nicht erkennbar ist, dass ein Werteverzehr erfolgen wird. Anders, als die Entschädigungsregelung in § 251 Abs. 3 InsO, muss der Insolvenzplan nicht die Mittel vorsehen, die zum Schadensausgleich erforderlich wären.
566 BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 764/20, ZInsO 2020, 2369 ff. 567 BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, MDR 2014, 1110 = NZI 2014, 751 ff.; Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889 ff., sowie Brünkmans, ZInsO 2014, 993 ff. Weiterführend LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197 ff.; Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414 ff.; Harig, NZI 2018, 969 ff. 568 Findet eine solche Rechtsprüfung vom Gericht gar nicht statt, wird der Zweck des Freigabeverfahrens verkannt, BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZInsO 2020, 2601. So auch Madaus, NZI 2020, 735, mit seiner Anmerkung zu dem in dieser Angelegenheit beantragten einstweiligen Rechtsschutz mit BVerfG v. 15.5.2020 – 2 BvQ 24/20, a.a.O., 733 f., dass eine „Flucht in die Freigabe“ mit einem wohlwollenden Gericht gegen den Justizgewährungsanspruch verstößt. Smid, DZWIR 2021, 471 ff., arbeitet heraus, dass der Anwendungsbereich keinesfalls auf Fälle der Unternehmenssanierung beschränkt ist, vielmehr ebenso verfahrensleitende Insolvenzpläne hierunter fallen. 569 BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, MDR 2014, 1354 = ZIP 2014, 2040 ff. 570 Mit der vom BGH festgestellten Unwirksamkeit von materiellen Ausschlussklauseln kann man die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs nicht mittels einer Planregelung zeitlich begrenzen, BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 562 f. Zur Wirksamkeit plangeregelter Ausschlussklauseln vgl. Rz. 455 ff. 571 LG München I v. 28.11.2018 – 14 T 12593/18, NZI 2019, 78 ff. Vgl. auch die kritische Anmerkung Frind, EWiR 2019, 55 f., zum Sofortvollzug des Freigabeverfahrens. Siehe hierzu die Entscheidung des BVerfG v. 12.12.2018 – 2 BvR 2588/18, NZI 2019, 75 ff., dass keine einstweilige Anordnung auf Aussetzung der Wirkungen des Insolvenzplans ausspricht, sowie Madaus, a.a.O., 77 f., mit dem Hinweis, dass ein Hauptsacheverfahren erfolgreicher sein mag.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 434 § 3
Hebt das Beschwerdegericht den Planbestätigungsbeschluss auf, wird die Abstimmung über den Plan hiervon nicht berührt. Die Gläubiger haben weiterhin ausschließlich das Recht zu entscheiden, ob sie den Plan annehmen oder ablehnen wollen. Das Verfahren befindet sich sachlich zunächst auf dem Stand von § 248 InsO. Nur soweit ein entsprechender Gesetzesverstoß vorliegt, kann das Verfahren in den Stand vor der Erörterung und Abstimmung über den Plan i.S.v. § 235 InsO zurückversetzt werden. Das Beschwerdegericht hat darüber zu befinden, ob es zurückverweist oder selbst über den Insolvenzplan entscheidet.572 Ergänzend finden die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung, §§ 4 und 6 InsO.
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(3) Planberichtigung Gegen den Beschluss, durch den die Planberichtigung bestätigt oder durch den die Bestätigung versagt wird, sind die Gläubiger und die am Schuldner beteiligten Personen, soweit ihre Rechte betroffen sind, sowie der Insolvenzverwalter beschwerdebefugt, der Schuldner hingegen nicht, § 248a Abs. 4 Satz 1 InsO. Der Insolvenzverwalter ist durch den Beschluss beschwert, wenn die Bestätigung seiner Planberichtigung versagt wird. Soweit Gläubiger oder Anteilsinhaber durch die Planberichtigung in ihren Rechten betroffen sind, können sie sich gegen die Bestätigung der Planberichtigung wenden, im umgekehrten Fall, sie haben ein Interesse an der Planberichtigung und diese wird versagt, sind sie nicht beschwerdebefugt. Soweit der Insolvenzverwalter nicht erfolgreich ist, bleibt ihnen über § 157 Satz 2 InsO, wie auch dem Insolvenzverwalter originär die Möglichkeit, einen weiteren Insolvenzplan zu initiieren, der die Planberichtigungen den abstimmungsberechtigen Gruppen zur Planannahme vorlegt (vgl. hierzu auch Rz. 113 und 437). Um eine zügige Umsetzung des Insolvenzplans nicht zu gefährden, hat das Landgericht in entsprechender Anwendung des Freigabeverfahrens gem. § 253 Abs. 4 InsO die sofortige Beschwerde zurückzuweisen, wenn dem Vollzugsinteresse der übrigen Beteiligten der Vorrang gegenüber dem Aufschubinteresse des Beschwerdeführers zukommt, § 248a Abs. 4 Satz 2 InsO. Ergänzend finden die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung, §§ 4 und 6 InsO.
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8. Folgen des rechtskräftigen Insolvenzplans a) Wirkungen des Insolvenzplans auf Planbeteiligte Sobald der Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt ist, treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Planbeteiligten ein, unabhängig von ihrer tatsächlichen Verfahrensteilnahme oder einem möglichen Widerspruch gegen den Plan, §§ 254 Abs. 1, 254b InsO.573 Über § 217 Abs. 1 Satz 1 InsO wird klar, dass sich materiell die Wirkungen des Insolvenzplans unmittelbar nur auf Regelungen über die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie innerhalb dieses Rahmens die Verfahrensabwicklung und Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Verfahrens und diese immer bezogen auf das Regelinsolvenzverfahren oder sonstige Vorschriften der Insolvenzordnung beziehen können und damit beschränkt sind (zu den Massegläubigern vgl. Rz. 168). Im selben Umfang kann der Plan materiell die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen regeln, § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO. § 225 Abs. 1 InsO bestimmt in diesem Zusammenhang, dass nachrangige Insolvenzforderungen als erlassen gelten, wenn der Insolvenzplan keine besondere Regelung enthält (zur Einbindung Nicht-Planbeteiligter vgl. Rz. 440 und 467). Den Kreis wirtschaftlich Betroffener erweitert § 217 Abs. 2 InsO, indem die Planregelungen außerhalb der Haftungsmasse des Schuldners stehendes Vermögen rechtswirksam einbeziehen können, beschränkt allerdings auf gruppeninterne Drittsicherheiten.
572 Sinz in MünchKomm/InsO, § 253 Rz. 94 ff.; a.A. Pleister in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 253 Rz. 29. 573 Wer Planbeteiligter ist, regelt die Insolvenzordnung an unterschiedlichen Stellen, vgl. bspw. §§ 217, 222 Abs. 1 Satz 2, 254 Abs. 2 Satz 1 InsO.
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§ 3 Rz. 435 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 435
Hinweis: Der Insolvenzverwalter gehört nicht zu dem Kreis derjenigen, in deren Rechtsstellung durch den Insolvenzplan eingegriffen werden kann. Regelungen über die Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters können deshalb nicht von der abstimmenden Gläubigermehrheit rechtsgestaltender Planinhalt sein.574 Eine im Insolvenzplan aufgenommene Prognose der Kosten für das Insolvenzverfahren, die einen Ansatz für die Verwaltervergütung enthalten, entfaltet deshalb bspw. für das nachfolgende Vergütungsfestsetzungsverfahren grundsätzlich keine Bindungswirkung. Entsprechende Angaben sind gleichwohl erforderlich, um die voraussichtlichen wirtschaftlichen Auswirkungen des Planverfahrens abbilden zu können. Hat der Insolvenzverwalter den Plan selbst erstellt oder überarbeitet und deshalb den Kostenansatz zu verantworten, kann er nachfolgend über Treu und Glauben gehindert sein, aufgrund eines viel zu niedrigen Ansatzes einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. e InsVV zu verlangen.575 Entsprechendes gilt, wenn der Insolvenzverwalter eine entsprechende Willenserklärung abgibt (bspw. seine Vergütung der Höhe nach zu begrenzen oder auf einen Teil zu verzichten), die im Plan dokumentiert wird. Der Planverfasser muss darauf achten, dass der Insolvenzplan urkundsgleiche Wirkung hat und einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht. Insoweit bedarf es einer klaren Formulierung der materiell beabsichtigten Gestaltungswirkung. Neben einer unsauberen (Misch-)Gruppenbildung mit den maßgeblichen Regelungen zu den rechtlich unterschiedlich zu qualifizierenden Beteiligten (§ 222 Abs. 1 Ziff. 1 bis 4 InsO) wird vielfach nicht zwischen den mehrheitsgetragenen unmittelbaren Planwirkungen über die Gruppenabstimmung und den zulässiger Weise in den Plan aufgenommenen, aber individualvertraglich bzw. als Willenserklärung einzelner zu gestaltenden Regelungen, die zwar zusammen mit dem Plan, aber nur im Wege einer Verknüpfung bzw. Bedingung Rechtsfolgen auslösen können, unterschieden.576
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Für den Schuldner ergibt sich, dass er mit plangemäßer Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit wird, soweit im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist, § 227 Abs. 1 InsO.577 Damit entfällt im Regelfall für die natürliche Person als Schuldner das Rechtsschutzinteresse für einen mit der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen Restschuldbefreiungsantrag nach § 287 Abs. 1 InsO. Eine entsprechende Erledigungserklärung kann im Insolvenzplan mit aufgenommen werden.578 Dies gilt entsprechend für die persönliche Haftung der Gesellschafter, soweit der Schuldner eine rechtsfähige Personengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien ist, § 227 Abs. 2 InsO. Damit sind alle Gesellschaften erfasst, bei denen Gesell-
574 BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, DZWiR 2017, 334 ff. Kritisch bspw. Hingerl, ZInsO 2018, 776 ff., der allerdings zutreffend auf den notwendigen Informationsgehalt zu den entstehenden Kosten hinweist, die, wie viele andere Maßnahmen und wirtschaftliche Rahmendaten eines Insolvenzplanverfahrens, zunächst nur einen prognostischen Gehalt haben können. 575 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 341 f. 576 Unklar OLG Düsseldorf v. 24.9.2008 – 8 UF 212/07, NZI 2008, 689 f., mit dem Hinweis des Verzichts auf laufende Unterhaltszahlungen, die gem. § 40 InsO nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen. An der Richtigkeit der Entscheidung bestehen Zweifel, die der veröffentlichte Sachverhalt und die Begründung nicht ausräumen. So auch Stapper/Jacobi, EWiR 2009, 191. Zur Rechtsstellung des Unterhaltsgläubigers im Insolvenzplanverfahren Paul, DZWiR 2009, 186 ff. 577 Rugullis, KTS 2012, 269 ff., zeigt die Wirkungen und Unterschiede der §§ 227 und 255 InsO auf. Für die natürliche Person als Schuldner ist die Stellung des Restschuldbefreiungsantrags nach § 287 InsO nicht Voraussetzung für die Befreiung von den restlichen Verbindlichkeiten gem. § 227 InsO, so auch LG Hamburg v. 15.1.2018– 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331 ff. 578 Vgl. hierzu auch AG Göttingen v. 11.12.2020 – 74 IN 76/18, NZI 2021, 283 f.; zutreffend merkt Madaus, a.a.O., 284 f. an, dass eine Restschuldbefreiung durch das Gericht trotz eines erfolgreich durchgeführten Insolvenzplanverfahrens denkbar nur in Betracht kommt, wenn eine Restschuld besteht, mithin § 227 InsO trotz des Plans nicht zur Anwendung gelangt. So auch Körner/Rendels, EWiR 2021, 373 f., die im Interesse der Umsetzung des Insolvenzplans im konkreten Fall die Entscheidung des AG Göttingen befürworten.
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 437 § 3
schafter den Gesellschaftsgläubigern persönlich haften, also auch Vorgründungs- und Vorgesellschaften.579 In den Genuss der Haftungsbefreiung gelangen auch bereits ausgeschiedene Gesellschafter.580 Hinweis: Damit wird bspw. der Komplementär von seiner gesetzlichen Haftung aus § 128 HGB befreit, nicht aber automatisch auch von der rechtsgeschäftlich begründeten Haftung aus Bürgschaft oder Schuldbeitritt.581 Dies ist Ausdruck des deutschen Insolvenzrechts, das keine Gruppen-/Konzerninsolvenz kennt, vielmehr streng rechtsträgerorientiert abwickelt.582 Es spricht allerdings nichts dagegen, dies zu verbinden und die persönliche Enthaftung im Insolvenzplan mitzuregeln. Hierzu wird bspw. der Mechanismus der Planbedingung gem. § 249 InsO genutzt. Soweit der Gesellschafter den Gläubigern über den Insolvenzplan seines schuldnerischen Unternehmens einen Mehrwert zuwenden kann, der von ihm verantwortet wird – bspw. weil er persönlich Kundenkontakte hält und erst damit die Fortführung des Unternehmens ermöglicht oder Dritte zu einer außerplanmäßigen (und offengelegten) Zuwendung anhalten kann –, wird er diesen Mehrwert von seiner persönlichen Entschuldung abhängig und dies zur Planbedingung machen. Man mag dem kritisch gegenüberstehen und dem Handelnden „Erpressermentalität“ nachsagen. Rein wirtschaftlich betrachtet sollte man diese Möglichkeit zumindest nicht grds. ablehnen, vielmehr in die vergleichende Betrachtung einbeziehen, was im Regelinsolvenzverfahren bei der „Verwertung“ der persönlichen Vermögenswerte des Gesellschafters zu erzielen sein wird.583 Entgegen des Wortlauts tritt die Befreiungswirkung bereits mit Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans ein. Die Haftung lebt unter den Voraussetzungen der §§ 255, 256 InsO wieder auf, wenn der Schuldner die plangemäßen Leistungen nicht oder nicht rechtzeitig erbringt.584 Die Verbindlichkeit des Schuldners geht dabei nicht unter, sondern besteht als natürliche Verbindlichkeit – erfüllbar, aber nicht durchsetzbar – fort. Damit wird auch die Regelung in § 254 Abs. 2 InsO verständlich, weil korrespondierend dazu akzessorische Sicherungsrechte nicht untergehen.585
579 Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 217 Rz. 137. 580 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 227 Rz. 8; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 227 Rz. 10; a.A. Breuer in MünchKomm/InsO, § 227 Rz. 13. Den Meinungsstand stellt zusammenfassend Brand, KTS 2009, 431 ff., dar, der einen Mittelweg vorschlägt und (soweit erforderlich im Wege der Auslegung) die ausgeschiedenen Gesellschafter bis auf die von ihnen zu tragende Verlustbeteiligung freistellen will. 581 Zumindest nicht, soweit die erklärte Haftungsübernahme ihre Ursache nicht in der Gesellschafterstellung hat. Ansonsten wird für den Gesellschafter § 227 Abs. 2 InsO lex specialis gegenüber § 254 Abs. 2 InsO sein, vgl. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 227 Rz. 3 und § 254 Rz. 5. Schröder, ZInsO 2015, 1040 ff., schlägt die Enthaftung des Gesellschafters für die von ihm gestellte Drittsicherheit im Wege einer mehrheitsgetragenen Planregelung vor (die mit dem SanInsFoG aufgenommene Regelung gruppeninterner Drittsicherheiten bleibt mit ihrer Entschädigungsregelung in § 223a Satz 2 InsO dahinter zurück). 582 Das in die Insolvenzordnung mit dem Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 13.4.2017, BGBl. I 2017, 866 ff., eingeführte Konzerninsolvenzrecht beschränkt sich auf die Bündelung des Gerichtsstands bei einem einzigen Gericht und den Regeln zur Abstimmung unterschiedlicher Insolvenzverfahren aufeinander, §§ 3a ff., 269a ff. und 270g InsO. Zum Konzerninsolvenzrecht vgl. § 4 Rz. 9 ff. 583 Nicht selten ist auch das wirtschaftliche Schicksal des Gesellschafters mit dem der Gesellschaft verbunden; vgl. auch Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 227 Rz. 13 ff., mit dem zutreffenden Hinweis, dass die mittels ESUG geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten in § 225a InsO neue Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Diese Überlegung aufgreifend und die Vermeidung der Insolvenz des GesellschafterGeschäftsführers als ein (weiteres) zulässiges Planziel und damit nicht unlauter feststellend: AG Cuxhaven v. 14.9.2017 – 12 IN 168/16, ZInsO 2017, 2128 f. 584 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 227 Rz. 4; Haas in HK/InsO, § 227 Rz. 3; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 227 Rz. 10; a.A. Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 227 Rz. 3. 585 Zur Rechtsnatur vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 512; Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 227 Rz. 4.
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§ 3 Rz. 437 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Im Insolvenzplan kann durchaus bestimmt werden, dass der Schuldner nicht aus der Haftung entlassen oder eine zeitlich beschränkte Nachhaftungsklausel (im Ergebnis ein Besserungsschein) gestaltet wird. Die Wirkung des § 254 InsO bezieht sich dann auf die konkrete Planregelung. Der Schuldner ist in diesen Fällen über § 247 InsO geschützt, weil im vergleichenden Maßstab er über die Restschuldbefreiung gemäß der §§ 286 ff. InsO eine entsprechende Enthaftung (zeitlich später und auf seine Redlichkeit beschränkt) erreichen kann. Soweit die Notwendigkeit besteht, einer veränderten Sach- oder Rechtslage Rechnung zu tragen, ist dies wegen der grundsätzlichen Rechtskrafterstreckung für und gegen alle Beteiligten gem. § 254 InsO nicht ohne Weiteres möglich.586 Die Wirkungen eines Insolvenzplans können jedoch mit einem zweiten, den ersten Plan ergänzenden Insolvenzplan verändert werden. So gesehen können mehrere Insolvenzpläne nacheinander eingebracht werden (vgl. Rz. 113).587 438
§ 334 Abs. 2 InsO verweist für die persönliche Haftung der Ehegatten in einem Insolvenzverfahren über das gemeinschaftlich verwaltete Gesamtgut einer Gütergemeinschaft auf § 227 Abs. 1 InsO, so dass auch dort eine Haftungsfreistellung erfolgt.
439
Die gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplans führt nicht zur Straflosigkeit des Schuldners oder seiner organschaftlichen Vertreter für begangene (Insolvenz-)Delikte. Der verwirkte Strafanspruch steht nicht zur Disposition der Beteiligten.588
440
Nicht betroffen von den Planwirkungen und damit nicht Regelungsgegenstand sind Masseansprüche (§ 258 Abs. 2 InsO, vgl. aber Rz. 168), persönliche Ansprüche oder dingliche Sicherungsrechte gegenüber Dritten (Nicht-Planbeteiligte) bzw. Wirkungen einer Vormerkung auf solche Sicherungsgegenstände (§ 254 Abs. 2 Satz 1 InsO), Geldstrafen und gleichgestellte Forderungen (§§ 225 Abs. 3, 39 Abs. 1 Ziff. 3 InsO); für Absonderungsrechte, Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte sowie gruppeninterne Drittsicherheiten (zur Sonderregelung für gruppeninterne Drittsicherheiten vgl. Rz. 57) gilt dies ebenso, soweit der Insolvenzplan hierüber keine Regelung enthält (§§ 223 Abs. 1 Satz 1, 223a, 225a Abs. 1 InsO).589
441
Eine dem § 225 Abs. 3 InsO entsprechende, im Planverfahren anzuwendende Ausnahmevorschrift für Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung enthalten die Vorschriften zum Planverfahren dagegen nicht. Solche Forderungen unterliegen dem gesetzlichen Erlass nach § 227 Abs. 1 InsO. Ohne besondere Planregelung finden die §§ 286 bis 302 InsO keine Anwendung.590 Davon zu trennen ist die Frage, was Maßstab der vergleichenden Betrachtung Regelverfahren/Planverfahren im Rahmen des Minderheitenschutzes nach § 251 InsO sein kann (vgl. Rz. 402).
442
Sind die nach materiellem Recht erforderlichen Willenserklärungen in den Insolvenzplan aufgenommen, gelten zur Verfahrenserleichterung über § 254a Abs. 1 InsO (dingliche) Rechte an Gegenstän586 Zur Unzulässigkeit einer nach Rechtskraft der Insolvenzplans bezweckten Änderung einer vorinsolvenzlich erfolgten Steuerfestsetzung vgl. BFH v. 22.10.2014 – I R 39/13, ZIP 2015, 141 ff. 587 AG Frankfurt/O v. 8.11.2005 – 3.1 IN 35/03, DZWiR 2006, 87: Ein bereits rechtskräftig bestätigter Insolvenzplan musste vor der Verfahrensaufhebung wegen der Weigerung des Registergerichts auf Eintragung der Fortführung des Schuldners (Verein) ergänzt werden durch ein zweites Planverfahren (Neuverhandlung). 588 Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 254 Rz. 9; Uhlenbruck, ZInsO 1998, 250 ff. 589 Dies betrifft den materiellen Planinhalt. Es spricht nichts dagegen, auch diese Rechte formell eingebunden in den Plan zu regulieren. In solchen Fällen muss eine gesonderte Vereinbarung mit den einzelnen Betroffenen geschlossen werden, die über § 230 Abs. 2 InsO als Anlage beigeschlossen oder was gem. § 249 InsO als Bedingung formuliert wird. 590 In diesem Fall wird auch dem unredlichen Schuldner die Haftungsbefreiung gem. § 227 Abs. 1 InsO zuteil, BGH v. 17.12.2009 – IX ZR 32/08, BeckRS 2010, 01432; Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 227 Rz. 2; Frank in FD-InsR 2010, 297977. So auch schon Frind, NZI 2007, 374, und LG Hannover v. 7.7.2003 – 20 T 36/03, ZInsO 2003, 719, 720.
258 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 445 § 3
den als begründet, geändert, übertragen, aufgehoben oder Geschäftsanteile einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten.591 Über § 254a Abs. 2 InsO ersetzt der Insolvenzplan Gesellschafterbeschlüsse und Erklärungen zur Übertragung von Anteilen oder zur Entgegennahme von Sacheinlagen sowie Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen der Anteilsinhaber. Entsprechendes gilt für die jeweils erforderlichen (schuldrechtlichen) Verpflichtungserklärungen. Inhaltlich wird dies im gestaltenden Teil des Insolvenzplans über § 228 InsO ermöglicht. Neben den im gestaltenden Teil erfolgten Festlegungen (§ 221 Satz 1 InsO) bedarf es keiner weiteren Vollzugsakte.592 Tatsächliche Zustände werden dagegen vom Insolvenzplan nicht bewirkt, was auch für Eintragungen in öffentliche Register gilt.593 Insoweit kann über eine entsprechende Planregelung der Insolvenzverwalter bevollmächtigt werden, die zur Umsetzung des Insolvenzplans erforderlichen Maßnahmen zu treffen (§ 221 Satz 2 InsO). Im Zusammenhang mit der Regelungsmöglichkeit von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten sieht § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO bereits vor, dass der Insolvenzverwalter erforderliche Anmeldungen beim jeweiligen Register (neben den Organen des Schuldners) selbst vornehmen kann, um dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung zu tragen.
443
§ 254 Abs. 3 InsO bestimmt, dass die (teilweise) erlassenen Ansprüche der Gläubiger als erfüllbare, aber nicht erzwingbare natürliche Verbindlichkeit (Naturalobligation) fortbestehen und insoweit einen Rechtsgrund für eine volle Befriedigung, begrenzt auf die erfüllbare Höhe der Forderung oder des Rechts, bilden. § 254 Abs. 3 InsO ist insoweit lex specialis zu § 397 Abs. 1 BGB und modifiziert die allgemeinen Rechtswirkungen des Erlasses für das Planverfahren.594 Rückgewähransprüche werden darüber hinaus ausgeschlossen, so dass etwaig erlangte (planbetrachtet Zuviel-)Zahlungen/Leistungen trotz abweichender Planwirkung nicht zurückzugewähren sind. Angesprochen ist jeweils die einzelne Forderung des Gläubigers, nicht ob der Gläubiger bezogen auf die Summe seiner Forderungen zu viel erlangt hat.595 Erfasst werden nur die Gläubiger, die vor der Rechtskraft des Insolvenzplans nicht vollständig befriedigt sind, weil sie ansonsten als Gläubiger im Verfahren ausscheiden.
444
Hinweis: Die Gesetzesbegründung erwähnt, dass, wenn ein Gläubiger auch nach Aufhebung des Verfahrens vom Schuldner – wenn freiwillig – vollständig befriedigt wird, keinem Rückforderungsausspruch ausgesetzt ist, weil er diese Leistung „cum causa“, eben auf die Naturalobligation erhalten hat.596 Anders dagegen die Regelung in § 250 Ziff. 2 InsO, wonach die Bestätigung des Plans zu versagen ist, wenn die Annahme des Plans durch eine Begünstigung eines Gläubigers herbeigeführt worden ist. Danach wäre die rechtliche Verpflichtung, planwidrig einem Gläubiger später vollständig zu bezahlen, Versagungsgrund, eine freiwillige Leistung
445
591 Der Insolvenzplan als solcher kann in diesem Anwendungsbereich keine Willenserklärung ersetzen, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 228 Rz. 4; Breuer in MünchKomm/InsO, § 228 Rz. 7. 592 Eintragungsanträge in öffentliche Register als reine Verfahrenshandlung sind gesondert und außerhalb des Insolvenzplans zu stellen; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 228 Rz. 4 f. und § 254a Rz. 2. 593 Bspw. die Übergabe einer beweglichen Sache zum Eigentumserwerb nach § 929 BGB oder auch die Eintragung des vereinbarten Eigentumswechsels eines Grundstücks in das Grundbuch. 594 Vor diesem Hintergrund unverständlich BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, MDR 2011, 1074 = NZI 2011, 538 ff., der die Aufrechnung auch durch eine mittels Insolvenzplan erlassenen Forderung zulassen will. A.A. Braun, NZI 2009, 409 ff. Vorinstanz OLG Celle v. 13.11.2008 – 16 U 63/08, NZI 2009, 59 ff., sah die Aufrechnungslage als nicht mehr gegeben an, dem zustimmend Pöllmann, EWiR 2009, 121 f. Zur parallelen Entscheidung, die entgegen der Vorinstanz die Aufrechnung zuließ (OLG Celle v. 23.12.2008 – 14 U 108/08, NZI 2009, 183 ff.) kritisch Schur, EWiR 2009, 119 f. Einschränkend VG Stuttgart v. 27.7.2017 – 10 K 2902/16, ZInsO 2017, 2621 ff.: Geschützt ist die im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehende Aufrechnungslage i.S.v. § 94 InsO, nicht hingegen die nach § 95 InsO. 595 Rugullis, NZI 2021, 663 ff. 596 Vgl. hierzu Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 192. Dies entspricht der Rechtsprechung des BGH zum Erlass beim Liquidationsvergleich, vgl. BHG v. 9.4.1992 – IX ZR 304/90, BGHZ 118, 71, 76 = MDR 1992, 664.
Frank | 259
§ 3 Rz. 445 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung anschließend aber möglich und nicht zurückzufordern (zur vergleichbaren Problematik bei § 226 InsO vgl. Rz. 179 ff.). 446
Es wird keine Aussage über das Verhältnis der Gläubiger untereinander getroffen. Grundsätzlich sind durch die plangestaltende Wirkung die Gläubiger untereinander haftungsrechtlich durch die Planquote gebunden, so dass bei überquotaler Befriedigung auf die natürliche Verbindlichkeit bis zur vollständigen Planerfüllung Ausgleichsansprüche bestehen können.597 Dies gilt allerdings nur für diejenigen Leistungen, die vor Planbestätigung erbracht und im Plan versehentlich/irrtümlich nicht berücksichtigt worden sind. Der Plan ist in seiner gestaltenden Wirkung auf den Zeitpunkt der Planbestätigung bezogen und setzt zu diesem Zeitpunkt eine noch bestehende durchsetzbare Forderung voraus. Dies ist bei vorher erfolgter (Teil-)Erfüllung nicht mehr der Fall. Mit der Planbestätigung geregelte Planquoten sind deshalb nicht mehr ausgleichspflichtig.598
447
Erfolgt die Umwandlung von Gläubigerforderungen gem. § 225a Abs. 2 InsO in Eigenkapital (dept equity swap), muss die Höhe der Sacheinlage geklärt werden. Bei Kapitalgesellschaften müssen die eingebrachten Forderungen zur übernommenen Kapitalerhöhung werthaltig sein, was, wenn dies nicht der Fall ist, zur sog. Differenzhaftung führt (vgl. hierzu Rz. 288 ff.). Um die Gläubiger als Neugesellschafter diesem Risiko nicht auszusetzen, ordnet § 254 Abs. 4 InsO an, dass der Schuldner (und damit auch ein Insolvenzverwalter in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren) nach gerichtlicher Bestätigung des Insolvenzplans keine Ansprüche an den bisherigen Gläubiger wegen Überbewertung der Forderung als Sacheinlage geltend machen kann.
448
Hinweis: Differenzhaftungsansprüche sind sog. Sozialansprüche und stehen somit der Gesellschaft zu. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass jeder Gesellschafter im Wege der acio pro socio diesen Anspruch verfolgen könnte. Die Formulierung in § 254 Abs. 4 InsO ist ungenau (… von dem Schuldner nicht geltend gemacht werden kann …), vielmehr kann der Gesetzesbegründung entnommen werden, dass der Differenzhaftungsanspruch gegen den Inferenten nicht besteht. Entsprechendes gilt für subsidiäre Ansprüche der Gesellschaft gegen den Neugesellschafter aus Altsachverhalten, bspw. die Haftung für rückständige Einlagen oder Haftung für verbotene Rückzahlung, §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG. Die insolvenzrechtliche Privilegierung des § 254 Abs. 4 InsO überwindet die ansonsten gesellschaftsrechtlich individualvertraglich nicht abdingbare Haftung wie auch den zivilrechtlichen Grundgedanken, dass ein Gläubiger mit Rechtsgrund nicht mehr erhalten kann, als er aufgrund seiner Forderung beanspruchen kann.599 Es gibt deshalb insgesamt keine Ansprüche – gleich von wem und welcher Art – gegen den Neugesellschafter aus diesem Rechtserwerb.600
449
§ 254 Abs. 4 InsO stellt ersichtlich auf die Kapitalgesellschaft ab. Im Bereich der Personengesellschaften sind Forderungsumwandlungen einfacher zu gestalten. Im Innenverhältnis sind die Gesellschafter bei der Bewertung ihrer Einlage frei und können so eine Haftung ausschließen. Im Außenverhältnis greift die gesetzesübliche Haftung, bei Kommanditisten bspw. die im Handelsregister eingetragene Haftsumme. Von der Außenhaftung wird der Kommanditist nur frei, soweit seine Leistung objektiv dem Wert der Haftsumme entspricht. Hier muss die Höhe der Haftsumme entsprechend gestaltet werden.
450
Besteht im Nachgang Streit, ob der Insolvenzplan nichtig oder unwirksam ist, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.601
So schon zum Vergleich bspw. BGH v. 29.1.1964 – Ib ZR 197/62, BGHZ 41, 98 ff. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 254 Rz. 6. Rugullis, NZI 2021, 663 (664 f). So auch Braun/Frank, Insolvenzordnung, § 225a Rz. 13 und § 254 Rz. 8. Bestehen Zweifel an der Kapitalisierung des Geschäftspartners, müssen sich Neugläubiger bspw. über Vorauszahlungen schützen, Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 254 Rz. 22 m.w.N. 601 Dies gilt auch, wenn ein Hoheitsträger eine ihm zustehende öffentlich-rechtliche Insolvenzforderung durchsetzen will, OLG Stuttgart v. 9.8.2019 – 4 W 52/19, ZIP 2019, 2169 ff. 597 598 599 600
260 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 455 § 3
b) Wirkungserstreckung auf unbekannte Gläubiger aa) Grundregelung durch den Insolvenzplan Die Einbeziehung nicht am Verfahren teilnehmender Gläubiger gem. § 254b InsO hat in zweierlei Hinsicht Bedeutung:602 Zum einen können sich die Gläubiger nicht durch ihre Nichtteilnahme den Wirkungen des Insolvenzplans entziehen. Zum anderen bewirkt der Insolvenzplan auch gegenüber bislang nicht bekannten Gläubigern die mit ihm getroffenen Regelungen. Dazu korrespondierend wird der Planverfasser über § 229 Satz 3 InsO verpflichtet, in den Planrechnungen Gläubiger zu berücksichtigen, die zwar ihre Forderungen nicht angemeldet haben, jedoch bei der Ausarbeitung des Plans bekannt sind.
451
Rechtlich gesehen ist das Nichtkennen der Gläubiger bzw. deren Rechte oder Forderungen unproblematisch. Je nachdem, ob es sich um nicht bekannte absonderungsberechtigte Gläubiger, nachrangige oder nicht nachrangige Insolvenzgläubiger handelt, wirken die einzelnen Planregelungen. Absonderungsberechtigte Gläubiger erfahren deshalb mit ihren Rechten nur dann eine Regelung, wenn (zumindest) eine Gruppe gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 1 InsO gebildet ist. Ist dies nicht der Fall oder ist zwar eine Gruppe gebildet, fällt der Gläubiger aber aufgrund der Gruppenbestimmung nicht in diese Gruppe, kann der Gläubiger sein Absonderungsrecht umfänglich geltend machen, weil kein Eingriff erfolgt. Nachrangige Forderungen gelten unter den Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 InsO als erlassen. Ist abweichend dazu eine Regelung im Plan aufgenommen, ist zu prüfen, ob die nachrangige Forderung in den Anwendungsbereich fällt und an der Planregelung teilnimmt. Für die nicht nachrangigen Insolvenzforderungen ist gem. § 222 Abs. 1 Ziff. 2 InsO (mindestens) eine Gruppe zu bilden, so dass diese Gläubiger in jedem Fall eine Planregelung erfahren.
452
Damit steht fest, dass am Verfahren nicht teilnehmende Gläubiger nicht durch ihr passives Verhalten per se präkludiert sind, soweit keine gesetzliche Vorschrift etwas anderes vorgibt.603 Für das Unternehmen bzw. die sonst verantwortlichen Personen birgt das Nichtkennen einzelner Gläubiger bzw. deren Rechte oder Forderungen dagegen das wirtschaftliche Risiko, dass errechnete Planleistungen an die bislang bekannten Gläubiger erfüllt werden können, planregulierte oder den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Leistungen an bis dato unbekannte Gläubiger dagegen nur schwerlich, im schlechtesten Falle sogar überhaupt nicht mehr bedient werden können und damit der Erfolg des Insolvenzplanes aufgrund der Wiederauflebensklausel gemäß der §§ 255, 256 InsO gefährdet ist (vgl. Rz. 470 ff.).
453
Hinweis: Es ist zu unterscheiden zwischen Insolvenzforderungen, die plangeregelt werden können, und allgemeinen Risiken des fortgeführten Geschäftsbetriebs, die nicht planregelbar sind, weil es sich eben nicht um Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO handelt. Realisieren sich diese Risiken im Nachhinein in Form von Schadensersatzansprüchen, sind diese voll zu bedienen. Handelt es sich um eine Insolvenzforderung, weil die Schuld bereits vor der Verfahrenseröffnung begründet wurde, gilt die Planregelung (vgl. hierzu die einschlägigen Kommentierungen zu § 38 InsO).
454
Für den Planersteller schafft die Verjährungsregelung des § 259b InsO eine zeitliche Zäsur, bis dorthin verbleibt jedoch ein unkalkulierbares Risiko, weil eine weitergehende, an die Rechtkraft unmittelbar anschließende materielle Ausschlusswirkung gesetzlich nicht vorgesehen ist. Der BGH hat zudem den in der Praxis entwickelten Planlösungen zur zeitlichen Eingrenzung dieses Problems eine Absage erteilt (zur Verjährungsregelung vgl. Rz. 467 ff.).604
455
602 Prahl, ZInsO 2007, 318 ff. zur Wirkung des Insolvenzplans bei beiderseits nicht erfülltem Vertrag nach Aufhebung des Verfahrens m.w.N. 603 Grundsätzlich zum passiven Verhalten: Leipold/Bork, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 51, 52. 604 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, MDR 2015, 916 = DZWiR 2015, 560, 562 f., ebenso wenn der Schuldner einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat, BGH v. 3.12.2015 – IX ZA 32/14, MDR 2016, 236 = DZWiR 2016, 145 f.
Frank | 261
§ 3 Rz. 456 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 456
Hinweis: Allein der zeitliche Versatz zwischen der letzten materiellen Befassungsmöglichkeit mit dem Insolvenzplan im Erörterungs- und Abstimmungstermin, über die rechtskräftige gerichtliche Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht bis hin zum Fristablauf, der den plangeregelten materiellen Ausschluss bis zu dem diese Angelegenheit klärenden BGH-Beschluss bewirkte, konnte das Risiko von „Nachzüglern“ nicht vollständig beseitigen, aber deutlich zeitlich limitieren. Trotz der Entscheidung zur Unwirksamkeit der materiellen Ausschlussklauseln kann der Planersteller weiter formelle Ausschlussklauseln in den Insolvenzplan aufnehmen. Diese führen dazu, dass die betroffenen Gläubiger mit ihren Forderungen oder Rechten an der Verteilung der Quote bzw. des Erlöses (bis zur abschließenden Klärung der Teilhabeberechtigung) nicht teilnehmen dürfen, aber diese weiter geltend gemacht werden können, sobald und soweit die Klärung erfolgt ist.605 Materielle Ausschlussklauseln hingegen sollen bewirken, dass der betroffene Gläubiger seine Forderungen bzw. Rechte endgültig nicht mehr geltend machen kann.606 Finden sich in Plänen weiterhin materielle Ausschlussklauseln, entfalten diese, soweit der Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt wird, keine Bindungswirkung zwischen dem Nachzügler und dem Schuldner. Der Nachzügler erhält die Planleistungen, die, soweit keine feste Quote zugesagt wird, für ihn neu zu berechnen sind.607 An andere Gläubiger zwischenzeitlich bewirkte Zuvielleistungen können nicht zurückgefordert werden, sie sind mit Rechtsgrund auf die Naturalobligation ihrer erlassenen Restforderung geleistet worden (vgl. hierzu Rz. 444). Wohl aber kann die durch die Neuberechnung für den Nachzügler sich ergebende Anpassung der Quotenhöhe berücksichtigt werden, wenn die Leistungen des Plans noch nicht vollständig erfüllt sind, sondern ratierlich erfolgen für zukünftig noch zu erbringende Leistungen. Unbeschadet der Verwerfung materieller Ausschlussklauseln muss der Planersteller bedenken, ob eine Planregelung aufzunehmen ist, dass alle innerhalb einer bestimmten und angemessenen Frist nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht nachgemeldeten, bis dahin unbekannten Rechte und Forderungen nicht nach den Bestimmungen des Plans für die bekannten Gruppengläubiger, sondern nach der wirtschaftlichen Möglichkeit des Schuldners unter Berücksichtigung der Konzeption des Insolvenzplans mit einer entsprechenden Verzinsung abgelöst oder bedient werden.608 Das Interesse der an der Abstimmung über den Insolvenzplan teilnehmenden, zumindest aber dem Planersteller bekannten Gläubigergemeinschaft an einer rechtsverbindlichen und endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage mittels rechtskräftigen Insolvenzplans in einem gerichtsbetriebenen Verfahren mit entsprechenden Veröffentlichungen steht weiter über dem Interesse des einzelnen Gläubigers, nicht selbst aktiv werden zu müssen, um dem Schuldner bzw. den für die Planerstellung verantwortlichen Personen Kenntnis über sich und seine Rechte oder Forderung zu verschaffen. Dem Gläubiger wird dadurch auferlegt, die erforderliche Kenntnis zur Regulierung der Gesamtangelegenheit zu verschaffen, was aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Auskunftserteilung abgeleitet werden kann. Eine Schlechterstellung im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren oder eine Ungleichbehandlung innerhalb der Gläubigergemeinschaft (vgl. die §§ 226, 245, 251 InsO) erfolgt allein mit dieser Auffangregelung nicht, weil in den originären Planregelungen identische Zuweisungen an alle Gläubiger erfolgen. Einzelne, dem Planersteller unbekannte (die bekannten Gläubiger, die ihre Forderungen nur nicht angemeldet haben, hat der Planersteller zu berücksichtigen, § 229 Satz 3 InsO) Gläubiger können das Interesse der Gläubigermehrheit nicht zu Fall bringen, indem die vorbehaltlose Durchsetzung zu einem vorher so nicht absehbaren Rückstand mit den Regelung zum Wiederaufleben gem. § 255 InsO führt. Der untätige und unbekannte Gläubiger muss sich darauf verweisen lassen können, zwar die Planquote einfordern zu können, aber nach der Leistungsfähigkeit des Schuldners. Sein längeres Zuwarten wird ihm mit einer marktüblichen Verzinsung kompensiert. In der Regelabwicklung geschieht dies identisch mit dem untätig bleibenden Gläubiger, der an der Verteilung des Erlöses durch den Insolvenzverwalter nicht teilnimmt und damit sein nachfolgendes Ausfallrisiko selbst trägt, § 189 InsO. Insoweit kann der Plan auch regeln, ein abschließendes Verteilungsverzeichnis aufzustellen und zu veröffentlichen. Im Verzeichnis nicht aufgeführte Rechte und Forderungen werden nach Ablauf einer formellen Ausschlussfrist bei der Verteilung nicht mehr berücksichtigt
605 BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, NZI 2010, 734 ff., BAG v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, MDR 2016, 334 = KTS 2016, 232, 236 ff. 606 Skauradszun/Spahlinger/Tresselt, DZWiR, 2015, 539, 548 f. 607 Vgl. hierzu auch Takjas/Kunkel, ZInsO 2017, 1196 ff. 608 Zur Höhe der Abgeltung/Befriedigung vgl. Rz. 452: Für die nicht nachrangigen Gläubiger i.S.v. § 222 Abs. 1 Ziff. 2 InsO somit maximal die Planquote für diese gebildete Gruppe.
262 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 460 § 3 (Rechtsgedanke des § 189 Abs. 3 InsO).609 Dies alles gilt selbstverständlich nicht, wenn manipulativ oder in zu vertretendem Umfang die Unkenntnis begründet oder das Bestreiten erfolgt ist.610
bb) Verjährungsfrist und Vollstreckungsschutz als gesetzliche Auffangklauseln Der Gesetzgeber hat mit dem ESUG den Problembereich der unbekannten Gläubiger („Nachzügler“) aufgegriffen und mit § 259b InsO eine besondere Verjährungsfrist von einem Jahr für alle Forderungen der Insolvenzgläubiger statuiert, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden sind. Angesprochen sind dabei alle Forderungen, unabhängig vom Hintergrund und der für sie geltenden (allgemeinen) Verjährungsregelungen, insbesondere auch bereits titulierte Forderungen.611
457
Hinweis: § 229 Satz 3 InsO flankiert die besondere Verjährungsfrist. Klarstellend ist dort geregelt, dass nicht angemeldete, aber bei der Planerarbeitung bekannte Forderungen in den Planrechnungen zu berücksichtigen sind. Im Zusammenspiel beider Regelungen bedeutet dies, dass für solche Gläubiger, obwohl der Planverfasser sie in der Planrechnung zu berücksichtigen hat, die besondere Verjährungsfrist ebenso wirkt, als wenn keine rechtzeitige Anmeldung der Forderung bis zum Abstimmungstermin mehr erfolgt.
458
Von der Möglichkeit, einen umfassenden gesetzlichen Schutz zur Verfügung zu stellen, hat indes der Gesetzgeber unter Hinweis auf die mit einer materiellen Ausschlussfrist einhergehenden Streitigkeiten zur Frage der unverschuldeten Fristversäumnis keinen Gebrauch gemacht. Stattdessen soll durch die Kombination gesetzlich verkürzter Verjährung und Vollstreckungsschutz (§§ 259a f. InsO) erreicht werden, dass Gläubiger, „die sich verschwiegen haben“, nach Abschluss des Verfahrens wegen ihrer Ansprüche die dem Plan zugrunde liegende Finanzplanung nicht stören und damit den Sanierungserfolg insgesamt nicht gefährden können.612 Dies hindert den Planverfasser allerdings nicht, es empfiehlt sich vielmehr, vorbeugend entsprechende materielle Gestaltungen vorzunehmen, die rechtlich unterschiedlich gestaltet sein können, soweit sie wirtschaftlich gleichbehandeln (s. schon Rz. 456 ff.). Weil, so auch der Gesetzgeber, „Nachzügler“ den Beschränkungen des Plans unterliegen, die auch für andere vergleichbare Ansprüche gelten.
Die besondere Verjährungsfrist beginnt mit der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem der Insolvenzplan vom Insolvenzgericht rechtskräftig bestätigt worden ist. Unmaßgeblich ist insoweit die Verfahrensaufhebung. Zudem muss die Forderung fällig sein, § 259b Abs. 2 InsO. Die besondere Verjährungsfrist wirkt zugunsten des Schuldners. Sind die für die Forderungen geltenden (allgemeinen) Verjährungsfristen nach den §§ 195 ff. BGB kürzer, sind diese maßgeblich, § 259b Abs. 3 InsO.
459
Hinweis: Die besondere Verjährungsfrist gilt für alle Ansprüche, selbst wenn für diese die dreißigjährige Verjährungsfrist nach § 197 BGB gilt.613
460
609 BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, NZI 2010, 734 ff., für die Rechtslage vor ESUG, wobei die Ausschlussfrist erst mit Rechtskraft des Plans zu laufen beginnen kann. Bestätigt für die Rechtslage nach ESUG: BAG v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, MDR 2016, 334 = KTS 2016, 232, 236 ff. 610 Siehe hierzu auch Frind, ZInsO 2019, 598 ff., der eine Kombination aus formeller Ausschlussklausel und Rückstellungs-“Topf“ („Mecker-Fonds“) bzw. eine Gesamtabgeltungsklausel vorschlägt. Solchen Klauseln haftet (weil sie materiell ausschließen), wie allen berechtigter Weise diskutierten Lösungen, eines an: Der Unwirksamkeit des materiellen Ausschlusses ohne entsprechende gesetzliche Regelung wird nicht Rechnung getragen, solange die Verjährungsregelung des § 259b InsO verkürzt wird, die frühestens ein Jahr (soweit nicht nach allgemeinen Regeln früher die Verjährung eintritt) nach der Rechtskraft des den Plan bestätigenden Beschlusses wirkt, was voraussetzt, dass die Forderung überhaupt fällig ist (vgl. dazu Rz. 459). Heerma/Bergmann, ZIP 2019, 2377 ff., schlagen eine Justierung am Tatbestandsmerkmal der Fälligkeit vor (§§ 41 bzw. 259b InsO). 611 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 57. 612 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 56. 613 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 57.
Frank | 263
§ 3 Rz. 460 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Für die Gläubiger gibt es damit unterschiedliche Verjährungszeiträume, jeweils bezogen auf den Erörterungs- und Abstimmungstermin: Angemeldete und festgestellte Insolvenzforderungen verjähren gem. § 197 Abs. 1 Ziff. 5 BGB in dreißig Jahren. Für angemeldete, aber nicht festgestellte Insolvenzforderungen ist die Verjährung über § 204 Abs. 1 Ziff. 10 BGB gehemmt. Für nicht angemeldete fällige Insolvenzforderungen wird die Verjährung nicht gehemmt; sie verjähren gem. § 259b InsO in einem Jahr nach Rechtskraft des den Insolvenzplan bestätigenden Beschlusses, wenn nicht die reguläre Verjährung zuvor eintritt. Für nicht angemeldete und nicht fällige Insolvenzforderungen wird die Verjährung nicht gehemmt, sie beginnt nach allgemeinen Regeln zu laufen und verjährt sodann in einem Jahr gemäß § 259b InsO. Die für ein Insolvenzverfahren geltende Fiktion über § 41 Abs. 1 InsO, mit der nicht fällige Forderungen als fällig gelten, greift nicht, weil hierzu eine Behandlung im Tabellenverfahren erforderlich ist. Dies ist nicht gegeben, weil die Forderung gerade nicht angemeldet worden ist. 461
Zum Schutz des Gläubigers, der durch eine beantragte Anordnung auf Vollstreckungsschutz nach § 259a InsO an der zwangsweisen Durchsetzung seiner Ansprüche gehindert ist (dazu sogleich), sieht § 259b Abs. 4 InsO vor, dass die Verjährung der Forderungen während dieser Zeit gehemmt ist. Zudem endet die Hemmung erst drei Monate nach dem Ende des Vollstreckungsschutzes. Dem betroffenen Gläubiger soll damit ausreichend Zeit eingeräumt werden, seinen Anspruch zu verfolgen.
462
Um nach der Aufhebung des Verfahrens die Durchführung des Insolvenzplans nicht zu gefährden, kann der Schuldner beantragen, gegen ihn ausgebrachte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ganz oder teilweise aufzuheben oder längstens für drei Jahre zu untersagen. Wie schon bei § 259b InsO sind Gläubiger als „Nachzügler“ betroffen, die ihre Forderungen nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet haben. Die tatsächlichen Behauptungen, die die Gefährdung begründen, sind für die Zulässigkeit des Antrages glaubhaft zu machen, § 259a Abs. 1 Satz 2 InsO. Beantragt der Schuldner die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, ist für die Begründetheit des Antrags die Glaubhaftmachung der die Gefährdung begründenden Tatsachen ausreichend. Zuständig für den Antrag des Schuldners auf Vollstreckungsschutz ist das Insolvenzgericht.
463
Hinweis: Glaubhaft gemacht ist eine Behauptung, wenn sie überwiegend wahrscheinlich ist (§ 294 ZPO),614 wobei die Prüfung des Gerichts auf die vom Schuldner vorgebrachten Tatsachen und Behauptungen beschränkt ist.615 Anders als im Zivilprozess gilt für die Begründetheit des Antrags des Schuldners jedoch nach § 259a i.V.m. § 5 Abs. 1 InsO der Untersuchungsgrundsatz des Gerichts.616 § 259a InsO stellt einen besonderen Vollstreckungsschutz dar. Die allgemeinen Vorschriften, insbesondere § 765a ZPO bleiben über § 4 InsO anwendbar.
464
Der Antrag des Schuldners wird erfolgversprechend sein, wenn über den Insolvenzplan das fortgeführte Unternehmen voraussichtlich in der Lage sein wird, die Planleistungen (sukzessive und ggf. ratierlich) aus den Überschüssen des fortgeführten Geschäftsbetriebes auch dem „Nachzügler“ gegenüber zu erbringen.
465
Hinweis: Im Rahmen der Prognoseentscheidung sind die Angaben aus den Planrechnungen gem. § 229 InsO unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung heranzuziehen. In der Abwägung sind das Risiko des Scheiterns des Plans und damit der Sanierung mit dem Risiko des Forderungsausfalls beim „Nachzügler“ gegeneinander abzuwägen.
614 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 294 Rz. 1. 615 BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, MDR 2007, 1040 = ZInsO 2007, 491 f. 616 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 38.
264 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 469 § 3
§ 259a Abs. 3 InsO gibt dem Insolvenzgericht entsprechend § 765a Abs. 4 ZPO die Möglichkeit, seinen Beschluss auf Antrag einer Partei aufzuheben oder abzuändern, wenn dies mit Rücksicht auf die Änderung der Sachlage, d.h. nicht nur bei einer rechtlichen Beurteilung, sondern auch bei Vorliegen neuer Tatsachen, geboten ist. Der Beschluss des Insolvenzgerichts ist dabei abschließend (zur sofortigen Beschwerde in Insolvenzplanverfahren vgl. Rz. 415, 434).
466
c) Die Einbindung von Mitschuldnern, Bürgen und sonstigen Nicht-Planbeteiligten Dritten gegenüber, den sog. Nichtverfahrensbeteiligten, entfaltet der Insolvenzplan keine bzw. nur beschränkt direkte Wirkung, arg. e §§ 254 Abs. 2, 254b InsO. Insoweit können Dritte materiell nicht über die Mehrheitsentscheidung zum Plan, sondern nur durch außerhalb des Insolvenzplans liegende Rechtsakte verpflichtet oder sonst einer Regelung unterworfen werden und nur, soweit dies als gesetzliche Folge, mittels Willenserklärung oder über eine sonstige Maßnahme herbeigeführt werden kann. Formell ist die Anbindung solcher Rechtsakte an den Insolvenzplan über § 230 Abs. 3 InsO oder § 249 InsO zu bewirken, was auch für diejenigen Verfahrensbeteiligten gilt, die nicht in den Anwendungsbereich von § 217 InsO fallen (vgl. Rz. 434).617
467
Von entscheidender Bedeutung ist die Regelung in § 254 Abs. 2 InsO. Von Dritten an Gläubiger des Schuldners gestellte Sicherheiten nehmen nicht an den Wirkungen des Abs. 1 teil. Der Bürge oder Mitschuldner (Schuldbeitretende, Garantiegeber, Gesamtschuldner etc.) haftet dem Gläubiger, auch soweit dieser mittels Insolvenzplan (teilweise) auf die Forderung verzichtet oder ein Erlass ausgesprochen wird. Gleiches gilt für Rechte der Insolvenzgläubiger an Gegenständen, die nicht zur Insolvenzmasse gehören. Der Schuldner dagegen wird im Verhältnis zum Bürgen bzw. Mitschuldner oder dem Eigentümer an zur Sicherheit gestellten Gegenständen im Umfang der Planregelung befreit. Damit tragen letztlich die Sicherheitengeber das volle Ausfallrisiko, trotz der unter Gläubigermitwirkung erreichten Entschuldung des Schuldners. Dies gilt auch für gruppeninterne Drittsicherheiten, die aber im Insolvenzplan aufgrund der Ergänzung von § 217 InsO um einen Abs. 2 zwischenzeitlich geregelt werden können.
468
Hinweis: Dies basiert auf dem Verständnis des Gesetzgebers, eine natürliche Verbindlichkeit fortbestehen zu lassen − erfüllbar, aber nicht durchsetzbar (vgl. Rz. 444).618
469
Auch der Geschäftsführer bzw. Vorstand des schuldnerischen Unternehmens haben diese gesetzliche Wertung zu berücksichtigen. Ergeht in Steuerangelegenheiten gegen sie ein Haftungsbescheid vor Rechtskraft des Insolvenzplans, besteht zwischen dem schuldnerischen Unternehmen als Steuerschuldner und ihnen als Haftungsschuldner eine Gesamtschuldnerschaft gem. § 44 AO. § 254 Abs. 2 InsO hat insoweit auch Auswirkungen auf das Steuerrecht. Erfüllung, Aufrechnung und Sicherheitsleistung haben nach § 44 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO Wirkung für alle Gesamtschuldner, allen anderen Tatsachen kommt nach dem Steuerrecht nur Einzelwirkung zu. Insoweit bleibt die steuerliche Haftung des Geschäftsführers und Vorstands bestehen und die gesamtschuldnerische Haftung schlägt auf sie trotz Restschuldbefreiung gem. § 227 InsO für das schuldnerische Unternehmen über § 254 Abs. 2 InsO durch.619 Dieser Umstand ist für die Gleichbehandlung im Rahmen von § 226 Abs. 2 InsO fruchtbar zu machen. Wird ein Gläubiger formal quotal betrachtet ungleich behandelt, so leidet der Plan innerhalb der betroffenen Gruppe ohne sein Einverständnis an einem Mangel, der allerdings im Rahmen der materiellen Betrachtung unter Einbeziehung des Rechtsgedankens aus § 254 Abs. 2 InsO unbeachtlich ist (vgl. Rz. 179 ff.).
617 OLG Dresden v. 18.12.2012 – 13 U 1032/12, ZInsO 2012, 139 f. 618 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, MDR 2011, 1074 = NZI 2011, 538 ff. 619 BFH v. 15.5.2013 – VII R 2/12, ZIP 2013, 1732 ff. Vgl. hierzu auch Fölsing, ZInsO 2012, 1409 ff.; Paul, EWiR 2012, 427 f. sowie Hiebert, EWiR 2013, 691 f. Die Massesicherungspflicht im Verhältnis zur Steuerzahlungspflicht untersuchen Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405 ff.
Frank | 265
§ 3 Rz. 470 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
d) Wiederaufleben gestundeter oder teilerlassener Forderungen 470
Gerät der Schuldner mit der Erfüllung des Plans in erheblichen Rückstand, wird die im Plan geregelte Stundung oder ein teilweiser Erlass hinfällig, bezogen auf das jeweils rückständige Rechtsverhältnis, § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO. Unabhängig davon wird die Stundung oder der (teilweise) Erlass für alle Insolvenzgläubiger hinfällig, wenn vor vollständiger Erfüllung des Plans über das Vermögen des Schuldners ein neues Insolvenzverfahren eröffnet wird, § 255 Abs. 2 InsO.620 Durch den Rückstand allein findet weder ein neues Verfahren statt, noch wird das aufgehobene Verfahren fortgesetzt. Auch der Insolvenzplan bleibt weiter in Kraft. Missverständlich ist insoweit der Gesetzestext, der in der Überschrift von einer „Wiederauflebensklausel“ spricht. Eine Aufnahme in den Insolvenzplan wird nicht vorausgesetzt, die Rechtsfolgen treten ohne Rücktrittserklärung oder sonstiger gestaltender Willenserklärung der Beteiligten von Gesetzes wegen ein.
471
Das „Wiederaufleben“ ist insoweit Ausdruck der Stellung der plangeregelten Forderung als natürliche Verbindlichkeit (vgl. Rz. 444).621
472
Hinweis: Die Wiederauflebensklausel umfasst nicht dingliche Rechte, die durch die Wirkung des Insolvenzplans erloschen sind.622 Dies unterstellt, dass Absonderungsberechtigte auf dingliche Rechte verzichten würden in Kenntnis des Umstands, im Nichterfüllungsfall schlechter zu stehen als der Insolvenzgläubiger.623 Der Planersteller wird deshalb darauf abstellende und den Insolvenzplan insoweit ablehnende Gläubiger, soweit er auf deren Zustimmung angewiesen ist, besonders einbinden müssen. Als Auffanglösung könnte sich bspw. für Sicherungsrechte an einem Warenlager anbieten, Verfügungen über das Sicherungsgut zuzulassen und erst für den Fall der Erfüllung des Insolvenzplans auf Rechte am Warenlager zu verzichten. So bleibt das Sicherungsrecht erhalten, wenn auch die anschließende Werthaltigkeit des Sicherungsguts durch Entnahmen in Frage stehen mag und ggf. anderweitig kompensiert werden muss. Alternativ kann auf dingliche Rechte auflösend bedingt verzichtet werden, wobei dingliche Eintragungsansprüche mittels Vormerkung gesichert werden können.624
473
Der Begriff des erheblichen Rückstands wird in § 255 Abs. 1 Satz 2 InsO erläutert. Dieser liegt vor, wenn eine den Planregelungen entsprechend fällige Verbindlichkeit nicht bezahlt wird, obwohl der jeweils betroffene Gläubiger schriftlich gemahnt und eine Nachfrist von mindestens zwei Wochen gesetzt hat.625 Die Aufforderung muss die nach dem Insolvenzplan ausstehende Leistung konkret bezeichnen.626 Sind entsprechend den Regelungen des Insolvenzplans Leistungen von Dritten zu erbringen und diese in Rückstand, findet § 255 InsO keine Anwendung.627 Im Plan nicht regulierte (und damit nicht gestundete oder teilerlassene) nicht nachrangige Insolvenzforderungen können bei Erfüllungsrückstand regulär vollstreckt werden. Einer Nachfristsetzung bedarf es nicht. Vollständig erlassene Forderungen, insbesondere nachrangige Insolvenzforderungen (§ 225 Abs. 1 InsO), bleiben erlassen.
620 Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 255 Rz. 15 ff., erkennt zutreffend, dass dies ebenfalls gilt, wenn der Antrag auf Eröffnung des neuen Verfahrens mangels Masse abgewiesen wird. A.A. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 255 Rz. 19. Für den PSVaG gilt die Sonderregelung in § 9 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG, s. hierzu Rz. 201. Rugullis, NZI 2012, 825 ff., beschreibt das Verhältnis von § 255 zu § 259b InsO. 621 Rugullis, KTS 2012, 269 ff., zeigt die Wirkungen und Unterschiede der §§ 227 und 255 InsO auf. 622 Der Gesetzgeber hat dies bewusst so geregelt mit der Begründung, dies sei praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 515. 623 Dies allein ist aber keine Schlechterstellung i.S.d. §§ 245 bzw. 251 InsO. 624 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 255 Rz. 5; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 490; in diese Richtung auch Huber/Madaus in MünchKomm/InsO, § 255 Rz. 15. 625 Die geringeren Anforderungen des Verzugs nach allgemeinem Zivilrecht sind nicht ausreichend. 626 OVG Sachsen-Anhalt v. 16.3.2021 – 4 M 140/20, ZInsO 2021, 1073, 1076. 627 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 515.
266 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 479 § 3 Hinweis: Das Recht der allgemeinen Leistungsstörungen nach BGB, insbesondere die Verzugsregelungen finden wegen der z.T. abweichenden Anforderungen keine Anwendung. Dies schließt nicht aus, dass für einzelne Rechtsbegriffe auf das BGB zurückgegriffen wird.628 Ein Verschulden ist für ein Wiederaufleben nicht erforderlich. Eine Klage auf Aufhebung des Insolvenzplans wegen Nichterfüllung ist ausgeschlossen.629 Ein Rückstand kommt nur in Bezug auf die Hauptverpflichtung, nicht auch auf die Erfüllung von Nebenpflichten in Betracht.630
474
Dem Planeinreichenden steht es frei, abweichende Regelungen zu treffen, wobei Abs. 1 zum Nachteil des Schuldners nicht geändert werden kann, § 255 Abs. 3 Satz 2 InsO.
475
Eine Sonderregelung trifft § 256 InsO, der das Wiederaufleben streitiger Forderungen und der Höhe nach noch nicht feststehender Ausfallforderungen absonderungsberechtigter Gläubiger abweichend zu § 255 InsO reguliert. Nach § 256 Abs. 1 InsO orientiert sich ein entsprechendes Aufleben bis zur endgültigen Klärung an der vorläufigen (Ausfall-)Forderungshöhe, die das Insolvenzgericht bei der Stimmrechtsfeststellung zugrunde gelegt hat.631 Wurde keine Stimmrechtsfeststellung vorgenommen, hat das Gericht auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers nachträglich festzustellen, in welchem Ausmaß der Schuldner vorläufig die Forderungen zu berücksichtigen hat. Bevor diese Feststellung nicht erfolgt, kann der Schuldner nicht gem. § 255 InsO in Rückstand geraten.632 Erweist sich die vorläufige Regulierung später als nicht zutreffend, regulieren die Abs. 2 und 3 von § 256 InsO die Rechtsfolgen der Unterzahlung oder Überzahlung des Schuldners.633
476
Hinweis: Eine Einigung der Beteiligten i.S.v. § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO macht die Entscheidung des Gerichts nicht entbehrlich.634
477
Die Vorschrift des § 256 InsO ist insoweit lex specialis und verdrängt die §§ 189, 190 InsO, die für das Verteilungsverfahren im Regelinsolvenzverfahren die Behandlung bestrittener Forderungen regulieren.635
478
e) Vollstreckungsmöglichkeit aus dem Plan Mit § 257 Abs. 1 InsO wird den Insolvenzgläubigern nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Durchsetzbarkeit plangeregelter Forderungen ermöglicht, ohne dass zusätzlich der Klageweg beschritten werden müsste. Dies bedeutet allerdings nicht, dass nur auf diesem Wege Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommen werden könnten, Abs. 1 dient allein der erleichterten wie auch beschleunigten Durchsetzung. Ergibt sich deshalb aus den Planregelungen selbst noch kein vollstreckbarer Inhalt, bspw. weil Vermögenswerte erst zu verwerten sind, müssen die Gläubiger den normalen Klage-
628 Insgesamt hierzu Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 217 Rz. 50 m.w.N. 629 Haas in HK/InsO, § 255 Rz. 7; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 255 Rz. 3 f. 630 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 255 Rz. 6; Rattunde in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 255 Rz. 3; ausführlich hierzu auch Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 255 Rz. 15 ff. 631 A.A. für die Ausfallforderung Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 256 Rz. 8 ff., der die vom Insolvenzverwalter anerkannte vermutete Ausfallforderung für maßgeblich hält. 632 Die Frage der Zulässigkeit von Ausschlussklauseln noch offenlassend, kommt für „Nachzügler“ (vgl. Rz. 451 ff.) § 256 InsO analog zur Anwendung, BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 907/11, ZInsO 2013, 2439, 2443 f., im Anschluss an BGH v. 10.5.2012 – IX ZR 206/11, NZI 2013, 84, 85. 633 Abweichend zu § 254 Abs. 3 InsO kann sich der die Überzahlung erhaltende Gläubiger nicht auf eine natürliche Verbindlichkeit berufen und die Rückzahlung verweigern. 634 Huber/Madaus in MünchKomm/InsO, § 256 Rz. 11; a.A. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 256 Rz. 7. 635 Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 256 Rz. 3 f.
Frank | 267
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§ 3 Rz. 479 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung weg zur Durchsetzung der plangeregelten Ansprüche beschreiten.636 Soweit der Insolvenzverwalter für die Planerfüllung zu sorgen hat, wird dies nicht erforderlich sein.637 Hat der Schuldner die Planleistungen zu erbringen, kann dies die Durchsetzbarkeit für die Gläubiger erschweren. Neben der Planregelung und damit der Erstreckung der Wirkungen des § 254 InsO müssen die Forderungen festgestellt (§ 178 Abs. 1 InsO) und dürfen deshalb nicht mehr bestritten oder ein Widerspruch muss beseitigt sein (§ 257 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nicht angemeldete oder nicht festgestellte Forderungen unterliegen zwar den Wirkungen des § 254 InsO, werden aber wegen fehlender gerichtlicher Feststellung nicht nach § 257 InsO tituliert, selbst wenn der Plan einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. 480
Vollstreckungstitel ist der entsprechende Tabellenauszug zusammen mit dem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan. Zur Vollstreckung ist somit eine Ausfertigung des Tabellenauszugs, des Insolvenzplans mit Rechtskraftvermerk sowie Vollstreckungsklausel erforderlich.
481
Hinweis: Die Vollstreckungsklausel ist in die Tabelle einzutragen mit dem Vermerk der Beschränkung auf die durch den Insolvenzplan modifizierten Forderungen. Die Erteilung kann bereits vor der Insolvenzverfahrensaufhebung erfolgen, weil dies noch nicht den Beginn der Vollstreckungsmaßnahme darstellt. Damit werden frühere Vollstreckungstitel der Gläubiger formal verdrängt. Der (Vollstreckungs-)Schuldner kann über § 766 ZPO vorgehen und den Verfahrensverstoß geltend machen, soweit aus dem früheren Titel vorgegangen wird.638 Dies gilt entsprechend für öffentlich-rechtliche Leistungsbescheide mit Ausnahme solcher für Steuerforderungen und sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, für Letztere aufgrund der „doppelspurigen“ Vollstreckungsmöglichkeit nach ZPO und AO bzw. über § 66 Abs. 4 SGB X.639 Die entsprechende Berücksichtigung der Plangestaltung ist allerdings auch in Steuer- oder Sozialversicherungsfällen erforderlich. Macht hingegen der Schuldner materiell-rechtliche Einwendungen gegen den früheren Vollstreckungstitel geltend, bspw. die Erfüllung der auch den Insolvenzplanregelungen unterliegenden Forderung, ist statthaft allein die Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO, weil das Vollstreckungsgericht im Rahmen von § 766 ZPO nicht zu entscheiden hat, ob die zu vollstreckende Forderung dem erfüllten Insolvenzplan materiellrechtlich unterliegt.640 Die in der Praxis zur Erreichung eines vollstreckungsfähigen Inhalts von den Gerichten geforderte Angabe einer „Mindestquote“ ist vom Gesetz nicht vorgesehen und entlastet den Gläubiger nicht wirklich.641 Eine solche Planänderung steht zudem nur dem Planverfasser zu bzw. es ist Aufgabe der Gläubiger, im Erörterungs- und Abstimmungstermin entsprechendes zu fordern; anderenfalls müssen sie den Plan ablehnen. Entscheidend ist, ob die Planregelungen der gebotenen Klarheit und Widerspruchsfreiheit Rechnung tragen. Ist dies der Fall, sind Regelungen mit einer feststehenden Quote, einer variablen Quote (der Erlös näher bestimmter Vermögenswerte wird zum planbestimmten Zeitpunkt an die berechtigten bekannten Gläubiger verteilt, die berechtigten aber unbekannten Gläubiger können innerhalb der Verjährungsvorschriften, vgl. dazu Rz. 457 ff., die nachberechnete variable Quote geltend machen) oder einer Kombination aus beiden Quotenvarianten (feste Quote mit Besserungsschein) statthaft.642 In sich widersprüchliche Regelungen
636 Vgl. OLG Celle v. 20.11.2006 – 4 U 166/06, ZIP 2006, 2394, 2395, das auf die Möglichkeit verweist, die Zwangsvollstreckung gem. § 257 InsO zu betreiben, soweit ein vollstreckungsfähiger Inhalt gegeben ist. OVG Sachsen-Anhalt v. 16.3.2021 – 4 M 140/20, ZInsO 2021, 1073, 1077: Leistungsklage gegen den Schuldner, um die Forderung in Höhe der (ggf. nachträglich zu ermittelnden) Planquote zu titulieren. Mit dem Hinweis auf „eine“ Vollstreckbarkeitsregelung: Otte/Wiester, NZI 2005, 70, 72. 637 Anderenfalls läge jedenfalls keine hinreichende Qualifikation i.S.v. § 56 InsO (mehr) vor. 638 Huber/Madaus in MünchKomm/InsO, § 257 Rz. 40 f. 639 Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 257 Rz. 19. 640 AG Leipzig v. 9.12.2010 – 431 M 22552/10, ZInsO 2012, 336 ff. 641 Vgl. hierzu Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 257 Rz. 3, m.w.N. 642 Mit einem kompakten Überblick stellt Weber, ZInsO 2017, 255 ff., sogleich die unterschiedlichen Varianten auf den Prüfstand. Unzutreffend LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920 ff., das die Bezifferung einer Rückstellung für wiederauflebende Forderungen im Falle des Obsiegens eines Anfechtungsrechtsstreits fordert. Erinnerungswerte und abstrakte Regelungen sind im Insolvenzplan zulässig, solange sie in sich widerspruchsfrei und konsistent sind.
268 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 487 § 3 bergen das Risiko, letzten Endes nicht ausgelegt werden zu können, womit selbst bei einer im Insolvenzplan aufgenommenen „festen Insolvenzquote“ die gebotene Vollstreckungsfähigkeit in Frage gestellt werden kann.643 Es gilt zu erkennen, dass in einem Planverfahren, anders als in einem Regelverfahren mit zwei Variablen gearbeitet werden muss. In einem Regelverfahren legt zum Schluss des Verfahrens der Insolvenzverwalter Rechnung über gegebene Ist-Werte. Damit wird im System der Buchhaltung gearbeitet. In der Planvariante sind prognostizierte Werte der Planlösung mit prognostizierten Werten des Regelverfahrens miteinander zu vergleichen. Die Beteiligten treffen somit Entscheidungen aufgrund von Plan-Werten. Selbst wenn eine feste Planquote zusagt wird, ist der Wert des Regelverfahrens immer ein prognostizierter Wert. Warum deshalb nur bereits feststehende Planleistungswerte eine Planlösung ermöglichen sollen oder weitergedacht, nur damit für die Gläubiger eine spätere Vollstreckbarkeit erreicht werden kann, wird von den Kritikern nicht erklärt. In diesem Kontext geforderte Rückstellungsbildungen helfen nicht weiter.644
Einstweilen freibleibend.
482–483
Absonderungsberechtigte Gläubiger (vgl. § 10) fallen mit ihren Absonderungsrechten, soweit überhaupt ein vollstreckbarer Inhalt in Form eines Leistungsgebots vorliegen würde, nicht in den Anwendungsbereich des § 257 InsO, weil die bloße Erteilung des Stimmrechts gem. § 238 InsO keine ausreichende Titulierungsgrundlage darstellt.645 Weist dagegen der absonderungsberechtigte Gläubiger seinen Verzicht (vgl. § 10 Rz. 392 ff.) oder Ausfall (vgl. § 10 Rz. 376 ff.) nach oder ist dies bereits aus der Tabelle ersichtlich, kann er als Insolvenzgläubiger (§ 52 Satz 2 InsO) vollstrecken.646
484
Die Titulierungswirkung des Insolvenzplans i.V.m. dem Tabelleneintrag wird gem. § 257 Abs. 2 InsO gegen Dritte erstreckt, die durch eine schriftliche Erklärung neben oder anstelle des Schuldners aufgrund Bürgschaft, Schuldübernahme oder Garantieerklärung/-vertrag für die Erfüllung des Plans ohne Vorbehalt der Einrede der Vorausklage Verpflichtungen übernommen haben (sog. Plangaranten). Die Erklärungen sind spätestens nach der Erörterung und vor der Abstimmung über den Insolvenzplan als Anlage zum Plan zu nehmen (§ 230 Abs. 3 InsO).
485
Hinweis: Abweichend von § 771 BGB muss die Erklärung den Verzicht auf einen Vorbehalt der Einrede der Vorausklage enthalten. Ist dies nicht der Fall, muss der Klageweg gegen den Plangaranten beschritten und ein Titel gegen ihn erwirkt werden. Trotz fehlender formeller Voraussetzungen gem. § 257 Abs. 2 InsO bleibt der Plangarant den Wirkungen des § 254 InsO unterworfen, wenn seine Erklärung Voraussetzung für den Insolvenzplan war, § 230 Abs. 3 InsO.
486
Soweit Rückstände in der Planerfüllung entstehen und Forderungen gemäß der §§ 255, 256 InsO wieder aufleben, kann der Gläubiger die wiederaufgelebten Forderungen auch nach Abs. 1 vollstrecken. Er muss aber zusätzlich die Mahnung und den Ablauf der Nachfrist glaubhaft machen, § 257 Abs. 3 InsO (zur Glaubhaftmachung vgl. Rz. 402).
487
643 Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 115: Art, Zeit und Umfang der Gläubigerbefriedigung müssen festgelegt sein. Dies aufgreifend BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, DZWiR 2018, 486, 490 f.: Unschädlich ist, wenn generelle und abstrakte Regelungen Verwendung finden, soweit sie auslegungsfähig sind. 644 So aber bspw. AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14 - 7, ZInsO 2016, 2093 ff. Gibt der Plan vor, dass erst in der Zukunft Vermögenswerte realisiert werden müssen, bspw. ein Teil der zukünftigen Erträge des fortgeführten Unternehmens dazu Verwendung finden, kann erst zukünftig die endgültige Planleistung bestimmt werden. Dabei kann der Planersteller auch mit Bedingungen arbeiten, „…wenn, dann…, wenn nicht, dann .…“. Dies alles ist zulässiger Planinhalt. 645 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 516; Haas in HK/InsO, § 257 Rz. 6; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 257 Rz. 8; a.A. Lüer/Streit in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 257 Rz. 9. 646 Der bloße Tabelleneintrag „für den Ausfall festgestellt“ reicht zur Vollstreckung der dem absonderungsberechtigten Gläubiger abstrakt zustehenden Ausfallforderung nicht aus, auch wenn die Verwertung des Absonderungsrechts bislang erfolglos war, OVG Sachsen-Anhalt v. 16.3.2021 – 4 M 140/20, ZInsO 2021, 1073 ff.
Frank | 269
§ 3 Rz. 488 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
f) Steuerliche Wirkungen und Folgen des Insolvenzplans 488
§ 251 Abs. 2 Satz 2 AO einerseits und § 1 InsO andererseits grenzen die jeweils spezifischen Regelungsbereiche des Steuerrechts und des Insolvenzrechts ab, ohne einen Vorrang eines Rechtsgebiets vor dem anderen zu begründen. Das Steuerrecht bestimmt Art, Grund und Höhe des Anspruchs, dem Insolvenzrecht vorbehalten bleibt die Regulierung, ob und in welcher Form steuerrechtliche Ansprüche im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können und wie sie daran teilnehmen.647 Für den Steuergläubiger folgt damit unabhängig von der öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur seines Anspruchs, dass er Insolvenzgläubiger ist, soweit er kein Aussonderungsrecht und kein Absonderungsrecht hat und ihm der Schuldner persönlich haftet. Als Insolvenzgläubiger und/oder Absonderungsrechtsinhaber nimmt er wie andere Beteiligte am Insolvenzplanverfahren entsprechend den Planregelungen gemäß den §§ 217 ff. InsO teil. Qualifiziert die Insolvenzordnung die Schuld bzw. Haftung als Masseverbindlichkeit, bspw. über § 55 Abs. 2 oder Abs. 4 InsO, oder steht dem Gläubiger ein Aussonderungsrecht zu, ist er nicht Beteiligter des Insolvenzplanverfahrens.
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Soweit im gestaltenden Teil des Insolvenzplans Regelungen über die Behandlung von Steuer-Absonderungsrechten und/oder -Insolvenzforderungen aufgenommen sind, gelten die Planregelungen. Ist deshalb bspw. die zinslose Stundung der Insolvenzforderungen vorgesehen, sind die §§ 233 ff. AO nicht anwendbar.
490
Soweit die Beteiligten auf Forderungen bzw. die Geltendmachung von Absonderungsrechten verzichten, kann ein (Buch-)Gewinn entstehen, der grds. zu versteuern ist.648 Die finanzwirtschaftliche Entlastung führt zu einer Steuerlast insbesondere im Bereich der Ertragsteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) im Zeitpunkt der Bestätigung des Insolvenzplans gem. § 248 InsO, die damit für den Regelfall des § 227 InsO zur Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Ziff. 1 InsO (durch die Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse in anderer Weise, nämlich durch den Insolvenzplan) qualifiziert wird.649 Mit der Ergebnisoffenheit des Insolvenzplanverfahrens lassen sich die steuerlichen Folgen nicht auf den Begriff des Sanierungsgewinns reduzieren, wenngleich dieses Thema die
647 Denkhaus/Mühlenkamp, ZInsO 2002, 956, stellen die Rechtslage der Auswirkungen eines Insolvenz (plan)verfahrens auf die steuerliche Gemeinnützigkeit eines Vereins anhand eines Praxisfalls dar und kommen zum Ergebnis, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht automatisch zum Verlust der Gemeinnützigkeit führt, insbesondere wenn ein Planverfahren zur Eigensanierung durchgeführt wird. 648 Für die Gewinnermittlung gemäß der §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs unstrittig, für die Gewinnermittlung nach der Einnahme-Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG noch nicht abschließend geklärt, vgl. bspw. Schmittmann, ZInsO 2003, 505 ff.; Denkhaus/ Mühlenkamp, ZInsO 2002, 956 ff.; Maus, ZIP 2002, 589 ff.; Stapper, ZInsO, 2009, 2361 ff.; Jacobi, ZInsO 2010, 2316 ff. 649 Der Zeitpunkt, in dem der Gewinn durch den Erlass von Verbindlichkeiten im Insolvenzplan steuerlich realisiert wird, ist umstritten, vgl. Siebert/Frank, GmbH-StB 2008, 243 f.; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029 ff.; Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 5 Rz. 671, machen deutlich, dass unabhängig vom Zufluss der Zeitpunkt der Realisation maßgeblich ist: es muss ausreichend sicher sein; BFH v. 12.6.1980 – IV R 150/79, BStBl. II 1981, 8 (für den Zwangsvergleich nach der Konkursordnung); Maus, NZI 2000, 449 ff.; Realisierung erst im Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung: Georg, ZInsO 2000, 93 ff.; Levdag in Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 3a Rz. 10; die Problematik der Ermittlung der Höhe der Masseverbindlichkeit beschreibend: Kahn/Adam, ZInsO 2008, 899, und Maus, ZIP 2002, 589, jeweils m.w.N. FG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 10 K 10245/14, NZI 2016, 463 f., stellt unter Berücksichtigung der Regelung in § 227 InsO auf den Zeitpunkt der der rechtskräftigen Planbestätigung ab. So auch BFH v. 22.10.2014 – I R 39/13, ZIP 2015, 141 ff., maßgeblich sind das Realisationsprinzip für die Gewinnermittlung und dass Verbindlichkeiten dann nicht mehr zu passivieren sind, wenn diese keine wirtschaftliche Belastung mehr darstellen, d.h. nicht mehr durchsetzbar sind. Vgl. hierzu auch BFH v. 15.11.2018 – XI B 49/18, DZWiR 2019, 171 ff., m.w.N.: Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung.
270 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 494 § 3
Praxis seit den Anfängen des Planverfahrens beherrscht. Als steuerrelevante Sanierungsmaßnahmen kommen neben dem Forderungsverzicht in unterschiedlichen Ausprägungen (Bedingungen, Besserungsschein etc.) insbesondere auch der Rangrücktritt und Schuldbeitritt und mit dem ESUG die Varianten der gesellschaftsrechtlich veranlassten Kapitalzufuhr mit Geld- oder Sacheinlage, auch dem dept equity swap in Betracht. Dabei können sich steuerliche Auswirkungen nicht nur bei dem zu sanierenden Unternehmen, sondern gerade auch bei dem die Sanierungsmaßnahme Leistenden ergeben (vgl. grundsätzlich die Ausführungen zur steuerrechtlichen Beratung unter § 14 Rz. 6 ff. und Rz. 139 ff.). Zwar werden regelmäßig Verlustvorträge vorhanden sein, die – unter Berücksichtigung der Regelungen zur Mindestbesteuerung – gegen einen Sanierungsgewinn, entstanden durch die Umsetzung des Insolvenzplans, gerechnet werden können. Ist ein Verlustvortrag nicht oder nicht im ausreichenden Umfang vorhanden oder können (zusätzliche) Vermögensabwertungen nicht im erforderlichen Maße vorgenommen werden, droht die durch den Insolvenzplan an sich erreichte Sanierung durch die nachfolgende Besteuerung des Sanierungsgewinns zu scheitern. Und dies, obwohl mit dem Insolvenzereignis als Zäsur, eine Zahlungsverpflichtung aus dem (Buch-)Gewinn entstehen würde, welcher kein Liquiditätszugang gegenübersteht (es handelt sich weder um Insolvenzforderungen, mit denen der Fiskus wie alle anderen Gläubiger am Insolvenzverfahren, z.T. über § 55 Abs. 4 InsO zu Masseverbindlichkeiten qualifiziert, teilnimmt, noch um Masseverbindlichkeiten aus dem eröffneten Insolvenzverfahren) und insoweit auch keine echte Leistungsfähigkeitssteigerung einhergeht.650 Mit Streichung des bis zum 31.12.1997 geltenden Sanierungsprivilegs in § 3 Ziff. 66 EStG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.4.1997, BGBl. I, 821 ff.) wurde vom Gesetzgeber der in § 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO enthaltene Grundsatz des Unternehmenserhalts als ein mögliches Ziel des Insolvenzplanverfahrens maßgeblich erschwert. Schon vor der Einführung der Insolvenzordnung war der BFH der Auffassung, dass eine Besteuerung des Sanierungsgewinns nicht sinnvoll sei, wenn dadurch der Schulderlass durch die Gläubiger seinen Zweck verfehle.651 Zunächst ging aber der Gesetzgeber im Rahmen der Steuerreform davon aus, dass einzelnen persönlichen oder sachlichen Härtefällen im Stundungs- oder Erlasswege begegnet werden kann.652 Letztlich hat selbst das Bundesfinanzministerium einen Zielkonflikt mit der Insolvenzordnung festgestellt, unbeschadet der für die Beteiligten, insbesondere für Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter und Planverfasser bestehenden Haftungsrisiken.
491
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat auf die in verschiedensten Beiträgen und Diskussionen geäußerte Kritik reagiert und für einen Teilbereich in einem Schreiben zur ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen Stellung genommen.653 Das hierzu ergangene BMF-Schreiben654 (sog. Sanierungserlass) war auf Sanierungsgewinne, die aus unternehmensbezogenen Sanierungen oder im Falle der Unternehmenseinstellung bzw. übertragenden Sanierung zumindest aus betrieblichen Gründen entstehen anzuwenden, für die die Regelung des § 3 Ziff. 66 EStG a.F. nicht mehr galt.
492
Auch der Sanierungserlass ist zwischenzeitlich Vergangenheit: Der Große Senat des BFH hat mit seinem Beschluss vom 28.11.2016 den Sanierungserlass des BMF als rechtswidrig verworfen.655
493
Hinweis: Der BFH erkannte zwar grundsätzlich an, dass Sanierungsgewinne, jedenfalls nachdem sie mit Verlusten verrechnet worden sind, nicht zu besteuern sind. Die im Sanierungserlass beschriebenen Fälle rechtfertigten allerdings keine Billigkeitsmaßnahmen (nach § 163 Satz 1 oder § 227 AO), da die Kriterien für eine sachliche
494
Vgl. hierzu auch die Anmerkung von Krumm, EWiR 2012, 335 f., zu BFH v. 28.2.2012 – VIII R 2/08. Vgl. hierzu auch BFH v. 19.3.1991 – VIII R 214/85, BStBl. II 1991, 633 ff. BT-Drucks. 13/7480 v. 22.4.1997, 192. Vgl. bspw. Kroschel, DStR 1999, 1383 ff.; Georg, ZInsO 2000, 93 ff.; Vögeli, ZInsO 2000, 144 ff.; die Gegenmeinung darstellend bspw. Groh, DB 1996, 1890 ff. 654 BMF Schreiben vom 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140 - 8/03: Ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen – Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen, ZInsO 2003, 363 ff. 655 Vgl. BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 ff.
650 651 652 653
Frank | 271
§ 3 Rz. 494 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Unbilligkeit in diesen Fällen nicht erfüllt seien. Demnach sei es eine alleine dem Gesetzgeber – und nicht der Finanzverwaltung – obliegende Entscheidung, ob und wie der Fiskus sich an der Sanierung von Unternehmen beteilige. Durch den Sanierungserlass sei das BMF in gesetzesvertretender Weise tätig geworden, da es eine strukturelle Gesetzeskorrektur vornahm. Dadurch habe das BMF gegen das Legalitätsprinzip (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) verstoßen. 495
In Folge des BFH-Beschlusses hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017 (SchädIStPraktG) die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen nunmehr erneut gesetzlich fixiert.656 Hierzu wurden Regelungen in § 3a EStG geschaffen.657 Die Anwendbarkeit der Neuregelung stand zunächst noch unter dem Vorbehalt, dass die Europäische Kommission diese nicht als schädliche Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV qualifiziert, Art. 6 SchädIStPraktG. Nachdem die Europäische Kommission mittels übersandten Comfort Letter vom 31.7.2018 an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union die Regelung als nicht zu beanstandende Altbeihilfe qualifiziert hat, ist die Regelung rückwirkend auf den 5.7.2017 in Kraft getreten und erstmals in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017658 erlassen wurden, § 52 Abs. 4a S. 1 EStG.
496
Noch nicht bestandskräftige Altfälle, d.h. solche, die vor dem Stichtag lagen und bislang offen gehalten wurden, war damit noch nicht geholfen.659 Der Gesetzgeber wurde erneut tätig und hat mit dem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet vom 11.12.2018660 auch hierfür eine Regelung geschaffen. § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG beinhaltet nunmehr ein Antragsrecht, wonach § 3a EStG rückwirkend auch auf sog. Altfälle angewandt werden kann, in denen die Schulden ganz oder teilweise vor dem 9.2.2017 erlassen worden sind.661
497
Nach der Regelung des § 3a Abs. 1 EStG bleiben Sanierungserträge steuerfrei, wenn eine unternehmensbezogene Sanierung vorliegt. Die Steuerbefreiungsvorschrift knüpft für die Frage, ob eine derartige unternehmensbezogene Sanierung vorliegt, an die gleichen Voraussetzungen an, die bereits der Sanierungserlass formuliert hat. Diese sind die Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des betrieblich begründeten Schuldenerlasses sowie die Sanierungsabsicht des Gläubigers.
498
Sind diese Voraussetzungen insgesamt erfüllt, ist der gesamte Sanierungsertrag nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG steuerfrei. Korrespondierend zur Steuerfreistellung der Sanierungserträge sieht § 3c Abs. 4 EStG vor, dass Kosten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sanierung nicht steuermindernd geltend gemacht werden dürfen. Nicht abzugsfähige Sanierungskosten nach § 3c Abs. 4 sind deshalb eigenständig (ggf. außerbilanziell) hinzuzurechnen.662
499
Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns wird unabhängig von der Gewinnermittlungsart gewährt, so dass die Befreiung sowohl für Einkünfte gilt, die mittels Betriebsvermögensvergleich ermittelt werden als auch im Falle der Gewinnermittlung durch Einnahmeüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EstG.663 656 BGBl. I 2017, 2074 ff. 657 Die Steuerbefreiung gilt entsprechend auch für die Körperschaftsteuer (§ 8 Abs. 1 KStG) und die Gewerbesteuer (§ 7b GewStG). 658 Tag der Veröffentlichung des Beschlusses des BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 ff. 659 Siehe hierzu auch BFH v. 15.11.2018 – XI B 49/18, DZWiR 2019, 171 ff., mit einer Anmerkung von Schmittmann, a.a.O., 151 ff., zu einem jetzt nicht mehr offenen Altfall, der zugleich einen komprimierten (historischen) Überblick von der Weimarer Republik bis zur Rechtslage ab 2017 zur steuerlichen Behandlung des Sanierungsgewinns gibt. 660 BGBl. I 2018, 2338 ff. 661 Gleichlautende Übergangsregelungen enthalten § 34 Abs. 3b KStG für die Körperschaftsteuer und § 36 Abs. 2c GewStG für die Gewerbesteuer. 662 Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 3a EStG Rz. 32; Levdag in Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 3a Rz. 31. 663 Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 3a EStG Rz. 13.
272 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 506 § 3
Zu berücksichtigen ist, dass § 3a EStG die Steuerbefreiung nur auf denjenigen Sanierungsertrag gewährt, der nach Nutzung bzw. Verrechnung sämtlicher in § 3a Abs. 3 EStG genannten Steuerminderungspotentiale (z.B. Aufwand aufgrund Verpflichtungsübertragung nach § 4f EStG, nach § 15a oder § 15b EStG ausgleichsfähige oder verrechenbare Verluste sowohl des Sanierungsjahres als auch der Vorjahre, Verluste nach § 15 Abs. 4 EStG sowie laufende Verluste und festgestellte Verluste nach § 10d EStG etc.) verbleibt, so dass faktisch ein Zwang zur Nutzung und Verrechnung dieser Steuerminderungspotentiale besteht. Bei dieser Verrechnung geht die Regelung so weit, dass bspw. im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten auch die Steuerminderungspotentiale des anderen Ehegatten auszuschöpfen sind.
500
Gemäß § 8 Abs. 1 KStG gilt § 3a EStG auch für Körperschaftssteuersubjekte, wobei Besonderheiten für gewerbliche Betriebe nach § 8 Abs. 8 Satz 6, Abs. 9 Satz 9 KStG und für Organgesellschaften nach § 15 Abs. 1 Ziff. 1 und 1a KStG gelten.664
501
Nach § 7b Abs. 1 GewStG findet § 3a EStG auch auf die Gewerbesteuer Anwendung, wobei § 7b Abs. 2 GewStG zu beachten ist.
502
Im Unterschied zum Sanierungserlass werden von § 3a Abs. 5 EStG auch unternehmerbezogene Sanierungen erfasst, jedoch ausweislich des Gesetzestextes (nur) Erträge aus einer nach §§ 286 ff. InsO erteilten Restschuldbefreiung, einem Schuldenerlass aufgrund eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans zur Vermeidung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens oder aufgrund eines solchen Schuldenbereinigungsplans, dem in einem Verbraucherinsolvenzverfahren zugestimmt wurde, wenn die Zustimmung durch das Gericht ersetzt wurde.
503
Der in der Praxis ebenfalls bedeutsame Fall, dass der Insolvenzplan nur der Entschuldung des (ggf. vormaligen) Unternehmers dient, wird vom Wortlaut des § 3a Abs. 5 EStG nicht erfasst. Es ist bislang nicht abschließend geklärt, ob dieses Ergebnis vom Gesetzgeber gewollt war, was nahe liegt, weil ein derartiger Insolvenzplan i.d.R. den in § 3a Abs. 5 EStG genannten, von der Steuerfreiheit umfassten Fall der Restschuldbefreiung gerade ersetzen soll.
504
Die nunmehr gesetzliche Regelung der Steuerfreiheit eines Sanierungsertrags stellt für die Praxis insoweit eine erhebliche Verbesserung dar, als die Entscheidung über die Steuerfreiheit nun keine Ermessensentscheidung mehr darstellt, sondern dass der Sanierungsertrag bei Vorliegen der im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmale zwingend steuerfrei ist. Darüber hinaus führt auch die flankierende Regelung in § 7b GewStG zu einer Erleichterung, da nunmehr keine gesonderten Diskussionen mit den Gewerbesteuergläubigern mehr zu führen sind.
505
Hinweis: Trotz der nunmehr gesetzlichen Regelung der Steuerfreiheit des Sanierungsertrags stellt sich dem Planverfasser weiter die Frage, wie er im Kontext des Insolvenzplans diese Steuerfreiheit gewährleisten oder wie er zumindest unliebsame steuerliche Folgen abwehren oder abmildern kann. Daher stehen Insolvenzpläne weiter, steuerlich untechnisch gesehen, insbesondere unter der Bedingung, dass ein etwaiger Sanierungsgewinn nicht mit einer Steuer belastet wird – damit trägt (in der Intention des Planerstellers) der Fiskus den „schwarzen Peter“ der scheiternden Sanierung. Die Finanzverwaltung erteilt idealiter eine verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO i.V.m. der Steuerauskunftsverordnung) bzgl. der Steuerfreiheit des Sanierungsertrags oder der im Plan geregelte Verzicht steht unter der auflösenden Bedingung der Besteuerung eines etwaigen Sanierungsgewinns. Im Falle der Besteuerung wird entsprechend der auflösenden Bedingung auf die restlichen Verbindlichkeiten nicht verzichtet, sondern die (bis dato verzichteten) Insolvenzforderungen/Absonderungsrechte werden auf einen Treuhänder übertragen, der, ohne weisungsgebunden zu sein, darüber frei verfügen kann. Um nicht den Insolvenzverwalter mit der Steuerschuld als Masseverbindlichkeit zu belasten (§ 258 Abs. 2 InsO), wird anstelle des Regelfalles des unbedingten (Teil-)Erlasses der Gläubigerforderung mit Planwirksamkeit (§ 227 InsO) ein durch die vollständige Planerfüllung bedingter Erlass der (Rest-)Gläubigerforderung gestaltend im Plan aufgenommen. Damit soll erreicht werden, dass der Gewinn erst mit der vollständigen
506
664 Levdag in Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 3a EStG Rz. 4.
Frank | 273
§ 3 Rz. 506 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Erfüllung der Restforderung realisiert wird und damit nicht als Masseverbindlichkeit qualifiziert wird, weil in aller Regel das Insolvenzverfahren bis dahin aufgehoben ist.665 Das eigentliche Problem, die Finanzierung der Steuerlast, ist damit allerdings nicht gelöst, sondern nur zeitlich vertagt. 507
Der Planersteller muss die Frage der plannachfolgenden Besteuerung klären, zumindest aber im Insolvenzplan ansprechen und entsprechend offenlegen. Wird dies nicht beachtet, kann ein (behebbarer) Mangel i.S.v. § 231 Abs. 1 Ziff. 3 InsO vorliegen.666
508
Hinweis: Die Möglichkeit der Einholung einer verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO i.V.m. der Steuerauskunftsverordnung) bzgl. der Anwendbarkeit der Steuerbefreiungsvorschriften der §§ 3a EStG, 7b GewStG wird regelmäßig im Spannungsverhältnis der knappen Zeitspanne zwischen vorliegenden Zahlen im gefertigten Plan und Erörterungs- und Abstimmungstermin stehen. Problematisch mit Blick auf eine verbindliche Auskunft ist darüber hinaus der Umstand, dass der Plan gem. § 240 InsO im Erörterungs- und Abstimmungstermin noch geändert werden kann und damit der einer verbindlichen Auskunft zugrunde liegende Lebenssachverhalt möglicherweise nicht endgültig feststeht oder geändert wird.667
9. Haftungsfragen im Insolvenzplanverfahren a) Allgemeines 509
Beteiligte in insolvenzrechtlichen Sachverhalten neigen dazu, sich in ihrer Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit durch die regelmäßig verfahrene Situation, das Schreckensbild der Insolvenz, die es zu vermeiden gilt, negativ beeinflussen zu lassen. Das rationale Kalkül, was wirtschaftlich sinnvoll und dabei rechtlich zulässig ist, wird meist verdrängt. Damit besteht für die Insolvenzbeteiligten ein Haftungspotential, das nicht selten übersehen oder regelmäßig unterschätzt wird.
510
Ansprüche Geschädigter für im Vorfeld begangene Handlungen ergeben sich aus den allgemeinen Bestimmungen, insbesondere der Deliktshaftung nach den §§ 823, 826 BGB. Abhängig von der Rechtsform des Unternehmens können ab Eintritt der Insolvenzreife, also noch vor dem Insolvenzantrag, insolvenzspezifische Haftungsnormen wie § 15b InsO oder eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB eingreifen.
511
Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt bzw. ein solches durchgeführt, treten neben diese Haftungstatbestände weitere Sonderregelungen der Insolvenzordnung. Für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter sind dies die §§ 60 bis 62 InsO in Fällen von insolvenzspezifischen Pflichtverletzungen sowie der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten. Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses haften nach § 71 InsO, soweit durch die Insolvenzordnung auferlegte Pflichten verletzt werden. Sicherungsberechtigten Gläubigern wird die Haftung bei Verletzung von Mitteilungspflichten gem. § 28 Abs. 2 Satz 3 InsO auferlegt, darüber hinaus haften Absonderungs-, Masse- oder Insolvenzgläubiger ausschließlich nach den allgemeinen Bestimmungen. Für den Richter (und Rechtspfleger, soweit im Klauselverfahren nach § 257 InsO oder für die Schlussrechnungsprüfung nach § 66 InsO funktional zuständig) als die handelnde Gerichtsperson führt die Insolvenzordnung keine besonderen Haftungstatbestände auf, es bleibt bei den allgemeinen Haftungsbestimmungen von § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG für Amtspflichtverletzungen in Ausübung der Überwachungs- und Entscheidungskompetenz. Schließlich sind für den Schuldner keine besonderen Haftungstatbestände in der Insolvenzordnung normiert, so dass sich die Haftung nach den allgemeinen Vorschriften bestimmt.
665 Vgl. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029. 666 LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951: Mangelnde Erfüllbarkeit liegt nicht vor, soweit die zuständige Finanzverwaltung die wohlwollende Prüfung signalisiert hat. Kritisch hierzu Olbig, EWiR 2002, 1103. 667 So auch Braun/Geist, BB 2009, 2508, 2512.
274 | Frank
I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 515 § 3
b) Haftungsrisiken im Insolvenzplanverfahren Im Werkzeugkasten des Sanierers oder Insolvenzverwalters ist der Insolvenzplan eine sinnvolle Erweiterung. Der Insolvenzplan ist kein Massenphänomen, er ist aber überlegt eingesetzt eine Möglichkeit, die Insolvenz zu bewältigen. Es gibt durchaus plangeeignete Szenarien, die von sich aus die Plananwendung einfordern, für die der Insolvenzplan passt.
512
Damit ist auch klar: Das Haftungspotential wird mit dem Insolvenzplanverfahren nicht geringer, wenn es darum geht, losgelöst von der Regelabwicklung und den abdingbaren Verfahrensvorschriften eine andere Insolvenzbewältigung zu finden. Wie immer im Leben gibt es „schwarze Schafe“, hüben wie drüben. Dass derjenige, der einen Insolvenzplan vorbereiten und durchsetzen möchte, möglicherweise eigeninteressenorientiert nicht vollständig, sondern einseitig informiert und dementsprechend handelt, liegt auf der Hand.668 Ein Weiteres: Derjenige, der eigensüchtiger und ausbeutender Planstörer ist, wird alles unternehmen, um den Insolvenzplan zu verhindern oder zumindest die Umsetzung nicht unwesentlich zu erschweren, womit die Besserstellung anderer im Vergleich zur Regelabwicklung scheitern kann.669 Haftungsauslösende Handlungen oder Maßnahmen nach den allgemeinen Bestimmungen, insbesondere dem Deliktsrecht, liegen hier nahe.
513
Im Insolvenzplanverfahren gibt es daneben spezifisch insolvenzrechtliche Pflichten, die Haftungen auslösen können. Für den Insolvenzverwalter in Betracht kommende Haftungsfälle sind bspw. Verstöße bei der Ausarbeitung und Vorlage (§ 218 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i.V.m. § 157 Satz 2 InsO) oder der Überwachung eines Insolvenzplans (§§ 260 ff. InsO), im Falle der einstweiligen Unternehmensfortführung (§§ 157 Satz 1, 158 Abs. 1 InsO) bis zur rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans und anschließender Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder die Fortsetzung der Verwertung bzw. Verteilung der Insolvenzmasse trotz eingereichten Insolvenzplans (§§ 159, 233 InsO).670 Für die Mitglieder des Gläubigerausschusses können sich haftungsträchtige Konstellationen bei der Ausübung der Zustimmungsbefugnisse gemäß der §§ 231 Abs. 2, 233 Satz 2 InsO ergeben. Für den Richter als das handelnde Organ des Insolvenzgerichts kann eine Amtspflichtverletzung bei den Entscheidungen über die Zurückweisung (§ 231 InsO), Bestätigung oder Versagung der Bestätigung eines Insolvenzplans bzw. der Planberichtigung (§§ 248, 248a, 249 Satz 2, 250, 251 InsO), die Aufhebung der Planüberwachung (§ 268 InsO) sowie der Entscheidung über die Aussetzung der Verwertung und Verteilung der Masse (§ 233 InsO) in Betracht kommen.
514
10. Schema: Zeitlicher Ablauf des Insolvenzplanverfahrens Jeder Einzelfall erfordert im Rahmen einer Beratung die mehr oder weniger eingehende Befassung mit (insolvenz-)rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Komponenten und Fragestellungen. Ein Schaubild kann diesbezüglich nicht entlasten, zeigt aber übersichtsartig den strukturellen Ablauf eines Insolvenzplanverfahrens und veranschaulicht Mechanismen und Wirkung des neuen Rechtsinstituts:
668 In Person oder die Planerstellung beauftragt und hierzu die erforderlichen Angaben machend oder die Planerstellung finanzierend; insoweit stellen die Erwägungen des Gesetzgebers auf den seriösen Planersteller ab, wenn davon ausgegangen wird, dass derjenige, der einen Insolvenzplan erstellt, von sich aus daran interessiert ist, den Gläubigern die für diese erforderlichen Informationen zu geben, vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 470. 669 Unterstellt, der Insolvenzplan berücksichtigt insbesondere die Anforderungen der §§ 245 und 251 InsO. 670 In Betracht kommen insbesondere Verstöße gegen die Berichts- und Anzeigepflicht gegenüber Gläubigern und Insolvenzgericht gem. der §§ 261 Abs. 2, 262 InsO. Allerdings muss der Insolvenzverwalter berücksichtigen, dass Informationen, die auf die Planerfüllung keine Auswirkungen haben, der allgemeinen Betriebs- und Geschäftsgeheimnispflicht des schuldnerischen Unternehmens unterliegen. Vgl. hierzu auch Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 258 Rz. 6 ff.
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§ 3 Rz. 516 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 516
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I. Beratung bei Insolvenzplan | Rz. 516 § 3
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§ 3 Rz. 517 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
II. Beratung bei Eigenverwaltung 1. Allgemeines 517
Spätestens mit Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens übt zur Sicherung der Haftungsmasse ein unabhängiger Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen des Schuldners aus, §§ 22 Abs. 1, 80 Abs. 1 InsO (vgl. § 6 Rz. 167 ff.). Das Regelinsolvenzverfahren beugt mit dieser „Entmachtung“ des Schuldners nicht reparablen masseschädigenden Handlungen und der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zuwiderlaufenden Maßnahmen vor. Von Gesetzes wegen wird der Schuldner aus seiner Vermögens- wie auch Rechtsposition (zumindest für die Dauer des Verfahrens bezogen auf das dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen) „verdrängt“, weil die Insolvenzmasse als Haftungsobjekt im Interesse aller Gläubiger gem. § 1 InsO bestmöglich verwertet werden soll. Der Schuldner (bzw. die für ihn handelnden Organe), der die Insolvenz nicht hat vermeiden können, wird in der Mehrzahl der Fälle nicht geeignet sein, die Interessen der Gläubigergemeinschaft über die eigenen Interessen zu stellen.671
518
Ist der Schuldner redlich, will er die optimale Gläubigerbefriedigung durch seine Kompetenz und Zuverlässigkeit erreichen und ist er bereit und in der Lage, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergemeinschaft auszurichten, spricht im Ausgangspunkt nichts dagegen, ihm die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu belassen.672 Dies gilt insbesondere, wenn der Eintritt der Insolvenz ihm (bzw. den für ihn handelnden Organen) nicht in Person zuzurechnen oder sonst anzulasten ist. Ein solcher Schuldner ist regelmäßig mit den Geschäften seines Unternehmens vertraut, er kennt den Markt, Synergien und die Ansprechpartner. Sanierungschancen können besser genutzt werden, weil die Einarbeitungszeit und die Suche nach Marktakzeptanz in der fremd-/insolvenzverwalterbetriebenen Geschäftsführung, die auch ein branchenkennender Insolvenzverwalter benötigt, vermieden werden können.673 Umso mehr ist dies zu beachten, wenn gesellschaftsrechtliche Organisationen (Konzern) bestehen, die neben den notgedrungenen insolvenzrechtlichen Maßnahmen auch die Behandlung konzernrechtlicher Strukturen und Verflechtungen mit sich bringen.674
519
Eine solche Vorgehensweise kann insgesamt gesehen der Verfahrensvereinfachung dienen und weniger Aufwand und Kosten verursachen.675 Zudem wird dem Schuldner ein Anreiz gegeben, frühzeitig den Insolvenzantrag zu stellen, weil er nicht mit dem Verlust seiner „Geschäftsführungsposition“ und im geringeren Maße „seines Ansehens“ rechnen muss.676 Der Schuldner steht nicht mehr vor dem Dilemma, dass mit Entzug der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis andere für ihn entscheiden, wie sein Unternehmen in der Insolvenz geführt und er zu bloßen Unterstützungs-/Mitwirkungshandlungen „degradiert“ wird.677
520
Hinweis: Die Geschäftsführung kann sich in Sanierungsfällen durch darauf spezialisierte Berater unterstützen lassen, in Einzelfällen wird sich auch die vollständige Auswechslung der Organe anbieten. Neben den klassischen Beratern in Zeiten der Krise bzw. in Sanierungssachverhalten hat sich in den ersten Jahren der Umsetzung eigenverwalteter Verfahren, verstärkt durch das ESUG und um weitere Akzeptanz mit dem vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, dem StaRUG, werbend, ein neues Berufsbild aufgetan: Der als Generalbe-
671 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 526. 672 Vertrauenswürdigkeit, unternehmerische Fähigkeit und Kooperationsbereitschaft als Grundvoraussetzung beschreibend: Körner, NZI 2007, 270 ff., Hofmann, ZIP 2007, 260 ff. 673 Westrick, NZI 2003, 65, 68 f. 674 Die Eigenverwaltung als Praxisersatz für ein bislang fehlendes umfassendes Konzerninsolvenzrecht: Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 522; Körner, NZI 2007, 270, 273. Zum Konzerninsolvenzrecht vgl. Rz. 52 m.w.N. 675 Ausführlich Kern in MünchKomm/InsO, vor §§ 270–285 Rz. 3 ff. 676 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 526. 677 Frank, Der Syndikus, November/Dezember 2000, 27 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 521 § 3 vollmächtigte, Insolvenzvorstand bzw. Geschäftsleiter Sanierung und Restrukturierung agierende „Insolvenzverwalter“, den es als solchen in dieser Verfahrensart nicht gibt, der aber alle seine diesbezüglich vorhandenen Qualitäten an insolvenzlicher Verfahrensleitung nutzt. Die Anbindung an das schuldnerische Unternehmen erfolgt nicht über ein ihm zur Verfügung gestelltes Amt, in das er vom Gericht unabhängig eingesetzt wird, sondern regelmäßig im Rahmen dienst- oder geschäftsbesorgender bzw. freier Mitarbeit und damit weisungsgebundener/abhängiger Vertragsverhältnisse678 mit Vollmachtserteilung, z.T. auch Organbestellung. Die Unternehmen sprechen gezielt diejenigen an, die über entsprechende Erfahrung in Insolvenz- und Restrukturierungsfällen verfügen. Dass dabei die Organisation alltäglicher Fragen im Insolvenzverfahren gelingen sollte, liegt nahe. Nicht jeder geborene Verwalter ist jedoch ein guter Berater. Das in weiten Teilen unterschiedliche Anforderungsprofil sollte nicht unterschätzt werden und: es fällt nicht jedem leicht, langjährig Geübtes ad hoc beiseite zu legen. Schwelende Konflikte zwischen dem beratenden „Insolvenzverwalter“ und den Organen der Gesellschaft, im Übrigen auch gegenüber dem Sachwalter, der über das Ziel der überwachend geprägten Rolle hinausschießt, umgekehrt aber auch seine Rolle auszuüben hat, müssen bei Zeiten einer Lösung zugeführt werden, sonst endet der Weg in die Eigenverwaltung schneller, als er begonnen hat.679 Der vom Gesetzgeber vorgegebene Kostenvorteil gem. § 12 Abs. 1 InsVV mit der Regelvergütung des Sachwalters i.H.v. 60 % der Vergütung des Insolvenzverwalters wird über diese zusätzlich kostenauslösende Beratungsleistung (bspw. für „insolvenzrechtliches Sonderwissen“, vgl. Rz. 574) z.T. wieder geschmälert werden. Der Kostenansatz allein stellt die Eigenverwaltung nicht in Frage, auch wenn jetzt dem Antrag die Darstellung der voraussichtlichen Mehr- oder Minderkosten des Eigenverwaltungsverfahrens beizufügen ist, § 270a Abs. 1 Ziff. 4 InsO, oder, soweit die Kosten des Regelverfahrens wesentlich überstiegen werden, besonders zu prüfen ist, ob der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten, § 270b Abs. 2 InsO. Die Vergütung der zusätzlichen Berater oder organschaftlichen Vertreter richtet sich nach dem konkret ausgestalteten Vertragsverhältnis, eine Festsetzung der Vergütung durch das Insolvenzgericht, etwa nach § 64 InsO erfolgt nicht.680 Dies schließt nicht aus, dass Bemessungsgrundlage der vereinbarten Vergütung die InsVV in analoger Anwendung sein kann.
Weder ein in allen Insolvenzfällen praktizierter Weg des Entzugs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis noch das uneingeschränkte Zugestehen und Belassen dieser Rechte beim Schuldner trägt der gläubigerorientierten, bestmöglichen Insolvenzabwicklung ausreichend Rechnung. Die Insolvenzordnung vermittelt zwischen beiden Varianten und nimmt ein Modell der vormaligen Vergleichsordnung auf.681 In den §§ 270 bis 285 InsO wird dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse zugestanden. Wie der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren handelt der Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren nicht Kraft seiner Parteiautonomie, sondern als Amtswalter mit gesetzlich bestimmten Rechten und Pflichten, wobei dies nicht uneingeschränkt geschieht.682
678 Unzutreffend insoweit AG Hamburg v. 7.5.2019 – 67 g IN 118/19, NZI 2019, 683 ff., das die Vergütung des während des Insolvenzverfahrens ins Organ gehenden Spezialisten als Kosten des Verfahrens analog § 54 InsO behandeln und dem Insolvenzgericht die Festsetzung analog § 64 InsO zugestehen will. Der Vergütungsanspruch des Organs des Schuldners richtet sich nach den dienstvertraglichen Regeln/dem Auftragsverhältnis und unterliegt nicht den insolvenzrechtlichen Vorschriften, selbst wenn die Bezugsgröße in Anlehnung an die InsVV ermittelt wird. So auch Budnik, a.a.O., 686 f. 679 Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2235 ff., zum grundsätzlichen Spannungsfeld, in dem sich der Sanierungsgeschäftsführer bewegt. 680 AG Duisburg v. 4.10.2005 – 60 IN 136/02, NZI 2006, 112 ff. 681 Vgl. bspw. die §§ 39 und 57 VerglO. 682 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 1 m.w.N.; s. auch Riggert in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 279 Rz. 3 f.; Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 270 Rz. 5. BGH v. 3.12.2019 – II ZR 457/18, MDR 2020, 419 = NZI 2020, 285 ff.: Bei Anordnung der Eigenverwaltung verbleiben die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse beim Schuldner, der als Amtswalter anstelle des regulären Insolvenzverwalters handelt und den gleichen Bindungen unterliegt wie dieser.
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§ 3 Rz. 522 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 522
Dem geschäftsführenden Schuldner wird ein unabhängiger und vom Insolvenzgericht zu bestellender Sachwalter an die Seite gestellt, dem insbesondere die Überwachung der unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners obliegt.
523
Hinweis: Dies wird, sofern der Schuldner bzw. vorläufige Gläubigerausschuss keinen eigenen Vorschlag einbringen, regelmäßig der ansonsten zu bestellende Insolvenzverwalter in Person sein, derjenige also, der (bei Nichtbeantragung oder Ablehnung der Eigenverwaltung) im Regelverfahren der Alleinhandelnde ist. Lässt sich die Geschäftsführung zugleich von einem Sanierungsspezialisten beraten bzw. unterstützen, entsteht eine Dreiecksbeziehung, die konfliktgeladen sein kann. Hier ist das Gespür zur Koordination unterschiedlicher Interessen gefragt, z.T. auch Mediationskunst, nicht die Macht, Entscheidungen treffen zu können.683
524
Neben der Überwachung bleiben dem Sachwalter besondere Aufgaben vorbehalten, die im Interesse der Gläubiger nicht vom Schuldner wahrgenommen werden sollen: so z.B. die Anfechtung gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen (vgl. § 13 zur Insolvenzanfechtung). Der Sachwalter, dann als vorläufiger, kann auch schon in der vorläufigen Eigenverwaltung zur Verfügung stehen. Schließlich haben die Gläubiger jederzeit die Möglichkeit, die Aufhebung der zunächst angeordneten Eigenverwaltung durchzusetzen. Auf diese Weise erfolgt eine kontrollierte Abwicklung der eigenen (= eigenverwalteten) Insolvenz, um etwaige Risiken für die Gläubiger möglichst gering zu halten.684
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Wird die Eigenverwaltung angeordnet, gibt das Gesetz vor, wie Rechte und Pflichten zwischen „Eigenverwalter“ und Sachwalter aufgeteilt sind.685 Mit Ausnahme der Zuweisung der (partiellen) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an den Sachwalter nach § 280 InsO verbleibt dem „Eigenverwalter“ die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Insolvenzmasse über die gesamte Dauer des Verfahrens. Die Möglichkeit, einzelne Verfügungsbeschränkungen entsprechend dem vormaligen § 58 VerglO anzuordnen, besteht nicht.686
526
Der Gesetzgeber wie auch die Rechtspraxis sehen den Hauptanwendungsfall der Eigenverwaltung in der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens, regelmäßig in Kombination mit einem Insolvenzplanverfahren (vgl. Rz. 57).687 Soweit die Beteiligten die entsprechende Vorbereitung nicht mehr vor der Insolvenzantragstellung abschließen oder noch gar nicht beginnen können, gewährt das mit dem ESUG für die Eigenverwaltung in zwei Varianten zur Verfügung gestellte Eröffnungsverfahren die Möglichkeit hierzu: Ein eigenständiges Sanierungsvorbereitungsverfahren (Schutzschirmverfahren, § 270d InsO) als eine denkbare Variante, aber zugleich Teil der vorläufigen Eigenverwaltung. Der Schuldner erhält die Möglichkeit, über einen dreimonatigen Zeitraum eine (Eigen-)Sanierung mittels Insolvenzplan zu konzipieren mit dem Ziel, die Restrukturierung des Unternehmens in dem nachfolgend eröffneten Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung umzusetzen. Voraussetzung hierfür ist, dass dem Gericht bei Antragstellung über das Schutzschirmverfahren eine Bescheinigung einer in Insolvenzsachen erfahrenen Person vorliegt, wonach eine Sanierung des Schuldners nicht aussichtslos ist
683 Zur Frage, ob die Mediation die Eigenverwaltung begleiten soll, Wipperfürth/Tusch, ZInsO 2013, 971 ff.; Wipperfürth, Insbüro 2014, 28 ff., Teil 1 der Fortsetzungsreihe bis, a.a.O., 437 ff., Teil 7 als Abschluss der Reihe, mit der mediativen Konfliktlösung im Insolvenzverfahren. Auf die Notwendigkeit eingehend, mit dem Insolvenzgericht Vorbesprechungen durchzuführen und die unterschiedlichen Interessenlagen der Verfahrensbeteiligten zu koordinieren, Buchalik/Lojowsky, ZInsO 2013, 1017 ff.; ebenso Buchalik/ Stahlschmidt, ZInsO 2014, 1144 ff. 684 Keinen ausreichenden Schutz sehend Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, vor § 270 Rz. 11. 685 Den rechtstechnischen Begriff des „Eigenverwalters“ kennt das Gesetz nicht. Er findet jedoch in der Praxis der angeordneten Eigenverwaltung als Synonym für den Handelnden (den Schuldner bzw. seine Organe) Verwendung. 686 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 1; a.A. Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 270 Rz. 20 ff. 687 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 527, zur InsO; BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 28, zum ESUG; vgl. auch Spies, ZInsO 2005, 1254 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 528 § 3
und noch der Insolvenzeröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gegeben sind. Wird diese, unter dem Schutz des Gesetzes stehende Vorbereitungsphase nicht benötigt oder wollen die Beteiligten hiervon keinen Gebrauch machen, verbleibt es bei der regulären vorläufigen Eigenverwaltung als andere Variante zur Vorbereitung des künftigen Eigenverwaltungsverfahrens (§§ 270b und 270c InsO). Mit der Verfahrenseröffnung endet die vorläufige Eigenverwaltung und damit auch (soweit angeordnet) das Schutzschirmverfahren. Hinweis: Unabhängig davon ist weiterhin rechtlich zulässig die im Eigenverwaltungsverfahren betriebene Liquidation, in Form der Zerschlagung oder übertragenden Sanierung (vgl. § 17 Rz. 15 ff.) des schuldnerischen Unternehmens mit anschließender Befriedigung der Gläubiger durch die Erlösverteilung.688 Nichtsdestotrotz werden Wissenschaft und Rechtspraxis nach den bisher gemachten Erfahrungen die liquidierende Eigenverwaltung weiter nur in absoluten Ausnahmefällen befürworten.689 Sind hohe Sicherungswerte gegeben, rechtfertigen bereits die günstigeren Kostenbeiträge zur Masse eine vertiefte Befassung mit der Eigenverwaltungsmöglichkeit, § 282 Abs. 1 Sätze 2 und 3 InsO. Berücksichtigt man, dass Eigenverwaltungsverfahren immer noch einer Grundskepsis begegnen, die Regelungen nach Einführung durch die InsO mit dem ESUG und dem SanInsFoG nach überschaubaren Jahren jeweils deutlich angepasst wurden (bildlich mag man von einem sich bewegenden Pendel sprechen, das zur Ruhe kommen kann, dafür aber Zeit im anzuwendenden Modus braucht) und es damit an ausreichender Erfahrung mangelt, Grenzen deshalb ausgetestet werden und sich Richter und Insolvenzverwalter nicht selten durch einen entsprechenden Eigenverwaltungsantrag umgangen fühlen, zeichnet sich insbesondere für die liquidierende Eigenverwaltung ein Schattendasein ab.690 Dies allein diskreditiert die Möglichkeit zur Eigenverwaltung, auch jenseits der Kombination mit einem sanierenden Planverfahren, jedoch nicht.691
527
Das Eigenverwaltungsverfahren hat die bestmögliche Gläubigerbefriedigung mit Letztentscheidungsbefugnis der Gläubiger (-versammlung bzw. -gruppen im Falle eines Insolvenzplans) zum Ziel. Damit bleibt die Eigenverwaltung und mit ihr das Insolvenzverfahren trotz der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners gläubigerorientiert.692 Dieser zentrale Gedanke des Eigenverwal-
528
688 Das Schutzschirmverfahren (s. hierzu Rz. 577 ff.) kommt dann nicht in Betracht. Durch die liquidierende Eigenverwaltung ist der Erhalt des Rechtsträgers ausgeschlossen und damit die Sanierung des Schuldners i.S.v. § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO aussichtslos. 689 Liquidationsverfahren in Eigenverwaltung: AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZinsO 2004, 216 f.; für die ergebnisoffene Eigenverwaltung auch Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997, S. 696; Wehdeking/Smid, ZInsO 2010, 1713, 1717; Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 5; hierfür spricht bspw. auch das gesondert erwähnte Verwertungsrecht für die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände in § 282 Abs. 2 InsO. Die Eigenverwaltung für die Liquidation grundsätzlich ablehnend: AG Lübeck v. 4.2.2000 – 53b IN 19/00, DZWiR 2000, 482; ebenso Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 2; kritisch und die „atypische Eigenverwaltung“ ablehnend Hofmann, ZIP 2007, 260 ff. 690 Medienwirksame Eigenverwaltungsverfahren sind bspw. in den Insolvenzverfahren Babcock Borsig, KirchMedia und SinnLeffers beantragt und angeordnet worden; im Fall Grundig ist der Eigenverwaltungsantrag vor der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen eines von einem Teil der Geschäftsführung geplanten Management-Buy-out zurückgenommen worden, was mit den so verfolgten Eigeninteressen bei Aufrechterhaltung des Antrags als nachteilig im Gläubigerinteresse zu werten gewesen wäre, jedenfalls solange parallel kein offenes Bieterverfahren durchgeführt wird. Vgl. hierzu auch Braun, NZI 2003, 588 ff.; Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 5 ff., zeigt geeignete Konstellationen auf; Ergebnisse einer Studie über Praxiserfahrungen mit dem Institut der Eigenverwaltung beschreibend Körner, NZI 2007, 270 ff. 691 Einen Gesamtüberblick mit Schwerpunkten zum Eigenverwaltungsverfahren stellen Westrick, NZI 2003, 65 ff., oder auch Pape, NWB 2007, 39 ff., dar. 692 Siemon, NZI 2018, 189 ff., resümiert, die nicht beschränkbare Verfügungsmacht des Schuldners als der Kern der Eigenverwaltung deutscher Prägung sei gläubigergefährdend. Anlass seiner Feststellung ist die mit der Eigenverwaltung einhergehende und von ihm beschriebene Beratertätigkeit, mit der das Verfahren gelenkt und faktisch das Unternehmen während der Insolvenzphase übernommen werde, wie die beraterseits abgerechneten Honorare.
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§ 3 Rz. 528 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung tungsverfahrens findet sich nicht nur in § 270b Abs. 2 InsO, kommt dort jedoch deutlich zum Ausdruck. Der Schuldner, der wie jeder am Wirtschaftsleben Beteiligte seine Interessen verfolgt (und diese auch im Rahmen der Eigenverwaltung weiter verfolgen darf), ist als Verwalter rechtlich eigenen Vermögens bereit und in der Lage, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger und damit wirtschaftlich fremdnützig auszurichten. Dokumentiert er dies, indem er eine dem status quo entsprechende vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung vorlegt, erhält er den von ihm beantragten Primärzugang zur Eigenverwaltung (§ 270b Abs. 1 InsO). Zeigt das zentrale Element der Eigenverwaltungsplanung, der Finanzplan, eine Unterdeckung auf (es werden Verluste erzielt), ist davon auszugehen, dass die Eigenverwaltung wesentlich teurer als ein Regelverfahren wird, bestehen wesentliche Zahlungsrückstände in den Bereichen Arbeitnehmer,693 Steuer und Sozialversicherungsbeiträge sowie Lieferanten, musste der Schuldner in den vergangenen drei Jahren schon einmal Vollstreckungs- und Verwertungssperren in Anspruch nehmen694 oder kam er für die letzten drei Geschäftsjahre in einem davon seinen Offenlegungsverpflichten nicht nach, muss aus den Gesamtumständen für das Insolvenzgericht erkennbar sein, dass die Ausrichtung seiner Geschäftsführung und damit auch der Vermögensverwaltung an den Interessen der Gläubiger erfolgt, womit er einen überprüften Zugang zur Eigenverwaltung erhält (§ 270b Abs. 2 InsO). Oder der Schuldner überzeugt den vorläufigen Gläubigerausschuss von seinem Vorhaben, so dass er mittels dessen einstimmigen Votums einen unterstützten Zugang zur Eigenverwaltung erlangen kann (§ 270b Abs. 3 InsO).695
2. Das Verhältnis der Eigenverwaltung zum Insolvenzplan-, Verbraucher- und Restschuldbefreiungs- sowie den sonstigen besonderen Arten des Insolvenzverfahrens 529
Die Eigenverwaltung stellt wie das Insolvenzplanverfahren ein Verfahren dar, das alternativ zur Regelabwicklung angeboten wird. Durch die Anpassungen des ESUG wie auch des SanInsFoG (Wegfall der Zustimmungsnotwendigkeit einzelner Gläubiger, § 270 Abs. 2 Ziff. 2 InsO a.F.; Pflicht zur Anordnung der Eigenverwaltung, soweit eine vollständige und in sich schlüssige Eigenverwaltungsplanung vorliegt, § 270b Abs. 1 InsO, mindestens aber der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten, wenn nicht die übrigen Zugangsvoraussetzungen erfüllt sind, § 270b Abs. 2 InsO; Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses mit Bindungswirkung für das Gericht bei einem einstimmigen Beschluss,696 § 270b Abs. 3 InsO; Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, §§ 270b Abs. 1 InsO) steht das Eigenverwaltungsverfahren wie das gleichrangig geprägte Insolvenzplanverfahren als vom Gesetzgeber angebotene Alternative zur Regelabwicklung zur Verfügung. Das die Insolvenzordnung bis zum ESUG prägende Stufenverhältnis, wonach die Anordnung der Eigenverwaltung die Ausnahme zum Regelinsolvenzverfahren bleiben sollte, bleibt weiter aufgegeben, auch wenn die Zugangsvoraussetzungen mit dem SanInsFoG rechtsverbindlicher und weniger abstrakt geregelt wurden.697 Dreh- und Angelpunkt ist die Klärung der Frage, ob der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergemeinschaft auszurichten, was er dokumentieren kann, indem er die Eigenverwaltungsplanung nach § 270a Abs. 1 InsO bereitstellt und die zusätzlichen Erklärungen gem. § 270a Abs. 2 InsO zur Prüfung dem Insolvenzgericht gegenüber abgibt. Ist dies der Fall und kommt das Insolvenzge-
693 § 270b Abs. 2 Ziff. 1 InsO lässt jeden Zahlungsrückstand im Bereich der Arbeitnehmer als zu berücksichtigenden Sachverhalt für die Gesamtwürdigung zu. 694 Scheitert ein außergerichtlicher Sanierungsversuch nach dem StaRUG bei dort angeordneter Vollstreckungs- oder Verwertungssperre, wird die Folge ein Übergang in ein Insolvenzverfahren sein. Schon daraus ist erkennbar, dass allein die Anordnung solcher Sperren die Durchführung eines späteren Eigenverwaltungsverfahrens nicht hindern. 695 § 72 InsO findet Anwendung. 696 § 72 InsO findet Anwendung. 697 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 143 f. und S. 529, zur InsO; BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 27 f. und S. 57 ff., zum ESUG.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 531 § 3
richt zu keiner gegenteiligen Erkenntnis, steht das Eigenverwaltungsverfahren gleichberechtigt dem Schuldner zur Insolvenzbewältigung zur Verfügung. Hinweis: Ist das schuldnerische Unternehmen fortführungsfähig, bietet sich an, ein Insolvenzplanverfahren mit der Eigenverwaltung zu kombinieren, um die fortführungsbezogene Eigenverwaltung in ihren Anwendungsmöglichkeiten frühzeitig vorzubereiten und damit zu optimieren.698 Hierbei kann das als Eröffnungsverfahren konzipierte Schutzschirmverfahren genutzt werden, § 270d InsO. Für den Schuldner besteht in diesen Fällen sogar die Notwendigkeit zu handeln: Die Eigenverwaltung vermeidet Unsicherheiten bezogen auf die Fremdverwaltung, die – ausgehend von den bislang vorliegenden Zahlen zu Planverfahren und den damit realisierten Sanierungsfällen – nicht selten zu schnell in die Liquidation des schuldnerischen Unternehmens münden. Das Zusammenspiel von ergebnisoffener Insolvenzbewältigung mittels Insolvenzplan unter Erhalt der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners in der Eigenverwaltung ermöglicht es dem Schuldner, die Gestaltungsfreiheit zu nutzen, die ihm die Insolvenzordnung lässt, stets verbunden mit dem Ziel, die bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu erreichen.699 Kunden und Lieferanten werden in der Eigenverwaltung das Bestreben zur Kontinuität sehen, der insolvenzbelastete Marktauftritt wird weniger spektakulär. Mitentscheidend für das Gelingen eines Eigenverwaltungsverfahrens wird zudem die frühzeitige Einbindung der wesentlichen Gläubiger sein. Der informierte und eingebundene Gläubiger wird unterstützungsgeneigter sein als derjenige, der mittels des Beschlusses zur Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung in Kenntnis gesetzt wird.700 Der Schuldner erhält die Chance, durch die eigenbetriebene Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs die angestrebte Sanierung in den Grenzen der Insolvenzordnung frei zu steuern.701
530
Den insolvenzunerfahrenen Betroffenen ist oftmals nicht klar und es wird auch nicht in ausreichendem Maße vermittelt, dass das Schutzschirmverfahren Teil des Insolvenz(eröffnungs)verfahrens ist und damit gerade die Insolvenz als Vehikel zur Bewältigung der Krise genutzt wird. Damit bleibt, wie es der Gesetzgeber jetzt auch im Bereich der Eigenverwaltungsregeln normiert, die Geschäftsführung des Schuldners in der Insolvenz an den Interessen der Gläubiger ausgerichtet. Die Unwissenheit um die neuen Mechanismen besteht auch, wenn von Lieferanten oder den sonst in Geschäftsbeziehung Stehenden die Zustimmung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters trotz des (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahrens mit angeordneter Sachwaltung eingefordert wird. Umgekehrt ist nicht zu verkennen, dass der Begriff des Schutzschirmverfahrens weit weniger makelbehaftet als die Insolvenz in der öffentlichen Wahrnehmung verstanden wird. Mit dem Verfahren kann, gut in der Außendarstellung kommuniziert, auch eine positive Grundstimmung erzielt werden, wenn von einem Sanierungsverfahren und nicht der Insolvenz gesprochen wird.
Die Anordnung der Eigenverwaltung ist im Verbraucherinsolvenzverfahren gem. § 270 Abs. 2 InsO ausgeschlossen. Auch wenn das Gesetz keinen Ausschluss gesondert formuliert, ist die Eigenverwaltung im Restschuldbefreiungsverfahren ebenso unzulässig. Die Eigenverwaltung ist Bestandteil des Insolvenzverfahrens. Die Wohlverhaltensperiode des Restschuldbefreiungsverfahrens schließt sich dagegen zeitlich dem Insolvenzverfahren an, das bereits aufgehoben ist. Darüber hinaus ordnet § 292 InsO die Bestellung eines Treuhänders an, was als Sonderregelung zur Sachwalterbestellung im Rahmen der Eigenverwaltung anzusehen ist und deshalb die Eigenverwaltung verdrängt (zum Verbraucherinsolvenzverfahren vgl. § 18 Rz. 681 ff.).
698 Die Verknüpfung beider Rechtsinstitute ergibt sich mittelbar aus § 284 InsO und mit dem Schutzschirmverfahren gem. § 270d InsO. Paulus, ZGR 2005, 309 ff., plädiert für die Sanierungschance mittels Insolvenz. Vgl. hierzu Friedhoff, ZIP 2002, 497 ff.; Jaffé, ZIP 2001, 2302 ff.; Pape in Kübler/Prütting/ Bork, Insolvenzordnung, § 284 Rz. 1 ff.; Ehricke, ZInsO 2002, 393 ff.; Huntemann/Dietrich, ZInsO 2001, 13 ff.; Buchalik, NZI 2000, 294 ff. 699 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 162 ff., 177, 460 f., 528. Dies schuldet auch der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren, weshalb das Eigenverwaltungsverfahren nicht bedingt, eine bessere Verwertung anzubieten, als im Regelinsolvenzverfahren. Ziel sollte es gleichwohl sein. 700 Strategische Überlegungen der Lieferanten stellen im Überblick Markgraf/Remuta, NZI 2017, 334 ff., dar. 701 Vgl. auch Frank, Der Syndikus, November/Dezember 2000, 27 ff.; Spies, ZInsO 2005, 1254, 1256 ff.
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§ 3 Rz. 532 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 532
Hinweis: Nicht ausgeschlossen ist dagegen die Restschuldbefreiung nach einem Eigenverwaltungsverfahren.702
533
Im Zehnten Teil der Insolvenzordnung sind als besondere Arten des Insolvenzverfahrens das Nachlassinsolvenzverfahren, das Insolvenzverfahren über das Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft sowie über das gemeinschaftlich verwaltete Vermögen einer Gütergemeinschaft geregelt. Die Vorschriften über die Eigenverwaltung sind entsprechend anwendbar. Weder ist ein entsprechender Ausschluss, wie für das Verbraucherinsolvenzverfahren bestimmt, noch sind dort spezielle Vorschriften normiert, die das Eigenverwaltungsverfahren verdrängen. Gleichermaßen verhält es sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, wenn der Anwendungsbereich des internationalen Insolvenzrechts eröffnet ist. Haupt-, Sekundär- oder auch Partikularinsolvenzverfahren können als eigenverwaltetes Verfahren geführt werden.703
3. Anwendbare Vorschriften im Eigenverwaltungsverfahren 534
Für das Eigenverwaltungsverfahren gelten die allgemeinen Vorschriften über das Insolvenzverfahren, soweit in den Regelungen zum Eigenverwaltungsverfahren nichts anderes bestimmt ist, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO.
535
Hinweis: Die Vorschriften des Ersten bis Fünften Teils der Insolvenzordnung sind deshalb grundsätzlich anzuwenden, wobei insbesondere folgende Besonderheiten bzw. Ausnahmen zu berücksichtigen sind:
a) Allgemeine Vorschriften, Eröffnungsvoraussetzungen und Eröffnungsverfahren 536
Uneingeschränkt gelten die allgemeinen Vorschriften in den §§ 1 bis 10 InsO.704 Die Regelungen zu den Eröffnungsvoraussetzungen sowie zum Eröffnungsverfahren in den §§ 11 ff. InsO finden Anwendung, wobei das Insolvenzgericht neben der Entscheidung über den Eröffnungsantrag des Schuldners (§ 13 Abs. 1 InsO) auch über den gestellten Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung (§§ 270, 270f InsO) zu entscheiden hat. Für die Prüfung des Eröffnungsantrags gelten keine Besonderheiten, es sind die Eröffnungsgründe der §§ 16 ff. InsO durch das Insolvenzgericht zu prüfen.
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Der Schuldner tritt nach Anordnung der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren an die Stelle des Insolvenzverwalters. Die Kompetenzverteilung zwischen ihm und dem Sachwalter ist in den §§ 270 ff. InsO geregelt, es finden die allgemeinen Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters (verteilt auf Schuldner und Sachwalter) Anwendung. In der vorläufigen Eigenverwaltung werden die §§ 21 ff. InsO durch die Regelungen in den §§ 270b bis 270d InsO partiell verdrängt, nicht aber per se ausgeschlossen. Um das spätere Eigenverwaltungsverfahren nicht zu konterkarieren, wird die nachfolgende Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren weitestgehend antizipiert, insbesondere durch Bestellung eines vorläufigen Sachwalters bei gleichzeitiger „Zuweisung“ der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an den Schuldner. Mit Bestellung des vorläufigen Sachwalters wird das Eröffnungsverfahren als vorläufige Eigenverwaltung bezeichnet, § 270b Abs. 1 InsO. Nur vorläufige Maßnahmen nach § 21 Abs. 1
702 Riggert in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 12 f. 703 Vgl. hierzu auch AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZInsO 2004, 216 ff., das allerdings mit der Einsetzung des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens als Eigenverwalter im Sekundärinsolvenzverfahren Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht (mit dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) nicht streng trennt und damit den „falschen“ Eigenverwalter bestellt hat; zum AG Köln vgl. auch die Anmerkung von Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195 ff., sowie Smid, DZWiR 2004, 397, 406 ff. 704 Für die Unzulässigkeit der Anwaltsbeiordnung nach § 4a Abs. 2 InsO LG Bochum v. 30.12.2002 – 10 T 64/02, NZI 2003, 167; unter besonderen Umständen zulässig: LG Bonn v. 2.9.2009 – 6 T 239/09, ZInsO 2010, 61 62.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 542 § 3
und Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1a,705 3 bis 5 InsO können bei Bestellung des vorläufigen Sachwalters angeordnet werden, § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO. Weist die Eigenverwaltungsplanung, die dem Antrag auf Eröffnung der Eigenverwaltung beizufügen ist (§ 270a Abs. 1 InsO), behebbare Mängel auf, kann das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung einstweilen anordnen und eine Frist zur Nachbesserung von bis zu 20 Tagen gewähren, § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO. Während dieser Zeit kann es zudem anordnen, dass Verfügungen des Schuldners der Zustimmung durch den vorläufigen Sachwalter bedürfen, § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO. Mit einer solchen Anordnung wird die Verfügungsbefugnis des Schuldners temporär eingeschränkt. Sobald feststeht, dass die Mängel fristgerecht beseitigt wurden, ist die ergangene Anordnung aufzuheben. § 22a InsO, der die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses regelt, bleibt anwendbar (s. auch § 270b Abs. 3 InsO), ebenso gilt § 23 Abs. 1 Satz 1 für den vorläufigen Sachwalter. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (zu dessen Person vgl. § 16 Rz. 8 ff.) sowie die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots kommen als vorläufige Sicherungsmaßnahmen in der vorläufigen Eigenverwaltung, das die Eigenverwaltung mit dem Erhalt der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner zum Ziel hat, nicht in Betracht. Bestellt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 270b Abs. 4 InsO, wird das Verfahren als Eröffnungsverfahren ohne vorläufige Eigenverwaltung geführt. Dies ergibt sich aus den parallel zu lesenden Vorschriften des § 270b Abs. 1 und 4 InsO (Bestellung entweder eines vorläufigen Sachwalters oder vorläufigen Insolvenzverwalters) sowie § 270e Abs. 1 und 2 InsO (Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters). Das Gericht muss seine Entscheidung, warum keine Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gem. § 270b Abs. 1 InsO erfolgt (womit das Eröffnungsverfahren zur vorläufigen Eigenverwaltung wird), schriftlich begründen, § 270b Abs. 4 InsO.
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Wird das Eröffnungsverfahren nicht als vorläufige Eigenverwaltung geführt, können alle Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, bspw. dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt oder auch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt werden (§ 21 Abs. 2 InsO). Mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren anstelle des vorläufigen Sachwalters wird vorweggenommen, dass dem Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht stattgegeben wird.
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Eine endgültige Entscheidung über den Schuldnerantrag ist damit allerdings nicht verbunden. Sie erfolgt zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, weshalb der Schuldner weiter versuchen kann, den Nachweis zur Zugangsberechtigung zur Eigenverwaltung beizubringen, entweder zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung (§ 270 Abs. 1 InsO) oder nachträglich über die Gläubigerversammlung (§ 271 InsO). § 270f Abs. 1 InsO setzt für die Anordnung der Eigenverwaltung nicht voraus, dass die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet war oder ist, sondern formuliert ausschließend auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung „… es sei denn, eine vorläufige Eigenverwaltung wäre nach § 270b InsO nicht anzuordnen oder nach § 270e aufzuheben …“.
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Stellt das Gericht Aufhebungsgründe in der vorläufigen Eigenverwaltung fest, bestellt es einen vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 270e Abs. 1 und 2 InsO), der personenidentisch mit dem vorläufigen Sachwalter sein kann, § 270e Abs. 3 InsO. Das Gericht muss seine Entscheidung zur Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters schriftlich begründen, § 270e Abs. 4 Satz 3 InsO.
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Das Eröffnungsverfahren nach dem Antrag auf Eigenverwaltung (§ 270b bis § 270d InsO) kann somit die §§ 21 und 22 InsO in unterschiedlicher Form zur Anwendung bringen. Im Ausgangspunkt gilt, dass für die Beteiligten zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht feststeht, ob und wie das Insolvenzverfahren eröffnet wird und damit die Gelegenheit zur Eigenverwaltung besteht. Die Vermögens-
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705 § 22a InsO mit den Schwellenwerten für einen verpflichtenden vorläufigen Gläubigerausschuss gilt ergänzend.
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§ 3 Rz. 542 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung lage des Schuldners, die spätere Haftungsmasse, muss gleichwohl vor nachteiligen Veränderungen bewahrt werden können.706 543
In der Anwendung des § 26 InsO ist die Besonderheit zu beachten, dass die Kosten des Verfahrens im Eigenverwaltungsverfahren geringer sind als im Regelinsolvenzverfahren, was vom Insolvenzgericht bei seiner Prognoseentscheidung zu berücksichtigen ist. Zusätzlich kostenauslösende Beratungsleistungen (bspw. für „insolvenzrechtliches Sonderwissen“, vgl. Rz. 574) sind keine Kosten des Verfahrens i.S.v. § 54 InsO. § 4a InsO ermöglicht, einen Stundungsantrag für die Kosten des Insolvenzverfahrens zu stellen, so dass die Abweisung mangels Masse zu unterbleiben hat, § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO.707 Das Insolvenzgericht muss gem. § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO im Rahmen der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens (§ 27 InsO) auch über die Eigenverwaltung entscheiden, so dass anstelle des Insolvenzverwalters ein Sachwalter zu bestellen ist, falls dem Antrag stattgegeben wird (§ 270f Abs. 2 Satz 1 InsO). Über § 270f Abs. 2 Satz 2 InsO wird § 28 Abs. 1 und 2 InsO modifiziert, so dass Forderungen beim Sachwalter anzumelden sind. Grds. nicht anwendbar sind die §§ 32 und 33 InsO über die Eintragung in das Grundbuch bzw. Register für Schiffe und Luftfahrzeuge (vgl. aber bei Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit § 277 Abs. 3 InsO), wogegen Eintragungen in die in § 31 InsO bezeichneten Handels-, Genossenschafts-, Gesellschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregister erfolgen, § 270f Abs. 2 Satz 3 InsO.
b) Insolvenzmasse, Einteilung und Organe der Gläubiger 544
Die Vorschriften über die Insolvenzmasse und über die Einteilung der Gläubiger in den §§ 35 ff. InsO sind uneingeschränkt anwendbar. Kosten des Insolvenzverfahrens gem. § 54 Ziff. 2 InsO sind während der Eigenverwaltung die Vergütung und Auslagen des (vorläufigen) Sachwalters (vgl. Rz. 787). Die §§ 56 bis 60, 62 bis 65 InsO sind gleichfalls für den Sachwalter anwendbar, § 274 Abs. 1 InsO. Zu beachten ist aber, dass im Eigenverwaltungsverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem Schuldner zugewiesen ist. Der Insolvenzverwalter ist in dieser Verfahrensart nicht vorgesehen und darf deshalb faktisch auch nicht durch den Sachwalter gelebt oder ihm aufgegeben werden. Aus diesem Grunde kann der Sachwalter nur dann für die Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten gem. § 61 InsO haftbar gemacht werden, wenn die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte von seiner Zustimmung abhängt und er diese erteilt hat, § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO, bzw. für bestimmte Sachverhalte eine Durchbrechung der Verwaltungs- und Verfügungszuständigkeit hin zum Sachwalter erfolgt, § 280 InsO (Geltendmachung der Haftung nach den §§ 92, 93 InsO und Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO). Die Rechnungslegungspflicht nach den §§ 66, 155 InsO trifft den Schuldner und nicht den Sachwalter, § 281 Abs. 3 InsO. Gleichfalls anwendbar sind die Vorschriften über den Gläubigerausschuss sowie Gläubigerversammlungen, §§ 67 ff. und 74 ff. InsO (zu diesen Organen und der daraus abgeleiteten Gläubigerautonomie vgl. § 9 Rz. 372 ff. und 417 ff.).
706 Zutreffend auf die Sensibilität des Eröffnungsverfahrens und die erforderlichen Maßnahmen hinweisend Braun, NZI 2003, 588 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH v. 15.1.2004 – IX ZB 197/03, NZI 2004, 216 f. (Dahl); Vorinstanz LG Bonn v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, NZI 2003, 653 ff. mit Anmerkung Bärenz und dem Hinweis auf den atypischen Lebenssachverhalt, so dass keine allgemein gültigen Grundsätze daraus zu ziehen sind. 707 Siehe hierzu auch BGH v. 5.5.2011 – IX ZB 136/09, MDR 2011, 816 = NZI 2011, 683 f.: Mit der Bestätigung eines Insolvenzplans (gleich ob das Verfahren über ein Schutzschirmverfahren oder ein reguläres vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren eingeleitet wird, Ergänzung des Verfassers) und Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt eine weitere Stundung der Verfahrenskosten nicht in Betracht. Gemäß § 258 Abs. 2 InsO sind u.a. die Kosten des Verfahrens zu regeln, § 4b InsO findet keine Anwendung mehr.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 549 § 3
c) Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens § 80 Abs. 1 InsO findet im Eigenverwaltungsverfahren keine Anwendung, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner verbleibt. § 277 InsO modifiziert § 81 InsO, die Freigabewirkung des § 85 Abs. 2 InsO ist obsolet. Die §§ 92 und 93 InsO werden durch § 280 InsO dem Sachwalter zur originären Aufgabe zugewiesen. § 278 InsO ändert die §§ 100 und 101 InsO ab. Im Übrigen finden die Vorschriften zu den allgemeinen Wirkungen des eröffneten Verfahrens Anwendung.
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Die dem Insolvenzverwalter in den §§ 103 bis 128 InsO zugewiesenen Aufgaben nimmt der Schuldner wahr, ggf. mit Zustimmung des Sachwalters, § 279 InsO. Die Insolvenzanfechtung ist dem Sachwalter originär zugewiesen, § 280 InsO, wobei zu beachten ist, dass Rechtshandlungen des Schuldners, die während der Eigenverwaltung vorgenommen werden, nicht anfechtbar sind.
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d) Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse Eine Übernahme der Insolvenzmasse gem. § 148 Abs. 1 InsO durch den Sachwalter unterbleibt, da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem Schuldner zugewiesen wird. Im Übrigen wird der Schuldner anstelle des im Regelverfahren agierenden Insolvenzverwalters gemäß der §§ 148 ff. InsO tätig, der dabei aber der Überwachung durch den Sachwalter unterliegt. Die Verwertung der Insolvenzmasse gem. § 159 InsO erfolgt demgemäß durch den Schuldner, im Einvernehmen mit dem Sachwalter auch für Gegenstände, an denen ein Absonderungsrecht besteht, § 282 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 InsO. Anders als im Regelverfahren (§§ 170 ff. InsO) wird ein Kostenbeitrag für die Feststellung des Gegenstands und der Rechte an diesem nicht erhoben, § 282 Abs. 1 Satz 2 InsO. Ebenso kann die Verwertungspauschale von 5 % nicht eingefordert werden, wohl aber tatsächlich entstandene, für die Verwertung erforderliche Kosten nebst anfallender Umsatzsteuer, § 282 Abs. 1 Satz 3 InsO.
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e) Befriedigung der Insolvenzgläubiger und Einstellung des Verfahrens Die § 174 ff. InsO sind anzuwenden, wobei die Rechte des Insolvenzverwalters durch den Schuldner wahrgenommen werden (zur Forderungsanmeldung vgl. § 9 Rz. 268 ff.). Die Forderungsanmeldung ist allerdings gegenüber dem Sachwalter vorzunehmen, § 270f Abs. 2 Satz 2 InsO. Neben den Insolvenzgläubigern kann der Schuldner wie auch der Sachwalter Forderungen bestreiten, § 283 Abs. 1 InsO.
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f) Ergänzung durch die Zivilprozessordnung und andere Gesetze Finden grds. die allgemeinen Regelungen nach den §§ 1 ff. InsO Anwendung, weil die §§ 270 ff. InsO keine Sonderregelung enthalten, und verbleibt dort eine Regelungslücke, sind über § 4 InsO die Vorschriften der Zivilprozessordnung auch im Eigenverwaltungsverfahren anzuwenden, wobei jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen ist, ob die Insolvenzordnung ergänzungsbedürftig ist und ob und wie das Zivilprozessrecht herangezogen werden kann.708 Mangels besonderer Regelung gilt deshalb bspw. auch die Unterbrechungswirkung gem. § 240 ZPO.709 Eine Schutzschrift zur Verhinderung der Eigen-
708 Vgl. hierzu bspw. Becker in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 4 Rz. 1 ff.; Baumert in Braun, Insolvenzordnung, § 4 Rz. 2 ff., mit der Klarstellung, dass die Verweisung trotz ihres auf die Zivilprozessordnung beschränkten Wortlautes auch andere Gesetze, die für den Zivilprozess relevante Normen enthalten, umfasst (bspw. das Gerichtsverfassungs-, Zwangsversteigerungs-, Rechtspfleger- oder Richtergesetz wie auch die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes). 709 BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, MDR 2007, 612 = ZIP 2007, 249 f., auch wenn kein Wechsel in der Prozessführungsbefugnis, anders als bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters, erfolgt; nicht anzuwenden ist § 240 ZPO in selbständigen Beweisverfahren, BGH v. 11.12.2003 – VII ZB 14/03, MDR 2004, 404 = ZInsO 2004, 85 f. Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters löst vor der Verfahrenseröffnung noch keine prozessualen Folgen aus, § 240 Satz 2 ZPO fordert den Übergang der Verwaltungs-
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§ 3 Rz. 549 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung verwaltung ist nicht zulässig. Wollen Gläubiger bereits im Eröffnungsverfahren Bedenken gegen die Anordnung vorbringen, bleibt es ihnen unbenommen, dem Insolvenzgericht entsprechende Umstände, die gegen eine Anordnung sprechen, vorzutragen oder sich über den vorläufigen Gläubigerausschuss zu organisieren, § 270e Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2 InsO.710 § 270b Abs. 4 InsO sieht bereits mit der Anordnung für den gerichtsgeprüften Zugang nach Abs. 2 vor, dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Äußerung zu geben. 550
Zudem besteht nach der Verfahrenseröffnung gem. § 272 InsO die Möglichkeit, die Aufhebung der angeordneten Eigenverwaltung zu beantragen. Daneben können auch Vorschriften des BGB subsidiär ohne ausdrücklichen Verweis in der Insolvenzordnung Anwendung finden, bspw. wenn es sich wie bei der Abstimmung in Gläubigerversammlungen um Sachverhalte des bürgerlichen Rechts handelt.711 Gesellschaftsrechtliche Rechte und Pflichten des Schuldners bestehen zwar fort, werden aber von der gläubigerorientierten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des anstelle des Insolvenzverwalters nun handelnden Schuldners in seiner Funktion als „Eigenverwalter“ überlagert.712 Im Bereich der Geschäftsführung verdrängen deshalb die insolvenzrechtlichen Regelungen die Rechte der Überwachungsorgane, § 276a InsO. Nicht berührt hiervon wird der massenneutrale insolvenzfreie Bereich, der weiterhin den Anteilseignern zur eigenverantwortlichen Bestimmung vorbehalten bleibt. Hier können die Anteilseigner weiter von sich aus tätig werden bspw. im Bereich der Abberufung oder Neubestellung der Geschäftsführung, im Rahmen der Eigenverwaltung aber nur mit Zustimmung des Sachwalters, § 276a InsO, einer Satzungsänderung oder Kapitalerhöhung wie sie auch die Durchführung von Sonderprüfungen beauftragen können.713
4. Das Antragsrecht des Schuldners und seine Stellung im Verfahren a) Antragstellung durch den Schuldner aa) Der konzeptionierte Schuldnerantrag als unabdingbare Voraussetzung jeder Eigenverwaltung 551
Unter den Voraussetzungen der §§ 270, 270a, 270b und 270f InsO wird die Eigenverwaltung angeordnet, wobei der Antrag des Schuldners bzw. seine Zustimmung das Verfahren zur Anordnung der Eigenverwaltung in Gang setzt. Die Anordnung kann nicht gegen den Willen des Schuldners von Amts wegen oder auf alleinigen Antrag der Gläubiger durchgesetzt werden, unabhängig davon, ob die Anordnung der Eigenverwaltung mit dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt (§§ 270 Abs. 1, 270f InsO) oder die Eigenverwaltung erst nach der Verfahrenseröffnung angeordnet wird (§ 271 Satz 1 InsO). Es wäre widersprüchlich, mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung dem Schuldner die Insolvenzbewältigung aufzuerlegen, wenn dieser daran nicht mitwirken will oder kann. Der Schuldner muss deshalb in jedem Fall einen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung stellen oder zustimmen, §§ 270a Abs. 1, 271 Satz 1 InsO.714
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und Verfügungsbefugnis zumindest auf einen vorläufigen starken Insolvenzverwalter, LG Freiburg v. 9.5.2014 – 12 O 62/13, ZInsO 2014, 1229, 1231. Vgl. grds. zur Schutzschrift im Insolvenzverfahren Bichlmeier, DZWiR, 2000, 62 ff.; dem folgend Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 38; wie hier Zipperer in Uhlenbruck/ Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 39; Brünkmans in HK/InsO, § 270 Rz. 13. Für das Insolvenzplanverfahren mit einem Beispiel Braun/Riggert/Herzig, Schwerpunkte des Insolvenzverfahrens, S. 157. Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 1; Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 1; Noack, ZIP 2002, 1873 ff.; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777 ff.; Hess/Ruppe, NZI 2002, 577, 579 ff.; a.A. Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406 ff.; Köchling, ZInsO 2003, 53, 54 f. OLG München v. 14.5.2018 – 31 Wx 122/18, DZWiR 2018, 544 ff., zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass entstehende Kosten außerhalb des Insolvenzverfahrens durchgeführter gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen keine Verlagerung der Kompetenzen mit sich bringt, sondern Frage eines etwaigen Erstattungsanspruchs gegen die Insolvenzmasse sind. Zustimmend Schmittmann/Hippeli, a.a.O., 501 ff. OLG Naumburg v. 17.4.2001 – 5 W 29/01, ZInsO 2001, 810.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 554 § 3
Dem Schuldner obliegt es, dem eigentlichen Antrag eine Eigenverwaltungsplanung beizufügen und Erklärungen zum Zahlungsverhalten gegenüber bestimmten Gläubigern, zur Einhaltung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten und zu früheren Inanspruchnahmen von sanierungsrechtlichen Verfahrenshilfen (Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach der InsO oder dem StaRUG) abzugeben, § 270a InsO. Damit kann er dokumentieren, dass er bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergemeinschaft auszurichten. Derjenige, der einen konzeptionierten Antrag beibringt, soll den Vorteil der konsequenten Anordnung der Eigenverwaltung erlangen können, soweit keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht, § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO. Der Schuldner erhält den Primärzugang zur Eigenverwaltung. Weist die Eigenverwaltungsplanung Mängel auf, die behebbar sind, muss der Schuldner diese innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist von längstens 20 Tagen beheben. Bis dorthin wird das Verfahren einstweilen in Gang gesetzt, d.h. man geht davon aus, dass der Schuldner im eigenen Interesse entsprechend nachbessert, § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO.
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Die mit der Insolvenzantragstellung verbundene finanzielle Schieflage, die sich als (drohende) Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung zeigt, wird in nicht wenigen Fällen Auswirkungen auf die Planung der Eigenverwaltung haben. Finanzielle Entlastungseffekte stellen sich regelmäßig erst nach der Verfahrenseröffnung ein bzw. können mit der Antragstellung nicht bereits so antizipiert werden, dass die finanzwirtschaftlichen Rahmendaten eine spürbare Verbesserung zeigen. Können aufgrund der finanziellen Situation deshalb nicht alle Elemente der Eigenverwaltungsplanung erfüllt werden (§ 270b Abs. 2 InsO: Durchfinanzierung der nächsten sechs Monate, § 270a Abs. 1 Ziff. 1 InsO, oder die angesetzten Kosten der beabsichtigten Eigenverwaltung übersteigen wesentlich die des prognostizierten Regelverfahrens, § 270a Abs. 1 Ziff. 5 InsO) oder konnte der Schuldner die in § 270a Abs. 2 InsO erforderlichen Bedingungen in der Vergangenheit nicht allesamt erfüllen (es bestehen wesentliche Zahlungsrückstände in den Bereichen Arbeitnehmer,715 Steuer und Sozialversicherungsbeiträge sowie Lieferanten, in den vergangenen drei Jahren musste der Schuldner schon einmal Vollstreckungsund Verwertungssperren in Anspruch nehmen716 oder er kam für die letzten drei Geschäftsjahre in einem davon seinen Offenlegungsverpflichten nicht nach), kann der Schuldner gleichwohl diesen Verfahrensweg nutzen, wenn er das Gericht von seiner gläubigerorientierten Gesinnung überzeugen kann. Hier schließt sich eine weitere Prüfung an: Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist festzustellen, ob der Schuldner trotz des Fehlens vom Gesetz formulierter Zugangsvoraussetzungen gleichwohl seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergemeinschaft ausrichtet, § 270b Abs. 2 InsO a.E. Auf diese Art und Weise erhält der Schuldner einen überprüften Zugang zur Eigenverwaltung.
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Hinweis: Auch wenn das Gericht über § 270b Abs. 2 InsO gehalten ist, sämtliche relevanten Umstände zu ermitteln und die Beschränkungen der Grundlagen der richterlichen Entscheidung auf die bekannten Umstände des § 270b Abs. 1 InsO für diese Prüfung nicht gelten, wird der unvorbereitete und auch ansonsten untätige Schuldner das Gericht nicht davon überzeugen können, dass er bei Durchführung der Eigenverwaltung seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger ausrichtet. Hierzu gehört es dann, dass die übrigen erfüllbaren Kernelemente der Eigenverwaltungsplanung, nicht zwingend als in sich geschlossen konzipierter Antragsanhang, wohl aber auf sonstige Art und Weise dem Gericht zur Kenntnis gelangen. Im Zuge der erforderlichen Gesamtwürdigung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob zwischenzeitlich Maßnahmen getroffen wurden, die die Versäumnisse der Vergangenheit nachholen oder für die Zukunft jedenfalls vermeiden. Konnte der Schuldner wegen fehlender Zuarbeit von dritter Seite seine Pflichten nicht erfüllen, muss auch dies entlastend berücksichtigt werden. Zahlungsrückstände relativieren sich, wenn nachgewiesen wird, dass aufgrund der geführten Verhandlungen mit Blick auf die zur Finanzierung des Geschäftsbetriebs ergriffenen
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715 § 270b Abs. 2 Ziff. 1 InsO lässt jeden Zahlungsrückstand im Bereich der Arbeitnehmer als zu berücksichtigenden Sachverhalt für die Gesamtwürdigung zu. 716 Scheitert ein außergerichtlicher Sanierungsversuch nach dem StaRUG bei dort angeordneter Vollstreckungs- oder Verwertungssperre, wird die Folge ein Übergang in ein Insolvenzverfahren sein. Schon daraus ist erkennbar, dass allein die Anordnung solcher Sperren die Durchführung eines späteren Eigenverwaltungsverfahrens nicht hindern.
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§ 3 Rz. 554 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Maßnahmen eine Fortführung des Unternehmens gelingen kann. Mehrkosten der Eigenverwaltung können durch erkennbare anderweitige Vorteile, bspw. der Nutzung von Kenntnissen und Erfahrung der Geschäftsführung, kompensiert werden. An dieser Stelle zeigt sich zugleich die gläubigerorientierte Verfahrensdurchführung, wenn das Gericht im Zuge seiner nach Abs. 2 zu treffenden Entscheidung den vorläufigen Gläubigerausschuss zu konsultieren und dessen einstimmige Entscheidung, solange diese nicht insolvenzzweckwidrig ist, bindend ist717: Der Schuldner erhält im Falle einer erfolgreichen Überzeugungsarbeit beim vorläufigen Gläubigerausschuss einen unterstützten Zugang zur Eigenverwaltung, § 270b Abs. 3 InsO.
(1) Eigenverwaltungsplanung 555
Liegt eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung vor, was als Sammelbegriff der in § 270a Abs. 1 InsO näher bezeichneten Unterlagen verstanden wird, erfolgt die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung im Wege des Primärzugangs, es sein denn, die Planung beruht in wesentlichen Teilen auf unzutreffenden Tatsachen, § 270b Abs. 1 Ziff. 2 InsO.
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In allen anderen Fällen, (die Eigenverwaltungsplanung beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen bzw. die Eigenverwaltungsplanung selbst ist unvollständig oder unschlüssig), muss zur Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung das Gericht zur Überzeugung gelangen, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten, § 270b Abs. 2 InsO a.E. Der Zugang wird überprüft. Soweit ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt ist, ist das Gericht an das einstimmige Votum des Ausschusses gebunden, positiv wie negativ, § 270b Abs. 3 InsO.718 Auf diese Weise kann ein unterstützter Zugang zur Eigenverwaltung erfolgen. Die Konsultation des vorläufigen Gläubigerausschusses durch das Gericht kann nur unterbleiben, wenn die hierdurch bedingte Verzögerung offensichtlich innerhalb von zwei Werktagen zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, die sich nur durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lässt.
717 § 72 InsO findet Anwendung. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 758, spricht von einer Einschränkung der Gläubigerrechte, soweit nur im Falle des § 270b Abs. 2 InsO der vorläufige Gläubigerausschuss verpflichtend anzuhören ist, und stellt den Gerichten anheim, dem Gläubigerausschuss grundsätzlich die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Von der Prüfung der Zugangsvoraussetzungen soll vom Gericht vollends abgesehen werden, wenn sich der vorläufige Gläubigerausschuss in die eine oder andere Richtung entscheidet. Verfahrensökonomisch kann dies sein, weil der vorläufige Gläubigerausschuss ohne Begründungsnotwendigkeit die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung sogleich beantragen kann, § 270e Abs. 1 Ziff. 4 InsO. 718 § 72 InsO findet Anwendung.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 557 § 3
Schema: Zugang zur Eigenverwaltung
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§ 3 Rz. 558 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 558
Der die Eigenverwaltung anstrebende Schuldner ist deshalb angehalten, diese sorgfältig vorzubereiten, ordentlich zu dokumentieren und die Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit des Vorhabens zu hinterfragen. Dem Schuldner, der sich entsprechend verhält, wird als Folge seines redlichen und durchdachten Verhaltens ein vorhersehbarer Zugang in die Eigenverwaltung verschafft. Die Antragsunterlagen behalten auch während des Verfahrens ihre Bedeutung, sie dienen der Messung der Schuldnerangaben. Handlungen und Maßnahmen werden mit den Beschreibungen verglichen. Änderungen im Nachhinein müssen begründet werden und können, soweit sie nicht nachvollziehbar sind, die Beendigung der (vorläufigen) Eigenverwaltung auslösen, § 270e Abs. 1 Ziff. 3 InsO.719
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Aus dem nach § 270a Abs. 1 Ziff. 1 InsO beizufügenden Finanzplan muss sich ergeben, dass die Unternehmensfortführung in den nächsten sechs Monaten durchfinanziert ist, sowohl was den eigentlichen Geschäftsbetrieb angeht wie auch die dabei entstehenden außerordentlichen Kosten, bspw. die des Verfahrens wie auch zugezogener Berater. Hierfür gelten die allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätze. In der Planung dürfen bei den verfügbaren Mitteln für die nächsten sechs Monate auch solche Mittel eingeplant werden, deren Zugang noch nicht sicher feststeht, aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, bspw. unechte Massekredite.
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Hinweis: Es ist darzulegen, wie die Unternehmensfortführung und die (begründeten) Kosten des Verfahrens in den nächsten sechs Monaten finanziert werden können. Hierbei ist bspw. die Insolvenzgeldfinanzierung kostenentlastend zu berücksichtigen, belastend zu berücksichtigen sind zu erwartende Umstellungen auf Vorkasse bei Lieferanten. Der Prognosezeitraum beginnt mit der Antragstellung und ist fest bezogen auf die Laufzeit, variabel hingegen in der Aufteilung zwischen dem Eröffnungs- und dem eröffneten Verfahren. § 270f Abs. 1 InsO bezieht sich mit der Anordnung der Eigenverwaltung auf die Berechtigung, das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren anordnen zu können, womit die Frist der Eigenverwaltungsplanung dort zu laufen beginnt.
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Finanzplan als Teil der Eigenverwaltungsplanung: Neben einer tabellarischen Darstellung der regulären Ein- und Auszahlungen (solche des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes) sowie der außerordentlich mit der Insolvenz anfallenden, insbesondere der Verfahrenskosten (insgesamt die zur Krisenbewältigung erforderlichen Kosten), bietet sich an, bereits solche Übersichten mit kurzen Anmerkungen zu den angesetzten Positionen zu ergänzen und bei Bedarf einzelne Ansätze in einer Kurzdarstellung zu detaillieren. Ergänzend kann der Finanzverlauf graphisch abgebildet werden. Auf diese Art und Weise kann sich der interessierte Beteiligte auf einen Blick einen ersten Eindruck verschaffen. § 270a Abs. 1 Ziff. 1 InsO gibt keine Form vor, so dass Tabellen, Übersichten oder in Textform die erforderlichen Informationen gegeben werden können. In größeren Verfahren wird man solchen Übersichten, die für einfach gelagerte Fälle ausreichen können, erläuternde Ausführungen beifügen, die üblicherweise im Berichtswesen Verwendung finden. Die nachfolgende Darstellung greift diesen vorgeschlagenen Ansatz (6-Monats-Finanzplan mit kurzen Anmerkungen, konkrete kundenbasierte Umsatzeinzahlungsplanung und Liquiditätsverlauf im Liniendiagramm) auf.
719 Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 206.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 561 § 3
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§ 3 Rz. 561 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 561 § 3
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§ 3 Rz. 562 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 562
Daneben muss ein Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens beigefügt werden, § 270a Abs. 1 Ziff. 2 InsO, was nicht auf den in Ziff. 1 benannten 6-Monats-Zeitraum begrenzt ist. Ausgehend von den tatsächlichen Verhältnissen sind hierfür Art, Ausmaß und Ursachen der Krise sowie das Ziel der Eigenverwaltung und die dafür erforderlichen Maßnahmen zu beschreiben. Darstellungstiefe und -grad hängen von der konkreten Situation ab.
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Hinweis: Die Vorlage eines Sanierungskonzeptes ist damit nicht verbunden, dies kann, soweit es bereits fertiggestellt ist, Teil des Schutzschirmverfahrens gem. § 270d InsO mit dem nachfolgenden Insolvenzplanverfahren sein. Darzustellen ist der Gang des Insolvenzverfahrens, das in Eigenverwaltung betrieben werden soll, womit das Konzept alle zulässigen Ziele eines Insolvenzverfahrens abbilden kann, auch eine übertragende Sanierung720 oder eine Liquidation.
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Der Stand der Verhandlungen mit den Beteiligten ist ergänzend darzustellen, § 270a Abs. 1 Ziff. 3 InsO. Die Darstellung soll dem Gericht einen Eindruck vom aktuellen Verhandlungsstand vermitteln, sie muss jedoch keine Details beinhalten, insbesondere ist keine Bezifferung von in Aussicht oder bereits zugesagten Sanierungsbeiträgen erforderlich. Sind noch keine Verhandlungen erfolgt, ist dies zu vermerken und schadet der angestrebten Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung nicht.
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Der Schuldner hat darzulegen, welche Vorkehrungen er getroffen hat, um die Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten sicherzustellen, § 270a Abs. 1 Ziff. 4 InsO. Dies kann durch den Schuldner selbst, durch Generalbevollmächtigte oder Berater mit entsprechender Expertise sichergestellt werden.721
566
Zu prognostizieren sind schließlich Mehr- oder Minderkosten, die im Rahmen der angestrebten Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren voraussichtlich anfallen werden, § 270a Abs. 1 Ziff. 5 InsO. Die Darstellung der Kosten ist nicht auf die Kosten des Verfahrens und auch nicht auf den in Ziff. 1 genannten 6-Monats-Zeitraum beschränkt. Dementsprechend sind auch Beraterkosten, auch diejenigen, die aufgrund einer späteren Fälligkeit nicht in dem sechsmonatigen Finanzplan abgebildet sind, anzugeben.722
567
Kostenvergleichsrechnung als Teil der Eigenverwaltungsplanung: Neben der eigentlichen Gegenüberstellung der Mehr- und Minderkosten bietet sich an, die zur Ermittlung der Kosten herangezogenen Berechnungsgrundlagen beizufügen, womit die der InsVV zugrundeliegende Wertermittlung mit abzubilden ist. § 270a Abs. 1 Ziff. 5 InsO gibt keine Form vor, so dass Tabellen, graphische Darstellungen oder in Textform die erforderlichen Informationen gegeben werden können. Zum Einsatz kommende Übersichten erleichtern eine vergleichende Betrachtung, was für einfach gelagerte Fälle ausreichen kann. Die nachfolgende Kostenvergleichsrechnung greift diesen vorgeschlagenen Ansatz (Gegenüberstellung mit kurzen Anmerkungen, Darstellung der Berechnungsgrundlagen) auf.
720 BGH v. 3.12.2019 – II ZR 457/18, MDR 2020, 419 = NZI 2020, 285 ff.: Unter Hinweis darauf, dass bei der Anordnung der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse beim Schuldner verbleiben, der damit als Amtswalter anstelle des Insolvenzverwalters handelt, findet im Rahmen der übertragenden Sanierung bei der Firmenfortführung ebenfalls keine Nachfolgehaftung nach § 25 HGB statt. 721 BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, MDR 2016, 1291 = ZInsO 2016, 2077, 2084. 722 Ausführlich hierzu Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 204 f.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 567 § 3
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§ 3 Rz. 567 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 567 § 3
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§ 3 Rz. 568 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 568
Die Eigenverwaltungsplanung ist kein statisches Element der Antragstellung, sondern im Wege eines laufenden Soll-/Ist-Abgleichs während der vorläufigen Eigenverwaltung bei Bedarf anzupassen, um so auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung entscheiden zu können, ob dem Antrag gefolgt oder dieser abgelehnt wird, § 270f InsO. Über § 270c Abs. 2 InsO sind deshalb wesentliche Änderungen, die die Eigenverwaltungsplanung betreffen, dem Gericht und dem vorläufigen Sachwalter mitzuteilen, um eine jederzeitige sachgerechte Beurteilung der Lage vornehmen zu können. Der Schuldner wird hierzu verpflichtet, dies unverzüglich zu tun.
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Hinweis: Ergeben sich wertverändernde Effekte durch das Eigenverwaltungsverfahren, ist der Antragsteller gut beraten, dies darzustellen, obwohl es nicht erforderlich ist. Die bisherigen Praxiserfahrungen zeigen, dass die Frage des Vor- bzw. Nachteils723 eines solchen Verfahrens oft auf die Kostenfrage reduziert wird.724 Liegt so eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung vor, ist eine wesentliche Bedingung für den Primärzugang erfüllt. Nur wenn dem Gericht bezogen auf die Planung Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Planung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachenangaben beruht, schließt sich an dieser Stelle eine weitere Prüfung durch das Gericht an. Behebbare Mängel können beseitigt werden, weshalb das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung anordnen und eine Nachbesserungsfrist von maximal 20 Tagen setzen kann, § 270b Abs. 1 InsO. Die Plausibilisierung der Angaben und deren nähere Überprüfung ist nicht Aufgabe des Gerichts. Sie obliegt, wenn beauftragt, dem Sachwalter (§ 270c Abs. 1 InsO).
(2) Erklärungen des Schuldners zu den Begleitumständen 570
Nach § 270a Abs. 2 InsO muss sich der Schuldner neben der eigentlichen Eigenverwaltungsplanung nach Abs. 1 gesondert zu einzelnen Sachverhalten erklären. Sie werden insbesondere benötigt, wenn das Gericht den Zugang zur Eigenverwaltung zu überprüfen hat, § 270b Abs. 2 InsO. So ist vom Schuldner aufzuzeigen, ob, in welchem Umfang und gegenüber welchem Gläubiger Zahlungsrückstände725 aus Arbeitsverhältnissen (inkl. Pensionszusagen) oder Steuerschuldverhältnissen bestehen oder gegen Sozialversicherungsträger oder Lieferanten gegeben sind. Offenzulegen ist auch, ob und in welchen Verfahren zugunsten des Schuldners innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Antrag Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach der InsO oder dem StaRUG angeordnet wurden. Und der Schuldner hat ebenso anzugeben, ob er für die letzten drei Geschäftsjahre seinen Offenlegungspflichten, insbesondere nach den §§ 325 bis 328 oder 339 HGB nachgekommen ist.
571
Hinweis: Der Antragsteller sollte die Wichtigkeit dieser zusätzlichen Informationen, die ergänzend zur Eigenverwaltungsplanung zu erklären sind, nicht unterschätzen. Soweit seine Eigenverwaltungsplanung nicht tragfähig i.S.v. § 270b Abs. 1 InsO ist, bringt er die Eigenverwaltung in Gefahr, wenn er sich nicht entsprechend äußert. Hält der Schuldner an seinem Antrag fest, wird der Beweis der Ausrichtung seiner Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger gem. § 270b Abs. 2 InsO überprüft, u.a. anhand dieser Umstände. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass gerade in diesen Fällen nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Schuldner seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten bereit oder in der Lage ist: Je tiefer sich der Schuldner in einer finanziellen Schieflage befindet, desto anspruchsvoller wird die 723 In der Gesetzesfassung bis zum 31.12.2020 so verankert, § 270 Abs. 2 Ziff. 2 InsO a.F.: „…zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird…“. Ab dem 1.1.2021 ist jedoch maßgeblich, ob der Schuldner „…seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger ausrichtet…“, bspw. normiert in den §§ 270b Abs. 2, 270e Abs. 1 Ziff. 1, 272 Abs. 1 Ziff. 1 InsO. 724 Siehe hierzu Braun, NZI 2015, 22, Editorial. 725 Das Gesetz normiert in § 270a Abs. 2 Ziff. 1 InsO „… sich … in Verzug befindet …“, in § 270b Abs. 2 Ziff. 1 InsO hingegen die „Zahlungsrückstände“. Inhaltlich ergibt sich daraus kein Unterschied, der Gesetzgeber spricht in seiner Gesetzesbegründung zu § 270a InsO und § 270b InsO von der Maßgeblichkeit des Rückstandes, der anzugeben ist nebst den Umständen, die dazu geführt haben, Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 203 und S. 206. Daraus kann geschlossen werden, ob der Rückstand ein zu vertretender Verzug i.S.v. § 286 BGB ist, was in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 573 § 3 Durchführung eines Insolvenzverfahrens. Die erneute Inanspruchnahme von sanierungsrechtlichen Verfahrenshilfen wird als Indiz gewertet, eine vormals gegebene Krise nicht nachhaltig bewältigt zu haben. Soweit den Informationsverschaffungspflichten nicht ausreichend nachgekommen wurde, wird eine nicht ausreichende Rücksichtnahme auf Gläubigerinteressen vermutet. Deshalb kommt die Eigenverwaltung in diesen Fällen nur dann in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass der Schuldner trotz des Vorliegens dieser Umstände bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigerschaft auszurichten, § 270b Abs. 2 InsO.726 Wesentlich höhere prognostizierte Kosten der Eigenverwaltung werden mit bewertet und hindern allein nicht die Anordnung des Verfahrens. Eine finanzielle Unterdeckung, die sich in den nächsten sechs Monaten zeigt, muss allerdings beseitigt werden können. Werden entsprechende Gespräche geführt, bspw. über die Gewährung eines unechten Massekredits bzw. die weitergehende Stundung von Forderungen, ist dies anzugeben. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts muss geklärt sein, dass die geplante Fortführung in dieser Phase verlustfrei ist.
bb) Zeitpunkt der Antragstellung Weil das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet, ist der Antrag des Schuldners spätestens bis zur Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Verfahrenseröffnung zu stellen, §§ 270 Abs. 1 Satz 1, 270a InsO. Ein Nachschieben des Antrags im Rechtsmittelverfahren gem. § 34 InsO gegen die Entscheidung über den Eröffnungsantrag ist nicht möglich.727 Aus § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO folgt auch, dass ein Eigenverwaltungsantrag ohne vorherigen oder gleichzeitigen Antrag auf Verfahrenseröffnung, um abzuwarten, ob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung anordnet, unzulässig ist. Ein auf die Anordnung der Eigenverwaltung bedingter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ebenso nicht statthaft.728 Dem entsprechend kann die Einzahlung eines Kostenvorschusses zur ansonsten fehlenden Kostendeckung gem. § 26 Abs. 1 InsO nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung des Schuldners anordnet.729
572
Der Antrag zur Anordnung der Eigenverwaltung muss vom Schuldner nicht mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden werden. Denkbar ist bei Stellung des Eröffnungsantrags zunächst nur den Hinweis auf eine mögliche Eigenverwaltung zu geben, um die Einzelheiten erst noch zu klären und die nach § 270a InsO erforderliche Eigenverwaltungsplanung vorzubereiten. Der Schuldner kann die Zeit im Eröffnungsverfahren bis zur endgültigen Entscheidung nutzen, erforderliche Überzeugungsarbeit bei Gericht, den Gläubigern und dem potentiellen Verwalter, der je nach Ausgestaltung des Verfahrens als klassischer Insolvenzverwalter oder als Sachwalter agieren wird, zu leisten.730 Das Insolvenzgericht wird dies bei seinen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu treffenden Maßnahmen, insbesondere solchen nach den §§ 21 ff. InsO, im gleichen Maße wie bei einem entsprechenden Eigenverwaltungsantrag zu berücksichtigen haben.731 Will hingegen der Schuldner die ihm mittels ESUG geschaffene Möglichkeit der bestmöglichen Organisation des Verfahrens nutzen, sich insbesondere des Schutzschirmverfahrens nach § 270d InsO (dazu
573
726 Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 203 f. 727 Andres in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 3; Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 270 Rz. 78; Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 75; wohl auch Fiebig in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 270 Rz. 13, mit dem Hinweis auf die Möglichkeit des unterstützenden Antrags durch die Gläubigerversammlung nach § 271 InsO im eröffneten Verfahren; a.A. LG Cottbus v. 17.7.2001 – 7 T 421/00, ZIP 2001, 2188, und Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 270 Rz. 10. 728 Mönning in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 13 Rz. 21. 729 BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 85/05, MDR 2007, 739 = NZI 2006, 34 f.; kritisch hierzu Smid, DZWiR 2005, 475 ff., sowie zur Vorinstanz AG Charlottenburg v. 22.12.2004 – 101 IN 2808/04 schon Smid, DZWiR 2005, 168 ff. Zum Verfahrenskostenvorschuss s. auch Herzig in Braun, Insolvenzordnung, § 26 Rz. 23 ff. 730 Vgl. hierzu auch Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 3 ff. 731 Grds. zu Sicherungsmaßnahmen Uhlenbruck, NZI 2001, 632 ff. m.w.N.; die Problematik beschreibend Braun, NZI 2003, 588 ff.
Frank | 301
§ 3 Rz. 573 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Rz. 577 ff.) bedienen, wird er die Anträge zeitgleich stellen und die Eigenverwaltungsplanung nach § 270a Abs. 1 InsO einreichen. 574
Hinweis: Trotz der zwischenzeitlichen Akzeptanz des mit dem ESUG modifizierten Eigenverwaltungsverfahrens ist eine zurückhaltende Haltung der Insolvenzgerichte, Eigenverwaltungen anzuordnen, weiter erkennbar, was vielmals auch auf die unzureichende Vorbereitung des Antrags durch den Schuldner zurückzuführen ist. Insoweit kann es ratsam sein, den Personenkreis der Geschäftsführung rechtzeitig neu zu ordnen. Da die Eigenverwaltung vornehmlich Vertrauen der Gläubiger in die schuldnerische Geschäftsführungsebene voraussetzt, können im Vorfeld Personen in Führungspositionen ausgewechselt und ein neues Management bestellt werden, das für die wirtschaftliche Krise nicht verantwortlich ist. Die Kunst wird darin liegen, den richtigen Zeitpunkt des Wechsels zu bestimmen. Werden operativ agierende Personen zu früh ausgewechselt, haftet den Eingesetzten der Makel der Krisenverantwortung an oder Geschäftspartner vermuten Arges und beenden die Geschäftsbeziehung. Wird der Wechsel zu spät vollzogen, fehlt die Zeit, um eine ausreichende Einarbeitung zu ermöglichen. Dabei kann es von Vorteil sein, (im positiven Sinne) insolvenzerfahrene Personen (zusätzlich) in die Geschäftsführung zu berufen, bspw. in anderen Angelegenheiten tätige Insolvenzverwalter, um sich deren speziellen Kenntnisse der Materie nutzbar machen zu können.732 Dies gilt umso mehr, als die Anwaltsbeiordnung nach § 4a Abs. 2 InsO für das Eigenverwaltungsverfahren in aller Regel abgelehnt wird.733 Der neue organschaftliche Vertreter kann auch der für das schuldnerische Unternehmen bislang tätige Berater sein. Ein hiergegen vorgebrachter Hinweis der „Interessenkollision“ ist unzutreffend. Der Berater ist vorher für das Unternehmen tätig und nachher als Organ der Geschäftsführung/Eigenverwalter für das Unternehmen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber trotz möglicher Interessengegensätze zwischen dem schuldnerischen Unternehmen und Gläubigern die Eigenverwaltung grds. zugelassen.734 Beabsichtigt der Schuldner hingegen, die gewählte Konstruktion der Eigenverwaltung durch Bestellung eines erfahrenen Insolvenzverwalters/Beraters zum organschaftlichen Vertreter zu nutzen, um sich und/oder einzelnen Gläubigern ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen, liegt darin ein zu beanstandendes Verhalten. Das Insolvenzgericht muss in diesem Fall die beantragte Eigenverwaltung nach § 270e Abs. 1 InsO ablehnen.735 Ein Ermessen des Gerichts besteht dann nicht. Die in diesem Kontext oft auch bezeichnete „Selbstauswahl des Insolvenzverwalters“ ist allerdings missverständlich. Man nutzt nur dessen Insolvenzexpertise und ist vom Vehikel des „mitgebrachten Sachwalters“ zu trennen, was per se betrachtet ebenso nicht unredlich ist: Die Verlässlichkeit im fairen Umgang miteinander bei Wahrung aller zu vertretenden Interessen hat einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. In einem anderen Kleid sind dies die vom Insolvenzgericht angewandten Verwalterlisten: der Verwalter des Vertrauens. Dies gibt es im Regelverfahren und ist somit auch im Eigenverwaltungsverfahren statthaft. Die wirtschaftlich Betroffenen, Gläubiger und/oder Schuldner sprechen das Vertrauen aus, eben weil es ein Eigenverwaltungsverfahren ist.
732 Unverständlich noch vor ESUG AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZInsO 2002, 1046 ff. Dem grds. zustimmend Hess/Ruppe, NZI 2002, 577, 578 f.; ebenso Frind, ZInsO 2002, 745 ff.; dagegen zu Recht Prütting, ZIP 2002, 1965 ff.; Kluth, ZInsO 2002, 1001 ff.; Köchling, ZInsO 2003, 53 ff.; Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 2 und § 270a Rz. 6; Uhlenbruck, NJW 2002, 3219; den Einsatz eines „Insolvenzverwalters“ in der Geschäftsführung oft als hilfreich beschreibend Gerster, ZInsO 2008, 437, 444. 733 LG Bochum v. 30.12.2002 – 10 T 64/02, NZI 2003, 167; unter besonderen Umständen zulässig: LG Bonn v. 2.9.2009 – 6 T 239/09, ZInsO 2010, 61, 62. 734 Vgl. hierzu auch LG Bonn v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, ZInsO 2003, 806, 807 f., das aufgrund nicht auszuschließender Interessenkollision im Eröffnungsverfahren entsprechende Sicherungsmaßnahmen angeordnet hat. Bärenz weist in seiner Anmerkung zutreffend darauf hin, dass es sich um einen Sondersachverhalt gehandelt hat, der nicht verallgemeinerbar ist, NZI 2003, 655 f.; BGH v. 15.1.2004 – IX ZB 197/03 (Dahl); Braun, NZI 2003, 588 ff.; BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 27 f. 735 Klarstellend AG Köln v. 22.8.2005 – 71 IN 426/05, NZI 2005, 633 ff., mit Anmerkung Bähr/Landry, EWiR 2006, 153 f.: Fehlende Kontinuität der Unternehmensleitung durch Auswechslung der Geschäftsführung spricht nicht per se gegen die Eigenverwaltung; so auch Pape, NWB 2007, 39, 40.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 577 § 3 Hat sich dagegen der Schuldner bereits im Vorfeld um die Unterstützung des Eigenverwaltungsantrags durch die wesentlichen Gläubiger bemüht, hat er zur Optimierung seiner Handlungsalternativen im Insolvenzverfahren einen „prepackaged plan“ zur alternativen Insolvenzbewältigung erarbeitet, ist es angezeigt, mit dem Eröffnungsantrag den Eigenverwaltungsantrag zu stellen und, wenn möglich, auf ein treuhänderisch verwaltetes Anderkonto einen die Verfahrenskosten deckenden Betrag zur Verfügung oder einen Antrag nach § 4a InsO zu stellen, um alsbald die Verfahrenseröffnung und Anordnung der Eigenverwaltung zu erreichen.
cc) Antragsberechtigung bei Gesellschaften oder sonstigen Personenvereinigungen Ist der Schuldner keine natürliche Person, sondern handelt es sich um eine Personenmehrheit oder eine juristische Person, ist die Antragstellung von der ausübungsberechtigten Person(engruppe) vorzunehmen. Vergleichbar dem Insolvenzplanverfahren (dort ausführlich unter Rz. 101 f.) bietet der Gesetzgeber als Alternative die Eigenverwaltung dem Schuldner zur Regulierung der Insolvenz an. Es besteht keine Pflicht zur Eigenverwaltung, das Eigenverwaltungsverfahren ist vielmehr optional vorgesehen. Der Schuldner muss deshalb die Antragstellung durch die vertretungsberechtigten Organe oder persönlich haftenden Gesellschafter bzw. Abwickler entsprechend der gesetzlichen oder vertraglichen Vertretungsbefugnis gem. § 18 Abs. 3 InsO gewährleisten.736
575
Hinweis: Insolvenzantragstellung und Eigenverwaltungsantrag (mitsamt der damit zusammenhängenden weiteren Anträge, wie bspw. auf Anordnung des Schutzschirmverfahrens gem. § 270d InsO) müssen deshalb bezogen auf die handelnden Personen ggf. unterschiedlich vorgenommen werden, soweit eine Insolvenzantragspflicht besteht und § 15 InsO für den Eröffnungsantrag zur Anwendung gelangt, dagegen für den Antrag auf Eigenverwaltung § 18 Abs. 3 InsO entsprechend heranzuziehen ist. Dies gilt auch, soweit die Eigenverwaltung auf Antrag des Schuldners aufgehoben werden soll.737 Werden ohne die zur Aufhebung berechtigenden Mehrheiten (in entsprechender Anwendung des § 18 Abs. 3 InsO) innerhalb des Vertretungsorgans unterschiedliche Auffassungen über die Fortdauer der Eigenverwaltung vertreten, kann dies mangelnde Bereitschaft des Schuldners dokumentieren, so dass auf Gläubigerinitiative die Aufhebung der Eigenverwaltung erfolgen kann.
576
dd) Die Ausgestaltung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens (1) Der Schutzschirm als Option im Eröffnungsverfahren Dem Eigenverwaltungsverfahren kann, wie dem Regelinsolvenzverfahren auch, das Eröffnungsverfahren gemäß der §§ 20 ff. InsO (für das Eigenverwaltungsverfahren z.T. in modifizierter Form, s. schon Rz. 536) vorgeschaltet werden. Anders als im Regelinsolvenzverfahren, kann der Schuldner für das Eigenverwaltungsverfahren wählen, wie er den vorgelagerten Zeitraum gestalten will. Mit dem ESUG werden ihm zwei Varianten zur Verfügung gestellt, die freilich keine vollständige Wahlfreiheit gewähren, aber innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens jeweils in einer Norm unterschiedlich ausgerichtet sind: Die §§ 270b und 270c InsO stellen das reguläre vorläufige Eigenverwaltungsverfahren zur Verfügung, § 270d InsO ergänzend, bzw. soweit abweichend geregelt als lex specialis das sog. Schutzschirmverfahren. Beide Verfahren sind als vorläufige Eigenverwaltungsverfahren ausgestaltet (und werden insoweit über die §§ 20 ff. InsO ergänzt, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Schutzschirmverfahren wird nur auf Antrag und bei Erfüllung weitergehender Voraussetzungen angeordnet. 736 Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 12; a.A. Riggert in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 19, der § 15 InsO analog anwenden will. So auch Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 18. 737 Wie hier Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 272 Rz. 19; a.A. Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/ Vallender, Insolvenzordnung, § 272 Rz. 5: In Abweichung zur Antragstellung soll jede dazu vertretungsberechtigte Person unabhängig vom Innenverhältnis den Aufhebungsantrag wirksam stellen können, weil mangelndes Engagement bzw. Desinteresse innerhalb des Vertretungsorgans zum Ausdruck kommt und dies im Widerspruch zur Eigenverwaltung stehe.
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§ 3 Rz. 577 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Stellt der Schuldner diesen Antrag nicht oder liegen die übrigen Voraussetzungen nicht vor, wird das reguläre vorläufige Eigenverwaltungsverfahren durchgeführt, soweit der Schuldner keine unmittelbare Verfahrenseröffnung herbeiführen möchte. Wird die Anordnung des Schutzschirmverfahrens gem. § 270d Abs. 4 Satz 2, Halbs. 1 InsO aufgehoben (vgl. hierzu auch Rz. 595 und Rz. 599), findet ein Übergang in das reguläre vorläufige Eigenverwaltungsverfahren nur übergangsweise und so lange statt, bis über die Verfahrenseröffnung entschieden ist. Der Schuldner kann aber auch selbst einen Antrag stellen, die Vorlagefrist zu beenden, mithin das Schutzschirmverfahren in ein reguläres vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu überführen.738 Ihm obliegt sodann aufzuzeigen, welches Eigenverwaltungsziel erreicht werden soll, um eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu vermeiden, §§ 270e Abs. 1 Ziff. 2, 270c Abs. 2 InsO. Ein Rangverhältnis besteht zwischen den beiden Varianten der vorläufigen Eigenverwaltung nicht, sie stehen gleichrangig zueinander. 578
Mit dem Schutzschirmverfahren will der Gesetzgeber die Restrukturierung mittels Insolvenz attraktiver gestalten.739 Dem Schuldner wird in der Phase zwischen dem Eröffnungsantrag und der Verfahrenseröffnung für maximal drei Monate ein eigenständiges Sanierungsvorbereitungsverfahren zur Verfügung gestellt. So besteht die Chance, im Schutz eines besonderen Verfahrens in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan zu erstellen, der anschließend durch einen Insolvenzplan umgesetzt werden soll.740
579
Hinweis: Voraussetzung für das Schutzschirmverfahren ist nicht, dass der Sanierungsplan vollständig (von der ersten Skizze bis zur schlussredaktionellen Arbeit) in dieser Phase erarbeitet werden kann. Der maximal dreimonatige Zeitraum muss gerade auch und parallel die eigentliche Verfahrenseröffnung vorbereiten, was bedeutet, beim fortgeführten Geschäftsbetrieb neben der regulären Organisation der operativen Tätigkeit auch die besonderen Auswirkungen der Insolvenzantragstellung im vorläufigen Verfahren zu strukturieren. Dabei noch einen Sanierungsplan zu erarbeiten, ist mitunter mehr als ambitioniert. Das Schutzschirmverfahren spricht gerade auch steckengebliebene, noch nicht fertiggestellte Sanierungspläne an, die über die reine Konzeption hinausgehend bereits vorliegen und (nur) noch endgefertigt werden müssen. Gelingt dies nicht vollends innerhalb des 3-Monats-Zeitraums, ist die Fertigstellung des Insolvenzplans im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren zu bewirken. Ein unfertiger Insolvenzplan allein hindert die Anordnung der Eigenverwaltung nicht. Unter strategischen Gesichtspunkten kann das Schutzschirmverfahren sinnvoll sein, wenn für den Schuldner eine bessere Planbarkeit des Verfahrens auch darin besteht, die Person des Sachwalters vorzuschlagen. Will hingegen der Schuldner zeitoptimiert agieren, wird er sich gegen ein Eröffnungsverfahren entscheiden und einen bereits vorliegenden, mit den Hauptbeteiligten abgestimmten (prepackaged) Insolvenzplan bei Gericht einreichen und auf eine sofortige Verfahrenseröffnung hinwirken. Zur Überbrückung kann dabei das reguläre vorläufige Eigenverwaltungsverfahren gemäß der §§ 270b und 270c InsO dienen, auch wenn dort kein Vorschlagsrecht für die Person des Sachwalters besteht, wie umgekehrt dann aber auch formaliter keine Bescheinigung gem. § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO mehr zur Vorlage beim Insolvenzgericht beigebracht werden muss.741
580
Das Schutzschirmverfahren wird nur auf Antrag des Schuldners in Gang gesetzt und ist mit dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung zu verbinden, § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO. Erforderlich ist somit ein dreifacher Antrag, (1) auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (was auch ein Fremdantrag
738 So auch Stahlschmidt/Schabel, ZInsO 2019, 932 ff. 739 Einen kompakten Überblick zum Schutzschirmverfahren aus Sicht des Schuldners und des Ausstellers der Bescheinigung geben Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861 ff. Die Anforderungen an die Beteiligten und die zu erstellende Bescheinigung im Schutzschirmverfahren fassen zusammen Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963 ff., wie auch Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096 ff. 740 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 60. 741 Pape, ZInsO 2013, 2077 ff., der in der vorgelagerten Betrachtung der Voraussetzungen beider Vorverfahren § 270a InsO als das für den Schuldner in der Mehrzahl der Fälle geeignetere Verfahren („risikoärmer“) ansieht.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 585 § 3
sein kann),742 (2) auf Anordnung der Eigenverwaltung und (3) auf Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans. Zur Abgrenzung gegenüber dem regulären vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach den §§ 270b und 270c InsO reicht die Bezugnahme auf das „Schutzschirmverfahren“ aus. Für das Gericht ist erkennbar, dass damit der Antrag zur Vorlage eines Insolvenzplans binnen der Maximalfrist von drei Monaten gemeint ist. Ohne einen entsprechenden Hinweis des Antragstellers verbleibt es bei der regulären vorläufigen Eigenverwaltung nach den §§ 270b und 270c InsO, eine Negativabgrenzung „… kein Antrag auf Durchführung eines Schutzschirmverfahrens …“ ist nicht erforderlich. Zur Möglichkeit der Rücknahme des Antrags s. Rz. 611. Hinweis: Liegt dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung nur die Bescheinigung gem. § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO als Anlage bei, wird das Gericht gem. § 4 InsO i.V.m. § 139 ZPO auf eine Klarstellung hinweisen müssen.743
581
Neben der Antragstellung durch den Schuldner ist weiter Voraussetzung, dass ein Insolvenzeröffnungsgrund vorliegt. Weil der Gesetzgeber das Schutzschirmverfahren als Sanierungsvorbereitungsverfahren in den Kontext eines Insolvenzverfahrens eingebunden hat, reichen erste Krisenanzeichen ohne rechtlichen Insolvenzantragsgrund nicht aus, um das Verfahren zu initiieren. Nur wenn drohende Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 Abs. 2 InsO und/oder Überschuldung gem. § 19 Abs. 2 InsO vorliegt, kann die Vorbereitung der Sanierung in den Rahmenbedingungen des § 270d InsO erfolgen.744 Um frühzeitige Antragstellungen zu fördern, wurde der Insolvenzeröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO als Ausschlusskriterium formuliert. Unschädlich ist allerdings, wenn im Nachgang, auch während des Schutzschirmverfahrens, die Zahlungsunfähigkeit eintritt. Der Schuldner (bzw. der vorläufige Sachwalter) hat jedoch dem Gericht den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen, § 270d Abs. 4 Satz 1 InsO, womit gewährleistet ist, dass das Gericht für die gemäß der §§ 270 Abs. 1, 270f InsO zu treffende Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung die hierzu erforderlichen Informationen erhält.
582
Soweit die drohende Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 Abs. 2 InsO vorliegt, kann alternativ zum Eigenverwaltungs- bzw. Schutzschirmverfahren ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG in Erwägung gezogen werden, um ein frühestmögliches, gesetzlich geordnetes Tätigwerden für einen Sanierungssachverhalt zu unterstützen (vgl. hierzu insgesamt § 2 Rz. 9 ff.).
583
Ausgehend vom Ziel des Schutzschirmverfahrens, der Vorbereitung der Eigensanierung mittels Insolvenzplan, darf sich die vom Schuldner angestrebte Sanierung zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht als offenkundig aussichtslos darstellen. Das Gesetz spricht von „offensichtlich“, so dass nur in eindeutigen Fällen die Anordnung unterbleiben darf. Insoweit muss das Gericht, wie im Rahmen der Vorprüfung des Insolvenzplans im Rahmen von § 231 InsO, die Vorgabe in § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO mit „nicht offensichtlich aussichtslos“ anerkennen und nicht als „Wahrscheinlichkeit des Gelingens“ auslegen.
584
Hinweis: Die Konzeption des Schutzschirmverfahrens beruht gerade darauf, dass dem Schuldner mit einem ersten schlanken und groben Konzept die Möglichkeit gegeben werden muss, einen Sanierungsplan in der vorläufigen Eigenverwaltung zu entwickeln. Den Insolvenzplan hat er im Anschluss daran den abstimmungsberechtigten Beteiligten im Planverfahren nach den §§ 217 ff. InsO zur Entscheidung vorzulegen. § 270d
585
742 So auch Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 270b Rz. 10. 743 Nicht so weitgehend Riggert in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, noch zu § 270b Rz. 3 a.F. 744 Der RegE ESUG sah in Abs. 3 Ziff. 1 noch die eintretende Zahlungsunfähigkeit nach Anordnung des Schutzschirmverfahrens als Beendigungsgrund an, BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 60. Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde dieser Passus gestrichen, BT-Drucks. 17/7511 v. 26.10.2011, 50 f. Fallbeispiele zur drohenden Zahlungsunfähigkeit stellt Ganter, NZI 2012, 985 ff., dar. Vgl. hierzu auch Hirte, ZInsO, 2011, 401, 402: Erfordernis einer frühestmöglichen Sanierung.
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§ 3 Rz. 585 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung InsO und seine Voraussetzungen können somit nur im Zusammenhang mit den Regelungen zum Planverfahren verstanden werden. Die Beteiligten des Planverfahrens haben zu entscheiden, ob sie den Insolvenzplan (das Sanierungskonzept, das wiederum im Frühstadium der Antragstellung im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren als Schutzschirmverfahren ein erstes Konzept sein darf) annehmen wollen oder nicht. Das Gericht darf nicht an dieser Stelle durch überhöhte Anforderungen den Gläubigern die Entscheidung über die Machbarkeit eines Sanierungskonzepts nehmen. 586
Um den Nachweis des Vorliegens der Antragsvoraussetzung zu führen, ist dem Antrag zur Durchführung des Schutzschirmverfahrens gem. § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation beizufügen. Die Bescheinigung dient allein dem Nachweis der Anordnungsvoraussetzungen, weshalb ein umfassendes Sanierungsgutachten, wie es bspw. im Bereich der Krisenfinanzierung Verwendung findet, nicht gefordert wird.745
587
Hinweis: Die Gruppe denkbarer Aussteller einer entsprechenden Bescheinigung ist nicht abschließend. Als weitere Personen mit vergleichbarer Qualifikation werden Steuerbevollmächtigte, vereidigte Buchprüfer, DiplomKaufleute oder Rechtsbeistände angesehen. Auch Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, soweit sie dort ihre berufliche Niederlassung haben, können Aussteller der Bescheinigung sein. Erforderlich ist in allen Fällen, dass sie vergleichbar den beispielhaft genannten Berufsträgern zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung befugt sind und über Erfahrung in Insolvenzsachen verfügen.746
588
Die Erfahrung in Insolvenzsachen setzt keine Tätigkeit als Insolvenzverwalter oder Sachwalter voraus, wie umgekehrt, allein die Bestellung in ein solches Amt per se nicht hinreichend qualifiziert.747 Maßgebend ist vielmehr eine hinreichende praktische Erfahrung auf dem Gebiet des Sanierungs-, Restrukturierungs- und Insolvenzrechts, insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmensinsolvenzen. Dabei kann eine Gesamtschau vorgenommen werden, so dass unterschiedliche Kenntnisse und Befähigungen in einzelnen Bereichen übergreifend ausgeglichen werden können, wie umgekehrt eine besondere Expertise nur in Teilbereichen oder nur theoretischer Sachverstand nicht ausreichend sein wird.
589
Hinweis: Weitergehende Anforderungen stellt 270d Abs. 1 Satz 1 InsO an die Person des Ausstellers nicht. Insbesondere finden auf ihn die Auswahlkriterien vergleichbar der Bestellung in das Amt des (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters gemäß der §§ 56 f. InsO keine Anwendung.748 Damit können bspw. auch Berufsgesellschaften Aussteller einer solchen Bescheinigung sein.
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Inhaltlich muss die Bescheinigung bestätigen, dass der Insolvenzantragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (womit zugleich die spiegelbildliche Aussage gegeben wird, dass die Zahlungsunfähigkeit bezogen auf denselben Zeitpunkt ausgeschlossen wird) und/oder Überschuldung vorliegt. Darüber hinaus bedarf es der Feststellung, dass die vom Schuldner angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Die vom Aussteller getroffenen Feststellungen sind zu begründen. Damit soll dem Insolvenzgericht nachvollziehbar aufgezeigt werden, dass die getroffenen Feststellungen in sich schlüssig sind. Vertiefte Prüfungen oder Bewertungen, bspw. in Form eines Sachverständigengutach-
745 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 60 f. Zu den Anforderungen an einen Sanierungskredit vgl. bspw. Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553 ff. 746 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270d Rz. 6. 747 Vgl. hierzu AG München v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, NZI 2012, 566 f., das die Qualifikation eines vormals tätigen Insolvenzverwalters und Fachanwalts für Insolvenzrecht, der in den letzten fünf Jahren nicht mehr zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, nicht mehr anerkannt hat. 748 So aber AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308 f.; dem zustimmend Schmittmann, ZInsO 2012, 1921 ff. m.w.N. Wie hier Braun, NZI 2012, S. V ff., Vallender, GmbHR 2012, 450, 451, m.w.N. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 270b Rz. 30, Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 593 § 3
tens, sind nicht vorzunehmen. Aus der Bescheinigung muss sich das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ergeben.749 Hinweis: Den Begriff der Bescheinigung gibt es bereits an anderer Stelle in der Insolvenzordnung, im Bereich der Verbraucherinsolvenz bspw. mit dem dort vorgeschalteten außergerichtlichen Einigungsversuch, § 305 Abs. 1 InsO. Die Bescheinigung ist durch die Verbraucherinsolvenzvordruckverordnung standardisiert worden.750 Die dortigen Angaben können als Anhaltspunkt auch für die Bescheinigung nach § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO herangezogen werden. Im Übrigen wird man auch in diesem Bereich gut daran tun, eine gewisse Anwenderfreundlichkeit durch eine Standardisierung herbeizuführen, ohne zu verkennen, dass und solange diese Standards keinen abschließenden Normcharakter haben, diese nur Arbeitshilfe sein können und dem jeweiligen Einzelfall anzupassen sind.751 Umgekehrt bedeutet dies, dass ebenso belastbar bescheinigt werden kann, wenn vom Vordruck oder einer Standardvorlage abgewichen wird.
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Der Bescheinigung sind an ergänzenden Unterlagen die Liquiditätsplanung für das Unternehmen beizufügen, um den Insolvenzantragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit ableitbar zu machen. Aus diesem muss sich zugleich ergeben, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung752 keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt bzw. es kann abgelesen werden, wann diese ggf. später eintreten wird. Liegt schon keine drohende Zahlungsunfähigkeit vor, muss man zur Statthaftigkeit des Antrags die Überschuldung dokumentieren, was durch einen Überschuldungsstatus erfolgt. Ergibt sich aus der Liquiditätsplanung die drohende Zahlungsunfähigkeit, ist der Überschuldungsstatus entbehrlich, nicht aber umgekehrt. Die Zahlungsunfähigkeit muss immer ausgeschlossen werden, wogegen bereits ein Insolvenzantragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ausreichend ist. Beide Rechenwerke können in Anlehnung an standardisierte Vorlagen bzw. Vorgehensweisen erstellt werden.753 Schließlich ist der nicht offensichtlich aussichtslose Sanierungsansatz zu belegen, was damit einhergeht, dass die Kernpunkte der angestrebten Restrukturierung dargelegt werden.754
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(2) Schutzschirm-Bescheinigung Hinweis: Zu berücksichtigen sind insbesondere für die Ausführungen zur Sachkunde und Erfahrung des Ausstellers der Bescheinigung die berufsrechtlichen oder sonstigen, aufgrund Gesetzes oder Vertrages bestehenden Verschwiegenheitsverpflichtungen, die konkrete Nachweise mitunter nicht zulassen. Insoweit müssen abstrakte Hinweise ausreichen und diese so formuliert sein, dass keine Rückschlüsse auf das konkrete Mandat oder den Auftrag gezogen werden können. Wo machbar, kann die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht helfen, zu deren Beibringung der Aussteller jedoch weder verpflichtet ist, noch die Qualität der Bescheinigung dadurch in Frage gestellt werden kann.
749 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 61. So auch Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 270b Rz. 26. 750 VbrInsVV v. 17.2.2002, BGBl. I 2002, 703 ff., dort § 1 Abs. 1 Ziff. 1 und Anlage 2 und 2a zum Eröffnungsantrag. 751 Befragte einer Studie zur Schutzschirmbescheinigung gaben an, im Durchschnitt 66 Arbeitsstunden für die Erstellung einer Bescheinigung verwendet zu haben, www.bdo.de/uploads/media/Studie_Schutz schirmbescheinigung.pdf. 752 AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746 ff.: Die drohende Zahlungsunfähigkeit muss noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorliegen. 753 IDW S 11, Stand 22.8.2016, IDW Life 2017, S. 332 ff. 754 S. hierzu auch Desch, BB 2011, 841 ff. Fröhlich/Bächstädt, ZInsO 2011, 985 ff. beschreiben die Bewertung der Erfolgsaussichten eines Insolvenzplans in Eigenverwaltung unter Berücksichtigung des zugrunde liegenden Sanierungskonzepts aus Sicht der vorläufigen Verwaltung. In einer Gesamtschau skizzieren Steffan/Oberg/Poppe, ZIP 2021, 617 ff., Anforderungen an betriebswirtschaftliche Konzepte in Restrukturierungsplan, Eigenverwaltung und Insolvenzplan.
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§ 3 Rz. 594 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
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M 3 Schutzschirm-Bescheinigung nach § 270d InsO A. Auftrag: Im Rahmen eines beabsichtigten Antrags nach § 270d InsO755 bin ich von den Vertretern der B-GmbH beauftragt worden zu beurteilen,756 ob für die Gesellschaft 1. der Insolvenzantragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO, 2. ggf. der Insolvenzantragsgrund der Überschuldung nach § 19 InsO, 3. nicht aber der Insolvenzantragsgrund einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO vorliegt und 4. die angestrebte Sanierung im Rahmen einer Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist. B. Grundlagen der Beurteilung: Die ordnungsgemäße Aufstellung des Finanzstatus und des Finanzplans als Grundlage zur Beurteilung, ob drohende Zahlungsunfähigkeit, jedoch derzeit keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, sowie die Aufstellung eines Überschuldungsstatus und die Darstellung der Einschätzung, ob eine Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, liegen in der Verantwortung der … Meine Aufgabe als in Insolvenzsachen erfahrener Rechtsanwalt/Wirtschaftsprüfer ist es, auf Grundlage der von mir durchgeführten Tätigkeiten eine Bescheinigung nach § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO zu erstellen. Meine Qualifikation habe ich in Anlage 1 dargestellt. Ich habe meine Beurteilung unter Beachtung des IDW Standards: Bescheinigung nach § 270b InsO (IDW S 9, Stand: 18.8.2014) vorgenommen, der die Gesetzeslage bis zum 31.12.2020 mit § 270b InsO a.F. abbildet und materiell die identischen Inhalte zur relevanten Fragestellung des § 270d InsO behandelt. Dort, wo es angezeigt war, habe ich den Entwurf einer Neufassung des IDW Standards: Bescheinigungen nach §§ 270d und 270a InsO (IDW ES 9 n.F.), Stand: 12.1.2021, berücksichtigt.757 Danach habe ich auf der Grundlage der mir vorgelegten Unterlagen und erteilten Auskünfte eine Beurteilung vorzunehmen, ob drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, jedoch derzeit keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, und ob die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Die Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO vorliegt oder im Sinne des § 18 InsO droht, habe ich nach dem Entwurf einer Neufassung des IDW Standards: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW ES 11 n.F.), Stand: 8.1.2021, vorgenommen.758 Meine Einschätzung erfolgt im Wesentlichen auf der Grundlage der mir vorgelegten Nachweise über vorhandene Konten- und Kassenbestände sowie tagesaktuellen Kreditoren- und Debitorenlisten mit ausgewiesenen Fälligkeiten jeweils mit Stand zum … Die Beurteilung, ob die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, ist das Ergebnis vor allem folgender Tätigkeiten:
755 Die §§ 270 bis 285 InsO werden in der ab dem 1.1.2021 geltenden Fassung berücksichtigt. Von der Möglichkeit der Zugangserleichterungen nach den §§ 5 und 6 COVInsAG wird kein Gebrauch gemacht. 756 In Anlehnung an IDW S 9, Stand 18.8.2014, ZIP 2014, 2275 ff.; Musteranträge und weitergehende Angaben formuliert bspw. Buchalik, ZInsO 2012, 349 ff. Vgl. hierzu auch von Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583 ff. mit einem kompakten Überblick zur Erstellung und Ausgestaltung der Bescheinigung nach IDW S 9, Stand: 18.8.2014. 757 IDW Life 2021, S. 210 ff. In dem Entwurf der Neufassung sind u.a. die Anforderungen an die Verfahrenselemente der Eigenverwaltungsplanung (§ 270a Abs. 1 InsO) sowie der sonstigen Erklärungen (§ 270a Abs. 2 InsO) aufgenommen, die der Bescheiniger nach § 270d InsO sachverständig nicht zu werten hat. Weiter wurden auch die Ausführungen zur Insolvenzreife an den IDW ES 11 n.F., Stand: 8.1.2021, angepasst (siehe dazu nachfolgend). 758 IDW Life 2021, S. 220 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 594 § 3 Ich habe mir ein Bild von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, z.B. in Bezug auf Leistungsprozesse, Produkte und Absatzwege, sowie vom Verlauf der zurückliegenden Geschäftsentwicklung, insbesondere durch Einblick in Jahresabschlüsse, Prüfungsberichte und Berichtserstattungen verschafft. Weiter habe ich mir von den Vertretern des Unternehmens darlegen lassen, warum es zu einer akuten Insolvenzbedrohung gekommen ist und aus welchen Gründen zuvor ergriffene umsteuernde Maßnahmen nicht erfolgreich waren bzw. noch nicht durchgeführt werden konnten. Ich habe mir mittels eines von den Vertretern des Unternehmens vorgelegten Grobkonzeptes „Business Plan für Schutzschirmverfahren B-GmbH“ das Ziel der angestrebten Sanierung und die dafür wesentlichen Maßnahmen darlegen lassen und diese Informationen kritisch gewürdigt. Das Grobkonzept ist als Anlage 2 beigefügt. Hierbei haben mir die benannten Auskunftspersonen erklärt, dass derzeit keine Umstände bestehen, die die Fortführung der Geschäftstätigkeit ausschließen, dass ihnen keine Anzeichen dafür bekannt sind, dass die Sanierung offensichtlich aussichtslos ist, und dass sie gewillt sind, die Gesellschaft zu sanieren. Ich habe beurteilt, ob offensichtliche Bedenken gegen die Schlüssigkeit des Grobkonzeptes bestehen. Bezüglich der im Grobkonzept vorgesehenen Personalmaßnahmen wurde mir eine erste Würdigung eines im Arbeitsrecht erfahrenen Anwalts vorgelegt, ob arbeitsrechtlich offensichtliche Hinderungsgründe vorliegen, die der Umsetzung des Grobkonzeptes entgegenstehen. Danach ergeben sich keine grundsätzlichen Aspekte, die gegen eine Umsetzung der im Grobkonzept vorgesehenen Maßnahmen sprechen. Die Grundlagen für die von mir erstellte vorliegende Beurteilung, habe ich in dem nachfolgenden Bericht festgehalten. C. Schlussfolgerung: Auf Grundlage der eingereichten Unterlagen und der von mir durchgeführten Tätigkeiten komme ich zu dem Ergebnis, dass Zahlungsunfähigkeit nicht vorliegt, jedoch Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 18 InsO droht. Vor dem Hintergrund der Darlegungen der Vertreter des Unternehmens, der mir vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Grobkonzept, und meiner Untersuchungshandlungen bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass auf dieser Basis die angestrebte Sanierung der B-GmbH nicht offensichtlich aussichtslos ist. D. Abschließende Hinweise: Meine Beurteilung stellt weder eine Abschlussprüfung noch eine prüferische Durchsicht dar. Auch handelt es sich bei meiner Tätigkeit nicht um eine Zusicherung der Sanierungsfähigkeit. Dem Auftrag lagen die beigefügten „Mandatsbedingungen für … „in der Fassung vom … zugrunde. Ich hafte gemäß Auftrag für alle Schadensersatzansprüche, die aus diesem Mandat entstehen können, für maximal EUR …. Die vorliegende Bescheinigung ist ausschließlich zur Vorlage beim Insolvenzgericht im Zusammenhang mit dem Antrag auf Eigenverwaltung zur Durchführung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270d InsO bestimmt. Die mir zur Verfügung gestellten Informationen wurden mir von der B-GmbH bzw. der von ihr benannten Auskunftsperson gegeben. Eine Vollständigkeitserklärung wurde abgegeben. Rechtsanwalt/Wirtschaftsprüfer E. Erhaltene Unterlagen: Es haben mir folgende wesentliche Unterlagen vorgelegen: 1. Jahresabschlüsse 2. Rechtliche Verhältnisse 3. Arbeitsrechtliche Verträge und Vereinbarungen 4. Mietverträge 5. Weitere wesentliche Verträge/Vereinbarungen und Unterlagen
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§ 3 Rz. 594 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 6. Steuerliche Unterlagen 7. Unterlagen aus dem Rechnungswesen Die überlassenen Unterlagen wurden von mir auf Plausibilität untersucht. Prüfungshandlungen, wie sie im Rahmen von gesetzlichen Abschlussprüfungen erforderlich wären, habe ich auftragsgemäß nicht vorgenommen. F. Bericht über die Erstellung der Bescheinigung nach § 270d InsO I. Rechtliche Verhältnisse 1. Sitz und Handelsregisterdaten 2. Unternehmensgegenstand 3. Kapital und Gesellschaftsverhältnisse 4. Organe der Gesellschaft 5. Belegschaft II. Betriebliche Verhältnisse 1. Produkte 2. Standort III. Wirtschaftliche Verhältnisse 1. Vermögens- und Finanzlage … bis … 2. Ertragslage … bis … IV. Krisen- bzw. Insolvenzursachen 1. Umsatzrückgang 2. Produktmixverschlechterung aufgrund fehlender strategischer Ausrichtung 3. Fehlendes PPS-System 4. Bislang nicht realisierbare Kosteneinsparungen V. Sanierungsmaßnahmen 1. Personalmaßnahmen 2. Abbau von Leiharbeitnehmern 3. Neubesetzung Geschäftsführung 4. Produktmixbereinigung 5. Einführung eines … basierten PPS-Systems 6. Verkauf Laseranlage 7. Reduzierung der Mietflächen 8. Anpassung des … Tarifvertrags an neue wirtschaftliche Situation VI. Zahlungsunfähigkeit VII. Drohende Zahlungsunfähigkeit VIII. Überschuldung
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 595 § 3 G. Anlagen: 1. Erfahrung in Insolvenzsachen des bescheinigenden Rechtsanwalts/Wirtschaftsprüfers a) Ausführungen zum beruflichen Werdegang b) Ausführungen zu den besonderen Erfahrungen in Insolvenzsachen, bspw. Angaben zu – der langjährigen Erfahrung in leitender Position als Sanierungs- und Insolvenzberater, u.a. … – Konzeption und Begleitung von Insolvenzplanverfahren, u.a. … – Konzeption und Begleitung von außergerichtlichen Vergleichen, u.a. … – Begutachtung von im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise eingereichten Sanierungskonzepten, u.a. … – Erstellung und Begutachtung von Sanierungsgutachten nach IDW S 6 und Business Plänen, u.a. … 2. Grobkonzept „Business Plan für Schutzschirmverfahren B-GmbH“
Ordnet das Insolvenzgericht nach Vorlage der Bescheinigung das Schutzschirmverfahren an, hat der Schuldner binnen einer Frist von maximal drei Monaten das Sanierungskonzept abschließend zu fertigen, formal in einen Insolvenzplan überzuführen und diesen bei Gericht einzureichen. Aus dem Antrags- und Planvorlagerecht folgt zugleich, dass der Schuldner als Planvorlegender binnen der Maximalfrist dem Gericht die anzuordnende Frist vorgeben kann, die er für sachdienlich hält. Er selbst ist in der Lage zu entscheiden, welche Vorlagefrist mit seiner Konzeption zur Sanierung des Unternehmens vereinbar ist oder nicht.759 Insoweit kann der Schuldner auch einen Antrag stellen, die Vorlagefrist zu beenden, mithin das Schutzschirmverfahren in ein reguläres vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu überführen.760 Ihm obliegt sodann aufzuzeigen, welches Eigenverwaltungsziel erreicht werden soll, um eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu vermeiden, §§ 270e Abs. 1 Ziff. 2, 270c Abs. 2 InsO. Das Gericht kann nur dann von sich aus eine abweichende Frist festlegen, wenn dies aus Gründen der Verfahrensgerechtigkeit ausnahmsweise erforderlich ist, bspw. es zu einer Verzögerung des Verfahrens kommt und dadurch zu befürchten ist, dass der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. § 270e Abs. 1 Ziff. 1 InsO regelt dies sinngemäß mit der Folge, dass im weiteren Verlauf die vorläufige Eigenverwaltung aufgehoben werden müsste. Insoweit ist das Gericht im Rahmen der Fristanordnung zugleich verpflichtet, durch Verkürzung der Vorlagefrist im Wege des Grundsatzes „a maiore ad minus“ die Chance auf die Anordnung der Eigenverwaltung zu erhalten. Eine Verlängerung der Frist durch das Gericht kommt nicht in Betracht, dies würde dem Antrags- und Planvorlagerecht des Schuldners widersprechen. Die übrigen Verfahrensbeteiligten haben kein Recht auf entsprechende Fristbestimmung. Erfolgt die Abweisung des Schutzschirmantrags, indem keine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans bestimmt wird, wird die vorläufige Eigenverwaltung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 21 bis 25 sowie
759 Vgl. hierzu noch zu ESUG auch AG Hamburg v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684 ff.: Der Schuldner hat einer vorzeitigen Eröffnung des Verfahrens zugestimmt. Allein die Nichtvorlage des Insolvenzplans zu diesem Zeitpunkt hätte die Ablehnung der Eigenverwaltung nicht getragen, weil angabegemäß die Verkürzung im Hinblick auf die auslaufende Insolvenzgeldfinanzierung vorgenommen wurde. Insoweit wäre auch bei einem Nachreichen des Insolvenzplans das Eigenverwaltungsverfahren statthaft gewesen. Die Vielzahl weiterer Umstände hat in der Gesamtabwägung zur Ablehnung der Eigenverwaltung geführt, weil zu erwarten war, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Stahlschmidt, EWiR 2013, 591 f., beschreibt die Entscheidung des AG Hamburg als nicht widerspruchsfrei und erörtert eine entsprechende Hinweispflicht des Insolvenzgerichts gegenüber dem Schuldner (§ 139 ZPO) zur Frage der Schutzschirmfrist bzw. Nachreichung des Insolvenzplans. 760 So auch Stahlschmidt/Schabel, ZInsO 2019, 932 ff.
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§ 3 Rz. 595 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung den §§ 270b und 270c InsO fortgeführt und dort mit der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung abgeschlossen.761 596
Für die Dauer der gerichtlich bestimmten Vorlagefrist bestimmt das Gericht, weil das Schutzschirmverfahren Teil des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens ist, einen vorläufigen Sachwalter, § 270b Abs. 1 InsO; entsprechendes gilt für die Phase bis zur Entscheidung hierüber (Anordnung Schutzschirmverfahren), soweit die Anordnung nicht zeitgleich mit der vorläufigen Eigenverwaltung erfolgt. Um die Sicherheit zu haben, die Sanierung durch das Insolvenzplanverfahren mit einer für ihn vertrauenswürdigen Person vorbereiten zu können, hat der Schuldner im Schutzschirmverfahren nach § 270d Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO ein Vorschlagsrecht zur Person des vorläufigen Sachwalters, von dem das Gericht nur abweichen darf, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist (zur Bestellung des vorläufigen Sachwalters vgl. Rz. 746 ff.). Die Ablehnung ist schriftlich zu begründen, § 270d Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2.762 Die Benennung einer in einem StaRUGVerfahren als Sanierungsmoderator und/oder Restrukturierungsbeauftragter tätigen Person ist möglich, § 56 Abs. 1 Satz 2 InsO sowie § 100 Abs. 2 StaRUG.
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Hinweis: Mit Blick auf § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO, der eine ähnliche Bindungswirkung vorsieht, werden für das Schutzschirmverfahren Fälle angesprochen, in denen die vorgeschlagene Person offenkundig ungeeignet ist. In Zweifelsfällen hat das Gericht dem Vorschlag des Schuldners zu entsprechen. Dem vorläufigen Gläubigerausschuss steht das Recht zur Stellungnahme zu, § 56a Abs. 1 InsO; sein Bestimmungsrecht nach § 56a Abs. 2 InsO wird durch das Vorschlagsrecht des Schuldners verdrängt.763
598
Schließlich hat (abweichend zu § 270c Abs. 3 InsO, dort „kann“) das Gericht auf entsprechenden Antrag des Schuldners gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu untersagen oder einzustellen, § 270d Abs. 3 InsO. Im Bereich von unbeweglichen Gegenständen gilt die Parallelvorschrift des § 30d ZVG, wonach die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen ist. Dies gilt nicht für Maßnahmen der Zwangsverwaltung, weil § 153 ZVG im Schutzschirmverfahren als vorläufige Eigenverwaltung nicht zur Anwendung kommt.
599
Mit Ablauf der Frist zur Vorlage des Insolvenzplans entscheidet das Gericht über die Verfahrenseröffnung und die Anordnung der Eigenverwaltung, § 270d Abs. 4 Satz 2 InsO. Weder steht zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über das Sanierungskonzept, noch über die Annahme/Bestätigung des Insolvenzplans an. Nur das Schutzschirmverfahren, das eine besondere vorläufige Eigenverwaltung ist, endet zu diesem Zeitpunkt. Es kann ein Übergang in das reguläre vorläufige Eigenverwaltungsverfahren stattfinden, insbesondere soweit die vom Gericht gesetzte Vorlagefrist kürzer als drei Monate war und noch nicht alle zur Verfahrenseröffnung zu klärenden Fragen beantwortet sind. Eine übergangsweise Fortführung als normales vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren ist so denkbar. Der Schuldner kann selbst einen Antrag stellen, die Vorlagefrist zu beenden, mithin das Schutzschirmverfahren in ein reguläres vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu überführen.764 Ihm obliegt sodann aufzuzeigen, welches Eigenverwaltungsziel erreicht werden soll, um eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu vermeiden, §§ 270e Abs. 1 Ziff. 2, 270c Abs. 2 InsO.
600
Hinweis: Der Insolvenzplan durchläuft mit der Verfahrenseröffnung das reguläre Planverfahren, auch wenn das Insolvenzgericht von der Anordnung der Eigenverwaltung absieht.
761 So auch AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3f IN 260/14 FT, ZIP 2014, 1746 ff. Diese Möglichkeit beschreibend auch Smid, ZInsO 2016, 61, 67. 762 Ein Rechtsbehelf gegen die ablehnende Entscheidung wird nicht gewährt. Siehe hierzu auch OLG Düsseldorf v. 31.8.2016 – 3 VA 1/15, ZInsO 2017, 1490 f. 763 So auch Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270d Rz. 9. 764 So auch Stahlschmidt/Schabel, ZInsO 2019, 932 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 605 § 3
(3) Sicherung der Insolvenzmasse und Betriebsfortführung im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren Das Gericht kann über § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Ziff. 1a,765 3 bis 5 InsO anordnen, insbesondere einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, Maßnahmen der Zwangsvollstreckung untersagen, eine vorläufige Postsperre anordnen und anordnen, dass Gegenstände, an denen ein Aus- oder Absonderungsrecht besteht, nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen, sondern zur Unternehmensfortführung genutzt werden können. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wird schon in der vorläufigen Eigenverwaltung beim Schuldner konzentriert. Der vorläufige Sachwalter wird, wie der spätere Sachwalter, im Rahmen seiner Überwachungsfunktion tätig.
601
Der Schuldner erhält weiter die Möglichkeit, Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO zu begründen.766 Er hat damit die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters, soweit er einen entsprechenden Antrag stellt, § 270c Abs. 4 InsO. Es erfolgt dabei eine strenge Koppelung an den Finanzplan, der Teil der Eigenverwaltungsplanung ist, § 270a Abs. 1 InsO. Um die Bindung an den Finanzplan nicht zu unterlaufen, kommen sowohl im regulären vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren als auch im Schutzschirmverfahren nur Einzelermächtigungen in Betracht. Dabei hat der Schuldner kein Wahlrecht, ob er Masseverbindlichkeiten oder Insolvenzforderungen begründen möchte. Erfolgt die Anordnung, unterliegt er den gesetzlichen Vorschriften, die ansonsten für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter gelten.767
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Die Begründung von weiteren Masseverbindlichkeiten für Verbindlichkeiten, die nicht im Finanzplan aufgenommen sind, ist dabei nicht ausgeschlossen. Sie steht im Ermessen des Gerichts und ist nach § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO vom antragstellenden Schuldner besonders zu begründen, damit das Gericht eine entsprechende Anordnung treffen kann. Korrespondierend zu § 270c Abs. 2 erfolgt damit eine während der gesamten vorläufigen Eigenverwaltung vorzunehmende Nachjustierung der Annahmen zur Eigenverwaltungsplanung, soweit der Bedarf dazu besteht.
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Zahlungen, die vom Schuldner nicht auf so begründete Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten (oder über die gesetzliche Fiktion als solche geltende) erfolgen, unterliegen der Anfechtung.768
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Hinweis: § 55 Abs. 2 InsO ermöglicht im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Betriebsfortführung, was regelmäßig Grundvoraussetzung für eine Sanierung ist. Dem (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter dient diese Vorschrift im Regelinsolvenzverfahren; sie wird flankiert von Abs. 3 (auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangene Entgeltansprüche können im Insolvenzverfahren als einfache Insolvenzforderung geltend gemacht werden) und darüber hinaus von Abs. 4 auf den (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalter (Qualifizierung bestimmter Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis) erstreckt. Nimmt der Schuldner die Möglichkeit in der vorläufigen Eigenverwaltung in Anspruch, über die Ermächtigung von § 270c Abs. 4 InsO Masseverbindlichkeiten wie ein (starker) vorläufiger Insolvenzverwalter zu begründen, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners im Regelinsolvenzverfahren übergegangen ist (§ 55 Abs. 2 InsO), findet § 55 Abs. 3 InsO ergänzend entsprechende Anwendung, soweit die Koppelung an den Finanzplan gegeben ist oder gesondert begründet wird, warum außerhalb des Finanzplans sich ergebende Verbindlichkeiten begründet werden sollen.769 Die Umqualifizierung der nach § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeit geltenden Forderungen in Insolvenzforderungen nach § 55 Abs. 3
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765 § 22a InsO mit den Schwellenwerten für einen verpflichtenden vorläufigen Gläubigerausschuss gilt ergänzend. 766 Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 206 f. 767 BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZInsO 2016, 1421 ff. 768 BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NZI 2019, 236 ff.; BFH v. 7.5.2020 – V R 14/19, ZIP 2020, 1624 ff.: § 55 Abs. 2 und 4 InsO gelten im Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO a.F. nicht analog. 769 BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZInsO 2016, 1421 ff.
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§ 3 Rz. 605 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung InsO setzt voraus, dass der Schuldner die Forderungen noch nicht erfüllt hat.770 § 55 Abs. 4 InsO findet mit der Ergänzung durch das SanInsFoG nun auch Anwendung für den Schuldner, soweit ein vorläufiger Sachwalter bestellt und damit die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet ist, § 270b Abs. 1 InsO. Dies gilt unabhängig davon, ob der Schuldner einen Antrag zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren nach § 270c Abs. 4 InsO stellt oder nicht. 606
Wenn die vorläufige Eigenverwaltung einstweilen angeordnet wird, um dem Schuldner eine Nachbesserungsmöglichkeit seiner Eigenverwaltungsplanung nach § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO zu ermöglichen, kann das Gericht als weitere vorläufige Sicherungsmaßnahme anordnen, dass Verfügungen des Schuldners der Zustimmung durch den vorläufigen Sachwalter bedürfen, § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO. Mit einer solchen Anordnung wird die Verfügungsbefugnis des Schuldners, die er in der (vorläufigen) Eigenverwaltung gerade erhalten soll, zur Klärung bestehender Mängel, die eine Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung aktuell hindern, temporär eingeschränkt. Sobald feststeht, dass die Mängel fristgerecht beseitigt wurden, ist die besondere Sicherungsmaßnahme aufzuheben.
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Für den vorläufigen Sachwalter gelten die §§ 274 und 275 InsO entsprechend, § 270b Abs. 1 InsO, der mit seiner vorzunehmenden Mitwirkung und Überwachung die gesetzeskonforme Verfahrensabwicklung sichert. Je nach Qualität der zu begründenden Verbindlichkeiten unterscheidet sich seine Mitwirkungspflicht (vgl. hierzu auch Rz. 767 ff.). Nach § 270c Abs. 1 InsO kann das Gericht den vorläufigen Sachwalter ergänzend beauftragen, Bericht zu erstatten über (Ziff. 1) die Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Plausibilität der Eigenverwaltungsplanung, insbesondere, ob diese von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und durchführbar erscheint, (Ziff. 2) die Vollständigkeit und Geeignetheit der Rechnungslegung und Buchführung als Grundlage für die Eigenverwaltungsplanung, insbesondere für die Finanzplanung und (Ziff. 3) das Bestehen von Haftungsansprüchen des Schuldners gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder der Organe. Ob eine Berichterstattung beauftragt wird, liegt im Ermessen des Gerichts. Eine solche zusätzliche Beauftragung wird dann erfolgen, wenn Zweifel bestehen, ob die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270e Abs. 1 Ziff. 1 InsO aufzuheben ist. Es sind trotz der bestehenden Beibringungspflicht des Schuldners alle Möglichkeiten auszuschöpfen, dem antragstellenden Schuldner die Eigenverwaltung zu ermöglichen.
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§ 270c Abs. 1 InsO führt die zu übertragenden, über die §§ 274 und 275 InsO hinausgehenden Aufgaben des vorläufigen Sachwalters abschließend auf. Das Gericht hat die gesetzliche Trennung in den Bereich des eigenverwaltenden Schuldners und des vorläufigen Sachwalters zu berücksichtigen und darf von sich aus keine weiteren Aufgaben dem Sachwalter aufgeben. ee) Rücknahmeberechtigung
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Korrespondierend zur Bereitschaft des Schuldners, dokumentiert durch seinen Antrag bzw. seine Zustimmung zur Durchführung eines Eigenverwaltungsverfahrens (§§ 270a, 271 InsO), sieht § 270e Abs. 1 Ziff. 5 InsO eine Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung auf Antrag des Schuldners vor, wenn die Bereitschaft nicht mehr gegeben ist.
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Um darüber hinaus die Situation zu vermeiden, dass das Insolvenzgericht den Antrag auf Eigenverwaltung ablehnt und ein Regelinsolvenzverfahren unter Bestellung eines Insolvenzverwalters eröffnet, normiert § 270c Abs. 5 InsO eine besondere Mitteilungspflicht des Gerichts an den Schuldner: Im Falle eines bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellten Eigenverwaltungsantrags hat das Gericht dem Schuldner unter Angabe von Gründen seine Absicht zur Ablehnung des Antrags mitzuteilen, um dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen.
770 BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZInsO 2016, 1421 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 614 § 3
Die Anträge auf Anordnung der Eigenverwaltung sowie des Schutzschirmverfahrens können unabhängig hiervon jederzeit als Prozesshandlungen bis zur Entscheidung des Insolvenzgerichts zurückgenommen werden. Hierbei bewirkt die Rücknahme des Antrags auf Eigenverwaltung die Erledigung des Schutzschirmantrags, ohne dass es hierfür einer gesonderten Erklärung bedarf. Umgekehrt gilt dies nicht, d.h. bei Rücknahme des Schutzschirmantrags bedarf es einer weiteren Erklärung, ob der Eigenverwaltungsantrag aufrechterhalten wird. Insbesondere hat sich der Schuldner sogleich zur Erreichung des Eigenverwaltungsziels gem. § 270e Abs. 1 Ziff. 3 zu erklären, um eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung von Amts wegen zu vermeiden.
611
Hinweis: Praktische Bedeutung kommt deshalb § 270c Abs. 5 InsO nur bis zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu.771 Zu diesem Zeitpunkt ist der Insolvenzantrag noch nicht veröffentlicht (§ 9 InsO),772 so dass dem Schuldner aufgrund der Mitteilungspflicht des Gerichts die Chance belassen wird, den von ihm angestrebten gerichtsbetriebenen Sanierungsversuch in Eigenverwaltung nach der Antragsrücknahme außergerichtlich fortzusetzen, denkbar auch, solange noch kein Eigenverwaltungsverfahren eröffnet ist, als vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren (§ 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG).773 Bis dorthin bietet § 270c Abs. 5 InsO dem Schuldner einen wirklichen Vorteil. Werden Veröffentlichungen vorgenommen, muss der Schuldner mit entsprechenden Reaktionen seiner Geschäftspartner rechnen, bspw. der Kündigung von Krediten. So wird nicht selten spätestens dann Zahlungsunfähigkeit vorliegen. Schuldner, die verpflichtend bei Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung einen Insolvenzantrag gem. § 15a InsO zu stellen haben, werden hierdurch keinen Vorteil haben. Die Regelung wird deshalb vornehmlich, nicht aber darauf beschränkt, natürliche Personen, insbesondere Einzelkaufleute und freiberufliche Unternehmer nutzen können.774
612
Hat das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung angeordnet, kann der Schuldner die Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Ziff. 5 InsO beantragen.
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Hinweis: Die Rücknahmeberechtigung bzw. das Antragsrecht des Schuldners kann zur „Pflicht“ erstarken, wenn sich im (Eröffnungs-)Verfahren nach Prüfung der Abwicklungsszenarien die Möglichkeit konkretisiert, eine übertragende Sanierung im Wege eines Management-Buy-out (vgl. § 17 Rz. 27) unter Einbindung der Geschäftsleitung zu vereinbaren.775 Die Bestellung eines Sondersachwalters mag hier nicht weiterhelfen, auch wenn mit der Eigenverwaltung eine übertragende Sanierung umgesetzt werden kann. Entsprechendes gilt für das Schutzschirmverfahren, das ausschließlich über den Rechtsträgererhalt die Eigensanierung mittels Insolvenzplan bezweckt. Sieht das fertige Konzept des Schuldners eine übertragende Sanierung anstelle der Plansanierung vor, „muss“ der Schuldner seinen Antrag zurücknehmen, weil die Sanierung aussichtslos i.S.v. § 270e Abs. 1 Ziff. 3 InsO ist, es sei denn, er kann zugleich dem Gericht belastbar vermitteln, dass die Durchführung des Eigenverwaltungsverfahrens trotz geänderter Zielsetzung weiter am gemeinschaftlichen Interesse der Gläubiger ausgerichtet ist.776
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771 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270c Rz. 13. 772 www.insolvenzbekanntmachungen.de. 773 Morgen/Arends/Schierhorn, ZRI 2021, 305 ff., gehen der Frage nach, ob der Insolvenzplan nach der InsO n.F. oder der Restrukturierungsplan nach dem StaRUG das Sanierungsmittel der Wahl ist. 774 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 59. 775 So geschehen im Fall Grundig: Der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung ist vor der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgenommen worden. 776 Vgl. hierzu auch Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270d Rz. 18 und § 270e Rz. 11 f., der den Begriff der Aussichtslosigkeit in entsprechender Anwendung von § 231 Abs. 1 Ziff. 2 InsO bzw. § 33 Abs. 2 Ziff. 2 StaRUG (im Falle eines Restrukturierungsvorhabens) ableitet.
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§ 3 Rz. 615 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung ff) Muster: Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person unter gleichzeitiger Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung (Eigenantrag mit Primärzugang)
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M 4 Eigenantrag Eröffnung Insolvenzverfahren mit Anordnung der Eigenverwaltung Amtsgericht – Insolvenzgericht – A-Stadt Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B-GmbH und Antrag auf Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung Unter Vorlage einer auf mich lautenden Vollmacht – Anlage A 1 – zeige ich an, dass ich die B-GmbH mit Sitz in C-Stadt vertrete. Namens und im Auftrag der B-GmbH übersende ich anbei den Insolvenzantrag (Anlage A 2) sowie den Auskunftsbogen (Anlage A 3) nebst dem qualifiziertem Gläubiger- und Debitorenverzeichnis (Anlage A 4), die Vermögensübersicht (Anlage A 5) und weitere Anlagen. Ich beantrage: 1. Über das Vermögen der B-GmbH (Antragstellerin) wird das Insolvenzverfahren eröffnet. 2. Es wird Eigenverwaltung angeordnet. Mit diesem Antrag wird namens der Antragstellerin der gefertigte Finanzplan als wesentlicher Bestandteil der Eigenverwaltungsplanung nach Abstimmung mit den Hauptgläubigern und weiteren Beteiligten zur Eigensanierung der Antragstellerin vorgelegt (Anlage A 6). Es ist beabsichtigt hierauf aufbauend während des (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahrens einen Insolvenzplan zu erstellen. Die Möglichkeit einen Investor als strategischen Partner aufzunehmen wird derzeit geprüft, auch ein Verkauf insgesamt (asset deal, übertragende Sanierung, oder share deal, Gesellschafterwechsel) kann in Betracht kommen. Zur Klarstellung möchte ich darauf hinweisen, dass kein Schutzschirmverfahren gemäß § 270d InsO durchgeführt wird. Darüber hinaus beantrage ich 3. gemäß § 270b Abs. 1 S. 1 InsO die vorläufige Eigenverwaltung anzuordnen, soweit behebbare Mängel der Eigenverwaltungsplanung bestehen, die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO einstweilen anzuordnen. Sollten nicht behebbare Mängel bestehen, beantrage ich die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 2 anzuordnen. 4. gemäß § 270b Abs. 1 S. 1 InsO einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen. 5. nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a Abs. 2 InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen. Des Weiteren rege ich an, 6. gemäß § 270c Abs. 3 InsO nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen die Antragstellerin zu untersagen und anzuordnen, dass etwaige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einstweilen einzustellen sind, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Ich weise darauf hin, dass ein laufender Geschäftsbetrieb besteht. In Ergänzung zu den Angaben in den beigefügten Formularen anhand der vom Gericht zur Verfügung gestellten Formblätter möchte ich die nachfolgenden Informationen zur Antragstellerin wie auch den Anträgen mitteilen:
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 615 § 3 A. Zur Antragstellerin: … I. Allgemeine Daten … II. Unternehmensgegenstand und -entwicklung … III. Kurzdarstellung wirtschaftliche Lage … IV. Insolvenzursachen … V. Fortführungsfähigkeit des Betriebes der Antragstellerin (Anlage A 10) … B. Zum Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Antrag Ziff. 1: Aus den unter Abschnitt A. dargelegten Gründen beantragt die Antragstellerin die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Die Antragstellerin ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO antragsberechtigt und nach § 11 Abs. 1 InsO insolvenzfähig. Es liegt der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit gem. §§ 16 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 2 InsO vor und die voraussichtlichen Kosten des Insolvenzverfahrens können aus der freien Masse gedeckt werden. I. Eröffnungsgrund Die Schuldnerin ist drohend zahlungsunfähig, da sie voraussichtlich innerhalb des Prognosezeitraums von 24 Monaten nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit zu erfüllen und die Deckungslücke nicht binnen drei Wochen schließen kann. In die Prognose dürfen anders als bei der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auch künftige und noch nicht fällige Zahlungsverpflichtungen mit einbezogen werden, wenn sie dem Grunde nach bestehen und eine künftige Inanspruchnahme droht. … II. Deckung der Verfahrenskosten Der Antragstellerin liegt daran, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens schnellstmöglich einer Entscheidung durch das Gericht unter Anordnung der Eigenverwaltung zuzuführen. Dazu ist neben der Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes, Anlage A 7, notwendig, dass die Kosten des Verfahrens dargestellt werden können. Die Kosten des Verfahrens können aus der voraussichtlichen freien Masse gedeckt werden. … Zur Beschleunigung des Sachverhaltes füge ich eine Erklärung des Rechtsanwalts … bei, der einen Betrag von … Euro treuhänderisch auf einem Rechtsanwaltsanderkonto hält, mit der Zweckbestimmung, diesen Betrag als Kostenvorschuss zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verwenden. Der Betrag kann jederzeit bei der Gerichtskasse einbezahlt werden zur ausschließlichen Verwendung der Kosten des eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B-GmbH. Glaubhaftmachung: Erklärung des Rechtsanwalts …, Anlage A 8.
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§ 3 Rz. 615 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung C. Zum Antrag auf Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung, Antrag Ziff. 2 und Ziff. 3: Die Antragstellerin beantragt außerdem die Durchführung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung. Die Antragstellerin ist gem. §§ 270 Abs. 1 und 270f Abs. 1 InsO antragsberechtigt. Die nach § 270a Abs. 1 InsO erforderlichen Unterlagen der Eigenverwaltungsplanung ergeben sich aus den nachfolgend gemachten Ausführungen bzw. sind als Anlage dem Antrag beigefügt. Im Einzelnen: I. Unterlagen der bzw. Angaben zur Eigenverwaltungsplanung nach § 270a Abs. 1 InsO 1. Finanzplan, § 270a Abs. 1 Ziff. 1 InsO Der Finanzplan, der den Zeitraum von sechs Monaten abdeckt und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes und die Deckung der Kosten des Verfahrens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll, ist als Anlage 6 beigefügt. … 2. Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens, § 270a Abs. 1 Ziff. 2 InsO Die Antragstellerin beabsichtigt, ausgehend von den unter Abschnitt A. dargestellten Ursachen der Krise die Sicherstellung der Liquidität für die Betriebsfortführung mit den näher aufgeführten Maßnahmen anzugehen. … 3. Verhandlungsstand mit Beteiligten, § 270a Abs. 1 Ziff. 3 InsO Die Hauptgläubiger der Antragstellerin … haben sich ausweislich der in Anlage A 9 beigefügten Erklärungen mit einer Eigenverwaltung und dem unter Abschnitt A. dargestellten Sanierungskonzept (Eigensanierung) einverstanden erklärt. Diese Gläubiger, die auch die Hauptsicherungsgläubiger sind, sehen in der Anordnung der Eigenverwaltung aufgrund der zugrundeliegenden Eigenverwaltungsplanung die Interessen der Gläubiger ausreichend gewahrt. Die Gesellschafter der Antragstellerin … unterstützen den anstrebten Sanierungsprozess, indem neue finanzielle Mittel zur Betriebsfortführung bereitgestellt werden und die Bereitschaft besteht, einen strategischen Investor mit aufzunehmen. Auch einem Gesamtverkauf steht man offen gegenüber. Die entsprechenden Erklärungen sind in Anlage A 9 beigefügt. Weitere Geschäftspartner …, die für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich sind, wurden über das beabsichtigte Eigenverwaltungsverfahren informiert und wollen die Geschäftsbeziehung fortsetzen. Deren Absichtserklärungen sind ebenso aus Anlage A 9 ersichtlich. … 4. Vorkehrungen zur Sicherstellung der Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten, § 270a Abs. 1 Ziff. 4 InsO Die Antragstellerin hat … mit der begleitenden Beratung beauftragt. … verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich des Restrukturierungsrechts und ist auch bereit, als Organ mit in der Geschäftsführung tätig zu sein. Die Einzelheiten werden aktuell geklärt. Die weiteren Mitarbeiter des … haben eine umfangreiche Kenntnis über die insolvenzrechtlichen Vorschriften und die von der Antragstellerin zu erfüllenden insolvenzrechtlichen Pflichten, u.a. durch eine entsprechende Ausbildung sowie durch langjährige Erfahrung in der Bearbeitung von Insolvenzverfahren. Die Antragstellerin hat das für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortliche Management durch markterfahrenes Personal ausgewechselt und darüber hinaus den in der Branche erfahrenen und im Registerbezirk H-Stadt als Sachverständigen tätigen … zum Beiratsvorsitzenden bestellt. Zudem wurde begonnen, die internen Arbeitsabläufe und Prozesse, für die jeweils zuständigen Mitarbeiter jederzeit einsehbar, schriftlich zu dokumentieren. Die Antragstellerin wird von eigenen, langjährig erfahrenen Mitarbeitern … weiter unterstützt. Aus den Führungskräften des Unternehmens sowie den zusätzlichen Kräften mit insolvenzrechtlicher Expertise wurde ein Lenkungskreis organisiert, der fortlaufend die Schnittstelle zwischen der unternehmerischen und insolvenzrechtlichen Verantwortung bildet. Mit dem Stichtag der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung wird die Antragstellerin einen Buchungsschnitt durchführen. Die diesem Antrag beigefügte Planrechnung wird fortgeschrieben, um jederzeit einen
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 615 § 3 Überblick über den wirtschaftlichen Stand zu erhalten und um die Erwirtschaftung von Verlusten zu vermeiden bzw. gegensteuernde Maßnahmen unverzüglich einleiten zu können. … 5. Darstellung Mehr- oder Minderkosten, § 270a Abs. 1 Ziff. 5 InsO Eine Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten, die im Rahmen der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren und im Verhältnis zur Insolvenzmasse voraussichtlich anfallen werden, ist in dem beigefügten Finanzplan als ergänzende Angabe enthalten. … 6. Ergänzende Angaben und Darstellung der Fortführungsfähigkeit, Anlage A 10 … II. Erklärungen nach § 270a Abs. 2 InsO Zur Erfüllung der Pflichten nach § 270a Abs. 2 InsO teile ich mit, dass sich die Antragstellerin nicht mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen oder dem Steuerschuldverhältnis sowie gegenüber Sozialversicherungsträgern in Verzug befindet. Der Umfang der offenen Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten ist in dem beigefügten qualifizierten Gläubigerverzeichnis (Anlage A 4) dargestellt. … Zudem teile ich mit, dass zugunsten der Antragstellerin innerhalb der letzten drei Jahre keine Vollstreckungsoder Verwertungssperren nach der Insolvenzordnung oder dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz angeordnet wurden. … Die Antragstellerin ist für die letzten drei Geschäftsjahre ihren Offenlegungspflichten nachgekommen. Der Jahresabschluss … wurde am … im Bundesanzeiger veröffentlicht. … Die beantragte Eigenverwaltung ist mithin nach derzeitigem Stand der Eigenverwaltungsplanung vorteilhaft, um eine erfolgreiche Sanierung, die auch im Sinne der Gläubigergemeinschaft ist, durchzuführen. Derzeit besteht ein laufender Geschäftsbetrieb, der von der Antragstellerin geführt wird. Die Antragstellerin verfügt auch über ausreichend finanzielle Mittel, um den Zeitraum der nächsten sechs Monate abzudecken. Der Antrag gemäß § 270b Abs. 1 InsO ist mithin begründet (Primärzugang zur Eigenverwaltung). Sollten sich Fehler der Eigenverwaltungsplanung zeigen, bitte ich namens der Antragstellerin um einstweilige Anordnung der Eigenverwaltung und die Möglichkeit, binnen 20 Tagen diese zu beheben, § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Antragstellerin wird dies schnellstmöglich beheben und mitteilen, in welcher Art und Weise die Fehler behoben werden konnten. Ist die Fehlerbehebung nicht in Gänze oder innerhalb der Nachbesserungsfrist möglich, wird beantragt, die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 2 InsO anzuordnen, weil erkennbar ist, dass die Antragstellerin trotzdem bereit und in der Lage ist, ihre Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten (hilfsweise überprüfter Zugang zur Eigenverwaltung). … D. Zur Person des (vorläufigen) Sachwalters, Antrag Ziff. 4: Die Antragstellerin enthält sich ausdrücklich etwaiger Anträge zur Person des Sachwalters, der bei anzuordnender Eigenverwaltung verpflichtend zu bestellen ist. Auch zur Person eines vorläufigen Sachwalters für das Eröffnungsverfahren werden keine Vorschläge gemacht. Es besteht nach Auffassung der Antragstellerin die berechtigte Aussicht auf Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens. Sie bittet das Gericht bei der Auswahl zu bedenken, dass ein die Fortführung von Unternehmen konstruktiv begleitender (vorläufiger) Sachwalter ausgewählt wird, der dem Gericht auch Gewähr dafür bietet, dass er die Durchführung des beabsichtigten Insolvenzplanverfahrens in zügiger Art und Weise unterstützt. Die Hauptgläubiger bzw. die nachfolgend vorgeschlagenen Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses haben zu erkennen gegeben, abhängig von der Auswahl des Gerichts den (vorläufigen) Sachwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans betreuen zu wollen. Alternativ kann dies … übernehmen (s. zu B.I.4.).
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§ 3 Rz. 615 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung … E. Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, Antrag Ziff. 5: Für einen möglichst reibungslosen und erfolgreichen Verlauf des (vorläufigen) Eröffnungsverfahrens beantrage ich namens und im Auftrag der Antragstellerin zur Rückbindung an die Gläubiger der Antragstellerin nach § 22a Abs. 2 InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen. Als Mitglieder des Gläubigerausschusses kommen in Betracht, sowie ich deren Zustimmung für die Übernahme der Tätigkeit in Anlage 11 dokumentiert habe: … F. Anregungen, Ziff. 6: Für einen möglichst reibungslosen und erfolgreichen Verlauf des Eröffnungsverfahrens schlage ich die Anordnung von Maßnahmen des Vollstreckungsschutzes gem. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 InsO vor. Die Anordnung von Maßnahmen des Vollstreckungsschutzes ist zur Umsetzung des Sanierungskonzeptes notwendig. Es sind derzeit keine Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen die Antragstellerin anhängig und auch derzeit nicht zu erwarten. Im Falle von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen würden jedoch das Sanierungskonzept und der Finanzplan möglicherweise nicht umsetzbar sein, so dass letztlich eine Sanierung des Unternehmens der Antragstellerin scheitern würde. Der Fortbestand des Unternehmens der Antragstellerin ist jedoch im Interesse aller Gläubiger. … G. Versicherung der Richtigkeit Anbei finden Sie zur Glaubhaftmachung die Versicherung der Geschäftsführer der B-GmbH zur Richtigkeit und Vollständigkeit der im in diesem Schreiben getätigten Angaben, insbesondere zum Eröffnungsantrag und dem Vermögensverzeichnis (Anlage A 12). Vor diesem Hintergrund bitte ich das Gericht um eine zeitnahe Entscheidung. Zu allen weiteren Erläuterungen, einschließlich der Bereitschaft, unverzüglicher weiterer Glaubhaftmachung oder mündlicher Erörterung, erkläre ich mich bereit. Rechtsanwalt Anlagen: – Vollmacht (A 1) – Formblatt Gericht: Insolvenzantrag (A 2) – Formblatt Gericht: Auskunftsbogen juristische Person (A 3) – Formblatt Gericht: qualifiziertes Gläubigerverzeichnis und qualifiziertes Debitorenverzeichnis (A 4) – Formblatt Gericht: Vermögensübersicht mit Anlagen (A 5) – Finanzplan (A 6) – Glaubhaftmachung Insolvenzgrund (A 7) – Glaubhaftmachung Erklärung zweckgebundener und treuhänderisch gehaltener Verfahrenskostenbetrag (A 8) – Erklärung der wesentlichen Gläubiger, Gesellschafter und Geschäftspartner zur Unterstützung des Fortführungskonzepts und der Eigenverwaltung (A 9) – Darstellung der Fortführungsfähigkeit (A 10) – Zustimmungen vorläufiger Gläubigerausschuss (A 11) – Glaubhaftmachung Versicherung der Richtigkeit der Angaben (A 12)
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 621 § 3
b) Befugnisse und Pflichten des Schuldners Die Eigenverwaltung ist dem Grunde nach ein verwalterloses Verfahren. Gleichwohl wird dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse nicht uneingeschränkt zugewiesen. Die Vorschriften zur Eigenverwaltung nehmen vielmehr eine Aufgabenteilung zwischen Schuldner und Sachwalter vor und bestimmen unterschiedliche Rechte und Pflichten, die sich zum Teil ergänzen, teilweise aber auch ausschließenden Charakter haben. Der Schuldner ist nach dem Grundverständnis Amtswalter in eigenen Angelegenheiten, sein Handeln wird maßgeblich durch die Interessen der Gläubigergesamtheit, nicht etwa Einzelner oder gar seiner eigenen, bestimmt.777 Dass der Schuldner mit der Eigenverwaltung auch eigenorientiert handeln mag, ist verständlich und so gesehen nicht schädlich.
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Für das Eröffnungsverfahren (vorläufige Eigenverwaltung, auch in Form des Schutzschirmverfahrens) gilt dies entsprechend, wenn entweder das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen nach 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Ziff. 1a,778 3 bis 5 anordnet oder bestimmt, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters wirksam sind, § 270c Abs. 3 InsO.
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In diesen Konstellationen der vorläufigen Eigenverwaltung bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Sachwalter und nimmt so eine in Teilbereichen identische Aufgabenteilung wie im (eröffneten) Eigenverwaltungsverfahren vor. Gemäß § 270b Abs. 1 InsO finden die §§ 274 und 275 InsO für den vorläufigen Sachwalter Anwendung.
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aa) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse Die Abgrenzung der Aufgabenbereiche folgt dem Gedanken, dass der Schuldner die laufenden Geschäfte führt und dem Sachwalter die Kontrolle der Geschäftsführung übertragen ist, §§ 270 Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 Satz 1 InsO, oder dieser den Schuldner unterstützt, § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO (Insolvenzgeldvorfinanzierung, insolvenzrechtliche Buchführung, Gespräche mit Kunden und Lieferanten).
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Der Schuldner ist mit der ihm belassenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis für die grundsätzliche Durchführung des Insolvenzverfahrens zuständig, indem er die Insolvenzmasse verwaltet und verwertet und anschließend zur gemeinschaftlichen Befriedigung den Erlös an die Gläubiger verteilt, § 270 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO.779 Hat der Schuldner während des Insolvenzverfahrens in der Eigenverwaltung Verbindlichkeiten begründet, sind dies folglich Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 InsO.
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Selbst die Verwertung des Sicherungsguts ist Angelegenheit des Schuldners, der diese Rechte nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben soll, § 282 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO.780 Ein Verstoß gegen
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777 Die Befugnis ist während des Insolvenzverfahrens somit nicht Ausdruck der Privatautonomie; vgl. auch Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 1; zum Verhältnis Insolvenzrecht – Gesellschaftsrecht vgl. bspw. Noack, ZIP 2002, 1873 ff.; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777 ff.; Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406 ff., sowie mit dem ESUG eingeführt § 276a InsO (s. hierzu Rz. 625). BGH v. 3.12.2019 – II ZR 457/18, MDR 2020, 419 = NZI 2020, 285 ff.: Bei Anordnung der Eigenverwaltung verbleiben die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse beim Schuldner, der als Amtswalter anstelle des regulären Insolvenzverwalters handelt und den gleichen Bindungen unterliegt wie dieser. 778 § 22a InsO mit den Schwellenwerten für einen verpflichtenden vorläufigen Gläubigerausschuss gilt ergänzend. 779 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 403 f. 780 Damit ist dieselbe Rechtslage herbeigeführt wie im Regelinsolvenzverfahren, wo ebenso den Sicherungsgläubigern ein ungehinderter Zugriff auf ihre Sicherungsrechte verwehrt wird, §§ 165 ff. InsO; abweichend regeln § 282 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO den Ansatz von Feststellungs- und Verwertungskosten im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren, so dass hier eine geringere Kostenbelastung der gesicherten Gläubiger erfolgt; Westrick, NZI 2003, 65, 70.
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§ 3 Rz. 621 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung das Einholen des Einvernehmens oder die Durchführung der Maßnahme entgegen des Widerspruchs des Sachwalters hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Rechtshandlung im Außenverhältnis.781 622
Hinweis: Der Schuldner hat darauf zu achten, dass nicht nur das Sicherungsgut verwertet, sondern der Erlös auch separiert und nicht untrennbar mit der Insolvenzmasse vermengt wird. Kommt der Schuldner seiner Obliegenheit nicht nach, sich mit dem Sachwalter abzustimmen, kann dies im Rahmen der Überwachung durch den Sachwalter zu einem anzeigepflichtigen Umstand (§ 274 Abs. 2 und 3 InsO) mit der anschließenden Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 InsO) führen. Versprechen sich die Gläubiger gleichwohl Vorteile aus der weiteren Eigenverwaltung, kann die Gläubigerversammlung unter Beibehaltung der Eigenverwaltung das Verhalten des Schuldners gem. § 277 InsO mit dem Antrag auf Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit sanktionieren (vgl. Rz. 676). Eine Freigabe von mit Absonderungsrechten belasteten Massegegenständen ist im Eigenverwaltungsverfahren, anders als im Regelverfahren durch den Insolvenzverwalter, nicht möglich. Der Schuldner behält seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und kann damit an sich selbst nichts freigeben, um dem Gläubiger eine insolvenzfreie Verwertung zu ermöglichen. Will der Schuldner dauerhaft wertvernichtende Belastungen der Insolvenzmasse vermeiden und Massegegenstände in sein insolvenzfreies Vermögen freigeben, weil eine Verwertung an Dritte ausscheidet, ist dies denkbar, erfordert aber die Mitwirkung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung (§ 276 InsO), um zu vermeiden, dass der Schuldner die Masse zum Schaden der Gläubiger entleert.782
623
Mit den §§ 275 f. InsO wird dem Schuldner vorgegeben, den Sachwalter und/oder den Gläubigerausschuss, soweit ein solcher nicht bestellt ist die Gläubigerversammlung, an verschiedenen Handlungen und Maßnahmen mitwirken zu lassen (vgl. im Einzelnen Rz. 667). Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bleibt unabhängig hiervon dem Schuldner zugewiesen, so dass Verstöße hiergegen unbeachtlich sind und im Verhältnis zu Dritten vorgenommene Maßnahmen wirksam bleiben (zu möglichen Folgen s. den vorgehenden Hinweis).783 Sie können über die Grundsätze der Insolvenzzweckwidrigkeit, die im Rahmen der Eigenverwaltung auch für den Schuldner gelten, unwirksam sein.784
624
Anders ist dies dagegen in den Fällen der angeordneten Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO, die die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners einschränkt, und der originären Zuweisung der (partiellen) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an den Sachwalter nach § 280 InsO mit der Aufgabe, die Haftung geltend zu machen (§§ 92 und 93 InsO) und die Anfechtung von Rechtshandlungen vorzunehmen (§§ 129 ff. InsO). Vom Schuldner gleichwohl in diesem Bereich vorgenommene Handlungen sind absolut unwirksam.
625
Die Überwachungsorgane der schuldnerischen Unternehmung wie Aufsichtsrat, Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung haben im Rahmen der Eigenverwaltung keine weitergehenden Einwirkungsmöglichkeiten auf die vermögensrechtlichen Maßnahmen der Geschäftsführung als im Re-
781 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 539, dort mit dem Verweis auf die Gesetzesbegründung zu § 340 Satz 2 RegE InsO (§ 279 Satz 2 InsO). 782 Siehe hierzu auch die grundlegenden Ausführungen von BGH v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, MDR 2017, 729 = NZI 2017, 345 ff., ob und unter welchen Voraussetzungen eine Freigabe nach Anordnung der Eigenverwaltung überhaupt möglich ist und wie sie gegebenenfalls erklärt werden müsste, war nicht entscheidungserheblich. 783 Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 275 Rz. 18, der auf die Möglichkeit hinweist, in Ausnahmesituationen einen Verstoß i.S.v. § 138 BGB zu prüfen (kollusives Zusammenwirken Schuldner und Vertragspartner). 784 OLG Karlsruhe v. 14.6.2016 – 8 U 44/15, ZInsO 2016, 1469 ff. Grundsätzlich zur Nichtigkeit von Rechtshandlungen nach den Grundsätzen der evidenten Insolvenzzweckwidrigkeit Hölken, DZWiR 2019, 51 ff.
322 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 626 § 3
gelverfahren.785 Die Führung der Geschäfte786 im Eigenverwaltungsverfahren sind an den Interessen der Gläubiger ausgerichtet, weshalb ausschließlich Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung die wirtschaftlichen Entscheidungen der Geschäftsführung zu überwachen haben. Eine zusätzliche Kontrolle durch die Organe der Gesellschaft ist nicht erforderlich, § 276a Satz 1 InsO. Angesprochen werden sowohl gesetzliche wie auch vertragliche Konstellationen.787 Im Bereich der organisatorischen Maßnahmen wie bspw. die Abberufung und Neubestellung der Geschäftsführung bleiben die Gesellschaftsorgane grundsätzlich zuständig, womit die Grundzüge der Abgrenzung des Regelverfahrens in Fragen der Zuständigkeit zu vermögensrechtlichen Ansprüchen und mitgliedschaftlichen Rechten beibehalten werden.788 Um einen missbräuchlichen Austausch der Geschäftsleitung zu verhindern und damit den auch im Eigenverwaltungsverfahren geltenden gläubigerorientierten Ansatz bestmöglich zu wahren, sind die Abberufung und Neubestellung der Geschäftsführung nur mit der Zustimmung des Sachwalters wirksam, § 276a Satz 2 InsO. Die Zustimmung ist jedoch zu erteilen, wenn keine Nachteile für die Gläubiger begründet werden, § 276a Satz 3 InsO.789 Werden solche Organisationsakte im Insolvenzplan gem. § 225a Abs. 3 InsO geregelt, ist die Zustimmung des Sachwalters entbehrlich. Die Beschlussfassung hierzu erfolgt nicht vom Überwachungsorgan, sondern von den stimmberechtigten Beteiligten, die diesen Akt legitimieren.790 Der Schuldner kann als Alternative zur Regelabwicklung gem. § 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO einen Insolvenzplan ausarbeiten. Neben seinem originären Planvorlagerecht nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO kann er den Insolvenzplan auch im Auftrag der Gläubiger erstellen, §§ 157 Satz 2, 284 Abs. 1 Satz 1 InsO.791
785 Damit endet auch die Zuständigkeit eines Konzernbetriebsrates für Interessenausgleichsverhandlungen, LAG Baden-Württemberg v. 23.6.2015 – 22 Sa 61/14, ZInsO 2016, 118, 122, und v. 23.6.2015 – 10 Sa 59/14, ZInsO 2016, 1270. 786 Angesprochen ist nicht nur die reine Organstellung, sondern jede Art von Geschäftsführung. In diesem Sinne wohl auch Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 276a Rz. 8. 787 Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 276a Rz. 5. 788 Dienen solche Maßnahmen der reinen Informationsbeschaffung im Zusammenhang mit der vermögensrechtlichen Abwicklung des Insolvenzverfahrens, ist die Ausübung des mitgliedschaftlichen Rechts, bspw. auf Abhaltung einer Gesellschafterversammlung, unzulässig, vgl. hierzu AG Montabaur v. 19.6.2012 – HRB 20744, DZWiR 2013, 294 f. Es ist jedoch darauf zu achten, keine übermäßige Ausdehnung des § 276a InsO vorzunehmen. Zulässige mitgliedschaftliche Rechte, bspw. wie die auf Wahl des Aufsichtsrates, können nicht untersagt werden, auch wenn sie zugleich, bspw. in ein und derselben Versammlung, behandelt werden sollen. Zutreffend insoweit die Anmerkung von Scheibner, DZWiR 2013, 279 f. So auch OLG München v. 14.5.2018 – 31 Wx 122/18, DZWiR 2018, 544 ff., mit der zustimmenden Anmerkung von Schmittmann/Hippeli, a.a.O., 501 ff. 789 Hölzle, ZIP 2012, 2427 ff., plädiert für eine gesellschaftsrechtliche Veränderungssperre schon im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren, soweit es als Schutzschirmverfahren ausgestaltet ist. Bilgery, ZInsO 2014, 1694 ff., merkt kritisch an, dass § 276a InsO die Eigenverwaltung gerade im Konzern (nicht aber darauf beschränkt) schwächt. Dieses Argument bestärkt den Ansatz, rechtzeitig tätig zu werden und beizeiten die richtigen Beteiligten als Organ/Berater/freie Mitarbeiter einzubinden. Besteht Handlungsbedarf, dies während des Verfahrens zu ändern, kann der Austausch erfolgen, dann aber nur mit Zustimmung des Sachwalters. Mit dem wirtschaftlichen Argument unter Berücksichtigung der Verteilungsrangfolge des § 199 InsO wird entgegen Bilgery gerade kein Nachteil für die Gläubiger entstehen, womit der Sachwalter zustimmen muss. Damit können auch die Gesellschafter ihr Votum durchsetzen und von der Änderung profitieren. Alles andere − d.h. Gläubiger müssten auf Werte zugunsten der Gesellschafter mehrheitsgetragen verzichten − wäre planzweckwidrig. 790 Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 276a Rz. 10. 791 Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 284 Rz. 11, führt an, dass dem Beauftragungsrecht der Gläubigerversammlung regelmäßig eine bloße „Bestätigungsfunktion“ des bereits initiierten Insolvenzplans zukommt. Dies verdeutlicht, dass die Gläubiger die Möglichkeit zur Insolvenzbewältigung mittels Insolvenzplan (zu) selten wahrnehmen und damit eine wichtige (Verfahrens-)Steuerungsoption aus der Hand geben.
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626
§ 3 Rz. 627 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 627
Hinweis: Für die vorläufige Eigenverwaltung gilt, dass die Durchführung des Schutzschirmverfahrens nur statthaft ist, wenn der Schuldner die Sanierung mittels Insolvenzplan anstrebt, § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO. Insoweit wandelt sich das Recht zur Planvorlage zur verpflichtenden Planerstellung. Will der Schuldner hiervon keinen Gebrauch machen bzw. ist er im Eröffnungsverfahren noch unentschlossen, kann nur das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren gemäß der §§ 270b und 270c InsO durchgeführt werden. Hier kann jedoch der vorläufige Gläubigerausschuss den Schuldner oder auch den Sachwalter entsprechend beauftragen, § 284 Abs. 1 Satz 2.
bb) Verfahrensführende Aufgaben 628
Dem Schuldner sind gem. § 279 Satz 1 InsO die im Regelverfahren sonst dem Insolvenzverwalter obliegenden Rechte aus den §§ 103 bis 128 InsO (vgl. § 11 zu den gegenseitigen Verträgen) über die Erfüllung der Rechtsgeschäfte zugewiesen, wobei die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates in identischer Weise zu berücksichtigen sind. Insbesondere obliegt dem Schuldner die Entscheidung über die Fortführung beiderseits nicht erfüllter Verträge (§ 103 InsO), das Kündigungsrecht als Mieter oder Pächter (§ 109 Abs. 1 InsO) sowie das Sonderkündigungsrecht von Dienstverhältnissen (§ 113 Abs. 1 InsO). Zwar soll der Schuldner diese Rechte nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben, § 279 Satz 2 InsO, ein Verstoß gegen die Abstimmungspflicht hat jedoch keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Rechtshandlung im Außenverhältnis (zu möglichen Folgen vgl. Rz. 622).792
629
Die Kündigung von Betriebsvereinbarungen (§ 120 InsO), die Klage auf Zustimmung zur Betriebsänderung (§ 122 InsO) sowie den Antrag zur Beschlussfassung des ArbG zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) kann der Schuldner nach außen wirksam nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben, § 279 Satz 3 InsO (vgl. hierzu § 15 Rz. 59a ff.).
630
Der Schuldner hat massebezogene Prozesse zu führen und über die Aufnahme von Prozessen, die durch die Verfahrenseröffnung unterbrochen worden sind, zu entscheiden.793
631
Abweichend zum Regelinsolvenzverfahren steht dem Schuldner abgeleitet aus der ihm zugewiesenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis das Recht zu, angemeldete Forderungen zu bestreiten und so deren Feststellung zur Insolvenztabelle zu verhindern, § 283 Abs. 1 InsO. Die Anmeldung der Forderungen ist gegenüber dem Sachwalter vorzunehmen, dem auch die Führung der Tabelle obliegt, § 270f Abs. 2 InsO.
632
Hinweis: Gläubiger der bestrittenen Forderung, die gegen den Widerspruch des Schuldners vorgehen wollen, müssen deshalb das Feststellungsverfahren gemäß der §§ 179 ff. InsO betreiben, ggf. nach § 184 InsO Feststellungsklage erheben (vgl. § 9 Rz. 292 ff.). Dem Schuldner steht ein Widerspruchsrecht zu, nicht etwa eines als Schuldner wie im Regelverfahren und eines für die Insolvenzmasse (anstelle des Insolvenzverwalters), und er hat auch als Eigenverwalter das ihm im Regelverfahren zur Vermeidung der Folgen des § 201 Abs. 2 InsO gewährte Recht im Feststellungsrechtsstreit zu wahren.794 Der Schuldner kann seinen Widerspruch auf den Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beschränken und noch vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit einer negativen Feststellungsklage verfolgen.795 792 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 536. 793 Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 283 Rz. 8; a.A. Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 274 Rz. 58; vgl. zur Prozessunterbrechung nach § 240 ZPO OLG Naumburg v. 2.5.2000 – 5 W 47/00, ZInsO 2000, 505; für das selbständige Beweisverfahren findet § 240 ZPO keine Anwendung, BGH v. 11.12.2003 – VII ZB 14/03, MDR 2004, 404 = ZInsO 2004, 85 f. 794 Riggert in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 283 Rz. 3; Brünkmans in HK/InsO, § 283 Rz. 6; Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 283 Rz. 19 ff.; a.A. Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/ Vallender, Insolvenzordnung, § 283 Rz. 2; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.16. 795 BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 30/13, MDR 2014, 428 = ZInsO 2013, 2206 ff., mit Anmerkung Ahrens, EWiR 2014, 17 f.
324 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 639 § 3
Die Verteilung der Verwertungserlöse erfolgt durch den Schuldner nach Prüfung durch den Sachwalter und schriftlicher Erklärung, ob nach dem Ergebnis der Prüfung Einwendungen zu erheben sind, § 283 Abs. 2 InsO. Der Schuldner hat deshalb in Erfüllung dieser Pflicht gemäß der §§ 188 ff. InsO zu handeln, insbesondere das Verteilungsverzeichnis aufzustellen und auf der Geschäftsstelle niederzulegen und die Forderungssummen öffentlich bekannt zu machen. Korrespondierend dazu ist die schriftliche Erklärung des Sachwalters auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen.
633
Die Kooperationspflichten im Rahmen eines Konzerninsolvenzverfahrens (vgl. hierzu Rz. 52) werden dem Gedanken der Rollenverteilung folgend dem Schuldner im Rahmen der Eigenverwaltung auferlegt. Ergänzend dazu kann der Antrag auf Begründung des oder Verweisung an den Gruppengerichtsstand auch im Rahmen der Eigenverwaltung vom Schuldner gestellt werden, wie dem Schuldner das Recht an die Hand gegeben wird, ein Koordinationsverfahren zu beantragen, § 270g InsO. Ausgenommen von der Übertragung ist die Bestellung eines gruppenangehörigen Schuldners zum Verfahrenskoordinator, § 269e Abs. 1 Satz 3 InsO.
634
Hinweis: Der Ausschluss als Verfahrenskoordinator hat derzeit keine Relevanz, da es sich bei gruppenangehörigen Schuldnern um juristische Personen bzw. Personenmehrheiten handelt und als Insolvenzverwalter und damit auch als Verfahrenskoordinator nicht bestellt werden. § 56 InsO wurde bislang nicht geändert, das Amt bleibt der natürlichen Person vorbehalten.
635
cc) Mitwirkungspflichten Der Schuldner hat gegenüber dem Sachwalter verschiedene Mitwirkungspflichten, § 274 Abs. 2 Satz 3 InsO. So muss er dem Sachwalter Zutritt zu den Geschäftsräumen gewähren, damit dieser Nachforschungen anstellen kann. Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere hat er zu ermöglichen sowie erforderliche Auskünfte neben dem Sachwalter auch dem Insolvenzgericht zu erteilen. Der Sachwalter kann gem. § 98 InsO diese Pflichten notfalls durchsetzen.
636
dd) Informationspflichten Der Schuldner unterrichtet die Gläubiger, indem er das Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO), das Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) erstellt und zur Einsicht der Beteiligten in der Geschäftsstelle niederlegt (§ 154 InsO), § 281 Abs. 1 Satz 1 InsO. Er hat den Gläubigern im Berichtstermin die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und deren Ursachen sowie voraussichtliche Sanierungschancen darzustellen (§ 156 InsO), die handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung zu erfüllen (§ 155 InsO) und die Schlussrechnung zu erstellen (§ 66 InsO), § 281 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 InsO.796 Der Sachwalter hat dies im Interesse der Gläubiger an einer objektiven Information zu überwachen und Stellung zu nehmen, § 281 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 InsO (vgl. Rz. 754). Ergänzend hat der Sachwalter aufgrund gesonderter Anordnung durch das Gericht den Schuldner im Rahmen der insolvenzrechtlichen Buchführung zu unterstützen, § 274 Abs. 1 Satz 2 InsO.
637
Wird die Eigenverwaltung während des laufenden Verfahrens aufgehoben, muss der Schuldner über seine Geschäftsführung während der Zeit der Eigenverwaltung Rechnung legen.797
638
Hinweis: § 66 Abs. 4 InsO lässt einen Verzicht auf die Rechnungslegung zu, wenn der Insolvenzplan eine entsprechende Regelung enthält (vgl. hierzu auch Rz. 383). Die Durchführung des Schutzschirmverfahrens allein mit anschließender Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens unter Vorlage des Insolvenzplans reicht hierfür
639
796 Hillebrand, ZInsO 2018, 1650 ff., stellt im Überblick die Rechnungslegung in der Eigenverwaltung dar. 797 AG Duisburg v. 4.10.2005 – 60 IN 136/02, NZI 2006, 112 ff.
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§ 3 Rz. 639 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung nicht aus. Der Insolvenzplan entfaltet seine Wirkungen erst mit Rechtskraft, § 254 Abs. 1 InsO, und muss deshalb nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahren das Planverfahren regulär durchlaufen. 640
Tritt während des bis zu dreimonatigen Schutzschirmzeitraums Zahlungsunfähigkeit ein, hat der Schuldner (oder der vorläufige Sachwalter) dies unverzüglich dem Gericht anzuzeigen, § 270d Abs. 4 InsO. ee) Ausgaben für die Lebensführung
641
Unter Berücksichtigung der bisherigen Lebensführung kann der Schuldner gem. § 278 Abs. 1 InsO die Mittel zu einer bescheidenen Lebensführung für sich und die in § 100 Abs. 2 Satz 2 InsO genannten Familienangehörigen der Insolvenzmasse entnehmen, eine Zustimmung des Sachwalters oder der Gläubigerversammlung ist hierzu nicht erforderlich. Ist der Schuldner keine natürliche Person, steht das Entnahmerecht den vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschaftern zu, § 278 Abs. 2 InsO. Im Umkehrschluss bedeutet dies für den Geschäftsführer oder Vorstand einer juristischen Person als Schuldner, auch wenn er mittels Schuldmitübernahme oder Bürgschaft seine Haftung begründet hat, dass ihm ein solches Entnahmerecht nicht zusteht. Für diese Fälle sind Gehaltszahlungen gesondert zu vereinbaren.798
642
Der dem Schuldner zustehende höhere Unterhalt zur bescheidenen Lebensführung im Vergleich zum notwendigen Unterhalt der Regelabwicklung (§ 100 Abs. 2 Satz 1 InsO) rechtfertigt sich mit der Verwaltung der Masse und der Einbringung seiner Arbeitskraft, Fähigkeiten und Kenntnisse zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung.799 Ein Anspruch, seinen bisherigen Lebensstil beizubehalten, wird dem Schuldner dadurch nicht gewährt.800
643
Hinweis: Vor dem Hintergrund, dass auch der Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt (§ 35 InsO), wird man der Entnahmehöhe besondere Bedeutung beimessen müssen. Insoweit ist die Gesetzesbegründung unverständlich, die einerseits die Einbringung der persönlichen Fähigkeiten des Schuldners fordert, andererseits die Mittel zur Lebensführung zunächst dem unpfändbaren Vermögen und laufendem Einkommen, das nicht zur Insolvenzmasse gehört, entnehmen will und erst danach den Restbetrag der Entnahmeregelung gem. § 278 InsO unterstellt.801 Die Gläubigerversammlung kann aber mittels Beschlusses das Entgelt für den Schuldner erhöhen und vertraglich mit ihm vereinbaren, §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 100 Abs. 1 InsO, so dass ein entsprechender zusätzlicher Anreiz für den persönlichen Einsatz in der Eigenverwaltung gegeben wird.802
644
Verstößt der Schuldner gegen die Entnahmeregelung, was vom Sachwalter nach § 274 Abs. 2 InsO zu überprüfen ist, kann eine Anzeige nach § 274 Abs. 3 InsO und ein anschließender Aufhebungsbeschluss nach § 272 Abs. 1 InsO oder die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO das Fehlverhalten des Schuldners sanktionieren. Ergänzend dazu kann der Sachwalter durch Übernahme der Kassenführung gem. § 275 Abs. 2 InsO tätig werden (vgl. Rz. 774). 798 Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 278 Rz. 2; Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 278 Rz. 13; AG Duisburg v. 4.10.2005 – 60 IN 136/02, NZI 2006, 112 ff. Unzutreffend AG Hamburg v. 7.5.2019 – 67 g IN 118/19, NZI 2019, 683 ff., das die Vergütung des während des Insolvenzverfahrens ins Organ gehenden Insolvenzfachmanns (s. hierzu Rz. 520) als Kosten des Verfahrens analog § 54 InsO behandeln und dem Insolvenzgericht die Festsetzung analog § 64 InsO zugestehen will. Der Vergütungsanspruch des Organs des Schuldners richtet sich nach den dienstvertraglichen Regeln/dem Auftragsverhältnis und unterliegt nicht den insolvenzrechtlichen Vorschriften, selbst wenn die Bezugsgröße in Anlehnung an die InsVV ermittelt wird. So auch Budnik, a.a.O., 686 f. 799 Wie hier: Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 278 Rz. 2; Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 278 Rz. 2; Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 278 Rz. 1. 800 Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 278 Rz. 7. 801 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 526 und S. 536. 802 Grundlegend zur Unterhaltsgewährung in der Eigenverwaltung Wippenfürth, ZInsO 2015, 1127 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 649 § 3
ff) Sonstige Beteiligungsrechte Trotz der Anordnung der Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht, ggf. auch nach Durchführung eines Schutzschirmverfahrens, bleibt das eigenverwaltete Insolvenzverfahren ein gläubigerorientiertes Verfahren.803 Daraus versteht sich die jederzeit gegebene Möglichkeit der Gläubiger, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, § 272 Abs. 1 InsO. Die Entscheidung des Gerichts ist insoweit nur „vorläufiger“ Natur. Wird der Antrag durch die Gläubigerversammlung mit der erforderlichen Kopfund Summenmehrheit gestellt, ist die Eigenverwaltung ohne weitere Voraussetzungen aufzuheben, § 272 Abs. 1 Ziff. 3 InsO (vgl. Rz. 661). Stellt ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger einen solchen Antrag, muss glaubhaft (vgl. zur Glaubhaftmachung Rz. 402) vorgetragen werden, dass die Voraussetzungen des § 270f i.V.m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO weggefallen sind und dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen, § 272 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2 InsO (vgl. Rz. 664).
645
Demgegenüber steht das grundsätzliche Recht des Schuldners, die Eigenverwaltung zu beantragen. Die Anordnung erfolgt, wenn die Voraussetzungen gem. § 270b Abs. 1 oder 2 InsO gegeben sind. Materiell hat deshalb das Insolvenzgericht in der Entscheidung über den Antrag eines Gläubigers nach § 272 Abs. 1 Ziff. 4 InsO in Teilen gerade das zu prüfen, was bereits im Antrag des Schuldners zu prüfen und Voraussetzung zur Anordnung der Eigenverwaltung war. Daraus versteht sich, dass dem Schuldner vor der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Antrag eines Gläubigers die Möglichkeit gegeben werden muss, zum Antrag Stellung zu nehmen. Erst nach Anhörung des Schuldners kann das Insolvenzgericht über den Antrag entscheiden, § 272 Abs. 4 Satz 2 InsO. Wird der Antrag von der Gläubigerversammlung gestellt (vgl. Rz. 661), ist keine gesonderte Anhörung erforderlich. Der Schuldner hat jedoch das Recht, sein Teilnahmerecht in der Gläubigerversammlung zu wahren, § 74 Abs. 1 InsO.804
646
c) Antragsrecht zur Aufhebung der Eigenverwaltung Mit der Eigenverwaltung soll die bestmögliche Gläubigerbefriedigung erreicht werden, indem der Schuldner anstelle des Insolvenzverwalters in das Insolvenzverfahren eingebunden wird, um die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen.805 Die mit der Eigenverwaltung erhofften Vorteile (vgl. Rz. 518) können nur realisiert werden, wenn der Schuldner über die Mitwirkungspflichten des Regelinsolvenzverfahrens hinaus zur aktiven Teilnahme am Insolvenzverfahren bereit und in der Lage ist.806 § 272 Abs. 1 Ziff. 5 InsO bestimmt deshalb in Fortführung des Rechtsgedankens des Schuldnerantrages gemäß der §§ 270 Abs. 1, 270a InsO als unverzichtbare Voraussetzung für jede Eigenverwaltung das Recht des Schuldners, die Aufhebung der Eigenverwaltung jederzeit zu beantragen. Das Insolvenzgericht hat kein Ermessen und muss die Eigenverwaltung ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen aufheben.
647
Hinweis: Der Schuldner ist durch seine vorherige Antragstellung nicht präkludiert, weil neue Sach- und/oder Rechtskenntnis seine Bereitschaft zur Eigenverwaltung beeinflussen können. Gründe für den Aufhebungsantrag muss der Schuldner weder angeben noch müssen solche tatsächlich vorliegen.
648
Wird die Eigenverwaltung aufgehoben, wird das Insolvenzverfahren ohne Weiteres und nahtlos als Regelinsolvenzverfahren fortgeführt. Das Insolvenzgericht bestellt deshalb, vorbehaltlich des nachfol-
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803 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 528. 804 Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 272 Rz. 19. 805 Mit dem Schuldner auch der Sachwalter, § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO; Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 526. 806 Aus § 270b Abs. 2 InsO a.E. ergibt sich, dass Vorteile tatsächlich nicht vorliegen müssen, um die Eigenverwaltung anzuordnen, die Geschäftsführung des Schuldners muss sich an den Interessen der Gläubiger ausrichten; zu den Mitwirkungspflichten vgl. bspw. die §§ 97 f. InsO.
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§ 3 Rz. 649 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung genden Wahlrechts der Gläubigerversammlung (§ 57 InsO), einen Insolvenzverwalter, der personenidentisch zum Sachwalter sein kann (§ 272 Abs. 3 InsO), der fortan die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis so wie auch die Insolvenzmasse vom Schuldner übernimmt (§§ 80, 148 InsO) und den Sachwalter ablöst.
5. Die Gläubiger im Eigenverwaltungsverfahren a) Aufgaben des vorläufigen Gläubigerausschusses im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren 650
Wurde ein vorläufiger Gläubigerausschuss nach §§ 21 Abs. 2 Ziff. 1a, 22a InsO eingesetzt, hat das Gericht ihn vor seiner Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag nach § 270b Abs. 2 InsO zu hören. Dem vorläufigen Gläubigerausschuss ist Gelegenheit zur Äußerung zum Antrag auf Eigenverwaltung zu geben, wenn der Primärzugang nicht erlangt wird und der überprüfte Zugang zur Anwendung kommt, § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO. Die Einbeziehung kann nur unterbleiben, wenn eine hierdurch bedingte Verzögerung offensichtlich innerhalb von zwei Werktagen zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, die sich nur durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lässt. Nur in eindeutigen Fällen (… offensichtlich …), in denen die mit einer Anhörung einhergehende zeitliche Verzögerung eine Verschlechterung der Vermögenslage mit sich bringt (… innerhalb von zwei Werktagen …), kann das Gericht von der Anhörung Abstand nehmen und dann auch nur, wenn die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters hilft, die Vermögensverschlechterung zu verhindern. Fasst der vorläufige Gläubigerausschuss einen einstimmigen Beschluss,807 ist das Votum für das Gericht bindend und es muss unterstellen, dass die Anordnung der Eigenverwaltung statthaft ist, weil der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten (unterstützter Zugang zur Eigenverwaltung).808 Die Voraussetzungen des § 270b Abs. 2 InsO gelten somit als erfüllt. Die im späteren Eigenverwaltungsverfahren dokumentierte Gläubigerautonomie (bspw. §§ 271, 272 Abs. 1 Ziff. 3, § 277 Abs. 1 InsO) wird so bereits in die vorläufige Eigenverwaltung vorverlagert, womit weitere materielle Prüfungshandlungen des Insolvenzgerichts entbehrlich sind. An ein einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses ist das Gericht ebenso gebunden, wenn die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung unterbleiben soll.809 Auch beschränkt sich das verpflichtende Mitspracherecht des vorläufigen Gläubigerausschusses auf die Fälle, in denen das Gericht gem. Abs. 2 eine Entscheidung zu treffen hat, ob der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten.
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Hinweis: Der Leitgedanke des SanInsFoG, die Zugangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung zu präzisieren und dem auf das Verfahren vorbereiteten Schuldner ein nicht zu versagendes Recht zu gewähren, zeigt sich auch hier.810 Allein die vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung eröffnet die (vorläufige) Eigenverwaltung, § 270b Abs. 1 InsO. Weder hat das Gericht vertiefte Prüfungen vorzunehmen (Abs. 2), noch ist der vorläufige Gläubigerausschuss zu konsultieren (Abs. 3). Ein das Vorhaben nach Abs. 1 unterstützender Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses kann aber wie schon bisher die Angelegenheit unterstützen.
652
Die Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses kann mit der Beteiligung an der Auswahl des vorläufigen Sachwalters (§§ 270b Abs. 1, 274 Abs. 1, 56 f. InsO) verbunden werden.
807 § 72 InsO findet Anwendung. 808 Hierfür ist gem. § 72 InsO auf die Kopfmehrheit der anwesenden Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses abzustellen. 809 § 72 InsO findet Anwendung. 810 Vereinfachend beschrieben, die §§ 270a und 270b InsO sind komplexer gefasst und erfordern eine eingehende Befassung, um alle denkbaren Varianten zu erfassen. Einen Gesamtüberblick gibt die Darstellung unter Rz. 552 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 659 § 3
In der vorläufigen Eigenverwaltung hat der vorläufige Gläubigerausschuss das Recht, die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu beantragen, § 270e Abs. 1 Ziff. 4 InsO. Das Insolvenzgericht hat kein Ermessen und muss ohne weitergehende Prüfung das Verfahren in ein reguläres Eröffnungsverfahren mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters überführen. Das Eröffnungsverfahren wird dann nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 21 bis 25 fortgeführt und das Insolvenzgericht entscheidet zum Abschluss des Eröffnungsverfahren über die Verfahrenseröffnung als Regelinsolvenzverfahren.
653
Hinweis: Ist kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, steht jedem absonderungsberechtigten Gläubiger oder Insolvenzgläubiger das Recht zu, die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu beantragen, § 270e Abs. 2 InsO. Es ist glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht vorliegen und dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen (zur Glaubhaftmachung vgl. Rz. 402). Vor einer Entscheidung über den Antrag des Gläubigers hat das Insolvenzgericht den Schuldner zu hören, § 270e Abs. 2 Satz 2 InsO. Mit der ergänzend durchzuführenden Anhörung des Schuldners wird sichergestellt, dass einzelne Gläubiger eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht aus sachfremden Motiven erwirken können.
654
b) Antrag zur Anordnung der Eigenverwaltung durch die Gläubiger Die Gläubiger können nach der Verfahrenseröffnung die Eigenverwaltung in jeder Versammlung beantragen, gleichgültig ob das Insolvenzgericht vorgehend den Antrag des Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung gem. § 270f InsO abgelehnt oder der Schuldner noch gar keinen Antrag gestellt hat, § 271 InsO (zur Gläubigerversammlung vgl. § 9 Rz. 417 ff.). Erforderlich ist nur die Schuldnerbereitschaft zur Durchführung des Eigenverwaltungsverfahrens, § 271 Satz 1 a.E. InsO (s. Rz. 551). Liegen diese Voraussetzungen vor, hat das Insolvenzgericht ohne eigenes Ermessen oder weitere Voraussetzungen die Eigenverwaltung anzuordnen.
655
Hinweis: Es ist keine materielle Entscheidung gemäß der §§ 270f und 270b InsO zu treffen. Die in § 271 InsO formulierte Gläubigerautonomie überlagert die Voraussetzungen des § 270b InsO mit Ausnahme der erforderlichen Schuldnerzustimmung.
656
Ist die Eigenverwaltung auf Antrag einer Gläubigerversammlung anzuordnen, geht das Regelinsolvenzverfahren nahtlos und ohne Weiteres in die Eigenverwaltung über. Anstelle des Insolvenzverwalters ist nunmehr ein Sachwalter zu bestellen. Das kann – klargestellt in § 271 Satz 2 InsO – der bisherige Insolvenzverwalter sein. Das Recht, die Person des Sachwalters auszuwählen, steht der ersten Gläubigerversammlung zu, §§ 274 Abs. 1, 57 InsO.
657
Hinweis: Im Antrag der Gläubigerversammlung muss die Person des Sachwalters nicht benannt werden. Dies kann aber zweckdienlich sein, insbesondere um nicht im Nachgang über § 57 InsO einen anderen Sachwalter wählen zu müssen.811
658
Der Antrag kann von jeder Gläubigerversammlung gestellt werden, wobei der von den Beteiligten erwartete Vorteil des in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahrens mehr und mehr schwindet, je länger das Verfahren als Regelinsolvenzverfahren geführt wird. Abgesehen von außerordentlichen Konstellationen macht deshalb ein Eigenverwaltungsverfahren nur Sinn, wenn das Verfahren von An-
659
811 Wie hier Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 271 Rz. 6; Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 271 Rz. 8; Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 271 Rz. 7; Kern in MünchKomm/InsO, § 271 Rz. 6 und 27 f.; a.A. Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 271 Rz. 6; Pape in Kübler/ Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 271 Rz. 26: Zugleich mit der Beschlussfassung über den Antrag auf Eigenverwaltung sollte die Entscheidung über die Person des Sachwalters getroffen werden und bei Abweichung namentlich eine andere Person benannt werden.
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§ 3 Rz. 659 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung fang an, idealer Weise bereits mit der vorläufigen Eigenverwaltung, spätestens unmittelbar nach der Verfahrenseröffnung darauf ausgerichtet wird. Das Gesetz bietet unabhängig hiervon den jederzeitigen Wechsel vom Regelverfahren zum Eigenverwaltungsverfahren an. Der hierzu erforderliche Beschluss bedarf der Kopf- und Summermehrheit der abstimmenden Gläubiger (über den Verweis auf die Summenmehrheit gem. § 76 Abs. 2 InsO und die ergänzende Nennung der Mehrheit der abstimmenden Gläubiger, § 271 Satz 1 InsO). 660
Minderheitenschutz der in der Gläubigerversammlung überstimmten Gläubiger gem. § 78 Abs. 1 InsO wird im Eigenverwaltungsverfahren nicht gewährt.812 Da keine weiteren Anordnungsvoraussetzungen bei einem entsprechenden Beschluss der Gläubigerversammlung vom Insolvenzgericht zu prüfen sind, soll nicht mittelbar über einen Antrag, den mehrheitlich gefassten, aber dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechenden Beschluss aufzuheben, das Insolvenzgericht verpflichtet werden können, den materiellen Gehalt des § 270b InsO nun doch zu prüfen (vgl. hierzu auch Rz. 797).
c) Antrag zur Aufhebung der Eigenverwaltung durch eine Gläubigerversammlung 661
Gemäß § 272 Abs. 1 Ziff. 3 InsO hebt das Insolvenzgericht auf Antrag der Gläubigerversammlung die Eigenverwaltung auf.813 Der Beschluss kann in jeder Gläubigerversammlung gefasst werden. Der Gesetzgeber ermöglicht so in Kombination der §§ 271 und 272 Abs. 1 Ziff. 3 InsO den jederzeitigen Wechsel zwischen dem Regel- und Eigenverwaltungsverfahren. Der Beschluss wird mit der Kopf- und Summenmehrheit der abstimmenden Gläubiger gefasst (über den Verweis auf die Summenmehrheit gem. § 76 Abs. 2 InsO und die ergänzende Nennung der Mehrheit der abstimmenden Gläubiger, § 272 Abs. 1 Ziff. 3 InsO; zum Minderheitenschutz überstimmter Gläubiger s. Rz. 660). Das Insolvenzgericht hat kein Ermessen und muss die Eigenverwaltung ohne die Prüfung weiterer Voraussetzungen aufheben.
662
Hinweis: Es findet wie beim Schuldner keine Präklusion durch die vorherige Beantragung nach § 271 InsO statt (vgl. Rz. 648).
663
Wird die Eigenverwaltung aufgehoben, wird das Insolvenzverfahren ohne Weiteres und nahtlos als Regelinsolvenzverfahren fortgeführt. Das Insolvenzgericht bestellt deshalb einen Insolvenzverwalter. Die erste Gläubigerversammlung nach der Bestellung kann nachfolgend eine andere Person als Insolvenzverwalter auswählen, § 57 InsO. Das Insolvenzgericht bestellt den Insolvenzverwalter insoweit nur vorläufig.814 Klargestellt wird in § 272 Abs. 3 InsO für die vorläufige Bestellung durch das Insolvenzgericht, dass lnsolvenzverwalter wegen der Sachnähe auch der bisherige Sachwalter sein kann.
d) Aufhebung der Eigenverwaltung nach Antrag eines Gläubigers. 664
Auf Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers oder eines Insolvenzgläubigers hat das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung gem. § 272 Abs. 1 Ziff. 4 InsO aufzuheben, wenn die Voraussetzung des § 270f i.V.m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO weggefallen ist (vgl. zu den Voraussetzungen Rz. 552 ff.) und dadurch dem Antragsteller erhebliche Nachteile drohen. Dies ist eine höhere Schwelle, als zur An-
812 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, MDR 2011, 1138 = ZIP 2011, 1622 ff., mit Anm. Flöther/Gelbrich, ZIP 2011, 1624 ff. Im Übrigen findet § 78 InsO Anwendung, wenn Entscheidungen der Insolvenzverfahrensabwicklung im Rahmen der Eigenverwaltung zu treffen sind. Dem Sachwalter und nicht dem Schuldner steht in diesen Fällen das Antragsrecht auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung zu, BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, MDR 2017, 1328 = EWiR 2017, 501 f. 813 Damit wird zugleich klar, dass trotz Einbindung und Ausstattung des Schuldners mit vielfältigen Rechten das Insolvenzverfahren weiter gläubigerorientiert betrieben wird. 814 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 531.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 666 § 3
ordnung der Eigenverwaltung, auch soweit das Gericht nicht durch eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung gem. § 270b Abs. 1 InsO gebunden ist, sondern im Rahmen von § 270b Abs. 2 InsO zu prüfen hat, ob die gemeinschaftlichen Interessen der Gläubiger gewahrt werden. Für den Antrag bedeutet dies, dass ein nur irgendwie gearteter Nachteil des Antragstellers nicht genügt, die Anforderungen sind deutlich höher. Der Antrag des Gläubigers ist nur zulässig, wenn der Wegfall der Voraussetzungen glaubhaft gemacht ist, § 272 Abs. 2 InsO (zum Begriff der Glaubhaftmachung vgl. Rz. 402).815 Vor einer Entscheidung über den Antrag des Gläubigers hat das Insolvenzgericht den Schuldner zu hören, § 272 Abs. 2 Satz 2 InsO. Mit der ergänzend durchzuführenden Anhörung des Schuldners wird sichergestellt, dass einzelne Gläubiger eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht aus sachfremden Motiven erwirken können. Entsprechendes gilt, wenn die Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO von Anfang an nicht vorlagen.816
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e) Muster: Antrag eines Gläubigers auf Aufhebung der Eigenverwaltung M 5 Aufhebung der Eigenverwaltung
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Amtsgericht – Insolvenzgericht – A-Stadt Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH In dem oben bezeichneten Insolvenzverfahren bin ich Insolvenzgläubiger. Ich verweise auf die vom Sachwalter geführte Tabelle, in der ich unter der lfd. Ziff. … namentlich und unter Angabe meiner festgestellten Forderung aufgeführt bin. Ich beantrage: Die mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom … angeordnete Eigenverwaltung wird aufgehoben, §§ 272 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2, 270f, 270b Abs. 1 Satz 1, 270c Abs. 2 InsO. Zur Begründung trage ich vor: Die Eigenverwaltungsplanung des Schuldners ist nicht vollständig und nicht schlüssig, §§ 270f, 270b Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 InsO. … Glaubhaftmachung: …, Anlage A 1; …, Gerichtsakte Seite …. Zu dem Finanzplan, § 270a Abs. 1 Ziff. 1 InsO … Zu dem Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens, § 270a Abs. 1 Ziff. 2 InsO … 815 LG Potsdam v. 16.5.2001 – 5 T 239/00, DZWiR 2001, 525 f.; Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 272 Rz. 4. 816 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 272 Rz. 13.
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§ 3 Rz. 666 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Zu dem Verhandlungsstand mit den Gläubigern, § 270a Abs. 1 Ziff. 3 InsO … Zu der Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten, § 270a Abs. 1 Ziff. 4 InsO … Zu den Mehr- oder Minderkosten der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren, § 270a Abs. 1 Ziff. 5 InsO … Glaubhaftmachung: …, Anlage A 2; …, Gerichtsakte Seite …. Die Unvollständigkeit und Unschlüssigkeit der Eigenverwaltungsplanung beruht auf Änderungen in wesentlichen Teilen, die dem Insolvenzgericht nicht vollständig mitgeteilt wurden, § 270c Abs. 2 InsO. … Glaubhaftmachung: Der hier vorgetragene Sachverhalt wird durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung von … glaubhaft gemacht …, Anlage A 3. Die geänderte Eigenverwaltungsplanung beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen, §§ 270f, 270b Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 InsO. … Glaubhaftmachung: Der hier vorgetragene Sachverhalt wird durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung von … glaubhaft gemacht …, Anlage A 4. Als antragstellendem Gläubiger sind mir bereits Nachteile entstanden und es drohen mir durch die Fortsetzung der Eigenverwaltung weitere erhebliche Nachteile. … Glaubhaftmachung: Der hier vorgetragene Sachverhalt wird durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung von … glaubhaft gemacht …, Anlage A 5. Die Eigenverwaltung ist aufzuheben, weil die vom Schuldner vorgelegte, zwischenzeitlich angepasste Eigenverwaltungsplanung nicht mehr realisiert werden kann, die Änderung von unzutreffenden Tatsachen ausgeht und mir durch die Fortsetzung des Verfahrens in Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen. Gläubiger
f) Mitwirkung von Gläubigerausschuss bzw. Gläubigerversammlung 667
Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung bedürfen auch im Eigenverwaltungsverfahren der Zustimmung des Gläubigerausschusses, § 276 Satz 1 InsO. Ist kein Gläubigerausschuss bestellt, ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen, §§ 276 Satz 2, 160 Abs. 1 Satz 2 InsO (zu Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung vgl. § 9 Rz. 372 ff. und 417 ff.).
668
Hinweis: Die Einsetzung eines Gläubigerausschusses kann in der Eigenverwaltung als ergänzendes Überwachungsorgan von besonderer Bedeutung sein, insbesondere um Bedenken der Gläubiger gegen die Anordnung der Eigenverwaltung durch ein weiteres, vornehmlich mit überwachendes Organ zu zerstreuen und die technische Abwicklung der Zustimmungseinholung im Vergleich zur regelmäßig schwerfälligeren Gläubigerversammlung zu erleichtern.
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§ 160 Abs. 2 InsO, der über § 276 Satz 2 InsO Anwendung findet, zählt besonders bedeutsame Rechtshandlungen beispielhaft auf. Diese sind von den ungewöhnlichen Verbindlichkeiten, zu deren Begründung nach § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO der Schuldner die Zustimmung des Sachwalters einholen soll, klar zu trennen. Nur wenn es sich bei der Begründung nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb ge332 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 673 § 3
hörender Verbindlichkeiten um eine Rechtshandlung von besonderer Bedeutung handelt, ist § 276 Satz 1 InsO anwendbar und damit eine Gläubigerausschussangelegenheit gegeben. Eine nicht in § 160 Abs. 2 InsO aufgezählte Rechtshandlung kann nur dann als zustimmungsbedürftige Gläubigerausschussangelegenheit angesehen werden, wenn es sich um die Eingehung einer besonders bedeutsamen Verpflichtung des Schuldners handelt. Hinweis: Nicht jede ungewöhnliche Verbindlichkeit i.S.d. § 275 Abs. 1 InsO löst die Zustimmungsbedürftigkeit gem. § 276 InsO aus, weshalb in Zweifelsfällen der Anwendungsbereich von § 276 InsO nicht anzunehmen ist.
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Für den Anwendungsbereich des § 276 InsO in Abgrenzung zu § 275 InsO sind zu unterscheiden: Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören und nicht von besonderer Bedeutung für das Insolvenzverfahren sind (der Eigenverwalter entscheidet allein, der Sachwalter kann allerdings widersprechen, § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO); Verbindlichkeiten, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, ohne von besonderer Bedeutung für das Insolvenzverfahren zu sein (der Eigenverwalter muss die Zustimmung des Sachwalters einholen, § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO); Verbindlichkeiten, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind und über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen (der Eigenverwalter muss neben der Zustimmung des Sachwalters auch die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung einholen, § 275 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 276 InsO); Verbindlichkeiten, die zwar zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, gleichwohl von besonderer Bedeutung für das Insolvenzverfahren sind (der Eigenverwalter muss die Entscheidung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung einholen, § 275 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 276 InsO).817
Ist kein Gläubigerausschuss bestellt und hat noch keine Gläubigerversammlung zur Beschlussfassung stattgefunden, kann auf Antrag von mindestens fünf Absonderungsberechtigten oder nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern, deren Absonderungsrechte und Forderungen nach der Schätzung des Insolvenzgerichts zusammen ein Fünftel des Gesamtwerts aller Absonderungsrechte und Forderungen ausmachen, die Vornahme der Rechtshandlung vorläufig untersagt werden, §§ 276 Satz 2, 161 Satz 2, 75 Abs. 1 Ziff. 3 InsO. Zur endgültigen Entscheidung über das Rechtsgeschäft hat das Insolvenzgericht eine Gläubigerversammlung einzuberufen.
671
Die vorherige Zustimmung ist in der Eigenverwaltung vom Schuldner einzuholen. Entgegen des Wortlauts reicht die nachträgliche Genehmigung aus, der Schuldner trägt aber in diesen Fällen das Risiko, dass die Genehmigung nicht erteilt wird.818 Wird sie nicht eingeholt oder versagt, bleibt die Rechtshandlung im Außenverhältnis gleichwohl wirksam (zu möglichen Folgen vgl. Rz. 622). Sie können über die Grundsätze der Insolvenzzweckwidrigkeit, die im Rahmen der Eigenverwaltung auch für den Schuldner gelten, unwirksam sein.819
672
Es besteht die Möglichkeit, dass der Sachwalter nach § 275 InsO und der Gläubigerausschuss nach § 276 InsO unterschiedliche Voten abgeben. Auf eine im Außenverhältnis vom Eigenverwalter vorgenommene Rechtshandlung hat dies keinen Einfluss, sie ist gleichwohl wirksam. Die Konfliktsituation der unterschiedlichen Voten und damit im Zusammenhang stehende Fragen (und Risiken) der allgemeinen Haftung bzw. der Sanktionsmöglichkeit im Eigenverwaltungsverfahren gegen den Eigenverwalter und die anderen Beteiligten hat der Gesetzgeber nicht geregelt. Unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze zu den §§ 160 ff. InsO und der Stellung des Sachwalters wird man dem Votum des Gläubigerausschusses den Vorrang einräumen können.820 Nur in Ausnahmefällen, d.h. soweit die zustimmungspflichtige Maßnahme ohne Schaden für die Insolvenzmasse bis zum Zusammentritt einer außerordentlichen Gläubigerversammlung unterbleiben kann, ist dem Gläubigerausschuss vor
673
817 Vgl. hierzu auch Brünkmans in HK/InsO, § 276 Rz. 1; Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 276 Rz. 2 ff. 818 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 276 Rz. 4. 819 OLG Karlsruhe v. 14.6.2016 – 8 U 44/15, ZInsO 2016, 1469 ff. Grundsätzlich zur Nichtigkeit von Rechtshandlungen nach den Grundsätzen der evidenten Insolvenzzweckwidrigkeit Hölken, DZWiR 2019, 51 ff. 820 Ausführlich Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 276 Rz. 7 ff.
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§ 3 Rz. 673 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung dem Hintergrund der persönlichen Haftung zuzubilligen, die Entscheidung zu verweigern und stattdessen eine außerordentliche Gläubigerversammlung einzuberufen. Duldet die Maßnahme keinen Aufschub, ist zu entscheiden. Die daraus folgenden haftungsrechtlichen Konsequenzen sind zu tragen.821 674
Angemeldete Forderungen können die Insolvenzgläubiger neben dem Schuldner und dem Sachwalter bestreiten (§ 283 Abs. 1 InsO) und so deren Feststellung verhindern. Gläubiger der bestrittenen Forderung, die gegen den Widerspruch der Insolvenzgläubiger vorgehen wollen, müssen das Feststellungsverfahren gemäß der §§ 179 ff. InsO betreiben, ggf. nach § 184 InsO Feststellungsklage erheben.
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Die Gläubigerversammlung kann, im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren (dort ist der entsprechende Auftrag an den Insolvenzverwalter gem. § 157 Satz 2 InsO zu richten), den Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans an den Sachwalter oder an den Schuldner richten, § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO. In der vorläufigen Eigenverwaltung kann der vorläufige Gläubigerausschuss die entsprechende Beauftragung an den Schuldner oder vorläufigen Sachwalter initiieren, § 284 Abs. 1 Satz 2.822
g) Antrag auf Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit aa) Das Recht der Gläubigerversammlung 676
Die Gläubigerversammlung kann beantragen, bestimmte Rechtsgeschäfte unter die Zustimmungsbedürftigkeit des Sachwalters zu stellen, so dass Rechtswirksamkeit im Außenverhältnis nur vorliegt, wenn der Sachwalter den vom Schuldner vorgenommenen Rechtshandlungen zustimmt, § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO.823 Rechtsgeschäfte, die der Zustimmungsbedürftigkeit unterfallen sollen, müssen im Antrag der Gläubigerversammlung einzeln bezeichnet werden.824 Erfolgt dies nicht oder ergibt sich, dass die Zustimmungsbedürftigkeit in Bezug auf die wesentlichen Rechtsgeschäfte des Schuldners nahezu allumfassend ist und nunmehr den Regelfall in der Eigenverwaltung bildet, darf das Insolvenzgericht die Zustimmungsbedürftigkeit nicht anordnen.825
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Hinweis: Bleibt die Zustimmungsbedürftigkeit nicht die Ausnahme, läge eine von der Insolvenzordnung nicht vorgesehene Fortschreibung der Rechtslage in der vorläufigen Eigenverwaltung mit dem vorläufigen Sachwalter vor, der dort zeitlich befristet bis zur Nachbesserung vorliegender Mängel entsprechend zustimmen muss (§ 270c Abs. 3 Satz 2 InsO), nun im eröffneten Verfahren über den Sachwalter mit dem globalen Zustimmungsvorbehalt. Sieht man gleichwohl die Notwendigkeit hierzu, wird man in diesen Fällen stattdessen auf
821 Balthasar in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 160 Rz. 11 ff. 822 Noch vor dem SanInsFoG grundlegend zu den möglichen Aufgaben des vorläufigen Sachwalters: BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, MDR 2016, 129 = NZI 2016, 963 ff. 823 Unzutreffend deshalb die – noch vor ESUG – von Amts wegen vorgenommene Anordnung analog der §§ 21 Abs. 2 Ziff. 2, 24 Abs. 1, 277 Abs. 1 InsO vom AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZInsO 2002, 1046 ff.; in diesem Sinne aber Fiebig in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 277 Rz. 2 f.; Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 277 Rz. 5; Hess/Ruppe, NZI 2002, 577, 578 f.; Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 277 Rz. 9, will bei schweren Obliegenheitsverletzungen dem Insolvenzgericht ein Eingriffsrecht zugestehen. Zum Beschluss des AG Duisburg vgl. auch Kluth, ZInsO 2002, 1001 ff.; Köchling, ZInsO 2003, 53 ff.; wie hier Brünkmans in HK/InsO, § 277 Rz. 3; Kern in MünchKomm/InsO, § 277 Rz. 7; Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 277 Rz. 13. 824 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 277 Rz. 4; weniger streng Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 277 Rz. 10. 825 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 473, erkennt zutreffend, dass bei einer solchen Anordnung der Charakter der Eigenverwaltung verloren geht. Unzulässig deshalb die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Rechtshandlungen dem Zustimmungsvorbehalt zu unterstellen, so aber AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZInsO 2002, 1046 ff., wie auch Fiebig in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 277 Rz. 6.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 684 § 3 die unternehmerische Unfähigkeit oder auch Vertrauensunwürdigkeit schließen können, der mittels Aufhebungsantrag nach § 272 Abs. 1 Ziff. 3 oder 4 InsO begegnet werden kann.826 Die Entscheidung zur Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag eines Gläubigers ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (s. hierzu Rz. 797). Bis zur Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses bleibt die Eigenverwaltung angeordnet. In dieser Zeit kann das Bedürfnis bestehen, die Handlungsfreiheit des Schuldners einzuschränken, was über § 277 InsO begrenzt auf bestimmte Fälle erfolgen kann.827
Jede Gläubigerversammlung kann gem. § 76 Abs. 2 InsO mit einfacher Mehrheit einen entsprechenden Beschluss fassen (vgl. Rz. 659). Im Anschluss daran und in der Umsetzung des Antrags hat das Insolvenzgericht kein Ermessen und muss die Zustimmungsbedürftigkeit ohne die Prüfung weiterer Voraussetzungen anordnen.828
678
bb) Antragsberechtigung einzelner Gläubiger In Eilfällen kann das Insolvenzgericht auf Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers oder Insolvenzgläubigers die Verfügungsbeschränkung anordnen, § 277 Abs. 2 Satz 1 InsO. Die Anordnung ist unaufschiebbar erforderlich, wenn ein nachteiliges Rechtsgeschäft unmittelbar bevorsteht, so dass die rechtzeitige Einberufung und Durchführung einer Gläubigerversammlung, die gem. § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Antrag stellen könnte, nicht mehr möglich ist und Handlungsalternativen zur Verhinderung von Nachteilen nicht gegeben sind.
679
Der Schuldner muss dabei nicht unredlich handeln, es reicht ein objektiver Nachteil aus. Der Antrag des Gläubigers ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht ist, dass die Anordnung unaufschiebbar erforderlich ist, um Nachteile für die Gläubiger zu vermeiden, § 277 Abs. 2 Satz 2 InsO (zum Begriff der Glaubhaftmachung vgl. Rz. 402).
680
Die anschließende Entscheidung steht im Ermessen des Insolvenzgerichts. Es muss demnach prüfen, ob die Anordnung das mildeste taugliche Mittel ist, um etwaige Nachteile zu vermeiden.
681
Hinweis: Aufgrund der Beschränkung des Antragsrechts auf glaubhaft zu machende Eilfälle, bezieht sich der Anwendungsbereich des Antrags eines Gläubigers auf einzelne Rechtsgeschäfte, wohingegen das Antragsrecht der Gläubigerversammlung zwar bestimmte, aber der Zahl nach unbeschränkte Rechtsgeschäfte umfassen kann.
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cc) Folgen der Anordnung Die Zustimmungsbedürftigkeit geht in den Rechtswirkungen über die der Mitwirkungsrechte von Sachwalter und Gläubigerausschuss nach den §§ 275, 276 InsO, die nur Innenwirkung entfalten, hinaus (vgl. Rz. 667 und 767). Dem Schuldner bleibt zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse erhalten, diese wird aber über die Zustimmungsbedürftigkeit gegenüber Dritten im Außenverhältnis beschränkt. Gleichwohl vorgenommene Handlungen des Schuldners sind absolut unwirksam.
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Mit der Verweisung in § 277 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die §§ 81 Abs. 1 Satz 2 und 3, 82 InsO wird dem Schutz gutgläubiger Dritter Rechnung getragen, so dass das absolute Verfügungsverbot durchbrochen werden kann.
684
826 Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 277 Rz. 6; Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 277 Rz. 15 ff., insbesondere auch zur Frage, ob der Zustimmungsvorbehalt auf den Katalog des § 160 Abs. 2 InsO zu erstrecken ist. 827 Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 272 Rz. 34. 828 Zu prüfen hat das Insolvenzgericht, ob die Rechtsgeschäfte i.S.v. § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmt sind.
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§ 3 Rz. 685 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 685
Durch das Zustimmungserfordernis soll der Schuldner angehalten werden, mit dem Sachwalter vor der Eingehung bestimmter Rechtsgeschäfte aus Gläubigerschutzinteressen deren Zweckmäßigkeit abzusprechen. Anders als in Fällen der Mitwirkungsrechte nach den §§ 275 und 276 InsO muss die Zustimmung vorab erteilt werden. Eine nachträgliche Genehmigung reicht aus Gründen des Schutzes beteiligter Dritter nicht aus.
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Hinweis: Rechtsgeschäfte können unter dem „Vorbehalt der Zustimmung durch den Sachwalter“ vom Schuldner eingegangen werden, was formal einer nachträglichen Genehmigung bei Kenntnis der Sachlage gleichkommt. Der beteiligte Dritte ist hier durch den entsprechenden Hinweis ausreichend geschützt.
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Stimmt der Sachwalter der Eingehung der unter Zustimmungsvorbehalt bestimmten Rechtsgeschäfte zu, haftet er für den den Massegläubigern entstehenden Schaden, es sei denn, er konnte bei Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen, dass die Masse voraussichtlich nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeiten ausreichen würde, §§ 277 Abs. 1 Satz 3, 61 InsO.
6. Die Entscheidungen des Gerichts zur Eigenverwaltung a) Maßnahmen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren 688
Dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens schließt sich in aller Regel ein vorläufiges Insolvenzverfahren/eine vorläufige Eigenverwaltung829 an, in dem unbeschadet sonstiger Beweggründe (bspw. Nutzung des Insolvenzgeldzeitraums) den rechtlichen Vorgaben entsprechend geprüft wird, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und ob ausreichend Masse vorhanden ist, die Verfahrenskosten zu begleichen (§§ 16 und 26 InsO). Nur wenn der Antragsteller zur sofortigen Überzeugung des Insolvenzgerichts den Eröffnungsgrund nachweisen kann und entweder ein Verfahrenskostenvorschuss verfügbar ist oder ein Stundungsantrag gem. § 4a InsO gestellt ist, so dass weitergehende Ermittlungen überflüssig sind, kann das Insolvenzverfahren ohne Vorverfahren eröffnet werden.830 Für das Eigenverwaltungsverfahren gelten insoweit keine Besonderheiten, die Vorschriften zum Eröffnungsverfahren gemäß der §§ 20 ff. InsO finden, modifiziert durch die §§ 270b, 270c und 270d InsO gem. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO, grundsätzlich Anwendung (s. schon Rz. 536 ff.).
689
Der Schuldner kann im Ausgangspunkt wählen, welche Art von Eröffnungsverfahren er nutzen möchte (vgl. hierzu Rz. 577 ff.). Wird kein Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO beantragt, verbleibt es beim allgemeinen Eröffnungsverfahren, das unter Berücksichtigung der §§ 270b und 270c InsO als vorläufige Eigenverwaltung durchgeführt wird. Bei seinen verfahrensleitenden Entscheidungen und Maßnahmen hat das Insolvenzgericht zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber unterschiedliche Wege zur Verfügung stellt, um ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnen zu können, die je nach Anwendung unterschiedliche Prüfungshandlungen mit sich bringen wie auch Maßnahmen gestatten: § 270b Abs. 1 InsO (eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung gewährt dem Schuldner einen Primärzugang), Abs. 2 (wahrt die Geschäftsführung des Schuldners die Interessen der Gläubiger, ermöglicht dies einen vom Gericht überprüften Zugang) und Abs. 3 (ein einstimmiger Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses führt zu einem unterstützten Zugang mit Bindungswirkung).831
829 Blankenburg, ZInsO 2021, 753 ff., beschreibt aus Richtersicht die mit dem SanInsFoG konzipierten Eigenverwaltungsregelungen. 830 Siehe hierzu auch BGH v. 5.5.2011 – IX ZB 136/09, MDR 2011, 816 = NZI 2011, 683 f.: Mit der Bestätigung eines Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt eine weitere Stundung der Verfahrenskosten nicht in Betracht. Gemäß § 258 Abs. 2 InsO sind u.a. die Kosten des Verfahrens zu regeln, § 4b InsO findet keine Anwendung mehr. 831 § 72 InsO findet Anwendung.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 693 § 3
aa) Der Primärzugang: Eigenverwaltungsplanung Nach § 270b Abs. 1 InsO bestellt das Gericht anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters einen vorläufigen Sachwalter und eröffnet damit das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren, wenn die Eigenverwaltungsplanung gem. § 270a Abs. 1 InsO vollständig und schlüssig ist (Ziff. 1) und die Eigenverwaltungsplanung nicht zur Kenntnis des Gerichts in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht (Ziff. 2). Ein Ermessensspielraum oder Prüfungsrahmen besteht für das Gericht nicht, es ist gehalten, die vorläufige Eigenverwaltung anzuordnen. Eine Konsultationspflicht (Abs. 3) des vorläufigen Gläubigerausschusses ist in diesem Fall nicht gegeben, gehindert an einer Beiziehung ist das Gericht allerdings nicht, um eine frühzeitige Informationsbasis auch für den vorläufigen Gläubigerausschuss zu schaffen.
690
Nur wenn dem Gericht Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Planung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachenangaben beruht oder dass ein Fall des Abs. 2 vorliegt, schließt sich eine weitere Prüfung für das Gericht an. Ohne die Kenntnis solcher Umstände darf das Gericht daher die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht verweigern, von sich aus weitere Prüfung vornehmen oder dem Antragsteller Auflagen machen, weil es zunächst den Sachverhalt mit Blick auf mögliche Umstände aufklären will, die eine Ablehnung der Anordnung rechtfertigen könnten. Der Variante des Primärzugangs liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Schuldner, der eine vollständige und in sich schlüssige Planung vorlegt, solange mit der Anordnung der Eigenverwaltung rechnen können soll, wie nicht offenkundig ist, dass die Planung in wesentlichen Punkten nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder ein Fall des Abs. 2 vorliegt. Die Prüfung des Gerichts reduziert sich deshalb auf eine Evidenzkontrolle. Auch hat das Gericht keine Plausibilisierung der Angaben und deren nähere Überprüfung vorzunehmen, dies ist im Falle der entsprechenden Anordnung vielmehr Aufgabe des Sachwalters (§ 270c Abs. 1 InsO).
691
Weist die Eigenverwaltungsplanung behebbare Mängel auf, kann das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung dennoch einstweilen anordnen und eine Frist zur Behebung der Mängel setzen. „Kann“ bedeutet in diesem Fall, dass das Gericht die Anordnung einstweilen vornimmt, obwohl die Eigenverwaltungsplanung nachgebessert werden muss. Ein Ermessen ergibt sich dadurch nicht, das Gericht darf keine Fakten schaffen durch Anordnung von Maßnahmen, die das Verfahren als reguläres Eröffnungsverfahren zur Anwendung bringen, bspw. einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen. Über die einstweilen vorgenommene Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung können die Sicherungsmaßnahmen gem. § 270c Abs. 3 InsO zur Anwendung kommen, soweit dies erforderlich sein sollte (vgl. dazu auch Rz. 537). Die Frist zur Behebung der Mängel darf 20 Tage nicht überschreiten.
692
Der Schuldner muss dafür Sorge tragen, dass alle Tatsachen schlüssig und vollständig dargelegt sind, um die Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen durch das Insolvenzgericht zu ermöglichen. Der für das Regelinsolvenzverfahren typische Grundsatz der Ermittlung aller Umstände von Amts wegen gem. § 5 InsO wird dadurch eingeschränkt.832 Der Prüfungsrahmen des Gerichts beschränkt sich vergleichbar dem bei § 231 InsO auf eine formelle Rechtsprüfung. Eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit oder von Erfolgsaussichten ist nicht vorgesehen, dies obliegt den Gläubigern. Das Gericht kann jedoch nach der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung den vorläufigen Sachwalter beauftragen, in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten einen Soll-/Ist-Abgleich zu machen und die grundsätzliche Durchführbarkeit zu prüfen, § 270c Abs. 1 Ziff. 1 InsO.
693
832 Die Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes war bereits für das Konkursverfahren, das ausschließlich über den Konkursverwalter abzuwickeln war, anerkannt. Von der Praxis und Rechtsprechung sind Bereichsausnahmen entwickelt worden, vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 91 Rz. 1 ff. Spliedt/ Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 270a Rz. 4, gehen von einem uneingeschränkten Amtsermittlungsgrundsatz aus. In diese Richtung auch Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 270 Rz. 11, die aufgrund der geänderten Gesetzeslage von einer Art „Umkehr der Beweislast“ ausgeht. Wie hier, keine Amtsermittlung Frind, ZIP 2021, 171, 175.
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§ 3 Rz. 694 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung bb) Der überprüfte Zugang: Gläubigerinteressenwahrung 694
Im Anwendungsbereich von § 270b Abs. 2 InsO soll die Eigenverwaltung nur dann in Betracht kommen, wenn eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigerschaft auszurichten. Konstellationen, die im ersten Anschein den Schluss nahelegen, dass die Durchführung der Eigenverwaltung nicht im Gläubigerinteresse liegen würde, werden einer näheren Prüfung zugeführt. Die im Rahmen des § 270b Abs. 1 InsO geltenden Beschränkungen der Grundlagen der richterlichen Entscheidung auf bekannte Umstände gilt hier nicht. Das Gericht ist gehalten, sämtliche relevanten Umstände zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Das Insolvenzgericht soll die Entscheidung ohne Zuhilfenahme von Sachverständigen treffen, gehindert an der Hinzuziehung ist es allerdings nicht.
695
Vor seiner Entscheidung hat das Gericht den vorläufigen Gläubigerausschuss zu konsultieren, § 270b Abs. 3 InsO. Nur wenn die hierdurch bedingte Verzögerung offensichtlich innerhalb von zwei Werktagen zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, die sich nur durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lässt, kann das Gericht hiervon absehen.
696
Zur Prüfung, ob die Interessenwahrung für die Gläubiger vorliegt, hat das Gericht einen Vergleich zwischen dem voraussichtlichen Verlauf des (späteren) Insolvenzverfahrens ohne und mit Anordnung der (späteren) Eigenverwaltung anzustellen. Erforderlich ist, dass konkrete Umstände bekannt sind, die gegen die Interessenwahrung sprechen. Unklarheiten oder nur abstrakte Möglichkeiten gehen nicht zu Lasten des Schuldners, ebenso reichen Bedenken, bspw. wegen der Größe des Unternehmens, internationalen Verflechtungen oder das angestrebte Verfahrensziel der Liquidation statt der Fortführung gegen die Anordnung der Eigenverwaltung nicht aus. Das Insolvenzgericht muss Kenntnis über Umstände und Tatsachen haben, die gegen die Eigenverwaltung im konkreten Fall sprechen, weil gegen die Interessenwahrungspflicht verstoßen wird. Ist dies nicht der Fall, muss das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung anordnen. Unklarheiten gehen seit dem ESUG nicht mehr zu Lasten des Schuldners. Hieran wird mit der Präzisierung der Zugangsvoraussetzungen durch das SanInsFoG festgehalten.
697
Hinweis: Das Gericht hat umfänglich zu prüfen und zu werten, so dass nicht nur Gründe zu würdigen sind, die gegen die Anordnung sprechen, sondern auch solche, die entlastend wirken. So kann der Verstoß gegen die handelsrechtlichen Offenlegungspflichten durch die zwischenzeitlich nachgeholte Veröffentlichung und die betriebsintern umgesetzte personelle und organisatorische Neuordnung nicht mehr den Schluss auf die mangelnde Fähigkeit oder den mangelnden Willen des Schuldners zulassen, die Interessen der Gläubiger zu wahren. Sind die Zahlungsrückstände gegenüber den in § 270a Abs. 2 Ziff. 1 InsO genannten Gläubigern Teil des Gesamtmaßnahmenpaketes, das aufgrund der bislang mit den Gläubigern geführten Verhandlungen Teil der Finanzierung des Geschäftsbetriebs ist, was mitsamt der weiteren ergriffenen Maßnahmen eine Fortführung des Unternehmens nunmehr überwiegend wahrscheinlich macht, kann der Anschein mangelnder Gläubigerinteressenwahrung ebenso entkräftet werden. Schließlich können auch Mehrkosten der Eigenverwaltung durch die Vorteile einer die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsführung zunutze machenden Eigenverwaltung kompensiert werden. Das Insolvenzgericht darf die Anordnung der Eigenverwaltung nicht davon abhängig machen, dass die Eigenverwaltung für die Gläubiger günstiger oder vorteilhafter als die Regelabwicklung mit Insolvenzverwalter sein wird. Das Eigenverwaltungsverfahren darf über alles hinweg voraussichtlich nur nicht ungünstiger sein als die Regelabwicklung, weil in diesem Fall die Gläubigerinteressen nicht mehr gewahrt sein werden.833 Hier geht es um das Gesamtinteresse der Gläubiger, vergleichbar dem in § 78 Abs. 1 InsO. Dementsprechend können sich insbesondere über eine Planlösung Gläubiger schlechter behandeln lassen als in der Regel-
833 So zum Teil aber Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 406 f.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kapitel 10 Rz. 10.
338 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 700 § 3 abwicklung, soweit sie dem zustimmen. Dies hat das Gericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, insbesondere wenn sich Gläubiger entsprechend erklären oder sonst das Vorhaben unterstützen. Überwindbar ist letztlich auch eine mangelnde Kostendeckung, die sich im Finanzplan mit dort ausgewiesenen Verlusten in der Gesamtperiode zeigt. Gelangt das Gericht im Zuge seiner Prüfung bzw. der Konsultation des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Überzeugung, dass die Unterdeckung durch veränderte Rahmenbedingungen beseitigt werden kann und werden diese belastbar zugestanden (bspw. wird aus dem Gläubigerkreis nachträglich die Gewährung eines unechten Massekredits zugestanden oder werden Fälligkeiten verschoben), steht dies der Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung nicht entgegen.
cc) Der vom vorläufigen Gläubigerausschuss unterstützte Zugang: Einstimmigkeit mit Bindungswirkung Wird in den Fällen des § 270b Abs. 2 InsO dem vorläufigen Gläubigerausschuss vom Insolvenzgericht die Gelegenheit zur Äußerung gegeben, darf das Gericht von dessen einstimmigen Votum nicht abweichen, egal ob dieser unterstützend oder ablehnend ist, § 270b Abs. 3 InsO.834 Das Gericht hat ebenso Beschlüsse zu berücksichtigen, die der vorläufige Gläubigerausschuss im Vorfeld überlassen hat. Dies hindert das Gericht allerdings nicht, die eigene Prüfung vorzunehmen und sein Prüfungsergebnis dem vorläufigen Gläubigerausschuss mitzuteilen. Nur wenn zur Umsetzung der Eigenverwaltungsziele, das Verfahren befindet sich mangels Entscheidung noch in der Schwebe, es ist weder die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet, noch abgelehnt, ein rasches Vorgehen und damit eine zeitliche Optimierung des Verfahrens erforderlich ist, was durch umfangreiche Prüfungen konterkariert würde, kann das Gericht sich auf eine Evidenzprüfung beschränken oder auch hiervon insgesamt absehen.
698
dd) Sicherungsmaßnahmen Findet ein Regelinsolvenzverfahren statt, stehen neben der Person des vorläufigen Insolvenzverwalters weitere Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung, die im Eröffnungsverfahren vom Insolvenzgericht nach Maßgabe des § 21 InsO orientiert am Grundsatz der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit angeordnet werden. Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren wird dem Insolvenzgericht aufgegeben, davon abzuweichen und einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen, soweit der Antrag des Schuldners den Erfordernissen des § 270b Abs. 1 bzw. Abs. 2 InsO InsO Rechnung trägt bzw. das einstimmige Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses dies vorgibt, § 270b Abs. 3 InsO.835 Mit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters setzt das Gericht die für das Eröffnungsverfahren antizipierte Rollenverteilung zwischen dem Schuldner mit der grundsätzlichen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis einerseits und dem überwachenden (§§ 270b Abs. 1, 270c Abs. 1, 274 Abs. 2 Satz 1 InsO), partiell unterstützenden (§§ 270b Abs. 1, 274 Abs. 2 Satz 2 InsO) und nur in konkret vom Gesetz bestimmten Fällen verwaltenden Sachwalter (§§ 270f Abs. 2 Satz 2, 277 Abs. 2, 280, 284 InsO) des Eigenverwaltungsverfahrens eine erste mildere Sicherungsmaßnahme im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren um.
699
Für die Bestellung des vorläufigen Sachwalters gelten die Regelungen zur Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters entsprechend, §§ 270b Abs. 1, 274 Abs. 1, 56 ff. InsO (zur Person des vorläufigen Sachwalters vgl. Rz. 746). Hierbei hat das Insolvenzgericht eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person zu bestellen. Dem vorläufigen Gläubigerausschuss ist vor der Bestellung des vorläufigen Sachwalters Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen und zur Person zu äußern. Darüber hinaus kann der vorläufige Gläubigerausschuss mit einem einstimmigen Beschluss dem Insolvenzgericht die Person
700
834 § 72 InsO findet Anwendung. 835 Siehe Rz. 698.
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§ 3 Rz. 700 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung vorgeben.836 Das Insolvenzgericht kann hiervon nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person ungeeignet ist.837 701
Erfolgt die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung, wird über § 270c Abs. 3 InsO das abgestufte System des § 21 InsO in Teilen in das Verfahren überführt, womit alle erforderlichen Maßnahmen zugelassen sind und das Insolvenzgericht verpflichtet wird, im feinstufigen System auf den jeweiligen Einzelfall angepasst Anordnungen zu treffen (§ 21 Abs. 1 und 2 Ziff. 1a,838 3–5 InsO und für den Fall der Nachbesserung zur Beseitigung von Mängeln der Eigenverwaltungsplanung gem. § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO den Zustimmungsvorbehalt für den vorläufigen Sachwalter). Weitere Steuerungsmaßnahmen stehen dem Gericht nicht zu, insbesondere kann im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden. Nur wenn die Voraussetzungen für die Anordnung nicht gegeben sind oder später wegfallen, gibt es die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters. Er ist dann die Folge der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung. So wie für das allgemeine Eröffnungsverfahren der Regelfall formuliert ist, wird dies für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren gleichermaßen definiert, indem dem Schuldner zu gestatten ist, sein Insolvenzverfahren in eigener Verantwortung unter Beistellung eines Sachwalters zu organisieren, von der nur ausnahmsweise abgewichen werden darf, wenn es erforderlich ist. Der Prüfungsrahmen des Gerichts, welche Sicherungsmaßnahmen anzuordnen sind, orientiert sich materiell an den Vorgaben der §§ 270b Abs. 1 und Abs. 2, 270e Abs. 1 InsO und ist bezogen auf den späteren Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und damit zusammenhängend über die Eigenverwaltung, 270f InsO. ee) Mitteilungspflicht bei Aussichtslosigkeit
702
Sieht das Insolvenzgericht die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an und hat der Schuldner den Eigenverwaltungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt, muss das Insolvenzgericht seine Bedenken dem Schuldner mitteilen, damit dieser Gelegenheit hat, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung zurückzuziehen, § 270c Abs. 5 InsO. Der Erlass eines Vorbescheids ist nicht vorgesehen.839
703
Hinweis: § 270c Abs. 5 InsO fordert eine gesteigerte Erkenntnis, was die Frage der Aussichtslosigkeit des Eigenverwaltungsantrags angeht, als dies in § 270b Abs. 2 InsO für die dortige Überprüfung zur Möglichkeit des alternativen Zugangs in das Eigenverwaltungsverfahren vorgibt. Insoweit sollte im Rahmen der gesetzlichen Abstufung bzw. Intensitätsdifferenzierung klar zwischen der Begründetheit des Antrags, anzuwendenden Sicherungsmaßnahmen zur Unterstützung der angeordneten vorläufigen Eigenverwaltung und der Mitteilungspflicht, um die Möglichkeit zur Rücknahme des Eigenverwaltungsantrags bei Aussichtslosigkeit zu schaffen, unterschieden werden können. Der Übergang mag gleichwohl fließend sein, weshalb sich für den Schuldner anbietet, den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung um die Bitte der Mitteilung gem. § 270c Abs. 5 InsO zu erweitern und ergänzend um einen gerichtlichen Hinweis gem. § 139 ZPO zu ersuchen, soweit keine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung nach § 270b Abs. 1 InsO beige-
836 Siehe Rz. 652. 837 Welches Konfliktpotential darin steckt, mag das Verfahren Dailycer mit den Entscheidungen des AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875 f., AG Stendal v. 1.10.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 2030 f., AG Stendal v. 19.10.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 2171, und LG Stendal v. 22.10.2012 – 25 T 184/12, ZIP 2012, 2168 ff. verdeutlichen; vgl. hierzu auch Fölsing, ZInsO 2012, 2272 ff. Zur Unabhängigkeitsprüfung durch das Insolvenzgericht vgl. auch Frind, ZInsO 2013, 59 ff.; ders., ZInsO 2014, 119, 130 f., will der Unabhängigkeitsprüfung im Eigenverwaltungsverfahren erhöhte Aufmerksamkeit widmen. Dies mag im Einzelfall begründet sein, ein allgemeiner Rechtsgrundsatz kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Zum Ganzen auch Hölzle, ZIP 2013, 447 ff., m.w.N. 838 § 22a InsO mit den Schwellenwerten für einen verpflichtenden vorläufigen Gläubigerausschuss gilt ergänzend. 839 Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 270a Rz. 36; vgl. auch Schlegel, ZIP 1999, 954 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 708 § 3 bracht werden kann und sich so der Prüfungsrahmen des § 270b Abs. 2 InsO ergibt und das Insolvenzgericht von einer Anordnung absehen möchte. Werden Sicherungsmaßnahmen veröffentlicht (§ 9), wird der Ansatz des Gesetzgebers mit § 270c Abs. 5 InsO außergerichtliche Sanierungsmaßnahmen trotz Scheiterns des Eigenverwaltungsantrags zu ermöglichen, konterkariert.840 Dem kann vorgebeugt werden, wenn das Insolvenzgericht schon frühzeitig den Hinweis auf eine abweichende Handhabung dem Antragsteller gibt.
ff) Schutzschirmverfahren Wird vom Schuldner das Schutzschirmverfahren gem. § 270d InsO als besonderes vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren beantragt und sind die Voraussetzungen gegeben, hat das Insolvenzgericht eine maximale Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans von drei Monaten zu bestimmen, § 270d Abs. 1 InsO (Anordnung des Schutzschirmverfahrens durch Bestimmung der Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans). In dem Beschluss bestellt das Insolvenzgericht zugleich einen vorläufigen Sachwalter nach § 270b Abs. 1 InsO und ordnet bei Bedarf vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach den § 270c Abs. 3 InsO an bzw. hat solche nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 InsO anzuordnen, wenn dies der Schuldner beantragt, § 270d Abs. 3 InsO. Masseverbindlichkeiten können gem. § 55 Abs. 2 InsO begründet werden, wenn nach dem Schuldnerantrag gem. § 270c Abs. 4 InsO die entsprechende Anordnung durch das Insolvenzgericht erfolgt (vgl. zum Ganzen die Ausführungen unter Rz. 577 ff.).
704
Hinweis: Der Aussteller der Bescheinigung soll für das Insolvenzgericht den Nachweis der Anordnungsvoraussetzungen erbringen. Ergibt sich aus der Bescheinigung das Vorliegen der Voraussetzungen, hat das Gericht das Schutzschirmverfahren in Gang zu setzen.841 Das Insolvenzgericht hat dabei keine materielle Prüfung der Voraussetzungen vorzunehmen oder dies an einen Gutachter/Sachverständigen in Auftrag zu geben. Dies soll gerade die Einschaltung des qualifizierten Ausstellers entbehrlich machen. Entsprechend der Handhabung zur Bescheinigung nach § 305 InsO sind die formalen Voraussetzungen vom Gericht zu prüfen.842 Liegen diese nicht vor, ist eine Nachfrist zur Beibringung zu setzen. Wird nicht ausreichend nachgebessert, kann das Schutzschirmverfahren nicht eingeleitet werden. Eine Überprüfung der Bescheinigung mittels eines Gutachters/Sachverständigen hilft hier nicht weiter.843
705
Ist die mit dem Schutzschirmverfahren angestrebte Sanierung aussichtslos geworden, hat das Gericht noch vor Ablauf der Frist zur Vorlage des Insolvenzplans zu entscheiden, ob das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren (nicht allein das Schutzschirmverfahren) aufzuheben ist, § 270e Abs. 1 Ziff. 3 InsO.
706
Hinweis: Die Sanierung ist offensichtlich aussichtslos, wenn die dem Sanierungskonzept zugrunde liegenden Planungsannahmen nicht mehr aufrechterhalten werden können, bspw. Kundenbeziehungen beendet werden, maßgebliche Mitarbeiter die Unternehmung verlassen oder Konzessionen bzw. Zulassungen durch die Insolvenz entfallen oder widerrufen werden. Alternative Gestaltungen, wie die Durchführung einer übertragenden Sanierung mittels Management-Buy-out anstelle der Eigensanierung sind für das Schutzschirmverfahren untauglich, selbst wenn die Maßnahmen in einen Insolvenzplan eingebettet werden (s. schon Rz. 614). Auch die mangelnde Finanzierbarkeit der Sanierungsmaßnahmen kann ein solcher Umstand sein.
707
Kein Aufhebungsgrund ist der nachträgliche Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, so dass der Schuldner vor Kündigungen oder sonstigen Fälligstellungen hinreichend geschützt ist. Er ist aber verpflichtet
708
840 www.insolvenzbekanntmachungen.de. Zu den Beweggründen des Gesetzgebers vgl. BT-Drucks. 17/ 5712 v. 4.5.2011, 59. 841 BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 60 f. Zu den Anforderungen vgl. bspw. Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729 ff. 842 Vgl. hierzu Buck in Braun, Insolvenzordnung, § 305 Rz. 18. 843 Wie hier Braun, NZI 2012, S. V (VII). Einen abgestuften Prüfungsumfang beschreibend Frind, ZInsO 2012, 1546 ff. AG Erfurt v. 13.4.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944 f., lässt die Einholung eines Gutachtens zu, wenn keine ordnungsgemäße Bescheinigung vorliegt; vgl. hierzu auch den Beitrag von Siemon, ZInsO 2012, 1045 ff.
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§ 3 Rz. 708 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (wie auch der vorläufige Sachwalter), die Zahlungsunfähigkeit dem Gericht anzuzeigen, § 270d Abs. 4 Satz 1 InsO. Damit kann das Gericht diesen Umstand in eine Entscheidung nach § 270e InsO (Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung) mit einfließen lassen und von der Anordnung der Eigenverwaltung absehen, wenn dadurch die gemeinschaftlichen Interessen der die Gläubiger nicht mehr gewahrt werden können. Auch kann die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung damit begründet sein, weil dieser Umstand die Aussichtslosigkeit des Sanierungskonzepts mit hervorruft, § 270e Abs. 1 Ziff. 3 InsO. 709
Hinweis: Die Anordnung der Eigenverwaltung setzt keine Sanierung des Rechtsträgers mittels Insolvenzplan voraus, was Zweck des Schutzschirmverfahrens ist. Dies bedeutet zugleich, dass die Aufgabe des Schutzschirmverfahrens keine unmittelbare Folgewirkung auf die Entscheidung des Insolvenzgerichts gem. § 270e InsO haben muss. Dort ist im Rahmen der materiellen Prüfung eine Würdigung der Gesamtumstände vorzunehmen, insbesondere auch, ob der Schuldner bei wesentlicher Änderung der Eigenverwaltungsplanung noch die Gewähr für die Wahrung der gemeinschaftlichen Gläubigerinteressen übernimmt, §§ 270c Abs. 2, 270e Abs. 1 InsO.
gg) Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung 710
Der Beschluss zur Einleitung der vorläufigen Eigenverwaltung und die Bestellung des vorläufigen Sachwalters sind nicht nach § 9 InsO zu veröffentlichen. § 23 InsO, der die Bekanntmachung im Eröffnungsverfahren regelt und grds. über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO Anwendung findet, kommt vorliegend nicht in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen im Regelfall der vorläufigen Eigenverwaltung gerade nicht vor, da die in § 21 Abs. 2 Ziff. 2 InsO vorgesehenen Verfügungsbeschränkungen nicht angeordnet werden und es ebenso wenig den vorläufigen Insolvenzverwalter gibt, §§ 270b Abs. 1, 270c Abs. 3 InsO.844 hh) Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung
711
Ein gesonderter Beschluss über die Ablehnung bzw. Nichtanordnung der vorläufigen Eigenverwaltung ist nicht vorgesehen. Das Insolvenzgericht bestellt in diesem Fall einen vorläufigen Insolvenzverwalter und hat die Gründe hierfür schriftlich darzulegen (Zusammenspiel der Regelungen in § 270b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 4 Satz 1: bestellt wird entweder ein vorläufiger Sachwalter oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter).
712
Durch die vorgegebene Begründungspflicht des Gerichts im Falle der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird der Gläubigerversammlung ermöglicht, auf Basis der Begründung zu entscheiden, ob eine nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung gem. § 271 InsO beantragt werden soll. ii) Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung
713
Die vorläufige Eigenverwaltung ist durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu beenden, wenn der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen insolvenzrechtliche Pflichten (nicht nur
844 Dem Schuldner ist im Anwendungsbereich der drohenden Zahlungsunfähigkeit jederzeit der außergerichtliche Sanierungsversuch zu ermöglichen, vgl. hierzu auch BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, 59 f. AG Göttingen v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZInsO 2012, 2297 ff., will dem Insolvenzgericht ein pflichtgemäßes Ermessen zugestehen; dies auch bei Nichteröffnung des Verfahrens, AG Göttingen v. 28.11.2012 – 74 IN 160/12, Rpfleger 2013, 288, 290 f. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 270b Rz. 33, für das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Für eine Bekanntmachung bspw. Desch, BB 2011, 841, 842, m.w.N. Wie hier bspw. Hirte, ZinsO 2011, 401, 404, wie auch Keller, ZIP 2012, 1895 ff., der sich gegen eine Bekanntmachung ausspricht. Einen kompakten Überblick gibt Frind, ZInsO 2013, 279, 286 ff.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 719 § 3
Obliegenheiten) verstößt oder sich auf sonstige Weise zeigt, dass er nicht bereit oder in der Lage ist, die Geschäftsführung am Interesse der Gläubigergesamtheit auszurichten, § 270e Abs. 1 InsO. Dies kann nach den Beispielen in Ziff. 1a) bis c) insbesondere dann der Fall sein, wenn die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen gestützt wurde oder der Schuldner der Änderungsmitteilungspflicht nach § 270c Abs. 2 InsO nicht unverzüglich nachgekommen ist, die Rechnungslegung und Buchführung so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie keine Beurteilung der Eigenverwaltungsplanung, insbesondere des Finanzplans ermöglichen oder Haftungsansprüche gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder der Organe des Schuldners bestehen, deren Durchsetzung in der Eigenverwaltung erschwert werden könnte. Zur Klärung (aber auch im Übrigen) kann das Gericht den vorläufigen Sachwalter nach § 270c Abs. 1 InsO mit der entsprechenden Berichterstattung beauftragen.
714
Hinweis: Wesentlich ist ein Umstand, wenn mit der zugrunde gelegten Tatsache die Eigenverwaltungsplanung steht und fällt, d.h. die Zielerreichung der Planung ist davon abhängig. Auf ein Verschulden des Schuldners kommt es nicht an, da eine mangelhafte Planung objektiv keine Ausrichtung an den Interessen der Gläubiger zeigt.
715
Allein der Umstand, dass Haftungsansprüche gegen noch amtierende Mitglieder der Organe des Schuldners bestehen, ist kein Grund für eine Aufhebung. Auch kann in diesem frühen Stadium nicht erwartet werden, dass solche Ansprüche bereits rechtshängig gemacht wurden. Umgekehrt entlastet ohne Prüfung oder Auftragserteilung („ins Blaue hinein“) die Angabe, es bestehen keine Ansprüche, nicht.
Wurde die Möglichkeit zur Nachbesserung der Eigenverwaltungsplanung gem. § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO gegeben und die Mängel nicht innerhalb der gesetzten Frist behoben, endet die für diesen Fall einstweilen angeordnete vorläufige Eigenverwaltung ebenso, Ziff. 2.
716
Wenn die Erreichung des Eigenverwaltungsziels, insbesondere eine angestrebte Sanierung sich als aussichtslos erweist, kommt die Grundlage, das Verfahren als Eigenverwaltungsverfahren zu organisieren, in Wegfall. Dementsprechend sieht Ziff. 3 auch für diesen Fall grds. die Aufhebung vor. Erfasst sind hierbei sowohl eine anfängliche Aussichtslosigkeit als auch eine zwischenzeitlich eingetretene Aussichtslosigkeit. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass gem. § 270c Abs. 2 InsO im Falle der Schuldnermitteilung über wesentliche Änderungen, die die Eigenverwaltungsplanung betreffen, sich Alternativen für die Durchführung eines Eigenverwaltungsverfahrens ergeben können, jedenfalls solange dadurch weiter die Interessen der Gläubigergemeinschaft gewahrt werden.
717
Hinweis: Eine über § 270c Abs. 2 InsO statthaft eingebrachte Änderung des Verfahrensziels kann die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung hindern. Zu denken ist hier an die in der Praxis oft geübte Variante des Dual Track Verfahrens, indem ein Insolvenzplan zur Eigensanierung im Schutzschirmverfahren vorbereitet und parallel ein Bieterverfahren für eine übertragende Sanierung durchgeführt wird. Allein, dass das Ziel der Eigensanierung aufgegeben und die Transaktionslösung verfolgt wird, muss nicht die Aufhebung bereits der vorläufigen Eigenverwaltung mit sich bringen.
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Nach Ziff. 4 ist die vorläufige Eigenverwaltung auch zu beenden, wenn dies von dem vorläufigen Sachwalter mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses oder vom vorläufigen Gläubigerausschuss selbst beantragt wird. Der vorläufige Sachwalter bekommt mit der Regelung ein eigenes Initiativrecht für den Aufhebungsantrag, muss jedoch die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses einholen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Verfahren ein gläubigerorientiertes Verfahren ist. Anders als im Falle vor der Entscheidung über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung, § 270b Abs. 3 InsO, reicht zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung ein mit Kopfmehrheit gefasster Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses aus (§§ 21 Abs. 2 Ziff. 1a, 72 InsO).
719
Frank | 343
§ 3 Rz. 720 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 720
Hat der Schuldner kein Interesse mehr an der Durchführung des vorläufigen Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung, sieht Ziff. 5 für ihn eine Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung auf Antrag vor. Einem absonderungsberechtigten Gläubiger oder Insolvenzgläubiger steht nach Abs. 2 ein entsprechendes Antragsrecht zu, dem stattzugeben ist, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Voraussetzungen für eine Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht vorliegen und ihm durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen. Mit der ergänzend durchzuführenden Anhörung des Schuldners wird sichergestellt, dass einzelne Gläubiger eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht aus sachfremden Motiven erwirken können.
721
Erfolgt die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung, kann der bisherige vorläufige Sachwalter zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt werden, Abs. 3.
722
Die Konsultationspflicht des Gerichts, den vorläufigen Gläubigerausschuss gem. § 270b Abs. 3 InsO in die Entscheidungen zur vorläufigen Eigenverwaltung einzubinden, wird über § 270e Abs. 4 Satz 1 und 2 erweitert, indem das Gericht in den Fällen nach Abs. 1 Ziff. 1 und 3 den vorläufigen Gläubigerausschuss ein weiteres Mal in identischer Art und Weise einbinden muss. Die Einbeziehung kann nur unterbleiben, wenn eine hierdurch bedingte Verzögerung offensichtlich innerhalb von zwei Werktagen zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, die sich nur durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lässt. Nur in eindeutigen Fällen (… offensichtlich …), in denen die mit einer Anhörung einhergehende zeitliche Verzögerung eine Verschlechterung der Vermögenslage mit sich bringt (… innerhalb von zwei Werktagen …), kann das Gericht von der Anhörung Abstand nehmen und dann auch nur, wenn die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters hilft, die Vermögensverschlechterung zu verhindern.
723
Durch die in Abs. 4 Satz 3 vorgesehene Begründungspflicht des Gerichts im Falle der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird der Gläubigerversammlung ermöglicht, auf Basis der Begründung zu entscheiden, ob eine nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung gem. § 271 InsO beantragt werden soll.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 724 § 3
b) Schema: Zeitlicher Ablauf des Schutzschirmverfahrens 724
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§ 3 Rz. 724 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
346 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 731 § 3
c) Die Anordnung der Eigenverwaltung In formeller Hinsicht ist zunächst erforderlich, dass der Schuldner einen Antrag stellt und bis zur gerichtlichen Entscheidung aufrechterhält (§§ 270, 270a InsO) oder eine Gläubigerversammlung dies mit Zustimmung des Schuldners nachträglich beantragt (§ 271 InsO). Eine stattgebende Entscheidung gemäß der §§ 270 Abs. 1 Satz 1, 270f InsO ergeht im Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO). Die nachträgliche Anordnung gem. § 271 InsO erfolgt durch eigenständigen Beschluss.
725
Hinweis: Die Entscheidung des Insolvenzgerichts ist insoweit „vorläufig“, als im Falle der Anordnung die Gläubigerversammlung (neben anderen, wie bspw. dem Schuldner) beantragen kann, die Eigenverwaltung jederzeit und ohne Weiteres gem. § 272 InsO aufzuheben. Einzelne Gläubiger sind im Rahmen von § 272 Abs. 1 Ziff. 4 InsO berechtigt, die Aufhebung zu beantragen. In diesem Fall müssen über den formellen Antrag weitere materielle Voraussetzungen vorgetragen und geprüft werden.
726
aa) Eigenverwaltung aufgrund Schuldnerantrag In materieller Hinsicht müssen beim Schuldnerantrag zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung gem. § 270f Abs. 1 InsO weiter alle Voraussetzungen vorliegen, die die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gestatten (§ 270b InsO, vgl. hierzu Rz. 551 ff.) und es dürfen keine Umstände bekannt sein, die eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270e InsO, vgl. hierzu Rz. 713 ff.) erwarten lassen.
727
Die Konsultationspflicht des Gerichts, den vorläufigen Gläubigerausschuss in seine Entscheidungen zur Eigenverwaltung einzubinden, gilt auch an dieser Stelle, § 270f Abs. 3 InsO mit seinem Verweis auf § 270b Abs. 3 InsO. Das Gericht ist an einen die Eigenverwaltung unterstützenden einstimmigen Beschluss und einen einstimmigen, die Eigenverwaltung ablehnenden Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses gebunden.845
728
Hinweis: Neben dem Tatsachenvortrag des Schuldners können sich für das Insolvenzgericht im Rahmen der Prüfung von § 270b Abs. 2 InsO konkrete Anhaltspunkte aus dem Bericht des nach dem Eröffnungsantrag eingesetzten vorläufigen Sachwalters ergeben, § 270c Abs. 1 InsO.
729
bb) Eigenverwaltung durch nachträgliche Anordnung aufgrund Beschluss der Gläubiger Liegen in formeller Hinsicht der Schuldnerantrag bzw. seine Zustimmung wie auch ein Beschluss einer Gläubigerversammlung vor, hat das Insolvenzgericht ohne weitere materielle Prüfung die Eigenverwaltung gem. § 271 InsO anzuordnen. Bedenken des Insolvenzgerichts, dass die Voraussetzungen des § 270f InsO weiter nicht vorliegen, können die Anordnung nicht verhindern. Der Gesetzgeber hat die Entscheidungskompetenz ausschließlich den Gläubigern zugewiesen. § 78 Abs. 1 InsO findet hierbei keine Anwendung (s. schon Rz. 660).
730
cc) Im Zusammenhang mit der Anordnung der Eigenverwaltung zu treffende gerichtliche Maßnahmen Im Falle der Anordnung der Eigenverwaltung hat das Insolvenzgericht anstelle des Insolvenzverwalters einen Sachwalter zu bestellen, § 270f Abs. 2 InsO. Hierbei ist das Insolvenzgericht an das einstimmige Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses bei grundsätzlicher Geeignetheit der vorgeschlagenen Person gebunden, §§ 274 Abs. 1, 56a InsO.846 Ist zunächst der Schuldnerantrag abgelehnt und das
845 § 72 InsO findet Anwendung. 846 § 72 InsO findet Anwendung.
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731
§ 3 Rz. 731 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Regelinsolvenzverfahren mit Bestellung eines Insolvenzverwalters eröffnet, die Eigenverwaltung dann aber auf Antrag der Gläubigerversammlung angeordnet worden, kann als Sachwalter auch der bisherige Insolvenzverwalter bestellt werden, dessen Amt mit der Eigenverwaltung endet. § 271 Satz 2 InsO stellt dies klar. Die Bestellung hat in beiden Fällen zunächst vorläufigen Charakter, weil die erste Gläubigerversammlung gemäß der §§ 274 Abs. 1 Satz 1, 57 InsO das Recht hat, einen anderen Sachwalter auszuwählen, den dann das Gericht nur in Fällen der Nichteignung ablehnen kann, ansonsten diesen zu bestellen hat. 732
Die Anordnung der Eigenverwaltung ist zusammen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß der §§ 270 Abs. 1 Satz 1, 30 InsO bzw. nachträglich gem. § 273 InsO öffentlich bekannt zu machen, § 9 InsO.847 Eine Eintragung der Eigenverwaltung in das Grundbuch und in die Register für Schiffe und Luftfahrzeuge unterbleibt, weil der Schuldner weiter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis innehat, §§ 270f Abs. 2 Satz 3, 32, 33 InsO. Die Verfahrenseröffnung ist unabhängig hiervon in das Handels-, Genossenschafts-, Gesellschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister einzutragen, § 31 InsO.
733
Hinweis: Das Weniger an durchzuführenden Eintragungen bewirkt zugunsten des Schuldners eine geringere Publizität seiner Insolvenz. Bemüht er sich darüber hinaus um wesentliche Vorarbeiten vor Antragstellung auf Verfahrenseröffnung (Abstimmung mit den Hauptgläubigern, Lieferanten und Kunden, Erarbeitung eines Insolvenzplans mit oder ohne Schutzschirmverfahren, Einzahlung eines Betrags zur Deckung der Kosten des Verfahrens auf ein Treuhandanderkonto bzw. Stundungsantrag nach § 4a InsO)848 und nutzt er die Antragsmöglichkeit der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit einer konkreten Eigenverwaltungsplanung gem. § 270a InsO aus, wird der Vorteil für den Schuldner mehr als deutlich: er kann die Abwicklung des Insolvenzverfahrens dem laufenden Geschäftsbetrieb anpassen, womit für Marktteilnehmer Kontinuität vermittelt und somit Vertrauen in einen „Neustart“ begründet wird.
734
Hat das Insolvenzgericht keine vorläufige Eigenverwaltung angeordnet (oder die vorläufige Eigenverwaltung noch im Eröffnungsverfahren aufgehoben), geht mit der Verfahrenseröffnung und (ggf. nachträglicher) Anordnung der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner über. Ein besonderer Beschluss hierüber ist vom Insolvenzgericht nicht zu fassen.
d) Die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit 735
Wird der Antrag auf Zustimmungsbedürftigkeit durch die Gläubigerversammlung gestellt, hat das Gericht zu prüfen, ob im Antrag bestimmte Rechtsgeschäfte aufgeführt sind. Ist dies der Fall, muss das Insolvenzgericht ohne weitere Prüfung und ohne eigene Entscheidungskompetenz die Zustimmungsbedürftigkeit anordnen, § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO, anderenfalls den Antrag ablehnen (vgl. Rz. 676).849
847 www.insolvenzbekanntmachungen.de. 848 Siehe hierzu auch BGH v. 5.5.2011 – IX ZB 136/09, MDR 2011, 816 = NZI 2011, 683 f.: Mit der Bestätigung eines Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt eine weitere Stundung der Verfahrenskosten nicht in Betracht. Gemäß § 258 Abs. 2 InsO sind u.a. die Kosten des Verfahrens zu regeln, § 4b InsO findet keine Anwendung mehr. 849 Unzutreffend deshalb die noch vor ESUG von Amts wegen vorgenommene Anordnung analog der §§ 21 Abs. 2 Ziff. 2, 24 Abs. 1, 277 Abs. 1 InsO und die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Rechtshandlungen dem Zustimmungsvorbehalt zu unterstellen, AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZInsO 2002, 1046; dem Insolvenzgericht eine über den Wortlaut des § 277 InsO hinausgehende Befugnis zugestehend, weitergehende Sicherungsmaßnahmen anzuordnen, Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 270 Rz. 36 ff. und § 277 Rz. 2; Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 277 Rz. 9, will bei schweren Obliegenheitsverletzungen dem Insolvenzgericht ein Eingriffsrecht zugestehen. Zum Beschluss des AG Duisburg vgl. Kluth, ZInsO 2002, 1001 ff.; Köchling, ZInsO 2003, 53 ff.; wie hier Brünkmans in HK/InsO, § 277 Rz. 5; Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 277 Rz. 13.
348 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 740 § 3
Wird in Eilfällen der Antrag von einem absonderungsberechtigten Gläubiger oder einem Insolvenzgläubiger gestellt, kann das Insolvenzgericht die Zustimmungsbedürftigkeit anordnen, wenn sie unaufschiebbar erforderlich ist, um Nachteile für die Gläubiger zu vermeiden, § 277 Abs. 2 InsO. Neben der Glaubhaftmachung (vgl. hierzu Rz. 402) als Zulässigkeitsvoraussetzung des Gläubigerantrages hat das Insolvenzgericht insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Anordnung im Rahmen seiner Ermessensentscheidung zu prüfen und im Falle der Erforderlichkeit die Zustimmungsbedürftigkeit eines bestimmten Rechtsgeschäfts anzuordnen. Stehen mildere Mittel zur Verfügung, ist unter Hinweis auf diese Maßnahmen der Antrag abzuweisen.
736
Hinweis: Das Insolvenzgericht darf dabei die milderen Maßnahmen nicht von sich aus anordnen, sondern muss die Zuständigkeitsregeln zur Eigenverwaltung beachten, ggf. den Sachwalter informieren, damit dieser seiner Überwachungspflicht nachkommen kann (vgl. Rz. 753).
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Abweichend zur grundsätzlichen Regelung, dass Eintragungen über die Eigenverwaltung in das Grundbuch und in die Register für Schiffe und Luftfahrzeuge unterbleiben, weil der Schuldner weiter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis innehat, § 270f Abs. 2 Satz 3 InsO, wird für den Fall der Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte der Zustimmungsvorbehalt neben der öffentlichen Bekanntmachung (§ 277 Abs. 3 Satz 1 InsO) und der Eintragung in das Handels-, Genossenschafts-, Gesellschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister (§§ 277 Abs. 3 Satz 2, 31 InsO) auch in das Grundbuch und die Register für Schiffe und Luftfahrzeuge eingetragen, §§ 277 Abs. 3 Sätze 2 und 3 InsO. Damit wird die Schmälerung der Insolvenzmasse durch den grundsätzlich möglichen gutgläubigen Erwerb erschwert.
738
e) Die Ablehnung der Eigenverwaltung Liegen die Voraussetzungen des § 270f Abs. 1 InsO nicht vor („… es sei denn …“), hat das Insolvenzgericht die Anordnung der Eigenverwaltung abzulehnen. Das Insolvenzverfahren wird unbeschadet des Rechts der Gläubiger, in Versammlungen gem. § 271 InsO die Eigenverwaltung nachträglich zu beantragen, als Regelinsolvenzverfahren eröffnet und als solches regulär geführt. Das Insolvenzgericht hat demnach im Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO) einen Insolvenzverwalter zu bestellen, der ggf. nachträglich zum Sachwalter bestellt wird, § 271 Satz 2 InsO. Die Ablehnung ist gem. §§ 270f Abs. 1, 270e Abs. 4 Satz 2 InsO schriftlich zu begründen (der Zeitpunkt der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Anordnung der Eigenverwaltung können zusammenfallen, die Begründungspflicht für das Gericht entfällt damit aber nicht)850 und kann in einem gesonderten Beschluss ergehen oder Teil des Eröffnungsbeschlusses sein.851 Zudem sind die Umstände, die die Ablehnung tragen, durch das Insolvenzgericht offenzulegen. Dies lässt, auch ohne rechtsmittelfähig zu sein, eine Korrektur durch die Gläubigerversammlung nach § 271 InsO zu, wenn dort nach Kenntnis der Gründe, sei es, weil man diese nicht trägt, aber auch aus anderer Motivation beschlossen wird, die Eigenverwaltung nachträglich anordnen zu lassen.852
739
Hinweis: Aus den §§ 270f Abs. 1, 270e Abs. 4 Satz 3 InsO folgt im Umkehrschluss, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht zu begründen ist.
740
850 Soweit keine vorläufige Eigenverwaltung angeordnet war und keine Eigenverwaltung angeordnet wird, entfällt die Begründungspflicht für das Insolvenzgericht im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung. Die Gläubiger sind über die zum Zeitpunkt der Entscheidung der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters (damit einhergehend die Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung) über die Gründe informiert, § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO. Unbeschadet hiervon steht es dem Gericht frei, ergänzende Ausführungen zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorzunehmen. 851 Vgl. den Wortlaut von § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO; AG Darmstadt v. 26.2.1999 – 9 IN 1/99, ZIP 1999, 1495. 852 Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 208.
Frank | 349
§ 3 Rz. 741 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 741
Die Eigenverwaltung ist ebenso abzulehnen, wenn zwar ein Antrag der Gläubigerversammlung nach § 271 InsO vorliegt, der Schuldner aber nicht mehr bereit ist, das Insolvenzverfahren im Rahmen der Eigenverwaltung zu führen und deshalb seinen Antrag oder die Zustimmung rechtzeitig zurücknimmt (vgl. Rz. 609). Da in diesem Fall das Insolvenzverfahren bereits als Regelinsolvenzverfahren eröffnet ist, hat das Gericht die Ablehnung (gesondert) zu beschließen und keine weiteren Maßnahmen diesbezüglich zu treffen.
f) Die Aufhebung der Eigenverwaltung 742
Hat eine Gläubigerversammlung die Aufhebung der ursprünglich oder nachträglich angeordneten Eigenverwaltung beschlossen und beantragt, § 272 Abs. 1 Ziff. 3 InsO, bzw. der Schuldner einen solchen Antrag gestellt, § 272 Abs. 1 Ziff. 5 InsO, hebt das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung durch (gesonderten) Beschluss auf. Die Aufhebung erfolgt auch, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder Insolvenzgläubiger dies beantragt, dabei Umstände bekannt sind, nach denen die vorgelegte Eigenverwaltungsplanung gem. § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO nicht mehr vollständig oder schlüssig ist oder in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht und dem antragstellenden Gläubiger durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen, was von ihm glaubhaft (s. hierzu Rz. 402) zu machen ist, § 272 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2 InsO. Zugleich wird das Verfahren als Regelinsolvenzverfahren mit einem Insolvenzverwalter weitergeführt, weshalb das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter zu bestellen hat. Dies kann der bisherige Sachwalter sein, § 272 Abs. 3 InsO, der vom Insolvenzgericht als solcher abzuberufen ist. Die Bestellung zum Insolvenzverwalter hat vorläufigen Charakter: Gemäß § 57 InsO kann die erste Gläubigerversammlung nach der Bestellung einen anderen Insolvenzverwalter wählen. Nur im Falle der Nichteignung kann das Insolvenzgericht die Bestellung versagen, ansonsten muss das Insolvenzgericht den von der Gesellschafterversammlung gewählten Insolvenzverwalter bestellen.
743
Ergeben sich nach der Verfahrenseröffnung zudem Umstände, die im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren darüber hinaus die Aufhebung begründet hätten (§ 270e Abs. 1 Ziff. 1 und 3 InsO), hebt das Gericht die Eigenverwaltung ebenso auf, § 272 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 InsO.
744
Erfolgt die Aufhebung der Eigenverwaltung, ist der Beschluss öffentlich bekannt zu machen, § 273 InsO. Die bislang unterbliebene Eintragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. die Ausführungen unter Rz. 732) in das Grundbuch und in die Register der §§ 32 und 33 InsO ist nachzuholen bzw. der eingetragene Zustimmungsvorbehalt (§ 277 Abs. 3 Sätze 2 und 3 InsO) durch einen entsprechenden Nachtrag auf das Regelinsolvenzverfahren abzuändern, weil die uneingeschränkte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mit Aufhebung der Eigenverwaltung auf den Insolvenzverwalter übergeht und der Schuldner hieran keine Rechte mehr hat.
745
Hinweis: Auch trotz Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO kann das Insolvenzverfahren noch als eigenverwaltetes Insolvenzverfahren betrieben werden. Zwar ist ein Schuldnerantrag allein nicht mehr zulässig, weil das Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist. Es kann aber eine nachträgliche Anordnung nach § 271 InsO insbesondere dann in Betracht kommen, wenn sich eine veränderte Sach- und Rechtslage ergibt und der Schuldner die Gläubigerversammlung davon überzeugen kann, einen entsprechenden Antrag mit seiner Zustimmung zu stellen.
7. Die Mitwirkung des Sachwalters a) Tätigkeiten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren 746
Für die Durchführung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens sieht § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO vor, dass die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters erfolgt. Will das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, was zugleich die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung hindert oder Folge der Beendigung ist (§§ 270b Abs. 4, 270e Abs. 1 InsO), muss das Gericht die Voraussetzungen 350 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 751 § 3
prüfen, die gegen die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung sprechen und seine Gründe für die damit einhergehende Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters schriftlich darlegen. Für das Schutzschirmverfahren gem. § 270d InsO wird dem Schuldner nach dessen Abs. 2 Satz 2 ein Vorschlagsrecht zur Person des vorläufigen Sachwalters gewährt, von dem das Insolvenzgericht nur abweichen darf, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist. Lehnt das Insolvenzgericht die Personab, muss es den Beschluss begründen. Auch wenn der Beschluss nicht rechtsmittelfähig ist, können die Gläubiger so in Kenntnis der Umstände nach Eröffnung des Verfahrens entscheiden, ob eine Abwahl des gerichtlich bestellten Sachwalters (dies wird in aller Regel der im Eröffnungsverfahren vorläufig bestellte sein) durch Neuwahl des vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters in Betracht kommt. Der Schuldner erhält im Schutzschirmverfahren so die Chance, die Sanierung durch das Insolvenzplanverfahren mit einer für ihn vertrauenswürdigen Person vorzubereiten. Die vorgeschlagene Person muss dabei, um die Unabhängigkeit zu wahren, von dem Aussteller der Bescheinigung, die das Schutzschirmverfahren erst ermöglicht, verschieden sein, 270d Abs. 2 Satz 1 InsO. Eine besondere Aufgabenzuweisung erfolgt an den vorläufigen Sachwalter im Schutzschirmverfahren, indem er neben dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit dem Insolvenzgericht anzuzeigen hat, § 270d Abs. 4 Satz 1 InsO.
747
Der vorläufige Sachwalter wird in den beiden Varianten des Eröffnungsverfahren (§§ 270b Abs. 1 Satz 1, 270d Abs. 2 Satz 2 InsO) mit den Befugnissen der späteren Sachwaltung im eröffneten Verfahren ausgestattet, namentlich den §§ 274 und 275 InsO (vgl. die Ausführungen in Rz. 753 ff.). Insoweit folgt auch das Eröffnungsverfahren dem Ansatz der Aufgabenteilung zwischen Schuldner und vorläufiger Sachwaltung. Anstelle der nach § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO zu unterrichtenden Insolvenzgläubiger, die Forderungen bereits angemeldet haben, hat der vorläufige Sachwalter die ihm zu diesem Zeitpunkt bekannten Gläubiger zu informieren.
748
Nach § 270c Abs. 1 InsO kann das Gericht den vorläufigen Sachwalter ergänzend beauftragen, Bericht zu erstatten über die Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Plausibilität der Eigenverwaltungsplanung, insbesondere, ob diese von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und durchführbar erscheint, die Vollständigkeit und Geeignetheit der Rechnungslegung und Buchführung als Grundlage für die Eigenverwaltungsplanung, insbesondere für die Finanzplanung, und das Bestehen von Haftungsansprüchen des Schuldners gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder der Organe. Ob eine Berichterstattung beauftragt wird, liegt im Ermessen des Gerichts. § 270c Abs. 1 InsO führt die zu übertragenden, über die §§ 274 und 275 InsO hinausgehenden Aufgaben abschließend auf.853 Das Gericht hat die gesetzliche Trennung in den Bereich des eigenverwaltenden Schuldners und des vorläufigen Sachwalters zu berücksichtigen und darf von sich aus keine weiteren Aufgaben dem Sachwalter aufgeben.
749
Im Rahmen der Auswahl des vorläufigen Sachwalters wirkt der vorläufige Gläubigerausschuss mit, §§ 274 Abs. 1, 56a InsO, so dass auch hier eine entsprechende Gläubigerbeteiligung möglich ist. Für das Schutzschirmverfahren gilt dies allerdings nur, wenn das Insolvenzgericht vom Vorschlag des Schuldners abweichen will. Indes ist der Schuldner nicht gehindert, den vorläufigen Gläubigerausschuss in seinen Vorschlag mit einzubinden, was vorgreiflich auf die vom Insolvenzgericht zu treffende Entscheidung wirken wird.
750
Mit der Anordnung der Eigenverwaltung wird die im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren bereits umgesetzte Aufgabenteilung zwischen Schuldner und (vorläufiger) Sachwalter mit den unterschiedlichen Rechten und Pflichten fortgeführt und dort, wo die Ansätze des vorläufigen und des eröffneten Verfahrens unterschiedliche Auswirkungen haben, modifiziert und zum Teil auch erweitert, §§ 270 Abs. 1 Satz 1, 274 ff. InsO. Die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters und des Sachwalters im
751
853 A.A. Frind, ZIP 2021, 171, 177: Nicht ausgeschlossen ist, dass weitere Arbeitsbereiche vergütungsrelevant in den gerichtlichen Bestellungsbeschluss einbezogen werden.
Frank | 351
§ 3 Rz. 751 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung eröffneten Verfahren sind aber weitestgehend identisch. So liegt das maßgebliche geschäftliche Handeln abweichend zur Regelabwicklung beim Schuldner.854 Dem Sachwalter, dem die Aufsicht über die Geschäftsführung übertragen ist, bleiben Mitwirkungs- und Zustimmungsbefugnisse, so dass der Schuldner nicht uneingeschränkt und beliebig, womöglich zum Nachteil der Gläubiger Vermögenswerte beiseiteschaffen oder in anderer Weise den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung zuwider handeln kann, was gegen die Ausrichtung der Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger spricht. 752
Hinweis: Die verschiedenen, dem Schuldner zugewiesenen Aufgaben fordern regelmäßig besondere insolvenzrechtlich-betriebswirtschaftlich determinierte (Rechts-)Kenntnisse. Ist der Schuldner nicht in diesem Sinne qualifiziert, ist er nicht ohne Weiteres „unfähig“ seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Der Gesetzgeber lässt die Eigenverwaltung zu, soweit der Schuldner Kenntnisse und Erfahrungen in der (bisherigen) Geschäftsleitung hat – zu den Möglichkeiten personeller Veränderungen vgl. Rz. 574 – und stellt ihm mit dem Sachwalter jemanden zur Seite, der diese Geschäftsführung kontrolliert und unterstützt und dabei auch besondere Aufgaben des Insolvenzverwalters, die dieser im Regelverfahren auszuführen hätte, wahrnimmt.855 Der Sachwalter, der eine i.S.v. § 56 Abs. 1 InsO (insolvenz-)geeignete Person sein muss, wird deshalb, ohne dass der Gesetzgeber diese Pflicht mit Ausnahme der im jeweiligen Einzelfall anzuordnenden Unterstützungsaufgaben im Bereich der Insolvenzgeldvorfinanzierung, insolvenzrechtlichen Buchführung und der Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten (§ 272 Abs. 2 Satz 2 InsO, s. hierzu auch Rz. 757) gesondert geregelt hat, im Rahmen seiner allgemeinen Aufsichtspflicht gem. § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO entsprechende Hinweise und allgemeine Hilfestellungen zu geben haben.856 Nur wenn trotz dieser Aufgabenteilung aus der unzureichenden Qualifizierung des Schuldners die Interessen der Gläubiger unberücksichtigt bleiben, ist die Anordnung der Eigenverwaltung vom Insolvenzgericht zu versagen. Davon zu trennen ist die Frage beizuziehender allgemeiner, nicht zwingend insolvenzspezifischer Prozessund Beratungstätigkeit, die gesondert zu beauftragen ist. Diese kann nicht vom (vorläufigen) Sachwalter oder den seiner Kanzlei zugehörigen Mitarbeitern erbracht und gesondert mittels Honorarvereinbarung vergütet werden, weil dadurch der ihm von Gesetzes wegen zugewiesene limitierte Aufgabenbereich zweckwidrig erweitert werden würde (s. hierzu auch Rz. 521 ff.).857 Der Unterschied zum Insolvenzverwalter, der als Rechtsanwalt (wie den übrigen in § 5 Abs. 2 InsVV genannten Berufsbildern) seine Expertise als Fachmann gesondert über § 5 InsVV vergütet erhält (ohne dass es des Abschlusses eines Dienstvertrages mit der Masse bedarf) liegt darin, dass der Insolvenzverwalter die umfängliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Masse inne hat und innerhalb des ihm so zugewiesenen Aufgabenbereichs seine über die Tätigkeit als Insolvenzverwalter eingesetzte Fachkenntnis gesondert vergütet erhält (die er sonst einem fremden Anwalt übertragen hätte). Im Eigenverwaltungsverfahren hingegen behält der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, der Sachwalter übt eine, seine Tätigkeit prägende, kontrollierende und überwachende Funktion aus. Nur in den Bereichen, in denen dem Sachwalter die partielle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen ist (s. hierzu Rz. 766), wird man § 5 InsVV zur Anwendung bringen können (ohne dass ein Dienstvertrag zu schließen wäre), soweit der Sachwalter als Rechtsanwalt o.ä. zugelassen ist.
b) Prüfungs- und Überwachungspflichten 753
Um seine Aufsichtsfunktion wahrnehmen zu können, hat sich der Sachwalter Informationen zu beschaffen, indem er die wirtschaftliche Lage des Schuldners prüft und die Geschäftsführung sowie die 854 Zum Verhältnis Insolvenzrecht – Gesellschaftsrecht vgl. bspw. Noack, ZIP 2002, 1873 ff.; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777 ff.; Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406 ff., sowie mit dem ESUG eingeführt § 276a InsO (Rz. 625). 855 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 526 und 528. 856 In diese Richtung ebenso und noch vor dem SanInsFoG grundlegend zu den möglichen Aufgaben des (vorläufigen Sachwalters): BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, MDR 2016, 1291 = NZI 2016, 963 ff. Dies betonend Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 208. 857 OLG Dresden v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZInsO 2015, 2273 ff. So auch Frind, InsbürO 2016, 14 ff., der hervorhebt, dass der Sachwalter nicht der Berater des Schuldners ist und auch nicht Mängel in der Verfahrensführung des Schuldners zu substituieren hat.
352 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 758 § 3
Ausgaben für die Lebensführung überwacht, § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO. Dazu ist er berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Der Schuldner hat dem Sachwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten und alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Weigert sich der Schuldner, kann der Sachwalter seine Befugnisse durchsetzen, §§ 274 Abs. 2 Satz 3, 22 Abs. 3 Satz 3, 97 ff. InsO. Die Gewährleistung einer objektiven Unterrichtung der Gläubiger setzt voraus, dass vom Schuldner erstellte Verzeichnisse (§§ 151 bis 153 InsO), Verteilungsverzeichnisse (§§ 188 ff. InsO), Rechnungslegungen (§ 155 InsO) und die Schlussrechnung (§ 66 InsO) durch den Sachwalter kontrolliert werden und er schriftlich Stellung dazu nimmt, ob nach dem Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen zu erheben sind, §§ 281 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2, 283 Abs. 2 Satz 2 InsO.858 Zum Bericht des Schuldners im Berichtstermin hat der Sachwalter Stellung zu nehmen, unabhängig davon, ob er gegen den Bericht − umfänglich oder auch nur teilweise − Einwände erhebt, § 281 Abs. 2 Satz 1 InsO.
754
Der Sachwalter hat zur Vermeidung seiner eigenen Haftung eine effektive Kontrolle vorzunehmen oder zu organisieren. Die Insolvenzordnung schreibt hierfür keine bestimmte Form vor. Der Sachwalter muss aber beachten, dass einerseits eine lückenlose Überwachung weder gewollt noch durchführbar ist, die Beteiligten andererseits aber möglichst umfassend zu informieren sind.
755
Hinweis: Es sind deshalb in unregelmäßigen Abständen – auch überraschende – Prüfungshandlungen vorzunehmen, die eine aussagekräftige Beurteilung der Geschäftsführung des Schuldners ermöglichen. Es bietet sich an, über die z.T. gegebenen Anforderungen der Insolvenzordnung hinaus, schriftliche Dokumentationen über die Art und Weise der Prüfungsplanung und Prüfungshandlung zu fertigen und zur Einsichtnahme bzw. Übersendung an die Beteiligten und/oder das Insolvenzgericht (zur Aufsicht vgl. Rz. 786) bereitzuhalten.859
756
c) Unterstützung in der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung In Bereichen, in denen der Schuldner die Tätigkeit des Sachwalters auch bei insolvenzrechtlicher Expertise auf Seiten des Schuldners für das Verfahren gewinnbringend einsetzen kann und bei denen keine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und der Überwachung droht, kann das Gericht ergänzend anordnen, dass der Sachwalter unterstützend tätig wird, § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO. Abschließend angesprochen werden die Unterstützung bei der Insolvenzgeldvorfinanzierung, der insolvenzrechtlichen Buchführung sowie bei Gesprächen mit Kunden und Lieferanten.
757
Hinweis: Damit setzt das SanInsFOG um, was in der Praxis bereits gelebte Übung war. Insolvenzgeldvorfinanzierungen werden zwischen dem finanzierenden Institut einerseits, andererseits dem Schuldner, dem auf Seiten des Schuldners tätigen Sanierungsberater und dem Sachwalter organisiert (und von diesen vertragsmäßig auch dokumentiert).860 Die insolvenzrechtliche Buchführung wird i.d.R. über von Verwaltereinheiten genutzte Softwareprogramme abgebildet, so dass die entsprechenden Ressourcen (sachlich wie personell) von dort genutzt werden. Und Kunden und Lieferanten verlangen zur Absicherung der geschäftlichen Aktivitäten im Insolvenzverfahren nicht selten die Zustimmung bzw. Freigabe durch die vom Insolvenzgericht bestellte Person, dem Sachwalter.861 Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Aufgabenbereich des (vorläufigen)
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858 Dies gilt entsprechend und damit über den Wortlaut des Gesetzes hinaus, soweit vom Schuldner eine Zwischenrechnung erstellt wird, Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 281 Rz. 5. 859 Vgl. bspw. § 281 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2, § 283 Abs. 2 Satz 2 InsO. 860 Einen Überblick zur Handhabung vor dem SanInsFoG gibt Muschiol, ZInsO 2016, 248 ff., mit dem abschließenden Hinweis, dass die Zahl der zur Insolvenzgeldvorfinanzierung involvierten Personen mit der Eigenverwaltung gestiegen ist. 861 Vgl. hierzu auch Frind, ZInsO 2019, 1292 ff., der kompakt den anfechtungshindernden Vertrauenstatbestand beim Regelinsolvenzverfahren und dessen Übertragbarkeit auf die Eigenverwaltung darstellt, sowie OLG Düsseldorf v. 8.11.2018 – 12 U 16/18, NZI 2019, 284 ff., OLG Köln v. 29.3.2017 – 2 U 45/
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§ 3 Rz. 758 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung Sachwalters damit Anlass bezogen erweitert wird, was sich im Bereich seiner Vergütung ebenso auswirkt. Basis bleiben hierfür weiter die §§ 12 und 12a InsVV (s. hierzu Rz. 787). Eine dienstvertragliche Vergütung ist hierfür nicht vorgesehen und kann zudem insolvenzzweckwidrig sein.862 759
Die grundsätzliche Aufgabenteilung zwischen dem Schuldner, der die laufenden Geschäfte führt, und dem Sachwalter, der dessen Geschäftsführung überwacht bzw. Handlungen prüft wie auch verfahrenstypische Maßnahmen und die Insolvenzanfechtung übernimmt, wird unabhängig hiervon beibehalten.
d) Anzeigepflichten 760
Der Sachwalter hat laufend zu überprüfen, ob Umstände vorliegen, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Stellt er solche fest, hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss, falls ein solcher nicht bestellt ist den Insolvenzgläubigern, die Forderungen angemeldet haben, und den absonderungsberechtigten Gläubigern sowie dem Insolvenzgericht anzuzeigen, § 274 Abs. 3 InsO. Der Sachwalter ist nicht berechtigt, dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten zu ändern, ohne die Gläubiger zu benachrichtigen.863 Auch steht es ihm nicht zu, ein etwaiges Fehlverhalten des Schuldners zu sanktionieren. Durch die unverzüglich zu erfolgende Anzeige ist gewährleistet, dass im Interesse der Gläubiger, die regelmäßig im Insolvenzverfahren auf die Informationsbeschaffung anderer angewiesen sind und diese nun über den Sachwalter erhalten, jederzeit die Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO erfolgen kann oder als mildere Sanktionsmaßnahme Verfügungsbeschränkungen nach § 277 InsO beantragt werden können (vgl. Rz. 622).
761
Die in § 274 Abs. 3 InsO bezeichneten Umstände sind, wenn auch nicht wortidentisch bezeichnet, diejenigen, die im Rahmen von § 272 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 InsO vom Gericht zu prüfen sind (vgl. Rz. 727), so dass der Sachwalter, obwohl ihm nur die Überwachungsfunktion zusteht, den Schuldner, der die Eigenverwaltung durchführen möchte, zu einer ordnungsgemäßen Eigenverwaltung anhalten kann. Dieser muss ansonsten die Aufhebung der Eigenverwaltung verantworten, soweit er dem Sachwalter nicht Rede und Antwort steht. Gleichzeitig kompensiert § 274 Abs. 3 InsO die im Rahmen der Eigenverwaltung geregelte Rechtswirksamkeit der vom Schuldner vorgenommenen Rechtshandlungen in Fällen, in denen der Sachwalter und/oder der Gläubigerausschuss konsultiert werden sollen, der Schuldner dies aber nicht tut.864
762
Hinweis: Im eigenen Interesse sollte der Sachwalter abweichend von der in § 274 Abs. 3 InsO vorgesehenen Anzeigepflicht für den Fall der nachteiligen Eigenverwaltung eine lückenlose schriftliche Dokumentation vorhalten und dem Insolvenzgericht gegenüber in regelmäßigen Abständen ebenso schriftlich (Kurz-)Bericht erstatten, um die Entwicklung später nachvollziehen zu können (zu Aufsichtsmaßnahmen des Insolvenzgerichts, insbesondere zur Anforderung eines Berichts vgl. Rz. 786).
763
Eine bestimmte Form für die Anzeige des Sachwalters ist nicht vorgegeben, aus Praktikabilitätsgründen sollte diese aber schriftlich erfolgen. Dies kann problematisch werden, soweit kein Gläubigerausschuss gebildet ist und der Sachwalter Insolvenzgläubiger und absonderungsberechtigte Gläubiger anschreiben muss. § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO schränkt die Anzeige an Insolvenzgläubiger auf solche ein, 16, ZInsO 2018, 792, 801 f. und OLG Saarbrücken v. 22.1.2020 – 2 U 87/16, ZInsO 2020, 1657 ff. für die vorläufige Eigenverwaltung: Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factium proprium). 862 OLG Dresden v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZInsO 2015, 2273 ff. Siehe hierzu auch Vill, ZInsO 2015, 2245 ff. 863 Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 274 Rz. 82. 864 Vgl. bspw. nur §§ 275 Abs. 1, 276, 279 Satz 1 und 2, 282 Abs. 2 InsO und die dazu erfolgten Ausführungen zu den Rechten und Pflichten des Schuldners bzw. der Gläubiger.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 766 § 3
die Forderungen angemeldet haben. Insoweit kann der Sachwalter, der die Tabelle zu führen hat (vgl. Rz. 766), auf seine eigenen Unterlagen zurückgreifen. Anderes gilt dagegen für absonderungsberechtigte Gläubiger, insbesondere wenn diese keinen Ausfall (vgl. § 52 InsO) zu besorgen haben und infolgedessen keine Anmeldung der Ausfallforderung zur Tabelle tätigen und dem Sachwalter schon namentlich nicht bekannt sind. Regelmäßig werden die absonderungsberechtigten Gläubiger zwar ihr Absonderungsrecht geltend machen, dies erfolgt aber gegenüber dem Schuldner, dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse zusteht, und deshalb nicht gegenüber dem Sachwalter, §§ 270 Abs. 1 Satz 1, 282 InsO.865 Hinweis: Liegen Anhaltspunkte für diesen Fall vor, sollte der Sachwalter seiner Anzeigepflicht nachkommen, indem er eine öffentliche Bekanntmachung entsprechend der §§ 273, 277 Abs. 3 Satz 1 InsO über das Insolvenzgericht anregt. Zwar ist dies dort nur für mögliche Folgen des gläubigerbenachteiligenden Schuldnerhandelns, nämlich der Aufhebung der Eigenverwaltung oder der Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmt, nicht aber schon für die vorherige Anzeige selbst. Das Interesse der Gläubiger an einer schnellstmöglichen Information, die gefährdet ist, wenn der Sachwalter erst (absonderungsberechtigte) Gläubiger ausfindig machen muss, wiegt schwerer als das Interesse des Schuldners, eine geringe(re) Publizitätswirkung der Eigenverwaltung zu erwirken, weil er die Feststellungen des Sachwalters nicht entkräften konnte und dies selbst zu verantworten hat.
764
Tritt im Verlauf des Insolvenzverfahrens Masseunzulänglichkeit gem. § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO auf oder liegt der gleichgestellte Fall vor, dass die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die bestehenden sonstigen Masseverbindlichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu bedienen (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO), hat der Sachwalter dem Insolvenzgericht die entsprechende Anzeige zu machen, § 285 InsO.866 Nicht geregelt ist der Fall der völligen Masselosigkeit gem. § 207 InsO. Für diesen Fall wird man dem Schuldner die Informationspflicht gegenüber dem Sachwalter und den Gläubigern auferlegen müssen.867 Die Anzeige der (drohenden) Masseunzulänglichkeit ist als solche kein Aufhebungsgrund, womit das Eigenverwaltungsverfahren grundsätzlich fortgeführt werden kann. Es wird aber zu prüfen sein, ob die Geschäftsführung des Schuldners am Interesse der Gläubiger ausgerichtet war, § 272 Abs. 1 Ziff. 1 InsO.868 Da sich im Zustand der (drohenden) Masseunzulänglichkeit die Befriedigungsreihenfolge für die Gläubiger ändert, steht das Antragsrecht nach § 272 Abs. 1 Ziff. 4 InsO zusätzlich den Massealtgläubigern (solcher bis zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 209 Abs. 1 Ziff. 3 InsO) zu.
765
e) Verfahrenstypische Maßnahmen Neben der den Schuldner im Wesentlichen begleitenden Rolle sind dem Sachwalter ausgewählte Verfahrensbereiche zur originären Bearbeitung und Verantwortung zugewiesen.869 So sind Forderungen
865 Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 270 Rz. 138, will die Anzeige der Sicherungsrechte gem. § 28 Abs. 2 InsO an den Sachwalter vornehmen lassen; ebenso Brünkmans in HK/InsO, § 270c Rz. 5. 866 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 285 Rz. 1; keine Anzeigepflicht obliegt dem Schuldner, so aber Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 285 Rz. 2; wird die Eigenverwaltung nicht aufgehoben, obliegt die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens weiter dem Schuldner, Brünkmans in HK/InsO, § 285 Rz. 4; Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 285 Rz. 21 ff.; Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 285 Rz. 4. 867 Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 285 Rz. 2. 868 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 285 Rz. 2. 869 Es sind diejenigen, die das Gesetz vorgibt. Zu weitgehend deshalb AG Hamburg v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237 ff., das eine Vielzahl weiterer Pflichten dem (vorläufigen) Sachwalter für den Regelfall aufbürden will, so z.B. die Erstellung einer Vergleichsrechnung zu den prognostizierten Kosten oder eine solche präventiv für ein Insolvenzplanverfahren zur Klärung einer denkbaren Schlechterstellung (§ 245 InsO). Dies sind Angelegenheiten des Schuldners, die entweder für die Antragstellung
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766
§ 3 Rz. 766 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung gem. § 270f Abs. 2 Satz 2 InsO beim Sachwalter anzumelden, der dementsprechend auch die Tabelle gem. § 175 InsO zu führen hat.870 Angemeldete Forderungen kann der Sachwalter neben dem Schuldner, dem dieses Recht innerhalb der Eigenverwaltung aus dem zugewiesenen Verwaltungs- und Verfügungsrecht zusteht (vgl. Rz. 631 f.), und den Insolvenzgläubigern bestreiten und so deren Feststellung verhindern, § 283 Abs. 1 InsO. Gläubiger der bestrittenen Forderung, die gegen den Widerspruch des Sachwalters vorgehen wollen, müssen das Feststellungsverfahren gemäß der §§ 179 ff. InsO betreiben, ggf. nach § 184 InsO Feststellungsklage erheben871 (vgl. § 9 Rz. 314 ff.). Eine Annexkompetenz aus der rein verfahrensrechtlich wirkenden Tabellenführung für damit im Zusammenhang stehende materielle Fragestellungen folgt daraus nicht. Der Schuldner bleibt verwaltungs- und verfügungsbefugt (ausgenommenen der partiell und ausdrücklich dem Sachwalter zugewiesenen Rechte), so dass materielle Rechtswirkungen nur über ihn gestaltet werden können.872 767
Je nachdem, ob der Schuldner Verbindlichkeiten begründet hat, die zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr gehören oder solche, die über diesen hinausgehen, stehen dem Sachwalter als Kontrollorgan der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterschiedliche Mitwirkungsrechte zu.
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Hinweis: Maßstab und gleichzeitig Abgrenzungskriterium der jeweiligen Verbindlichkeit in gewöhnliche oder nicht gewöhnliche ist der bisherige Geschäftsbetrieb des Schuldners nach Art und Umfang. Handelt es sich um Personengesellschaften oder juristische Personen, wird man den Gesellschaftsvertrag bzw. die Satzung indiziell heranziehen können, ausschlaggebend sind jedoch die tatsächlichen Verhältnisse.
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Handelt es sich um Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, steht dem Sachwalter ein Widerspruchsrecht zu, § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO. Es ist Aufgabe des Sachwalters tätig zu werden, sich entsprechend zu informieren und zu entscheiden und notfalls der geplanten Maßnahme des Schuldners zu widersprechen.873 § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO gibt dagegen dem Schuldner (für Verbindlichkeiten, die über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehen) auf, die Zustimmung des Sachwalters einzuholen, d.h. aktiv zu werden.874 Entgegen des Wortlauts reicht die nachträgliche Genehmigung. Der Schuldner trägt aber in diesen Fällen das Risiko, dass die Genehmigung nicht erteilt wird.875 Der Sachwalter kann seine Entscheidungen nicht im freien Ermessen treffen, er muss
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oder die Anwendung des Obstruktionsverbotes erforderlich und vom Gericht bei Bedarf zu prüfen sind. Die Grenze zwischen Beibringungsgrundsatz und Prüfung derselben wird so aufgegeben. Davon zu trennen ist die Frage, ob das Insolvenzgericht den vorläufigen Sachwalter als Sachverständigen gesondert beauftragt hat, bspw. zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt, welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen o.ä. So auch BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/ 14, NZI 2016, 963 ff., der die Pflicht zur Initiative des Schuldners hervorhebt, dem (vorläufigen) Sachwalter jedoch aufgibt, nicht nur in einer nachlaufenden Kontrolle tätig zu sein, sondern den Prozess beratend zu begleiten, insbesondere deutlich zu machen, welche angedachten Maßnahmen seiner Meinung nach möglich und auch umsetzbar sind. Riggert in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, noch zu § 270c Rz. 3 a.F.; Pape in Kübler/Prütting/ Bork, Insolvenzordnung, § 283 Rz. 15; Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 270c Rz. 3. Brünkmans in HK/InsO, § 270c Rz. 5, will die Anzeige der Sicherungsrechte gem. § 28 Abs. 2 InsO an den Sachwalter vornehmen lassen, um diesem zu ermöglichen, seinen Pflichten besser nachkommen zu können. BGH v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, MDR 2017, 729 = NZI 2017, 345 ff., zur Frage der Freigabe des Rechts zur abgesonderten Befriedigung. A.A. Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 1 f.; Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 275 Rz. 22. In zweifelhaften Fällen hat deshalb der Schuldner den Sachwalter zu informieren, so auch Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 4. Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 275 Rz. 18. Zu weitgehend AG Köln v. 12.10.2018 – 74 IN 196/18, ZInsO 2019, 160 f., das den im Innenverhältnis wirkenden Zustimmungsvorbehalt in der vorläufigen Eigenverwaltung ergänzend anordnen will im Zusammenhang mit der Begründung von Masseverbindlichkeiten, um zu gewähren, dass keine der Anfechtung unterliegende Forderungen in den Rang von
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 774 § 3
unter Beachtung der Regelungen der Insolvenzordnung, insbesondere der Eigenverwaltung, die Entscheidung treffen, ob er der Maßnahme des Schuldners widerspricht oder auf Anfrage des Schuldners dieser zustimmt.876 Hinweis: Beraterverträge, die geschlossen werden um die insolvenzrechtliche Expertise während des Verfahrens zu gewähren, sind solche, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb des Schuldners gehören.877 Sie mögen zwischenzeitlich üblich für ein Eigenverwaltungsverfahren sein, was für die Differenzierung in § 275 Abs. 1 InsO jedoch unerheblich ist.
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Widerspricht der Sachwalter, stimmt er auf Anfrage des Schuldners nicht zu oder holt der Schuldner die Zustimmung des Sachwalters nicht ein und geht er die Verbindlichkeit gleichwohl ein, hat dies im Außenverhältnis Dritten gegenüber keine Auswirkungen, die Verbindlichkeit ist wirksam begründet (zu möglichen Folgen vgl. Rz. 622). Sie können über die Grundsätze der Insolvenzzweckwidrigkeit, die im Rahmen der Eigenverwaltung auch für den Schuldner gelten, unwirksam sein.878
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Geht dagegen der Schuldner Verbindlichkeiten ein, die zur Lebensführung dienen, verdrängt § 278 InsO als speziellere Vorschrift die Mitwirkungsrechte aus § 275 InsO. Der Sachwalter hat also keine Mitwirkungsrechte bei Geschäften, die der Lebensführung dienen.
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Hinweis: Die Abgrenzung zwischen Verbindlichkeiten des Geschäftsverkehrs und solchen zur privaten Lebensführung ist anhand des Rechtsgedankens in § 343 HGB vorzunehmen. Danach sind alle Geschäfte, die im Rahmen der Ermöglichung, Förderung oder Erhaltung eines Handelsgeschäftes oder eines freien Berufes anfallen können sowie deren Hilfsgeschäfte dem Geschäftsbetrieb i.S.d. § 275 InsO zuzuordnen.879
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Der Sachwalter kann vom Schuldner verlangen, dass der Zahlungsverkehr ausschließlich über seine Person abgewickelt wird. Mit umfasst ist das Recht, das zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs erforderliche Insolvenzsonderkonto für die Insolvenzmasse einzurichten. Eine Anordnung zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs durch das Insolvenzgericht ist nicht erforderlich, § 275 Abs. 2 InsO.880 Das Recht zur Kassenführung ist ausschließlich auf diese beschränkt, so dass bspw. die klageweise Geltendmachung von offenstehenden Forderungen weiter dem Schuldner obliegt, der nach wie vor die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse innehat.881 Dies hat zur Folge, dass im Außenverhältnis der Schuldner weiterhin Erfüllungseintritt durch Zahlungsleistung bzw. Entgegen-
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Masseverbindlichkeiten erhoben werden – gem. § 280 InsO obliegt die Anfechtung dem Sachwalter. Zutreffend sodann AG Köln v. 9.5.2020 – 70a IN 81/20, ZRI 2020, 623 f., unter Hinweis auf die SollVorschrift des § 275 Abs. 1 lnsO, die eine Mitwirkungsverpflichtung ohnehin vorsieht. Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 8 f. AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210 ff. OLG Karlsruhe v. 14.6.2016 – 8 U 44/15, ZInsO 2016, 1469 ff. Grundsätzlich zur Nichtigkeit von Rechtshandlungen nach den Grundsätzen der evidenten Insolvenzzweckwidrigkeit Hölken, DZWiR 2019, 51 ff. Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 3 f.; Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 3. Dem Insolvenzgericht fehlt schon die Anordnungskompetenz dazu: AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZInsO 2015, 1111, 1112; AG Dresden v. 10.7.2019 – 532 IN 876/19, ZInsO 2020, 1261 ff.: einer gesonderten Ermächtigung für die Einrichtung des Insolvenzsonderkontos bedarf es nicht, § 275 Abs. 2 InsO legitimiert ausreichend; AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZInsO 2014, 2390, will dagegen die Kassenführung übertragen können (jeweils entschieden für den vorläufigen Sachwalter unter Anwendung des Verweises in § 270a Abs. 1 InsO a.F.). Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 11.
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§ 3 Rz. 774 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung nahme solcher bewirken kann.882 Der Schuldner kann weitere Verbindlichkeiten oder Forderungen begründen, die der Sachwalter mittels Zahlung auszugleichen oder eingehende Gelder entgegenzunehmen hat. Der Sachwalter erhält kein eigenes Verfügungsrecht, ihm obliegt allein die gesetzmäßige Verwaltung des Zahlungsverkehrs. Hierauf beschränkt erstreckt sich zugleich seine Befugnis, womit er nicht persönlich für die beim Schuldner begründeten Verpflichtungen haftet.883 775
Hinweis: Anders als die Rechte nach § 275 Abs. 1 InsO, die der Sachwalter nur zweck- und gläubigerinteressenorientiert ausüben darf, wenn dies angezeigt ist, kann der Sachwalter die Entscheidung zur Kassenführung im freien Ermessen treffen. Die Besorgnis gläubigerschädigender Handlungen durch den Schuldner ist nicht erforderlich.884 Auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren findet § 275 Abs. 2 InsO Anwendung, § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO, so dass der vorläufige Sachwalter den Zahlungsverkehr im vorbeschriebenen Umfang an sich ziehen kann. Mit dem SanInsFoG wurde die Pflichtenkollision zwischen dem Massesicherungsgebot und den strafund haftungsbewehrten Abführungsgeboten für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung (Gesamtsozialversicherungsbeitrag gem. § 28d SGB IV) und Steuern konturiert und in wesentlichen Teilen neu geregelt. Unmittelbar kommt die gesetzliche Regelung für die antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person und der in § 15b Abs. 6 InsO Genannten zur Anwendung, § 15b Abs. 1 Satz 1 InsO. Maßstab hierbei ist, ob ausgelöste Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO. Flankiert wird dieser Prüfungsmaßstab mit verschiedenen gesetzlichen Fiktionen, bspw. in § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO (Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unter Berücksichtigung einer fristgemäßen Antragstellung nach § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 15b Abs. 3 InsO und der Vornahme von Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags gem. § 15b Abs. 2 Satz 2 InsO), § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO (Zustimmung des vorläufig schwachen Insolvenzverwalters; beim vorläufig starken Insolvenzverwalter mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots gem. § 22 Abs. 1 InsO liegt die Verantwortung für die Auslösung von Zahlungen schon nicht beim Geschäftsleiter) oder § 15b Abs. 8 InsO (Steuerangelegenheiten)885. Für die vorläufige Eigenverwaltung finden die §§ 60 ff. InsO für den Schuldner wie auch den gesetzlichen Vertreter über § 276a Abs. 2 und 3 InsO als lex specialis jedenfalls partiell vorrangig Anwendung.886 Unabhängig hiervon wird man jedoch die in § 15b InsO eingeflossenen Überlegungen des Gesetzgebers für die Bewertung, ob die handelnden Personen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Schuldners wie auch gesetzlichen Vertreters in der vorläufigen Eigenverwaltung gehandelt haben, nutzbar machen können. Wer ob der Gesetzesfassung von § 15b Abs. 8 InsO, der ausschließlich die Pflichtenkollision im Steuerbereich löst und Sozialversicherungsangelegenheiten nicht anspricht oder sich sonst unsicher ist, ob eine Zahlung dem in § 15b InsO angelegten Prüfungsmaßstab ge-
882 A.A. Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 11, der dem Schuldner die Verfügungsbefugnis absprechen will. Mit der Kassenführung soll der vorläufige Sachwalter Verfügungsberechtigter werden i.S.v. § 35 AO, Krüger, ZInsO 2021, 2069 (2071) m.w.N. 883 So zu § 57 VerglO: BGH v. 19.5.1988 – III ZR 38/87, MDR 1988, 1036 = WM 1988, 1222 ff. 884 Wie hier Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 5; a.A. Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 275 Rz. 28. 885 Bitter, ZIP 2021, 321 (328), plädiert wegen der identischen Interessenlage (§ 266a StGB einerseits, §§ 34, 69 AO andererseits) primär für eine analoge Anwendung von § 15b Abs. 8 InsO unter Hinweis darauf, dass dieses Ergebnis auch durch den veränderten Ansatz des § 15b Abs. 2 und 3 InsO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 5. Strafsenats, BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2013 ff., zu erreichen ist. So auch Frind, ZIP 2021, 171 (174), Fn. 28, der die Massesicherung, wie sie § 15b Abs. 8 InsO für Steuern regelt, aus der Gesetzesbegründung zu § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO für den Bereich der Sozialversicherungsbeiträge ableitet; siehe hierzu auch Regierungsentwurf zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 189 ff., und Bericht des Rechtsausschusses zum SanInsFoG, BT-Drucks. 19/ 25353 v. 16.12.2020, S. 11 ff. 886 Regierungsentwurf zum SanInsFoG: § 15b Abs. 2 und 3 InsO, BT-Drucks. 19/24181 v. 9.11.2020, S. 190. Hingegen soll § 15b Abs. 8 InsO gerade auch in der vorläufigen Eigenverwaltung Anwendung finden, Bericht des Rechtsausschusses zum SanInsFoG: § 15b Abs. 8 InsO, BT-Drucks. 19/25353 v. 16.12.2020, S. 12.
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II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 778 § 3 nügt, wird weiterhin fristgerechte Zahlungen anfechtbar zu gestalten haben, indem vor der Zahlung der Zahlungsempfänger von dem Eröffnungsantrag in Kenntnis gesetzt und unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet wird.887 Dadurch kann die Chance erhalten bleiben, eine schuldhafte Pflichtverletzung beim Schuldner oder dem gesetzlichen Vertreter zu vermeiden, weil allein die Kassenführung beim vorläufigen Sachwalter die handelnden Personen nicht entlasten kann.888 Mit der späteren Anfechtung scheidet eine Strafbarkeit und Haftung aus.889 Dies alles gilt, solange keine Anordnung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß der §§ 270c Abs. 4, 55 Abs. 2 InsO erfolgt ist.890 Der Schuldner hat zudem die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers an die Finanzbehörden abzuführen. Der mit dem SanInsFoG geänderte § 55 Abs. 4 InsO gilt nun auch für die vorläufige Eigenverwaltung, womit Umsatzsteuerverbindlichkeiten, sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern, die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und die Lohnsteuer in jedem Fall und unabhängig von einer Anordnung gem. § 270c Abs. 4 InsO den Charakter von Masseverbindlichkeiten mit der Verfahrenseröffnung erlangen. Praktische Auswirkungen werden sich im Arbeitnehmerbereich nur bei Überschreitung des Insolvenzgeldzeitraums ergeben, weil innerhalb des Zeitraums die Bundesagentur für Arbeit die Nebenkosten des Lohns abführt. Nicht erfasst von § 55 Abs. 4 InsO wird der Bereich der Ertragsteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer).
Wird der Schuldner gem. § 279 Satz 1 InsO tätig, soll er die ihm zugewiesenen Rechte aus den §§ 103 bis 129 InsO (vgl. § 11 zu den gegenseitigen Verträgen) nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben, § 279 Satz 2 InsO. Ein Verstoß gegen die Abstimmungspflicht hat jedoch keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Rechtshandlung im Außenverhältnis (zu möglichen Folgen vgl. Rz. 622).891
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Im Rahmen der Verwertung des Sicherungsguts durch den Schuldner soll mit dem Sachwalter Einvernehmen hergestellt werden, § 282 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO. Ein Verstoß gegen das Einholen des Einvernehmens oder die Durchführung der Maßnahme entgegen des Widerspruchs des Sachwalters hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Rechtshandlung im Außenverhältnis (zu möglichen Folgen vgl. Rz. 622).892
777
f) Zustimmungsvorbehalte Die Kündigung von Betriebsvereinbarungen (§ 120 InsO), die Klage auf Zustimmung zur Betriebsänderung (§ 122 InsO) sowie den Antrag zur Beschlussfassung des ArbG zum Kündigungsschutz 887 Kritisch zur Anfechtung: Brückl/Bellmann, ZInsO 2015, 1173 ff.; wie hier: Hiebert, ZInsO 2015, 1242 ff.; Gortan, NZI 2016, 982 ff.: Ein gangbarer Weg, aber nur für liquiditätsstarke Unternehmen. Das Dilemma des Hin- und Herzahlens der Praxislösung aufzeigend: Eckert/Holze, ZInsO 2018, 2375 ff. m.w.N. Siehe hierzu auch Arend/Tenbergen, InsbürO 2019, 241 ff. Der von Hingerl, ZInsO 2021, 1010, 1011, skizzierte Weg mit einem Zustimmungsvorbehalt für den vorläufigen Sachwalter gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 InsO ist mit § 270c Abs. 3 InsO zwischenzeitlich versperrt, auch wenn der Schuldner dies beantragt. 888 Ein Widerspruch des (vorläufigen) Sachwalters gegen die Zahlung i.S.v. § 275 InsO reicht nicht aus, damit sich der Schuldner entlastend auf Unmöglichkeit berufen kann, FG Münster v. 16.5.2018 – 7 K 783/17, ZInsO 2018, 2320 ff., unter Bezugnahme auf BFH v. 26.9.2017 – VII R 40/16, ZInso 2018, 101 ff., zur Zahlung von Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen: Solange der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis inne hat, liegt die haftungsrechtliche Verantwortung gemäß der §§ 69, 34 und 35 AO bei ihm. 889 Ausführlich dazu auch Bork, KTS 2017, 189 ff., 224, der die Zahlungspflicht ab Antragstellung aufgrund der Massesicherungspflicht für grundsätzlich suspendiert hält. Nur die Begründung von Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 2 InsO führen zu einer Zahlungspflicht. Das Kassenführungs- sowie das Widerspruchsrecht des vorläufigen Sachwalters nach § 275 InsO führen zu einer faktischen Unmöglichkeit, womit eine Zahlung nicht zumutbar sei. 890 BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZInsO 2016, 1421 ff. 891 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 536. 892 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 539, dort mit dem Verweis auf die Gesetzesbegründung zu § 340 Satz 2 RegE InsO (§ 279 Satz 2 InsO).
Frank | 359
778
§ 3 Rz. 778 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (§ 126 InsO) kann der Schuldner wirksam nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben, § 279 Satz 3 InsO (vgl. Rz. 629). Daneben kann die Gläubigerversammlung mittels Antrags die Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte durch das Insolvenzgericht anordnen lassen und damit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners weiter begrenzen, § 277 InsO (vgl. Rz. 676).
g) Insolvenzplan 779
Obwohl die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner liegt, kann die Gläubigerversammlung den Sachwalter beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten, § 284 Satz 1 InsO. Dies wird in der Regel dann sinnvoll sein, wenn nicht schon der Schuldner die Möglichkeit zur Erarbeitung eines Sanierungskonzepts im Schutzschirmverfahren genutzt hat und nun die Gläubiger initiativ werden wollen oder sich neben der im Schutzschirmverfahren nur umzusetzenden Eigensanierung eine alternative Insolvenzabwicklung anbietet, bspw. in Form einer übertragenden Sanierung (zum Schutzschirmverfahren s. Rz. 577 ff.). Der Sachwalter kann über diesen Weg Vorschläge zur alternativen Insolvenzbewältigung gemäß der §§ 1 Satz 1 Halbs. 2, 217 ff. InsO einbringen und unabhängig von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners und einer unmittelbaren Betroffenheit den Gläubigern einen ausgearbeiteten Insolvenzplan zur Erörterung und Abstimmung vorlegen.893 Im Eröffnungsverfahren ist der vorläufige Gläubigerausschuss berechtigt, dem vorläufigen Sachwalter oder dem Schuldner die Planerstellung aufzugeben, § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO. Mit der Beauftragungsmöglichkeit bereits im Eröffnungsverfahren sollen mögliche Sanierungen beschleunigt werden. Hierbei geht der Gesetzgeber erkennbar von der Einbindung des vorläufigen Sachwalters aus, auch wenn er den Schuldner als per se Planvorlageberechtigten ebenso als Auftragnehmer bezeichnet hat. Wird der Auftrag nicht dem (vorläufigen) Sachwalter, sondern dem Schuldner erteilt, hat der (vorläufige) Sachwalter an der Planerstellung beratend mitzuwirken, § 284 Abs. 1 Satz 3 InsO. Erfolgt dies nicht, kann der Insolvenzplan gleichwohl nicht über § 231 InsO zurückgewiesen oder aber die Bestätigung nach § 250 InsO versagt werden.894 Der (vorläufige) Sachwalter hat kein originäres Planvorlagerecht vergleichbar dem Insolvenzverwalter gem. § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO.895
780
Die Überwachung der Planerfüllung ist gem. § 284 Abs. 2 InsO Aufgabe des Sachwalters.896
781
Hinweis: Dies ist aber nicht so zu verstehen, dass ausschließlich der Sachwalter die Planerfüllung überwachen darf, sondern stellt klar, dass die Planüberwachung nicht durch den eigenverwaltenden Schuldner möglich ist. Die §§ 260 ff. InsO, die die Planüberwachung im Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung regeln, ermöglichen, dass neben dem Insolvenzverwalter auch ein Dritter mit der Überwachung betraut werden kann, der dort als namensgleicher „Sachwalter“ tätig wird, allerdings nicht kraft gesetzlicher Regelung bestellt, sondern gläubigerautonom bestimmt wurde (vgl. Rz. 223).897
893 Im Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung können den Plan der Insolvenzverwalter als Inhaber der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis oder unmittelbar Betroffene, nämlich die Gläubigerversammlung gem. § 157 Satz 2 InsO qua Auftrag an den Insolvenzverwalter, bzw. der Schuldner einreichen. 894 Lüer/Streit in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 51, zur vergleichbaren Problematik beim Verwalterplan und dem Mitwirkungsrecht gem. § 218 Abs. 3 InsO; auch Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 10. 895 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 284 Rz. 2; Kern in MünchKomm/InsO, § 284 Rz. 16. 896 Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 275 Rz. 8, geht deshalb davon aus, dass auch die Zustimmung zur Aufnahme in den Kreditrahmen gem. § 264 Abs. 2 InsO vom Sachwalter vorzunehmen ist. 897 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 519 und 540.
360 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 785 § 3
h) Partielles Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse In Durchbrechung des Grundsatzes der Ausübung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis durch den Schuldner hat der Sachwalter die Haftung nach den §§ 92 und 93 InsO geltend zu machen und Rechtshandlungen des Schuldners nach den §§ 129 bis 147 InsO anzufechten, § 280 InsO898 (zur Insolvenzanfechtung vgl. auch die Ausführungen in § 13). Der Schuldner, gegen den sich ein solcher Anspruch häufig richtet, soll nicht gegen sich selbst tätig werden müssen. Die vom Sachwalter so vorgenommenen Rechtshandlungen wirken unmittelbar für und gegen die Insolvenzmasse. Der Schuldner ist auch für diesen Fall zur Zusammenarbeit mit dem Sachwalter verpflichtet. Wird der Sachwalter tätig, hat er dem Schuldner entsprechende Informationen zu geben, damit dieser in der Erstellung der Verzeichnisse und der Vermögensübersicht zur Information der Gläubiger entsprechende Ansätze vornehmen kann. Dies entbindet den Sachwalter nicht, im Berichtstermin dies in seine eigene Stellungnahme aufzunehmen.899 Die Erlöse hieraus sind schlussendlich an den Schuldner herauszugeben bzw. ihm zur Verfügung zu stellen. Die dem Sachwalter vorbehaltene Kassenführung (soweit er diese an sich zieht) berechtigt ihn nicht, über so vereinnahmte Gelder zu verfügen.900
782
i) Rechtsstellung des Sachwalters An die Stelle des Insolvenzverwalters tritt in der Eigenverwaltung der Schuldner. Der Sachwalter ist dagegen ein sachkundiger und unparteiischer Gehilfe des Insolvenzgerichts im Interesse der Gläubiger.901 Gleichwohl kommt mit seinem Aufgabenbereich eine insolvenzverwalterähnliche Stellung zum Ausdruck, so dass § 274 Abs. 1 InsO für die Bestellung, die Aufsicht des Insolvenzgerichts, die Vergütung und die Haftung des Sachwalters auf die für den Insolvenzverwalter geltenden Vorschriften verweist (zur Haftung vgl. Rz. 800 ff.).
783
Hinweis: Ob ein Rechtsanwalt oder eine sonst vom Schuldner im Vorfeld beauftragte Person als Sachwalter bestellt werden kann, hängt davon ab, welchen Inhalt der erteilte Auftrag hatte. Die rechtlich oder wirtschaftlich klassisch beratende Person, die im Lager des Schuldners stand/steht, wird hierzu aufgrund möglicher Interessenkollisionen regelmäßig nicht in der Lage sein. Anderes gilt dagegen, soweit der Auftrag einem neutralen Dritten/Gutachter erteilt worden ist oder der Angefragte allgemein über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat.902 Neben der Vorfeldberatung kann eine allgemeine, nicht insolvenzspezifische Prozess- und Beratungstätigkeit während des Verfahrens in Betracht kommen, die dem Sachwalter ebenso verwehrt ist (s. schon Rz. 341).
784
Der Sachwalter wird demnach vom Insolvenzgericht unter Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß der §§ 56 f. InsO bestimmt, wobei die erste Gläubigerversammlung nach der Bestellung einen anderen Sachwalter im freien Ermessen mehrheitlich nach Summen- und Kopfmehrheit
785
898 Daraus folgt auch, dass solche Ansprüche allein nicht gegen die Anordnung der Eigenverwaltung sprechen; AG Köln v. 17.9.1999– 71 IN 28/99, NZI 1999, 466. Pape in Kübler/Prütting/Bork, Insolvenzordnung, § 280 Rz. 9, beschreibt die dadurch mögliche Konfliktsituation und zieht den Schluss, eine solche Konstellation sei für die Eigenverwaltung weniger geeignet. 899 Brünkmans in HK/InsO, § 281 Rz. 4. 900 Buchalik/Hiebert, ZInsO 2015, 1953 ff. 901 Hess in Hess, Insolvenzrecht, § 275 Rz. 2, spricht von der Kontrolle des Schuldners. Frind, InsbürO 2016, 14 ff.: Der Sachwalter ist nicht der Berater des Schuldners und hat auch nicht Mängel in der Verfahrensführung des Schuldners zu substituieren. 902 So auch Fiebig in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, § 274 Rz. 4; Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 274 Rz. 4; Vallender, WM 1998, 2129 ff.; weniger streng Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 274 Rz. 3; ohne Differenzierung LG Cottbus v. 17.7.2001 – 7 T 421/00, ZIP 2001, 2188. Wehdeking in Rattunde/Smid/Zeuner, Insolvenzordnung, § 274 Rz. 6, zeigt jenseits der rechtlichen Vorgaben den berufsrechtlichen Konflikt auf, wenn in der Praxis (nicht unüblich) eine unterstützende Tätigkeit des Sachwalters im Aufgabenbereich des Schuldners erbracht wird.
Frank | 361
§ 3 Rz. 785 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung der abstimmenden Gläubiger wählen kann, den das Insolvenzgericht nur in Fällen der Nichtgeeignetheit ablehnen kann, ansonsten aber zu bestellen hat, § 57 InsO. 786
Das Insolvenzgericht kann als Aufsichtsmaßnahme jederzeit Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung vom Sachwalter verlangen, § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO. Bei Pflichtverletzungen des Sachwalters können durch Beschluss Zwangsgelder festgesetzt werden, § 58 Abs. 2 InsO. Liegt ein wichtiger Grund vor, kann der Sachwalter auch aus seinem Amt entlassen werden, § 59 InsO.
787
Durch den Verweis auf die Vergütungsvorschriften des Insolvenzverwalters ist sichergestellt, dass die Vergütung und die Auslagen des Sachwalters zu den Kosten des Insolvenzverfahrens gehören und vorab zu befriedigen sind, § 54 Ziff. 2 InsO.903 Die Vergütung des Sachwalters wird festgesetzt, wobei der Sachwalter Anspruch auf Vergütung seiner Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen hat, §§ 63 Satz 1, 64 Abs. 1 InsO. Die Höhe wird durch die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung bestimmt, wonach der Sachwalter für den Regelfall 60 % der für den Insolvenzverwalter bestimmten Vergütung erhält, § 12 Abs. 1 InsVV. Wird der Sachwalter im Rahmen optionaler Regelungen in der Eigenverwaltung tätig, bspw. gem. § 277 Abs. 1 InsO, oder rechtfertigen sonst Umfang und Schwierigkeit in der Geschäftsführung Abweichungen zum Regelsatz, ist eine erhöhte Vergütung gem. § 12 Abs. 2 InsVV festzusetzen. Der Sachwalter kann einen pauschalierten Auslagenersatz geltend machen, der Höhe nach allerdings begrenzt auf die Hälfte des Betrages, den der Insolvenzverwalter einfordern kann, § 12 Abs. 3 InsVV.
788
Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters wird in § 12a InsVV geregelt.904 Hierbei sind Art, Dauer und Umfang der Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters zu berücksichtigen, § 12a Abs. 3 InsVV. Er erhält für den Regelfall 25 % der Vergütung des Sachwalters bezogen auf das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt. Vermögensgegenstände, an denen bei Verfahrenseröffnung Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, werden bei der Wertermittlung berücksichtigt, sofern sich der vorläufige Sachwalter in erheblichem Umfang mit ihnen befasst hat bzw. bleiben unberücksichtigt, sofern der Schuldner die Gegenstände lediglich auf Grund eines Besitzüberlassungsvertrages in Besitz hat, § 12a Abs. 1 InsVV. Ergibt sich im Laufe des Verfahrens wegen erst dort vorgenommener Maßnahmen eine bessere Kenntnis zum Wert, ist spätestens mit Vorlage der Schlussrechnung auf eine Abweichung hinzuweisen, soweit diese den Gesamtwert um mehr als 20 % übersteigt, § 12a Abs. 2 InsVV. Der vorläufige Sachwalter kann wie der Sachwalter einen pauschalierten Auslagenersatz geltend machen, § 12a Abs. 5 i.V.m. § 12 Abs. 3 InsVV.
789
Hat das Insolvenzgericht den vorläufigen Sachwalter als Sachverständigen gesondert beauftragt zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen, so erhält er gesondert eine Vergütung nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz, § 12a Abs. 4 InsVV.
8. Rechtsschutz der Betroffenen 790
Nur in den von der Insolvenzordnung ausdrücklich genannten Fällen kann eine Entscheidung des Insolvenzgerichts mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, § 6 InsO. Aufgrund des Verweises in § 11 Abs. 1 RPflG auf das jeweilige Rechtsmittel nach den allgemeinen Vorschriften, sind auch Entscheidungen, die der Rechtspfleger und nicht der Richter als funktional zuständiges Organ des Insolvenzgerichts trifft mit der sofortigen Beschwerde nach § 6 InsO anzufechten. Bedeutung kommt der unterschiedlichen funktionalen Zuständigkeit demnach nur dann zu, wenn im Einzelfall nach § 6
903 Ausführlich Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 274 Rz. 40 ff. 904 Grundlegend noch vor dem SanInsFoG: BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, NZI 2016, 796 ff., BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, MDR 2016, 1291, a.a.O., 963 ff. und BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 91/15, DZWiR 2017, 529 ff.
362 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 794 § 3
InsO kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung vorgesehen ist – soweit der Richter entscheiden würde – und der Rechtspfleger gehandelt hat. In diesen Fällen ist über § 11 Abs. 2 RPflG grds. die Rechtspflegererinnerung statthaft, das Enumerationsprinzip des § 6 InsO gilt nicht (vgl. Rz. 413).905 Hinweis: Zur Rechtsbeschwerde gegen Beschwerdeentscheidungen nach § 6 InsO s. die Ausführungen unter Rz. 417.
791
Die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger sieht gem. § 18 Abs. 1 Ziff. 1 RPflG vor, dass bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluss dieser Entscheidung und der Ernennung des Insolvenzverwalters/Sachwalters der Richter zuständig ist. Alle anderen, nach der eigentlichen Verfahrenseröffnung im Rahmen der Eigenverwaltung zu treffenden Entscheidungen sind grds. vom Rechtspfleger vorzunehmen. Ausgenommen hiervon ist ein nach § 284 InsO initiiertes Planverfahren. Hierfür ist wiederum der Richter zuständig, auch wenn das Planverfahren im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahren durchgeführt wird, § 18 Abs. 1 Ziff. 2 RPflG (zu den dortigen Rechtsbehelfen vgl. Rz. 410 ff.). Dies führt dazu, dass der Richter für das Eröffnungsverfahren zuständig ist, womit auch Entscheidungen in den beiden Ausgestaltungsvarianten des § 270b und § 270d InsO in den Aufgabenbereich des Richters fallen, insbesondere auch die Bestellung des vorläufigen Sachwalters (sofern keine vorläufige Eigenverwaltung angeordnet wird: des vorläufigen Insolvenzverwalters). Die Entscheidung über die Anordnung oder Ablehnung der Eigenverwaltung sowie die damit zusammenhängende Bestellung des Sachwalters oder Insolvenzverwalters, soweit die Entscheidung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu treffen ist, fällt gleichermaßen in den Aufgabenbereich des Richters. Die Zuweisung als Aufgabe des Richters wird mit den im Zusammenhang mit der Verfahrenseröffnung zu treffenden einleitenden Maßnahmen begründet.906
792
Dementsprechend ergeben sich bei üblicher Geschäftsverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger insbesondere die nachfolgenden Rechtsbehelfssituationen:
793
Im Rahmen der Zuständigkeit des Richters sind die im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 20 ff. InsO i.V.m. den §§ 270b und 270c InsO zu treffenden Entscheidungen, bspw. solche zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen oder die Bestellung des vorläufigen Sachwalters, mit den für das Eröffnungsverfahren maßgeblichen Rechtsbehelfen anzufechten (zur Geltung der allgemeinen Vorschriften s. Rz. 536 ff.). Die Anordnung und auch die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens (das als optionales vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren ausgestaltet ist) sind gem. § 270d InsO nicht rechtsmittelfähig; die in diesem Zusammenhang getroffenen sonstigen Entscheidung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 20 ff. InsO sind, wie schon bei § 270b InsO, mit den für das Eröffnungsverfahren maßgeblichen Rechtsbehelfen überprüfbar. § 270 InsO sieht für die beantragte Eigenverwaltung als Teil der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung keinen Rechtsbehelf vor, so dass sowohl die Ablehnung wie auch die Anordnung der beantragten Eigenverwaltung selbständig nicht anfechtbar ist. Die Anordnung der Eigenverwaltung oder deren Ablehnung kann auch nicht (mittelbar) im Wege der sofortigen Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss oder die abgelehnte Verfahrenseröffnung gem. § 34 InsO angefochten werden. Die endgültige Entscheidung, ob das Verfahren mit der Eigenverwaltung geführt wird, ist nicht dem Schuldner selbst oder dem Insolvenzgericht, sondern der Gläubigerversammlung übertragen.907
794
905 Becker in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 6 Rz. 11 ff. 906 Vgl. Radke in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, § 18 Rz. 1 f. 907 Dies klarstellend BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, MDR 2007, 740 = WM 2007, 511 ff., und BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 85/05, MDR 2007, 739 = WM 2007, 513 f., m.w.N. zu den bislang vertretenen Ansichten und unter Hinweis auf AG Köln v. 22.8.2005 – 71 IN 426/05, NZI 2005, 633 ff., wonach die Zusammenfassung mehrerer Maßnahmen in einem einheitlichen Beschluss, die teils anfechtbar, teils unanfechtbar sind, nichts an den (ansonsten fehlenden) Rechtsschutzmöglichkeiten ändert. Im Anschluss an BGH zur Fortgeltung unter ESUG: LG Frankfurt/M v. 13.1.2014 – 2-09 T 66/13, ZIP 2014, 742 f.
Frank | 363
§ 3 Rz. 795 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 795
Alle weiteren Entscheidungen sind aufgrund der Generalzuweisung mit § 3 Ziff. 2 lit. e) RPflG im Eigenverwaltungsverfahren vom Rechtspfleger zu treffen. Soweit die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde gem. § 6 InsO für anwendbar erklärt, ist diese auch statthafter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtspflegers, § 11 Abs. 1 RPflG.
796
Beantragt ein Gläubiger die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270e Abs. 2 InsO, stehen dem antragstellenden Gläubiger sowie dem Schuldner gegen die Entscheidung des Gerichts die sofortige Beschwerde zu, Satz 3. Gegen den Aufhebungsbeschluss nach § 272 InsO stehen dem Schuldner und dem antragstellenden Gläubiger die sofortige Beschwerde zu, soweit das Insolvenzgericht über die Aufhebung der Eigenverwaltung aufgrund eines Gläubigerantrages nach § 272 Abs. 1 Ziff. 4 InsO zu entscheiden hatte, § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO.908 Die Beschwerdebefugnis setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus, welches gläubigerseitig nur gegeben ist, wenn das Gericht die (vorläufige) Eigenverwaltung nicht beendet.
797
Ist der Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung von der Gläubigerversammlung gem. § 272 Abs. 1 Ziff. 3 InsO gestellt worden oder hat dies der Schuldner getan, § 272 Abs. 1 Ziff. 5 InsO, ist gegen die Entscheidung kein allgemeines Rechtsmittel i.S.v. § 11 Abs. 1 RPflG zugelassen. Entsprechendes gilt für die Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung gem. § 271 InsO und den Antrag auf Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit gem. § 277 InsO. In diesen Fällen ist zu unterscheiden: Erfolgt der Antrag aufgrund einer Beschlussfassung der Gläubigerversammlung, ist auch die Rechtspflegererinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG ausgeschlossen, weil ein Beschluss der Gläubigerversammlung nicht anfechtbar ist. Die hierfür grundsätzlich gegebene Möglichkeit über § 78 InsO ist im Eigenverwaltungsverfahren nicht anwendbar (s. schon Rz. 660).909 Entscheidet der Rechtspfleger nicht nach seinem Ermessen, vielmehr ausschließlich aufgrund des bindenden Aufhebungsantrags des Schuldners, ist die Rechtspflegererinnerung gleichfalls unzulässig. Nur soweit die Zustimmungsbedürftigkeit gem. § 277 Abs. 2 InsO auf Antrag eines Gläubigers angeordnet wird, ist gegen die Entscheidung des Rechtspflegers die Rechtspflegererinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG statthafter Rechtsbehelf.
798
Über § 274 Abs. 1 Satz 2 InsO, der auf die §§ 57 Satz 4, 58 Abs. 2 Satz 3, 59 Abs. 2 und 64 Abs. 3 InsO verweist, wird die sofortige Beschwerde zugelassen gegen die Versagung der Bestellung eines durch die Gläubigerversammlung gewählten anderen Sachwalters, gegen einen dem Sachwalter gegenüber ausgesprochenen Zwangsgeldfestsetzungsbeschluss und gegen die Entlassung oder Ablehnung der Entlassung des Sachwalters sowie gegen die Festsetzung seiner Vergütung. Entsprechende Verweise enthält § 274 Abs. 2 Satz 3 auf die §§ 22 Abs. 3 und 98 Abs. 3 InsO, sowie § 281 auf die §§ 153 und 98 Abs. 3 InsO. In diesen Fällen ist die sofortige Beschwerde über § 11 Abs. 1 RPflG zulässiger Rechtsbehelf.
9. Haftungsfragen im Eigenverwaltungsverfahren 799
Für das Eigenverwaltungsverfahren gelten die allgemeinen Regelungen über das Insolvenzverfahren nach den §§ 1 ff. InsO, soweit in den §§ 270 ff. InsO nichts anderes bestimmt ist, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Vorschriften der Insolvenzordnung zur Haftung sowie außerhalb der Insolvenzordnung bestehende Haftungsnormen sind deshalb grds. anzuwenden (vgl. zu den allgemeinen Haftungsfragen
908 Foltis in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 272 Rz. 34, will aufgrund der Dauer eines Rechtsmittelverfahrens bereits einzelne Anordnungen analog der §§ 21, 22 InsO vornehmen lassen und die Handlungsfreiheit des Schuldners einschränken. 909 Radke in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, § 11 Rz. 10 f.; Zipperer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 271 Rz. 4.
364 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 803 § 3
sowie zur Anwendbarkeit der Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens Rz. 509 ff. und Rz. 534), wobei insbesondere folgende Besonderheiten oder Ausnahmen zu berücksichtigen sind910: Die Haftung des Sachwalters richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften zur Haftung des Insolvenzverwalters, § 274 Abs. 1 InsO (vgl. § 9 Rz. 196 ff.). Dies, in der Eigenverwaltung bei grundsätzlicher Geschäftsführungszuweisung an den Schuldner, hat zur Folge, dass die Mitwirkungs- und Überwachungspflichten des Sachwalters bei fremdem Handeln für ihn die volle persönliche Haftungsgefahr begründen. Gemäß § 60 InsO haftet der Sachwalter, soweit er schuldhaft Pflichten verletzt, die ihm von der Insolvenzordnung auferlegt sind. Für den vorläufigen Sachwalter gilt dies entsprechend über die Verweisung in den §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 1, 60 InsO.911 Überschreitet der (vorläufige) Sachwalter den ihm zugewiesenen Aufgabenbereich, wird er also außerhalb seines Amtes tätig, haftet er nach den allgemeinen Regeln.912
800
Grds. nicht anzuwenden ist § 61 InsO, der die Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten regelt, § 274 Abs. 1 InsO. Dies folgt aus der Verwaltungs- und Verfügungszuweisung an den Schuldner.913 Ist dem Sachwalter abweichend von diesem Grundsatz die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis partiell zugewiesen, § 280 InsO, haftet der Sachwalter unmittelbar aus den §§ 60 bis 62 InsO, so dass auch § 61 InsO anwendbar ist und die Haftung für Masseverbindlichkeiten eingreift. Entsprechendes gilt, soweit auf Antrag der Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht angeordnet wurde, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners nur wirksam sind, wenn der Sachwalter ihnen zustimmt. Stimmt der Sachwalter der Begründung einer Masseverbindlichkeit zu, gilt § 61 InsO entsprechend, § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO.914 Für den vorläufigen Sachwalter gilt dies nicht, sein Aufgabenbereich ist auf die §§ 274 und 275 beschränkt (§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO).
801
Gläubigerausschussmitglieder haften nach den allgemeinen Vorschriften über die §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 71 InsO. Stimmen die Gläubigerausschussmitglieder gem. § 276 InsO den Handlungen des Schuldners zu, sind diese besonders gefährdet in Haftung genommen zu werden, wenn der Schuldner die Eigenverwaltung missbraucht.
802
Für den Aussteller der Bescheinigung im Schutzschirmverfahren nach § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO kann im Falle der Aufhebung des Schutzschirmverfahrens gem. § 270e Abs. 1 Ziff. 3 InsO (… die angestrebte Sanierung sich als aussichtlos erweist …), des Scheiterns des Planverfahrens oder dessen Umsetzung keine insolvenzspezifische Pflichtverletzung angenommen werden. Eine Haftung nach allgemeinen Vorschriften lässt sich nur dann begründen, wenn die Bescheinigung einen entsprechenden Vertrauenstatbestand bei den Beteiligten hervorruft, was ersichtlich nicht Sinn und Zweck einer solchen Bescheinigung ist (vgl. insoweit auch die ständige Rechtsprechung des BGH zur Parallelproblematik bei der Unternehmensfortführung im Insolvenzantragsverfahren oder zum Sanierungskredit im Vorfeld der Insolvenz mit Blick auf die Haftung der finanzierenden Bank).915
803
910 Die Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren und die Anwendbarkeit von § 64 GmbHG skizzieren Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009 ff., m.w.N., mit dem Ansatz, die Vermutungswirkung des nicht sorgfältigen Handelns für Zahlungen nach der Insolvenzreife könne durch einen einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses in entsprechender Anwendung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO a.F. widerlegt werden. Zur Geschäftsführerhaftung gem. § 64 Satz 1 GmbHG ebenso Schmidt/ Poertzgen, NZI 2013, 369 ff. Einen kompakten Überblick zur Haftung nach Zivilrecht, Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht des eigenverwalteten Schuldners und seiner Organe geben Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 ff. Hierzu auch Schmittmann/Lemken, InsbürO 2015, 424 ff. 911 Einen kompakten Überblick gibt zum vorläufigen Sachwalter Krämer, NZI 2017, 960 ff. 912 So auch Frind, NZI 2014, 977 ff. 913 Riggert in Braun, Insolvenzordnung, § 274 Rz. 7 f. 914 Kern in MünchKomm/InsO, § 274 Rz. 72 f. 915 BGH v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, MDR 2005, 709 = NZI 2005, 222 ff.; BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 ff.; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553, 556 m.w.N. Zur Haftung vgl. auch Spliedt/Fridgen in Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, § 270b Rz. 22 ff.
Frank | 365
§ 3 Rz. 804 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung 804
Der Eigenverwalter, genauer der eigenverwaltete Schuldner, tritt an die Stelle des im Regelverfahren agierenden Insolvenzverwalters, wenn man einmal die dem Sachwalter vorbehaltenen Aufgaben außen vorlässt. Mit der so im Sinne der Insolvenzordnung ihm belassenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gehen zugleich insolvenzrechtliche Rechte und Pflichten einher, die, trotz des zu seinen Lasten bestehenden Beschlags der Insolvenzmasse gem. § 35 InsO, eine Haftung nach den §§ 60 bis 62 InsO begründen. Handelt der Schuldner über seine Organe, bspw. für die GmbH die Geschäftsführer, haften diese Organe des Schuldners nach den §§ 60 bis 62 InsO, § 276a Abs. 2 und 3 InsO.916
10. Schema: Zeitlicher Ablauf der Eigenverwaltung 805
An der Schnittstelle Anordnung der Eigenverwaltung bzw. deren Aufhebung entscheidet sich, ob ein Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung oder ein Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung durchzuführen ist. Das nachfolgende Schaubild zeigt der besseren Übersichtlichkeit wegen die besonderen Regelungen der Eigenverwaltung auf, ohne auf den grundsätzlichen Ablauf eines Insolvenzverfahrens einzugehen.
916 Für die Zeit vor dem SanInsFoG grundlegend: BGH. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, MDR 2018, 825 = NZI 2018, 519 ff., mit Anmerkung von Weber, a.a.O., 553 ff.; dazu auch Schulte-Kaubrügger, ZIP 2019, 345 ff., sowie Poertzgen, ZInsO 2019, 2352 ff. Gegen die analoge Anwendung der §§ 60 ff. InsO auf die Organe des Schuldners unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH noch Spliedt, DZWiR 2021, 1 ff. Die Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz mit dem SanInsFoG beleuchtet Bitter, ZIP 2021, 321 ff., der zudem für eine analoge Anwendung des § 15b InsO neben den §§ 60 ff. InsO im Eröffnungsverfahren plädiert.
366 | Frank
II. Beratung bei Eigenverwaltung | Rz. 806 § 3
806
Frank | 367
§ 3 Rz. 806 | Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
368 | Frank
§4 Beratung im Konzern – insbesondere Konzernsanierung im Insolvenzverfahren und nach StaRUG I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (KIG) . 1. Sinn und Zweck des KIG . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich des KIG . . . . . . . . 3. Separate Prüfung von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unter Beachtung der Konzerneinbindung . . . . . . . 4. Besonderheiten im Cash-Pool . . . . . . . a) Funktion des Cash-Pools . . . . . . . . b) Pflichten der Geschäftsführer einer im Cash-Pool angebundenen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit anhand eines Liquiditätsstatus . . . . d) Konzernliquiditätsplanung und Zahlungsfähigkeitsprüfung . . . . . . . 5. Rolle der Konzernspitze . . . . . . . . . . . . III. Zentrale vs. koordiniert dezentrale Verfahrensabwicklung . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahrenszentralisierung . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtskonzentration durch Gruppengerichtsstand nach § 3a InsO . . . . . . . . a) Strategische Bedeutung für die Konzernsanierung . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gruppen-Gerichtsstand nach §§ 3a–3d InsO . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konzept der Wahlfreiheit . . . . . bb) Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit des GruppenAntrags . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zulässiger Insolvenzantrag bei örtlich zuständigem Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Berechtigung des Antragsstellers für einen GruppenAntrag . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Exkurs: Vermeidung konkurrierender Insolvenzanträge . (3) Zwingende Angaben im Gruppen-Antrag . . . . . . . . (4) Begründetheit: Verfahrenskonzentration im Interesse der Gläubiger . . . . . . . . . . . cc) Entscheidung und Wirkung . . .
1 7 7 9
13 18 18
3.
20 22 27 31 32 33 33 34 34 37 38 40 41 41 45 51 52 53 56
V. 1. 2.
dd) Nachträgliche Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand . . . . . . . (1) Verweisung von Amts wegen, § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO . . . . (2) Verweisung auf Antrag eines Schuldners, § 3d Abs. 1 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtsfolge einer Verweisung ee) Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Verfahrensstrukturen zur Bewältigung von Gruppeninsolvenzen . . . a) Strategische Erwägungen . . . . . . . . . b) Eigenverwaltung als Instrument der Konzernsanierung? . . . . . . . . . . . . . c) Der Gruppen-Insolvenzverwalter . . aa) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzung für die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . (1) Im Interesse der Gläubiger . (2) Potentielle Interessenkonflikte als Hindernis? . . . . . . . (3) Auflösung potentieller Interessenkonflikte durch Sonderinsolvenzverwalter und Dokumentationspflicht . . . . . . cc) Abweichung vom Gläubigerausschussvotum, § 56a Abs. 2 InsO . d) Gruppen-Gläubigerausschuss . . . . . aa) Funktion und Aufgabe des Gruppen-Gläubigerausschusses . bb) Voraussetzungen für die Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Eröffnung des räumlichen und sachlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Antrag beim Gericht des Gruppen-Gerichtsstandes . . (3) Anhörung . . . . . . . . . . . . . . cc) Entscheidung des Gerichts . . . . . dd) Besetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses . . . . . . . . . . . . . . ee) Auf den Gruppen-Gläubigerausschuss anwendbare Vorschriften Dezentrale Verfahrensabwicklung . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kooperationspflichten zwischen den Verfahrensorganen . . . . . . . . . . . . . . . .
61 61 62 64 65 67 67 68 73 73 77 78 82
83 87 88 88 90 90 91 93 94 96 97 98 98 99
Brünkmans | 369
§ 4 | § 4 Beratung im Konzern a) Insolvenzverwalter/Eigenverwalter und Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick, sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich . . . . . bb) Inhalt der Kooperationspflichten (1) Pflicht zur Unterrichtung und Zusammenarbeit, § 269a Satz 1 InsO . . . . . . . . (a) Unterrichtungspflicht . . . . . (b) Pflicht zur Zusammenarbeit (c) Grenzen der Unterrichtungsund Kooperationspflichten . . (2) Pflicht zur Mitteilung von Informationen, § 269a Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Durchsetzung der Kooperationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kooperationspflichten der Gerichte . aa) Überblick, sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich . . . . . bb) Inhalt der Kooperationspflichten (1) Zusammenarbeit . . . . . . . . . (2) Informationspflichten . . . . . (3) Grenzen der Kooperationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Durchsetzung der Kooperationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Koordinationsverfahren . . . . . . . . . a) Überblick, sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen für die Einleitung des Koordinationsverfahrens . . . . . . aa) Zulässigkeit des Antrags auf Einleitung eines Koordinationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anhörung und Beiziehung der Verfahrensakten . . . . . . . . . . . . . cc) Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . c) Einleitung des Koordinationsverfahrens und Bestellung eines Koordinationsverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrenskoordinator . . . . . . . . . . . aa) Bestellung durch Beschluss des Koordinationsgerichts . . . . . . . . bb) Anforderungen an den Verfahrenskoordinator . . . . . . . . . . . . . cc) Aufgaben und Rechtsstellung des Verfahrenskoordinators . . . . . . . dd) Vergütung des Verfahrenskoordinators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Koordinationsplan . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Planinitiativrecht . . . . . . . . . (2) Zustimmung des GruppenGläubigerausschusses . . . . .
370 | Brünkmans
99 99 102 103 103 104 106 107 109 112 112 115 115 118 119 122 123 123
VI. 1.
2. VII. 1. 2.
125 125 128 129
130 131 131
3.
132 4. 135 138 139 139 140 140 141
(3) Vorlage und Prüfung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . (4) Entscheidung des Koordinationsgerichts . . . . . . . . . . . . cc) Inhalt des Koordinationsplans . . (1) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . (2) Konzernsanierungskonzept, § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vorschläge zur Beseitigung gruppeninterner Streitigkeiten, § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . (4) Insolvenzverwalteranträge, § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bindungswirkung des Koordinationsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . Einbeziehung nicht insolventer Gruppen-Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . Koordination der Verfahren über die verbleibende gesellschaftsrechtliche Konzernleitungsmacht . . . . . . . . . . . . . Gruppeninterne Drittsicherheiten, § 223a InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koordinierte Insolvenzpläne in den Einzelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ableitung koordinierter Insolvenzpläne aus dem Konzernsanierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsetzung koordinierter Insolvenzpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einreichen koordinierter Insolvenzpläne beim Insolvenzgericht bb) Erörterungs- und Abstimmungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gerichtliche Bestätigung/Verknüpfung der koordinierten Insolvenzpläne . . . . . . . . . . . . . . Der Koordinationsplan nach § 269h InsO als „Masterplan“ der Konzernsanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelung von Drittsicherheiten einer Konzerntochter im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gruppeninterne Drittsicherheit bb) Inhaltliche Anforderungen an Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten . . . . . . . . . . . .
142 144 145 145 147
149 150 151 155
155 161 162 162 164
164 170 170 172 173
175
178 178 182 182 186
I. Mandatssituation | Rz. 2 § 4
VIII. IX. 1. 2. 3.
(1) Ausdrückliche Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . (2) Mögliche Eingriffe . . . . . . . (3) Keine materielle Insolvenz des verbundenen Unternehmens erforderlich . . . . . . . . cc) Ausführungen im darstellenden Teil des Insolvenzplans . . . . . . . dd) Bildung einer Gruppe für Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO) . . . . . ee) Angemessene Entschädigung . . ff) Zustimmung des verbundenen Unternehmens . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten im Verfahren . . . . . aa) Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Obstruktionsverbot . . . . . . . . . . d) Wirkung und Rechtsfolge . . . . . . . . Fortbestand von Unternehmensverträgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernsanierung durch StaRUG . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernleitungsmacht nach StaRUGVerfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppengerichtsstand . . . . . . . . . . . . .
186 187 188 189
190 191 192 194 194 195 198 199 200 200
4. Kooperations- und Koordinationsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Koordinierte Restrukturierungspläne in den Einzelverfahren . . . . . . . . . . . . . 6. Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff durch Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . (1) Gruppeninterne Drittsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zulässiger Eingriff . . . . . . . . (3) Angemessene Entschädigung, § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG . . . . . . . . . (4) Gruppenbildung . . . . . . . . . (5) Zustimmungserklärung des Drittsicherungsgebers . . . . . bb) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . 8. Internationale Aspekte . . . . . . . . . . . . . X. Europäisches Konzerninsolvenzrecht, Art. 56 bis 70 EuInsVO . . . . . . . . . . . . .
207 208 210 210 212 212 212 215 216 220 221 222 223 225 227 230
201 204
I. Mandatssituation Im Rahmen der Beratung des Schuldners trifft der Rechtsanwalt häufig auf Konzernverhältnisse. Dabei stehen nicht die medienwirksamen Großinsolvenzen, wie etwa Wirecard, Arcandor, Schlecker oder Babcock-Borsig im Vordergrund der alltäglichen Beratungspraxis. Auch viele kleine und mittelständische Unternehmen operieren innerhalb eines Konzernverbundes.1 Vor dem Hintergrund ist es notwendig, dass Rechts- und Sanierungsberater die konzernspezifischen Besonderheiten des Insolvenzund Sanierungsrechts kennen.
1
Nach dem Aktienrecht (§ 18 AktG) stellt ein Konzern die Verbindung zwischen einem herrschenden und einem oder mehreren beherrschten Unternehmen unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens dar. In der Praxis kommen daher unterschiedliche Konzernstrukturen vor, die sich häufig nach Funktion, Zentralisierung und wirtschaftlicher Verflechtung unterscheiden. Nicht selten bildet der Konzern das eigentliche Unternehmen als betriebswirtschaftliche Einheit produktiver Ressourcen und nicht der (Teil-)Betrieb der einzelnen Gesellschaft.2
2
1 S. Verweise auf empirische Daten bei Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 97. 2 Zu den Konzernstrukturen und Auswirkung auf das Konzerninsolvenzrecht ausführlich Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen (im Folgenden „Koordinierung“), 27 ff., 41 ff., 66 ff.
Brünkmans | 371
§ 4 Rz. 3 | § 4 Beratung im Konzern 3
Bei einem zentral geführten und funktional integrierten Konzern tritt aufgrund der betriebswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Verflechtung des Konzerns3 die Insolvenz in der Regel nicht isoliert bei einer Konzerngesellschaft auf. Vielmehr wird mit Eintritt der Insolvenz bei einer Konzerngesellschaft wegen des dann eintretenden Wertberichtigungsbedarfs häufig eine Kettenreaktion ausgelöst, welche die Insolvenz auf andere Gesellschaften überträgt (sog. „Domino-Effekt“).4 Stellt ein im Konzernverbund integrierter Schuldner fest, dass Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorliegt, stellt sich damit im Konzerngesamtkontext immer auch die Frage, ob dadurch bei anderen Konzerngesellschaften die Insolvenz ausgelöst wird. Dieser Dominoeffekt wird noch verstärkt, wenn im Konzern ein zentrales Liquiditätsmanagement über einen Cash-Pool besteht. Besonderheiten in der Beratung konzernverbundener Schuldner ergeben sich somit bereits bei der Feststellung, ob überhaupt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt (vgl. dazu Rz. 13 ff.).
4
Daneben bestehen Besonderheiten beim Insolvenzantrag und Gang des Insolvenzverfahrens, die insbesondere bei einer geplanten Sanierung im Insolvenzverfahren zu beachten sind (dazu Rz. 32 ff.). Ohne durch den Schuldner (Konzernspitze) oder Berater koordinierte und gründlich vorbereitete Insolvenzanträge besteht die Gefahr, dass der Konzern als Unternehmen und als Verbundwert zerbricht und eine im Einzelfall optimale Konzerngesamtsanierungs- oder Verwertungsstrategie nicht mehr umsetzbar ist, denn im Insolvenzeröffnungsverfahren – spätestens jedoch im Insolvenzverfahren – geht die Konzernleitungsmacht der Konzernspitze gegenüber den insolventen Tochtergesellschaften verloren: Weder der Insolvenzverwalter noch der Geschäftsführer in der Eigenverwaltung unterliegen den gesellschaftsrechtlich vermittelten Weisungsrechten (§ 37 Abs. 1 GmbHG, § 308 AktG), die vorinsolvenzlich den Konzern im Rahmen einer hierarchischen Führungsstruktur zusammengehalten haben.5 Die Konzernleitungsmacht geht vor dem Hintergrund des § 276a InsO im Wesentlichen auch dann verloren, wenn für die einzelnen Konzerngesellschaften die (vorläufige) Eigenverwaltung angeordnet wurde.6
5
Um dem Auseinanderbrechen des Gesamtkonzerns entgegen zu wirken, hat der Gesetzgeber das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (KIG) verabschiedet, welches am 21.4.2018 in Kraft getretenen ist.7 Das KIG stellt eine Vielzahl von Koordinationsmechanismen zur Verfügung, welche die beschriebenen Zentrifugalkräfte einer Konzerninsolvenz zugunsten wertoptimierender Gesamtverwertungsstrategien eindämmen (s. ausführlicher Rz. 7 ff.). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit dem am 1.1.2021 in Kraft getretenen SanInsFoG erstmals die Möglichkeit eröffnet (vgl. § 223a InsO), über einen Insolvenzplan in gruppeninterne Drittsicherheiten (z.B. bei einem Schuldbeitritt der Tochter) einzugreifen (s. dazu Rz. 178 ff.). Auch das ebenfalls am 1.1.2021 in Kraft getretene StaRUG sieht besondere Vorschriften für die Sanierung von Unternehmensgruppen vor.
6
Auch der europäische Verordnungsgeber hat mit der revidierten Fassung der Europäischen Insolvenzordnung vom 20.5.2015 (VO (EU) 2015/848) nunmehr besondere Vorschriften für die Bewältigung von grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen erstmals eingeführt (s. dazu Rz. 230 ff.).
3 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 55 f.; K. Schmidt, ZIP 2012, 1053, 1053. 4 Ausführlich s. Brünkmans, Koordinierung, S. 69 ff.; s. auch Siemon/Frind, NZI 2013, 1 ff. 5 Acher, Vertragskonzern und Insolvenz 1987, S. 119; Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 291 ff.; Brünkmans, Koordinierung, S. 73 ff.; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 529, 548; Hengeler/Hoffmann-Becking, FS Hefermehl, S. 283, 286; Mertens, ZGR 1984, 542, 550; Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz, S. 93. 6 Brünkmans in Kayser/Thole, HKInsO, § 276a Rz. 2; vgl. aber Vallender, NZI 2020, 761, welcher die Aufrechterhaltung einer faktischen Leitungsmacht betont. 7 BGBl. 2017 I 866.
372 | Brünkmans
II. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (KIG) | Rz. 9 § 4
II. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (KIG) 1. Sinn und Zweck des KIG Das KIG zielt auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger der einzelnen im Insolvenzverfahren befindlichen Konzerngesellschaften ab. Maßnahmen zur Förderung von Konzerngesamtsanierungsoder Verwertungsstrategien dürfen Gläubiger der einzelnen Konzerngesellschaften nicht schlechter stellen als bei der Einzelabwicklung und insgesamt muss durch das Gesamtkonzept ein Mehrwert entstehen (Pareto-Prinzip).8 Dem aus dem US-amerikanischen Recht bekannten Prinzip der Bildung einer einheitlichen Konzerngesamtinsolvenzmasse bestehend aus der Addition der Einzelmassen (Substantive Consolidation), wonach Vermögensgegenstände und Gläubiger der einzelnen Konzernglieder gewissermaßen „in einen Topf“ geworfen werden,9 hat der Gesetzgeber hingegen eine Absage erteilt. Eine materielle Konsolidierung würde das Prinzip der Haftungstrennung, ein wesentliches Dogma des deutschen Konzernrechts, in Frage stellen. Die Folge der Auflösung der Haftungstrennung wäre die Egalisierung der Quoten der Gläubiger. Die Attraktivität der Konzernbildung liegt gerade darin, separate Haftungs- und Risikoeinheiten unter einer einheitlichen Leitung bilden zu können. Diese Haftungsseparierung muss sich aber gerade in der Insolvenz bewähren.10
7
Das Gesetz enthält vielmehr Elemente der Verfahrenszentralisierung und Verfahrenskoordinierung. Im Ausgangspunkt wird für jedes Konzernglied ein Insolvenzverfahren eröffnet und jedes Insolvenzverfahren hat seine eigenen Verfahrensorgane Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter/Sachwalter, Gläubigerversammlung und ggf. Gläubigerausschuss. Eine Zentralisierung dieser Verfahren wird jedoch durch die Schaffung eines Konzerngerichtsstandes (§§ 3a–3e InsO; ausführlicher Rz. 34 ff.) und die personenidentische Besetzung der Verfahrensorgane, vornehmlich den Insolvenzverwalter/Sachwalter (§ 56b InsO; ausführlicher Rz. 73 ff.), erreicht, so dass die Verwaltung und Verwertung der Konzernmassen „aus einer Hand“ erfolgen kann.11 Für den Fall, dass die Voraussetzungen eines einheitlichen Gerichtsstands nicht vorliegen oder das Gericht von der Bestellung eines einheitlichen Insolvenzverwalters absieht, regelt der Entwurf allgemeine Kooperationsrechte und -pflichten zwischen den Insolvenzverwaltern und den Insolvenzgerichten der einzelnen Insolvenzverfahren (§§ 269a–269c InsO) und führt erstmals ein besonderes Koordinationsverfahren ein (§§ 269d ff. InsO).
8
2. Anwendungsbereich des KIG Der sachliche Anwendungsbereich des KIG wird durch den Begriff der Unternehmensgruppe eröffnet, § 3e InsO. Eine Unternehmensgruppe liegt danach unter folgenden Voraussetzungen vor: 1. Es bestehen mindestens zwei rechtlich selbständige Unternehmen (Unternehmen i.S.d. Vorschrift sind alle insolvenzfähigen Rechtsträger wie juristische Personen des Privatrechts, teilrechtsfähige Gesellschaften12 und auch natürliche Personen)13;
8 RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 16; instruktiv Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 550 f.; Eidenmüller/ Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013, 4; Brünkmans, Der Konzern, 2013, 169, 172 f. 9 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a Rz. 1.; vgl. sehr veranschaulichend K. Schmidt, KTS 2010, 1, 13 „generalisierter Totaldurchgriff“. 10 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 1, 7; Sester, ZIP 2005, 2099, 2100; Brünkmans, ZIP 2013, 193 f.; Fölsing, ZInsO 2013, 413, 414; Lienau, Der Konzern, 2013, 157, 158; Wimmer, DB 2013, 1343, 1344. 11 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013, 3. 12 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 3. 13 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 4; Mock, DB 2017, 951; Wimmer in Wimmer, FK-InsO, § 3e Rz. 8; a.A. Thole in Flöther, Handbuch Konzerninsolvenzrecht, § 2 Rz. 40; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3e Rz. 2.
Brünkmans | 373
9
§ 4 Rz. 9 | § 4 Beratung im Konzern 2. die Unternehmen müssen den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen i.S.v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO im Inland haben und 3. die Unternehmen sind unmittelbar oder mittelbar miteinander verbunden durch a. die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder b. eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 + 2 InsO). 10
§ 3e InsO definiert aus Praktikabilitätsgründen einen eigenständigen, im Vergleich zu § 18 AktG weiteren Konzernbegriff, um eine im frühen Verfahrensstadium unter Umständen sehr aufwendige Prüfung zu vermeiden. Die Gesetzesformulierung ist an § 290 Abs. 1 Satz 1 HGB angelehnt.14 Nicht maßgeblich ist daher, ob der Einfluss tatsächlich ausgeübt wird, die bloße Möglichkeit der Ausübung beherrschenden Einflusses genügt.15 Ein beherrschender Einfluss liegt bereits dann vor, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, die Finanz- und Geschäftspolitik des anderen Unternehmens zu bestimmen, ohne dass hierfür erforderlich ist, dass es Stimm-, Besetzungs- oder Beherrschungsrechte hat.16 Die Zusammenfassung unter einer einheitlichen Leitung (Alternative b.) ist der Definition des Gleichordnungskonzern in § 18 Abs. 2 AktG nachgebildet.17
11
Die Beschränkung auf Gruppen aus Unternehmen, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland haben, dient auch der Abgrenzung des Anwendungsbereichs des neuen deutschen Konzerninsolvenzrechts von den Vorschriften der europäischen Insolvenzverordnung (Art. 56–77 EuInsVO).18 Befindet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eines Unternehmens der Gruppe in einem anderen EU-Mitgliedsstaat werden mit Ausnahme der §§ 3a–3e InsO die Mechanismen des deutschen Konzerninsolvenzrechts (§§ 269a, 296b, 56b, 269d–269i InsO) durch die Vorschriften der EuInsVO (Art. 56–77 EuInsVO) verdrängt (vgl. § 22 zu Art. 102c EGInsO), selbst wenn das ausländische Unternehmen nicht insolvent ist.19
12
Gemäß § 3e Abs. 2 InsO werden solche Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, an der keine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt ist (GmbH & Co. KG), in das Konzerninsolvenzrecht einbezogen.20
3. Separate Prüfung von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unter Beachtung der Konzerneinbindung 13
Die Prüfung der Insolvenzgründe i.S.v. §§ 16 ff. InsO hat im Konzern grundsätzlich isoliert für jede Konzerngesellschaft zu erfolgen. Eine konsolidierte Betrachtung findet nicht statt. Daran ändert auch das KIG nichts. Handelt es sich, wie in den meisten Fällen, bei den einzelnen Konzerngliedern um juristische Personen, so hat jeder Geschäftsführer/Vorstand seinen Antragspflichten aus § 15a InsO zu genügen und in der Krise durchweg zu überprüfen, ob Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) vorliegen. Diese Überprüfung erfolgt im Grundsatz für jede Gesellschaft unabhängig. Allerdings sind konzernspezifische Besonderheiten zu beachten.
14 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 28 f. 15 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 2. 16 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 8; Wimmer in Wimmer, FK-InsO, § 3e Rz. 17; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 290 Rz. 7; Busse von Colbe/Fehrenbacher in MünchKomm/HGB, § 290 Rz. 6. 17 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 8; K/P/B/Prütting, § 3e Rz. 3. 18 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 2. 19 Str. s. Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 2; Mock, DB 2017, 951, 956 f.; Wimmer in Wimmer, FKInsO, § 3e Rz. 24; Pape in Uhlenbruck, InsO, § 3e Rz. 8; a.A. Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2596; Kindler/ Sakka, EuZW 2015, 460, 465. 20 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 10.
374 | Brünkmans
II. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (KIG) | Rz. 17 § 4
Bei der Prüfung der Überschuldung21 ist im Konzernkontext zu beachten, dass ggf. eine Wertberichtigung bezüglich der Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen vorzunehmen ist. Dabei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, ob und inwieweit bei den verbundenen Unternehmen auch bereits Insolvenzgründe vorliegen oder das Insolvenzverfahren gar bereits beantragt oder eröffnet ist.
14
Im Vertragskonzern kommt wegen des Verlustausgleichsanspruchs aus § 302 AktG22 eine Überschuldung der Untergesellschaft nicht in Betracht, solange der Verlustausgleichsanspruch gegen das herrschende Unternehmen vollwertig ist.23 Die Ausgleichsansprüche gegenüber der Obergesellschaft nach § 302 Abs. 2 AktG können in der Überschuldungsbilanz aktiviert werden.24 Zu einer Überschuldung kann es demnach nur kommen, wenn der Verlustausgleichsanspruch wegen Insolvenzgefahr der Obergesellschaft wertberichtigt werden muss.
15
Auch nach Beendigung eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages schützt die Verlustausgleichspflicht insoweit, als bei Existenzgefährdung der letzte Verlustausgleichsanspruch auf der Basis von Liquidationswerten zu berechnen ist (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB).25 Hintergrund ist folgender: Ist die abhängige Gesellschaft nach Vertragsbeendigung allein nicht überlebensfähig, wäre ihr Vermögen bereits eine juristische Sekunde nach Beendigung des Unternehmensvertrages auf Basis von Zerschlagungswerten zu bewerten. Die herrschende Auffassung verlangt daher, dass bei der letzten Berechnung der Verlustausgleichspflicht die Fortführungsprognose der abhängigen Gesellschaft in die Bewertung einzubeziehen ist,26 so dass am Bilanzstichtag absehbare Abwicklungsverluste von der Ausgleichspflicht erfasst werden. Wird der Unternehmensvertrag unterjährig beendet, ist ein Rumpfgeschäftsjahr zu bilden,27 worauf die vorgenannten Grundsätze Anwendung finden. Davon abzugrenzen sind die sich erst in der Folgezeit ergebenden Abwicklungsverluste, welche nicht vom Verlustausgleich nach § 302 AktG erfasst werden.28
16
Auch die positive Fortführungsprognose der einzelnen Gesellschaft im Rahmen von § 19 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 InsO hängt nicht selten von der positiven Fortführungsprognose einer anderen Gesellschaft im Konzern ab. Bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit (zur Definition vgl. Rz. 22) bestehen im Konzern insbesondere dann Besonderheiten, wenn die einzelnen Gruppen-Gesellschaften an einem konzernweiten Cash-Pool angeschlossen sind.
21 Zur Definition vgl. § 1 Rz. 114. 22 Nach st. Rspr. insgesamt auf die GmbH analog anzuwenden, vgl. nur BGH v. 5.11.2001 – II ZR 119/00, GmbHR 2002, 62, 63 f.; OLG Jena, Thür. OLG v. 21.9.2004 – 8 U 1187/03, GmbHR 2005, 1058, 1059; OLG München v. 20.11.2013 – 7 U 5025/11, GmbHR 2014, 535. 23 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 290; Brünkmans, Koordinierung, S. 72; Lutter/Timm, ZGR 1983, 269, 279 f.; Meister, WM 1976, 1182; Piepenburg, NZI 2004, 231, 233; K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 526; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 399. 24 Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, § 19 Rz. 126; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Teil 2 Rz. 353. 25 Altmeppen in MünchKomm/AktG, § 302 Rz. 42; Müller, FS Kropff, S. 517, 524. 26 Altmeppen in MünchKomm/AktG, § 302 Rz. 42; Emmerich in Emmerich/Habersack, AktG § 302 Rz. 39; Paschos in Henssler/Strohn, GesR, AktG § 302 Rz. 10; Müller, FS Kropff, S. 517, 524; Krieger in MünchHdbGesR IV, § 71 Rz. 67; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 302 AktG Rz. 37; Stephan in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 302 AktG Rz. 39; Hopt/Wiedemann in Hopt/Wiedemann, AktG, 4. Aufl. 2013, § 302 Rz. 23; H. P. Müller in FS Goerdeler, S. 375, 394. 27 So wohl BGH, Urt. v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1, 10 = MDR 1988, 474; a.A. H. P. Müller in FS Goerdeler, S. 375, 395; Krieger in MünchHdbGesR IV, § 71 Rz. 67; Koch in Hüffer/Koch, AktG, § 302 Rz. 11. 28 Krieger in MünchHdbGesR IV, § 71 Rz. 67; Stephan in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 302 AktG Rz. 39; H. P. Müller in FS Goerdeler, S. 375, 394 Fn. 74; BGH, Urt. v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1, 9 f. = MDR 1988, 474.
Brünkmans | 375
17
§ 4 Rz. 18 | § 4 Beratung im Konzern
4. Besonderheiten im Cash-Pool a) Funktion des Cash-Pools 18
Beim echten (physischen) Cash-Pooling werden die Salden der laufenden Bankkonten der am CashPool angeschlossenen Tochtergesellschaften von der Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin29 werktäglich auf einem zentralen Konto miteinander verrechnet.30
19
Ziel eines Cash-Pools ist, eine effiziente Konzernfinanzierung darzustellen, indem überschüssige Liquidität der am Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaften optimal allokiert und insbesondere Zinsen einer Fremdfinanzierung gespart werden. Die meisten Cash-Pool-Vereinbarungen sehen vor, dass die Konten der am Cash-Pool angeschlossenen Konzernunternehmen am Ende eines jeden Bankarbeitstages auf null gestellt werden (sog. zero balancing), d.h., das Kontoguthaben der einzelnen Konzerngesellschaften wird auf das Zielkonto der Konzernobergesellschaft überwiesen und Unterdeckungen werden durch Überweisungen durch die Cash-Pool-Führerin ausgeglichen.31 Wird Guthaben von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin überwiesen, bedeutet dies rechtstechnisch eine Darlehensgewährung (Upstream-Darlehen). Stellt die Muttergesellschaft hingegen der Tochtergesellschaft Liquidität zur Verfügung, entsteht umgekehrt ein Darlehensanspruch der Muttergesellschaft gegen die Tochtergesellschaft (Downstream-Darlehen).32 Die wechselseitigen Darlehensansprüche zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft aus der Cash-Pool-Einbindung werden in regelmäßigen Abständen durch Aufrechnung (netting) verrechnet.33
b) Pflichten der Geschäftsführer einer im Cash-Pool angebundenen Gesellschaft 20
Geschäftsführer und Vorstände unterliegen in der Krise folgenden besonderen Pflichten, die dazu führen können, dass eine Pflicht zur Suspendierung oder gar Beendigung der Cash-Pool-Vereinbarung entsteht34: – Die Geschäftsführung der am Cash-Pool angeschlossenen Tochtergesellschaften dürfen gem. § 30 GmbHG und § 15b Abs. 5 InsO keine Zahlungen, d.h. Übertragung der Habensalden an die CashPool-Führerin veranlassen, wenn dies zur Zahlungsunfähigkeit der Konzerngesellschaft führt. Mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit dürfen die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften gem. § 15b Abs. 5 InsO grundsätzlich keine Zahlungen an die Cash-Pool-Führerin veranlassen. – Der Geschäftsführer der Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin hat vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zum sog. existenzvernichtenden Eingriff (§ 826 BGB)35 die Liquidität der Tochtergesellschaften dergestalt zu wahren, dass der Tochtergesellschaft die Liquidität verbleibt, die diese als notwendige Betriebsmittel zur eigenen Überlebensfähigkeit benötigt.
21
Die Suspensivwirkung dieser gesetzlichen Pflichten wird in der Praxis zusätzlich häufig durch Vertragsklauseln in der Cash-Pool-Vereinbarung abgesichert, nach welchen Übertragungen von Haben-
29 Die nachfolgenden Ausführungen unterstellen den in der Praxis häufigsten Fall, dass die Muttergesellschaft auch gleichzeitig die Cash-Pool-Führerin ist. Zwingend ist das jedoch nicht. 30 Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113, 113. 31 Vgl. etwa BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8, 12 = MDR 2006, 819; Heidinger/Benz in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 27 Rz. 272 ff.; Sieger/Hasselbach, BB 1999, 645; Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113 ff. 32 Schmelz, NZG 2006, 456; Vetter, BB 2004, 1509. 33 Mühlhaus/Wenzel, GmbH-StB 2013, 184, 185; Blöse, GmbHR 2002, 675. 34 Zusammengefasst Willemsen/Rechel, GmbHR 2010, 349 ff. 35 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = NJW 2007, 2689; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 104/07, MDR 2008, 982 = NJW-RR 2008, 1417; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, MDR 2008, 983 = NJW 2008, 2437; BGH, NZI 2008, 238; BGH, NJW 2009, 2127, zum existenzvernichtenden Eingriff ausführlich Wagner in MünchKomm/BGB, § 826 Rz. 180 ff.
376 | Brünkmans
II. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (KIG) | Rz. 26 § 4
salden, die den geschilderten Verpflichtungen zuwiderlaufen, nicht erfolgen bzw. rückgängig zu machen sind.36 Diese Suspensivwirkung ist bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit der einzelnen Konzerngesellschaft wie nachfolgend dargestellt zu berücksichtigen.
c) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit anhand eines Liquiditätsstatus Für jede Tochtergesellschaft hat die Zahlungsfähigkeitsprüfung im rechtlichen Sinne isoliert zu erfolgen. Dies gilt auch für eine an einem Cash-Pool angebundene Gesellschaft.
22
Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 1 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zur Zahlungsstockung in der Regel erst dann vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen.37 Die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt daher zweistufig. Zunächst sind im Liquiditätsstatus auf der Aktivseite die verfügbaren Zahlungsmittel (sog. Aktiva I) den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva I) gegenüber zu stellen. Weist der Liquiditätsstatus eine Unterbilanz von 10 % oder mehr aus, ist der Status auf der Aktivseite um die innerhalb von 3 Wochen eingehenden oder flüssig zu machenden Zahlungsmittel (sog. Aktiva II) zu ergänzen. Auf der Passivseite ist der Status um die innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) zu ergänzen.38
23
Folgt aus dem Verhältnis der Aktiva I + II zu den Passiva I + II eine Unterdeckung von unter 10 %, ist in der Regel nur von einer (vorübergehenden) Zahlungsstockung auszugehen. Liegt die Liquiditätslücke über 10 %, ist hingegen in der Regel von Zahlungsunfähigkeit auszugehen.39
24
Inwieweit Ansprüche der Tochtergesellschaften gegen die Cash-Pool-Führerin in der Stufe Liquiditätsstatus (= Aktiva I) oder Liquiditätsprognose (= Aktiva II) zu berücksichtigen sind, ist bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden. Die überwiegende Auffassung – insbesondere der einschlägige Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW S 11) – sieht in Cash-Pool-Forderungen keine liquiden Mittel.40 Anderes soll nur dann gelten, wenn der Schuldner die Zulassung als Kreditinstitut besitzt, da Forderungen gegen ein Kreditinstitut zu den flüssigen Mitteln des Gläubigers gehören.41
25
Allerdings kann eine Cash-Pool-Forderung als liquidierbarer Vermögenswert grundsätzlich in der Liquiditätsprognose bei den Aktiva II (s. Rz. 23) berücksichtigt werden, solange die Bonität der Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin gesichert ist und die Cash-Pool-Forderung damit vollwertig und innerhalb von drei Wochen liquidierbar ist.42 Entscheidend für die Berücksichtigungsfähigkeit ist regelmäßig, ob die Cash-Pool-Vereinbarung die Möglichkeit vorsieht, das Darlehen kurzfristig zurückfordern zu können.43 Werden fällige Verbindlichkeiten einer Tochtergesellschaft nicht durch eigene liquide Mittel, sondern vielmehr durch einen werthaltig und auf erstes Anfordern innerhalb des Dreiwochenzeitraums durchsetzbaren Liquiditätsausstattungsanspruch gegen die Cash-Pool-Führerin abgedeckt, liegt lediglich Zahlungsstockung der Tochtergesellschaft, nicht jedoch Zahlungsunfähigkeit vor.
26
36 Vgl. Weitzel/Socher, ZIP 2010, 1069 ff. 37 BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = MDR 2005, 1248; Bußhardt in Braun, InsO, § 17 Rz. 9 f.; Laroche in Kayser/Thole, HKInsO, § 17 Rz. 18 ff. 38 BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, MDR 2018, 429 = NZI 2018, 204; Mock in Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 30; Bußhardt in Braun, InsO, § 17 Rz. 12. 39 BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, MDR 2018, 429 = NZI 2018, 204 Rz. 46. 40 IDW S 11, Rz. 47; Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113, 116. 41 IDW PS 800, Rz. 39, Fn. 29 ebenso IDW S 11, Rz. 47, Fn. 60. 42 IDW S 11, Rz. 47; Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113, 116; J. Vetter in Holding-Handbuch, § 8 Rz. 32 ff. 43 Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113, 115.
Brünkmans | 377
§ 4 Rz. 27 | § 4 Beratung im Konzern
d) Konzernliquiditätsplanung und Zahlungsfähigkeitsprüfung 27
Sind die einzelnen Konzerngesellschaften über einen Cash-Pool finanziell miteinander verbunden, erfolgt in der Praxis die Liquiditätsplanung aus Gründen der Vereinfachung häufig konsolidiert, d.h., es werden sämtliche Ein- und Auszahlungen an außenstehende Dritte, nicht jedoch konzerninterne, prognostiziert und in der Liquiditätsplanung dargestellt. Vor dem Hintergrund der unter Rz. 20 f. dargestellten Geschäftsführer- und Gesellschafterhaftung und des Umstandes, dass es für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auf die jeweils einzelne Konzerngesellschaft ankommt (s. unter Rz. 22 ff.) stellt sich die Frage, wann von einer konzernweiten, konsolidierten Gesamtbetrachtung der Liquiditätsplanung auf eine Einzelbetrachtung der Liquiditätsplanung umgestellt werden muss.
28
Gemäß des vom Institut der Wirtschaftsprüfer herausgegebenen, einschlägigen Standards IDW S 1144 kommt beim Cash-Pooling der Konzern-Liquiditätsplanung zur Feststellung verfügbarer Liquiditätsreserven im Rahmen der Zahlungsfähigkeitsprüfung besondere Bedeutung zu. Im Ausgangspunkt kann die Risikolage durch eine konsolidierte Konzernbetrachtung geprüft werden, solange und soweit eine Liquiditätsunterdeckung im Liquiditätsstatus und in der Liquiditätsplanung im Rahmen der Konzernbetrachtung nicht festgestellt wird, denn dann stehen hinreichend liquide Mittel zur Verfügung, um sämtliche fälligen Verbindlichkeiten der Konzerngesellschaften abzudecken und somit kann dies auch für die insolvenzrechtlich entscheidende Einzelbetrachtung für alle Gesellschaften bejaht werden. Ist jedoch in der konsolidierten Liquiditätsplanung absehbar, dass nicht mehr ausreichende Mittel zur Deckung der erforderlichen Liquidität zur Verfügung stehen, sind Liquiditätsstatus und Liquiditätsplan auf der Ebene der Einzelgesellschaft zu erstellen.
29
Bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit der Cash-Pool-Führerin bestimmt sich deren Liquiditätslage unter Berücksichtigung der dann fälligen Verbindlichkeiten aus den Einzahlungen der angeschlossenen Konzerngesellschaften.45 Zukünftige Einzahlungen der angeschlossenen Konzerngesellschaften darf die Cash-Pool-Führerin nicht mehr erwarten (und damit nicht mehr in den Liquiditätsplan einstellen), wenn und soweit diese Zahlungen zur Zahlungsunfähigkeit der angeschlossenen Konzerngesellschaft führen (§ 15b Abs. 5 InsO) bzw. eine Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist (§ 15b Abs. 1 InsO). Ferner ist zu beachten, ob die Zahlungen (Darlehensgewährungen) den Regeln der Kapitalerhaltung bei der angeschlossenen Konzerngesellschaft zuwiderlaufen (s. dazu Rz. 18 ff.).
30
Zahlungsansprüche einer dem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaft gegen die den Cash-Pool führende Gesellschaft sind im Liquiditätsstatus nicht als liquide Mittel anzusetzen (dazu bereits Rz. 25). Eine für die Einstellung in den Liquiditätsplan zu fordernde kurzfristige Liquidierbarkeit der Forderungen der Konzerngesellschaften gegen die Cash-Pool-Führerin scheitert, wenn auf Ebene der CashPool-Führerin eine Unterdeckung festgestellt wurde.
5. Rolle der Konzernspitze 31
Der Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft, der im Konzern häufig durch Vorstandsmitglieder der Konzernspitze besetzt wird, ist grundsätzlich dazu verpflichtet, auf das Vorliegen von Insolvenzgründen hinzuweisen und das Stellen von Insolvenzanträgen anzuregen.46 Gesellschafter einer GmbH haben, selbst wenn sie herrschendes Unternehmen i.S.v. § 17 AktG sind, grundsätzlich keine Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO. Eine Antragspflicht gilt für den Gesellschafter selbst bei stark zentralistisch geführten Konzernen nur dann, wenn die Konzernspitze gleichzeitig die engen Voraussetzun-
44 IDW S 11, Rz. 48. 45 IDW S 11, Rz. 47. 46 Vgl. BGH, NZI 2009, 490; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 176/10, AG 2013, 171; Grunewald, NZG 2013, 841, 845; dies gilt auch für den Aufsichtsrat der GmbH: Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 52 Rz. 19, 66.
378 | Brünkmans
IV. Verfahrenszentralisierung | Rz. 34 § 4
gen eines „faktischen Geschäftsführers“ erfüllt47 oder für die Tochtergesellschaft kein Geschäftsführer bestellt ist (§ 15a Abs. 3 InsO).
III. Zentrale vs. koordiniert dezentrale Verfahrensabwicklung In der Regel wird eine zumindest abgestimmte Bewältigung der einzelnen Insolvenzverfahren zu einem für die Gläubiger höheren Verwertungserlös führen als die Singularabwicklung. Dies gilt insbesondere, wenn eine Sanierung des Gesamtkonzerns angestrebt wird. Die gesetzliche Regelung des neuen Konzerninsolvenzrechts (KIG) stellt dabei zwei verschiedene Grundtypen zur Verfügung, die je nach Konzernlage auch miteinander kombiniert werden können. Zunächst sieht das KIG Mechanismen für eine zentrale Abwicklung der Insolvenzverfahren der einzelnen Konzerngesellschaften vor, insbesondere durch die Begründung eines einheitlichen Konzerngerichtsstandes und der Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters (dazu ausführlich unter Rz. 33 ff.). Eine noch deutlich gesteigerte zentrale Verfahrensabwicklung, namentlich durch die aus dem US-amerikanischen Recht bekannte Begründung einer einheitlichen Konzerninsolvenzmasse (s. dazu bereits Rz. 7), hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Sollte je nach Zentralisierung und funktionaler Integration des Konzerns eine Verfahrenszentralisierung nicht geboten sein, stellt das KIG weitere Mechanismen zur Verfügung, die eine zwar dezentrale, aber koordinierte Verfahrensbewältigung ermöglichen (dazu ausführlich unter Rz. 98 ff.). Diese Grundentscheidung – zentrale oder dezentrale Verfahrensbewältigung – steht zu Beginn der Planung einer Sanierung des Konzerns im Insolvenzverfahren. Bei der Abwägung der im konkreten Fall idealen Verfahrensabwicklung sind Konzernstrukturen (zentraler oder dezentrale, funktional integrierter oder Spartenkonzern), die Gefahr der Interessenkollisionen, Umstände, die eine örtliche Nähe gebieten etc. gegeneinander abzuwägen. Dabei kann im Einzelfall das Ergebnis der Abwägung unterschiedlich ausfallen, etwa indem zwar ein einheitlicher Gruppen-Gerichtsstand sinnvoll, aufgrund von Interessenkonflikten aber die Bestellung (z.T.) personenverschiedener Insolvenzverwalter geboten ist.
32
IV. Verfahrenszentralisierung 1. Überblick Das Gesetz bietet im Wesentlichen vier Mechanismen, welche eine zentralisierte Abwicklung der Insolvenzverfahren der einzelnen Konzerngesellschaften ermöglichen, namentlich die Bildung eines Gruppengerichtsstandes und damit Konzentration der Verfahren auf Ebene des Insolvenzgerichts (dazu unter Rz. 34 ff.), die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters (unter Rz. 73 ff.) und die Begründung eines Gruppen-Gläubigerausschusses (unter Rz. 88 ff.). Darüber hinaus kann sich auch die Eigenverwaltung als eine für die Konzernsanierung besonders geeignete Form der Verfahrensbewältigung im Einzelfall erweisen (unter Rz. 68 ff.).
33
2. Gerichtskonzentration durch Gruppengerichtsstand nach § 3a InsO a) Strategische Bedeutung für die Konzernsanierung Die Frage, welches Insolvenzgericht örtlich zuständig ist, spielt für das Gelingen einer geplanten Sanierung des Konzerns im Insolvenzverfahren eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Das hat mit der unterschiedlichen Qualität der Insolvenzgerichte zu tun. Es gibt auf der einen Seite höchstprofessionell arbeitende, sehr erfahrene Insolvenzgerichte. Gerade im ländlichen Bereich trifft man indes häufig
47 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, § 15a Rz. 82.
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34
§ 4 Rz. 34 | § 4 Beratung im Konzern auch auf verständlicherweise wenig erfahrene Richter, denn die Fallzahlen von Unternehmensinsolvenzen sind in diesen Gebieten deutlich geringer. Neben Insolvenzverfahren betreuen Richter an ländlich geprägten Insolvenzgerichten häufig noch andere Zivilrechtsdezernate. Insoweit ist ein Stadt-LandGefälle sichtbar. Neben der fachlichen und persönlichen Kompetenz des Richters ist jedoch auch die Einstellung des Richters zu folgenden für die Sanierung des Konzerns wichtigen Verfahrensmechanismen von Bedeutung: – Einstellung zur Eigenverwaltung und zum Schutzschirmverfahren, – Umgang mit Vorschlägen des Schuldners für die Besetzung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses, – Bereitschaft zur Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters, – Einstellung zu wirtschaftlich pragmatischen Lösungen, insbesondere zu kreativen Sanierungs- oder Verwertungslösungen über einen Insolvenzplan, – Erfahrungen der Gerichte in großen Sanierungsverfahren, – welche Insolvenzverwalter/Sachwalter sind an dem Gericht gelistet, – Bereitschaft für Ermächtigungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren. 35
Da die §§ 3a–3d InsO bewusst Gestaltungs- und Auswahlmöglichkeiten bei der Begründung eines einheitlichen Konzerngerichtsstandes eröffnen (dazu Rz. 38 ff.), sind diese „Standortvorteile“ der in Frage kommenden Gerichte im Rahmen der Vorbereitung der Insolvenzanträge und vorinsolvenzlichen Sanierungsberatung zu eruieren und abzuwägen.
36
Die Frage, ob überhaupt ein einheitlicher Konzerngerichtsstand angestrebt werden soll, ist jedenfalls bei angestrebter Sanierung des Gesamtkonzernes oder Teilkonzernes aus der Unternehmensperspektive eindeutig zu bejahen. Eine zentrale Zuständigkeit führt in der Regel dazu, dass der Insolvenzrichter das Verfahren effektiver begleitet und erforderliche Entscheidungen schneller treffen kann, denn die Strukturen im Konzernkontext sind dann bekannt und erfordern lediglich eine einmalige Einarbeitung. Informationen aus dem einen Verfahren können für das andere Verfahren als gerichtsbekannt nutzbar gemacht werden. Auch die gerichtliche Überprüfung und Bestätigung von aufeinander abgestimmten Sanierungsplänen ist bei einer einheitlichen gerichtlichen Zuständigkeit effizienter zu bewerkstelligen. Bei Konflikten zwischen den einzelnen Insolvenzverwaltern im Konzern kann das Gericht im Rahmen seiner Aufsichtsführung vermittelnd und konfliktlösend auf die Insolvenzverwalter einwirken.48
b) Der Gruppen-Gerichtsstand nach §§ 3a–3d InsO 37
Die Bestimmungen der §§ 3a–3d InsO über die örtliche Zuständigkeit bleiben von der EuInsVO unberührt, da die europäische Insolvenzverordnung keine Regelung der örtlichen Zuständigkeit enthält.49 Für eine inländische Sub-Gruppe – bestehend aus Unternehmen mit COMI im Inland – kann daher die Zuständigkeitskonzentration aus §§ 3a–3d InsO in Anspruch genommen werden. aa) Konzept der Wahlfreiheit
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Herzstück des Konzerninsolvenzrechts (KIG) ist die Regelung eines Gruppen-Gerichtsstandes (§§ 3a– 3d InsO). Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, die Insolvenzverfahren der einzelnen Gruppenmit48 Brünkmans, Koordinierung, S. 311; Duursma-Kepplinger/Chalupsky in Feldbauer-Durstmüller, Sanierungsmanagement, S. 978, 1003. 49 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e Rz. 2; Pape in Uhlenbruck, InsO, § 3e Rz. 8; Wimmer in Wimmer, FK-InsO, § 3e Rz. 24; Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2596.
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IV. Verfahrenszentralisierung | Rz. 42 § 4
glieder bei einem örtlich zuständigen Gericht zu konzentrieren. § 3c Abs. 1 InsO sichert zusätzlich ab, dass die Insolvenzverfahren in diesem Fall auch bei dem gleichen Richter des zentral zuständigen Insolvenzgerichts geführt werden. Der bis zum Inkrafttreten des KIG notwendige Begründungsaufwand, bei zentral und funktional integrierten Konzerngesellschaften, den Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit einzelner Konzerngesellschaften in die Konzernzentrale der Muttergesellschaft zu verorten, ist damit obsolet geworden. Darüber hinaus eröffnen die §§ 3a–3d InsO gegenüber der bisherigen Praxis eine deutliche größere Flexibilität und weichen von dieser in zweierlei Hinsicht ab: – Bis auf das Merkmal „Gruppenangehörigkeit“ sind so gut wie keine weiteren materiellen Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes erforderlich. – Der konzerneinheitliche Gruppen-Gerichtsstand ist nicht zwingend am für die Muttergesellschaft50 zuständigen Insolvenzgericht zu begründen. Es gilt vielmehr die Maßgeblichkeit des ersten Antrages (Prioritätsprinzip). Diese Wahlfreiheit, den Gruppengerichtsstand grundsätzlich (zu den Ausnahmen s. Rz. 46 ff.) an jedem Gerichtsstand einer Konzerngesellschaft für alle insolventen Gesellschaften zu begründen, wurde im Gesetzgebungsverfahren mit Verweis auf missbräuchliches Forum Shopping teilweise stark kritisiert.51 Dies jedoch zu Unrecht, Missbrauchsfälle werden bereits dadurch eingedämmt, dass der Schuldner nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung sein darf (§ 3a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 InsO).52
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bb) Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes Das Gericht erklärt sich auf Antrag eines Schuldners auch für die Insolvenzverfahren über die anderen gruppenangehörigen Schuldner für zuständig, wenn der Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes zulässig und begründet ist.
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(1) Zulässigkeit des Gruppen-Antrags (a) Zulässiger Insolvenzantrag bei örtlich zuständigem Gericht Voraussetzung ist zunächst ein zulässiger Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.
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Die Zulässigkeit des Eröffnungsantrages setzt wiederum voraus, dass dieser bei dem nach § 3 InsO für den jeweiligen Schuldner örtlich zuständigen Insolvenzgericht gestellt wurde.53 Weicht der Mittelpunkt der selbstständigen Tätigkeit gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO von dem allgemeinen Gerichtsstand aus § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO ab, kann auch der Gruppen-Gerichtsstand nur am maßgeblichen Gerichtsstand gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO begründet werden.54 Daraus folgt, dass das Gericht erst dann über den Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes zu entscheiden berechtigt ist, wenn es bereits abschließend über die Zulässigkeit des Eröffnungsantrages entschieden hat.55 Wurde ein bestimmter Gerichtsstand einer Konzerngesellschaft als
50 Für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes am Sitz der Mutter Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579, 584; K. Schmidt, ZIP 2012, 1053, 1058; Frind, ZInsO 2013, 429, 433. 51 Stellungnahme VID v. 15.2.2013, S. 1. 52 So auch Eidenmüller/Frobenius, Beilage ZIP 22/2013, S. 5; s. auch Brünkmans in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., Konzerninsolvenzrecht, Rz. 44 f.; Kritisch Rattunde, BB 2014, Heft 16, „Die Erste Seite“. 53 Frind, ZInsO 2013, 429, 430; Graeber, ZInsO 2013, 409, 410; Vallender, Der Konzern 2013, 162, 165. 54 AG Hannover, Beschl. v. 24.9.2018 – 903 IN 540/18, NZI 2019, 115 m. Anm. von Wilcken; Sternal in Kayser/Thole, HKInsO, § 3a Rz. 5; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO, § 3a Rz. 2. 55 So auch Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3a Rz. 14; Pape in Uhlenbruck, InsO, § 3a Rz. 20; vgl. aber Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a Rz. 11, der von einer Prüfung der Zulässigkeit des Insolvenzantrages im Rahmen der Begründetheit des Antrages nach § 3a InsO ausgeht.
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§ 4 Rz. 42 | § 4 Beratung im Konzern zentraler Gruppen-Gerichtsstand auserkoren, sind die Voraussetzungen darzulegen, welche den Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Interessen dieser Konzerngesellschaft i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO an diesem Ort begründen. 43
Ein Konzentrationsantrag nach § 3a InsO ist auch dann zulässig, wenn ein einziges Insolvenzgericht bereits gem. § 3 Abs. 1 für alle antragstellenden gruppenangehörigen Schuldner örtlich zuständig ist.56 Denn nur so lässt sich die Verfahrenskonzentration auf die Zuständigkeit desselben Richters gewährleisten (§ 3c InsO).
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Weicht das nach § 3 InsO örtlich zuständige Gericht (z.B. Bonn) von dem kraft Landesrecht zentralisierten Gruppengerichtsstand (hier Köln) ab, stellt sich die Frage, ob der Insolvenzantrag zulässigerweise zusammen mit dem Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstandes direkt beim Gruppengericht (Köln) gestellt werden kann. Dies ist im Sinne eines effizienten Verfahrens richtigerweise zu bejahen.57 (b) Berechtigung des Antragsstellers für einen Gruppen-Antrag
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Antragsberechtigt für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes ist ausschließlich ein gruppenangehöriger Schuldner, nicht hingegen ein Gläubiger oder anderer Schuldner. Dabei ist grundsätzlich jeder gruppenangehörige Schuldner, der einen zulässigen Insolvenzantrag gestellt hat, berechtigt, die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes am eigenen allgemeinen Gerichtsstand aus § 3 InsO zu beantragen. Einschränkungen erfolgen indes durch das Prioritätsprinzip (Umkehrschluss zu § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO),58 d.h. der Gruppen-Gerichtsstand ist an dem Ort zu begründen, bei dem der erste Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes gestellt wurde.59 Später gestellte Anträge sind hingegen als unzulässig zurückzuweisen.60
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Der den Gruppen-Antrag stellende Schuldner darf innerhalb der Unternehmensgruppe nicht von offensichtlich untergeordneter Bedeutung sein. Der Gesetzgeber will mit dieser Voraussetzung die Gefahr des „Forum Shoppings“ eindämmen.
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§ 3a Abs. 1 Satz 2 InsO normiert – allerdings keine abschließenden – Regelkriterien, wonach in der Regel dem Schuldner keine untergeordnete Bedeutung zukommt, wenn: – im vorangegangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr die Zahl der vom Schuldner im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer mehr als 15 Prozent der in der Unternehmensgruppe im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer ausmachte und – die Bilanzsumme des Schuldners mehr als 15 Prozent der zusammengefassten Bilanzsumme der Unternehmensgruppe betrug oder die Umsatzerlöse des Schuldners mehr als 15 Prozent der zusammengefassten Umsatzerlöse der Unternehmensgruppe betrugen.
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Darüber hinaus indiziert die Stellung der antragstellenden Schuldnerin als „Holding“ richtigerweise, dass die Schuldnerin im Konzern nicht nur von untergeordneter Bedeutung i.S.d. § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO ist, auch wenn keine der Parameter der 15 % Regel des § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO (Arbeitnehmer,
56 Schaaf/Filbinger, BB 2019, 1801, 1803. 57 Römermann/Montag in Nerlich/Römermann, § 2 Rz. 32; Schaaf/Filbinger, BB 2019, 1801, 1803; a.A. Pape in Uhlenbruck, InsO, § 2 Rz. 11, Insolvenzantrag und Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstandes beim nach § 3 örtlich zuständigen Gericht, nach Begründung des Gruppengerichtsstandes formlose Abgabe an das Gruppengericht. 58 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3a Rz. 9; Thole, KTS 2014, 351, 359. 59 RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 27; s. auch Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3a Rz. 9. 60 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a Rz. 16.
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Bilanzsumme, Umsatzerlöse) erreicht wird.61 Dies gilt insbesondere, wenn die Holding eine strukturelle Bedeutung für die operativen Abläufe im Konzern hat und die Geschäftsleitungsorgane der Holding in der Lage sind, gegenüber den Tochtergesellschafen Weisungen zu erteilen.62 Bei Kapital- oder Personengesellschaften ist der Antrag auf Gruppen-Gerichtsstand vom vertretungsberechtigten Organ entsprechend der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregelungen zu stellen. § 15 Abs. 1 InsO findet somit keine Anwendung.63 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Antragsrecht des Schuldners nach § 3a Abs. 3 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Gleiches gilt bei der Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters.
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Haben mehrere gruppenangehörige Schuldner zeitgleich einen Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes gestellt oder bestehen Unklarheiten darüber, welcher Antrag zuerst gestellt worden ist, setzt sich nach § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO der Antrag des Schuldners mit der größeren Bilanzsumme durch.
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(2) Exkurs: Vermeidung konkurrierender Insolvenzanträge Konkurrierende Anträge auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes können eine Konzerngesamtsanierungsstrategie torpedieren. Vor dem Hintergrund ist der Konzernspitze zu raten, frühzeitig ihre Konzernleitungsmacht dahingehend ausüben, konkurrierende Anträge zu verhindern. Dies ist auch rechtlich möglich: Die gesellschaftsrechtlichen Weisungsrechte (§ 37 GmbHG, § 308 AktG) gelten zwar nach allgemeiner Auffassung nicht im Hinblick auf die gesetzlichen Insolvenzantragspflichten der vertretungsberechtigten Organe der einzelnen Konzernglieder.64 Für den Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes gilt das Weisungsverbot indes nicht, denn die vertretungsberechtigten Organe können ihrer gesetzlichen Antragspflicht aus § 15a InsO durch einen Insolvenzantrag am Gericht des eigenen allgemeinen Gerichtsstandes aus § 3 InsO nachkommen.65 Für die Einschränkung des gesellschaftsrechtlichen Weisungsrechts besteht somit kein Erfordernis. Ist ein Gruppen-Gerichtsstand begründet, kann die Konzernspitze die vertretungsberechtigten Organe zudem anweisen, den Insolvenzantrag bei diesem Gericht zu stellen. Stellt der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft den Insolvenzantrag entgegen der Weisung der Konzernmutter nicht beim Gruppen-Gerichtsstand aus § 3a InsO, sondern beim eigenen allgemeinen Gerichtsstand der Tochtergesellschaft aus § 3 InsO, kann dies u.U. eine Haftung des Geschäftsführers aus § 43 GmbHG66 auslösen.
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(3) Zwingende Angaben im Gruppen-Antrag § 13a InsO regelt die formalen Anforderungen bezüglich der Angaben in einem Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes (s. im Einzelnen § 13a Abs. 1 Nr. 1–5 InsO). Der Schuldner hat in seinem Antrag insbesondere darzulegen, aus welchen Gründen eine Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt (§ 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO). Sind die zwingenden Angaben nach § 13a Abs. 1 InsO oder Unterlagen nach Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 unvollständig, lückenhaft, widersprüchlich oder fehlen sie, hat das In-
61 AG Hamburg, Beschl. v. 9.6.2020 – 67g IN 136/20, juris; Sternal in Kayser/Thole, HKInsO, § 3a Rz. 7; Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2590; a.A. Stahlschmidt/Bartelheimer, ZInsO 2017, 1010, 1013. 62 AG Hamburg, Beschl. v. 9.6.2020 – 67g IN 136/20, juris. 63 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a Rz. 10. 64 BGH v. 18.3.1974 – II ZB 3/74, NJW 1974, 1088; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 12. 65 Brünkmans, ZIP 2013, 193, 196. 66 Etwa aufgrund der Torpedierung einer Sanierung, dazu Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rz. 35; oder aufgrund der Abweichung von Weisungen, dazu Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, § 43 Rz. 94 ff.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, § 43 Rz. 63.
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52
§ 4 Rz. 52 | § 4 Beratung im Konzern solvenzgericht den Antragsteller zunächst gem. § 139 ZPO i.V.m. § 4 InsO hierauf hinzuweisen.67 Die Unvollständigkeit oder das Fehlen der Angaben aus § 13a InsO macht weder den Insolvenzeröffnungsantrag unzulässig noch schließt es aus, dass auf seiner Grundlage der zusätzliche Gerichtsstand für Gruppen-Folgeverfahren geschaffen wird. Allerdings können bei unvollständigen Angaben Zweifel daran bleiben, ob die Begründung des Gruppen-Gerichtsstand im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt und zur Abweisung des Antrags führen.68 (4) Begründetheit: Verfahrenskonzentration im Interesse der Gläubiger 53
Nach § 3a Abs. 2 InsO kann das Gericht den Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes ablehnen, wenn Zweifel daran bestehen, dass eine Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt. Dabei kommt es auf die Interessen der Gläubiger sämtlicher gruppenangehöriger Schuldner an, nicht nur auf die Interessen der Gläubiger des antragstellenden Schuldners.69
54
Dies ist dann der Fall, wenn sich durch eine Koordinierung der einzelnen Insolvenzverfahren Koordinationsgewinne erzielen lassen, die sämtlichen Insolvenzmassen und damit sämtlichen Gläubigern zugutekommen können.70 Eine positive Feststellung durch das Insolvenzgericht, dass und welche Kooperationsvorteile eine Verfahrenskonzentration erwarten lässt, ist hingegen nicht erforderlich.71 Ein solches Verständnis würde in der Phase des Antragsverfahrens das Insolvenzgericht auch häufig überfordern und das Gericht würde letztlich einen Sachverständigen mit der Überprüfung beauftragen, was zu Verzögerungen führen würde.
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Die Prüfung des Gläubigerinteresses durch das Insolvenzgericht ist vor dem Hintergrund der Systematik (§ 3a Abs. 2 InsO) und dem Zweck auf eine Plausibilitätsprüfung beschränkt. Vielmehr besteht die gesetzliche Vermutung, dass die Konzentration im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt.72 Das Gericht kann somit nur dann den Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes ablehnen, wenn im Rahmen der Plausibilitätsprüfung Zweifel daran bestehen, dass eine Konzentration im konkreten Fall zu Vorteilen führt. Im Ergebnis sind die Vor- und Nachteile einer zentralen Führung der Verfahren miteinander abzuwägen, wobei die Vermutung für ein Überwiegen der Vorteile besteht. Die Plausibilitätsprüfung erfolgt auf der Grundlage der nach § 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO im GruppenAntrag zu machenden Angaben (s. dazu Rz. 52).73 cc) Entscheidung und Wirkung
56
Ist der Gruppen-Antrag zulässig und begründet, erklärt sich das Gericht durch Beschluss für sämtliche Insolvenzverfahren über die anderen gruppenangehörigen Schuldner (Gruppen-Folgeverfahren) für zuständig. Dadurch wird der Gruppen-Gerichtsstand begründet, d.h. es entsteht neben den Einzelgerichtsständen der Gruppen-Gesellschaften für jede Gruppen-Gesellschaft ein zusätzlicher Wahlgerichtsstand am Gruppen-Gerichtsstand.74 Andere gruppenangehörige Schuldner (zur Bindung an Weisungen der Konzernspitze vgl. Rz. 51) und deren Gläubiger können dann wählen, ob sie an ihrem Gerichtsstand aus § 3 InsO oder am Gruppen-Gerichtsstand (§ 3a InsO) den Insolvenzantrag stellen.
67 Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a Rz. 18. 68 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 29; Wimmer-Amend in FK-InsO, § 13a Rz. 30 f.; Pape in Uhlenbruck, InsO, § 13a Rz. 18; Pannen in HambKommInsO, § 13a Rz. 6. 69 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 27; Pape in Uhlenbruck, InsO, § 3a Rz. 16; Prütting in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, § 3a Rz. 11; Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 97, 100. 70 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 27. 71 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 26. 72 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a Rz. 15. 73 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 27. 74 Brünkmans, ZIP 2013, 193, 196; kritisch K. Schmidt, KTS 2010, 1, 20.
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IV. Verfahrenszentralisierung | Rz. 61 § 4
Ist der Gruppengerichtsstand einmal begründet, ist er vom weiteren Insolvenzverfahren des antragstellenden Schuldners unabhängig. Endet letzteres durch Nichteröffnung, Aufhebung oder Einstellung, bleibt der Gruppen-Gerichtsstand erhalten, solange noch ein Verfahren über einen anderen gruppenangehörigen Schuldner anhängig ist (§ 3b InsO).75 Ist der Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes unzulässig, etwa weil kein zulässiger Schuldnerantrag oder ein zeitlich späterer Antrag vorliegt (s. Rz. 45), so weist das Insolvenzgericht den Antrag als unzulässig ab.76
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Das Insolvenzgericht kann den Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes durch Beschluss ablehnen, wenn es Zweifel am gemeinsamen Interesse aller Gläubiger hat. Streitig ist, ob in diesem Fall ein Ermessen des Insolvenzgerichts besteht77 oder bei Zweifel am gemeinsamen Interesse aller Gläubiger das Gericht zwingend den Antrag ablehnen muss.78 In der Praxis dürfte diese Frage keine große Bedeutung haben, weil davon auszugehen ist, dass das Insolvenzgericht die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands ablehnen wird, wenn es ernsthafte und begründete Zweifel daran hat, ob die Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt.
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Nach § 3c Abs. 1 InsO ist für sämtliche Gruppen-Folgeverfahren am Gruppen-Gerichtsstand der gleiche Richter zuständig. Dies gilt analog § 3c Abs. 1 Satz 1 InsO auch für den Rechtspfleger. Nur so ist das vom Gesetzgeber beabsichtigte Ziel zu gewährleisten, dass widersprüchliche Entscheidungen verschiedener Insolvenzgerichte vermieden werden.79
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Durch § 2 Abs. 3 InsO werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnungen je Bezirk eines OLG ein Insolvenzgericht zu bestimmen, an dem ein Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a InsO begründet werden kann. Davon haben bisher die Bundesländer Baden-Württemberg (§ 9b Abs. 1 ZuVOJu, AG Karlsruhe für OLG-Bezirk Karlsruhe, AG Stuttgart für OLG-Bezirk Stuttgart), Bayern (§ 52 Abs. 4 GZVJu, AG München im OLG-Bezirk München, AG Nürnberg im OLG-Bezirk Nürnberg), Berlin (§ 8 ZuwV, AG Charlottenburg), Brandenburg (§ 16 GerZV, AG Potsdam), Bremen (§ 1 Abs. 2 InsGerBestVO, AG Bremen), Hamburg (§ 1 Abs. 1 Verordnung über die Zuständigkeit der AG (…), AG Hamburg-Mitte), Hessen (§ 6 Abs. 2 Justizzuständigkeitsverordnung Hessen, AG Frankfurt/M.), Niedersachsen (§ 8 Abs. 4 ZustVO-Justiz, AG Göttingen im OLG-Bezirk Braunschweig, AG Hannover im OLG-Bezirk Celle und AG Oldenburg im OLG-Bezirk Oldenburg), Nordrhein-Westfalen (§ 1 NRWKonzVOGGI, AG Düsseldorf im OLG-Bezirk Düsseldorf, AG Köln im OLG-Bezirk Köln und AG Essen im OLG-Bezirk Hamm für die Landgerichtsbezirke Bochum, Dortmund, Essen, Hagen und Siegen sowie das AG Bielefeld im OLG-Bezirk Hamm für die Landgerichtsbezirke Arnsberg, Bielefeld, Detmold, Münster und Paderborn), Sachsen (§ 16a SächsJOrgVO, AG Leipzig) und Sachsen-Anhalt (§ 1 ZivilAGZustV, AG Halle/Saale) Gebrauch gemacht.
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dd) Nachträgliche Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand (1) Verweisung von Amts wegen, § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO Da der Gruppen-Gerichtsstand lediglich einen Wahlgerichtsstand kumulativ zum allgemeinen Gerichtsstand der einzelnen Schuldner aus § 3 InsO darstellt, besteht die Gefahr, dass bei unkoordinier-
75 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3a Rz. 13; Sternal in Kayser/Thole, HKInsO, § 3a Rz. 14; Beck, DZWiR2014, 381, 382. 76 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3a Rz. 14; Pannen in HambKommInsO, § 3a Rz. 40. 77 So Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a Rz. 15; Sternal in Kayser/Thole, HKInsO, § 3a Rz. 12; Pannen in HambKommInsO, § 3a Rz. 26. 78 So etwa Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3a Rz. 14. 79 RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 28; AG Hamburg, Beschl. v. 9.6.2020 – 67g IN 136/20, juris Rz. 4; Wimmer/Amend in FK-InsO, § 3c Rz. 1.
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§ 4 Rz. 61 | § 4 Beratung im Konzern ten Insolvenzanträgen – insbesondere durch Gläubigeranträge – die Vorteile eines Gruppen-Gerichtsstandes wieder genommen werden. Nach § 3d InsO steht es daher grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, das Verfahren von Amts wegen nachträglich an das Gruppen-Gericht zu verweisen.80 (2) Verweisung auf Antrag eines Schuldners, § 3d Abs. 1 Satz 2 InsO 62
Stellt der Schuldner unverzüglich, nachdem er Kenntnis vom Eröffnungsantrag eines Gläubigers erlangt hat, einen zulässigen Eröffnungsantrag bei dem Gericht des Gruppen-Gerichtstandes, hat eine Verweisung auf Antrag des Schuldners zwingend zu erfolgen (§ 3d Abs. 1 Satz 2 InsO). Dies setzt jedoch voraus, dass der Gruppen-Gerichtsstand gem. § 3a Abs. 1 InsO durch unanfechtbaren Beschluss begründet worden ist.81
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Bei Einsetzung eines vorläufigen starken Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren oder als endgültiger Insolvenzverwalter, sind nach § 3d Abs. 2 InsO i.V.m. § 3a Abs. 3 InsO nur diese berechtigt, einen Verweisungsantrag zu stellen. (3) Rechtsfolge einer Verweisung
64
Eine Verweisung – sowohl auf Antrag als auch von Amts wegen – erfolgt durch unanfechtbaren Beschluss, der aus Gründen der Verfahrensökonomie für das Gericht des Gruppen-Gerichtstandes bindend ist.82 Mit dem Erlass des bindenden Verweisungsbeschlusses wird die Sache beim Insolvenzgericht des Gruppen-Gerichtstandes anhängig und wird in dem Stadium fortgesetzt, in dem es sich zum Zeitpunkt der Verweisung befand.83 ee) Rechtsbehelfe
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Die den Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstandes (§ 3a InsO) stattgebende oder ablehnende Entscheidung unterliegt mangels Regelung eines Beschwerderechts keiner Anfechtung.84 Offen bleibt die Anhörungsrüge bei Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 4 InsO i.V.m. § 321a ZPO).
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Wird der Antrag als unzulässig zurückgewiesen, entfaltet diese Zurückweisung keine Sperrwirkung, so dass ein erneuter Antrag auch durch denselben gruppenangehörigen Schuldner möglich ist.85 Erfolgt die Zurückweisung des Antrages als unbegründet, weil Zweifel an dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger bestehen (§ 3a Abs. 2 InsO; s. Rz. 53 ff.), ist ein neuer Antrag nur zulässig, wenn eine Veränderung der Interessenlage der Gläubiger aufgezeigt wird.86 Auch der Verweisungsbeschluss nach § 3d InsO ist unanfechtbar (vgl. Rz. 64).
80 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3d Rz. 2; Pannen in HambKommInsO, § 3d Rz. 3; Thole, KTS 2014, 351, 356 f. 81 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d Rz. 4. 82 Pannen in HambKommInsO, § 3d Rz. 18; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d Rz. 4; Sternal in Kayser/ Thole, HKInsO, § 3d Rz. 6; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3d Rz. 7; Vallender, Der Konzern 2013, 162, 165; a.A. Baumert, NZI 2019, 103, 104. 83 Sternal in Kayser/Thole, HKInsO § 3d Rz. 7; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d Rz. 12. 84 Sternal in Kayser/Thole, HKInsO § 3a Rz. 15; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d Rz. 20. 85 Braun/Baumert, § 3a Rz. 19; Sternal in Kayser/Thole, HKInsO, § 3a Rz. 15. 86 Sternal in Kayser/Thole, HKInsO, § 3a Rz. 15; Pannen in HambKommInsO, § 3a Rz. 41; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 3a Rz. 16.
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IV. Verfahrenszentralisierung | Rz. 71 § 4
3. Zentrale Verfahrensstrukturen zur Bewältigung von Gruppeninsolvenzen a) Strategische Erwägungen Neben der Begründung eines einheitlichen Gruppen-Gerichtsstandes ist bei einer angestrebten Sanierung des Konzerns insbesondere die Frage, mit welcher Verfahrensstruktur der Konzern durch die Insolvenzverfahren geführt werden soll, von wesentlicher Bedeutung für das Gelingen einer Sanierung oder sonstigen bestmöglichen Gesamtverwertungsstrategie. Dabei sollten die Leitungsstrukturen des Konzerns möglichst frühzeitig geschaffen und auf eine Sanierung ausgerichtet werden.87
67
b) Eigenverwaltung als Instrument der Konzernsanierung? Die Insolvenzordnung bietet als Optionen die Eigenverwaltung (zu Eigenverwaltung und Insolvenzplan vgl. umfassend § 3 Rz. 1 ff.) oder das Regelverfahren an. Bei der Eigenverwaltung führt der Schuldner, d.h. bei der GmbH der Geschäftsführer und bei der AG der Vorstand, das Unternehmen unter der Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters durch das Insolvenzverfahren. Der Sachwalter hat lediglich Aufsichts- und Überwachungsfunktion und einige insolvenzverfahrensspezifische Aufgaben (vgl. § 280 InsO).88 Im Eröffnungsverfahren fächert sich die vorläufige Eigenverwaltung noch in das besondere Schutzschirmverfahren (§ 270d InsO) auf, welches sich bis auf das exklusive Vorschlagsrecht des Schuldners im Hinblick auf den Sachwalter kaum von dieser unterscheidet.89 Im Regelverfahren erfolgt die Unternehmensfortführung hingegen unter der Ägide eines Insolvenzverwalters mit umfassender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis.
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Bei großen Unternehmen und Konzernen bietet die Eigenverwaltung erhebliche Vorteile zum Regelverfahren. Es besteht Kontinuität in der Geschäftsführung. Ein Insolvenzverwalter muss sich hingegen erst umfassend in das Unternehmen und die Konzernstrukturen einarbeiten. Dabei geht für die Rettung des Unternehmens kostbare Zeit verloren. Wichtig ist, dass bereits in der Phase der außergerichtlichen Sanierung auf Managementfehler durch Auswechseln oder Ergänzung der Geschäftsführung reagiert wird. Dies erfolgt in der Praxis häufig dadurch, dass ein sanierungserfahrener Chief Restructuring Officer (CRO) oder Chief Insolvency Officer (CIO) in die Geschäftsführung berufen wird. Über die Funktion des CIO, die in der Regel durch einen erfahrenen Insolvenzrechtler besetz wird, wird auf Organebene der erforderliche insolvenzrechtliche Sachverstand gewährleistet. Allerdings ist eine Implementierung des insolvenzrechtlichen Sachverstandes auf Organebene nicht zwingend,90 wenn auch bei großen Konzernen im Einzelfall durchaus sinnvoll.
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Die Eigenverwaltung hat jedoch keine konzernspezifischen Vorteile. Mit der durch das ESUG in § 276a InsO eingefügten Regelung hat sich der Gesetzgeber gegen eine gesellschaftsrechtliche Bindung der vertretungsberechtigten Organe in der Eigenverwaltung entschieden, was zuvor umstritten war.91 Die Geschäftsführer der einzelnen Konzernglieder unterliegen demnach mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung keinem Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung aus § 37 GmbHG oder aus einem Beherrschungsvertrag (§ 308 AktG). Mit dem am 1.1.2021 in Kraft getretenem SanInsFoG wurde das Grundverständnis einer Entflechtung der Geschäftsführung von den gesellschaftsrechtlichen Bindungen auf die vorläufige Eigenverwaltung übertragen (s. § 276a Abs. 3 InsO n.F.).
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Eine gebündelte und zentralisierte Abwicklung kann jedoch durch eine – zumindest teilweise etwa für die Funktion des CRO oder CIO – personenidentische Besetzung der Geschäftsleitungsorgane erreicht werden. Die personelle Verflechtung auf Organebene ist auch außerhalb der Insolvenz gängige
71
87 88 89 90 91
Vgl. Dellit, Der Konzern 2013, 190, 197. Vgl. Kern in MünchKomm/InsO, Vor §§ 270–285 InsO Rz. 73 ff. Vgl. im Einzelnen Kern in MünchKomm/InsO, § 270b Rz. 2 ff. Brünkmans in FS Pape, S. 15, 27 f.; a.A. Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1673. Zum Streitstand vor Inkrafttreten des ESUG vgl. Brünkmans, Koordinierung, S. 197 ff.
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§ 4 Rz. 71 | § 4 Beratung im Konzern Praxis für die Gewährleistung einer zentralen Führungsstruktur im Konzern92 und ist im Regelverfahren in § 56b InsO durch die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters anerkannt (s. unter Rz. 73 ff.). Die Zentralisierung und Effektivität der Abwicklung der Insolvenzverfahren kann noch dadurch verstärkt werden, indem auch eine personenidentische Sachwalterbestellung in Erwägung gezogen wird, was gem. § 56b i.V.m. §§ 274 Abs. 1, 270b Abs. 1 InsO grundsätzlich möglich ist.93 Ob eine solche „zentrale Führungsstruktur“ durch personenidentische Geschäftsleitungsorgane und Sachwalter mit etwaigen Interessendivergenzen zwischen den Einzelverfahren vereinbar ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Zwar kommt auch im Fall einer Eigenverwaltung mit personenidentischem Sachwalter im Einzelfall die Bestellung eines Sondersachwalters in Frage, welcher konzerninterne Anfechtungsansprüche oder Forderungsanmeldungen betreibt (s. zum Sonderinsolvenzverwalter unter Rz. 83 ff.). Aufgrund der – im Vergleich zum Insolvenzverwalter – nur eingeschränkten Kompetenz des Sachwalters kann sich bei akuten Interessenkollisionen indes die Frage stellen, ob die personenidentische Besetzung der Sachwalterfunktion noch sinnvoll ist. 72
Trotz der durchaus bestehenden Vorteile der Eigenverwaltung bei der Abwicklung größerer Konzerninsolvenzen kann im Einzelfall dennoch das Regelverfahren das „Verfahren der Wahl sein“, insbesondere wenn aufgrund von Vorfällen in der Vergangenheit das Vertrauen der Gläubiger in die gesamte Geschäftsführung gestört ist. Dann stellt sich die Frage nach der zentralen Führung der einzelnen Regelinsolvenzverfahren (dazu nachfolgend).
c) Der Gruppen-Insolvenzverwalter aa) Abwägung 73
Sollte sich im Rahmen der Vorbereitungen des Insolvenzantrages oder während des Antragsverfahrens herausstellen, dass das Regelverfahren mit einem (vorläufigen) Insolvenzverwalter für den konkreten Einzelfall die bessere Verfahrensstruktur bietet als die Eigenverwaltung, ist frühzeitig zu prüfen, ob die Bestellung der gleichen Person als Insolvenzverwalter in den Verfahren der einzelnen Gruppen-Gesellschaften sinnvoll ist.
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Die Bestellung des gleichen Insolvenzverwalters bietet effektive Führungsstrukturen bei der Fortführung des Gesamtkonzerns im Eröffnungsverfahren und im eröffneten Insolvenzverfahren.94 Ferner werden Reibungsverluste bei der Implementierung von Sanierungs- oder Gesamtverwertungsstrategien vermieden. Diese können auch nicht durch die in § 269a InsO geregelten Kooperationspflichten vollständig aufgelöst werden (dazu ausführlich unter Rz. 98 ff.).
75
Bei der sog. Personenidentität der Insolvenzverwalter im Konzern handelt es sich um ein Modell, das bereits in der allgemeinen Konzernorganisationslehre in der Form von Mehrfachmandaten auf Vorstands- oder Geschäftsführerebene als Mittel zur Gewährleistung effektiver Führungsstrukturen bekannt ist.95 Die Bestellung der gleichen Person zum Insolvenzverwalter hat insbesondere folgende Vorteile: – Das Verfahren läuft schneller, weil nur ein Insolvenzverwalter sich in die Strukturen und Beziehungen des Konzerns einarbeiten muss.
92 Vgl. Lutter/Keller, Holding Handbuch, § 4 Rz. 77 ff. 93 Wimmer-Amend in FK-InsO, § 56b Rz. 13; Frind in HambKommInsO, § 56b Rz. 6; a.A. Streit, NZIBeil. 2018, 14, 17. 94 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013, S. 6; Brünkmans, Koordinierung, S. 131. 95 Vgl. Lutter/Keller, Holding Handbuch, § 4 Rz. 107 ff.
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IV. Verfahrenszentralisierung | Rz. 79 § 4
– Der direkte Zugriff auf zentral und konzernübergreifend verwaltete Informationen, wie etwa aus den Bereichen Personalwesen, Buchhaltung, Rechnungswesen, Grundstücksverwaltungen und Datenverarbeitung etc. ist gewährleistet.96 – Zentrale Planung der Sanierung des Konzerns, Gewährleistung von Insolvenzplänen „aus einer Hand“.97 Nachteilig kann die Bestellung der gleichen Person zum Insolvenzverwalter aus folgenden Gründen sein:
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– Aufgrund seines Verwalteramtes in anderen gruppenangehörigen Verfahren kann dem Verwalter u.U. die gebotene Unabhängigkeit fehlen und es drohen u.U. Interessenkonflikte. Die Interessenkonflikte können aber ggf. durch die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters aufgelöst werden, was nach § 56b Abs. 1 Satz 2 InsO das Insolvenzgericht ausdrücklich zu prüfen hat.98 – Eine dezentrale Abwicklung ist im Einzelfall bei dezentralen Konzernstrukturen effizienter, weil kaum Synergien bestehen, aber die Verfahren arbeitsteilig und damit ggf. schneller abgewickelt werden können. bb) Voraussetzung für die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters § 56b InsO zeigt dem Richter Kriterien auf, die er bei der Abwägung, ob für die bei ihm anhängigen Verfahren der gleiche Insolvenzverwalter zu bestellen ist, heranzuziehen hat, die auch für die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters gelten (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO).99
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(1) Im Interesse der Gläubiger Voraussetzung für die Bestellung lediglich einer Person zum Insolvenzverwalter in den einzelnen Verfahren ist nach § 56b Abs. 1 Satz 1 InsO, dass dies im Interesse der Gläubiger liegt. Die Frage, ob die Bestellung nur eines Insolvenzverwalters im konkreten Fall im Interesse der Gläubiger liegt, überlässt das Gesetz nach der Begründung zum Regierungsentwurf der Beurteilung und dem Ermessen der involvierten Insolvenzgerichte.100
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Bei der Vorbereitung und Planung der Insolvenzanträge sollte der Schuldner bereits im Eröffnungsantrag darlegen, aus welchen Gründen die Einsetzung des gleichen Insolvenzverwalters im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt. Möchten die Gruppen-Gesellschaften auf die Bestellung des gleichen Insolvenzverwalters hinwirken, wird in den meisten Fällen auch die Gründung eines GruppenGerichtsstandes angestrebt werden. Im Insolvenzantrag kann dann häufig in großen Teilen auf die nach § 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO zwingend erforderliche Darlegung, aus welchen Gründen eine Verfahrenskonzentration im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt, zurückgegriffen werden. § 56b Abs. 1 InsO stellt auf die „Interessen der Gläubiger“ ab, weicht somit vom Wortlaut von der Voraussetzung für die Begründung eines Gruppengerichtsstandes aus § 3a Abs. 2 InsO ab, wo vom „gemeinsamen Interesse der Gläubiger“ die Rede ist. Dennoch wird man davon ausgehen müssen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters vorliegen, wenn die angestrebten und im Insolvenzantrag dargelegten Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Befriedi-
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96 Diese Bereiche werden häufige zentral auf der Ebene der Konzernmutter unterhalten, ausführlich Brünkmans, Der Konzern 2013, 162, 173; vgl. auch Piepenburg, NZI 2004, 231, 235. 97 Brünkmans, Der Konzern 2013, 162, 173; vgl. auch Piepenburg, NZI 2004, 231, 235. 98 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 30 f. 99 Anders noch Graeber in MünchKomm/InsO, § 56b Rz. 2 ff., da § 21 Abs. 1 Nr. 1 InsO a.F. lediglich auf § 56a InsO verwies. 100 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 31.
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§ 4 Rz. 79 | § 4 Beratung im Konzern gungsquote des jeweiligen Schuldners neutral, im Übrigen aber auf Ebene des Gesamtkonzerns positiv auswirken würde.101 80
Im Ergebnis hat das Gericht wie bereits bei der Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes die Vorund Nachteile einer personenidentischen Bestellung miteinander abzuwägen.102 Sind konkrete Nachteile und Gefahren für Gläubiger in einem Einzelverfahren identifizierbar, müssen diese durch eine zu erwartende höhere Befriedigungsquote dieser Gläubiger ausgeglichen werden. Dies folgt bereits daraus, dass sämtliche Koordinierungsmaßnahmen des KIG sich am Pareto-Optimum messen lassen müssen (s. Rz. 7).
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Da eine Abwägung im frühen Stadium des Eröffnungsverfahrens für das Gericht schwierig sein wird, wird es die Frage, ob die einheitliche Verwaltung im Interesse der Gläubiger liegt, typisierend beantworten. Die Verfahrenszentralisierung bringt typischerweise einen Mehrwert und garantiert eine effiziente Verfahrensabwicklung, es sei denn, es liegt eine offensichtlich dezentrale Konzernstruktur vor. Dezentrale Konzernstrukturen finden sich häufig bei Misch- und Spartenkonzernen. (2) Potentielle Interessenkonflikte als Hindernis?
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Als Nachteil einer einheitlichen Verwaltung werden häufig Interessenkollisionen genannt. Interessenkollisionen bestehen bei der Überprüfung des konzerninternen Leistungsaustausches aus der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Prüfung und ggf. Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen.103 Solche konzerninternen Anfechtungssachverhalte treten verstärkt auf, wenn die Konzerngesellschaften über eine Cash-Pool-Anbindung verfügen. Interessenkollisionen können auch beim Leistungsaustausch während des Eröffnungsverfahrens und Insolvenzverfahrens auftreten, etwa wenn es um die Frage der Ausübung des Wahlrechts nach § 103 InsO zu Lasten einer Masse geht. Gleiches gilt für die Anmeldung der Ansprüche im jeweils anderen Verfahren. (3) Auflösung potentieller Interessenkonflikte durch Sonderinsolvenzverwalter und Dokumentationspflicht
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Die Gefahr der Interessenkollision lässt sich indes durch die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters und eine verstärkte Dokumentationspflicht eindämmen. Der Sonderinsolvenzverwalter hat die Stellung eines Insolvenzverwalters, der punktuell für einen bestimmten im Bestellungsbeschluss definierten Bereich zuständig ist und den originären Insolvenzverwalter für diesen Bereich verdrängt.104
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Im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzen werden in der Praxis häufig Angelegenheiten und rechtsgeschäftliche Erklärungen gegenüber anderen Konzerngesellschaften, wie etwa Vertragsschlüsse, Ausübung des Wahlrechts aus § 103 InsO, Anfechtungsansprüche im Rahmen des konzerninternen Leistungsaustausches, die Anmeldung von Forderungen im anderen Insolvenzverfahren zur Aufgabe des Sonderinsolvenzverwalters erkoren.105
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Wird bei der Vorbereitung der Insolvenzanträge der personengleiche Insolvenzverwalter oder Sachwalter angestrebt, bietet es sich an, dass der Schuldner bereits im Insolvenzantrag eine solche Bestellung durch das Gericht anregt und die Person möglichst vom vorläufigen Gläubigerausschuss vorgeschlagen 101 102 103 104
Frind in HambKommInsO, § 56b Rz. 10; Wimmer-Amend in FK-InsO, § 56b Rz. 24. Brünkmans, ZIP 2013, 193, 197. Vgl. dazu Brünkmans, Koordinierung, S. 133; Thole, Der Konzern 2013, 182, 188. S. Graeber in MünchKomm/InsO, § 56 Rz. 154; Lüke, ZIP 2004, 1693, 1694; Zipperer in Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 57. 105 AG Duisburg, NZI 2002, 556 „Babcock Borsig“; Graeber, NZI 2007, 265, 269; Brünkmans, Koordinierung, S. 142.
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IV. Verfahrenszentralisierung | Rz. 89 § 4
wird. Es ist ratsam, mit dem Gericht im Voraus die Festlegung der Kompetenzen des Sonderinsolvenzverwalters zu besprechen, denn ein Sonderinsolvenzverwalter dessen Kompetenzen nicht aufs Nötigste beschränkt sind, würde die durch den personenidentischen Insolvenzverwalter angestrebte einheitliche Verwaltung und die angestrebte Effektivität und Effizienz wieder relativieren.106 Die Aufsichts- und Kontrollkompetenzen im Hinblick auf Masseverschiebungen und die Prüfung der Anmeldung von konzerninternen Forderungen dürften i.d.R. genügen, um die vermuteten Interessenkollisionen zu widerlegen.107 Der konzerninterne Leistungsaustausch sollte im Rahmen der insolvenzspezifischen Berichtspflicht aus § 66 InsO ausführlich dokumentiert werden, um den Vorwurf der Interessenvernachlässigung zu vermeiden. In Anlehnung an den aktienrechtlichen Abhängigkeitsbericht (§ 312 AktG) sind bei Rechtsgeschäften Leistung und Gegenleistung, bei den sonstigen Maßnahmen die Gründe der Maßnahme und deren Vorteile und Nachteile für den Schuldner anzugeben. Der Sonderinsolvenzverwalter hat dabei einen Prüfungsbericht anzufertigen, der dem Gläubigerausschuss und dem Gericht vorgelegt wird.
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cc) Abweichung vom Gläubigerausschussvotum, § 56a Abs. 2 InsO Das Gericht ist berechtigt, entgegen dem nach § 56a Abs. 2 InsO grundsätzlich bindenden Votum des Gläubigerausschusses einen anderen Insolvenzverwalter zu bestellen, wenn der für einen anderen gruppenangehörigen Schuldner bestellte vorläufige Gläubigerausschuss einen anderen Insolvenzverwalter einstimmig vorschlägt. Dies gilt nach § 56b Abs. 2 Satz 3 InsO nicht bzgl. eines Votums des Gläubigerausschusses für einen bestimmten Sonderinsolvenzverwalter.
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d) Gruppen-Gläubigerausschuss aa) Funktion und Aufgabe des Gruppen-Gläubigerausschusses Für die Beteiligung der Gläubiger sieht § 269c InsO – ähnlich wie § 56b InsO für den Insolvenzverwalter – mit dem Gruppengläubigerausschuss ein weiteres Instrument der Verfahrenskonzentration vor. Danach kann auf Antrag eines Gläubigerausschusses, der in einem Verfahren über das Vermögen eines gruppenangehörigen Schuldners bestellt ist, das Gericht des Gruppen-Gerichtsstandes einen Gruppen-Gläubigerausschuss einsetzen. Dadurch sollen die Interessen aller Gläubiger der von der Insolvenz betroffenen Gruppen-Gesellschaften gebündelt werden.108 Die in der Praxis häufig zu sehende personenidentische Besetzung der Gläubigerausschüsse in den einzelnen Insolvenzverfahren der Konzerngesellschaften wird durch § 269c InsO grundsätzlich nicht in Frage gestellt.109
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Der vorläufige Gruppen-Gläubigerausschuss hat die Aufgabe, die Insolvenzverwalter und die Gläubigerausschüsse in den einzelnen Verfahren zu unterstützen, um eine abgestimmte Abwicklung dieser Verfahren zu erleichtern (§ 269c Abs. 2 Satz 1 InsO). Ferner hat er wichtige Informationen zu bündeln und ein institutionalisiertes Forum zum wechselseitigen Austausch der unterschiedlichen Gläubigerinteressen in den Einzelverfahren zu bieten.110 Eine besonders wichtige Funktion hat der GruppenGläubigerausschuss im Koordinationsverfahren, denn nach § 269h Abs. 1 Satz 2 InsO bedarf der Koordinationsplan seiner Zustimmung und auch vor Bestellung eines Verfahrenskoordinators hat das Gericht dem Gruppen-Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu der Person des Verfahrenskoordinators und den an ihn zu stellenden Anforderungen zu äußern (§ 269e Abs. 2 InsO). Nach herrschender Auffassung ist das Koordinationsgericht an einen einstimmen Vorschlag des Gruppen-Gläu-
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106 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 541 Fn. 42. 107 Brünkmans, ZIP 2013, 193, 199. 108 RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 34; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 3; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 269c Rz. 2. 109 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 4; Fendel in Braun, InsO, § 269c Rz. 10. 110 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 25; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 2; Fendel in Braun, InsO, § 269c Rz. 20.
Brünkmans | 391
§ 4 Rz. 89 | § 4 Beratung im Konzern bigerausschusses zur Person des Verfahrenskoordinators über die Verweisung in § 269f Abs. 3 InsO auf § 56a Abs. 2 InsO gebunden.111 bb) Voraussetzungen für die Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses (1) Eröffnung des räumlichen und sachlichen Anwendungsbereichs 90
Eine dem § 269c InsO vergleichbare Regelung enthält die EuInsVO nicht, so dass bei grenzüberschreitenden Konzernstrukturen ein zu klärendes Konkurrenzverhältnis zum europäischen Konzerninsolvenzrecht nicht besteht.112 Antragsberechtigt sind nur Gläubigerausschüsse inländischer Insolvenzverfahren und nur diese werden in einem eingesetzten Gläubigerausschuss repräsentiert.113 Ein Gruppen-Gläubigerausschuss kann sowohl innerhalb als auch außerhalb eines Koordinationsverfahrens (s. dazu Rz. 123 ff.) eingesetzt werden.114 (2) Antrag beim Gericht des Gruppen-Gerichtsstandes
91
Der Gruppen-Gläubigerausschuss wird nur auf Antrag, nicht von Amts wegen eingesetzt. Antragsberechtigt ist jeder (vorläufige) Gläubigerausschuss eines gruppenangehörigen Schuldners. Die offensichtlich untergeordnete Bedeutung des gruppenangehörigen Schuldners (§ 269c Abs. 1 Satz 2 InsO) ist für die Antragsberechtigung nicht von Relevanz.115 Das Antragsrecht steht dem vorläufigen Gläubigerausschuss als Organ zu. Folglich ist diesem ein Beschluss des Gläubigerausschusses gem. § 72 InsO zugrunde zu legen.116
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Zuständig für die Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses ist das Gericht des Gruppen-Gerichtsstandes. Unklar ist, ob vor dem Antrag auf Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses ein Gruppen-Gerichtsstand i.S.v. § 3a InsO begründet werden muss (s. dazu Rz. 40 ff.). Dies wird in der Literatur überwiegend verneint.117 Diese Frage dürfte indes eher theoretischer Natur sein, weil immer auch ein Bedürfnis für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes besteht, wenn die Koordinierung der Verfahren über einen Gruppen-Gläubigerausschuss für sinnvoll erachtet wird.118 (3) Anhörung
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Sämtliche Gläubigerausschüsse in den Verfahren der gruppenangehörigen Schuldner sind vor der Entscheidung des Gerichts anzuhören.119
111 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 26; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 20; Wimmer/Amend in FK-InsO, § 269c Rz. 39; Fendel in Braun, InsO, § 269c Rz. 19; Hoegen/Kranz, NZIBeilage 2018, 20; a.A. Harder/Lojowsky, NZI 2013, 327, 329. 112 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 4. 113 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 4; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 4; a.A. Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 269c Rz. 5, welcher die Besetzung mit Mitgliedern aus Verfahren in EU-Staaten für erforderlich hält. 114 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 4; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 4. 115 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 8; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 7; Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 269c Rz. 8. 116 Flöther/Hoffmann, Handbuch Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 81; Wimmer-Amend in FK-InsO, § 269c Rz. 5; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 9. 117 Specovius in Kayser/Thole, HKInsO, § 269c Rz. 7; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 8; Jaeger in Jaeger, InsO, § 269c Rz. 11 ff.; a.A. Frind in HambKommInsO, § 269c Rz. 5; Hoegen/Kranz, NZI Beilage 2018, 20, 21. 118 So auch BeckOKInsO/Gelbrich/Flöther, § 269c Rz. 7; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 12. 119 FKInsO/Wimmer-Amend, § 269c Rz. 11; Knopf in Uhlenbruck, InsO, § 269c Rz. 8; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 14 f.
392 | Brünkmans
IV. Verfahrenszentralisierung | Rz. 97 § 4
cc) Entscheidung des Gerichts Das Gericht entscheidet über den Antrag auf Bestellung eines Gruppen-Gläubigerausschusses nach Anhörung der anderen Gläubigerausschüsse nach pflichtgemäßem Ermessen durch Beschluss.
94
Bei den Ermessenserwägungen hat das Gericht insbesondere abzuwägen, ob der Aufwand und die anfallenden Kosten für die Einsetzung eines Gruppen-Gläubigerausschusses durch den erwarteten Nutzen (Generierung von Koordinierungsgewinnen und Synergien) im gemeinsamen Interesse der Gläubiger120 überwiegen.121 Über die konkrete Besetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses entscheidet das Gericht nach Maßgabe der Vorgaben aus § 269c Abs. 1 Satz 2 InsO (dazu nachfolgend) zusammen mit der Einsetzungsentscheidung. Der Beschluss des Gerichts über die Einsetzung und Zusammensetzung des Gruppen-Gläubigerausschuss kann nicht im Wege der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Hat der Rechtspfleger entschieden, ist die Rechtspflegererinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG einschlägig.122
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dd) Besetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses Jeder Gläubigerausschuss oder vorläufiger Gläubigerausschuss eines gruppenangehörigen Schuldners, der nicht von offensichtlich untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist, stellt ein Mitglied des Gruppen-Gläubigerausschusses. Mitglieder des Gruppen-Gläubigerausschusses werden dabei die jeweiligen Einzelpersonen, nicht die einzelnen Gläubigerausschüsse.123 Um eine effektive Koordinierung der Einzelverfahren zu gewährleisten, sollten die Mitglieder im Gruppen-Gläubigerausschuss zugleich Mitglieder in den Gläubigerausschüssen der Einzelverfahren, die sie vertreten, sein.124
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Ferner muss stets ein „weiteres Mitglied“ aus dem Kreis der Vertreter der Arbeitnehmer stammen (§ 269c Abs. 1 Satz 3 InsO), welches jedoch nicht zwingend auch in einem Einzelgläubigerausschuss vertreten sein muss.125 ee) Auf den Gruppen-Gläubigerausschuss anwendbare Vorschriften Nach § 269c Abs. 2 Satz 2 InsO sind die wesentlichen Vorschriften über den Gläubigerausschuss (§§ 70–73 InsO) entsprechend anzuwenden. So können Mitglieder des Gruppen Gläubigerausschusses von Amts wegen oder auf Antrag aus wichtigem Grund durch das Gericht des Gruppengerichtsstandes entlassen werden (§ 70 Satz 1 u. 2 InsO). Die Haftung der Mitglieder des Gruppen Gläubigerausschusses richtet sich nach § 71 InsO.126 Die Beschlussfassung des Gruppen Gläubigerausschusses erfolgt mit Kopfmehrheit (§ 72 InsO). Die Vergütung eines Mitglieds des Gruppen-Gläubigerausschuss wird demnach im jeweiligen Einzelverfahren gem. § 73 InsO durch eine erhöhte Vergütung festgesetzt (§ 269c Abs. 2 Satz 3 InsO).127
120 Das gemeinsame Interesse der Gläubiger bezieht sich nicht nur auf das Antragsteller-Unternehmen, sondern auf die Interessen der Gläubiger sämtlicher gruppenangehöriger Schuldner. Die Koordinierungsgewinne müssen nicht bei allen Massen eintreten, sollen aber auch die übrigen Massen nicht benachteiligen, Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 14. 121 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 34, 39; FKInsO/Wimmer-Amend, § 269c Rz. 10; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 14 f. 122 Specovius in Kayser/Thole, HKInsO, § 269c Rz. 8; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 23. 123 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 20; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 12. 124 Streitig, wie hier FKInsO/Wimmer-Amend, § 269c Rz. 18; Hoegen/Kranz, NZI-Beilage 2018, 20, 22; dagegen Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269c Rz. 12. 125 Hoegen/Kranz, NZI-Beilage 2018, 20, 22; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 21. 126 Siehe Einzelheiten, Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269c Rz. 32 ff. 127 RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 34.
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§ 4 Rz. 98 | § 4 Beratung im Konzern
V. Dezentrale Verfahrensabwicklung 1. Überblick 98
Für den Fall, dass sich die Beteiligten (Organe, Berater der Konzerngesellschaften oder Insolvenzgerichte) im Rahmen der Abwägung für und gegen eine zentralisierte Verfahrensabwicklung (s. dazu Rz. 32) gegen eine solche entscheiden, sieht das KIG Mechanismen vor, welche die Kooperation der Beteiligten in den einzelnen Insolvenzverfahren der den Gruppen zugehörigen Schuldnern fördern. Dazu gehören insbesondere die in § 269a InsO und § 269b InsO geregelten allgemeinen Kooperationspflichten der Insolvenzverwalter und Insolvenzgerichte, aber auch das besondere Koordinationsverfahren nach §§ 269d–i InsO.
2. Kooperationspflichten zwischen den Verfahrensorganen a) Insolvenzverwalter/Eigenverwalter und Sachwalter aa) Überblick, sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich 99
§ 269a InsO regelt allgemeine Kooperationspflichten zwischen den Insolvenzverwaltern gruppenangehöriger Schuldner. Ob die jeweiligen Schuldner „gruppenangehörig“ im Sinne dieser Vorschrift sind, bestimmt sich nach § 3e InsO (s. dazu Rz. 9). Die Kooperationspflichten greifen demnach, wenn das Insolvenzverfahren oder das Eröffnungsverfahren über das Vermögen von mindestens zwei derselben Unternehmensgruppe angehöriger Schuldner eröffnet wurde. Dies ist dann der Fall, wenn die Schuldner unmittelbar oder mittelbar durch die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder einer Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung miteinander verbunden sind (§ 3e InsO). Dabei kommt es auf die Gruppenzugehörigkeit im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung an, d.h. ein späterer Verlust der Gruppenzugehörigkeit aufgrund eines Share Deals lässt die Kooperationspflichten der Insolvenzverwalter nicht entfallen.128 Wird das Koordinationsverfahren eingeleitet, finden die Kooperationspflichten aus § 269a InsO zwischen den Einzelverwaltern nach wie vor Anwendung, während sich die Kooperationspflichten der Einzelverwalter mit dem Verfahrenskoordinator aus § 269f Abs. 2 InsO ergeben.
100
Die Kooperationspflicht aus § 269a InsO gilt für Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren, aber auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO). In der Eigenverwaltung trifft sie gem. § 270d InsO den gruppenangehörigen Schuldner selbst. Über die Legalitätspflicht der Schuldnerorgane werden die Kooperationspflichten aus § 270d i.V.m. § 269a InsO auf die Schuldnerorgane übertragen.129 Offen bleibt, ob § 269a InsO analog auch auf den vorläufigen Sachwalter anwendbar ist. Dies ist richtigerweise zu bejahen.130 Auf nicht insolvente gruppenangehörige Schuldner findet § 269a InsO hingegen keine Anwendung.131
101
Die Kooperationspflichten aus § 269a InsO greifen nur, wenn die gruppenangehörigen Schuldner ihren Mittelpunkt hauptsächlicher Interessen im Inland haben (vgl. § 3e InsO). Wurden über gruppenangehörige Schuldner in Deutschland und in einem anderen EU-Mitgliedstaat Insolvenzverfahren eröffnet, richten sich die Kooperationspflichten nicht nach § 269a InsO, sondern nach Art. 56 EuInsVO. Dies gilt auch für die Kooperationspflichten zwischen mehreren nationalen Verwaltern (vgl. Art. 102c § 22 Abs. 1 Nr. 1 EGInsO).132 128 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 13; a.A. Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 269a Rz. 6. 129 Pannen in HambKommInsO, § 269a Rz. 6; HK-Brünkmans, § 270d InsO, Rz. 3; Thole, KTS 2014, 351, 370. 130 Streitig, s. Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 18 m.w.N. 131 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269a Rz. 16; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 19. 132 Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 102c § 22 Rz. 2.
394 | Brünkmans
V. Dezentrale Verfahrensabwicklung | Rz. 106 § 4
bb) Inhalt der Kooperationspflichten Wortlaut und Systematik von § 269a InsO unterteilen die Kooperationspflichten in die Pflicht zur Unterrichtung und Zusammenarbeit (Satz 1) und die Pflicht zur Mitteilung von Informationen (Satz 2).
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(1) Pflicht zur Unterrichtung und Zusammenarbeit, § 269a Satz 1 InsO (a) Unterrichtungspflicht Aus der Unterrichtungspflicht, welche eine besondere Form der Zusammenarbeit darstellt, resultiert die Pflicht des Insolvenzverwalters, unaufgefordert die anderen Insolvenzverwalter über wesentliche Vorgänge in ihrem Verfahren zu informieren.133 Dazu gehört insbesondere die Frage, ob eine Sanierung angestrebt wird oder das Unternehmen liquidiert werden soll.
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(b) Pflicht zur Zusammenarbeit Die allgemeine Pflicht zur Zusammenarbeit (§ 269a Satz 1 Var. 2 InsO) kann hingegen vielfältig sein und hängt jeweils vom Einzelfall, insbesondere vom Verfahrensstadium und Verflechtungsgrad des Konzerns, ab.
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Im Eröffnungsverfahren kommen folgende Pflichten in Betracht: – Pflicht zur Kontaktaufnahme der vorläufigen Insolvenzverwalter unmittelbar nach ihrer Bestellung im Eröffnungsverfahren,134 – gegenseitige Unterstützung bei der ersten Einarbeitung der vorläufigen Insolvenzverwalter, – Abstimmung der Finanzierung der Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren, insbesondere über gruppeninterne Massedarlehen, – Abstimmung über Aufrechterhaltung gruppeninterner Verträge, – Abstimmung über den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, – gemeinsame Sondierung der Sanierungsaussichten für die gesamte Gruppe.135 Ab Eröffnung der Insolvenzverfahren gehen die Kooperationspflichten zunehmend von der reinen Aufrechterhaltung der Betriebsfortführung über zur Eruierung und Entwicklung von konzernweiten Sanierungs- oder Gesamtverwertungsstrategien:
105
– Abstimmung über Empfehlungen im Berichtstermin, – Abstimmung bei der Ausarbeitung und Einbringung von Insolvenzplänen. (c) Grenzen der Unterrichtungs- und Kooperationspflichten In sämtlichen Fällen findet die Kooperationspflicht dort ihre Grenzen, wo die Interessen der Beteiligten des Verfahrens beeinträchtigt werden (§ 269a Satz 1 Halbs. 2 InsO). Beteiligte des Verfahrens sind insbesondere Insolvenzgläubiger sowie Aus- und Absonderungsberechtigte. Eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters an einer Gesamtverwertungsstrategie wäre mit den Interessen der Beteiligten nicht vereinbar, wenn bei einer Einzelverwertung ein besseres Ergebnis zu erzielen wäre. Gegebenenfalls
133 Kübler in FS-Vallender, S. 297; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 25; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269a Rz. 24. 134 Brünkmans, Der Konzern, 2017, 518, 522. 135 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 28 f.
Brünkmans | 395
106
§ 4 Rz. 106 | § 4 Beratung im Konzern sind Ausgleichszahlungen zugunsten der „aufopfernden“ Einzelmasse – etwa über einen Insolvenzverwaltungsvertrag – zu regeln.136 (2) Pflicht zur Mitteilung von Informationen, § 269a Satz 2 InsO 107
Nach § 269a Satz 2 InsO haben die Insolvenzverwalter auf Anforderung unverzüglich alle Informationen mitzuteilen, die für das andere Verfahren von Bedeutung sein können. Anders als die für das eigene Verfahren wichtigen Informationen, welche der unaufgeforderten Unterrichtungspflicht aus § 269a Satz 1 InsO unterfallen, entsteht eine Mitteilungspflicht von für das andere Verfahren möglicherweise relevante Informationen nur auf Anforderung des anderen Insolvenzverwalters.
108
Die angeforderten Informationen müssen für das andere Verfahren lediglich von Bedeutung sein können, nicht jedoch tatsächlich bedeutsam sein. Eine Informationspflicht besteht somit nur dann nicht, wenn die begehrte Information keinen ersichtlichen Bezug zu dem anderen Verfahren hat.137 Die Mitteilung der Information hat nach Aufforderung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) zu erfolgen. Die Grenze aus § 269a Satz 1 InsO „soweit hierdurch nicht die Interessen der Beteiligten des Verfahrens beeinträchtigt werden“ gilt entgegen der Systematik auch für die Informationspflichten aus Satz 2. Als Grenze kommt dabei insbesondere die Zumutbarkeit der Informationsbeschaffung und die Geheimhaltungsinteressen des Schuldners oder anderer Personen in Betracht.138 Für Informationen, welche im anderen Verfahren zur Durchsetzung von Insolvenzanfechtungsansprüchen gegen den Informationsgewährenden geeignet sein können, besteht ein Zurückbehaltungsrecht, wenn konkret ein Rechtsstreit anhängig ist oder mit einem solchen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist.139 Ferner können Datenschutz und Geheimhaltungsinteressen im Rahmen einer Interessenabwägung im Einzelfall zu einem Informationsverweigerungsrecht führen.140 cc) Durchsetzung der Kooperationspflichten
109
§ 269a InsO enthält keine Regelung zur Sanktion einer Verletzung der Kooperationspflichten der Insolvenzverwalter. Daher ist auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen. Ist die Kooperationsverweigerung eines Insolvenzverwalters rechtswidrig, kann das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Rechtsaufsicht durch Festsetzung eines Zwangsgeldes (§ 58 Abs. 2 InsO) oder Entlassung aus dem Amt (§ 59 InsO) die Kooperation durchsetzen.141
110
Da § 269a InsO eine echte Kooperationspflicht regelt, kommt grundsätzlich auch die Leistungsklage in Betracht. Aufgrund der Eilbedürftigkeit wird jedoch in der Regel nur die einstweilige Verfügung unter den Voraussetzungen einer Leistungsverfügung (Vorwegnahme der Hauptsache) zielführend sein.142
111
Auch eine Haftung des kooperationsverweigernden Insolvenzverwalters nach § 60 InsO kommt in Betracht. Dabei besteht richtigerweise eine Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters auch für Schä-
136 Brünkmans, Der Konzern, 2013, 168, 172 f. 137 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 40; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269a Rz. 46; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269a Rz. 15. 138 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 43; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269a Rz. 53; Pluta, NZI-Beilage 2018, 18, 19. 139 Weiter Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269a Rz. 14; wie hier Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 43; Fendel in Braun, InsO, § 269a Rz. 11; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269a Rz. 52; Specovius/Kuske in Gottwald InsR-HdB, § 269a Rz. 54. 140 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 44; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269a Rz. 39 f.; Fendel in Braun, InsO, § 269a Rz. 11; Frege/Nicht in Flöther, Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 323. 141 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269a Rz. 31; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 46; Pannen in HambKommInsO, § 269b Rz. 41. 142 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 47.
396 | Brünkmans
V. Dezentrale Verfahrensabwicklung | Rz. 115 § 4
den in den anderen Insolvenzverfahren, wenn diese auf einen Verstoß gegen die Kooperationspflicht des Insolvenzverwalters zurückzuführen ist.143
b) Kooperationspflichten der Gerichte aa) Überblick, sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich Wird kein einheitlicher Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a InsO gebildet und die Insolvenzverfahren der gruppenangehörigen Schuldner somit bei verschiedenen Insolvenzgerichten geführt, ordnet § 269b InsO eine Kooperationspflicht der Insolvenzgerichte an. § 56b Abs. 1 Satz 1 InsO ist im Vergleich zur allgemeinen Kooperationspflicht aus § 269b InsO die speziellere Norm, indem sie eine Abstimmungspflicht der Gerichte speziell für die Frage der Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters in den einzelnen Insolvenzverfahren regelt (s. ausführlich dazu Rz. 73 ff.).
112
Wie § 269b Satz 2 InsO zu entnehmen ist, welcher insbesondere einen Abstimmungsbedarf für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen vorsieht, greifen die Kooperationspflichten bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren.144 Die Kooperationspflichten gelten auch im Zusammenspiel der jeweiligen verfahrensleitenden Richter desselben örtlich zuständigen Gerichts145 und gelten für Richter und Rechtspfleger gleichermaßen.146
113
Werden die Insolvenzverfahren eines gruppenangehörigen Schuldners in mindestens zwei Mitgliedstaaten geführt, richtet sich die Kooperationspflicht der Gerichte nach Art. 57 der Verordnung (EU) 2015/848 (EuInsVO), welche in diesem Fall § 269b InsO verdrängt (vgl. Art. 102c § 22 Abs. 1 Nr. 2 EGInsO). Da die Kooperationspflicht aus Art. 57 EuInsVO unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit der für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften steht, gelten für die deutschen Gerichte die Maßstäbe aus § 269b InsO und gehen damit nicht über diese hinaus.147
114
bb) Inhalt der Kooperationspflichten (1) Zusammenarbeit Eine Pflicht zur Zusammenarbeit besteht insbesondere für die in § 269b Abs. 2 InsO aufgezählten Maßnahmen, namentlich: – Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, – Eröffnung des Insolvenzverfahrens, – Bestellung eines Insolvenzverwalters, – wesentliche verfahrensleitende Entscheidungen, – Umfang der Insolvenzmasse, – Vorlage von Insolvenzplänen sowie sonstigen Maßnahmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens.
143 Streitig, wie hier Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a Rz. 49; Wimmer in FKInsO, § 269a Rz. 25; Leithaus in Andres/Leithaus, InsO, § 269a Rz. 9; Jaeger in Jaeger, InsO, § 269a Rz. 27; a.A. Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 269a Rz. 37; Kübler in FS Vallender, S. 308; Thole, Der Konzern 2013, 182, 189; differenzierend: Fendel in Braun, InsO, § 269a Rz. 12. 144 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269b Rz. 3; Thole, KTS 2014, 351, 363. 145 S. RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 28; Pannen in HambKommInsO, § 269b Rz. 4. 146 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 9; Fendel in Braun: InsO, § 269b Rz. 2; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269b Rz. 4; Pannen in HambKommInsO, § 269 Rz. 4. 147 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 11; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269b Rz. 31; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269b Rz. 12.
Brünkmans | 397
115
§ 4 Rz. 116 | § 4 Beratung im Konzern 116
Eine Abstimmung dürfte in der Regel auch bei der Frage der Anordnung der Eigenverwaltung, Terminierung der Gläubigerversammlung und Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten und die Bestellung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses geboten sein.148
117
Die zu treffenden Entscheidungen sind inhaltlich aufeinander abzustimmen, was allerdings nicht heißt, dass das Gericht der Mehrheitsmeinung automatisch Folge zu leisten hat. Der Richter muss vielmehr die möglichen unbeabsichtigten Optionen und Entscheidungsinhalte besprechen bzw. offenlegen. Die anderen Gerichte dürfen nicht vor vollendeten Tatsachen gestellt werden.149 (2) Informationspflichten
118
Die Gerichte sind zum Austausch der Informationen verpflichtet, die für das andere Verfahren von potentieller Bedeutung sein können.150 Bei den in § 269b S. 2 InsO aufgeführten Maßnahmen dürften diese Voraussetzungen stets gegeben sein. (3) Grenzen der Kooperationspflichten
119
Die Grenzen der Kooperationspflicht liegen dort, wo die konkrete Kooperation oder der Informationsaustausch zu Nachteilen im eigenen Verfahren führen kann. Dies folgt bereits aus § 1 InsO und wird zum Teil mit einer Analogie zu § 269a InsO begründet.151 Eine Grenze ist insbesondere dort zu ziehen, wo Aufwand und Ertrag der Kooperation in keinem Verhältnis mehr stehen.152
120
Auch darf die Kooperation nicht zu einer mit der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) unvereinbaren Substitution des für das jeweilige Verfahren zuständigen Gerichtes führen, d.h. der Richter muss selbst und frei unter Berücksichtigung (nicht Befolgung) des Handelns des Richters im anderen Verfahren handeln können.153 Kooperationen außerhalb des reinen Informationsaustausches werden vor diesem Hintergrund in der Literatur zum Teil grundsätzlich als verfassungsrechtlich problematisch betrachtet.154
121
Da § 269b InsO eine bereichsspezifische Übermittlungsbefugnis i.S.d. § 13 Nr. 1 EGGVG geregelt, kann die Informationsweitergabe nicht mit dem Verweis auf personenbezogene und nicht-öffentliche Informationen im Sinne des Datenschutzes verweigert werden.155 cc) Durchsetzung der Kooperationspflichten
122
Ein individuell einklagbarer Anspruch auf Zusammenarbeit zwischen den Gerichten besteht nicht, weil ein solcher mit der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar wäre. Nur wenn der Richter jegliche Form der Zusammenarbeit aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt, kommen Maßnahmen der
148 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269b Rz. 13; Flöther/Frege/Nicht, § 4 Rz. 289; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 16 f. 149 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 15; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269b Rz. 16; Specovius in Kayser/Thole, HKInsO, § 269b Rz. 4. 150 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 20; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269b Rz. 19. 151 Vgl. etwa Pannen in HambKommInsO, § 269b Rz. 19; Jaeger in Jaeger, InsO, § 269b Rz. 9; Graf-Schlicker/Bornemann in Graf-Schlicker, InsO, § 269b Rz. 8. 152 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 27; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269b Rz. 25. 153 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 26. 154 Webel, NZI-Beilage 2018, 24, 26. 155 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 28; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269b Rz. 9; RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 33.
398 | Brünkmans
V. Dezentrale Verfahrensabwicklung | Rz. 126 § 4
Dienstaufsicht in Betracht.156 Ein Verstoß gegen die Kooperationspflichten aus § 269b InsO kann jedoch richtigerweise Amtshaftungsansprüche aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auslösen.157
3. Das Koordinationsverfahren a) Überblick, sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich Mit dem neuen Konzerninsolvenzrecht wurde in §§ 269d–i InsO ein besonderes Koordinationsverfahren eingeführt, welches insbesondere die Bestellung eines Verfahrenskoordinators (§ 269e InsO) und die Entwicklung und Verabschiedung eines Koordinationsplans (§ 269h InsO) vorsieht. Mit ihm soll den allgemeinen Kooperationspflichten aus § 269a InsO ein besonderer Rahmen verschafft werden und die Kooperation zwischen den Insolvenzverwaltern institutionalisiert werden.158 Im Werkzeugkasten der Konzerninsolvenz soll das Koordinationsverfahren insbesondere eine Kompromisslösung zwischen der Zentralisierung der Insolvenzverfahren in die Hände eines Insolvenzverwalters einerseits (ausführlich Rz. 73 ff.) und der in § 269a InsO vorgesehenen losen Kooperation der verschiedenen Insolvenzverwalter andererseits (ausführlich Rz. 98 ff.), darstellen.
123
Das Koordinationsverfahren findet nur für gruppenangehörige Schuldner Anwendung, für die in Deutschland das Hauptinsolvenzverfahren beantragt oder eröffnet wurde (§ 3e InsO). Für rein innerdeutsche Insolvenzverfahren gruppenangehöriger Schuldner besteht kein Konkurrenzverhältnis zum Gruppenkoordinationsverfahren nach Art. 61 bis 77 EuInsVO. Werden Insolvenzverfahren in mehreren Mitgliedstaaten eröffnet, ordnet Art. 102c § 22 Abs. 2 EGInsO an, dass die Einleitung eines deutschen Koordinationsverfahren nach §§ 269d bis 269i InsO ausgeschlossen ist, wenn die Durchführung des deutschen Koordinationsverfahrens die Wirksamkeit eines Gruppenkoordinationsverfahrens nach Art. 61–77 EuInsVO beeinträchtigen würde.159 Eine Sperrwirkung der europäischen Regeln greift demnach, sobald das europäische Koordinationsverfahren tatsächlich eingeleitet wird und mindestens ein deutscher Insolvenzverwalter für die Teilnahme am europäischen Gruppenkoordinationsverfahren optiert.160
124
b) Voraussetzungen für die Einleitung des Koordinationsverfahrens aa) Zulässigkeit des Antrags auf Einleitung eines Koordinationsverfahrens Das Koordinationsverfahren wird nur auf Antrag eingeleitet. Zuständig für die Einleitung ist das für die Eröffnung von Gruppen-Folgeverfahren zuständige Gericht (§ 269d Abs. 1 InsO). Bei diesem, als Koordinationsgericht bezeichneten Gericht, handelt es sich um das Gericht, bei dem nach § 3a Abs. 1 Satz 1 InsO ein Gruppen-Gerichtsstand begründet wurde.161
125
Der Antrag auf Einleitung eines Koordinationsverfahrens ist ein eigener, vom Insolvenzantrag und auch vom Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstandes (§ 3a InsO) zu unterscheidender Antrag. Er hat schriftlich unter Bezeichnung aller Einzelverfahren – anzugeben sind Schuldner, gerichtliches Aktenzeichen und ggf. Insolvenzverwalter – zu erfolgen.162
126
156 157 158 159 160 161
Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 269b Rz. 27; a.A. Webel, NZI-Beilage 2018, 24, 26. Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269b Rz. 31 a.A. Webel, NZI-Beilage 2018, 24, 26. Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 2; Esser in Braun, InsO, § 269d Rz. 2. Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 2; Pannen in HambKommInsO, § 269d Rz. 32. Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 269d Rz. 5; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 2. Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269d Rz. 9; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 5; vgl. aber Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 269d Rz. 5. 162 Langer, NZI Beilage, 2018, 27.
Brünkmans | 399
§ 4 Rz. 127 | § 4 Beratung im Konzern 127
Antragsberechtigt ist jeder gruppenangehörige Schuldner, wobei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Antragsrecht auf den Insolvenzverwalter163 übergeht (§ 269d Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 3a Abs. 3 InsO). Darüber hinaus ist auch jeder Gläubigerausschuss oder vorläufige Gläubigerausschuss eines gruppenangehörigen Schuldners auf der Grundlage eines einstimmigen Beschlusses antragsberechtigt (§ 269d Abs. 2 Satz 3 InsO), nicht jedoch der Gruppen-Gläubigerausschuss. bb) Anhörung und Beiziehung der Verfahrensakten
128
Auch wenn das Gesetz keine ausdrückliche Anhörungspflicht vorsieht, sollte das Gericht – soweit nach den Verfahrensstadien bereits bestellt – die einzelnen Insolvenzverwalter sowie ggf. (vorläufigen) Gläubigerausschüsse bzw. den Gruppen-Gläubigerausschuss vorher anhören.164 Ferner kann es sich im Einzelfall anbieten, vor der Entscheidung die Akten in den Einzelverfahren beizuziehen.165 cc) Begründetheit
129
Materielle Voraussetzungen für die Einleitung eines Koordinationsverfahrens sind: 1. Beantragung oder Eröffnung von Insolvenzverfahren über das Vermögen von (mindestens zwei) gruppenangehörigen Schuldnern. Die Verfahren können sich dabei durchaus in unterschiedlichen Stadien befinden.166 2. Begründung eines Koordinationsgerichts: Vor Einleitung des Koordinationsverfahrens muss das Koordinationsgericht die Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes geprüft und bejaht haben und sich gem. § 3a InsO als Koordinationsgericht für zuständig erklärt haben.167 3. Die Einleitung des Koordinationsverfahrens liegt im Interesse der Gläubiger. Zwar sieht § 269d InsO diese Ausrichtung der Entscheidung des Koordinationsgericht an die Interessen der Gläubiger nicht ausdrücklich vor, sondern stellt die Entscheidung allgemein in das Ermessen des Gerichts. Sinn und Zweck des Koordinationsverfahrens und auch die Begründung zum Regierungsentwurf legen es jedoch nahe, dass das Gericht das Für und Wider eines Koordinationsverfahrens bezogen auf die Interessen der Gläubiger sorgfältig abzuwägen hat.168 Im Ergebnis liegt das Koordinationsverfahren in der Regel immer dann im Gläubigerinteresse, wenn es sich für den konkreten Einzelfall als geeignet erweist, wertoptimierende Gesamtverwertungs- oder Sanierungsstrategien umzusetzen.169
c) Einleitung des Koordinationsverfahrens und Bestellung eines Koordinationsverwalters 130
Das Koordinationsgericht leitet das Koordinationsverfahren durch Beschluss ein und konstituiert sich damit als Koordinationsgericht mit besonderen Kompetenzen und Befugnissen im Koordinationsver-
163 Im vorläufigen Verfahren gilt gleiches für den vorläufig starken Insolvenzverwalter, nicht jedoch für den schwachen oder halbstarken vorläufigen Insolvenzverwalter Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 13. 164 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 15; Langer, NZI-Beilage 2018, 27, 28, Thole in Kübler/ Prütting/Bork, InsO, § 269d Rz. 15. 165 Langer, NZI Beilage 2018, 27, 28. 166 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269d Rz. 19; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 17. 167 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269d Rz. 19; Mock in Uhlenbruck, InsO, § 269d Rz. 8. 168 RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 35; Römermann/Montag in Nerlich/Römermann, InsO, § 269d Rz. 5. 169 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 21; Specovius in Kayser/Thole, HKInsO, § 269d Rz. 6.
400 | Brünkmans
V. Dezentrale Verfahrensabwicklung | Rz. 135 § 4
fahren (Einzelheiten dazu unter Rz. 140 ff.). Analog § 27 Abs. 1 InsO ist in diesem Beschluss zugleich der Verfahrenskoordinator zu bestellen.170 Der Beschluss wird gem. § 30 InsO veröffentlicht.
d) Verfahrenskoordinator aa) Bestellung durch Beschluss des Koordinationsgerichts Für die Einleitung eines Koordinationsverfahrens ist zwingend ein Verfahrenskoordinator zu bestellen (§ 269e Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Verfahrenskoordinator nimmt im Koordinationsverfahren eine zentrale Stellung ein, da er die eigentliche Koordinationsaufgabe übernimmt.171 Die Bestellung erfolgt durch Beschluss des Koordinationsgerichts und sollte analog § 27 InsO Bestandteil des Beschlusses über die Einleitung des Koordinierungsverfahrens sein.
131
bb) Anforderungen an den Verfahrenskoordinator Nach § 269e Abs. 1 InsO hat der Verfahrenskoordinator sowohl von den gruppenangehörigen Schuldnern als auch deren Gläubigern unabhängig zu sein. Dagegen soll die betreffende Person von den Insolvenzverwaltern und Sachwaltern der gruppenangehörigen Schuldner unabhängig sein. Aus der Sollvorschrift ist zu entnehmen, dass in der Regel ein unabhängiger Dritter zum Verfahrenskoordinator zu bestellen ist, allerdings ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände ein Verwalter aus den Einzelverfahren bestellt werden kann. Als besonderer Umstand kommt etwa die besondere Eilbedürftigkeit in Betracht, denn ein Verwalter aus dem Einzelverfahren braucht in der Regel geringeren Zeitaufwand für die Einarbeitung in den Sachverhalt.172
132
Der Verfahrenskoordinator ist zwingend eine natürliche Person und muss für die Aufgabe geeignet sein (§ 269f Abs. 3 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO). Weder die Tätigkeit als Insolvenzverwalter noch die Aufnahme in eine Vorauswahlliste bei dem Koordinationsgericht ist Eignungsvoraussetzung. In Betracht kommen auch erfahrene Wirtschaftsmediatoren oder Sanierungsberater.173
133
Vor der Bestellung des Verfahrenskoordinators hat das Koordinationsgericht dem Gruppen-Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu der Person des Verfahrenskoordinators und den an ihn zu stellenden Anforderungen zu äußern (§ 269e Abs. 2 InsO). Erfolgt ein einstimmiger Vorschlag des Gruppen-Gläubigerausschusses für die Person des Verfahrenskoordinators, kann das Gericht die Bestellung der vorgeschlagenen Person nur dann verweigern, wenn diese offensichtlich ungeeignet ist (§ 269f Abs. 3 i.V.m. § 56a Abs. 1 InsO).174
134
cc) Aufgaben und Rechtsstellung des Verfahrenskoordinators § 269f Abs. 1 Satz 1 InsO beschreibt die Kernaufgaben des Verfahrenskoordinators, nämlich für eine abgestimmte Abwicklung der Verfahren über den gruppenangehörigen Schuldner zu sorgen. Dabei steht ihm insbesondere das Recht zu, einen Koordinationsplan vorzulegen (§ 269f Abs. 1 Satz 2 InsO) und in den jeweiligen Gläubigerversammlungen zu erörtern (§ 269f Abs. 1 Satz 3 InsO). Ein Weisungsrecht gegenüber den anderen Insolvenzverwaltern steht dem Verfahrenskoordinator hingegen nicht zu. Sämtliche Aufgaben des Verfahrenskoordinators haben sich am Gläubigerinteresse auszurichten, d.h. sie müssen einen gruppenspezifischen Mehrwert zugunsten der Gläubiger aller gruppenange-
170 171 172 173
Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269d Rz. 22; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269d Rz. 20. RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 35. RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 35. Leithaus in Andres/Leithaus, InsO, § 269e Rz. 3; Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269e Rz. 11; Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269e Rz. 12; Pannen in HambKommInsO, § 269e Rz. 19. 174 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269e Rz. 13; vgl. auch Specovius in Kayser/Thole, HKInsO, § 269e Rz. 6; Pannen in HambKommInsO, § 269e Rz. 22.
Brünkmans | 401
135
§ 4 Rz. 135 | § 4 Beratung im Konzern hörigen Schuldner realisieren, ohne jedoch zwingend alle gruppenangehörigen Schuldner an diesem Mehrwert angemessen zu beteiligen (Pareto-Effizienz; dazu allgemeiner Rz. 7).175 136
Die Insolvenzverwalter und der vorläufige Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner sind zur Zusammenarbeit mit dem Verfahrenskoordinator verpflichtet (§ 269f Abs. 2 Satz 1 InsO). Sie haben dem Verfahrenskoordinator auf Aufforderung insbesondere die Informationen mitzuteilen, die er für eine zweckentsprechende Ausübung seiner Tätigkeit benötigt (§ 269f Abs. 2 Satz 2 InsO).
137
Im Übrigen gelten für die Bestellung des Verfahrenskoordinators, für die Aufsicht durch das Insolvenzgericht sowie für die Haftung und Vergütung die Vorschriften über die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters (konkret: § 27 Abs. 2 Nr. 4 InsO und die §§ 56 bis 60, 62 bis 65 InsO) entsprechend. Er unterliegt insbesondere der Rechtsaufsicht des Koordinationsgerichts (§ 269f Abs. 3 i.V.m. § 58 InsO). dd) Vergütung des Verfahrenskoordinators
138
Der Verfahrenskoordinator hat einen unmittelbaren eigenen Anspruch auf Vergütung für seine Tätigkeit und auf Erstattung angemessener Auslagen (§ 269gAbs. 1 Satz 1 InsO). Der Regelsatz der Vergütung wird nach dem Wert der zusammengefassten Insolvenzmassen der im Koordinationsverfahren einbezogenen Verfahren über gruppenangehörigen Schuldner berechnet (§ 269gAbs. 1 Satz 2 InsO). Dem Umfang und der Schwierigkeit der Konditionsaufgabe wird durch Abweichungen vom Regelsatz Rechnung getragen (§ 269g Abs. 1 Satz 3 InsO). Die Vergütungslast tragen die Insolvenzmassen der gruppenangehörigen Schuldner anteilig, wobei im Zweifel das Verhältnis des Wertes der einzelnen Massen zueinander maßgeblich ist (§ 269g Abs. 2 InsO). Für Einzelheiten wird auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen.176
e) Koordinationsplan aa) Funktion 139
Zur abgestimmten Abwicklung der Insolvenzverfahren über das Vermögen der gruppenangehörigen Schuldner sieht § 269h InsO das besondere Instrument des Koordinationsplans vor. In dem Koordinationsplan können alle Maßnahmen beschrieben werden, die für eine abgestimmte Abwicklung der Verfahren sachdienlich sind, insbesondere kann der Plan Vorschläge zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen gruppenangehörigen Schuldner und der Unternehmensgruppe beinhalten (§ 269h Abs. 2 Nr. 1 InsO). Der Koordinationsplan hat dabei – anders als der Insolvenzplan oder Restrukturierungsplan nach StaRUG – keine Bindungswirkung. Er besteht lediglich aus einem darstellenden Teil und hat keine materielle Gestaltungswirkung.177 Vorbehaltlich des § 269i InsO sind das Einzelverfahren und der einzelne Verwalter nicht an den Koordinationsplan gebunden.178 Das jeweilige Einzelverfahren bleibt stets auf die bestmögliche Gläubigerbefriedigung in eben jenem Verfahren ausgerichtet.179 Mangels unmittelbarer Gestaltungswirkung in den Einzelverfahren, ist der Koordinationsplan auch kein echter Konzerninsolvenzplan, sondern Referenzplan, der lediglich mittelbar über die Erläuterungspflicht bei Abweichung (§ 269i Abs. 1 S. 2 InsO) Bindungswirkung entfaltet (institutionalisierter Masterplan).180 Zum Verhältnis zur EuInsVO s. unter Rz. 124.
175 Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269f Rz. 14; Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 269f Rz. 12; Wimmer in FK-InsO, § 269f Rz. 13. 176 Siehe ausführlich Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 269g; Mock in Uhlenbruck, InsO, § 269g. 177 RegE. KIG, BT-Drucks. 18/407, 39. 178 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269h Rz. 1; Wimmer in FK-InsO, § 269h Rz. 6; Thies in HambKommInsO, § 269h Rz. 2. 179 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269h Rz. 1. 180 Brünkmans/Thole/Brünkmans, Hdb. Insolvenzplan, § 39 Rz. 61; Thies in HambKommInsO, § 269h Rz. 3.
402 | Brünkmans
V. Dezentrale Verfahrensabwicklung | Rz. 146 § 4
bb) Verfahren (1) Planinitiativrecht Vorlageberechtigt ist primär der Verfahrenskoordinator (§ 269h Abs. 1 Satz 1 InsO). Ist ein Verfahrenskoordinator noch nicht bestellt, können die Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner – in der Eigenverwaltung der Schuldner selbst – gemeinsam, d.h. einstimmig, einen Plan vorlegen. Allerdings ist ein Konkurrenzplan zu einem vom Verfahrenskoordinator vorgelegten Plan unzulässig.181
140
(2) Zustimmung des Gruppen-Gläubigerausschusses Bevor der Koordinationsplan dem Koordinationsgericht zur Bestätigung vorgelegt wird, ist die Zustimmung des Gruppen-Gläubigerausschusses erforderlich (§ 269h Abs. 1 Satz 2 InsO), wenn ein solcher bestellt ist. Der Gruppen Gläubigerausschuss entscheidet mit einfacher Kopfmehrheit.
141
(3) Vorlage und Prüfung durch das Gericht Das Gericht weist den Plan von Amts wegen zurück, wenn die Vorschriften über das Recht zur Vorlage, den Inhalt des Plans oder über die verfahrensmäßige Behandlung nicht beachtet worden sind (§ 269h Abs. 1 Satz 3 InsO). Das Gericht prüft den Plan lediglich auf die Rechtmäßigkeit, nicht hingegen auf die Zweckmäßigkeit oder dessen Erfolgsaussichten.182
142
Erkennt das Gericht Mängel, die behoben werden können, setzt es dem Vorlegenden eine angemessene Frist. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt und kann der Vorlegende den Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten angemessenen Frist beheben, weist das Gericht den Plan von Amts wegen zurück. Da das Koordinationsverfahren keine dem Insolvenzplanverfahren entsprechende Vorprüfung i.S.v. § 231 InsO vorsieht, kann (nicht muss!) das Gericht entsprechend § 232 InsO eine vorherige Stellungnahme von den Beteiligten einholen.183
143
(4) Entscheidung des Koordinationsgerichts Das Koordinationsgericht entscheidet über die Bestätigung des Koordinationsplans durch Beschluss. Die Entscheidung des Gerichtes soll analog § 231 Satz 2 InsO innerhalb von zwei Wochen nach Vorlage des Plans erfolgen.184
144
cc) Inhalt des Koordinationsplans (1) Grundsätze Als flexibles Koordinationsinstrument sieht das Gesetz grundsätzlich keine inhaltlichen Vorgaben an den Koordinationsplan vor. Vielmehr können in diesem alle Maßnahmen beschrieben werden, die für eine abgestimmte Abwicklung der Verfahren sachdienlich sind (§ 269h Abs. 2 Satz 1 InsO).
145
§ 269h Abs. 2 Satz 2 InsO nennt beispielhaft – keinesfalls abschließend, dass der Plan Vorschläge enthalten kann (Nr. 1) zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen gruppenangehörigen Schuldner und der Unternehmensgruppe, (Nr. 2) zur Beseitigung gruppeninterner Streitigkeiten und (Nr. 3) zu vertraglichen Vereinbarung zwischen den Insolvenzverwaltern.
146
181 182 183 184
Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269h Rz. 4. RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 40. Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269h Rz. 8. RegE, KIG, BT-Drucks. 18/407, 40.
Brünkmans | 403
§ 4 Rz. 147 | § 4 Beratung im Konzern (2) Konzernsanierungskonzept, § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 InsO 147
Praktische Bedeutung wird dabei allenfalls der Nr. 1 zukommen. Im Einzelfall kann es sich anbieten, das Sanierungskonzept des Konzerns zum Gegenstand des Koordinationsplanes zu machen. Das Sanierungskonzept beschreibt dabei die Ausgangslage, formuliert und entwickelt die einzelnen Sanierungsmaßnahmen und enthält gleichzeitig eine integrierte Vermögens-, Ertrags- und Finanzplanung auf konsolidierter Basis.185 Eine Orientierung an den Standard IDW S 6 dürfte sinnvoll sein, weil dieser Standard in der Praxis anerkannt ist.
148
Da der Koordinationsplan nicht bindend ist, lebt er von der Überzeugungskraft des Konzeptes. Ziel muss es sein, die Insolvenzverwalter und insbesondere Gläubiger in den Einzelverfahren von der Umsetzung eines koordinierten Konzerngesamtsanierungskonzeptes zu überzeugen. Gleiches gilt im Wesentlichen für einen Gesamtabwicklungsplan. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, dem Koordinationsplan eine Vergleichsberechnung beizufügen. Die Vergleichsrechnung zeigt den Beteiligten auf, wie eine Befriedigung der Gläubiger bei der Einzelverwertung oder Einzelsanierungsstrategie des jeweiligen gruppenangehörigen Schuldners aussieht. Dem wird eine voraussichtliche Befriedigungsquote bei der Umsetzung eines Gesamtsanierungskonzeptes oder Gesamtverwertungsstrategie gegenübergestellt. Dadurch wird die notwendige Transparenz geschaffen, wie die Kooperationsgewinne und -synergien, welche durch eine koordinierte Verfahrensbewältigung entstehen, auf die einzelnen Verfahren verteilt werden. Nur durch eine solche Transparenz wird Vertrauen bei den Beteiligten in den einzelnen Verfahren erzeugt und damit die Grundlage gelegt, dass die Sanierungsmaßnahmen (etwa über einen Insolvenzplan) in den einzelnen Insolvenzverfahren auch tatsächlich akzeptiert und umgesetzt werden. (3) Vorschläge zur Beseitigung gruppeninterner Streitigkeiten, § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO
149
Nr. 2 nennt beispielhaft Regelungen zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten. Langwierige Streitigkeiten, etwa über die Angemessenheit konzerninterner Verrechnungspreise oder Anfechtungsansprüche, können eine koordinierte Gesamtverwertungsstrategie zunichtemachen. Ein „kampfloses Preisgeben“ von Anfechtungsansprüchen würde jedoch dazu führen, dass die Insolvenzverwalter in den Einzelverfahren dem Vorschlag des Koordinationsplans nicht folgen können.186 Der Koordinationsplan muss daher einen fairen und ausgeglichenen Kompromissvorschlag, ähnlich einem Vergleichsvorschlag eines Gerichts im Anfechtungsprozess, enthalten, damit er Chancen auf Annahme in den Einzelverfahren hat. (4) Insolvenzverwalteranträge, § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 InsO
150
Nr. 3 spielt auf die in der internationalen Insolvenzpraxis, insbesondere im angloamerikanischen Rechtsraum anerkannten „bankruptcy protocols“ an. Dabei geht es um die vertragliche Koordinierung verschiedener, wirtschaftlich miteinander verflochtener Insolvenzverfahren. Die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Insolvenzverwaltungsverträge auch im deutschen Recht ist mittlerweile anerkannt.187 Allerdings dürfte ihre praktische Bedeutung – jedenfalls als Gegenstand eines Koordinationsplans – eher gering sein.
185 Brünkmans/Thole/Brünkmans, Hdb. Insolvenzplan, § 39 Rz. 59 ff. 186 Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269h Rz. 18; Thole, ZIP 2014, 1653, 1659. 187 Siehe ausführlich Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004; Brünkmans, Koordinierung, S. 178 ff.; Wimmer in FK-InsO, § 269h Rz. 66; Thies in HambKommInsO, § 269h Rz. 11.
404 | Brünkmans
VI. Einbeziehung nicht insolventer Gruppen-Gesellschaften | Rz. 156 § 4
dd) Bindungswirkung des Koordinationsplans Der Koordinationsplan entfaltet keine unmittelbare Bindungswirkung. Vielmehr hat die Umsetzung der im Koordinationsplan vorgeschlagenen Maßnahmen durch die Einzelverwalter oder spezifische Maßnahmen in den Einzelverfahren, wie etwa dem Insolvenzplan, zu erfolgen. Eine mittelbare Bindungswirkung erhält der Koordinationsplan über § 269i InsO und die Haftung des Insolvenzverwalters in den Einzelverfahren.188
151
Der Koordinationsplan ist für die Einzelverwalter in den Einzelverfahren nicht bindend. Gemäß § 269i Abs. 1 Satz 1 InsO hat der einzelne Insolvenzverwalter jedoch im Berichtstermin den Koordinationsplan zu erläutern. Liegt der Koordinationsplan zum Zeitpunkt des Berichtstermins noch nicht vor oder ist er vom Koordinationsgericht noch nicht bestätigt, so muss das Insolvenzgericht eine erneute Gläubigerversammlung einberufen, in welcher dann der Koordinationsplanung zu erläutern ist.
152
Die Pflicht zur Erläuterung entfällt, wenn der Verfahrenskoordinator von der ihm durch § 269f Abs. 1 Satz 3 InsO eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, den Plan selbst zu erläutern oder durch eine von ihm bevollmächtigte Person erläutern zu lassen. Diese Erläuterung hat darzulegen, von welchen im Plan beschriebenen Maßnahmen der Einzelverwalter abweichen will. Der Verwalter aus den Einzelverfahren kann somit vom Plan abweichen, muss diese Abweichung jedoch der Gläubigerversammlung mitteilen.189
153
Die Gläubigerversammlung im Einzelverfahren kann beschließen, dass bei der Ausarbeitung eines Insolvenzplans die Vorgaben aus dem Koordinationsplan zugrunde zu legen sind (§ 269i Abs. 2 InsO). In einem solchen Fall ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, den Koordinationsplan umzusetzen. Er hat lediglich hinsichtlich der Art und Weise und der Details der Umsetzung einen gewissen Handlungsspielraum.190 Da die Gläubigerversammlung kein eigenes Planinitiativrecht hat, ist es ihr nicht erlaubt, einzelne konkrete Maßnahmen des Koordinationsplans herauszupicken und den Verwalter zur Umsetzung anzuweisen.191 Liegt ein solcher Beschluss der Gläubigerversammlung vor, hat das Insolvenzgericht ihn im Rahmen der Vorprüfung nach § 231 InsO wegen Rechtsmängeln zurückzuweisen, wenn der Insolvenzplan im Widerspruch zum Koordinationsplan steht.192
154
VI. Einbeziehung nicht insolventer Gruppen-Gesellschaften 1. Koordination der Verfahren über die verbleibende gesellschaftsrechtliche Konzernleitungsmacht Aufgrund der finanzwirtschaftlichen und leistungswirtschaftlichen Verflechtung der Gruppen-Gesellschaften untereinander werden häufig sämtliche Gruppen-Gesellschaften von der Insolvenz erfasst, so dass für jede Gruppen-Gesellschaft ein Eröffnungsantrag zu stellen ist. Das muss jedoch nicht zwingend der Fall sein. In der Praxis der Konzerninsolvenzen kommen auch Strukturen vor, bei denen einzelne Gruppengesellschaften gesund, ja sogar profitabel sind.
155
Die Koordinationsmechanismen des neuen Konzerninsolvenzrechts, insbesondere Kooperationspflichten (§§ 269a, 269b InsO) und Koordinationsverfahren (§§ 269d–269i InsO), finden auf die nicht im Insolvenzverfahren befindlichen Gruppen-Gesellschaften keine Anwendung. Dies ist auch nicht erforderlich, denn in der Regel bleibt die hierarchische, gesellschaftsrechtlich vermittelte Konzernlei-
156
188 189 190 191 192
Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269h Rz. 24; Wimmer in FK-InsO, § 269h Rz. 77. Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269i Rz. 4. Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269i Rz. 6. Thole in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 269i Rz. 6. Brünkmans/Thole/Brünkmans, § 38 Rz. 71.
Brünkmans | 405
§ 4 Rz. 156 | § 4 Beratung im Konzern tungsmacht bestehen. Ist die Tochtergesellschaft nicht insolvent, können die eigenverwaltende Muttergesellschaft oder der Insolvenzverwalter die gesellschaftsrechtlichen Weisungsrechte ausüben. Geschäftsanteile an der GmbH werden Bestandteil der Masse und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse gehen nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Dem Insolvenzverwalter stehen damit sämtliche Verwaltungsrechte des GmbH-Gesellschafters zu, insbesondere auch das umfassende Weisungsrecht des Gesellschafters gegenüber dem Geschäftsführer aus § 37 GmbHG.193 Ein Gesamtsanierungskonzept kann in diesem Fall über das Weisungsrecht hierarchisch durchgesetzt werden. Ähnlich wie im neuen Konzerninsolvenzrecht mit dem Pareto-Optimum (s. Rz. 7) eine insolvenzspezifische Grenze für konzernweite Kooperationen, Sanierungen und Gesamtverwertungsstrategien eingeführt wurde, sind für die nicht insolventen Gesellschaften bei der Umsetzung einer konzernweiten Sanierungs- oder Gesamtverwertungsstrategie die folgenden allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grenzen zu beachten (Zu der Einbeziehung von Gruppengesellschaften in den Insolvenzplan einer anderen Gruppengesellschaft bezüglich Garantien und Sicherheiten s. Rz. 161 ff.): 157
– Ist die insolvente Muttergesellschaft alleinige Gesellschafterin der nicht insolventen TochterGmbH, so hat der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft eine nahezu uneingeschränkte Einflussmöglichkeit auf die GmbH, die sogar schädigende Einflussnahmen erlaubt. Die Einflussnahme stößt erst dann auf rechtliche Grenzen, wenn durch die Ausführung der Weisung durch den Geschäftsführer das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen angegriffen wird (§§ 30, 31 GmbHG) oder die Umsetzung der Weisung als existenzvernichtender Eingriff als Fallgruppe194 zu § 826 BGB zu werten wäre.195
158
– Hat die GmbH mehrere Gesellschafter bzw. einen Minderheitsgesellschafter, sind bei der Umsetzung von konzernweiten Sanierungs- und Gesamtverwertungsstrategien die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten zu beachten. Die Treuepflicht der Gesellschafter führt zu einem Verbot des Mehrheitsgesellschafters, seine Herrschaftsmacht in für die abhängige Gesellschaft nachteiliger Weise auszuüben. Ein solcher zu einer Treuepflichtverletzung führender nachteiliger Einfluss liegt jedoch dann nicht vor, wenn mit der Weisung bei sorgfältiger ex ante Betrachtung ein genau absehbarer und abschließend bezifferbarer wirtschaftlicher Nachteil verbunden ist, der durch eine einmalige Ersatzleistung voll ausgeglichen werden kann und Zug um Zug auch erfolgt.196
159
– Besteht ein Beherrschungsvertrag über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Muttergesellschaft hinaus (s. dazu Rz. 199.), besteht auf Ebene der Muttergesellschaft ein verbindliches Weisungsrecht unmittelbar gegenüber dem Vorstand der Tochtergesellschaft (§ 308 Abs. 1 AktG). Dieses Weisungsrecht kann vom Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft oder in der Eigenverwaltung vom Exekutivorgan der Muttergesellschaft direkt gegenüber dem Vorstand der Tochtergesellschaft ausgeübt werden.197 Der Beherrschungsvertrag gibt der Muttergesellschaft ein umfassendes Weisungsrecht, welches den Grundsatz der eigenverantwortlichen Leitung der abhängigen Gesellschaft durch ihren Vorstand (§ 76 AktG) außer Kraft setzt. Der Vorstand der Tochtergesellschaft kann im Hinblick auf sein gesamtes Tätigkeitsfeld angewiesen werden, so zu sämtlichen Maßnahmen der Betriebsführung, aber auch zu innerkorporativen Maßnahmen, wie etwa die Einberufung
193 Bergmann, ZInsO 2004, 225 ff.; Bergmann in FS Hans-Peter Kirchhof, 2003, S. 15 ff. 194 Wagner in MünchKomm/BGB, § 826 Rz. 180 ff.; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = NJW 2007, 2689; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 104/07, MDR 2008, 982 = NJW-RR 2008, 1417; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, MDR 2008, 983 = NJW 2008, 2437; BGH, NZI 2008, 238; BGH, NJW 2009, 2127. 195 Brünkmans, Koordinierung, S. 53. 196 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 100; Brünkmans, Koordinierung, S. 49; Bälz, AG 1992, 277, 294; Hommelhoff, ZGR 1994, 395, 403; a.A. Scholz/Emmerich, Anhang zu § 13 GmbHG Rz. 75. 197 Der Beherrschungsvertrag ist auch bei der GmbH anerkannt, vgl. nur Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 291 AktG Rz. 8, jedoch aufgrund des umfassenden Weisungsrechts, s. Rz. 156, in der Praxis selten, insbesondere für die steuerliche Organschaft nicht mehr Voraussetzung.
406 | Brünkmans
VII. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren | Rz. 163 § 4
der Hauptversammlung oder die Vorbereitung von Kapitalerhöhungen.198 Nach § 308 Abs. 1 Satz 2 AktG sind auch nachteilige Weisungen zulässig, wenn sie im Konzerninteresse sind, d.h. die konkrete Maßnahme den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm oder den Tochtergesellschaften konzernverbundenen Unternehmen dient.199 Lediglich Weisungen, die zur Existenzgefährdung der Tochtergesellschaft führen, sind nicht erlaubt.200 Demnach kann eine Konzernsanierung unschwer über das Weisungsrecht aus § 308 Abs. 1 AktG umgesetzt werden, denn der Insolvenzverwalter oder eigenverwaltende Geschäftsführer ist nach richtiger Auffassung berechtigt, das Weisungsrecht aus dem Beherrschungsvertrag auszuüben.201 Zu beachten ist jedoch, dass als Ausgleich für dieses umfassende Weisungsrecht die Muttergesellschaft nach § 302 AktG zum Verlustausgleich verpflichtet ist. Das umfassende Weisungsrecht besteht nur, solange der Verlustausgleichsanspruch gesichert ist.202 Da der Verlustausgleichsanspruch ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Muttergesellschaft für das dann beginnende Rumpfgeschäftsjahr eine Masseverbindlichkeit darstellt, besteht das Weisungsrecht nur, solange auf Ebene der Muttergesellschaft keine Gefahr der Masseunzulänglichkeit vorliegt.
160
2. Gruppeninterne Drittsicherheiten, § 223a InsO Mit dem am 1.1.2021 in Kraft getretenen SanInsFoG sieht § 223a InsO erstmals die Möglichkeit vor, über einen Insolvenzplan in die Bürgschafts- oder Mitschuld sowie dingliche Sicherheiten einer anderen Konzerngesellschaft (gruppeninterne Drittsicherheit) einzugreifen (dazu ausführlich Rz. 178 ff.).
161
VII. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren 1. Überblick Für das Insolvenzplanverfahren sieht das Konzerninsolvenzrecht keine besonderen Regelungen vor. Ansätze, wonach etwa die Gläubiger der einzelnen Konzerngesellschaften jeweils in eine Gruppe eines „Konzerninsolvenzplanes“ eingeteilt werden und in einem einheitlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin über den Konzerninsolvenzplan entscheiden,203 hat der Gesetzgeber mit dem KIG nicht aufgegriffen.204
162
Die Sanierung des jeweiligen gruppenzugehörigen Schuldners erfolgt vielmehr durch separate Insolvenzplanverfahren, welche nach dem gleichen Regelungsregime wie für Einzelschuldner (§§ 217 ff. InsO) durchzuführen sind. Für jede Konzerngesellschaft ist somit ein Insolvenzplan einzureichen und gegenüber der jeweiligen Gläubigerversammlung zur Abstimmung zu stellen und das gerichtliche Be-
163
198 Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 308 AktG Rz. 12; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, § 308 AktG Rz. 33; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 AktG Rz. 40 ff.; Spindler/Stilz/Veil, Aktiengesetz, § 308 AktG Rz. 21; a.A. bzgl. Einberufung der Hauptversammlung: Altmeppen in MünchKomm/AktG, § 308 AktG Rz. 90. 199 Brünkmans, Koordinierung, S. 42. 200 OLG Düsseldorf v. 7.6.1990 – 19 W 13/86, AG 1990, 490; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 308 Rz. 61; Hüffer, § 308 AktG Rz. 19. 201 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 176; Brünkmans, Koordinierung, S. 268. 202 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 AktG Rz. 64. 203 Siehe ausführlich Brünkmans, Koordinierung, S. 296 ff. 204 Eidenmüller/Frobenius, Beilage 3 zu ZIP 22/2013, S. 11; Brünkmans, Der Konzern 2013, 169, 181; Dellit, Der Konzern, 2013, 190, 192; Harder/Lojowsky, NZI 2013, 327, 329; wohl auch Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579, 586; Graeber, ZInsO 2013, 409, 413; Pleister, ZIP 2013, 1013, 1017; Commandeur/Knapp, NZG 2013, 176, 178; vgl. auch Stellungnahme BDI v. 15.2.2013, S. 3 abrufbar unter www.bdi.eu.
Brünkmans | 407
§ 4 Rz. 163 | § 4 Beratung im Konzern stätigungsverfahren zu durchlaufen. Dennoch stehen die Insolvenzpläne und das Insolvenzplanverfahren nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr kann über die unter Rz. 98 ff. beschriebenen Mechanismen, insbesondere über den Koordinationsplan (§ 269h InsO) eine Abstimmung der Insolvenzpläne erreicht werden.
2. Koordinierte Insolvenzpläne in den Einzelverfahren a) Ableitung koordinierter Insolvenzpläne aus dem Konzernsanierungskonzept 164
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Planung und Umsetzung einer Unternehmenssanierung ist, frühzeitig Transparenz zu schaffen, so dass die Stakeholder einer Sanierung, insbesondere die Gläubiger, sich früh auf den Eintritt der Insolvenz einstellen können und einer Sanierung im Insolvenzverfahren aufgeschlossen gegenüberstehen.205 Dies erfordert eine frühzeitige Kommunikation zwischen den Beteiligten noch vor Stellen des Insolvenzantrages. Idealerweise sollte frühzeitig – noch vor Eintreten der materiellen Insolvenz – ein Sanierungskonzept unter Einbeziehung der Gläubiger, Anteilsinhaber und ggf. Lieferanten erarbeitet werden.206 Zu erwägen ist ferner, die Geschäftsführung durch einen erfahrenen Sanierer zu ergänzen. Häufig werden Banken dies als Bedingung für die Nichtausübung eines Kündigungsrechts („Waiver“) bei Nichteinhaltung vereinbarter Finanzkennzahlen („Covenants“) oder für Prolongationen oder Standstillerklärungen fordern. Auch das Team, bestehend aus Rechts- und Unternehmensberatern, sollte zusammengestellt und eingearbeitet sein. Das Sanierungskonzept wird dabei eine konsolidierte Betrachtung des Gesamtkonzerns einnehmen. Leistungswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen sind zu identifizieren. In dieser Phase stellt sich die Frage, ob eine außergerichtliche Sanierung des Konzerns ggf. unter Rückgriff auf Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente des StaRUG (dazu Rz. 200 ff.) oder eine Sanierung durch das Insolvenzplanverfahren im konkreten Einzelfall die besten Sanierungschancen bietet.207 Scheitert eine außergerichtliche Sanierung – etwa wegen obstruierender Gläubiger – kann im Anschluss versucht werden, dass Sanierungskonzept dennoch durch das Insolvenzplanverfahren – ggf. kombiniert um das Schutzschirmverfahren – umzusetzen. Anknüpfend an die im Rahmen der außergerichtlichen Sanierung geführten Gespräche mit den Stakeholdern können dann unmittelbar nach Stellen des Insolvenzantrages während des Eröffnungsverfahrens die Insolvenzpläne unter Einbeziehung der wesentlichen Gläubiger ausgearbeitet und auf die einzelnen Konzerngesellschaften abgestimmt werden.
165
Das Konzerngesamtsanierungskonzept sollte bereits als Anlage zum Insolvenzantrag mit diesem eingereicht werden, da die Frage der Sanierungsaussicht für das Insolvenzgericht bereits in dieser Phase – etwa für die (vorläufige) Eigenverwaltung – von Bedeutung ist.
166
Das bisher ausgearbeitete Konzerngesamtsanierungskonzept bietet sich als Grundlage für den darstellenden Teil sämtlicher Insolvenzpläne der einzelnen Gruppengesellschaften an.208 Im darstellenden Teil des Insolvenzplanes wird beschrieben, welche Maßnahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind oder noch getroffen werden sollen, um die Grundlage für die geplante Gestaltung der Rechte der Beteiligten zu schaffen (§ 220 Abs. 1 InsO). Ferner soll der darstellende Teil alle sonstigen Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Beteiligten über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind (§ 220 Abs. 2 InsO).
167
Die Gläubiger oder Anteilsinhaber können die Erfolgsaussichten einer Sanierung der Einzelgesellschaft letztlich nur anhand der Zukunftsfähigkeit des Konzerngesamtsanierungskonzepts beurteilen. Schließlich ist der darstellende Teil um spezifische Informationen der jeweiligen Einzelgesellschaft,
205 206 207 208
Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.82 sprechen vom „positiven Insolvenzklima“. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.64. Vgl. etwa Eidenmüller in MünchKomm/InsO, Vor §§ 217 bis 269 Rz. 63 ff. Vgl. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, Vor §§ 217–269 Rz. 38; Dellit, Der Konzern 2013, 190, 192.
408 | Brünkmans
VII. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren | Rz. 171 § 4
wie etwa Ausführungen zur Gruppenbildung und zur Vergleichsrechnung (§ 251 InsO), zu ergänzen. Damit die Konzernsanierung nicht an einer Beschwerde gegen den Insolvenzplan und daraus resultierender Verzögerung der Rechtskraft des Insolvenzplanes scheitert,209 ist besonders sorgfältig der Nachweis, dass die Konzernsanierung die jeweiligen Gläubiger des gruppenangehörigen Schuldners nicht schlechter stellt, im darstellenden Teil des Insolvenzplanes zu erbringen.210 Für die Feststellung, ob eine Schlechterstellung vorliegt, ist eine Vergleichsrechnung zwischen Abwicklung des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der Insolvenzordnung (Ergebnis der Regelabwicklung) und bei Ausführung des Insolvenzplans (Planergebnis) zu erstellen. Für die Frage, ob Fortführungswerte anzusetzen sind, ist § 220 Abs. 2 S. 2 u. 3 InsO zu beachten. Da allgemein anerkannt ist, dass das Ergebnis der Befriedigung der Gläubiger aus einem Alternativplan nicht Vergleichsmaßstab im Rahmen des Tests nach § 251 InsO sein kann,211 kommt es folglich auch nicht darauf an, wie die Gläubiger bei einer vom Konzern entkoppelten Sanierung auf Basis eines Einzelinsolvenzplans stehen würden.
168
Im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes wird festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Insolvenzplan geändert werden soll. Die Gestaltung der Rechte der Gläubiger (Forderungsverzichte, Stundungen etc.) und ggf. Anteilsinhaber (Zustimmung zu Kapitalerhöhungen oder Übertragung von Geschäftsanteilen) werden mit Rechtskraft des gerichtlichen Bestätigungsbeschlusses zum Insolvenzplan unmittelbar vollzogen (§ 254 Abs. 1 InsO). Im gestaltenden Teil können nur die Rechtsbeziehungen der jeweiligen Einzelgesellschaft zu ihren Gläubigern und Anteilsinhabern gestaltet werden. Anders als im darstellenden Teil ist eine konsolidierte Betrachtung des Konzerns nicht möglich.
169
b) Umsetzung koordinierter Insolvenzpläne aa) Einreichen koordinierter Insolvenzpläne beim Insolvenzgericht Die Entwicklung und Umsetzung aufeinander abgestimmter Insolvenzpläne hängt auch davon ab, dass der Initiator des Konzerngesamtsanierungskonzeptes das Recht hat, die Insolvenzpläne in den Einzelverfahren einzubringen, jedenfalls hinreichenden Einfluss auf den formell Einbringungsberechtigten hat. Andernfalls besteht die Gefahr, dass in den einzelnen Verfahren unabgestimmte Insolvenzpläne eingebracht werden.212
170
Ähnlich wie bei dem Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes kann das koordinierte Entwerfen und Einbringen von aufeinander abgestimmten Insolvenzplänen hierarchisch über die Konzernleitungsmacht erfolgen. Nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO haben sowohl Schuldner als auch Insolvenzverwalter ein Planinitiativrecht. Bei juristischen Personen wird das Vorlagerecht vom Vertretungsorgan ausgeübt.213 Die Konzernspitze kann über ihre Konzernleitungsmacht die Exekutivorgane der einzelnen Konzerngesellschaften anweisen, den Insolvenzplan einzubringen.214 Das Recht des Schuldners, einen Insolvenzplan vorzulegen, besteht trotz des Insolvenzverfahrens, weil das Vorlagerecht den Schuldnerbereich und nicht den massebezogenen Verdrängungsbereich betrifft.215 Die Obergesellschaft kann über ihr gesellschaftsrecht-
209 210 211 212 213
Zum Freigabeverfahren im Insolvenzplanverfahren s. Brünkmans, ZInsO 2014, 993 ff. Dellit, Der Konzern 2013, 190, 192. Sinz in MünchKomm/InsO, § 251 Rz. 26; K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 251 Rz. 6. Brünkmans/Thole/Brünkmans, § 39 Rz. 49; Dellit, Der Konzern 2013, 190, 194. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 218 Rz. 71; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 97. 214 Brünkmans, Koordinierung, S. 290. 215 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 295; Brünkmans, Koordinierung, S. 76.
Brünkmans | 409
171
§ 4 Rz. 171 | § 4 Beratung im Konzern liches Weisungsrecht aus § 37 GmbHG oder § 308 Abs. 1 AktG216 den Untergesellschaften Vorgaben über die inhaltliche Ausgestaltung des Insolvenzplans machen.217 Dies gilt jedoch nicht, wenn auch auf Ebene der Obergesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt wurde. Die Restrukturierung der Beteiligung gehört auf Ebene der Obergesellschaft zum Verdrängungsbereich und ist dann durch den Insolvenzverwalter zu initiieren. Über die Konzernleitungsmacht besteht somit de facto ein konzerneinheitliches Planinitiativrecht des Schuldners.218 Sollte der Insolvenzverwalter den Insolvenzplan einreichen, besteht ein konzerneinheitliches Planinitiativrecht indes nur, wenn ein personenidentischer Insolvenzverwalter eingesetzt wurde (dazu Rz. 73 ff.). bb) Erörterungs- und Abstimmungstermin 172
Nach Vorprüfung durch das Insolvenzgericht (§ 231 InsO) folgt die Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger im Erörterungs- und Abstimmungstermin. Bei einer Sanierung des Konzerns durch aufeinander abgestimmte Insolvenzpläne bietet sich an, den Erörterungstermin für sämtliche gruppenangehörige Schuldner „physisch“ in eine Versammlung zu legen. Der Abstimmungstermin kann dann für die einzelnen Gruppen-Gesellschaften unmittelbar hintereinander terminiert werden. Dies setzt freilich voraus, dass für sämtliche Verfahren das gleiche Insolvenzgericht zuständig ist. cc) Gerichtliche Bestätigung/Verknüpfung der koordinierten Insolvenzpläne
173
Nach Annahme des Insolvenzplans durch die Beteiligten bedarf der Plan der Bestätigung durch das Insolvenzgericht (§ 248 Abs. 1 InsO). Erfolgt die Annahme des Insolvenzplanes durch die Gläubigergruppen der jeweiligen Gruppen-Gesellschaft unter der Prämisse einer Sanierung des Gesamtkonzerns und in der Erwartung, dass die parallelen Insolvenzpläne ebenfalls angenommen und (rechtskräftig) bestätigt werden, bedarf es einer Verknüpfung der koordinierten Insolvenzpläne.
174
Dies kann zunächst über § 249 InsO („Bedingter Plan“) erfolgen. Danach kann die gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplanes von der Verwirklichung gewisser Maßnahmen abhängig gemacht werden, wobei entgegen dem Wortlaut der Überschrift aus § 249 InsO nicht der Plan bedingt ist, sondern dieser lediglich eine zusätzliche Voraussetzung für seine Bestätigung aufstellt.219 So kann etwa die Reihenfolge der Bestätigung der aufeinander abgestimmten Pläne festgelegt werden, so dass eine Bestätigung des Planes einer Gruppengesellschaft nur dann erfolgen kann, wenn die in der Reihenfolge vorhergehenden Pläne (rechtskräftig) bestätigt wurden.220 Nach herrschender Meinung kann der Insolvenzplan insgesamt unter einer aufschiebenden Bedingung stehen (§ 158 Abs. 1 BGB).221 Werden nach rechtskräftiger Bestätigung der Insolvenzpläne die Insolvenzverfahren aufgehoben, leben die gesellschaftsrechtlichen Weisungsrechte (vgl. Rz. 171) wieder auf.
3. Der Koordinationsplan nach § 269h InsO als „Masterplan“ der Konzernsanierung 175
Das Konzernsanierungskonzept, aus dem die einzelnen Insolvenzpläne abzuleiten sind, kann im Rahmen des Koordinationsverfahrens als Koordinationsplan eingebracht werden. (Einzelheiten zum Koordinationsverfahren und Koordinationsplan s. unter Rz. 123 ff.). Auch wenn der Koordinationsplan 216 Zum Fortbestand des Vertragskonzerns, vgl. Depré/Büteröwe in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 32 Rz. 4. 217 Acher, Vertragskonzern und Insolvenz, S. 120; Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften., S. 295 f.; Brünkmans, Koordinierung, S. 290; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 334. 218 Brünkmans, Koordinierung, S. 291. 219 Flessner in HK/InsO, § 249 Rz. 4. 220 Eidenmüller in MünchKomm/InsO, Vor §§ 217–269 Rz. 38. 221 LG Dessau, ZInsO 2001, 1167; Flessner in HK/InsO, § 249 Rz. 4, 7; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 217 Rz. 43; Nerlich/Römermann/Braun, InsO, § 249 Rz. 1; a.A. Müller, KTS 2002, 209, 215.
410 | Brünkmans
VII. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren | Rz. 180 § 4
nach Vorstellung des Gesetzgebers Maßnahmen verschiedenster Art, die für eine abgestimmte Abwicklung der Verfahren sachdienlich sind, zum Inhalt haben kann, weist die Gesetzesbegründung ihm ausdrücklich die Funktion eines Referenzplans oder „Masterplanes“ in den einzelnen Insolvenzplanverfahren der gruppenangehörigen Schuldner zu (vgl. § 269h Abs. 2 Nr. 1 InsO, s. ausführlicher Rz. 139).222 Der Koordinationsplan wird auch die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen zur Umsetzung der strategischen Neuausrichtung beschreiben, wie den Abbau von Überkapazitäten, Abbau von Arbeitsplätzen, Schließung von Standorten, Beendigung von defizitären Kundenverträgen oder von Lieferverträgen mit schlechten Konditionen durch Ausübung des Wahlrechts nach §§ 103 ff. InsO, Beendigung von Mietverträgen, Veräußerung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen. Auch die Stilllegung einer Konzerngesellschaft gegen Ausgleichszahlung oder Fortführung einer defizitären Tochtergesellschaft zum Erhalt des Gesamtkonzerns könnte bei entsprechenden Ausgleichszahlungen im Koordinationsplan vorgesehen werden.223
176
Inwieweit der Koordinationsplan bei der Bewältigung einer Konzernsanierung durch aufeinander abgestimmte Insolvenzpläne hilfreich sein kann, ist zweifelhaft, aber im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Ein Bedürfnis besteht erst dann, wenn personenverschiedene Insolvenzverwalter in den einzelnen Insolvenzverfahren eingesetzt wurden und diese sich ohne die schlichtende Unterstützung eines Verfahrenskoordinators nicht auf ein abgestimmtes Konzerngesamtsanierungskonzept einigen können.
177
4. Regelung von Drittsicherheiten einer Konzerntochter im Insolvenzplanverfahren a) Überblick Bei der Restrukturierung von Finanzverbindlichkeiten im Konzern, stellt sich häufig die Frage, wie mit Drittsicherheiten, insbesondere mit Bürgschaften und Schuldbeitritten, zu verfahren ist. In der Konzernfinanzierungspraxis geben nicht selten Tochtergesellschaften für die von der Mutter aufgenommenen Kredite oder ausgegebenen Anleihen Sicherheiten in Form von Garantien, Schuldbeitritten, Bürgschaften oder Realsicherheiten (Grundpfandrechte, Sicherungseigentum, Sicherungszession oder Pfandrechte an Gesellschaftsanteilen) ab (sog. Upstream-Sicherheit).224 Zentral finanzierte Konzerne bilden aufgrund der Sicherheiten daher häufig eine Haftungsgemeinschaft.225
178
Das Sanierungsvorhaben würde aber zunichte gemacht, wenn sich die betroffenen Gläubiger der Holding bei den Gruppengesellschaften wegen der Sicherheit schadlos halten könnten. Im schlimmsten Fall hat die Singularexekution der Sicherheit den Zusammenbruch des Gesamtkonzerns zur Folge.226
179
Drittsicherheiten sind kein Bestandteil der Insolvenzmasse, und der gesicherte Gläubiger konnte bisher gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO den Drittsicherungsgeber unabhängig von einer Gestaltung der gesicherten Forderung im Insolvenzplan vollumfänglich aus der Drittsicherheit in Anspruch nehmen. Dem Drittsicherungsgeber ist seinerseits aufgrund der in § 254 Abs. 2 Satz 2 InsO geregelten Regresssperre die Geltendmachung seiner Regressforderung nur in der Höhe, die dem Gläubiger nach dem bestätigten Insolvenzplan erhalten geblieben ist, möglich. Gerade bei Gruppensanierungen besteht aber oftmals ein Bedürfnis, auch gruppenintern gestellte Sicherheiten in die Restrukturierung einzubeziehen, um den Wert der Gruppe zu erhalten und Folgeinsolvenzen von Gruppengesellschaften zu verhindern. Die Einbeziehung von Drittsicherheiten setzte jedoch bisher das Einverständnis der gesicherten Gläubiger oder – wenn kein Konsens erzielt werden kann – die Initiierung paralleler Insolvenzplanverfahren voraus, was jedoch i.d.R. zu höherem Aufwand und zusätzlichen Kosten führte. Vor die-
180
222 223 224 225 226
RegE KIG, BT-Drucks. 18/407, 18; Dellit, Der Konzern 2013, 190, 192. Eidenmüller/Frobenius in MünchKomm/InsO, § 269h Rz. 43. Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage, 2021, 46, 46. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 105; Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage, 2021, 46, 46. Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage, 2021, 46, 46.; Pleister, ZIP 2015, 1097, 1101 ff.
Brünkmans | 411
§ 4 Rz. 180 | § 4 Beratung im Konzern sem Hintergrund sehen die mit dem SanInsFoG am 1.1.2021 in Kraft getretenen Regelungen zu gruppeninternen Drittsicherheiten (§§ 223a, 217 Abs. 2, 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO) vor, dass ein Insolvenzplan auch Rechte der Inhaber von Insolvenzforderungen gestalten kann, die diesen aus gruppeninternen Drittsicherheiten zustehen.227 Entsprechende Regelungen wurden für den Restrukturierungsplan nach StaRUG eingeführt (s. dazu Rz. 210 ff.). 181
Um den Zweck der Bestellung von Drittsicherheiten, die Absicherung des Sicherungsnehmers gerade für den Fall der Leistungsunfähigkeit des Schuldners, nicht zu unterlaufen, muss jedoch sichergestellt sein, dass dem Sicherungsnehmer der Wert einer Drittsicherheit erhalten bleibt. Der neue § 223a InsO regelt daher ausdrücklich, dass der Eingriff in Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten angemessen zu entschädigen ist. Zudem gilt das Schlechterstellungsverbot des § 245 Abs. 1 Nr. 1, § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO.228
b) Voraussetzungen aa) Gruppeninterne Drittsicherheit 182
§§ 223a Abs. 1 Satz 1, 217 Abs. 2 InsO legitimiert Eingriffe in sog. gruppeninterne Drittsicherheiten. Damit wird die Gestaltungswirkung des Insolvenzplans im Insolvenzverfahren des jeweiligen Rechtsträgers über die eigenen Rechtsverhältnisse hinaus auf bestimmte Drittverhältnisse erweitert. Voraussetzung für einen solchen Eingriff in Drittverhältnisse ist zunächst, dass es sich dabei um gruppeninterne Drittsicherheiten i.S.v. § 217 Abs. 2 InsO handelt.
183
– Gruppeninterne Drittsicherheiten mit der entsprechenden Eingriffsoption liegen nur dann vor, wenn es sich bei der Hauptforderung um eine Insolvenzforderung i.S.v. § 38 oder § 39 InsO handelt. Handelt es sich bei der zu sichernden Hauptforderung hingegen um eine Masseverbindlichkeit gem. § 53 ff. InsO, lassen sich auch entsprechende Drittsicherheiten nicht über einen Insolvenzplan gestalten.
184
– Besondere Anforderungen an die Art oder Qualität der Sicherheit stellt § 217 Abs. 2 InsO nicht. Erfasst werden Bürgen, Mitschuldner oder anderweitig übernommene Mithaftungen für den betroffenen Insolvenzschuldner (§ 217 Abs. 2 1. u. Alt. 2 InsO). Damit sind sämtliche Personalsicherheiten erfasst.229 Ein Eingriff in die Stellung als Mitdarlehensnehmer ist hingegen auf der Grundlage von § 217 Abs. 2 InsO nicht möglich (s. ausführlich zum StaRUG Rz. 213). § 217 Abs. 2, 3. Alt. InsO erfasst ferner alle dinglichen Sicherheiten, die aus dem Vermögen des Dritten aufgebracht werden, um die Hauptforderung des Insolvenzschuldners zu sichern.
185
– Bei dem Dritten, welcher die Sicherheit zur Verfügung stellt, muss es sich um ein verbundenes Unternehmen i.S.d. § 15 AktG handeln. Der Gesetzgeber knüpft nicht an den Begriff der Unternehmensgruppe aus § 3e InsO oder § 290 HGB an, sondern an den aktienrechtlichen Begriff des verbundenen Unternehmens. Noch im Regierungsentwurf war die Möglichkeit der Einbeziehung von Drittsicherheiten beschränkt auf Sicherheiten, die von Tochterunternehmen des Schuldners gestellt wurden.230 Diese Beschränkung auf sog. „Downstream-Sicherheiten“ wurde von Seiten der Praxis kritisiert und im Gesetzgebungsverfahren auf sämtliche verbundene Unternehmen i.S.v. § 15 AktG erweitert.231
227 RegE. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 235. 228 RegE. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 236. 229 Personalsicherheiten: Bürgschaft, abstraktes Schuldversprechen, Garantievertrag, harte Patronatserklärung, Schuldbeitritt, Standby Letter of Credit etc. 230 RegE. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 236. 231 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, 14.
412 | Brünkmans
VII. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren | Rz. 191 § 4
bb) Inhaltliche Anforderungen an Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten (1) Ausdrückliche Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans Ist im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt, wird das Recht eines Insolvenzgläubigers aus einer gruppeninternen Drittsicherheit (§ 217 Abs. 2 InsO) durch den Insolvenzplan nicht berührt (vgl. § 223a Satz 1 InsO). Die Vorschrift stellt damit klar, dass der Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten eine ausdrückliche Regelung im Insolvenzplan erfordert.
186
(2) Mögliche Eingriffe Möglich sind alle Arten von Eingriffen, die auch sonst im Insolvenzplan vorgenommen werden können,232 so z.B. Erlasse, Freigaben und Stundungen. Gegenstand des Eingriffs ist die jeweilige Drittsicherheit, d.h. Bürgschaften, Mitschulderklärungen und anderweitige übernommene Haftungen oder Belastungen von Gegenständen des Vermögens eines verbundenen Unternehmens i.S.d. § 15 AktG.233
187
(3) Keine materielle Insolvenz des verbundenen Unternehmens erforderlich Das verbundene Unternehmen selbst muss die Voraussetzungen für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens hingegen nicht erfüllen. Eingriffe in die Rechtsstellung der Gläubiger von verbundenen Unternehmen können daher selbst dann erfolgen, wenn das Unternehmen völlig gesund und die von ihm gestellte Sicherheit noch werthaltig ist. Der Schutz des Gläubigers vor einem missbräuchlichen Eingriff in werthaltige gruppeninterne Drittsicherheiten wird vielmehr durch das Schlechterstellungsverbot erreicht, wenn in eine noch werthaltige Sicherheit eingegriffen wird, ohne den Eingriff angemessen zu kompensieren, § 223a InsO.234
188
cc) Ausführungen im darstellenden Teil des Insolvenzplans Sieht der Insolvenzplan Eingriffe in die Rechte von Insolvenzgläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 217 Abs. 2 InsO) vor, sind im darstellenden Teil des Insolvenzplans die Verhältnisse des die Sicherheit gewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkung des Plans auf diese Unternehmen auszuführen (§ 220 Abs. 3 InsO).
189
dd) Bildung einer Gruppe für Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO) Für die Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten ist zwingend eine eigene Gruppe zu bilden, § 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Dies spiegelt die unterschiedliche wirtschaftliche Stellung der durch Dritt- und Eigensicherheiten begünstigten Gläubiger wider.235
190
ee) Angemessene Entschädigung Nach § 223a InsO ist der Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten angemessen zu entschädigen. Zur Frage der Berechnungsgrundlage für eine angemessene Entschädigung und Schuldner der Entschädigung vgl. die Ausführungen unter Rz. 210 ff. zu § 2 Abs. 4 StaRUG.
232 233 234 235
Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. RegE. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 236.
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191
§ 4 Rz. 192 | § 4 Beratung im Konzern ff) Zustimmung des verbundenen Unternehmens 192
Sieht der Insolvenzplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, so ist dem Plan die Zustimmung des verbundenen Unternehmens beizufügen, das die Sicherheit gestellt hat (§ 230 Abs. 4 InsO).
193
Ein Geschäftsleiter, der eine Zustimmungserklärung nicht abgibt, obwohl diese wirtschaftlich vorteilhaft ist, handelt sorgfaltswidrig. Der Geschäftsführer einer GmbH ist an eine Weisung der Muttergesellschaft, der Einbeziehung zuzustimmen, gebunden.236
c) Besonderheiten im Verfahren aa) Stimmrecht 194
Sieht der Plan Eingriffe in Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, richtet sich das Stimmrecht innerhalb der Gruppe nach dem Befriedigungsbeitrag, der aus der Geltendmachung der Rechte aus der Drittsicherheit mutmaßlich zu erwarten ist (§ 238b InsO). bb) Obstruktionsverbot
195
Wird die erforderliche Mehrheit in der Gruppe der Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 InsO) nicht erreicht, gilt die Zustimmung unter den Voraussetzungen des Obstruktionsverbots (§ 245 Abs. 1 InsO) als erteilt. Als zusätzliche Voraussetzung formuliert § 245 Abs. 2a InsO speziell für gruppeninterne Drittsicherheiten, dass die für den Eingriff vorgesehene Entschädigung die Inhaber der Rechte aus der gruppeninternen Drittsicherheit für den zu erleidenden Rechtsverlust angemessen entschädigt.
196
Gläubiger, denen gruppeninterne Drittsicherheiten zustehen, sollen nur insoweit trotz fehlender Mehrheiten in diese Gruppe eingebunden werden können, wenn sie für den ihnen zustehenden Wert der Sicherheit eine angemessene Entschädigung erhalten.
197
Inwieweit es sich dabei inhaltlich wirklich um eine zusätzliche Voraussetzung handelt ist fraglich, da eine angemessene Entschädigung sich bereits aus § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Verbot der Schlechterstellung) gebietet.
d) Wirkung und Rechtsfolge 198
Mit Rechtskraft des Insolvenzplans werden bei entsprechender Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans die gruppeninternen Drittsicherheiten umgestaltet. § 254 Abs. 2 InsO, welcher Drittsicherheiten grds. unberührt lässt, wurde entsprechend angepasst.
VIII. Fortbestand von Unternehmensverträgen? 199
Nach bisher überwiegender Auffassung führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Ober- oder Untergesellschaft zur automatischen Beendigung des Beherrschungs- und Ge-
236 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108.
414 | Brünkmans
IX. Konzernsanierung durch StaRUG | Rz. 200 § 4
winnabführungsvertrages.237 Inwieweit dies nach Inkrafttreten der InsO noch gilt, ist streitig.238 Der BGH stellte in seiner noch zur Konkursordnung ergangenen Entscheidung maßgeblich auf den Liquidationszweck des Konkursverfahrens ab.239 Mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung steht jedoch die Sanierung als neben der Liquidation gleichwertiges Mittel zur Verfügung (§ 1 InsO). Nach Inkrafttreten des ESUG gilt dies umso mehr. Nach richtiger Ansicht führt das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Ober- oder Untergesellschaft allenfalls zur Suspendierung der Pflichten aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Spätestens mit Beendigung des Insolvenzverfahrens nach Bestätigung eines schuldenbereinigenden Insolvenzplans leben die Pflichten ab dem Stichtag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder auf. Allerdings wird man sowohl der Unter- als auch der Obergesellschaft im Fall der Insolvenz des anderen Vertragspartners die Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund nach § 297 Abs. 1 AktG zugestehen müssen.240
IX. Konzernsanierung durch StaRUG 1. Überblick Mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) trat zum 1.1.2021 auch das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) in Kraft. Damit steht nunmehr auch in Deutschland ein sog. vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren zur Verfügung. Anders als beim Insolvenzverfahren handelt es sich hier jedoch weniger um ein stringent formelles Gerichtsverfahren. Vielmehr stellt das StaRUG den Unternehmen eine Vielzahl von Stabilisierung- und Restrukturierungsinstrumenten zur Verfügung, um eine Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen. Herzstück des StaRUG ist der Restrukturierungsplan. Aufbau, Inhalt und Funktion des Restrukturierungsplans entsprechen im Wesentlichen dem Insolvenzplan. Wird der Restrukturierungsplan in den einzelnen Gruppen mit mindestens drei Viertel der Stimmen angenommen und vom Restrukturierungsgericht bestätigt, sind die Regelungen des Restrukturierungsplans – z.B. Forderungsverzichte, Stundungen etc. – rechtsverbindlich. Insgesamt stellt das StaRUG folgende Restrukturierungsinstrumente zur Verfügung: – die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens – die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung) – die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung) – die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplanes (Planbestätigung). Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf Besonderheiten des StaRUG für konzernverbundene Unternehmen (zum StaRUG allgemein s. Kapitel 2).
237 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, MDR 1988, 474 = NJW 1988, 1326, 1327; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.64; Altmeppen in MünchKomm/AktG, § 297 Rz. 106; Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 297 Rz. 22a (allenfalls Ausnahme bei Eigenverwaltung); ebenso Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 297 AktG InsO Rz. 52b; Spindler/Stilz/Veil, Aktiengesetz, § 297 AktG Rz. 38. 238 AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636 ff. für ein bloßes Ruhen der Weisungsbefugnisse, dazu ausführlich und m.w.N. Brünkmans, Koordinierung, S. 253 ff.; K. Schmidt/Lutter/Langenbucher, AktG, § 297 AktG Rz. 30; Hirte in Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 11 Rz. 398. 239 BGH, Urt. v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, MDR 1988, 474 = NJW 1988, 1326, 1327. 240 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 398 (Ab Verfahrenseröffnung (nur) eine Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund für beide Teile); vgl. auch Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.64.
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200
§ 4 Rz. 201 | § 4 Beratung im Konzern
2. Konzernleitungsmacht nach StaRUG-Verfahren 201
Die Rechtshängigkeit eines Restrukturierungsvorhabens eines gruppenangehörigen Schuldners führt – anders als im Insolvenzverfahren (s. dort Rz. 70) – nicht zu einer automatischen Sperre der Konzernleitungsmacht. Das StaRUG sieht gerade keine, dem § 276a InsO entsprechende Vorschrift vor, wonach der Aufsichtsrat oder die Gesellschafterversammlung in der (vorläufigen) Eigenverwaltung keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung des Schuldners ausüben können. Das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung aus § 37 GmbHG als Transmissionsriemen und rechtlicher Garant einer Konzernleitungsmacht wird somit nicht unmittelbar mit Anzeige einer Restrukturierungssache einer Tochtergesellschaft gekappt.
202
Mit Anzeige der Restrukturierungssache greift jedoch § 32 Abs. 1 StaRUG, d.h. der Schuldner – und über § 43 Abs. 1 StaRUG auch der Geschäftsleiter – hat die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Ausübung der Leitungsmacht mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache noch funktioniert.241 Die Grenze einer Weisung der Gesellschafterversammlung ist überschritten, wenn die Umsetzung gegen die Kapitalschutzvorschriften aus §§ 30, 31 GmbHG verstoßen würden. Dies folgt unmittelbar aus § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG. Verstößt die Weisung gegen die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger, darf der Geschäftsleiter im Hinblick auf §§ 43 Abs. 1, 32 Abs. 1 StaRUG die Weisung ebenfalls nicht umsetzen.242 Die Konzernleitungsmacht bleibt somit bestehen, stößt aber inhaltlich durch die Ausrichtung der Geschäftsleiterpflicht auf die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger an ihre Grenze.
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Praktische Bedeutung hat die vorgenannte Grenze, wenn die Muttergesellschaft und die Tochtergesellschaft eine Restrukturierungssache anhängig gemacht haben, der Restrukturierungsplan der Muttergesellschaft neue finanzielle Mittel gem. § 12 StaRUG vorsieht, welche von der Tochtergesellschaft besichert werden sollen. Hier könnte der Geschäftsführer der Tochter GmbH unter Berufung auf §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 32 StaRUG einwenden, dass mit der Bestellung der Sicherheiten die Gesamtheit der Gläubiger seiner Gesellschaft Zugriffsmasse entzogen wird, wenn ansonsten aus dem Restrukturierungskonzept der Tochtergesellschaft bzw. deren Gläubiger keine Vorteile zufließen.243 Die Lösung des vorgenannten Problems kann ggf. auch durch Verwertungsbeschränkungsklauseln (sog. Limitation Language) in den Finanzierungsverträgen erreicht werden.244
3. Gruppengerichtsstand 204
Damit eine Abstimmung der Sanierungskonzepte der einzelnen gruppenangehörigen Unternehmen erleichtert wird, eröffnet § 37 StaRUG nach dem Vorbild der insolvenzverfahrensrechtlichen Bestimmungen zum Gruppen-Gerichtsstand (§§ 3a ff. InsO, s. dazu Rz. 34 ff.) die Möglichkeit, sämtliche Restrukturierungen in einer Unternehmensgruppe in die Zuständigkeit eines Gerichts zu überführen.
205
Maßgeblich ist der Begriff der Unternehmensgruppe i.S.v. § 3e InsO. Wie auch im Rahmen der insolvenzverfahrensrechtlichen Vorbildbestimmung gilt grundsätzlich das Prioritätsprinzip: Jedes für ein gruppenangehöriges Unternehmen zuständige Restrukturierungsgericht kann sich auf Antrag eines gruppenangehörigen Unternehmens auch für die Restrukturierungssachen anderer gruppenangehöriger Unternehmen für zuständig erklären, sofern das antragstellende Unternehmen in der Gruppe nicht lediglich von untergeordneter Bedeutung ist.
241 Eine solche Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten auf die Gläubigerinteressen war ursprünglich nach dem RegE bereits mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit gegeben, §§ 2 und 3 StaRUGRegE. 242 Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127. 243 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106. 244 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107.
416 | Brünkmans
IX. Konzernsanierung durch StaRUG | Rz. 211 § 4
Es gelten die Grundsätze für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes im Insolvenzverfahren (s. Rz. 40 ff.) entsprechend. An die Stelle eines zulässigen Insolvenzantrags (s. Rz. 41) tritt jedoch nicht die Anzeige des Restrukturierungsverfahrens nach § 31 StaRUG; erforderlich ist vielmehr, dass das antragstellende Unternehmen bereits einen zulässigen Antrag zur Inanspruchnahme eines Instruments aus § 29 Abs. 2 StaRUG gestellt hat. Die Bewirkung der Rechtshängigkeit der Sache ist nicht ausreichend, weil die gerichtliche Prüfung der eigenen Zuständigkeit bei der Inanspruchnahme eines Instruments durch den Schuldner erforderlich ist. Die Begründung des Gruppen-Gerichtsstands soll daher erst möglich sein, wenn die Zuständigkeit geklärt ist.245
206
Im Übrigen gelten über den Verweis in § 37 StaRUG auf die Vorschriften zum Gruppen-Gerichtsstand der InsO (s. dazu Rz. 34 ff.) diese entsprechend.
4. Kooperations- und Koordinationsvorschriften Das StaRUG sieht keine Kooperations- und Koordinationsvorschriften entsprechend §§ 269a ff. InsO (s. dazu Rz. 98 ff.) vor. Auch fehlt eine dem § 56b InsO entsprechende Regelung für die Einsetzung eines personenidentischen Restrukturierungsbeauftragen. Umgekehrt lässt sich dem StaRUG nicht entnehmen, dass die Einsetzung derselben Person als Restrukturierungsbeauftragter in Gruppen-Folgeverfahren unzulässig wäre.246
207
5. Koordinierte Restrukturierungspläne in den Einzelverfahren Die Sanierung des Konzerns erfordert – wie im Insolvenzplanverfahren – grundsätzlich für jede Gruppengesellschaft separate Restrukturierungspläne, über die verfahrensmäßig unabhängig voneinander in den Gruppen der Planbetroffenen abgestimmt und vom Restrukturierungsgericht bestätigt werden. Es gelten die Ausführungen zu den koordinierten Insolvenzplänen in der Konzerninsolvenz (s. Rz. 98 ff.) entsprechend.
208
Da die Konzernleitungsmacht im StaRUG grundsätzlich fortbesteht (s. Rz. 201), können die Restrukturierungspläne in den Grenzen der Gläubigerinteressen (s. Rz. 202) abgestimmt eingebracht werden, so dass für ein separates Koordinationsverfahren i.S.d. §§ 269d ff. InsO kein Bedürfnis besteht. Für die Annahme, Bestätigung und Wirkung der Restrukturierungspläne gelten die allgemeinen Regeln des StaRUG (s. dazu § 2).
209
6. Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten a) Überblick Wie seit Inkrafttreten des SanInsFoG für den Insolvenzplan (s. Rz. 178) kann auch durch einen Restrukturierungsplan in gruppeninterne Drittsicherheiten eingegriffen werden (vgl. § 2 Abs. 4 StaRUG). Eine solche Eingriffsmöglichkeit ist vor dem Hintergrund einer zentralen Konzernfinanzierung mit umfassender Up- und Cross-Stream-Besicherung sowie Parent-Guarantee für eine effektive Konzernrestrukturierung dringend geboten.247
210
Die Restrukturierung von Konzernen wird erleichtert, indem die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens auf der Ebene der sicherheitenstellenden Konzerngesellschaft vermieden wird. Der Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten kann über eine Regelung im Restrukturierungsplan und – zur Begleitung auf dem Weg dahin – über eine Stabilisierungsanordnung erfolgen.
211
245 RegE. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 166. 246 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 247 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107.
Brünkmans | 417
§ 4 Rz. 212 | § 4 Beratung im Konzern
b) Eingriff durch Restrukturierungsplan aa) Voraussetzungen (1) Gruppeninterne Drittsicherheit 212
Gemäß § 2 Abs. 4 StaRUG kann der Restrukturierungsplan auch die Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen gestalten, die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen i.S.d. § 15 AktG als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitigen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen. Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen § 217 Abs. 2 InsO, welche seit Inkrafttreten des SanInsFoG zum 1.1.2021 auch für den Insolvenzplan den Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten ermöglicht (s. dazu Rz. 178). Der Eingriff in eine gruppeninterne Drittsicherheit setzt eine ausdrückliche Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes voraus und erfolgt auch bei akzessorischen Sicherheiten nicht bereits automatisch über die Gestaltung der Hauptforderung.248 In Anlehnung an § 254 Abs. 2 InsO bleiben Drittsicherheiten ungeachtet von der Gestaltung der gesicherten Hauptforderung bestehen, wenn nicht ausnahmsweise der Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten nach § 2 Abs. 4 StaRUG erfolgt (§ 67 Abs. 3 StaRUG). Ein Eingriff setzt zunächst voraus, dass es sich bei der Hauptforderung gegen die Schuldnerin um eine Restrukturierungsforderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG handelt.
213
Bei der vom verbundenen Unternehmen gestellten Sicherheit kann es sich um Personalsicherheiten (Bürgschaft, Mithaftung, Garantie) oder dingliche Sicherheiten wie z.B. Pfandrechte an Grundstücken, Bankkonten, Gesellschaftsanteilen oder Sicherungsübereignungen, Sicherungszessionen etc. handeln. Erfasst werden damit insbesondere zentrale Konzernfinanzierungen, welche sich dadurch auszeichnen, dass Darlehen über eine Gruppengesellschaft aufgenommen werden und die anderen Gruppengesellschaften lediglich als Mithaftende einbezogen sind. Nicht erfasst von § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG sind Eingriffe in die Stellung der anderen Gruppengesellschaft als (Mit-)Darlehensnehmer, auch wenn das Darlehen durch ein gemeinsames Sicherheitenpaket besichert wurde.249 Lässt sich die Darlehensschuld auf Ebene der anderen Gruppengesellschaft nicht durch eine konsensuale Regelung gestalten, sind multiple Restrukturierungspläne jeweils auf Ebene der Darlehensnehmer erforderlich.
214
Als gruppeninterne Drittsicherheiten gelten nur solche, die verbundene Unternehmen gem. § 15 AktG bestellt haben. Darunter fallen sowohl von Tochtergesellschaften (Upstream-Sicherheiten) als auch von Mutter- oder Schwestergesellschaften (Downstream-Sicherheiten) bestellte Sicherheiten.250 (2) Zulässiger Eingriff
215
§ 7 Abs. 2 Satz 2 StaRUG regelt die Gestaltungsoptionen im Hinblick auf gruppeninterne Drittsicherheiten. Schuldrechtliche Ansprüche können gekürzt (Teilerlass) oder gestundet werden. Für dingliche Sicherheiten kommt die Freigabe mit Anschlussverwendung in Betracht, z.B. indem eine Grundschuld freigegeben und mittels einer planbasierten, neuen Sicherungsabrede zur Sicherung der Anschlussfinanzierung des Schuldners verwendet wird.251 (3) Angemessene Entschädigung, § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG
216
Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG ist der Eingriff in eine Drittsicherheit angemessen zu entschädigen. Bei der Höhe der Entschädigung muss der Restrukturierungsplan als Untergrenze mindestens die bei der Einzelrealisierung der Sicherheit zu erwartende Befriedigung des Sicherungsnehmers 248 Thole, ZIP 2020, 1985, 1997; Bauch in Braun, StaRUG, § 67 Rz. 7; wohl anders Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage, 2021, 46, 47, welche aber offensichtlich § 67 Abs. 3 StaRUG verkennen. 249 Wilkens, WM 2021, 573, 577. 250 Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 45. 251 Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 51.
418 | Brünkmans
IX. Konzernsanierung durch StaRUG | Rz. 220 § 4
gewährleisten.252 Im Ergebnis entspricht die Entschädigung einem aus dem Minderheitenschutz (§ 251 InsO) bekannten Schlechterstellungsverbot, dessen Einhaltung über die Vergleichsrechnung dokumentiert wird. Eine angemessene Entschädigung hätte somit bereits über das Schlechterstellungsverbot abgesichert werden können; § 2 Abs. 4 StaRUG führt jedoch zu einer besonderen Ausweisung der Entschädigung im Restrukturierungsplan.253 Bei Personalsicherheiten hängt die Entschädigung maßgeblich von der Solvenz des Drittsicherungsgebers ab, ob diese über ausreichend nicht wertausschöpfend belastetes Vermögen verfügt, das sie für die Erfüllung ihrer Verpflichtung einsetzen kann.254 Dingliche Sicherheiten richten sich nach dem Wert des Sicherungsgegenstandes unter Berücksichtigung evtl. vorrangiger Sicherungsrechte und aller realistischen Verwertungsalternativen, die im Rahmen der Einzelvollstreckung oder im Insolvenzverfahren in Betracht kommen.255
217
Rechtliche Verwertungsbeschränkungen, wie etwa aufgrund der kapitalerhaltungsrechtlichen Bindungen oder aus einer vereinbarten Limitation Language, sind bei der Bewertung zu berücksichtigen.256 Bei der Berechnung einer hypothetischen Befriedigung sind Doppelberücksichtigungen verschiedener Sicherheiten, wie z.B. bzgl. Geschäftsanteilsverpfändung einerseits und der Ablösung einer Garantieerklärung andererseits zu vermeiden.257
218
§ 73 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG ermöglicht dem Restrukturierungsgericht, einen Restrukturierungsbeauftragten mit der Prüfung zur Angemessenheit der Entschädigung als Sachverständiger zu beauftragen.
219
Aus dem Wortlaut von § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG ist nicht unmittelbar ersichtlich, wer die angemessene Entschädigung aufzubringen hat. Die Gesetzesbegründung geht offensichtlich davon aus, dass die Entschädigung aus dem Vermögen des Schuldners zu leisten ist.258 Dennoch ist es zulässig und auch angemessen, wenn nicht der Schuldner, sondern der Sicherungsgeber oder ein Dritter die Entschädigung leistet.259 Die Zusage der Entschädigung kann in diesem Fall allerdings nicht im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes geregelt werden, sondern erfordert eine freiwillige Verpflichtungserklärung des Drittsicherungsgebers. Im Rahmen der gesellschafts- und konzernrechtlichen Grenzen, kann der Drittsicherungsgeber zur Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung angewiesen werden. Ein Verstoß gegen §§ 30, 31 GmbHG oder die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn im Ergebnis der Eingriff in die Drittsicherheit gegen Kompensation auch für den Drittsicherungsgeber vorteilhaft ist. Ebenfalls in Betracht kommt die Entschädigung in Form eines Sicherheitentausches, wenn eine bestehende Finanzierung fortgeführt wird.260 (4) Gruppenbildung Sieht der Insolvenzplan Eingriffe in gruppeninternen Drittsicherheiten vor, ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG für die Inhaber dieser Rechte eine eigenständige stimmberechtigte Gruppe zu bilden.
252 Thole, ZIP 2020, 1985, 1987. 253 Thole, ZIP 2020, 1985, 1987; vgl. auch Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage, 2021, 46, 48 „klarstellende Regelung“; Groß/Jungclaus, SanB 2021, 6, 8. 254 Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 59; Thole, ZIP 2020, 1985, 1987. 255 Wohl weiter Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 59, „alle Verwertungsalternativen“. 256 Wilkens, WM 2021, 573, 578; Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 59. 257 Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 59. 258 RegE. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 113. 259 Wie hier Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 62; wohl strenger Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 260 Esser in Braun, StaRUG, § 2 Rz. 62.
Brünkmans | 419
220
§ 4 Rz. 221 | § 4 Beratung im Konzern (5) Zustimmungserklärung des Drittsicherungsgebers 221
Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten vor, ist die Zustimmung des Drittsicherungsgebers erforderlich und dem Restrukturierungsplan beizufügen (§ 15 Abs. 4 StaRUG). Die Zustimmungserklärung des Drittsicherungsgebers darf nicht missbräuchlich zurückgehalten werden.261 bb) Verfahren
222
Der Restrukturierungsplan muss in Gruppen der Planbetroffenen mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel angenommen werden (§ 25 Abs. 1 StaRUG, s. im Einzelnen § 2 Rz. 97 ff.). Die vom Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten betroffenen Gläubiger sind aufgrund des Eingriffs in die Restrukturierungsforderung als Hauptforderung sowohl in der jeweiligen Gruppe der Restrukturierungsforderung als auch in der Gruppe der Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten stimmberechtigt. Das Stimmrecht in der Gruppe der gruppeninternen Drittsicherheiten richtet sich nach dem Wert der Drittsicherheit (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). cc) Rechtsschutz
223
Der Schutz der Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten erfolgt über die Gruppenbildungspflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG und Entschädigungspflicht nach § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG hinaus insbesondere durch den Minderheitenschutz nach § 64 Abs. 1 StaRUG.
224
Die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans ist zu versagen, wenn der Antragsteller durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde. Zum Teil wird angenommen, dass über den Minderheitenschutz bereits ein ausreichender Schutz vor Eingriffen ohne angemessene Entschädigung gewährleistet wird, die in § 2 Abs. 4 StaRUG geregelte Kompensationspflicht insoweit überflüssig sei.262 Unklar ist bisher auch wie sich die Beurteilung der Frage der Angemessenheit der Entschädigung i.S.d. §§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 und § 26 Abs. 2 StaRUG einerseits und die für den Minderheitenschutz maßgebliche Vergleichsrechnung (§ 64 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 StaRUG) andererseits voneinander unterscheiden.263
7. Stabilisierungsanordnung 225
Bis zur Rechtskraft des Restrukturierungsplanes, welcher einen Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten vorsieht, bleibt es dem Gläubiger grundsätzlich unbenommen, seine Sicherungsrechte gegen die andere Gruppengesellschaft durchzusetzen. Um die Restrukturierung unter Einbeziehung von Drittsicherheiten nicht von vornherein zu torpedieren, kann auf Antrag des Schuldners eine Stabilisierungsanordnung (§ 49 Abs. 1 StaRUG) auch das Recht von Gläubigern zur Durchsetzung von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4 StaRUG) sperren (§ 49 Abs. 3 StaRUG). Dem Gläubiger sind die laufenden Zinsen zu zahlen und der durch die Nutzung des Sicherungsgegenstandes eintretende Wertverlust durch Kompensationszahlungen auszugleichen (§ 54 Abs. 1 Satz1 StaRUG). Für Einzelheiten zur Stabilisierungsanordnung s. § 2 Rz. 159 ff.
261 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 109. 262 Bedeutung und Verhältnis der Entschädigungspflicht aus § 4 Abs. 4 StaRUG neben dem allgemeinen Schlechterstellungsverbot des § 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StaRUG sind noch ungeklärt, s. Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage, 2021, 46, 48; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988 f.; Wilkens, WM 2021, 573, 578. 263 Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage, 2021, 46, 48.
420 | Brünkmans
IX. Konzernsanierung durch StaRUG | Rz. 229 § 4
Für die Zulässigkeit der Einbeziehung einer Drittsicherheit in eine Stabilisierungsanordnung kommt es auf die drohende Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners, nicht jedoch auf die drohende Zahlungsunfähigkeit des Drittsicherungsgebers an.264
226
8. Internationale Aspekte Da Konzerne häufig grenzüberschreitend tätig sind, stellt sich die Frage, ob auch der Eingriff in eine von einer ausländische Gruppengesellschaft gestellte Sicherheit durch den Restrukturierungsplan möglich ist.
227
Die Anwendbarkeit des StaRUG ist von der Zuständigkeit deutscher Gerichte abhängig. Diese richtet sich für öffentliche Verfahren ((§§ 84 ff. StaRUG) nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO), d.h. der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners muss in Deutschland liegen.265 Allerdings gelten die Vorschriften für öffentliche Verfahren aus §§ 84 ff. StaRUG erst ab dem 17.7.2022 und bis dahin findet die EuInsVO somit auf das StaRUG generell keine Anwendung (vgl. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO). Für die Zeit bis zum Inkrafttreten der §§ 84 ff. StaRUG und für nichtöffentliche Verfahren allgemein stellt sich somit die Frage, wonach sich die internationale Zuständigkeit und Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen richtet. Letzteres ist insbesondere für die Anerkennung der Regelungen im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans von Bedeutung, welche sich im Anwendungsbereich der EuInsVO ohne weitere Förmlichkeiten unmittelbar aus Art. 32 Abs. 1 EuInsVO ergeben. Für nicht öffentlich geführte Restrukturierungssachen werden für die Zuständigkeit und Anerkennung unterschiedliche Ansätze vertreten, die von der Anwendung der EuGVVO, der Anerkennung auf Basis der Rom I-VO bis hin zur Anwendung des jeweils einschlägigen nationalen internationalen Insolvenz- oder Zivilprozessrechtes reichen.266 Für den Drittsicherungsgeber verlangt § 2 Abs. 4 StaRUG267 auch für öffentliche Verfahren hingegen nicht, dass der Mittelpunkt hauptsächlicher Interessen des Drittsicherungsgebers in Deutschland liegt. Durch den Verweis auf § 15 AktG ist lediglich erforderlich, dass es sich bei dem Drittsicherungsgeber um ein verbundenes Unternehmen i.S.d. § 15 AktG handelt,268 wovon nach allgemeiner Auffassung auch ausländische Unternehmen erfasst werden.269 Daher ist bei einem Eingriff in eine gruppeninternen Drittsicherheit einer ausländischen Gruppengesellschaft bei einem öffentlichen Verfahren (s.o) von einer Anerkennung über Art. 20, 32 EuInsVO auszugehen. Bei im Ausland belegenen dinglichen Drittsicherheiten stellt sich jedoch die Frage, ob und inwieweit Art. 8 EuInsVO, wonach dingliche Gläubigerrechte an im Ausland belegenen Gegenständen von dem in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Verfahren grundsätzlich unberührt bleiben, Anwendung findet.270
228
Beim nichtöffentlichen Verfahren kann die Anerkennung des Eingriffs in gruppeninterne Drittsicherheiten nur unter den Voraussetzungen der EuGVVO, Rom I-VO oder des jeweils einschlägigen
229
264 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 265 RegE. SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, zu Kapitel 4 (Öffentliche Restrukturierungssachen), S. 178 f.; Morgen/Arends/Schierhorn, ZRI 2021, 305, 312; Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46, 46; Hoegen/ Kranz, NZI 2021, 105, 109. 266 Siehe Morgen/Arends/Schierhorn, ZRI 2021, 305, 312; Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46, 46; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 109; Madaus, Stellungnahme zum Regierungsentwurf SanInsFoG vom 12.11.2020, S. 9. 267 Siehe auch § 217 Abs. 2 InsO n.F. 268 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 109. 269 Schall in Spindler/Stilz, AktG, § 15 Rz. 10, 55, Vorbem. Rz. 32; Emmerich in Emmerich/Habersack, § 15 AktG Rz. 5; Keßler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 15 AktG Rz. 1; Fett in Bürgers/Körber, § 15 Rz. 4. 270 Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46, 46; s. aber den allgemeinen Diskussionsstand zur Frage, ob Art. 8 EuInsVO als eine Sach- oder Kollisionsnorm einzustufen ist Dornblüth in Kayser/Thole, HKInsO, VI, Art. 8 EuInsVO Rz. 8.
Brünkmans | 421
§ 4 Rz. 229 | § 4 Beratung im Konzern nationalen internationalen Insolvenz- oder Zivilprozessrechtes erreicht werden (s. zum Hauptschuldner § 10 Rz. 228 ff.).
X. Europäisches Konzerninsolvenzrecht, Art. 56 bis 70 EuInsVO 230
Auch die europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) sieht in den Art. 56 bis 70 EuInsVO besondere Vorschriften zur Koordinierung von Insolvenzverfahren über das Vermögen von zwei oder mehr Mitgliedern derselben Unternehmensgruppe vor (zur EuInsVO allgemein s. § 20 Rz. 14 ff.).
231
Einen einheitlichen Konzerngerichtsstand entsprechend § 3a InsO sieht die EuInsVO nicht vor. Allerdings kann bei einem zentral integrierten Konzern im Einzelfall der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (Art. 3 EuInsVO) einer Konzerntochter am Ort der Konzernzentrale liegen.271 Davon haben in der Vergangenheit insbesondere englische Gerichte häufig Gebrauch gemacht.272
232
Die europäischen Vorschriften zur Konzerninsolvenz betreffen zunächst die Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter (Art. 56 EuInsVO) und der Gerichte (Art. 57 EuInsVO). Befindet sich ein Mitglied der Unternehmensgruppe in einem anderen Mitgliedstaat im (vorläufigen) Insolvenzverfahren, haben die Kooperationspflichten aus Art. 56 EuInsVO gegenüber § 269a InsO und aus Art. 57 EUInsVO gegenüber § 269b InsO Vorrang (vgl. Art. 102, § 22 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EGInsO) (s. im Einzelnen auch Rz. 101, 114).
233
Wie auch das deutsche Konzerninsolvenzrecht (§§ 269d–269i InsO) sieht die EuInsVO in Art. 61–77 ein besonderes Koordinationsverfahren vor (zum Verhältnis des nationalen zum europäischen Koordinationsverfahrens s. Rz. 124).
234
Eine im Vergleich zu den nationalen Vorschriften besondere Regelung enthält Art. 60 EuInsVO. Der Insolvenzverwalter einer Gruppengesellschaft kann die Aussetzung von Verwertungsmaßnahmen über das Vermögen eines anderen Mitglieds derselben Unternehmensgruppe beantragen. Zuständig für die Aussetzung ist das Gericht, welches das Insolvenzverfahren eröffnet hat, in welchem die Verwertung ausgesetzt werden soll (Art. 60 Abs. 2 EuInsVO). Die Aussetzung der Verwertung ist nur zulässig, wenn diese notwendig ist, um die Umsetzung eines im Insolvenzverfahren einer anderen Gruppengesellschaft vorgelegten Sanierungsplans sicherzustellen, welcher auch den Gläubigern in anderen Verfahren zugutekommt. Zu den Voraussetzungen im Einzelnen s. Art. 60 Abs. 1 EuInsVO.
235
Damit stellt die EuInsVO einen Koordinationsmechanismus zur Verfügung, der es dem jeweiligen Insolvenzverwalter erlaubt, in das Verfahren einer anderen Gruppengesellschaft durch Beantragung eines Verwertungsstopps direkt einzugreifen. Allerdings ist ein solcher Verwertungsstopp aufgrund der hohen Hürden (die in Art. 60 Abs. 1 EuInsVO aufgeführten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen) in der Praxis nur schwer zu erreichen.
271 EuGH „Eurofood“, Slg. I 2006, 3854 = NZI 2006, 360; Brinkmann in K. Schmidt, InsO, Art. 3 Rz. 13; Brünkmans, Koordinierung, S. 343 ff.; enger Thole in MünchKomm/InsO, Art. 3 Rz. 45. 272 High Court of Justice Leeds v. 20.5.2004 – 556/2004, 557/2004, ZIP 2004, 1769, 1769; High Court of Birmingham NZI 2005, 467; s. aber auch AG München v. 4.5.2004 – 1501 IE 1276/04, ZIP 2004, 962; Tribunale Parma v. 19.2.2004 – 53/04, ZIP 2004, 1220.
422 | Brünkmans
§5 Geschäftsleiterberatung I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag . 2 III. Anzeigepflicht gem. § 49 Abs. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 IV. Sanierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 V. Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . 11 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Erfüllung der Antragspflicht . . . . . . . . 16 3. Konsequenzen der Säumnis . . . . . . . . . 21 VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . 41 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 15a Abs. 1 InsO . . . . . . . . . 43 a) Entwicklung der Rechtsprechung . . 43 b) Schaden vertraglicher Neugläubiger 46 c) Schutzbereich der Norm . . . . . . . . . 49 d) Schaden gesetzlicher Neugläubiger . 52 e) Schaden der Altgläubiger . . . . . . . . 56 f) Schaden der Insolvenzmasse? . . . . . 59 g) Haftung gem. § 15a InsO nach Antragstellung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 h) Gläubiger mit und nach Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Innenhaftung nach § 15b InsO . . . . . . 66a a) Zeitlicher Anwendungsbereich des § 15b InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66b b) Haftungsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Haftungszweck – Schaden . . . . . 68 bb) Verfügung vs. Verpflichtung . . . 69 cc) Verwendung zweckbestimmter Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 d) Sorgfaltsausnahme gem. § 15b Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3 InsO . . . . . . . . 82 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Pflichtenkollision § 15b Abs. 8 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4. Haftungsmodelle der Literatur . . . . . . 88 a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. VIII. IX. X. XI. 1. 2. XII. XIII. XIV. 1.
2. 3. 4. 5. 6. XV. XVI.
b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzbereich des § 15a InsO . . . bb) Schutzbereich des § 15b InsO und geringerer Schaden nach § 15b Abs. 4 S. 2 InsO . . . . . . . . cc) Verhältnis zwischen § 15a InsO und § 64 S. 1 GmbHG a.F./§ 15b InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . . . . § 64 S. 3 GmbHG a.F./§ 15b Abs. 5 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtverantwortung/Ressortverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktischer Geschäftsleiter . . . . . . . . . . . Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weisung, Verzicht, Vergleich . . . . . . . . Verjährung – § 15b Abs. 7 InsO . . . . . . Haftung ohne Insolvenzverfahren . . . . Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für Verfahrenskosten gem. § 26 Abs. 3, 4 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung wegen Betruges und Untreue . Haftung für Sozialabgaben . . . . . . . . . . Strafrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . Haftung wegen sittenwidriger Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung wegen Existenzvernichtung . . Steuerrechtliche Haftung gem. § 69 AO Grundsatz der anteiligen Tilgung . . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kollision mit § 64 S. 1 GmbHG/ § 15b Abs. 8 InsO . . . . . . . . . . . . . . Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht . . . . . . . . . . . Abzugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsteuerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsleiterwechsel . . . . . . . . . . . . . . Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung bei anderen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsleiterhaftung bei ausländischen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . .
92 92 97 101 102 108 115 120 121 124 129 131 132 133 138 140 148 148 152 162 164 168 170 170 172 178 182 183 184 186 188 190
Andres | 423
§ 5 Rz. 1 | Geschäftsleiterberatung
I. Überblick 1
Die Krise einer Gesellschaft ist für ihre Geschäftsleiter in Organstellung außerordentlich haftungsträchtig. Die Gesellschafter suchen einen Schuldigen für den Verlust ihres Beteiligungswertes und die Gläubiger für den Verlust ihrer Forderungen. Nachfolgend soll zwar allein von den Rechten und Pflichten des Vertretungsorgans ab Eintritt eines Insolvenzgrundes die Rede sein. Die Insolvenz ist aber nicht nur der Prüfstand für das Verhalten in der Krise, sondern auch für zurückliegende Vorgänge wie Missmanagement, eine etwaige Einlagenrückgewähr und die ordnungsmäßige Kapitalaufbringung. Hierzu wird auf die gesonderten Abschnitte dieses Buches verwiesen. Gesetzliche Anknüpfungspunkte für die Haftung in der Krise sind §§ 43, 49 und vor allem § 15a InsO sowie § 15b InsO, der seit dem 1.1.2021 an die Stelle der §§ 64 GmbHG, 130a und 177a HGB, 92 Abs. 2 AktG und 99 GenG tritt.1 Die folgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf den GmbH-Geschäftsleiter. Sie sind auf den Vorstand einer AG übertragbar, soweit Besonderheiten nicht ausdrücklich genannt werden. Durch die Einführung des Schutzschirm- und vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens im Jahr 2012 ist zudem die Möglichkeit für die Geschäftsführung hinzugekommen, dass Unternehmen auch nach Stellung des Insolvenzantrages im Rahmen der vorgenannten Verfahren weiterzuführen, um eine Sanierung mit den Mitteln der Insolvenzordnung zu erreichen. Diese neuen Verfahrensarten bieten auf der einen Seite neue Möglichkeiten, aber auch erhebliche Haftungsgefahren für die Geschäftsführung. Diese ist regelmäßig auf dem Gebiet des Insolvenzrechts unerfahren. Seit Anfang 2021 ist durch das StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) und die dort geregelten neuen Möglichkeiten des Restrukturierungsplans, der Sanierungsmoderation und der Stabilisierungsanordnung eine weitere Möglichkeit der Sanierung eines Unternehmens hinzugekommen.2
II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag 2
Bei den Rechten des Geschäftsleiters ist zu unterscheiden zwischen der zivilrechtlichen Anstellung und der gesellschaftsrechtlichen Organstellung. Aus dem Anstellungsverhältnis können dem Geschäftsleiter die üblichen schuldrechtlichen Zurückbehaltungs- und Kündigungsrechte wegen Zahlungsverzuges erwachsen. Dabei muss er beachten, dass jedes Zurückbehaltungsrecht nur im Rahmen von Treu und Glauben ausgeübt werden darf.3 Zwar ist keiner – erst recht kein Fremdgeschäftsleiter – verpflichtet, unentgeltlich tätig zu werden. Der Anpassungsvorbehalt in § 87 Abs. 2 AktG zeigt jedoch, dass dem Organmitglied eine größere Rücksichtnahme zugemutet wird als einem Arbeitnehmer. Diese Vorschrift gilt für den Geschäftsleiter einer GmbH analog, unabhängig davon, ob er gleichzeitig Gesellschafter ist.4 Anders als für das Vorstandsmitglied einer AG greift zugunsten des Geschäftsleiters die Insolvenzgeldsicherung gem. §§ 165 f. SGB III ein. Voraussetzung ist, dass der Geschäftsleiter keinen
1 Streng davon zu unterscheiden ist die Durchgriffshaftung, die nur für Geschäftsleiter, die gleichzeitig Gesellschafter sind, in Frage kommt, BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, MDR 1994, 997 = ZIP 1994, 867, 868. Gleiches gilt für den existenzvernichtenden Eingriff, der zwar ohne ein Geschäftsleiterhandeln nicht denkbar ist, aber vorrangig die Gesellschafterhaftung betrifft, s. Überblick bei Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rz. 138 ff. 2 Teil des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz vom 22.12.2020, BGBl. I 3256. 3 Grüneberg in Palandt, BGB, § 273 Rz. 17; speziell zur Einschränkung durch Insolvenzgeldsicherung: Blank, ZInsO 2007, 426. 4 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, MDR 1992, 1039 = NJW 1992, 2894 = ZIP 1992, 1152; OLG Düsseldorf v. 2.12.2011 – 16 U 19/10, DStR 2012, 309; 312; zum Alleingesellschafter-Geschäftsleiter: OLG Karlsruhe v. 23.7.2003 – 6 U 203/01, ZIP 2003, 2082 ff.
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II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag | Rz. 4 § 5
bestimmenden Einfluss als Gesellschafter ausüben kann.5 Das Insolvenzgeld ist steuerfrei. Es sichert nur den Nettogehaltsanspruch während der letzten drei Monate, in denen das Arbeitsverhältnis vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder einer Abweisung mangels Masse bestand. Deshalb erleidet der Geschäftsleiter einen Nachteil, soweit er durch die Verrechnung mit Verlusten aus anderen Einkunftsquellen bei der Jahresveranlagung eine Lohnsteuererstattung erhalten würde. Hinzu kommt, dass die Berechnungsgrundlage für das Insolvenzgeld seit 1.1.2004 durch die Beitragsbemessungsgrenze des § 341 Abs. 4 SGB III gedeckelt ist. Aus diesem Grund wird man ihm trotz des Insolvenzgeldschutzes ein Zurückbehaltungs- und ein Kündigungsrecht zusprechen dürfen, wenn die Vergütungsrückstände erheblich sind. Macht der Geschäftsleiter von einem Zurückbehaltungsrecht aus dem Anstellungsvertrag Gebrauch, suspendiert das nicht die unverzichtbaren Pflichten, die ihn als Organ treffen.6 Ihnen entgeht der Geschäftsleiter nur mit der Amtsniederlegung (vgl. auch § 8 Rz. 81). Sie ist stets zulässig. Der Geschäftsleiter hat im Innenverhältnis zur Gesellschaft jedoch deren Interessen zu berücksichtigen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen,7 wie z.B. für eine andere Vertretung Sorge tragen zu können.8 Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine Amtsniederlegung jedoch unabhängig von etwaigen Vertragsverletzungen im Innenverhältnis auch in der Krise – nach allerdings umstrittener Auffassung9 – wirksam.10 Der Zugang der Erklärung über die Niederlegung bei nur einem Gesellschafter reicht in der GmbH11 ebenso aus wie in der AG der Zugang bei nur einem Aufsichtsratsmitglied.12 Einschränkungen werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung13 allerdings für einen Alleingesellschafter-Geschäftsleiter gemacht. Seine Niederlegung soll wegen des Rechtsmissbrauchs unwirksam sein, wenn kein wichtiger Grund vorliegt oder er keinen neuen Geschäftsleiter bestellt. Jedenfalls unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Einschränkung nicht zwingend; denn insolvenzrechtlich bestehen zwar Auskunfts- und Mitwirkungspflichten, §§ 97 ff. InsO (s. Rz. 22 ff.), nicht aber die Pflicht, eine Organstellung beizubehalten. Zudem regelt § 15a Abs. 3 InsO die Pflicht des Gesellschafters bzw. Aufsichtsrats zur Antragstellung sofern kein Geschäftsleiter bestellt ist. Er muss jedoch Kenntnis von der Führungslosigkeit und dem Insolvenzgrund haben.
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Die Amtsniederlegung ist außer bei Gehaltsrückstand insbesondere zulässig, wenn dem ressortfremden Geschäftsleiter Informationen vorenthalten werden, die er zur Beurteilung der Insolvenzantragspflicht und anderer Haftungstatbestände wie bspw. der Entrichtung von Sozialabgaben14 benötigt.15 Es ist nicht selten, dass ein dominanter Gesellschafter-Geschäftsleiter seine Mitgeschäftsleiter über die wahren Verhältnisse im Unklaren lässt und auch Nachfragen nicht vollständig beantwortet. Die Amts-
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5 BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 77/89, GmbHR 1991, 461; BSG v. 18.4.1991 – 7 RAr 32/90, GmbHR 1992, 172; a.A. Henssler in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1283, 1288 f.; zur Arbeitnehmereigenschaft eines Geschäftsleiters BSG v. 18.12.2001 – V 12 KR 10/01 R, NZG 2002, 431 ff.; BGH v. 23.1.2003 – IX ZR 39/02, MDR 2003, 715 = ZIP 2003, 485. 6 Das ergibt sich aus der grundsätzlichen Trennung von Anstellungs- und Organverhältnis. 7 MünchKomm/GmbHG/Jaeger, § 35 Rz. 395. 8 OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, MDR 2001, 702 = ZIP 2001, 25 f.; LG Frankenthal v. 23.4.1996 – 1 HK T 1/96, GmbHR 1996, 939; 940. 9 Nachweise bei Roth/Altmeppen, GmbHG, § 38 Rz. 75 ff. 10 BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, MDR 1993, 430 = NJW 1993, 119 = ZIP 1993, 430; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639 = ZIP 1995, 1334; OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, ZInsO 2008, 332. 11 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = NJW 2001, 3622 = ZIP 2001, 1874. 12 Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, § 112 Rz. 16. 13 OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, ZInsO 2008, 332; 333; Pfälz. OLG v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, ZIP 2006, 950 m.w.N.; BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, DB 1999, 1748; offenlassend: BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 235/06, juris Rz. 2. 14 BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, MDR 1997, 460 = DStR 1997, 546 = ZIP 1997, 412; BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560. 15 Michalski/Nerlich, GmbHG, § 64 Rz. 13.
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§ 5 Rz. 4 | Geschäftsleiterberatung niederlegung führt nicht zum Verlust von Vergütungsansprüchen aus dem Dienstverhältnis,16 falls sie die einzige Möglichkeit der Haftungsvermeidung darstellt. Dann ist eine ordnungsmäßige Geschäftsführung aus wichtigen Gründen nicht möglich, die der Gesellschaft zuzurechnen sind. Beruht das auf einer Obstruktion von Mit-Geschäftsleitern, muss der Geschäftsleiter den Gesellschaftern vorher eine Frist für Abhilfemaßnahmen setzen. Zu den Vergütungsansprüchen, die dem Geschäftsleiter erhalten bleiben, gehört auch ein vertraglich vereinbarter Abfindungsanspruch. Er stellt jedoch in der Insolvenz nur eine Insolvenzforderung dar, auch wenn der Dienstvertrag erst nach Verfahrenseröffnung endet.17 5
Ob von dem Recht zur Amtsniederlegung Gebrauch gemacht wird, ist eine taktische Frage. Wenn sich die Krise schon so verschärft hat, dass dem Geschäftsleiter kein Gehalt mehr gezahlt werden kann, ist es bis zur Insolvenzverschleppung nicht mehr weit. Die Amtsniederlegung heilt keine bereits versäumte Insolvenzantragspflicht. Im Gegenteil läuft der ausgeschiedene Geschäftsleiter Gefahr, für künftige Gläubigerschäden zu haften, die bei rechtzeitiger Antragstellung vermieden worden wären.18 Insofern ist es häufig besser, die Entwicklung „unter Kontrolle“ zu behalten, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen und mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter eine Vergütung aus der Masse zu vereinbaren, wenn er den Geschäftsleiter für die Abwicklung noch benötigt.
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Gelegentlich versuchen die Gesellschafter, einem vom Geschäftsleiter beabsichtigten Insolvenzantrag durch die sofortige Abberufung zuvorzukommen. Hinsichtlich der Organstellung ist das wirksam, wenn der Gesellschaftsvertrag keine Einschränkungen enthält, § 38 GmbHG. Eine fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages setzt aber einen wichtigen Grund voraus und zudem ist die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein angekündigter Insolvenzantrag unberechtigt gewesen wäre, liegt bei der Gesellschaft.19 In einem Schutzschirmverfahren oder einer vorläufigen Eigenverwaltung war nach altem Recht noch die Abberufung von Mitgliedern der Geschäftsleitung erst mit der Eröffnung des Verfahrens nicht mehr möglich, § 276a InsO. Das neue Recht sieht für Verfahren, die nach dem 1.1.2021 eingeleitet werden und für die nicht nach §§ 5, 6 CovInsAG noch das alte Recht anwendbar ist vor, dass diese Regelung bereits im vorläufigen Verfahren gilt, § 276a Abs. 3 InsO.
III. Anzeigepflicht gem. § 49 Abs. 3 GmbHG 7
Die Geschäftsleiter der GmbH müssen nach dem Verlust des halben Stammkapitals eine Gesellschafterversammlung einberufen, § 49 Abs. 3 GmbHG. Maßgebend sind die Buch- und nicht, wie beim Überschuldungsstatus, die Verkehrs-/Liquidationswerte. Bis zur Aufstellung des Jahresabschlusses darf nicht gewartet werden. Vielmehr unterliegen die Geschäftsleiter in der Krise einer ständigen Selbstprüfungspflicht.20 Auch unterjährige Verluste sind zu berücksichtigen. Es ist eine Zwischenbilanz zu erstellen, falls es Anhaltspunkte für den Kapitalverlust gibt.
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Zweck der Einberufung ist es, den Gesellschaftern die Entscheidung über Sanierungsmaßnahmen zu ermöglichen.21 Dafür sind die Buchwerte eigentlich ein ungeeignetes Kriterium. Dennoch hält der 16 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639 = ZIP 1995, 1334. 17 BAG v. 27.9.2007 – 6 AZR 957/06, MDR 2008, 575 = ZIP 2008, 374 Rz. 17 f.; BAG v. 27.4.2006 – 6 AZR 364/05, ZIP 2006, 1962; OLG Frankfurt v. 16.9.2004 – 3 U 205/03, ZIP 2005, 409. 18 Scholz/Bitter, GmbHG, § 64 Rz. 61. 19 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, MDR 2007, 730 = ZIP 2007, 374. 20 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (zu § 49 GmbHG); BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, MDR 2000, 341 = ZIP 2000, 184 (zu § 64 GmbHG); Schl.-Holst. OLG v. 11.2.2010 – 5 U 60/09, ZInsO 2010, 530; 533; K. Schmidt, GesR, § 36 II.4.a, II.5. wegen Schadensersatzpflicht gem. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 64 Abs. 1 GmbHG und c.i.c. 21 K. Schmidt, GesR, § 36 III.3.a.
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IV. Sanierungspflicht | Rz. 10 § 5
Gesetzgeber die Pflicht für so wichtig, dass er ihre Verletzung nach wie vor unter Strafe stellt, § 84 Abs. 1 GmbHG. Wesentlich wichtiger als diese Information über bereits eingetretene Verluste ist ein Frühwarnsystem, zu dessen Installation nach dem Gesetz nur der Vorstand einer Aktiengesellschaft gem. §§ 90 Abs. 1 Nr. 1, 91 Abs. 2 AktG verpflichtet ist. Eine analoge Anwendung auf die Geschäftsleiter einer GmbH ist nach der Gesetzesbegründung möglich.22
IV. Sanierungspflicht Die Geschäftsleiter haben gem. § 43 Abs. 1 GmbHG die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Dazu gehört die Vermeidung bestandsgefährdender Entwicklungen ebenso wie ihre Beseitigung.23 Ein Sanierungserfolg wird natürlich nicht geschuldet, wohl aber die unverzügliche und sorgfaltsgemäße Durchführung von Sanierungsmaßnahmen24 einschließlich Einberufung der dafür erforderlichen Gesellschafterversammlung.25 § 1 StaRUG normiert zudem ab dem 1.1.2021 die Pflicht der Geschäftsleitung fortwährend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der Gesellschaft gefährden können zu wachen und bei Eintreten solcher Entwicklungen geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und den Überwachungsorganen, also den Gesellschaftern oder dem Aufsichtsrat unverzüglich Bericht zu erstatten. Nach Abs. 2 gilt dies auch für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, also die GmbH & Co. KG und vergleichbare Gesellschaftsformen. Die Regelung war im ursprünglichen Gesetzesentwurf nur die Grundnorm an die sich sodann ein Haftungskanon anschloss. Dieser hat aber keinen Eingang in die endgültige Gesetzesfassung gefunden. Die Norm alleine ergibt ohne weiteres keinen wirklichen Sinn, da sie keine weitergehenden Pflichten normiert, als diese sich nicht ohnehin schon aus den bisherigen gesetzlichen Regelungen für die jeweiligen juristischen Personen ergeben. Insbesondere da keine Rechtsfolgen eines Fehlverhaltens normiert werden, ist unklar, was die Vorschrift bewirken soll. Ggf. kann sie als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB verstanden werden.
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Die Vermeidung bestandsgefährdender Entwicklungen verlangt, der Beseitigung eines Insolvenzgrundes oberste Priorität einzuräumen. Jetzt kommt es darauf an, die Unternehmensziele auf die besondere Situation anzupassen. War es früher erklärte Absicht der Gesellschaft, neue Marktpositionen aufzubauen und dadurch Verluste zu akzeptieren, muss nunmehr die damit verbundene Liquiditätsbelastung sofort beendet werden. Die langfristige Planung wird überlagert von einer kurzfristigen zur Vermeidung der Insolvenzgründe. Das kann dazu führen, dass z.B. unfertige Erzeugnisse in einem verlustträchtigen Betriebsteil oder Anschaffungskosten für Lizenzen wertberichtigt werden müssen. In gleicher Weise können neue Aufwendungen – z.B. aufgrund eines Sozialplans – anfallen. All das ist in die Fortführungsprognose und den Überschuldungsstatus einzubeziehen. Mit Wirkung zum 1.1.2021 ist § 19 InsO dahingehend konkretisiert worden, dass der für die Fortführung prognostisch zu bestimmende Zeitraum von 12 Monate beträgt („die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist“). Zuvor war in der Rechtsprechung anerkannt, dass in der Regel das laufende und das kommende Geschäftsjahr durchfinanziert sein mussten.26
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22 Scholz/Seibt, GmbHG, § 49 Rz. 23; K. Schmidt, GesR, § 36 II.4.a einschränkend. 23 Goette, ZInsO 2001, 529; 531; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rz. 12; nicht dagegen der Entzug von Vermögen, das zur Deckung des Stammkapitals nicht benötigt wird, BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, MDR 1999, 1145 = NJW 1999, 2817, bzgl. § 42 Abs. 2 GmbHG. 24 K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.109 ff. 25 LG München v. 31.5.2007 – 5 HK 11977/06, Beck RS 2007, 11876. 26 BGH v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, MDR 2017, 516 = ZIP 2017, 427.
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§ 5 Rz. 11 | Geschäftsleiterberatung
V. Insolvenzantragspflicht 1. Zeitpunkt 11
„Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, so haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen“, § 15a Abs. 1 S. 2 InsO. Die Insolvenzantragsfrist bei Vorliegen des Insolvenzgrundes der Überschuldung gem. § 19 InsO beträgt ab dem 1.1.2021 sechs Wochen. § 15a Abs. 1 S. 2 InsO wurde im Rahmen des SanInsFoG angepasst. Für die Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO gilt unverändert die Frist von maximal drei Wochen.
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Die den Geschäftsleitern eingeräumte Frist dient der Vorbereitung eines Insolvenzantrages und der Beseitigung des Insolvenzgrundes. Das setzt naturgemäß dessen Kenntnis voraus. Eine positive Kenntnis zu verlangen, würde bedeuten, einen Verstoß gegen die Antragspflicht nur bei vorsätzlichem Handeln zu sanktionieren. Die Haftung würde regelmäßig an der Beweisnot eines Gläubigers oder Insolvenzverwalters scheitern. Gleiches gilt für die Fälle des § 15b InsO gelten, der die Geschäftsleiter zur Erstattung sämtlicher Zahlungen verpflichtet, die nach „dem Eintritt“ der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleistet werden und nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar waren. Anknüpfungspunkt der persönlichen Haftung nach § 15b InsO ist der objektive Eintritt der materiellen Insolvenz.
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Für den Fristbeginn ausreichend ist deshalb bereits die bei Anwendung geschäftsmännischer Sorgfalt (§ 43 Abs. 1 GmbHG) gegebene Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes,27 wobei den Geschäftsleiter eine ständige Überprüfungspflicht trifft.28 Die Erkennbarkeit wird vermutet, wenn der Insolvenzgrund objektiv eingetreten ist.29 Der Geschäftsleiter hat die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen.30 Das gilt jedenfalls für die GmbH. Bei der AG knüpft eine verbreitete Auffassung an die positive Kenntnis des Insolvenzgrundes an.31 Ein Unterschied zum Beginn der Antragspflicht des GmbH-Geschäftsleiters ist jedoch nicht angezeigt und gegen sie spricht nunmehr auch die rechtsformübergreifende Regelung der Antragspflicht in § 15a Abs. 1 InsO, so dass der Berater vorsorglich auch bei der AG auf den Zeitpunkt der Erkennbarkeit abstellen sollte.32
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Allerdings bedeutet ein Abstellen auf die Erkennbarkeit, dass die Frist de facto leer läuft, weil in der Praxis die positive Kenntnis fast immer erst erlangt wird, wenn der Insolvenzgrund rückblickend längst erkennbar gewesen wäre und die Frist bereits verstrichen ist. Deshalb wird die Auffassung vertreten, dass das Dauerdelikt „Insolvenzverschleppung“ für die Zeit der Prüfung und/oder Durchführung von erfolgversprechenden Sanierungsmaßnahmen, längstens jedoch für drei bzw. sechs Wochen ab positiver Kenntnis unterbrochen ist.33 Der BGH stellt in seinem Grundsatzurteil aus 1994, in dem 27 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 38; BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, MDR 2011, 196 = ZIP 2010, 2400 Rz. 14. 28 BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, MDR 2012, 786 = ZIP 2012, 1174 Rz. 15; BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZInsO 2007, 660 Rz. 16, 17 = ZIP 2007, 1265; BGH v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, II ZR 61/92 = ZIP 1994, 891. 29 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 38; BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, MDR 2011, 196 = ZIP 2010, 2400 Rz. 14. 30 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZIP 2007, 1265 Rz. 15; BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, MDR 2000, 1388 = ZIP 2000, 1896. 31 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823; 1827; OLG Koblenz v. 5.11.2004 – 5 U 875/04, NZG 2005, 79; 81; Hüffer, AktG, § 92 Rz. 23 m.w.N. 32 So auch BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZIP 2007, 1265 Rz. 15. 33 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823 (für die AG); BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; bestätigt durch BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 12 ff., allerdings zu Unrecht unter Berufung auf den BGH in Rz. 47.
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V. Insolvenzantragspflicht | Rz. 15 § 5
er die Haftung des Geschäftsleiters gegenüber Neugläubigern anerkannte, auf die für die Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes und damit für den Haftungsbeginn auf die „damalige Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters“ ab.34 Die Unterbrechung der einmal begonnenen Insolvenzverschleppung zum Zwecke der Prüfung und Sanierung hat der Gesellschaftsrechtssenat im Gegensatz zum 5. Strafsenat nach 1994 nicht anerkannt. Der BFH allerdings tendiert dazu, dem Geschäftsleiter für drei Wochen ab Kenntnis einen Handlungsfreiraum zu gewähren.35 Das ist jedoch kaum praktikabel; denn ein Geschäftsleiter würde gegenüber jedem Gläubiger einwenden, ausgerechnet die in Rede stehende Verbindlichkeit sei während der drei Wochen begründet worden, während der er geprüft und zu sanieren versucht hätte. Da die Gläubiger untereinander nicht von Haftungsprozessen erfahren müssen, gibt es eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Deshalb ist eine solche Unterbrechung abzulehnen.36 Nach der Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes muss der Eröffnungsantrag spätestens innerhalb von drei bzw. sechs Wochen gestellt werden. Der Wortlaut des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO lässt keinen Zweifel daran, dass dies Höchstfristen sind, die nur ausgenutzt werden dürfen, wenn es sich nicht als schuldhaftes Zögern darstellt. Dafür wiederum ist Voraussetzung, dass ernsthafte Sanierungsversuche unternommen werden, die geeignet sein müssen, innerhalb der Fristen die Insolvenzgründe zu beseitigen.37 Selbst die aussichtsreichsten Sanierungsmaßnahmen gestatten dann keine Verzögerung, wenn entweder von vornherein nicht mit einem Erfolgseintritt innerhalb der Fristen zu rechnen ist oder wenn – bei ursprünglicher Erfolgsaussicht – diese Fristen ohne positives Ergebnis verstrichen sind, mag man den Erfolg in weiteren zwei Wochen auch für noch so sicher halten.38 Ob das spätere Scheitern der Sanierung die von Anbeginn fehlende Erfolgsaussicht indiziert, ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden worden. Zumindest wird den Geschäftsleiter eine sekundäre Behauptungslast39 treffen. Für die Einhaltung der Sorgfalt hat es der BGH im Herstatt-Fall ausreichen lassen, dass die Sanierungsverhandlungen nicht von vornherein aussichtslos waren. Zwar wurde das mit den Besonderheiten einer Bankeninsolvenz wegen der einschneidenden Konsequenzen für die Allgemeinheit begründet.40 Geringe Anforderungen an die Sanierungsaussichten nur bei „großen“ Schuldnern zu stellen, wäre aber verfehlt; denn im Gegenzug reduziert sich bei „kleinen“ Schuldnern das Schädigungspotential. Deshalb sollte man es für sämtliche Schuldner genügen lassen, dass eine Sanierung nicht von vornherein aussichtslos ist, um die Fristen ausschöpfen zu dürfen. In der Praxis steht ohnehin der Streit um den Zeitpunkt im Vordergrund, zu dem der Insolvenzgrund eingetreten ist. Das ist häufig lange, bevor sich die Geschäftsleiter dessen bewusst sind. Verglichen damit fallen die Wochen, um die ein Antrag eventuell zu Unrecht verzögert werden könnte, meist nicht ins Gewicht. Der Geschäftsleiter sollte seine Sanierungsverhandlungen sorgsam dokumentieren, um bei einem späteren Streit hierüber nicht in Beweisnot zu kommen. Die oftmals von Geschäftsleitern ins Feld geführten Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten oder Banken über die Verlängerung eines Kredites genügen jedoch nur, wenn über allgemeine erste Gespräche hinaus konkrete Verhandlungen geführt wurden. Allein eine Anfrage bei einem möglichen Interessenten oder einer Bank kann nicht zur Exkulpation der Geschäftsführung führen. Erforderlich sind zumindest „konkrete tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass mit der Gewährung von Finanzmitteln zu rechnen war oder andere erfolgversprechende Möglichkeiten bestanden, die für die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit benötigte Finanzierung sicherzustellen.41
34 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103. 35 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06; BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; BFH v. 4.7.2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059; BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604. 36 Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rz. 30, 32 ff. 37 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, MDR 2012, 549 = ZIP 2012, 723 Rz. 11; BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/ 77, BGHZ 75, 96, 112 = NJW 1979, 1823; 1827 f., für AG, auf GmbH zu übertragen; BGH v. 2.10.2000 – II ZR 164/99, DStR 2001, 1537; 1538. 38 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, MDR 2007, 730 = ZIP 2007, 674. 39 S. dazu BGH v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, MDR 1991, 226 = NJW 1990, 3151. 40 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 112. 41 Vgl. OLG Frankfurt v. 17.1.2018 – 4 U 4/17.
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§ 5 Rz. 16 | Geschäftsleiterberatung
2. Erfüllung der Antragspflicht 16
Natürliche Personen sind nicht gehalten, bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Anders ist es wegen der beschränkten Haftung bei juristischen Personen. § 15a Abs. 1 S. 1 InsO verpflichtet „die Mitglieder des Vertretungsorgans“, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Adressat ist jedes einzelne Mitglied, unabhängig von einer Aufgabenverteilung untereinander.42 Ob ein bereits vorliegender Gläubigerantrag von der Antragspflicht entbindet, ist umstritten. Für das Strafrecht wird das verneint,43 für das Gesellschaftsrecht teilweise ebenfalls,44 teilweise aber auch bejaht.45 Der ablehnenden Auffassung ist zuzustimmen, denn ein Insolvenzantrag allein eines Gläubigers bedarf der Glaubhaftmachung und der Anhörung des Schuldners, § 14 InsO, verzögert also die Verfahrenseröffnung oder die Anordnung vorläufiger Maßnahmen gem. §§ 21 f. InsO. Demgegenüber ist eine Glaubhaftmachung nicht erforderlich, wenn alle Geschäftsleiter pflichtgemäß gemeinsam den Antrag stellen, § 15 Abs. 2 InsO. Es sind jedoch auch die Anforderungen des § 13 InsO über die mit dem Antrag einzureichenden Unterlagen zu beachten. Insbesondere wurden die Eingangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung deutlich erhöht. Nach § 270a InsO hat ein Antrag „1. ein Finanzplan, der den Zeitraum von sechs Monaten abdeckt und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes und die Deckung der Kosten des Verfahrens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll, 2. ein Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Eigenverwaltung und die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Ziels in Aussicht genommen werden, 3. eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern, den am Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen, 4. eine Darstellung der Vorkehrungen, die der Schuldner getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, insolvenzrechtliche Pflichten zu erfüllen, und 5. eine begründete Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten, die im Rahmen der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren und im Verhältnis zur Insolvenzmasse voraussichtlich anfallen werden“, zu enthalten. In der Praxis wird der Antrag vom Gericht oftmals erst bearbeitet, wenn die entsprechenden Unterlagen eingereicht werden. Ohne die Unterlagen ist das Gericht bei Gesellschaften, die die Voraussetzungen des § 22a InsO für die Bestellung eines Pflichtgläubigerausschusses erfüllen nicht in der Lage, diesen ordnungsgemäß zu besetzen. Um Verzögerungen zu vermeiden, sollte die Geschäftsführung daher einen möglichst vollständigen Antrag einreichen.
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Andererseits reicht es aus, dass nur einer von mehreren Geschäftsleitern den Antrag stellt.46 Das Gesetz verlangt nicht, dass er für die zwingenden Antragsgründe der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einzelvertretungsberechtigt ist. Allerdings ist dann der Insolvenzgrund glaubhaft zu machen, wenn der Antrag nicht von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans eingereicht wird, § 15 Abs. 2 InsO. Ist das geschehen, befreit das auch die übrigen Geschäftsleiter von der Antragspflicht. In der Praxis verlangen die Gerichte allerdings weitestgehend die Unterschriften aller Geschäftsleiter.
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Der faktische Geschäftsleiter47 unterliegt nach Auffassung des BGH ebenfalls der Antragspflicht des § 15a InsO.48 Dasselbe gilt für den „Zölibatsgeschäftsleiter“, der als Senior noch die Würde des Amtes genießen möchte, sich aber jeder Tätigkeit enthalten will. 42 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), MDR 1994, 674 = ZIP 1994, 891. 43 BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, ZIP 2008, 2308 Rz. 22; BGH v. 6.10.1987 – I StR 475/87, GmbHR 1988, 195 = ZIP 1987, 662; OLG Dresden v. 16.4.1998 – 1 Ws 100/97. 44 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 64 Rz. 30; Marsch-Barner/Diekmann in MüHdbGesR, Bd. 3, § 45 Rz. 74; a.A. Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rz. 35. 45 Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rz. 114 m.w.N. 46 Scholz/Bitter, GmbHG, Vor § 64 Rz. 63 ff., Anh § 64 Rz. 35. 47 Zu den Voraussetzungen: BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; OLG München v. 8.9.2010 – 7 U 2568/10, ZIP 2010, 2295. 48 BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = ZIP 2002, 848.
430 | Andres
V. Insolvenzantragspflicht | Rz. 21 § 5
Der Insolvenzantrag ist bei dem für die Verfahrenseröffnung zuständigen Gericht einzureichen. Ist der Schuldner selbstständig bzw. unternehmerisch tätig, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Bezirk, in dem der wirtschaftliche Mittelpunkt dieser Tätigkeit liegt, ansonsten nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, §§ 3, 4 InsO, 13 ZPO (vgl. § 9 Rz. 59 ff.). Hat der Schuldner ausländische Aktivitäten im Geltungsbereich der EG-Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO), verdrängt deren Zuständigkeitsregelung die inländischen Vorschriften, Art. 102 § 1 EGInsO. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bestimmt die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates als zuständig, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (vgl. § 20 Rz. 91 ff.). Zwar gilt die Vermutung, dass dieser Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Sie ist jedoch widerlegbar. Geschieht dies, ist für eine in Deutschland eingetragene Gesellschaft die Zuständigkeit eines ausländischen Insolvenzgerichts begründet. Sie ist de facto eine ausschließliche, weil die Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 4a EuInsVO (keine Zuständigkeit, wenn ein Verfahrens im Staat der hauptsächlichen Interessen unzulässig sein sollte) bei einem Eigenantrag nicht relevant wird. Es gibt keinen Staat im Anwendungsbereich der EuInsVO, in dem die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über juristische Personen deutschen Rechts nicht möglich ist. Bei einer Unternehmensgruppe i.S.d. § 3e InsO kann ein Gruppengerichtsstand für alle der Unternehmensgruppe angehörigen Unternehmen begründet werden nach § 3a InsO. So können Gruppenunternehmen, die an anderen Gerichtsstandorten ihren Sitz haben zu dem Gericht des Gruppengerichtsstands „gezogen“ werden. Voraussetzung hierfür ist, dass ein gruppenangehöriges Unternehmen einen zulässigen Eröffnungsantrag stellt und nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Dies ist nach § 3a Abs. 1 S. 2 dann nicht der Fall, wenn im vorangegangenen Geschäftsjahr die Zahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer in diesem Unternehmen mehr als 15 Prozent der in der Unternehmensgruppe im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer ausmacht und die Bilanzsumme oder der Umsatz ebenfalls mehr als 15 Prozent der zusammengefassten Bilanzsumme oder des Umsatzes der Unternehmensgruppe ausmacht.
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Mit dem beim zuständigen ausländischen Gericht eingereichten Insolvenzantrag erfüllt ein Geschäftsführer oder Vorstand seine Antragspflicht.49 Würde man – ggf. zusätzlich – einen in Deutschland eingereichten Antrag verlangen, würde man den Geschäftsleiter zu einem verfahrensmäßig rechtswidrigen Verhalten zwingen, was weder dem Gebot einer widerspruchsfreien Rechtsanwendung noch der gerade in Insolvenzsachen notwendigen Verfahrensbeschleunigung diente.
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3. Konsequenzen der Säumnis Die Nichterfüllung der Antragspflicht führt im Außenverhältnis zu Schadensersatzansprüchen sowohl der während der Verschleppung hinzukommenden Neugläubiger („Kontrahierungsschaden“) als auch der schon vorhandenen Altgläubiger, wenn deren Befriedigungsaussichten durch weitere Verluste geschmälert werden („Quotenschaden“). Im Innenverhältnis muss der Geschäftsleiter vor allem masseschmälernde Zahlungen gem. § 64 S. 1 GmbHG bzw. für Zahlungen ab dem 1.1.2021 gem. § 15b InsO ersetzen, wobei diese Haftung schon mit der Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes und nicht erst mit einer Verletzung der Antragspflicht beginnt. Auf die Einzelheiten wird nachfolgend eingegangen. Außerdem ist die Antragssäumnis auch eine grobe Verletzung der nach § 43 Abs. 1 GmbHG geschuldeten Sorgfalt, die einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung bildet. Sie kann auch später noch vom Insolvenzverwalter erklärt werden. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt nicht vor Ende des pflichtwidrigen Verhaltens.50
49 AG Köln v. 10.8.2005 – 71 IN 416/05, ZIP 2005, 1566; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829; 833 ff.; Wagner, ZIP 2006, 1934. 50 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, MDR 2008, 329 = ZIP 2008, 267; BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, MDR 2005, 1422 = ZIP 2005, 1365.
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§ 5 Rz. 22 | Geschäftsleiterberatung
VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag 1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners 22
Die Pflichten des Schuldners nach dem Eröffnungsantrag ergeben sich aus den §§ 20 ff., 80 ff., 97 f., 101 f. InsO.
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Der gravierendste Einschnitt erfolgt, sobald das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen der in §§ 21 f. InsO genannten Art beschließt (vgl. § 9 Rz. 106 ff, § 2 Rz. 159 ff.). Regelmäßig geht dies mit einer Beschränkung der alleinigen Verfügungsbefugnis einher, sei es, dass Verfügungen nur noch mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zulässig sind, sei es, dass auf den vorläufigen Verwalter die alleinige Verfügungsbefugnis übergeht, § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ebenso wie nach Insolvenzeröffnung verliert der Schuldner in diesen Fällen bereits vorher die Möglichkeit, (allein) über Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen bzw. Leistungen entgegenzunehmen, §§ 24, 81 f. InsO. Soweit ein Geschäftsbetrieb vorhanden ist, wird der (vorläufige) Verwalter aber regelmäßig den Geschäftsleiter – falls er geeignet ist, sonst Mitarbeiter aus der „zweiten Reihe“ – im konkret definierten Umfang bevollmächtigen, die Erklärungen abzugeben. Häufig läuft der Betrieb „erst einmal so weiter“. Hierbei ist dringend anzuraten, dass die Kompetenz genau festgelegt wird, damit neue Gläubiger nicht auf die Eigenhaftung des Geschäftsleiters als falsus procurator gem. § 179 Abs. 1 BGB zurückgreifen können. Anders ist die Situation, wenn ein Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO oder ein vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren nach § 270b, c InsO beantragt und vom Gericht angeordnet wird. In diesen Fällen wird von dem Gericht kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, § 270b Abs. 1 S. 1 und § 270c InsO. Das Gericht bestellt lediglich einen vorläufigen Sachwalter, § 270b Abs. 1 S. 1. Der vorläufige Sachwalter hat gem. § 274 Abs. 2 InsO die wirtschaftliche Lage zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen. Er kann die Kassenführungsbefugnis an sich ziehen, § 270b Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 275 Abs. 2 InsO und die Geschäftsführung soll Verbindlichkeiten nicht eingehen, wenn der vorläufige Sachwalter widerspricht, § 270b Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 275 Abs. 1 InsO. Der Sachwalter ist damit allein Überwacher der Handlungen der Geschäftsführung, darf aber selbst nicht den Geschäftsbetrieb fortführen.
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§ 20 Abs. 1 InsO normiert eine Auskunfts- und, wie durch den Gesetzgeber klargestellt wurde, Mitwirkungspflicht. Der Schuldner darf die Auskunft nicht etwa verweigern mit der Begründung, die Unterlagen befänden sich bei seinem Steuerberater.51 Nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung bestehen diese Pflichten nicht nur gegenüber dem Insolvenzgericht, sondern insbesondere auch gegenüber dem vorläufigen Verwalter.
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Gegenüber dem Gutachter, den das Gericht im Rahmen des § 5 InsO zur Ermittlung des Insolvenzgrundes und der Verfahrenskostendeckung einschaltet, bestehen diese Verpflichtungen hingegen nicht. Seine Befugnisse gehen über die eines jeden Sachverständigen nicht hinaus, § 4 InsO, §§ 402 ff. ZPO.52 Eine Delegation der Auskunftsberechtigung an den Gutachter ist vom Wortlaut des § 20 InsO nicht gedeckt. Bei renitenten Schuldnern führt das in der Praxis allerdings unverzüglich zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, so dass ab dann die Auskunftsberechtigung des § 22 Abs. 3 InsO eingreift, so dass eine Verweigerungshaltung etwa aus der Überlegung heraus, man werde eine Insolvenzeröffnung noch vermeiden können, sinnlos ist.
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Der Schuldner bzw. Geschäftsleiter hat weder einen Anspruch auf Vergütung noch auf Ersatz seiner Aufwendungen;53 denn der Verpflichtete hat – auch wenn er nur angestellter Geschäftsleiter ist – die Stellung als Partei, nicht als Zeuge, auf den das JVEG anwendbar wäre.
51 MünchKomm/InsO/Vuia, § 20 Rz. 33. 52 BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, MDR 2004, 1022 = ZIP 2004, 915 f. 53 Schmidt in HK/InsO, § 97 Rz. 31.
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VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag | Rz. 32 § 5
Zur Durchsetzung der Obliegenheiten kann das Insolvenzgericht den Schuldner bzw. Geschäftsleiter zwangsweise vorführen und – nach Anhörung – in Haft nehmen lassen, § 98 Abs. 2 ZPO. Diese Maßnahmen stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, das dabei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten muss.54 In der Praxis bleibt es regelmäßig bei der zwangsweisen Vorführung zur Anhörung, so dass nur präsentes Wissen und Informationen aus mitgebrachten Unterlagen erfragt werden können. Eine Beugehaft mit dem Ziel, dass der Geschäftsleiter Unterlagen zusammenstellen soll, ist außerordentlich selten. Meist lässt er sich dahingehend ein, dass Belege verschwunden seien oder ihm für die Ermittlung die erforderliche Sachkunde fehle, die begehrte Auskunft also auch nicht durch Druckmittel erhältlich sei. Zwar sind zu Lasten des Schuldners bzw. seiner Organe strenge Maßstäbe anzulegen.55 Von ihnen darf jedoch nichts Unmögliches verlangt werden. Angesichts des mit einer Haft verbundenen Eingriffs in Grundrechte ist es verständlich, dass manche Insolvenzgerichte zurückhaltend sind.
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Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Erteilung von Vollmachten an einen vorläufigen Insolvenzverwalter, soweit dies zur Erreichung des vorläufigen Verfahrenszweckes erforderlich ist.56 Dies ist beispielsweise für Einsichtnahmen in das Grundbuch der Fall. Eine allgemeine Mitarbeit bis hin zur Fortsetzung der Geschäftsleitertätigkeit wird indes nicht geschuldet. Für natürliche Personen mag die Unterlassung allenfalls Konsequenzen im Rahmen der Restschuldbefreiung haben, vgl. § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO. Insbesondere aber für Mitglieder von Gesellschaftsorganen gibt es keine Tätigkeitspflicht. Ggf. müssen Mitarbeiter zu Lasten der Masse neu eingestellt werden. Die Grenze ist fließend. Vereinfachend formuliert erstreckt sich die geschuldete unentgeltliche Mitwirkung auf Vorbereitungsmaßnahmen, also auf die Beschaffung und Zusammenstellung von Informationen über bisherige Entwicklungen, soweit sie als höchstpersönliche Tätigkeit zumutbar sind. Demgegenüber umfasst die Verwaltung neben allen künftigen Gestaltungsmaßnahmen auch die Beschaffung des „Organisationswissens“, mithin derjenigen Informationen, die höchstpersönlich zu ermitteln einem Geschäftsleiter nicht mehr zumutbar ist.
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Die Auskunftspflicht trifft auch ehemalige Mitglieder der Vertretungs- und Aufsichtsorgane, die nicht früher als zwei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschieden sind, § 101 Abs. 1, 2 InsO. Das gilt naturgemäß nicht für die Verpflichtung zur aktiven Verfahrensunterstützung gem. § 97 Abs. 2 InsO. Sie kann nur von den gegenwärtigen Organmitgliedern erfüllt werden, § 101 Abs. 1 Satz 3 InsO.
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Ein Zeugnisverweigerungsrecht steht den Organmitgliedern nicht zu, § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO. Belastende Tatsachen dürfen jedoch für ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren nur mit Zustimmung des Schuldners bzw. Schuldnervertreters verwendet werden. Es handelt sich hierbei nicht bloß um ein Verwertungsverbot, sondern auch um ein Verbot, auf die offenbarten Tatsachen weitere Ermittlungen zu stützen.
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Zum Kreis der Auskunftspflichtigen gehören ferner die gegenwärtigen und innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Antrag ausgeschiedenen Angestellten des Schuldners, § 101 Abs. 2 InsO, wobei ihnen allerdings das Zeugnisverweigerungsrecht bleibt.
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Die Pflichten haben die Betroffenen persönlich zu erfüllen. Zwar ist es teilweise sogar sachlich geboten, dass ihnen gewisse Zeit zur Vorbereitung eingeräumt wird. Der anwaltliche Rat insbesondere an
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54 Zu den Voraussetzungen s. BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, MDR 2005, 954 = ZIP 2005, 722. 55 MünchKomm/InsO/Vuia, § 20 Rz. 51. 56 So BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, MDR 2004, 233 = ZIP 2003, 2123, zur Reichweite des § 97 InsO nach Verfahrenseröffnung mit der Begründung, der Schuldner hätte damit das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über sein Vermögen verloren. Ähnlich wird im Eröffnungsverfahren argumentiert werden können, soweit der Schuldner wegen angeordneter Sicherungsmaßnahmen nicht mehr allein verfügen darf. Generell für eine Mitwirkungspflicht: Zipperer in Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 16 ff.; a.A. Vallender in FS Uhlenbruck, S. 135, 140.
Andres | 433
§ 5 Rz. 32 | Geschäftsleiterberatung den Schuldner, nur schriftlich über den verfahrensbevollmächtigten Anwalt Anfragen des Gerichts oder des vorläufigen Verwalters zu beantworten, findet im Gesetz keine Grundlage. Das ist auch sachgerecht; denn häufig ergeben sich aus einer Auskunft Anschlussfragen, so dass ein schriftliches Verfahren zu Verzögerungen führt, die mit dem Charakter des vorläufigen Insolvenzverfahrens als eines Eilverfahrens nicht im Einklang stehen. Allerdings ist die Sanktion von Verstößen nur schwach; denn auch die Vorladung zur gerichtlichen Anhörung braucht Zeit, die kaum kürzer als die für den Schriftverkehr benötigte ist. Eine Haftanordnung wird in aller Regel unterbleiben, wenn der Schuldner zusagt, alsbald umfassend schriftlich Stellung zu nehmen. 33
Neben den aktiven Mitwirkungspflichten trifft den Schuldner bzw. seine Organe auch eine passive Unterstützungspflicht. So haben sie dem vorläufigen Verwalter57 Zutritt zu den Geschäftsräumen sowie Einsicht in die Bücher und Schriften zu gewähren, § 22 Abs. 3 InsO. Außerdem haben sie sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu halten, um ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen, § 97 Abs. 3 InsO.
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Der Schuldner hat nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. So kann er gegen Anordnungen des Gerichts in den Fällen vorgehen, in denen die InsO die sofortige Beschwerde ausdrücklich vorsieht, § 6 Abs. 1 InsO (vgl. § 9 Rz. 141 und § 18 Rz. 156 ff.). Das gilt namentlich für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, § 21 Abs. 1 InsO, die Verfahrenseröffnung, § 34 Abs. 1 und 2 InsO, sowie – hinsichtlich der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten – für die Anordnung der Haft, § 98 Abs. 3 InsO. Besonders wichtig sind für kooperationswillige Schuldner die Informationsrechte. Einen allgemeinen Auskunftsanspruch gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter sieht das Gesetz nicht vor, sondern gibt ihm als Verfahrensbeteiligten nur ein Recht auf Akteneinsicht, § 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO. Das reicht nicht immer aus. Der Schuldner darf einen Insolvenzplan vorlegen, § 218 Abs. 1 InsO. Außerdem wird er vor einer Verfahrenseröffnung unter Umständen noch bemüht sein, den Insolvenzgrund zu beseitigen. All das gelingt nur im laufenden Informationsaustausch, an dem einem (vorläufigen) Verwalter in der Praxis immer gelegen ist, muss er anderenfalls doch befürchten, dass Entscheidungen ohne Informationsaustausch mit dem Schuldner die Befriedigungsaussichten für die Gläubiger schmälern und deshalb zur Haftung führen. Verhält es sich einmal anders, bleibt nur die Anrufung des Insolvenzgerichts, das im Rahmen der Aufsicht gem. § 58 InsO den Verwalter insbesondere zur Unterstützung des Schuldners anhalten wird, soweit dies, wie im Falle eines beabsichtigten Insolvenzplanes, dem Verfahrenszweck dienen kann. Teilweise wird vertreten,58 dass den Verwalter die Informationspflichten des § 51a GmbHG gegenüber den Gesellschaftern treffen. Dann dürfte auch die Informationspflicht des Verwalters gegenüber dem Geschäftsleiter nicht geringer sein. Beides ist jedoch abzulehnen, ohne dass es auf den Theorienstreit ankommt, ob der Verwalter als Organ der Schuldnerin oder als Amtsträger anzusehen ist;59 denn § 51a GmbHG dient dem mitgliedschaftlichen Eigeninteresse eines jeden Gesellschafters, um insbesondere die Ausübung des Stimmrechts vorzubereiten.60 Demgegenüber sind ab Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung Grundlagenentscheidungen mit dem Insolvenzgericht bzw. den Gläubigern abzustimmen, §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 158 ff. InsO. Im Übrigen ist der Verwalter unabhängig, § 56 Abs. 1 InsO, und nur gegenüber den Beteiligten an die Pflichten gebunden, die sich aus der InsO ergeben, nicht aber – anders als ein Geschäftsleiter, § 45 Abs. 1 GmbHG – an den Willen der Gesellschafter. Da es mithin an der Entscheidungskompetenz der Gesellschafter fehlt, bedarf es auch keines Auskunftsanspruchs direkt gegenüber dem Verwalter. Vielmehr müssen sie sich die Informationen beim Geschäftsleiter beschaffen.
57 Nicht dem Nur-Gutachter: BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, MDR 2004, 1022 = ZIP 2004, 915 f. 58 OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, ZInsO 2002, 77; LG Wuppertal v. 10.12.2002 – 11 O 121/00, NJW-RR 2003, 332; zustimmend K. Schmidt, RWS-Forum 24, InsR 2003, S. 1928. 59 Zum Theorienstreit: Häsemeyer, InsR, Rz. 15.01 ff. 60 OLG Hamm v. 10.1.2008 – 15 W 343/07, ZIP 2008, 899; OLG Köln v. 21.11.2007 – 2 U 110/07, ZIP 2008, 1131; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 51a Rz. 1.
434 | Andres
VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag | Rz. 39 § 5
Neben den Beschwerde- und Informationsrechten gibt es noch zahlreiche in der InsO verstreut geregelte Teilhaberechte, von denen die bedeutsamsten das Widerspruchsrecht des Schuldners gegen angemeldete Forderungen (§§ 178, 201 Abs. 2 InsO), der Antrag auf vorläufige Untersagung von Verwaltermaßnahmen (§ 161 InsO) sowie einer Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 Abs. 1 InsO) und schließlich der Antrag auf Einstellung des Verfahrens (§ 212 InsO) sind. Daneben gibt es noch die Möglichkeit, bei der Erstellung des Vermögensverzeichnisses mitzuwirken (§ 151 Abs. 1 InsO) und in der Gläubigerversammlung zum Bericht des Verwalters Stellung zu nehmen (§ 156 Abs. 2 InsO), Befugnisse, von denen in der Regel kein Gebrauch gemacht wird, zumal der fortführungswillige Schuldner ohnehin ein eigenes Initiativrecht zur Vorlage eines Insolvenzplans hat (§ 218 Abs. 1 InsO), in dem die Vermögensverhältnisse und die Geschäftsentwicklung darzustellen sind (§ 220 InsO).
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2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsleiters An der organschaftlichen Stellung des Geschäftsleiters ändert sich mit dem Insolvenzantrag oder der Verfahrenseröffnung nichts. Natürlich muss er wie ein Schuldner die Verfügungsbeschränkung beachten und den Auskunfts- bzw. Mitwirkungspflichten nachkommen (s. Rz. 22 ff.). An der Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO bestehen nach der Eröffnung keine Befugnisse mehr, so dass auch Weisungsrechte der Gesellschafterversammlung diesbezüglich leer laufen. Dies kann sich aber ändern, wenn der Insolvenzverwalter einzelne Vermögensgegenstände aus dem Insolvenzbeschlag freigibt. Dann ist wieder das gesellschaftsrechtliche Vertretungsorgan für diese Vermögensgegenstände zuständig. In der Regel wird dies aber nicht vorkommen. Einzige Ausnahme sind oftmals Grundstücke und Immobilien, die durch den Verwalter wegen Altlastenbelastung oder überhöhter Wertvorstellungen der besicherten Gläubiger nicht verwertet werden können. Der Insolvenzverwalter entledigt sich dann oftmals seiner Zuständigkeit und Haftung durch die Freigabe. Soweit es aber die oben dargestellten Verfahrensrechte anbetrifft, hat der Geschäftsleiter nach wie vor nur „geliehene Macht“, ist also der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung unterworfen. Praktisch relevant ist dies vor allem bei der Ausübung der Beschwerdebefugnis und im Insolvenzplanverfahren. An sich sind auch die im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Versammlungen einzuberufen, was in der Praxis selten geschieht. Den Insolvenzverwalter treffen aber nach § 155 InsO mit der Eröffnung des Verfahrens sämtliche Pflichten zur Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen auch, wenn sie den Zeitraum vor der Eröffnung oder der Antragstellung betreffen. Der umfassende Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis führt zur Verantwortlichkeit des Verwalters i.S.d. § 34 Abs. 3 AO.61
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Die Ansprüche des Schuldners aus dem Geschäftsleiteranstellungsvertrag gehören – in der Insolvenz des Geschäftsleiters – nach Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse, § 35 InsO. Deshalb steht die Kündigungsbefugnis auch nicht mehr den Gesellschaftern,62 sondern gem. § 80 InsO dem Insolvenzverwalter er Gesellschaft zu. Die gesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung wird ferner durchbrochen bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen den Geschäftsleiter. Auch sie gehören zur Insolvenzmasse, so dass der Verwalter bei ihrer Realisierung nicht von einem Beschluss der Gesellschafterversammlung gem. § 46 Nr. 8 GmbHG abhängig ist.
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Anders verhält es sich hingegen mit der Organstellung. Sie unterliegt nicht dem Verfügungsrecht des Verwalters. Deshalb ist es weiterhin Sache der Gesellschafter, über die Abberufung zu entscheiden – falls der Geschäftsleiter mangels Vergütung sein Amt nicht längst selbst niedergelegt hat. Anders in der Eigenverwaltung oder einem Schutzschirmverfahren. Hier ist eine Abberufung nur möglich, wenn der Sachwalter dieser zustimmt, § 276a Abs. 1 S. 2 InsO. Dies gilt auch im vorläufigen Verfahren, § 276a Abs. 3 InsO.
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Besonders virulent wird der Konflikt zwischen der gesellschafts- und der insolvenzrechtlichen Kompetenzzuweisung bei der Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren. Die Gesellschafter ha-
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61 Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 155 Rz. 34. 62 So außerhalb der Insolvenz: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 46 Rz. 27.
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§ 5 Rz. 39 | Geschäftsleiterberatung ben nach § 276a Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 3 ab Anordnung des vorläufigen Verfahrens keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung. Diese muss sich zuvorderst an den Maßgaben der InsO, also insbesondere § 1 InsO und der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung orientieren. Nachdem früher eine Eigenverwaltung angeordnet wurde, wenn keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten waren, ist seit dem 1.1.2021 ein umfangreicher Anforderungskatalog vom Gesetzgeber in den § 270a InsO eingefügt worden, den der Schuldner erfüllen muss, um in den Genuss einer Anordnung der Eigenverwaltung oder des Schutzschirms zu kommen. Der Katalog stellt im Wesentlichen sicher, dass das Verfahren transparent und überprüfbar von den Beteiligten geführt wird. Die Gläubiger haben nach wie vor die Möglichkeit die Eigenverwaltung zu beenden, wenn sie glaubhaft machen können, dass die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung nicht vorliegen und ihnen Nachteile drohen, § 270e Abs. 2 InsO. 40
Neben den Maßgaben der InsO muss sich die Willensbildung der Geschäftsführung über die Führung des Verfahrens daneben in der für den Schuldner geltenden Kompetenzordnung vollziehen. Natürlich geht dies nur im Rahmen zwingenden Rechts, zu dem auch die Insolvenzordnung gehört. Dazu zählen insbesondere die ausdrücklich in der InsO formulierten Mitwirkungs- und Zustimmungsvorbehalte des Sachwalters, des Gläubigerausschusses sowie der Gläubigerversammlung, §§ 275 ff. InsO. Die Geschäftsführung muss also ihre Handlungen an dem in § 1 InsO niedergelegten Verfahrenszweck ausrichten, die Gläubiger gleichmäßig und optimal zu befriedigen63 und daneben eine Fortführung des Unternehmens für die Gesellschafter erreichen, wenn dies von diesen gewollt ist. in diesem Fall muss sich die Geschäftsführung mit den Gesellschaftern eng abstimmen, weil in aller Regel Beiträge der Gesellschafter zur Fortführung des Unternehmens und für eine Quotenzahlung erforderlich sind, die die Geschäftsführung mit den Gläubigern und den Gesellschaftern abstimmen muss. Die Geschäftsführung kann auch in einem solchen Verfahren gewechselt werden, wenn die Gesellschafter dies wollen. Der (vorläufige) Sachwalter kann seine Zustimmung nur dann versagen, wenn Nachteile für die Gläubiger drohen, § 276 Abs. 1 S. 3 InsO.
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung 1. Überblick 41
§ 15a Abs. 1 InsO verpflichtet die Mitglieder des Vertretungsorgans, nach Eintritt des Insolvenzgrundes unverzüglich den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. § 15b InsO verbietet sämtliche Zahlungen (insolvenzrechtliches Zahlungsverbot), die nicht mit der Sorgfalt Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Umstritten war das Verhältnis von § 64 GmbHG und § 15a InsO zueinander für den Fall, dass sowohl gegen die Antragspflicht als auch gegen das Auszahlungsverbot verstoßen wird. Nach Auffassung des BGH sind beide Normen selbstständig anzuwenden.64 Ein Verstoß gegen die Antragspflicht begründe eigenständige Rechtsfolgen sowohl im Außen- als auch im Innenverhältnis. Sie seien unabhängig von der in § 64 S. 1 GmbHG angeordneten Erstattungspflicht des Geschäftsführers, die nur im Innenverhältnis wirke.
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Dieser „Trennungstheorie“ der (neueren)65 Rechtsprechung und herrschenden Meinung steht die in der Literatur teilweise vertretene „Einheitstheorie“ gegenüber. Danach verpflichten die Bestimmungen die Geschäftsleiter zu einem einheitlichen Innenausgleich, während eine zusätzliche Haftung im Außenverhältnis gegenüber Neugläubigern entweder ebenfalls aus § 15a Abs. 1 InsO oder aus einer daneben bestehenden culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB) folgen könne. Neugläubiger sind diejenigen, die ihre Forderungen nach Eintritt des Insolvenzgrundes erworben haben. Die engagiertesten 63 Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406 ff.; Uhlenbruck in FS Kirchhof, S. 479 ff.; hinsichtlich Grundlagenentscheidungen: Noack, ZIP 2002, 1873 ff. 64 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235. 65 Anders noch BGH v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100 und evtl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/ 91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103.
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 45 § 5
Verfechter dieser Auffassung sind K. Schmidt66 sowie Altmeppen,67 die in den Einzelheiten jedoch deutlich dissentieren. Da ihre „Einheitstheorie“ trotz gegenteiliger Entscheidungen des BGH nach wie vor die Diskussion beeinflusst, soll sie unter Rz. 89 ff. gesondert dargestellt werden.
2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 15a Abs. 1 InsO a) Entwicklung der Rechtsprechung Nach Ansicht des Reichsgerichts stellte die Antragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (= § 15a Abs. 1 InsO) kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB für die Gläubiger dar. Andernfalls wäre die Haftung des § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (= § 64 S. 1 GmbHG/15b InsO) für die nach Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteten Zahlungen überflüssig.68 Im Gegensatz dazu sah der BGH in § 64 S. 1 GmbHG hingegen keine abschließende Regelung, weil ihm die Außenwirkung fehle.69 Sie folge allein aus der Antragspflicht.70 Deren Schutzzweck sei aber, so seine ständige Rechtsprechung bis 1994, nicht darauf gerichtet, Gläubiger vor einer Geschäftsbeziehung zur insolventen Gesellschaft zu bewahren, sondern eine weitere Schmälerung der Konkursmasse durch die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit zu verhindern. Die Gläubiger hätten deshalb nur Anspruch auf den Ausgleich ihres sog. Quotenschadens. Das ist die Differenz zwischen der Quote, die sie erhalten hätten, wenn der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt worden wäre, und der Quote, die nunmehr tatsächlich an sie ausgeschüttet wird.
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Ein über den Quotenschaden hinausgehendes Vertrauen in die Bonität der Gesellschaft sah der BGH allein nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo als geschützt an. Danach müsse ein Geschäftsleiter haften, der aus wirtschaftlichem Eigeninteresse die Geschäftstätigkeit der insolventen Gesellschaft aufrechterhalte. Das Eigeninteresse wurde zunächst aus der maßgeblichen Beteiligung an der GmbH gefolgert.71 Später wurde verlangt, dass der Geschäftsleiter sich zusätzlich auch noch finanziell – meist in eigenkapitalersetzender Form (nach altem Recht) – engagierte.72 Damit ging der Gläubiger beim Fremdgeschäftsleiter oder Geschäftsleiter ohne zusätzliches Engagement leer aus, falls nicht ausnahmsweise ein besonderer Vertrauenstatbestand und ein Eigeninteresse aus anderen Gründen vorlagen.
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Die Wende kam 1994.73 Der BGH reduzierte die Vertrauenshaftung auf garantieähnliche Zusagen und erweiterte im Gegenzug den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (= § 15a Abs. 1 InsO), indem er dieser Norm jetzt doch einen Vertrauensschutz und nicht nur einen Quotenschutz beimaß. Dem Neugläubiger sei der Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstehe, dass er in Rechtsbeziehung zu einer insolventen Gesellschaft getreten sei. Der Höhe nach entspreche das seinem negativen Interesse.74 1998 hat der BGH ergänzt, dass dieser Schaden nur durch die Neugläubiger und nicht durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden dürfe.75 Damit steht zugleich fest, dass die Belastung mit Neu-Verbindlichkeiten nach Auffassung des BGH und entgegen der teilweise in der Literatur vertrete-
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66 K. Schmidt, GesR, § 36 II.4.–6.; K. Schmidt, ZIP 2005, 2177. 67 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff. 68 RG v. 4.2.1910 – II ZR 255/09, RGZ 73, 30, 35. Mit derselben Begründung wird noch heute der Schutzgesetzcharakter des § 30 GmbHG abgelehnt, weil die Erstattungspflicht nach § 31 GmbHG abschließend sei, BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, ZIP 2001, 1458; BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, MDR 1990, 601 = NJW 1990, 1725 = ZIP 1990, 578. 69 U.E. eine petitio principii. 70 BGH v. 21.10.1991 – II ZR 204/90, BGHZ 116, 7 = MDR 1992, 350 = ZIP 1991, 1597. 71 BGH v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, MDR 1983, 305 = ZIP 1982, 1435, BGH v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, MDR 1983, 658 = ZIP 1983, 428. 72 BGH v. 8.10.1987 – IX ZR 143/86, WM 1987, 1431, 1432; BGH v. 2.3.1988 – VIII ZR 380/86, MDR 1988, 668 = ZIP 1988, 505, 507. 73 Nach dem Vorlagebeschluss des BGH v. 20.9.1993 – II ZR 292/91, ZIP 1993, 1543, 1546. 74 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103, 1109 f. 75 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = ZIP 1998, 776, 778.
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§ 5 Rz. 45 | Geschäftsleiterberatung nen Ansicht (s. Rz. 89) nicht unter den Begriff der „Zahlung“ i.S.d. § 64 S. 1 GmbHG fällt;76 denn die Ansprüche des § 64 S. 1 GmbHG gehören in die Masse (s.u. Rz. 97), wären also zumindest auf dieser Grundlage vom Verwalter durchsetzbar. Eine Abkehr von dieser Entwicklung ist auch unter Geltung von § 15b InsO nicht zu erwarten.
b) Schaden vertraglicher Neugläubiger 46
Vertragliche Neugläubiger – das sind diejenigen, die ihren Anspruch nach Ablauf der Antragsfrist erworben haben – dürfen gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO nach dem Vorgenannten die Erstattung ihres negativen Interesses verlangen,77 wobei der Anspruch nach §§ 195, 199 Abs. 1–3 BGB verjährt und nicht nach § 43 Abs. 4 GmbHG analog.78 Sie können Ersatz des Vertrauensschadens verlangen, der dadurch entstanden ist, dass sie einer Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt haben, ohne einen werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen.79 Dazu gehören auch die Rechtsverfolgungskosten.80 Das negative Interesse ist nicht identisch mit dem positiven, das dem Forderungsausfall entspricht.81 Die Forderung enthält Deckungsbeiträge, die der Gläubiger ohne den Vertrag mit dem Schuldner nicht erwirtschaftet hätte. Vereinfacht wird das als Kontrahierungsschaden bezeichnet, obwohl es nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, sondern auf den der ungesicherten Vorleistung des Gläubigers.82 Gelingt den Neugläubigern der Nachweis, dass sie wegen der Lieferung an den Schuldner dasselbe Geschäft mit einem Dritten unterlassen haben, entspricht das positive Interesse dem negativen Interesse.83 Im Übrigen ist der entgangene Gewinn nicht erfasst.84 Da sie als Gläubiger am Insolvenzverfahren teilnehmen, kann der Geschäftsleiter Zug um Zug die Abtretung ihres Anspruches analog § 255 BGB verlangen.85 Zur Durchsetzung der Forderung ist nach Auffassung des BGH nur der einzelne Neugläubiger, nicht aber der Insolvenzverwalter befugt.86 Das gilt auch dann, wenn sämtliche Verbindlichkeiten erst während der Insolvenzverschleppungsphase entstanden sind, am Verfahren also nur Neugläubiger beteiligt sind.87
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Für Dauerschuldverhältnisse gelten im Vergleich zu Austauschverträgen keine Besonderheiten. Maßgebend ist nicht, ob der Vertragsschluss nach dem Ablauf der Insolvenzantragsfrist stattfand, sondern
76 Bestätigt durch BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, MDR 2000, 341 = ZIP 2000, 184; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1006. 77 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 15; BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40. 78 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 14 f. 79 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 13; BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 Rz. 15 = ZIP 2009, 1220. 80 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 26; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 Rz. 18, 19 = ZIP 2009, 1220. 81 BGH v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, MDR 1999, 1011 = ZIP 1999, 967. 82 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; OLG Celle v. 5.12.2001 – 9 U 204/01, NZG 2002, 730. 83 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 Rz. 15, 16. 84 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40. 85 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 27; BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 Rz. 20; für volle Anrechnung der Quote bei dem vergleichbaren Fall einer Haftung des Insolvenzverwalters gem. § 61 InsO: BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, MDR 2004, 1321 = ZIP 2004, 1107, 1113. 86 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 Rz. 13; BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, MDR 1994, 781 = NJW 1994, 2220 = ZIP 1994, 1103; BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = NJW 1998, 2667, 2668 = ZIP 1998, 776; kritisch: Poertzgen, DZWiR 2007, 101. 87 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713 m. Anm. K. Schmidt; OLG Karlsruhe v. 20.6.2002 – 19 U 150/01, ZIP 2002, 2001 f.
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 49 § 5
ob der Gläubiger danach seine Vorleistung erbrachte. Er ist nur dann Neugläubiger, wenn er seine Leistung noch zurückhalten konnte.88 Schwierigkeiten bereitet jedoch häufig der Nachweis der Kausalität. Allein die von der GmbH gezogene Nutzung einer Mietsache89 oder die in Anspruch genommene Arbeitskraft90 des Mitarbeiters stellen noch keinen ersatzfähigen Vermögenswert dar. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass die Mietsache während des Verschleppungszeitraumes anderweitig vermietet91 oder der Arbeitnehmer anderweitig beschäftigt92 worden wäre. Es besteht keine die Vermutung des § 252 Satz 2 BGB auslösende Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmer einer insolvent gewordenen GmbH sofort eine Beschäftigung bei einem anderen Unternehmen hätten finden können.93 Es dürfte ausgesprochen selten sein, dass Vermieter oder Arbeitnehmer Konkurrenzangebote vorlegen können. In der Regel wird nur die Möglichkeit einer Schadensschätzung gem. § 287 ZPO bleiben. Einen wesentlichen Anhaltspunkt wird die Dauer bieten, die später für die Neuvermietung oder Arbeitsplatzsuche konkret aufgewendet wurde, wobei saisonale Besonderheiten (z.B. Baubranche im Winter) berücksichtigt werden müssen. An den Kausalitätsnachweis dürfen keine Anforderungen gestellt werden, die den Schadensersatzanspruch de facto leer laufen lassen94 und damit zu einer unbilligen Entlastung95 des Geschäftsleiters führen würden. Die Neugläubiger unterliegen nach allgemeinem Schadensersatzrecht der Schadensminderungspflicht nicht nur bei der Schadensentwicklung, sondern schon bei der Schadensentstehung. Musste ihnen bei Abschluss des Vertrages die Einbringlichkeit der Forderung gefährdet erscheinen, mindert sich ihr Schadensersatzanspruch gem. § 254 BGB aufgrund eines Mitverschuldens.96
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c) Schutzbereich der Norm Einschränkungen des Schadensersatzes gibt es durch den Schutzbereich der Norm.97 Von ihm hängt es ab, ob auch diejenigen Schäden ersetzt werden sollen, die ohne Insolvenzverschleppung ebenfalls entstanden wären.98 Das wird man verneinen müssen. Deshalb wird sich – allerdings entgegen dem BGH99 – der Geschäftsleiter darauf berufen dürfen, dass z.B. Gewährleistungsansprüche wegen eines während der Verschleppungsphase abgewickelten Werkvertrages von der GmbH auch dann nicht hätten befriedigt werden können, wenn bei Zahlung des Aufraggebers noch kein Insolvenzgrund vorgelegen hätte bzw. wegen versteckter Mängel erkennbar gewesen wäre. Die Haftung soll nicht die vom Insolvenzgrund unabhängige Bonität der Gesellschaft verbessern. Ebenso wenig müssen Geschäftsleiter für das betrügerische Verhalten eines Geschäftsleiters einstehen, das nur gelegentlich der Insolvenz88 OLG Stuttgart v. 11.10.2012 – 13 U 49/12, ZInsO 2012, 2204; zur Abgrenzung s. auch Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1575. 89 Vgl. OLG Celle v. 13.7.2004 – 16 U 11/04, ZInsO 2004, 1030 zur ähnlich gelagerten Haftung des Insolvenzverwalters. 90 BGH v. 17.1.1995 – VI ZR 62/94, MDR 1995, 358 = NJW 1995, 1023; vgl. BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 600/04, MDR 2006, 1257 = ZIP 2006, 1058 zu § 61 InsO. 91 OLG Celle v. 13.7.2004 – 16 U 11/04, ZInsO 2004, 1030 zu der gleichfalls auf das negative Interesse gerichteten Insolvenzverwalterhaftung gem. § 61 InsO. 92 LAG Köln v. 26.7.2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199; zur vergleichbaren Situation der Insolvenzverwalterhaftung: BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 600/04, MDR 2006, 1257 = ZIP 2006, 1058. 93 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713; LAG Köln v. 26.7.2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199. 94 Eine Beweiserleichterung hingegen ablehnen: LAG Köln v. 26.7.2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199. 95 Zu diesem Kriterium: BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1060. 96 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103; OLG Köln v. 27.1.2006 – 1 U 45/05, WM 2006, 2006. 97 Dazu BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 22; BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. 98 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2205, nennt als Beispiel giftiges Tierfutter, durch das die gesamte Herde des Neugläubigers vernichtet wird. 99 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 24.
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§ 5 Rz. 49 | Geschäftsleiterberatung verschleppung begangen wurde, genauso aber auch ohne Verschleppung hätte auftreten können.100 Der Schutzzweck erstreckt sich auch nicht auf den Schaden, der einem Arbeitnehmer in Gestalt der Uneinbringlichkeit eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung für die Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit entsteht.101 50
Umgekehrt wird der Schadensersatzanspruch des Gläubigers nicht dadurch gemindert, dass während der Insolvenzverschleppungsphase Zahlungen auf seine Altforderungen geleistet wurden, die er bei rechtzeitiger Antragstellung nicht erhalten hätte. Eine Saldoermittlung würde, so der BGH, bei wertender Betrachtungsweise „zu einer unbilligen, dem Zweck der Ersatzpflicht widersprechenden Entlastung der Schädiger“ führen.102
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Nach dem Schutzbereich der Norm zu beantworten ist schließlich auch die Frage, ob eine einmal unternommene Insolvenzverschleppung den Geschäftsleiter auf immer und ewig für neue Kontrahierungsschäden haften lässt, die eintreten, nachdem sich die Gesellschaft zwischenzeitlich erholt hatte, dann aber wieder in die Krise gerät. Bei einer reinen Kausalitätsbetrachtung wäre eine Haftung zu bejahen. Wäre nämlich der Antrag in der ersten Insolvenzsituation gestellt worden, wäre die Gesellschaft längst vom Markt verschwunden, der spätere Schaden hätte nicht mehr eintreten können. Der BGH hat einer solch ausufernden Haftung jedoch eine Absage erteilt. Der Geschäftsleiter müsse in eigener Person sämtliche Pflichtverletzungen für die konkret in Rede stehende Insolvenzverschleppung erfüllen,103 so dass insbesondere ein zu diesem Zeitpunkt schon ausgeschiedener Geschäftsleiter nicht allein deshalb hafte, weil es unter seiner Verantwortung schon früher einmal eine Verschleppung gegeben habe.
d) Schaden gesetzlicher Neugläubiger 52
In der weichenstellenden Entscheidung aus 1994 hatte der BGH ausdrücklich dahinstehen lassen, ob deliktische Gläubiger in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (= § 15a InsO) einbezogen sind.104 Er hat sich seither in zwei Urteilen mit der Haftung für die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung befasst (zur Haftung für die Arbeitnehmeranteile s. unten Rz. 148 ff.). Auch hier blieb offen, ob die auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis beruhenden Forderungen der Sozialversicherungsträger vom Schutzzweck des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. erfasst sind. Die Haftung scheiterte nach Ansicht des BGH schon an dem Schadensnachweis.105 In einem Urteil aus 2005 hat er hingegen ausgesprochen, dass der eine (faktische) Geschäftsleiter nicht allein deshalb für das betrügerische und gem. § 31 BGB der GmbH zuzurechnende Verhalten des anderen Geschäftsleiter hafte, weil ein Insolvenzantrag versäumt wurde;106 denn der Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. betreffe allein das Vertrauen in die Solvenz der GmbH, nicht aber die allgemeine Erwartung, der Geschäftsleiter werde sich nicht strafbar verhalten. In gleicher Weise lehnt der Insolvenzrechtssenat für die ebenfalls auf den Ersatz des Vertrauensschadens gerichtete Insolvenzverwalterhaftung107 eine Einstandspflicht für gesetzliche Schuld der Prozesskostenerstattung ab.108 Damit gilt generell, dass für den Geschäftsleiter eine Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten (Delikt, Bereicherungsrecht, Steuerschuldverhältnis
BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. BGH v. 20.10.2008 – II ZR 211/07, MDR 2009, 352 = ZIP 2009, 366 Rz. 3. BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1060, Hervorh. v. Verf. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103, 1107. BGH v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713; BGH v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, MDR 1999, 1011 = ZIP 1999, 967; zur Problematik s. Kiethe, ZIP 2003, 1957 ff. 106 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03; LG Hamburg v. 30.9.2005 – 417 T 15/05, ZIP 2005, 2019. 107 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, MDR 2004, 1321 = ZIP 2004, 1107 zieht ausdrücklich eine Parallele zu § 64 Abs. 1 GmbHG. 108 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, MDR 2005, 716 = ZIP 2005, 131. 100 101 102 103 104 105
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 55 § 5
etc.) der GmbH, die während der Insolvenzverschleppung entstanden sind, unter dem Gesichtspunkt des § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht kommt. Folgt man dem, könnte die Gefahr einer Schutzlücke für gesetzliche Gläubiger bestehen109: Einerseits darf der Insolvenzverwalter ihren Schaden nicht geltend machen, weil sie Neugläubiger sind. Andererseits liegt er nicht im Schutzbereich der Norm, weil der Anspruch auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis basiert. Gleichwohl müssen sie nicht leer ausgehen; denn auch die Neugläubiger haben entgegen der apodiktischen Ablehnung im BGH, Urt. vom 30.3.1998110 einen Quotenschaden111 (s. sogleich Rz. 56). Sie sind als Insolvenzgläubiger am Verfahren beteiligt, § 38 InsO (zur Rechtsstellung eines Insolvenzgläubigers vgl. § 9 Rz. 258 ff.). Falls sie infolge einer (weiteren) Insolvenzverschleppung eine geringere Quote erhalten, als sie bei rechtzeitiger Antragstellung bezogen hätten, können sie die Differenz als Schadensersatz bei den Geschäftsleitern gem. §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO liquidieren. Dass ihnen dies de facto wenig hilft, weil sie den Quotenschaden kaum werden berechnen können, wurde schon der früheren Rechtsprechung entgegengehalten, begründet aber nur eine tatsächliche, keine rechtliche Schutzlücke.
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Einen Sonderfall bildet die Vernichtung von Aus- und Absonderungsrechten (vgl. § 10 Rz. 17 ff., § 10 Rz. 135 ff.) während der Insolvenzverschleppungsphase. Eine dafür eingreifende Haftung hatte der BGH früher zwar abgelehnt.112 Damals hatte er jedoch noch die Quotenverschlechterung als einzige Schadensposition im Auge. Die Konsequenz der neuen Rechtsprechung müsste hingegen lauten, einen während der Verschleppung eintretenden Sicherungsverlust des Altgläubigers ebenso zu behandeln wie den Rechtsverlust des Neugläubigers. Anderenfalls würde eine Schutzlücke auftreten; denn das Aus- und Absonderungsgut ist nicht Bestandteil der Soll-Masse, deren Verwertungserlös später an alle Gläubiger gleichmäßig verteilt wird. Sie sind deshalb bei der Berechnung des Quotenschadens auch nicht zu berücksichtigen113 (s. sogleich). Um aber den Verlust von Aus- und Absonderungsrechten nicht sanktionslos zu stellen, bleibt nur die Möglichkeit, den Neugläubigerschaden ähnlich wie den Schaden des Gläubiger aus einem Dauerschuldverhältnis zu berechnen: Hätte der Geschäftsleiter früher einen Insolvenzantrag gestellt, hätte der Gläubiger z.B. bei einer Forderungsabtretung die Einziehungsbefugnis oder z.B. bei einem Eigentumsvorbehalt die Weiterveräußerungsermächtigung widerrufen. Im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft hat er dies unterlassen. Sein Schadensersatzanspruch ist deshalb auch keiner, der auf Eigentumsverletzung gestützt wird, sondern auf enttäuschtes Vertrauen.
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Von der Frage, ob der Verlust von Aus- und Absonderungsrechten überhaupt einen Schadensersatzanspruch gewähren kann, zu unterscheiden ist die Kausalität; denn häufig wäre der Rechtsverlust insbesondere beim Forderungsinkasso auch bei einem früheren Insolvenzantrag eingetreten, weil die Drittschuldner ihre Zahlungsweise nicht schnell genug umstellen. Deshalb wird man darauf abstellen müssen, wann sich ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit den Umständen hätte vertraut machen und das Sicherungsgut für die Aus- und Absonderungsgläubiger hätte verwalten können. Vor geraumer Zeit hat der BGH114 entschieden, dass ein Geschäftsleiter selbst dann schadenersatzpflichtig werden kann, wenn er in der Phase vor der Insolvenzverschleppung es versäumt hatte, organisatorische Maßnahmen zu treffen, um verlängerte Eigentumsvorbehaltsrechte eines Lieferanten zu schützen.115 Um-
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109 110 111 112 113 114 115
So K. Schmidt, ZIP 2003, 1715 f.; s. dazu ferner: Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1575. BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = ZIP 1998, 776, 777. Fritsche/Lieder, DZWiR 2004, 93, 101 f.; K. Schmidt, ZIP 2003, 1715 f. BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, MDR 1987, 657 = ZIP 1987, 509. BGH v. 28.4.1997 – II ZR 20/96, ZIP 1997, 1542. BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, MDR 1987, 657 = ZIP 1987, 509. Ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten wird, ist angesichts skeptischer Äußerungen des nunmehr zuständigen II. Zivilsenats ohnehin fraglich, vgl. BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, MDR 1994, 997 = DStR 1994, 1272 m. Anm. Goette.
Andres | 441
§ 5 Rz. 55 | Geschäftsleiterberatung stritten116 ist das Urteil deshalb, weil dem Geschäftsleiter Organisationspflichten an sich nur im Innenverhältnis obliegen. Ihre Verletzung führt wegen des internen Charakters regelmäßig zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft, nicht aber auch außenstehender Dritter. Im „Kirch“-Fall hat der BGH allerdings jüngst den deliktischen Schutzcharakter interner Organisationspflichten bestätigt.117
e) Schaden der Altgläubiger 56
Altgläubiger sind diejenigen, die schon zu Beginn der Insolvenzverschleppung persönliche Forderungen gegen den Schuldner hatten. Sie haben auch nach der Rechtsprechungsänderung nur einen Anspruch auf einen einheitlichen Quotenschaden als Differenz zwischen der Soll-Quote bei rechtzeitigem Antrag und der Ist-Quote.118 Er ist – bezogen auf die Gruppe der Altgläubiger – ein Gesamtgläubigerschaden, den der Insolvenzverwalter gem. § 92 InsO für die Altgläubiger geltend macht.119 Da es sich um massefremde Rechte handelt, bilden nach allerdings umstrittener Ansicht120 die Erstattungsleistungen der Geschäftsleiter eine Sondermasse, die nur zur Verteilung an die Altgläubiger verwendet werden darf.
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Bei der Berechnung des Altgläubigerschadens muss eine hypothetische Ist-Masse (§ 35 InsO) bei rechtzeitigem Antrag ermittelt werden, die sodann um Soll-Aus- und Soll-Absonderungsrechte (abzgl. Kostenbeiträgen gem. § 171 InsO) sowie um hypothetische Kosten und Masseverbindlichkeiten des Soll-Verfahrens gem. §§ 54 f. InsO gekürzt und um hypothetische Haftungs-121 und Anfechtungsrechte des Soll-Verfahrens erhöht wird. Maßgebend sind jeweils die Realisationswerte, Forderungen also nur, soweit sie werthaltig sind. Die auf diese Weise ermittelte Teilungsmasse ist in Relation zu den damaligen Gesamtverbindlichkeiten zu setzen. Das Ergebnis ist die Quote des Soll-Verfahrens, die mit der mutmaßlichen Quote des Ist-Verfahrens verglichen wird.
58
Die skizzierten Schritte zeigen, dass der Quotenschaden in der Praxis – wie bisher – keine Rolle spielen wird. Selbst wenn ein Gericht großzügig von der Schadensschätzung gem. § 287 ZPO Gebrauch machen sollte,122 bleiben Vorbereitungsaufwand und Prozessrisiken erheblich. Hinzu kommt, dass eine Insolvenzverschleppung vor allem von denjenigen begangen wird, die sich davon Vorteile versprechen. Das sind die Gesellschafter-Geschäftsleiter, die meist auch noch gebürgt haben. Deren finanzielle Leistungsfähigkeit wird durch die Insolvenz ohnehin reduziert. Mit dem Quotenschaden für Altgläubiger konkurriert der Kontrahierungsschaden der Neugläubiger und der Ersatz von „Zahlungen“ i.S.d. § 64 S. 1 GmbHG (bzw. § 15b InsO). In der Regel wird es den Geschäftsleitern unmöglich sein, sämtliche Ansprüche zu befriedigen. Also werden sich Neugläubiger und Insolvenzverwalter auf diejenigen Ansprüche konzentrieren, die am leichtesten durchzusetzen sind. Der Quotenschaden wird dann zurückgestellt.
116 Für eine Ausdehnung der Haftung Reiff/Arnold, ZIP 1998, 1893, 1898 f.; Kübler, ZGR 1995, 481, 486; Schüppen, DB 1994, 197, 203; a.A. Altmeppen, ZIP 1997, 1173, 1179; Haas, Geschäftsleiterhaftung, S. 234 ff.; Lutter, ZIP 1997, 329, 333; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 16. 117 BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, MDR 2006, 940 = ZIP 2006, 317. 118 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 13; BGH v. 1.3.1993 – II ZR 292/91, ZIP 1993, 763, 766. 119 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZInsO 2007, 376 Rz. 12; OLG Stuttgart v. 11.10.2012 – 13 U 49/12, ZInsO 2012, 2204. 120 Häsemeyer, InsR, Rz. 31.17; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 92 Rz. 15 f.; MünchKomm/InsO/Gehrlein, § 92 Rz. 11; die Regierungsbegründung spricht nur allgemein davon, dass der Anspruch zur „Insolvenzmasse“ gehöre, ohne auf die Frage nach einer Sondermasse einzugehen, RWS-Dok. 18, S. 271. 121 Offen gelassen für Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer wegen Insolvenzverschleppung: BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = ZIP 1998, 776, 778. 122 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, MDR 1993, 854 = NJW 1993, 2101, 21039; Musielak/Foerste, ZPO, § 287 Rz. 1 f.
442 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 63 § 5
f) Schaden der Insolvenzmasse? Es gibt Masseminderungen, die nicht unter den Terminus der „Zahlung“ des § 64 S. 1 GmbHG fallen. Dazu zählen insbesondere die erst mit der Verfahrenseröffnung entstehenden Anfechtungsansprüche. Ihre Tatbestandsvoraussetzungen hängen u.a. davon ab, ob die fragliche Rechtshandlung innerhalb bestimmter Fristen vor dem Eröffnungsantrag erfolgte123 (vgl. zu den Einzelheiten § 13 Rz. 119 ff., 163 ff. zu den Anfechtungszeiträumen). Führt eine Insolvenzverschleppung dazu, dass Anfechtungsansprüche nicht mehr durchgesetzt werden können, benachteiligt das nicht nur die Altgläubiger, sondern sämtliche Gläubiger. Beispielsweise ist die Tilgung von Gesellschafterdarlehen nur anfechtbar, wenn sie innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag stattfand, § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO (vgl. § 7 Rz. 31 ff., § 13 Rz. 241 ff.). Verstreicht der Anfechtungszeitraum durch die Insolvenzverschleppung, stellt sich die Frage, ob dies ein Gesamtgläubigerschaden ist, den der Insolvenzverwalter gem. § 92 InsO geltend machen darf.
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Der BGH hat bisher offen gelassen, ob auch die Insolvenzmasse durch § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB geschützt ist.124 Das zu bejahen, könnte bedeuten, die Konturen zwischen Alt- und Neugläubigerschaden zu verwischen; denn die nicht durch eine „Zahlung“ i.S.d. § 64 S. 1 GmbHG verursachte Masseschmälerung während der Insolvenzverschleppung wird über § 15a InsO als Quotenschaden der Altgläubiger liquidiert. Ein daneben bestehender Schutz der Insolvenzmasse könnte überflüssig sein.
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Zur Insolvenzanfechtung hat es der BGH abgelehnt, die Verzögerung des Insolvenzantrages als eine Rechtshandlung anzusehen, deren Anfechtung den Gläubiger so stellt, als sei die ihm Befriedigung gewährende Rechtshandlung noch innerhalb der Anfechtungsfrist erfolgt. Es gibt keine vorgelagerte Anfechtung des Ablaufs der Anfechtungsfrist.125 Dies beruhte nicht etwa auf einer Verneinung der Gläubigerbenachteiligung, sondern nur darauf, dass aus Gründen der Rechtssicherheit für die Fristberechnung allein auf § 139 InsO (Eingang des Insolvenzantrages) abgestellt werden müsse. Deshalb ist es durchaus denkbar, im Rahmen von § 15a InsO das Verstreichen der Anfechtungsfristen als eigenen Schaden anzuerkennen.
61
Gleichwohl ist Zurückhaltung geboten. Die Insolvenzmasse ist kein Rechtssubjekt. Die Haftung des Geschäftsleiters für eine massemindernde Auszahlung gemäß zeigt zwar, dass die Masse geschützt wird, obwohl der Rechtsträger – die GmbH – keinen Schaden erleidet; denn die Zahlung z.B. einer Verbindlichkeit schmälert das Reinvermögen der GmbH nicht. Die Haftung allein für den Verlust von Anfechtungsrechten würde jedoch eine Ausweitung um Vorgänge bedeuten, die sich nicht mehr unter den Begriff der Auszahlung subsumieren lassen. An dem Wortlaut hat der BGH z.B. auch die Begründung neuer Verbindlichkeiten als i.S.v. § 64 S. 1 GmbHG ersatzpflichtig scheitern lassen.126
62
Kommt somit § 15b InsO nicht zur Anwendung, bleibt nur, den Masseschaden über § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB zu liquidieren. Für die Schadensberechnung sind die allgemeinen Vorschriften einschlägig. Erforderlich ist ein Saldenvergleich mit und ohne schädigendes Ereignis. Einzelne Vermögensgegenstände wie z.B. verlorene Anfechtungsmöglichkeiten dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Die Vorgehensweise entspricht derjenigen bei der Ermittlung des Quotenschadens für die Altgläubiger. Wenn stattdessen der Masseschaden betrachtet wird, so steht dahinter die Überlegung, dass auch die Neu- und vor allem die Massegläubiger an der durch Schadensersatzansprüche angereicherten Masse partizipieren sollen. Für die Neugläubiger besteht durchaus neben dem Anspruch auf Ersatz des Kontrahierungsschadens ein Schutzbedarf, weil sie nur durch eine Anreicherung der Masse eine Zahlung auf die Deckungsbeiträge (entgangene Gewinne) erhalten, die der Geschäftsleiter bei einer Insolvenzverschleppungshaftung nicht ersetzen muss. Darüber hinaus kann auch den Massegläubigern an einer Erhöhung der Masse durch die Haftung für verschleppungsbedingten Rechtsverlust
63
123 124 125 126
Z.B. §§ 130 f., 135 InsO i.V.m. § 32b GmbHG. BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = ZIP 1998, 776, 780. BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, MDR 2005, 832 = ZIP 2005, 494. BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = ZIP 1998, 776.
Andres | 443
§ 5 Rz. 63 | Geschäftsleiterberatung gelegen sein. Zu denken ist beispielsweise an Arbeitnehmer oder Vermieter, deren Ansprüche für die Zeit nach Insolvenzeröffnung bis zum Ablauf der Kündigungsfristen Masseschulden darstellen, auf die wegen Masseunzulänglichkeit häufig keine Zahlung zu erwarten ist. 64
Solange der BGH jedoch an der strikten Trennung zwischen Kontrahierungsschaden für die Neugläubiger einerseits und Quotenschaden für die Altgläubiger andererseits festhält, ist es für die Praxis nicht von Vorteil, eine zusätzliche Schadenskategorie einzuführen.
g) Haftung gem. § 15a InsO nach Antragstellung? 65
Mit dem wirksamen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Geschäftsleiter seine Pflicht erfüllt. Bis zur Entscheidung des Gerichts über die Verfahrenseröffnung oder die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters kann jedoch geraume Zeit vergehen. In dieser Phase eintretende Neugläubiger sind nicht mehr durch § 15a InsO geschützt. Ab einem wirksamen Antrag liegt ihr Schutz in der Hand des Insolvenzgerichtes. Daneben trifft die Geschäftsleiter nur noch die „normale“ deliktische Haftung insbesondere im Zusammenhang mit einem Eingehungsbetrug. Nach einem Insolvenzantrag kann der Geschäftsleiter sich gegenüber einem auf Kredit leistenden Lieferanten nicht mehr damit entschuldigen, er hätte darauf vertraut, dass neu eingegangene Verbindlichkeiten bezahlt werden.
h) Gläubiger mit und nach Verfahrenseröffnung 66
Massegläubiger sowie Insolvenzgläubiger, die ihren Anspruch erst mit (vgl. § 103 Abs. 2 InsO) oder nach der Verfahrenseröffnung erwerben, sind unmittelbar nicht geschützt,127 weil ihre Rechtsposition nicht auf einer Verzögerung des Insolvenzantrages beruht (zu den Neumasseverbindlichkeiten vgl. § 14). Das gilt u.a. für die Bundesanstalt für Arbeit, auf die die Ansprüche der Arbeitnehmer durch die Zahlung des Insolvenzgeldes übergehen.128 In Betracht kommt hier aber eine Haftung gem. § 826 BGB.129
3. Innenhaftung nach § 15b InsO 66a
Der Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 1.1.2021 die spezialgesetzlich normierten Haftungstatbestände der §§ 130a, 177a HGB, 64 GmbHG, 99 GenG und 92 Abs. 2 AktG gestrichen und eine neue rechtsformübergreifende Haftungsregelung mit § 15b InsO in die Insolvenzordnung eingeführt. § 15b InsO ist Teil der Neuerungen durch das SanInsFoG. Es gilt grundsätzlich die Überleitungsvorschrift des Art. 103m EGInsO. Danach sind auf Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt worden sind, die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden.
a) Zeitlicher Anwendungsbereich des § 15b InsO 66b
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass § 64 GmbHG nicht von der Überleitungsvorschrift des Art. 103m EG InsO erfasst werde.130 Eine ausdrückliche Überleitungsvorschrift für § 64 GmbHG findet sich nicht. Daher ist fraglich, wie insbesondere Übergangsfälle zu regeln sind. Ohne Überleitungsnorm würde das Schuldverhältnis dem Recht unterliegen, welches zur Zeit des Entstehungszeitpunktes galt.131 Daraus folgend ist die Verwirklichung des Haftungstatbestandes maßgeblich, so dass
127 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 361 = MDR 1990, 601 = ZIP 1990, 578. 128 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 136 = MDR 1990, 136 = ZIP 1989, 1341 = ZIP 1991, 1610. 129 BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, MDR 2008, 386 = ZIP 2008, 361. 130 Vgl. Bitter, ZIP 2021, 321, 332. 131 Baumert, NZG 2021, 443, 445.
444 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 67 § 5
§ 64 GmbHG für alle Zahlungen vor dem 1.1.2021 fortgelte.132 Die Norm des § 15b InsO habe keine Rückwirkung.133 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat diese Fragestellung aufgenommen und in seinem Bericht zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) aufgenommen und dort ausgeführt: „Es wird klargestellt, dass durch die Zusammenführung der §§ 64 GmbHG, 130a und 177a HGB, 92 Absatz 2 AktG und 99 GenG durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) im neuen § 15b InsO mit Wirkung zum 1. Januar 2021 nicht etwa die Ersatzpflicht für vor dem 1. Januar 2021 geleistete Zahlungen weggefallen ist, sondern diese weiterhin besteht und sich nach den bisherigen Vorschriften richtet.“134 Über Art. 36 MoPEG, werden zum 1.1.2022 in Art. 103m EGInsO die folgenden Sätze 2 und 3 hinzugefügt werden: „§ 15b der Insolvenzordnung in der Fassung des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) ist erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2020 vorgenommen worden sind. Auf Zahlungen, die vor dem 1. Januar 2021 vorgenommen worden sind, sind die bis zum 31. Dezember 2020 geltenden gesetzlichen Vorschriften weiterhin anzuwenden.“135 § 15b InsO gilt demnach für alle geleisteten Zahlungen ab dem 1.1.2021, während sich die Ersatzpflicht für vor dem 1.1.2021 geleistete Zahlungen weiterhin nach den bisherigen Vorschriften der §§ 130a, 177a HGB, 64 GmbHG, 99 GenG und 92 Abs. 2 AktG richtet.136 Mit Präsidiumsbeschluss des BGH v. 23.3.2021 ist die die Innenhaftung aus § 15b InsO von Leitungsund Aufsichtsorganen von rechtsfähigen Verbänden des Privatrechts und von Sparkassen sowie anderen öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten einschließlich der sonstigen Rechtsstreitigkeiten zwischen diesen und ihren Organen weiterhin, wie auch schon zu § 64 GmbHG, dem II. Zivilsenat des BGH zugewiesen. Vor dem Hintergrund der dadurch bedingten Relevanz des § 64 GmbHG in den kommenden Jahren als auch der dazu ergangenen Rechtsprechung des weiter zuständigen II. Zivilsenats des BGH werden nachfolgend basierend auf den Ausführungen zu § 64 GmbHG die Änderungen durch § 15b InsO dargestellt:
b) Haftungsbeginn Während die Insolvenzverschleppungshaftung des § 15a InsO erst beginnt, wenn nicht unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei bzw. sechs Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes der Eröffnungsantrag gestellt wird, greift das insolvenzrechtliche Zahlungsverbot des § 15b InsO wie auch schon § 64 GmbHG sofort mit Eintritt der materiellen Insolvenzreife ein.137 Der Wortlaut des § 15b Abs. 1 S. 1 InsO verlangt nur den „Eintritt“ der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Weder darf gewartet werden bis zu einer positiven Feststellung des Insolvenzgrundes, noch kann gehaftet werden, wenn ein Insolvenzgrund zwar objektiv eingetreten ist, aber noch nicht bekannt sein konnte (z.B. Zahlungsausfall wegen noch nicht bekannter Insolvenz eines Großkunden). Das Bindeglied zwischen beiden Zeitpunkten ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der den Geschäftsleitern obliegenden „Pflicht zur ständigen Selbstprüfung“ in der Krise.138 Maßgebend für die Antragspflicht und das
132 133 134 135 136 137
Bitter, ZIP 2021, 321, 332; Bork/Knobloch ZRI 2021, 240, 241. Baumert, NZG 2021, 443, 445. BT-Drucks. vom 23.6.2021, 19/31105 S. 8. BT-Drucks. vom 22.6.2021, 19/30942 S. 63. Vgl. BT-Drucks. vom 23.6.2021, 19/31105 S. 8. BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, MDR 2009, 756 = ZIP 2009, 860 Rz. 12; BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZIP 2007, 1265; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 64 Rz. 67. 138 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, MDR 2012, 1236 = ZIP 2012, 1557 Rz. 11, 13; MünchKomm/ GmbHG/Fleischer, § 43 Rz. 63.
Andres | 445
67
§ 5 Rz. 67 | Geschäftsleiterberatung Zahlungsverbot ist nach umstrittener Auffassung139 (Rz. 82) die Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes. Auf die darin einfließenden subjektiven Merkmale wird im Rahmen des Verschuldens noch eingegangen werden (Rz. 102 ff.). Zunächst sollen die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen und anschließend die Kriterien für die Sorgfaltsausnahme laut § 15b Abs. 1 S. 1 InsO erläutert werden. Auf die zu § 64 GmbHG ergangene Kasuistik wird Bezug genommen, soweit diese auch unter § 15b InsO fort gilt.
c) Zahlung aa) Haftungszweck – Schaden 68
§ 15b Abs. 1 InsO ebenso wie § 64 S. 1 GmbHG verpflichtet die Geschäftsleiter zum Ersatz aller Zahlungen, die sie nach dem erkennbaren Eintritt der materiellen Insolvenz vorgenommen haben und die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Die Vorschrift soll eine Masseminderung verhindern140 und dadurch mittelbar die Gläubiger schützen, indem der Geschäftsleiter als Reflex zur fristgemäßen Antragstellung angehalten wird.
68a
Bei dem Ersatzanspruch nach § 64 GmbHG handelte es sich „der Sache nach um eine Haftung gegenüber der Gläubigergesamtheit, die bei verspäteter Konkursanmeldung durch eine Verminderung der Konkursmasse in Folge zwischenzeitlicher Befriedigung einzelner Gläubiger benachteiligt ist, wogegen die Gesellschaft selbst keinen Schaden hat, weil lediglich ihre Schulden bezahlt werden“.141 Das buchhalterische Reinvermögen als Saldo von Aktiva und Passiva bleibt durch die Schuldentilgung unverändert. Deshalb sei, so der BGH, die Vorschrift auch „keine Schadensersatznorm, sondern enthält einen Ersatzanspruch eigener Art. Er ist seiner Natur nach darauf gerichtet, das Gesellschaftsvermögen wieder aufzufüllen, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht“.142 Dies ähnelt einer Drittschadensliquidation mit der Besonderheit, dass nur kalkulatorisch der Schaden der im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Gläubiger ausgeglichen wird, was sich daran zeigt, dass die Erstattungsbeträge für (neue) Masseverbindlichkeiten verwendet werden dürfen. Je nach Höhe dieser neuen Verbindlichkeiten kann es also sein, dass der Geschäftsleiter „Millionen“ erstattet, der Insolvenzgläubiger aber gleichwohl keine Quote erhält.143 Der „Dritte“ wird vielmehr normativ definiert als die künftige Insolvenzmasse i.S.d. § 80 Abs. 1 InsO. Geschützt wird dadurch letztlich ab Beginn der materiellen Insolvenz der Vorrang der insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln144 vor der individuellen Verteilungsentscheidung des Geschäftsleiters.
68b
Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung zu § 15b InsO den Streit über die Rechtsnatur des Anspruchs, also die Einordnung als Anspruch eigener Art oder als Schadensersatzanspruch, nicht entschieden.145 Besondere Relevanz hat dieser Streit dadurch erfahren, dass das OLG Düsseldorf im Jahr 2018 entschied, dass der Versicherungsschutz einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung
139 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, MDR 2012, 1236 = ZIP 2012, 1557, 1558; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 64 Rz. 84; Roth/Altmeppen, GmbHG, Vor § 64 Rz. 69 ff.: Beginn mit Erkennbarkeit, aber Unterbrechung für drei Wochen, wenn ab Kenntnis Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden. 140 BGH v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, MDR 2010, 455 = ZIP 2010, 470 Rz. 10; BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, MDR 2009, 756 = ZIP 2009, 860 Rz. 12. 141 BGH v. 18.3.1974 – II ZB 3/74, NJW 1974, 1088, 1089. 142 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235, 239; s. ferner: BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 20 m.w.N. 143 Unzutreffend ist deshalb die von K. Schmidt z.B. in K. Schmidt/Uhlenbruck, GmbH in der Krise, Rz. 1885 vertretene Auffassung, § 64 S. 1 GmbHG sei der Urvater des § 92 InsO; denn im Rahmen des § 92 InsO macht der Verwalter ein fremdes Recht geltend, muss den Betrag also über die Bildung einer Sondermasse an den Berechtigten auskehren und darf ihn nicht für Masseverbindlichkeiten verwenden. 144 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235; BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, MDR 2005, 1167 = ZIP 2005, 1026; Goette, DStR 2003, 887, 893. 145 BT-Drucks. 19/24181, S. 195.
446 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 69 § 5
für Unternehmensleitungen und Leitende Angestellte (D&O-Versicherung) nicht den Anspruch einer insolvent gewordenen Gesellschaft gegen ihren versicherten Geschäftsführer auf Ersatz insolvenzrechtswidrig geleisteter Zahlungen der Gesellschaft gem. § 64 GmbHG umfasse.146 Dem ist der BGH jedoch entgegengetreten und hat den in § 64 Satz 1 GmbHG geregelten Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleisteten Zahlungen als einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz i.S.v. Ziff. 1.1 ULLA eingeordnet.147 Damit ist der Streit um die Rechtsnatur des Anspruchs zugunsten der Geschäftsleiter entschärft. Es empfiehlt sich aber aus anwaltlicher Sicht im Rahmen der allgemeinen Beratung den Geschäftsführer darauf hinzuweisen, dass der Versicherer den Deckungsschutz von § 64 GmbHG a.F. bzw. § 15b InsO ausdrücklich bestätigt.
68c
Der Gesetzgeber hat für § 15b InsO unter Verweis auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung (RG, Urt. v. 30.11.1938 – II 39/18, RGZ 159, 211, 229 f.) die Auffassung erklärt, dass der Gesamtgläubigerschaden in Höhe der verbotswidrig geleisteten Zahlungen vermutet werde. Der Anspruch nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO sei auf den Ersatz der Zahlungen gerichtet („Werden entgegen Absatz 1 Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet“).148 Dies steht zunächst im Einklang mit der Einzelbetrachtungslehre. Der Ersatzverpflichtete soll aber nach § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO geltend machen können, dass der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden entstanden ist („Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens“). Dies tendiert zur Gesamtbetrachtungslehre. Insgesamt versucht der Gesetzgeber zu vermeiden, dass die Inanspruchnahme des Ersatzpflichtigen über dasjenige hinausgeht, was zur Erreichung des Zwecks der Zahlungsverbote – die Erhaltung der Masse im Interesse der Gläubiger – erforderlich ist. Darlegungs- und beweispflichtig für den geringeren Schaden ist aber der Geschäftsleiter.
68d
Nicht geregelt ist der Umfang des von dem Geschäftsleiter geforderten prozessualen Vortrags hierzu. Ein Behaupten ins Blaue hinein unter Sachverständigenbeweis dürfte hierfür prozessual nicht ausreichend sein. Der Geschäftsleiter muss konkret darlegen, dass die verspätete Antragstellung zu einem geringeren Schaden geführt hat. Hierfür wird man einen konkreten Vermögensvergleich ab Beginn der Insolvenzreife verlangen müssen.149
68e
bb) Verfügung vs. Verpflichtung Diesem Zweck entsprechend ist der Terminus „Zahlung“ in § 64 GmbHG a.F. als auch in § 15b InsO weit auszulegen.150 Eine Änderung des Zahlungsbegriffes ist mit Einführung des § 15b InsO nicht verbunden. Darunter fällt jede Verfügung über Aktiva, und zwar nicht nur durch Geld- und Geldersatzleistungen (z.B. Schecks), sondern auch durch die Weggabe sämtlicher Vermögensgegenstände, die im Insolvenzverfahren die Masse gemehrt hätten.151 Dazu gehören insbesondere auch Lieferungen aus dem Vermögen der Gesellschaft. Mit Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15 – hat der BGH entschieden, dass die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife aus einem kreditorisch geführten Konto entfällt, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittel-
OLG Düsseldorf vom 20.7.2018 – I-4 U 93/16. BGH. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, MDR 2021, 36 = ZIP 2020, 2510. BT-Drucks. 19/24181, S. 195. Jakobs/Kruth, DStR 2021, 2021, 2534, 2540. BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, MDR 2000, 341 = ZIP 2000, 184, 185; Schulze-Osterloh in FS Bezzenberger, S. 415, 426, mit ausführlicher Begründung der Ablehnung der noch weiter gefassten Auffassung von Altmeppen und Wilhelm. Zum Begriff der Zahlung s. auch Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1514 f. 151 Wird die Masse nicht geschmälert, liegt auch kein Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG vor, vgl. LG Berlin v. 24.10.2001 – 26 O 285/01, ZInsO 2002, 242.
146 147 148 149 150
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§ 5 Rz. 69 | Geschäftsleiterberatung baren Zusammenhang mit der Zahlung durch eine Gegenleistung ausgeglichen wird. Die in die Masse gelangende Gegenleistung muss jedoch für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein. Das sind Arbeits- oder Dienstleistungen in der Regel nicht. Wenn die Gesellschaft insolvenzreif und eine Liquidation zugrunde zu legen ist, ist die in die Masse gelangende Gegenleistung grundsätzlich nach Liquidationswerten zu bewerten.152 Zu beachten ist jedoch, dass eine Kompensation der Masseschmälerung selbst bei werthaltiger Gegenleistung nicht bewirkt wird, wenn diese im Wege der Vorleistung des Vertragspartners erfolgt.153 Keine „Zahlung“ ist die Eingehung von Verbindlichkeiten,154 weil das die künftige Insolvenzmasse nicht berührt. Das hat insbesondere Konsequenzen für die Zahlung alter Schulden aus dem Kontokorrentkredit. Während die Gläubigerbefriedigung einen Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG darstellt, wenn sie aus dem Vermögen der GmbH erfolgt, soll es haftungsunschädlich sein, wenn derselbe Vorgang unter Inanspruchnahme eines Kredits stattfindet. Vielmehr handelt es sich dann um einen bloßen Gläubigeraustausch, was nach Auffassung des Gesellschaftsrechtssenats des BGH nur zur Haftung dem neuen Gläubiger gegenüber (s.o. Rz. 43 ff.) führen kann, nicht aber zur Innenhaftung gem. § 64 S. 1 GmbHG, es sei denn, dass die neue Verbindlichkeit am Vermögen der GmbH besichert ist.155 Dann ist der Vorgang so zu behandeln wie eine Befriedigung des Altgläubigers mit Hilfe dieser neu belasteten Vermögensgegenstände. 70
Demgegenüber bejaht der Insolvenzrechtssenat des BGH bei der Insolvenzanfechtung eine Gläubigerbenachteiligung auch dann, wenn die angefochtene Zahlung unter Inanspruchnahme eines vereinbarten Festbetrags- oder Kontokorrentkredits erfolgt156 und auch bei einer Überziehung des Kontokorrentkredits.157 Dahinter steht die Überlegung, dass die Ansprüche des Schuldners aus einer ihm von der Bank eingeräumten Kreditlinie pfändbar sind. Zwar sei die Entscheidung über die Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits höchst persönlich. Sie unterliege nicht der Pfändung und könne somit nicht vom Gläubiger getroffen werden. Sobald aber der Schuldner diese Entscheidung durch Einreichung eines Überweisungsauftrages getroffen habe, werde der dadurch entstehende Auszahlungsanspruch von der zuvor ausgebrachten Pfändung erfasst. Bei der geduldeten Überziehung gelte dasselbe, da ansonsten die Anfechtungstatbestände der §§ 133 Abs. 1, 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO versagten und weil der Begriff der Gläubigerbenachteiligung nicht zu sehr verengt werden dürfe.
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An dieser Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung wird deutlich, dass Auszahlungsansprüche insolvenzrechtlich selbst dann als „Masse“ anzusehen sind, wenn dadurch eine (Kredit-)verbindlichkeit entsteht. Voraussetzung ist nur, dass der Schuldner bspw. die Leistung des Gläubigers – also die Entstehung der Verbindlichkeit ihm gegenüber – verlangen kann. Das ist auch angemessen; denn einen Kontokorrentkredit kann der Schuldner für masseerhaltende Vorgänge (z.B. Kauf von Vorräten zur Aufrechterhaltung der Produktion), bei denen lediglich ein Aktivtausch stattfindet, in Anspruch nehmen. Verwendet er ihn stattdessen zur Zahlung einer Altforderung, ist es ein Verstoß gegen die insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln, die von § 64 S. 1 GmbHG geschützt wird. Ebenso wie die Anfechtung dient auch diese Haftung der Gläubigergleichbehandlung.158 Der Gesellschaftsrechtssenat setzt sich nicht mit der Rechtsprechung des Insolvenzrechtssenats auseinander, so dass unklar bleibt, warum beide ein unterschiedliches Verständnis von dem Begriff der „Masse“ haben, deren gleichmäßi-
152 153 154 155
Vgl. Kruth/Jakobs, DStR 2019, 999, 1002. BGH v. 27.10.2020 – II ZR 355/18, MDR 2021, 45. BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = ZIP 1998, 776. BGH v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, MDR 2010, 455 = ZIP 2010, 470 Rz. 10; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1006; BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, MDR 2000, 341 = ZIP 2000, 184; offen gelassen hingegen bei BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, MDR 2000, 1388 = ZIP 2000, 1896. 156 BGH v. 7.2.2002 – IX ZR 115/99, MDR 2002, 844 = ZIP 2002, 489; BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, MDR 1999, 1154 = ZIP 1999, 1271. 157 BGH v. 6.10.2009 – IX ZR 191/05, MDR 2009, 1357 = ZIP 2009, 2009 Rz. 11 f.; anders noch BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, MDR 2007, 861 = ZIP 2007, 435 = NZI 2007, 225 m. Anm. Spliedt. 158 Scholz/Bitter, GmbHG, § 64 Rz. 159 ff.
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 74 § 5
ge Verwendung zum Wohle aller Gläubiger sowohl gesellschafts- als auch anfechtungsrechtlich gesichert werden soll. Statt die (Wieder-)Inanspruchnahme einer (ggf. überzogenen) Kreditlinie als Zahlung anzusehen, stellt der Gesellschaftsrechtssenat auf den Geldeingang ab. Er behandelt die Eingänge auf einem debitorisch geführten Konto als Zahlungen, weil dadurch der Saldo reduziert, die Forderung der Bank aus dem Kontokorrentkreditverhältnis mithin zurückgeführt wird.159 Das gilt sowohl für Überweisungseingänge – vorausgesetzt natürlich, dass der Geschäftsleiter sie hätte verhindern können – als auch für die Einreichung von Kundenschecks160 zur Gutschrift auf diesem Konto. Die Behandlung der Zahlungseingänge steht ebenfalls im Gegensatz zur Auffassung des IX. Zivilsenats bei der Anfechtung. Er behandelt die Saldorückführung als unanfechtbares Bargeschäft, wenn die Bank weiterhin Verfügungen zulässt und sich dadurch Masseminderung sowie Masseerhöhung ausgleichen.161
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Die Konsequenz der unterschiedlichen Senatsauffassungen ist, dass der Geschäftsleiter im Innenverhältnis für die Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Konto haftet, ohne dass der Schaden wie im „Normalfall“ der Bezahlung von Altforderungen durch eine anfechtungsrechtliche Erstattungspflicht – das Vorliegen der sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen einmal unterstellt – der Bank beseitigt werden kann. Umgekehrt haftet der Geschäftsleiter nicht für die Auszahlung zur Befriedigung eines Altgläubigers, weil es sich um einen bloßen Gläubigeraustausch handelt. Dem begünstigten Gläubiger gegenüber aber greift wiederum die Anfechtung ein. Parallel trifft den Geschäftsleiter im Außenverhältnis die Haftung gegenüber der Bank als (wieder) neue Gläubigerin, weil ihre Forderung wieder erhöht wurde. Denkbar wäre zwar, nunmehr wie bei der Insolvenzanfechtung, die vorangegangene Überweisung etc. als einen Ausgleich – anfechtungsrechtlich also als Bargeschäft – für die folgende Kreditinanspruchnahme anzusehen; denn immerhin verändert sich der Saldo nur um die Differenz zwischen Ein- und Auszahlung. Nur in dieser Höhe erleidet die Bank bei einer Gesamtbetrachtung einen Schaden. Diesen Einwand zu erheben, versagt der Gesellschaftsrechtssenat aber dem Geschäftsleiter mit Blick auf den Schutzbereich der Norm.162
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Damit ist die Parallelität von Geschäftsleiterhaftung und Insolvenzanfechtung für den wichtigen Fall der Zahlungsabwicklung über ein Konto gestört.163 Diese Parallelität führte zwar nicht rechtlich zwingend, aber immerhin de facto dazu, dass die Masseminderung via Anfechtung letztlich von dem eigentlich begünstigten Gläubiger ausgeglichen wurde. Ohne eine solche Schadenskompensation ist die Haftung des Geschäftsleiters wesentlich umfangreicher geworden. Aber nicht nur das. Da der Geschäftsleiter für Vorgänge haftet, die nicht der Anfechtung unterliegen, während die Anfechtung bei Vorgängen möglich ist, für die der Geschäftsleiter nicht haftet, führt die Kumulation der Ansprüche zu einer Erhöhung der Masse im Vergleich dazu, wenn gar nichts geschehen wäre. Allerdings sind die Forderungen meist an die Bank abgetreten, so dass der Zahlungseingang gegen Verrechnung mit der Kreditverbindlichkeit zu keiner neuen Masseschmälerung führt. Dann haftet der Geschäftsleiter nicht.164 Ebenso
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159 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1006 Rz. 12. 160 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, MDR 2000, 341 = ZIP 2000, 184. 161 BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 2/01, MDR 2004, 1381 = ZIP 2004, 1464; BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/ 93, BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, MDR 2003, 352 = ZIP 2002, 2182; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, MDR 2002, 966 = ZIP 2002, 812. 162 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1060; kritisch: Geißler, NZG 2007, 645 ff. 163 Marotzke, ZInsO 2007, 897, 904 rechtfertigt das damit, dass ein Anfechtungsgegner auch bei der Zahlung durch Inanspruchnahme eines Kredits etwas erlangt und deshalb auch etwas zurückführen muss. Demgegenüber soll die Haftung des Geschäftsleiters geringer sein, weil er persönlich nichts erlangt. Marotzke verkennt jedoch, dass sich per saldo die Haftung erhöht, weil so die Auszahlung keine Kompensation der Einzahlung ist und der Geschäftsführer im Außenverhältnis u.U. auch noch gegenüber dem Anfechtungsgegner für den Verlust einzustehen hat. 164 OLG Frankfurt v. 15.7.2009 – 4 U 298/08, ZIP 2009, 2293, 2295.
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§ 5 Rz. 74 | Geschäftsleiterberatung scheitert eine Insolvenzanfechtung an der Gläubigerbenachteiligung.165 Veranlasst der Geschäftsleiter anschließend eine Zahlung an einen Altgläubiger, haftet er gegenüber der GmbH (= Insolvenzmasse), falls der dadurch wieder erhöhte Kontokorrentkredit ausreichend besichert ist. Gegenüber dem Zahlungsempfänger ist zugleich die Insolvenzanfechtung gegeben. In dieser Konstellation laufen Haftung und Anfechtung wieder parallel. 75
Für die Praxis ist festzuhalten, dass der Geschäftsleiter einer Innenhaftung für die Einzahlung und einer Außenhaftung für die Auszahlung nur entgeht, wenn entweder das Konto ab Eintritt der Krise auf Guthabenbasis geführt oder ein neues Konto166 eröffnet wird. Das neue Konto muss bei einer anderen Bank unterhalten werden, damit die bisherige Bank für den alten Saldo kein Pfandrecht gem. Nr. 14 Abs. 1 AGB-Banken am neuen Guthaben geltend macht. Allerdings ist ein Bankenwechsel schwierig, weil die Kunden die alte Verbindung in ihrer EDV verlinkt haben und eine Änderung für Misstrauen sorgt. In diesen Fällen wird insbesondere die bisherige Bank regelmäßig misstrauisch werden, da auf dem bei ihr geführten Konto keine regelmäßigen Zahlungseingänge mehr erfolgen. Sie hat keinen Überblick mehr, wie bisher und wird daher zumeist kritisch bei der Geschäftsführung nachfragen. Sollten Forderungen der Bank zur Sicherheit abgetreten sein, kann je nach vertraglicher Gestaltung in der „Umleitung“ der Gelder auch ein Vertragsbruch liegen.
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Wie soeben erwähnt, entfällt eine Haftung des Geschäftsleiters für den Ausgleich des debitorischen Kontos, soweit die der Bank gestellten Sicherheiten vor Insolvenzreife bestellt und werthaltig sind. Die Befriedigung von derartigen Aus- und Absonderungsrechten fällt allgemein nicht unter § 64 S. 1 GmbHG, weil sie nicht Bestandteil der freien Masse sind.167 Dazu steht es nicht im Widerspruch, dass auch absonderungsbelastete Gegenstände anfechtungsrechtlich einen im Kern zugunsten des Schuldners geschützten Vermögenswert darstellen.168 Das liegt an der Verwertungsbefugnis des Verwalters gem. § 166 Abs. 1 InsO und nicht daran, dass der belastete Gegenstand zur verteilungsfähigen Masse gehört, und zwar auch nicht im Hinblick auf die Kostenbeiträge des § 171 InsO. Sie sollen nur den tatsächlichen Aufwand pauschal ausgleichen, nicht aber die Masse bereichern.169 Der Einzug von Forderungen, die an die Bank zur Sicherheit abgetreten waren, auf einem debitorischen Konto der GmbH und die anschließende Verrechnung mit dem Sollsaldo stellt keine vom Geschäftsführer veranlasste masseschmälernde Zahlung i.S.v. § 64 S. 1 GmbHG dar, wenn vor Insolvenzreife die Sicherungsabtretung vereinbart und die Forderung der Gesellschaft entstanden und werthaltig geworden ist.170 Der Geschäftsführer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die auf das Kontokorrentkonto eingezogenen Forderungen, für die er Ersatz leisten soll, von der Globalzession erfasst und vor dem Eintritt der Insolvenzreife entstanden bzw. werthaltig gemacht worden sind. Auch liegt eine durch den Geschäftsführer veranlasste Zahlung i.S.v. § 64 S. 1 GmbH vor, wenn dieser die Zession oder das Entstehen der Forderung nach Eintritt der Insolvenzreife verhindern könnte.171
165 BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, MDR 2003, 352 = ZIP 2002, 2182; BGH v. 2.6.2005 – IX ZR 181/ 03, MDR 2006, 171 = ZIP 2005, 1651. 166 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1006. 167 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, MDR 1998, 787 = ZIP 1998, 776; OLG Frankfurt v. 15.7.2009 – 4 U 298/08, ZIP 2009, 2293, 2295. 168 BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, MDR 2004, 1317 = ZIP 2004, 1509; BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 28/ 03, MDR 2004, 353 = ZIP 2003, 2370; BGH v. 5.4.2001 – IX ZR 216/98, MDR 2001, 1013 = ZIP 2001, 885. 169 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, MDR 2004, 413 = ZIP 2004, 42 = NZI 2004, 137 m. Anm. Leithaus. 170 BGH v. 3.5.2016 – II ZR 318/15. 171 BGH v. 3.5.2016 – II ZR 318/15.
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 79 § 5
cc) Verwendung zweckbestimmter Mittel Im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen stellen Gesellschafter ihre GmbH häufig direkt oder über eine von ihnen verbürgte Bank neue Mittel zur Verfügung, die zur Begleichung bestimmter Verbindlichkeiten verwendet werden sollen. Hat die Gesellschaft das Geld erhalten, ist es Bestandteil ihres Aktiv-Vermögens geworden. Der Geschäftsleiter darf es nur noch masseerhaltend verwenden. Tut er es nicht, ist die Zahlung gegenüber dem Empfänger sowohl insolvenzrechtlich anfechtbar172 als auch gesellschaftsrechtlich haftungsbegründend.173 Das gilt nach dem Vorgesagten für die Inanspruchnahme eines gesellschafterverbürgten Kredits allerdings nur dann, wenn die Valuta vorher auf ein Guthabenkonto gebucht wurde, die Zahlung also nicht durch Erhöhung der Bankverbindlichkeit erfolgte.
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Anders ist es, wenn ein Guthaben von der GmbH treuhänderisch verwaltet wird (Rz. 145). Dafür reicht jedoch keine simple Zweckvereinbarung aus, sondern es müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, die den Treugeber zur Aussonderung berechtigen. Nur in diesem Fall fehlt es bei der absprachegemäßen Verwendung für die Anfechtung an einer Gläubigerbenachteiligung und für die Geschäftsleiterhaftung an einer Masseminderung. Dann herrscht wieder Gleichlauf zwischen Anfechtung und Haftung. Bei Subventionen ist allerdings § 264 StGB zu beachten, der in Abs. 1 Nr. 2 die zweckwidrige Verwendung unter Strafe stellt. In der Krise läuft diese Bestimmung meist leer, weil die dort erwähnten Geldleistungen selten auf einem separaten Konto gutgeschrieben werden, sondern im allgemeinen Kontokorrent untergehen. Eine dann gleichwohl noch zweckgemäße Verwendung erfolgt dann aus dem allgemeinen Haftungsfonds der GmbH und kann nicht mehr mit der Vermeidung einer Strafbarkeit gerechtfertigt werden.
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Die haftungsrechtliche Beurteilung einer Verfügung über zweckbestimmte Guthaben kann insbesondere im Konzern bei personenidentischen Geschäftsleitern fatale Auswirkungen haben; denn häufig beschränkt sich der Insolvenzgrund nicht auf eine einzelne Konzerngesellschaft, sondern hat auch Auswirkungen auf verbundene Unternehmen. Besteht nicht nur eine gesellschaftsrechtliche, sondern auch eine leistungswirtschaftliche Verflechtung, müssen bei einer Sanierung häufig Zahlungen auf Altverbindlichkeiten gegenüber Schwestergesellschaften getätigt werden, um den betriebswirtschaftlich einheitlichen und nur gesellschaftsrechtlich geteilten Verband zu erhalten. Liefert bspw. die eine Gesellschaft Vorprodukte an die andere, kann ein Dominoeffekt entstehen, wenn alte Forderungen von den konzerninternen Kunden nicht gezahlt, deshalb ein überzogener Kredit von der konzerninternen Lieferantin nicht zurückgeführt und dadurch die Vorproduktion eingestellt wird. Deshalb wird die eine Konzerngesellschaft Altforderungen der anderen und diese wiederum Altforderungen ihrer Gläubiger begleichen. Das kann zur Doppelhaftung ein und derselben Person einmal als Geschäftsleiter der ersten Konzerngesellschaft für die Zahlung an das verbundene Unternehmen und einmal als Geschäftsleiter der zweiten Konzerngesellschaft für die Weiterleitung an deren Gläubiger führen.174 Zwar hätte die zweite GmbH das Geld ohne die erste GmbH gar nicht erhalten. Bei einer Gesamtwürdigung des de facto einheitlichen Vorganges wurde die Masse der zweiten GmbH also per Saldo nicht geschmälert. Eine teleologische Reduktion175 lehnt der BGH jedoch zurecht ab.176 Die unterschiedlichen Konzerngesellschaften haben in der Regel unterschiedliche Gläubigerstrukturen. Eine Gesamtbetrachtung mit einer konzerninternen Verschiebung der Haftungsbetrachtung würde auch eine Verschie-
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172 BGH v. 21.6.2012 – IX ZR 59/11, MDR 2012, 1190 = ZIP 2012, 1468 Rz. 11; BGH v. 7.6.2001 – IX ZR 195/00, MDR 2001, 1258 = ZIP 2001, 1248 = NZI 2001, 539 m. Anm. Spliedt, NZI 2001, 524. Allein eine Zweckvereinbarung hindert trotz § 851 Abs. 1 ZPO (Unpfändbarkeit bei Inhaltsänderung) nicht die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung, weil der Betrag bei wertender Betrachtungsweise haftungsrechtlich der Masse zugewiesen ist. 173 BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, MDR 2003, 818 = ZIP 2003, 1005. 174 Lt. Goette, Anm. zu BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, MDR 2003, 818 = DStR 2003, 1133 (= ZIP 2003, 1005) ist genau das vom BGH beabsichtigt. 175 So das Petitum insbesondere von K. Schmidt z.B. in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1885. 176 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1006.
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§ 5 Rz. 79 | Geschäftsleiterberatung bung der Massen zu Lasten der Gläubiger einzelner Gesellschaften herbeiführen. Hierdurch würde letztlich das Vertrauen des Gläubigers in „seine“ Haftungsmasse entwertet. Für den Geschäftsleiter ist das eine harte Konsequenz, hat andererseits aber für den Insolvenzverwalter den Vorteil einer einfachen Rechtsverfolgung, weil für jede Gesellschaft nur die Auszahlungen betrachtet werden können. Zur Durchsetzung der Haftung muss er nicht prüfen, ob es korrespondierende Einzahlungen gab. Dem Geschäftsleiter bleibt zwar der Einwand, dass eine Auszahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar war. Das aber ist von ihm darzulegen und zu beweisen. Allein der Hinweis auf die zuvor erfolgten Einzahlungen reicht dafür nicht aus. 80
Für die Praxis folgt daraus, dass Zahlungen im Konzern direkt von derjenigen Gesellschaft als Dritte vorgenommen werden sollten, die die Mittel letztlich aufwendet. Damit wird bei einem Scheitern der Sanierung zumindest eine doppelte Haftung vermieden.
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Ähnlich liegt das Problem bei einem zentralen Cash-Management. Grob unterteilt gibt es das in den beiden Varianten mit und ohne Übergang der Verfügungsbefugnis an der Valuta auf die ManagementGesellschaft, die regelmäßig die Muttergesellschaft ist.177 In der zweiten Alternative werden nur die Schulden und Guthaben zum Zwecke des Zinsausgleichs bei der Bank kalkulatorisch konsolidiert. Wird hingegen das Guthaben umgebucht, verliert die abgebende Gesellschaft den Anspruch gegen die Bank. Stattdessen erhält sie eine Gutschrift auf dem Konzernverrechnungskonto.178 Benötigt sie wieder die zuvor verlorene Liquidität, kann die Mutter ihr den Betrag nur unter Verstoß gegen § 64 GmbHG zur Verfügung stellen. Verwendet die Tochter ihn dann auch noch für eine nicht privilegierte Zahlung, droht ein zweiter Haftungsfall. Hinzu kommt, dass bereits die Anlage der Gelder auf einem Konto der Muttergesellschaft ein Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 5 GmbHG) darstellen179 und zur Haftung des Geschäftsleiters der Tochtergesellschaft180 führen kann.
d) Sorgfaltsausnahme gem. § 15b Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3 InsO aa) Allgemeines 82
Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind, sind gem. § 64 Satz 2 GmbHG nicht zu erstatten. Gleiches gilt nunmehr gem. § 15b Abs. 1 S. 2 InsO für „Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind“. Eine häufige Rechtfertigung der Geschäftsleiter lautet, ohne sie wären die Gläubiger misstrauisch geworden und eine Sanierung von vornherein aussichtslos gewesen. Die Reaktionsfrist des § 15a Abs. 1 InsO von maximal drei bzw. sechs Wochen verstehen sie als Karenzfrist, innerhalb der es noch keine Restriktionen gibt. Dies ist jedoch, wie zuvor dargestellt, nicht richtig. Nach dem Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG war bereits ab dem „Eintritt“ der Zahlungsunfähigkeit das Vermögen für ein etwaiges Insolvenzverfahren „aufzubewahren“. Entsprechendes gilt ab „Feststellung“ der Überschuldung, wobei es nach herrschender Meinung in beiden Fällen auf die Erkennbarkeit181 ankommt, auch wenn das Gesetz im ersten Fall von „Eintritt“ und im zweiten Fall von „Feststellung“ spricht (s.o. Rz. 67). Nach Neufassung des § 15b InsO kommt es bei beiden Insolvenzgründen nunmehr auf den „Eintritt“ der Insolvenzreife an.
177 Hentzen, DStR 2006, 948. 178 Zu den damit verbundenen Haftungsgefahren für die am Cash-Management beteiligten Gesellschaften s. das „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = NJW 2001, 3622; OLG München v. 24.11.2005 – 23 U 3480/05, ZIP 2006, 25 m. Anm. Pentz, ZIP 2006, 781; Schilmar, DStR 2006, 568; Blöse, GmbHR 2006, 146. 179 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, MDR 2004, 341 m. Anm. Lux = ZIP 2004, 263. 180 OLG München v. 24.11.2005 – 23 U 3480/05, ZIP 2006, 25. 181 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, MDR 2012, 1236 = ZIP 2012, 1557 (Rz. 109); BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, MDR 2012, 786 = ZIP 2012, 1174 (Rz. 13).
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 83b § 5
Zulässig waren unternehmenserhaltende Leistungen, die auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter im Rahmen von § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO vornehmen würde.182 Erforderlich war, dass ausnahmsweise eine konkrete Chance auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht werden würde, wenn der Betrieb ohne Begründung neuer Forderungen oder ihrer Werthaltigmachung eingestellt werden müsste.183 Diese Faustregel entsprach der ratio legis des § 64 GmbHG, die insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze zu schützen. Maßgebend ist, dass größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden.184 Man nahm an dass sämtliche Leistungen erlaubt sind, die durch Gegenleistungen kompensiert werden, wobei es wie bei einem Bargeschäft gem. § 142 InsO (vgl. § 13 Rz. 283 ff.) auf den zeitlichen Zusammenhang und nicht darauf ankommt, welche Partei zuerst geleistet hat.185 Dieser Auffassung hat der BGH allerdings eine Absage erteilt und geurteilt, dass eine masseschmälernde Zahlung aus dem Vermögen einer insolvenzreifen Gesellschaft gem. § 64 S. 1 GmbHG grundsätzlich nicht durch eine Vorleistung des Zahlungsempfängers kompensiert werden kann.186 Keine Kompensation stellt es nach den obigen Erläuterungen im Übrigen dar, wenn ein Kontokorrentkredit wieder in Anspruch genommen wird, nachdem die Haftung des § 64 S. 1 GmbHG zuvor durch die Rückführung begründet wurde.187 Nicht haftungsauslösend sind Zahlungen dann, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Zahlung durch eine Gegenleistung ausgeglichen wird. Die in die Masse gelangende Gegenleistung muss jedoch für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein. Das sind Arbeitsoder Dienstleistungen in der Regel nicht. Wenn die Gesellschaft insolvenzreif und eine Liquidation zugrunde zu legen ist, ist die in die Masse gelangende Gegenleistung grundsätzlich nach Liquidationswerten (Möglichkeit eines Vollstreckungszugriffs) zu bewerten.188 Kosten für (Sanierungs-)Berater dürfen nur aufgewendet werden, wenn sich der Geschäftsleiter zuvor über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft Klarheit verschafft hat und aufgrund dessen die Beauftragung sinnvoll ist,189 es sich namentlich nicht um Tätigkeiten handelt, die er im Interesse der Gläubiger selbst erledigen müsste.190 Bei all dem darf mit Blick auf die Gefahr eines späteren Haftungsprozesses nicht verkannt werden, dass es sich um „Zahlungen“ im Sinne des objektiven Tatbestandes191 handelt, die erst über die Exkulpation aus dem Haftungsrahmen herausfallen können, womit die Darlegungs- und Beweislast beim Geschäftsleiter liegt.
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Der Gesetzgeber hat in § 15b InsO im Vergleich zu § 64 GmbHG a.F. eine zeitliche und inhaltliche Konkretisierung zu erlaubten Zahlungen vorgenommen. Nach § 15b Abs. 2 InsO gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang und innerhalb der Antragsfristen des § 15a InsO erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Im Rahmen des für eine rechtzeitige Antragstellung maßgeblichen Zeitraums nach § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO gilt dies aber einschränkend nur, solange die „Antragspflichtigen“ Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben.
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Die Begriffe des „ordnungsgemäßen Geschäftsgangs“ und der „Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs“ sind unbestimmt und der Auslegung zugänglich. Es wird daher auf den Einzelfall ankom-
83b
182 183 184 185 186 187 188 189 190 191
Scholz/Bitter, GmbHG, § 64 Rz. 162 ff.; OLG Celle v. 23.12.2003 – 9 U 176/03, ZInsO 2004, 446. BGH v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 = MDR 2015, 1018 = ZIP 2015, 57 = ZIP 2015, 1480. BGH v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZInsO 2007, 1349 = ZIP 2008, 72. Gottwald/Huber, InsRHdb, § 46 Rz. 81. BGH. v. 27.10.2020 – II ZR 355/18, MDR 2021, 45 = ZIP 2020, 2453. BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1006. BGH v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, MDR 2017, 1193 = ZIP 2017, 64 = ZIP 2017, 1619. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, MDR 2007, 1145 = ZIP 2007, 1501. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, MDR 2008, 339 = ZIP 2008, 232. Zur gläubigerbenachteiligenden Wirkung s. BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, MDR 2003, 775 = NZI 2003, 315 (316) = ZIP 2002, 676 = ZIP 2003, 810.
Andres | 453
§ 5 Rz. 83b | Geschäftsleiterberatung men, welche Zahlungen konkret erlaubt waren. Soweit Zahlungen für bereits geleistete Dienst- und Arbeitsleistungen erfolgen, ist fraglich, ob derartige Zahlungen tatsächlich zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erforderlich waren.192 Für Geschäftsleiter, die also noch innerhalb der Antragsfristen des § 15a InsO handeln, soll die haftungsfreie Fortführung des Geschäftsbetriebs über die Grundsätze der Notgeschäftsführung hinaus ermöglicht werden („ordnungsgemäßer Geschäftsgang“).193 Ferner wird klargestellt, dass Zahlungen, die im Zeitraum zwischen der Stellung des Antrags und der Eröffnung des Verfahrens geleistet werden, auch dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar gelten, wenn diese mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden. Für Zahlungen, die mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters geleistet werden, steht den Gläubigern mit dem vorläufigen Verwalter ein eigenes Haftungssubjekt zur Verfügung. 83c
Wie lang die Vorbereitung eines Insolvenzantrags dauern darf, ist unbestimmt und bedarf der Einzelfallprüfung. In Anbetracht der Anforderungen, die insbesondere an Eigenverwaltungsanträge zu stellen sind, ist gerade bei größeren Unternehmungen mit dem damit verbundenen Aufwand ein Zeitraum von jedenfalls einer Woche als angemessen anzusehen.194 Werden Maßnahmen zur Beseitigung der Antragsgründe ergriffen, sollten diese sorgfältig dokumentiert werden. Dies gilt insbesondere dafür, dass die ergriffenen Maßnahmen im Erfolgsfall auch tatsächlich geeignet waren die Insolvenzreife zu beseitigen.
83d
Aus der Formulierung von § 15b Abs. 3 InsO folgt jedoch, dass Zahlungen, die nach Ablauf der Fristen des§ 15a InsO erfolgen, kaum mehr sorgfaltsgemäß sind („sind Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar“). Eine Privilegierung für Zahlungen im Stadium der Insolvenzverschleppung ist damit nahezu ausgeschlossen. Es besteht ein strenger Haftungsmaßstab. Auf die Ausführungen in Rz. 83 wird verwiesen.
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Die Zahlungen können u.U. später vom Verwalter angefochten werden.195 Wegen der Sorgfaltsausnahme unterscheiden sich Insolvenzanfechtung und Masseerhaltung bei derartigen Konstellationen: Die Zahlung zur Abwendung einer Kündigung oder eines Zurückbehaltungsrechts kann haftungsfrei, aber trotzdem anfechtbar sein. Die Konsequenz einer Anfechtung der Befriedigung von Altschulden ist, dass der Lieferant wegen der daraufhin ausgeführten Neulieferung per Saldo einen Ausfall erleidet. Den Schaden wird er als Neugläubigerschaden beim Geschäftsleiter geltend machen, falls, wie in der Praxis häufig, die Insolvenzantragsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war. Die Haftungsgefahr besteht sogar ohne Anfechtung, da der BGH beim Schaden isoliert auf die Neulieferung abstellt und die Bezahlung der Altlieferung nicht als Vorteilsausgleich wertet.196 Deshalb ist für die Praxis dringend anzuraten, dass Zahlungen nur mit der ausdrücklichen Bestimmung für neue Leistungen vorgenommen werden.
85
Nur ausnahmsweise können Zahlungen zur allgemeinen „Vertrauenswerbung“ zulässig sein, um die Sanierungsbemühungen nicht zu konterkarieren. Im Herstatt-Fall hatte der BGH sowohl Geldein- als auch Geldauszahlungen in Millionenhöhe als sorgfältig angesehen, weil anderenfalls Bemühungen um die Unterstützung der Herstatt-Bank von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wären.197 Die Besonderheit lag darin, dass die Auszahlungen zwar unmittelbar massemindernd, mittelbar aber für die Unternehmenserhaltung – und damit wiederum auch für die Masseerhaltung – zwingend erforderlich waren. Das darf jedoch nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragen werden. Im HerstattFall hätten die Kunden bei einer einzigen Zahlungsverweigerung „die Bank gestürmt“. Bei anderen 192 193 194 195
Vgl. Baumert, NZG 2021, 443 (446). Vgl. Jakobs/Kruth, DStR 2021, 2534, 2537 f. A.A. Bitter ZIP 2021, 321 (326): „ganz kurze Zeiträume von wenigen Tagen“. Vgl. BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, MDR 2003, 775 = ZIP 2002, 676 = ZIP 2003, 810 = NZI 2003, 315 (Zahlung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter). 196 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1060. 197 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 97, 109 f.
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 86b § 5
Unternehmen hat der BGH eine allgemeine Vertrauenswerbung bisher nicht als Rechtfertigungsgrund für die Zahlung angesehen. Dürfte der Zweck des § 64 S. 1 GmbHG, Masseverkürzungen durch Befriedigung einzelner Gläubiger zu vermeiden, durch den allgemeinen Hinweis auf damit verbundene Sanierungserschwernisse unterlaufen werden, wäre der Anwendungsbereich dieser Vorschrift stark eingeschränkt. Selbst wenn dies einmal eine ausreichende Rechtfertigung sein sollte, gilt sie nur bis zum Ablauf der Frist des § 15a Abs. 1 InsO. Danach fortgesetzte Bemühungen sind nicht mehr erlaubt und dürfen auch nicht mehr im Rahmen des § 64 S. 2 GmbHG bzw. § 15b InsO zur Rechtfertigung von Zahlungen herangezogen werden. Sanierungsbemühungen können dann aber im Rahmen eines vorläufigen Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahrens nach § 270d InsO fortgesetzt werden. bb) Pflichtenkollision § 15b Abs. 8 InsO Unklar war unter Geltung von § 64 GmbHG, welche Rolle die Sorgfaltsausnahme bei einer Pflichtenkollision spielt, wenn der Geschäftsleiter kraft anderer Gesetze für Verbindlichkeiten persönlich haftet, deren Begleichung gegen § 64 S. 1 GmbHG verstoßen würde. Der für die Geschäftsführerhaftung zuständige II. Zivilsenat des BGH vertrat die Auffassung, dass das Bestreben des Geschäftsleiters, sich durch die Zahlung einer persönlichen Haftung zu entziehen, kein im Rahmen des § 64 S. 2 GmbHG beachtlicher Umstand ist.198 Dagegen meint der für das Deliktsrecht zuständige VI. Zivilsenat, dass der Geschäftsleiter die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung auch nach Eintritt der materiellen Insolvenz zu entrichten habe, weil die in § 266a StGB strafbewehrte Verpflichtung Vorrang genießen würden.199 Der 5. Strafsenat200 hat für die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung den aus der Strafbewehrung folgenden Vorrang im Wesentlichen bestätigt. Im Urteil vom 14.5.2007 hat der Gesellschaftsrechtssenat „im Hinblick auf die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des 5. Strafsenats“ seine Ansicht aufgegeben. „Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung kann es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht nach §§ 92 Abs. 2 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt“.201 Deshalb sei die Zahlung auch im Rahmen der genannten Vorschriften pflichtgemäß.202
86
In der Praxis konnte daher auf Basis der Pflichtenkollisionsrechtsprechung den Geschäftsleitern unter Geltung von § 64 GmbHG a.F. stets geraten werden, fällige Steuerverbindlichkeiten als auch fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung – auch im Stadium der Insolvenzreife – noch (haftungsfrei) zu zahlen. Unter Geltung des § 15b InsO ist für Zahlungen ab dem 1.1.2021 zu differenzieren: Gemäß § 15b Abs. 8 S. 1 InsO liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nunmehr nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 oder der Überschuldung nach § 19 und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO nachkommen.
86a
Der Gesetzgeber hat der Massesicherung in dem Zeitraum von Eintritt der Insolvenzreife bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Vorrang vor der Pflicht zur ordnungsgemäßen Abführung von Steuern eingeräumt, soweit der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt wurde. Mit der Norm werden daher zugunsten des sich rechtstreu verhaltenden Geschäftsleiters Pflichtenkollisionen in Bezug auf Steuerverbindlichkeiten in diesem Zeitraum aufgelöst.
86b
198 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235 (238); BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/ 03, MDR 2005, 1167 = ZIP 2005, 1026. 199 BGH v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, MDR 2000, 953 = DB 2000, 1703, 1705 = ZIP 2000, 1339. 200 BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; a.A. Gross/Schenk, NZI 2004, 358, 360. 201 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZIP 2007, 1265 m. Anm. Runkel/Schmidt, NZI 2007, 479; bestätigt durch BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, MDR 2011, 451 = ZIP 2011, 422 (Rz. 12); BGH v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 (Rz. 9 f.). 202 Ebenso schon OLG Hamm v. 17.10.2002 – 3 Ss 744/02, ZInsO 2003, 35.
Andres | 455
§ 5 Rz. 86c | Geschäftsleiterberatung 86c
Wird ein Insolvenzantrag hingegen verspätet gestellt, gilt dies nur für die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung fällig werdenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, § 15b Abs. 8 S. 2 InsO. Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet und ist dies auf eine Pflichtverletzung der Antragspflichtigen zurückzuführen, gelten die Sätze 1 und 2 nicht.
86d
Konsequenz dieser Regelung ist, dass ein Geschäftsleiter, der seine Pflichten zur rechtzeitigen Antragstellung verletzt hat, überfällige Steuerverbindlichkeiten grundsätzlich nicht mehr haftungsfrei abführen darf. Eine Fortgeltung der Pflichtenkollisionsrechtsprechung für Steuerverbindlichkeiten im Stadium der Insolvenzverschleppung dürfte mit § 15b Abs. 8 InsO nicht mehr haltbar sein. Dies ist folgerichtig. Verletzt der Geschäftsleiter seine Pflicht zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags ist die damit verbundene Kollision mit der Zahlungspflicht von Steuern unmittelbarer Ausfluss des verspäteten Insolvenzantrags und daher selbstverschuldet. Führt er die Steuern noch ab, haftet er gegenüber der Masse, führt er hingegen nicht ab, haftet er aus § 69, 34 AO. Inwieweit eine Haftung über die sog. Anfechtungslösung203 abgefangen werden kann, war zu § 15b InsO noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung.
86e
Insoweit hat die Norm erhebliche Auswirkungen nicht nur für Geschäftsleiter, sondern auch für den anwaltlichen Berater. Der anwaltliche Berater sieht sich nunmehr auch im Hinblick auf Steuerverbindlichkeiten einem Spannungsfeld zwischen Vorrang der Massesicherung im Zeitraum des § 15a InsO (haftungsfreie Nichtabführung) und der Zahlung der Steuern im Stadium der Insolvenzverschleppung (haftungsauslösende Abführung) ausgesetzt. Es ist daher zu erwarten, dass sich die Beratungspraxis dahin entwickeln wird, dass neben der Feststellung des stichtagsbezogenen Insolvenzgrundes nunmehr auch die Ermittlung des konkreten Eintritts der Insolvenzreife in den Fokus rückt.
86f
Zu beachten ist, dass § 15b Abs. 8 InsO anknüpft an den Eintritt der Insolvenzreife (§§ 17, 19 InsO). Im Stadium der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO bei beabsichtigtem Schutzschirm-/Eigenverwaltungsverfahren besteht kein Vorrang der Massesicherung, so dass die steuerlichen Pflichten weiterhin uneingeschränkt zu erfüllen sind.
86g
Im Hinblick auf die strafbewährte Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung enthält der Wortlaut des § 15b Abs. 8 InsO keine ausdrückliche Regelung. Die Norm des § 15b Abs. 8 InsO ist erst kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eingeführt wurden. Aus der vorangegangenen Gesetzesbegründung ist diesbezüglich zu § 15b Abs. 3 InsO zu entnehmen, dass die Problemstellung auch im Gesetzgebungsverfahren präsent war.204 Es heißt dort: „Durch eine solche Antragstellung kann der Antragspflichtige auch den selbst verschuldeten Pflichtenkollisionen entgehen, die sich im Spannungsfeld des Zahlungsverbots nach Absatz 1 Satz 1 und der strafbewehrten Pflicht zur Abführung des Arbeitnehmerbeitrags zur Sozialversicherung (§ 266a StGB) oder der buß- und haftungsbewehrten Pflicht zur Steuerabführung ergeben mag. Solche Pflichtenkollisionen lassen sich nach Antragstellung dahingehend auflösen, dass das Abführungsgebot hinter der Massesicherungspflicht zurücktritt (BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307).“205
86h
Die unterbliebene Regelung ist insofern überraschend. Auch vor dem Hintergrund der Geschwindigkeit des Gesetzgebungsverfahrens wird vertreten, dass § 15b Abs. 8 InsO einerseits aufgrund planwidriger Regelungslücke analog auch die Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung angewandt werden solle.206 Andererseits wird vertreten, dass die Pflichtenkollisionsrechtsprechung fortgelte.
203 204 205 206
Vgl. Jakobs/Kruth, DStR 2021, 2534, 2539. BT-Drucks. 19/24818, 195. BT-Drucks. 19/24818, 195. Bitter, GmbHR 2021, R16 (R18); Hodgson NZI-Beil. 1/2021, 85, 86 f.
456 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 89 § 5
Eine gesetzgeberische Klarstellung ist geboten, um verbleibende Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Bis dahin wird sich der anwaltliche Berater mangels neuerer Rechtsprechung nicht rechtssicher auf eine analoge Anwendung des § 15b Abs. 8 InsO verlassen können. Vor dem Hintergrund der potenziellen Strafbarkeit der Nichtabführung wird hier eine Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung bis zur Klarstellung durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung innerhalb der Fristen des § 15a InsO bevorzugt. Insoweit bietet sich ebenfalls die Anfechtungslösung als Korrektiv an.
86i
Auf die Einzelheiten der Pflichtenkollisionsrechtsprechung wird unten noch gesondert bei der Haftung für die Sozialabgaben und Steuern eingegangen (s. Rz. 148 ff.). Eine in der Praxis wichtige Fallgruppe bilden Subventionen, deren zweckwidrige Verwendung gem. § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Strafe steht. Daraus folgt aber nicht, dass der Geschäftsleiter restliche Fördermittel vor einer Insolvenzeröffnung noch schnell verwenden oder zurückzahlen muss, weil die Subventionsbindung für den Verwalter nicht gilt; denn ihre Verletzung begründet nur eine Insolvenzforderung. Das Aufbewahren der Mittel für die Masse ist keine zweckwidrige Verwendung und deshalb auch nicht strafbar. Deshalb fehlt es an einer Pflichtenkollision wie bei den Sozialabgaben.
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4. Haftungsmodelle der Literatur a) Inhalt Die Krisenberatung muss sich selbstverständlich am Haftungsmodell der Rechtsprechung und herrschenden Meinung orientieren. Durch die Rechtsprechung sind aber noch nicht sämtliche Fragen beantwortet. Rechtsprechung zu § 15b InsO fehlt bislang. Kommt es zum Haftungsprozess, wird der Anwalt auch mit Literaturmeinungen konfrontiert, die vom Rechtsprechungsmodell abweichen und deshalb kurz erörtert werden sollen.
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Die „Trennungstheorie“ des BGH unterscheidet zwischen der über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO vermittelten Außenhaftung gegenüber Neugläubigern und der Innenhaftung des § 64 S. 1 GmbHG a.F. bzw. § 15b InsO gegenüber der Gesellschaft. Dies kann – jedenfalls, soweit es das objektive Tatbestandsmerkmal der „Zahlung“ anbetrifft – zu einer die Masseminderung übersteigenden Haftung führen, was an dem simplen Vorgang der Zahlung einer Altverbindlichkeit im Interesse einer Neulieferung deutlich wird: Da die einer Altverbindlichkeit zugrunde liegende Gegenleistung bereits erbracht wurde, führt deren Bezahlung nicht mehr zu einer Masseerhöhung, während die Neulieferung – unmittelbar – keine Gegenleistung für die „Altzahlung“ ist. Muss der Geschäftsleiter die „Altzahlung“ gem. § 64 S. 1 GmbHG a.F. bzw. § 15b InsO erstatten, wird die Masse erhöht, obwohl sie auch noch durch die Neulieferung angereichert wurde.207 Besonders deutlich wird das, wenn sowohl Alt- als auch Neulieferung bei einer späteren Insolvenzeröffnung noch beim Schuldner vorhanden sind. Darüber hinaus kann der Geschäftsleiter neben der Innenhaftung auch noch im Außenverhältnis von Neugläubigern wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommen werden.208 Das wird als unangemessen empfunden und deshalb in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, § 64 GmbHG solle einheitlich eine Schmälerung der Quote durch die Minderung des Gesamtvermögens ab Eintritt des Insolvenzgrundes verhindern,209 nicht aber den Neugläubiger vor Geschäften mit der insolventen Gesellschaft schützen. Eine Haftung bestehe nur intern gegenüber der Gesellschaft („Einheitstheorie“). So spreche die Parallelvorschrift des § 130a Abs. 2 S. 1 HGB richtigerweise nicht nur von Zahlung, sondern vom Ersatz des Schadens der Gesellschaft.210 Er resultiere aus einer Minderung
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207 Geißler, NZG 2007, 654 zur erneuten Inanspruchnahme des zurückgeführten Kontokorrentkredits. 208 Lt. BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1060 werden die auf Altforderungen an den Gläubiger geleisteten Zahlungen auf den Schadensersatz wegen neuer Lieferungen nicht angerechnet. 209 Überblick über den Meinungsstand: Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 33 f.; Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff. 210 Demgegenüber misst der BGH dieser Vorschrift denselben Inhalt bei wie § 64 S. 1 GmbHG: BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, MDR 2007, 963 = ZIP 2007, 1006.
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§ 5 Rz. 89 | Geschäftsleiterberatung der Aktiva und/oder einer Mehrung der Passiva. Als Konsequenz sei der Begriff der „Zahlung“ in S. 1 einerseits zu begrenzen auf Auszahlungen, die nicht mit einer Gegenleistung korrespondieren, andererseits aber auch zu erweitern um die Eingehung neuer Verbindlichkeiten. 90
Die engagiertesten Vertreter des Innenhaftungsmodells sind K. Schmidt211 und Altmeppen.212 Altmeppen spricht § 15a InsO den Schutzgesetzcharakter gänzlich ab. Die Gesamtvermögensminderung will er im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG ausgleichen.213 Unter dem Terminus „Zahlung“ falle nicht jede einzelne Verfügung, sondern nur deren Saldo unter Verrechnung mit VermögensmehrungenDie Zahlung an Altgläubiger als „Todsünde“214 sei zusätzlich erstattungspflichtig. K. Schmidt akzeptiert demgegenüber den Schutzgesetzcharakter,215 will jedoch nicht die einzelnen Insolvenzgläubiger, sondern nur die Masse vor einer weiteren Verminderung und einer weiteren Belastung mit Verbindlichkeiten schützen.216 Trotz der Differenz in der dogmatischen Begründung kommen beide Auffassungen hinsichtlich des Innenausgleichs zum selben Ergebnis: Der Geschäftsleiter haftet für den Verlust (= Minderung des Reinvermögens, nicht nur der Aktiva) ab Eintritt des Insolvenzgrundes, soweit er nicht unter Anwendung geschäftsmännischer Sorgfalt vermeidbar war, wobei nach Altmeppen der Ausgleich von Altverbindlichkeiten die Haftung erhöht.217
91
Für die Haftung im Außenverhältnis sind sich K. Schmidt und Altmeppen darüber einig, dass Neugläubiger wie Altgläubiger durch diese Vorschrift gleichermaßen nur in Höhe der insgesamt seit Beginn der materiellen Insolvenz eingetretenen Vermögensminderung geschützt sind.218 Da die Geschäftsleiter bei ihrem Haftungsmodell nur im Innenverhältnis die Gesamtvermögensminderung ausgleichen müssen, gibt es auch nur einen einheitlichen Schaden, der für alle Gläubiger vom Insolvenzverwalter zu verfolgen219 ist. Ein individueller Schadensersatzanspruch des Neugläubigers könne hingegen nicht auf § 15a InsO gestützt werden, sondern – außerhalb sonstiger deliktischer Vorschriften wie insbesondere des Betrugs – allenfalls noch auf culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB). Über deren Reichweite herrscht jedoch Dissens. Während dieses Institut nach Altmeppen nur dann zum Zuge kommt, wenn der Geschäftsleiter eine besondere persönliche Beziehung zum Kreditgeber oder garantieähnliche Erklärungen abgegeben hat,220 soll es nach K. Schmidt bereits genügen, dass er nicht über die Insolvenz der Gesellschaft aufgeklärt hat.221
b) Stellungnahme aa) Schutzbereich des § 15a InsO 92
Für eine Stellungnahme ist zwischen dem jeweiligen Schutzbereich des § 15a InsO und des § 64 S. 1 GmbHG/§ 15b InsO einerseits und deren Verhältnis zueinander andererseits zu differenzieren.
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Leistet ein Neugläubiger an eine insolvenzreife GmbH auf Kredit, erleidet er sofort mit dieser Leistung einen Schaden, weil seine Gegenforderung nicht vollwertig ist. Selbst wenn der Geschäftsleiter während des Verschleppungszeitraumes das Vermögen mehrt, ändert sich daran nichts, wenn schon
211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221
K. Schmidt, GesR, § 36 II.5.c; K. Schmidt, ZIP 2005, 2177. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2204 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 62, § 64 Rz. 33 ff. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2206, 2208. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2207. K. Schmidt, GesR, § 36 II.5.b. K. Schmidt, GesR, § 36 II.5.b aa. Allerdings bleibt unklar, wie das bei der Schadensersatzpflicht wegen der Gesamtvermögensminderung berücksichtigt wird. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2211; K. Schmidt, GesR, § 36 II.5. b aa. Poertzgen, DZWiR 2007, 101. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2210. K. Schmidt, GesR, § 36 II. 5.c.
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VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 98 § 5
vorher eine Überschuldung bestand. Dieser Restschaden kann denknotwendig nicht im Wege des Innenausgleichs kompensiert werden. Hinzu kommt folgende Überlegung: Zu Recht meint Altmeppen, die Organe würden während des Verschleppungszeitraums die Geschäfte gleichsam auf eigenes Risiko führen.222 Dieser Gedanke greift nicht nur für die Innenhaftung durch, auf die Altmeppen ihn münzt, sondern auch für die Außenhaftung: Die Führung der Geschäfte auf eigenes Risiko bedeutet auch, sie zu finanzieren. Würde man die Haftung auf den Ausgleich einer Masseminderung im Innenverhältnis beschränken, würde man dem Gläubiger einen Zwangskredit bis zur Ausschüttung der Insolvenzquote abverlangen. Stattdessen ist es angemessen, den Geschäftsleiter in die Rolle des Kreditgebers schlüpfen zu lassen, indem er ihm das negative Interesse erstattet und er im Gegenzug analog § 255 BGB223 die Insolvenzforderung erhält.
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K. Schmidt will ein solches Ergebnis nicht über den Schutzgesetzcharakter des § 15a InsO erreichen, sondern über die Figur der culpa in contrahendo. Nach § 311 Abs. 3 BGB ist dazu jedoch ein „besonderes“ Vertrauen erforderlich, das der Gläubiger in den Geschäftsleiter gesetzt haben muss. Je größer die Gesellschaft, umso weniger wird der Person als vielmehr der Organisation vertraut. Kaum jemand tätigte Lieferungen an die Karstadt Warenhaus GmbH oder die Weltbild-Gruppe vor deren Insolvenz auf Kredit, weil er den Vorstand bzw. die Geschäftsführung kannte. Wenn trotzdem eine Haftung auf enttäuschtes Vertrauen gestützt werden soll, würde man von individuellen Voraussetzungen absehen und das enttäuschte Vertrauen abstrakt-generell allein damit begründen, dass die Geschäftstätigkeit der insolventen Gesellschaft fortgesetzt wurde. Genau das aber rekurriert auf das Verhaltensgebot des § 15a InsO. Eine davon abstrahierende Solvenzhaftung ist überflüssig.224
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Im Ergebnis ist somit der vom BGH mit Hilfe des § 15a InsO begründeten Außenhaftung gegenüber den Neugläubigern zuzustimmen ist.
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bb) Schutzbereich des § 15b InsO und geringerer Schaden nach § 15b Abs. 4 S. 2 InsO In der Literatur wird gefordert, den § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 15b InsO als einen Verlustausgleichsanspruch anzusehen, also nicht die „Zahlungen“ zu erstatten, sondern den Saldo von Aktivmehrungen und -minderungen.
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Verlust ist das Ergebnis sämtlicher positiver und negativer Vermögensänderungen. So kann ein in der buchhalterischen GuV zum Verlust führender Aufwand durch planmäßige oder außerplanmäßige Wertminderungen der vorhandenen Vermögensgegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens entstehen. Er kann aber auch mit einer Erhöhung der Verbindlichkeiten korrespondieren, wenn beispielsweise Löhne nicht beglichen werden. Das eine wie das andere wird von dem Begriff der „Zahlung“ i.S.d. § 64 S. 1 GmbHG nicht erfasst, darf also gegen den Wortlaut auch nicht zu einer Haftung führen. K. Schmidt und Altmeppen wollen deshalb § 15a InsO in einen einheitlichen Haftungstatbestand integrieren. Im Gegenzug wird man dann aber die Verluste eliminieren müssen, die durch die Insolvenzverschleppung nicht verursacht wurden. Der Werteverfall des Vermögens kann genauso wenig durch einen Insolvenzantrag gestoppt werden wie der Aufwand durch fortlaufende Personalkosten. Es gibt zahlreiche andere sprungfixe Kosten, die sich an eine gesunkene Auslastung nicht flexibel anpassen lassen. Dafür die Geschäftsleiter haften zu lassen, wäre unangemessen. Werden diese Kosten herausgenommen, würde die Verlustdeckungshaftung wegen derartiger Hilfsrechnungen dasselbe Schattendasein führen wie die Haftung für den Quotenschaden. Schlimmer noch: Das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG setzt sofort mit Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes ein. Bereits von da ab dürfen die insolvenzrechtlichen Verteilungsvorschriften nicht durch die Schaffung vollendeter Tatsa-
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222 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2207. 223 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. 224 Deshalb zutreffend die Ablehnung der „Repräsentantenhaftung“ durch BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/ 91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103, 1106.
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§ 5 Rz. 98 | Geschäftsleiterberatung chen umgangen werden (oben Rz. 67, 82). Die Insolvenzverschleppungshaftung des § 15a InsO beginnt hingegen erst nach dem Ablauf der Antragsfrist. Bis dahin darf nur nach § 64 S. 1 GmbHG „abgerechnet“ werden, der Vermögensminderungen, die nicht auf Verfügungen beruhen, eindeutig nicht erfasst. Es müsste also, wenn man § 15a InsO und § 64 S. 1 GmbHG als einheitlichen Haftungstatbestand verstehen würde, nach Ablauf der Antragsfrist einen Methodenwechsel geben, was die Verlustermittlung weiter erschwert. 99
Das Anliegen der Vertreter einer Verlustdeckungshaftung besteht allerdings weniger in einer Berücksichtigung der „sowieso“-Aufwendungen als vielmehr in einer haftungsmindernden Erfassung der Erträge zugunsten des Geschäftsleiters. Wird beispielsweise eine Altforderung des Lieferanten A bezahlt, der daraufhin eine neue Bestellung auf Kredit ausführt, bleibt der Saldo von Altzahlung und Neulieferung wertmäßig unverändert. Gleichwohl droht dem Geschäftsleiter nach der Rechtsprechung die Haftung wegen der „Zahlung“. Am deutlichsten wird die Problematik bei der Verwendung von zweckbestimmten Drittmitteln, die der BGH unter den objektiven Haftungstatbestand subsumiert, ohne dass der Mittelzufluss haftungsmindernd berücksichtigt wird (oben Rz. 54).
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In solchen Fällen ist den Literaturmeinungen zuzustimmen, die eine Haftung für unangebracht halten. Müssten die Geschäftsleiter die Auszahlungen jeweils erstatten, wäre das bei einer Betrachtung des wirtschaftlichen Zusammenhanges von Ein- und Auszahlungen keine Kompensation, sondern eine Massemehrung. Die Frage ist nur, ob das Korrektiv am objektiven Tatbestand durch eine teleologische Reduktion des Begriffs „Zahlung“ oder bei der Sorgfaltsausnahme angesiedelt wird. Letztlich geht es um die Darlegungs- und Beweislast. Während eine „Zahlung“ leicht vom Insolvenzverwalter nachgewiesen werden kann, sollte der schwierige Nachweis der Ausnahmevoraussetzungen dem Geschäftsleiter obliegen. Wäre der Verwalter für einen schlüssigen Vortrag im Haftungsprozess gehalten, eine Gewinn- und Verlustrechnung ab dem Eintritt des Insolvenzgrundes zu erstellen, für die es keine Inventur der Anfangs- und Endbestände gibt, würde eine Realisierung der Haftungsansprüche kaum möglich sein. Deshalb ist die gesetzliche Anknüpfung an dem relativ einfach nachzuweisenden Tatbestand der „Zahlung“ (= Vermögensverfügung) vernünftig. Es ist dann Sache des Geschäftsleiters darzulegen, dass die Verfügung durch einen Vorteil kompensiert wurde, um sie als sorgfaltsgemäß anzusehen. Dafür braucht der Zusammenhang von Masseminderung und -mehrung kein unmittelbarer zu sein. Im Herstatt-Fall hatte der BGH225 – allerdings beschränkt auf den Drei-Wochen-Zeitraum des § 92 Abs. 2 AktG a.F. – sogar Kontoauszahlungen akzeptiert, weil sie der Unternehmenserhaltung dienten. Anderenfalls wäre ein sofortiger Zusammenbruch der Bank unvermeidbar gewesen. Obwohl die Entscheidung von der Besonderheit einer Bankinsolvenz geprägt ist (Rz. 85), zeigt sie, dass der mit der Zahlung verfolgte Vorteil recht weit gefasst werden darf. Damit kann den Bedenken der Literaturmeinungen Rechnung getragen werden. Der Geschäftsleiter sollte daher Dokumente, die seiner Argumentation dienen sichern. Allzu oft werden mündliche Absprachen mit den Lieferanten getroffen, die in der Folge dann kaum noch beweisbar sind. Es sollte hier auf Aktenvermerke oder Bestätigungen über die Absprachen an den Lieferanten zurückgegriffen werden.
100a
In Rahmen der Geschäftsführerberatung ab dem 1.1.2021 wird § 15b Abs. 4 S. 2 InsO („Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens.“) nunmehr eine bedeutende Rolle einnehmen. Über die Norm kann der Geschäftsführer seine Ersatzpflicht einschränken. Der also zunächst vermutete Gesamtgläubigerschaden in Höhe der verbotswidrig geleisteten Zahlungen, kann durch den Geschäftsleiters widerlegt werden.
100b
Hierzu muss aber der konkrete Schaden beziffert werden, was nur – wenn überhaupt – mit hohem Aufwand möglich sein wird.226 Problematisch wird hierbei die noch nicht absehbare Ausformung da-
225 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 114. 226 Gehrlein, DB 2020, 2393, 2398; Schulz, NZI 2020, 1073, 1077; für Beweiserleichterungen Bitter, ZIP 2021, 321, 330.
460 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 103 § 5
mit verbundenen prozessualen Darlegungs- und Beweislast für den Geschäftsleiter durch die Rechtsprechung. Um den Haftungsanspruch nicht von vornherein auszuhöhlen, muss konkreter Vortrag zur Vermögenssituation der Gesellschaft ab dem Zeitpunkt des Auslaufens der Antragsfrist im Vergleich zum tatsächlichen Antragszeitpunkt erfolgen. Aus hiesiger Sicht kann ein zutreffendes Schadensbild nur bei einer Gesamtbetrachtung der Vermögenslagen zu Beginn und Ende der Antragspflicht erfolgen (Stichtagsbilanzen).
100c
Prozessual ist eine substanzlose Behauptung des geringeren Schadens unter Sachverständigenbeweis nicht ausreichend. Aus Geschäftsleitersicht ist daher von besondere Wichtigkeit Zugriff auf die maßgeblichen vermögensrelevanten Geschäftsunterlagen sicherzustellen. Ansonsten droht der Einwand prozessual bereits an mangelnder Substanz zu scheitern. Die Anforderungen an den Geschäftsleiter dürfen dabei aber nicht überspannt werden.
100d
cc) Verhältnis zwischen § 15a InsO und § 64 S. 1 GmbHG a.F./§ 15b InsO Im Ergebnis gewährleisten die Vorschriften einen komplementären, widerspruchsfreien und vor allem handhabbaren Schutz: § 15a InsO schützt im Außenverhältnis über § 823 Abs. 2 BGB den vertraglichen Rechtsverkehr (= Geschäftsverkehr)227 und im Innenverhältnis diejenigen Masseminderungen, die von § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 15b InsO nicht erfasst werden. Dieser wiederum erstreckt sich nur auf Vermögensverfügungen, weil und soweit damit gegen insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze verstoßen wird. Dem Haftungsmodell der Rechtsprechung ist deshalb zuzustimmen.
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5. Verschulden Eine Haftung sowohl für Neugläubigerschäden gem. § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB als auch für die Zahlungen gem. § 64 S. 1 GmbHG a.F. bzw. § 15b InsO kommt nur bei Verschulden in Betracht. Fahrlässigkeit reicht aus, wobei die verkehrsübliche Sorgfalt des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB durch die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes in § 43 Abs. 1 bzw. durch die Sorgfalt zur Masseerhaltung in § 64 S. 2 GmbHG a.F. bzw. § 15b Abs. 1 S. 2 InsO konkretisiert wird. Maßgebend für die Beurteilung des Verschuldens ist der Zeitraum der Gläubiger-228 bzw. Masseschädigung. Lange zurückliegende Gegebenheiten spielen keine Rolle.
102
Subjektive Voraussetzungen sind gleich mehrfach relevant. Das fängt mit der Feststellung des Insolvenzgrundes an. Sein Eintritt ist zwar eigentlich eine objektive Tatbestandsvoraussetzung der Haftungsansprüche. Maßgebend ist aber die Erkennbarkeit.229 Dafür ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsleiter bei Krisenanzeichen zur ständigen Selbstprüfung verpflichtet ist.230 In der praktischen Konsequenz entsteht dadurch eine Vermutungswirkung231: Liegt ein Insolvenzgrund vor, wird er regelmäßig auch erkennbar sein. Das Gegenteil darzulegen ist Sache des Geschäftsleiters analog § 93 Abs. 2 AktG.232 Bei der Erkennbarkeit wiederum muss unterschieden werden zwischen der Informationsbeschaffung einerseits und der Informationsverarbeitung andererseits. Für die Informations-
103
227 Gottwald/Haas/Hossfeld, Insolvenzrechtshandbuch, § 92 Rz. 85. 228 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. 229 Zu § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 11); zu § 64 S. 1 GmbHG: BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 (Rz. 38); BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, MDR 2011, 196 = ZIP 2010, 2400 (Rz. 149). 230 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, MDR 2012, 1236 = ZIP 2012, 1557 (Rz. 11, 139); BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), MDR 1994, 674 = ZIP 1994, 891. 231 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, MDR 2012, 1236 = ZIP 2012, 1557 (Rz. 109); BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, MDR 2012, 786 = ZIP 2012, 1174 (Rz. 13); BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. 232 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, MDR 2000, 341 = DB 2000, 269 = ZIP 2000, 184.
Andres | 461
§ 5 Rz. 103 | Geschäftsleiterberatung beschaffung mag der technische Geschäftsleiter erst später eine Veranlassung sehen als der kaufmännische, der ohne Absprache mit seinen Kollegen beginnt, Kreditoren zu „schieben“. Liegen die Informationen vor, bleibt immer noch ein subjektiver Beurteilungsspielraum bei der Auswertung. 104
Das gilt für die Beurteilung sowohl der Zahlungsunfähigkeit als auch der Überschuldung. Bei der Zahlungsunfähigkeit ist zu prognostizieren, ob nur eine vorübergehende Zahlungsstockung vorliegt, die sich innerhalb von längten drei Wochen beheben lässt, oder ob sich gar eine 10 % übersteigende Liquiditätslücke demnächst reduzieren wird (s. § 1 Rz. 73 ff., Rz. 79 ff.). Noch größer ist die Prognoseunsicherheit bei der Überschuldungsprüfung. Hier muss eine Fortführungsprognose erstellt werden (§ 1 Rz. 120 ff.), die immer subjektiv beeinflusst ist (§ 1 Rz. 130).
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Der Beurteilungsmaßstab für die Erfüllung der subjektiven Anforderungen ist die geschäftsmännische Sorgfalt gem. § 43 Abs. 2 GmbHG mit der Beweislastumkehr analog § 93 Abs. 2 AktG233 bzw. – hinsichtlich der positiven Fortführungsprognose – der Beweislastumkehr des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO („es sei denn“).234 Für die Einzelheiten kann bei komplexen Vorgängen auf die vom Institut der Wirtschaftsprüfer aufgestellten Grundsätze zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit235 und Überschuldung236 zurückgegriffen werden.
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Wenn es im nächsten Schritt um die Frage geht, ob Zahlungen i.S.d. § 64 S. 2 GmbHG bzw. § 15b Abs. 1 S. 2 InsO zulässig waren, „springt“ der Beurteilungsmaßstab von der allgemeinen geschäftsmännischen Sorgfalt des § 43 Abs. 2 GmbHG in die insolvenzspezifische des § 64 S. 2 GmbHG bzw. § 15b Abs. 1 S. 2 InsO. Auch hier bleibt es bei der Darlegungs- und Beweislast des Geschäftsleiters, da § 64 Satz 2 GmbHG sowie § 15b Abs. 1 S. 2 InsO eine Ausnahmeregelung darstellt („Dies gilt nicht …“).
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Auf einer dritten Stufe folgt schließlich das deliktische Verschulden. Während es vorher um jeweils verkehrsübliche, also intersubjektiv gültige Sorgfaltspflichten ging, können nunmehr auch höchst persönliche Umstände berücksichtigt werden, wie z.B. eine schwere Erkrankung, die den Geschäftsleiter an der Erfüllung seiner in der Krise eingreifenden Pflichten selbst durch die Einschaltung von Hilfspersonen unmöglich macht.
6. Zurückbehaltungsrechte 108
Für die Außenhaftung des Geschäftsleiters auf Ersatz des Neugläubigerschadens gilt § 255 BGB entsprechend. Er kann die Abtretung der Forderung gegen den Schuldner verlangen und ist auf eine entsprechende Einrede nur Zug-um-Zug zu verurteilen,237 § 274 BGB. Allerdings hat er nur einen Anspruch auf Abtretung bis zur Höhe seiner Erstattungspflicht. Sie beschränkt sich auf das negative Interesse des Neugläubigers. Mit der Differenz, die dem Gewinn aus dem Geschäft entspricht, bleibt der Geschädigte als Insolvenzgläubiger am Verfahren beteiligt (zu dessen Rechtsstellung vgl. § 9 Rz. 258 ff.). Eine Ausschüttung ist jedoch vorrangig an den Geschäftsleiter zu richten;238 denn der Gläubiger wollte mit der Inanspruchnahme des Geschäftsleiters so gestellt werden, wie wenn er mit der Gesellschaft gar 233 Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 248. 234 So zu dem Überschuldungsbegriff vor Inkrafttreten des FMStG: BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, MDR 2011, 196 = ZIP 2010, 2400 = ZInsO 2010, 2396 (Rz. 11); BGH v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, MDR 2007, 358 = ZIP 2006, 2171. 235 IDW Prüfungsstandard PS 800 v. 6.3.2009, WPg Supplement 2/2009, S. 42. 236 Zur Fortführungsprognose: IDW Prüfungsstandard PS 270 v. 9.9.2010, WPg Supplement 4/2010, S. 1 ff. 237 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 (Rz. 21) = ZIP 2009, 1220; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; Gottwald/Haas/Hossfeld, InsHdb, § 92 Rz. 75 f. 238 Altmeppen, ZIP 1997, 1173, 1182, mit der Folgerung, dass ein über das negative Interesse hinausgehender Betrag an den Neugläubiger auszukehren sei (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB). Vgl. zur Insolvenzverwalterhaftung BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, MDR 2004, 1321 = ZIP 2004, 1107, 1113.
462 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 111 § 5
nicht erst kontrahiert hätte. Dazu darf er sich nicht in Widerspruch setzen, indem er zusätzlich zum Schadensausgleich gleichrangig mit dem Geschäftsleiter eine Insolvenzquote auf die Differenz des Kontrahierungsschadens zum Nichterfüllungsschaden erhält. Bei der Innenhaftung können wegen derselben Vorgänge Ansprüche gegen den Geschäftsleiter mit Ansprüchen gegen den Zahlungsempfänger wegen insolvenzrechtlicher Anfechtung (vgl. § 13 dieses Buches) konkurrieren. Es stellt sich die Frage, ob der Geschäftsleiter den Insolvenzverwalter darauf verweisen darf, zunächst den Zahlungsempfänger in Anspruch zu nehmen. Ein solches Verlangen wäre jedoch treuwidrig; denn der Geschäftsleiter sollte eine Masseschmälerung vermeiden. Hat er das nicht getan, kann es nicht Sache des Insolvenzverwalters sein, nachträglich die Aufgaben des Geschäftsleiters wahrzunehmen und die Zahlungen wieder „einzusammeln“, bevor er sich an den Geschäftsleiter halten darf. Zu Recht hat der BGH deshalb ein auf die Anfechtbarkeit der Zahlung gestütztes Zurückbehaltungsrecht verneint.239 Stattdessen sind Erstattungsansprüche gegen Dritte Zug um Zug gegen Ausgleich der Masseschmälerung an den Geschäftsleiter abzutreten,240 was im Prozess auf seine Einrede zu berücksichtigen ist (Diese Abtretung ist nicht zu verwechseln mit dem Vorbehalt, nach der Zahlung an die Stelle des befriedigten Gläubigers zu treten.)
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Die Abtretung eines Anfechtungsanspruchs ist zulässig und insbesondere nicht wegen § 399 Halbs. 1 BGB ausgeschlossen.241 Allerdings verjährt die insolvenzrechtliche Anfechtung in drei Jahren, §§ 146 Abs. 1 InsO, 195 BGB (vgl. § 10 Rz. 362 ff.), beginnend mit der Verfahrenseröffnung und Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Verwalters von den anspruchsbegründenden Tatsachen. Dem gegenüber gilt für den Haftungsanspruch eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, §§ 64 S. 4, 43 Abs. 4 GmbHG,242 § 15b Abs. 7 InsO, bei Börsennotierung in zehn Jahren. Bis ein solcher Prozess entschieden ist, wird die Anfechtungsverjährung längst eingetreten sein. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Insolvenzverwalter wenigstens um eine Verjährungsunterbrechung bemühen muss. Der BGH hatte eine Anfechtungspflicht des Verwalters u.a. mit der Begründung abgelehnt,243 dass der Geschäftsleiter nicht anders dastehe als ein Bürge, der für die Hauptverbindlichkeit des Gemeinschuldners nur deshalb in Anspruch genommen werde, weil der Verwalter die Masse durch Untätigkeit verkürzt hätte. Dem Bürgen gegenüber existiere keine insolvenzspezifische Pflicht, die Masse anzureichern. Eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Geschäftsleiterhaftung übersieht allerdings, dass § 64 S. 1 GmbHG und § 15b InsO im Gegensatz zur Bürgenhaftung jeweils ein Ersatzanspruch eigener Art ist, auf den § 254 BGB analog anwendbar sein dürfte. Danach muss es sich der Verwalter entgegenhalten lassen, wenn er es schuldhaft versäumt hat, den Schaden zu mindern, § 254 Abs. 2 BGB. Die insolvenzrechtliche Anfechtung und die Haftung der Geschäftsleiter dienen beide dem Schutz insolvenzrechtlicher Verteilungsgrundsätze. Der Verwalter ist verpflichtet, sämtliche Anfechtungsansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen. Da er aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nie sicher sein kann, dass Haftungsansprüche gegen den Geschäftsleiter realisiert werden, muss er die Anfechtbarkeit unabhängig davon untersuchen, ob er zusätzlich beim Geschäftsleiter Regress nehmen will. Der Verwalter darf im Lichte des § 254 Abs. 2 BGB nicht seinen eigenen Pflichtenkreis verletzen, um sich lange nach Ablauf der Anfechtungsfrist beim Geschäftsleiter schadlos zu halten.
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Der Verwalter wird jedoch nicht auf eigenes Risiko einen Anfechtungsprozess führen müssen, um die vom Empfänger geleistete Rückzahlung sodann dem Geschäftsleiter gutzubringen. Ähnlich der Hin-
111
239 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 ff = MDR 2001, 401. = ZIP 2001, 235 ff.; OLG Celle v. 23.4.1997 – 9 U 189/96, GmbHR 1997, 901, 903. 240 OLG Jena v. 11.12.2001 – 8 U 741/01, ZIP 2002, 986, 987; Gottwald/Haas/Hossfeld, InsRHdb, § 92 Rz. 167. 241 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, MDR 2011, 820 = ZIP 2011, 1114 (Rz. 8). 242 Zu den unterschiedlichen Verjährungsfristen im Innen- und Außenverhältnis s. Schl.-Holst. OLG v. 16.11.2000 – 16 U 67/00, DZWiR 2001, 330. 243 BGH v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, MDR 1996, 481 = ZIP 1996, 420, 421.
Andres | 463
§ 5 Rz. 111 | Geschäftsleiterberatung weisobliegenheit eines Geschädigten auf die Möglichkeit der Schadensminderung244 ist auch ein Verwalter gehalten, den Geschäftsleiter rechtzeitig auf Anfechtungsansprüche hinzuweisen, die durch dieselben Handlungen begründet wurden, auf die der Haftungsanspruch gestützt wird. Damit ist aber noch nicht viel gewonnen; denn die Verjährung des Anfechtungsanspruchs kann nur der Gläubiger hemmen, zu dem der Geschäftsleiter erst mit der Abtretung wird. Das wird nur gegen Zahlung geschehen. Sie kann sich hinziehen, sei es, dass die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 15b InsO rechtlich streitig ist, sei es, dass der Geschäftsleiter wirtschaftlich (vorübergehend) unvermögend ist. Bis dahin wird man dem Geschäftsleiter aber zubilligen müssen, vom Verwalter eine Inanspruchnahme des Anfechtungsgegners zu verlangen, wenn er den Verwalter von sämtlichen Kostenrisiken in werthaltiger Form – z.B. Vorschuss, Absicherung – freihält. 112
Die Anfechtungsgegner dürfen sich nicht darauf berufen, dass es wegen der Haftung bzw. Ausgleichszahlung des Geschäftsleiters an einer Gläubigerbenachteiligung fehle; denn seine Haftung setzt nur deshalb ein, weil die Anfechtungsgegner rechtswidrig bevorzugt wurden. Sie sind im Vergleich zum Geschäftsleiter nicht schutzwürdig.
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Muss der Zahlungsempfänger den Haftungsbetrag nicht zurückführen, weil z.B. die Anfechtungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind oder Verjährung eingetreten ist, ist durch seine Befriedigung die Anzahl der Gläubiger endgültig geringer geworden. Leistet der Geschäftsleiter Ersatz, ist die Masse so hoch wie ohne die unzulässige Zahlung, braucht aber nur an weniger Gläubiger verteilt zu werden. Um eine Besserstellung der verbliebenen Gläubiger zu vermeiden, ist dem Geschäftsleiter im Urteil vorzubehalten, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen.245 Dabei handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit mit dem Rang einer Insolvenzforderung, da sie inhaltlich dem entspricht, was der begünstigte Gläubiger im Verteilungsverfahren erhalten hätte, wäre die Zahlung an ihn unterblieben. Eine formelle Insolvenzforderung ist dieser Anspruch deshalb nicht, weil sie im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht (mehr) bestand.
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Für die Praxis ist darauf zu achten, dass die Abtretung des Anfechtungsanspruchs und dieser Vorbehalt nebeneinander geltend gemacht246 werden, solange unsicher ist, ob der (abgetretene) Anfechtungsanspruch durchdringt.
7. § 64 S. 3 GmbHG a.F./§ 15b Abs. 5 InsO 115
Der Haftungstatbestand des § 64 S. 3 GmbHG a.F. wurde durch das am 1.11.2008 in Kraft getretene MoMiG eingeführt und durch das SanInsFoG247 zum 1.1.2021 gestrichen. Zahlungen bis zum 1.1.2021 werden aber weiterhin noch unter dieser Norm erfasst. Für Zahlungen ab dem 1.1.2021 greift § 15b Abs. 5 InsO ein. Als Erstattungsanspruch eigener Art ergänzt er die bilanzorientierte Ausschüttungssperre des § 30 Abs. 1 GmbHG um eine solvenzorientierte Ausschüttungssperre.248
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Der Begriff der Zahlung erfasst nicht nur reine Geldleistungen, sondern auch vergleichbare Leistungen, durch welche der Gesellschaft im Ergebnis Liquidität entzogen wird.249 Bilanzneutrale Zahlungen auf fällige Verbindlichkeiten, die dadurch zugleich reduziert werden, fallen aber nicht unter die Vorschrift, weil die Zahlungsunfähigkeit nicht im Sinne des Gesetzeswortlauts verursacht wird, wenn sie bereits eingetreten ist.250 Damit ist, wovon auch der Gesetzgeber ausging, der Anwendungsbereich der 244 Grüneberg in Palandt, BGB, § 254 Rz. 36 ff. 245 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 296/12, ZIP 2013, 1251 (Rz. 3); BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235, 239. 246 Wenngleich der Vorbehalt in ein Urteil von Amts wegen aufzunehmen ist, BGH v. 19.2.2013 – II ZR 296/12, ZIP 2013, 1251 (Rz. 3); BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 247 BGBl. I 2020, 3256. 248 Streit/Bürk, DB 2008, 742, 749; Hirte, ZInsO 2008, 689, 697. 249 Hirte, ZInsO 2008, 689, 697; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 795. 250 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = ZIP 2012, 2391 (Rz. 7, 10 f.).
464 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 120a § 5
Regelung gering. Sie kommt insbesondere bei Zahlungen auf nicht im insolvenzrechtlichen Sinn fällige (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO) Geldschulden und – eher theoretisch – bei einer Vergrößerung der Deckungslücke auf mehr als 10 % in Betracht.251 Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit gem. § 64 S. 3 GmbHG bzw. § 15 Abs. 5 InsO wird genauso definiert wie in § 17 InsO.252 Die Haftung tritt auch dann ein, wenn die Gesellschafter den Eintritt der Insolvenz nach Vornahme der haftungsauslösenden Leistungen noch viele Monate durch freiwillige Stützungszahlungen hinauszögern.253
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Die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift muss – bis auf die Erkennbarkeit für den Geschäftsleiter – die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter beweisen. Allerdings sind Beweiserleichterungen anzuerkennen, wenn die Geschäftsführung keine Liquiditätsplanung gemacht hat.254
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Rechtsfolge ist, dass der Geschäftsleiter die fraglichen Zahlungen zu erstatten hat, soweit der Entzug der Liquidität nicht unmittelbar durch etwaige Gegenleistungen ausgeglichen wurde. Der Anspruch gegen den Geschäftsleiter verjährt gem. § 64 S. 4 i.V.m. § 43 Abs. 4 GmbHG bzw. § 15b Abs. 7 InsO innerhalb von fünf Jahren.
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8. Gesamtverantwortung/Ressortverteilung Der ressortfremde Geschäftsleiter kann sich einer Haftung grundsätzlich nicht entziehen.255 § 15a Abs. 1, 2 InsO verpflichtet ausdrücklich „die Mitglieder des Vertretungsorgans“ und § 64 S. 1, 3 GmbHG bzw. § 15b InsO „die Geschäftsleiter“ zur Antragstellung und zum Ersatz unzulässiger Zahlungen. Damit ist ebenso wie bei § 43 Abs. 2 GmbHG die solidarische Haftung gemeint. Allerdings darf eine Aufgabenverteilung nicht negiert werden, vorausgesetzt, dass sie klar und eindeutig ist.256 An eine Ressortaufteilung sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine Geschäftsverteilung oder Ressortaufteilung auf der Ebene der Geschäftsführung setzt eine klare und eindeutige Abgrenzung der Geschäftsführungsaufgaben aufgrund einer von allen Mitgliedern des Organs mitgetragenen Aufgabenzuweisung voraus, die die vollständige Wahrnehmung der Geschäftsführungsaufgaben durch hierfür fachlich und persönlich geeignete Personen sicherstellt und ungeachtet der Ressortzuständigkeit eines einzelnen Geschäftsführers die Zuständigkeit des Gesamtorgans insbesondere für nicht delegierbare Angelegenheiten der Geschäftsführung wahrt.257 Soweit es um die Wahrnehmung der nicht übertragbaren Aufgaben geht, wie die Einstandspflicht des Geschäftsführers für die Gesetzmäßigkeit der Unternehmensleitung, ist ein strenger Maßstab an die Erfüllung der in einem solchen Falle besonders weitgehenden Kontroll- und Überwachungspflichten gegenüber einem Mitgeschäftsführer anzulegen.258
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„Interne Zuständigkeitsregelungen lassen ebenso wie die Delegation die Eigenverantwortlichkeit nicht erlöschen. Es bleiben stets Überwachungspflichten, die Veranlassung zum Eingreifen geben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung von der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den
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BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = ZIP 2012, 2391 (Rz. 13). BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = ZIP 2012, 2391 (Rz. 11). OLG Celle v. 9.5.2012 – 9 U 1/12, ZIP 2012, 2394. OLG Celle v. 9.5.2012 – 9 U 1/12, ZIP 2012, 2394, 2396. BGH v. 1.3.1994 – II ZR 81/94, BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), MDR 1994, 674 = ZIP 1994, 891, 892. 256 BFH v. 31.10.2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274, wobei die für die steuerliche Entlastung geforderte Schriftform für die Entlastung bei der gesellschaftsrechtlichen Krisenhaftung u.E. nicht notwendig sein dürfte. 257 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, MDR 2019, 298. 258 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, MDR 2019, 298 = ZIP 2019, 261. 251 252 253 254 255
Andres | 465
§ 5 Rz. 120a | Geschäftsleiterberatung (intern) zuständigen Geschäftsleiter oder den mit der Erledigung beauftragten Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet sind.“259 120b
Umgekehrt formuliert heißt das, dass Fehler dem Geschäftsleiter bei einer Ressortaufteilung oder gar bei einer Delegation an Mitarbeiter im eigenen Ressort so lange nicht zuzurechnen sind, solange keine Veranlassung zum Eingreifen besteht. Die Überwachungspflichten werden durch die zu § 831 BGB ergangene Rechtsprechung konkretisiert werden können. Bei der gesunden Gesellschaft reicht es aus, wenn sich z.B. der technische Geschäftsleiter in regelmäßigen Abständen über die Situation vom kaufmännischen Geschäftsleiter informieren lässt. Eine Initiativlast zur eigenen Selbstprüfung fällt ihm erst zu, wenn er – mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes – Anhaltspunkte für eine insolvenzrechtlich relevante Krise haben müsste. Erhält er dann keine Information, muss er nach kurzer Fristsetzung mit Nachricht an die Gesellschafter sofort sein Amt niederlegen, will er einer Haftung entgehen.260 In vielen mittelständischen Unternehmen ist eine Haftung vor allem für den „Zölibatsgeschäftsleiter“ gefährlich, der als Senior meist nur noch aus steuerlichen oder Repräsentationsgründen weiterhin den „Titel“ trägt, sich ansonsten aber jeder aktiven Einflussnahme enthält.261 Eine ähnliche Position besitzt in Konzernen oftmals der Vorstandsvorsitzende der Hauptgesellschaft, der in Tochtergesellschaften zum Mit-Geschäftsleiter bestellt wird, um dort aus praktischen Gründen vertretungsberechtigt zu sein.
9. Faktischer Geschäftsleiter 121
Das Gegenstück zum „Zölibatsgeschäftsleiter“ ist der faktische Geschäftsleiter (vgl. § 5 Rz. 85 ff. zu dessen strafrechtlicher Verantwortlichkeit). Er ist besonders häufig in Krisenunternehmen anzutreffen. Seinen Namen will er nicht mit einem etwaigen Insolvenzverfahren in Verbindung bringen, gleichwohl die Fäden in der Hand halten. Eine andere Form ist der Krisenmanager, der formal die Stellung eines Beraters innehat, aber wie ein Geschäftsleiter agiert.
122
Faktischer Geschäftsleiter ist derjenige, der wie ein Geschäftsleiter agiert und bei dem nur der Bestellungsakt fehlerhaft ist.262 Umgekehrt ist der Gesellschafter, der die Unternehmenspolitik mitbestimmt und an Sanierungskonzepten mitwirkt, nicht schon wegen solcher Aktivitäten faktischer Geschäftsleiter;263 denn die Gesellschafter dürfen auf die Geschäftsführung einwirken, §§ 37 Abs. 1, 45 Abs. 1 GmbHG. Hinzukommen muss „ein nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln“.264 Erforderlich ist, dass „der Betreffende nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis (…) maßgeblich in die Hand genommen hat“.265 Das kann auch neben ordnungsgemäß berufenen Geschäftsleitern stattfinden.266 Allerdings muss dies mit Wissen und Wollen der Gesellschafter geschehen.267 Der faktische Geschäftsleiter muss dafür nicht alle Geschäftsführungsmaßnahmen wahrnehmen.268 Es reicht aus, dass er sich 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268
BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, MDR 2001, 520 = ZIP 422, 424. BFH v. 31.10.2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274. BFH v. 11.3.2004 – VII R 52/02, GmbHR 2004, 833; FG Münster v. 16.11.2006 – 8 K 2601/04. Gottwald/Haas/Hossfeld, InsRHdb, § 92 Rz. 37 m.w.N. BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = ZIP 2002, 848, 851; K. Schmidt, GesR, § 14 III.4. a, IV.1. BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = ZIP 2002, 848. BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 105 f.; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 47 = MDR 1988, 752; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = ZIP 2002, 848, 851; OLG Jena v. 28.11.2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631, 632. BGH v. 11.12.1997 – 4 StR 323/97, MDR 1998, 423 = NJW 1998, 767, 769; BayObLG v. 20.2.1997 – 5 StR RR 159/96, NJW 1997, 1936. BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 105 f.; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = NJW 2002, 1803, 1805 m.w.N. zu Rspr. und Lit. = ZIP 2002, 848.
466 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 125 § 5
wie ein Geschäftsleiter geriert.269 Dazu gehört insbesondere, aus eigener „Machtvollkommenheit“ zu entscheiden, welche Gläubiger vorrangig bedient werden, oder eine Alleinverfügungsbefugnis über das wesentliche Bankkonto zu haben oder alleine Verhandlungen mit der Bank zu führen und dabei auch Entscheidungen zu treffen. Maßgebend ist das Gesamtgepräge nach Außen bei der Wahrnehmung von Kernaufgaben der Geschäftsführung. Ebenso wie bei einer mehrköpfigen Geschäftsführung müssen nicht sämtliche Geschäftsführungsangelegenheiten von dem faktischen Geschäftsleiter allein wahrgenommen werden. Der faktische Geschäftsleiter ist wie der ordnungsgemäß bestellte insolvenzantragspflichtig. Ihn trifft dieselbe Haftung sowohl gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 GmbHG als auch gem. § 64 S. 1, 3 GmbHG (bzw. § 15b InsO).270
123
10. Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren Den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung muss der Gläubiger des Haftungsanspruchs darlegen und beweisen, also der Liquidator, Insolvenzverwalter oder Neugläubiger.271 Soweit es die Zahlungsunfähigkeit anbetrifft, gelingt das – allerdings auch nur für „Insider“ – anhand der Buchhaltung und der im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen relativ leicht. Wurden Verbindlichkeiten bis zur Verfahrenseröffnung nicht beglichen, ist regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit ab ihrer Fälligkeit auszugehen.272 Macht der Geschäftsleiter geltend, dass Forderungen entgegen § 271 BGB nicht fällig gewesen seien, muss er diese Ausnahme darlegen.273 Dazu gehört der Vortrag zu Stundungsvereinbarungen. Dazu gehört ferner, dass eine Zahlungsunfähigkeit, die länger als drei Wochen andauert, ursprünglich noch als kurzfristig überwindbar und damit als für einen Insolvenzgrund unbeachtliche Zahlungsstockung angesehen werden durfte.274
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Schwieriger ist die Feststellung der Überschuldung. Allein die Unterlassung der ständigen Selbstprüfung in der Krise begründet noch keine Verpflichtung des Geschäftsleiters, den „Nichteintritt“ der Überschuldung zu verschiedenen Zeitpunkten darzulegen.275 Es bleibt also bei der Beweislast des Anspruchstellers. Allerdings verfügt der Verwalter/Gläubiger häufig noch nicht einmal über aktuelle Jahresabschlüsse, geschweige denn über Zwischenabschlüsse zu unterjährigen Stichtagen, an denen der Insolvenzgrund eingetreten seine könnte. In Bezug auf die nach dem neuen Überschuldungsbegriff wesentliche Frage des Bestehens einer positiven Fortführungsprognose verfügt der Insolvenzverwalter aber regelmäßig über die Unterlagen, die er zur Prüfung der Zahlungsunfähigkeit benötigt. Hieraus kann er im Umkehrschluss auch ableiten, wann die Gesellschaft absehen konnte, dass sie nicht mehr zahlungsfähig sein wird. Ab diesem Moment entfällt spätestens dann die positive Fortführungsprognose und die Überschuldung tritt ein. Dem Geschäftsleiter obliegt es dann nachzuweisen, dass entgegen der sich aus den Unterlagen ergebenden Situation andere Umstände zum damaligen Zeitpunkt hinzutraten, die die Zahlungsfähigkeit sicherten und ihn davon ausgehen ließen, dass keine Überschuldung vorlag.
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269 270 271 272
Scholz/Bitter, GmbHG, § 64 Rz. 67 ff. BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; Michalki/Nerlich, GmbHG, § 64 Rz. 16. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103, 1110. BGH v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, NZI 2012, 1206 Rz. 15; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, MDR 2011, 946 = ZIP 2011, 1416 Rz. 15. 273 BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, MDR 2007, 1395 = ZIP 2007, 1666; BGH v. 14.7.2003 – II ZR 335/ 00, DStR 2004, 324. 274 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZIP 2005, 1426; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = ZIP 2006, 2222. 275 A.A. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2209.
Andres | 467
§ 5 Rz. 126 | Geschäftsleiterberatung 126
Steht hiernach der Insolvenzgrund fest, wird die Erkennbarkeit widerlegbar vermutet.276 Ebenso wird vermutet, dass Auszahlungen gem. § 64 S. 1, 3 GmbHG bzw. § 15b InsO nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprechen. Dagegen steht dem Geschäftsleiter der Nachweis offen, dass die Zahlung um der Unternehmenserhaltung oder anderer Vorteile Willen erfolgte und deshalb sorgfaltsgemäß war.277
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Gesellschaftsverträge enthalten häufig Schiedsabreden, die den Geschäftsleiter zumindest dann betreffen können, wenn er nicht nur als Gesellschafter, sondern ausdrücklich auch in der Eigenschaft als Geschäftsleiter einbezogen wird. Ansonsten bedarf es einer Schiedsvereinbarung im Zusammenhang mit dem Anstellungsvertrag.
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Haftungsansprüche gegen den Geschäftsleiter sind unverzichtbar, soweit ihre Durchsetzung zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist, §§ 43 Abs. 3, 9b Abs. 1 GmbHG. Dies gilt auch, sofern der vorläufige Insolvenzverwalter nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts dem Verzicht zugestimmt hat.278 Daraus wurde zum alten Schiedsverfahrensrecht gefolgert, dass die Ansprüche auch nicht Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können. Der BGH ist dem schon zum alten Recht nicht gefolgt. Zum Einlageanspruch hat er entschieden, dass die Unverzichtbarkeit des § 19 Abs. 2 S. 1 GmbHG nicht dem Zweck diene, bei Streitigkeiten ein Entscheidungsmonopol staatlicher Gerichte zu sichern.279 Wenn danach sogar Auseinandersetzungen über Einlageleistungen schiedsfähig sind, muss das auch für die hier beschriebenen Ansprüche gelten. Nach dem seit 1997 geltenden Schiedsverfahrensrecht ist die Vergleichsfähigkeit bei vermögensrechtlichen Ansprüchen ohnehin keine Voraussetzung mehr für die Wirksamkeit der Schiedsabrede. Eine wirksame Schiedsvereinbarung bindet auch den Insolvenzverwalter, soweit die Ansprüche unter die Abrede fallen,280 was z.B. nicht für insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche gilt. In der Praxis wird ein Schiedsvertrag meist übersehen.
11. Weisung, Verzicht, Vergleich 129
Nach § 64 S. 4 GmbHG findet § 43 Abs. 3 GmbHG entsprechende Anwendung. Dort ist bestimmt, dass die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen ist, wenn der Geschäftsleiter in Ausführung eines Gesellschafterbeschlusses handelt, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Dieses Erfordernis ist bei den hier in Rede stehenden Erstattungsansprüchen immer erfüllt. Problematisch ist die Weiterverweisung in § 43 Abs. 3 GmbHG auf § 9b Abs. 1 S. 2 GmbHG. Danach ist ein Verzicht auf bzw. ein Vergleich über die Ersatzansprüche nur zulässig, wenn der Geschäftsleiter seinerseits zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens oder in einem Insolvenzplan mit seinen Gläubigern vergleicht.
129a
Die zu § 64 GmbHG geltenden Grundsätze sind nunmehr in § 15b Abs. 4 S. 3f InsO geregelt. Soweit die Erstattung oder der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der juristischen Person erforderlich ist, wird die Pflicht nicht dadurch ausgeschlossen, dass dieselben in Befolgung eines Beschlusses eines Organs der juristischen Person gehandelt haben. Ein Verzicht der juristischen Person auf Erstattungsoder Ersatzansprüche oder ein Vergleich der juristischen Person über diese Ansprüche ist unwirksam. Dies gilt nicht, wenn der Erstattungs- oder Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Erstattungs- oder Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn ein Insolvenzverwalter für die juristische Person handelt.
276 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 38; BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, MDR 2011, 196 = ZIP 2010, 2400 Rz. 14. 277 BGH v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, MDR 2009, 1054 = ZIP 2009, 1468 Rz. 13. 278 BGH v. 20.4.2021 – II ZR 387/18, ZIP 2021, 1109. 279 BGH v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, MDR 2004, 1191 = ZIP 2004, 1616. 280 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, MDR 2011, 1002 = ZIP 2011, 1477 Rz. 14; BGH v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, MDR 2004, 1191 = ZIP 2004, 1616.
468 | Andres
VII. Haftung der Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung | Rz. 132 § 5
§ 64 S. 1, 3 GmbHG a.F. und § 15b InsO dienten der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger wie die sonstige Masseverwertung, bei der es kein Vergleichsverbot gibt. Es macht wenig Sinn, sich mit dem Empfänger einer Zahlung im Anfechtungsstreit vergleichen zu dürfen, wegen derselben Zahlung mit dem Geschäftsleiter aber einen Haftungsprozess bis zur Rechtskraft führen zu müssen. § 9b Abs. 1 GmbHG ist Ausfluss des Grundsatzes, dass das Vermögen der Gesellschaft im werbenden Betrieb zur Befriedigung ihrer Ansprüche genügen muss. Da dieser Grundsatz bei einer insolventen Gesellschaft nicht mehr gilt, ist ein Vergleich zulässig, solange er nicht erkennbar insolvenzzweckwidrig ist,281 mit dem Abschluss also insbesondere nicht gegen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters i.S.d. § 60 InsO verstoßen wird. Die Frage eines Vergleichs über die Innenhaftung gem. § 64 S. 1, 3 GmbHG und § 15b InsO muss genauso entschieden werden, wie die über die Einlageverpflichtung gem. § 19 GmbHG. Auch hier sind gütliche Regelungen im Interesse der Gläubigergemeinschaft zulässig.282 Da die Haftungsansprüche gegen den Geschäftsleiter in der Praxis häufig einen Umfang haben, der bei vollständiger Durchsetzung zu seiner Zahlungsunfähigkeit führen würde, sollte deren Abwendung vorsorglich als eine Vergleichsgrundlage ausdrücklich genannt werden, damit nicht später die Unwirksamkeit geltend gemacht wird, nachdem der Verwalter die Vergleichszahlung vereinnahmt hat.
130
12. Verjährung – § 15b Abs. 7 InsO Die Verjährungsfrist beträgt entsprechend § 43 Abs. 4 GmbHG fünf Jahre, beginnend mit der Entstehung des Anspruchs, also der verbotswidrigen Auszahlung. Gleiches gilt gem. § 15b Abs. 7 InsO für Zahlungen ab dem 1.1.2021. Auf die Kenntnis kommt es nicht an, da § 199 Abs. 1 BGB nur für die Regelverjährung gilt. Die Ansprüche auf Ersatz des Neugläubigerschadens und des Quotenschadens für die Altgläubiger gem. §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO verjähren hingegen in drei Jahren ab Kenntnis, spätestens in zehn Jahren seit der Entstehung, §§ 195, 199 Abs. 1, 3 BGB.283
131
13. Haftung ohne Insolvenzverfahren Die über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO GmbHG eingreifende Außenhaftung ist nicht von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abhängig. Die Verletzung der Antragspflicht ist nach dem eindeutigen Wortlaut ausreichend. Anders könnte man für die Innenhaftung geneigt sein zu entscheiden; denn hier geht es um die Vermeidung einer Verkürzung der Insolvenzmasse. Wird sie mangels Verfahrenseröffnung nicht gebildet, können insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze nicht zum Zuge kommen. Eine solche Argumentation bedeutet jedoch, dass gerade die krassen Fälle haftungsfrei blieben, in denen das Vermögen völlig aufgezehrt und der Eröffnungsantrag mangels Verfahrenskostendeckung abgewiesen werden würde. Um das zu vermeiden, hat der BGH nicht nur den Fortbestand der Ansprüche bei der Ablehnung eines Insolvenzantrages akzeptiert, so dass die Haftung vom Liquidator geltend gemacht werden muss, sondern auch ihre Pfändbarkeit im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zugelassen.284
281 RG v. 8.5.1911 – Rep. VI 245/10, RGZ 76, 250; K. Schmidt, KTS 2001, 373, 378 ff.; allgemein zur Insolvenzzweckwidrigkeit: Lüke in Kübler/Prütting, InsO, EL 8/2001, § 80 Rz. 28 ff. 282 Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 19 Rz. 20; Michalski/Ebbing, GmbHG, § 19 Rz. 71 ff. 283 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, MDR 2011, 799 = ZIP 2011, 1007 Rz. 14 f. zum Verjährungsbeginn: BGH v. 22.4.2004 – IX ZR 128/03, MDR 2004, 1260 = ZInsO 2004, 676, 677 = ZIP 2004, 1218. 284 BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, MDR 2000, 1388 = ZIP 2000, 1896, 1898; s. ferner BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 204/09, MDR 2010, 1421 = ZIP 2010, 2107 Rz. 13 f.
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§ 5 Rz. 133 | Geschäftsleiterberatung
VIII. Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht 133
In der Entwicklung der Rechtsprechung zur Außenhaftung des Geschäftsleiters haben sich die Tatbestände des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO einerseits und der culpa in contrahendo andererseits zueinander wie kommunizierende Röhren verhalten. Während der BGH den Gläubigern aufgrund von § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. zunächst nur den geringen Schutz des Quotenschadens zubilligte, war er beim Schadensersatz wegen culpa in contrahendo großzügig und ließ anfänglich eine maßgebende Beteiligung an der Gesellschaft ausreichen.285 Später verlangte er ein zusätzliches Engagement des Geschäftsleiters286 z.B. durch Darlehen, um ein wirtschaftliches Eigeninteresse zu begründen, das eine Aufklärungspflicht über die Insolvenzsituation rechtfertigte. Im Jahre 1994 lehnte er schließlich eine Verhandlungshaftung ab, soweit der Geschäftsleiter bei dem Vertragspartner kein „zusätzliches, von ihm selbst ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen hervorgerufen hat“, die sich „im Vorfeld einer Garantiezusage“ bewegen.287 Seitdem ist dieser Haftungstatbestand gegenüber Neugläubigern nahezu bedeutungslos.288 Im Gegenzug erstarkte § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. zum Schutzgesetz für die Neugläubiger, so dass die culpa in contrahendo allenfalls noch relevant sein konnte für die Zeit zwischen dem Eintritt eines Insolvenzgrundes und dem Ende der Antragsfrist; denn der Schutz des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. greift erst in der Verschleppungsphase. Vor dem Ende der Antragsfrist gelten jedoch wohl erst recht die Erwägungen, mit denen der BGH die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens abgelehnt hat.
134
Dagegen hat insbesondere K. Schmidt eingewandt, dem Geschäftsleiter werde ein auf die GmbH bezogenes Solvenzvertrauen entgegengebracht.289 Die Konsequenzen sind weitgehend identisch mit der Außenhaftung des Geschäftsleiters. Der Unterschied wird nur in zwei Fällen relevant. Der erste ist, dass die Haftung wegen c.i.c. nach dieser Auffassung keine Insolvenzverschleppung voraussetzt und schon vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist eingreift. Der zweite Unterschied liegt in der Zurechnung des Fehlverhaltens von Mitarbeitern. Wenn nämlich in den Geschäftsleiter ein Solvenzvertrauen gesetzt wird, müsste er dafür Sorge tragen, dass auch die Mitarbeiter die eigentlich ihm obliegenden Informationen erteilen. Erteilen sie falsche Auskünfte, kann es konsequenterweise nicht gem. § 166 Abs. 1 BGB auf ihr Wissen ankommen, selbst wenn die Mitarbeiter beispielsweise als Prokuristen eigenverantwortlich Verträge schließen. Vielmehr müsste § 278 BGB eingreifen, weil der Geschäftsleiter die Mitarbeiter zur Erfüllung der Pflicht einschaltet,290 die sich aus dem (angeblich) in seine Person gesetzten Vertrauen ergibt.
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Einer solchen Haftungsausweitung ist nicht zuzustimmen. Das einer großen Gesellschaft als Organisation entgegengebrachte Solvenzvertrauen kann nicht personifiziert werden.291 Der Schritt wäre dann nicht mehr weit, um dies auf sämtliche Verkehrssicherungspflichten wie bspw. die Produkthaftung auszudehnen. Auch in diesem Bereich geht der Geschäftspartner nur davon aus, die GmbH sei so organisiert, dass ihre Geschäftstätigkeit keinen schädigt. Eine unmittelbare persönliche Haftung steht nicht im Einklang mit §§ 311 Abs. 3, 280, 282 BGB, der kein allgemeines Verkehrsvertrauen, sondern ein „im besonderen Maße“ in Anspruch genommenes Vertrauen voraussetzt.292 285 BGH v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, BGHZ 87, 27, 33 f. = MDR 1983, 658; BGH v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, MDR 1983, 305 = ZIP 1982, 1435. 286 BGH v. 23.10.1985 – VIII ZR 210/84, MDR 1986, 312 = ZIP 1986, 26, 29. 287 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, MDR 1994, 781 = ZIP 1994, 1103, 1106; Hervorh. d. Verf.; Bsp. für ein selbständiges Garantieversprechen BGH v. 12.2.2001 – II ZR 148/99, MDR 2001, 701 = DStR 2001, 1671, 1672. 288 Ein Bsp. für eine Haftung aus c.i.c. bietet BGH v. 18.2.2002 – II ZR 358/99, BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = DStR 2002, 923 f. 289 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl., § 64 Rz. 68. Anders nun Scholz/Bitter, GmbHG, § 64 Rz. 368. 290 Wäre es anders, würde die Haftung mit zunehmender Organisationsgröße abnehmen. 291 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2210. 292 S. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, 163.
470 | Andres
IX. Haftung für Verfahrenskosten gem. § 26 Abs. 3, 4 InsO | Rz. 139 § 5
Unabhängig von dem hier abgelehnten typisierten Vertrauen kann es natürlich zu einer Haftung gem. § 311 Abs. 3 BGB führen, wenn besondere Erklärungen abgegeben werden. Das ist kein Spezifikum der Krisenhaftung, sondern begründet eine Haftungsgefahr bei jeder Form der Vertretung, sei sie nun organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Natur. Allerdings ist die Krise häufig Anlass für eine besondere Vertrauenswerbung. Dem Geschäftsleiter und nicht der Organisation wird ein besonderes Vertrauen aber erst entgegengebracht, wenn er die Rolle des Vertreters deutlich verlässt und ein auf sich bezogenes Vertrauen in Anspruch nimmt,293 das sich im Vorfeld einer Garantiezusage bewegt. Der Hinweis auf die eigene Kompetenz reicht nicht aus, besagt er doch nur, dass die Verpflichtungen als Organ besonders gewissenhaft erfüllt werden. Ein Verstoß führt allenfalls zur Innenhaftung. Geringere Anforderungen gelten allerdings, wenn der Gläubiger erkennbar mit Rücksicht auf das freund- oder verwandtschaftliche Verhältnis zum Geschäftsleiter einen (Waren-)Kredit ausreicht. Oder wenn ein Geschäft gleichsam für Rechnung des Vertreters geführt wird.294 Dafür reicht ein mittelbarer Vorteil kraft Beteiligung an der GmbH und/oder als Kreditgeber der Gesellschaft nicht aus. Liegen hingegen die Ausnahmen vor, ist der Geschäftsleiter verpflichtet, von sich aus über den Insolvenzgrund aufzuklären.
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Außer aus culpa in contrahendo könnte sich eine persönliche Haftung auch aus § 242 BGB wegen eines Aufklärungsverschuldens ergeben. Aufklärungspflichten bestehen immer dann, wenn nur einem Vertragsteil Umstände bekannt sind, die für die Erreichung des Vertragszwecks von wesentlicher Bedeutung sind und deren Mitteilung der andere Vertragsteil deshalb nach Treu und Glauben verlangen darf.295 Dazu gehört auch die Aufklärung über eine Zahlungsunfähigkeit, wenn die Erfüllung einer nicht Zug-um-Zug abzuwickelnden Verbindlichkeit ernsthaft gefährdet ist. Die Aufklärungspflicht betrifft jedoch in erster Linie die GmbH als Verhandlungspartei, den Geschäftsleiter nur unter den Voraussetzungen der c.i.c., so dass hieraus keine zusätzliche Haftung resultiert. Der Gläubiger wäre im übrigen auch nicht stärker geschützt als bei einem Eingehungsbetrug, dessen Straftatbestand ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist.
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IX. Haftung für Verfahrenskosten gem. § 26 Abs. 3, 4 InsO Das Insolvenzgericht weist einen Eröffnungsantrag ab, wenn die Kosten des Verfahrens nicht gedeckt sind, §§ 26 Abs. 1, 54 InsO (vgl. § 9 Rz. 126 ff., Rz. 134 ff.). Die Abweisung unterbleibt, wenn ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird (vgl. § 9 Rz. 134). Diesen Vorschuss muss jeder Geschäftsleiter, der den Insolvenzantrag nicht rechtzeitig gestellt hat, demjenigen, der einen solchen Vorschuss geleistet hat, erstatten, § 26 Abs. 3 InsO.296 Es kommt nicht darauf an, ob während des Verzögerungszeitraumes eine Masseschmälerung eingetreten ist. Ist streitig, ob der Geschäftsleiter pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt hat, legt das Gesetz ihm die Beweislast auf. Zugunsten des vorschussleistenden Gläubigers wird also vermutet, dass der Antrag verspätet eingereicht wurde. In der Praxis kommt es vor, dass vorläufige Insolvenzverwalter den Gläubiger zu einem Massekostenvorschuss bewegen, der über die reine Verfahrenskostendeckung hinausgeht, um damit auch Abwicklungsarbeiten zu finanzieren. Auf diesen überschießenden Teil erstreckt sich die Haftung des Geschäftsleiters nicht.297
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Mit dem ESUG hat der Gesetzgeber eine unmittelbare Vorschusspflicht zu Lasten des Geschäftsleiters eingeführt, § 26 Abs. 4 InsO. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind grds. identisch mit denen des Abs. 3. Ungeklärt ist, ob auch ein Haftungsanspruch gegen den Geschäftsleiter bestehen muss. Die
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293 294 295 296 297
Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 311. Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 310 f. Ellenberger in Palandt, BGB, § 123 Rz. 5a f. OLG Hamm v. 10.4.2002 – 11 U 180/01, NZI 2002, 437 f. Bdb. OLG. v. 17.1.2002 – 8 U 53/01, ZIP 2003, 451.
Andres | 471
§ 5 Rz. 139 | Geschäftsleiterberatung Vorschrift ist auf das Eröffnungsverfahren beschränkt, d.h. sie ist nach Verfahrenseröffnung nicht mehr anwendbar.298 Sie ist daher kaum praxisrelevant und wird ein Schattendasein führen.
X. Haftung wegen Betruges und Untreue 140
Bei einer aktiven Täuschung des Geschäftspartners steht die straf- und damit auch zivilrechtliche Haftung des Geschäftsleiters außer Frage. Für § 263 StGB (Betrug) reicht es aus, dass der Vermögensvorteil bei der Gesellschaft eintreten soll. Strafrechtlich beurteilt die Rechtsprechung eine Geschäftsfortführung auf Kredit bei erkannter Zahlungsunfähigkeit als Betrug, für den bedingter Vorsatz genügt299 (zur Betrugsstrafbarkeit des Geschäftsleiters vgl. § 8 Rz. 229 ff.). Je größer das Unternehmen jedoch ist, umso weniger ist der Geschäftsleiter persönlich in den Abschluss von Verträgen eingebunden. Der Vorwurf kann dann nur noch in der Unterlassung organisatorischer Anweisungen bestehen, in der Krise keine neuen Verträge abzuschließen.300 Ein Organisationverschulden hat der BGH im Baustoff-Urteil ausreichen lassen, um mit einer Garantenstellung die persönliche Haftung des Geschäftsleiters für den Verlust von Eigentumsvorbehaltsware zu begründen.301 Der Geschäftsleiter müsse die Abläufe so organisieren, dass nicht gegen Verarbeitungs- bzw. Veräußerungsauflagen verstoßen und dadurch das Eigentum als absolutes Recht verletzt werde. Dieses Urteil ist auf erhebliche Kritik gestoßen, weil die Organisationpflichten dem Geschäftsleiter nur gegenüber der GmbH im Innenverhältnis obliegen, nicht aber auch gegenüber dem einzelnen Gläubiger.302
141
Im „Kirch“-Urteil hat der BGH diesen Schutzcharakter der Organisationspflicht wieder reaktiviert, allerdings mit der Besonderheit, dass es im Gegensatz zum Baustoffurteil um eine eigene Handlung des Vorstandsvorsitzenden ging, mit dem der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von Herrn Kirch, dessen Schutz der Deutschen Bank AG als Vertragspartnerin oblag, verletzt wurde.303
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Voraussetzung nach beiden Urteilen ist aber die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter, so dass eine deliktische Haftung wegen Betruges für Verträge, an deren Abschluss der Geschäftsleiter nicht persönlich beteiligt war, nicht auf ein Organisationsverschulden gestützt werden kann. Ausreichend könnte aber die Überleitungsvorschrift des § 14 StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung zur Zurechnung des Handelns von Mitarbeitern der juristischen Person sein.
143
Zivilrechtlich soll die Geschäftsleitung nach dem Herstatt-Urteil304 vor Ablauf der Antragsfrist nur unter besonderen Umständen verpflichtet sein, Geschäftspartner ungefragt auf die bedrohliche Lage hinzuweisen. Sie sei, heißt es dort, berechtigt, Sanierungschancen wahrzunehmen, selbst wenn dies mit der Gefahr einer Gläubigerschädigung verbunden ist. Dem wird man nur mit großer Zurückhaltung folgen können. Die Zulässigkeit von Sanierungsmaßnahmen während der Frist des § 15a Abs. 1 InsO besagt nicht, dass dies auf Kosten der Gläubiger geschehen darf. Die Grenzen zum Eingehungsbetrug mit bedingtem Vorsatz sind schnell überschritten.
298 Denkhaus in Hamburger Kommentar zur InsO, § 26 Rz. 55d. 299 BGH v. 11.12.1997 – 4 StR 323/97, MDR 1998, 423 = NJW 1998, 767, 769; OLG Düsseldorf v. 31.3.1999 – 12 U 176/97, NZG 1999, 944, 945. 300 Für eine Einordnung des Verhaltens als positives Tun: Schulze-Osterloh in FS für Lutter, S. 707, 713; zum Betrug durch Unterlassen: Ehrlichmann in Breithaupt/Ottersbach, Gesellschaftsrecht, § 8 Rz. 148. 301 BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, MDR 1990, 425 = NJW 1990, 976. 302 Statt vieler: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1089; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 211 ff. 303 BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, MDR 2006, 940 = ZIP 2006, 317 Rz. 125 ff. 304 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96.
472 | Andres
X. Haftung wegen Betruges und Untreue | Rz. 146 § 5
Ein Schutzgesetz gem. § 823 Abs. 2 BGB ist auch der Treuebruchtatbestand des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB.305 Danach wird bestraft, wer die ihm obliegende Pflicht verletzt, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Ein Treueverhältnis besteht in erster Linie zur GmbH, wobei es Sache der Gesellschafter ist, die Grenzen festzulegen. Erfolgt ein Vermögensentzug im Einvernehmen mit oder gar auf Weisung von allen Gesellschaftern, liegt keine Untreue vor,306 soweit die Gesellschafter dispositionsbefugt sind. Ihre Dispositionsbefugnis wird jedoch durch die Kapitalerhaltungsgrundsätze307 und das Verbot eines existenzvernichtenden Eingriffs308 beschränkt. Damit ist ein schuldhafter Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot zugleich eine Untreue zu Lasten der Gesellschaft.
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Ein Treueverhältnis kann ausnahmsweise auch zu Dritten bestehen. Das kommt namentlich in den oben (Rz. 78 ff.) erörterten Fällen der Einräumung zweckgebundener Mittel in Betracht. Voraussetzung ist, dass die zweckentsprechende Verwendung wesentlicher Gegenstand des Vertrages ist, dem Geldgeber also in besonderem Maße daran gelegen ist.309 Das kann sowohl bei öffentlichen Subventionen der Fall sein als auch bei privaten Darlehensgewährungen, die für die Begleichung konkret bezeichneter Schulden erfolgen. Eine Zweckvereinbarung allein führt jedoch noch nicht zu einer Untreue. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass der Geschäftsleiter gerade die Vermögensinteressen des anderen zu betreuen hat.310 Das mag z.B. bei einer Vermögensverwaltung der Fall sein, nicht aber bei der Vereinbarung eines Verwendungszwecks, die die Gesellschaft nicht nur im Interesse des Geldgebers trifft, sondern mit der sie vorrangig eigene Ziele verfolgt. Eine Untreue i.S.v. § 266 StGB, die über § 823 Abs. 2 BGB einen Schadensersatzanspruch des Geldgebers eröffnet, liegt nur vor, wenn die Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. Treuebruchtatbestands bei § 266 StGB eine das Vertragsverhältnis zumindest mitbestimmende Hauptpflicht ist.311 In der Regel ist das nicht der Fall, insbesondere auch nicht bei Subventionen, wenn nicht ausnahmsweise über den Subventionszweck hinausgehende Vermögensinteressen des Subventionsgebers zu beachten sind.312 Anders verhält es sich, wenn von Dritten zur Verfügung gestellte Gelder als echtes313 Treugut behandelt wurden oder zumindest – wie bei einer Mietkaution (§ 551 Abs. 3 BGB) – hätten behandelt werden müssen. Für Subventionen enthält das StGB in § 264 StGB eine Spezialnorm, die entgegen der Überschrift „Subventionsbetrug“ nicht nur die Beschaffung, sondern in Abs. 1 Nr. 2 auch die Verwendung betrifft. Sie kann jedoch nicht mehr eingreifen, wenn die Subventionsgelder schon in den Geldkreislauf des Unternehmens geflossen sind.314 Vielmehr ist auf den Zeitpunkt der Überweisung des Subventionsgebers abzustellen.315
145
Für Sozialabgaben (Arbeitnehmeranteil)316 fehlt es an einer solchen Eigenschaft als Treugut ebenso wie für die Lohnsteuer,317 obwohl beides vom Lohn einbehalten wird. Das Gleiche gilt für ein Wert-
146
305 BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, MDR 2012, 1029 = ZIP 2012, 1552 Rz. 13; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, MDR 1999, 1145 = NJW 1999, 2817; dazu § 8 Rz. 251 ff. 306 BGH v. 11.9.2003 – 5 StR 524/02, wistra 2003, 457; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, MDR 1999, 1145 = NJW 1999, 2817, 2818. 307 BGH v. 30.6.1958 – II ZR 213/56, BGHZ 28, 77, 78. 308 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = ZIP 2001, 1874, 1875; BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200. 309 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = ZIP 2001, 1874, 1879 f. 310 Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 266 Rz. 23. 311 Fischer, StGB, § 266 Rz. 36. 312 BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200 „Bremer Vulkan“. Dort auch zu den strafrechtlichen Aspekten des existenzvernichtenden Eingriffs; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rz. 26. 313 Zu den Anforderungen: BGH v. 24.6.2003– IX ZR 75/01, MDR 2003, 1254 = ZIP 2003, 1613. 314 Im „Bremer Vulkan“-Urteil waren 585 Mio. DM in das Cash-Pool-System des Konzerns eingeflossen, BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200. 315 Fischer, StGB, § 264 Rz. 38. 316 BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05, MDR 2007, 738 = ZIP 2007, 541 Rz. 17; BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, MDR 2005, 1312 = ZIP 2005, 1243. 317 BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, MDR 2004, 775 = ZIP 2004, 513.
Andres | 473
§ 5 Rz. 146 | Geschäftsleiterberatung guthaben bei einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis.318 Auch stellen weder § 7d Abs. 1 SGB IV319 (Verpflichtung zur Vereinbarung einer Insolvenzsicherung von Wertguthaben) noch tarifvertragliche Bestimmungen Schutzgesetze320 i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Arbeitnehmers dar. Für § 7d Abs. 1 SGB IV stützt das BAG seine Auffassung allerdings nur darauf, dass auch der Arbeitnehmer an Schutzmaßnahmen mitwirken muss, ein Umstand, der sich de lege lata schnell ändern könnte. Die Schutzlosigkeit des Arbeitnehmers scheint dem BAG auch nicht so recht zu behagen. Jedenfalls hat der 6. Senat, von dem ein Großteil der Entscheidungen stammen, ausgeführt, dass ein Geschäftsleiter nach § 311 Abs. 3 BGB wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens oder wegen Betruges haftet, wenn er bei den Arbeitnehmern den Eindruck erweckt hat, er hätte Maßnahmen zur Absicherung des Insolvenzrisikos getroffen.321 Ein Unbehagen des Gerichts drücken die Leitsätze insofern aus, als der Senat im konkreten Fall das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen ablehnte, und es ihm wohl eher um den Hinweis ging, künftig in den Tatsacheninstanzen dazu konkret vorzutragen. Das BAG scheint geneigt zu sein, eine als solche empfundene Haftungslücke durch c.i.c. bzw. durch eine deliktische Haftung wegen Betrugs zu schließen. 147
Eine besondere Fallgruppe der Zweckbindung stellen die Baugelder gem. § 1 des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen (GSB) dar. Das sind „Geldbeträge, die zum Zweck der Bestreitung der Kosten eines Baues in der Weise gewährt werden, dass zur Sicherung der Ansprüche des Geldgebers eine Hypothek oder Grundschuld an dem zu bebauenden Grundstück dient322 oder die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück erst nach gänzlicher oder teilweiser Herstellung des Baus erfolgen soll“, § 1 Abs. 3 GSB. Werden die Mittel, wie es in der Krise beim „Löcher stopfen“ leicht passieren kann, nicht zur Befriedigung „solcher Personen, die an der Herstellung des Baues aufgrund eines Werk-, Dienstoder Lieferungsvertrages beteiligt sind“ (§ 1 Abs. 1 GSB), verwendet, ist das strafbar, § 5 GSB. Wegen dieser Sanktion wird § 1 Abs. 1 GSB als Schutzgesetz angesehen, und zwar zugunsten der Baubeteiligten,323 obwohl die Zweckbindung nicht mit ihnen, sondern mit dem Kreditgeber vereinbart wurde. Zum Nachweis der Verwendung muss ein Baubuch geführt werden. Eine diesbezügliche Unterlassung ist ebenfalls strafbar, § 6 GSB. Zivilrechtliche Konsequenz ist, dass die Darlegungs- und Beweislast beim Geschäftsleiter für die ordnungsgemäße Verwendung der Baugelder liegt.324 Allerdings müssen die Beträge nicht gleichmäßig verteilt werden. Die einseitige Begünstigung eines Baubeteiligten begründet keine Haftung, solange das Geld überhaupt für Baubeteiligte verwendet wurde.
XI. Haftung für Sozialabgaben 1. Strafrechtliche Haftung 148
Die Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist gem. §§ 266a, 14 Abs. 1 StGB strafbar (s. § 8 Rz. 32 ff., 257 ff.). Der Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn keine Löhne oder Gehälter gezahlt werden.325 Anders als für die Lohnsteuer ist nicht der Zufluss (§ 11 EStG) maßgebend, sondern ausreichend, dass der Arbeitnehmer beschäftigt wurde. 318 BAG v. 16.8.2005 – 9 AZR 470/04, ZIP 2006, 344 mit Bspr. von Baldringer, ZInsO 2006, 690 ff.; BAG v. 21.11.2006 – 9 AZR 206/06, ZIP 2007, 692. 319 BAG v. 12.4.2011 – 9 AZR 229/10, DB 2011, 2538 Rz. 52; BAG v. 13.2.2007 – IX AZR 106/06; DB 2007, 1690. 320 BAG v. 21.11.2006 – IX AZR 206/06, ZIP 2007, 692. 321 BAG v. 13.2.2007 – IX AZR 106/06, DB 2007, 1690. 322 Später beabsichtigte Eintragung der Grundschuld reicht: OLG Dresden v. 13.9.2001 –19 U 346/01, BauR 2002, 486. 323 BGH v. 24.11.1981 – VI ZR 47/80, MDR 1982, 478 = BauR 1982, 193. 324 BGH v. 21.3.1994 – II ZR 260/92, ZIP 1994, 872; OLG Celle v. 29.11.2001 – 13 U 138/01, OLGR 2002, 95. 325 So schon bis zur Neufassung die Rechtsprechung: BGH v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, MDR 2000, 953 = DB 2000, 1703, 1704 f. (sog. Lohnpflichttheorie): Gross/Schork, NZI 2004, 358 f.
474 | Andres
XI. Haftung für Sozialabgaben | Rz. 151b § 5
Eine Strafbarkeit entfällt bei tatsächlicher Unmöglichkeit, wenn die Mittel zur Erfüllung der Verpflichtung gänzlich fehlen326 oder der Geschäftsleiter über sie wegen einer vom Insolvenzgericht angeordneten Verfügungsbeschränkung nicht mehr disponieren darf327 (zu dieser Problematik vgl. ausführlich § 8 Rz. 41 ff.). Allerdings kommt es für die tatsächliche Unmöglichkeit nach der Rechtsprechung nicht nur auf den Zeitpunkt der Fälligkeit an. Eine Strafbarkeit soll laut BGH auch eingreifen, wenn bei einer sich abzeichnenden Liquiditätskrise nicht schon früher Vorsorge getroffen wurde, damit die Abgaben bei Fälligkeit bezahlt werden können.
149
Soweit es das Verhältnis zur Massesicherungspflicht des § 64 S. 1 GmbHG betrifft, hält der 5. Strafsenat328 die Zahlungspflicht hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung wegen der Strafbewehrung für vorrangig. Daran ändere auch eine etwaige insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit nichts; denn strafbar mache sich auch derjenige, der während der Insolvenzverschleppung die Arbeitnehmeranteile nicht abführe, obwohl die Einzugsstelle die Zahlungsunfähigkeit kenne und deshalb die vereinnahmten Gelder nach Verfahrenseröffnung im Wege der Insolvenzanfechtung wieder auskehren müsse. Anders sei es nur während der Drei-Wochen-Frist des § 15a InsO; denn die Zulässigkeit der mit der geschäftsmännischen Sorgfalt übereinstimmenden Zahlungen habe den Zweck, aussichtsreiche Sanierungsversuche zu privilegieren. Sie dürften aber nur innerhalb der maximal drei Wochen unternommen werden. Danach entfalle das Sorgfaltsprivileg. Im Umkehrschluss folgert der Strafsenat daraus, dass das Verbot der nicht für die Sanierung erforderlichen Zahlungen in diesen drei Wochen Vorrang habe. Während dieser Zeit sei die strafbewehrte Abführungspflicht für die Arbeitnehmeranteile unterbrochen. Anschließend sei dieser Verpflichtung wegen der Strafbewehrung jedoch wieder der Vorrang einzuräumen.329
150
Der 5. Strafsenat geht mit dieser Entscheidung seinen eigenen Weg bei der Interpretation der §§ 15a InsO, 64 GmbHG. Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass die beiden Vorschriften nach Auffassung des II. Zivilsenats selbständige Haftungstatbestände darstellen. Die Drei-Wochen-Frist ist nur in § 15a InsO zu lesen, während das Zahlungsverbot bereits mit Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes beginnt und über die Antragsfrist hinaus gilt. Stattdessen führt der Strafsenat aus:
151
„Die aus § 64 Abs. 2 GmbHG hergeleitete Rechtfertigung knüpft nämlich nicht an die Insolvenzreife des Unternehmens an sich an, sondern privilegiert lediglich die noch aussichtsreichen Sanierungsversuche nach Eintritt der Krise“.330
151a
Mit dem Wortlaut der Vorschrift stimmt das nicht überein. Er knüpft eindeutig an die Insolvenzreife an, nicht aber an Sanierungsbemühungen. Das wird bei einer aussichtslosen Sanierung deutlich: Auch wenn die Geschäftsleiter nur noch einen Insolvenzantrag – bspw. mit einem gleichzeitig eingereichten Insolvenzplan – vorbereiten wollen, sind masseerhaltende Zahlungen zulässig wie umgekehrt alle anderen Verfügungen untersagt. Dieses Verbot ist keineswegs auf drei Wochen begrenzt, sondern dauert über einen tatsächlich gestellten Insolvenzantrag hinaus fort, falls das Gericht nicht ohnehin Sicherungsmaßnahmen angeordnet hat.
151b
326 BGH v. 11.8.2011 – 1 StR 295/11, NJW 2011, 1098; BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05, MDR 2007, 738 = ZIP 2007, 541. 327 Zur Beweislastverteilung BGH v. 11.12.2001 – VI ZR 350/00, MDR 2002, 515 = ZIP 2002, 524, 526. 328 BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678; BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; a.A. statt vieler: Gross/Schenk, NZI 2004, 358, 360. 329 Ähnlich Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 392. 330 BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213 ff., Beschlussgründe II 1 a cc; s. dazu Rönnau, NJW 2004, 976 ff.
Andres | 475
§ 5 Rz. 152 | Geschäftsleiterberatung
2. Zivilrechtliche Haftung 152
Nach Auffassung des für das Haftungsrecht zuständigen VI. Zivilsenats331 trifft den Geschäftsleiter eine Haftung selbst dann, wenn er mit der Abführung gegen das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG verstoßen würde. Sie sei nicht wegen rechtlicher Unmöglichkeit ausgeschlossen, weil die strafrechtlich sanktionierte Abführungspflicht gegenüber dem gesellschaftsrechtlichen Masseerhaltungsgebot vorrangig sei. Etwas anderes gelte nur, soweit eine Zahlung im Wege der insolvenzrechtlichen Anfechtung wieder zurückgeholt werden könne.332
153
Demgegenüber hatte der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat vormals in eigentlich gefestigter Rechtsprechung entschieden, ein deliktisches Verschulden „müsse“ verneint werden, wenn eine Zahlung gegen § 64 S. 1 GmbHG verstoße.333 Nach Eintritt eines Insolvenzgrundes entspreche die Zahlung von Arbeitnehmeranteilen nicht mehr der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes i.S.d. § 64 S. 2 GmbHG, so dass der Geschäftsleiter erstattungspflichtig sei. § 266a StGB begründet keinen Vorrang zugunsten der Sozialkasse.334 Wertungsparallel räumt der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat den Sozialabgaben keine Sonderstellung bei der Insolvenzanfechtung ein.335
154
Der Gesellschaftsrechtssenat hat seine Auffassung jedoch im Jahre 2007 aufgeben.336 Er begründet das ausdrücklich nur mit der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des 5. Strafsenats. Zwar würden, wie der Vorsitzende des Gesellschaftsrechtssenats in einer Anmerkung ergänzt, nach wie vor „gute zivilrechtliche Gründe für seine Gesetzesinterpretation“ sprechen. Der Senat sei nur mit Rücksicht auf die durch eine Strafandrohung stark belasteten Organmitglieder umgeschwenkt.337
155
Das vom GVG vorgesehene Prozedere hätte hingegen darin bestanden, an der besseren Rechtserkenntnis festzuhalten und den Vereinigten Großen Senat anzurufen, § 132 Abs. 3 GVG. Offenbar befürchtete man aber, dass die Mehrheit seiner Mitglieder wegen der dahingehenden Entscheidungspraxis nicht nur des 5. Strafsenats, sondern auch des VI. Zivilsenats den Schutz der Sozialversicherungsträger in den Vordergrund stellen würde.
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Die Konsequenz lautete, dass Sozialabgaben gezahlt werden dürfen (nicht nur die laufenden, sondern auch die rückständigen),338 ohne eine Haftung nach den früheren §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. nunmehr nach § 15b InsO auszulösen – allerdings nur die Arbeitnehmeranteile. Für die Arbeitgeberanteile gilt das nicht, weil sie von § 266a StGB nicht erfasst werden.339 Im Rahmen der Novellierung der InsO zum 1.1.2021 durch das SanInsFoG hat die bestehende Pflichtenkollision Einzug in die Gesetzesbegründung erfahren, ist jedoch letztlich nicht im Gesetzt verankert worden. Der 331 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 327/95, ZIP 1996, 1989, 1990; derselbe Konflikt stellt sich beim Subventionsbetrug in Form der zweckwidrigen Verwendung, § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB. In Konsequenz der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats müsste der Geschäftsführer verpflichtet sein, eine wegen der Krise nicht mehr zweckentsprechend einzusetzende Subvention zurückzuzahlen. Das ist jedoch trotz der vergleichbaren Problematik in der Praxis bisher zu Recht nicht relevant geworden. 332 BGH v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, MDR 2001, 453 = ZIP 2001, 80, 82; BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, MDR 2002, 418 = DStR 2002, 366, 367 = ZIP 2001, 2235; BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, MDR 2005, 1167 = ZIP 2005, 1026; a.A.: OLG Stuttgart v. 11.11.2003 – 12 U 125/03, ZIP 2004, 129. 333 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235, 238. 334 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, MDR 2005, 1167 = ZIP 2005, 1026; Pfälz. OLG v. 8.6.2005 – 8 U 159/ 04, OLGR 2005, 799. 335 BGH v. 8.12.2005 – IX ZR 182/01, MDR 2006, 953 = ZIP 2006, 290; BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 35/05, MDR 2006, 592 = ZIP 2005, 2217. 336 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZIP 2007, 1265; bestätigt u.a. durch BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, MDR 2011, 451 = ZIP 2011, 422 Rz. 17. 337 Goette, DStR 2007, 1176, 1177. 338 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, MDR 2011, 451 = ZIP 2011, 422 Rz. 18. 339 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, MDR 2011, 451 = ZIP 2011, 422 Rz. 19; BGH v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, MDR 2009, 1054 = ZIP 2009, 1468 Rz. 6 f.
476 | Andres
XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung | Rz. 162 § 5
Gesetzgeber hat nur die steuerlichen Pflichtenkollisionen in § 15b Abs. 8 InsO geregelt. Inwieweit eine analoge Anwendung der Norm auf Sozialabgaben zulässig ist, war noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung. Eine gesetzgeberische Klarstellung ist dringend geboten. Bis dahin wird hier vertreten, dass mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung keine andere Behandlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung als bisher zur Strafbarkeitsvermeidung geboten ist. Durch die Rechtsprechung des Gesellschaftsrechtssenats gibt es eine weitere in der Praxis wichtige Fallgruppe, bei der Geschäftsleiterhaftung und Insolvenzanfechtung voneinander abweichen, obwohl beide denselben Zweck verfolgen. Vorsorglich sollten die Sozialversicherungsträger vor der Zahlung über den eingetretenen Insolvenzgrund informiert werden. Wegen der Kenntnis ist die Anfechtung relativ leicht durchsetzbar, so dass sich für den Geschäftsleiter die Gefahr reduziert, für den Massekostenvorschuss eines Gläubigers gem. § 26 Abs. 3 InsO zu haften oder gem. § 26 Abs. 4 InsO auf Zahlung eines Vorschusses in Anspruch genommen zu werden. Außerdem reduziert die Anfechtung seine etwaige Haftung wegen eines Quotenschadens.
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Stehen erst im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr genügend Mittel zur Verfügung, hindert das die zivilrechtliche Haftung genau so wenig wie die strafrechtliche, soweit die GmbH noch am Ende des Bemessungszeitraumes leistungsfähig war. Dann muss der Geschäftsleiter durch eine realistische Liquiditätsplanung Vorsorge treffen und darf sich durch die Befriedigung anderer Gläubiger nicht selbst in die Situation der Unmöglichkeit versetzen.340
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Soweit Zahlungen getätigt werden, sollten die Arbeitnehmeranteile ausdrücklich als Verwendungszweck angegeben werden. Sonst werden sie gem. § 4 BVV hälftig auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile verrechnet.341 Für die unterlassene Zahlung der Arbeitgeberanteile besteht keine Haftung, sofern der Geschäftsleiter rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt hat342 (Rz. 49 ff.).
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Fraglich ist, ob bei einem Geschäftsleiterwechsel der neue Geschäftsleiter haftungsrechtlich für die bei Amtsbeginn schon fällig gewesenen Arbeitnehmeranteile verantwortlich ist. Das wurde abgelehnt für den Fall, dass der Nachfolger über keine Mittel verfügt, aus denen er die Rückstände begleichen kann.343 Anders wird man nach der Auffassung des VI. Zivilsenats wohl entscheiden müssen, wenn er Mittel hat, die er dann vorrangig zur Bedienung der Arbeitnehmeranteile einsetzen muss.344
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Häufig bitten Geschäftsleiter die Einzugsstelle unter Hinweis auf einen vorübergehenden Liquiditätsengpass, von Zwangsmaßnahmen abzusehen. Dieses Stillhalten werten sie dann als Stundung. Die Stundung bedarf allerdings einer ausdrücklichen Bewilligung gem. § 76 Abs. 2 SGB IV. Erfolgt diese nicht, liegt tatsächlich keine Stundung vor. Der objektive Tatbestand des § 266a StGB ist weiterhin erfüllt. Ein Verbotsirrtum wird dem Geschäftsleiter kaum zugebilligt werden können.
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XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung Nach § 826 BGB muss der vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zugefügte Schaden ersetzt werden. Die Schwierigkeit mit Geschäften ab Eintritt des Insolvenzgrundes besteht 340 BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, MDR 2001, 520 = ZIP 2001, 422, 424; BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, MDR 2007, 338 = ZIP 2006, 2127. 341 BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 119/00, MDR 2001, 519 = GmbHR 2001, 238, 239 m.w.N.; eine konkludente Tilgungsbestimmung reicht nur aus, wenn sie nach außen greifbar in Erscheinung tritt: BGH v. 26.6.2001 – VI ZR 111/00, MDR 2001, 1166 = ZIP 2001, 1474 = GmbHR 2001, 721, 723. 342 Zusammenfassend mit Nachw. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 100; vgl. auch Bauer, ZInsO 2004, 645, 646; Groß, ZIP 2001, 945, 948. 343 BGH v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, MDR 2002, 453 = ZIP 2002, 261 = GmbHR 2002, 208, 209 f. 344 So BFH v. 6.9.2004 – VII B 179/04, BFH/NV 2005, 227.
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§ 5 Rz. 162 | Geschäftsleiterberatung darin, dass bedingter Vorsatz, also die billigende Inkaufnahme des Schadens, genügt.345 Zwar reicht allein das Wissen um die Möglichkeit des Schadenseintritts (bewusste Fahrlässigkeit) nicht aus. Die Grenze zwischen dem bloßen Wissen und dem zusätzlichen Inkaufnehmen ist jedoch schwer zu ziehen. Wenn erst einmal der Insolvenzgrund eingetreten ist, scheitern die Sanierungen häufiger, als dass sie gelingen. Vor dieser Konsequenz kann keiner die Augen verschließen. Er muss sie also notgedrungen in Kauf nehmen. Die entscheidende Frage lautet, ob der Geschäftsleiter das auch „billigend“ tut. Solange er in Anwendung kaufmännischer Sorgfalt noch mit einem Sanierungserfolg rechnen durfte, scheidet eine Haftung wegen § 826 BGB aus.346 In der Herstatt-Entscheidung hatte der BGH sie mit folgender Begründung verneint: „Ein Verhalten, das nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG347 für einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter erlaubt oder sogar geboten ist, kann nicht gleichzeitig gegen die guten Sitten verstoßen“.348 In dieser dem heutigen § 15a InsO entsprechenden Vorschrift sieht der BGH ein Privileg für Sanierungsmaßnahmen. Erst wenn, so der BGH in der Herstatt-Entscheidung, ernste Zweifel an dem Gelingen eines Sanierungsversuchs bestehen, kann der Vorwurf sittenwidrigen Handelns erhoben werden, falls dies zugleich auf eigensüchtigen Beweggründen beruht.349 Nach Ablauf der Sanierungsfrist entfällt aber jede Rechtfertigung, zumal „jede Sekunde“ ein Antrag gestellt werden muss, also gar keine Zeit mehr für die Erfüllung eines Kreditgeschäftes bleibt. 163
Gesetzliche Gläubiger sind vom Schutzbereich des § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB nicht erfasst (s.o. Rz. 49 ff.). Die Lücke könnte durch eine Anwendung vom § 826 BGB geschlossen werden.350 Hierbei darf aber nicht übersehen werden, dass sich die Folgen einer Insolvenzverschleppung speziell aus § 15a InsO i.V.m. 823 Abs. 2 BGB ergeben. Falls keine über die Tatsache des unterlassenen Insolvenzantrages hinausgehenden Umstände vorliegen, darf nicht auf den Auffangtatbestand des § 826 BGB zurückgegriffen werden.351 § 826 BGB ist deshalb vor allem von Bedeutung für die Haftung von Personen, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 15a InsO fallen, so z.B. für Teilnehmer an einer Insolvenzverschleppung352 oder grds. für Gesellschafter.353 Eine auf § 826 BGB gestützte Haftung des Geschäftsleiters gegenüber der Bundesagentur für Arbeit ist abzulehnen,354 weil auch bei einem früheren Insolvenzantrag – wenngleich für einen anderen Zeitraum – Insolvenzgeld hätte gezahlt werden müssen, es sei denn, die Bundesagentur würde darlegen, dass z.B. bei Saisonkräften die Arbeitsverhältnisse schneller hätten beendet werden können355 oder bei einem anderen Bemessungszeitraum beispielsweise das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld nicht durch das Insolvenzgeld hätte abgedeckt werden müssen.
345 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, MDR 1990, 136 = ZIP 1989, 1341 = ZIP 1991, 1610 = NJW 1989, 3277, 3279; BGH v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, MDR 1992, 564 = ZIP 1992, 694 = ZIP 1992, 694 A; OLG Frankfurt v. 26.2.1999 – 24 U 112/97, NZG 1999, 947, 948. 346 BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, MDR 2008, 386 = ZIP 2008, 361. 347 Die Antragspflicht ist rechtsformübergreifend in § 15a InsO geregelt. 348 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 114. 349 Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 296 m.w.N. 350 Vgl. BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, MDR 1990, 136 = ZIP 1989, 1341 = ZIP 1991, 1610 = NJW 1989, 3277 zur Haftung für Insolvenzgeld. Da das Urteil vor der Rechtsprechungsänderung zum Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. ergangen ist, sind die Gründe nicht mehr ohne weiteres auf die heutige Situation übertragbar, wenngleich dem Ergebnis nach wie vor zuzustimmen ist. 351 So zutreffend ArbG Offenbach v. 18.10.2001 – 1 Ca 387/00, ZIP 2002, 997; a.A. Saarl. OLG v. 21.11.2006 – 4 U 49/06-16, ZIP 2007, 328. 352 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. 353 BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138. 354 Sehmülling, ZIP 2007, 1095. 355 BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, MDR 2008, 386 = ZIP 2008, 361; ebenso schon Saarl. OLG v. 21.11.2006 – 4 U 49/06-16, ZIP 2007, 328.
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XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung | Rz. 166 § 5
XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung Mit der „Bremer Vulkan“-Entscheidung vom 17.9.2001356 hat der BGH erstmalig eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs angenommen und die Anspruchsvoraussetzungen in weiteren Urteilen präzisiert.357 Relevant wurde die Haftung bisher kaum.358 Kennzeichnend für die Existenzvernichtungshaftung war, dass es sich – wie schon bei der Haftung nach den überholten Grundsätzen des qualifiziert faktischen Konzerns – um eine unmittelbare Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber dem Gläubiger handelte. Mit Urteil vom 16.7.2007 hat der Gesellschaftsrechtssenat das Konzept einer eigenständigen Haftungsfigur wieder aufgegeben und die Haftung für eine missbräuchliche Schädigung des Gesellschaftsvermögens allein an § 826 BGB angeknüpft und als reine Innenhaftung ausgestaltet.359 Sie steht in Anspruchskonkurrenz zur Haftung nach §§ 30 f. GmbHG und soll die Vermögensnachteile kompensieren, die von diesen beiden Vorschriften nicht genügend erfasst werden („Kollateralschaden“). Voraussetzung ist ein gezielter, betriebsfremden Zwecken dienender Entzug von Vermögenswerten, die die GmbH zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten benötigt, wobei die Konstellationen dieselben sind, die die Rechtsprechung bisher unter einer denkbaren Existenzvernichtungshaftung subsumierte. Deshalb behält der BGH den Terminus auch bei, aber eben nicht mehr als eigenständige Haftungsfigur, sondern als Fallgruppe des § 826 BGB. Für den subjektiven Tatbestand reicht dolus eventualis.
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Der Begriff der Existenzvernichtungshaftung steht für eine Verhaltenshaftung der Gesellschafter, wenn durch offene oder verdeckte Entnahmen die Schuldendeckungsfähigkeit der GmbH erheblich beeinträchtigt wurde. Die verdeckten Entnahmen können bspw. die Abwerbung von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen, interessanten Kundenverbindungen oder die Ausnutzung von Know-how der Gesellschaft sein.360 All das sind Maßnahmen, die nicht unbedingt einer Mitwirkung des Geschäftsleiters bedürfen.361 In der Regel ist er an dem Vorgang jedoch beteiligt. Das gilt für die meisten bilanzneutralen (verdeckten) Entnahmen wie beispielsweise die Übertragung von lukrativen Verträgen auf die Gesellschafter, insbesondere aber für die offenen Entnahmen; denn die dafür erforderlichen Vermögensverfügungen können nur durch das Vertretungsorgan vorgenommen werden. Fast jede Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter geht also mit einer Geschäftsleiterhaftung einher; denn dass er die Gesellschaft ebenfalls nicht vernichten darf, liegt auf der Hand.
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Für den Geschäftsleiter löst ein existenzvernichtender Eingriff in der Regel neben der Haftung des § 43 Abs. 3 GmbHG insbesondere die Insolvenzverschleppungshaftung aus.362 Der Eingriff erfolgt – sonst wäre er kaum existenzvernichtend – zumindest an der Schwelle des Insolvenzgrundes. In der Regel wird der existenzvernichtende Eingriff die rechtliche Lebensfähigkeit der Gesellschaft sofort beenden, falls ein Insolvenzgrund nicht ohnehin schon längst vorliegt. Nicht umsonst ist die Haftung höchstrichterlich vor allem relevant geworden in einem Fall, in dem die Gesellschafter der GmbH während eines kurzen Zeitraumes das gesamte Vermögen entzogen hatten, so dass ein Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt werden musste. Die Beendigung der Gesellschaft habe, so der BGH, „in ei-
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356 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = NJW 2001, 3622 = ZIP 2001, 1874. 357 Insbesondere BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = ZIP 2002, 848; Überblick bei Bork, KTS 2006, 39. 358 „KBV“-Urteil, BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578. 359 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = DB 2007, 1802; u.a. bestätigt durch BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, MDR 2013, 1004 = ZIP 2013, 894 Rz. 20; BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, MDR 2012, 1173 = ZIP 2012, 1804; BGH v. 14.3.2012 – VIII ZR 113/11, ZIP 2012, 1718 Rz. 14; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 104/07, MDR 2008, 982 = ZIP 2008, 1329 Rz. 5. 360 Vgl. den – allerdings unter § 826 BGB subsumierten – Sachverhalt bei BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/ 02, ZIP 2004, 2138 sowie die Beispiele bei Röhricht in FS 50 Jahre BGH, S. 83, 93 f. 361 Wobei höchst fraglich ist, ob es für eine solche Schädigung der Existenzvernichtungshaftung bedarf. Zu Recht wird in der Literatur auf die Treuepflicht hingewiesen, Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 410. 362 Nassall, ZIP 2003, 969 ff.
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§ 5 Rz. 166 | Geschäftsleiterberatung nem geordneten Verfahren zu erfolgen, in dem die Vermögenswerte der Gesellschaft zunächst zur Befriedigung ihrer Gläubiger zu verwenden sind“.363 Die „kalte Liquidation“,364 also die Auskehrung des Vermögens einer nicht mehr überlebensfähigen GmbH an die Gesellschafter zum Nachteil der Gläubiger, bleibt der typische Anwendungsbereich der Existenzvernichtungshaftung auch nach ihrer Einordnung in § 826 BGB. Im Zeitpunkt des Vermögensentzuges wird regelmäßig feststehen, dass die fälligen und/oder die künftig fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen werden können. Das eine ist die Zahlungsunfähigkeit, das andere die Überschuldung. In dieser Situation haftet der Geschäftsleiter gem. § 64 S. 1 GmbHG auf den Ausgleich des Verfügungsnachteils und nach § 15a InsO auf den Ausgleich eines darüber hinausgehenden Quotenschadens. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Insolvenzgrund erst eine „juristische Sekunde“ nach der Vermögensverfügung eintrete und sogar erst nach einer zweiten „juristischen Sekunde“ die Insolvenzantragspflicht beginne. Der durch § 64 S. 1 GmbH und § 15b InsO bezweckte Schutz der insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze erfasst auch den Fall, dass durch eine Maßnahme der Insolvenzgrund herbeigeführt wird; denn dem Vermögensentzug geht eine Vereinbarung mit den Gesellschaftern voraus, sei es in Form eines Vertrages, sei es in Form einer Verteilungsabrede. Ab diesem Zeitpunkt weiß der Geschäftsleiter, dass die Gesellschaft nicht mehr fortführungsfähig ist. Er muss also unverzüglich einen Inolvenzantrag stellen und darf nicht unter Verstoß gegen den insolvenzrechtlichen Verteilungsmodus durch den Vollzug der Vereinbarung zunächst vollendete Tatsachen schaffen und erst dann zum Insolvenzgericht gehen. Die Anknüpfung der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters nach der neuen Rechtsprechung allein an § 826 BGB bedeutet für den Geschäftsleiter, auf den § 826 BGB neben § 15a InsO anwendbar ist, nur einen u.U. späteren Verjährungseintritt. Zwar beträgt die BGB-Frist drei Jahre, § 195 BGB. Sie beginnt aber erst nach Kenntnis des Anspruchsinhabers, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, während die fünf Jahre der §§ 64 S. 4, 43 Abs. 4 GmbHG unabhängig von der Kenntnis laufen. 167
Deutlicher kommt die Haftung in § 64 S. 3 GmbHG bzw. § 15b Abs. 5 InsO zum Ausdruck. Danach haftet der Geschäftsleiter für Zahlungen an Gesellschafter, die die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen mussten. Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Ergänzung überflüssig, soweit der Insolvenzgrund mit der Vermögensverlagerung auf die Gesellschafter eintritt. Nur in den Fällen, in denen ein Insolvenzgrund erst mit Verzögerung auftritt, und das auch noch die nahezu zwingende Konsequenz („herbeiführen musste“) der Vermögensverlagerung ist, kommt der Ergänzung in den Existenzvernichtungsfällen eine eigenständige Bedeutung zu. Das wird in der Praxis sehr selten sein. Deshalb liegt die Bedeutung des Satzes 3 bzw. Abs. 5 auch eher bei der Tilgung von (nicht eingeforderten) Gesellschafterdarlehen, die nicht mehr der Eigenkapitalersatzbindung unterliegen.
XIV. Steuerrechtliche Haftung gem. § 69 AO 168
Der Geschäftsleiter haftet gem. §§ 69, 34 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) – infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung – nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt – oder erfüllt werden – bzw. Steuervergütungen oder -erstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
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Nach § 34 AO hat der Geschäftsleiter als Vermögensverwalter sämtliche Pflichten der GmbH zu erfüllen. Insbesondere die Steuererklärungs- und die Steuerentrichtungspflichten gehören dazu, § 34 Abs. 1 Satz 2 AO. Allerdings wird der Geschäftsleiter dadurch nicht zum Steuerschuldner. Soweit der Gesell363 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578, 1580. 364 Röhricht, RWS-Forum 25, Gesellschaftsrecht 2003, 1, 3.
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XIV. Steuerrechtliche Haftung gem. § 69 AO | Rz. 172 § 5
schaft die Entrichtung der Steuern nicht möglich ist, weil ihr die Mittel fehlen365 oder sie wegen der Insolvenz darüber nicht mehr verfügen darf,366 trifft den Geschäftsleiter keine Ausfallhaftung. Dasselbe gilt für die Steuererklärungspflicht, soweit zu ihrer Erfüllung die Hilfe Dritter erforderlich ist, die die Gesellschaft bei rechtzeitiger Auftragserteilung nicht mehr zu vergüten in der Lage war. Anders ist es bei einfachen Sachverhalten, deren Erledigung von einem ordentlichen Geschäftsleiter ohne Hilfe Dritter verlangt werden kann.367
1. Grundsatz der anteiligen Tilgung a) Bedeutung Die besondere Haftungsgefahr liegt darin, dass die Gesellschaft finanziell nur selten gänzlich außerstande ist, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Bis dahin gilt nach vorherrschender Ansicht der Grundsatz der anteiligen Tilgung.368 Der Anteil richtet sich nach dem Verhältnis der tatsächlich verwendeten Zahlungsmittel – also nicht des gesamten verwendbaren Mittelbestandes – zu den fälligen Gesamtverbindlichkeiten. Es gibt keine „Meistbegünstigungsklausel“ dahin gehend, dass der Geschäftsleiter die Steuerschulden in derselben Höhe zu erfüllen hat, in der er andere Gläubiger befriedigt. Belaufen sich beispielsweise die Verbindlichkeiten auf 10 Mio. Euro und wurden Zahlungen von 0,5 Mio. Euro geleistet, kann der Fiskus nach diesem Grundsatz ebenfalls 5 % beanspruchen.369 Dabei muss die Liquidität nicht aus dem eigenen Vermögen der GmbH stammen. Vielmehr reicht es aus, dass sie von Dritten – z.B. Bank, Gesellschafter – zur Verfügung gestellt wird.370
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Der Grundsatz der anteiligen Tilgung stammt aus der Zeit der Konkursordnung, als die Zahlungsunfähigkeit erst eintrat, wenn die ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Wesentlichen nicht mehr bedient werden konnten.371 Damit bildete nicht schon jede Unterdeckung einen Insolvenzgrund. Demgegenüber verzichtet § 17 InsO auf das Merkmal der Wesentlichkeit. Vielmehr reicht jenseits einer Bagatellgrenze von 10 % jede Unterdeckung aus (s. § 1 Rz. 82 ff.). Damit sind die Voraussetzungen, unter denen das Gebot der anteiligen Tilgung eingreift, meist identisch mit denen der Zahlungsunfähigkeit, es sei denn, dass es sich um einen vorübergehenden Liquiditätsengpass in Form der Zahlungsstockung handelt. Solange das der Fall ist, wird die Haftung aber ohnehin nicht relevant; denn die Steuern können nach Beseitigung des Liquiditätsengpasses bezahlt werden.
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b) Kollision mit § 64 S. 1 GmbHG/§ 15b Abs. 8 InsO Im Regelfall kollidiert der Grundsatz der anteiligen Tilgung also stets mit dem Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 15b InsO. Der Gesetzgeber hat ab dem 1.1.2021 der Massesicherung im Zeitraum des § 15a InsO den Vorrang vor der Abführung von Steuern eingeräumt, vgl. § 15b Abs. 8 InsO. Nach Auffassung des BFH hatte der objektive Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 AO Vorrang. Die Pflichtenkollision könne allenfalls beim Verschulden berücksichtigt werden,372 das der BFH aber nur während der drei Wochen des § 15a InsO ab Kenntnis des Insolvenzgrundes zu verneinen bereit
365 BFH v. 16.9.1987 – X R 3/81, GmbHR 1988, 278. 366 BFH v. 19.2.1010 – VII B 190/09, ZIP 2010, 1900 Rz. 11; BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122 Rz. 26; BFH v. 17.11.1992 – VII R 13/92, GmbHR 1993, 681. 367 BFH v. 12.5.1992 – VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785, 786. 368 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06, GmbHR 2008, 386 Rz. 31; BFH v. 28.6.2006 – VII B 267/05, GmbHR 2006, 1062. 369 BFH v. 12.6.1986 – VII R 192/83, GmbHR 1987, 283, 284; BFH v. 16.9.1987 – X R 3/81, GmbHR 1988, 278, 279; BFH v. 14.7.1987 – VII R 188/82, GmbHR 1987, 445, 446. 370 BFH v. 28.6.2006 – VII B 267/05, GmbHR 2006, 1062. 371 K. Schmidt, InsO, § 102 Rz. 1 ff. 372 BFH v. 20.4.1993 – VII R 67/92, NV 1994, 142, 144.
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§ 5 Rz. 172 | Geschäftsleiterberatung ist,373 wobei dann allerdings wieder zu prüfen ist, ob der Geschäftsleiter schon vorsorgend hätte tätig werden müssen374 (s.u. zur Vorsorge bei tatsächlicher Unmöglichkeit). Umgekehrt ließ der II. Zivilsenat des BGH bis zu einer Änderung seiner Rechtsprechung im Mai 2007 die gesellschaftsrechtliche Haftung ebenfalls nicht entfallen. Selbst die Sorgfaltsausnahme des § 64 Satz 2 GmbHG sollte nicht eingreifen, wenn die Zahlung erforderlich sei, um sich einer persönlichen Haftung zu entziehen375 (Rz. 86). 173
Damit befand sich der Geschäftsleiter in einem ähnlichen Dilemma wie bei den Sozialabgaben (Rz. 86). Haas u.a.376 wollen den Vorrang ähnlich der Auffassung des 5. Strafsenats zu den Sozialabgaben auf die Zeit bis zum Ablauf der Insolvenzantragsfrist beschränken; denn anschließend hätte sich der Geschäftsleiter durch eigenes pflichtwidriges Verhalten in den zwischen § 69 Satz 1 AO und § 64 S. 1 GmbHG bestehenden Zielkonflikt gebracht, so dass die steuerliche Haftung gerechtfertigt sei. Dem ist nicht zu folgen. Die angebotene Begründung ist eine petitio principii, besagt sie doch nur, dass der Geschäftsleiter rechtswidrig weiterhin sowohl gegen gesellschafts- als auch steuerrechtliche Vorschriften verstößt. Für das Verhältnis der beiden Haftungstatbestände folgt daraus nichts. Vor wie nach der Insolvenzverschleppung gilt § 15a InsO.
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In dem oben (Rz. 86) für die Sozialabgaben erwähnten Urteil hat der Gesellschaftsrechtssenat des BGH seine bis dahin als gefestigt angesehene Rechtsprechung vom Vorrang der Massesicherungspflicht des § 64 S. 1 GmbHG aufgegeben. Dem organschaftlichen Vertreter könne es nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht zu erfüllen „und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. Sein die entsprechenden sozial- und steuerrechtlichen Vorschriften befolgendes Verhalten muss deswegen … als mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar angesehen werden“.377
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Über die Tragweite des Urteils für Zahlungen an den Fiskus herrschte Unklarheit; denn die vom Senat angeführte Begründung deckt nicht das Ergebnis. Das Urteil bezieht sich ausdrücklich auf die Haftung gem. §§ 69, 34 AO. Sie ist jedoch kein Straftatbestand. Einen mit den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, deren Abführung an § 266a StGB strafbewehrt ist, vergleichbaren Konflikt gibt es somit bei den Steuerschulden grds. nicht. Der Senat hat aber klargestellt, dass sich diese Rechtsprechung auch auf Zahlungen bezieht, deren Nichterbringung bußgeldbewährt ist oder eine persönliche Haftung des Geschäftsleiters nach sich zieht.378
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Eine persönliche Haftung des Geschäftsleiters besteht nur, soweit die GmbH unter Berücksichtigung des Gebots zur anteiligen Tilgung tatsächlich noch zahlungsfähig war. Eine in dem gebotenen Umfang erfolgende Zahlung ist keine Verletzung des § 64 S. 1 GmbHG. Eine bereits eingetretene Haftung darf aber wohl nicht durch spätere Zahlungen aus dem restlichen Mittelbestand wieder beseitigt werden. Natürlich wird der Geschäftsleiter nicht mit jeder Überweisung an einen Gläubiger auch einen bestimmten Prozentsatz an den Fiskus abführen. Das geschieht vielmehr mit Verzögerung. Ob es sich noch um eine nach der geänderten Auffassung des II. Zivilsenats erlaubte Vermeidung der Haftung oder um die Beseitigung der schon eingetretenen Haftung handelt, ist nur durch eine wertende Betrachtung festzustellen. Ein Indiz könnte der zeitliche Zusammenhang sein, der anfechtungsrechtlich noch für ein Bargeschäft gem. § 142 InsO ausreicht.
373 BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604; BFH v. 19.9.2007 – BFH v. 10.12.2009 – VII R 39/07, BFH/NV 2008, 18. 374 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06. 375 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, MDR 2001, 401 = ZIP 2001, 235, 238; s. dazu Sontheimer, DStR 2004, 1005 ff. 376 Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 369; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, 191 f.; Klein/Rüsken, AO, § 69 Anm. 58 ff. 377 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = ZIP 2007, 1265, Hervorh. d. Verf. 378 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rz. 9, 10.
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XIV. Steuerrechtliche Haftung gem. § 69 AO | Rz. 180 § 5
So können beispielsweise verspätete oder falsche Steuererklärungen eine persönliche Haftung begründen, wenn die Gesellschaft bei gewöhnlichem Verlauf der Bearbeitung die Steuer noch hätte entrichten können.379 Die verdeckte Gewinnausschüttung, die ein FremdGeschäftsleiter in der Vergangenheit seinem Mehrheitsgesellschafter zugutekommen ließ, um die nächste Vertragsverlängerung zu erhalten, wird plötzlich zur steuerlichen Haftungsfalle, wenn die dadurch bei richtiger Steuererklärung ausgelöste Körperschaftsteuer von der GmbH noch hätte bezahlt werden können. Entscheidet sich der Geschäftsleiter nach Eintritt des Insolvenzgrundes, diese Haftung durch eine Zahlung an das Finanzamt noch schnell zu beseitigen, ist das ohne Verstoß gegen die Masseerhaltungspflicht nicht mehr zulässig.
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Mit § 15b Abs. 8 InsO hat der Gesetzgeber nunmehr den Vorrang der Massesicherungspflicht vor der Abführung von Steuerverbindlichkeiten im Zeitraum des § 15a InsO kodifiziert. Wegen der Regelungssystematik wird verwiesen auf Rz. 86a.
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2. Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht Die Unmöglichkeit der Erfüllung durch die Gesellschaft ist eine Ausnahme von § 69 AO. Deshalb ist es Aufgabe des Geschäftsleiters darzulegen, dass keine oder nur quotale Zahlungen möglich waren.380 Ihn treffen gem. §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 AO Mitwirkungs- und Auskunftspflichten, bei deren Verletzung das Finanzamt die Haftsumme schätzen kann.381 Im Gegensatz dazu hat der BGH bei der Haftung für Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung dem Sozialversicherungsträger die Darlegungsund Beweislast für die Möglichkeiten normgemäßen Verhaltens auferlegt, während dem Geschäftsleiter nur eine sekundäre Darlegungslast treffen soll.382
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Da eine Haftung nach § 69 AO nur besteht, soweit im maßgebenden Zeitpunkt die GmbH zur Zahlung in der Lage gewesen wäre, stellt sich die Frage, ob der Geschäftsleiter wenigstens gehalten ist, auf die Interessen des Fiskus Rücksicht nehmen, indem er neue Steuerschulden möglichst gering hält. In diesem Sinne verlangte der BFH früher, Verträge so zu gestalten, dass die daraus resultierenden Steuern bezahlt werden können.383 Relevant war das vor allem bei umsatzsteuerlichen Wahlrechten, wenn beispielsweise bei Grundstücksgeschäften gem. §§ 9, 4 Nr. 9a, 12 UStG zur Umsatzsteuer optiert wurde, ohne dass die Entrichtung der daraus resultierenden Steuer sichergestellt war. Von einer solchen Rücksichtnahmepflicht hat der BFH inzwischen Abstand genommen.384 In der Entscheidung ging es um die Haftung eines Insolvenzverwalters, der die aus der Optionsausübung resultierende Steuer nicht entrichten konnte, weil der gesamte Kaufpreis an die Grundpfandrechtsgläubigerin floss. Wegen Masseunzulänglichkeit konnte die Steuer auch aus dem sonstigen Vermögen nicht aufgebracht werden. Allein die Wahl der Umsatzbesteuerung begründete keine Haftung des Verwalters. Er hätte aber, so der BFH, mit der Gläubigerin eine Vereinbarung über die Pfandfreigabe des auf die Umsatzsteuer entfallenden Erlöses verhandeln müssen. Das hätte er pflichtwidrig unterlassen. Deshalb sei die maßgebliche Haftungsnorm § 61 InsO und nicht §§ 69, 34 AO.
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Auf die Geschäftsleiterhaftung wird sich diese Verhandlungspflicht nur auswirken, soweit es um die tatsächliche Unmöglichkeit geht. Ob auch bei ihm unterstellt werden kann, dass der Grundpfandrechtsgläubiger den Steuerbetrag freigegeben hätte, ist äußerst fraglich. Jedenfalls bei der Gestaltung
180
BFH v. 29.11.2006 – I R 103/05, juris. BFH v. 18.8.1999 – VII B 106/99, GmbHR 2000, 392, 394. BFH v. 6.9.2004 – VI B 179/04, BFH/NV 2005, 227. BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, MDR 2007, 338 = ZIP 2006, 2127 Rz. 8; BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, MDR 2005, 1167 = ZIP 2005, 1026. 383 BFH v. 5.2.1985 – VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2, 4 ff.; BFH v. 9.1.1997 – VII R 51/96, DStRE 1997, 523. 384 BFH v. 28.11.2002 – VII R 41/01, ZIP 2003, 582. 379 380 381 382
Andres | 483
§ 5 Rz. 180 | Geschäftsleiterberatung des Kaufvertrages (Ausübung der Option) muss der Geschäftsleiter auf fiskalische Interessen genauso wenig Rücksicht385 nehmen wie im Urteilsfall der Insolvenzverwalter. 181
Ist die Steuer noch nicht fällig, soll der Geschäftsleiter nach der Rechtsprechung dafür Sorge tragen, dass im Fälligkeitszeitpunkt ausreichend Mittel vorhanden sind.386 Damit wird die Haftung auf den Zeitpunkt vorverlagert, zu dem der Geschäftsleiter die Verbindlichkeit kennt. Dieselbe Verpflichtung soll für Sozialabgaben eingreifen387 (Rz. 149).
3. Abzugsteuer 182
Eine Besonderheit gilt nach herrschender Auffassung für die Lohnsteuer (zu dieser ausführlich § 14 Rz. 223 ff.). Hier sind der Nettolohn und die Lohnsteuer mit derselben Quote zu bedienen.388 Die „bloße Erwartung“389 einer Liquiditätsverbesserung hindert die Haftung nicht. Der Grund für diese Sonderbehandlung ist am ehesten darin zu sehen, dass sich die Höhe der Lohnsteuer nach dem Zufluss beim Arbeitnehmer bemisst, § 11 EStG, es mithin nicht nur um die anteilige Befriedigung einer bestehenden Steuerschuld, sondern um die mit der Lohnzahlung unmittelbar verbundenen Begründung der Steuerschuld geht. Andere Abzugsteuern wird man ebenso behandeln müssen. Das gilt bspw. für die Kapitalertragsteuer (§ 43 ff. EStG), die Bauabzugsteuer (§ 48 EStG) (vgl. § 14 Rz. 232 ff.) oder den Steuerabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50a EStG). Zur Begründung wird häufig auf den angeblichen Treuhandcharakter der Abzugsteuer verwiesen.390 Ein dinglich wirkendes Treugut stellt sie jedoch nicht dar391 (oben Rz. 147), da es sich um eine rein steuerschuldrechtliche Verpflichtung handelt. Allerdings hat der Geschäftsleiter es in der Hand, den Abzugstatbestand zu begründen. Leistet er keine Zahlung an den Gläubiger, entsteht auch keine Quellensteuer. Wird hingegen Zahlung geleistet, darf sich der Geschäftsleiter nicht darauf berufen, dass insgesamt nur dieser Betrag zur Verfügung gestanden hätte und bei einer anteiligen Berechnung z.B. auch die Lohnsteuer geringer gewesen wäre.392
4. Vorsteuerkorrektur 183
Eine besondere Haftungsgefahr in der Krise ergibt sich aus § 17 Abs. 2 UStG (vgl. § 14 Rz. 257). Danach sind u.a. in Anspruch genommene Vorsteuern zu erstatten, soweit die vorsteuerbelastete Verbindlichkeit nicht bezahlt werden kann. Das ist mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Fall. In der Umsatzsteuervoranmeldung ist die Vorsteuerkorrektur zu berücksichtigen (zur Umsatzsteuer vgl. § 14 Rz. 239 ff.). Geschieht das nicht und wird deshalb eine Vorsteuer ohne Verrechnung mit dem
385 BFH v. 7.9.2007 – VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16; Klein/Rüsken, AO, § 69 Rz. 55 ff. 386 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06; BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; BFH v. 5.6.2007 – VII R 19/06, BFH/NV 2007, 2225; BFH v. 7.9.2007 – VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16; BFH v. 3.5.1990 – VII R 108/88, BStBl. II 1990, 767; BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776, 777. 387 BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05, MDR 2007, 738 = ZIP 2007, 541 Rz. 17, 18; BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, MDR 2007, 338 = ZIP 2006, 2127. 388 BFH v. 9.12.2005 – VII B 124-125/05, GmbHR 2006, 610; BFH v. 26.7.1988 – VII R 83/87, GmbHR 1989, 94, 95; BFH v. 23.6.1998 – VII R 4/98, DStR 1998, 1423, 1424; BFH v. 9.1.1996 – VII B 189/95, GmbHR 1997, 139. 389 BFH v. 9.12.2005 – VII B 124-125/05, GmbHR 2006, 610. 390 BFH v. 20.4.1982 – VII R 96/79, BStBl. II 1982, 521, 522; zur Abführungspflicht bei der Lohnsteuer s. Klein/Rüsken, AO, § 69 Rz. 71 ff. 391 Vgl. allgemein zum insolvenzrechtlichen Treuhandcharakter von abführungspflichtigen Geldern: BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613, 1614 ff.; BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, MDR 2003, 1316 = ZIP 2003, 1404 f.; BAG v. 24.9.2003 – 10 AZR 640/02, MDR 2004, 281 = ZIP 2004, 124, 127 f. 392 BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18.
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XIV. Steuerrechtliche Haftung gem. § 69 AO | Rz. 186 § 5
eigentlich gebotenen Korrekturbetrag erstattet, kommt eine Haftung des Geschäftsleiters für die fehlerhafte Umsatzsteuervoranmeldung in Betracht.393
5. Geschäftsleiterwechsel Bei einem Geschäftsleiterwechsel muss der neue Geschäftsleiter die von seinem Vorgänger noch nicht erledigten Pflichten erfüllen. Die beim Amtsantritt vorgefundenen Steuerschulden müssen alsbald getilgt werden. Reichen die Mittel nicht aus, greift der Grundsatz der anteiligen Tilgung und bei der Lohnsteuer möglicherweise – insofern ist das nachgenannte Urteil missverständlich – auch die der anteiliegen Kürzung unter Berücksichtigung der Lohnsteuerrückstände, die bereits in der Amtszeit des Vorgängers angefallen sind.394 Außerdem ist der neue Geschäftsleiter gem. §§ 153, 34 AO verpflichtet, falsche Steuererklärungen seines Vorgängers zu korrigieren, wenn ihm die Fehler innerhalb der Festsetzungsfrist bekannt werden. Tut er das nicht und gerät die Gesellschaft später in die Krise, haftet er für den Betrag, der bei rechtzeitiger Korrektur von der GmbH noch hätte gezahlt werden können.
184
Für die Haftung aus dem Steuerschuldverhältnis gilt ebenso wie bei den vergleichbaren Haftungstatbeständen in der Krise die Gesamtverantwortung des Vorstandes, wobei eine klare und eindeutige Ressortzuweisung395 solange einer Haftung entgegensteht, solange es keine Veranlassung gibt, an der Ordnungsmäßigkeit der Ressortgeschäftsführung zu zweifeln. Bis dahin werden dem Geschäftsleiter Fehler der anderen Ressortleiter nicht zugerechnet. Gleiches gilt auch für Mitarbeiter im eigenen Ressort des für die steuerlichen Angelegenheiten zuständigen Geschäftsleiters, sofern er die Mitarbeiter hinreichend überwacht.396
185
6. Kausalität In all den Fällen ist Voraussetzung für eine persönliche Haftung stets die Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Steuerausfall. So wie es bei den Sozialabgaben nach Auffassung der Zivilsenate – a.A. die Strafsenate – des BGH an der Kausalität fehlt, wenn ein Insolvenzverwalter die Zahlungen anfechten könnte, fehlte es nach der ursprünglichen Rechtsprechung des BFH auch bei der steuerlichen Haftung an der Kausalität; denn der Steuerausfall wäre auch bei pflichtgemäßen Verhalten nicht vermieden worden.397 Eine bloß theoretische Anfechtbarkeit reichte jedoch nicht aus. Vielmehr mussten die Tatbestandsvoraussetzungen konkret vorliegen, wozu bei der Deckungsanfechtung gem. § 130 InsO insbesondere die Kenntnis des Finanzamtes von der Zahlungsunfähigkeit bzw. den sie begründenden Umständen gehört.398 Davon hat der BFH in einer Kette von Entscheidungen aus 2007 Abstand genommen. Der Schutzzweck des § 69 AO verbiete die Berücksichtigung einer hypothetischen Anfechtbarkeit, u.a. weil das Finanzamt die Anfechtungsvoraussetzungen nur schwer prüfen könne und deshalb die Effizienz der Haftungsvorschrift gefährdet sei.399 Inzwischen handelt es sich hierbei um ständige Rechtsprechung.400 Bei der Lohnsteuer kommt hinzu, dass der BFH sie möglicherweise als Arbeitslohn und damit als Leistung an den Arbeitnehmer ansieht, so dass sie bei pünktlicher Zahlung wegen des Bargeschäftscharakters nicht anfechtbar ist. Eine endgültige Entscheidung
393 394 395 396 397 398 399 400
FG München, v. 10.3.2021 – 3 K 1123/19, NZI 2021, 698. BFH v. 9.12.2005 – VII B 124-125/05, GmbHR 2006, 610. BFH v. 31.10.2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274. BFH v. 7.11.2006 – VII B 29/06, BFH/NV 2007, 399; BFH v. 30.5.2005 – VII S 27/04 (PKH), BFH/NV 2005, 1487; FG Münster v. 16.11.2006 – 8 K 2598/04 u. v. 16.11.2006 – 8 K 2601/04. BFH v. 10.5.2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610; BFH v. 9.12.2005 – VII B 124-125/05, GmbHR 2006, 610; FG Berlin v. 27.2.2006 – 9 K 9114/05, ZIP 2006, 1444; a.A. FG Münster v. 16.12.2006 – 8 K 2598/04. BFH v. 10.5.2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610. BFH v. 5.6.2007 – VII R 65/05, ZIP 2007, 1856; BFH v. 5.6.2007 – VII R 30/06, BFH/NV 2008, 1; BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06. BFH v. 22.4.2009 – VII B 225/08, juris Rz. 7.
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§ 5 Rz. 186 | Geschäftsleiterberatung dieser Rechtsfrage hat er bis heute offen gelassen.401 Da der Insolvenzrechtssenat des BGH ein Bargeschäft verneint,402 müsste die Sache erst dem gemeinsamen Senat vorgelegt werden. Für die Beratungspraxis ist jedoch zu empfehlen, das Finanzamt über den Insolvenzgrund vor der Fälligkeit zu informieren, so dass bei der persönlichen Haftungsinanspruchnahme der Einwand der fehlenden Kausalität geltend gemacht werden kann. 187
Der Geschäftsleiter haftet grds. auch, wenn die Steuerschuld beglichen wurde, die Forderung aber nach erfolgreicher Insolvenzanfechtung wieder auflebt (§ 144 Abs. 1 InsO). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Steuer verspätet ausgeglichen wurde und der Fälligkeitszeitpunkt vor dem Beginn der Anfechtungsfrist lag.403
XV. Haftung bei anderen Gesellschaftsformen 188
Mit Einführung des § 15b InsO ist ein einheitliches insolvenzrechtliches Zahlungsverbot aus den Spezialgesetzen in die InsO implementiert worden. Der Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 1.1.2021 die Haftungstatbestände der §§ 130a, 177a HGB, 64 GmbHG, 99 GenG und 92 Abs. 2 AktG gestrichen. Nicht anwendbar ist § 15b Abs. 1 InsO für die von der Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO ausgenommenen Gesellschaften, insbesondere Vereine und Stiftungen, die der Antragspflicht nach § 42 Abs. 2 BGB unterliegen.
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Für den Idealverein räumt § 42 Abs. BGB den Neugläubigern nur einen Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse und den Altgläubigern einen solchen auf die Quotenverminderung ein. Von der Erstattung sämtlicher seit dem Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteter Zahlungen ist dort keine Rede. Das ist für einen Idealverein auch angemessen, weil die Auszahlungen meist nur aus laufenden Mitgliedsbeiträgen stammen, die im Insolvenzverfahren nicht eingezogen werden können, weil die Mitglieder wegen der Nichterreichbarkeit des Vereinszwecks fristlos den Austritt erklären würden. Vereinsvorstände haften auch nicht analog § 64 S. 1 GmbHG404 oder § 15b InsO. § 15a Abs. 7 InsO stellt klar, dass für Vereine und Stiftungen keine Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO gilt besteht.
XVI. Geschäftsleiterhaftung bei ausländischen Gesellschaften 190
Juristische Personen erlangen ihre Rechtsfähigkeit, wenn sie unter Beachtung der für sie jeweils geltenden Normativbestimmungen gegründet und in das zuständige Register eingetragen werden, vgl. z.B. §§ 9c, 11 Abs. 1 GmbHG. Anderenfalls sind die Gesellschaften weder rechtsfähig noch beschränkt sich die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen. Das galt bisher selbst dann, wenn die Gründung nach dem Recht eines anderen Staates wirksam erfolgte, die Gesellschaft aber ihren tatsächlichen Sitz nach Deutschland verlegt hatte, sog. „Sitztheorie“ im Gegensatz zur „Gründungstheorie“.405
191
Natürlich harrte dieser Rechtsverlust beim Grenzverkehr für den Bereich der EG einer Überprüfung durch den EuGH, der darin insbesondere in drei Entscheidungen einen Verstoß gegen die in Art. 43, 48 EG garantierte Niederlassungsfreiheit sah. Im „Überseering“-Urteil bejahte er die Rechts- und Par-
401 BFH v. 9.12.2005 – VII B 124-125/05, GmbHR 2006, 610; BFH v. 10.5.2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610. 402 BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, MDR 2004, 775 = ZIP 2004, 513. 403 BFH v. 15.6.2009 – VII B 196/08, BFH/NV 2009, 1605 Rz. 14 f.; BFH v. 11.11.2008 – VII R 19/08, ZIP 2009, 516 Rz. 11 f. 404 BGH v. 8.2.2010 – II ZR 156/09, ZIP 2010, 1080 Rz. 4, 5. 405 S. Überblick bei Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rz. 7 ff.; Borges, ZIP 2004, 733, 739 ff.
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XVI. Geschäftsleiterhaftung bei ausländischen Gesellschaften | Rz. 194 § 5
teifähigkeit einer niederländischen BV, die ihren Sitz nach Deutschland verlegt hatte,406 in den beiden anderen Urteilen („Centros“ und „Inspire-Art“) hielt er Dänemark bzw. Holland für verpflichtet, für eine englische Ltd. in das Handelsregister jeweils Zweitniederlassungen407 einzutragen,408 in denen der gesamte Geschäftsbetrieb geführt wurde. Unter dem Blickwinkel der Niederlassungsfreiheit sei es ohne Bedeutung, dass die Gesellschaft im Gründungsstaat nur als Briefkastengesellschaft errichtet wurde, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften als in dem Zweitstaat zu gelangen, in dem die ausschließliche Tätigkeit beabsichtigt werde. Erkenne der Zweitstaat die Rechtsfähigkeit zwar an, erlasse aber besondere Vorschriften, die diese Gesellschaften verpflichten würden, die nationalen für vergleichbare Gesellschaften geltenden Anforderungen an das Stammkapital und die Haftung zu beachten, stelle das gleichfalls einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dar. Diese Freiheit dürfe nur ausnahmsweise aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls eingeschränkt werden, die der EuGH in den genannten Entscheidungen jeweils verneinte. Die Anerkennung des ausländischen Organisationsrechts entbindet die Gesellschaft natürlich nicht von einer Beachtung des inländischen Verkehrsrechts. Um das an einem profanen Beispiel zu verdeutlichen: Dem Eigentümer eines links gelenkten englischen Pkw darf in Deutschland zwar nicht die Straßenverkehrszulassung versagt werden. Dennoch muss er sich an das Rechtsfahrgebot halten. Das Verkehrsrecht ist, vereinfacht ausgedrückt, dadurch gekennzeichnet, dass es für jedermann gilt, unabhängig davon, ob der Pkw links oder rechts gelenkt wird. Dasselbe gilt für jede juristische oder natürliche Person, soweit sie sich in Deutschland betätigt. Konsequent bestimmt deshalb auch Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, dass auf Schuldner mit Auslandsbezug das Insolvenzrecht desjenigen Mitgliedstaats anwendbar ist, in dem das Verfahren eröffnet wird. Dafür wiederum kommt es gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an, der bei ausländischen Briefkastengesellschaften im Staat der tatsächlichen Betätigung liegt.
192
Seit dem „Inspire Art“-Urteil wird intensiv über die Frage diskutiert, nach welchem Recht sich der Pflichtenkreis richtet, dem die Organe ab Eintritt eines Insolvenzgrundes unterliegen. Die Antwort wird an dem Gegensatzpaar Organisations- vs. Verkehrsrecht409 aufgehängt. Während die einen410 darauf abstellen, dass die Pflichten in den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften angesiedelt und deshalb Bestandteil des nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilenden Organisationsrechts sind, meinen andere,411 dass es sich materiell um Insolvenz- und damit Verkehrsrecht des Zweitstaates handelt.412
193
Ober- oder gar höchstrichterliche Entscheidungen existieren bisher nicht. Da die Diskussion noch im Fluss ist, kann auf die Fülle der Literaturmeinungen nicht im Einzelnen eingegangen werden. Hier sei nur angemerkt, dass prima vista schon die systematischen Überlegungen dafür sprechen, dass – jedenfalls für die Innenhaftung – das Recht des Gründungsstaates maßgebend ist;413 denn der Pflichten-
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406 „Überseering“: EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, MDR 2003, 96 = GmbHR 2002, 1137. 407 Die in den deutschsprachigen Fassungen der Urteile genannte Zweitniederlassung ist wirtschaftlich die Hauptniederlassung, juristisch aber (wohl) identisch mit der Zweigniederlassung i.S.d. §§ 13 ff. HGB, so dass ihre Eintragung durch Zwangsgeld erzwungen werden kann, § 14 HGB. 408 „Centros“: EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, MDR 1999, 752 m. Anm. Risse = NJW 1999, 2027; „Inspire Art“: EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, MDR 2003, 1303 = ZIP 2003, 1885; dazu Hirsch, NZG 2003, 1100 ff.; Kindler, NZG 2003, 1086 ff.; Horn, NJW 2004, 893 ff.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 ff.; Riegger, ZGR 2004, 510, 512 ff. 409 Ulmer, KTS 2004, 291 ff.; Just, ZIP 2006, 1251; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1086 ff. verbinden dies mit dem Gerichtsstand. 410 Z.B. Altmeppen, NJW 2004, 97 ff.; Goette, ZIP 2006, 541. 411 LG Kiel v. 20.4.2006 – 10 S 44/05, ZIP 2006, 1248 m. Anm. Schilling, EWiR 2006, 429; z.B. Ulmer, NJW 2004, 1201 ff. 412 Überblick über den Meinungsstand bei Hase, BB 2006, 2141, 2445 ff. 413 Schumann, DB 2004, 743, 746.
Andres | 487
§ 5 Rz. 194 | Geschäftsleiterberatung kreis ist nun einmal in den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften verankert. Ein Vergleich zwischen § 42 Abs. 2 BGB und § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 15b InsO verdeutlicht, dass die Innenhaftung ab Eintritt des Insolvenzgrundes sogar im nationalen Recht für die einzelnen juristischen Personen sehr unterschiedlich sein kann. Beim Idealverein ist der „Schaden“ zu ersetzen, bei der GmbH hingegen schon jede „Zahlung“, die nicht mit der insolvenzspezifischen Sorgfalt vereinbar ist. Dass „Schaden“ und „Zahlung“ im objektiven Tatbestand voneinander abweichen, wurde oben dargestellt (Rz. 46 ff.). Das macht es schwer, einen allgemeinen Pflichtenkreis für juristische Personen zu bestimmen. Eine andere Frage ist es, ob der Gesetzgeber berechtigt ist, einen allgemeinen Pflichtenkreis z.B. im Zusammenhang mit den §§ 17 ff. InsO in der Insolvenzordnung zu definieren. Das hat er bisher nicht getan. 195
Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, dass Gläubiger nicht durch den Geschäftskontakt zu einer insolventen Gesellschaft geschädigt werden dürfen. Die Haftung wird für den Bereich der GmbH durch den Schutzgesetzcharakter des § 64 GmbHG definiert. Als einer der wenigen abstrahiert K. Schmidt von der gesellschaftsrechtlichen Bestimmung und spricht von einem „Solvenzvertrauen“ in die Geschäftsführung. Damit wird die Außenhaftung für die Insolvenzverschleppung außerhalb des Organisationsrechts manifestiert. Ein solches „Solvenzvertrauen“ ist als reine Fiktion zwar abzulehnen (oben Rz. 92 ff.). Denkbar ist hingegen eine Art „Verkehrssicherungspflicht“ dahingehend, die Geschäftstätigkeit so einzurichten, dass niemand nach Insolvenzeintritt zu Schaden kommt. Die Rechtsfolgen einer Verletzung könnten sich aus § 826 BGB ergeben.414 Auch kommen die jeweiligen ausländischen Verhaltenspflichten als Schutzgesetze in Betracht.415 Das gilt insbesondere für das im englischen Recht bestehende Institut des „wrongful trading“. Aus ihm ergeben sich im Übrigen schon unmittelbar erhebliche Haftungsgefahren,416 so dass von keiner Schutzlücke gesprochen werden darf, die ohne Anwendung des § 64 GmbHG bzw. § 15b InsO entstünde.
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All das zeigt, dass für die Insolvenzantragspflicht und die Innenhaftung wohl das Recht des Gründungsstaates maßgebend sind, während für die Außenhaftung die deliktischen Bestimmungen im Vordergrund stehen, die von ausländischen Gesellschaften genauso wie von jedem anderen beachtet werden müssen.
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Mit Einführung der Unternehmergesellschaft (UG, haftungsbeschränkt) in § 5a GmbHG haben sich diese Probleme weitgehend erledigt, da Gründer, die wenig Geld in die Hand nehmen aber die beschränkte Haftung wollen, sich nunmehr in aller Regel dieser Rechtsform bedienen.
414 Riegger, ZGR 2004, 510, 525. 415 Schumann, DB 2004, 743, 748; Riegger, ZGR 2004, 510, 523 f.; Fleischer, ZGR 2004, 435 ff. mit einer Darstellung der Regelungen einiger europäischer Länder und der USA; Micheler, ZGR 2004, 324 ff.; Schall, DStR 2006, 1229 für die englische Ltd. 416 S. die Darstellung bei Habersack/Verse, ZHR 2004, 174 ff.; Happ/Holler, DStR 2004, 730, 733 f.
488 | Andres
§6 Gesellschafterberatung I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über die Änderungen durch das „MoMiG“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung . . . . . . . . . . . . 1. Gründung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . a) Bargründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verschleierte Sachgründung . . . bb) Hin- und Herzahlen sowie Cash Pool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ausnahmen für bestimmte Geschäfte? . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verlustdeckungshaftung, Unterbilanzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhöhung der GmbH . . . . . . . . . a) Aufgabe des Gebots der wertgleichen Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . c) Stecken gebliebene Kapitalerhöhung 3. Kapitalerhaltung der GmbH . . . . . . . . . a) Buchwertbetrachtung . . . . . . . . . . . . b) Haftungssicherung . . . . . . . . . . . . . . c) Drittbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beurteilungszeitpunkt . . . . . . . . . . . IV. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Haftung des Personengesellschafters . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbeschränkte Haftung . . . . . . . . . . . . .
1 3 4 7 8 9 10 11 11
3.
14 21 23 25 30 39 42 43 48 49 54 58 70 73 76
VII. 1. 2. 3. 4.
77 77 87 92 92 94 100 101 103 103 108
5. 6.
a) Vor Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . b) Nach Insolvenzeröffnung: § 93 InsO . aa) Konkurrierende Ansprüche . . . . bb) Betroffene Gläubiger . . . . . . . . . cc) Dauer, Teilzahlungen während des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . dd) Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . ee) Doppel- vs. Ausfallhaftung . . . . . ff) Sondermasse . . . . . . . . . . . . . . . gg) Verhältnis zur Einlageforderung hh) Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . Kommanditistenhaftung . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis von Einlage und Haftung . aa) Außenverhältnis („Hafteinlage“ = Haftsumme) . . . . . . . . . . bb) Innenverhältnis („Pflichteinlage“) cc) Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . b) Haftung vor Eintragung . . . . . . . . . . c) Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten der GmbH & Co. KG aa) Einlageleistung und Haftungsbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanzerstellungsanspruch . . . . . . . . . . . Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fortbestehen trotz Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwalteraufgaben vs. Gesellschaftsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Besonderheit bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren . . . e) Zustimmungspflicht zu Sanierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . Steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . a) Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . b) Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . .
108 109 110 112 113 114 125 126 128 129 130 130 130 137 144 147 152 153 155 155 159 164 164 165 168 170 170 173 176 179 185 190 191 201 201 209
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§ 6 Rz. 1 | Gesellschafterberatung
I. Mandatssituation 1
Der Anwalt wird in der Regel zwar von der Gesellschaft beauftragt, aber von den Gesellschaftern ausgewählt. In der Krise wollen sie über ihre Risiken informiert werden und wissen, wie die Gesellschaft, und wenn nicht sie, so zumindest das Gesellschaftsvermögen für sie zu retten ist. Ist das Insolvenzverfahren schon beantragt, geht es ihnen um die daraus für sie folgenden Konsequenzen in haftungsrechtlicher, steuerrechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht, Letzteres insbesondere dann, wenn ein Insolvenzplan vorgelegt werden soll.
2
Die größten Unklarheiten bestehen bei den Mandanten über das Eigenkapitalersatzrecht, weil sie irrig der Auffassung sind, dass Gesellschafter mit ihren Forderungen sogar in der Krise wie normale Gläubiger behandelt werden müssen. Dieser Bereich wird in einem gesonderten Abschnitt behandelt (§ 6 VII.). Risiken liegen aber auch in einer nicht ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung und in der Verletzung des Gebots der Kapitalerhaltung. Was in guten Zeiten als „nicht so schlimm“ angesehen wird, weil man sich über eine verschleierte Sacheinlage oder über Entnahmen einig war, wird in der Insolvenz zur Haftungsfalle. Von den Haftungsrisiken hängt es ab, ob die Gesellschafter besser die Insolvenz durch Bereitstellung neuer Mittel vermeiden. Hier kommt es zu Fragen über die Form der Neufinanzierung und über den Umgang mit dissentierenden Gesellschaftern, die an Sanierungsmaßnahmen nicht mitwirken wollen. Sie werden nachfolgend im Zusammenhang mit den Gestaltungsmaßnahmen im eröffneten Insolvenzverfahren erörtert. Die Ausführungen gelten aber ebenso für Maßnahmen zur Vermeidung der Insolvenzeröffnung (s. ergänzend § 1 Rz. 183 ff.).
II. Überblick über die Änderungen durch das „MoMiG“ 3
In dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), welches am 1.11.2008 in Kraft getreten ist, hat das Eigenkapitalersatzrecht grundlegende Änderungen erfahren. Insbesondere wurden durch das MoMiG Neuregelungen im Insolvenzrecht geschaffen und eine Deregulierung des Eigenkapitalersatzrechtes bewirkt. Durch den Wegfall der §§ 32a, 32b des GmbHG fand eine Verlagerung der Rückforderung von eigenkapitalersetzenden Darlehen aus dem GmbH-Recht in die Insolvenzanfechtungsregelungen statt. Die eigenkapitalersetzenden Insolvenzanfechtungsregelungen wurden rechtsformneutral ausgestaltet. Zu den wesentlichen Vereinfachungen zählen diesbezüglich insbesondere der Wegfall der Begriffe „Krise“ und „eigenkapitalersetzend“, so dass sämtliche Gesellschafterdarlehen und Rechtshandlungen, die solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, in der Insolvenz als nachrangig zu behandeln sind (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Zu beachten ist § 103d EGInsO, wonach auf Insolvenzverfahren, die vor dem Inkrafttreten des MoMiG eröffnet wurden, die ursprünglichen Regelungen Anwendung finden. Dies dürfte aber aus heutiger Sicht aufgrund des Zeitablaufs keine Rolle mehr in der Praxis spielen.
1. Kapitalaufbringung 4
Zahlreiche Probleme der Kapitalaufbringung im Gründungsstadium treten in der Praxis nicht mehr auf, weil das Eintragungsverfahren wesentlich beschleunigt wurde. Selbst in großen Gerichtsbezirken reichen drei bis fünf Tage ab Anmeldung aus, wenn es keine Eintragungshindernisse insbesondere wegen der Firmierung oder wegen ausstehender Genehmigungen gibt.
5
Weitere Erleichterungen sind durch das „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ geschaffen worden. Der Eintragungsvorgang ist beschleunigt worden, indem § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG gestrichen wurde, der bei einem genehmigungsbedürftigen Unternehmensgegenstand die Einreichung der Genehmigung mit der Anmeldung vorschrieb. Das Mindeststammkapital kann in einer sog. „Unternehmergesellschaft“, die als solche kenntlich zu machen ist, unterschritten werden, § 5a GmbHG. Verschleierte Sacheinlagen sind gem. § 19 Abs. 4 490 | Andres
III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 9 § 6
GmbHG zulässig. Voraussetzung ist nur die Werthaltigkeit, für die der Gesellschafter nach § 19 Abs. 4 S. 5 GmbHG die Beweislast trägt. Ansonsten greift die Differenzhaftung des § 9 GmbHG. § 30 GmbHG ist ergänzt worden in Bezug auf das Existenzvernichtung, Unternehmensbestattungsverbot der Einlagenrückgewähr. Als eine solche Rückgewähr wird es nicht mehr angesehen, wenn die Auszahlung der soeben erst geleisteten Einlage an den Gesellschafter durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch (Anspruch auf Darlehenstilgung) gedeckt ist, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Damit sollen die „Cash-Pool-Systeme“ erfasst werden. Misslich daran ist, dass eine spätere Bonitätsverschlechterung keine sinnvolle Reaktion zulässt; denn die Rückzahlung könnte entweder insolvenzrechtlich anfechtbar sein, zumindest aber unter das Verbot des § 64 GmbHG (bis 31.12.2020) oder § 15b InsO (ab 1.1.2021) bei der darlehensnehmenden Gesellschaft fallen. Die Minderung der Vollwertigkeit geht häufig mit dem Eintritt eines Insolvenzgrundes einher. Insgesamt hat das MoMiG die Haftungsgefahren für die Gesellschafter erheblich reduziert und vorhersehbarer gemacht. Der Gläubigerschutz bei der Kapitalaufbringung wird auf den bei einer Kommanditgesellschaft (s. Rz. 130 ff.) zurückgestuft – nur mit dem Unterschied, dass es zur Kompensation keine unbeschränkte Haftung eines Komplementärs gibt. Sie ist de facto zwar auch bei der KG nicht mehr gegeben, weil die Komplementärstellung von einer GmbH eingenommen wird. Der Vergleich zeigt aber, dass der Gesetzgeber einen Laien Kapitalschutz nur wegen der unbeschränkten Haftung für vertretbar hielt. Das Ziel, das Haftungsrecht zu vereinfachen und die Rechtsverfolgungskosten zu minimieren, wird sicherlich erreicht – wenn auch mit dem einfachen Trick, dass der Gläubigerschutz im selben Umfang beschränkt wird. Wo kein Schutz, da keine Klage.
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2. Kapitalerhaltung Durch das „MoMiG“ ist § 30 Abs. 1 GmbHG dahingehend ergänzt worden, dass eine Einlagenrückgewähr nicht vorliegt, wenn die Auszahlung durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt ist. Darlehensgewährungen oder Verkäufe an Gesellschafter mit Kaufpreisstundungen sind nicht mehr unter § 30 GmbHG zu subsumieren, falls eine bankübliche Bonität besteht. Mehr eine Klarstellung als eine Neuerung ist der Zusatz in § 30 Abs. 1, dass Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ebenfalls nicht eine Einlagenrückgewähr darstellen. § 291 Abs. 3 AktG, der eben dies für die AG bestimmt, wurde, wie oben erläutert, bereits in der Vergangenheit für analog anwendbar gehalten.
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3. Unternehmensbestattung Der Unternehmensbestattung schließlich wollte das „MoMiG“ dadurch entgegenwirken, dass es die Antragspflicht für sämtliche juristischen Personen in einem neuen § 15a InsO regelt. Während zuvor ein Gesellschafter weder zur Prüfung des Insolvenzgrundes noch zur Veranlassung eines Insolvenzantrages gehalten ist,1 verpflichtet dessen Abs. 3 jeden Gesellschafter, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn es keinen Geschäftsführer mehr gibt, es sei denn, dass der Gesellschafter von dem Insolvenzgrund und der Führungslosigkeit keine Kenntnis hat. Diese Ergänzung der Antragspflicht trifft allerdings nicht die tatsächliche Erscheinungsform der Unternehmensbestattung, bei der die Gesellschafter wechseln und bis dahin ein Geschäftsführer besteht. Die Personen also, die für eine Haftung gerade interessant sind, werden nicht erfasst.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung Die Kapitalaufbringung ist aus Gründen des Gläubigerschutzes weitgehend formalisiert. Natürlich hat die kautelarjuristische Praxis in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Versuche unternommen, die Vor1 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734.
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§ 6 Rz. 9 | Gesellschafterberatung schriften möglich günstig für die Gesellschafter zu nutzen. Dementsprechend vielfältig sind die Rechtsprechungsfälle. Nachfolgend sollen die Grundzüge am Beispiel der GmbH dargestellt und einige Hinweise zu besonders häufigen Fehlern gegeben werden. Anschließend wird auf Besonderheiten der AG eingegangen, für die ansonsten dieselben Grundsätze wie für die GmbH gelten.
1. Gründung der GmbH 10
Insbesondere die Vorschriften über die Kapitalaufbringung in § 19 GmbHG wurden durch das „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ neu geregelt. Dabei ist weiter an dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung festgehalten worden. Auch weiterhin können die Gesellschafter nicht von der Leistung der Einlage befreit werden. Eine Aufrechnung gegen den Anspruch der Gesellschaft ist nur zulässig, mit einer Forderung aus Überlassung von Vermögensgegenständen und für den Fall, dass die Aufrechnung auf die Einlagenverpflichtung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG vereinbart worden ist.
a) Bargründung aa) Verschleierte Sachgründung 11
Zunächst wird bei der Kapitalaufbringung weiter unterschieden zwischen der Bar- und der Sachgründung. Dabei ist die Sacheinlage gem. § 7 Abs. 3 GmbHG vor Eintragung in das Handelsregister an die Gesellschaft zu bewirken. Im Gegensatz dazu bedarf es bei der Bareinlage gem. § 7 Abs. 2 GmbHG lediglich der Aufbringung eines Viertel des Nennbetrages. § 19 Abs. 4 GmbHG regelt nunmehr, dass die jetzt legal definierte verdeckte Sacheinlage dann vorliegt, wenn „eine Geldanlage eines Gesellschafters bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffene Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten“ ist. Mit dieser Definition wollte der Gesetzgeber keine Neufassung der verdeckten Sacheinlage schaffen, sondern an die übliche Definition in der Rechtsprechung anknüpfen.2 Die Voraussetzungen dafür, ob eine verdeckte Sacheinlage vorliegt, mithin eine Geldeinlage bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise entweder vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten ist, sind objektiv zu beurteilen. Weiter hinzukommen muss eine im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffene Umgehungsabrede bzw. Verwendungsabsprache.3
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Die verdeckte Sacheinlage befreit den Gesellschafter grundsätzlich nicht von seiner Einlageverpflichtung. Jedoch sind nach der Neuregelung des § 19 Abs. 4 GmbHG im Gegensatz zum früheren Recht die Verträge über die Sacheinlage und über die Rechtshandlung zu ihrer Ausführung nicht von vornherein unwirksam. Der Wert der Sacheinlage wird auf die im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft ins Handelsregister fortbestehende Geldeinlagepflicht angerechnet. Somit hat der Gesetzgeber eine Erfüllungslösung inkl. Differenzhaftung vorgesehen. Jedoch stellt die Erbringung einer verdeckten Sacheinlage weiterhin einen Verstoß gegen die Vorschriften der Kapitalaufbringung dar. Der Geschäftsführer kann gem. § 9a Abs. 1 und § 13 Abs. 2 GmbHG zum Schadensersatz verpflichtet sein und sich gem. § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG strafbar machen.
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Grundsätzlich kann das Registergericht die Eintragung der Gesellschaft bzw. die Kapitalerhöhung gem. § 9c GmbHG ablehnen, wenn es von der verdeckten Sacheinlage Kenntnis erlangte. Eine Heilung des Vorgangs erfolgt erst dann, wenn das Registergericht dennoch die Eintragung vornimmt. Damit führt eine verdeckte Sacheinlage zwar zur Tilgung der Einlagenschuld. Dies bedeutet aber nicht, dass Sanktionen gegen die Geschäftsführer und Gesellschafter ausgeschlossen sind. Soweit der Geschäftsführer die Versicherung gem. § 8 Abs. 2 GmbHG in Kenntnis einer verdeckten Sacheinlage abgegeben
2 Begr. RegE, MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, 40. 3 Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 128; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, § 5 Rz. 170.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 17 § 6
hat und damit bestätigt hat, dass die Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt seien und die Beträge ihm frei zur Verfügung gestanden hätten, ist dies im Fall der verdeckten Sacheinlage falsch.4 In diesem Fall kann sich der Geschäftsführer gem. § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG strafbar machen und gem. § 43 Abs. 2 GmbHG zum Schadensersatz verpflichtet sein. Für den Fall der Anrechnung der verdeckten Sacheinlage auf die Barleistungsverpflichtung des Gesellschafters ist der Gesellschafter für den Wert der verdeckten Sacheinlage im Zeitpunkt der Einbringung bzw. der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister darlegungs- und beweisbelastet. bb) Hin- und Herzahlen sowie Cash Pool Der andere typische Fehler in der Praxis wird unter dem Schlagwort „Hin- und Herzahlen“ behandelt. Hinsichtlich des Tatbestandes des Hin- und Herzahlens wurde im Rahmen des MoMiG § 19 Abs. 5 GmbHG neu gefasst. Danach muss vor Erbringung der Einlage eine Leistung an den Gesellschafter vereinbart worden sein, die wirtschaftlich einer Rückzahlung entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage i.S.v. § 19 Abs. 4 GmbHG zu beurteilen ist. Für diesen Fall befreit dies den Gesellschafter von seiner Einlageverpflichtung nur dann, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewährungsanspruch gedeckt ist. Dieser Rückgewähranspruch muss jederzeit fällig sein oder durch eine fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig gestellt werden können. Diese Regelung privilegiert nunmehr den Inferenten im Vergleich zu der bisherigen Rechtslage und ist Ausdruck der vom MoMiG verfolgten finanziellen Betrachtungsweise im System der Kapitalaufbringung und -erhaltung.5
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§ 19 Abs. 5 GmbHG setzt jedoch weiter voraus, dass bei der Anmeldung nach § 8 GmbHG die Vereinbarung oder die Leistung als solche ausdrücklich anzugeben ist. Wesentliche Voraussetzung für die Befreiung des Gesellschafters von der Einlageverpflichtung ist im Fall der Absprache des Hin- und Herzahlens, dass die Leistung der Gesellschaft durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt sein muss, der jederzeit fällig oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig gestellt werden kann. Der Rückgewähranspruch muss also liquide sein.6 Dies ist nach den für § 311 AktG vom BGH entwickelten Grundsätze dann der Fall, wenn die Forderungen bilanziell zu 100 % angesetzt werden darf.7 Dabei muss der Rückgewähranspruch in dem Zeitpunkt vollwertig sein, in dem die Mittel an den Gesellschafter ausgereicht werden.8 Sind diese Voraussetzungen gegeben und der Rückgewähranspruch jederzeit fällig, so muss weiterhin gegenüber dem Registergericht die Absprache oder die Leistung offengelegt werden. Rechtsfolge ist, dass dann der Gesellschafter von seiner Einlagepflicht befreit wird.
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Grundsätzlich gilt die Neuregelung des § 19 Abs. 5 GmbHG auch für sog. Altfälle.9 Problematisch hierbei ist jedoch, dass in diesen Einfällen eine Anzeige gegenüber dem Registergericht gerade nicht erfolgt ist. Da zu dem Zeitpunkt der Einlagenerbringung des Hin- und Herzahlens aufgrund der alten Rechtslage kein Gesellschafter und Geschäftsführer davon ausgegangen ist, dass er die entsprechende Vereinbarung des Hin- und Herzahlens dem Registergericht anzeigen muss. Insofern läuft die Regelung für die Altfälle faktisch leer. Sind die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 oder 2 GmbHG nicht erfüllt, scheidet die Erfüllungswirkung nach § 19 Abs. 5 GmbHG aus. Insoweit sind weiter die oben dargestellten Rechtsgrundsätze zu der Fallgruppe des „Hin- und Herzahlens“ relevant.
16
Eine andere Ausprägung des Hin- und Herzahlens sind die sog. Cash-Pool-Fälle, bei denen die Einlage von der GmbH kurzfristig auf das Zentralkonto einer Konzerngesellschaft geleitet wird. Relevant wird das zwar meist nur bei Kapitalerhöhungen, weil die Gesellschaft dann schon in ein Cash-Pool-
17
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MünchKomm/GmbHG/Schwandtner, § 19 Rz. 290 f. Vgl. in Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 173, Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, 35. Vgl. MünchKomm/GmbHG/Schwandtner, § 19 Rz. 350. BGHZ, 179, 71, 78. Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 183. Vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 EGGmbHG.
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§ 6 Rz. 17 | Gesellschafterberatung System integriert ist, aber auch bei Neugründungen kann das vorkommen. Der BGH lehnt ein Sonderrecht für Cash-Pool-Systeme ab10 und behandelt diese Form der Mittelverwendung wie jedes Hin- und Herzahlen. Nach einem neueren Urteil wird man aber für erforderlich halten müssen, dass das Cash-Pool-Konto entweder direkt bei der Gesellschafterin oder einer von ihr unmittelbar beherrschten Tochtergesellschaft geführt wird. So hat der BGH im Februar 2007 zu einer Kapitalerhöhung entschieden, dass die Weiterleitung der Einlage an eine Konzerngesellschaft zur Bezahlung des von ihr gleichzeitig erworbenen Unternehmens unschädlich ist. Die Anteile an der die Zahlung empfangenden Verkäufergesellschaft wurden nicht direkt von der Inferentin gehalten, sondern von ihrer Muttergesellschaft. Die Geldempfängerin war nur eine „Schwester“ der Inferentin. Die über die gemeinsame alleinbeteiligte Mutter vermittelte Beziehung zwischen der Inferentin und der Geldempfängerin hielt der BGH nicht für ausreichend, um eine verschleierte Sachgründung bzw. – eng damit verwandt – ein unzulässiges Hin- und Herzahlen anzunehmen.11 Diese Auffassung begegnet erheblichen Bedenken, deren Berechtigung bereits der Urteilsfall unterstreicht; die Inferentin war nämlich später auf die Muttergesellschaft verschmolzen worden. Hätte die Mutter von vornherein die Kapitalerhöhung unmittelbar gezeichnet, hätte die Inferentin (Mutter) die geldempfangende Schwestergesellschaft beherrscht. Wie in dem oben genannten oHG-Fall, bei dem die Einlage als Darlehen an eine beteiligungsidentische oHG rückgereicht wurde, was der BGH nicht als ordnungsgemäße Kapitalaufbringung ansah, wäre auch in dieser Variante – unmittelbare Beteiligung der Inferentin an der das Unternehmen verkaufenden Gesellschaft – eine wirksame Aufbringung zu verneinen. Da die Rechtsprechung zum Hin- und Herzahlen bzw. zur verschleierten Sacheinlage auf das Umgehungsverbot zurückgeht, für das eine wertende Betrachtungsweise maßgebend ist, sollte die Zwischenschaltung einer Tochtergesellschaft als Inferentin eigentlich keinen Unterschied im Vergleich zu einer direkten Beteiligung der Mutter an der kapitalerhöhenden und an der die Weiterleitung empfangenden Gesellschaft machen. Für die Praxis ist hingegen davon auszugehen, dass diese „doppelte Umgehung“ einer wirksamen Einlageleistung nicht entgegensteht. 18
Vor dem Hintergrund der Neuregelung des § 19 Abs. 4 und Abs. 5 GmbHG hat der BGH in einer grundlegenden Entscheidung auch zu der Frage des Cash Pools Stellung genommen (Cash Pool II Entscheidung).12 In dieser Entscheidung hat der BGH im Zusammenhang mit der Abwicklung von Zahlungen über ein Cash Pool-Konto sowohl eine teilweise verdeckte Sacheinlage als auch ein teilweises Hin- und Herzahlen angenommen. Die verdeckte Sacheinlage liegt für die Fälle vor, dass ein Zentralkonto mit einem Debetsaldo vorhanden ist. In diesem Fall gewährt der Gesellschafter ein Darlehen. Der Rückfluss der Bareinlage stellt dann eine Befreiung der Gesellschaft von einer Darlehensverbindlichkeit dar. Wirtschaftlich ist dies als ein Darlehensverzicht des Gesellschafters zu sehen. Dies war für den BGH der klassische Fall der verdeckten Sacheinlage. Dies führt zur Rechtsfolge des § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG, dass in Höhe der Werthaltigkeit der Sacheinlage eine Befreiung von der Einlagenschuld gegeben ist. Die für eine verdeckte Sachanlage notwendige Abrede liegt vor in der Vereinbarung der Zahlung auf ein in dem Cash Pool einbezogenes Konto. Der Inferent nehme es bei der Vereinbarung eines Cash Pools in Kauf, dass auf dem Zentralkonto des Cash Pools im Zeitpunkt der Weiterleitung ein Debetsaldo besteht. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Geschäftsführer, die eine falsche Versicherung i.S.v. § 8 Abs. 2 GmbHG abgeben haben und sich damit strafbar gemacht haben. Zur Vermeidung der verdeckten Sacheinlage in diesen Fällen ist es bei einer Barkapitalerhöhung notwendig, dass der Gesellschafter den Betrag auf einem Sonderkonto einzahlt, welches nicht in den Cash Pool eingebunden ist.13
10 BGH v. 6.1.2006 – II ZR 76/04, MDR 2006, 819 = ZIP 2006, 665; bestätigt durch BGH v. 26.3.2007 – II ZR 307/05 gem. Bericht Goette, DStR 2007, 773. 11 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528. 12 BGH v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 = ZIP 2009, 1561. 13 Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 165.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 22 § 6
Für den Fall, dass der Saldo auf dem Zentralkonto sich im Guthaben befindet, gewährt die Gesellschaft dem Inferenten mit der Weiterleitung auf das Zentralkonto ein Darlehen.14
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Die so eingezahlten Beträge fließen also an den Inferenten zurück. Es liegt damit ein Forderungstausch und somit ein reines Hin- und Herzahlen vor. Die Rechtsfolge richtet sich dann nach § 19 Abs. 5 GmbHG. Eine Anrechnung wie bei der verdeckten Sacheinlage erfolgt nicht. Es kann jedoch eine Erfüllungswirkung unter der Voraussetzung des § 19 Abs. 4 GmbHG eintreten. Problematisch hierbei ist jedoch nach der Entscheidung des BGH, dass die Voraussetzungen realistisch nicht gegeben sein können. Insbesondere die Voraussetzung der jederzeitigen Fälligkeit oder der Möglichkeit der fristlosen Kündigung ist bei Cash Pool-Verträgen selten gegeben. Darüber hinaus ist die weitere Voraussetzung, dass eine Angabe über die Vereinbarung bei der Anmeldung zum Handelsregister offengelegt werden muss, nicht erfüllt. Somit besteht hier weiter die Gefahr, dass bei der Wertung als reines Hin- und Herzahlen durch die Einbindung in Cash Pool System die Kapitalaufbringung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist.
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cc) Aufrechnung § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG verbietet nicht die Aufrechnung gegen eine Neuforderung des Gesellschafters. Dies wird damit begründet, dass wenn schon bei einer einvernehmlichen verdeckten Verrechnung gem. § 19 Abs. 4 GmbHG Erfüllungswirkung eintritt, so muss dies auch bei einer Aufrechnung durch die Gesellschaft der Fall sein.15 Würde man die Fälle anders behandeln läge hier ein Wertungswiderspruch vor. Grundsätzlich enthält § 19 Abs. 2 GmbHG ein Aufrechnungsverbot.16 Allerdings kann die Aufrechnung gegen eine Altforderung nach Eintragung der Gesellschaft zum Erlöschen der Bareinlageschuld der Gesellschaft führen. Grundsätzlich muss der Gesellschafter zwar seine Altforderung als Sacheinlage einbringen. Doch würde insoweit § 19 Abs. 4 GmbHG hinsichtlich der verdeckten Sacheinlage Anwendung finden, wenn er mit der Gesellschaft die Verrechnung mit seiner Bareinlagenschuld vereinbarte.
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Eine Aufrechnung durch den Gesellschafter gegen seine Einlagenschuld ist nach § 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG in dem Ausnahmefall zulässig, dass die Aufrechnung mit einer Forderung aus der Überlassung von Vermögensgegenstände, deren Anrechnung auf die Einlageverpflichtung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG vereinbart worden ist, erfolgt. Die Gegenforderung, die aus einer Sachübernahme stammt, muss vor Eintragung bewirkt sein. Dies ergibt sich aus der Gleichstellung mit der Sacheinlage gem. § 7 Abs. 3 GmbHG.17 Soweit eine Verrechnung zulässig ist, weil die Sacheinlagefähigkeit oder der enge sachliche und zeitliche Zusammenhang fehlen, muss die Sachleistung vollwertig sein, was durch den Inferenten analog § 5 Abs. 4 GmbHG darzulegen ist.18 Die Forderung des Gesellschafters muss im Zeitpunkt der Auf- bzw. einvernehmlichen Verrechnung auch noch vollwertig, fällig und liquide sein.19 In der Krise und erst recht dann, wenn die Forderung durch Stehenlassen eigenkapitalersetzenden Charakter erhalten hat, ist das nicht der Fall. Die Behauptungs- und Beweislast für die vollwertige Liquidität der Forderung liegt ebenfalls beim Inferenten.20
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Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 166, BGHZ, 182, 103, 107 Rz. 11. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 80. Altmeppen, GmbHG, § 19 Rz. 33. Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 84. Altmeppen, GmbHG, § 19 Rz. 80. BGH v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52; BGH v. 7.7.1997 – II ZR 221/96, DStR 1997, 1257; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, MDR 2003, 464 = ZIP 2003, 211. 20 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, MDR 1992, 754 = ZIP 1992, 992 = NJW 1992, 229; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, MDR 2003, 464 = ZIP 2003, 211.
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§ 6 Rz. 23 | Gesellschafterberatung dd) Ausnahmen für bestimmte Geschäfte? 23
Fraglich ist, ob für bestimmte Arten von Geschäften Ausnahmen gemacht werden müssen. Der in der Praxis häufigste Fall ist die Verrechnung mit der Einlageleistung mit Bezügen des Gesellschafter-Geschäftsführers. Ob seine Vergütung verrechnet oder zunächst aus- und anschließend von ihm wieder einbezahlt wird,21 ändert an der Gefahr für den Gläubigerschutz nichts. Die Verpflichtung zur Dienstleistung ist jedoch nach dem auf die GmbH analog anwendbaren § 27 Abs. 2 AktG nicht sacheinlagefähig.22 Der Gesellschafter hat keine Möglichkeit, die Sacheinlagevorschriften einzuhalten. Entgegen einem BGH-Urteil aus 197823 sollte deshalb eine Verrechnung oder ein Hin- und Herzahlen zulässig sein.24 Als Alternative bliebe sonst nur, dass der Geschäftsführer zunächst unentgeltlich arbeiten müsste, was realitätsfremd und vom Gläubigerschutz nicht gedeckt ist.
24
Eine andere typische Konstellation ist die Einbindung der neugegründeten Gesellschaft in den konzerninternen Leistungsverkehr. Soweit Zahlungen für bezogene Waren an Schwestergesellschaften geleistet werden, an denen die Inferentin nicht beteiligt ist, kommt nach dem erwähnten Urteil vom 12.2.200725 eine verschleierte Sacheinlage und demgemäß auch eine Umgehung des Aufrechnungsverbots in § 19 Abs. 5 GmbHG nicht in Betracht. Soweit hingegen eine Beteiligung der Inferentin an der die Zahlung empfangenden Gesellschaft vorliegt, stellt sich die Frage, ob normale Umsatzgeschäfte privilegiert werden sollen. Dies wird teilweise unter Berufung auf § 52 Abs. 9 AktG angenommen.26 Dort heißt es, dass der Erwerb von Vermögensgegenständen in der AG „im Rahmen der laufenden Geschäfte“ von den Nachgründungsbeschränkungen freigestellt ist. Der BGH hatte zunächst offen gelassen, ob das auch für die Kapitalaufbringung gilt; denn allein die Befreiung von der Nachgründungskontrolle besage noch nichts über die erstmalige Aufbringungskontrolle.27 Nunmehr hat er eine vollständige Ausklammerung gewöhnlicher Umsatzgeschäfte aus dem Anwendungsbereich der verdeckten Sacheinlage jedenfalls bei der Neugründung abgelehnt.28 Ob es Ausnahmen insbesondere für die Kapitalerhöhung gibt, ließ der BGH offen. Die Lösung liegt m.E. in den Erfordernissen der Vorabsprache und der Sacheinlagefähigkeit. Frischfleisch bspw. ist wegen der kurzfristigen Verfallzeit kaum sacheinlagefähig. Zumindest würde eine formelle Sacheinlage dem Gläubigerschutz nicht dienen, da es als Haftungsmasse nicht verwertbar wäre. Gleiches gilt für Artikel, die nach Bedarf bestellt werden. Sie können nicht von vornherein im Einbringungsvertrag spezifiziert werden. Insofern wird es also regelmäßig an einer Vorabsprache fehlen. Demgegenüber ist die Grundausstattung einer Kfz-Werkstatt bspw. durchaus geeignet.29 Auf diese Weise wird ein window dressing verhindert, bei dem Ladenhüter, die kurzfristig nicht verwendbar sind, an eine neugegründete Gesellschaft verkauft werden, um Abschreibungen bei der kriselnden Inferentin zu vermeiden.
21 Auf die Reihenfolge von Hin und Her oder Her und Hin kommt es nicht an: BGH v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, MDR 1996, 479 = ZIP 1996, 595; BGH v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, MDR 2002, 41 = ZIP 2001, 1997 = NJW 2001, 3781; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, MDR 2003, 464 = ZIP 2003, 211 = NJW 2003, 825; BGH v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, DStR 2006, 1709 = ZIP 2007, 824 = ZIP 2006, 1633. 22 Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rz. 51. 23 BGH v. 21.9.1978 – II ZR 214/77, NJW 1979, 216. 24 KG v. 23.4.2007 – 23 U 75/06, juris behandelt dies als eine laufende Geschäftsbeziehung (vgl. § 52 Abs. 9 AktG), für die die Sacheinlagevorschriften nicht gelten, wenn eine Wertkontrolle durch die Gesellschaft stattfindet. 25 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528. 26 OLG Hamm v. 17.8.2004 – 27 U 189/03, ZIP 2005, 1138; Traugott/Groß, BB 2003, 481, vgl. auch KG v. 23.4.2007 – 23 U 75/06, juris; ablehnend: Krolop, NZG 2007, 577. 27 BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, MDR 1996, 1136 = ZIP 1996, 668. 28 BGH v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178. 29 Zur Abgrenzung zwischen gewöhnlichen Umsatzgeschäften und verdeckter Einlage vgl. OLG München v. 6.10.2005 – 23 U 2381/05, DB 2005, 2462.
496 | Andres
III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 29 § 6
b) Sachgründung Gegenstand einer Sacheinlage können alle übertragbaren und hinreichend sicher bewertbaren Vermögensgegenstände sein.30 Dazu gehören obligatorische Nutzungsrechte mit einer festbestimmten Mindestdauer31 sowie sonstige immaterielle und natürlich erst recht körperliche Vermögensgegenstände. Sie müssen zweifelsfrei im Einbringungsvertrag bestimmt werden. Ist das nicht der Fall, fehlt es an einer wirksamen Sachgründung, so dass die Stammeinlage in bar geschuldet wird.32 Außerdem müssen für den dinglichen Vollzug die sachenrechtlichen Anforderungen eingehalten werden, namentlich die Bestimmbarkeit bei der Abtretung von Forderungen33 und Bestimmtheit bei der Übereignung von Sachen.34 Bei der Einbringung eines Unternehmens kommt es hier schnell zu Fehlern, die vermieden werden, wenn nach dem UmwG vorgegangen wird, weil dann die Universalsukzession gilt.
25
Die Formalien der Sacheinlage ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz:
26
– Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, § 5 Abs. 4 GmbHG; – Offenlegung bei der Anmeldung und Eintragung, § 8 Abs. 1 Nr. 4, 5, 10 Abs. 3 GmbHG; – Sachgründungsbericht (Bewertungsbericht), § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG; – Vollständige Leistung vor der Eintragung (Einbringungsvertrag), § 7 Abs. 3 GmbHG; – Registerprüfung, § 9c GmbHG. Entspricht der Wert der Einlagegegenstände nicht dem Nominalbetrag der übernommenen Stammeinlage, hat der Gesellschafter die Differenz zu erstatten, § 9 Abs. 1 GmbHG. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Anmeldung, nicht der der Eintragung, was allerdings eine unabhängig davon bestehende35 Vorbelastungshaftung (s.u. Rz. 30 ff.) z.B. durch die verlustreiche Fortsetzung eines eingebrachten Unternehmens bis zur Eintragung nicht hindert. Das Verhältnis der Differenzhaftung im Zeitpunkt der Anmeldung zur Vorbelastungshaftung im Zeitpunkt der Eintragung ist so, dass Wertminderungen des Einlagegegenstandes, die unabhängig von einer vorzeitigen Aufnahme des Geschäftsbetriebes anfallen, nicht ausgeglichen werden müssen, während betriebsbedingte Verluste unter die Vorbelastungshaftung fallen.36
27
Die Differenzhaftung des Inferenten wird abgesichert durch die Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter gem. § 24 GmbHG. Daneben ordnet § 9a GmbHG eine Haftung für falsche Angaben bei der Anmeldung an. Sie trifft sowohl den Nichtgesellschafter-Geschäftsführer, der die Anmeldung unterzeichnet, als auch die Gesellschafter, die kein Sacheinlage erbringen, weil gem. § 5 Abs. 4 GmbHG alle den Sachgründungsbericht erstellen müssen.37
28
Nach den Vorschriften über die Sacheinlage ist auch die Sachübernahme („verschleierte Sacheinlage“) zu behandeln, bei der der Vermögensgegenstand nicht eingebracht, sondern an die Gesellschaft verkauft und die Einlage durch Verrechnung mit dem Kaufpreisanspruch erbracht werden soll (s.o. Rz. 11 f.).
29
30 Vgl. Altmeppen, GmbHG, Rz. 55. 31 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, ZIP 2000, 1162; BGH v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, MDR 2004, 1245 = ZIP 2004, 1642 = NZG 2004, 910 = DStR 2004, 1662. 32 BGH v. 24.7.2000 – II ZR 202/98, DStR 2000, 2002. 33 Grüneberg in Palandt, BGB, § 398 Rz. 14 ff. 34 BGH v. 21.10.2002 – II ZR 118/02, MDR 2003, 223 = ZIP 2003, 30; Palandt/Herrler, BGB, § 930 Rz. 2. 35 Scholz/Veil, GmbHG, § 9 Rz. 30. 36 Dabei ist allerdings eine Doppelrechnung zu vermeiden, die bspw. bei der Bewertung eines eingebrachten Unternehmens nach dem Ertragswert droht, wenn geplante Verluste schon im Unternehmenswert berücksichtigt sind. 37 Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rz. 99.
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§ 6 Rz. 30 | Gesellschafterberatung
c) Verlustdeckungshaftung, Unterbilanzhaftung 30
Eine Gesellschaft durchläuft verschiedene „Geburtsstadien“, bevor sie mit der Eintragung als „fertige“ GmbH entsteht. Zunächst verabreden sich die Gründer, eine GmbH zu errichten. I.d.R. beschränkt sich ihre Zusammenarbeit auf interne Planungen. Wird hingegen schon im Außenverhältnis aufgetreten und gemeinschaftliches Vermögen gebildet, entsteht eine Vorgründungsgesellschaft, die eine Personengesellschaft ist und mit Abschluss des notariellen GmbH-Vertrages durch Zweckerreichung endet. Übersehen wird dabei meist, dass die einzelnen Vermögensgegenstände auf die mit der notariellen Beurkundung entstehende Vorgesellschaft (= Gründungsgesellschaft) gesondert übertragen werden müssen, was allerdings nach dem Vorgesagten nur durch eine förmliche Sacheinlage zulässig ist. Die Vorgesellschaft ist ein Personenzusammenschluss eigener Art, auf den das GmbH-Recht angewendet wird, soweit dies nicht die Eintragung in das Handelsregister voraussetzt.38 Sie ist passiv und aktiv parteifähig, damit also insbesondere auch konto- und grundbuchfähig.39 Sie kann bereits die Komplementärstellung in einer GmbH und Co. KG übernehmen.40 Zweck der Vorgesellschaft ist eigentlich nur die Herbeiführung der Eintragung. Die Gründer können aber vereinbaren, dass sie bereits geschäftlich aktiv wird. Da dies von dem eigentlichen Zweck abweicht, ist hierfür Einstimmigkeit erforderlich.41 Mit Eintragung der GmbH ist der Errichtungsvorgang abgeschlossen. Die fertige GmbH übernimmt alle aktiven und passiven Vermögensgegenstände der Vorgesellschaft (Gründungsgesellschaft) im Wege der Universalsukzession. Anders als im Verhältnis zwischen Vorgründungsgesellschaft und Gründungsgesellschaft ist eine gesonderte Übertragung nicht erforderlich.
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Vorgründungsgesellschaft und Gründungsgesellschaft unterscheiden sich auch hinsichtlich der Haftung. Für die eine gilt das Haftungsrecht der Personengesellschaften, für die andere bestimmt hingegen § 11 Abs. 2 GmbHG, dass die Handelnden persönlich und solidarisch haften. Die Vorschrift beruht auf dem früher von der ganz herrschenden Meinung vertretenen sog. Vorbelastungsverbot, wonach die Gesellschaft bei ihrer Eintragung mit keinen Verbindlichkeiten belastet sein darf.42 Wenn gleichwohl Verbindlichkeiten eingegangen wurden, blieben die Handelnden als einzige Schuldner übrig. Diese Vorstellung des historischen Gesetzgebers wurde durch die wirtschaftlichen Bedürfnisse überholt. Es kam zunehmend vor, dass die GmbH schon vor ihrer Eintragung geschäftlich aktiv werden musste, insbesondere, wenn ein Unternehmen als Sacheinlage eingebracht wurde. Deshalb ersetzte der BGH 1981 die Handelndenhaftung durch eine Differenz- oder Unterbilanzhaftung mit dem Inhalt, dass die Gesellschafter anteilig – mit der Rechtsnachfolgerhaftung des § 16 Abs. 3 GmbHG und Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gem. § 24 GmbHG43 – für eine etwaige Differenz zwischen Reinvermögen und Stammkapital einzustehen haben. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist der Tag der Eintragung.44 Die Differenz ist durch eine Vorbelastungsbilanz zu ermitteln, bei der regelmäßig die Fortführungswerte45 anzusetzen sind, es sei denn, dass sich bei der Eintragung bereits die mangelnde Überlebensfähigkeit abzeichnet. Dann kommt es auf die Liquidationswerte an.46 Hat sich durch die Geschäftstätigkeit während der Gründungsphase schon eine feste organisatorische Einheit herausgebildet, die als Unternehmen am Markt veräußert werden könnte, kann es auch als Ganzes nach dem Ertragswertverfahren bewertet werden.47 Im Gegensatz zur herrschenden Meinung bei Unterneh38 BGH v. 24.10.1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 31. 39 BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, MDR 1998, 338 = ZIP 1998, 109 = NJW 1998, 1079. 40 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, MDR 1992, 654 = ZIP 1992, 694 = ZIP 1992, 694 A = NJW 1992, 1824. 41 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 = MDR 1981, 649. 42 BGH v. 16.6.1955 – II ZR 900/53, BGHZ 17, 385. 43 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = MDR 1981, 649 = ZIP 1981, 394. 44 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = MDR 1981, 649 = ZIP 1981, 394; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300 = MDR 1989, 520 = ZIP 1989, 27. 45 BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, MDR 1994, 357 = ZIP 1994, 295. 46 BGH v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, MDR 1998, 112 = ZIP 1997, 2008. 47 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, DStR 2002, 1538; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, MDR 2006, 1057 = ZIP 2006, 668.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 36 § 6
menswerten im Überschuldungsstatus (s. § 1 Rz. 150 ff.) ist es für die Vorbelastungshaftung aber wohl nicht erforderlich, dass konkrete Kaufangebote vorliegen. In die Vorbelastungsbilanz sind sämtliche werthaltigen Forderungen und Verbindlichkeiten aufzunehmen. Das gilt insbesondere auch für Ansprüche gegen Gesellschafter wegen überbewerteter Sacheinlagen. Nur der Gründungsaufwand führt nicht zur Haftung, wenn er analog § 26 Abs. 2 AktG in der Satzung festgelegt und angemessen ist.48
32
Die Geschäftsführer sind verpflichtet, die Unterbilanzhaftung geltend zu machen. Tun sie es nicht, sind sie schadensersatzpflichtig mit der Konsequenz, dass sie auch dann noch haften, wenn Ansprüche gegen die Gesellschafter längst verjährt sind. Die für die Gesellschafter geltende Frist bemisst der BGH analog § 9 Abs. 2 GmbHG49 mit jetzt zehn Jahren. Lässt der Geschäftsführer die Ansprüche verjähren, haftet er ab Verjährungseintritt (= Schadenseintritt) weitere fünf Jahre gem. § 43 Abs. 4 GmbHG.
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Das Gefährliche an der Unterbilanzhaftung ist, dass sie zunächst unbemerkt bleibt, weil auf den Eintragungsstichtag regelmäßig keine Bilanz erstellt und ein irgendwann einmal in Höhe des Stammkapitals (wieder) ausgewiesenes Eigenkapital als „Entwarnung“ angesehen wird. Der Haftungsanspruch kann jedoch nur durch Leistung erfüllt werden. Er steht nicht etwa unter einer auflösenden Bedingung der Wertaufholung des Gesellschaftsvermögens. Deshalb erlischt er auch nicht von selbst durch in der GmbH erwirtschaftete Gewinne.50 Anderenfalls könnte der Anspruch nicht wirksam verfolgt oder verwertet werden. Wegen der Einlageähnlichkeit der Vorbelastungshaftung unterliegt der Haftungsanspruch überdies dem Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 4 GmbHG.
34
Wurde keine Vorbelastungsbilanz erstellt und sind auch keine Geschäftsaufzeichnungen vorhanden, aus denen sie nachträglich angefertigt werden kann, bestehen aber hinreichende Anhaltspunkte für eine Unterdeckung im Zeitpunkt der Eintragung, haben die Gesellschafter darzulegen, dass das Stammkapital nicht schon im Gründungsstadium angegriffen wurde.51
35
Oben wurde erwähnt, dass der Zweck der Gründungsgesellschaft die Herbeiführung der Eintragung ist. Deshalb greift die Gesellschafterhaftung auch nur dann ein, wenn alle Mitglieder mit der Geschäftstätigkeit einverstanden waren. Waren sie es nicht, konnten die Geschäftsführer die Gründungsgesellschaft nicht wirksam vertreten. Dann bleibt es bei der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG.52 An das Einverständnis dürfen allerdings keine hohen formellen Anforderungen gestellt werden. Konkludentes Handeln reicht aus.53 Unklar ist, ob neben den Geschäftsführern auch diejenigen haften, die der vorzeitigen Geschäftsaufnahme zugestimmt haben. Das wird im Ergebnis zu bejahen sein; denn es wäre unangemessen, sie zu Lasten der Geschäftsführer von jeglicher Haftung nur deshalb zu befreien, weil bspw. ein einziger gering beteiligter Gesellschafter widersprochen hat. Der BGH fasst den Handelndenbegriff jedoch recht eng. Entgegen früherer Auffassung gehören dazu nicht die Gesellschafter als Auftraggeber, sondern nur die Geschäftsführer und die wie ein Geschäftsführer nach außen tätig gewordenen Personen.54 In Betracht kommt dann nur ein Aufwendungsersatzanspruch der Handelnden im Innenverhältnis zu denjenigen Gesellschaftern, die eine Geschäftsaufnahme beschlossen und ihn – wenn auch gesellschaftsrechtlich unwirksam – entsprechend beauftragt haben. Sinnvoller wäre es, einen zumindest qualifizierten Mehrheitsbeschluss ebenso wie bei einer Än-
36
48 49 50 51 52
Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rz. 111 ff. BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300 = MDR 1989, 520 = ZIP 1989, 27. BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, MDR 2006, 1057 = ZIP 2006, 668. BGH v. 17.2.2003 – II ZR 281/00, ZIP 2003, 625. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = MDR 1981, 649 = ZIP 1981, 394; BGH v. 4.3.1997 – II ZR 123/94, MDR 1997, 665 = ZIP 1997, 679. 53 BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45. 54 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394; BGH v. 26.1.1967 – II ZR 122/64, BGHZ 47, 25 = MDR 1981, 649; zum faktischen Geschäftsführer: BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550.
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§ 6 Rz. 36 | Gesellschafterberatung derung des Gesellschaftsvertrages analog § 57 Abs. 2 GmbHG ausreichen zu lassen und die dissentierenden Gesellschafter dadurch zu schützen, dass nur die der Geschäftsaufnahme zustimmende Mehrheit der Vorbelastungshaftung unterliegt. 37
Die Unterbilanzhaftung greift nur ein, wenn die GmbH auch tatsächlich eingetragen wird. Kommt es dazu nicht, bedarf es keiner Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des – dann auch nicht publizierten – Stammkapitals, sondern nur bis zur ausgeglichenen Bilanz ohne Eigenkapitalausweis. Dann sind alle Verbindlichkeiten gedeckt. An die Stelle der Unterbilanzhaftung tritt bei der stecken gebliebenen Gründung die Verlustdeckungshaftung. Beide sind eine Innenhaftung, die von den Gesellschaftern – mit der Ausfallhaftung des § 24 GmbHG entsprechend der Beteiligungshöhe – zu erfüllen ist. Beide sind der Höhe nach unbegrenzt bis zum Ausgleich der Überschuldung (bei stecken gebliebener Eintragung) bzw. des Stammkapitals (Unterbilanzhaftung).55 Ein Unterschied besteht bei der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG. Sie wird durch die Unterbilanzhaftung nur ersetzt, wenn es tatsächlich zur Eintragung kommt. Ist das nicht der Fall, bestehen die Handelndenhaftung des Geschäftsführers und die Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter nebeneinander.
38
Wird die Geschäftstätigkeit der Gründungsgesellschaft fortgesetzt, obwohl die Eintragung nicht mehr verfolgt wird, „haben die Gründer für sämtliche Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft, auch für die bis zum Scheitern entstandenen, nach personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen einzustehen“.56 Damit wandelt sich die pro-rata-Haftung in eine unbegrenzte gesamtschuldnerische Haftung.
d) Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften 39
Wegen der großen Haftungsgefahren einer Geschäftstätigkeit vor der Eintragung werden häufig bestehende Gesellschaften verwendet. Von einer „Vorratsgesellschaft“ wird gesprochen, wenn sie von vornherein auf Vorrat für eine spätere Geschäftstätigkeit durch andere als die Gründer errichtet wurde, von einer „Mantelgesellschaft“, wenn sie schon aktiv tätig war, den Betrieb aber eingestellt und ihr Vermögen versilbert hat, so dass nur noch der rechtliche „Mantel“ übrig bleibt57. Die Gründung von Vorratsgesellschaften ist zulässig.58 Voraussetzung ist nur, dass der Geschäftszweck – z.B. „Verwaltung eigenen Vermögens“ – offen ausgewiesen wird. Sonst ist die Gründung gem. § 75 GmbHG – wenn auch heilbar – nichtig.
40
Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist die Gründung einer Vorratsgesellschaft erst dann richtig abgeschlossen, wenn sie auch tatsächlich für Geschäftstätigkeiten verwendet wird, die über den Selbstzweck der Verwaltung eigenen Vermögens hinausgehen. Ähnlich spricht man bei der Wiederaktivierung einer Mantelgesellschaft von einer wirtschaftlichen Neugründung. In beiden Fällen kommt deshalb das Gründungsrecht insofern zum Zuge, als die Geschäftsführer die erstmalige oder erneute Verwendung beim Handelsregister anzeigen müssen. Entsprechend § 8 Abs. 2 GmbHG haben sie zu versichern, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG bezeichneten Leistungen bewirkt und weiterhin zu ihrer freien Verfügung stehen.59 Erst dann ist der (Neu-)Gründungsvorgang abgeschlossen. Auf den Zeitpunkt der Anzeige ist auch für die Unterbilanzhaftung abzustellen.60 Die Gesellschafter laufen also wie bei der Vorgesellschaft erhebliche Haftungsgefahren, wenn sie mit der Geschäftstätigkeit ohne eine Offenlegung gegenüber dem Handelsregister beginnen. Auch hier gilt im Übrigen, dass sämtliche Ge-
55 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, MDR 1997, 665 = ZIP 1997, 679; BGH v. 24.10.2005 – II ZR 129/04, MDR 2006, 404 = ZIP 2005, 2257. 56 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, MDR 2003, 340 = ZIP 2002, 2309. 57 Umfassend: Goette, DStR 2004, 461 ff. 58 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, MDR 2003, 515 = ZIP 2003, 251; BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698. 59 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, MDR 2003, 515 = ZIP 2003, 251. 60 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698; OLG Celle v. 11.5.2005 – 9 U 218/04, GmbHR 2005, 1496.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 43 § 6
sellschafter mit der Geschäftstätigkeit einverstanden sein müssen, was meist allein aus ihrer Beteiligung am Vorrats- oder Mantelerwerb folgt. Sind sie es nicht, unterliegen die Geschäftsführer der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG, obwohl sie als Vertreter einer förmlich eingetragenen GmbH auftreten.61 In der Praxis wird immer noch übersehen, dass allein die im Zusammenhang mit der Anmeldung eines Geschäftsführerwechsels abgegebene Versicherung, dass die (Mindest-)Einlagen (wieder) zur freien Verfügung stehen, nicht ausreicht. Die Offenlegung der (Wieder-)Aktivierung ist nach dem BGH-Beschluss vom 7.7.2003 zusätzlich erforderlich. Die Haftungsvoraussetzungen bei der Mantelverwendung sind nicht identisch mit den Voraussetzungen für eine Änderung der wirtschaftlichen Identität bei § 8 Abs. 4 KStG, die zum Wegfall der steuerlichen Verlustvorträge führt. Solange ein wesentlicher Geschäftsbetrieb „in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise“62 besteht, liegt nur eine Umorganisation vor, die nicht zur Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Gründungsvorschriften führt. Zunächst hat der BGH mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2010 den Tatbestand der wirtschaftlichen Neugründung auf die Fälle eingeschränkt, in denen nur eine tatsächlich leere Hülse verwandt wurde.63 Voraussetzung war also, dass kein aktives Unternehmen betrieben wurde. Eine wirtschaftliche Neugründung lag dann nicht vor, wenn die Fortführung des Geschäftsbetriebes, sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung und Erweiterung ihres Tätigkeitsgebietes in irgendeiner Form wirtschaftlich noch in gewichtbarer Weise anknüpfen konnte. Im Jahr 2011 stellte der BGH dann erweiternd fest, dass auch Strukturänderungen, die vor Eintragung der Gesellschaft vollzogen worden sind, gleichfalls für eine wirtschaftliche Neugründung nicht ausreichen.64
41
2. Kapitalerhöhung der GmbH Für die Kapitalerhöhung verweisen die §§ 55 Abs. 4, 56 ff. GmbHG auf die Vorschriften zur Kapitalaufbringung bei der Gründung, so dass hier nur auf die bei der Erhöhung spezifischen Probleme eingegangen wird.
42
a) Aufgabe des Gebots der wertgleichen Deckung Eine Unterbilanzhaftung auf den Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister kommt nicht in Betracht, weil die Gesellschaft vor der Kapitalerhöhung üblicherweise bereits tätig ist. Wenn deshalb nicht auf den Wert des gesamten Gesellschaftsvermögens abgestellt werden kann, wäre es immerhin denkbar, isoliert den Wert der neuen Einlage zu betrachten, und zwar nicht bei Eintragung, sondern im Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister. Das tat die Rechtsprechung anfänglich auch, allerdings nicht mit der Forderung nach einer bei einem laufenden Geschäftsbetrieb ungeeigneten Unterbilanzhaftung,65 sondern mit dem sog. Gebot der wertgleichen Deckung. Bei der Anmeldung müsse die Einlage aus der Kapitalerhöhung zwar nicht identisch, wohl aber dem Wert nach in Vermögensgegenständen der Gesellschaft noch vorhanden sein.66 Zwar verfuhr der BGH mit der wertgleichen Deckung zunehmend großzügiger. So reichte es aus, dass die Einlage auf ein debitorisch geführtes Konto gezahlt wurde, wenn die Bank wieder Verfügungen in gleicher Höhe zuließ.67 Hingegen sollte es an einer wertgleichen Deckung fehlen, wenn die aus der Erhöhung stammenden Mittel zum Ausgleich von Verbindlichkeiten68 oder für Aufwendungen des laufenden Ge61 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698; problematisierend allerdings der Vorsitzende des II. Zivilsenats Goette, DStR 2004, 461, 464. 62 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698. 63 BGH v. 6.10.2009 – VI ZR 314/08, MDR 2010, 84 = NJW 2010, 1454. 64 Vgl. BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, MDR 2011, 1307 = GmbHR 2011, 1032. 65 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, MDR 1992, 1135 = ZIP 1992, 1387 = NJW 1992, 3300. 66 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, MDR 1992, 1135 = ZIP 1992, 1387 = NJW 1992, 3300. 67 BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466. 68 BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466.
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§ 6 Rz. 43 | Gesellschafterberatung schäftsbetriebes verbraucht wurden. Diese Differenzierung erwies sich jedoch für den Gläubigerschutz als ungeeignet, weil es bei einer tätigen Gesellschaft keine Rolle spielt, ob die aus der Erhöhung stammenden Mittel vor oder nach der Anmeldung zur Schuldentilgung verwendet werden. Deshalb hat der BGH den Vorbehalt der wertgleichen Deckung schließlich aufgegeben. Die Versicherung des Geschäftsführers muss jetzt nur noch lauten, dass der Betrag zur freien Verfügung eingezahlt wurde und in der Folge nicht an den Inferenten zurückfloss.69 44
Damit ist auch eine Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger aus den Einlagemitteln zulässig.70 Der Inferent darf sogar direkt an die Gesellschaftsgläubiger zahlen.71 Dessen Forderung muss jedoch vollwertig, fällig und liquide sein. Daran fehlt es, wenn eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch die Kapitalerhöhung nicht beseitigt wird. Soweit es die Mindesteinlage gem. §§ 57 Abs. 2, 7 Abs. 2 GmbHG betrifft, muss jedoch weiterhin zusätzlich beachtet werden, dass sie auch im Rahmen der Kapitalerhöhung zur freien Verfügung des Geschäftsführers stehen muss. Insofern führt eine Direktzahlung selbst auf Weisung des Geschäftsführers nicht zum Erlöschen der Einlageverpflichtung.72 Das Gleiche gilt hinsichtlich der Mindesteinlage, wenn der Gesellschafter auf ein debitorisch geführtes Konto zahlt, falls nicht – auch nicht von einem anderen Konto bei derselben Bank73 – wieder verfügt werden darf.74 Anders ist es hingegen nach Aufgabe der Rechtsprechung zur wertgleichen Deckung, wenn es der Geschäftsführer selbst ist, der nach Zahlung auf ein Konto, über dessen Guthaben er frei verfügen kann, den Bankkredit endgültig zurückführt, weil die Einlagemittel dann kurzfristig zu seiner freien Verfügung standen. Ob er mit der Zahlung an die Bank den Kreditspielraum wieder erhöht, spielt keine Rolle mehr. Freilich kann dies in einem späteren Insolvenzverfahren der Gesellschaft zu einer Haftung des Gesellschafters führen, wenn er für diesen Bankkredit private Sicherheiten bestellt hatte und diese frei geworden sind, § 135 Abs. 2 InsO. Am Kriterium der freien Verfügbarkeit sind nunmehr auch Verwendungsabsprachen zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern zu messen. Sind die Geschäftsführer noch in der Lage, eine – wenn auch abredewidrige – andere Verwendungsentscheidung zu treffen, ist die Einlageverpflichtung trotz der Verwendungsabsprache auch hinsichtlich der Mindesteinlage erfüllt.75 Insofern unterscheidet sich die Rechtslage bei der Kapitalerhöhung von derjenigen bei der Gründung.76 Nur an den Inferenten zurückfließen darf der Einlagebetrag nicht.77 Dann handelt es sich um das oben gesprochene Hin- und Herzahlen, das keine wirksame Einlageleistung darstellt.
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Kapitalerhöhungen werden häufig bei dringendem Geldbedarf geschlossen. Im Vertrauen darauf, dass der formelle Gesellschafterbeschluss alsbald nachgeholt wird, stellen einflussreiche Gesellschafter schon vorher einen Betrag in Anrechnung auf die künftige Einlageschuld zur Verfügung. Genau genommen wird dann später, wenn diese Schuld durch den beurkundeten Erhöhungsbeschluss formwirksam entstanden ist, nicht mehr der Geldbetrag eingelegt, sondern die – sei es auch auflösend bedingte – Forderung gegen die GmbH aus der Voreinzahlung. Trotzdem hat der BGH keine Bedenken gegen das Erlöschen der Einlageverpflichtung, wenn der vorzeitig zur Verfügung gestellte Betrag noch 69 70 71 72 73 74 75
76 77
BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, MDR 2001, 577 = ZIP 2001, 513. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, MDR 1986, 647 = ZIP 1986, 161 = NJW 1986, 989; ebenso für die AG: BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, MDR 1992, 1135 = ZIP 1992, 1387 = NJW 1992, 3300. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993. BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, MDR 2005, 344 = ZIP 2005, 121; BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, MDR 2002, 1076 = ZIP 2002, 799; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, MDR 2001, 577 = ZIP 2001, 513; vgl. schon vor Aufgabe der wertgleichen Deckung, BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, MDR 1991, 323 = NJW 1991, 226 = ZIP 1990, 1400. Dazu BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, MDR 1986, 647 = ZIP 1986, 161; BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, MDR 1992, 1135 = ZIP 1992, 1387 (zur AG). BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, MDR 2003, 464 = ZIP 2003, 211.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 47 § 6
unverbraucht bei der GmbH vorhanden ist. Das ist wörtlich zu nehmen. Selbst die Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Konto, die sogar nach der inzwischen aufgegebenen strengen Rechtsprechung zum Vorbehalt der wertgleichen Deckung als Einlageleistung nach dem Erhöhungsbeschluss ausreichte, wenn die Bank Verfügungen in entsprechender Höhe wieder zuließ, wird bei der Voreinzahlung nicht anerkannt.78 Insofern unterscheidet sich die Rechtslage vor und nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss. Ausnahmsweise können Voreinzahlungen als wirksame Erfüllung der Einlageschuld auch dann anerkannt werden, wenn sie nicht mehr unverbraucht vorhanden sind. Voraussetzung ist, dass der Erhöhungsbeschluss mit der gebotenen Eile nachgeholt wird, ein akuter Sanierungsfall vorliegt und andere Maßnahmen zur Rettung der sanierungsbedürftigen Gesellschaft nicht in Betracht kommen.79 In der Praxis werden diese Voraussetzungen bei einer GmbH mit einem i.d.R. überschaubaren Mitgliederkreis kaum erfüllt sein. Anders mag es wegen der Ladungsformalitäten bei einer AG mit zahlreichen Aktionären sein. Das oben (Rz. 14 ff.) dargestellte Hin- und Herzahlen kommt bei der Kapitalerhöhung häufiger vor als bei der Kapitalaufbringung in der Gründungsphase, weil sich inzwischen ein Geschäftsverkehr auch mit den Gesellschaftern entwickelt haben kann. Für die Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob erst der Gesellschafter zahlt und die Gesellschaft damit anschließend einer im Zeitpunkt der Einlageleistung schon bestehende (alte) Gesellschafterforderung befriedigt oder ob es umgekehrt verläuft.80 Beide Varianten sind unzulässig, falls es nicht ausnahmsweise an einer (vermuteten) Vorabsprache fehlt. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Betrag auf einem zentralen Konzernkonto (cash-Pool) angelegt wird81 und damit entweder Konzernkreditschulden aus der Vergangenheit befriedigt werden oder ein Konzerndarlehen gewährt wird. Nach dem Urteil vom 12.2.200782 muss das Konto aber von der Inferentin oder einer Gesellschaft geführt werden, an der die Inferentin direkt beteiligt ist. Ist eine andere Konzerngesellschaft Kontoinhaberin, an der die Inferentin nicht direkt beteiligt ist, steht das – jedenfalls in Überragung der Grundsätze des zum Kaufvertrag ergangenen Urteils – einer wirksamen Kapitalaufbringung auch dann nicht entgegen, wenn die (mittelbare) Gesellschafterin durch die Kontogutschrift von einer (Konzern-)bürgschaft gegenüber der kontoführenden Bank befreit wird. Kapitalaufbringung und Bürgenhaftung sind voneinander zu trennen. So mag die GmbH – z.B. unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes – zwar einen Anspruch gegen den Gesellschafter auf Erstattung oder Wiedereinräumung der Bürgschaftsverpflichtung haben, wenn er durch die Verwendung seiner Einlage von einer Bürgenhaftung befreit wurde. Ist die Einlageleistung jedoch für sich genommen wirksam, ändert die dadurch untergegangene Bürgenhaftung daran nichts.83
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Ein unzulässiges Hin- und Herzahlen liegt nicht vor, wenn die Auszahlung der Gesellschaft auf einer Neuforderung des Gesellschafters beruht und dies nicht vorabgesprochen ist, was allerdings bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang vermutet wird.84 So handelt es sich bei dem Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren, bei der die Kapitalerhöhung aus Gewinnen der Gesellschaft gespeist wird, zwar regelmäßig um ein unzulässiges Hin- und Herzahlen bzw., was dem gleichkommt, um eine verschleierte Sacheinlage, weil der Gewinnanspruch eingebracht wird. Ist die Aufbringung der Einlage durch Gewinnansprüche von vornherein beabsichtigt, handelt es sich der Sache nach um eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, für die die §§ 57c ff. GmbHG zu beachten sind.85 Dafür kann die letzte Jahresbilanz zugrunde gelegt werden, wenn sie geprüft und nicht älter als acht Monate ist, § 57e Abs. 1 GmbHG. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist aber der Gewinnverwendungsbeschluss
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BGH v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, MDR 2004, 694 = ZIP 2004, 849. BGH v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, ZIP 2006, 2214. BGH v. 26.5.1997 – II ZR 69/96, ZIP 1997, 1337. BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, MDR 2006, 819 = ZIP 2006, 665. BGH v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. BGH v. 13.5.1996 – II ZR 275/95, MDR 1996, 1135 = ZIP 1996, 1248; OLG Hamburg v. 28.4.2006 – 11 U 291/05, GmbHR 2006, 934. 85 BGH v. 26.5.1997 – II ZR 69/96, ZIP 1997, 1397. 78 79 80 81 82 83 84
Andres | 503
§ 6 Rz. 47 | Gesellschafterberatung schon gefasst worden, kann der Auszahlungsanspruch im Wege der Sacheinlage eingebracht werden. Handelt es sich hingegen um Gewinnansprüche, die erst in noch nicht bekannter Höhe nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss entstehen, mithin um Neuforderungen, verstößt eine einvernehmliche Verrechnung nicht gegen § 19 Abs. 5 GmbHG, falls es an der Vorabsprache und der Indizwirkung des sachlichen und zeitlichen Zusammenhanges fehlt. Voraussetzung ist dann aber, dass die Forderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft im Verrechnungszeitpunkt vollwertig, fällig und liquide ist.86
b) Darlegungs- und Beweislast 48
Der BGH hat in einem Beschluss vom 17.9.2013 Stellung zur Darlehens- und Beweislastverteilung hinsichtlich der Erfüllung der Einlageschuld genommen. Grundsätzlich gilt, dass der Inferent für die vollständige Erbringung der Stammeinlage darlegungs- und beweisbelastet sei. Dies gelte auch dann, wenn die behauptete Zahlung lange zurück liege und der nunmehrige Gesellschafter einen Geschäftsanteil erst im Nachgang erworben hat.87 Soweit es die Umgehungsgefahren (z.B. keine freie Verfügbarkeit, Hin- und Herzahlen, verschleierte Sacheinlage) betrifft, ist von der Erfüllung der Einlageschuld auszugehen, wenn die Einzahlung auf ein Gesellschaftskonto nachgewiesen wird. Sollte die tatsächliche Zahlung nach der tatsächlichen Feststellung erfolgt sein, ist der Insolvenzverwalter dafür, dass diese tatsächliche Zahlung nicht zur Tilgung der Einlagen geführt hat, entsprechend darlegungsbelastet. Der Insolvenzverwalter muss dann Anhaltspunkte vortragen, dass trotz der nachgewiesenen Einzahlung der Stammeinlage der Betrag nicht ordnungsgemäß in das freie Vermögen der GmbH gelangt ist. In diesem Fall muss der Inferent dann seinerseits darlegen und beweisen, dass er das Vermögen der GmbH zur freien Verwendung überlassen hat. Es ist Sache des Insolvenzverwalters, Anhaltspunkte vorzutragen, die für die Umgehung sprechen.88 Geschieht dies, ist es wieder an dem Gesellschafter, die Erfüllung zu beweisen. Das gilt insbesondere bei einer Verrechnung der Einlageschuld für die Vollwertigkeit.89 Für die Ausfallhaftung der Mitgesellschafter nach Kaduzierung des Anteils vom säumigen Gesellschafter entfaltet ein rechtskräftiges Urteil, das die Nichtzahlung des ausgeschiedenen Gesellschafters festgestellt hat, keine Bindungswirkung.90
c) Stecken gebliebene Kapitalerhöhung 49
Gelegentlich kommt es vor, dass die Gesellschafter eine Kapitalerhöhung beschließen, die bis zur Insolvenz nicht in das Handelsregister eingetragen wird, sei es, dass es Eintragungshindernisse gibt, sei es, dass noch nicht sämtliche Gesellschafter ihre Einlage zur freien Verfügung des Geschäftsführers gezahlt haben. Dann ergibt sich die Frage, ob die Eintragung noch erfolgen kann, wer dafür zuständig ist und ob sich die Gesellschafter von der Einlageverpflichtung lösen können.91
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Voraussetzung für einen wirksamen Erhöhungsbeschluss ist die notarielle Beurkundung. Formunwirksame Beschlüsse können nicht umgedeutet werden in eine andere Finanzierungszusage z.B. durch Darlehen, weil der Beschluss auf die Zuführung von Eigenkapital mit einer Änderung der gesell-
86 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, MDR 2003, 280 = ZIP 2002, 2045. 87 Vgl. BGH v. 17.9.2013 – II ZR 142/12, ZIP 2014, 261. 88 BGH v. 13.9.2004 – II ZR 137/02, MDR 2005, 164 = ZIP 2005, 28; BGH v. 8.11.2004 – II ZR 202/03, DStR 2005, 297. 89 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, MDR 1992, 754 = ZIP 1992, 992 = NJW 1992, 229; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, MDR 2003, 464 = ZIP 2003, 211. 90 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, MDR 2005, 344 = ZIP 2005, 121. 91 Das ist nicht zu verwechseln mit einer eingetragenen Kapitalerhöhung, bei der nur noch der Einzahlungsbeschluss der Gesellschafter gem. § 46 Nr. 2 GmbHG fehlt. Seiner bedarf es für die Einforderung durch den Insolvenzverwalter nicht mehr, BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, MDR 2008, 218 = ZIP 2007, 2416.
504 | Andres
III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 52 § 6
schaftsrechtlichen Verhältnisse (z.B. bei der Gewinnverteilung, falls einige Gesellschafter an der Kapitalerhöhung nicht teilnehmen) gerichtet ist. Ist die notarielle Beurkundung erfolgt, wird der Kapitalerhöhungsbeschluss gleichwohl erst mit der Eintragung wirksam, § 54 Abs. 3 GmbHG. Für die Anmeldung sind die Geschäftsführer zuständig, §§ 57, 8 GmbHG. Die Zuständigkeit geht mit der Insolvenzeröffnung nicht auf den Verwalter gem. § 80 InsO über;92 denn Statusänderungen bei der Schuldnerin gehören genauso wie z.B. die Geschäftsführerbestellung zum insolvenzfreien Bereich. § 80 InsO betrifft das Vermögen des Schuldners, nicht dessen interne Organisation. Auf den Theorienstreit über die Rechtsstellung des Verwalters93 kommt es hierfür nicht an. Selbst wenn in Abweichung von der herrschenden Meinung der Insolvenzverwalter als Organ der Gesellschaft angesehen werden würde, würden seine Befugnisse nicht über den aus der InsO ersichtlichen Bereich hinausgehen.94 Bleibt somit die Verpflichtung zur alsbaldigen Anmeldung der Kapitalerhöhung beim Geschäftsführer, können die Gesellschafter ihn anweisen, die Anmeldung nicht einzureichen oder gar zurückzunehmen.95 Deshalb gebietet es die haftungsbewehrte Sorgfaltspflicht des § 43 Abs. 1 GmbHG, dass der Geschäftsführer wegen der durch das Insolvenzereignis veränderten Umstände eine Gesellschafterentscheidung einholt; denn nach Auffassung des BGH kann der Erhöhungsbeschluss zwar nach Insolvenzeröffnung noch eingetragen werden mit der Folge, dass die Einlageforderung als Neuerwerb i.S.v. § 35 InsO in die Masse fällt.96 Die Gesellschafter haben aber die Möglichkeit, den Beschluss bis zur Eintragung aufzuheben.97 Darüber zu entscheiden, muss der Geschäftsführer den Gesellschaftern durch Einberufung einer Gesellschafterversammlung Gelegenheit geben.
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Im Interesse der Minderheit soll es nach verbreiteter Meinung in der Literatur noch nicht einmal erforderlich sein, dass die Satzungsänderung durch einen förmlichen Beschluss, den die Minderheit eventuell nicht durchsetzen könnte, wieder aufgehoben wird. Vielmehr wird angenommen, dass der Erhöhungsbeschluss von vornherein auflösend bedingt durch das Insolvenzereignis gefasst wurde.98 Ebenso soll die Bindungswirkung aus dem gem. § 55 Abs. 3 GmbHG gesondert zu beurkundenden Übernahmevertrag mit der Insolvenz entfallen.99 Dem ist für den Fall einer ungesteuerten Insolvenzantragstellung zuzustimmen; denn Geschäftsgrundlage der Kapitalerhöhung ist, dass der Gesellschaftszweck noch erreicht werden kann. Mit der Insolvenzeröffnung wird die Gesellschaft grundsätzlich zunächst aufgelöst, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, so dass sich der ursprüngliche Zweck in den Liquidationszweck umgestaltet, vgl. § 70 GmbHG. Das geschieht zwar erst durch den förmlichen Eröffnungsbeschluss. Aber schon der Insolvenzantrag oder sogar der zuvor eingetretene Insolvenzgrund lassen Zweifel an der Zweckerreichung aufkommen, so dass der Übernehmer bis zur endgültigen Klärung einen Anspruch auf Verhinderung der Eintragung und auf Zurückbehaltung der Zahlung hat. In zwei Fallvarianten ist der Sachverhalt jedoch anders zu beurteilen. Anders verhält es sich, wenn der Gesellschafter säumig ist und bei rechtzeitiger Leistung keine Verweigerungsmöglichkeit gehabt hätte. Es kann nicht sein, dass die vertragstreuen Gesellschafter ihre Einlage erbringen, ihr Geld durch die Insolvenz verlieren und der vertragsuntreue Gesellschafter von der Leistung befreit wird. Ein Lösungsrecht besteht auch dann nicht, wenn die Kapitalerhöhung in Kenntnis der Krise beschlossen wurde. Dann muss jeder mit einem Scheitern der Sanierung rechnen, so dass er nicht im Nachhinein behaup-
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92 BayObLG v. 17.3.2004 – 3Z BR 046/04, ZIP 2004, 1426; a.A. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2007, 692 ff., die zwar einerseits konzedieren, dass der Beschluss bis zur Eintragung nicht wirksam ist, gleichwohl aber eine Einlageforderung annehmen, auf die sich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Verwalters erstrecke, und der deshalb zur Anmeldung berechtigt sei. 93 Dazu Kübler/Prütting/Bork/Lüke, InsO, § 80 Rz. 32 ff. 94 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, MDR 2002, 54 = ZIP 2001, 1469. 95 Altmeppen, GmbHG, § 54 Rz. 4. 96 Kuntz, DStR 2006, 519. 97 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, MDR 1995, 1131 = ZIP 1995, 28. 98 Baumbach/Hueck/Servatius, § 55 Rz. 5. 99 Baumbach/Hueck/Servatius, § 55 Rz. 37.
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§ 6 Rz. 52 | Gesellschafterberatung ten kann, der Sanierungserfolg hätte die Geschäftsgrundlage gebildet. Parallele Wertung gibt es zur Kündbarkeit eines von dritter Seite zugesagten Sanierungskredits oder eines von Gesellschaftern zugesagten Finanzplankredits. Der andere Fall betrifft die Einleitung eines Insolvenzverfahrens, insbesondere eines Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahrens nach den §§ 270 ff. InsO. In diesen Fällen sollen die Möglichkeit der Insolvenzordnung gerade zur Sanierung des Unternehmens genutzt werden. Es wäre dann nicht schlüssig hier den Beschluss als auflösend bedingt anzusehen. 53
Falls eine beschlossene Kapitalerhöhung nicht vollzogen wird, können die von einigen Gesellschaftern bereits geleisteten (Mindest-)Einlagen gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB zurückgefordert werden. Es handelt sich jedoch nur um eine Insolvenzforderung, § 38 InsO. Zwar werden die Zahlungen zur freien Verfügung des Geschäftsführers geleistet, aber eben nicht an ihn als Privatperson. Die Mittel gehören somit zum Vermögen der Schuldnerin. Anders wäre es, wenn der Betrag auf ein offen ausgewiesenes Treuhandkonto entrichtet wird, das auf den Namen des Geschäftsführers persönlich oder auf den Namen der GmbH lautet. Fließen darauf nur die Einlagezahlungen mit der Vereinbarung, darüber erst zu verfügen, unmittelbar bevor100 die Kapitalerhöhung angemeldet wird, hätten die Gesellschafter in der Insolvenz ein Aussonderungsrecht, falls die Anmeldereife bis dahin nicht eingetreten ist. Stattdessen können die Mittel auch auf das Anderkonto eines Notars gezahlt werden, der sie erst mit der Anmeldung freigibt.101 In Sanierungsfällen sind solche Sicherungsmaßnahmen wichtig, weil die Einzahlung aller Einlagen aus der Kapitalerhöhung häufig Voraussetzung für das Gelingen der Sanierung ist, Einzahlungen nur einiger Gesellschafter die Insolvenz hingegen nicht vermeiden können und deshalb verloren sind.
3. Kapitalerhaltung der GmbH 54
Viele Mandanten begegnen dem Grundsatz der Kapitalerhaltung mit Unverständnis. Sie meinen, dass die Einlagen als Haftungsfonds separiert werden müssen, gelegentlich sogar, dass keine Verluste erwirtschaftet werden dürfen. Es geht jedoch allein um das Verbot der Einlagenrückgewähr an die Gesellschafter und ihnen zuzurechnende Dritte.
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Gesetzlich sind das Verbot in § 30 GmbHG und die Rechtsfolge in § 31 GmbHG geregelt. Das ist abschließend mit der Konsequenz, dass § 30 GmbHG kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB ist. Vielmehr ist eine Einlagenrückgewähr dinglich wirksam und löst nur die Erstattungspflichten des § 31 GmbHG aus.102 Das kollidiert mit dem Hin- und Herzahlen bei der Kapitalaufbringung, bei der die Ausführungsgeschäfte analog § 27 Abs. 3 AktG sowohl schuldrechtlich als auch dinglich unwirksam sind (s.o. Rz. 14 ff.). Die Kollision löst der BGH dadurch, dass er die §§ 30 f. GmbHG erst eingreifen lässt, wenn die Kapitalaufbringung abgeschlossen ist,103 wenn also ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Einlageleistung nicht mehr besteht.
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Durch die Einführung des MoMiG wurde § 30 GmbHG dahingehend geändert, dass das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht bei Leistungen gilt, die bei Bestehen eines Gewinnabführungsvertrages i.S.d. § 291 des AktG erfolgen oder die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruchs gegen den Gesellschafter gedeckt sind. § 30 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GmbHG suspendiert somit die Kapitalbindung im Vertragskonzern. Mit § 30 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GmbHG wollte der Gesetzgeber der GmbH vor allem die Teilnahme an einem konzernweiten Cash Pooling auf rechtssicherer Grundlage ermöglichen.104
100 101 102 103 104
Vgl. § 188 Abs. 2 AktG. Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rz. 10. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, ZIP 1997, 1450. BGH v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, MDR 2002, 41 = ZIP 2001, 1997. Vgl. Scholz/Verse, GmbHG, § 30 Rz. 71.
506 | Andres
III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 61 § 6
Weiter enthält § 30 Abs. 1 GmbHG einen durch das MoMiG neu eingeführten Satz 3 für den Fall, dass die Gesellschafter einer GmbH in der Krise einen Kredit gewähren. Mit der Regelung in § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG soll sichergestellt werden, dass die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen in vergleichbaren Rechtshandlungen im Interesse der Gläubiger nunmehr allein nach insolvenzrechtlicher Regelung beurteilt wird und nicht nur unter § 30 GmbHG subsumiert wird. Eine Anwendung der §§ 30 ff. GmbHG auf die Rückzahlung sog. eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen findet nunmehr entgegen der früheren Rechtsprechung nicht mehr statt.105
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a) Buchwertbetrachtung § 30 GmbHG verbietet nicht jede Einlagenrückgewähr, sondern nur diejenige, die das Eigenkapital unter das Stammkapital senkt oder eine schon bestehende Lücke noch vergrößert. Maßgebend sind die nach § 42 GmbHG ermittelten Buchwerte im Zeitpunkt der Entnahme,106 und zwar auch dann, wenn Buchverluste auf ausschließlich steuerlich motivierten Sonderabschreibungen beruhen.107 Liegt das bilanzielle Eigenkapital unter dem Stammkapital, spricht man von einer Unterbilanz, besteht sogar ein durch Eigenkapital nicht gedeckter Fehlbetrag, von einer bilanziellen Überschuldung. Sie ist nicht identisch mit der insolvenzrechtlichen Überschuldung, für die es nicht auf die Buch-, sondern auf die Verkehrswerte bzw. die Fortführungsprognose ankommt, § 19 InsO.
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Daraus ergeben sich mehrere Konsequenzen: Die Erste lautet, dass eine Einlagenrückgewähr unschädlich ist, soweit genügend freies Vermögen (Rücklagen) besteht. Die aus dem Steuerrecht bekannte verdeckte Gewinnausschüttung ist gesellschaftsrechtlich bis zu dieser Grenze irrelevant. Natürlich müssen sich die Gesellschafter einig sein. Anderenfalls haftet der einen einzigen Gesellschafter begünstigende Geschäftsführer gem. § 43 Abs. 1 GmbHG und der begünstigte Gesellschafter nach Bereicherungsrecht, weil die zu seinen Gunsten erfolgte Verfügung wegen kollusiven Zusammenwirkens nichtig ist. Außerdem haftet er wegen Verletzung des Gesellschaftsvertrages.108
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Die zweite Konsequenz könnte lauten, dass bei den Haftungsvoraussetzungen buchwertneutrale Geschäfte nicht von § 30 GmbHG erfasst werden. Hat der an den Geschäftsführer übertragene Vermögensgegenstand keinen Buchwert – z.B. Übertragung nicht aktivierungsfähiger schwebender Geschäfte oder selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände, §§ 248 Abs. 2, 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB – oder erbringt der Gesellschafter eine Gegenleistung in Höhe des Buchwertes, läge dann keine Einlagenrückgewähr vor. Daraus ergäbe sich automatisch die dritte Konsequenz, dass auch auf der Rechtsfolgenseite die Buchwertbetrachtung maßgebend sein müsste, der Gesellschafter also bei einer Einlagenrückgewähr gem. § 31 GmbHG nur den Buchwert zu erstatten hätte.
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Über die erste Konsequenz – kein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsgrundsätze im Bereich des freien Buchwert-Vermögens – besteht Einigkeit. Auch die zweite und dritte Konsequenz, wonach die Buchwertbetrachtung sowohl auf der Tatbestandsseite des § 30 GmbHG als auch auf der Rechtsfolgeseite des § 31 GmbHG maßgebend sein soll, entspricht der wohl herrschenden Meinung und insbesondere der Auffassung des BGH; denn er will die dadurch entstehenden Schutzlücken durch die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs schließen, die nach einer Änderung der Rechtsprechung109 nunmehr als eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung angesehen wird und in Anspruchskonkurrenz zu den für diese Fallgruppe vermeintlich unzureichenden §§ 30 f. GmbHG steht. Diese Schutzlücken sollen insbesondere – wenn auch nicht nur – daher rühren, dass zwischen Buchwert und
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105 Vgl. Scholz/Verse, GmbHG, § 30 Rz. 71. 106 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109; BGH v. 22.10.1990 – II ZR 238/89, MDR 1991, 414 = ZIP 1990, 1593 = NJW 1991, 1057; BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, MDR 1991, 607 = ZIP 1991, 445 = NJW 1991, 1294. 107 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109. 108 Vgl. § 29 GmbHG. 109 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = ZIP 2007, 1552 = DB 2007, 1802.
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§ 6 Rz. 61 | Gesellschafterberatung Verkehrswert erhebliche Differenzen bestehen können.110 Die Quellcodes einer selbstentwickelten Software beispielsweise dürfen nicht aktiviert werden, § 248 Abs. 3 HGB, auch wenn die Entwicklung Millionen gekostet hat. Ihre Übertragung an einen Gesellschafter ist bilanzneutral, so dass keine Einlagenrückgewähr bei einer Buchwertbetrachtung vorläge. Ebenso verhält es sich z.B. mit einem Grundstück samt Gebäude, das einen Verkehrswert von 1000 TEuro aber nur einen Buchwert von 600 TEuro hat. Die Differenz von 400 TEuro wäre im Hinblick auf die Eigenkapitalerhaltung bei einer reinen Buchwertbetrachtung haftungsunschädlich, wenn ein Gesellschafter das Grundstück für 600 TEuro erwerben würde. 62
Eine solche Sichtweise wird dem Zweck des § 30 GmbHG nicht gerecht, die Gläubiger vor einem Entzug des Haftungsvermögens zugunsten der Gesellschafter zu schützen. Der Gläubigerbefriedigung dient auch die Differenz zwischen Buch- und Verkehrswert (= stille Reserven), auf die es erst recht ankommt, wenn die Befriedigung gefährdet ist, was durch eine Unterbilanz indiziert wird. Nach dem Wortlaut des § 30 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche „Vermögen“ nicht ausgezahlt werden, wobei der Begriff „Zahlung“ wie auch bei beim früheren § 64 Abs. 2 GmbHG, jetzt § 64 S. 1 GmbHG, sämtliche Leistungen erfasst.111 Diese Zahlungen, so heißt es in § 31 Abs. 1 GmbHG, müssen erstattet werden. Das Empfangene112 ist zurückzugewähren, nicht nur dessen Buchwert. Gelingt dies nicht, schuldet der Gesellschafter Schadensersatz, § 281 BGB. Dessen Höhe aber richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, wird also durch den Verkehrswert des Gegenstandes bestimmt, §§ 249 ff. BGB.113 Daraus folgt, dass die Erstattungspflicht auch die im Buchwert nicht zum Ausdruck kommenden stillen Reserven umfasst.114
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Die Buchwertbetrachtung bildet somit nur den Haftungsrahmen115: Wird durch eine Leistung das bilanzielle Eigenkapital nicht unter das Stammkapital gemindert, besteht keine Veranlassung für eine Haftung, mögen die dem Gesellschafter übertragenen stillen Reserven auch noch so groß sein. Die Gläubiger können immer noch auf den Haftungsfonds zurückgreifen, der ihnen durch Verlautbarung im Handelsregister versprochen wurde – zu Buchwerten zwar, genau das aber ist der Sinn der Einschränkung des subjektiven Bewertungsermessens, der mit den Standardisierungen der handelsrechtlichen Bewertung gerade auch im Hinblick auf den Gläubigerschutz bezweckt wird. Sinkt das Eigenkapital infolge der Leistung unter die Stammkapitalziffer oder lag es schon vorher darunter, muss der Gesellschafter das Empfangene in Natura und ansonsten den Verkehrswert erstatten,116 maximal jedoch den Betrag, der zum Ausgleich der Unterbilanz erforderlich ist.117
110 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = ZIP 2007, 1552 = DB 2007, 1802; Röhricht in FS 50 Jahre BGH, 83, 93 ff., 105 ff.; Röhricht, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, 1 ff. 111 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258. 112 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198 = NJW 1985, 2947; z.B. bei Verrechnung einer Forderung ist nicht Zahlung, sondern Wiederbegründung der Forderung geschuldet. 113 Zum selben Ergebnis kommt eine Anwendung der Rückabwicklungsvorschrift des § 346 Abs. 2 BGB. 114 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109 zur Einlagenrückgewähr an den Kommanditisten, für die er die Ähnlichkeit zum Recht der Kapitalgesellschaften betont. 115 Ungenau, die Formulierung bei Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 12, wonach die bilanzielle Betrachtung nur zugunsten der Gesellschaft, nicht aber zugunsten des Gesellschafters gelten soll. Liegt nämlich das buchmäßige Eigenkapital nicht unter dem Stammkapital, können auch noch so hohe stille Reserven keine Haftung des Gesellschafters begründen. 116 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109 zur Einlagenrückgewähr an den Kommanditisten, für die er die Ähnlichkeit zum Recht der Kapitalgesellschaften betont. 117 Ob der Gesellschafter berechtigt ist, bei einer teilweisen Unterschreitung des Stammkapitals beispielsweise die Differenz zu zahlen und ansonsten den günstig übernommenen Gegenstand zu behalten, ist keine Frage der Haftung, sondern der Vertragsanpassung. Zum Recht des Gesellschafters auf Vertragsanpassung vgl. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 83 ff.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 68 § 6
Wenn die Buchwertbetrachtung im Haftungsrahmen der Unterbilanz oder Überschuldung für die Bewertung der an den Gesellschafter erbrachten Leistungen nach der hier vertretenen Auffassung nicht maßgebend ist, ist die Schutzlücke, die die §§ 30 f. GmbHG angeblich lassen und mit der die Existenzvernichtungshaftung u.a. begründet wurde, wesentlich kleiner als vielfach behauptet. Die Existenzvernichtungshaftung – nunmehr als eine Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung – kommt dann nur noch für „Kollateralschäden“ in Betracht. Selbst wenn z.B. für einen nicht aktivierten Quellcode der selbst geschaffenen Software als Kaufpreis der Verkehrswert gezahlt wird, können bei der Gesellschaft Nachteile verbleiben, bspw. Leerkosten bei Löhnen und Gehältern, weil Entwicklungsaufträge nicht mehr bearbeitet werden können. Hierfür bedarf es einer anderen Anspruchsgrundlage als der Kapitalerhaltungsvorschriften.
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Nur die hier vertretene Auffassung steht auch im Einklang mit dem Motiv für den Ansatz der Buchwerte bei § 30 GmbHG. Obwohl sich die Buchwertbetrachtung dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen lässt, wird sie damit gerechtfertigt, dass Unsicherheiten und Unwägbarkeiten im Interesse des Gläubigerschutzes vermieden werden sollen.118 Dem widerspricht es, wenn sich die Buchwertbetrachtung als eine Beschränkung der Ausgleichsverpflichtung des Gesellschafters gegen den Gläubiger wendet.
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Einige Entscheidungen des BGH zeigen Ansätze zur Relativierung der Buchwertbetrachtung. So hat er schon 1986 ausdrücklich offen gelassen, ob der Verzicht auf einen möglichen Gewinn zugunsten des Gesellschafters eine Einlagenrückgewähr darstellt. Nach den Urteilsformulierungen könnte er geneigt sein, die Frage zu bejahen.119 Ein nicht realisierter Gewinn ist nun aber das Synonym für stille Reserven, nur mit dem Unterschied, dass es an jeglichem und nicht nur an einem zu geringen Bilanzausweis fehlt. Die Verkehrswerte für die Quellcodes oder das Grundstück lassen sich problemlos unter § 30 GmbHG subsumieren, wenn man den Verzicht auf die Realisierung eines Gewinns, den die Gesellschaft durch Verkauf dieser Vermögensgegenstände zum Verkehrswert erzielt hätte, als „Zahlung“ im Sinne dieser Vorschrift erfasst.
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Das bekannteste Beispiel für die Aufgabe der Buchwertbetrachtung sind die Darlehen an Gesellschafter. Hierbei wird der Aktivposten „Guthaben bei Kreditinstituten“ gegen den Aktivposten „Forderungen gegen verbundene Unternehmen“ getauscht. Gleichwohl hat der BGH darin eine „Zahlung“ gesehen; denn die Gläubiger der Gesellschaft, die auf den Tilgungsanspruch gegen den Gesellschafter im Rahmen eines Insolvenzverfahrens oder im Wege der Pfändung zugreifen wollen, konkurrieren nunmehr mit den anderen Gläubigern dieses Gesellschafters. Diese Risikoerhöhung sei es, die es nach Auffassung des BGH bei wertender Betrachtungsweise gebiete, die Darlehensvergabe als Einlagenrückgewähr zu erfassen, falls der Tilgungsanspruch nicht ausnahmsweise vollwertig besichert sei oder aus anderen Gründen keine Risiken bestünden.120 Schon lange vor diesem Urteil hatte der BGH die Stundung des Kaufpreises – also ein Kaufgelddarlehen – für den Verkauf eines Grundstücks an einen Gesellschafter als Einlagenrückgewähr angesehen.121 Unklar ist, ob die Behandlung der Darlehensvergabe als Einlagenrückgewähr nur dann gilt, wenn schon vor der Auszahlung eine Unterbilanz ausgewiesen wird, oder ob es ausreicht, dass die Unterbilanz – natürlich ohne Aktivierung des Tilgungsanspruchs – durch die Auszahlung zumindest teilweise entsteht. Bei der hier vertretenen Auffassung, wonach die bilanzielle Betrachtungsweise nur den Haftungsrahmen bildet, reicht die Entstehung der Unterbilanz aus. Die Haftung beschränkt sich allerdings auf den Darlehensteil, mit dem das Eigenkapital ohne Aktivierung des Tilgungsanspruchs unter das Stammkapital sinkt.
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Das Urteil zur Darlehensvergabe hat herbe Kritik erfahren, weil es angeblich das Aus für die von Konzernen praktizierten Cash-Pool-Systeme bedeutet. Warum allerdings die finanzwirtschaftliche Einheit
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118 119 120 121
BGH v. 11.12.1989 –II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109. BGH v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, MDR 1987, 474 = ZIP 1987, 575 = NJW 1987, 1194. BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, MDR 2004, 341 m. Anm. Lux = ZIP 2004, 263. BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, MDR 1982, 120 = NJW 1982, 383 = ZIP 1981, 1200.
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§ 6 Rz. 68 | Gesellschafterberatung stützenswert sein soll, wenn die haftungsrechtliche Trennung durch die Aufteilung in verschiedene Konzerngesellschaften angestrebt wird, begründen die Kritiker nicht. Natürlich ist ein Cash-Pooling vorteilhaft. Wer aber die Trennung will, muss auch den Haftungsfonds unangetastet lassen. Für das darüber hinausgehende Vermögen ist ein Cash-Pool ohne weiteres zulässig. 69
Bei der Bewertung der an den Gesellschafter erbrachten Leistungen wird regelmäßig übersehen, dass die Einlagenrückgewähr steuerrechtlich eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellt. Das bringt zusätzlich steuerliche Belastungen mit sich, die den bei der Gesellschaft durch die Rückgewähr eintretenden Vermögensnachteil erhöhen. Zwar hat der Gesellschafter davon keinen Vorteil, nachdem eine Anrechnung bei seiner Einkommensteuer nicht mehr in Betracht kommt. Dennoch handelt es sich um einen mit der Einlagenrückgewähr verbundenen Aufwand, der ebenso wie z.B. von der Gesellschaft getragene Beurkundungskosten oder Grunderwerbsteuer bei der Übertragung von Grundbesitz im Interesse des Gesellschafters getrieben wird. Die Körperschaftsteuer ist deshalb zusätzlich zu berücksichtigen. Damit ist die Schwelle zur Unterschreitung des Stammkapitals wesentlich schneller erreicht als bei einer Nettobetrachtung. Gleichwohl ist keine höchstrichterliche Entscheidung bekannt, bei der die Steuerbelastung haftungserhöhend angesetzt wurde.
b) Haftungssicherung 70
Die Haftung gem. §§ 30 f. GmbHG hätte in den Darlehensfällen neben der ohnehin bestehenden Verpflichtung des Gesellschafters zur Tilgung außer bei der Verjährung keine Bedeutung, wenn sie nicht durch flankierende Vorschriften besonders gesichert wäre.
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Dazu gehört das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 2 GmbHG, das nach Ansicht des BGH neben das Erlassverbot des § 31 Abs. 4 GmbHG tritt.122 Wie bei der Vorbelastungshaftung erlischt auch bei der Einlagenrückgewähr ein einmal entstandener Anspruch nicht automatisch, wenn das Eigenkapital durch Gewinne wieder die Höhe des Stammkapitals erreicht.123 Wird also ein Vermögensgegenstand unterhalb des Verkehrswertes – oder, nach der wohl herrschenden Meinung, unterhalb des Buchwertes – an den Gesellschafter übertragen, muss er ihn auch dann erstatten bzw. beim Untergang des Vermögensgegenstandes Ersatz leisten, wenn die Gläubigergefährdung anschließend beseitigt wird. Relevant wird dies immer erst in der Insolvenz, wenn sich später die Vermögensverhältnisse wieder verschlechtern. Bei dem Gesellschafterdarlehen konkurrieren somit der Anspruch aufgrund von § 31 GmbHG mit dem darlehensvertraglichen Anspruch. Wie beim Hin- und Herzahlen im Rahmen der Kapitalaufbringung, wenn die Einlage sofort als Darlehen an den Inferenten wieder ausgereicht wird, wird man auch hier annehmen müssen, dass eine Zahlung an die Gesellschaft mit der Zweckbestimmung „Darlehenstilgung“ zugleich die Haftungsverbindlichkeit erlöschen lässt. (allerdings hatte der BGH dies beim Hin- und Herzahlen mit der Nichtigkeit der Darlehensverbindlichkeit begründet, s.o. Rz. 17 ff., und sich nicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, dass mit einer Leistung zwei nebeneinander bestehende Verbindlichkeiten getilgt werden.)
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Die Haftung wegen einer Einlagenrückgewähr wird schließlich durch eine subsidiäre Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gesichert. Sie ist auf die Stammkapitalziffer beschränkt.124 Anderenfalls müssten die Gesellschafter unüberschaubare Risiken tragen; denn eine Einlagenrückgewähr liegt auch dann vor, wenn eine bilanzielle Überschuldung eingetreten ist.125 Müssten die Gesellschafter bei einem Ausfall des primär Erstattungspflichtigen die gesamte Differenz zum Stammkapital ausgleichen, müssten sie u.U. wesentlich mehr zahlen, als sie ursprünglich als Risikobeitrag mit ihrer Beteiligung zu leisten
122 123 124 125
BGH v. 27.11.2000 – II ZR 83/00, MDR 2001, 463 = ZIP 2001, 157. BGH v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, MDR 2000, 1082 m. Anm. Bieder = ZIP 2000, 1251. BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, MDR 2002, 1017 = ZIP 2002, 848. BGH v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 = MDR 1980, 648 = ZIP 1980, 361; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198 = NJW 1985, 2947; BGH v. 5.2.1990 – II ZR 114/89, MDR 1990, 802 = ZIP 1990, 451 = NJW 1990, 1730.
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III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung | Rz. 75 § 6
bereit waren. Deshalb ist die Haftung neben der absoluten Beschränkung auf die Stammkapitalziffer auch noch proratarisch in Höhe der jeweiligen Beteiligung ausgestaltet,126 wobei es allerdings wieder eine „Ausfallhaftung für den Ausfall“ gibt, wenn ein anderer Gesellschafter seiner subsidiären Haftung nicht nachkommen kann, § 31 Abs. 3 GmbHG. Ein gegen den Gesellschafter, an den die Rückgewähr erfolgte, rechtskräftig ergangenes Urteil wirkt nicht gegen die Mitgesellschafter.127
c) Drittbeteiligung Der Haftung gem. §§ 30 f. GmbHG wird in der Praxis häufig versucht zu entgehen, indem Leistungen nicht an den Gesellschafter, sondern an einen möglichst „unverdächtigen“ Dritten gewährt werden. Geschieht dies auf Veranlassung des Gesellschafters, ist die Dreiecksbeziehung Gesellschafter – Gesellschaft – Dritter wie im Schuldrecht bei einer „abgekürzten“ Lieferung zu behandeln. Es liegt eine Einlagenrückgewähr an den Gesellschafter vor.128 Gleiches gilt für Leistungen an den Treugeber des formellen Gesellschafters129 und an den mittelbar über eine Tochtergesellschaft beteiligten Gesellschafter,130 weil in beiden Fällen der Geschäftsanteil für die Rechnung des „Hintermanns“ gehalten wird. Gleiches gilt aber auch für Leistungen an Schwestergesellschaften, an denen der Gesellschafter maßgeblich,131 also i.d.R. zu mehr als 50 %132 beteiligt ist.
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Von der Frage, ob Leistungen an Dritte dem Gesellschafter zuzurechnen und deshalb als Einlagenrückgewähr zu behandeln sind, ist die Frage zu unterscheiden, ob der Gesellschafter und/oder der Dritte haftet. Der Gesellschafter haftet in jedem Fall,133 der Dritte hingegen nur, wenn er wie ein Gesellschafter zu behandeln ist. Dem ist so bei der schuldrechtlich (Treuhand) oder gesellschaftsrechtlich (über Tochtergesellschaft) vermittelten Beteiligung.134 Ansonsten sind Dritte nicht Adressat des Kapitalerhaltungsgebots. Sie müssen die ihnen gewährten Leistungen nicht gem. §§ 30 f. GmbHG erstatten, selbst wenn sie den Verstoß kennen. Dann allerdings kommt eine Unwirksamkeit der Verfügung wegen kollusiven Zusammenwirkens zwischen Empfänger und Geschäftsführer in Betracht.135 Relevant wird das bei einer Insolvenz des Gesellschafters, wenn dann direkt auf den Dritten zugegriffen werden soll. Ein typischer Fall in der Praxis ist die Stellung von Sicherheiten aus dem Vermögen der Gesellschaft für Verbindlichkeiten des Gesellschafters. Das Verbot der Einlagenrückgewähr kann der sicherungsnehmenden Bank nicht entgegengehalten werden.136
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Für den aktienrechtlichen Vertragskonzern bestimmt § 291 Abs. 3 AktG, dass Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages nicht als Verstoß gegen das aktienrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr gelten. Dies ist durch § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG auch für die GmbH im Rahmen des MoMiG geregelt worden.
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126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136
BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, MDR 2004, 103 = ZIP 2003, 2068. BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, MDR 2005, 344 = ZIP 2005, 121. BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 294/90, MDR 1992, 755 = ZIP 1992, 242 = NJW 1992, 1167. Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 31 ff., 61 ff. BGH v. 22.10.1990 – II ZR 238/89, MDR 1991, 414 = NJW 1991, 1057; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, MDR 1996, 267 = ZIP 1996, 68. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 70/98, MDR 1999, 1205 = ZIP 1999, 1340. BGH v. 28.2.2005 – II ZR 103/02, MDR 2005, 880 = ZIP 2005, 660 für die analoge Anwendung der §§ 30 f. GmbHG auf die Rückgewähr bei Eigenkapitalersatz. Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 31 ff., 61 ff. Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 41 ff. BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793.
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§ 6 Rz. 76 | Gesellschafterberatung
d) Beurteilungszeitpunkt 76
Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen ist unterschiedlich. Geht es um die Frage, ob durch die Einlagenrückgewähr eine Unterbilanz entsteht oder vertieft wird, kommt es auf den Zeitpunkt der Zahlung an.137 Für die Gesellschaftereigenschaft des Empfängers ist hingegen der (frühere) Zeitpunkt der Vereinbarung maßgebend.138 Diese unterschiedlichen Stichtage werden deshalb zugrunde gelegt, weil ein Leistungsaustausch, der einem Drittvergleich – Übertragung zum Verkehrswert – nicht standhält, nur wegen des gesellschaftsrechtlichen Einflusses des Empfängers zustande kommt, wofür die Gesellschafterstellung im Zeitpunkt der Vereinbarung maßgebend ist. Eine Gläubigergefährdung tritt hingegen nur ein, wenn im Zeitpunkt der Auszahlung die bilanziellen Verhältnisse angespannt sind, also eine Unterbilanz existiert oder herbeigeführt wird. Weil sich auch dann erst die Gläubigergefahr konkretisiert, ist bei der Ausfallhaftung der Mitgesellschafter ebenfalls auf den Auszahlungszeitpunkt für die Prüfung der Mitgesellschaftereigenschaft abzustellen.139 Nicht ganz wertungsparallel mit diesen Erwägungen zieht der BGH für die Frage, ob der Empfänger dem Gesellschafter zuzurechnen ist, ebenfalls die Verhältnisse im Zeitpunkt der Auszahlung heran.140 Konsistent wäre es demgegenüber, auch hier an dem (früheren) Zeitpunkt anzusetzen, in dem die Leistungsfrist begründet wird. Nur so können Umgehungen vermieden werden.
IV. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung 1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung 77
Die Grundlagen für die Existenzvernichtungshaftung legte der BGH 2001 im Bremer Vulkan-Urteil.141 Wenig später konkretisierte er die Voraussetzungen insbesondere im KBV-Urteil dahingehend, dass die Gesellschafter sich nicht auf die Haftungsbeschränkungen des § 13 Abs. 2 GmbHG berufen dürfen, wenn sie das Prinzip der Trennung zwischen Gesellschafter- und Gesellschaftsvermögen und damit einhergehend die vorrangige Bindung des Gesellschaftsvermögens an die Gläubigerbefriedigung missachten.142
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„Die unbegrenzte Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs setzt weiter voraus, dass die der Gesellschaft zugefügten Nachteile nicht nach den Regeln der §§ 30 f. GmbHG ausgeglichen werden können und der Gesellschafter nicht nachweisen kann, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögenslage bei einem redlichen Verhalten nur ein begrenzter –und dann in diesem Umfang auszugleichender – Nachteil entstanden ist“.143
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Die Existenzvernichtungshaftung war somit eine eigenständige, durch die vermeintlichen Schutzlücken der §§ 30 f. GmbHG legitimierte Rechtsfigur, die eine unmittelbare sowie unbegrenzte Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber dem Gläubiger bedeutete, aber wiederum von der Außen- in die Innenhaftung „zurückkippen“ konnte, wenn der Gesellschafter nachwies, dass der Gesellschaft nur ein begrenzter Nachteil entstanden war. Diese Gemengelage von Außen- und Innenhaftung, unbegrenzter und begrenzter Einstandspflicht sowie Beweislast des Gläubigers und Beweislast des Gesell-
137 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109; BGH v. 22.10.1990 – II ZR 238/89, MDR 1991, 414 = ZIP 1990, 1593 = NJW 1991, 1057. 138 BGH v. 24.3.1954 – II ZR 23/53, BGHZ 13, 49; BGH v. 13.7.1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 = MDR 1981, 912 = ZIP 1981, 974. 139 BGH v. 13.5.1996 – II ZR 275/94, MDR 1996, 1135 = ZIP 1996, 1248. 140 BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, MDR 1996, 267 = ZIP 1996, 68. 141 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, MDR 2001, 1423 = ZIP 2001, 1874. 142 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578 („KBV“). 143 Leitsatz BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, MDR 2005, 343 = ZIP 2005, 117.
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IV. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung | Rz. 82 § 6
schafters hat der BGH schließlich als unglücklich angesehen. Mit Urteil vom 16.7.2007144 gab er die Existenzvernichtungshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut auf und integrierte sie in § 826 BGB, jedoch nicht als Außen-, sondern als Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft; denn die Verletzung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens, die Voraussetzung für die bisherige Haftung war und nunmehr auch im Rahmen von § 826 BGB bleibt, richtet sich gegen sie, nicht gegen den Gläubiger. Die Rechtsfolgen sind mit denen der §§ 30 f. GmbHG identisch, soweit es um die Rückgewähr des Erlangten bis zum Ausgleich der Unterbilanz geht. Außer für die Einbeziehung der an dem Eingriff mitwirkenden Gesellschafter (§ 830 BGB), die nichts empfangen haben und die deshalb nur die begrenzte Ausfallhaftung des § 31 Abs. 3 GmbHG treffen würde, wird die nunmehr als Fallgruppe innerhalb § 826 BGB angesiedelte Existenzvernichtungshaftung für erforderlich gehalten, um Schädigungen der Gesellschaft zu erfassen, die wegen des Buchwertprinzips nicht unter §§ 30 f. GmbH fallen. Nach überwiegender Auffassung kommt eine Existenzvernichtungshaftung nicht für deliktische Gläubiger nicht in Betracht weil sie nicht selbst auf die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft vertrauen. Der BGH hält aber doch eine Haftung für möglich, wenn der Geschädigte als gesetzlicher Neugläubiger nicht in den persönlichen Schutzbereich des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO einbezogen war, wie z.B. die Bundesagentur für Arbeit, die durch eine verzögerte Antragstellung einen größeren Schaden erleiden kann.145
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Oben bei den Kapitalerhaltungsgrundsätzen wurde gezeigt, dass die §§ 30 f. GmbHG nach der hier vertretenen Auffassung auch die Entnahme stiller Reserven abdecken. Von diesen Vorschriften nicht erfasst werden nur noch Folgeschäden, die dadurch entstehen, dass der Gesellschaft einige oder alle für die Fortsetzung ihrer Tätigkeit wesentliche Betriebsgrundlagen entzogen werden und deshalb Leerkosten anfallen. Es handelt sich gleichsam um eine Haftung für die „kalte“, also nicht den §§ 70 ff. GmbHG entsprechende Liquidation. Deshalb konkurriert die Gesellschafterhaftung auch regelmäßig mit der Geschäftsführerhaftung des § 64 GmbHG, ab 1.1.2021 § 15b InsO (s. § 5 Rz. 66a ff.). Während die Geschäftsführerhaftung jedoch für jedwede Vermögensverfügung nach Eintritt des Insolvenzgrundes eingreift – wobei nach der hier vertretenen Auffassung sogar die dadurch erfolgte Herbeiführung ausreicht –, werden die Gesellschafter erst einbezogen, wenn sie einen gezielten, betriebsfremden Eingriff146 vornehmen. Dem Gesellschafter stehen mittelbar beteiligte Gesellschafter gleich, falls sie den unmittelbar beteiligten Gesellschafter beherrschen.147 Managementfehler hingegen, mögen sie auch noch so ruinös sein oder auf einer Gesellschafterweisung beruhen, begründen keine Haftung.148 Daran hat sich durch die Verortung der Existenzvernichtungshaftung bei § 826 BGB nichts geändert.
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Wegen der erforderlichen Zielgerichtetheit lag schon bisher zugleich eine sittenwidrige Schädigung der Gläubiger durch die Verminderung des Haftungsfonds vor.149 Aufgrund dieser Parallelität wurde in der Literatur deshalb bereits vor der Rechtsprechungsänderung vorgeschlagen, die Existenzvernichtungshaftung im Rahmen des § 826 BGB zu behandeln.150 Diese Vorschrift hatte der BGH schon als Anknüpfungspunkt für eine Haftung Dritter herangezogen, wenn der Eingriff zu seinen Gunsten erfolgte.151 Deshalb ist es nur konsequent, dass er nunmehr den existenzvernichtenden Eingriff als ei-
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144 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = ZIP 2007, 1552 = DB 2007, 1802. 145 BGH v. 13.10.2009 – VI ZR 288/08, MDR 2010, 210 = GmbHR 2010, 138. Siehe zu diesem Themenkomplex ausführlich Gottwald/Haas/Haas/Kolmann/Kurz, InsR, § 90 Rz. 156 f. 146 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. 147 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, MDR 2005, 343 = ZIP 2005, 117; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/ 02, ZIP 2005, 250. 148 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. 149 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, MDR 2005, 343 = ZIP 2005, 117. 150 Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 ff. 151 BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138.
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§ 6 Rz. 82 | Gesellschafterberatung genständige Haftungsfigur aufgegeben hat. § 826 BGB greift nur bei vorsätzlichem Handeln ein. Wie für den sonstigen Anwendungsbereich dieser Deliktsnorm152 genügt auch hier dolus eventualis.153 83
Unabhängig davon hat die strafgerichtliche Rechtsprechung schon lange vor der Judikatur zur Existenzvernichtungshaftung anerkannt, dass ein gegen § 30 GmbHG verstoßender Entzug von Gesellschaftsvermögen eine strafbare Untreue gem. § 266 StGB darstellt. Ein Einverständnis aller Gesellschafter ändert daran nichts, da sie über die Kapitalerhaltungspflicht nicht disponieren dürfen.154 Inzwischen hat der 5. Strafsenat die Übereinstimmung der Voraussetzungen für die Existenzvernichtungshaftung mit denen für die strafbare Untreue ausdrücklich bestätigt.155 § 266 StGB ist ein Schutzgesetz zugunsten der GmbH. Damit erhält die Gesellschaft sowohl gegen den Geschäftsführer als auch – gemäß § 830 BGB als dessen Teilnehmer – gegen den Gesellschafter einen weiteren deliktischen Haftungsanspruch, der vom Gläubiger gepfändet werden kann.
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Anders als nach der früheren Rechtsprechung zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern muss es sich bei dem Gesellschafter nicht mehr um einen Unternehmer handeln. Jetzt ist nicht einmal mehr erforderlich, dass er Mehrheitsgesellschafter ist. Stattdessen reicht es aus, dass der Gesellschafter an dem Eingriff mit dolus eventualis beteiligt ist. Entgegen der Aussage in einem Urteil zur bisher eigenständigen Existenzvernichtungshaftung156 genügt es wohl nicht, dass der Mitgesellschafter den Eingriff pflichtwidrig nicht verhindert hat. Ansonsten bilden neben den Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung weiterhin die früheren zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern157 Sachverhalte ab, in denen die Haftung auch jetzt eingreifen dürfte.
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Häufig taucht die Frage auf, ob Umstrukturierungen im Konzern eine Existenzvernichtungshaftung begründen, wenn dadurch die Insolvenz ausgelöst wird. Das ist zu verneinen, falls die betroffene Konzerngesellschaft nicht selbstständig lebensfähig ist; denn kein Gesellschafter ist verpflichtet, die andere mit Aufträgen zu alimentieren. Eine Fortführungspflicht gibt es „grundsätzlich“158 nicht. Die Herausnahme von Vermögensgegenständen muss aber dem Drittvergleich standhalten und die Liquidationsbzw. Insolvenzantragsvorschriften müssen beachtet werden. In der Regel entstehen durch den Auftragsentzug oder die Herausnahme Leerkosten, weil Mitarbeiter nicht mehr beschäftigt werden können. Sie sind in dem Moment, in dem die Umstrukturierungsentscheidung getroffen wurde, im Überschuldungsstatus als Rückstellung zu erfassen, so dass regelmäßig schon vor Vollzug der Umstrukturierung ein Insolvenzgrund eintritt, da auch keine positive Fortführungsprognose mehr gegeben ist. Die Geschäftsführer sind dann verpflichtet, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Die dreiWochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO dürfen sie nicht ausnutzen, weil eine Beseitigung des Insolvenzgrundes aus eigener Kraft in diesen Konstellationen regelmäßig unmöglich ist. Wenn sie gleichwohl vor dem Antrag noch schnell vollendete Tatsachen schaffen, trifft sie gem. § 64 Satz 2 GmbHG die Beweislast, dass dies nicht zum Nachteil der künftigen Masse geschah.
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Eine gesonderte Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung im Rahmen des § 826 BGB zu bilden, hat nur Sinn, wenn die künftige Rechtsprechung dem Gläubiger eine wesentliche Beweiserleichterung zubilligt;159 denn für ihn sind die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft eine „black box“. Gilt das schon für die „normale“ Gesellschaft, so gilt das erst recht für die Gesellschaft, die die Gesellschafter zum eigenen Vorteil entleeren, um sie anschließend in die masselose Insolvenz zu schicken. Dann wird alles getan, um die Vorgänge zu verdunkeln. Effizient wäre die Existenzvernichtungshaftung des152 Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rz. 10. 153 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = ZIP 2007, 1552 = DB 2007, 1802. 154 BGH v. 24.8.1988 – 3 StR 232/88, MDR 1989, 83 = NJW 1989, 112; BGH v. 10.7.1996 – 3 StR 50/96, MDR 1996, 1279 = NJW 1997, 66. 155 BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200 („Bremer Vulkan“). 156 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578. 157 Beispiele bei Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rz. 152 ff. 158 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, MDR 2005, 343 = ZIP 2005, 117. 159 Altmeppen, GmbHG, § 13 Rz. 96 ff.
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IV. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung | Rz. 88 § 6
halb nur, falls man sie auch als eine Intransparenzhaftung ansehen würde, also eine Haftung für Vermögensvermischung.160 Zwar reicht auch dann ein Missmanagement in Form einer schlampigen Buchhaltung nicht aus. Es sollte aber genügen nachzuweisen, dass die Gesellschafter auf das Vermögen zugegriffen und die Intransparenz veranlasst haben. Die existenzvernichtenden Konsequenzen müssten dann nicht auch noch zusätzlich dargelegt werden, wozu der Gläubiger kaum in der Lage wäre. Vielmehr wäre es an dem Gesellschafter vorzutragen, dass nur ein begrenzter Nachteil entstanden ist. Insofern sollten die Erwägungen in den zur bisherigen Existenzvernichtungshaftung ergangenen Urteilen161 auch jetzt noch Berücksichtigung finden. Die Zuständigkeit des Insolvenzverwalters zur Durchsetzung der Haftung erhöht die Effizienz. Der BGH sieht sie auch im Rahmen des § 826 BGB als reine Innenhaftung an, so dass sich die Aktivlegitimation des Verwalters aus § 80 InsO ergibt, ohne dass es des bisherigen Rückgriffs auf § 93 InsO bedarf.
2. Unternehmensbestattung Ein existenzvernichtender Eingriff wird häufig kombiniert mit einer Unternehmensbestattung162. Dafür werden die Geschäftsanteile an einen Gesellschafter übertragen, der sogleich bestätigt, sämtliche Unterlagen erhalten zu haben, um alsbald wieder Geschäftsanteile, Geschäftsführung und Unterlagen an den Nächsten weiterzureichen. Einige Gerichte halten die Anteilsabtretungen und Geschäftsführerwechsel wegen des sittenwidrigen Gesamtplans für nichtig.163 Daran bestehen jedoch erhebliche Zweifel; denn für sich genommen sind die Maßnahmen wertneutral,164 so dass wegen der Rechtssicherheit von einer Wirksamkeit ausgegangen werden sollte, weil für den Außenstehenden der sittenwidrige Gesamtplan nicht erkennbar ist.
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Meist stellt der erste neue Geschäftsführer vor einer Weiterübertragung an den zweiten neuen Geschäftsführer noch schnell einen Insolvenzantrag. Wenn es später um die Aufklärung der Vermögensverhältnisse geht, kann der erste keine Informationen erteilen, weil er die Unterlagen schon weitergereicht hat – und der zweite ist ohne Telefonnummer im Ausland ansässig, wo sich auch die Unterlagen befinden sollen. Haftungstatbestände interessieren die beiden „Beerdigungs-Geschäftsführer“ weniger, weil der erste mittel- und der zweite heimatlos ist. Hier hilft nur, gem. §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 2 InsO die vor Beginn der Beerdigung amtierenden Geschäftsführer zu befragen. Aus ihren Aussagen und einem Einblick in den Kontoverkehr, über den die Banken Unterlagen zur Verfügung stellen,165 lassen sich häufig erste Anhaltspunkte für eine Haftung der letzten aktiven Geschäftsführer gem. § 64 S. 1 u. 3 GmbHG gewinnen.166 Erleichtert wird das durch die Rechnungslegungspflicht der Geschäftsführer, die zur Vermeidung einer persönlichen Haftung darlegen müssen, wie sie die in ihren Besitz gelangten Vermögensgegenstände verwendet haben.167 Die Anhaltspunkte für eine Erstattungspflicht der Geschäftsführer reichen entweder für eine Verfahrenskostendeckung schon aus, so dass aus den nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingehenden Forderungsanmeldungen Rückschlüsse auf die geschäftlichen Aktivitäten vor der „Beerdigung“ gezogen werden können, oder aber die Geschäftsfüh-
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160 BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, MDR 2006, 880 = ZIP 2006, 467; Altmeppen, ZIP 2002, 1553; Altmeppen, ZIP 2005, 119. 161 Insbesondere BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, MDR 2005, 343 = ZIP 2005, 117 und v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, MDR 2006, 880 = ZIP 2006, 476. 162 Überblick bei Hirte, ZinsO 2003, 833. 163 AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952; LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/ 04; LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865. 164 OLG Karlsruhe v. 30.5.2005 – 15 AR 8/05, ZIP 2005, 1475; Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513. 165 Das erfordert vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens allerdings die Erklärung des Geschäftsführers, dass die Bank von der Verschwiegenheitspflicht befreit ist. Zwar ist der Geschäftsführer hierzu mitwirkungspflichtig. De facto ist die Erklärung bei einem ausländischen Wohnsitz jedoch schwer zu erlangen. 166 Zu dem Einwand, haftungsträchtige Auszahlungen seien nur treuhänderisch für die GmbH von dem Empfänger entgegengenommen worden, vgl. LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865. 167 OLG Stuttgart v. 30.5.2000 – 20 W 1/2000, GmbHR 2000, 1048.
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§ 6 Rz. 88 | Gesellschafterberatung rer beginnen im Angesicht der eigenen Haftung zu erzählen, welche Vorteile die Gesellschafter erhalten haben. Selbst aber wenn die Geschäftsführer – häufig zugleich im Rahmen der „Beerdigung“ begünstigte Gesellschafter – alles „vergessen“ haben sollten, können sie sich zumindest an Namen von wesentlichen Mitarbeitern erinnern, die vom Insolvenzgericht gem. § 5 Abs. 1 InsO als Zeugen vernommen werden können. 89
Das Problem der Unternehmensbestattung ist kein Problem der materiellen Haftungslücke, sondern ein Problem der formellen Beweislast; denn formaljuristische Haftungsgründe für die „kalte“ Liquidation gibt es genug. Neben die soeben dargestellte Existenzvernichtungshaftung gesellen sich die Schadensersatzansprüche wegen der Teilnahme an strafbaren Handlungen des Geschäftsführers. Eine andere, in der Diskussion über die Existenzvernichtungshaftung meist übersehene Anspruchsgrundlage ist die absolute Ausschüttungssperre des § 73 GmbHG. Sie ist zwar im 5. Abschnitt des GmbHG verortet, der u.a. die Liquidation betrifft. Deshalb setzt seine Anwendung aber genauso wenig wie die des § 64 GmbHG a.F. oder seit dem 1.1.2021 des § 15b InsO die formell beschlossene Liquidation voraus. Ausreichend sollte vielmehr schon die de facto zwischen den Gesellschaftern abgestimmte Liquidation sein. Anspruchsberechtigt ist nach herrschender Meinung die Gesellschaft. Ihre Ansprüche kann der Gläubiger pfänden, falls ihm mit einer Mindermeinung nicht ohnehin schon ein direktes Verfolgungsrecht zugestanden werden soll.168 Im eröffneten Insolvenzverfahren ist für die Durchsetzung wegen der Sperrwirkung der §§ 92 f. InsO allein der Verwalter zuständig.
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Neben die gesellschafts- und deliktsrechtliche Haftung treten Ansprüche nach dem Gläubiger- bzw. Insolvenzanfechtungsrecht. Geschäftsführende oder mit mehr als 25 % beteiligte Gesellschafter sind gem. § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO nahestehende Personen der GmbH. Das Gleiche gilt für deren Angehörige, § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ihnen gegenüber ist die Insolvenzanfechtung tatbestandlich erweitert (§ 133 Abs. 4 InsO) und hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen erleichtert (§§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2, 132 Abs. 3 InsO). Für die Gläubigerbenachteiligung außerhalb des Insolvenzverfahrens sah es der BGH als eine vorsätzliche Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AnfG an, wenn ein Anspruch – dort unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes – gegen den Gesellschafter nicht geltend gemacht und dies durch eine Verlagerung der Geschäftsführung ins Ausland verdunkelt wird.169
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Zur Beweislast wird auf die Ausführungen zur Existenzvernichtungshaftung als Unterfall des § 826 BGB verwiesen. Der Vortrag über eine Verlagerung des Vermögens auf die Gesellschafter oder ihnen nahestehende Personen sowie über die Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse sollten genügen, um die Darlegungs- und Beweislast für eine Begrenzung der Haftung den Gesellschaftern aufzubürden. Natürlich muss die Verlagerung eine gewisse Erheblichkeit haben. Die private Bewirtung des Gesellschafters auf Kosten der Gesellschaft reicht nicht aus. Umgekehrt ist aber auch nicht erforderlich, dass eine Existenzvernichtung im konkreten Fall nachgewiesen wird. Sie muss nach dem Eindruck des Gläubigers von der Geschäftstätigkeit der GmbH nur als möglich erscheinen. Außerdem ist eine gewisse zeitliche Nähe zum Beerdigungsvorgang erforderlich, die in der Praxis regelmäßig gegeben ist. Schließlich bedarf es des Nachweises der Gesellschafterveranlassung, der aber regelmäßig durch die eigene Begünstigung indiziert wird. Wo die Rechtsprechung die Grenze zwischen Beweislast des Gläubigers bzw. Insolvenzverwalters einerseits und aufgrund von Anknüpfungstatsachen indizierter sekundärer Behauptungslast der Gesellschafter ziehen wird, werden erst die Einzelfallentscheidungen der Zukunft zeigen. Die Beratungspraxis jedenfalls sollte sich darauf einstellen, dass die „Entsorgung“ einer Gesellschaft mit hohen Haftungsgefahren für Geschäftsführer und Gesellschafter sowohl zivil- als auch strafrechtlicher Art verbunden ist. Aber auch für den Anwalt ist es riskant. Er schuldet die Aufklärung über die Insolvenzantragspflicht.170 Wirkt er beratend an den Bestattungsmaßnahmen mit, kann er sich einer Beihilfe zur Insolvenzverschleppung und zur Untreue schuldig machen mit der
168 Altmeppen, GmbHG, § 73 Rz. 29. 169 BGH v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, MDR 2006, 950 = ZIP 2006, 243 m. Erläuterung Cierniak, DB 2006, 1997 sowie Anm. Spliedt, DZWiR 2006, 209. 170 BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, MDR 2001, 405 = ZIP 2001, 33.
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V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG | Rz. 95 § 6
Folge, dass er gem. §§ 823 Abs. 2, 830 BGB in den Kreis der Haftungsschuldner einbezogen wird.171 Seinen Beerdigungslohn, dessen Zahlung zu Lasten der Gesellschaft meist als eine der letzten Geldverwendungen am leichtesten erkennbar ist, muss er ohnehin erstatten.172
V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG 1. Überblick Für die Kapitalaufbringung bei der AG gelten im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie bei der GmbH. Auch bei der AG wird zwischen Bar- und Sachgründung (§§ 27, 54 Abs. 2 AktG) sowie zwischen Mindest- und Resteinlage (§ 36a Abs. 1 AktG) unterschieden. Ein Aufrechnungs- und Erlassverbot (§ 66 AktG) ist ebenso vorhanden wie das Erfordernis einer freien Verfügbarkeit des Vorstands über die Anlageleistung (§§ 36 Abs. 2, 54 Abs. 3 AktG). Die Kapitalaufbringung ist durch eine Ausfallhaftung gesichert (§ 65 AktG) und die Kapitalerhaltung durch ein Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG). § 57 AktG wurde im Rahmen der Änderungen des MoMiG auch auf die Fälle des CashPoolings angepasst. Der neu eingefügte Abs. 1 Satz 2 normiert eine Ausnahme von Satz 1 für die Fälle der Beherrschungs- sowie Gewinnabführungsverträge sowie die Zahlungen an Aktionäre, die durch vollwertige Gegenleistungen oder Rückgewähransprüche abgesichert sind. Auch die Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 AktG), die mit der Eintragung der AG im Handelsregister durch die Unterbilanzhaftung ersetzt wird,173 ist mit dem GmbH-Recht vergleichbar. Für die Einzahlungen bei Kapitalerhöhungen gelten die Ausführungen zur GmbH ebenfalls entsprechend.174
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Unterschiede zur GmbH gibt es nur, soweit es der Zweck der AG erfordert, eine „Kapitalsammelstelle“ für untereinander meist nicht verbundene Investoren zu sein. Daraus folgt die Reduzierung der Ausfallhaftung von Aktionären für Verstöße anderer bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung sowie – gleichsam als Kompensation – eine größere Formstrenge zur Gewährleistung des Kapitalschutzes175 und eine Erweiterung des geschützten Eigenkapitals.
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2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte Die Reduzierung der Ausfallhaftung schlägt sich schon bei der Gründung nieder. Zwar gibt es ebenfalls eine Kaduzierung der Aktien von säumigen Aktionären (§ 64 AktG). Die Haftung für rückständige Einlagen trifft jedoch nur die Vormänner (§ 65 AktG), nicht auch die Mitaktionäre. Es ist sogar ein gutgläubiger Erwerb mit Enthaftungsfolge möglich, wenn trotz unvollständiger Einzahlungen entgegen § 10 AktG keine Namensaktien oder Zwischenscheine, sondern Inhaberaktien ausgegeben werden.176
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Einen besonderen Schutz vor der verschleierten Sachgründung soll die Nachgründungsvorschrift bewirken. Gemäß § 52 AktG bedürfen Verträge mit Gründern oder zu mehr als 10 % beteiligten Aktionären einer Zustimmung der Hauptversammlung und der Eintragung des Beschlusses, wenn in den ersten zwei Jahren seit Entstehung der AG Vermögensgegenstände zum Preis von mehr als 10 % des Grundkapitals erworben werden. Außerdem ist ein Nachgründungsbericht und eine Nachgründungs-
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171 172 173 174 175
Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513. LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865 i.V.m. der Geschäftsführerhaftung. Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 41 Rz. 2, 8 f. Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rz. 5 ff. Z.B. Gründungsprüfung und -Bericht, §§ 33 f. AktG, unabhängige Sacheinlagenprüfung, §§ 33 Abs. 2 Nr. 4, 183 Abs. 3 AktG, Einzahlungsbestätigung der Bank, § 37 Abs. 1 AktG. 176 Hüffer/Koch, AktG, § 10 Rz. 9. Diese Fallgruppe reduziert sich erheblich, da Inhaberaktien seit der Aktienrechtsnovelle im Jahr 2016 nur noch in Ausnahmefällen zugelassen werden, wenn trotz grds. Anonymität des Anlegers eine sog. Ermittlungsspur erhalten bleibt, Hüffer/Koch, AktG, § 10 Rz. 6.
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§ 6 Rz. 95 | Gesellschafterberatung prüfung vorzunehmen (§ 52 Abs. 2, 3 AktG). Fehlt die Zustimmung der Hauptversammlung oder die Handelsregistereintragung, sind sowohl der schuldrechtliche Vertrag als auch die dinglichen Vollzugsgeschäfte unwirksam. Ein Verstoß gegen § 52 AktG ist wie eine verdeckte Sacheinlage zu behandeln mit der Folge, dass die Einlage als nicht geleistet gilt. Hat die Gesellschaft über den Einlagebetrag hinausgehende Zahlungen für Leistungen des Aktionärs vorgenommen (gemischte Sacheinlage), sind die beiderseitigen Ansprüche nach Bereicherungsrecht zu saldieren, soweit keine dinglichen Ansprüche des Inferenten eingreifen. § 62 AktG findet entgegen verbreiteter Auffassung auf die Nachgründung ebenso wenig Anwendung wie auf die verschleierte Sacheinlage bei der Neugründung. Selbst in der Insolvenz ist die Saldierung noch zulässig, weil es sich um keine Aufrechnung gem. § 94 InsO handelt.177 Der Vorstand haftet gem. § 93 Abs. 3 AktG. Keine Nachgründung liegt vor bei gewöhnlichen Umsatzgeschäften, § 52 Abs. 9 AktG. Die Nachgründungsvorschriften sind zusätzlich zu berücksichtigen, wenn innerhalb von zwei Jahren eine Sachkapitalerhöhung von den Altaktionären gezeichnet wird. 96
Die harte Konsequenz der Nachgründungsvorschrift wird dadurch etwas entschärft, dass der Vorstand den Vertrag nach Ablauf der zwei Jahre ohne Einhaltung der genannten Voraussetzungen neu schließen darf,178 was allerdings voraussetzt, dass die damals vereinbarten Leistungen noch wertgleich erbracht werden können.
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Zu einer besonderen Form der Sacheinlage berechtigen Wandelschuldverschreibungen und Wandelgenussrechte. Sie berechtigen den Inhaber, statt einer Rückzahlung des Kapitals am Ende oder schon während der Laufzeit die Lieferung einer bestimmten Anzahl von Aktien zu verlangen, § 221 Abs. 1, 3 AktG. Um die Wandlung durchführen zu können, wird bei der AG i.d.R. eine bedingte Kapitalerhöhung beschlossen, § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG.179 Die Wandlung vollzieht sich dann als Bezugserklärung gem. § 198 AktG. Die für die Gewährung der Aktie geschuldete Einlage wird durch den „Umtausch“ (§ 221 Abs. 1 AktG) der Schuldverschreibung bzw. des Genussscheines erbracht. § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG befreit ihre „Hingabe“ ausdrücklich von den Sacheinlagevorschriften. Die Vollwertigkeitskontrolle findet vielmehr durch die Ausgabekonditionen für die Schuldverschreibung statt, § 199 Abs. 2 AktG. Das gilt allerdings nur, soweit – wie regelmäßig – der Gegenwert der Schuldverschreibung in bar zu entrichten ist. Sind ausnahmsweise Sachleistungen zu erbringen, gilt das Privileg des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht.180 Neben den Wandelschuldverschreibungen und -genussrechten hat die Praxis insbesondere für börsennotierte Aktiengesellschaften eine Vielzahl von Derivaten entwickelt, für die das Vorstehende entsprechend gilt, solange die als Einlage eingebrachten Forderungen nicht gewinn- oder verlustabhängig sind181 (z.B. Genussrecht mit Verlustbeteiligung, Gewinnanteile bei Gewinnschuldverschreibung). Dann finden auf den erfolgsabhängigen Teil die Sacheinlagevorschriften Anwendung. Das Gleiche gilt, wenn für schon bestehende Anleihen nachträglich ein Wandlungsrecht eingeräumt wird. Auch dann richtet sich die Wandlung nach den Sacheinlagevorschriften.
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Dem Umfang nach erstrecken sich die Kapitalaufbringungsvorschriften bei der AG im Gegensatz zur GmbH nicht nur auf das im Handelsregister eingetragene Grundkapital, sondern auch auf das über den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG) hinaus angesetzte Aufgeld, §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG.
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Das Aufgeld i.S.d. § 9 Abs. 2 AktG ist zu unterscheiden von dem Mehrbetrag, der aufgrund einer schuldrechtlichen Zusatzvereinbarung182 zu entrichten ist. Sie ist die in der Praxis übliche Form, 177 BGH v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, MDR 2007, 1433 = ZIP 2007, 1751; Habersack, ZGR 2008, 48 ff. 178 Hüffer/Koch, AktG, § 52 Rz. 7. 179 Denkbar ist auch, die Wandlungsrechte aus einer regulären oder genehmigten Kapitalerhöhung zu bedienen, was zu einem anderen Ablauf der Wandlung mit Zeichnung der neuen Aktien in der Form des § 185 AktG führt. 180 Hüffer/Koch, AktG, § 194 Rz. 4. 181 Münch Hdb AG/Krieger, § 57 Rz. 24. 182 Dazu Hüffer/Koch, AktG, § 36a Rz. 2a.
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V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG | Rz. 101 § 6
wenn Aktien aus einer Kapitalerhöhung durch ein Emissionshaus übernommen werden, um sie bei alten und neuen Aktionären zu platzieren (vgl. § 186 Abs. 5 AktG). Der wirtschaftliche Hintergrund ist, dass bei dieser Gestaltung nur ein Viertel des geringsten Ausgabebetrages (§§ 9 Abs. 1, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG) gezahlt werden muss, um die Anmeldung der Kapitalerhöhung vornehmen zu dürfen. Die Restzahlung einschließlich Aufgeld wird bei der anschließenden Platzierung von der Emissionsbank „eingesammelt“ und (abzgl. ihrer Provision) an die AG abgeführt. Der formaljuristische Unterschied zwischen Agio gem. § 9 Abs. 2 AktG und schuldrechtlicher Zusatzvereinbarung besteht in dem korporativen Charakter des Agio, das – anders als die schuldrechtliche Vereinbarung – auch den nachfolgenden Aktionär verpflichtet.183 Wird das Agio nicht gezahlt, wird der Rechtsnachfolger vor seiner Haftung dadurch gewarnt, dass bis zur vollständigen Zahlung nur Namensaktien mit entsprechendem Vermerk oder Zwischenscheine ausgegeben werden dürfen, § 10 AktG. Wegen des korporativen Charakters wird überwiegend angenommen, dass sich eine Differenzhaftung bei einer überbewerteten Sacheinlage auch auf den zur Deckung des Aufgeldes erforderlichen Betrag erstreckt.184 Bei der schuldrechtlichen Zusatzvereinbarung besteht hingegen eine Haftung nur der Emissionsbank aus der anlässlich der Zeichnung (§ 185 AktG) mit der Gesellschaft getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarung. Die strengen Kapitalaufbringungsvorschriften finden auf die Zuzahlung keine Anwendung.185
3. Einlagenrückgewähr Eine besonders starke Ausweitung des Vermögensschutzes im Vergleich zur GmbH sieht das Aktienrecht bei der Einlagenrückgewähr vor. Gemeinsam ist beiden zwar die Definition der Einlagenrückgewähr als jede vermögenswerte Zuwendung der Gesellschaft für Rechnung ihres Mitglieds, die einem Drittvergleich nicht standhält und deshalb als causa societatis angesehen werden muss. Ebenfalls gilt für beide Gesellschaftsformen die Buchwertbetrachtung. Während aber in der GmbH nur das bilanzielle Reinvermögen bis zur Höhe der Stammkapitalziffer geschützt ist, bezieht sich der Schutz bei der AG auf das gesamte bilanzierte Vermögen, § 57 AktG. Selbst bei einem stillschweigenden Einvernehmen sämtlicher Aktionäre ist jede Zuwendung verboten, die nicht in Form einer ordnungsgemäßen Verteilung des Bilanzgewinns oder einer Abschlagszahlung hierauf (§ 59 AktG) stattfindet. Anders als der ähnlich lautende § 30 GmbHG186 hielt die früher herrschende Meinung187 § 57 AktG für ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. Damit seien sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft nichtig mit der Konsequenz, dass gegen den bevorteilten Aktionär dingliche Herausgabeansprüche bestehen, soweit das Erlangte bei ihm noch vorhanden ist. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn er insolvent wird. Die daneben bestehenden schuldrechtlichen Bereicherungsansprüche werden durch die Spezialregelung des § 62 AktG verdrängt.188
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4. Ausfallhaftung Mit der Situation bei der GmbH189 wiederum identisch ist die Haftung des Rechtsnachfolgers. Nach herrschender Meinung190 erfasst die Erstattungspflicht nicht auch den Einzelrechtsnachfolger des Ak-
183 Vgl. zur gleichen Unterscheidung bei der GmbH: BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, MDR 2008, 218 = ZIP 2007, 2416. 184 Thür. OLG v. 12.10.2006 – 6 W 452/06, ZIP 2006, 1989 ff. a.E.; Großkomm/AktG/Röhricht, § 27 Rz. 105. 185 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 249/06, DB 2008, 50. 186 Dazu BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, ZIP 1997, 1450. 187 Vgl. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rz. 32 f. 188 KG v. 24.7.1998 – 14 U 2121/97, NZG 1999, 161; Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rz. 32. 189 Dazu: Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rz. 5 ff. 190 Vgl. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rz. 4.
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§ 6 Rz. 101 | Gesellschafterberatung tionärs, weil sie den Empfänger persönlich trifft und nicht an der Mitgliedschaft hängt.191 Jedenfalls für die AG ist dem zu folgen, weil der Rechtsnachfolger nicht in der Form des § 10 AktG (bei fehlender Volleinzahlung Ausgabe nur von Namensaktien oder Zwischenscheinen) gewarnt wird.192 102
Das AktG kennt mit Ausnahme der durch die Warnfunktion des § 10 AktG gemilderten „Vormännerhaftung“ des § 65 AktG nach Eintragung der AG keine allein aufgrund der Mitgliedschaft eingreifende Ausfallhaftung der Aktionäre für die Kapitalaufbringung oder die Kapitalerhaltung. Für die Einlagenrückgewähr haftet nach § 62 AktG nur der Empfänger, nicht auch – anders als nach § 31 Abs. 3 GmbHG – der Mitaktionär. Es gibt nur eine Verhaltenshaftung. So haften die Gründer für falsche oder unvollständige Angaben zum Zwecke der Gründung (§ 46 AktG). Selbst die Unterbilanzhaftung entsteht – wie bei der GmbH – nicht allein aufgrund der Mitgliedschaft, weil das Einverständnis jedes Aktionärs mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebes vor Eintragung der AG hinzukommen muss. Darüber hinaus haftet jeder Aktionär für eine schädigende Einflussnahme auf die Organe, § 117 AktG. Das gilt nicht nur für die Einlagenrückgewähr, sondern betrifft auch die Existenzvernichtungshaftung. Im Gegensatz zur GmbH gab es bei der AG für die Gesellschafterhaftung keine Odyssee, die mit unterschiedlichen Ausprägungen des qualifiziert faktischen Konzerns begann und über die Existenzvernichtungshaftung durch das Urteil vom 16.7.2007193 wieder auf § 826 BGB zurückgeführt wurde. Die im Rahmen des § 826 BGB relevanten Verhaltensweisen werden bei der AG genauso wie bei der GmbH eine Haftung begründen. Allerdings ist die Regelungsdichte im Aktienrecht wesentlich größer als bei der GmbH, was z.B. § 117 AktG und die Vorschriften zur Verantwortlichkeit eines herrschenden Unternehmens bei Fehlen eines Beherrschungsvertrages in §§ 311 ff. AktG zeigen, so dass jeweils der spezialgesetzliche Vorrang geprüft werden muss.
VI. Haftung des Personengesellschafters 1. Überblick 103
Das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts – soweit es die nach außen auftretende Außengesellschaft und nicht nur die Innengesellschaft betrifft – unterscheidet sich grundlegend von dem des Kapitalgesellschaftsrechts. Für die Kapitalgesellschaft gilt selbst dann, wenn sie nicht zur Eintragung gelangt, die Innenhaftung.194 Demgegenüber gilt für die Personengesellschaft die unmittelbare Außenhaftung, § 128 HGB. Die im Kapitalgesellschaftsrecht erörterten Probleme bei der Kapitalaufbringung stellen sich nur für den Kommanditisten, der seine unmittelbare Außenhaftung durch die Leistung der Einlage im Innenverhältnis ablösen kann. Vorschriften über die Kapitalaufbringung und die Anforderungen an eine Sacheinlage – z.B. freie Verfügbarkeit, Verbot der verschleierten Sacheinlage, Aufrechnungsverbot – fehlen bei Personengesellschaften. Hier kommt es in erster Linie auf die Vermögenszuführung dem Wert nach an. Ansonsten herrscht Gestaltungsfreiheit, § 163 HGB. Die Formstrenge wird durch das Vollwertigkeitsprinzip ersetzt, wie es das MoMiG in § 19 Abs. 4 GmbHG sogar für die GmbH eingeführt hat. Auch die Konsequenzen der Einlagenrückgewähr, die für den unbeschränkt haftenden Gesellschafter ohnehin keine Rolle spielen, sind für den Kommanditisten einfacher gestaltet. Im Personengesellschaftsrecht gibt es keine Kapitalerhaltungsgarantie zugunsten der Gläubiger. Stattdessen ordnet § 172 Abs. 4 HGB schlicht an, dass die Einlage bei einer Rückgewähr als nicht geleistet gilt, was simpel und einfach zu der summenmäßig beschränkten Haftung des § 171 191 In der GmbH haftet der Rechtsnachfolger jedoch als Ausfallschuldner, Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rz. 21; Altmeppen, GmbHG, § 31 Rz. 3 ff. 192 A.A. Münch Hdb AG/Wiesner, 174. 193 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = DB 2007, 1802. 194 Es sei denn, dass die Gründungsgesellschafter nach Aufgabe der Eintragungsabsicht eine schon begonnene Geschäftstätigkeit fortsetzen. Dann greift ex tunc, das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts und die ursprüngliche Innenhaftung schlägt auch für die bis dahin schon begründeten Verbindlichkeiten in eine Außenhaftung um.
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VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 108 § 6
Abs. 1 HGB zurückführt. Sie wieder zu beseitigen, richtet sich erneut nach dem Innenverhältnis unter Berücksichtigung des Vollwertigkeitsprinzips. Die Reglementierungen, die im Rahmen von § 31 GmbHG bei der Einlagenrückgewähr ähnlich wie bei der Kapitalaufbringung bestehen, oder eine Ausfallhaftung der Mit-Kommanditisten fehlen; denn bei einer gesetzestypischen Ausgestaltung der KG sind die Gläubiger, so die Idee des historischen Gesetzgebers, durch die unbeschränkte persönliche Haftung des Komplementärs ausreichend geschützt. Eine Ergänzung durch Rechtsprechungsrecht bedurfte es nur für die GmbH & Co. KG, weil es hier wegen § 13 Abs. 2 GmbHG materiell an einer unbeschränkten Haftung fehlt. Deshalb werden die §§ 30 f. GmbHG in gewissem Umfang auch auf den Nur-Kommanditisten, der an der Komplementär-GmbH nicht beteiligt ist, analog angewendet. Auf den ersten Blick ist das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts somit relativ einfach. Schwierig wird erst das Nebeneinander verschiedener Anspruchsgrundlagen. Im Außenverhältnis hat jeder Gläubiger einen Haftungsanspruch gegen den Gesellschafter, und zwar auch gegen den summenmäßig beschränkt haftenden Kommanditisten, §§ 171 Abs. 1, 161 Abs. 2, 128 HGB. Dieser Anspruch ist im Bestand und Umfang zwar von der gegen die Gesellschaft bestehenden Forderung abhängig, § 129 HGB. Er bildet gleichwohl aber eine eigenständige Haftungsgrundlage.
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Parallel hat die Gesellschaft gegen den Gesellschafter einen Anspruch auf Leistung der Einlage, §§ 105 Abs. 3 HGB, 706 BGB. Das ist zwar nicht zwingend, weil es auch Gesellschafter ohne Vermögensbeteiligung bzw. Einlage gibt. Bei einer Arbeits- und Haftungsgemeinschaft ist es nicht einmal selten, dass nur einige Gesellschafter eine Einlage, also einen der Gläubigerbefriedigung zugänglichen Vermögenswert einbringen, während andere Gesellschafter Beiträge wie insbesondere ihre – ohne gesonderte Vereinbarung (§ 733 Abs. 2 Satz 2 BGB) unentgeltliche195 – Arbeitsleistung erbringen, die den Haftungsfonds nicht erhöhen (vgl. § 27 Abs. 2 Halbs. 2 AktG). Auch andere Beitragsleistungen wie die Nutzungsüberlassung von Gegenständen oder eine Geldleihe (Darlehen) bzw. Bonitätsleihe (Bürgschaft) sind geeignete Beiträge zur Förderung des Gesellschaftszwecks. Zur Ablösung der Außenhaftung des Kommanditisten i.S.d. § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB taugt jedoch nur die den Haftungsfonds erhöhende Einlage.
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Beitragsverpflichtung im Innenverhältnis und Haftungsverpflichtung im Außenverhältnis müssen also nicht parallel laufen. So kann die im Handelsregister eingetragene Haftsumme höher oder niedriger sein als der im Innenverhältnis geschuldete Wert. Selbst bei Wertidentität kann im Innenverhältnis eine Sacheinlage bedungen sein, während die Außenhaftung regelmäßig – wenn auch nicht zwingend – auf Zahlung gerichtet ist. Noch komplizierter wird es, wenn eine dritte Anspruchsgrundlage hinzutritt, weil im Außenverhältnis neben die Haftung des § 128 HGB noch eine vertragliche Haftung z.B. aus Garantie oder Bürgschaft tritt.
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Für den Kommanditisten stellt sich dann die Frage, ob er mit einer einzigen Zahlung „drei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen kann, nämlich sowohl die Bürgenhaftung als auch – und das mit Wirkung gegenüber allen anderen Gläubigern – die Kommanditistenhaftung und schließlich auch noch die Einlageverpflichtung zum Erlöschen bringen kann.
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2. Unbeschränkte Haftung a) Vor Insolvenzeröffnung BGB- und oHG-Gesellschafter sowie die Komplementäre einer KG haften gegenüber den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens können sie von den Gläubigern jederzeit neben der Gesellschaft in Anspruch genommen werden, und zwar nicht nur auf Zahlung, sondern auf Erfüllung derjenigen Forderung, die den Gläubigern gegen die Gesellschaft zusteht, also auch auf die Lieferung einer Sache oder die Vornahme vertretbarer Handlungen.196 Ist der Gesell195 Anders ist es mit der Aufrechnung einer für Dienstleistungen ausdrücklich vereinbarten Vergütung. 196 BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, NJW 1979, 1361.
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§ 6 Rz. 108 | Gesellschafterberatung schafter dazu nicht in der Lage, kann sich der Anspruch unter den im BGB genannten Voraussetzungen in einen Zahlungsanspruch umwandeln. Die Haftungsschuld ist zwar mit der Gesellschaftsschuld verbunden (akzessorisch); denn der Gesellschafter darf einer Inanspruchnahme die Einwendungen entgegenhalten, die von der Gesellschaft (noch) erhoben werden können, § 129 HGB. Dazu gehört auch die Anfechtung und Aufrechnung. Gleichwohl handelt es sich trotz der üblichen Bezeichnung als „Haftung“ um eine primäre Schuld und nicht, wie z.B. bei der Bürgschaft (vgl. § 771 BGB) um ein Einstehen für fremde Schuld.197
b) Nach Insolvenzeröffnung: § 93 InsO 109
Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft darf nur noch der Insolvenzverwalter die Haftungsansprüche geltend machen, § 93 InsO. Damit soll ein Wettlauf der Gläubiger um den Zugriff auf das persönliche Vermögen der Gesellschafter vermieden und der Grundsatz der par conditio creditorum, der das gesamte Insolvenzverfahren beherrscht, auch für die Haftungsrealisierung auf der Gesellschafterebene verwirklicht werden.198 § 93 InsO entfaltet eine Sperrwirkung für die Gläubiger und eine Ermächtigungswirkung199 für den Verwalter.200 aa) Konkurrierende Ansprüche
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Die Sperr- und Ermächtigungsfunktion erfasst nicht die konkurrierenden Ansprüche der Gläubiger aufgrund vertraglicher201 (z.B. Bürgschaft), deliktischer202 (z.B. Sozialabgaben) oder gesetzlicher203 (z.B. Steuerschulden) Verpflichtungen des Gesellschafters. De facto führt das zu einer Durchbrechung des mit § 93 InsO verfolgten Zwecks204 insbesondere zugunsten derjenigen Gläubiger, die aufgrund ihrer Marktmacht gesonderte Haftungsvereinbarungen durchsetzen können. Bei der Bürgschaft handelt es sich nicht etwa um eine (unwirksame) Verbürgung eigener Schuld. Da die Gesellschafts- und die Gesellschafterschuld, wie dargelegt, nebeneinander bestehen, kann der Gesellschafter ohne weiteres eine Schuld der Gesellschaft durch Bürgschaft sichern. Nur wirtschaftlich führen Bürgen- und Gesellschafterhaftung regelmäßig zum selben Ergebnis.
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Bei dinglichen Sicherheiten, die die Gesellschafter an Gegenständen ihres Privatvermögens zugunsten von Gläubigern bestellen, besteht keine Verwertungsbefugnis des Verwalters. Der diesbezügliche § 166 Abs. 1 InsO betrifft nur die Sicherungsgegenstände des Gesellschaftsvermögens. bb) Betroffene Gläubiger
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In persönlicher Hinsicht erfasst die Sperrwirkung des § 93 InsO sämtliche Gläubiger, unabhängig davon, ob sie am Insolvenzverfahren der Gesellschaft teilnehmen,205 die Ermächtigungswirkung hin-
197 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 128 Rz. 1. 198 Deshalb wird ein Haftungsprozess auch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft analog § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG unterbrochen: BGH v. 14.11.2002 – IX ZR 236/99, MDR 2003, 284 = ZIP 2003, 39. 199 BGH v. 9.10.2006 – II ZR 193/05, MDR 2007, 535 = ZIP 2007, 79. 200 Dasselbe gilt für die Durchgriffshaftung bei der GmbH: BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, MDR 2006, 880 = ZIP 2006, 467. 201 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, MDR 2002, 1336 = ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – VII B 155/ 01, ZIP 2002, 179. 202 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, MDR 2002, 1336 = ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – VII B 155/ 01, ZIP 2002, 179. 203 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, MDR 2002, 1336 = ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – VII B 155/ 01, ZIP 2002, 179. 204 Bork, NZI 2002, 362. 205 Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 27.
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VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 115 § 6
gegen nur die angemeldeten Ansprüche der teilnehmenden Gläubiger, weil nur an sie die eingezogenen Beträge im Rahmen der Gesellschaftsinsolvenz verteilt werden können.206 cc) Dauer, Teilzahlungen während des Verfahrens In zeitlicher Hinsicht gilt § 93 InsO dem Wortlaut nach nur für die Dauer des Verfahrens. Das „Insolvenzeröffnungsverfahren“ gehört nicht dazu. Die Zeit zwischen Insolvenzantrag und -eröffnung ist nur umgangssprachlich ein Verfahren. Rechtlich handelt es sich jedoch nur um Maßnahmen während der und zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Eröffnung. Die systematische Einordnung von § 93 InsO in den Dritten Teil der InsO „Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ ist eindeutig.207 Nach dessen Aufhebung ist der Gläubiger wieder befugt, die Haftungsrealisierung selbst in die Hand zu nehmen. Die Verjährung ist bis dahin gehemmt, soweit seine gegen die Gesellschaft gerichteten Ansprüche im Verfahren angemeldet wurden, §§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB, 129 HGB. Das führt zu der Frage, wie Teilzahlungen, die der Gesellschafter an den Verwalter während des Verfahrens erbracht hat, nach Verfahrensaufhebung zu behandeln sind. Denkbar wäre, sie anteilig nur denjenigen Forderungen zuzuordnen, die der Insolvenzverwalter zur Haftungsberechnung herangezogen hat, so dass bspw. die Haftung für nachgemeldete Forderungen später in vollem Umfang durchgesetzt werden könnte. Dagegen spricht, dass die Zahlungen des Gesellschafters an sämtliche teilnehmenden Gläubiger – soweit materiell-rechtlich eine Haftung besteht, s. unten Rz. 115 – verteilt werden müssen, also auch an diejenigen Gläubiger, deren Forderungen der Verwalter kalkulatorisch bei der Haftungsdurchsetzung noch nicht berücksichtigt hat. Deshalb kann der Gesellschafter einem Gläubiger nach Verfahrensbeendigung nur diejenige Quote entgegenhalten, die sich aus seiner Zahlung im Vergleich zu sämtlichen haftungsgesicherten Gläubigern ergibt. Sie kann durchaus wesentlich geringer sein als die quotale Ausschüttung auf die angemeldeten Forderungen, wenn der Haftungsbetrag z.B. auch für Verfahrenskosten oder Masseschulden verwendet werden darf. Darauf ist unten noch einzugehen. Für die Gesellschafterberatung ist zu empfehlen, Zahlungen an den Insolvenzverwalter möglichst mit einem Erlassvergleich für sämtliche weiteren Ansprüche zu verbinden. Die Vergleichsbefugnis ist von der Ermächtigungswirkung gedeckt,208 so dass der Vergleich jedem Gläubiger später entgegengehalten werden kann.
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dd) Haftungsumfang Die Gesellschafterhaftung ist, wie oben erläutert, eine primäre Erfüllungshaftung und nicht nur eine Geldersatzhaftung. Im Insolvenzverfahren ist das nicht praktikabel, so dass die herrschende Meinung eine automatische Umrechnung von Sach- in Geldforderungen entsprechend § 45 InsO verlangt.209
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Dem Umfang nach betrifft die Haftung sämtliche Verbindlichkeiten, für die auch ein ausgeschiedener Gesellschafter gem. § 160 HGB haften würde. Nach herrschender,210 aber nachfolgend einzuschränkender Meinung ist § 128 HGB teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die vom Verwalter begründeten Neuverbindlichkeiten nicht mehr von der Haftung umfasst werden. Die Begründung lautet, dass der Gesellschafter nach dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter keinen Einfluss mehr auf die Begründung von Verbindlichkeiten hat. Diese Haftungseinschränkung darf nicht verwechselt werden mit einem Haftungsausschluss für nach Insolvenzeröffnung entstehende Verluste. Soweit die Verluste auf Verbindlichkeiten beruhen, die vor Insolvenzeröffnung veranlasst wurden – z.B. Arbeits- und Mietverträge, Bestellungen von Lieferungen – hätte dafür auch ein tatsächlich ausgeschiedener und nicht nur für die insolvenzrechtliche Beurteilung
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206 207 208 209 210
Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 33. H.M., vgl. Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 39 f. Krüger, NZI 2002, 367. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 86; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 93 Rz. 39. Bdb. OLG v. 23.5.2007 – 7 U 173/06, ZIP 2007, 1756, Revision beim BGH – II ZR 138/07; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 81.
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§ 6 Rz. 115 | Gesellschafterberatung dem gleich gestellter Gesellschafter einzustehen, selbst wenn der Insolvenzverwalter mit diesen Ressourcen „schlecht wirtschaftet“. Insolvenzrechtlich allerdings sind diejenigen Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die auf die Zeit nach der ersten Kündigungsmöglichkeit entfallen, den vom Verwalter begründeten Neuverbindlichkeiten gleichgestellt, § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ob dies auch auf die Haftungsbegrenzung des Gesellschafters übertragen werden muss, wird in der Literatur nicht diskutiert. Für die Nachhaftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters wird eine Begrenzung durch die Kündigungsmöglichkeit außerhalb der Insolvenz überwiegend abgelehnt.211 Überträgt man dies auf die Insolvenz, wird der Gesellschafter ebenfalls nicht durch diesen Zeitablauf frei. Das steht in keinem Widerspruch zu § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Er betrifft das Rangverhältnis der Gläubiger untereinander. Mit der Gesellschafterhaftung hat das nichts zu tun. 116
Was für die Neumasseschulden aus Dauerschuldverhältnissen gilt, muss entsprechend auch für die Neumasseschulden bei (anderen) schwebenden Geschäften gelten, deren Erfüllung der Verwalter gem. § 103 InsO wählt.212 Auch für sie greift die Gesellschafterhaftung. Dafür spricht insbesondere die Sichtweise des BGH, wonach schwebende Geschäfte durch die Insolvenzeröffnung schuldrechtlich nicht berührt werden, sondern unverändert fortbestehen, und die Erfüllungswahl des Verwalters nur bedeutet, dass die Verbindlichkeit auf die Stufe von Masseschulden „gehoben“ wird.213 Dafür spricht ferner, dass bei Anordnung der vorläufigen „starken“ Verwaltung, bei der die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem. § 22 Abs. 1 InsO auf den Verwalter übergeht, weder außerordentliche Kündigungs- noch Erfüllungswahlrechte bestehen. Bei der im Hinblick auf das Insolvenzverfahren vorgenommen teleologischen Reduktion des § 128 HGB wäre es aber nicht einzusehen, warum eine Haftung für die während der vorläufigen „starken“ Insolvenzverwaltung gem. § 55 Abs. 2 entstehenden Masseschulden anders zu behandeln sein sollen als für die vergleichbaren nach Insolvenzeröffnung entstehenden Masseschulden. Hier wie dort ist für seine Haftung analog § 160 HGB nicht auf die Masseschuldqualität der Verbindlichkeit, sondern darauf abzustellen, ob die Verbindlichkeit schuldrechtlich noch zu der Zeit begründet wurde, als die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht bei dem Verwalter lag. Das gilt für schwebende Austauschverträge genauso wie für Dauerschuldverhältnisse.
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Eine Haftung für die Massekosten des § 54 InsO wird aus ähnlichen Überlegungen wie die Haftung für Masseschulden abgelehnt.214 Das ist jedoch zweifelhaft, was sich ebenfalls aus einem Vergleich mit einem ausgeschiedenen Gesellschafter ergibt. Er ist gem. § 738 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wenn die Gesellschaft bei seinem Ausscheiden aufgelöst worden wäre, was namentlich bedeutet, dass er auch die Abwicklungskosten tragen müsste. Sie entsprechen bei der insolvenzrechtlichen Abwicklung den Verfahrenskosten.215 Zwar betrifft § 738 Abs. 1 BGB nur das Innenverhältnis, nicht die Außenhaftung. Wenn aber § 128 BGB prinzipiell anwendbar sein soll und nur teleologisch reduziert wird – denn ein Ausscheiden liegt ja gar nicht vor, der Gesellschafter wird nur behandelt als ob –, kann bei dieser teleologischen Reduktion auch der Gedanke des § 738 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden.
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Der Vergleich mit § 738 Abs. 1 BGB bestätigt im Übrigen das zuvor Gesagte, dass nämlich nicht nur die Verfahrenskosten des § 54 InsO von der Haftung umfasst sein müssen,216 sondern sämtliche Abwicklungskosten, die auf der bisherigen Geschäftstätigkeit beruhen. Das muss sogar für Verbindlich-
211 S. zur Nachhaftung K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 41 f. 212 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 158 Anh. Rz. 47. 213 Seit BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, MDR 2002, 1270 = ZIP 2002, 1093; umfassend: Marotzke in HK/InsO, § 103 Rz. 9 ff. 214 Bdb. OLG v. 23.5.2007 – 7 U 173/06, ZIP 2007, 1756; Marotzke, ZInsO 2008, 57 ff.; Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 18; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 81. 215 A.A. Marotzke, ZInsO 2008, 57, 60 f.: Es handele sich um Koordinationskosten im Interesse und damit auch zu Lasten der Gläubiger, die die Gesellschafter ja auch ohne Insolvenzverfahren direkt hätten in Anspruch nehmen können. M.E. überzeugt das nicht; denn die Gesellschafter haben pflichtwidrig nicht gezahlt, nicht etwa die Gläubiger pflichtwidrig eine andere Rechtsverfolgung unterlassen. 216 Im Ergebnis ebenso: Gottwald/Haas/Mock, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 50.
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VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 122 § 6
keiten gelten, die nach Verfahrenseröffnung vollständig neu begründet werden.217 Beauftragt der Insolvenzverwalter z.B. im Rahmen seiner Verpflichtung gem. § 155 InsO einen Steuerberater mit der Erstellung der Buchhaltung und Steuererklärung, handelt es sich – entgegen der herrschenden Meinung – um Kosten, für die der Gesellschafter einzustehen hat. In der Praxis wird der Gesellschafter allerdings oftmals nicht in der Lage sein, diese Beträge zu bezahlen. Es schließt sich dann ein Folgeverfahren über sein Vermögen an. Somit ist festzuhalten, dass der Gesellschafter aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 128 HGB nur für diejenigen Masseschulden nicht haftet, für die er auch dann nicht einzustehen gehabt hätte, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung aufgelöst worden wäre. Dies gilt auch bei der Eigenverwaltung,218 weil es sich um ein „richtiges“ Insolvenzverfahren handelt (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), bei dem der Insolvenzzweck den Gesellschaftszweck überlagert und die Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter eingeschränkt werden (s. § 3 Rz. 625), vgl. §§ 276a InsO.
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Von der im Rahmen des § 93 InsO durchzusetzenden Außenhaftung für Masseschulden zu unterscheiden ist die Frage, ob der Gesellschafter gem. § 110 HGB einen Aufwendungsersatzanspruch ebenfalls als Masseforderung hat, wenn er seiner Haftung z.B. für Verbindlichkeiten aus einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis nachkommt. Sie ist positiv zu beantworten. Allerdings kann das nicht auf einen Forderungsübergang gestützt werden, der von der herrschenden Meinung219 abgelehnt wird. Der Gesellschafter „rutscht“ zivilrechtlich nicht an die Stelle des Massegläubigers. Gleichwohl sollte man den Aufwendungsersatz als sonstige Verbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO im Zusammenhang mit der Verwaltung der Insolvenzmasse ansehen. Sonst könnte es passieren, dass der Verwalter über Jahre munter weiterwirtschaftet und via Gesellschafterhaftung aus den Masseschulden für Personalkosten (nachrangige?) Insolvenzforderungen macht. In der Praxis relevant wird das, wenn es um die Konkurrenz zwischen dem Aufwendungsersatzanspruch und der Forderung eines Neugläubigers geht, dem gegenüber der Gesellschafter nicht mehr einstehen muss, weil es sich nicht um eine Abwicklungsverbindlichkeit handelt. Relevant wird das außerdem, wenn es um die Haftung des Insolvenzverwalters für Fehler bei der Unternehmensfortführung geht, die die Einstandspflicht des Gesellschafters erhöhen. Hier kann dann die Einstandspflicht des Insolvenzverwalters nach §§ 60, 61 InsO vorrangig sein.
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Anders stellt sich die Situation zu den vor Insolvenzeröffnung ausgeschiedenen Gesellschafter dar, auf dessen Innenregress die herrschende Meinung nicht mehr § 110 HGB, sondern § 670 BGB und eine cessio legis analog § 426 Abs. 2 BGB oder § 774 BGB annimmt. Zahlt der ehemalige Gesellschafter z.B. die Löhne und Gehälter, für die er gem. § 160 HGB forthaftet, kann er den Erstattungsanspruch als Masseschuld geltend machen. Daraus könnte die Beratungsempfehlung abgeleitet werden, noch möglichst schnell vor einer Insolvenzeröffnung aus wichtigem Grund fristlos auszuscheiden, falls der Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel enthält. Das wird aber kaum zum Erfolg führen; denn der wichtige Grund trifft alle Gesellschafter gleichermaßen, so dass die Folge nicht der Austritt eines Einzelnen, sondern die Auflösung wäre. Vor allem aber würde der Verwalter einer Masseforderung entgegenhalten, dass es sich um Abwicklungskosten gem. §§ 738 f. BGB handelt, für die der Gesellschafter auch im Innenverhältnis haftet.
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Ist die Forderung des Gläubigers am Gesellschaftsvermögen besichert, stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter zuerst das Sicherungsgut verwerten und beim Gesellschafter nur den Ausfall geltend machen darf, oder ob er die gesamte Forderung ohne Rücksicht auf den erwarteten Verwertungserlös beim Gesellschafter durchsetzen kann. Damit würde das Sicherungsgut frei werden und dessen Verwertungserlös für Masseverbindlichkeiten verwendet werden können, für die der Gesellschafter nicht haftet. Bedeutsam ist das vor allem, wenn man der herrschenden Meinung folgt, die die
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217 Gottwald/Haas/Mock, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 49. 218 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 158 Anh. Rz. 44. 219 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; a.A. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 31.
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§ 6 Rz. 122 | Gesellschafterberatung Haftung für Masseschulden stark einschränkt. Aus der Primärhaftung des Gesellschafters folgt jedoch, dass es einen solchen Vorrang für die Sicherheitenverwertung nicht gibt. Das bestätigt ein Vergleich mit der Doppelinsolvenz von Gesellschafter und Gesellschaft. Der Gläubiger darf gegen einen Gesellschafter außerhalb eines Insolvenzverfahrens jederzeit ohne vorherige Sicherheitenverwertung vorgehen. Dann kann sich durch § 93 InsO nichts dadurch ändern, dass die Gesellschaft insolvent wurde. Der Verwalter darf also den vollen Betrag vom Gesellschafter verlangen und mit dem Erlös aus der damit freiwerdenden Sicherheit andere Verbindlichkeiten bedienen, es sei denn, man folgt einer Mindermeinung, die auch für den nicht ausgeschiedenen Gesellschafter analog § 426 Abs. 2 BGB oder § 774 Abs. 1 BGB für einen Übergang der Forderung des gesicherten Gläubigers und damit auch der akzessorischen Sicherheiten220 – eventuell sogar einer Übertragungspflicht der nicht akzessorischen – plädiert. Diese Auffassung hat jedoch keine Stütze im Gesetz. Ein Vergleich mit der Doppelinsolvenz von Gesellschafter und Gesellschaft bestätigt, dass der Verwalter nicht verpflichtet ist, vorrangig die von der Gesellschaft gestellte Sicherheit zu verwerten. Würde sich nämlich der Gesellschafter ebenfalls in einem (persönlichen) Insolvenzverfahren befinden, könnte der Gläubiger dort die gesamte Forderung geltend machen, § 43 InsO. Das Ausfallprinzip des § 52 InsO gilt im Dreiecksverhältnis Gläubiger-Gesellschafter-Gesellschafter nicht. Es beschränkt den Gläubiger nur im Verhältnis zur Gesellschaft, die die Sicherheit gestellt hat. 123
Ist der Verwalter somit im Verhältnis zum Gesellschafter berechtigt, aus der Sicherheit Masseschulden zu bedienen, gilt das nicht nur so lange, solange der Gegenstand oder die Forderung noch nicht verwertet wurden. Ausreichend für die fortbestehende Gesellschafterhaftung ist allein, dass der Gläubiger aus dem Sicherheitenerlös noch nicht befriedigt wurde, mag sich der Verwertungsbetrag auch schon bei dem Insolvenzverwalter befinden. Die größten Gläubiger sind regelmäßig am Gesellschaftsvermögen besichert. Die Gesellschafterhaftung kann somit zum Freiwerden von Sicherheiten und ihrer Verwendung für Masseschulden führen, für die die Gesellschafter nach herrschender Meinung nicht einzustehen haben. Die teleologische Reduktion des § 128 HGB ist de facto deshalb nur von eingeschränkter Bedeutung. Für den Berater des Gesellschafters folgt daraus, dass er auf die besicherten Gläubiger einwirken sollte, die Rechte der §§ 169, 172 InsO geltend zu machen, damit der Verwalter möglichst schnell die Sicherheiten verwertet und den Erlös auskehrt, bevor es zu einer Inanspruchnahme des Gesellschafters kommt. Ist nämlich der Gläubiger befriedigt, entfällt auch die Haftung.
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Für die Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters gelten diese Überlegungen nicht. Während die herrschende Meinung für den weiterhin beteiligten Gesellschafter eine cessio legis verneint, weil sich der Innenregress allein nach § 110 HGB richte, bejaht sie sie für den ausgeschiedenen.221 Damit gehen zumindest akzessorische Sicherheiten auf den ehemaligen Gesellschafter über, soweit der Gläubiger aufgrund seiner Haftungszahlung befriedigt wird. ee) Doppel- vs. Ausfallhaftung
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Auf das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen kommt es auch noch für die Frage an, ob der Verwalter die Quote, die allein aufgrund des Gesellschaftsvermögens an die haftungsbegünstigten Gläubiger ausgekehrt werden wird, von vornherein von der Gesellschafterhaftung abziehen muss. Im Prozess würde das einen genauen Vortrag zu der Quote und bei einer Fehlkalkulation etwaige Nachforderungen zur Folge haben. Letztgenanntes wird insbesondere von K. Schmidt gefordert, der die Haftung des Gesellschafters auf den Ausfall beschränken will,222 während die herrschende Meinung nichts daran ändern will, dass der Gläubiger einen selbstständigen Anspruch hat, der 220 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 31. Selbst wenn man dieser Auffassung folgen würde, kann der Forderungsübergang bei Teilzahlungen nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden. § 774 Abs. 1 Satz 2 BGB, Grüneberg in Palandt, BGB, § 426 Rz. 16. Er ist aus den Sicherheiten bis zur vollständigen Befriedigung vorrangig zu bedienen. 221 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 61. 222 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 86.
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VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 128 § 6
zwar im Umfang gem. § 129 HGB von seiner Forderung gegen die Gesellschaft abhängt, aber durchaus ohne gleichzeitige Inanspruchnahme der Gesellschaft eingeklagt werden kann (Doppelberücksichtigung). Die Grenze sieht sie nur im Rechtsmissbrauch. Beträge, die zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich sind und später an den Gesellschafter gem. § 199 Satz 2 InsO wieder ausgekehrt werden müssten, darf der Verwalter nicht einfordern.223 Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Gesellschafter, während dem Verwalter eine sekundäre Behauptungslast obliegt.224 Die Richtigkeit der herrschenden Meinung ergibt sich schon daraus, dass die Haftungsverbindlichkeit sofort fällig ist, während die Verwertung des Gesellschaftsvermögens hinausgeschoben werden kann, §§ 157, 159 InsO. Das obliegt zwar einer Entscheidung der Gesellschafter, die deshalb aber nicht dazu führt, dass eine Berufung auf die sofortige Fälligkeit der Haftung dem Gesellschafter gegenüber rechtsmissbräuchlich ist. Es ist durchaus angemessen, das die Gläubiger bis zu ihrer vollen Befriedigung anstelle der Gesellschafter über den Gang der Geschäfte und die optimale Verwertung des Gesellschaftsvermögens entscheiden, ohne dafür Abstriche bei ihren Haftungsansprüchen hinnehmen zu müssen. Deshalb wird der Einwand einer Überdeckung nicht nur mit dem Saldo am Ende des Insolvenzverfahrens begründet werden dürfen,225 sondern maßgebend ist vielmehr die Liquidität und die Liquidationsgeschwindigkeit beim Gesellschaftsvermögen. ff) Sondermasse Die Verwendung der durch die Haftungsinanspruchnahme realisierten Gelder ist umstritten. Haas/ Mock halten es für zulässig, damit auch die Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten zu bedienen.226 Der BGH hat dies offengelassen.227
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Mit der Ermächtigungswirkung des § 93 InsO ist es nicht vereinbar, dass die daraufhin gezahlten Beträge für andere Gläubiger verwendet werden als für diejenigen, für die zu handeln der Insolvenzverwalter ermächtigt ist.228 Die Unterscheidung zwischen bestehenden und ehemaligen Gesellschaftern ist nicht gerechtfertigt. In beiden Fällen macht der Verwalter fremde Haftungsansprüche im eigenen Namen geltend. Die Verfahrenseröffnung wird durch die Bildung einer Sondermasse nicht erschwert, wenn nach der hier vertretenen Auffassung der Gesellschafter ohnehin für die Verfahrenskosten haftet.
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gg) Verhältnis zur Einlageforderung All die Probleme um Durchsetzung, Berechnung und Verwendung der Haftungsbeträge spielen keine Rolle, wenn es um die noch nicht erfüllte Einlageforderung geht, die der Gesellschafter im Innenverhältnis gem. §§ 705 f. BGB, 105 Abs. 3 HGB schuldet. Sie gehört zum Gesellschaftsvermögen, § 718 Abs. 1 BGB, und dient damit sowohl einer Befriedigung derjenigen Gläubiger, denen gegenüber der Gesellschafter im Außenverhältnis gem. § 128 HGB haftet, als auch zur Abdeckung aller sonstigen Kosten. Das Rangverhältnis richtet sich allein nach §§ 53 ff. InsO.
223 K. Schmidt, ZIP 2000, 1083; Gottwald/Haas/Mock, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 63. 224 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 30 = NJW 1990, 1109. 225 So aber die Rechtsprechung, z.B. BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 30 = NJW 1990, 1109. 226 Gottwald/Haas/Mock, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 49. So auch Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 93 Rz. 37; Brandes in MünchKomm/InsO, § 93 Rz. 10. 227 BGH v. 24.9.2009 – IX ZR 234/07, MDR 2010, 110 = ZIP 2009, 2204 = NJW 2010, 69. 228 Marotzke, ZInsO 2008, 57, 62, der aber einen Massekostenbeitrag analog §§ 170 f. InsO vorschlägt; Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 75; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 128 Rz. 28, §§ 171, 172 Rz. 112.
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§ 6 Rz. 129 | Gesellschafterberatung hh) Insolvenzplan 129
Mit der Bestätigung eines Insolvenzplans werden auch die Gesellschafter von ihrer persönlichen Haftung befreit, wenn nichts anderes bestimmt ist, § 227 InsO. Das gilt aber nur für die Haftung gem. § 128 HGB, nicht für die Haftung aufgrund zusätzlichen Schuldbeitritts oder einer Bürgschaft, § 254 Abs. 2 InsO, wobei dem Gesellschafter sogar der Innenregress verwehrt ist, wenn die Gesellschaft durch den Plan entschuldet wurde. Problematisch kann in diesen Fällen sein, dass der Gesetzgeber keine klare Regelung für Forderungen geschaffen hat, die nicht zur Insolvenztabelle angemeldet wurden und damit auch nicht an einer Verteilung aus dem Insolvenzplan teilnehmen. Die Regelungen der §§ 259a und b InsO legen nahe, dass diese Forderungen nicht erlöschen, auch wenn dies anders im Insolvenzplan geregelt ist. Diese Gläubiger könnten dann auch wiederum die persönliche Haftung der Gesellschafter nach Aufhebung des Verfahrens geltend machen. Es sollte daher in einem Insolvenzplan (ähnlich, wie bei Vergleichsabreden) aufgenommen werden, dass die Gesellschafter von ihren Haftungsverpflichtungen frei werden mit rechtskräftiger Bestätigung des Plans und eventuell vorgesehener Zahlungen.
3. Kommanditistenhaftung a) Verhältnis von Einlage und Haftung aa) Außenverhältnis („Hafteinlage“ = Haftsumme) 130
Der Kommanditist haftet wie der oHG-Gesellschafter, nur mit dem Unterschied, dass seine Haftung summenmäßig beschränkt ist. Die Haftung wird während der Dauer des Insolvenzverfahrens vom Verwalter geltend gemacht, was § 171 Abs. 2 HGB schon lange vor dem erst mit der Insolvenzrechtsreform geschaffenen § 93 InsO bestimmte. Beide Vorschriften haben dieselbe Zielsetzung. Für die Haftungsdurchsetzung gegenüber dem Kommanditisten gilt das Vorgesagte entsprechend.
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Anders als bei der oHG kann der Kommanditist seine Haftung jedoch durch die Leistung der im Innenverhältnis geschuldeten Einlage ablösen, soweit beides wertidentisch ist, § 171 Abs. 1 S. 2 HGB. Nur wenn die im Handelsregister eingetragene Haftsumme im Außenverhältnis höher als die im Innenverhältnis geschuldete Einlage ist, ist das Zusammenspiel von Einlage und Haftung durchbrochen. Ansonsten stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter vorrangig die Außen- oder die Innenhaftung geltend machen muss. Die Einlage darf, wie soeben für den oHG-Gesellschafter dargelegt, für sämtliche Verbindlichkeiten verwendet werden, also auch für diejenigen, für die die Außenhaftung des Gesellschafters nicht besteht. Da ein Gläubiger ohne Insolvenz gegenüber dem Kommanditisten keinen Anspruch darauf hat, dass der Kommanditist seine Haftungsverbindlichkeit gerade ihm gegenüber erfüllt und nicht an einen anderen oder an die Gesellschaft zahlt, besteht auch innerhalb der Insolvenz kein Vorrang für den Haftungsanspruch. Im Gegenteil dient es einer Gleichbehandlung aller am Verfahren teilnehmenden Gläubiger, also nicht nur der haftungsgeschützten Insolvenzgläubiger, wenn vorrangig die Einlageforderung durchgesetzt wird.229 Ein entsprechendes Vorgehen des Insolvenzverwalters wird man also konkludent dahingehend verstehen müssen, dass er die Einlage verlangt. Für den Gläubiger folgt daraus, dass er seinen Haftungsschuldner durch Einlageleistung verliert, auch wenn er bei der Verteilung keine Quote erhält, weil die Einlage zwar zum Erlöschen der Haftung führt, aber zur Deckung von Masseschulden verwendet wird.
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Das führt zu der Frage, ob der Anwalt dem Mandanten raten muss, noch schnell vor der Verfahrenseröffnung einem Gläubiger auf direktem Weg eine bessere Quote, aber weniger als seine Einlageschuld anzubieten, wenn der Gläubiger dafür auf den Rest verzichtet. Damit wird die „Passivseite“ der Gesellschaft um die Nominalforderung entlastet, was der Kommanditist einer späteren Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters eventuell auch in Höhe des Betrages entgegenhalten könnte, der nicht auf der Zahlung, sondern auf dem Restverzicht beruht. Wäre das zulässig, würden sowohl der Kommanditist
229 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 100 m. Nachw. für die Gegenansicht in Fn. 322.
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VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 135 § 6
als auch der Gläubiger davon profitieren: Der eine zahlt weniger, und der andere erhält mehr als bei einer Abwicklung im Insolvenzverfahren. Die Zulässigkeit dieser Gestaltung hängt von dem Verhältnis zwischen der Einlagehaftung im Innenverhältnis und der Kommanditistenhaftung im Außenverhältnis ab. Zur Erläuterung sei auf den Grundfall zurückgegriffen, in dem der Kommanditist an den Gläubiger eine Zahlung in voller Höhe der Haftsumme tätigt. Das darf er noch nach dem Insolvenzantrag, sogar bei Anordnung der vorläufigen „starken“ Verwaltung;230 denn erst mit der Insolvenzeröffnung geht die Inkassobefugnis gem. §§ 171 Abs. 2 HGB, 93 InsO auf den Verwalter über.231 Durch die Zahlung wird der Kommanditist von seiner summenmäßig beschränkten Außenhaftung frei, und zwar gegenüber allen Gläubigern und nicht nur gegenüber demjenigen, an den die Zahlung adressiert wurde. Die Restriktionen, die es im Kapitalgesellschaftsrecht für die Einlageleistung durch Direktzahlungen an Gläubiger der Gesellschaft gibt, gibt es hier nicht, weil bei der Kapitalgesellschaft das Innenhaftungsmodell gilt, hier jedoch das Außenhaftungsmodell.
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Zahlt der Kommanditist wie im Ausgangsbeispiel nur einen Teil der Haftsumme und verzichtet der Gläubiger auf den Rest, wird die Kommanditgesellschaft von einer Verbindlichkeit in Höhe des Nominalwerts der Forderungen entlastet. Die ältere Rechtsprechung232 hielt das für ausreichend (Nominalwertprinzip). Dafür spricht, dass bei einer unmittelbaren Zahlung die Vollwertigkeit der Forderung des Gläubigers keine Rolle spielt. Der Kommanditist wird von der Haftung in Höhe des gezahlten Nominalbetrages frei. Was der Gläubiger mit dem Geld „anstellt“, spielt keine Rolle. Er könnte auch „aus Dankbarkeit“ dem zahlenden Kommanditisten wieder einen Teil „schenken“. Eine haftungsauflebende Einlagenrückgewähr i.S.v. § 172 Abs. 4 HGB wäre das nicht, weil die Schenkung aus dem Vermögen des Gläubigers, nicht aus dem der Gesellschaft stammt. Gegen die Konstruktion spricht, dass der Kommanditist in Höhe des Verzichts tatsächlich keine Leistung erbringt. Der Verzicht des Gläubigers ist nichts anderes als eine Sachleistung, die ein Dritter – der Gläubiger – für Rechnung des Kommanditisten erbringt. Bei Sachleistungen aber ist unbestritten, dass sie (auch) im Außenverhältnis nur haftungsbefreiend wirken, wenn sie vollwertig sind,233 was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Statt einen Erlassvertrag zu schließen, könnte der Gläubiger die Forderung auch an den Kommanditisten gegen Zahlung eines bestimmten Kaufpreises abtreten. Die anschließend in der Hand des Kommanditisten zulässige Aufrechnung gegen seine Einlageverpflichtung (Näheres dazu unten Rz. 145 ff.) befreit ihn nur in Höhe des tatsächlichen Wertes der Forderung im Zeitpunkt der Aufrechnung234 (Vollwertigkeitsprinzip), letztlich also nur in Höhe der Quote, die auf die Forderung im Insolvenzverfahren entfallen würde. Der Kommanditist könnte einer späteren Inanspruchnahme durch den Verwalter noch nicht einmal den gezahlten Kaufpreis entgegenhalten, da dessen causa nicht die Haftung gegenüber dem Gläubiger, sondern der Forderungskauf ist.
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Für das Beispiel ist festzuhalten, dass die Entlastung der Gesellschaft von einer Verbindlichkeit durch den Kommanditisten unterschiedlich behandelt wird: Erfolgt die Entlastung durch Zahlung an den Gläubiger, führt das in Höhe des gezahlten Betrages zur Enthaftung, obwohl die Forderung des Gläubigers gegen die Gesellschaft nicht mehr vollwertig ist. Zugleich führt dies, worauf noch zurückzukommen sein wird, zur Erfüllung der Einlageverpflichtung. Erfolgt die Entlastung hingegen im Wege der Abtretung der Gläubigerforderung und anschließenden Aufrechnung, führt dies zur Haf-
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230 231 232 233
Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 39. Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 39 f. Z.B. BGH v. 3.3.1969 – II ZR 222/67, NJW 1969, 1210. BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198 = NJW 1985, 2947; BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109. 234 BGH v. 10.11.1975 – II ZR 202/74, WM 1976, 107; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198 = NJW 1985, 2947.
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§ 6 Rz. 135 | Gesellschafterberatung tungsbefreiung nur in Höhe des objektiven Wertes der Verbindlichkeit. Diese Ungleichbehandlung muss der Kommanditist, so der BGH, aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung hinnehmen.235 136
Trotzdem eröffnet die vor Verfahrenseröffnung noch schnell geleistete Zahlung Umgehungsmöglichkeiten, weil eine teilweise Rückgewähr an den Kommanditisten kaum bekannt werden dürfte. Der Gläubiger trägt jedoch das Risiko einer Insolvenzanfechtung. Zwar wird er nicht aus dem Gesellschaftsvermögen befriedigt. Eine Rechtshandlung der Gesellschaft ist aber auch nicht erforderlich. Vielmehr stellt § 129 InsO nur auf irgendeine Rechtshandlung ab, so dass die des Kommanditisten ausreicht. Die des Weiteren erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist jedenfalls dann unzweifelhaft eingetreten, wenn die Zahlung an einen einzelnen Gläubiger im Wege der Aufrechnung zum Wegfall der Einlageforderung führt. Zweifelhaft ist die Gläubigerbenachteiligung nur, wenn die Haftsumme höher als die Einlageverpflichtung ist. Dann wirkt sich die Zahlung nicht nachteilig auf die Aktivmasse aus und begünstigt sogar die Schuldenmasse236 der Gesellschaft. Da § 93 InsO aber auch bei der Haftungsdurchsetzung die Gläubigergleichbehandlung gewährleisten soll, wird man die einseitige Bevorzugung durch eine schnell noch vorgenommene haftungsbefreiende Zahlung des Kommanditisten als i.S.d. § 129 InsO gläubigerbenachteiligend ansehen müssen.
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Von der Außenhaftung zu trennen ist die Innenhaftung. Eingangs wurde schon darauf hingewiesen, dass die interne Einlageverpflichtung und die externe Haftung unabhängig voneinander bestehen. Das eine beruht auf dem Gesellschaftsvertrag, das andere auf §§ 128, 171 Abs. 1 HGB. Zahlt der Kommanditist an einen Gläubiger, kann der „Bogen“ zur Einlageverpflichtung nur im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch der §§ 161 Abs. 2, 110 HGB gezogen werden. Im Kapitalgesellschaftsrecht resultieren zahlreiche Probleme daraus, dass z.B. § 19 Abs. 2 GmbHG die Aufrechnung des Gesellschafters ausdrücklich verbieten und es sich sogar, wenn die Gegenforderung im zeitlichen Zusammenhang mit der Einlageforderung entsteht, um eine verschleierte Sacheinlage handelt, weil de facto keine Zahlung geleistet, sondern die Forderung eingelegt wird. Demgegenüber gibt es bei der KG zwar keine formelle Kapitalaufbringungsgarantie, aber immerhin ein Vollwertigkeitsgebot.237 Insofern bestehen Bedenken gegen die Aufrechnung mit einem Aufwendungsersatzanspruch aufgrund der Befriedigung eines Gläubigers in der Krise; denn der Aufwendungsersatzanspruch ist genau so wenig werthaltig wie die bezahlte Gläubigerforderung. Trotzdem gilt für die Haftungsbefreiung hier ausnahmsweise das Nominalwertprinzip.238 Das folgt aus dem System der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB239: der Kommanditist kann sich durch die Einlageleistung von der Außenhaftung befreien. Leistet er stattdessen auf die Haftung, darf dieser Vorgang unter Hinweis auf die fehlende Vollwertigkeit der Gläubigerforderung nicht zu einer Erhöhung seiner Gesamtverpflichtung führen. Deshalb kann der Kommanditist sogar noch nach Insolvenzeröffnung gegen eine Inanspruchnahme vom Verwalter in Höhe des Nominalwertes aufrechnen. Erforderlich ist nur, dass er vor der Eröffnung an den Gläubiger gezahlt hat.240 Die Aufrechnung scheitert auch nicht an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil die Herstellung der Aufrechnungslage nicht auf einer anfechtbaren Rechtshandlung beruht. Das gilt allerdings nur hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Kommanditisten und der Gesellschaft, nicht, wie soeben dargelegt, hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem befriedigten Gläubiger und der Gesellschaft.
bb) Innenverhältnis („Pflichteinlage“)
BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198 = NJW 1985, 2947. Zu diesem Kriterium bei der Gläubigerbenachteiligung: Thole in HK/InsO, § 129 Rz. 43 ff. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 59 f. BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198 = NJW 1985, 2947 unter Ziff. IV; OLG Dresden v. 24.6.2004 – 7 W 0554/04, ZIP 2004, 2140; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 171 Rz. 7. 239 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1575. 240 Statt an den Gläubiger zu zahlen, kann der Kommanditist auch mit einer eigenen Forderung gegen den Gläubiger aufrechnen, wobei die Abgabe der Aufrechnungserklärung der maßgebende Zeitpunkt ist, BGH v. 17.9.1964 – II ZR 162/62, NJW 1964, 2407.
235 236 237 238
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VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 142 § 6
Da der Kommanditist durch die Befriedigung eines Gläubigers von seiner Haftung befreit wird, gilt für die Einlageleistung nicht wie im GmbH-Recht das Gebot der freien Verfügbarkeit. Der Kommanditist wird namentlich auch dann frei, wenn er auf ein debitorisches Konto zahlt, ohne dass die Geschäftsführung über die Gutschrift disponieren kann. Zugleich erlischt im Innenverhältnis die Einlagepflicht im Wege der Aufrechnung.241
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Schuldet der Kommanditist im Innenverhältnis eine Sacheinlage, hilft ihm die Aufrechnung nicht, sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht. Insolvenzfest wäre es jedoch nur, wenn es ein handelsrechtliches Zurückbehaltungsrecht wäre, § 51 Nr. 3 InsO. Das wird man für die Zurückbehaltung des Kommanditisten nicht annehmen können. Gleichwohl wäre es wegen der Parallelität von Innen- und Außenhaftung unangemessen, wenn der Insolvenzverwalter den Kommanditisten auf Leistung der Sacheinlage in Anspruch nehmen dürfte. In der Insolvenz verfehlt die Sacheinlage ihren Zweck. Deshalb ist sie analog § 45 InsO wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in eine Geldforderung umzurechnen, so dass aus dem Zurückbehaltungs- das vorbezeichnete insolvenzfeste Aufrechnungsrecht wird. Höchstrichterlich „abgesegnet“ ist das jedoch nicht. Für die Beratungspraxis gilt vorsorglich, dem Kommanditisten in der Krise zu empfehlen, die Sacheinlage zur Vermeidung einer Außenhaftung unverzüglich zu erbringen.
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Insbesondere bei steuerorientierten Kapitalanlagen kommt es vor, dass im Handelsregister eine die Pflichteinlage übersteigende Haftsumme eingetragen wird, um höhere steuerliche Verluste geltend machen zu können, § 15a EStG. Neben der Einlage hat der Kommanditist gelegentlich ein verzinsliches Darlehen zu erbringen. Damit wird ihm ein vermeintlich geringeres Risiko als bei einer Einlage suggeriert. Tritt die Insolvenz ein, ist das Darlehen verloren, und es stellt sich die Frage, ob der Kommanditist auf die über die förmliche Einlage hinausgehende Außenhaftung das Darlehen anrechnen darf. Der BGH hat das bejaht; denn beides seien gesellschaftsrechtliche Beiträge, die nur begrifflich in Einlage und Darlehen aufgespalten worden seien, materiell aber eine einheitliche haftungsbefreiende Einlageleistung darstellen würden242 Deshalb spricht man auch von einer „gesplitteten Einlage“.
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Eine Variante ist, dass das Darlehen von der Gesellschaft aufgenommen und vom Kommanditisten (nur) verbürgt wird. Beides ist ein Finanzierungsbeitrag des Kommanditisten, das Darlehen in Form der Geldleihe und die Bürgschaft in Form der Bonitätsleihe. Führt die Darlehenshingabe zum Erlöschen der Außenhaftung, müsste dies auch gelten, wenn der Kommanditist seine Bürgschaft einlöst. Das haben der BGH243 für einen Schuldbeitritt und das OLG Hamm244 für eine Bürgschaft bestätigt, indem sie die Aufrechnung des Aufwendungsersatzanspruches, der durch die Einlösung der Bürgschaft etc. entstand, in Höhe des Nominalwertes als Einlageleistung auch im Innenverhältnis ansahen. Damit erlischt zugleich die Außenhaftung gegenüber allen anderen Gläubigern, soweit die Haftsumme den gezahlten Betrag nicht übersteigt, § 171 Abs. 1 HGB.
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Die Selbstständigkeit der Rechtsgründe – Einlageverpflichtung, Geschäftsführerhaftung, Bürgenhaftung – wird erst relevant, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, weil der Kommanditist seine Haftungsschuld dann nicht mehr durch Zahlung an den Gläubiger, sondern nur noch durch Zahlung an den Verwalter erfüllen kann, während er dem Gläubiger aufgrund der Bürgschaft weiterhin direkt verhaftet bleibt.245 Das hat einschneidende Konsequenzen für den Kommanditisten. Nur wenn er noch vor der Verfahrenseröffnung an den Gläubiger zahlt, bewirkt das neben einem Erlöschen der Bürgenschuld auch seine Enthaftung sowohl im Außenverhältnis aufgrund der §§ 171 Abs. 1, 161 Abs. 2, 128 HGB als auch im Innenverhältnis aufgrund der im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Ein-
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OLG Dresden v. 24.6.2004 – 7 W 0554/04, ZIP 2004, 2140. BGH v. 17.5.1982 – II ZR 16/81, MDR 1982, 990 = ZIP 1982, 835 = NJW 1982, 2253. BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. OLG Hamm v. 5.1.1994 – 8 U 11/93, NJW-RR 1995, 489; Revision v. BGH durch Beschl. v. 12.12.1994 – II ZR 13/94 nicht angenommen. 245 Vgl. auch die unterschiedlichen Ansprüche im vorgenannten Urteilsfall des OLG Hamm.
241 242 243 244
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§ 6 Rz. 142 | Gesellschafterberatung lage, § 706 BGB. Nach Verfahrenseröffnung muss er hingegen aufgrund der Bürgenhaftung an den Gläubiger und aufgrund der Außenhaftung an den Insolvenzverwalter zahlen.246 Anders wäre es, wenn §§ 171 Abs. 2 HGB, 93 InsO die Durchsetzung konkurrierender Haftungsansprüche der Gläubiger z.B. wegen einer Bürgschaft ebenfalls dem Insolvenzverwalter überantworten würden. Das indes lehnt die höchstrichterliche Rechtsprechung ab.247 Anders wäre es auch, wenn mit der Zahlung auf eine Bürgschaft oder einen Schuldbeitritt nicht zugleich auch die gegenüber allen Gläubigern bestehende Außenhaftung erlöschen würde.248 Das steht in der gesetzestypischen KG mit einer natürlichen Person als Komplementär ebenfalls nicht mit der Rechtsprechung im Einklang. Eine Ausnahme gibt es bei der KG ohne natürliche Person als Komplementär (s. unten Rz. 155 ff.). Für die Beratungspraxis folgt daraus, dass in den Fällen, in denen die Außenhaftung noch nicht durch Einlageleistung erloschen ist, die von einem Kommanditisten einzelnen Gläubigern gestellten Sicherheiten vor Insolvenzeröffnung eingelöst werden müssen, damit sowohl die aufgrund § 171 Abs. 1 HGB bestehende Außenhaftung erlischt als auch die Innenhaftung im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch. 143
Die auf einem selbstständigen Verpflichtungsgrund – z.B. Bürgschaft, Schuldbeitritt, Grundschuld – beruhende Haftung gegenüber einzelnen Gläubigern übersteigt gerade bei inhabergeführten Kommanditgesellschaften nicht selten die Haftsumme. Dann ist bei einer Inanspruchnahme nach Insolvenzeröffnung zu differenzieren: § 171 Abs. 2 HGB entfaltet eine Ermächtigungswirkung nur bis zur Höhe der noch bestehenden Außenhaftung. Wird der Kommanditist darüber hinaus von einem Gläubiger aus Bürgschaft etc. in Anspruch genommen, ist er mit seinem Aufwendungsersatzanspruch nach Auffassung des BGH wie ein normaler Gläubiger zu behandeln, der befugt ist, sich auf eine vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zu berufen. Sie soll laut BGH daraus resultieren, dass der Aufwendungsersatzanspruch bereits aufschiebend bedingt existierte. Deshalb ist er in Höhe des Mehrbetrages zur Aufrechnung befugt. Zur Erläuterung ein Beispiel: Beträgt die Haftsumme 50 TEuro und hat der Kommanditist nach Insolvenzeröffnung 50 TEuro gezahlt, darf er nicht aufrechnen. Der im Wege der Prozessstandschaft vom Verwalter geltend gemachte Anspruch auf die Hafteinlage, die im Urteilsfall identisch war mit der noch offenen Pflichteinlage, ist nicht erloschen. Muss der Kommanditist an den Gläubiger aber sogar 60 TEuro zahlen, darf er mit den 10 TEuro aufrechnen.249 Dieses Urteil erging zur KO. Unter der InsO bestehen dagegen schon deshalb Bedenken, weil die Pflichteinlage spätestens mit Verfahrenseröffnung fällig wurde, der Erstattungsanspruch aber erst danach, so dass eine Aufrechnung an § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO scheitert. cc) Sacheinlage
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Anders als im Recht der Kapitalgesellschaften gibt es kein Verbot der verschleierten Sacheinlage. Vielmehr kommt es nur darauf an, dass die Leistung des Kommanditisten dem objektiven Werte nach der Haftsumme entspricht. Überhöhte Wertvereinbarungen der Gesellschafter untereinander sind für die Haftung im Außenverhältnis nicht maßgebend. Daraus hat der BGH in einem allerdings älteren Urteil die Konsequenz gezogen, bei Sachlieferungen in der Krise sei zu berücksichtigen, dass ihre Verwertung einen geringeren Erlös bringen könne, so dass der Versilberungswert maßgebend sei.250
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Eine Einlageverpflichtung erfüllt der Kommanditist aber nur dann durch Sachleistungen oder Vergütungsansprüche für Dienstleistungen, wenn dies zwischen den Gesellschaftern auch so vereinbart war. Das kann auch nachträglich geschehen. Dann kommt es auf den objektiven Wert im Zeitpunkt der Vertragsänderung an. Bei einer Aufrechnung bedarf es zwar keines Einvernehmens aller Gesell246 BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. 247 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, MDR 2002, 1336 = ZIP 2002, 1492 = ZIP 2001, 1968; BFH v. 2.11.2001 -VII B 155/01, ZIP 2002, 179. 248 Dahingehend tendierend: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1575. 249 BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. 250 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319 unter III. 1. b.
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VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 147 § 6
schafter, weil sie auch einseitig vom Kommanditisten erklärt werden kann. Er hat seine Einlageverpflichtung trotz der Rückwirkung laut § 389 BGB dann aber erst mit der Aufrechnung erfüllt. Die Konsequenz ist, dass es auf den Wert seiner Forderung bei Abgabe der Aufrechnungserklärung ankommt.251 Demgegenüber stellte die ältere, inzwischen jedoch überholte Rechtsprechung auf den Zeitpunkt der Leistung des Kommanditisten ab.252 Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Aufrechnungsforderung aus einer Gläubigerbefriedigung resultiert (s. oben Rz. 134, Rz. 137). Die Maßgeblichkeit des objektiven Wertes einer Einlage und die Unbeachtlichkeit von Wertvereinbarungen gilt zu Lasten des Kommanditisten, nicht auch zu seinen Gunsten. Ist der Wert seiner Leistung höher als der dafür vereinbarte Betrag, wird das auf die Haftsumme nur in Höhe der Vereinbarungssumme angerechnet;253 denn nur die „Einlage“ wird laut § 171 Abs. 1 HGB auf die Haftsumme angerechnet. Und Einlage ist nur das, was auch als solche vereinbart ist, im Interesse des Gläubigerschutzes begrenzt durch den objektiven Wert.
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dd) Einlagenrückgewähr Die durch Leistung der Einlage erloschene Haftung lebt wieder auf, wenn die Einlage zurückgewährt wird, § 172 Abs. 4 HGB. Wie bei §§ 30 f. GmbHG ist Einlagenrückgewähr jede Zuwendung254 an den Gesellschafter, die – unter Berücksichtigung eines mit kaufmännischer Sorgfalt auszufüllenden Beurteilungsspielraumes – nicht dem Drittvergleich standhält, sondern als causa societatis angesehen werden muss. Die Einlagenrückgewähr muss selbstverständlich nicht als solche bezeichnet sein. Haftungsschädlich sind nur diejenigen Zuwendungen, die das Kapitalkonto unter die Haftsumme sinken lassen. Für die Ermittlung des Kapitalkontos sind die Buchwerte maßgebend,255 für die Höhe des zurückgewährten Betrages allerdings im Unterschied zur herrschenden Meinung bei der Einlagenrückgewähr in der GmbH die Verkehrswerte.256 Für die Kommanditistenhaftung hat diese Unterscheidung anders als bei der GmbH jedoch keine Bedeutung; denn soweit das Kapitalkonto noch positiv bleibt, ist der Kommanditist von der Außenhaftung befreit. Die Diskussion um die Bewertung der Zuwendung mit dem Buch- oder dem Verkehrswert wird bei der GmbH nur deshalb geführt, weil der Empfänger dort auch über seine Stammeinlage hinaus haftet, wenn die Einlagenrückgewähr höher war. Demgegenüber ist die Außenhaftung des Kommanditisten auf die im Handelsregister eingetragene Haftsumme beschränkt, selbst wenn die Einlagenrückgewähr weit darüber hinaus geht.257 Denkbar ist allerdings eine Haftung des Kommanditisten wegen Verletzung des Gesellschaftsvertrages; denn gem. § 169 HGB steht ihm nur ein Entnahmerecht auf Gewinne zu. Zwar kann das jederzeit abgeändert werden. Dazu bedarf es aber des Einvernehmens aller Gesellschafter. Es scheitert nicht an § 172 Abs. 3 HGB, wonach eine Vereinbarung, durch die dem Kommanditisten die Einlage erlassen wird, den Gläubigern gegenüber unwirksam ist. Diese Vorschrift hat nur Bedeutung für die Außenhaftung. Anders als bei der GmbH, bei der eine Einlagenrückgewähr im Rahmen der Unterbilanz auch dann unzulässig ist, wenn sich sämtliche Gesellschafter einig sind, kann bei der KG das Eigenkapital (Einlagen) jederzeit mit Wir-
251 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 60. 252 Vgl. zum Nominalwertprinzip bei der Aufrechnung: BGH v. 3.3.1969 – II ZR 222/67, NJW 1969, 1210. 253 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 48; missverständlich: BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/ 86, MDR 1988, 29 = ZIP 1987, 1254 = NJW 1987, 3184, dessen Ausführungen am Ende von S. 3185 aber wohl so zu verstehen sind, dass sie sich auf den im Einverständnis aller Gesellschafter festgelegten Wert beziehen. 254 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319 unter IV 1. a. 255 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109. Anders ist es bei der Einlageleistung mit Buchwertfortführung. Hier kommt es auf den objektiven Wert an, wenn die Gesellschafter ihn einvernehmlich über dem Buchwert ansetzen: BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, MDR 1988, 29 = NJW 1987, 3184. 256 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = NJW 1990, 1109 = ZIP 1990, 307. 257 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, MDR 1990, 601 = NJW 1990, 1725 = ZIP 1990, 578.
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§ 6 Rz. 147 | Gesellschafterberatung kung für das Innenverhältnis geändert werden.258 Es sind sogar Auszahlungen zulässig, die zu einem negativen Eigenkapital führen. Sie gehen zu Lasten des Komplementärs. Erst wenn keine natürliche Person unbeschränkt haftet, gibt es Restriktionen. 148
Ein weiterer Unterschied zur GmbH besteht darin, dass die Voraussetzungen für die Einlagenrückgewähr individuell für den empfangenden Kommanditisten ermittelt werden müssen. Maßgebend ist allein sein Kapitalkonto, nicht hingegen das gesamte Eigenkapital im Vergleich zum Haftkapital. Eine Einlagenrückgewähr liegt also auch dann vor, wenn die Kapitalkonten anderer Gesellschafter deren jeweilige Haftsumme weit übersteigen. Allerdings kann ihr Kapitalkonto zugunsten des entnahmebegünstigten Kommanditisten umgebucht werden mit der Folge, dass seine Außenhaftung wieder erlischt. Maßgebend hierfür ist nach dem Vollwertprinzip nicht der Buchwert, sondern der Verkehrswert einschließlich der dem Kapitalkonto kalkulatorisch zuzuordnenden stillen Reserven.259 Außerdem ist das Einverständnis aller übrigen Gesellschafter erforderlich, wenn dem Kapitalkonto des begünstigten Kommanditisten wegen der stillen Reserven ein höherer Betrag gutgeschrieben wird als der Buchwert, um den sich das Kapitalkonto des belasteten Gesellschafters reduziert; denn dadurch erhält der begünstigte Kommanditist vorab einen Anteil an den kalkulatorisch nur für ihn aufgedeckten stillen Reserven. Mit dem dadurch erhöhten Kapitalanteil partizipiert er ein zweites Mal an den stillen Reserven, wenn sie z.B. durch den Verkauf eines Grundstücks im Gesellschaftsvermögen effektiv aufgedeckt werden.260 Das vom BGH im Urteil vom 1.6.1987 betonte Einverständnis aller Gesellschafter ist eigentlich kein Spezifikum der Umbuchung, sondern gilt bei jeder Einlageleistung mit Buchwertfortführung, falls der Kommanditist dadurch eine im Nominalbetrag über dem Buchwert liegende Pflichteinlage erbringen darf; denn haftungsbefreiend wirkt maximal der Wert, auf den sich die Gesellschafter im Innenverhältnis verständigt haben, bei einer simplen Umbuchung ohne Einverständnis aller also nur der auf festgestellten Bilanzen beruhende Buchwert, selbst wenn der tatsächliche Wert höher liegt (s. oben Rz. 58 ff.).
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Wird aber die Zuwendung auf einem unabhängig von dem Kapitalkonto geführten Verrechnungskonto gebucht und damit ein Anspruch gegen den Kommanditisten ausgewiesen, lebt seine Außenhaftung nicht auf.261 Das ist eine Kreditgewährung aus dem Gesellschaftsvermögen. Sie ist zulässig. In der GmbH behandelt der BGH Kreditgewährungen, die zu Lasten des gebundenen Vermögens an Gesellschafter erfolgen, demgegenüber als Einlagenrückgewähr.262 Für die KG wäre mit einer solchen Beurteilung nichts gewonnen, weil es – anders als bei § 31 Abs. 3 GmbHG – keine Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gibt und für die Erstattung nur das Vollwertigkeitsgebot eingreift, nicht aber die formellen Aufrechnungsverbote des GmbH-Rechts. Sogar das Wiederauffüllen des Kapitalkontos durch stehengelassene Gewinne reicht im Gegensatz zur GmbH263 aus.
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Ähnlich wie § 32 GmbHG enthält § 172 Abs. 5 HGB einen Gutglaubenschutz für Gewinnauszahlungen. Allerdings verlangt die HGB-Vorschrift nicht nur einen guten Glauben der Kommanditisten, sondern – anders als bei der GmbH – auch noch einen guten Glauben der Bilanzersteller,264 was gerade bei Kapitalanlagen mit einem fraudolosen Hintergrund nicht gegeben ist. Die von ihnen wider
258 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 39. 259 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, MDR 1988, 29 = NJW 1987, 3184 = ZIP 1987, 1254. 260 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, MDR 1988, 29 = NJW 1987, 3184 = ZIP 1987, 1254. Anders ist es nur, wenn im Zusammenhang mit der Umbuchung eine Gewinnverteilungsabrede dahingehend getroffen wird, dass der von der Umbuchung begünstigte Kommanditist am Gewinn, der später durch die Aufdeckung bestimmter stiller Reserven entsteht, nicht partizipiert. 261 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 69. 262 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, MDR 2004, 341 m. Anm. Lux = ZIP 2004, 263. 263 BGH v. 29.5.2000 – II ZR 347/97, ZIP 2000, 1256. 264 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, MDR 1988, 29 = NJW 1987, 3184 = ZIP 1987, 1254.
534 | Andres
VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 153 § 6
besseres Wissen ausgewiesenen Scheingewinne führen zum Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung.265 Ob dies für Publikumskommanditgesellschaften einzuschränken ist, ist umstritten.266 Kürzlich hat der BGH die früher als selbstständige Haftungsfigur angesehene Existenzvernichtungshaftung als eine bloße Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet.267 Danach haften die Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft für einen mit mindestens dolus eventualis vorgenommenen gezielten Entzug von Vermögenswerten zu betriebsfremden Zwecken. Begründet wird diese „durch richterlichen Gestaltungsakt“268 aufrechterhaltene Fallgruppe mit Lücken im Kapitalschutzsystem der GmbH. Sie fehlen bei der gesetzestypischen KG mit einer natürlichen Person als unbeschränkt haftendendem Komplementär. Die Vermögensverlagerung in Kenntnis einer unzulänglichen Leistungsfähigkeit des Komplementärs ist nur nach den Anfechtungsvorschriften der InsO bzw. des AnfG revidierbar. Anders ist es bei der GmbH & Co. KG, bei der auch für den Vermögenseingriff des Kommanditisten dieselben Schutzüberlegungen gelten.
151
b) Haftung vor Eintragung § 176 HGB bestimmt, dass sich der Kommanditist auf die Haftungsbeschränkung gegenüber denjenigen Verbindlichkeiten nicht berufen darf, die vorher eingegangen wurden, wenn er dem Geschäftsbeginn zugestimmt hat bzw. sein Eintritt in ein bereits tätiges Handelsgeschäft vor seiner Eintragung als Kommanditist wirksam wurde. Allerdings gilt dies trotz der Ähnlichkeit mit der Außenhaftung des oHG-Gesellschafters nicht für die von § 130 HGB erfassten Verbindlichkeiten, die vor seinem Beitritt entstanden sind;269 denn § 176 Abs. 2 HGB bezieht sich ausdrücklich nur auf die in der Zeit zwischen seinem Eintritt und seiner Eintragung begründeten Verbindlichkeiten. Anders als bei der ebenfalls unbeschränkten – wenngleich als Innenhaftung ausgestalteten – Unterbilanzhaftung für die vor der Eintragung angefallenen Verluste im GmbH-Recht hilft dem Kommanditisten ein „Bösglaubenschutz“: War dem Gläubiger bekannt, dass der Gesellschafter nur als Kommanditist beschränkt haften wollte, greift diese Beschränkung schon vor der Eintragung ein. Eine solche Kenntnis liegt zumindest dann vor, wenn die Gesellschaft als GmbH & Co. firmiert.270 Kennt der Gläubiger hingegen noch nicht einmal die Beteiligung des später eingetragenen Kommanditisten, hindert das dessen unbeschränkte Haftung nicht.271
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c) Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten Die Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten lebt gem. § 172 Abs. 4 HGB wieder auf, wenn er eine Abfindung (§§ 738 ff. BGB) erhält. Sie ist eine Einlagenrückgewähr. Wird die Abfindung jedoch nicht ausbezahlt, sondern als Darlehen stehen gelassen, ist das Gesellschaftsvermögen zwar bilanziell, aber noch nicht materiell gemindert, so dass es bei der durch die ursprüngliche Einlageleistung bewirkten Haftungsbefreiung bleibt.272 Das deckt sich mit derjenigen Rechtsprechung, nach der eine Haftungsbefreiung auch dann eintritt, wenn die Einlage durch ein Darlehen wirkt,273 könnte andererseits aber im Widerspruch zum Vollwertigkeitsgebot bei einer Sacheinlage stehen. Rechnet der Kommanditist nämlich mit einer Forderung gegen die Gesellschaft erst in einem Zeitpunkt auf, in dem die Forderung nicht mehr vollwertig ist, wird er nur in Höhe des Teilwerts von seiner Außenhaftung beBGH v. 12.7.1982 – II ZR 201/81, MDR 1982, 990 = NJW 1982, 2500 = ZIP 1982, 955. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 87. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = DB 2007, 1802 = ZIP 2007, 1552. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = DB 2007, 1802, 1804 = ZIP 2007, 1552. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 176 Rz. 34. BGH v. 21.3.1983 – II ZR 113/82, MDR 1983, 999 = ZIP 1983, 822 = NJW 1983, 2258; OLG Frankfurt v. 9.5.2007 – 13 U 195/06, NZG 2007, 625. 271 BGH v. 28.10.1981 – II ZR 129/80, MDR 1982, 383 = NJW 1982, 883 = ZIP 1982, 177. 272 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319. 273 BGH v. 17.5.1982 – II ZR 16/81, MDR 1982, 990 = ZIP 1982, 835 = NJW 1982, 2253. 265 266 267 268 269 270
Andres | 535
153
§ 6 Rz. 153 | Gesellschafterberatung freit. Es wird nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in dem Zeitpunkt abgestellt, in dem seine Forderung begründet wurde. Maßgebend sind vielmehr trotz der Rückwirkung des § 389 BGB diejenigen im Zeitpunkt der Aufrechnung274 (s. oben Rz. 145). Übertragen auf das Stehenlassen des Abfindungsanspruchs könnte daraus folgen, dass es nicht auf die Vollwertigkeit bei der Einbuchung, sondern bei der Haftungsinanspruchnahme ankäme. Gleichwohl ist die Auffassung des BGH zutreffend, weil ein Stehenlassen des Abfindungsanspruchs ebenso wie die Erfüllung der Einlageverpflichtung durch Darlehen causa societatis erfolgt und nicht aus einem Drittgeschäft resultiert, wie es den Aufrechnungsfällen zugrunde liegt. Das Ergebnis ist auch angemessen; denn die Gesellschaftsverträge enthalten regelmäßig Ratenzahlungsvereinbarungen für die Abfindung. Ausgeschiedene Kommanditisten haben gesellschaftsrechtlich also noch gar keinen fälligen Abfindungs (= Einlageerstattungs-)anspruch. Der ehemalige Gesellschafter würde dem Gläubiger allein aufgrund des Ausscheidens haften, ohne dass er u.U. auch nur einen einzigen Euro von der KG erhalten hätte. Die fortdauernde Haftungsbefreiung durch Stehenlassen der Abfindungsforderung sollte man nicht davon abhängig machen, ob die Verbindlichkeit als Abfindungs- oder als Darlehensschuld bezeichnet wird.275 Die interne buchhalterische Behandlung bei der Gesellschaft hat hinter der wertenden Betrachtungsweise zurückzustehen, die es gebietet, erst bei einem Kapitalentzug eine Erhöhung des Gläubigerrisikos anzunehmen. 154
Für das Innenverhältnis (Rz. 103) wurde oben beim ausgeschiedenen unbeschränkt haftenden Gesellschafter dargelegt, dass er nach herrschender Meinung durch die Einlösung seiner Haftungsschuld an die Stelle des von ihm befriedigten Gläubigers tritt. Das gilt auch für den ausgeschiedenen Kommanditisten.276 Für das Außenverhältnis kommt bei ihm jedoch als Gestaltungsalternative hinzu, dass er sich von seiner Haftung befreien kann, indem er, statt an den Gläubiger zu zahlen, der Gesellschaft eine Einlagenrückgewähr wieder erstattet. Hier macht die Insolvenzeröffnung eine eigentümliche Zäsur: zieht der Verwalter die Haftsumme ein, darf sie nur zur Befriedigung derjenigen Gläubiger verwendet werden, denen gegenüber der ausgeschiedene Kommanditist gem. § 160 HGB noch haftet.277 Zahlt er hingegen vor Verfahrenseröffnung an die Gesellschaft, wird er gem. § 171 Abs. 1 HGB ebenfalls von seiner Haftung gegenüber diesen Gläubigern frei, nur dass der Betrag jetzt nicht mehr allein zur Befriedigung der Altgläubiger, sondern sämtlicher Gläubiger einschließlich laufender Kosten verwendet werden darf.278 Das kann eine außergerichtliche Sanierung bei nennenswerten Beträgen ausgeschiedener Kommanditisten erleichtern, weil dann sämtliche in der Krise vorhandenen Gläubiger gleich behandelt werden. Selbst wenn es trotzdem zu einem Insolvenzverfahren kommt, kann die vorherige Zahlung an die Gesellschaft wegen der nicht beschränkten Mittelverwendung die Unternehmensfortführung erleichtern mit der Chance auf einen späteren Insolvenzplan. Die Beratungsempfehlung lautet deshalb, den Betrag vor Verfahrenseröffnung in das Gesellschaftsvermögen (wieder) einzulegen.
d) Besonderheiten der GmbH & Co. KG aa) Einlageleistung und Haftungsbefreiung 155
Für die Kommanditisten einer GmbH & Co. KG gibt es ergänzende Haftungsvorschriften, von denen sich nur eine im HGB befindet: Nach § 172 Abs. 6 HGB gilt die Kommanditeinlage als nicht geleistet, soweit sie in Anteilen an der Komplementär-GmbH bewirkt wird.
BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = NJW 1985, 2947 = ZIP 1985, 1198. S. aber K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 73 m.N. in Fn. 257, 259. BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319. BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77, NJW 1978, 1525; Gottwald/Haas/Mock, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 88. 278 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; a.A. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 43 unter irrtümlichem Verweis auf die Fundstellen in Fn. 111, die das Inkasso durch den Verwalter betreffen. 274 275 276 277
536 | Andres
VI. Haftung des Personengesellschafters | Rz. 158 § 6
Das hat sowohl Auswirkungen auf die haftungsbefreiende Einlageleistung als auch auf die haftungsauflebende Einlagerückgewähr. Oben wurde bereits dargelegt, dass die vor Insolvenzeröffnung erfolgte Zahlung auf eine Bürgschaft sowohl die Außenhaftung als auch im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch die Innenhaftung tilgt. Eine Aufrechnung mit der Einlageverpflichtung ist jedoch nicht mehr möglich, wenn die Bürgschaft eigenkapitalersetzend geworden ist, weil es an der Fälligkeit des Aufwendungsersatzanspruches als Voraussetzung für diese Aufrechnung fehlt (vgl. Rz. 21, 27).279 Anders könnte es sein, wenn es nicht um eine Aufrechnung geht, sondern der Kommanditist von vornherein als Beitrag nur die Übernahme der Bürgschaft schuldete. Dann hat er im Innenverhältnis alles getan, was er zu leisten versprochen hat:
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Die Übernahme der Bürgschaft ist nicht nur ein Beitrag, der den Haftungsfonds der KG unberührt lässt, sondern nach der Zahlung auch eine Einlage.280 Ebenso verhält es sich mit dem oben (Rz. 141) erwähnten Beispiel eines Darlehens: Gewährt der Kommanditist der Gesellschaft ein Darlehen, weil das von vornherein so als sein Beitrag vereinbart war, ist auch dies trotz der Bezeichnung als Darlehen und Passivierung als Schuld in der Handelsbilanz der KG eine Einlageleistung, die den Kommanditisten in Höhe des Nominalwertes von der Außenhaftung befreit, § 171 Abs. 1 HGB. Anders ist es, wenn der Kommanditist neben seiner offenen Einlageschuld ein Darlehen gewährt oder eine Bürgschaft übernimmt. Der Kommanditist darf der Gesellschaft nicht einseitig eine andere als die ursprünglich als Einlage geschuldete Leistung aufdrängen. Dazu bedarf es vielmehr der Vereinbarung („Vertragstheorie“)281. Als einseitige Maßnahme kann er nur die Aufrechnung erklären. Das aber erfordert die Vollwertigkeit und die Fälligkeit, § 387 BGB. Schon an der Fälligkeit fehlt es, soweit die Gesellschafterleistung den Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz unterliegt. Eine Rückzahlung des Darlehens oder eine Befreiung von gestellten Sicherheiten darf dann analog § 30 GmbHG auch vom NurKommanditisten einer GmbH & Co. KG nicht geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt, wenn sich die Gesellschafter nachträglich über eine Anrechnung auf die Einlageverpflichtung einig sind. Im Innenverhältnis ist das zwar zulässig, § 163 HGB. Für das Außenverhältnis kommt es aber auf die Vollwertigkeit an. Dafür ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem diese Abrede nachträglich getroffen wird.282 § 30 GmbHG analog ist nicht dispositiv – und ein Anspruch, der nicht durchsetzbar ist, ist schon deshalb nicht vollwertig. Daraus folgt: Wird nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages zwischen allen Gesellschaften – nicht nur mit der Geschäftsführung – vereinbart, dass die Einlage durch ein Darlehen oder eine Bürgschaft etc. erbracht wird, ist die Vollwertigkeit gegeben, wenn die Leistungen erst anschließend erfolgen werden, mögen sie zusätzlich auch noch eigenkapitalersetzenden Charakter haben. Sowohl die Innen- als auch die Außenhaftung ist erloschen,283 bei der Bürgschaft natürlich nur unter der Bedingung, dass auch tatsächlich Zahlung erfolgt. Wird die Einlagevereinbarung hingegen erst geändert, nachdem der Kommanditist Darlehen oder Sicherheiten schon gewährt hat, kommt es auf den Zeitpunkt der Änderung an. Liegt dann bereits Eigenkapitalersatz vor, ist die Abrede zwar für das Innenverhältnis wirksam – § 172 Abs. 3 HGB gilt nur im Verhältnis zu den Gläubigern –, nicht aber für das Außenverhältnis im Hinblick auf die Haftsumme.
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Soweit das Eigenkapitalersatzrecht nicht auf die Einlageleistung ausstrahlt, finden die Kapitalaufbringungsvorschriften des GmbH-Rechts keine analoge Anwendung auf die Leistung der Pflichteinlage, und zwar auch nicht insoweit, soweit gleichzeitig die Außenhaftung erlöschen soll.284
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279 Im Ergebnis ebenso, wobei der BGH die Lösung auf eine nach § 31 GmbHG geschuldete Rückgewähr der erloschenen Einlageschuld stützt: BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198 = NJW 1985, 2947; OLG Hamm v. 5.1.1994 – 8 U 11/93, NJW 1995, 489. 280 BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. 281 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 46 ff. 282 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 59 f. 283 Vgl. zur Einlageleistung durch Darlehen an die KG mit natürlicher Person als Komplementär: BGH v. 17.5.1982 – II ZR 16/81, MDR 1982, 990 = NJW 1982, 2253 = ZIP 1982, 835. 284 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, MDR 1986, 123 = ZIP 1985, 1198= NJW 1985, 2947; OLG Dresden v. 24.6.2004 – 7 W 0554/04, ZIP 2004, 2140.
Andres | 537
§ 6 Rz. 159 | Gesellschafterberatung bb) Kapitalerhaltung 159
Was für die Einlageleistung gilt, gilt auch für die Kapitalerhaltung, für die bei der GmbH & Co. KG neben §§ 171 f. HGB die §§ 30 f. GmbHG analog eingreifen.285 Voraussetzung ist, dass Zahlungen an die Kommanditisten das Eigenkapital der KG so stark mindern, dass ein Rückgriffsanspruch der Komplementärin, den sie gegen die KG gem. § 110 HGB aufgrund ihrer persönlichen Haftung hat, nicht mehr vollwertig ist. Diese Voraussetzung ist erst erfüllt, wenn die KG durch die Einlagenrückgewähr in die Überschuldung gerät; denn bis zu dieser Grenze kann sie einen Rückgriffsanspruch der GmbH noch im vollen Umfang befriedigen. Soweit es die Eigenkapitalverhältnisse der KG betrifft, ist also nicht etwa eine „Unterbilanz“ im Vergleich zu den im Handelsregister eingetragenen Haftsummen maßgebend. In einem zweiten Schritt ist sodann das Eigenkapital der GmbH zu prüfen. Hat sie genügend freies, die Stammkapitalziffer übersteigendes Reinvermögen, gibt es keine Veranlassung für einen Kapitalschutz. Somit greift eine doppelte Eigenkapitalbetrachtung ein: Bei der KG muss durch die Einlagenrückgewähr eine Überschuldung entstehen oder vertieft werden und bei der Komplementärin eine Unterbilanz entstehen. Für diese Unterbilanz der GmbH werden gedanklich die Haftungsansprüche, die die Komplementärin nach § 128 HGB treffen, in vollen Umfang passiviert und die Aufwendungsersatzansprüche, die sie gem. § 110 HGB gegen die KG geltend machen könnte, in Höhe des Realisationswertes aktiviert. Erst wenn die KG überschuldet ist, ist die kalkulatorisch passivierte Haftung größer als die kalkulatorisch aktivierte Erstattung.286
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Fraglich ist, ob für die Eigenkapitalverhältnisse sowohl der GmbH als auch der KG die Buchwerte maßgebend sind. Für die KG könnte man insofern daran zweifeln, als die analoge Anwendung der §§ 30 f. GmbHG mit einer Entwertung des Regressanspruchs der GmbH begründet wird, wenn eine Überschuldung der KG durch die Entnahme herbeigeführt oder vertieft wird. Die Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruchs aber hängt von den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen und nicht von den Buchwerten ab. Das gilt bspw. auch für die Vollwertigkeit einer Forderung, mit der der Kommanditist zum Zwecke der Einlageleistung aufrechnet. Für die jeweils isoliert betrachtete Einlagenrückgewähr sowohl in der GmbH287 als auch in der KG288 hat sich der BGH für eine Buchwertbetrachtung entschieden. Der Effizienz des Gläubigerschutzes wird der Vorrang einer unsicheren und subjektiven Verkehrswertermittlung eingeräumt. Deshalb sind auch für die Überschuldung der KG, die im ersten Schritt zu prüfen ist, um daraus auf eine Beeinträchtigung des Stammkapitals der GmbH zu schließen, die Buchwerte maßgebend und nicht – wie bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung gem. § 19 InsO – die Verkehrswerte. Stille Reserven dürfen also nicht haftungsentlastend berücksichtigt werden.
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Systematisch geht es dem BGH zwar um einen Kapitalschutz der GmbH, aber über das Vermögen der KG. Die Konsequenz dieses „Umweges“ ist, dass eine Erstattung in das Vermögen der KG zu richten ist, nicht in das Vermögen der GmbH.
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Die Auswirkungen der Kapitalschutzvorschriften zugunsten der GmbH treffen auch den Nur-Kommanditisten, der an der Komplementärin nicht beteiligt ist.289 Der BGH begründet dies damit, dass die Kommanditisten, die als Komplementärin eine beschränkt haftende GmbH bestellen, verpflichtet seien, innerhalb der KG deren Kapital zu schützen.290 Dadurch wird die Kommanditistenhaftung gegenüber dem gesetzlichen Modell erheblich verändert: geht es bei § 171 Abs. 1 HGB nur um die Außenhaftung, die auf die Höhe der eingetragenen Haftsumme begrenzt ist, auch wenn mehr an den Kommanditisten zurückgewährt wird, besteht nunmehr daneben eine unbegrenzte Innenhaftung. 285 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, MDR 1990, 601 = ZIP 1990, 578 = NJW 1990, 1725; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, MDR 1995, 1222 = ZIP 1995, 736. 286 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, MDR 1990, 601 = ZIP 1990, 578 = NJW 1990, 1725. 287 Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 10 ff. 288 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, MDR 1990, 414 = ZIP 1990, 307 = NJW 1990, 1109. 289 BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, MDR 1995, 1222 = ZIP 1995, 736; BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, MDR 1990, 601 = ZIP 1990, 578 = NJW 1990, 1725. 290 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, MDR 1990, 601 = ZIP 1990, 578 = NJW 1990, 1725.
538 | Andres
VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 165 § 6
Ob auch die Mitkommanditisten eine Ausfallhaftung analog § 31 Abs. 3 GmbHG trifft, hat der BGH für den Nur-Kommanditisten noch nicht entschieden, sondern in einem Urteil aus 1995 nur darauf abgestellt, dass die Mit-Kommanditisten nach § 31 Abs. 1 GmbHG haften, wenn sie an der unzulässigen Auszahlung pflichtwidrig mitwirken.291 Diese Rechtsprechung hat er inzwischen für die GmbH aufgegeben.292 Eine von dem Verhalten unabhängige Ausfallhaftung des Nur-Kommanditisten ist abzulehnen,293 weil sie sich dem Kapitalschutzsystem der KG unterworfen haben und – anders als der begünstigte Kommanditist – die Einlagenrückgewähr auch nicht beeinflussen können. Es bleibt aber eine Haftung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH für die Begünstigung des Kommanditisten.294 Die Erwägungen des BGH zur Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters im Rahmen von § 826 BGB295 gelten auch für den Nur-Kommanditisten einer GmbH & Co. KG entsprechend.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren 1. Beteiligtenstellung Ist der Gesellschafter Gläubiger der schuldnerischen Gesellschaft, ergibt sich seine Beteiligtenstellung aus dieser Eigenschaft, hinsichtlich Gesellschafterdarlehen oder ähnlichen Forderungen allerdings nur, soweit nachrangige Forderungen nach gesonderter Aufforderung am Verfahren teilnehmen, §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 174 Abs. 3 InsO. Von der Gläubigerstellung zu unterscheiden ist die reine Gesellschafterposition. Zwar sind die Gesellschafter nicht Träger der Schuldnerrolle. Das ist nur die Gesellschaft, und zwar auch bei der Insolvenz über das (Sonder-)Vermögen einer Personengesellschaft. Aber § 199 Satz 2 InsO zeigt, dass der Insolvenzverwalter auch den Gesellschaftern gegenüber Pflichten haben kann. Zwar ist die dort angesprochene Verteilung eines Überschusses äußerst selten. Dass die Gesellschafter aber jedenfalls Beteiligte sein können, geht daraus deutlich hervor. Für den Personengesellschafter kommt hinzu, dass er z.B. auch für Dauerschuldverhältnisse haftet, die gem. § 108 InsO nach Verfahrenseröffnung fortbestehen, so dass der Verwalter sie auch im Interesse des Gesellschafters, mag es auch nachrangig sein, möglichst masse- und damit haftungsschonend abwickeln muss. Die Frage lautet deshalb auch nicht, ob sie überhaupt Beteiligte sein können, sondern welche insolvenzspezifischen Rechte sie haben, deren Verletzung eine Haftung des Verwalters gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO begründet. Im Wesentlichen beschränken sich ihre Rechte auf die gesellschaftsinternen Mitwirkungsbefugnisse. Fehler des Verwalters betreffen das Schuldnervermögen. Selbst wenn einmal ein Schaden den Betrag übersteigt, der zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, tritt der Nachteil bei der Gesellschaft als Schuldnerin ein. Die Gesellschafter erleiden nur einen Reflexschaden. Ihn können sie im eigenen Namen nicht geltend machen, es sei denn, dass ausnahmsweise dieselben besonderen Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Reflexschaden außerhalb der Insolvenz direkt durchgesetzt werden darf.
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2. Informationsrechte Sowohl in den Personengesellschaften (§§ 716 BGB, 118, 166 HGB) als auch in den juristischen Personen (z.B. § 51a GmbHG) stehen den an der Geschäftsführung nicht beteiligten Gesellschaftern unterschiedlich stark ausgeprägte Auskunftsansprüche zu. Bei juristischen Personen mit typischer Weise einer Vielzahl von Gesellschaftern sind sie mediatisiert. So sind die Rechte z.B. in der AG beim Auf-
291 292 293 294 295
BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, MDR 1995, 1222 = ZIP 1995, 736. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, MDR 1999, 1145 = ZIP 1999, 1352. A.A. wohl K. Schmidt in MünchKomm/HGB, §§ 171, 172 Rz. 128. BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, MDR 1990, 601 = ZIP 1990, 578 = NJW 1990, 1725. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, MDR 2007, 1266 = ZIP 2007, 1552 = DB 2007, 1802.
Andres | 539
165
§ 6 Rz. 165 | Gesellschafterberatung sichtsrat gebündelt, §§ 90, 111 AktG, während der Aktionär auf sein Fragerecht in der Hauptversammlung beschränkt ist, § 131 AktG. 166
Die Geschäftsführer sind während des Insolvenzverfahrens nicht in der Lage, die angeforderten Informationen zu erteilen, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ab der Eröffnung dem Verwalter zusteht, § 80 Abs. 1 InsO. In seinem Besitz befinden sich auch die Geschäftsbücher über die Vorgänge vor Eröffnung, §§ 36 Abs. 2 Nr. 1, 148 Abs. 1 InsO. Deshalb wird die Auffassung vertreten, die Auskunfts- und Einsichtsrechte des Gesellschafters würden sich gegen den Insolvenzverwalter richten.296 Dem ist jedoch nicht zu folgen. Sonst hätte jeder einzelne Gesellschafter mehr Rechte als ein einzelner Gläubiger, dem das Insolvenzverfahren in erster Linie dient (§ 1 InsO). Jener aber kann sich über die Verhältnisse des Schuldners nur im Rahmen der Gläubigerversammlung erkundigen, §§ 79, 156 ff. InsO. Auch formaljuristisch ist es verfehlt, dem Gesellschafter einen Direktanspruch zu gewähren; denn der Auskunftsanspruch richtet sich außerhalb der Insolvenz gegen die Gesellschaft.297 Der Anspruch ist also vor der Insolvenzeröffnung begründet und wird mit der Insolvenzeröffnung zur Insolvenzforderung, § 38 InsO. Eine vom Insolvenzverwalter zu erfüllende Masseverbindlichkeit wäre er nur, wenn er unter § 55 Abs. 1 InsO fallen würde. Dazu gehören zwar auch Auskunftsansprüche, aber nur als Nebenrechte im Zusammenhang mit Aus- und Absonderungsrechten. Einen allgemeinen Informationsanspruch z.B. über das Ergebnis einer Unternehmensfortführung oder von Vertragsverhandlungen haben Gläubiger nicht. Genauso wenig wie der Insolvenzverwalter die Rechenschaftspflicht des § 666 BGB aufgrund eines vom Schuldner übernommenen Geschäftsbesorgungsauftrages erfüllen muss, wenn er nicht die Erfüllung des Auftrages gem. § 103 InsO wählt,298 muss er dem Gesellschafter gegenüber Auskünfte erteilen.299 Vielmehr muss sich der Gesellschafter an den Geschäftsführer halten, der ihm die Informationen vermitteln muss, die er als Vertreter der Schuldnerin bekommen kann. Relevant ist das insbesondere, wenn ein Insolvenzplan beabsichtigt ist. Ihn vorzulegen, ist gem. § 218 InsO auch der Schuldner berechtigt, so dass der Verwalter ihm die Informationen erteilen und Einsicht in Unterlagen gewähren muss, die für den Planinhalt nach §§ 220 ff., 229 f. InsO erforderlich sind.
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Unabhängig davon ergibt sich eine Abrechnungsverpflichtung des Verwalters gegenüber dem Gesellschafter aufgrund von § 199 InsO. Voraussetzung ist, dass ein verteilungsfähiger Überschuss existiert oder zumindest dargetan wird, dass eine solche Verteilung bei ordnungsmäßiger Verwaltung möglich gewesen wäre. Ist der Anwendungsbereich des § 199 InsO hingegen nicht tangiert, bleibt es bei der Auskunftspflicht gegenüber Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss und Insolvenzgericht. Da der Geschäftsführer als Vertreter der Schuldnerrolle ein Akteneinsichtsrecht beim Gericht hat, über deren Ergebnis er die Gesellschafter informieren kann, werden ihre Auskunftsansprüche auch nicht unangemessen beschränkt.
3. Bilanzerstellungsanspruch 168
Wesentliche Informationen können der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung entnommen werden. Sie ist für den Gesellschafter außerdem wichtig, wenn es darum geht, einen Verlust gem. § 15 EStG bei Personengesellschaften bzw. § 17 EStG bei Kapitalgesellschaften insbesondere auch i.V.m. Gesellschafterdarlehen oder ähnlichen Leistungen in ihrer persönlichen Steuererklärung geltend zu machen. Laut § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO ist ab Verfahrenseröffnung der Insolvenzverwalter für die Erfüllung der handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und Rechnungslegung zuständig, und zwar auch für die noch nicht erledigte Zeit vor Verfahrenseröffnung. 296 Pfälz. OLG v. 7.9.2006 – 3 W 122/06, ZIP 2006, 2407 (für die KG); OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, NZG 2002, 178 (für die GmbH). 297 BGH v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, ZIP 1997, 978; BGH v. 23.3.1992 – II ZR 128/91, MDR 1992, 756 = ZIP 1992, 758 = NJW 1992, 1891; BayObLG v. 18.3.2003 – 3Z BR 246/02, NZG 2004, 99. 298 Kuleisa in Hamburger Kommentar zur InsO, § 80 Rz. 20. 299 BayObLG v. 8.4.2005 – 3Z BR 246/04, ZIP 2005, 1087; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 137.
540 | Andres
VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 173 § 6
Sogar eine nach § 316 HGB erforderliche Pflichtprüfung muss erfolgen. Die Befreiungsmöglichkeit des § 71 Abs. 3 GmbHG gilt für die Zeit vor Insolvenzeröffnung nicht.300 Satz 2 des § 155 Abs. 1 InsO begrenzt die Zuständigkeit „in Bezug auf die Insolvenzmasse“. Damit wird die schon zur Konkursordnung geltende Rechtsprechung bestätigt, dass sich die Steuererklärungspflichten nicht auf die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter bezieht. Insbesondere hat der Verwalter für die Personengesellschaft keine Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinn- und Verlustfeststellung gem. § 179 AO abzugeben.301 Geht es aber nur um die Pflichten in Bezug auf die Masse, dann können aus der Verletzung außer Individualschäden des Fiskus nur Schäden der Gesamtgläubigerschaft geltend gemacht werden, in dem z.B. vom Finanzamt zu Lasten der Masse erhobene Säumnis- und Verspätungszuschläge erstattet werden müssen. Individualansprüche der Gesellschafter – nicht in der Gesellschaft, also des Gesamthandsvermögens, für das durchaus ein Anspruch in Betracht kommt302 – fallen hingegen nicht in den Schutzbereich der Verpflichtung, so dass sie daraus auch keinen Schadensersatzanspruch gem. § 60 InsO geltend machen können.303 Die Gesellschafter können in diesen Fällen aber dem Insolvenzverwalter zusagen, dass Sie die Kosten für die Erstellung der Jahresabschlüsse übernehmen. Der Insolvenzverwalter hat dann keinen Grund mehr sich diesem Ansinnen entgegenzustellen.
169
4. Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter a) Fortbestehen trotz Insolvenzeröffnung Die Verfahrenseröffnung berührt nicht die Existenz der Kapitalgesellschaft. Zwar wird sie dadurch aufgelöst, §§ 61 Abs. 1 GmbHG, 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Das heißt aber nur, dass sich der bis dahin werbende Zweck in einen Abwicklungszweck wandelt, die Gesellschaft ansonsten aber unverändert fortbesteht, §§ 69 GmbHG, 264 Abs. 3 AktG, soweit sich aus den Liquidationsvorschriften nichts anderes ergibt. Nach der heute herrschenden Lehre vom Doppeltatbestand erlischt die Gesellschaft erst, wenn sie kein Vermögen mehr hat und im Handelsregister gelöscht wird.304 Bis dahin können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft für den Fall beschließen, dass das Insolvenzverfahren beendet wird, §§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 274 Abs. 2 Nr. 3 AktG. Zusätzliche Voraussetzung ist nur, dass noch nicht das gesamte Vermögen verteilt ist.
170
Was für die Kapitalgesellschaft gilt, gilt auch für die Personengesellschaft. Die Insolvenzeröffnung bedeutet für sie ebenfalls nur die Auflösung als eine Form der Zweckänderung, §§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB, 131 Nr. 3 HGB, mit der Möglichkeit, die Fortsetzung zu beschließen, §§ 728 Abs. 1 Satz 2 BGB, 144 HGB.
171
Damit bleiben die Vertretungsorgane im Amt, wenngleich nunmehr als Liquidatoren, was in der Personengesellschaft den geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Personenkreis erweitern kann, §§ 730 Abs. 2 BGB, 146 Abs. 1 HGB, während die Liquidatoren in der Kapitalgesellschaft regelmäßig von den bisherigen Geschäftsführern gestellt werden, §§ 65 Abs. 1 GmbHG, 265 Abs. 1 AktG.
172
b) Verwalteraufgaben vs. Gesellschaftsaufgaben Mit der Verfahrenseröffnung werden die Abwicklungsbefugnisse der Liquidatoren verdrängt, soweit das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters gem. § 80 Abs. 1 InsO reicht. Man spricht deshalb auch plastisch vom Verdrängungsbereich, in den die Geschäftsführer (nachfolgend OLG München v. 10.8.2005 – 31 Wx 61/05, ZIP 2005, 2068. BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969. BGH v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, ZIP 1980, 25. A.A. Klasmeyer/Kübler, BB 1978, 396 ff., allerdings vor dem BFH-Urteil, dass der Verwalter zur Erklärung nach § 179 AO verpflichtet ist. 304 Altmeppen, GmbHG, § 65 Rz. 19; Hüffer/Koch, AktG, § 262 Rz. 4, 23 f. 300 301 302 303
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173
§ 6 Rz. 173 | Gesellschafterberatung weiterhin als solche bezeichnet, obwohl es sich terminologisch um Liquidatoren handelt) nicht eingreifen dürfen. Im Gegensatz dazu steht der insolvenzfreie Bereich. Zwischen beiden kann es Überschneidungen geben, den sog. Mischbereich. 174
Der gesellschaftsinterne Bereich gehört weitgehend zum insolvenzfreien Bereich. Das betrifft die Anteilsübertragung, die Erteilung der Zustimmung zum Gesellschafterwechsel, die Einforderung von Nachschüssen – die dann allerdings als Neuerwerb in die Masse gelangen – und die Änderung des Gesellschaftsvertrages. Die Änderung des Gesellschaftsvertrages kann auch zum Mischbereich gehören, wenn sie sich mit den Befugnissen des Verwalters überschneidet. Das ist insbesondere der Fall bei einer Änderung der Firma, die Bestandteil der Masse ist.305 Die Massezugehörigkeit galt ursprünglich nur für die Kapitalgesellschaft, wird nunmehr aber auch für die Personengesellschaft vertreten,306 nachdem durch die Neuordnung des Firmenrechts nicht mehr der Name eines persönlich haftenden Gesellschafters in die Firma aufgenommen werden muss. Geschieht dies trotzdem oder wird eine solche Firma beibehalten, begibt sich dieser Gesellschafter seines Persönlichkeitsrechts. Angesichts des § 24 Abs. 2 HGB, der bei einem Ausscheiden des Gesellschafters die Fortführung der seinen Namen enthaltenden Firma von seiner ausdrücklichen Einwilligung abhängig macht, ist das jedoch bedenklich.307
175
Soweit danach die Firma zur Masse gehört, bedarf die Änderung des Gesellschaftsvertrages einer Zustimmung des Verwalters.308 Hat er die Firma mit dem Handelsgeschäft veräußert, können die Gesellschafter auch ohne ihn eine neue Firma beschließen. Tun sie es nicht, ist der Verwalter alleine befugt, eine Ersatzfirma für die restliche Dauer des Verfahrens zu bilden, damit eine Verwechslungsgefahr zwischen der Insolvenzgesellschaft und der Erwerbergesellschaft vermieden wird.309
c) Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte 176
In der GmbH besteht außerhalb eines Insolvenzverfahrens die Allkompetenz der Gesellschafter. Die Geschäftsführer sind gem. § 37 Abs. 1 GmbHG im Innenverhältnis verpflichtet, bei der Vertretung der Gesellschaft die Beschränkungen einzuhalten, die ihnen durch Gesellschaftsvertrag und Beschlüsse der Gesellschafter gesetzt werden. Daraus folgt eine umfassende Weisungsbefugnis der Gesellschafter.310 Anders verhält es sich in der AG, die der Vorstand in eigener Verantwortung leitet, § 76 Abs. 1 AktG. Zwar kann er an eine Geschäftsordnung gebunden werden, § 77 Abs. 2 AktG. Insofern unterliegt der Vorstand einer Überwachung und gegebenenfalls auch einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates (§ 111 Abs. 1, 4 AktG), dem er über wesentliche Entwicklungen berichten muss (§ 90 AktG). Maßnahmen der Geschäftsführung dürfen dem Aufsichtsrat zwar nicht übertragen werden (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Gleichwohl hat er schon aufgrund der Personalkompetenz des § 84 AktG und aufgrund der Zustimmungsvorbehalte bei wichtigen Entscheidungen einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführung. Da die Mitglieder des Aufsichtsrates von der Hauptversammlung bestellt und – anders als die Vorstandsmitglieder – jederzeit auch ohne wichtigen Grund abberufen werden können, §§ 101, 103 AktG, liegt die „Macht“ letztlich bei den Aktionären.
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In der GmbH und, wenn auch mediatisiert und eingeschränkt, in der AG haben die Gesellschafter außerhalb der Insolvenz somit wesentliche Befugnisse. Nicht anders liegt es bei der Personengesellschaft, bei der sogar jeder einzelne persönlich haftende Gesellschafter einer Maßnahme widersprechen kann, §§ 711 BGB, 115 Abs. 1 HGB, wenn nicht, wie in der Praxis üblich, nur einige Gesellschafter zu
BGH v. 14.12.1989 – I ZR 17/88, MDR 1990, 600 = ZIP 1990, 388 = NJW 1990, 1605. K. Schmidt, Handelsrecht, § 12 I 3c; Uhlenbruck, ZIP 2004, 401. So auch Ries in HK/InsO, § 35 Rz. 31. OLG Karlsruhe v. 8.1.1993 – 4 W 28/92, ZIP 1993, 133; KG v. 3.3.2014 – 12 W 145/13, MDR 2014, 748. 309 Schaub in MünchKomm/GmbHG, § 78 Rz. 35. 310 Altmeppen, GmbHG, § 37 Rz. 3 ff. 305 306 307 308
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 181 § 6
Geschäftsführern bestellt werden, die dann aber regelmäßig ebenfalls einer umfassenden Weisung und Kontrollen unterliegen. Innerhalb der Insolvenz endet der Einfluss der Gesellschafter bzw. Aktionäre und des Aufsichtsrates dort, wo die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters beginnt, so dass Geschäftsführer bzw. Vorstand nicht mehr in der Lage sind, Beschlüsse der Gesellschafter auszuführen. Unabhängig davon, ob es eine Kollision mit den Befugnissen des Verwalters gibt, gilt für das Weisungsrecht stets – innerhalb wie außerhalb der Insolvenz –, dass zwingende Gemeinwohl- und Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigt werden dürfen.311 Im vorliegenden Zusammenhang gehört dazu namentlich die Aufforderung, den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten der §§ 97, 101 InsO nicht nachzukommen oder gar Vermögensgegenstände zu verheimlichen. Derartige Weisungen sind für die Geschäftsführer unbeachtlich. Anders ist es bei verfahrensrechtlichen Befugnissen, wenn es z.B. darum geht, gegen Beschlüsse des Insolvenzgerichts Rechtsmittel einzulegen, einer Betriebsstilllegung zu widersprechen (§ 158 Abs. 2 InsO) oder einen Insolvenzplan einzureichen (§ 218 InsO).
178
d) Keine Besonderheit bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren In der Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren gilt dasselbe. Allerdings scheitert die Ausführung von Weisungen nicht schon an der tatsächlichen Hürde der Verfügungsbefugnis eines Insolvenzverwalters. Die bis zur Einführung des ESUG streitige Frage, ob Weisungen nur insoweit verbindlich sein sollen, soweit auch ein Insolvenzverwalter an Maßnahmen gehindert wäre,312 ist durch die Einführung des § 276a Abs. 1 S. 1 InsO für die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren geregelt worden. Danach haben bei einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft. Weisungen, die die Geschäftsführung betreffen dürfen, von dem Aufsichtsrat bzw. der Gesellschafterversammlung nicht mehr erteilt werden. Werden sie dennoch erteilt, hat die Geschäftsführung sie nicht zu beachten, es sei denn, sie sind im besten Interesse auch der Gläubiger und die Geschäftsführung möchte ohnehin entsprechend handeln.
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Die Abberufung oder Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Zustimmung des vorläufigen oder endgültigen Sachwalters, § 276a Abs. 1 S. 2, Abs. 3 InsO. Gemäß § 276a Abs. 1 S. 3 soll die Zustimmung vom Sachwalter allerdings erteilt werden, wenn durch die Änderung keine Nachteile für die Gläubiger drohen. Hier gilt der Prüfungsmaßstab des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Nachteile für die Gläubiger können beispielsweise drohen, wenn der Wechsel in der Geschäftsführung dazu führt, dass keine insolvenzrechtliche Expertise mehr in der Geschäftsführung vorhanden ist und demzufolge auch die insolvenzrechtlichen Vorschriften von der Schuldnerin nicht mehr eingehalten werden. Nachteile können sich daneben ergeben, wenn sachliche Anhaltspunkte vorhanden sind, dass die neue Geschäftsführung zu einseitig die Interessen der Gesellschafter vertritt und hierbei im Insolvenzverfahren offenzulegende Tatsachen, die zugunsten der Gläubiger aber zu Lasten der Gesellschafter sprechen, nicht offenbart. Der Sachwalter wird hier aber nachweisbare Tatsachen vortragen müssen, um eine Abberufung und Neubestellung verhindern zu können. Der Gesetzgeber hat in § 276a Abs. 1 S. 3 InsO formuliert, dass die Zustimmung zu erteilen ist, wenn sie nicht zu Nachteilen führt. Er hat insoweit dem Sachwalter kein Ermessen eingeräumt. Dies ist letztlich Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, dass zwar die Gläubigerinteressen (vgl. § 1 InsO) geschützt werden sollen, aber das Instrument der Eigenverwaltung auch die Sanierung des Unternehmens durch die Gesellschafter befördern soll.
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Für weitere Weisungen der Gesellschafter und Aufsichtsorgane sind die Regelung der InsO zu beachten. Dabei legt § 270 Abs. 1 S. 2 InsO für die Eigenverwaltung fest, dass grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens gelten. Die Eigenverwaltung ist nach Auffassung des BGH
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311 Altmeppen, GmbHG, § 37 Rz. 37 m.w.N. 312 Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 25.
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§ 6 Rz. 181 | Gesellschafterberatung keine selbständige Verfahrensart,313 was auch daran deutlich wird, dass die Vermögenseröffnung sogar eine Prozessunterbrechung gem. § 240 ZPO bewirkt.314 Sie bleibt jedoch eine Verwaltung durch den Schuldner. So wie eine natürliche Person durch ihre Eigenheiten geprägt ist, ist es eine juristische durch ihre gesellschaftsrechtliche Organisationsverfassung. Eine Änderung dieser Verfassung wäre eine Änderung des Schuldners, wofür das Gesetz (mit Ausnahme des § 276a InsO) keine Handhabe bietet. Die gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung bleibt deshalb mit Ausnahme der Einschränkung bei der Änderung der Geschäftsührung im eröffneten Verfahren bestehen.315 Droht ein Konflikt mit Gläubigerinteressen, ist die Lösung in der InsO weitgehend selbst angelegt. So regeln die §§ 275 ff. InsO Mitwirkungs- und Zustimmungsvorbehalte für Gläubigerausschuss und Sachwalter. Nach §§ 157 ff. InsO obliegt es auch in der Eigenverwaltung der Gläubigerversammlung, über den Fortgang des Verfahrens und grundlegende Maßnahmen zu entscheiden. Dem widersprechende Weisungen des Gesellschafters sind wegen Verstoßes gegen zwingende gläubigerschützende Bestimmungen unwirksam, mag die Maßnahme im Außenverhältnis davon auch unberührt bleiben, §§ 164 InsO, 37 Abs. 2 GmbH. Jenseits dieser Vorschriften bleibt aber ein großer Ermessensbereich für die zur Mitwirkung befugten Organe. Wie beim Insolvenzverwalter oder einer natürlichen Person als Eigenverwalter kann die Ausübung des Ermessens nur durch die Insolvenzzweckwidrigkeit begrenzt werden. Erteilt die Gesellschafterversammlung beispielsweise den Geschäftsführern gem. § 46 Nr. 5 GmbHG Entlastung und verzichtet damit auf bereits entstandene Ersatzansprüche, ist das bei der Fremdverwaltung ohne Wirkung, weil gem. § 80 Abs. 1 InsO allein der Verwalter über Forderungen verfügen darf. Nicht anders ist es bei der Eigenverwaltung. Zwar gilt das Verzichtsverbot des § 43 Abs. 3, 9b Abs. 1 GmbHG nur im Bereich der Kapitalerhaltung.316 Selbst wenn man § 93 Abs. 5 AktG, der aus Gründen des Gläubigerschutzes einen Verzicht auf Ersatzansprüche einschränkt, nicht analog auf die GmbH anwenden sollte,317 folgt die Unwirksamkeit eines Entlastungsbeschlusses doch eindeutig aus der Insolvenzzweckwidrigkeit, falls eine werthaltige Forderung ohne Gegenleistung aufgegeben wird. Wäre hingegen ein Insolvenzverwalter zu einem (teilweisen) Verzicht berechtigt, weil er sich das Know-how des Geschäftsführers bei der Betriebsfortführung sichern will, oder weil er einen Vergleich über nicht risikobehaftete Ansprüche schließt, darf das auch bei der Eigenverwaltung geschehen. 182
Dass die Eigenverwaltung eine von der gesellschaftsrechtlichen Binnenverfassung abhängige Organverwaltung der schuldnerischen Gesellschaft ist, wird beim Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer bzw. Vorstand deutlich. In der GmbH wird die Schuldnerin gegenüber den Geschäftsführern durch die Gesellschafterversammlung vertreten.318 Gleiches gilt in der Personengesellschaft.319 In der AG ist der Aufsichtsrat zuständig, § 112 AktG. Diese Organe sind nicht etwa Dritte, die keine Masseverbindlichkeiten begründen dürfen,320 sondern im Umfang ihrer Vertretungsbefugnis „der Schuldner“ gem. § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO sind. Die von ihnen abgeschlossenen Verträge stellen deshalb Masseschulden dar, es sei denn, dass sie z.B. durch völlig unangemessene Vergütungsabreden evident insolvenzzweckwidrig handeln.321 Die Überwachungs- und Mitwirkungsbefugnisse des Sachwalters bieten eine zusätzliche Richtigkeitsgewähr, §§ 274 Abs. 2, 275 InsO.
313 BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, MDR 2007, 739 = ZIP 2007, 394; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, MDR 2007, 740 = ZIP 2007, 44. 314 BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, MDR 2007, 612 = ZIP 2007, 249. 315 Köchling, ZinsO 2003, 53; Ringstmeyer/Homann, NZI 2006, 406. 316 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, MDR 2003, 817 = ZIP 2003, 945; BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, MDR 2003, 163 = ZIP 2002, 2128. 317 Zum Meinungsstand: Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 124 ff., 131 ff. 318 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 46 Rz. 36 f. 319 Vgl. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 110 Rz. 19 f. 320 So aber Hess/Ruppe, NZI 2002, 577, 580. 321 Vgl. schon für die „lebende“ Gesellschaft § 87 AktG.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 186 § 6
Außerhalb der Eigenverwaltung können die Gesellschafter bzw. der Aufsichtsrat zwar auch Verträge mit den Geschäftsführern/Vorstandsmitgliedern schließen. Sie haben aber keine Wirkung gegenüber der Masse.
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Unterschiede zwischen der Eigen- und der Regelverwaltung gibt es auch bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführer. Bei der Eigenverwaltung bleibt es bei der Entscheidungs- und Vertretungskompetenz der Gesellschafter (§ 46 Nr. 5 GmbHG) bzw. des Aufsichtsrats, § 112 AktG, während im Regelinsolvenzverfahren der Verwalter über die Durchsetzung Kraft der auf ihn übergegangenen Verfügungsbefugnis allein entscheidet.322 Gibt er die Ersatzansprüche hingegen aus der Masse frei, greift wieder die gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung ein.
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e) Zustimmungspflicht zu Sanierungsmaßnahmen Die Kompetenz der Gesellschaftsorgane bleibt auch erhalten, wenn es um Grundlagenentscheidungen geht. Vor Beginn des Insolvenzverfahrens obliegt es in der Personengesellschaft und der GmbH den Gesellschaftern bzw. in der AG eventuell sogar der Hauptversammlung,323 darüber zu befinden, ob bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO ein Insolvenzverfahren beantragt werden darf; denn die Eröffnung hat die Auflösung der Gesellschaft zur Folge, über die zu befinden Aufgabe der Gesellschafter/Aktionäre ist. Allein in der AG könnte dem die Dauer eines solchen Verfahrens bei langen Ladungsfristen wegen der negativen Öffentlichkeitswirkung entgegenstehen. Was für den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gilt, gilt auch umgekehrt für die Beendigung des Verfahrens durch Vorlage eines Insolvenzplans, jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen Liquidationsplan, sondern um einen Sanierungsplan handelt, bei dessen Annahme durch die Gesellschafter ein Fortsetzungsbeschluss zu fassen ist. Dieser Fortsetzungsbeschluss kann nach der Neuregelung des ESUG allerdings auch bereits im Insolvenzplan enthalten sein, § 225a Abs. 3 InsO.
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Sanierungsmaßnahmen gehen häufig mit Kapitalmaßnahmen einher, insbesondere in Form einer Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung gem. §§ 58a ff. GmbHG, 229 ff. AktG mit einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen gem. §§ 55 Abs. 1 GmbHG, 182 AktG. Da die vereinfachte Kapitalherabsetzung nur zur Anpassung des Stammkapitals an das Eigenkapital führt (§§ 58a Abs. 1 GmbHG, 229 Abs. 1 AktG), also eine rechtliche Strukturänderung ohne Minderung des Gesellschaftsvermögens bedeutet (§§ 58d GmbHG, 230 AktG), liegt die Entscheidung darüber im insolvenzfreien Bereich und kann ohne Zustimmung des Verwalters getroffen werden. Ebenso verhält es sich mit der Kapitalerhöhung, wobei nach herrschender Meinung die Einlageverpflichtung als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt.324 Eine durchaus naheliegende teleologische Reduktion des § 35 InsO wird überwiegend abgelehnt. Für die Praxis bedeutet das keine unüberwindbare Hürde, weil eine Kapitalerhöhung regelmäßig nur im Zusammenhang mit einem Insolvenzplan beschlossen wird, der als durch die Erhöhung bedingter Plan vorgelegt werden kann, § 249 InsO oder nach der neugeschaffenen Regelung des § 225a Abs. 1 und 2 InsO eine Kapitalmaßnahme vorsieht. Die Beschlüsse können dann außerhalb des Planverfahrens gefasst werden – entweder, nachdem die Gläubiger den Plan angenommen haben, oder aber vorher mit der Maßgabe, dass sie erst nach Aufhebung des Verfahrens wirksam werden sollen. Zwar ist ein satzungsändernder Beschluss bedingungsfeindlich.325 Vollzugsbedingungen sind aber zulässig, indem z.B. der Geschäftsführer angewiesen wird, die Kapitalerhöhung erst nach der Aufhebung des Verfahrens anzumelden.326 Alternativ können sie im gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufgenommen werden. Dann ist es aber erforderlich, dass es eine Gruppe der Anteilsinhaber gibt, § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Nach § 225a Abs. 2 S. 1 InsO ist es jetzt auch möglich, dass Forderungen von
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322 Vgl. Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 78. 323 Wortberg, ZInsO 2004, 707, allerdings basierend auf dem „Holzmüller-Urteil“ des BGH, das durch die „Gelatine-Urteile“ aus 2004 teilweise überholt ist. 324 Müller, ZGR 2004, 842, 84 ff.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2007, 692, 693. 325 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rz. 59. 326 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rz. 58.
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§ 6 Rz. 186 | Gesellschafterberatung Gläubigern in Eigenkapital umgewandelt werden. Von dieser Möglichkeit werden die Gläubiger nur in Ausnahmefällen Gebrauch machen. Ein solcher debt-equity-swap ist auch nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Gläubigers möglich, § 225a Abs. 2 S. 2 InsO i.V.m. § 230 Abs. 2 InsO. Gesellschafter sollten die Möglichkeit eines solchen Swaps bei ihren Sanierungsüberlegungen bedenken. Er kann entweder bestimmten Gläubigern anstelle einer Quotenzahlung angeboten werden. Es muss aber auch beachtet werden, dass der Gesellschafter bei einem von Seiten eines Insolvenzverwalters vorgelegten Plans hierdurch ggf. die gesellschaftsrechtliche Mehrheit verlieren kann. Dann wäre zwar die Sanierung der Gesellschaft erreicht, aber oftmals wird dieser Verfahrensausgang nicht dem Willen der bisherigen Gesellschafter entsprechen. Zu beachten ist aber auch, dass die Forderungen der Gläubiger vor dem Hintergrund der Regelungen der Sachkapitalerhöhung nur mit dem Wert, den die Forderung noch besitzt in Eigenkapital gewechselt werden kann. Die Geltendmachung einer Differenzhaftung ist jedoch nach § 254 Abs. 4 InsO später ausgeschlossen. 187
Zu beachten ist zudem, dass gem. § 225a Abs. 3 InsO auch die Übertragung von Anteilen gegen den Willen des Anteilsinhabers möglich ist. Es müssen nur die für den Insolvenzplan erforderlichen Mehrheiten in dem Abstimmungstermin zustande kommen und die Anteilsinhaber, wie zuvor ausgeführt, mit einer eigenen Gruppe an dem Abstimmungstermin beteiligt sein. Eine solche Maßnahme stellt ggf. auch einen wichtigen Grund für einen Austritt aus der Gesellschaft dar. Gemäß § 225a Abs. 5 InsO steht dem Gesellschafter dann aber eine Abfindung nur zu, wenn sich bei Betrachtung der Vermögenssituation des Unternehmens unter Liquidationsgesichtspunkten ein Guthaben zu seinen Gunsten ergeben hätte. Das wird in den wenigsten Fällen so sein. Ein Abfindungsguthaben kann bis zu drei Jahre gestundet werden und ist zu verzinsen, § 225a Abs. 5 S. 2 und 3 InsO.
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Diese Regelungen stellen sicher, dass gesellschaftsrechtliche Strukturänderungen nicht mehr an dissentierenden Minderheiten scheitern, insbesondere, wenn es darum geht, neue Geldgeber als Gesellschafter aufzunehmen, was mit einer Minderung ihres Einflusses verbunden ist. Alle gesellschaftsrechtlichen Regelungen können in einem Insolvenzplan getroffen werden. Eine Kapitalerhöhung bestehender Gesellschafter kann naturgemäß nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters beschlossen werden, da dieser bei Ablehnung ein Austrittsrecht nach § 225a Abs. 5 InsO besitzt.
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Wird im Übrigen die Zustimmung zu einer Sanierungsmaßnahme pflichtwidrig verweigert, macht sich der Gesellschafter schadensersatzpflichtig. Allerdings verlangt der BGH für die Aktiengesellschaft gem. § 117 Abs. 1 AktG Vorsatz.327 Für die GmbH und die Personengesellschaft gilt diese hohe Haftungsvoraussetzung wegen der engen Bindung der Gesellschafter untereinander wohl nicht.328 Als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch wird zwar gefordert, dass zunächst die Möglichkeiten einer Beschlussanfechtung ausgeschöpft werden müssen.329 Das kann jedoch zu erheblichen Verzögerungen führen, so dass eine solche Schadensminderungspflicht bei dem eiligen Handlungsbedarf in der Krisen- oder Insolvenzsituation nicht immer verlangt werden kann.
f) Kosten 190
Die Kosten der im gesellschaftsinternen Bereich anfallenden Aufgaben müssen die Gesellschafter tragen.330 Das gilt jedenfalls für das Regelinsolvenzverfahren, weil die gesellschaftsinternen Mitwirkungsbefugnisse nicht i.S.v. § 55 Abs. 1 InsO „durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden“. Anders ist es bei der Eigenverwaltung für diejenigen Maßnahmen, die zu einer der Organisationsverfassung entsprechenden Insolvenzverwaltung erforderlich sind. Dazu gehören namentlich Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratssitzungen, wenn das Vertretungsorgan Zustimmungen einholen oder die dazu erforderlichen Informationen erteilen muss. Derartige
327 328 329 330
BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819. Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rz. 109. Überblick bei Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rz. 109. Differenzierend bei gleichzeitiger Förderung des Verfahrenszwecks: Uhlenbruck, NZI 2007, 313 ff.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 193 § 6
Mitwirkungsbefugnisse sind vergleichbar mit der internen Abstimmung einer mehrköpfigen Geschäftsführung oder einer internen Abstimmung zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsleitern. Hier ist unbestritten, dass die im schuldnerischen Unternehmen anfallenden Aufwendungen Masseschulden sind. Die Vorbereitung und Durchführung von gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zum Zwecke der Sanierung fällt jedoch den Gesellschaftern zur Last. Die damit verbundenen Kosten beruhen dann auf seinen eigenen Handlungen und stellen Masseverbindlichkeiten dar. Wollen die Gesellschafter einen Geschäftsführer beschäftigen, um im Regelinsolvenzverfahren die Rechte der Gesellschaft wahrzunehmen, fallen diese Kosten ihnen ebenfalls zur Last.
5. Unternehmensvertrag Die Unternehmensverträge sind nur im AktG geregelt. Ihre Zulässigkeit auch für andere Unternehmensträger als die AG ist jedoch unbestritten, wobei die §§ 291 ff. AktG weitgehend analoge Anwendung finden.331 Am häufigsten sind der Beherrschungs- und der Gewinnabführungsvertrag, die meist miteinander zu einem steuerrechtlichen Organschaftsvertrag (§ 14 KStG) verbunden werden. Andere in der Praxis weniger relevante Unternehmensverträge sind die in § 292 AktG genannte Gewinngemeinschaft, der Teilgewinnabführungsvertrag sowie der Betriebspacht- und der Betriebsüberlassungsvertrag.
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Die Unternehmensverträge sind inhaltlich dadurch gekennzeichnet, dass das Unternehmen der abhängigen Gesellschaft für Rechnung (z.B. Gewinnabführungsvertrag) und/oder Weisung (z.B. Beherrschungsvertrag) geführt wird. Es handelt sich nicht um bloße Schuldverträge, sondern um gesellschaftsrechtliche Organisationsverträge, weil satzungsgleich der Gesellschaftszweck der beherrschten Gesellschaft am Konzerninteresse ausgerichtet wird.332 Deshalb bedarf der Vertrag auch einer Zustimmung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung, bei der abhängigen Gesellschaft stets (§ 293 Abs. 1 AktG), bei der herrschenden Gesellschaft gemäß des § 293 Abs. 2 AktG, wenn es um einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag geht. Der wesentliche Unterschied z.B. zu einem schuldrechtlichen Pachtvertrag oder einem partiarischen Darlehen ist der mitgliedschaftliche Ansatzpunkt.333
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Außerhalb der Insolvenz ist die wichtigste haftungsrechtliche Konsequenz für die Muttergesellschaft, dass sie zum Verlustausgleich verpflichtet ist, § 302 AktG. Bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages sind die Gläubiger gem. § 303 AktG zu sichern. Wegen dieser Haftung werden bei der AG die Kapitalerhaltungsvorschriften suspendiert, soweit es um Leistungen der abhängigen Gesellschaft aufgrund des Unternehmensvertrages geht, §§ 291 Abs. 3, 292 Abs. 3 AktG. Ob das auch für die GmbH gilt, ist umstritten. Zwar hatte der BGH in 1987 kurz und bündig formuliert, die Verlustausgleichspflicht trete an die Stelle der Kapitalerhaltungsvorschriften.334 In der Folge hat er aber eingeschränkt, dies bedeute „nicht die gänzliche Preisgabe des von diesen Vorschriften intendierten Gläubigerschutzes, andererseits aber auch nicht, dass der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG vollumfänglich den für §§ 30 f. GmbHG geltenden Grundsätzen unterliegt, insbesondere eine Aufrechnung gegen diesen Anspruch ebenso ausgeschlossen ist wie die Aufrechnung gegen einen Anspruch aus § 31 GmbH“.335 Im Urteilsfall bedeutete dies, dass Verrechnungen bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs bis zum Bilanzstichtag zulässig sind. Gleiches gilt für Vorschüsse in ausdrücklicher Anrechnung auf eine Verlustausgleichspflicht. Solche Vorauszahlungen sind keine eigenkapitalersetzenden Darlehen. Ist die Ausgleichsverpflichtung am Bilanzstichtag aber erst einmal entstanden, kann sie durch Aufrechnung nur erfüllt werden, wenn der Gegenanspruch – z.B. Darlehen oder Lieferung an
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331 BGH v. 11.10.1999 – II ZR 120/98, ZIP 1999, 1965; Zöllner/Beurskens in Baumbach/Hueck, GmbHG, SchlAnh Rz. 5 ff., 49 ff.; Altmeppen, GmbHG, Anh § 13 Rz. 17. 332 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, MDR 1988, 474 = NJW 1988, 1326. 333 Vgl. Zöllner/Beurskens in Baumbach/Hueck, GmbHG, SchlAnh Rz. 18. 334 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, MDR 1988, 474 = ZIP 1988, 229 = NJW 1988, 1326. 335 BGH v. 10.7.2006 – II ZR 238/04, ZIP 2005, 531 = ZIP 2006, 1488.
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§ 6 Rz. 193 | Gesellschafterberatung die abhängige Gesellschaft – vollwertig ist. Auf diesen Gegenanspruch fanden trotz des Unternehmensvertrages die Eigenkapitalersatzvorschriften Anwendung, und zwar sowohl nach den Novellenregeln (§§ 32a, b GmbH) als auch nach den Rechtsprechungsregeln (§§ 30 f. GmbH analog). Das war insbesondere für stehengelassene Forderungen von Bedeutung. Wird z.B. ein Insolvenzverfahren erst nach Beendigung des Unternehmensvertrages eröffnet, schuldet das herrschende Unternehmen den vollen Verlustausgleich und kann ihren Gegenanspruch z.B. aufgrund von Lieferungen an das ehemals abhängige Unternehmen nur noch als nachrangige Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden. 194
Durch das „MoMiG“ wurde § 30 Abs. 1 GmbHG dahingehend ergänzt, dass das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht gilt für „Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 AktG) erfolgen …“.
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Die Auswirkungen der Insolvenz auf einen Unternehmensvertrag sind streitig. Die wohl überwiegende Meinung336 ist nach wie vor geprägt durch ein BGH-Urteil aus 1987, dessen zweiter Leitsatz lautet, dass ein Unternehmensvertrag regelmäßig ende, wenn über das Vermögen der beherrschten oder der herrschenden Gesellschaft ein Konkursverfahren eröffnet werde.337 Allerdings begründete der BGH seine Auffassung nicht mit zwingendem Gesellschafts- oder (damals) Konkursrecht, sondern mit einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die konkursbedingte Auflösung der Gesellschaft sei ihr Zweck nicht mehr auf Gewinnerzielung durch den Betrieb eines werbenden Unternehmens gerichtet, sondern auf Verwertung des Gesellschaftsvermögens. Damit entfalle die Grundlage für die Konzernleitungsmacht. Das gelte für den Konkurs der herrschenden Gesellschaft genauso wie für den der beherrschten.
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Mit der InsO hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Zwar steht weiterhin die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger im Vordergrund, aber nicht mehr nur durch Zerschlagung, sondern laut § 1 InsO ausdrücklich auch durch Erhalt des Unternehmens. Flankierend gibt es die Stilllegungshindernisse der §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 158 InsO und das Recht der Gläubiger in § 157 InsO, sich für die Fortführung zu entscheiden. Ein Konzern bildet häufig nicht nur eine haftungsrechtliche, sondern auch eine betriebswirtschaftliche Einheit,338 die zu erhalten Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensfortführung sein kann. Deshalb mehren sich die Stimmen, die eine automatische Beendigung des Unternehmensvertrages ablehnen,339 wobei die Auffassungen über die Rechtsfolgen und auch darüber differieren, ob zwischen der Insolvenz der herrschenden und der beherrschenden Gesellschaft unterschieden werden muss. Für die Eigenverwaltung nehmen auch einige von denjenigen Autoren den Fortbestand des Unternehmensvertrages an, die ansonsten ein insolvenzbedingtes Erlöschen vertreten.340 Eine Sonderrolle wird auch den Betriebsüberlassungsverträgen beigemessen.341
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Für eine Stellungnahme ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Unternehmensvertrag um eine gesellschaftsrechtliche, mitgliedschaftliche Organisationsvereinbarung handelt, mit der das herrschende Unternehmen in die allein dem Insolvenzverwalter des abhängigen Unternehmens vorbehaltene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingreifen würde. Deshalb können Weisungsrechte etc. ab Insolvenz der beherrschten Gesellschaft nicht mit Wirkung gegen ihre Masse durchgesetzt werden. Ob der Unternehmensvertrag endet oder bis zur etwaigen Aufhebung eines Insolvenzverfahrens nur sus-
336 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 52a f. 337 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, MDR 1988, 474 = ZIP 1988, 229 = NJW 1988, 1326; zur Vertragsbeendigung bei erst drohender Insolvenz s. Sämisch/Adam, ZInsO 2007, 520 ff. 338 Anschaulich am Beispiel Babcock Borsig: Piepenburg, NZI 2004, 231, 235 ff. 339 Bultmann, ZInsO 2007, 785; Kübler/Prütting/Noack, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, Rz. 723 f.; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 398, a.A.: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 52b. 340 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 52b. 341 Altmeppen in MünchKomm/AktG, § 297 Rz. 114, 123.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 198 § 6
pendiert ist,342 ist eine akademische Frage, da das Schicksal in einem Insolvenzplan wegen der Haftung üblicherweise ausdrücklich geregelt wird. In der Praxis wird die Insolvenz der abhängigen Gesellschaft ohnehin nur vorkommen, wenn gleichzeitig die Muttergesellschaft insolvent wird („Konzerninsolvenz“), weil ansonsten neben den Haftungsansprüchen der Gläubiger gegen die Mutter (§ 303 AktG) auch noch werthaltige Ausgleichsansprüche der Tochter (§ 302 AktG) bestehen. Ist hingegen nur die Muttergesellschaft insolvent, nicht aber die Tochtergesellschaft, besteht eine Kollision mit dem Verdrängungsbereich zwar nicht. Im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründete Forderungen finanzieller und nichtfinanzieller Art – z.B. auf Befolgung von Weisungen – sind jedoch nur Insolvenzforderungen (§§ 38, 45 InsO). Gegen die Masse wirken solche Ansprüche nur, wenn der Verwalter Erfüllung wählt oder das Gesetz eine solche Erfüllung anordnet (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Zu den in § 108 InsO genannten Dauerschuldverhältnissen, die nach der Eröffnung qua lege fortbestehen, gehört der Unternehmensvertrag nicht. Marotzke343 schlägt die Anwendung von § 115 InsO mit der Erwägung vor, dass die beherrschte Tochtergesellschaft mit einem Auftragnehmer vergleichbar sei. Beide hätten Aufwendungsersatzansprüche. Das vom Gesetz in § 115 Abs. 1 InsO angeordnete automatische Erlöschen eines Auftrages sei dahingehend zu korrigieren, dass dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zustehe. Diesen Weg hat der BGH jedoch kürzlich versperrt, als er das Erlöschen bei § 115 InsO für zwingend hielt.344 Der von Marotzke gewählte Ansatz spricht deshalb eher für ein Erlöschen des Unternehmensvertrages auch in der Insolvenz der herrschenden Gesellschaft.345 In Betracht käme stattdessen eine analoge Anwendung des § 103 InsO346 ohne den „Umweg“ über § 115 InsO. Dagegen spricht zwar, dass der Unternehmensvertrag kein auf den gegenseitigen Leistungsaustausch gerichteter Vertrag im Sinne dieser Vorschrift ist, sondern, wie erläutert, ein gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag. Eine analoge Anwendung wäre deshalb nur zulässig, wenn es keine speziellere Regelung gäbe. Sie könnte in § 84 InsO gesehen werden,347 wonach die Auseinandersetzung einer Gesellschaft außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt. Voraussetzung dafür ist ein Auseinandersetzungsgrund. Er könnte darin liegen, dass die Erreichung des mit dem Organisationsvertrag verfolgten Zwecks – zumindest bis zu einer etwaigen Aufhebung des Insolvenzverfahrens – unmöglich geworden ist, was entweder zu einer automatischen Beendigung, wenigstens aber zu einer Kündbarkeit führen könnte. Nur ein Kündigungsrecht analog § 297 AktG anzunehmen, stößt allerdings auf die Schwierigkeit, dass die bis zur Kündigung weiterlaufenden Verlustausgleichsansprüche der abhängigen Tochtergesellschaft im Insolvenzverfahren der Muttergesellschaft nicht unter § 55 InsO zu subsumieren sind. Aufgrund einer wertenden Betrachtungsweise ist bei einer Insolvenz allein der Muttergesellschaft eine Analogie zu § 103 InsO jedoch vorzugswürdig;348 denn der Verwalter des insolventen herrschenden Unternehmens kann auch ohne Unternehmensvertrag in die nicht insolvente abhängige Gesellschaft hinein regieren, wenn es sich bei ihr um eine GmbH handelt. Dann haftet die Masse gem. § 31 GmbHG oder gar wegen § 826 BGB nach dem Falltypus des existenzvernichtenden Eingriffs. Erfolgen diese Eingriffe bei einer in der Rechtsform der AG betriebenen Tochtergesellschaft, entstehen die Haftungsansprüche der §§ 311, 317 f. AktG. Insbesondere zur Vermeidung der damit verbundenen persönlichen Handelndenhaftung ist es sinnvoll, solche Eingriffe von vornherein auf eine rechtliche Grundlage zu stellen und dem Verwalter des herrschenden Unternehmens ein Erfüllungswahlrecht zu
342 So Kübler/Prütting/Noack, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, Rz. 793 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 31 III 5. 343 Marotzke in HK/InsO, § 115 Rz. 9. 344 BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, MDR 2007, 737 = ZIP 2007, 543; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, MDR 2007, 107 = ZIP 2006, 1781. 345 Altmeppen, GmbHG, Anh § 13 Rz. 93. 346 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 32.09; Koppensteiner in Kölner KommAktG, § 302 Rz. 38; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, InsO, § 103 Rz. 134 f. 347 Paulus, ZIP 1996, 2141, 2144. 348 Bultmann, ZInsO 2007, 785.
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§ 6 Rz. 198 | Gesellschafterberatung gewähren. Die vor Insolvenzeröffnung entstandenen Verlustausgleichsansprüche349 bleiben jedoch auch bei einer Erfüllungswahl Insolvenzforderungen, § 105 InsO. 199
Unabhängig vom Wahlrecht des Insolvenzverwalters ist die abhängige Gesellschaft bei einer Insolvenz der Muttergesellschaft befugt, den Unternehmensvertrag gem. § 297 Abs. 1 Satz 2 AktG außerordentlich zu kündigen, weil die herrschende Gesellschaft voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, ihrer Verlustausgleichspflicht nachzukommen.350 Das Kündigungsrecht besteht schon vor der Verfahrenseröffnung. Zur Vermeidung der eigenen Haftung sind die Geschäftsführer/Vorstandsmitglieder zur Kündigung sogar verpflichtet, wenn durch Vereinbarung mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter nicht sichergestellt ist, dass die künftigen Verlustausgleichsansprüche Masseschulden sind und keine Masseunzulänglichkeit droht. Die Kündigungsbefugnis beeinträchtigt nicht das hier vertretene Wahlrecht des Insolvenzverwalters entgegen dem Verbot des § 119 InsO, weil sie kein insolvenzspezifisches Sonderrecht ist.351
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Für die Eigenverwaltung gilt nichts anderes als für die Fremdverwaltung, und zwar auch dann, wenn die Organe der eigenverwaltenden abhängigen und herrschenden Gesellschaft personenidentisch besetzt sind; denn die eigenverwaltende beherrschte Gesellschaft muss sich qua lege selbst verwalten, was mit den Weisungsrechten etc. eines herrschenden Unternehmens nicht vereinbar ist.352 Für die Eigenverwaltung allein der herrschenden Muttergesellschaft gibt es ebenfalls keinen Grund, die automatische Fortsetzung eines Unternehmensvertrages anzunehmen. Wie bei der Fremdverwaltung steht ihr nach der hier vertretenen Auffassung ein Wahlrecht analog § 103 InsO zu.
6. Steuerrechtliche Stellung a) Kapitalgesellschaft 201
Die Kapitalgesellschaft bleibt in der Regel vor wie nach Insolvenzeröffnung trotz der damit verbundenen Auflösung (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) das Steuersubjekt. Die steuerrechtlichen Pflichten hat der Insolvenzverwalter zu erledigen, § 34 AO. Bereits der vorläufige starke Verwalter ist Vermögensverwalter i.S.v. § 34 AO, nicht aber der sog. schwache vorl. Verwalter bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts.353 Dies hat sich auch nach Einführung von § 55 Abs. 4 InsO nicht geändert.354 Nach Insolvenzeröffnung eintretende Gewinne und Verluste berühren den Gesellschafter ertragsteuerlich nicht. Für seine persönliche Einkommensteuer sind nur der Verlust des Anteilswertes und etwaiger Gesellschafterdarlehen von Bedeutung, der im Rahmen des § 17 EStG berücksichtigt werden kann.355 Der Auflösungsverlust wird regelmäßig erst mit Abschluss des Insolvenzverfahrens realisiert, es sei denn, der Verlust steht bereits zu einem früheren Zeitpunkt sicher fest.356 Die Finanzämter warten deshalb oftmals den Schlussbericht des Insolvenzverwalters ab, um sicherzugehen, dass dem Ge-
349 Zur Berechnung, insbesondere bei Abwicklungsverlusten: Koppensteiner in KölnKomm/AktG, § 302 Rz. 27 ff.; Altmeppen in MünchKomm/AktG, § 302 Rz. 27 ff.; Wilken/Ziems in FS Metzeler, 153, 162 f. 350 Bultmann, ZInsO 2007, 785; Wilken/Ziems, FS Metzeler, 153, 157 f. 351 Vgl. Marotzke in HK/InsO, § 119 Rz. 2. 352 Krieger in FS Metzeler, 2003, 139, 142 ff., der allerdings generell den Fortbestand des Unternehmensvertrages ablehnt. 353 BFH v. 27.5.2009 – VII B 156/08, ZIP 2009, 2255. 354 BMF-Schr. v. 17.1.2012 – IV A 3-S 0550/10/20020-05. 355 Zur steuerlichen Behandlung von Darlehen im Hinblick auf das Halbeinkünfteverfahren: Schulze zur Wiesche, GmbHR 2007, 847, und im Hinblick auf das MoMiG: Hölzle, DStR 2007, 1185; BMF-Schr. v. 21.10.2010 – IV C 6-S 2244/08/10001; der BFH (NV 2013, 1783 [1784]) hat zuletzt offengelassen, ob die Entwicklung neuer Maßstäbe für Aufwendungen des Gesellschafters aufgrund von krisenbedingten Finanzierungshilfen im Hinblick auf die neue Zivilrechtslage nach Inkrafttreten des MoMiG geboten ist. 356 Vgl. BFH v. 19.4.2005 – VIII R 45/04, NV 2005, 1545; BFH v. 1.3.2005 – VIII R 46/03, NV 2005, 2171; BFH v. 14.3.2012 – IX R 37/11, BStBl. II 2012, 487.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 205 § 6
sellschafter aus dem Insolvenzverfahren nichts mehr zufließt. Alternativ kann auch vorab eine Erklärung des Insolvenzverwalters genügen in der dieser versichert, dass nur auf die Gläubiger nach § 38 InsO eine Quotenzahlung entfallen wird und die Gesellschafter mit keiner Zahlung mehr rechnen können. Demgegenüber trifft die Körperschaftsteuer allein die Gesellschaft bzw. die Masse. Gleiches gilt für die Umsatz- und Gewerbesteuer. Anders ist es bei einer Organschaft. Insbesondere bei Betriebsaufspaltungen liegt regelmäßig eine umsatzsteuerliche Organschaft vor.357 Bei ihr sollen die Markt- und damit auch Insolvenzrisiken von einer Betriebs-GmbH getragen werden, während sich das eigentliche Betriebsvermögen in einer meist als Personengesellschaft geführten Besitzgesellschaft befindet, die sie an die Betriebs-GmbH verpachtet. Die Anteile an der Betriebsgesellschaft halten entweder die Gesellschafter der Besitzgesellschaft oder die Besitzgesellschaft direkt. Derselben Konstruktion kann sich natürlich auch eine Einzelperson bedienen, die eine Betriebsgesellschaft zur Haftungsabschottung vorschaltet.
202
Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gilt eine Gesellschaft umsatzsteuerlich dann nicht als Unternehmerin, wenn sie „nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch“ in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
203
Eine finanzielle Eingliederung liegt vor, wenn die Stimmenmehrheit beim Organträger liegt,358 die wirtschaftliche Eingliederung, wenn die Organgesellschaft – also die Betriebs-GmbH – im engen Zusammenhang mit dem Gesamtunternehmen tätig wird. Eine wirtschaftliche Eingliederung wird bereits bejaht, wenn die Organträgerin entgeltliche Leistungen für die Organgesellschaft erbringt, soweit diesen für die Organgesellschaft nicht nur unwesentliche Bedeutung zukommt.359 Dafür reicht es regelmäßig aus, dass die Besitz- an die Betriebsgesellschaft das wesentliche Grundstück vermietet.360 Die organisatorische Eingliederung schließlich ist gegeben, wenn der Organträger durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass sein Wille in der Organgesellschaft auch tatsächlich durchgesetzt wird. Dies wurde z.B. bejaht bei Personenidentität in der Geschäftsführung,361 bei Teilidentität der Geschäftsführung,362 oder bei Beherrschung über leitende Angestellte.363 Nicht ausreichend ist, dass der Organträger bei der Organgesellschaft lediglich eine von seinem Willen abweichende Willensbildung ausschließen kann. Vielmehr muss zwischen Organträger und Organgesellschaft ein Über- und Unterordnungsverhältnis bestehen, damit der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann.364 Sind all diese Voraussetzungen erfüllt, werden sämtliche Außenumsätze der Betriebs-GmbH dem Organträger, also der die Betriebsgrundlagen verpachtenden Personengesellschaft oder natürlichen Person als Gesellschafter zugerechnet. Der Organträger ist Schuldner der Umsatzsteuer, während die Betriebsgesellschaft nach § 73 AO eine Ausfallhaftung trifft.365
204
Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Betriebsgesellschaft wird wegen des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter (zumindest)
205
357 Überblick zur Organschaft bei der Insolvenz der Organgesellschaft: Hölzle, DStR 2006, 1210; Krüger, AnwZert InsR 23/2013 Anm. 2. 358 BFH v. 16.1.2014 – V R 28/13, NV 2013, 1747; BFH v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548; BFH v. 1.12.2010 – XI R 43/08, BFHE 232, 550; BFH v. 22.4.2010 – V R 9/09, BFHE 229, 433. 359 BFH v. 6.5.2010 – V R 26/09, BFHE 230, 256. 360 BFH v. 1.4.2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269. 361 BFH v. 17.1.2002 – V R 37/00, ZIP 2002, 1813. 362 BFH v. 3.4.2008 – V R 76/05, BStBl. II 2008, 905; BFH v. 7.7.2011 – V R 53/10, BStBl. II 2013, 218. 363 BFH v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863. 364 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFH/NV 2013, 1747; noch offengelassen in BFH v. 7.7.2011 – V R 53/ 10, BStBl. II 2013, 218. 365 Zu den insolvenzanfechtungsrechtlichen Besonderheiten vgl. BFH v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391; BGH v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, NZI 2012, 177 mit Anm. Kruth.
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§ 6 Rz. 205 | Gesellschafterberatung die organisatorische Eingliederung beseitigt,366 so dass die Umsatzsteuer nunmehr allein zu Lasten der Insolvenzmasse geht. Gleiches gilt bei der Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den ebenfalls die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners gem. § 22 Abs. 1 InsO übergeht.367 Nach neuester Entscheidung des BFH gilt dies auch für den Fall der Eigenverwaltung.368 Anders verhielt es sich nach Auffassung des BFH bislang bei der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung, bei der gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Verfügungsbefugnis weiterhin beim Schuldner bleibt und die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur Wirksamkeitserfordernis ist.369 206
Diesen Standpunkt hat der BFH als konsequente Folge seiner fortentwickelten Rechtsprechung zur personellen Eingliederung i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aufgegeben und festgestellt, dass die Organschaft mit Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO auf Ebene der Organgesellschaft endet.370 Hintergrund ist, dass der Organträger zwar weiterhin eine vom seinem Willen abweichende Willensbildung der Organgesellschaft ausschließen kann, hingegen aber keine Willensbildung auf Ebene der Organgesellschaft mehr ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich ist.
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In einem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach den §§ 270 ff. InsO endet die umsatzsteuerliche Organschaft nicht durch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach einer Entscheidung des BFH.371 Mit der Eröffnung eines Eigenverwaltungsverfahrens endet aber dann die umsatzsteuerliche Organschaft ebenso, wie in einem Regelverfahren, da zumindest die finanzielle Eingliederung in den Organträger entfällt.372 Warum dies nach der Eröffnung anders ist, als im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kann dahingestellt bleiben angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des BFH, die in der Praxis alleinig relevant ist.
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Eine Organgesellschaft kann es auch für die Körperschaft- und die Gewerbesteuer geben. Anders als für die umsatzsteuerliche Organschaft bedarf es hier jedoch eines Unternehmensvertrages, §§ 14 Abs. 1 KStG, 2 Abs. 2 GewStG. Relevant werden die steuerlichen Verhältnisse nur in der Sondersituation einer Konzerninsolvenz. Auf das Schicksal eines Unternehmensvertrages in der Insolvenz wird bei § 14 Rz. 267 ff. gesondert eingegangen werden.373
b) Personengesellschaft 209
Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist das steuerrechtliche Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft in der Insolvenz der Personengesellschaft. Das Problem rührt daher, dass insolvenzrechtlich das Haftungssubjekt gem. § 11 Abs. 2 InsO die Personengesellschaft, steuerrechtlich das Steuersubjekt gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG hingegen der einzelne Gesellschafter ist.
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Einigkeit besteht darüber, dass im Ergebnis die Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit zu verteilen ist. Der BFH belässt es zwar bei der Stellung des Gesellschafters als Steuerobjekt,374 hat aber ursprünglich die nach Insolvenzeröffnung entstehende Einkommensteuerforderung als Massekosten behandelt, 366 BFH v. 17.1.2002 – V R 37/00, ZIP 2002, 1813. 367 BFH v. 1.4.2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269; BFH v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 zum faktischen starken vorl. Verwalter. 368 BFH v. 19.3.2014 – V B 14/14, ZInsO 2014, 955. 369 BFH v. 1.4.2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269; kritisch Hölzle, DStR 2006, 1210; Maus, GmbHR 2005, 859. 370 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFH/NV 2013, 1747. 371 BFH v. 27.11.2019 – XI R 35/17, BFH/NV 2020, 482. 372 BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16; BGH v. 24.8.2016 – VIII ZR 100/15, MDR 2017, 75 = ZIP 2017, 21. 373 Zu den Auswirkungen auf die Organschaft vgl. Fichtelmann, GmbHR 2010, 576 ff.; Grill, KÖSTI 2013, 18458 ff. 374 BFH v. 9.11.1994 – I R 5/94, ZIP 1995, 661; BFH v. 15.3.1995 – I R 82/93, ZIP 1995, 1275.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 213 § 6
soweit sie aus der Verwertung der Masse resultiert und entsprechende Vermögensmehrungen auch tatsächlich in die Masse gelangen.375 Die zweite Voraussetzung, dass die Masse von der Verwertung auch tatsächlich profitiert, basiert auf einem Urteil aus 1984.376 Dort ging es um den Verkauf eines mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks. Wegen des geringen Buchwertes wurden erhebliche stille Reserven realisiert, was zu einem steuerlichen Gewinn führte. Der größte Teil des Kaufpreises und damit auch des realisierten steuerlichen Gewinns ging an die Grundpfandrechtsgläubigerin. Die kalkulatorisch darauf entfallende Einkommensteuer dürfe dann nicht, so damals der BFH, der Masse zur Last fallen, sondern müsse aus dem konkursfreien Vermögen bezahlt werden. Diese Rechtsprechung hat der BFH unter Geltung der InsO aufgegeben und festgestellt, dass die aus der Veräußerung des belasteten Grundstücks resultierende Steuer in voller Höhe Masseverbindlichkeit ist.377 Der Insolvenzverwalter kann aufgrund der gem. § 80 InsO auf die Insolvenzmasse beschränkten Verwaltungsund Verfügungsbefugnis das insolvenzfreie Vermögen nicht steuerlich verpflichten. Aus der Verwertung der Masse resultierende Einkommenssteuern treffen daher – unabhängig vom eingetretenen Massezuwachs – in voller Höhe die Insolvenzmasse. Die Höhe des Massezuflusses kann damit – entgegen früherer Rechtsprechung – auch für die Besteuerung der Personengesellschaft nicht von Relevanz sein. Der BFH hat zwischenzeitlich – allerdings ohne ausdrücklich von seiner vorstehenden Rechtsprechung Abstand zu nehmen – grundsätzlich anerkannt, dass im Fall der Insolvenz einer Mitunternehmerschaft die sich aus den Besonderheiten der Mitunternehmerbesteuerung ergebenden Unterschiede zu berücksichtigen sind. Das Steuerrecht kennt die Personengesellschaft als Steuerrechtssubjekt nicht, so dass es keine Steuerpflicht der Insolvenzmasse der Personengesellschaft geben kann. Auch die InsO bietet keinen normativen Ansatzpunkt, von dieser steuerlichen Grundkonzeption abzurücken. Die Einkommensteuerschuld eines Mitunternehmers kann daher richtigerweise nicht gegenüber der Insolvenzmasse der Mitunternehmerschaft als Masseverbindlichkeit geltend gemacht werden, auch wenn sie aus Einkünften der Mitunternehmerschaft beruht. Eine Festsetzung der Steuer gegen die Personengesellschaft ist nicht zulässig, der auf Einkünften der Mitunternehmerschaft beruhende Einkommenssteuerbescheid ist gegen die Mitunternehmer zu richten.378
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Der BFH hat sich damit grundsätzlich der Literatur insofern angeschlossen, die Einkommensteuer dem Steuersubjekt „Gesellschafter“ aufzuerlegen, soweit er von dem den Gewinn auslösenden Vorgang profitiert.379 Das ist bei unbeschränkter Haftung der Gesellschafter gerechtfertigt, weil sich seine aus § 128 HGB resultierenden Verbindlichkeiten reduzieren,380 die anderenfalls vom Insolvenzverwalter auf Grundlage von § 93 InsO gegen den Gesellschafter geltend zu machen wären. Ebenso verhält es sich mit dem Kommanditisten, soweit er die Einlagen (wieder) schuldet.
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Hat der Kommanditist die Einlage hingegen vollständig erbracht und nicht zurückerhalten, erhöhen steuerliche Gewinne seine Leistungsfähigkeiten nicht. Zum Ausgleich unbilliger Härten auf Ebene der Mitunternehmer wird vorgeschlagen, die Steuer aus Billigkeitsgründen entweder gem. § 163 AO gegen den Mitunternehmer gar nicht erst festzusetzen oder diesem die Steuer gem. § 227 AO zu erlassen.381 Eine solche Unbilligkeit besteht aber tatsächlich nicht, da etwaige, unberechtigte Vermögensverschiebungen zu Lasten der Mitunternehmer im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter auszugleichen sind. Zur Vermeidung unangemessener Zurechnungsfolgen ist dem Gesellschafter ein Erstattungsanspruch gegen die Insolvenzmasse der Mitunternehmerschaft im Rang einer Masseverbind-
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375 376 377 378 379 380 381
Zustimmend: Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rz. 371. BFH v. 29.3.1984 – IV R 271/83, NJW 1985, 511. BFH v. 16.5.2013 – IV R 23/11, NZI 2013, 709. BFH v. 5.3.2008 – X R 60/04, ZIP 2008, 1643; Kruth, DStR 2013, 2224, 2226. Vgl. BFH v. 5.3.2008 – X R 60/04, ZIP 2008, 1643. Vgl. BFH v. 5.3.2008 – X R 60/04, ZIP 2008, 1643. Benne, BFH v. 17.8.2001 – V R 1/01, DStR 2001, 1977, 1981 ff.; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, Rz. 315 ff.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 135 ff.; Spliedt, Rz. 206.
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§ 6 Rz. 213 | Gesellschafterberatung lichkeit zuzubilligen, soweit von ihm zu versteuernde Gewinne auf Ebene der Mitunternehmerschaft durch Handlungen des Insolvenzverwalters ausgelöst werden.382 Dies gilt unabhängig davon, ob die Insolvenzmasse tatsächlich bereichert ist oder aber die Besteuerung Folge von reinen Buchgewinnen ist. Der Gesellschafter trägt zwar das Risiko der Realisierbarkeit dieses Anspruchs im Hinblick auf eine mögliche Masseunzulänglichkeit (§§ 208 ff. InsO), dies ist aber hinzunehmende Folge der vom Gesetzgeber gewählten Systematik bei der Besteuerung von Personengesellschaften. 214
Die Besteuerung der Gesellschafter als Mitunternehmer ist auch insofern konsequent, als dass die Personengesellschaft im Gegensatz zur GmbH keinen steuerlichen Verlustvortrag hat, mit dem die Gewinne verrechnet werden können. Die Personengesellschaft ist zwar insolvenzrechtliches Haftungssubjekt. Die mit den Verlusten, die die Insolvenz verursacht haben, verbundenen „Steuervorteile“ kamen jedoch den Gesellschaftern zugute. Die Verlustvorträge bleiben bei Besteuerung der Gesellschafter erhalten. Die Insolvenzmasse wird nur mit Erstattungsansprüchen der Gesellschafter in der Höhe belastet, in der nach Ausnutzung der Verlustvorträge eine Steuer bei den Mitunternehmern tatsächlich anfällt. Die Besteuerung der Gewinne bei den unbeschränkt haftenden Gesellschaftern bedeutet letztlich nur den Ausgleich für eine frühere Verlustverrechnung. Das gilt sogar für den Kommanditisten, der seine Einlage erbracht hat und einen steuerlichen Verlust in den Grenzen des § 15a EStG nutzen konnte.
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Letztendlich stellt die fehlende Abstimmung von Steuer-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht entgegen verschiedener Literaturstimmen keinen zwingenden Grund dar, die allgemeine Systematik der Besteuerung von Gewinnen einer Personengesellschaft im Insolvenzfall vollständig zu durchbrechen. Steuerrechtssubjekte bleiben nach dem EStG auch im Insolvenzfall die Mitunternehmer, Gewinne auf Ebene der Personengesellschaft als Mitunternehmerschaft sind in der Einkommenssteuer der Mitunternehmer zu veranlagen. Unbillige Zurechnungsfolgen bei beschränkt haftenden Gesellschaftern werden durch Erstattungsansprüche der Mitunternehmer gegen die Insolvenzmasse ausgeglichen.
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Eine nahezu in jedem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Personengesellschaft auftretendes Problem ist die Quellensteuer, insbesondere die Zinsabschlagsteuer. Der Verwalter wird ein Kontoguthaben bis zur Verteilung an die Gläubiger stets verzinslich anlegen. Von den Zinsen muss die Bank regelmäßig 25 % einbehalten und „für Rechnung des Gläubigers“ (§ 44 Abs. 1 S. 2 EStG) an das Finanzamt abführen, §§ 43 Abs. 1 Nr. 7, 43a Abs. 1 Nr. 3, 44 Abs. 1 EStG. Ähnlich verhält es sich bei der Kapitalertragsteuer, wenn die insolvente Personengesellschaft Anteile an einer Kapitalgesellschaft hält. Diese Kapitalgesellschaft muss von den Gewinnausschüttungen Kapitalertragsteuer abführen, § 43 Abs. 1 Nr. 1, 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, was naturgemäß den der Personengesellschaft zufließenden Betrag mindert. Nicht jedoch der gemeinschuldnerischen Personengesellschaft, sondern den Gesellschaftern ist die gezahlte Kapitalertragsteuer anzurechnen bzw. ein überschießender Betrag zu erstatten, § 36 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 EStG. Zivilrechtlicher Gläubiger der Kapitalerträge ist zwar die Personengesellschaft, Gläubiger im Sinne des Steuerrechts aber die Gesellschafter, § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Seit Einführung des Unternehmenssteuerrechtsreformgesetzes 2008 werden Kapitaleinkünfte in der Regel im Wege des endgültigen Steuerabzuges pauschal besteuert. Die Kapitalertragsteuer soll nach dem neuen System nach Möglichkeit endgültigen Charakter, nicht mehr den von Vorauszahlungen haben.383 Von der abgeltenden Wirkung sind aber weiterhin solche Kapitaleinkünfte ausgenommen, die aufgrund der Subsidiaritätsregelung des § 20 Abs. 8 EStG zu anderen Einkunftsarten zählen. Dies trifft auf Kapitalerträge von Personengesellschaften zu (§§ 20 Abs. 8, 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG), so dass sie der Abgeltungssteuer unterliegen, die dann aber wie eine Steuervorauszahlung bei der Veranlagung der einzelnen Gesellschafter angerechnet wird.384
382 Kruth, DStR 2013, 2224, 2226 Erstattungsanspruch aus gesetzlichem Schuldverhältnis; K. Schmidt, Festschrift 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., 193, 198; Sudhoff/Eberhard, GmbH & Co KG, § 49 Rz. 28: Steuerentnahmerecht analog § 110 HGB. 383 Weber-Grellet, DStR 2013, 1357, 1360. 384 Weber-Grellet, DStR 2013, 1357, 1361 m.w.N.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren | Rz. 219 § 6
Wenn den Gesellschaftern somit im Wege der Steueranrechnung etwas zukommt, was zivilrechtlich der Masse gebührt, stellt sich die Frage, ob sie diesen Betrag erstatten müssen. 1995 hatte der BGH über einen Fall außerhalb des Insolvenzverfahrens zu entscheiden. Die Personengesellschaft war an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, die Kapitalertragsteuer an das Finanzamt abführte und dadurch den Beteiligungsertrag der Personengesellschaft minderte. Steuerrechtlich geschah diese Abführung aber nicht für die unmittelbar beteiligte Personengesellschaft, sondern für deren Gesellschafter. Nach Auffassung des BGH ist die Zahlung an das Finanzamt wie eine Entnahme der Gesellschafter bei der Personengesellschaft zu behandeln.385 Sie darf nur nach Maßgabe der Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag behalten werden. Überschreitet der Anrechnungsbetrag ihren jeweiligen Gewinnanteil, müssen die Gesellschafter ihn an die Personengesellschaft abführen.386
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Für die vergleichbare Situation innerhalb der Insolvenz haben das LG Freiburg387 und das OLG Dresden388 entschieden, dass der Gesellschafter an die Masse den Betrag abzuführen hat, der ihm aufgrund der Zinsabschlagsteuer bei seiner Einkommensteuer angerechnet bzw. ausgekehrt wird. Der Erstattungsanspruch wird zum Teil aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, zum Teil aus Bereicherungsrecht hergeleitet.389 Die gesellschaftsrechtliche Grundlage des Erstattungsanspruchs begründet das OLG Dresden mit einer mit gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen unvereinbaren Verlagerung von Gesellschaftsvermögen auf die Gesellschafter infolge der steuerrechtlichen Situation.390 Diese Begründung verkennt, dass das Gesellschaftsrecht der Personengesellschaft weitgehend auf Entnahmebeschränkungen verzichtet. Grund der Entnahmesperre sind vielmehr die insolvenzrechtlichen Vorgaben zur vorrangigen Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger. Nach vorzugswürdiger Auffassung fehlt es an einer insolvenzbeständigen Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der aus dem Steuerrecht resultierenden wirtschaftlichen Vorteile, so dass eine Anknüpfung des Erstattungsanspruchs an §§ 812 ff. BGB konsequent erscheint.391
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Der BGH hat im Jahr 2013 die Frage der Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs der Insolvenzmasse gegen die steuerlich begünstigen Gesellschafter offen gelassen. Unabhängig von der einschlägigen Rechtsgrundlage hat der BGH festgestellt, dass mögliche Erstattungsansprüche der regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 BGB unterliegen. Der Lauf der Verjährungsfrist wird dabei bereits durch die Kapitalertragssteuerzahlung in Gang gesetzt, die Entnahme des Gesellschafters ist bereits in diesem Moment vollendet.392 Der Gesellschafter ist damit unabhängig davon, ob er sich die steuerlichen Vorteile tatsächlich im Rahmen der Einkommenssteuer anrechnen lässt, erstattungspflichtig, so dass sich die Frage, ob der Gesellschafter zur Abgabe der Steuererklärungen verpflichtet ist und anderenfalls auf Schadensersatz haftet, nicht mehr stellt.393
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385 BGH v. 30.1.1995 – II ZR 42/94, MDR 1995, 589 = ZIP 1995, 462; bestätigt in BGH v. 16.4.2013 – II ZR 118/11, MDR 2013, 859 = ZIP 2013, 1174 = DStR 2013, 1391. 386 BGH v. 30.1.1995 – II ZR 42/94, MDR 1995, 589 = ZIP 1995, 462; Kruth, DStR 2013, 2224, 2227 m.w.N.; a.A. OLG München v. 13.6.1993 – 7 U 6765/92; BGH v. 30.5.1994 – II ZR 202/93, DB 1994, 1465, 1466 – gesetzliches Steuerentnahmerecht analog § 110 HGB. 387 LG Freiburg v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063. 388 OLG Dresden v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 238 m. Anm. Wälzholz, DStR 2005, 615. 389 Aus gesellschaftsrechtlicher Treuepflicht u.a.: OLG Dresden v. 19.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 100; LG Freiburg v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063; Onusseit, EStG 1999, 1169; Sudhoff/Eberhard, GmbH & Co. KG, § 49 Rz. 28; Wälzholz, DStR 2005, 615; Werner, GmbHR 2013, 705, 706; aus Bereicherungsrecht u.a.: FK-Boochs, InsO, § 155 InsO Rz. 691; Mitlehner, NZI 2002, 143, 145 zur Bauabzugssteuer; Schöne/Ley, DB 1993, 1405, 1410. 390 OLG Dresden v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 100. 391 Vgl. Kruth, DStR 2013, 2224, 2229 m.w.N. 392 BGH v. 16.4.2013 – II ZR 118/11, MDR 2013, 859 = DStR 2013, 1391; ausführlich Kruth, DStR 2013, 2224, 2229 m.w.N. 393 So noch LG Freiburg v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063.
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§ 6 Rz. 220 | Gesellschafterberatung 220
Für die eigene Steuererklärung müssen den einzelnen Gesellschaftern die steuerlichen Ergebnisse der Gesellschaft zugeordnet werden. Dies geschieht mit Hilfe der einheitlichen Gewinnfeststellung gem. §§ 179 ff. AO. Beteiligt an dieser Feststellung sind nur die Gesellschafter,394 so dass der Insolvenzverwalter weder steuerrechtlich noch insolvenzrechtlich395 verpflichtet ist, die Feststellungserklärung abzugeben. Zu einer übermäßigen Belastung der Gesellschafter führt das nicht; denn Basis der Feststellungserklärung ist die Gewinnermittlung der Gesellschaft, die dem Verwalter auch für die Zeit vor Verfahrenseröffnung obliegt, § 155 InsO. Die Gesellschafter haben einen klagbaren Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf Vorlage der Jahresabschlüsse für die Masse. Kommt der Insolvenzverwalter seiner insolvenzspezifischen Pflicht zur Gewinnermittlung nicht nach, kann er den Gesellschaftern für steuerliche Nachteile gem. § 60 InsO haften.396 Für in diesem Zusammenhang anfallende Kosten, die allein im Interesse der Gesellschafter entstehen, kann der Insolvenzverwalter Ersatz und einen entsprechenden Auslagenvorschuss von diesen fordern.397 Die Gesellschafter müssen für ihre Steuererklärung, nach Erhalt der Gewinnermittlung, nur noch die Verteilung des in der Gesellschaft angefallenen Gewinns und die eigenen Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben umsetzen.
394 BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969; BFH v. 15.3.2007 – IV R 52/04, juris. 395 BGH v. 2.4.1998 – IX ZR 187/97, ZIP 1998, 1076. 396 BGH v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, MDR 2010, 1425 = NZI 2010, 956 = ZIP 2009, 1824 = ZIP 2010, 2164. 397 BGH v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, MDR 2010, 1425 = NZI 2010, 956 = ZIP 2009, 1824 = ZIP 2010, 2164.
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§7 Risiken der Gesellschafterfinanzierung I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Reformkonzept des MoMiG . . . . . 1. Rechtslage bis zum MoMiG . . . . . . . . . . a) Rechtsprechungsregeln . . . . . . . . . . b) Novellenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage nach dem MoMiG . . . . . . . . 3. Rechtfertigung des Eigenkapitalersatzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prinzip der Haftungsbeschränkung b) Finanzierungsfolgenverantwortung c) Insiderstellung des Gesellschafters . III. Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren . . . . . 1. Nachrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . b) Gleichgestellte Forderungen . . . . . . 2. Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sanierungsprivileg . . . . . . . . . . . . . b) Kleinbeteiligungsprivileg . . . . . . . . IV. Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . 1. Insolvenzanfechtungsreform 2017 . . . . . 2. Anfechtbare Rechtshandlungen . . . . . . . 3. Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . 4. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens . . . . 6. Konkurrenz mit anderen Anfechtungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkurrenz mit § 133 InsO . . . . . . b) Konkurrenz mit §§ 130, 131 InsO . 7. Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 5 5 6 7 11 16 18 19 20 22 22 24 25 29 29 30 31 31 33 39 40
V. 1. 2. 3. VI. 1. 2. 3. VII. 1. 2. 3. VIII. 1. 2. 3.
41 43 44 46 47
IX. X. XI.
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . Aus-/Absonderungsrechte für besicherte Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . Nutzungsüberlassung durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussonderungssperre . . . . . . . . . . . . . . . Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesicherte Gesellschafterdarlehen . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doppelsicherung durch Gesellschaft und Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzichts- und Vergleichsbefugnis . . . . . Geschäftsführerhaftung für Zahlungen an Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführerhaftung nach § 15b Abs. 5 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . b) Konkurrenzen zur Geschäftsführerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Privilegierung nach § 90 StaRUG . . . . . Privilegierte Kredite nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 52 53 53 54 57 60 60 63 66 67 67 68 72 78 79 83 85 85 88 89 96 98
I. Einleitung Mit dem am 1.11.2008 in Kraft getretenen MoMiG1 ist die Rechtsfigur des Eigenkapitalersatzes in der vorherigen Form abgeschafft worden. Das Recht der Gesellschafterdarlehen wurde neu strukturiert:
1 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 28.10.2008, BGBl. I 2008, 2026; vgl. zum Übergangsrecht Holzer, ZIP 2009, 206 ff.
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1
§ 7 Rz. 1 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung – Durch ein ausdrückliches Anwendungsverbot in § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. und § 57 Abs. 1 Satz 4 AktG n.F. ist die Einbeziehung von Gesellschafterdarlehen in das Kapitalschutzsystem der §§ 30, 31 GmbHG bzw. § 57, 62 AktG aufgegeben worden. – Den sog. Rechtsprechungsregeln2 wurde damit die Grundlage entzogen. – Die Rechtsfolgen der Umqualifizierung einer Gesellschafterforderung in funktionales Eigenkapital konzentrieren sich nach der Reform auf den Nachrang und die Anfechtbarkeit im eröffneten Insolvenzverfahren. – Unerheblich ist nunmehr insbesondere, ob die entsprechende Gesellschafterleistung in der Krise der Gesellschaft gewährt oder stehen gelassen worden war. Das Tatbestandsmerkmal der Krisenfinanzierung ist vom Gesetzgeber des MoMiG ersatzlos abgeschafft worden. – Die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben werden rechtsformübergreifend in der InsO gebündelt, für die Einzelzwangsvollstreckung ergänzt um die Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes (AnfG). 2
Die Rechtsfigur des eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens wurde gänzlich aufgegeben.3 § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG ordnet ausdrücklich die Nichtanwendung4 der sog. Rechtsprechungsregeln des Eigenkapitalersatzrechts an. Der Gesetzgeber strich außerdem die §§ 32a und b GmbHG. – Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Leistungen werden nun nicht mehr wie haftendes Eigenkapital behandelt. Tilgungsleistungen der Gesellschaft auf diese Forderungen sind keine verbotenen Auszahlungen i.S.d. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Weil die Gesellschafterdarlehen nur noch in der Insolvenz der Gesellschaft eine wirtschaftliche Bedeutung erlangen können, wurden die bis zum MoMiG bestehenden Regeln für Gesellschafterdarlehen in der InsO neu geregelt, wobei es auf einen kapitalersetzenden Charakter dieser Leistungen nicht ankommt. – Alle Gesellschafterdarlehen und diesen wirtschaftlich entsprechende Forderungen sind gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO5 stets nachrangig.6 Die Position der Gesellschafter wird damit verschlechtert, da ihnen völlig unabhängig davon, wann und unter welchen Umständen das Darlehen ausgereicht wurde, alle anderen Gläubiger vorgehen.7
3
Art. 103d EGInsO trifft eine Übergangsbestimmung hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Vorschriften und ordnet in Satz 1 an, dass auf vor dem 1.11.2008 (Inkrafttreten des MoMiG) eröffnete Insolvenzverfahren „die bis dahin geltenden gesetzlichen Vorschriften weiter anzuwenden“ sind. Der II. Zivilsenat des BGH hatte bezogen auf ein vor dem 1.11.2008 eröffnetes Insolvenzverfahren – „Altfälle“ – bejaht, dass auch vor dem Inkrafttreten des MoMiG entstandene Erstattungsansprüche nach Maßgabe der Rechtsprechungsregeln zum alten Eigenkapitalersatzrecht (§§ 30, 31 GmbHG analog) nach Inkrafttreten der Reform fortbestehen und geltend gemacht werden können.8
2 Neben den Novellenregeln eine der beiden Säulen des bisherigen Eigenkapitalersatzrechtes. 3 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis (2009), Rz. 689; Roth, GmbHR 2008, 1184; Gehrlein/ Witt, GmbH-Recht in der Praxis (2008), S. 393. 4 „Negativklausel“ Ekkenga, WM 2006, 1986; „Nichtanwendungsklausel“ Noack, DB 2007, 1395, 1397; „Nichtanwendungserlass“ Thiesen, DStR 2007, 202, 208; „Nichtanwendungsnorm“ Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008, S. 25 Rz. 57; „Sperre“ Mylich, ZIP 2013, 2444. 5 § 39 Abs. 1 Nr. 5 gilt für alle Gesellschaften, bei denen keine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter fungiert, vgl. § 39 Abs. 4. InsO. 6 Etwas anderes gilt nur für Sanierungsdarlehen, § 39 Abs. 4 InsO und für Darlehen von nicht geschäftsführenden Minderheitsgesellschaftern, die mit max. 10 % an der Gesellschaft beteiligt sind, sog. Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg. 7 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis (2009), Rz. 690. 8 BGH v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 = MDR 2009, 640 = DStR 2009, 699 mit Anm. Goette, dazu Habighorst, EWiR 2009, 303; Bork, EWiR 2013, 521, 522.
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I. Einleitung | Rz. 4 § 7
Die Reform verfolgt das erklärte Ziel der Rechtsvereinfachung.9 Ziel war es, einen möglichst leicht handhabbaren, klaren und übersichtlichen Rechtsrahmen zu schaffen.10 So lobenswert die angestrebten Ziele des Gesetzgebers waren, so sind doch – wenn auch überschaubar – ein Mehrzahl von Rechtsfragen nicht abschließend geklärt.11 Insbesondere um die sachliche und persönliche Reichweite der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5 und 135 Abs. 1 InsO in Hinblick auf die möglichen Aus- oder Absonderungsrechte, die dem Gesellschafter zur Durchsetzung von Sicherheiten für bestellte Gesellschafterdarlehen zur Verfügung stehen, sowie dem darin zugrunde liegenden Anfechtungsrisiko, entzündete sich ein Streit in der Literatur (ausführlich s. Rz. 54 ff.).12 Ein weiteres Ziel des MoMiG war sicherzustellen, dass die sog. Scheinauslandsgesellschaften13 auch von dem deutschen Eigenkapitalersatzrecht erfasst werden.14 Bei den Scheinauslandsgesellschaften handelt es sich um Gesellschaften, die in einem anderen Staat nach dem dortigen Gründungsstatut gegründet wurden, jedoch ausschließlich in Deutschland tätig sind und auch hier ihren Verwaltungssitz haben. Diese Situation ergibt sich aus den einschlägigen Urteilen des EuGH Centros,15 Überseering,16 Inspire Art17 und Cartesio,18 in welchen höchstrichterlich geklärt wurde, dass diese Gesellschaften im Rahmen der gem. Art. 43, 48 EGV (nunmehr Art. 49, 63 AEUV) garantierten Niederlassungsfreiheit nach dem ausländischem Gesellschaftsstatut als rechtsfähige juristische Personen anzuerkennen sind. Im Insolvenzfall ist gem. Art. 7 EuInsVO die lex fori concursus, also das deutsche Insolvenzrecht, anwendbar, was zu schwierigen Abgrenzungsproblemen zwischen dem Gesellschafts- und dem Insolvenzstatut führen kann, insbesondere in Bezug auf die Insolvenzantragspflicht. Mit der Einführung des § 15a InsO sollte durch die Regelung des Eigenkapitalersatzrechts in der Insolvenzordnung dessen insolvenzrechtliche Natur klargestellt werden.19 9 10 11 12
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Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 25; Gehrlein, BB 2008, 846. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 42, 56 f. So auch Mylich, ZIP 2013, 2444; Reinhard/Schützler, ZIP 2013, 1898. Für eine „umfassende“ Anfechtbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen Altmeppen, ZIP 2013, 1745 und Hölzle, ZIP 2013, 1992; Kleindiek in HK/InsO, § 135 Rz. 14 f.; a.A. und damit für eine „begrenzte“ Anfechtbarkeit Bitter, ZIP 2013, 1497; Bitter, ZIP 2013, 1998; Marotzke, ZinsO 2013, 641; Mylich, ZHR 176 (2012), 547; Mylich, ZIP 2013, 2444. S. hierzu: Bischoff, ZInsO 2009, 164 ff.; Erbe, Die Limited und Limited & Co. KG (2008); Leuering, ZRP 2008, 73 ff.; Hirte, NJW 2009, 415 ff.; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Altmeppen in FS Röhricht, 2005, S. 3, 10; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083; Bitter, WM 2004, 2190, 2191; H. Schmidt, WM 2007, 2093 ff.; Kußmaul/Ruiner, IStR 2007, 696 ff.; Schulz, NJW 2003, 2705; Vallender, ZGR 2006, 425, 426; Weller, IPRax 2003, 520 (521). Hierzu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 25; Schaumann, Reform des Eigenkapitalersatzrechts im System der Gesellschafterhaftung (2009), S. 83 ff.; s. hierzu AG Hamburg v. 26.11.2008 – 67g IN 352/08, NZG 2009, 197 = ZIP 2009, 532. EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, MDR 1999, 752 m. Anm. Risse = NJW 1999, 2027. EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, MDR 2003, 96 = NJW 2002, 3614. EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, MDR 2003, 1303 = NJW 2003, 3331. EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, NZG 2009, 61 ff. = ZIP 2009 24 ff.; s. hierzu: Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Hirte, NJW 2009, 415; Knof/Mock, ZIP 2009, 30 ff.; Goette, DStR 2009, 128 ff.; Hoffmann/Leible, BB 2009, 58 ff. Klargestellt insoweit, als die Regelung eines Rechtsinstitutes in einem besonderen Gesetz keine Aussage über dessen Zuordnung trifft. Für die alte Rechtslage befürwortete schon die überwiegende Meinung eine differenzierte Betrachtung: Die Rechtsfolgen der Novellenregeln (Rangrücktritt, Anfechtung) gehörten zum Insolvenzrecht und waren somit auch auf Scheinauslandsgesellschaften anwendbar, während die Rechtsprechungsregeln zur gesellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltung gehörten. Grundlegend dazu Huber in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005), 131, 141; so auch Fischer, ZIP 2004, 1911, 1912; Haas, NZI 2001, 1, 10; K. Schmidt, ZHR 2004, 493, 497; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Ulmer, KTS 2004, 291, 298 f.; Walterscheid, DZWiR 2006, 95; Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589; Zöllner, GmbHR 2006, 1, 5 und somit aufgrund der Nicht-Vereinbarkeit der Kapitalerhaltungsregeln mit der Niederlassungsfreiheit keine Anwendung fanden (Pannen/Riedemann, MDR 2005, 496, 498; Paefgen, DB 2003, 487, 490; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Ulmer, KTS 2004, 291, 299; Schumann, DB 2004, 743, 748; Borges, ZIP 2004, 733, 743; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589; Schall, ZIP 2005, 965, 975; Röhricht, ZIP 2005, 505, 512; Fischer, ZIP 2004, 1477, 1480; Geyrhal-
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§ 7 Rz. 5 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung
II. Das Reformkonzept des MoMiG 1. Rechtslage bis zum MoMiG 5
Nach alter Rechtslage bestand ein zweistufiges Schutzsystem20: – Wenn in der Krise Darlehen oder Nutzungen gewährt wurden, so wurden nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH Leistungen, die zur Kompensation des nicht mehr vorhandenen Stammkapitals oder einer Überschuldung dienten, von den sog. Rechtsprechungsregeln erfasst (s. Rz. 6). – Daneben wurden darüber hinaus gehende Leistungen über die §§ 32a und b GmbHG a.F. als eigenkapitalersetzend gewertet (sog. Novellenregeln, s. Rz. 7). Dies hatte zur Folge, dass sämtliche aus derartigen Darlehens- oder Nutzungsvereinbarungen resultierenden Ansprüche der Gesellschafter in der Insolvenz nachrangig waren, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
a) Rechtsprechungsregeln 6
Bei den Rechtsprechungsregeln handelte es sich um eine richterrechtliche Entwicklung des BGH in Analogie zu den Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30, 31 GmbHG a.F. Diese sog. Rechtsprechungsregeln waren infolgedessen erst dann anwendbar, wenn das Eigenkapital der Gesellschaft unter den Betrag des Stammkapitals gefallen war.21 Wenn ein Gesellschafter durch die Auszahlung einer eigenkapitalersetzenden Leistung in den letzten zehn Jahren eine Unterbilanz (Nettovermögen liegt unterhalb des Stammkapitals) verursacht oder eine Überschuldung verstärkt hatte, hatte er nach § 31 Abs. 1 GmbHG a.F. analog den Betrag bis zur Höhe des Stammkapitals zurückzuerstatten.22 In analoger Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG a.F. war die Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen solange gesperrt, bis das Stammkapital nachhaltig wiederhergestellt ist.23
b) Novellenregeln 7
Die Bezeichnung „Novellenregeln“ ging auf die Reform des GmbH-Rechts im Jahr 1980, auf die Einführung der Insolvenzordnung sowie auf die Novelle von 1998 zurück. Die Novellenregeln waren, gleichgültig wie hoch das Stammkapital ist, in vollem Umfang auf die Gesellschafterleistungen anwendbar, jedoch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
20 21 22 23
ter/Gänßler, NZG 2003, 409 411 f.; Lieder, DZWiR 2005, 399, 407; Meilicke, GmbHR 2003, 1271, 1272; Westermann, GmbHR 2005, 4, 15; Zöllner, GmbHR 2006, 1, 6; a.A. Forsthoff, DB 2002, 2471, 2477; W.H. Roth, IPRax 2003, 117, 125; Altmeppen, NJW 2004, 97, 103; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1088, die die Rechtsprechungsregeln über eine Sonderanknüpfung anwenden wollen). Die insolvenzrechtlichen Novellenregeln waren also nach überwiegender Meinung auf Auslandsgesellschaften anwendbar (so auch schon Ulmer, KTS 2004, 291, 299; Röhricht, ZIP 2005, 505, 512 f.; Fischer, ZIP 2004, 1477, 1480; Lieder, DZWiR 2005, 399, 407; Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353, 356; Walterscheid, DZWiR 2006, 95, 98; Zöllner, GmbHR 2006, 1, 6. Zur Anwendung der Novellenregeln bei der Ltd. & Co. KG vgl. Schlichte, DB 2006, 1357, 1361 f.; s. auch nach Inkrafttreten des MoMiG: BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, MDR 2011, 1263 = NJW 2011, 3784 ff. = ZIP 2011, 1775 ff. Vgl. auch Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis (2009), Rz. 683; de Bra in Braun, § 135 InsO Rz. 5. BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, NJW 1960, 285. S. BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, MDR 1984, 737 = NJW 1984, 1891 = BGHZ 90, 370, 374; Altmeppen in Roth/Altmeppen, 6. Aufl. 2009, § 32a GmbHG Rz. 112. S. BGH v. 8.11.2004 – II ZR 300/02, MDR 2005, 284 = ZIP 2005, 82, 83; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 229/ 03, MDR 2006, 276 = ZIP 2005, 2016, 2017; OLG München v. 24.2.2006 – 7 U 4776/05, GmbHR 2006, 424.
560 | Riedemann
II. Das Reformkonzept des MoMiG | Rz. 13 § 7
Nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a.F. waren eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen nachrangig zu befriedigen. Der Insolvenzverwalter konnte Rückzahlungen an den Gesellschafter, die bis zu einem Jahr vor Antragstellung geleistet wurden, nach § 135 Nr. 2 InsO a.F. i.V.m. § 143 InsO anfechten, wobei bewiesen werden musste, dass das betroffene Darlehen irgendwann vor der Auszahlung einmal eigenkapitalersetzend verhaftet war.24 Dem Gesellschafter war ferner der Nachweis abgeschnitten, dass im Zahlungszeitpunkt das Stammkapital der Gesellschaft nachhaltig wieder hergestellt und damit die Durchsetzungssperre entfallen war; vielmehr wurde der Eigenkapitalersatzcharakter zum Stichtag unwiderleglich vermutet.25
8
Außerhalb des Insolvenzverfahrens konnte die Anfechtung nach Maßgabe des § 6 Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 1 AnfG a.F. vorgenommen werden.
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In seiner Entscheidung vom 21.7.2011 hat der BGH26 (bezüglich eines Falles nach altem Recht) die insolvenzrechtliche Natur der Novellenregeln bejaht. Die Novellenregeln finden hiernach Anwendung auf Kapitalgesellschaften, über deren Vermögen in Deutschland das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, und zwar auch dann, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden sind.
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2. Rechtslage nach dem MoMiG Das mit dem MoMiG in Kraft getretene Recht der Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz verbietet den Rückgriff auf die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG ordnet nunmehr an, dass § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht anzuwenden ist auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens sowie auf Leistungen für Forderungen auf Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen. Eine entsprechende Vorschrift enthält § 57 Abs. 1 Satz AktG. Damit ist den Rechtsprechungsregeln des bisherigen Eigenkapitalersatzrechts der Boden entzogen worden. Durch diese Änderung sollte das komplexe Verhältnis der Rechtsprechungsregeln und der Novellenregeln über die eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen beseitigt werden.27
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Die Befriedigung eines fälligen Anspruchs auf Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens kann der Geschäftsführer der GmbH nunmehr allein dann verweigern, wenn die Rückzahlung zur Zahlungsunfähigkeit führen muss und deshalb gegen das Auszahlungsverbot nach § 64 Satz 3 GmbHG a.F. bzw. bei Aktiengesellschaften nach § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG a.F., das nunmehr rechtsformübergreifend in § 15b Abs. 5 InsO geregelt ist, verstößt.28 Jedenfalls nach dem Konzept des MoMiG-Gesetzgebers konnte § 64 Satz 3 GmbHG a.F. der Rückforderung fälliger Gesellschafterdarlehen entgegenstehen. Die Begründung zum MoMiG verweist unter anderem auf die kompensatorische Wirkung der Haftungserweiterung, um die im neuen Satz 3 des § 30 Abs. 1 GmbHG verfügte Abschaffung der Rechtsprechungsregeln zu rechtfertigen.
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Gesellschafterdarlehen werden im Insolvenzfall vielmehr stets mit Nachrang versehen (s. Rz. 22 ff.). Im Fall der Rückzahlung durch die Gesellschaft im Jahr vor der Insolvenz kann der Betrag durch In-
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24 S. BGH v. 30.1.2006 – II ZR 357/03, MDR 2006, 936 = NJW-RR 2006, 1272 = NZI 2006, 311 = DStR 2006, 478 mit Anm. Goette. 25 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, MDR 1984, 737 = NJW 1984, 1891; BGH v. 30.1.2006 – II ZR 357/03, MDR 2006, 936 = NJW-RR 2006, 1272. 26 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, MDR 2011, 1263 = ZIP 2011, 1775 ff. 27 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 26. 28 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = NZI 2012, 1009. Hierzu Haas, NZG 2013, 41; Brand, NZG 2012, 1374.
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§ 7 Rz. 13 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung solvenzanfechtung wieder zur Masse gezogen werden.29 Die Unterscheidung zwischen „kapitalersetzenden“ und „normalen“ Gesellschafterdarlehen wurde nach dem MoMiG nicht fortgeführt.30 14
Prägend für das Konzept des neuen Rechts ist also – neben dem Anwendungsverbot hinsichtlich der früheren Rechtsprechungsregeln – der Abschied vom Tatbestandsmerkmal der Krisenfinanzierung, welches für das alte Eigenkapitalersatzrecht schlechthin konstitutiv war. Die damit beabsichtigte Rechtsvereinfachung führt zugleich zu einer deutlichen Einschränkung der Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter. Denn die Legitimationsgrundlagen des früheren Eigenkapitalersatzrechts stellten gerade darauf ab, dass der in Form von Fremdkapital gewährten Gesellschafterhilfe die Funktion von Eigenkapital zukommt, was nach bisheriger Überzeugung nur auf die in der Krise gewährte (oder stehen gelassene) Hilfe zutraf.31 Das Eigenkapitalersatzrecht sollte die Gesellschafter gerade nicht von einer Darlehensgewährung an eine wirtschaftlich gesunde Gesellschaft abschrecken. Es sollte die Eigenfinanzierung durch Gesellschafterdarlehen, wo sie kaufmännisch vernünftig und erwünscht ist, nicht behindern.
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Demgegenüber sind nach neuem Recht (vorbehaltlich des Kleinbeteiligungsprivilegs) z.B. alle offenen Gesellschafterdarlehen, auch wenn sie nach dem früheren Recht zu keiner Zeit eigenkapitalersetzenden Charakter besessen hätten, im Insolvenzverfahren nachrangig. Leistungen auch auf Gesellschafterdarlehen, die – aus der Sicht des Gesellschafters unglücklicherweise – elf und nicht dreizehn Monate vor Insolvenzantragstellung erbracht worden sind, unterliegen der Insolvenzanfechtung, auch wenn die Krise erst unmittelbar im Vorfeld dieses Antrags, etwa wegen des Ausfalls eines großen Schuldners oder eines sonstigen externen Ereignisses, eingetreten ist. Das gilt auch dort, wo das Darlehen zu gesunden Zeiten gewährt und möglicherweise besichert wurde, und vom Stehenlassen oder der Rückzahlung in der Krise ebenfalls keine Rede sein kann.
3. Rechtfertigung des Eigenkapitalersatzrechts 16
Das Eigenkapitalersatzrecht bedarf einer Rechtfertigung dafür, dass die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens im letzten Jahr vor Antragstellung anfechtbar ist bzw. dass die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens automatisch nachrangig ist. Denn durch diese Nachrangigkeit wird in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum der Gesellschafter bzw. der gleichgestellten Gläubiger eingegriffen.32
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Hierzu sind hauptsächlich drei Ansätze zu finden: – die Haftungsbeschränkung, – die Finanzierungsfolgenverantwortung und – die Insiderstellung der Gesellschafter.
a) Prinzip der Haftungsbeschränkung 18
Nach der Meinung von Huber und Habersack,33 die die Entstehung des MoMiG maßgeblich beeinflusst haben, soll das Eigenkapitalersatzrecht einen Ausgleich für die Vorteile der Haftungsbeschränkung schaffen.34 Die Gesellschafter seien bereits durch die Wahl der Haftungsbeschränkung hinreichend geschützt. Dass sie darüber hinaus darüber frei entscheiden können, ob die Finanzierung der
29 30 31 32 33 34
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 26. Gehrlein in MünchKomm/InsO, § 135 Rz. 4; Bitter, ZIP 2013, 1497, 1499. Dauernheim in FK-InsO, § 135 InsO Rz. 1 f. Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602. Huber/Habersack in Lutter (Hrsg.), ZGR Sonderheft 17 (2006), 370 ff. S. auch: Gehrlein, BB 2011, 3, 7; Lüdtke in HamKommInsO, § 39 Rz. 22.
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III. Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren | Rz. 22 § 7
Gesellschaft durch Eigen- oder Fremdkapital erfolgen soll, würde eine missbräuchliche Beeinflussung des Insolvenzrisikos ausstehender Gläubiger ermöglichen.35
b) Finanzierungsfolgenverantwortung Nach einer anderen Ansicht, die auch eine nunmehr große Zustimmung in der Literatur findet, bestehe der Grund für die Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen weiterhin in der Finanzierungsfolgenverantwortung. Dass die Krise („kapitalersetzend“) nicht mehr als Tatbestandsmerkmal auftauche, erkläre sich durch das Vereinfachungsziel des MoMiG und sei in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO in der Insolvenzeröffnung und in § 135 Abs. 1 und 2 InsO in den Fristen unwiderleglich vermutet.36
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c) Insiderstellung des Gesellschafters Nach einer weiteren Meinung, sei aus der Stellung des Gesellschafters und dessen Möglichkeit – ebenso wie der Geschäftsführer – in der Insolvenz und der ihr vorgelagerten Zeit zum Nachteil der Gläubiger auf die Gesellschaft einzuwirken. Daher habe die Literatur und auch die Rechtsprechung den Gesellschafter haftungsbewährte Pflichten zum Schutz der Gläubigergesamtheit auferlegt (die Teilnehmerhaftung des Gesellschafters an der Insolvenzverschleppung37 sowie die etwaige Haftung des Gesellschafters als „faktischer Geschäftsführer“)38, um noch bestehende Lücken neben den Schutzpflichten des Geschäftsführer zu schließen.39
20
Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Kontroverse auch eine praktische Relevanz aufweist, da die anfallenden Rechtsfragen aus der Systematik und der Funktion des § 135 InsO beantwortet werden sollten.40
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III. Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren 1. Nachrang Vom Auszahlungsverbot nach § 15b Abs. 5 InsO (ehemals § 64 Satz 3 GmbHG a.F. bzw. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG a.F.) abgesehen, beschränkt sich die eigenkapitalähnliche Bindung eines Gesellschafterdarlehens (und funktional vergleichbarer Gesellschafterhilfen) im neuen Recht auf den Nachrang und die Anfechtbarkeit in der Insolvenz: § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ordnet für das Insolvenzverfahren den Nachrang aller Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und aller Forderungen aus Rechtshandlungen an, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.41 Diesbezüglich ist auf das Urteil vom 27.3.2014 des BAG42 zu verweisen, in dem es Ansprüche, die über einen längeren Zeitraum nicht von dem Gesellschafter durchgesetzt wurden, als wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung angesehen hat. Anders als im früheren Eigenkapitalersatzrecht kommt es dabei nicht mehr darauf an, dass das Gesellschafterdarlehen (oder die wirtschaftlich ent-
35 Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 39 Rz. 35. 36 Bork, ZGR 2007, 250, 257; Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1997; Hölzle, ZIP 2009, 1939, 1944; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602 f.; Spliedt, ZIP 2009, 149, 153 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 30.60, a.A. Bitter, ZIP 2010, 1, 10, der in der Finanzierungsfolgenverantwortung eine Verschleierung der nominalen Unterkapitalisierung als Wertungsgrundlage des alten Gesellschafterdarlehensrechts sieht. 37 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, NZG 2005, 886. 38 BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, NZG 2005, 755. 39 Noack, DB 2007, 1395, 1398; Mylich, ZGR 2009, 474, 488; Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 192 f.; Haas, ZinsO 2007, 617, 618. 40 Gehrlein in MünchKomm/InsO, § 135 Rz. 5. 41 Zum Streit über die systematische Beziehung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und § 135 Abs. 1 InsO zueinander s. Rz. 54 ff. 42 BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, MDR 2014, 1272 = NZI 2014, 619, 621.
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§ 7 Rz. 22 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung sprechende Finanzierungshilfe) gerade in der Krise, also im Stadium der Kreditunwürdigkeit, gewährt bzw. stehen gelassen worden ist. Vielmehr wird unwiderleglich vermutet, dass die Darlehensgewährung missbräuchlich war, so dass jedes Gesellschafterdarlehen bei Eintritt der Insolvenz nachrangig ist.43 Dies hatte auch der BGH in seiner Entscheidung vom 15.11.2011 ausdrücklich klargestellt.44 23
Zur Rangrückstufung führt somit jede in der Insolvenz offene Forderung eines Gesellschafters oder eines gleichgestellten Dritten i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wobei der Gesetzgeber allerdings am Sanierungsprivileg und am Kleinbeteiligungsprivileg (jetzt § 39 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 InsO) festhält (s. Rz. 29 ff.).
a) Gesellschafterdarlehen 24
Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO werden zunächst Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens nachrangig befriedigt. Hingegen fallen Gesellschafterforderungen aus anderen Rechtsgründen nicht unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.45 Dies betrifft insbesondere den Aussonderungsanspruch eines Gesellschafters hinsichtlich eines zum Gebrauch überlassenen Gegenstandes, der speziell in § 135 Abs. 3 InsO geregelt ist.
b) Gleichgestellte Forderungen 25
Bei den einem Darlehen gleichgestellten Forderungen handelt es sich zunächst um Stundungs- und Fälligkeitsvereinbarungen.46 Auch die stille Einlage eines Gesellschafters ist als gleichgestellte Forderung anzusehen. Hierzu ist die Entscheidung des BGH vom 28.6.201247 zu beachten. Nach Ansicht des BGH steht der atypisch stille Gesellschafter einer GmbH & Co. KG mit seinen Ansprüchen wirtschaftlich dem Gläubiger eines Gesellschafterdarlehens insolvenzrechtlich gleich, wenn in einer Gesamtbetrachtung seine Rechtsposition nach dem Beteiligungsvertrag der eines Kommanditisten im Innenverhältnis weitgehend angenähert ist. Auch die Rechtshandlung einer Bank kann im Einzelfall einem Gesellschafterdarlehen i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO entsprechen, sofern die Gesamtwürdigung zu einer einem Gesellschafter vergleichbaren Stellung führt.48 Der Nachrang von Ansprüchen des atypisch stillen Gesellschafters in der Insolvenz einer GmbH & Co. KG als Geschäftsinhaberin kann jedenfalls dann eintreten,49 wenn – im Innenverhältnis das Vermögen der Geschäftsinhaberin und die Einlage des Stillen als gemeinschaftliches Vermögen behandelt werden, – die Gewinnermittlung wie bei einem Kommanditisten stattfindet, – die Mitwirkungsrechte des Stillen in der KG der Beschlusskompetenz eines Kommanditisten in Grundlagenangelegenheiten zumindest in ihrer schuldrechtlichen Wirkung nahekommen und – die Informations- und Kontrollrechte des Stillen denen eines Kommanditisten nachgebildet sind. 43 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 57; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 39 Rz. 33; Kleindiek in HK/InsO, § 39 Rz. 35; Altmeppen, ZIP 2013, 1745, 1748. 44 BGH v. 15.11.2011 – II ZR 6/11, MDR 2012, 169 = NZI 2012, 199: Der Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters ist im Insolvenzverfahren allenfalls dann als nachrangig zu behandeln, wenn er im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag ausgeschieden ist. 45 Spliedt, ZIP 2009, 149, 156; Bork, ZGR 2007, 250, 256; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 39 Rz. 38; abw. Marotzke, ZinsO 2008, 1281, 1284 ff. 46 BGH v. 16.6.1997 – II ZR 154/96, NJW 1997, 3026; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150; Kleindiek in HK/ InsO, § 39 Rz. 38. 47 BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 191/11, NZI 2012, 860, hierzu Haas/Vogel, NZI 2012, 875. 48 BGH v. 25.6.2020 – IX ZR 243/18, MDR 2020, 1533 = BKR 2020, 643; vertiefend hierzu Wiehe, BKR 2020, 636 (640). 49 Kleindiek in HK/InsO, § 39 Rz. 51.
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III. Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren | Rz. 30 § 7
Als wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderungen zählen ferner insbesondere:
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– die Stundung der Abfindungsforderungen eines ausgeschiedenen Gesellschafters;50 – der Erwerb gestundeter Forderungen Dritter gegen die Gesellschaft;51 – ein nur für den Krisenfall gegebenes selbstständiges Schuldversprechen;52 – eine („harte“) Patronatserklärung;53 – das unechte Factoring.54 In seinem Urteil vom 17.2.201155 hat der BGH ferner entschieden, dass die Forderung aus der Rechtshandlung eines Dritten nicht schon deshalb einem Gesellschafterdarlehen entspricht, weil es sich bei dem Dritten um eine nahestehende Person i.S.d. § 138 InsO handelt, und dass wenn eine nahestehende Person (§ 138 InsO) dem Schuldner ein ungesichertes Darlehen gewährt, dies keinen ersten Anschein für eine wirtschaftliche Gleichstellung mit einem Gesellschafterdarlehen begründet. Es müssen vielmehr weitere Gesichtspunkte vorgetragen und bewiesen werden, wie insbesondere die wirtschaftliche Herkunft der Mittel aus dem Vermögen des Gesellschafters. Dies sollte die Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters deutlich erschweren.56
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Im Rahmen des SanInsFoG57 hat der Gesetzgeber § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO durch den neu angefügten § 39 Abs. 1 S. 2 InsO eingeschränkt. Hiernach ist § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht anzuwenden, wenn eine staatliche Förderbank oder eines ihrer Tochterunternehmen, an dem die staatliche Förderbank oder eines ihrer Tochterunternehmen beteiligt ist, ein Darlehen gewährt oder eine andere einer Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung vorgenommen hat.
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2. Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg a) Sanierungsprivileg Ein sog. Sanierungsprivileg ist in § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO vorgesehen. Nach dieser Vorschrift kommt, wenn ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer Sanierung erwirbt, der Nachrang gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf die Forderungen dieses Gläubigers aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht zur Anwendung.
29
b) Kleinbeteiligungsprivileg Parallel zum Sanierungsprivileg regelt § 39 Abs. 5 InsO das Kleinbeteiligungsprivileg, wonach die Anwendung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft, der mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt ist, ausgeschlossen ist. Diese nunmehr
50 51 52 53 54 55 56 57
Philippi, BB 2002, 841, 843. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 39 Rz. 38. BGH v. 9.3.1992 – II ZR 168/91, MDR 1992, 1040 = NJW 1992, 1763. OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102. OLG Köln v. 25.7.1986 – 22 U 311/85, ZIP 1986, 1585, 1587. BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 131/10, MDR 2011, 568 = NZI 2011, 257; hierzu Keller, GWR 2011, 171. Keller, GWR 2011, 171. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I 3256.
Riedemann | 565
30
§ 7 Rz. 30 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung rechtsformneutrale Regelung gilt auch für die AG und orientiert sich dabei nicht an der bisherigen Rechtsprechung,58 sondern übernimmt auch die 10 %-Grenze.59
IV. Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen 1. Insolvenzanfechtungsreform 2017 31
Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz v. 29.3.2017 wurde die Insolvenzanfechtung umfassend reformiert. Der Reform war ein umfangreiches (öffentliches) Lobbying durch Interessenvertreter vorausgegangen, um die Möglichkeiten der Insolvenzanfechtung einzuschränken.
32
Nach Art. 4 des Gesetzes vom 29.3.2017 traten die Regelungen am Tag nach der Verkündung am 4.4.2017, mithin am 5.4.2017 in Kraft.60 Die Überleitungsvorschrift ist in Art. 103j EGInsO geregelt. Nach Art. 103j Abs. 1 EGInsO finden auf Insolvenzverfahren, die vor dem 5.4.2017 eröffnet worden sind, die bis dahin geltenden Vorschriften weiter Anwendung. Eine Ausnahme hiervon normiert Art. 103j Abs. 2 EGInsO für Ansprüche auf Zinsen und Herausgabe auf Nutzungen, auf die unabhängig vom Datum der Insolvenzeröffnung die jeweils geltende Fassung für den jeweiligen Zeitraum anzuwenden sind.
2. Anfechtbare Rechtshandlungen 33
Der Hauptanfechtungstatbestand des Eigenkapitalersatzrechts ist in § 135 Abs. 1 InsO geregelt. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen alle Rechtshandlungen der Insolvenzanfechtung, die für Darlehensforderungen aus einem Gesellschafterdarlehen oder für gleichgestellte Forderungen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO Befriedigung gewährt haben, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder nach dem Antrag) vorgenommen wurde. Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Rechtshandlungen dann anfechtbar, mit denen Sicherung für solche Forderungen gewährt wurde, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor Antragstellung (oder danach) vorgenommen wurde. Die Fristen entsprechen dem schon vor dem MoMiG geltenden Recht.
34
Anfechtbar nach § 135 Abs. 1 InsO sind nur die Forderungen eines Gesellschafters oder gleichgestellte Forderungen. Drittforderungen können hingegen über § 135 Abs. 2 InsO angefochten werden. Das Tatbestandsmerkmal „kapitalersetzend“, wie aus der früheren Fassung des § 135 InsO bekannt, ist nicht mehr erforderlich. Vielmehr sind sämtliche Sicherungen und Leistungen an die Gesellschafter innerhalb der Fristen anfechtbar, egal ob sie im konkreten Fall eigenkapitalersetzend waren oder nicht.61
35
Hinsichtlich der Darlehensforderung eines Gesellschafters entspricht § 135 Abs. 1 InsO dem Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO, so dass auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann (s. Rz. 22 ff.). Dies gilt auch für die gleichgestellten Forderungen.
36
In diesem Kontext kann auf die Entscheidung des BGH vom 21.2.201362 verwiesen werden. In dieser Entscheidung ging es um die Abtretung einer als Gesellschafterdarlehen zu qualifizierenden Forde-
58 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, MDR 1984, 736 = NJW 1984, 1893. 59 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 57; Klaahsen in KölnerKomm, InsO, § 135 Rz. 60. 60 Vgl. Art. 4 des Gesetzes v. 29.3.2017 i.V.m. BGBl. 2017 I, S. 654. 61 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 57; Kleindiek in HK/InsO, § 135 Rz. 15. 62 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, MDR 2013, 1132 = NZI 2013, 308; hierzu Lang, GWR 2013, 168; ablehnend Reinhard/Schützler, ZIP 2013, 1898, 1904.
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IV. Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen | Rz. 41 § 7
rung zur Beseitigung des Anfechtungsrisikos. Nach Ansicht des BGH unterliegt nach Insolvenzeröffnung neben dem Zessionar auch der Gesellschafter der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO, wenn die Darlehensforderung binnen eines Jahres vor Antragstellung abgetreten und von der Gesellschaft gegenüber dem Zessionar getilgt wurde. Der BGH hatte bereits in seinem Urteil vom 15.11.201163 entschieden, dass aufgrund der Jahresfrist in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Forderung des Zessionars allenfalls dann als nachrangig zu behandeln ist, wenn die Abtretung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag stattgefunden hat. Durch den Verweis in § 135 Abs. 4 InsO auf § 39 Abs. 4 und 5 InsO sind sowohl das Sanierungsprivileg als auch das Kleinbeteiligungsprivileg anwendbar (s. Rz. 29 f.).
37
Wo es gelungen ist, die Jahresfrist aus § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bis zur Stellung des Insolvenzantrags zu überstehen, kann Anfechtbarkeit auf anderer Grundlage (mit längeren Fristen) gegeben sein, insbesondere nach § 133 InsO (Vorsatzanfechtung). Insoweit hat § 135 Abs. 1 InsO keine Sperrwirkung (ausführlich dazu s. Rz. 54 f.).64
38
3. Gläubigerbenachteiligung Wie bei allen Anfechtungstatbeständen muss eine Gläubigerbenachteiligung vorliegen. Dies resultiert aus § 129 Abs. 1 InsO.65 In dem Fall, dass der betroffene Gläubiger besichert war, kann unter Umständen die Gläubigerbenachteiligung entfallen. Die Sicherungsgewährung kann aber nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO angefochten werden.66 Dabei ist eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung durch die erfolgte Rechtshandlung für eine Anfechtung nach § 135 InsO ausreichend.67
39
4. Frist Die einjährige bzw. zehnjährige Anfechtungsfrist ist nach § 139 InsO zu berechnen, wobei für den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung § 140 InsO hinzuziehen ist.
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Checkliste Tatbestandsvoraussetzungen des § 135 Abs. 1 InsO:
& Anfechtbare Rechtshandlung: Befriedigung einer Darlehensforderung oder Gewährung einer Sicherung. & Gläubigerbenachteiligung. & Frist: Für Befriedigung ein Jahr vor Antragstellung, für die Gewährung einer Sicherung zehn Jahre vor
Antragstellung.
& Kein Sanierungs- oder Kleinbeteiligungsprivileg.
5. Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens In § 135 Abs. 2 InsO wird der bis dahin in § 32b GmbHG enthaltene Anfechtungstatbestand in rechtsformneutraler Form übernommen.68 Hiernach ist eine Rechtshandlung anfechtbar, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO genannten Fristen (ein Jahr oder 10 Jahre) Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hat oder als Bürge haftete. Trotz der etwas ungünstigen Formulierung richtet sich die Anfechtung nicht gegen den Drittgläubiger, sondern
63 BGH v. 15.11.2011 – II ZR 6/11, MDR 2012, 169 = NZI 2012, 199. 64 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, MDR 2013, 1190 = NZI 2013, 742 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anhang § 64 GmbHG Rz. 108. 65 Klaahsen in KölnerKomm, InsO, § 135 Rz. 55; Kleindiek in HK/InsO, § 135 Rz. 21. 66 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 135 Rz. 10. 67 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, MDR 2013, 1190 = NZI 2013, 742; Gehrlein in MünchKomm/InsO, § 135 Rz. 17; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 135 Rz. 10. 68 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, 57.
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41
§ 7 Rz. 41 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung gegen den Gesellschafter, wie sich aus § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO ergibt.69 Hiernach hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hat oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. Dabei besteht nach Satz 2 die Verpflichtung nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. 42
In Bezug auf § 135 Abs. 2 InsO ist ferner auf das Urteil des OLG Stuttgart vom 14.3.201270 hinzuweisen. Der Geschäftsführer und Gesellschafter der Schuldnerin hatte sich für die Gesellschaft gegenüber einer Bank verbürgt. Parallel hierzu hatte sich die Bank durch eine Globalzession und eine Sicherungsübereignung von Vermögensgegenständen der Gesellschaft gesichert. Nach Inanspruchnahme der Gesellschaftssicherheit wurde der Gesellschafter vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen. Allerdings hatte die Bank nach einer Teilzahlung auf die restliche Bürgschaftsschuld verzichtet. Fraglich war somit, ob das Freiwerden von Sicherheiten eines Gesellschafters auch bei einem Verzicht des Gläubigers auf Inanspruchnahme anfechtbar ist. Nach Ansicht des OLG Stuttgart, basierend auf der Entscheidung des BGH vom 1.12.2011,71 besteht ein Anspruch aus §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO gegen den Gesellschafter auch dann, wenn der Gläubiger in Absprache mit dem Gesellschafter vor Rückführung der Gesellschaftsschuld durch die Insolvenzschuldnerin innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzeröffnungsantrag oder nach diesem Antrag auf die weitere Inanspruchnahme des Gesellschafters aus der Gesellschaftersicherheit verzichtet hat.
6. Konkurrenz mit anderen Anfechtungstatbeständen 43
Die Anfechtungstatbestände in § 135 Abs. 1 und 2 InsO konkurrieren mit den anderen Anfechtungstatbeständen.72
a) Konkurrenz mit § 133 InsO 44
Die Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens nach § 135 Abs. 2 InsO konkurriert insbesondere mit der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 4 InsO, wonach ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden, innerhalb einer Frist von vier Jahren anfechtbar ist. Zu den nahestehenden Personen zählen nach § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch Gesellschafter, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. § 135 Abs. 2 InsO schließt nicht die Anfechtung nach § 133 InsO aus, sofern dessen Voraussetzungen auch erfüllt sind.73 Die vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung sowie die Kenntnis davon sollten gerade bei Gesellschaftern regelmäßig nachzuweisen sein.74
45
Somit kann es für den Insolvenzverwalter von Vorteil sein, die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO statt nach § 135 Abs. 2 InsO durchzuführen, aufgrund der im ersten Fall längeren Frist von vier Jahren.
69 Klaahsen in KölnerKomm, InsO, § 135 Rz. 69. 70 OLG Stuttgart v. 14.3.2012 – 14 U 28/11, BB 2012, 1434 = ZInsO 2012, 885; hierzu Schneider, GWR 2012, 160. 71 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, MDR 2012, 122 = NZI 2012, 19 = GmbHR 2012, 86 = NZG 2012, 35; hierzu Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106. 72 Prosteder/Dachner in Fridgen/Geiwitz/Göpfert, InsO, § 135 Rz. 87. 73 Klaahsen in KölnerKomm, InsO, § 135 Rz. 120. 74 Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 327; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 135 Rz. 6.
568 | Riedemann
IV. Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen | Rz. 50 § 7
b) Konkurrenz mit §§ 130, 131 InsO Nach überwiegender Meinung verdrängt die Anfechtung gem. § 135 Abs. 2 InsO die Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131.75
46
Die folgende Tabelle fasst das Konkurrenzverhältnis des § 135 InsO zu den anderen Anfechtungstatbeständen zusammen: §§ 130, 131 InsO
§ 133 Abs. 4 InsO
§ 135 Abs. 1 InsO
werden verdrängt
parallel anwendbar
§ 135 Abs. 2 InsO
werden verdrängt
parallel anwendbar
§ 135 Abs. 3 InsO
parallel anwendbar
parallel anwendbar
7. Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz a) Allgemeines Die neuen Vorschriften zur Behandlung von Gesellschafterdarlehen (und wirtschaftlich entsprechenden Forderungen) im eröffneten Insolvenzverfahren werden durch die Anfechtungstatbestände des Anfechtungsgesetzes (§§ 6, 6a, 11 AnfG) ergänzt, die angesichts der nicht seltenen Fälle masseloser Insolvenzen von erheblicher Bedeutung sind.76 Im Zuge des MoMiG sind die Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes besser an §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO angepasst und dabei um eine bislang fehlende Vorschrift zur Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Drittdarlehens ergänzt worden (§ 6a AnfG).
47
§ 6 AnfG entspricht nunmehr § 135 Abs. 1 InsO und zielt ebenfalls auf den Schutz der Gläubiger vor einer Reduzierung des Gesellschaftsvermögens aufgrund von Zahlungen an die Gesellschafter ab. Nach § 6 AnfG ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Sicherung oder Befriedigung gewährt hat. Im Falle einer Sicherung besteht eine zehnjährige Anfechtungsfrist vor Erlangung des vollstreckbaren Schuldtitels oder danach, während die Befriedigung im letzten Jahr vor Erlangung des Titels oder danach stattgefunden haben soll.
48
Somit wurden die Anfechtungsfristen nach § 6 AnfG durch Vorverlagerung des Zeitpunktes von dem an sich die Rückberechnung bemisst, verlängert: Das Gesetz stellt nun (statt auf die Geltendmachung der Anfechtung) auf die Erlangung eines vollstreckbaren Schuldtitels bzw. – wenn zuvor der Insolvenzeröffnungsantrag mangels Masse abgelehnt worden ist – auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab. § 6 AnfG ist nur solange anwendbar, bis ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird. Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft greift § 135 Abs. 1 InsO.77
49
Allerdings ist nach § 6 Abs. 2 AnfG die Anfechtung ausgeschlossen, wenn nach dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger den vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat, drei Jahre verstrichen sind, bzw., wenn die Handlung später vorgenommen wurde, drei Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem die Handlung vorgenommen worden ist.
50
75 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 135 Rz. 6; Henckel in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 813, 822; Noack in Kübler/Prütting, Sonderband I Gesellschaftsrecht, Rz. 219; a.A. Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 327. 76 Gehrlein in MünchKomm/InsO, § 135 Rz. 4. 77 § 6 AnfG ist auch anwendbar, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt wird, Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, Anhang nach § 64 Rz. 27.
Riedemann | 569
§ 7 Rz. 51 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung 51
Der mit dem MoMiG eingeführte § 6a AnfG entspricht § 135 Abs. 2 InsO. Hiernach ist eine Rechtshandlung anfechtbar, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AnfG genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hat oder als Bürge haftete. Durch einen Verweis auf § 39 Abs. 4 und 5 InsO in § 6a Satz 2 AnfG gelten auch hier das Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg (s. Rz. 29 f.).
b) Konkurrenz 52
§ 6 AnfG schließt die Anwendung anderer Anfechtungstatbestände nach dem Anfechtungsgesetz nicht aus, wie z.B. § 3 AnfG. Insbesondere die Anfechtung nach § 3 Abs. 4 AnfG von Verträgen mit nahestehenden Personen, welche die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, bleibt ebenfalls anwendbar, weil die subjektiven Voraussetzungen strenger sind.78
V. Anfechtbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen 1. Allgemein 53
Der § 135 Abs. 1 InsO wurde durch das zum 1.11.2008 in Kraft getretene MoMiG an das neue Konzept der Gesellschafterfremdfinanzierung angepasst, womit das frühere Eigenkapitalersatzrecht substituiert wurde. Die Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO enthalten die Fälle der Gewährung einer Sicherheit (Nr. 1) und die Gewährung einer Befriedigung (Nr. 2) von Forderungen nach der Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Dies umfasst Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens sowie von Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich gleichstehen.
2. Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO 54
Zum systematischen Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO hat sich der BGH79 gegen eine Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgesprochen, da eine bestellte Sicherheit innerhalb der nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO festgelegten Zehnjahresfrist verwertet wurde.
55
Der Gesellschafter ist der Insolvenzanfechtung nur dann nicht ausgesetzt, wenn das Darlehen außerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO zurückgezahlt wird. Dementgegen ging die allgemeine Ansicht im Schrifttum80 bisher von einer Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO für den Anfechtungsanspruch nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO aus und damit auch von einer insolvenzfesten Befriedigung des Gesellschafters durch Verwertung einer bestellten Sicherheit. So hätte sich der Gesellschafter im entschiedenen Fall des BGH insolvenzfest aus der Masse befrieden können, da eine Befriedigung nicht innerhalb der kritischen Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgt wäre. Der BGH leitete diese Entscheidung im Wesentlichen aus dem Grundsatz der Selbständigkeit der Anfechtungstatbestände81 ab. Zudem würde der durch Gesellschaftsvermögen gesicherte darlehnsgewährende Gesellschafter bei Wahrnehmung der Geschäftsführung zur „Eingehung unangemessener, wenn nicht gar
78 Mit diesem Ergebnis in Bezug auf das Verhältnis zwischen § 135 und § 133 InsO: Haas in Baumbach/ Hueck, GmbHG, Anhang nach § 64 Rz. 111; Bormann, DB 2006, 2616, 2617 f.; Hirte, ZInsO 2008, 689, 696; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 327; Haas, ZIP 2006, 1373, 1375. 79 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, MDR 2013, 1190 = NZI 2013, 742 mit Anm. Thole. 80 Altmeppen, ZIP 2013, 1745; Bitter, ZIP 2013, 1497 ff.; Spliedt, ZIP 2009, 149, 153; Schall, ZGR 2009, 126, 144. 81 BGH. v. 18.7.2013 – ZR 219/11, NZI 2013, 742 Rz. 13.
570 | Riedemann
V. Anfechtbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen | Rz. 57 § 7
unverantwortlicher“ Risiken zum Nachteil ungesicherter Gläubiger veranlasst und dies sei deshalb „mit einer ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung nicht vereinbar“.82 Diese Entscheidung wurde im Schrifttum kontrovers aufgenommen.83 Die Gegenstimmen beabsichtigen bestellte Sicherheiten bei Gewährung des Darlehens von der Insolvenzanfechtung auszunehmen.84 Dementgegen wird teilweise aus dem Nachrang der gesicherten Forderung gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO der Schluss gezogen, dass eine Durchsetzbarkeit der für Gesellschafterdarlehen bestellte Sicherheiten ausgeschlossen sei.85 Überzeugend ist jedoch der Verweis auf den konzeptionellen Zusammenhang der Anfechtungstatbeständen des § 135 InsO, die den Zweck der flankierenden Absicherung der Subordination von Gesellschafterdarlehen (oder wirtschaftlich entsprechenden Forderungen) nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gewährleisten.86
56
3. Aus-/Absonderungsrechte für besicherte Gesellschafterdarlehen Neben der Frage, ob sich Rückschlüsse aus dem Nachrang der Forderung aus einem besicherten Gesellschafterdarlehen für die Durchsetzbarkeit selbiger ziehen lassen, ist es ebenso umstritten, ob der Gesellschafter trotz des Nachrangs der Forderung ein Absonderungsrecht durch die bestellte Sicherheit geltend machen kann. Nach der Ansicht von Bitter87 ergibt sich aus dem Nachrang gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO lediglich eine Verteilungsregel, denn grundsätzlich nimmt auch die nachrangige Forderung am Insolvenzverfahren teil – sofern vom Gericht angeordnet –, so dass im Rahmen dieser Regelung keine Aussage dahingehend getroffen wird, ob die Forderung überhaupt nicht berücksichtigt wird oder durchsetzbar sei.88 Dementgegen wird eine echte Durchsetzungssperre zu Lasten des Gesellschafters vertreten; begründet wird dies mit der Finanz- und Finanzierungsverfassung einer Gesellschaft in haftungsbeschränkter Rechtsform.89 Des Weiteren entspricht es auch der gesetzgeberischen Wertung in Anbetracht der Anfechtungsnorm des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass ein Gesellschafterdarlehen nicht besichert werden kann, vielmehr schlage die Subordination des Darlehens auf die Besicherung durch.90 Dies überzeugt, denn ein Gesellschafter, der in der Insolvenz aus noch vorhandenen Gesellschaftsvermögen Befriedigung nur im Nachrang erfährt, soll sich nicht vorrangig aus einer Sicherheit befriedigen können, die ihm aus dem Gesellschaftsvermögen innerhalb von 10 Jahren seit dem Antrag gewährt worden war.91
82 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, MDR 2013, 1190 = NZI 2013, 742 Rz. 19 in Anschluss an Engert, ZGR 2004, 813, 831. 83 Befürwortend Bork, EWiR 2013, 521 f.; Altmeppen, ZIP 2013, 1745, 1752; Hölzle, 1992, 1994, 1997, der sich insbesondere im Rahmen der BGH-Entscheidung auf die Aufrechterhaltung des Schutzstandards des vorher geltenden Eigenkapitalersatzrechts stützt. 84 Mylich, ZIP 2013, 2444, 2450; mangels Gläubigerbenachteiligung auch bei nachträglicher Sicherheitenbestellung unanfechtbar Marotzke, ZinsO 2013, 641 (650, 655 ff.); mit Verweis auf das Privileg des Bargeschäftes des § 142 InsO für anfänglich bestellte Sicherheiten Bitter, ZIP 2013, 1497 (1506 f.). 85 Altmeppen, ZIP 2013, 1745, 1751; Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1995 f.; Schönfelder, WM 2009, 1401, 1402; ablehnend Thole, NZI 2013, 745 f.; Bitter, ZIP 2013, 1998, 2000, da § 39 InsO eine insolvenzrechtliche Verteilungsregel darstellt, die für die Durchsetzbarkeit solcher Sicherheiten irrelevant ist. 86 Ausführlich dazu Kleindiek in HK/InsO, § 135 Rz. 13–15. 87 Bitter, ZIP 2013, 1497, 1502. 88 Bitter, ZIP 2013, 1497, 1502, da das Sicherungsbedürfnis größer ist als bei einfachen Insolvenzforderungen; ebenso Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 557; Marotzke, ZinsO 2013, 641, 649, da die abgesonderte Befriedigung ein auf einem Massegegenstand lastendes dingliches Recht betreffe. 89 Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1996, 1997, bezieht sich dabei auf Röhricht in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 99 ff. und damit ein Absonderungsrecht auch außerhalb der Zehnjahresfrist verneint. 90 Altmeppen, ZIP 2013, 1745, 1750. 91 Kleindiek in HK/InsO, § 135 Rz. 14.
Riedemann | 571
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§ 7 Rz. 58 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung 58
Jedoch – insoweit herrscht weitgehend Einigkeit – ist eine bestellte Sicherheit außerhalb des Zehnjahreszeitraums insolvenzfest. Dies ergibt sich zwingend aus § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO.92
59
Hinsichtlich möglicher Absonderungsrechte enthält § 135 Abs. 3 InsO spezielle Einschränkungen (s. Rz. 60).
VI. Nutzungsüberlassung durch einen Gesellschafter 1. Aussonderungssperre 60
Nach § 135 Abs. 3 Satz 1 InsO kann der Aussonderungsanspruch des Gesellschafters maximal für ein Jahr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht geltend gemacht werden, wenn der zur Nutzung überlassene Gegenstand für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von erheblicher Bedeutung ist. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um einen Anfechtungstatbestand.93 Die systematische Stellung in § 135 InsO erklärt sich aus Umständen des Gesetzgebungsverfahrens.
61
Mit dieser einjährigen Aussonderungssperre zu Lasten des Gesellschafters soll sichergestellt werden, dass die Fortführung des Unternehmens durch den Entzug wesentlicher Gegenstände nicht gefährdet wird.
62
Der Grund für diese Regelung besteht in dem Wegfall des Merkmals „kapitalersetzend“ in § 135 Abs. 1 InsO, weil hierdurch auch die Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zur eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung entfallen ist. Nach der Gesetzesbegründung bestehe ansonsten die Gefahr, dass dem Unternehmen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die für eine Betriebsfortführung notwendigen Gegenstände, d.h. bewegliche und unbewegliche Sachen sowie Rechte, nicht mehr zur Verfügung stehen.94 Könnte der Gesellschafter auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Gebrauch überlassene Gegenstände jederzeit zurückverlangen, so würde dies gegen seine Treuepflicht, alles zu unterlassen, was der Gesellschaft nachhaltig schädigen könnte, verstoßen.95
2. Ausgleichsanspruch 63
Gemäß § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO gebührt für den Gebrauch oder die Ausübung (gemeint ist wohl die Ausübung von Rechten)96 des Gegenstandes dem Gesellschafter ein Ausgleich. Bei der Berechnung ist der Durchschnitt der im letzten Jahr vor Verfahrenseröffnung geleisteten Vergütung in Ansatz zu bringen, während bei kürzerer Dauer der Überlassung der Durchschnitt während dieses Zeitraums maßgebend ist. Der Ausgleichsanspruch des Gesellschafters stellt eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar.97
64
Da auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgestellt wird, könnte im Fall eines vorläufigen Insolvenzverfahrens der Ausgleichanspruch des Gesellschafters stark reduziert werden, sollte der vorläufige Verwalter die Zahlung des Nutzungsentgelts einstellen.98
92 So auch Kleindiek in HK/InsO, § 135 Rz. 12; übereinstimmend dazu auch Bitter, ZIP 2013, 1998, 1999 f.; Marotzke, ZinsO 2013, 641, 650; Spliedt, ZIP 2009, 149, 153; a.A. Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1997. 93 Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1283; K. Schmidt, DB 2008, 1727, 1732. 94 Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, 59. 95 Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, 59. 96 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 135 Rz. 23. 97 Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, 59. 98 Schäfer, Insolvenzanfechtung, Rz. 1074.
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VII. Gesicherte Gesellschafterdarlehen | Rz. 70 § 7
§ 135 Abs. 4 InsO verweist auf § 39 Abs. 4 und 5 InsO, was einen Gleichlauf mit den Regelungen zum Gesellschafterdarlehen in Bezug auf das Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg sicherstellt.99
65
3. Konkurrenz § 135 Abs. 3 InsO stellt nach herrschender Meinung keinen Insolvenztatbestand dar,100 so dass alle anderen Anfechtungstatbestände parallel anwendbar sind.
66
VII. Gesicherte Gesellschafterdarlehen 1. Allgemeines Nach wirtschaftlichen Aspekten ist kein Unterschied, zwischen dem gewährten Kredit des Gesellschafters und der gewährten Sicherheit durch den Gesellschafter für den Kredit eines außenstehenden Dritten festzustellen.101 Demnach ordnet § 44a InsO für einen Gläubiger die Möglichkeit an, nach Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung, für die ein Gesellschafter eine Sicherheit102 bestellt oder für die er sich verbürgt hat, nur anteilsmäßige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen zu können, soweit er bei der Inanspruchnahme der Sicherheit oder des Bürgen ausgefallen ist. In diesem Fall steht dem Gesellschafter der Gesellschaft gegenüber ein Erstattungsanspruch zu, wobei es sich nur um eine nachrangige Insolvenzforderung entsprechend § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO handelt.103 Der MoMiG-Gesetzgeber hat auch hier die alten gesetzlichen Regelungen (§§ 32a Abs. 2, 32b GmbHG a.F.) in die InsO ohne das Tatbestandsmerkmal der Krisenfinanzierung übertragen, so dass es sich bei § 44a InsO um die rechtsformneutrale Übernahme des § 32a Abs. 2 GmbHG a.F. handelt.
67
2. Doppelsicherung durch Gesellschaft und Gesellschafter Unter Doppelbesicherung ist die Konstellation zu verstehen, in der sowohl die Gesellschaft als auch der Gesellschafter dem Drittgläubiger Sicherheiten gestellt haben, die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch bestehen. Umstritten war insbesondere, ob der Insolvenzverwalter nach § 44a InsO verpflichtet ist, zunächst Befriedigung aus der Gesellschaftersicherheit zu suchen, oder ob ihm insoweit ein Wahlrecht zusteht.
68
In seiner Grundsatzentscheidung vom 1.12.2011104 bejaht der BGH einen Erstattungsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber dem Gesellschafter, wenn die am Gesellschaftsvermögen und am Vermögen eines Gesellschafters gesicherte Forderung eines Darlehensgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt wird. Dieser Anspruch beruht auf einer analogen Anwendung des § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO.
69
Eine Einschränkung des Wahlrechts des Drittgläubigers darüber, welche der beiden Sicherheiten er vorrangig verwertet, durch eine entsprechende Anwendung des § 44a InsO kommt nach Ansicht des
70
99 Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, 59. 100 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, MDR 2012, 122 = NZI 2012, 19; K. Schmidt, DB 2008, 1727, 1734; Schäfer, NZI 2010, 505 ff.; Schäfer, Insolvenzanfechtung, Rz. 1076. 101 So auch Kleindiek in HK/InsO, § 44a Rz. 1. 102 Überblick zu den erfassten Sicherheiten Kleindiek in HK/InsO, § 44a Rz. 4 ff. 103 K. Schmidt, ZIP 1999, 1821, 1822 ff., 1828; K. Schmidt, BB 2008, 1966, 1968. 104 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, MDR 2012, 122 = NZI 2012, 19 = GmbHR 2012, 86 = NZG 2012, 35. Hierzu Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106.
Riedemann | 573
§ 7 Rz. 70 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung BGH nicht in Betracht.105 Um dies zu begründen, zieht er seine Rechtsprechung zu § 32a Abs. 2 GmbHG a.F. heran. Hiernach unterlag es der freien Entscheidung des Drittgläubigers, die Gesellschafts- oder die Gesellschaftersicherheit in Anspruch zu nehmen. Diese Gründe sollen auch nach dem MoMiG Bestand haben. 71
Zu erwähnen ist ferner die Entscheidung vom 12.7.2012,106 in welcher der BGH die Klage eines Gesellschafters auf Feststellung, einem Gesellschaftsgläubiger nicht persönlich für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft zu haften, als unzulässig abgewiesen hat, da über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
3. Verzichts- und Vergleichsbefugnis 72
Die Wirkungen des § 44a InsO stehen als gläubigerschützende Regelung107 nur eingeschränkt zur Disposition der beteiligten Parteien. Zu trennen ist insbesondere zwischen der Disposition vor und nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Hierzu im Einzelnen:
73
Vor Verfahrenseröffnung können die Rechtsfolgen des § 44a InsO nicht bereits vertraglich im Rahmen der Sicherheitenbestellung des Gesellschafters abbedungen werden.108 Außerhalb der für § 135 Abs. 2 InsO maßgeblichen Jahresfrist ist das Gesellschafterdarlehensrecht weder gegenüber dem besicherten Gläubiger noch gegenüber dem befreiten Gesellschafter anwendbar.109 Insoweit ist die Freigabe der Sicherheit, etwa durch Erlassvertrag, ohne Vorbehalte möglich. Innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO führt ein Verzicht auf die Sicherheit zu einem Anfechtungsanspruch gegenüber dem Gesellschafter nach §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO.110 Eine Ansicht beschränkt die Insolvenzmasse auf diesen Anspruch.111 Überzeugender ist die Anwendung von § 44a InsO als „materielle Beschränkung der Drittkreditgeberrechte“, die den Gläubiger auf seinen hypothetischen Ausfallbetrag begrenzt.112 Dies vermeidet missbräuchliche Gestaltungen und zusätzlich dürfte bei einem wirtschaftlich handelnden Gläubiger ein Verzicht regelmäßig nur bei keinem oder geringen Wert der Sicherheit ausgesprochen werden.113
74
Eine Sonderstellung vor der Insolvenzverfahrenseröffnung nehmen Dispositionen über Gesellschaftersicherheiten im Rahmen eines Restrukturierungsplans nach den §§ 2 ff. StaRUG ein. Diese sind grundsätzlich nach den §§ 89, 90 StaRUG haftungs- und anfechtungsrechtlich privilegiert.114 Allerdings enthält § 90 Abs. 1 StaRUG (hierzu sogleich unter Rz. 89 ff.) eine Ausnahme von der Privilegierung für Forderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und Sicherheitsleistungen, die nach § 135 InsO anfechtbar sind. Insoweit dürfte unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens dieser Ausnahme auch im StaRUG-Restrukturierungsplan innerhalb der Jahresfrist vor Insolvenzverfahrenseröffnung nur eine eingeschränkte Disposition über Gesellschaftersicherheiten möglich sein.
105 106 107 108 109 110 111 112 113 114
S. auch OLG Stuttgart v. 26.9.2012 – 9 U 65/12, ZInsO 2012, 2051; s. auch Göb, NZI 2013, 243. BGH v. 12.7.2012 – IX ZR 217/11, MDR 2012, 1115 = NZI 2012, 858; hierzu Göb, NZI 2013, 25. Mikolajczak, ZIP 2011, 1285, 1286. Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 16, 33. Ede, ZInsO 2012, 853, 859 f.; zust. Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 36. OLG Stuttgart v. 14.3.2012 – 14 U 28/11, ZIP 2012, 834, 837 f.; Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 36. Ede, ZInsO 2012, 853, 861. Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 36. Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106, 108. Vertiefend zu § 90 StaRUG s. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, § 90 Rz. 1 ff.
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VIII. Geschäftsführerhaftung für Zahlungen an Gesellschafter | Rz. 78 § 7
Nach Verfahrenseröffnung ist wie folgt zu differenzieren:
75
möglich,115
Ein einseitiger Verzicht des Gläubigers auf die Verwertung der Gesellschaftersicherheit ist jedoch werden die Wirkungen des § 44a InsO hiervon nicht berührt. Der Gläubiger kann in diesem Fall nach Freigabe der Gesellschaftersicherheit diese nicht mehr verwerten, muss sich bei der Verteilung den Wert, den er bei einer Verwertung realisiert hätte, jedoch anrechnen lassen.116 Auch der Inanspruchnahme des Gesellschafter-Bürgen steht ein Verzicht des Gläubigers nicht entgegen.117 Entgegen einer Ansicht118 folgt aus dem gläubigerschützenden Charakter von § 44a InsO nicht, dass der Insolvenzverwalter gehindert ist, mit dem betroffenen Gläubiger abweichende Abreden über die Wirkungen des § 44a InsO zu treffen. Wirksamkeitsgrenze eines solchen Vergleichs dürfte lediglich eine etwaig im Einzelfall vorliegende Insolvenzzweckwidrigkeit119 darstellen, die den Insolvenzverwalter – nicht anders als etwa bei einem Vergleich über einen (gesamtgläubigerschützenden) Insolvenzanfechtungsanspruch120 – an einer wirtschaftlich vertretbaren Entscheidung hindern könnte.121
76
Jedenfalls eine vergleichsweise Regelung im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens dürfte konsensfähig sein.122 Außerhalb eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft kann der Gläubiger gesellschafterbesicherter Forderungen die Gesellschaft unbeschränkt in Anspruch nehmen. In diesem Fall besteht jedoch die Möglichkeit, dass der insoweit aus seiner Sicherung frei gewordene Gesellschafter einer Einzelgläubigeranfechtung gem. § 6a AnfG ausgesetzt ist.123
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VIII. Geschäftsführerhaftung für Zahlungen an Gesellschafter Die Finanzierung durch Gesellschafter kann auch zu einer erhöhten Organhaftung führen. Durch das MoMiG wurde die Regelung des § 64 Satz 3 GmbHG eingeführt für Fälle von Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht erkennbar. Mit Wirkung zum 1.1.2021 wurde durch das SanInsFoG124 § 64 GmbHG aufgehoben und rechtsformneutral in § 15b InsO neugefasst.125 § 64 Satz 3 GmbHG a.F. wurde ohne inhaltliche Änderung in § 15b Abs. 5 InsO aufgenommen.126 Allerdings ist § 64 GmbHG a.F. weiterhin auf Altfälle anwendbar, weshalb dieser auch in naher Zukunft von Bedeutung sein wird.
115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126
Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 34; Bornemann in FK-InsO, § 44a Rz. 32. Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 35. OLG Düsseldorf v. 17.12.2015 – 12 U 13/15. Bornemann, FK-InsO, § 44a Rz. 32; Mikolajcza, ZIP 2011, 1285, 1286. Vertiefend zum Begriff und Inhalt der Insolvenzzweckwidrigkeit Smid in FS Pannen, S. 691. Vgl. zur diesbezüglichen Dispositionsbefugnis des Insolvenzverwalters u.a. Kayser/Freudenberg in MünchKomm/InsO, § 129 Rz. 223. So auch Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 39. Bitter in MünchKomm/InsO, § 44a Rz. 39; Bornemann in FK-InsO, § 44a Rz. 33; Bäuerle in Braun InsO, § 44a Rz. 1. Bornemann, FK-InsO, § 44a Rz. 35. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG v. 22.12.2020, BGBl. 2020 I, S. 3256. BT-Drucks. 19/24181, 193. BT-Drucks. 19/24181, 196.
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§ 7 Rz. 79 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung
1. Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG a.F. 79
Grund für die Haftung nach § 64 Satz 3 GmbHG a.F. ist die Beeinträchtigung der vorrangigen Befriedigung der Gläubiger.127 Auch wenn der Begriff der Zahlung weit zu fassen ist, soll nach der Gesetzesbegründung der Anwendungsbereich von § 64 Satz 3 GmbHG a.F. nur dann eröffnet sein, wenn eine sehr enge Kausalität zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit besteht.128 Verboten sind solche Zahlungen, die ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen. Es reicht bereits das Bestehen der Insolvenzlage aus, einer tatsächlichen Insolvenzeröffnung bedarf es für die Haftung nach § 64 Satz 3 GmbHG a.F. nicht.129
80
In seinem Urteil vom 18.11.2020130 hat der BGH klargestellt, dass der Ersatzanspruch gegen den Geschäftsführer nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. von einer D&O-Versicherung gedeckt ist. Mit Blick auf den Schutzzweck einer D&O-Versicherung, nämlich dem Schutz der Geschäftsleiter, wird auch ein Anspruch nach § 64 Satz 3 GmbHG a.F. vom Versicherungsschutz gedeckt sein. § 64 Satz 3 a.F. erfasst alle Zahlungen, die geeignet sind, die Liquidität der Gesellschaft zu beeinträchtigen.131 Hierunter fallen auch dem Gesellschafter geschuldete Zahlungen. Ein Kleinbeteiligungsprivileg besteht in diesem Zusammenhang nicht.132
81
Nach Ansicht des BGH133 ist eine fällige Forderung des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen, so dass die Rückzahlung des Darlehens nicht kausal für die bereits bestehende Zahlungsunfähigkeit sein kann.
82
Ferner steht nach Ansicht des BGH aus § 64 Satz 3 GmbHG dem Geschäftsführer ein Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn diese Zahlung die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen würde.
2. Geschäftsführerhaftung nach § 15b Abs. 5 InsO 83
Durch das SanInsFoG wurde § 64 GmbH a.F. aufgehoben und § 15b InsO mit Wirkung zum 1.1.2021 eingeführt. Aufgrund der rechtsformenneutralen Zusammenführung der gesellschaftsrechtlichen Normen in der Insolvenzordnung hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass für die Beurteilung des Zahlungsverbotes an die Insolvenzreife anzuknüpfen ist.134 Für die Haftung nach § 15b Abs. 5 InsO muss die getätigte Zahlung für die Zahlungsunfähigkeit zumindest konkret überwiegend wahrscheinlich sein. Eine abstrakte Geeignetheit ist hingegen für die Haftung nach § 15b Abs. 5 InsO nicht ausreichend.135 Darüber hinaus muss die Zahlungsunfähigkeit für den Geschäftsleiter im Zeitpunkt der Zahlung ex ante erkennbar gewesen sein. Liegt eine ordnungsgemäß erstellte Liquiditätsplanung vor, aus der hervorgeht, dass die Zahlung nicht zu einer Zahlungsunfähigkeit führen wird, scheidet eine Haftung nach § 15b Abs. 5 InsO aus.
127 Überwiegende Meinung s. Altmeppen in Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 76; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rz. 6 f.; Knof, DStR 2007, 1536, 1537. 128 BT-Drucks. 16/6140, 46. 129 K. Schmidt in Scholz, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz Rz. 11.162. 130 BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, ECLI:DE:BGH:2020:181120UIVZR217.19.0, MDR 2021, 36 = NZG 2021, 291. 131 Greulich/Rau, NZG 2008, 284, 287. 132 K. Schmidt in Scholz, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 11.160. 133 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, MDR 2013, 45 = NZI 2012, 1009; hierzu Haas, NZG 2013, 41; Brand, NZG 2012, 1374. 134 BT-Drucks. 19/24181, 193. 135 Knof, DStR 2007, 1536; Bitter/Bachnagel, ZInsO 2018, 557, 596.
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IX. Privilegierung nach § 90 StaRUG | Rz. 89 § 7
Auch weiterhin hat der Gesetzgeber an der Formulierung im Rahmen des § 15b Abs. 5 InsO daran festgehalten, dass dieser auf Genossenschaften nicht anwendbar ist, da das GenG keine Regelung zur Insolvenzverursachungshaftung enthält.136
84
3. Anwendungsbereich a) Zeitlicher Anwendungsbereich Mit Einführung des § 15b InsO zum 1.1.2021 und Streichung des § 64 GmbHG a.F. ursprünglich hatte der Gesetzgeber jedoch keine Übergangsregelung geschaffen. Damit diese fehlende Übergangsregelung nicht zu Haftungslücken der Geschäftsleiter für verbotene Zahlungen führt, musste eine entsprechende Regelung gefunden werden. Ohne eine entsprechende Übergangsregelung hätte dies zur Konsequenz, dass zum Zeitpunkt des 1.1.2021 anhängige und auf § 64 GmbHG a.F. gestützte Klagen für erledigt erklärt werden müssten, soweit die Klage nicht auf eine andere Haftungsnorm gestützt werden kann.
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Mit dem Gesetz vom 10.8.2021137 hat der Gesetzgeber den Art. 103m EGInsO um die Sätze 2 und 3 ergänzt und damit die Regelungslücke beseitigt. § 15b InsO in der Fassung des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes vom 22.12.2020138 ist demnach erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2020 vorgenommen worden sind. Auf Zahlungen, die vor dem 1.1.2021 vorgenommen worden sind, sind die bis zum 31.12.2020 geltenden gesetzlichen Vorschriften weiterhin anzuwenden.
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Darüber hinaus sollte Art. 103m EGInsO kraft Sachzusammenhangs nicht lediglich auf die Vorschriften der Insolvenzordnung beschränkt werden. Vielmehr ist § 64 GmbHG a.F. ebenfalls im insolvenzrechtlichen Kontext von Bedeutung, so dass die Vorschrift im direkten Zusammenhang mit Insolvenzverfahren und somit der Insolvenzordnung steht.139
87
b) Konkurrenzen zur Geschäftsführerhaftung § 64 Satz 3 GmbHG a.F. und § 15b Abs. 5 InsO sind vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Geschäftsleiter geltend zu machen, wobei im Rahmen des § 135 InsO Anfechtungsgegner der Gesellschafter als Zahlungsempfänger ist. Die Ansprüche stehen folglich nebeneinander und der Insolvenzverwalter kann sowohl den Geschäftsleiter als auch den Gesellschafter auf Zahlung in Anspruch nehmen. Hierbei sind diese Gesamtgläubiger i.S.d. §§ 426 ff. BGB, da beide Ansprüche auf das gleiche Interesse abstellen. Der Insolvenzverwalter kann die Zahlung im Ergebnis jedoch nur einmal verlangen. Hinsichtlich der Inanspruchnahme hat der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht.
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IX. Privilegierung nach § 90 StaRUG Der mit dem StaRUG neu geschaffene Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen hat als Kernelement den an das Insolvenzplanrecht angelehnten Restrukturierungsplan, vgl. §§ 2 ff. StaRUG. Für eine erfolgreiche Restrukturierung muss sichergestellt werden, dass (Zwischen-)Finanzierungen von Haftungs- und Anfechtungsrisiken abgeschirmt werden.140
136 137 138 139 140
BT-Drucks. 19/24181, 196. Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) BGBl. 2021 I, S. 3436. BGBl. 2020 I, S. 3256. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, § 43 Rz. 108. So auch ausdrücklich Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 19/24181, 89, 181 unter Bezug auf Art. 17 Abs. 1, 3, Art. 18 Abs. 2 RL (EU) 2019/1023.
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§ 7 Rz. 90 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung 90
Diese Privilegierung hat der deutsche Gesetzgeber in § 90 StaRUG umgesetzt,141 der den Anfechtungsschutz des § 89 auf die in Erfüllung des Restrukturierungsplans vom Schuldner an Planbetroffene erbrachte Leistungen (Abs. 1) und Rechtsgestaltungen und -übertragungen (Abs. 2) erweitert.142 Die Zielsetzung der Privilegierung ergibt sich auch aus Erwgr. 66 RestruktRL.143 Nach diesem hängt der Erfolg eines Restrukturierungsplans häufig davon ab, ob dem Schuldner finanzielle Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Deshalb sollen Zwischenfinanzierungen und neue Finanzierungen von Insolvenzanfechtungsklagen nicht erfasst sein. In Art. 17 RestruktRL wird der Schutz für neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen dementsprechend für die nationalen Umsetzungsgesetzgeber vorgegeben.
91
Abs. 1 hat den Zweck, sicherzustellen, dass die Beteiligten grundsätzlich von der Stabilität des Plans und der in seinem Vollzug vorgenommenen Handlungen ausgehen dürfen.144 Abs. 1 schließt daher die Anfechtung der Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans aus. Die Vorschrift beruht auf Art. 18 Abs. 5 RestruktRL, der dem mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzgeber vorschreibt, den Vollzug des gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplans zu privilegieren (Art. 18.). Im Gegensatz zum Insolvenzplan knüpfen sich die Wirkungen nicht an die Rechtskraft, sondern bereits an die Planbestätigung.145
92
Erfasst wird die Gläubigeranfechtung nach dem AnfG als auch die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nach den §§ 129 ff. InsO in einem über das Vermögen des Schuldners nach Ende des Restrukturierungsverfahren eröffneten Insolvenzerfahrens. Weiter schließt Abs. 1 die Anfechtung solcher Rechtshandlungen aus, die im Vollzug eines solchen Plans erfolgen. In beiden Fällen ist die Anfechtung nach Abs. 1 aber zulässig, wenn die Bestätigung auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners erfolgte und dem anderen Teil dies bekannt war. Allerdings nimmt Abs. 1 Forderungen auf Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen ausdrücklich von der (anfechtungsrechtlichen) Privilegierung aus. Gleiches gilt für die Besicherung eines Gesellschafterdarlehens, § 135 InsO.
93
Die Ausnahme der Privilegierung folgt insoweit der Abstufung im Insolvenzverfahren. In dem über das Vermögen der schuldnerischen Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahren ist ein Gesellschafterdarlehen gegenüber nicht nachrangigen Insolvenzforderungen subordiniert: Als nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangige Forderungen146 sind alle Rechtshandlungen zu qualifizieren, die eine Darlehensgewährung des Gesellschafters darstellen (Stundungen von Forderungen, Fälligkeitsvereinbarungen in Austauschverträgen u. dgl. m.), gestundete Forderungen aus einer Nutzungsüberlassung (§ 135 Abs. 3 InsO) durch den Gesellschafter oder nicht durchgesetzte und somit gestundete Arbeitsentgeltansprüche des Arbeitnehmers, der zugleich Gesellschafter ist,147 sowie die Gewährung von Darlehen und Erbringung von Rechtshandlungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen, durch Dritte.148
141 Hierzu vertiefend auch Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG, § 90 Rz. 1 ff. 142 Zum Schutz von Sanierungsfinanzierungen und sonst. Transaktionen in der RestruktRL, Hoegen, NZI-Beilage 1/2017, 30, 32; Kayser, ZIP 2017, 1393, 1400; zur Anfechtung vgl. auch Thole, ZIP 2020, 1985. 143 Erwgr. 66 RL (EU) 2019/1023, ABl. (EU) L 172/30 v. 26.6.2019. 144 Amtl. Begr. zu § 97 Abs. 1 StaRUG-RegE a.E., BT-Drucks. 19/24181, 182. 145 Desch, BB 2020, 2498, 2505. 146 Bäuerle in Braun, InsO, § 39 Rz. 21. 147 BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, MDR 2014, 1272 = DZWiR 2014, 398 ff. 148 Bork, ZGR 2007, 250, 254.
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XI. Fazit | Rz. 98 § 7
Persönlich gleichgestellt149 sind grundsätzlich auch Darlehensforderungen von Unternehmen, die mit dem Gesellschafter horizontal oder vertikal verbunden sind.150 Die hälftige Beteiligung des Gesellschafters reicht grundsätzlich aus.151 Eine Abtretung des Gesellschafterdarlehens lässt den Nachrang nicht entfallen.152 § 404 BGB findet Anwendung, wenn – was hier nicht der Fall ist – ein Dritter die Darlehensforderung von einem Gesellschafter erwirbt.153 Bei der Kreditgewährung durch verbundene Unternehmen handelt es sich daher grundsätzlich um einen der Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter wirtschaftlich entsprechenden Tatbestand.154
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Daher ist im Allgemeinen nur ausnahmsweise die Forderung auf Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens Insolvenzforderung gem. § 38 InsO, wenn der Gläubiger sich auf das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 S. 2 InsO berufen kann.155 Dieses Sanierungsprivileg zugunsten des Darlehensgebers, der zum Zweck der Sanierung Geschäftsanteile erwirbt und dafür mit seinen Alt- und Neukrediten unterfiel, ist inhaltlich bereits aus dem aufgehobenen Eigenkapitalersatzrecht gem. § 32a Abs. 3 S. 3 GmbHG a.F. übernommen worden.156
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X. Privilegierte Kredite nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG Die Anfechtungsregelungen des § 135 InsO werden durch den § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG dahingehend eingeschränkt, dass im Aussetzungszeitraum der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG gewährte Kredite und die Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung dieser Kredite im späteren Insolvenzverfahren über das Vermögen des Kreditnehmers, die bis zum 30.9.2023 beantragt wurden, von der Insolvenzanfechtung unter Umständen nicht erfasst sind. Im Rahmen der Anfechtung fehlt es gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 an der Gläubigerbenachteiligung.157
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Zudem gelten für solche Kredite im späteren Insolvenzverfahren §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 44a InsO nicht.158 Hierbei muss es sich um neue Kredite handeln.159 Stundungen und die bloße Novation oder Prolongation des Darlehens sind nicht von der Privilegierung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG erfasst.160 Gemäß § 2 Abs. 2 COVInsAG gilt die Privilegierung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG auch für Unternehmen, die einer Antragspflicht nicht unterliegen bzw. zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind.
97
XI. Fazit Durch das Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 hat das Eigenkapitalersatzrecht tiefe Änderungen erfahren. Zahlreiche Entscheidungen haben in den letzten Jahren die Konturen der neuen Rechtslage
149 150 151 152 153 154 155 156 157 158
Bäuerle in Braun, InsO, § 39 Rz. 21. BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, MDR 2013, 1132 = NZI 2013, 308 m. Anm. Jungclaus. BGH v. 19.4.1999 – II ZR 16/98, NJW 1999, 2596. OLG Stuttgart v. 8.2.2012 – 14 U 27/11, NZI 2012, 324. OLG Stuttgart v. 8.2.2012 – 14 U 27/11, NZI 2012, 324. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 39 Rz. 42 m.w.N. Bäuerle in Braun, InsO, § 39 Rz. 26. Bäuerle in Braun, InsO, § 39 Rz. 29. Raupach in Fridgen/Geiwitz/Göpfert, InsO, § 129 Rz. 18d. Frind in Kroiß, Rechtsprobleme durch COVID-19, Teil 1 § 6 Rz. 51; hierzu eingehend Mylich, ZIP 2020, 1097. 159 Hierzu auch BT-Drucks. 19/18110, 23. 160 Prosteder/Dachner in Fridgen/Geiwitz/Göpfert, InsO, § 44a Rz. 25.
Riedemann | 579
98
§ 7 Rz. 98 | Risiken der Gesellschafterfinanzierung präzisiert, so dass die Risiken der Gesellschafterfinanzierung besser einschätzbar sind. Insbesondere die Arbeit des Insolvenzverwalters wurde durch die Abschaffung des Tatbestandsmerkmals der Krisenfinanzierung und durch die Regelungskonzentration in der Insolvenzordnung erheblich vereinfacht. Jüngst haben Gesellschafterfinanzierungen durch die Privilegierungen des COVInsAG für die Gesellschafter an Attraktivität gewonnen. Doch auch das am1.1.2021 in Kraft getretene StaRUG wirft bereits seine Schatten voraus. Hier werden Gesellschafter für eine Zustimmung der Gläubiger zum Restrukturierungsplan durch vielfältige Sanierungsbeiträge gefordert werden. Anders als bisher lässt das StaRUG auch die Mitwirkung der am Schuldner beteiligten Personen als Sanierungsbeitrag in eng geregelten Grenzen zu, § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG. Allerdings ist die Privilegierung der Forderungen von Gesellschaftern und Geschäftsführern im StaRUG – anders als im COVInsAG – nicht umfassend bei Planfolgen und Planvollzug privilegiert, § 90 Abs. 1 StaRUG.
580 | Riedemann
§8 Insolvenzstrafrecht I. Die Beratung, Vertretung und Verteidigung der am Insolvenz(straf)verfahren beteiligten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vor dem Ermittlungsverfahren/Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Feststellung der finanziellen Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Position des Mandanten im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldnerseite . . . . . . . . . . . . . . bb) Gläubigerseite . . . . . . . . . . . . . . cc) Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hinweise zur Vermeidung strafbarer Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Buchführungspflichten . . . . . . . bb) Sicherung von Vermögenswerten cc) Sonstige Vermögensminderungen durch riskantes Wirtschaften dd) Beschaffung neuer Liquidität . . ee) Die Weiterführung des Geschäftsbetriebes . . . . . . . . . . . (1) Eingehungsbetrug . . . . . . . (2) Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . ff) Insolvenzantragspflicht . . . . . . . 2. Nach Stellung eines Eröffnungsantrags a) Antragsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen für den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beratung des Gutachters oder vorläufigen Insolvenzverwalters b) Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . d) Restschuldbefreiungsverfahren . . . . . 3. Im Insolvenzstrafverfahren . . . . . . . . . . II. Strafprozessuale Besonderheiten im Kontext der Insolvenzdelikte . . . . . . . . . 1. Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . . . . . . . . . . . 2. Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Täter und Teilnehmer der Insolvenzdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zurechnung nach § 14 StGB . . . . . . . aa) Vertretungsorgane/Beauftragte . bb) Amtsniederlegung . . . . . . . . . . . cc) Faktischer Geschäftsführer . . . . dd) Insolvenzverwalter und Sanierer
1 2 4 8 9 11 14 18 19 20 25 27 30 31 32 35 41 41 41 44 48 52 53 55 65 65 71 77 77 79 79 81 85 90
b) Teilnahme an den Straftaten . . . . . . . 2. Die Bankrottdelikte, §§ 283 ff. StGB . . . a) Sonderdeliktsstatus der Bankrottdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ermittlung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit durch die Tabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Überschuldung und in dubio pro reo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Objektive Bedingungen der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zahlungseinstellung . . . . . . . . . . bb) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Abweisung mangels Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zeitlicher und tatsächlicher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . d) Der Bankrott, § 283 StGB . . . . . . . . . aa) Straftatbestände des Abs. 1 . . . . (1) Beiseiteschaffen/Verheimlichen/Zerstören (Nr. 1) . . . . . (a) Schutzgut der Vorschrift . . . (b) Beiseiteschaffen . . . . . . . . . . (c) Verheimlichen . . . . . . . . . . . (d) Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen . . . . . . (2) Verlust- und andere dubiose Geschäfte (Nr. 2) . . . . . . . . . (a) Verlust-, Spekulations- und Differenzgeschäfte . . . . . . . . (b) Unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel und Wette . . . . . . . . . . (3) Waren- oder Wertpapiergeschäfte (Nr. 3) . . . . . . . . . (4) Vortäuschen oder Anerkennen von Rechten (Nr. 4) . . . (5) Buchführungspflichten (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Adressatenkreis/Täter . . . . . (b) Handelsbücher . . . . . . . . . . (c) Tathandlungen . . . . . . . . . . (6) Aufbewahrungspflichten (Nr. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Adressatenkreis/Täter . . . . . (b) Tathandlungen . . . . . . . . . . (7) Bilanzen (Nr. 7) . . . . . . . . . . (a) Mangelhafte Bilanzaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92 95 96 99 101 105 106 107 108 109 110 111 112 113 113 114 116 117 118 119 123 127 130 132 133 136 137 140 141 143 145 146
Püschel | 581
§ 8 Rz. 1 | § 8 Insolvenzstrafrecht (b) Verspätete Bilanzaufstellung (8) Sonstiges (Nr. 8) . . . . . . . . . bb) § 283 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . cc) Versuch (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . dd) Subjektive Tatseite . . . . . . . . . . . (1) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kombination von Vorsatz und Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit, § 283 Abs. 4 StGB . . (3) Fahrlässigkeit, § 283 Abs. 5 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Besonders schwerer Fall des Bankrotts, § 283a StGB . . . . . . . . . . . aa) Gewinnsucht . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vielzahl von Personen; subjektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . f) Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Tathandlung . . . . . . . . . . . . . g) Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Tathandlung . . . . . . . . . . . . . h) Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Tathandlung . . . . . . . . . . . . . 3. Verstoß gegen Anzeigepflichten . . . . . . . a) Insolvenzverschleppung, § 15a InsO . aa) Taugliche Täter . . . . . . . . . . . . . . bb) Die rechtzeitige Anmeldung . . . . cc) Die nicht richtige Antragstellung dd) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . ee) Suspendierung der Antragspflicht während der Corona-Pandemie, § 1 COVInsAG . . . . . . . . . . . . . . (1) Aussetzung bis zum 30.9.2020, § 1 Abs. 1 COVInsAG . . . . . . . . . . . . . (2) Aussetzung vom 1.10.2020 bis 31.12.2020 . . . . . . . . . . .
150 153 156 158 159 159 161 163 165 166 167 170 170 172 175 175 178 182 182 185 189 189 193 197 199 201 203
(3) Aussetzung vom 1.1.2021 bis 30.4.2021 . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanierung und Restrukturierung, StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Suspendierung der Insolvenzantragspflicht gem. § 15a Abs. 1 InsO, § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG . . bb) Verstoß gegen die Insolvenzanzeigepflicht, § 42 Abs. 3 StaRUG c) Verlustanzeigepflicht, § 84 GmbHG . 4. Weitere Straftatbestände aus dem StGB und dem Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . . a) Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lieferanten- bzw. Dienstleistungsbetrug . . . . . . . . . . . . . bb) Erschleichen von Krediten . . . . . (1) Betrug bei Darlehensverträgen, § 263 StGB . . . . . . . . . (2) Kreditbetrug, § 265b StGB . (a) Unternehmen . . . . . . . . . . . (b) Kredit . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Tathandlungen . . . . . . . . . . (d) Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Straflosigkeit aufgrund tätiger Reue . . . . . . . . . . . . . b) Untreue, § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . c) Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266a Abs. 1 StGB . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . d) Steuerhinterziehung, § 370 AO . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . .
212 215 219 222 228 229 229 230 239 240 243 244 245 246 249 250 251 257 257 259 261 265 266 266 267 268 272
204 210
I. Die Beratung, Vertretung und Verteidigung der am Insolvenz(straf) verfahren beteiligten Personen 1
Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht sind in der Praxis eng verzahnt. Gewerbliche Insolvenzen ohne Straftat sollen nach verbreiteter Auffassung Ausnahmecharakter haben.1 Schätzungen gehen dahin, dass 50 bis 90 Prozent der Unternehmenszusammenbrüche mit Insolvenzdelikten einher gehen.2 Die Zahlen scheinen aufgrund der tatbestandlichen Weite etwa der §§ 283 ff. StGB, § 266a StGB, 1 Pelz in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 9 Rz. 1. 2 Weyand, ZInsO 2008, 242, 244; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vor §§ 283 ff. Rz. 4 m.w.N.
582 | Püschel
I. Beratung, Vertretung und Verteidigung der Beteiligten | Rz. 5 § 8
§ 15a Abs. 4 u. 5 InsO plausibel. So sanktioniert z.B. § 283b Abs. 2 StGB – unter Schuldaspekten intrikat – selbst die fahrlässige Nichterfüllung von Buchhaltungs- und Bilanzierungspflichten.3 Neben möglichen strafrechtlichen Sanktionen sind die gravierenden beruflichen Konsequenzen bei Feststellung eines vorsätzlichen Insolvenzdeliktes in den Blick zu nehmen.4 Über diese Risiken aufzuklären und ihnen im Idealfall präventiv entgegen zu wirken, ist eine Kernpflicht des insolvenz(straf-)rechtlich Beratenden.
1. Vor dem Ermittlungsverfahren/Insolvenzverfahren Durch eine strafrechtliche Beratung im Hinblick auf eine Insolvenz möchte der Mandant häufig auch ausloten, welche Handlungen gerade noch erlaubt sind und welche nicht. Als Berater muss man dabei neutral und richtig die Grenzen zum strafbaren Handeln aufzeigen. Man darf nicht aufgrund Identifizierung mit den Interessen des Mandanten der Versuchung erliegen, diesem auch strafbare Handlungsweisen aufzuzeigen, selbst wenn deren Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist, oder ihm Wege zur Verschleierung weisen. Mit solchen Hinweisen überschritte der Berater selbst die Grenze zur strafbaren Anstiftung oder Beihilfe, weil ihm bewusst ist, dass die Informationen zur Begehung von Straftaten verwendet werden sollen.
2
Insbesondere bei einer strafrechtlichen Beratung ist es daher wichtig, den Inhalt der Beratungsgespräche und die an den Mandanten erteilten Hinweise aktenkundig zu machen (beispielsweise durch entsprechende Vermerke oder zusammenfassende Anschreiben an den Mandanten), um später jeden Vorwurf des eigenen Fehlverhaltens, beispielsweise durch Anstiftung oder Beihilfe zu vom Mandanten begangenen Straftaten beigetragen zu haben, widerlegen zu können. In prekären Situationen sollte der Anwalt erwägen, Beratungsgespräche in Begleitung einer zweiten Person durchzuführen. In komplexen und umfangreichen Mandaten sollte sich der Berater auf sein Spezialgebiet beschränken und als z.B. Zivilist weitere Experten des Strafrechts, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Gesellschaftsrechtler hinzuziehen.
3
a) Feststellung der finanziellen Verhältnisse Zu Beginn einer jeden Vorfeldberatung, muss der Beratende sich zunächst ein möglichst genaues und umfassendes Bild über die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten machen. Häufig ist zu bemerken, dass der Mandant aus Scham über die Situation der drohenden Insolvenz oder aus Angst vor der Offenbarung bereits begangener Straftaten nicht alle relevanten Umstände vollständig und richtig mitteilt. In dieser Phase ist es unabdingbar, dem Mandanten deutlich zu machen, dass einerseits eine Beratung nur erfolgreich sein kann, wenn alle Informationen „auf dem Tisch liegen“ und andererseits aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht im Hinblick auf bereits begangene Straftaten keine Nachteile drohen. Bestehen Hinweise darauf, dass man nicht vollständig oder richtig informiert wird, sollte man das offenlegen, schriftlich dokumentieren, die Beratungsthemen beschränken oder in Ausarbeitungen ausdrücklich hervorheben, dass die Ergebnisse nur auf Basis der Informationen des Mandanten entwickelt wurden. Reicht das nicht, so ist das Mandat abzulehnen oder niederzulegen.
4
Sobald der Mandant selbst zumindest den Eintritt einer Krise für möglich hält, ist ihm unbedingt zu raten, sofort und danach in regelmäßigen und kurzen Abständen einen Überschuldungsstatus und einen Liquiditätsplan zu fertigen (vgl. § 1 Rz. 35, 133 ff.), um sich einen Überblick über die aktuelle wirtschaftliche Situation zu verschaffen. Zeigt sich anhand einer zutreffend ermittelten Überschuldungsbilanz und eines realistischen Liquiditätsplans (noch) fehlende Insolvenzreife, so kann der Schuldner
5
3 Vgl. Rz. 174; kritisch etwa Bosch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, § 283b Rz. 1. 4 Diese führen zur Inhabilität des GmbH-Geschäftsführers (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG) oder Vorstandes einer AG (§ 76 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AktG).
Püschel | 583
§ 8 Rz. 5 | § 8 Insolvenzstrafrecht im Fall seiner zivilrechtlichen Inanspruchnahme5 belegen, dass er keine Bankrottstraftaten begangen hat, zu jener Zeit nicht insolvenzantragspflichtig war und nicht betrogen hat, weil er zu Recht annahm, zahlen zu können. Zudem kann eine Sanierung nur auf Basis vollständiger und richtiger Informationen gelingen. Strafrechtliche Vorwürfe muss er zwar nicht widerlegen. Seriöse Belege der Erfüllung der Pflicht zu steter Beobachtung der wirtschaftlichen, insb. finanziellen Lage (nun in § 1 StaRUG normiert) bieten jedoch den sichersten Schutz auch gegen strafrechtliche Vorwürfe. 6
Nicht verwechselt werden dürfen Überschuldungsstatus und Liquiditätsplan mit der handels- und steuerrechtlichen Buchführung. Zwar können auch diese Verteidigungszwecken dienen, sind aber in Bezug auf die Krisenlage nicht spezifisch aussagekräftig. Für die retrospektive Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit, § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO, ist die tägliche Gegenüberstellung von Liquidität und fälligen Forderungen erforderlich. In der strafrechtlichen Praxis wird Zahlungsunfähigkeit jedoch erst angenommen, wenn Verbindlichkeiten nicht binnen drei Wochen nach Fälligkeit beglichen werden können. Daher genügt eine Fortschreibung im Abstand von nicht mehr als drei Wochen. Zivilrechtlich kann die Haftung schärfer ausfallen. Daher gilt: Je stärker die Indizien für eine Krise, desto kürzer müssen die Abstände zwischen den Feststellungen der finanziellen Lage ausfallen.
7
Zeigt sich jedoch das Vorliegen einer Krise, so muss die Vermögensentwicklung der jüngeren Vergangenheit aufgearbeitet werden, um ihren Anfang feststellen zu können, denn mit deren Eintritt beginnt der Bereich rechtlich höchster Relevanz. Aufgrund der Krise ist die wirtschaftliche Zukunft des Schuldners ungewiss, womit erhebliche Gefahren für all diejenigen verbunden sind, die mit dem Schuldner in wirtschaftlichem Kontakt stehen. Deshalb kehrt sich die Schutzrichtung des Rechts um: Vor der Krise darf der Schuldner selbst bestimmen, welche Chancen er wahrnehmen und Risiken in Kauf nehmen will. Er darf egoistisch sein. Mit Eintritt der Krise steht er hingegen in der Pflicht, Schaden von seinen Geschäftspartnern weitestmöglich abzuwenden. Dieses Gebot unterstützt das Strafrecht mit konkreten und strengen Verhaltensmaßstäben. Der Schuldner muss nun schon aus Eigenschutz jede seiner geschäftlichen Handlungen genau auf strafrechtliche Risiken hin überprüfen. Schönreden hilft nicht und kann geradewegs hinter Gittern enden. Bestehen also keine erfolgsversprechenden Sanierungschancen, so muss der Insolvenzantrag kurzfristig folgen. Bei juristischen Personen stehen hierfür maximal 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. 6 Wochen ab dem ersten Moment der Überschuldung zur Verfügung, § 15a Abs. 1 S. 2 InsO (vgl. Rz. 197).
b) Position des Mandanten im Insolvenzverfahren 8
Die Pflichtenstellung des Mandanten hängt von der Rechtsform des Unternehmens und seiner Position in diesem ab. aa) Schuldnerseite
9
Ist der Mandant selbst der Schuldner als natürliche Person (Verbraucher oder Einzelunternehmer), so kommt er in eigener Person als Täter für alle insolvenztypischen Delikte in Betracht, soweit sie nicht allein für Verantwortliche von Unternehmen in der Rechtsform einer juristischen Person gelten (wie z.B. § 15a InsO). Die Pflichtenstellung von Geschäftsführern und Vorständen von Kapitalgesellschaften reicht demgemäß weiter. Diese Personen kommen aufgrund des § 14 StGB für alle Insolvenzdelikte als Täter in Betracht, auch wenn sie nicht selbst, sondern die von ihnen vertretene Gesellschaft die Pflichten primär zu erfüllen haben. So wird z.B. die Schuldnereigenschaft als besonderes persönli5 Hierzu bereits BGH v. 7.3.2005 – II ZR 138/03, MDR 2005, 935 = DB 2001, 996, wonach die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter zunächst substantiiert eine Überschuldung zu einem bestimmten Zeitpunkt darzulegen hat, und das Geschäftsführungsorgan sodann zivilrechtlich darzulegen und zu beweisen hat, dass es zum damaligen Beurteilungszeitpunkt pflichtgemäß von einer positiven Fortbestehensprognose ausgehen durfte. So auch OLG Koblenz v. 27.2.2003 – 5 U 917/02; BFH v. 3.12.2002 – IX R 64/99, DB 2003, 419; Steffan in Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, § 38 Rz. 42.
584 | Püschel
I. Beratung, Vertretung und Verteidigung der Beteiligten | Rz. 14 § 8
ches Merkmal Organen der Gesellschaft zugerechnet, wenn sie sie rechtsgeschäftlich vertreten oder sonst in ihrem Geschäftskreis tätig sind (vgl. Rz. 79 ff.). Das gilt auch für faktische Geschäftsführer, die zwar nicht förmlich bestellt sind, aber so agieren und auftreten (vgl. Rz. 85 ff.).6 Der Mandant kann (nur) für die Zukunft einer strafrechtlichen Haftung als faktischer Geschäftsführer dadurch entgehen, dass er aufhört, die Geschicke der Gesellschaft zu leiten und dies nach außen auch deutlich macht. Aber selbst dies kann ebenso wie die Niederlegung des förmlich übernommenen Amtes strafrechtliche Risiken bergen (vgl. Rz. 81 ff.).
10
bb) Gläubigerseite Für die Gläubiger des Schuldners ergeben sich im Zusammenhang mit einer Insolvenz nur wenige spezielle Handlungsweisen, die eine Strafbarkeit begründen können. Der Gläubiger kann die Schwelle zu strafbaren Handlungen üblicherweise nur dann überschreiten, wenn er dem Schuldner bei dessen strafbaren Handlungen zur Seite steht. In Betracht kommen insbesondere Anstiftung oder Beihilfe zur Gläubigerbegünstigung, §§ 283c, 26, 27 StGB (vgl. Rz. 175 ff.) und die zur Täterschaft hochgestufte Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB (vgl. Rz. 182 ff.).
11
Ein Gläubiger hat die Möglichkeit, Strafanzeige gegen den Schuldner zu erstatten. Damit zu drohen, kann den Druck erhöhen. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Zumindest dann, wenn die Beweisbarkeit der Vorwürfe zweifelhaft ist, muss mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gerechnet werden. Dies gäbe dem Schuldner Auftrieb und wirkte sich in den zivilrechtlichen Auseinandersetzungen nachteilig für den Mandanten aus. Ebenso wird dadurch das Risiko erhöht, dass dessen Krise mediale Aufmerksamkeit erfährt. Dies dürfte zumeist auch nicht im Interesse des Gläubigers liegen.
12
Im Fall einer Strafanzeige ist der Sachverhalt in gebotener Kürze darzustellen. Tatsachen, die lediglich die mutmaßliche moralische Verkommenheit der Schuldnerseite darstellen sollen, gehören dort nicht hin. Aufgrund des Verwendungsverbots, § 97 Abs. 1 S. 2 InsO, sollten auch keine Tatsachen zur Begründung herangezogen werden, die der Schuldner (oder dessen Organ) nur in Erfüllung der insolvenzrechtlichen Auskunftspflicht offenbart und von denen der Gläubiger nicht (auch) auf andere Weise Kenntnis erlangt hat (vgl. Rz. 65 ff.). Rechtsfragen sind nur zu erörtern, wenn dies unerlässlich ist. Soweit ein genuines Interesse an der Erstattung der Strafanzeige besteht, sollte mit Einreichung der Anzeige um staatsanwaltschaftliche Vernehmung des Anzeigeerstatters ersucht werden. Der Berater kann diese Gelegenheit auch zu einem persönlichen Gespräch mit dem Staatsanwalt nutzen. So signalisiert er diesem seine Ernsthaftigkeit und erfährt vielleicht frühzeitig von dessen erster Einschätzung des Sachverhalts.
13
cc) Berater Auch für Personen, die als Berater des Schuldners fungieren (z.B. Steuerberater, Rechtsanwälte usw.), können sich im Zusammenhang mit der Insolvenz des Schuldners spezielle strafrechtliche Risiken ergeben.7 Neben der Anstiftung und der Beihilfe zu Taten des Schuldners kommt unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Strafbarkeit wegen eigenen täterschaftlichen Handelns in Betracht.8
6 BGH v. 15.11.2012 – 3 StR 199/12, NJW 2013, 1892; Merz in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 14 StGB Rz. 59; einschränkend MünchKomm/StGB/Radtke, § 14 Rz. 115. 7 Vgl. ausführlich zur zivil- und strafrechtlichen Haftungsgefahr für Berater und Insolvenzverwalter, Bales, ZInsO 2010, 2073. 8 Vgl. Wessing, NJW 2003, 2265 ff.; Richter, NZI 2002, 121 ff.; Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff.; Weyand, StuB 1999, 178 ff.
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14
§ 8 Rz. 15 | § 8 Insolvenzstrafrecht 15
Insbesondere bei den §§ 283 ff. StGB können Dritte Täter der Buchhaltungsdelikte sein.9 So kann sich beispielsweise der Leiter der Buchhaltung eines Unternehmens nach den §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 und 6 sowie § 283b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB strafbar machen; ein mit der Bilanzierung beauftragter Steuerberater10 kann sich nach den §§ 283 Abs. 1 Nr. 7 und 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar machen. Entscheidende Voraussetzung ist, dass die dort angeführten Buchhaltungs- und Bilanzierungspflichten dem Buchhalter oder Steuerberater zur eigenständigen verantwortlichen Wahrnehmung übertragen wurden (vgl. Rz. 80). Fehlt es an der gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB erforderlichen Beauftragung, könnten sich der Buchhalter oder Steuerberater immer noch einer Anstiftung oder Beihilfe strafbar gemacht haben.
16
In Bezug auf die Anstiftung und Beihilfe gelten für Berater des Schuldners Besonderheiten, soweit sie lediglich ihre beruflichen Pflichten erfüllen. Die bloße Befürchtung, der Mandant könne die Beratung zu strafrechtlich relevantem Verhalten verwenden, reicht für die Strafbarkeit des Beraters nicht aus. Die Anforderungen an die Strafbarkeit des Beraters sind somit teilweise höher als beim Schuldner bzw. dessen Organ (vgl. Rz. 94).
17
Ein Steuerberater als Mandant ist darauf hinzuweisen, dass er auch im strafrechtlichen Sinne verpflichtet ist, vorkontierte Belege selbst zu prüfen, und zu gewährleisten hat, dass die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung eingehalten werden. Die Verpflichtung zur eigenen Überprüfung ist ihnen nicht immer bekannt.11 Hat der Steuerberater wie üblich auch die handelsrechtlichen Bilanzierungspflichten übernommen, so hat er auch die Fristen einzuhalten.12 Zwar können Finanzämter Fristverlängerungen gewähren, diese gelten aber nur für die steuerlichen Pflichten; die handelsrechtlichen Fristen sind nicht verlängerbar.13 Das Argument der Überlastung des Steuerberaters ist in strafrechtlicher Hinsicht unbeachtlich. Reicht der Kaufmann ihm die erforderlichen Unterlagen nicht ein, so kann er sich nur durch rechtzeitige Niederlegung des Mandats vor Strafe bewahren. Der Steuerberater darf in diesem Fall aber mangels Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB nicht die steuerrelevanten Unterlagen behalten, bis der Mandant rückständige Honorarforderungen ausgleicht14 (vgl. § 11 Rz. 278a ff.).
c) Hinweise zur Vermeidung strafbarer Handlungen 18
Bei der Beratung im Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens ist es unerlässlich aufzuzeigen, welche Handlungen eine Strafbarkeit nach sich ziehen können. Dabei kommt es darauf an, ob bereits eine Krise eingetreten ist, ggf. selbst herbeigeführt, § 283 Abs. 2 StGB, oder es sich nur um eine wirtschaftliche Schieflage handelt. Die Details zu nachstehendem Überblick finden sich im zweiten Teil. aa) Buchführungspflichten
19
Einer der wichtigsten Punkte vor und in der Krise ist die ordnungsgemäße Erledigung der Buchführungspflichten. In der Praxis der Strafverfolgung haben die Buchführungsdelikte eine vergleichsweise große Bedeutung. Dies liegt darin begründet, dass zum einen Verstöße gegen die Buchführungspflich-
9 Ausführlich zur möglichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der (steuerlichen) Berater bzw. der Verwalter vgl. nur Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29; Knierim in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Rz. 1055 ff.; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 379 f. 10 Vgl. Sundermeier/Gruber, DStR 2000, 929. 11 Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29 Rz. 27. 12 Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29 Rz. 24. 13 Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29 Rz. 24. Tatbestands- oder Verbotsirrtum kommt angesichts der Ausbildung des Steuerberaters kaum in Betracht. 14 OLG Düsseldorf v. 2.10.2012 – 23 U 169/11, DStRE 2014, 190, 191; OLG Düsseldorf v. 21.12.2004 – 23 U 36/04, MDR 2005, 600 = NJW-RR 2005, 364; OLG Hamm v. 4.8.1987 – 25 U 173/86, ZIP 1987, 1330; Weyand, DStR 1988, 503; Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29 Rz. 25.
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I. Beratung, Vertretung und Verteidigung der Beteiligten | Rz. 22 § 8
ten bei insolventen Unternehmen häufig auftreten, da an den Ausgaben für Steuerberater und Buchhalter gespart werden kann, ohne dass die Überlebensfähigkeit des Unternehmens unmittelbar gefährdet wird. Zum anderen – und vielleicht wichtigeren – sind Buchführungsdelikte relativ leicht nachzuweisen. Denn als abstraktes Gefährdungsdelikt reichen bei § 283b StGB schon Mängel aus der Zeit vor Eintritt einer Krise aus, wenn sie nur in einem zeitlichen und tatsächlichen Zusammenhang zur Insolvenz stehen (vgl. Rz. 171). Die verspätete Aufstellung der Bilanz lässt sich meist aus dem den Strafverfolgungsbehörden zugänglichen, zentralen elektronischen Handelsregister ablesen. Daher kann der Mandant, auch ein Steuerberater, nicht eindringlich genug auf die Notwendigkeit ordnungsgemäßer Buchführung hingewiesen werden. Handelt es sich um ein dauerhaftes Beratungsverhältnis, so sollte der Berater dem Mandanten aufgeben, die Basisunterlagen jeweils zeitnah zu übermitteln, oder ggf. zu Beratungsgesprächen mitbringen. bb) Sicherung von Vermögenswerten Viele Mandanten erkundigen sich bei einer aufziehenden Krise nach den Möglichkeiten, von ihrem Vermögen „zu retten, was noch zu retten ist“. Je nach Situation sollen Vermögensgegenstände des Schuldners auf Verwandte oder Freunde verschoben werden; bevorzugte Gläubiger (z.B. Eltern, die ein Darlehen gegeben haben) sollen ausreichend gesichert werden oder der Schuldner will Anlage- und Betriebsvermögen auf eine neu gegründete Gesellschaft möglichst preiswert übertragen.15 Aus strafrechtlicher Sicht sind dem Schuldner vor Eintritt einer Krise grundsätzlich noch alle Verfügungen über Vermögensgegenstände erlaubt, auch wenn diese sein Vermögen schmälern. Grundsätzlich nicht strafbar sind daher auch Schenkungen oder Veräußerungen von Gegenständen weit unter Wert, ebenso die Bestellung nicht vereinbarter Sicherheiten. Strafbar werden all diese vermögensmindernden Handlungen allerdings dann, wenn der Schuldner gerade dadurch vorsätzlich oder leichtfertig den Eintritt einer Krise herbeiführt (vgl. Rz. 156 ff.).16 Mitursächlichkeit neben anderen Faktoren reicht aus.17 Zudem unterliegen unentgeltliche Verfügungen der Insolvenzanfechtung. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass manche dieser vermögensschmälernden Transfers schon in der Phase drohender Zahlungsunfähigkeit strafbar sind. Ob sie bereits erreicht ist, entzieht sich sinnlicher Wahrnehmung.
20
Welche vermögensmindernden Verfügungen dem Schuldner vor der Krise noch erlaubt sind, kann daher pauschal nicht beurteilt werden.18 Es ist immer eine Abwägung im Einzelfall erforderlich, ob die vorgesehene Verfügung strafrechtliche Gefahr birgt. Bereits wenn eine Krise heraufzieht, sollten dem Unternehmen keine größeren Vermögenswerte mehr entzogen werden, weil ex ante nie sicher ist, ob dies noch gestattet ist. Ebenso dürfen solche Gegenstände nicht ersatzlos weggegeben werden, die für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich sind. Es ist zwar nicht per se unzulässig, ein Unternehmen per Insolvenz bewusst zu liquidieren. Unter Verminderung seiner Vermögenswerte mittels Ausschlachtens ist dies jedoch strafbar.
21
Nach Eintritt der Krise sind beinahe alle denkbaren Verhaltensweisen strafbar, durch die das Schuldnervermögen geschmälert oder geschädigt wird (vgl. Rz. 112 ff.). Dem Vermögen des Schuldners dürfen jetzt keine Gegenstände mehr entzogen werden, ohne dass ihm eine gleichwertige Gegenleistung zugeführt wird. Mit anderen Worten: Der Mandant kann keinerlei eigenes oder Vermögen der Gesellschaft mehr beiseiteschaffen, ohne sich strafbar zu machen. Will er dennoch den Zugriff behalten, beispielsweise um Gegenstände in einer neuen Gesellschaft zu nutzen, so ist dies aus strafrechtlicher Sicht nur zulässig, wenn der Schuldner diese Gegenstände zum Marktwert verkauft und die Gegenleistung
22
15 Vgl. LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193 zu Vermögensübertragungen nach Kriseneintritt. 16 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 54; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 283 Rz. 104 ff.; Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 283 Rz. 23f. 17 MünchKomm/StGB/Radtke, § 283 Rz. 70. 18 MünchKomm/StGB/Radtke, § 283 Rz. 71.
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§ 8 Rz. 22 | § 8 Insolvenzstrafrecht tatsächlich in das Schuldnervermögen fließen lässt.19 Nicht ausreichend sind wirtschaftlich minderwertige Gegenleistungen, beispielsweise die Verrechnung des Käufers mit einer durch die Krise inzwischen nicht mehr werthaltigen Gegenforderung. 23
Ebenso strafbar wie die Verminderung des Aktivvermögens ist die Vergrößerung der Passiva. Häufig zu beobachten ist das Vortäuschen oder Anerkennen von nicht bestehenden Rechten (meist nahestehender Dritter). Damit kann das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen vorbereitet und nach außen schein-legitimiert werden. Überdies lassen sich mittelbare Stimmrechte in der Gläubigerversammlung sichern (zur Stimmrechtsverteilung in der Gläubigerversammlung s. § 9 Rz. 426 ff.). Derartige Verhaltensweisen sind umfänglich in § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Strafe gestellt (vgl. Rz. 130 ff.).20
24
Soweit der Mandant beim Versuch, bei drohender Insolvenz Vermögen beiseite zu schaffen, die Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen müsste, ist ihm zu verdeutlichen, dass er beispielsweise empfangende Ehegatten und Kinder mit in die Strafbarkeit zu ziehen drohte. Sie könnten sich insbesondere der Schuldnerbegünstigung nach § 283d StGB (vgl. Rz. 182 ff.)21 sowie der Beihilfe zu seinen Taten schuldig machen. cc) Sonstige Vermögensminderungen durch riskantes Wirtschaften
25
Häufig versuchen Schuldner, das Unternehmen, das bereits auf einen Zusammenbruch zusteuert, mit besonders riskanten Geschäften „über Wasser zu halten“. Solche Geschäfte sind nach dem Eintritt einer Krise strafbar, § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. Rz. 118 ff.). Der Mandant ist darauf hinzuweisen, dass er nach dem Eintritt einer Krise keine über das normale Maß hinausgehenden riskanten Geschäfte mehr eingehen darf. Auch die Annahme von Aufträgen, bei denen sich bereits aus der Kalkulation ergibt, dass diese einen Verlust erbringen werden, ist nur dann zulässig, wenn damit eine vorübergehende Flaute überbrückt werden soll und zu erwarten ist, dass sich das Unternehmen wieder erholen wird. Aber selbst vor Eintritt der Krise sind derartige Geschäfte strafbar, wenn sie die Krise herbeiführen, § 283 Abs. 1 Nr. 2; Abs. 2 StGB.
26
Verboten ist dem Schuldner auch die Verschleuderung auf Kredit beschaffter Waren und/oder Wertpapieren sowie daraus hergestellter Sachen (vgl. Rz. 127 ff.). Häufig ist die Versuchung des Schuldners groß, kurz vor dem Zusammenbruch die noch vorhandenen Waren durch Ausverkäufe unter Wert zu Geld zu machen. Dies birgt eine erhebliche Gefahr für Lieferanten, die die Waren auf Kredit geliefert haben, und ist deshalb ausdrücklich unter Strafe gestellt (§ 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB).22 Auch hier ist ein solches Verhalten vor der Krise strafbar, wenn es sie herbeigeführt, § 283 Abs. 2 StGB. dd) Beschaffung neuer Liquidität
27
Zur Überwindung einer Krise ist fast zwangsläufig die Beschaffung neuer Liquidität erforderlich. Versucht der Schuldner, in der Krise neue Mittel von einem Kreditinstitut zu beschaffen, so kann er seine Strafbarkeit nur mittels peinlichst genauer und wahrheitsgemäßer Angaben und ebensolcher Antworten auf die an ihn gerichteten Fragen vermeiden. Jedes Verschleiern der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation führt zu einer Strafbarkeit wegen Kreditbetruges, § 265b StGB, oder Betruges, § 263 StGB (vgl. Rz. 229 ff. bzw. Rz. 243 ff.), verlängert die Krise und verschärft so ggf. auch zumindest die Gefahr der Insolvenzverschleppung. Hinzuweisen ist der Mandant in diesem Zusammenhang darauf, dass 19 LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193, zum Anfangsverdacht der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung bei Veräußerung einer insolvenzreifen GmbH an einen professionellen Firmenbestatter unter zeitnaher Übertragung der Aktiva auf eine neu gegründete Gesellschaft. 20 Vgl. MünchKomm/StGB/Radtke, § 283 Rz. 37 ff. 21 Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 283d Rz. 1. 22 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 20.
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I. Beratung, Vertretung und Verteidigung der Beteiligten | Rz. 32 § 8
Straftaten bei Kreditgewährungen leicht nachzuweisen sind, da zumindest die vom Schuldner gemachten Angaben dokumentiert sind und überreichte Unterlagen vorliegen: die drohenden Strafen sind mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht gerade knapp bemessen – zusätzlich zur zivilrechtlichen persönlichen Haftung des Handelnden, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der verletzten Strafnorm. Konsequenz zutreffender Angaben ist freilich zumeist, dass die erwünschten Kreditmittel nicht eingeräumt werden. Die einzige Möglichkeit ist dann nur, die Kreditinstitute mit fundierten Plänen und Prognosen davon zu überzeugen, dass mit der verlangten zusätzlichen Liquidität mit einer großen Wahrscheinlichkeit die Krise überwunden werden kann – und dies vielleicht sogar die Abschreibung früherer Kredite vermeiden kann.
28
Eine weitere Gefahr besteht für den Steuerberater, wenn der Mandant die geschönten Bilanzen nutzt, um weitere Kreditmittel zu bekommen.23 Allein schon dadurch wird er regelmäßig einen Kreditbetrug nach § 265b StGB begehen. Ist der Mandant nicht in der Lage, den erhaltenen Kredit zurückzuführen, wird regelmäßig auch ein Betrug nach § 263 StGB vorliegen. Der Beihilfe diesen Delikten hat sich der Steuerberater grundsätzlich bereits mit der Erstellung einer geschönten Bilanz schuldig gemacht, da er aufgrund seiner Erfahrung weiß, dass sein Mandant die von ihm erstellten Bilanzen bei den Kreditgebern vorlegen wird.24 Der zu beratende Steuerberater sollte in diesem Zusammenhang auch vor den Schadensersatzforderungen von Seiten der Kreditgeber gewarnt werden, wenn diese finanzielle Einbußen erlitten haben.25
29
ee) Die Weiterführung des Geschäftsbetriebes Die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes nach Eintritt der Krise birgt weitere Gefahren einer Strafbarkeit für den Schuldner bzw. ein Organ einer juristischen Person, auf die der Mandant hingewiesen werden muss.
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(1) Eingehungsbetrug Nach dem Eintritt der Krise muss der Schuldner bei allen Geschäften ein besonderes Augenmerk auf den Betrugstatbestand des § 263 StGB richten. Schließt er Verträge, bei denen der Vertragspartner in Vorleistung tritt, in dem Bewusstsein, dass er seine Gegenleistung wahrscheinlich nicht wird erbringen können, so macht er sich wegen Betruges strafbar (sog. Eingehungsbetrug, vgl. Rz. 229 ff.). Kann der Schuldner nach objektiven Gesichtspunkten bei der Prüfung seiner Liquiditätslage nicht mehr zu dem Ergebnis kommen, dass er die bezogenen Lieferungen oder Leistungen wird bezahlen können, so darf er zur Vermeidung einer Strafbarkeit Waren und Dienstleistungen nur noch als Zug-um Zug-Geschäfte vereinbaren und das Bestellte ohne Möglichkeit sofortiger Bezahlung nicht entgegennehmen. Alternativ muss er bei Vertragsschluss seine finanzielle Lage offenlegen. Bei besonders langjährigen Geschäftsbeziehungen und damit einhergehendem besonderem gegenseitigen Vertrauen kann es zusätzlich erforderlich sein, dass der Schuldner den Geschäftspartner auch bei bereits geschlossenen Verträgen ungefragt über die unsichere Zahlungserwartung aufklärt, um diesen nicht durch Unterlassen zu täuschen.
31
(2) Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (vgl. ausführlich dazu Rz. 257 ff.) werden meist erst in einer Krise nicht mehr abgeführt. Dennoch sollte der Mandant auch bei einer erst aufziehenden Krise
23 Vgl. Waschk, DStR 2006, 817, 819. 24 Vgl. BGH v. 11.11.1986 – 1 StR 564/86, BB 1987, 370, 371; LG Mannheim v. 15.11.1984 – 6 KLs 12/82, BB 1985, 636. 25 Waschk, DStR 2006, 817, 819.
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32
§ 8 Rz. 32 | § 8 Insolvenzstrafrecht darauf hingewiesen werden, dass bereits deren bloße Nichtzahlung bei Fälligkeit zur Strafbarkeit nach § 266a StGB führt.26 Die Krise hindert die Bestrafung nicht – im Gegenteil, sie verschärft die Pflichten des Geschäftsleiters, weil er sowohl vorrangig vor allen anderen Verbindlichkeiten (außer gleichrangigen Steuern und Buchführungskosten) die Arbeitnehmeranteile entrichten als auch frühzeitig für ausreichend Liquidität bei Fälligkeit sorgen muss – notfalls mittels Kürzung der Nettolöhne.27 Verspätete Zahlung wirkt nur strafmildernd, nicht strafbefreiend. 33
Der Straftatbestand wird in einer Krise sehr häufig verwirklicht, da die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile, ja aller Sozialversicherungsbeiträge, kurzfristig erhebliche liquide Mittel belässt, ohne dass die Lebensfähigkeit des Unternehmens unmittelbar beeinträchtigt wird. Allerdings ist v.a. dieses Delikt für die Strafverfolgungsbehörden leicht nachzuweisen. Es wird in der Regel streng verfolgt, da es in der Gesamtheit der Fälle einen großen Schaden für die Allgemeinheit anrichtet.28
34
Auf die Möglichkeit der Strafbefreiung aufgrund Mitteilung an Sozialversicherungsträger, § 266a Abs. 6 StGB, ist der Mandant hinzuweisen.29 Sichere Straffreiheit ist damit allein jedoch nicht erreichbar. Zum einen bedarf es dafür der Mitwirkung der Einzugsstelle, zum anderen müssen die Beiträge binnen einer von dieser gesetzten Frist nachentrichtet werden. Das bedeutet: Gelingt es nicht, ausreichend liquide Mittel zu beschaffen, so muss der Mandant sofort Insolvenz anmelden. ff) Insolvenzantragspflicht
35
Verständlicherweise scheuen viele Unternehmer den Gang zum Insolvenzgericht, da sie die Hoffnung hegen, ihr Unternehmen noch retten zu können. Die damit verbundenen Risiken sind jedoch dem Mandanten im Rahmen der Beratung zu verdeutlichen:
36
Die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung ist groß. Erforderlich ist lediglich der Nachweis des Eintritts der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit zu einem Zeitpunkt, der länger als sechs respektive drei Wochen vor der tatsächlichen Antragstellung liegt (vgl. Rz. 197). Da die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit auch für alle anderen Insolvenzdelikte von Bedeutung ist, können die Strafverfolgungsbehörden diese Erkenntnisse zugleich zum Nachweis weiterer Tatbestände verwenden. Die Gefahr der Beweisbarkeit ist recht hoch.
37
Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht führt nicht nur zur Strafbarkeit, sondern auch zu zivilrechtlicher persönlicher Haftung (hierzu und zur Insolvenzantragspflicht im Übrigen vgl. § 5 Rz. 11 ff., 41 ff.).30
38
Um die Hemmungen des Mandanten vor dem Insolvenzantrag zu nehmen, ist ihm zu vermitteln, dass damit weder alle Möglichkeiten zur Rettung des Unternehmens vergeben wären, noch dass er dabei außen vor wäre.
39
Im Gegenteil können sich gerade aus dem Insolvenzantrag manchmal bessere und neue Möglichkeiten ergeben. Zeigten sich die Gläubiger trotz Drohung mit dem Insolvenzantrag nicht ausreichend kompromissbereit, so kann ihnen der gestellte Insolvenzantrag das Risiko eines Totalausfalls mit ihren Forderungen vor Augen führen. Ihre Vergleichsbereitschaft kann nun geweckt sein. Gelingt es dem 26 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 327/95, NJW 1997, 133; OLG Hamburg v. 8.9.1999 – 8 U 93/99, NJW-RR 2000, 1281. 27 BGH v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, MDR 2011, 122 = WM 2011, 88; BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, MDR 2007, 338 = ZIP 2006, 2127. 28 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 327/95, NJW 1997, 133; OLG Hamburg v. 8.9.1999 – 8 U 93/99, NJW-RR 2000, 1281 = ZIP 1996, 1989. 29 Vgl. dazu Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266a Rz. 21 ff. 30 Vgl. umfassend Buchalik/Rinker in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 35 ff.; Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006.
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I. Beratung, Vertretung und Verteidigung der Beteiligten | Rz. 43 § 8
Schuldner auf diese Weise, schon während der Antragsphase, die Insolvenzreife zu beseitigen, so kann er den Insolvenzantrag zurücknehmen und das Verfahren wird gar nicht eröffnet (zur Rücknahme des Insolvenzantrags s. § 9 Rz. 111 ff.). Aber selbst wenn es dazu schon gekommen ist, kann es eingestellt werden. Zudem ist die Neugründung einer Auffanggesellschaft aus der Insolvenz heraus denkbar.31 Weiterhin ist der Schuldner auch über die Alternativen zum klassischen Insolvenzverfahren zu beraten. Er kann bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung das Eigenverwaltungsverfahren nach §§ 270 ff. InsO bzw. das speziellere „Schutzschirmverfahren“ nach § 270d InsO in Anspruch nehmen. Zwar hat das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) den Anwendungsbereich der Eigenverwaltung und damit des Schutzschirmverfahrens beschränkt.32 Im Gegenzug erweiterte aber das neue Gesetz zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (StaRUG) die Sanierungsmöglichkeiten. Ein Antrag auf Durchführung eines Restrukturierungsverfahrens bietet bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit eine (frühzeitige) Alternative zum Eröffnungsantrag. Solange das Verfahren beim Restrukturierungsgericht anhängig ist, ist die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt (vgl. Rz. 219 ff.).
40
2. Nach Stellung eines Eröffnungsantrags a) Antragsphase aa) Auswirkungen für den Schuldner Nach Stellen des Insolvenzantrags und dem Beginn der Insolvenzantragsphase kommt es für die Stellung des Mandanten und damit zugleich für den Umfang seiner strafrechtlichen Risiken darauf an, ob das Gericht einen starken oder schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.
41
Auf einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter gehen die allgemeine Verfügungsbefugnis des Schuldners und damit auch die meisten strafrechtlich relevanten Pflichten über (zur Person des starken vorläufigen Verwalters vgl. § 16 Rz. 11 ff.). Der Schuldner macht sich dann nur noch strafbar, wenn er Vermögen beiseite schafft (z.B. heimlich Forderungen am vorläufigen Insolvenzverwalter vorbei einzieht),33 dem Verwalter Vermögensgegenstände entzieht oder deren Existenz verheimlicht. Inwieweit dies auch für Organe gilt, ist umstritten.34 Der Mandant ist davon in Kenntnis zu setzen, dass er dem vorläufigen Insolvenzverwalter auf dessen Nachfrage vollständige und wahrheitsgemäße Auskunft über den Stand des Vermögens zu erteilen hat. Verschweigt er das Vorhandensein von Vermögensgegenständen oder gibt er Verbindlichkeiten an, die nicht bestehen, so begeht er Bankrotttaten (vgl. Rz. 116).
42
Bestellt das Gericht lediglich einen Gutachter oder einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter, der selbst nicht über umfassende Leitungsmacht verfügt und im Wesentlichen den Schuldner zu überwachen und das Schuldnervermögen zu sichern hat,35 so verbleiben die Verfügungsbefugnis und damit die strafbewehrten Pflichten beim Schuldner (vgl. hierzu § 16 Rz. 37 ff.). Seine strafrechtlichen Risiken entsprechen daher denen aus der Zeit nach Eintritt der Krise und vor gestelltem Eröffnungsantrag. Reichte ihn der Pflichtige rechtzeitig ein, so entfällt allerdings eine mögliche Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen die Insolvenzantragspflicht, anderenfalls ist eine derartige Tat damit immerhin beendet. Wurde der Antrag hingegen von einem Gläubiger gestellt, so besteht die strafrechtlich gesicherte Antragspflicht des Schuldners bis zur Eröffnung des Verfahrens oder der Abweisung mangels Masse
43
31 Vgl. dazu Brete/Thomsen, NJOZ 2008, 4159. 32 Zum verbleibenden Anwendungsbereich s. ausführlich Blankenburg, ZinsO 2021, 753 (auch zu §§ 5, 6 CoVInsAG). 33 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 5 m.w.N. 34 Bittmann/Rudolph, wistra 2000, 401. 35 Vgl. FG Hessen v. 12.1.2007 – 6 K 152/03, 6 K 3314/03, EFG 2007, 884.
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§ 8 Rz. 43 | § 8 Insolvenzstrafrecht fort (vgl. Rz. 195). Auch einem schwachen vorläufigen Verwalter hat der Schuldner auf dessen Nachfrage vollständig und zutreffend über den Bestand des Vermögens Auskunft zu erteilen. Unterlässt er dies, so droht ihm Strafbarkeit wegen Bankrotts, § 283 Abs. 1 S. 1 StGB. bb) Beratung des Gutachters oder vorläufigen Insolvenzverwalters 44
Es gibt keine spezifischen Straftatbestände, die sich an einen Gutachter oder vorläufigen Verwalter richten. Der starke vorläufige Verwalter rückt weitgehend in die strafrechtlichen Pflichten des Schuldners oder der Mitglieder seines vertretungsberechtigten Organs ein. Er erfüllt die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 StGB und ist damit (im Gegensatz zum vorläufigen schwachen Verwalter) tauglicher Täter der §§ 283 ff. StGB.
45
Im Gegensatz dazu unterliegt ein Gutachter ebenso wie ein schwacher Insolvenzverwalters nur dem allgemeinen Strafrecht. Bloß Letzterem kann eine (im Umfang sehr eingeschränkte) Vermögensbetreuungspflicht zukommen. Ob die Verweigerung der Zustimmung zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge Beihilfe zu § 266a Abs. 1 StGB darstellt,36 ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Denkbar sind, auch für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter, Begünstigung (§ 257 StGB) und Strafvereitelung (§ 258 StGB).37
46
Die Feststellung der Vermögensverhältnisse führt häufig zu Indizien oder sogar Beweisen für Straftaten des Schuldners. Allerdings ist die Neigung, ihn anzuzeigen, wenig ausgeprägt, da ein Mindestmaß seiner Mitwirkung im Verfahren nötig ist und eine Strafanzeige die Auskunftsfreude (z.B. über Vermögensverschiebungen) selten stärkt. Der Schuldner neigt in der Hoffnung auf Straffreiheit eher zu Rückzahlungen.
47
Gutachter und vorläufige Insolvenzverwalter unterliegen keiner Anzeigepflicht. Sie sind jedoch Zeugen und haben Ladungen der Staatsanwaltschaft zu folgen und wahrheitsgemäß auszusagen, selbst wenn sie damit Straftaten des Schuldners oder seines vertretungsberechtigten Organs erstmals offenbaren. Das gilt selbst dann, wenn das Wissen auf pflichtgemäß erteilten Auskünften des Schuldners, § 97 Abs. 1 S. 1 InsO, beruht. Das daraus resultierende Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, begründet kein Auskunftsverweigerungsrecht. Der Zeuge sollte jedoch bei seiner Vernehmung auf die Quelle seines Wissens hinweisen. Das Verbot der Verwendung auf Pflichtauskünfte zurückgehender Informationen hat jedoch allein die Strafjustiz zu beachten.38
b) Insolvenzverfahren 48
Auch im eröffneten Insolvenzverfahren hat der Schuldner Auskünfte zu erteilen, § 97 Abs. 1 S. 1 InsO. Er bzw. sein organschaftlicher Vertreter ist verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und ggf. der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben – einschließlich jeder wesentlichen Veränderung der Vermögenslage39 und von ihm begangener Straftaten. Im Gegenzug besteht für diese Auskünfte ein Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, dessen Grenzen allerdings umstritten sind (vgl. Rz. 65 ff.). Der Berater wie Verteidiger sollte sich der daraus resultierenden Schutzlücken bewusst sein. Insbesondere hält die Rechtsprechung Auskünfte gegenüber dem bloßen Gutachter für freiwillig und damit für verwendbar (s. Rz. 66). Dem auskunftspflichtigen Mandanten ist daher Schweigen gegenüber dem
36 Laroche/Wollenweber, ZInsO 2016, 2225. 37 Vgl. allgemein zur Strafbarkeit des Insolvenzverwalters Knierim in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Rz. 1140 ff.; Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29 Rz. 67 ff.; Richter, NZI 2002, 121 ff.; Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff. 38 Zipperer in Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 12. 39 BGH v. 14.3.2016 – 1 StR 337/15, NJW 2016, 1525, 1526; BGH v. 20.12.1957 – 1 StR 492/57, BGHSt 11, 145; AG Duisburg v. 21.2.2007 – 62 IK 264/04, juris.
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I. Beratung, Vertretung und Verteidigung der Beteiligten | Rz. 53 § 8
Gutachter anzuraten. Das Insolvenzgericht kann den Sachverständigen zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen oder den Beschluss zu seiner Bestellung dahingehend ergänzen, die gesetzliche Auskunftsverpflichtung, § 97 Abs. 1 S. 1 InsO, sei mittels Auskunft gegenüber dem Sachverständigen zu erfüllen.40 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens droht eine Strafbarkeit des Schuldners, ggf. auch eines Mitglieds seines Vertretungsorgans, nur noch aufgrund Beiseiteschaffens oder Verheimlichens von Vermögen. Mit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis sind die auch strafrechtlich relevanten Pflichten auf den Insolvenzverwalter übergegangen.41
49
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt automatisch der Auftrag des Steuerberaters (§ 116 InsO). Er ist damit nicht mehr verpflichtet, für den Schuldner Buch zu führen und zu bilanzieren (zur Regelung des § 116 InsO s. § 11 Rz. 273 ff.). Auf dessen Verlangen hat er jedoch dem Insolvenzverwalter die Unterlagen des Schuldners herauszugeben; ein Zurückbehaltungsrecht wegen ausstehender Honoraransprüche besteht in dieser Phase nicht.42
50
Zu buchen und zu bilanzieren ist nunmehr alleinige Pflicht des Insolvenzverwalters, § 155 InsO,43 der bei Nichterfüllung eigene Bestrafung riskiert.44 Sie entfällt trotz Nichterfüllung auch für den Insolvenzverwalter nur dann, wenn ihm die Erfüllung seiner Pflichten unmöglich oder unzumutbar ist. Davon kann aber regelmäßig keine Rede sein, weil auch der Verwalter vorhandene Mittel vorrangig für die Erfüllung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten zu verwenden hat45 und ihr Fehlen schon die Eröffnung gehindert hätte. Allerdings kann ihm eine Zeit der Einarbeitung ohne strafrechtliches Risiko zuzubilligen sein. Sinnvoll ist insoweit, mit den zuständigen Finanzbehörden offen zu kommunizieren. Auch die handelsrechtlichen Aufbewahrungspflichten des Schuldners sind auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Damit ist er auch tauglicher Täter nach § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB.
51
c) Eigenverwaltungsverfahren Wird das Insolvenzverfahren in der Form der Eigenverwaltung durch den Schuldner eröffnet, so bestellt das Gericht einen Sachwalter (s. hierzu § 3 Rz. 522 ff., 746 ff.). Dieser hat die Pflicht, den Schuldner zu überwachen. Bestimmte Geschäfte unterliegen seinem Zustimmungsvorbehalt. Dies führt zu einer „gemeinsamen Unternehmensleitung“ aus Schuldner und Sachwalter. Letzterer ist daher vermögensbetreuungspflichtig und kann sich folglich einer Untreue nach § 266 StGB schuldig machen.46
52
d) Restschuldbefreiungsverfahren Während der der Restschuldbefreiung vorausgehenden Wohlverhaltensphase macht sich der Schuldner strafbar, wenn er diejenigen Teile seiner Einkünfte behält, die er an den Treuhänder abzuführen verpflichtet ist. Mit der Verletzung seiner Offenbarungspflicht täuscht er den Treuhänder betrügerisch durch Unterlassen. Vor dieser Phase ist der Schuldner darauf hinzuweisen, dass derartiges strafbares Verhalten auch die Versagung der Restschuldbefreiung nach sich zieht (vgl. hierzu ausführlich
40 Vgl. AG Frankfurt/O. v. 14.8.2019, NZWiSt 2020, 202, 205; AG Frankfurt/O. v. 12.3.2020 – 412 Cs 147/ 18, juris Rz. 73 f. 41 Knierim in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Rz. 1141. 42 LG Cottbus v. 23.5.2001 – 1 S 42/01, ZInsO 2002, 635; Kroth in Braun, InsO, § 116 Rz. 9; Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 116 Rz. 9. 43 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 155 Rz. 15. 44 Richter, NZI 2002, 121, 125; Rübenstahl/Bittmann, ZInsO 2017, 1991. 45 Richter, NZI 2002, 121, 127. 46 Schramm, NStZ 2000, 398, 402; Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266 Rz. 25.
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53
§ 8 Rz. 53 | § 8 Insolvenzstrafrecht § 18 Rz. 559, 627).47 Das gilt sogar, wenn die Tat mit einem anderen und nicht mit dem konkreten Insolvenzverfahren im Zusammenhang steht, in welchem die Restschuldbefreiung angestrebt wird.48 54
Während der Wohlverhaltensperiode hat der Treuhänder die Pflicht, über der Pfändungsfreigrenze liegende Einkünfte des Schuldners einzuziehen, zu verwalten und an die Gläubiger auszuschütten, § 292 InsO. Damit ist er gegenüber der Gläubigergesamtheit vermögensbetreuungspflichtig i.S.d. § 266 StGB. Vergreift er sich an diesen Geldern oder lässt er es bewusst zu, dass der Schuldner nicht alle Gelder pflichtgemäß abführt, so macht er sich wegen Untreue strafbar.49
3. Im Insolvenzstrafverfahren 55
Spätestens nach Bekanntwerden eines Ermittlungsverfahrens sollte der Schuldner oder das Mitglied seines vertretungsberechtigten Organs einen im Insolvenzstrafrecht erfahrenen Verteidiger mandatieren. In dieser Phase sind die Möglichkeiten, einen für den Mandaten günstigen Verfahrensausgang zu erreichen, noch am größten. Dies sollte genutzt werden, entlastende Tatsachen vorzutragen und das Verfahren aktiv mitzugestalten.
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Der Verteidiger hat von Anfang an klarzustellen, dass er aufgrund der Komplexität des Insolvenz (straf-)rechts nur in Kenntnis aller strafrechtlich relevanter Tatsachen eine erfolgsversprechende Verteidigungsstrategie entwickeln kann. Um die ohnehin meist knappen monetären Ressourcen zu schonen, ist der Mandant zu bitten, die relevanten Unterlagen bereits vorzustrukturieren. Das ermöglicht einen schnelleren Überblick. Um seine Ängste vor Offenbarung ihm unangenehmer Tatsachen zu mindern, ist er darüber aufzuklären, dass die Gespräche der anwaltlichen Schweigepflicht unterfallen und eine besondere strafprozessuale Privilegierung der zur Verteidigung angefertigten Unterlagen existiert. Der Mandant ist auch darauf hinzuweisen, die Verteidigerpost in einem dahingehend gekennzeichneten Ordner abzulegen bzw. abzuspeichern, um den Inhalt auch im Fall einer Durchsuchung bestmöglich zu schützen.
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Richtet sich das Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beschuldigte, so ist die Möglichkeit einer sog. Sockelverteidigung50 zu erörtern. Dabei sind dem Mandanten gegenüber die positiven Aspekte einer einheitlichen und konsistenten Verteidigung auf tatsächlicher und rechtlicher Ebene und die damit einhergehende Aufteilung der Arbeitskraft darzustellen. Allerdings hat der Verteidiger stets auch die Grenzen zulässiger Sockelverteidigung im Blick zu behalten: Er darf die Interessen des Mandanten um den Willen der Einhaltung einer gemeinsamen Strategie nicht in den Hintergrund geraten lassen oder gar verletzen. Insbesondere wenn mehrere Hierarchiestufen eines Unternehmens in die Sockelverteidigung eingebunden sind, ist eine sehr sorgfältige Analyse vonnöten.
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Neben der Vertrauensbeziehung zum Mandanten ist der Versuch zu unternehmen, eine Gesprächsebene zur Strafverfolgungsbehörde aufzubauen. Dabei hat der Verteidiger sicherzustellen, dass er nach außen nur kommuniziert, was der Mandant akzeptiert hat. Bei den ersten Gesprächen kann z.B. die Einschätzung der Staatsanwaltschaft kennen gelernt werden, um das Risiko „böser Überraschungen“ für den Mandanten zu erkennen und es möglichst zu minimieren. Vorschnelle Einlassungen sind untunlich. Zuvor bedarf es eines verlässlichen Überblicks über die Situation. Es wäre ein Kunstfehler, 47 Pelz in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 9 Rz. 341. Nach AG Lüneburg v. 3.11.2003 – 46 IN 229/03, ZInsO 2003, 1108, kann die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO bereits dann versagt werden, wenn mit der Strafverurteilung des Schuldners nach §§ 283 bis 283c StGB mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. 48 BGH v. 18.2.2010 – IX ZB 180/09, MDR 2010, 655 = NZI 2010, 349; BGH v. 18.12.2002 – IX ZB 121/ 02, MDR 2003, 412 = NZI 2003, 163; Röhm, DZWiR 2003, 143 ff. 49 BGH v. 4.4.1968 – II ZR 26/67, NJW 1968, 1471; BGH v. 29.11.1996 – 2 StR 491/96, NStZ 1997, 124; MünchKomm/InsO/Ott/Vuia, Band 1, § 80 Rz. 147; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 266 Rz. 58; Schramm, NStZ 2000, 398, 401 f. 50 Dazu umfassend Richter, NJW 1993, 2152.
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I. Beratung, Vertretung und Verteidigung der Beteiligten | Rz. 61 § 8
Tatsachen unbedacht vorzutragen, für die es später keine Belege gibt. Um eine Beweisprognose auch im Hinblick möglicher belastender Tatsachen anzustellen, ist es daher zunächst unerlässlich, mit der Anzeige der Mandatierung zugleich Akteneinsicht nach § 147 StPO zu beantragen. Steht eine Beschuldigtenvernehmung an oder läuft die Frist für eine Stellungnahme ab, bevor die Ermittlungsakte ausgewertet werden konnte, so ist der Termin höflich abzusagen respektive Fristverlängerung zu beantragen. Beides wird erfahrungsgemäß in Insolvenzstrafverfahren aufgrund ihrer Komplexität vor dem Hintergrund der notwendigen Gewährleistung rechtlichen Gehörs gewährt werden. Dem Mandanten ist bei einem solchen Vorgehen zu verdeutlichen, dass die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeiten weder verdachtserregend ist noch einem Schuldeingeständnis gleichkommt. Ganz im Gegenteil wird dadurch kommuniziert, dass man sich mit den Vorwürfen ernsthaft befasst und sich dem Verfahren stellt. Es bedarf intensiver Prüfung, ob schon bei der ersten Stellungnahme alle entlastenden Tatsachen und Rechtsargumente vorgetragen werden. Für ein solches Vorgehen spricht der sog. Inertia-Effekt. Nach den Erkenntnissen der Sozialpsychologie tut sich das menschliche Gehirn schwer mit Tatsachen, die im Gegensatz zu einer bereits gefassten Meinung stehen, und neigt in diesen Fällen zu selektiver Wahrnehmung.51 Auf die gem. § 160 Abs. 2 StPO bestehende Pflicht der Staatsanwaltschaft, auch die entlastenden Tatsachen zu ermitteln, sollte daher nicht vertraut werden. Die gegenteilige Auffassung, entlastende Erkenntnisse im Ermittlungsverfahren zurückzuhalten, um in der Hauptverhandlung einen Überraschungseffekt ausnutzen zu können, verkennt, dass die Verteidigung im besten Falle eine Hauptverhandlung verhindern sollte. Plakativ gesprochen: Aus psychologischer Sicht dürfte es schwieriger sein, den Richter, der den Eröffnungsbeschluss gefasst hat, von der Unschuld des Mandanten zu überzeugen, als den Staatsanwalt, der noch keine Anklageschrift geschrieben hat. Gleichwohl kommen Abstufungen in Betracht. Entlastende Tatsachen, die dem Mandanten unangenehm, vielleicht in anderer als strafrechtlicher Hinsicht belastend oder mit der Offenbarung sonstiger Straftaten verbunden sind, selbst wenn sie weniger schwer wiegen, aber trotzdem Bestrafung droht, sollten nicht ohne Not oder zumindest nur zwecks sicherer Vermeidung schlimmerer Folgen eigeninitiativ offenbart werden. Diese Thematik ist mit dem Mandanten detailliert zu besprechen. Eine „Lebensbeichte“ mag anzuraten sein – nur ist die Strafjustiz höchst selten die richtige Instanz dafür.
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Gerade in Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzdelikten sollte schon anfangs genau geprüft werden, ob sich ein Anfangsverdacht rechtmäßig begründen lässt. Die Vorwürfe stützen sich häufig maßgeblich auf die Auswertung der Insolvenzakte, deren zentraler Bestandteil das Gutachten des beauftragten Sachverständigen oder vorläufigen Insolvenzverwalters ist. Deren Erkenntnisse sind jedoch häufig auf die Angaben des Mandanten zurückzuführen, zu denen dieser gem. § 97 Abs. 1 S. 1 InsO verpflichtet war.52 Das mit dieser Auskunftspflicht korrespondierende Beweisverwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO bleibt in der Praxis des Strafverfahrens nicht selten gänzlich unbeachtet.53 Der Umfang und die Reichweite sind zudem weitestgehend umstritten (vgl. Rz. 65 ff.). Die Verteidigung sollte sich regelmäßig auf die „Nullhypothese“ stützen, derzufolge die belastenden Erkenntnisse auf Pflicht-Auskünften des Mandanten beruhen und daher gem. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO nicht verwendet werden dürfen.
60
Der Mandant ist frühzeitig auf drohende (ggf. weitere) strafprozessuale Maßnahmen vorzubereiten. So sind ihm konkrete Verhaltenslinien für den Umgang mit den Ermittlungsbehörden an die Hand zu geben. Insbesondere ist er auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass Ermittlungsbehörden ihn unter Umgehung der Verteidigung direkt ansprechen. Ebenfalls ist die Möglichkeit einer Durchsuchung und Beschlagnahme zu besprechen. Beides droht sowohl beim Mandanten als Beschuldigten, in dessen Privaträumen, am Arbeitsplatz, als auch bei Dritten wie dem Steuerberater, ja selbst beim Rechts-
61
51 Barton, StraFo 1993, 11; Salditt, StV 1993, 442, 445 f. 52 Selbst wenn man die Auskunftspflicht gegenüber dem Gutachter verneint, bestünde sie gegenüber dem Insolvenzgericht. 53 Kemperdick, ZInsO 2013, 1116, 1117.
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§ 8 Rz. 61 | § 8 Insolvenzstrafrecht beistand. Da es sich bei Letzteren um Berufsgeheimnisträger handelt, sind allerdings die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ermittlungsmaßnahme erhöht. Die Durchsuchung ist gem. § 160a Abs. 1 S. 1 StPO sogar unzulässig, wenn zu erwarten ist, dass nur Erkenntnisse erlangt würden, über die der Mandatsträger das Zeugnis verweigern dürfte. Ein Zeugnisverweigerungsrecht und damit ein Beweiserhebungsverbot besteht jedoch nicht mehr, sofern der Mandatsträger von der Schweigepflicht entbunden ist (vgl. Rz. 71). 62
Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage, so konzentriert sich die Verteidigung auf das Zwischenverfahren. Das Gericht muss entscheiden, ob es das Hauptverfahren eröffnet, also die Anklage zulässt. In Insolvenzstrafverfahren ist der Sachverhalt im Zeitpunkt der Anklageerhebung häufig noch nicht umfassend ermittelt worden. Sind Erkenntnisse zur Krise fragmentarisch und partiell unverwertbar, dann muss die Verteidigung unbedingt aktiv werden. Jetzt ist nochmals zu prüfen, ob bislang zurückgehaltene entlastende Argumente nunmehr vorzutragen sind. Erfolgversprechend sind allerdings eher rein rechtliche Argumente wie Verstöße gegen das Beweisverwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, da das Gericht in tatsächlicher Hinsicht gern auf die Hauptverhandlung verweist. Frühere, aber unbeachtet gebliebene Stellungnahmen sind mit den wichtigsten Argumenten nochmals pointiert zusammenzufassen.
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Die allermeisten Insolvenzstrafsachen gelangen nicht ins Hauptverfahren; sie werden eingestellt oder enden mit Strafbefehl ohne Hauptverhandlung.54 Ist das Hauptverfahren aber eröffnet und sind keine anderen Erledigungsmöglichkeiten mehr in Sicht, so sollte der Verteidiger prüfen, in Vorbereitung der Hauptverhandlung einen Beweisantrag gem. § 219 StPO auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bzgl. des Vorliegens eines Insolvenzgrundes zu stellen. Ob und jedenfalls ab wann ein Insolvenzgrund vorliegt, kann nur mit Hilfe betriebswirtschaftlicher Methoden und Erkenntnisse sachverständig bewiesen werden.55 Werden Zeitpunkt oder Eintritt der wirtschaftlichen Krise bestritten, ist grundsätzlich die Einschaltung eines Sachverständigen geboten.56 Wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erlauben demgegenüber nur eine gröbere und damit fehleranfälligere Feststellung (mit auch revisionsrechtlichen Risiken).57 Der Beweisantrag nach § 219 StPO muss vor der Hauptverhandlung beschieden werden und ermöglicht der Verteidigung somit einen Einblick in die Sicht des Gerichts zur Beweislage. Wird der Antrag abgelehnt ist eine Selbstladung eines Sachverständigen nach § 220 StPO in Betracht zu ziehen. Allerdings ist Vorsicht geboten, weil sich ein derartiger Beweisantrag als „Eigentor“ erweisen kann. Die kriminalistisch feststellbaren Beweisanzeichen dokumentieren lediglich die selbst schon von außen erkennbaren Anzeichen für die Insolvenzreife. Bei genauer Betrachtung von Konten, Korrespondenz und Buchführung stellt sich daher regelmäßig ein früherer Zeitpunkt des Eintritts von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit und damit ein deutlich längerer Zeitraum der Insolvenzverschleppung, ggf. auch eine größere Anzahl betrügerisch eingegangener Geschäfte heraus. Das treibt die Straferwartung interessenwidrig nach oben. Ein solches Risiko sollte die Verteidigung nur eingehen, wenn aufgrund des mit der Abarbeitung des Beweisantrags vergehenden Zeit ein größerer Vorteil winkt, der die Verschärfung der beschriebenen Risiken überkompensiert.
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In Verfahren wegen Insolvenzdelikten ist immer auch eine Verständigung in den Blick zu nehmen. Dabei ist auf der einen Seite die rechtliche und tatsächliche Komplexität, auf der anderen Seite die Wahrscheinlichkeit der Möglichkeit des Nachweises verschiedener Delikte zu bedenken. Beides dürfte die Bereitschaft zu einer konsensualen Lösung auf allen Seiten erhöhen. Zeigen sich im Gespräch mit dem Mandanten erhebliche strafrechtliche Risiken, so sollte die Verteidigung bestrebt sein, die Auswertung der Geschäftsunterlagen zu vermeiden. Dazu kann es sich anbieten, weniger schwerwiegen-
54 55 56 57
Vgl. Heinz in FS Beulke, S. 1141 ff. Mock in Uhlenbruck, InsO, § 16 Rz. 11; AnwKomm-StGB/Püschel, Vor §§ 283 ff. Rz. 33. Vgl. Mock in Uhlenbruck, InsO, § 16 Rz. 9; s.a. BGH v. 30.8.2011 – 2 StR 652/10, StV 2012, 584, 585. Siehe z.B. BGH v. 15.8.2019 – 5 StR 205/19, NStZ-RR 2019, 381; BGH v. 19.2.2013 – 5 StR 427/12, wistra 2013, 232, 234; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546.
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II. Strafprozessuale Besonderheiten im Kontext der Insolvenzdelikte | Rz. 66 § 8
de Delikte (verspätete Bilanzierung, Beitragsvorenthaltung, ggf. auch Insolvenzverschleppung) einzuräumen und die Akzeptanz eines Strafbefehls zu signalisieren. Solange die Staatsanwaltschaft noch keinen weitergehenden Anfangsverdacht hegt, darf sie rechtmäßig darauf eingehen. Allerdings sollte das Interesse an einer solchen Erledigung nicht zu deutlich vorgebracht werden, weil das Misstrauen und damit Neugier wecken könnte. Bei der Beratung zu einer möglichen Verständigung muss der Verteidiger über die Konsequenzen aufklären, aber dem Mandanten die endgültige Entscheidung belassen. Die Abwägung der Vor- und Nachteile kann mitunter schwer sein. Zum einen mag eine Verteidigung in der Hauptverhandlung nur beschränkt erfolgsversprechend sein. Dem mag die Möglichkeit der Abwendung medialer Aufmerksamkeit durch eine verständigte Erledigung gegenüberstehen. Zum anderen belastet auch diese den Mandanten. Daneben muss er mit außerstrafrechtlichen Folgen wie dem Ausschluss von der Geschäftsführung nach § 6 GmbHG,58 der Eintragung in das Wettbewerbsregister und (vielleicht horrenden) Schadensersatzansprüchen rechnen. Dies muss der Verteidiger bei der Beratung, ob es sich um eine tat- und schuldangemessene Strafe handelt, berücksichtigen. Eine höhere Strafe zu akzeptieren, sollte er dem Mandanten nicht raten.
II. Strafprozessuale Besonderheiten im Kontext der Insolvenzdelikte 1. Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO Nach § 97 Abs. 1 InsO ist der Schuldner verpflichtet, umfassend Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse zu geben; in den Abs. 2 und 3 werden dem Schuldner weitere Mitwirkungspflichten auferlegt.59 § 101 Abs. 1 InsO erweitert diese Pflicht auch auf Organe und persönlich haftende Gesellschafter des Schuldners.60 Dessen Angestellte sind nach § 101 Abs. 2 InsO ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen zur Auskunft verpflichtet. Die Informationen fließen in das Insolvenzeröffnungsgutachten ein, das zur Kenntnisnahme der Staatsanwaltschaft gelangt. Das Insolvenzgericht ist nämlich nach den Nrn. IX 2 und 3 des 2. Teils, 3. Abschnitt der Anordnung über die Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) verpflichtet, die zuständige Staatsanwaltschaft über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bzw. deren Abweisung mangels Masse zu informieren, und hat ihr die Insolvenzakte zur Verfügung zu stellen.61
65
Deswegen ist aus strafrechtlicher bzw. strafprozessualer Sicht das in § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO geregelte Beweisverwendungsverbot relevant. Kommt der Schuldner seiner insolvenzrechtlichen Auskunftspflicht nach, so läuft er Gefahr, selbst begangene Straftaten zu offenbaren. Da eine Pflicht dazu gegen den verfassungs- und menschenrechtlichen Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verstoßen würde, hat der Gesetzgeber die Auskunftspflicht um ein entsprechendes „Verwendungsverbot“ ergänzt.62 Seine pflichtgemäßen Angaben im eröffneten Insolvenzverfahren dürfen strafprozessual nur mit seiner (unwiderruflichen)63 Zustimmung verwendet werden.64 Es erfasst jedoch keine sonstigen
66
58 Diese Folge tritt auch bei Verurteilung durch Strafbefehl und wegen bloßer Teilnahmestrafbarkeit ein, BGH v. 3.12.2019 – II ZB 18/19, ECLI:DE:BGH:2019:031219BIIZB18.19.0, MDR 2020, 358 = ZIP 2020, 73, 74. 59 Vgl. weiterführend zu § 97 InsO Bader, NZI 2009, 416; Diversy, ZInsO 2005, 180; Tetzlaff, NZI 2005, 316; Hefendehl, wistra 2003, 1; Gaiser, ZInsO 2002, 472; Uhlenbruck, NZI 2002, 401; Bittmann/Rudolph, wistra 2001, 81; Richter, wistra 2000, 1; Weyand, ZInsO 2001, 108; Vallender, ZIP 1996, 529. 60 BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, MDR 2015, 486 = NJW-RR 2015, 683. 61 Vgl. Schützeberg, StRR 2009, 450, 450 f. 62 Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180, 182, 184; ursprünglich stellte das BVerfG ein Verwertungsverbot für dieser Auskünfte auf, BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, MDR 1981, 818 = NJW 1981, 1431, 1433; Weyand, ZInsO 2015, 1948. 63 Diversy, ZInsO 2005, 180, 183. 64 Nach AG Frankfurt/O. v. 14.8.2019, NZWiSt 2020, 202, 203f. bezieht sich das Verwendungsverbot bereits auf die im Eigenantrag enthaltenen Auskünfte.
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§ 8 Rz. 66 | § 8 Insolvenzstrafrecht Auskünfte des Schuldners. Das Verwendungsverbot setzt nach seinem Wortlaut gerade die Erfüllung der Pflicht aus Abs. 1 Satz 1 voraus. Die aus anderem Anlass gemachten Angaben des Pflichtigen sind uneingeschränkt verwertbar,65 aber nur sofern er sich freiwillig äußerte, während in Bezug auf in Erfüllung sonstiger gesetzlicher oder auf Grundlage gesetzlicher Pflichten offenbarter Informationen ein verfassungsunmittelbares Verwertungsverbot besteht. Demnach sollen die Angaben gegenüber einem vom Gericht bestellten Gutachter verwertbar sein, sofern das Gericht dem Schuldner nicht aufgegeben hat, seine Auskunftspflicht gegenüber dem Gutachter zu erfüllen.66 67
Im Zusammenhang mit dem Verwendungsverbot sind verschiedene Einzelthemen umstritten. Gilt das Verwendungsverbot nur für Erklärungen und Auskünfte oder auch für vorgelegte Unterlagen? Es dürfte zu differenzieren sein: Während pflichtgemäß unabhängig von der Insolvenzlage aufzubewahrende Buchhaltungsunterlagen nicht geschützt sind, darf eine erteilte Auskunft auch dann nicht verwendet werden, wenn sie der Pflichtige schriftlich oder zeichnerisch erteilt hat.67 Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob er die Angaben unter Zwangsandrohung gemacht hat.68 Maßgeblich ist allein die bestehende Pflicht dazu, die zudem nach § 98 InsO hätte erzwungen werden können. Demnach hängt die Verwendbarkeit insoweit nur von der ausdrücklichen Zustimmung des Schuldners ab, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO.
68
§ 97 Abs. 1 Satz 3 InsO ordnet ein Verwendungsverbot an. Den Gegensatz zu einem Verwertungsverbot beschrieb der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages69 dahingehend, dass eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen dürfe. Das Verbot, die Auskunft selbst als Beweismittel zu verwerten, wurde damit um eine deren Inhalt betreffende Fernwirkung erweitert, die es untersagt, auf Basis der Auskunft nach anderen, eigenständigen und deshalb verwertbaren Beweisen zu suchen. Die genaue Bedeutung dieser Fernwirkung ist umstritten70 und von der Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt.71 Nach einer Ansicht sollen diejenigen Beweismittel verwendet werden dürfen, die zwar aufgrund der Auskünfte des Schuldners gefunden wurden, aber auch ohne diese Auskunft gefunden worden wären.72 Dies entspricht im Ansatz der wohl h.M. bei den allgemeinen Beweisverwertungsverboten. Bei dieser Ansicht stellt sich das Folgeproblem, ob die Beweismittel verwertbar sind, wenn sich nicht zweifelsfrei belegen lässt, dass sie auch ohne die Auskunft gefunden worden wären. Die Literaturstimmen dazu gehen ohne weiteres davon aus, dass auch für diese Frage der in-dubio-Grundsatz greift. Zu beachten ist aber, dass sich in der Rechtsprechung zu anderen Beweisverwertungsverboten die Formel findet, es reiche aus, dass die Beweismittel auch „überwiegend wahrscheinlich“ ohne die rechtswidrige Verwertung gefunden worden wären. Mit der Gefahr allzu leichter Umgehung des Verwendungsverbots lehnt die Gegenauffassung
65 Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180, 183, 184. 66 LG Münster v. 31.8.2017 – 12 Qs-45 Js 916/16-25/17, StraFo 2018, 76, 77; OLG Jena v. 12.8.2010 – 1 Ss 45/10, NZI 2011, 382, 383; OLG Celle v. 19.12.2012 – 32 Ss 164/12, wistra 2013, 247; krit. Haarmeyer, ZInsO 2016, 545, 552. 67 LG Stuttgart v. 21.7.2000 – 11 Qs 46/00, wistra 2000, 439; LG Ulm, Beschl. v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07, NJW 2007, 2056; Stephan in MünchKomm/InsO, § 97 Rz. 25 m.w.N. Nach BGH v. 9.1.2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264, der das Verwendungsverbot nicht explizit anspricht, hat sich der nach § 97 Abs. 1 InsO zur Auskunft Verpflichtete nicht darauf zu beschränken, bloß sein präsentes Wissen mitzuteilen, sondern alle zur Auskunft erforderlichen Vorarbeiten zu erbringen, wie z.B. Belege vorzulegen. Zum Stand der Literaturmeinungen vgl. Bittmann/Rudolph, wistra 2001, 81 ff.; Uhlenbruck, NZI 2002, 401 ff.; Hefendehl, wistra 2003, 1 ff.; a.A. OLG Jena v. 12.8.2010 – 1 Ss 45/10, NZI 2011, 382, 383. 68 Zipperer in Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 10; a.A. Weyand, ZInsO 2015, 1948,1950; Stephan in MünchKomm/InsO, § 97 Rz. 19, der eine Freiwilligkeit nicht mehr annimmt, wenn der Schuldner über seine Aussagepflicht aufgeklärt bzw. belehrt ist. 69 BT-Drucks. 12/7302, 5, 62 ff. 70 Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180, 182, 184; Hohnel, NZI 2005, 152 ff.; Zipperer in Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 10; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 403. 71 Offen gelassen von BGH v. 26.7.2017 – 3 StR 52/17, ZInsO 2017, 2314. 72 LG Stuttgart v. 21.7.2000 – 11 Js 46/00, wistra 2000, 439.
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II. Strafprozessuale Besonderheiten im Kontext der Insolvenzdelikte | Rz. 71 § 8
jegliche hypothetische Betrachtung ab.73 Es komme allein auf die tatsächlich genutzten Erkenntnisquellen an. Das bewahrt den Mandanten allerdings dann nicht vor Verurteilung, wenn der Nachweis in der Hauptverhandlung mit ggf. neuen, von der Auskunft justizseits belegbar74 unabhängigen Beweisen geführt wird. Weiterhin besteht Unsicherheit bei der Frage, ob § 97 Abs. 1 S. 3 InsO eine sog. Frühwirkung zeigt, so dass aus der Insolvenzakte schon kein Anfangsverdacht einer Insolvenzstraftat geschöpft werden darf.75 Dies hätte zur Folge, dass ein Insolvenzverfahren nicht eingeleitet werden könnte, ohne dass anderweitige Erkenntnisse vorliegen, die sich nicht aus der Insolvenzakte speisen. Denn der Eintritt der Insolvenz dürfte für sich genommen kein hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkt zur Begründung des Anfangsverdachts i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO sein.76 Daraus folgt für die Verteidigung die „Nullhypothese“, dass die belastenden Erkenntnisse regelmäßig auf Auskünften des Schuldners beruhen und entsprechend nicht verwendbar sind. Unterstützung findet diese Ansicht in der bereits zitierten Begründung des Rechtsausschusses, dass eine Auskunft des Schuldners nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf. Die Gegenansicht verweist auf das später verabschiedete und damit unvereinbare Justizmitteilungsgesetz als Grundlage für Pflichtmitteilungen der Insolvenzgerichte an die Staatsanwaltschaften. Die Rechtsprechung hat es bislang versäumt, Rechtsklarheit zu schaffen.
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Für die Praxis der Beratung bleibt angesichts dieser vielfältigen Unklarheiten nur, die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten. Die Verteidigung hat an zahlreichen Stellen während des Verfahrens die Möglichkeit, die Garantie des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und mit ihr die Wahrung des nemotenetur-Grundsatzes einzufordern, und sollte sie – wenn geeignet – ergreifen. Das fängt bereits bei der Belehrung vor der Vernehmung als Beschuldigter an. Weil § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO die strafprozessuale Verwendung von der Zustimmung des insolvenzrechtlich Auskunftspflichtigen abhängig macht, bedarf es seiner vorherigen qualifizierten Belehrung. Unterblieb sie, so hat die Verteidigung, will sie die Verwendung der in der Beschuldigtenvernehmung getätigten Aussagen verhindern, auf das Verwendungsverbot zu pochen. Gerade ein zuvor unverteidigter Beschuldigter dürfte sich nach einer umfassenden Auskunft gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht bewusst sein, dass vor der Ermittlungsbehörde bzw. dem Gericht diese Verpflichtung nicht fortbesteht. In der Hauptverhandlung sollte zudem der Verwertung der im Insolvenzverfahren vom dort Auskunftspflichtigen, nunmehr Angeklagten getätigten Angaben und von ihm vorgelegten Urkunden vorsichtshalber widersprochen werden, obwohl die Rechtsprechung bislang keine derartige Obliegenheit bejaht.77
70
2. Schweigepflichtentbindung Berufsgeheimnisträgern (Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern) steht ein Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite, § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO. Es löst nach Maßgabe des § 97 Abs. 1 StPO zugleich die Beschlagnahmefreiheit von in deren Besitz befindlicher schriftlicher Mitteilungen, Aufzeichnungen und Gegenstände aus.78 Beides endet mit wirksamer Entbindung von der Schweigepflicht.79 Zuständig dafür ist bei Gesellschaften und sonstigen juristischen Personen deren vertretungsberechtigtes Organ. Im Fall personeller Veränderungen stellt sich die Frage, ob auch die früheren
73 LG Potsdam v. 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, juris Rz. 18, StV 2014, 407. 74 Hefendehl, wistra 2003, 1, 7; Püschel in FS AG Strafrecht, S. 759, 771; Haarmeyer, ZInsO 2016, 545, 555. 75 Dafür Püschel, FS AG Strafrecht, S. 759, 761 ff.; Haarmeyer, ZInsO 2016, 545, 552; offen gelassen AG Frankfurt/O. v. 12.3.2020 – 412 Cs 147/18, juris Rz. 66; dagegen Weyand, ZInsO 2015, 1948. 76 Ausführlich Schreiner, Aktenbeiziehung und Anfangsverdacht im Insolvenzstrafverfahren, 2020, 194 ff.; s.a. Haarmeyer, ZInsO 2016, 545, 552. 77 Vgl. OLG Celle v. 19.12.2012 – 32 Ss 164/12, wistra 2013, 247; LG Potsdam v. 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407. 78 MünchKomm/StPO/Hauschild, § 97 Rz. 35 ff. 79 OLG Nürnberg v. 17.8.1956 – Ws 267/56, NJW 1958, 272; Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 1 Rz. 178; KK/StPO/Greven, § 97 Rz. 5.
Püschel | 599
71
§ 8 Rz. 71 | § 8 Insolvenzstrafrecht Verantwortlichen zustimmen müssen oder ob es in der Insolvenz genügt, wenn der Verwalter die Erklärung abgibt. Praktische Relevanz findet die Rechtsfrage nicht nur bei Zeugenaussagen, sondern auch während der Durchsuchung beim Mandanten, wenn gleichzeitig beim Berufsgeheimnisträger (nach § 103 StPO) durchsucht werden soll, um dort Unterlagen zu beschlagnahmen. 72
Insbesondere bei einem Strafverfahren gegen einen früheren Organwalter einer insolvent gewordenen juristischen Person wird die Frage der Wirksamkeit einer Schweigepflichtentbindung virulent. Die Schwierigkeit der Beurteilung liegt dann darin, dass bei einem personalen Wechsel die Vertretungsbefugnis formal-juristisch wirksam übergegangen ist, jedoch das Interesse früherer Verantwortlicher am Schweigerecht des Berufsgeheimnisträgers fortbesteht. Nach der sog. personalen Ansicht bedarf es der übereinstimmenden Erklärung aller gegenwärtigen und früheren, rechtlichen wie faktischen Repräsentanten.80 Nur gegenwärtige und frühere Verantwortliche zusammen könnten einen Berufsgeheimnisträger wirksam von seiner Schweigepflicht gegenüber der juristischen Person befreien, zu der das Mandatsverhältnis bestand oder noch besteht. Denn sofern der frühere Organwalter dem Berufsgeheimnisträger auch Geheimnisse anvertraut hat,81 die seine eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit betreffen, komme es auf seine Erklärung als Träger des Geheimnisses ebenso an.82 Eine Beschränkung der Entbindungsberechtigung auf das Mandatsverhältnis spiegele sich im Wortlaut und Schutzzweck des § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO nicht wider.83
73
Der BGH hat sich jedoch aus Anlass von Vernehmungen im Wirecard-Untersuchungsausschuss der gegenteiligen Trennungslösung angeschlossen.84 Da die Interessen der natürlichen und der juristischen Person auseinanderfallen können, müsse das Vertretungsorgan in seiner aktuellen Zusammensetzung wirksame Entbindungserklärungen abgeben können. Anderenfalls könne ein früherer Organwalter aus eigenem Interesse Zeugenaussagen eines Berufsgeheimnisträgers verhindern, obwohl sie im Interesse seines Auftraggebers, des Unternehmens, lägen. Nur wenn auch ein persönliches Mandat des früheren Verantwortlichen bestand und bei einer Aussage unvermeidlich private Geheimnisse offenbart würden, bedürfe es auch dessen Entbindungserklärung.85 Im Insolvenzfall reiche, sofern es um Angelegenheiten der Insolvenzmasse gehe, die Entbindungserklärung des Insolvenzverwalters aus, weil auf diesen die Dispositionsbefugnis des Geheimnisherrn gem. § 80 InsO übergegangen sei.86
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Ob sich diese für Untersuchungsausschüsse bejahte Auffassung ohne Einschränkungen auf den Strafprozess übertragen lässt, darf aufgrund der dort abweichenden Interessenlage weiterhin bezweifelt werden. Dem öffentlichen Interesse an effektiver Strafverfolgung steht das Interesse des Beschuldigten an fairer Verfahrensführung gegenüber. Dieses ist ein rein persönliches. Das Unternehmen ist am Verhältnis zwischen dem Staat und einem von diesem Angeklagten nicht beteiligt. Da seine Interessen von einer Bestrafung des Angeklagten de jure nicht berührt werden, ist für das vom BGH als maßgeb80 Pfälz. OLG v. 8.12.2016 – 1 Ws 334/16, NZI 2017, 175; OLG Koblenz v. 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426, 427; Köllner/Mück, NZI 2018, 341, 342. 81 Ausführlich zum Vertrauen Krause, NStZ 2012, 663, 664. 82 Pfälz. OLG v. 8.12.2016 – 1 Ws 334/16, NZI 2017, 175x f.; Schl.-Holst. OLG v. 27.5.1980 – 1 Ws 160, 161/80, NJW 1981, 294; Brosthaus, jurisPR-StrfR 6/2021 Anm. 3, S. 3 m.w.N. 83 Krause, NStZ 2012, 663; zum Schutzzweck: BGH NStZ-RR 2014, 149, 150; BeckOKStPO/Huber, § 53 Rz. 1; KK/StPO/Bader, § 53 Rz. 1; MünchKomm/StPO/Percic, § 53 Rz. 1. 84 BGH v. 27.1.2021 – StB 44/20, ECLI:DE:BGH:, NJW 2021, 1022; zuvor bereits BGH v. 30.11.1989 – III ZR 112/88, MDR 1990, 315 = NJW 1990, 510. 85 BGH v. 27.1.2021 – StB 44/20, ECLI:DE:BGH:, NJW 2021, 1022, 1023; BGH v. 30.11.1989 – III ZR 112/ 88, MDR 1990, 315 = NJW 1990, 510, 512; Köllner/Mück, NZI 2018, 341, 344 f.; die Ausnahme abl. Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 1 Rz. 185. 86 BGH v. 27.1.2021 – StB 44/20, ECLI:DE:BGH:, NJW 2021, 1022, 1023 m.w.N.; BGH v. 30.11.1989 – III ZR 112/88, MDR 1990, 315 = NJW 1990, 510, 512; zustimmend Weyand, ZInsO 2021, 497; s.a. OLG Hamm v. 27.2.2018, NZI 2018, 499, 501; OLG Köln v. 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 9 f.; OLG Nürnberg v. 18.6.2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690; Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 1 Rz. 189.
600 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 78 § 8
lich angesehene Blockadeargument kein Platz.87 Während die personale Ansicht zu einer klaren und praktikablen Handhabung führt, kann die Trennungslösung von ihr provozierte Verwerfungen nur mit Ausnahmen und Beschränkungen vermeiden. War der Organwalter seiner Auskunftspflicht nach §§ 97 Abs. 1 S. 1; 101 Abs. 1 InsO (vgl. Rz. 65 ff.) in Begleitung eines Rechtsbeistandes des Unternehmens nachgekommen, so unterläge die Aussage des Insolvenzverwalters strafprozessual einem Verwendungsverbot, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO. Zu weit würde es gehen, wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsbeistand des Unternehmens von der Schweigepflicht entbinden könnte, so dass dieser aussagen müsste. Mit dem Argument, weil er kein Auskunftsberechtigter i.S.d. § 97 InsO war, handele es sich ihm gegenüber um eine freiwillige Offenbarung, ließe sich die Erstreckung des Verwendungsverbots auf den Rechtsbeistand bestreiten. Erfolg sollte aber einer derartigen Umgehung des nemo-tenetur-Grundsatzes88 auch auf Basis der Trennungslösung nicht beschieden sein. Der Angeklagte hat seine fragliche Aussage pflichtgemäß als früherer Organwalter getätigt. Deshalb unterfällt sie ebenso dem Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO wie wenn ein Gläubiger vom Insolvenzverwalter oder in einem Zivilprozess Informationen erhält, die auf erzwingbare Angaben des nunmehr früheren Verantwortlichen zurückgehen. Auf dieses Thema ging der BGH nicht ein. Es lässt sich folglich mit guter Aussicht auf Erfolg anführen.
75
Unabhängig von der Frage der Kompetenz zur Schweigepflichtentbindung von Beratern der Schuldnerin sollte der Insolvenzverwalter reflektieren, ob die Entbindung im Interesse der Gläubiger liegt. Die in der Praxis zu beobachtende reflexartige Billigung von Aussagen ehemaliger Berater mutet mitunter pflichtvergessen an. Es liegt nicht fern, dass dieses Thema im Rahmen von Verhandlungen mit haftenden Organwaltern deren Ausgleichsbereitschaft nicht optimiert.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz 1. Täter und Teilnehmer der Insolvenzdelikte Täter mancher im Zusammenhang mit einer Insolvenz begangenen Straftat kann aufgrund der Vielzahl der möglichen Delikte zunächst einmal jeder sein. Auch nicht leitende Mitarbeiter des Schuldners oder gänzlich Außenstehende sind taugliche Täter von Betrug, Untreue oder Schuldnerbegünstigung. Die meisten im engeren Sinne insolvenzrechtlichen Straftatbestände sind jedoch Sonderdelikte, die nur von einem deliktspezifischen Personenkreis verwirklicht werden können. Beim Bankrott ist dies der Schuldner. Dabei handelt es sich um ein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 StGB.89
77
Straftaten werden auch aus Unternehmen von natürlichen Personen begangen, sei es selbst oder mittels von Vertretungsorganen oder besonders Beauftragten. Sonderdelikte können nur vom jeweils tauglichen Täter begangen werden. Erfüllt der Handelnde die Voraussetzungen dafür nicht in eigener Person, so ist eine Zurechnung nach § 14 StGB zu prüfen. Scheidet sie aus, so kommt Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) in Betracht – aber nur, wenn es jedenfalls irgendeinen Täter gibt.
78
87 Vgl. Brosthaus, jurisPR-StrfR 6/2021 Anm. 3, S. 4 ff. (bereits für eine Abgrenzung des Verfahrens vor dem Untersuchungsausschuss von einem Insolvenzverfahren, in dem die Gläubiger starke berechtigte Interessen innehaben). 88 Vgl. OLG Koblenz v. 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426, 428. 89 BGH v. 14.3.2019 – 1 StR 259/18, NStZ-RR 2019, 180; BGH v. 21.3.2018 – 1 StR 423/17, wistra 2018, 437; BGH v. 22.1.2013 – 1 StR 234/12, NJW 2013, 949, 950; a.A. Lackner/Kühl/Heger, StGB § 283 Rz. 25.
Püschel | 601
§ 8 Rz. 79 | § 8 Insolvenzstrafrecht
a) Zurechnung nach § 14 StGB aa) Vertretungsorgane/Beauftragte 79
Dem Geschäftsführer einer GmbH und dem Vorstand einer AG oder eG werden die die Gesellschaft treffenden Pflichten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugerechnet, wenn diese Personen die unter Strafe gestellten Handlungen vornehmen; allerdings nur insoweit, als sie dabei als Organ handeln.90 Die frühere Rechtsprechung stellte darauf ab, ob der Täter zumindest auch im Interesse der Gesellschaft gehandelt hat, sog. Interessenformel.91 Bei ausschließlicher Verfolgung eigener Interessen schied der Bankrott aus. Stattdessen war (aber nicht für alle Varianten) nur der Untreuetatbestand, § 266 StGB einschlägig. Mittlerweile hat der BGH diese Rechtsauffassung aufgegeben und wendet das sog. Zurechnungsmodell an.92 Es kommt nun darauf an, ob der Vertreter i.S.v. § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden ist, z.B. zur Erfüllung außerstrafrechtlicher, aber strafbewehrter Buchführungspflichten, § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB. Bei rechtsgeschäftlichem Handeln kommt es auf die Rechtsmacht an, den Vertretenen wirksam zu verpflichten.93 Die Zurechnung im Fall rein faktischen Handelns ist nach wie vor umstritten. Laut BGH könne jedenfalls die Zustimmung des Vertretenen die Grundlage einer Zurechnung sein.94 Die Verantwortlichkeit eines Strohmann-Geschäftsführers ist nicht dadurch eingeschränkt, dass er im Innenverhältnis keine bedeutsame Rechtsgeschäftsmacht aufweist.95
80
Die Möglichkeit der Zurechnung ist nicht auf Organe juristischer Personen beschränkt. Nach § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB kommt sie auch für Beauftragte in Betracht, sofern ihnen der gesetzlich Verantwortliche bestimmte Leitungsaufgaben zur Wahrnehmung in eigener Verantwortung übertragen hat. § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass der Auftrag ausdrücklich (aber nicht unbedingt schriftlich) erteilt wurde.96 Nicht erforderlich ist, dass der Beauftragte selbständig handelt; Pflichten können also auch an weisungsgebundene Mitarbeiter des Unternehmens zur eigenen Verantwortung übertragen werden.97 Klassische Anwendungsfälle sind der Buchhaltungsleiter,98 §§ 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 283b Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB, und der mit der Bilanzierung beauftragte Steuerberater,99 §§ 283 Abs. 1 Nr. 7, 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB. bb) Amtsniederlegung
81
Will der Mandant sich bereits vor Eintritt einer Krise durch Amtsniederlegung strafrechtlich absichern, so ist dies grundsätzlich möglich. Hat der Mandant bereits Straftaten verwirklicht, so bleibt jedoch seine Strafbarkeit davon unberührt. Umstritten und höchstrichterlich nicht abschließend geklärt ist die Strafbarkeit wegen Verletzung etwaiger der Amtsniederlegung nachwirkender Pflichten. Rele90 BGH v. 20.5.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127 = MDR 1982, 684; BGH v. 21.5.1969 – 4 StR 27/69, NJW 1969, 1494. 91 BGH v. 20.5.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 130 = MDR 1982, 684; BGH v. 14.12.1999 – 5 StR 520/ 99, wistra 2000, 136, 137. 92 BGH v. 15.5.2012 – 3 StR 118/11, NJW 2012, 2366, 2367 f. m.w.N.; BGH v. 29.11.2011 – 1 ARS 19/11, wistra 2012, 113 f.; BGH v. 22.12.2011 – 2 ARs 403/11; BGH v. 10.1.2012 – 4 ARs 17/11, wistra 2012, 191; BGH v. 7.2.2012 – 5 ARs 64/11; Streitstand bei MünchKomm/StGB/Petermann, Vor § 283 Rz. 59 ff. 93 Sog. zivilrechtsakzessorisches Zurechnungsmodell. Zur a.A. s. Habetha/Klatt, NStZ 2015, 671, 673 m.w.N.; Funktionstherorie. 94 BGH v. 15.5.2012 – 3 StR 118/11, NJW 2012, 2366, 2368 f. m.w.N.; Achenbach, NStZ 2010, 621, 624; vgl. auch Brand, NStZ 2010, 9. 95 BGH v. 13.10.2016 – 3 StR 352/16, StraFo 2017, 35. 96 BGH v. 4.9.2019 – 1 StR 579/18, wistra 2021, 76, 79; BGH v. 7.4.2016 – 5 StR 332/15, NStZ 2016, 460, 462; Fischer, StGB, § 14 Rz. 12. 97 Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 14 Rz. 35 m.w.N. 98 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 58. 99 Vgl. Sundermeier/Gruber, DStR 2000, 929.
602 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 84 § 8
vant ist das Thema für Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, Insolvenzverschleppung und für die Buchführungspflichten im Rahmen des Bankrotts. Richtiger Ansatzpunkt ist die Frage nach dem Bestehen der für Unterlassungsdelikte erforderlichen Garantenstellung. Sie ist hier mit der Stellung als Geschäftsführer verbunden und endet folglich grundsätzlich mit dieser. Eine allgemein nachwirkende Garantenstellung ist nicht anerkannt.100 Das strafbare Unterlassen beginnt bei der Beitragsvorenthaltung erst bei deren Fälligkeit (vgl. Rz. 261). Die Pflicht, Insolvenz anzumelden, setzt erst mit Eintritt der Insolvenzreife ein, bei aussichtsreichen Sanierungsversuchen sogar erst 3 bzw. 6 Wochen später. Handlungspflichtig ist nur, wer zum jeweils maßgeblichen Zeitpunkt noch die Stellung als Geschäftsführer innehat. Die Amtsniederlegung in der Zeit davor führt also zur Straflosigkeit,101 selbst wenn sie erst nach eingesetzter Handlungspflicht ins Handelsregister eingetragen wird.102 Allerdings muss die Amtsniederlegung wirksam sein. Dies ist nach steändiger Rechtsprechung nicht der Fall, wenn der Geschäftsführer nach der formellen Amtsniederlegung weiter auf die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich einwirkt – und sei es mittelbar durch einen Strohmann.103 Die zum Zwecke der Unternehmensbestattung abgegebenen Willenserklärungen u.a. zur Amtsniederlegung sind wegen der damit verbundenen und intendierten Gläubigerbenachteiligung sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB und deshalb ebenso nichtig wie Gesellschafterbeschlüsse (diese in entsprechender Anwendung von § 241 Nr. 4 AktG).104 Die bisherige Stellung bleibt daher erhalten. Der beurkundende Notar riskiert eine Beihilfestrafbarkeit und disziplinarrechtliche Folgen.105 Dies bewahrt die Bestatter allerdings nicht vor eigener strafrechtlicher Verantwortung.
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Es ist eine offene Frage, ob und wenn ja, inwieweit die zivilrechtliche Judikatur zu rechtsmissbräuchlicher Amtsniederlegung oder Abberufung auf das Strafrecht übertragbar ist. Rechtsmissbräuchlichkeit wird angenommen, wenn das Organ sein Amt niederlegt oder abberufen wird, um einen Eröffnungsantrag zu vermeiden, oder ohne dass ein wichtiger Grund erklärt oder Ersatz für den einzigen Geschäftsführer gestellt wird.106 Ist im letzteren Fall der frühere Geschäftsführer Gesellschafter, so betrachtet ihn § 15a Abs. 3 InsO als verpflichtet, den nötigen Eröffnungsantrag zu stellen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, da dieser bei Führungslosigkeit der Gesellschaft nur eine Passivvertretung gewährleistet.107
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Um strafrechtlich auf der sicheren Seite zu sein, sind zu zivilrechtlicher Sittenwidrigkeit führende Umstände von vornherein zu vermeiden: Für die außerordentliche Beendigung der Geschäftsführerstellung bedarf es eines wichtigen Grundes. Fehlt dieser so sind die Geschäfte weiterzuführen und alle
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100 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 199. 101 BGH v. 30.9.1980 – 1 StR 407/80, MDR 1981, 100 = NStZ 1981, 353 für die Buchführungspflichten. Vgl. OLG Naumburg v. 15.3.2000 – 5 U 183/99, GmbHR 2000, 558, 559 mit Anm. Peetz, GmbHR 2000, 559 für die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Anderer Ansicht für die Insolvenzantragspflicht allerdings die stark kritisierte, aber bisher wohl nicht überholte Entscheidung des BGH v. 14.12.1951 – 2 StR 368/51, BGHSt 2, 53–54. Soweit zum Teil vertreten wird, diese Aussage sei durch die Entscheidung BGH v. 30.9.1980 – 1 StR 407/80, NStZ 1981, 353 überholt, so ist dies m.E. nicht zutreffend, da der BGH dort über eine andere Konstellation entschieden hat. 102 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 199 f. 103 OLG Naumburg v. 15.3.2000 – 5 U 188/99, GmbHR 2000, 558, 559; LG Stendal v. 10.11.1999 – 21 O 42/99, GmbHR 2000, 88, 89; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 199. 104 Nur zum Streitstand da nicht entscheidungsrelevant: BGH v. 15.11.2012 – 3 StR 199/12, NJW 2013, 1892, 1894. 105 BGH v. 8.4.2019 – NotSt (Brfg)5/18, MDR 2019, 894 = NZG 2019, 877. 106 OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, NZG 2008, 340; OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, FGPrax 2001, 82; Pfälz. OLG v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, DNotZ 2006, 709; BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, BB 1999, 1782; BayObLG v. 6.8.1981 – BReg. 1 Z 39/81, DB 1981, 2219; vgl. ebenso OLG Hamm v. 21.6.1988 – 15 W 81/88 (n.v.). 107 OLG München v. 16.3.2011 – 31 Wx 64/11, MDR 2011, 553 = NZG 2011, 432; a.A. Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 200.
Püschel | 603
§ 8 Rz. 84 | § 8 Insolvenzstrafrecht Pflichten zu erfüllen. Kommt der Fremdgeschäftsführer zu dem Ergebnis, einen Eröffnungsantrag stellen zu müssen, wird ihm dies aber seitens der Gesellschafter untersagt, so dürfte der entstandene Zielkonflikt ein ausreichend wichtiger Grund sein. Denn die Weisung ist nur rechtswidrig und bindet ihn nicht, wenn Insolvenzreife tatsächlich bestand – anderenfalls machte er sich schadenersatzpflichtig, indem er sich über die Vorgaben der Gesellschafter hinwegsetzt. Sind die Grundlagen zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage mit Unsicherheiten behaftet, so kann er sich den Alternativdrohungen von Strafe oder finanziellem Ruin nur mittels Amtsniederlegung entziehen.108 Ausreichender Rechtschutz dürfte in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu erlangen sein. cc) Faktischer Geschäftsführer 85
Nach ständiger Rechtsprechung steht dem eingetragenen der sog. faktische Geschäftsführer gleich.109 Das Phänomen der Leitung seitens dazu rechtlich nicht Berufener tritt nicht nur bei juristischen Personen auf, sondern auch bei Personengesellschaften und – allerdings selten – auf der Ebene des Vorstands von AG oder eG. Die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben allein führt jedoch noch nicht zur Verantwortlichkeit als faktischer Geschäftsführer. Hinzukommen muss noch ein Willensakt der Gesellschaft. Dieser besteht entweder in der erfolgten, aber unwirksamen Bestellung (dann § 14 Abs. 3 StGB) oder im allein tatsächlichen Einverständnis oder zumindest der Duldung seitens der Gesellschafter oder eingetragenen Organe. In solchem Fall wendet die Rechtsprechung § 14 Abs. 1 StGB direkt an,110 aber nur, wenn der Betreffende nicht nur innerhalb der Gesellschaft, sondern auch nach außen gegenüber dem Publikum oder Ämtern als Leiter auftritt.111
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Maßgeblich ist, wer nach dem von den individuellen Umständen abhängenden Gesamterscheinungsbild der „Boss“ ist.112 In einer grundlegenden Entscheidung hat der BGH auf folgende äußere Umstände abgestellt113: Checkliste faktischer Geschäftsführer: Bestimmung der Unternehmenspolitik und -organisation Pflege der Geschäftsbeziehungen Verhandlung wichtiger Verträge Verhandlung mit Banken Identifikation des Unternehmens mit der Person des Mandanten nach außen Entlassung und Einstellung von Mitarbeitern Ausstellung von Zeugnissen für Mitarbeiter Beauftragung und Bevollmächtigung von Steuerberatern mit der Führung der Geschäftsbücher
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Kein Fall des faktischen Geschäftsführers ist es, wenn die Amtsniederlegung nicht wirksam ist (vgl. Rz. 82 ff.).
108 Vgl. BGH v. 13.10.2016 – 3 StR 352/16, StraFo 2017, 35. 109 BGH v. 15.11.2012 – 3 StR 199/12, NJW 2013, 1892; BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62, 64; BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118; BGH v. 28.6.1966 – 1 StR 414/65, BGHSt 21, 101, 103; BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 37. = MDR 1983, 66 Einen Überblick über die Rechtsprechung liefert Hildesheim, wistra 1993, 166 und Rönnau, NStZ 2003, 525. 110 Gegen eine Anwendung des § 14 Abs. 1 StGB auf den faktischen Geschäftsführer über den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 3 StGB hinaus (also insb. ohne unwirksamen Bestellungsakt), MünchKomm/StGB/Radtke, § 14 Rz. 124. 111 BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414; BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZInsO 2005, 878; OLG Karlsruhe v. 7.3.2006 – 3 Ss 190/05, NJW 2006, 1364. 112 Vgl. Merz in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 14 StGB Rz. 61. 113 BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 = MDR 1983, 66.
604 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 92 § 8
Schon aus registerrechtlichen Gründen ist, wenn nicht stets, so doch in aller Regel ein förmlicher Geschäftsleiter benannt.114 Seine Existenz hindert die Klassifizierung eines Dritten als faktisches Organ daher nicht per se. Diese setzt aber die Übernahme von Leitungsaufgaben voraus. Leicht fällt die Beurteilung, fungiert der förmlich Bestellte lediglich als Strohmann. Nimmt er hingegen selbst gewisse Aufgaben der Geschäftsführung wahr, so ist ein Dritter nur dann faktischer Geschäftsführer, wenn er trotzdem über bestimmenden Einfluss verfügt. Dafür muss der faktische Geschäftsführer die Geschäftsführerfunktionen in maßgeblichem Umfang übernommen haben, und ihm muss gegenüber dem bestellten Geschäftsführer eine überragende Stellung zukommen.115 Die Haftung des faktischen Geschäftsführers lässt die strafrechtliche Verantwortlichkeit des rechtswirksam bestellten Geschäftsführers unberührt, weil letzterer über die Rechtsmacht zur Wahrnehmung der Leitungsaufgaben gerade auch in Bezug auf Buchführung und Bilanzierung verfügt.116
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Bestehen ausreichende Indizien für die Vermutung einer Stellung als faktischer Geschäftsführer, so ist der Mandant darüber aufzuklären, dass ihm trotz fehlender förmlicher Stellung als Organ der Gesellschaft sämtliche Aufgaben eines Geschäftsführers obliegen, insbesondere also die strafbewehrten Pflichten zum Stellen eines Eröffnungsantrags, zum Abführen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und zur Buchführung nebst Bilanzierung. In zweifelhaften Fällen ist der Mandant aus anwaltlicher Vorsicht zumindest über die Möglichkeit einer solchen Stellung aufzuklären. Für die Zukunft kann er einer strafrechtlichen Haftung als faktischer Geschäftsführer dadurch entgehen, dass er aufhört, die Geschicke der Gesellschaft zu leiten und dies nach außen auch deutlich macht.
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dd) Insolvenzverwalter und Sanierer Sowohl starke vorläufige als auch endgültige Insolvenzverwalter sind Adressaten von § 14 StGB. Beide erhielten durch die gerichtliche Bestellung die allgemeine Verfügungsbefugnis über das nicht insolvenzfreie Vermögen des Schuldners. Damit gingen auch die meisten strafrechtlich relevanten Pflichten auf sie über. Sie sind damit taugliche Täter z.B. eines Bankrotts, § 283 StGB.
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Gleiches kommt für externe Sanierer, selbst wenn sie Steuerberater oder Rechtsanwalt sind, in Betracht.117 Übernimmt ein außenstehender Dritter die Aufgabe, das in die Krise geratene Unternehmen zu retten, so hängt seine Stellung davon ab, wie er diese Aufgabe wahrnimmt und wie weit seine Befugnisse reichen. Wird der Sanierer zum Geschäftsführer bestellt, so ist er ohne weiteres tauglicher Täter nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Erfolgt eine solche Bestellung nicht, so kommt es für eine mögliche Strafbarkeit nach z.B. § 283 StGB darauf an, ob der Sanierer als faktisches Organ im Wesentlichen die Geschäftsführung übernommen hat oder ob er lediglich einzelne Entscheidungen trifft oder den Geschäftsführer berät. Letzterenfalls kommt nur eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe in Betracht.
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b) Teilnahme an den Straftaten Neben eigener Täterschaft kommt gem. §§ 26, 27 StGB die Anstiftung oder Beihilfe zu Taten der förmlich Verantwortlichen in Betracht. Ist der Teilnehmer an Insolvenzsonderdelikten nicht selbst
114 BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 = MDR 1983, 66; Merz in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 14 StGB Rz. 62. 115 BGH v. 23.1.2013 – 1 StR 459/12, wistra 2013, 272; BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 = MDR 1983, 66. 116 BGH v. 13.10.2016 – 3 StR 352/16, NStZ 2017, 149 (zu § 266); mit weiteren Überlegungen zu den Pflichten des Strohmanns Sahan/Altenburg, NZWiSt 2018, 161, 167; Maurer, wistra 2003, 174, 175 f.; Rönnau, NStZ 2003, 525, 526 f.; a.A. KG v. 13.3.2002 – (5) 1 Ss 243/01 (6/02), wistra 2002, 313, 314 f., das darauf abstellt, dass der Angeklagten die Erstellung der Bilanz mangels tatsächlichen Einflusses auf die Geschäftsführung unmöglich gewesen sei. 117 Vgl. dazu Richter, wistra 1984, 97 ff.
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§ 8 Rz. 92 | § 8 Insolvenzstrafrecht Adressat der strafbewehrten Pflicht, so ist dessen Strafe gem. §§ 28, 49 StGB zwingend zu mildern.118 Eine doppelte Milderung nach § 27 und nach § 28 StGB setzt allerdings voraus, dass die täterschaftliche Bestrafung nicht bloß daran scheitert, dass er das besondere persönliche Merkmal nicht in eigener Person erfüllt.119 Eine Verurteilung kann den Ausschluss von der Geschäftsführereigenschaft, § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GmbHG, bewirken.120 93
Da sich die Krise über einen längeren Zeitraum hinziehen mag, ist bei der Beurteilung der Strafbarkeit eines Gehilfen zu beachten, dass mehrere Beihilfehandlungen zu einer einzelnen (Dauer-)Straftat nur zur Bestrafung wegen einer einheitlichen Tat führen. Verwirklicht der Teilnehmer mehrere Beiträge, von denen manche als Beihilfe und andere als Anstiftung gewertet werden, wird er konkurrenzrechtlich nur wegen Anstiftung bestraft.121
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Besonderheiten gelten für professionelle Berater des Schuldners. Rechtsanwälte und Steuerberater sind aufgrund des Mandatsverhältnisses zu umfassender Information verpflichtet und müssen Fragen des Mandanten richtig und vollumfänglich beantworten. Daran ändert es nichts, kann der Mandant sein neues Wissen zum Begehen strafbarer Handlungen verwenden. Nach der Theorie „professioneller Adäquanz“ ist regelkonforme Berufsausübung nicht nur neutral und sozial akzeptiert, sondern auch straflos.122 Die Grenze zur strafbaren Beihilfe oder Anstiftung ist jedoch dann überschritten, wenn das Handeln des Ratsuchenden ausschließlich auf die Begehung von Straftaten abzielt und der Berater dies weiß. Hält er hingegen strafbare Vorhaben lediglich für möglich, so begeht er allein deswegen noch keine strafbare Beihilfe, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko der Begehung einer Straftat ist ungewöhnlich hoch.123 Eine Beihilfe kann trotz bereits eingetretenen Schadens vorliegen, wenn die Beratung ihn perpetuiert oder vertieft.
2. Die Bankrottdelikte, §§ 283 ff. StGB 95
Unter das Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne fallen neben der Insolvenzverschleppung, § 15a InsO, die §§ 283–283d StGB. Andere eine Insolvenz typischerweise begleitende Delikte wie v.a. Betrug, Untreue und Beitragsvorenthaltung zählen zum Insolvenzstrafrecht im weiteren Sinne. Die Bankrottdelikte setzten ein Handeln in Zeiten der Krise oder ein Verursachen einer Krise voraus. Die Strafbarkeit steht zudem durchweg unter der objektiven Bedingung entweder der Zahlungseinstellung, der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse, §§ 283 Abs. 6, 283b Abs. 3, 283c Abs. 3 StGB.
a) Sonderdeliktsstatus der Bankrottdelikte 96
Bei den §§ 283 ff. StGB handelt es sich mit Ausnahme des § 283d StGB um Sonderdelikte. Täter kann zwar jedermann sein, weil nach § 11 Abs. 1 InsO alle natürlichen und juristischen Personen(vereinigungen) insolvenzfähig sind. Die Strafbarkeit nach den §§ 283–283c StGB setzt aber voraus, dass „der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wor-
118 BGH v. 14.3.2019 – 1 StR 259/18, NStZ-RR 2019, 180; BGH v. 22.1.2013 – 1 StR 234/12, NJW 2013, 949, 950; Brand in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rz. 259. 119 BGH v. 21.3.2018 – 1 StR 423/17, wistra 2018, 437. 120 BGH v. 3.12.2019 – II ZB 18/19, ECLI:DE:BGH:2019:031219BIIZB18.19.0, MDR 2020, 358 = ZIP 2020, 73, 74. 121 Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29 Rz. 4, 10. 122 Vgl. BGH v. 21.7.2020 – 2 StR 99/19, NJW 2021, 247, 218 f.; s. ausführlich Trück in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 29 Rz. 13 ff.; Hassemer, wistra 1995, 41, 81, 83; vgl. auch Wohlers, NStZ 2000, 169; Weyand, ZInsO 2000, 413; Gallandi, wistra 1989, 127. 123 BGH v. 3.5.2011 – XI ZR 374/08; BGH v. 29.6.2011 – VII ZB 89/10, MDR 2011, 1069 = WM 2011, 1465; BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, DStR 2001, 96; BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, wistra 1999, 459.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 101 § 8
den oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist“. Dieses Tatbestandsmerkmal wird als oder zumindest wie ein besonderes persönliches Merkmal behandelt, das die Strafbarkeit begründet.124 Wortlautkorrigierend meinen die Strafbarkeitsbedingungen mit Täter den Schuldner.125 Der Schuldner ist als Einzelunternehmer (oder Verbraucher)126 ohne weiteres tauglicher Täter des Bankrotts. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft, so ist möglicher Täter bei der GbR, der OHG und der Vorgesellschaft einer GmbH jeder einzelne Gesellschafter. Bei der KG und der KG auf Aktien können nur die persönlich haftenden Gesellschafter Täter sein, nicht die Kommanditisten oder die Prokuristen.127 Bei juristischen Personen wie die GmbH, AG oder eingetragene Genossenschaft und diesen gleichgestellten kapitalistisch strukturierten Personengesellschaften wie GmbH & Co KG wird die Schuldnereigenschaft unter den Voraussetzungen des § 14 StGB insbesondere ihren Organen zugerechnet (vgl. Rz. 79).
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Straftaten nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7 und § 283b StGB setzen zudem die Pflicht zu kaufmännischer Buchführung voraus.
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b) Die Krise Begriffsbestimmend für das Insolvenzstrafrecht ist die wirtschaftliche Schieflage einer Person oder eines Unternehmens, die sog. Krise.128 Sie verlangt eine Überschuldung, oder drohende bzw. eingetretene Zahlungsunfähigkeit.129
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Für die Voraussetzungen der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung sowie deren Nachweis wird auf die Ausführungen unter § 1 Rz. 51 ff., 107 ff. und 114 ff. verwiesen. Erwähnt werden sollen hier nur aus dem strafrechtlichen Bezug folgende Besonderheiten.
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aa) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit Die sicherste Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ist der Finanzstatus als stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen Mittel (betriebswirtschaftliche Methode).130 Die Gegenüberstellung muss im tatgerichtlichen Urteil so dokumentiert werden, dass eine revisionsgerichtliche Kontrolle möglich ist.131 Überwiegen die vorhandenen Mittel, so ist der Schuldner zahlungsfähig. Weist der Finanzstatus indes zum Stichtag eine 10 % übersteigende Liquiditätslücke auf, so ist ein Finanzplan zu erstellen. De-
124 BGH v. 14.3.2019 – 1 StR 259/18, NStZ-RR 2019, 180; BGH v. 21.3.2018 – 1 StR 423/17, wistra 2018, 437; BGH v. 22.1.2013 – 1 StR 234/12, NJW 2013, 949, 950; a.A. Lackner/Kühl/Heger, StGB § 283 Rz. 25. 125 Vgl. Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 3 ff. 126 BGH v. 22.2.2001 – 4 StR 421/00, wistra 2001, 306 m.w.N; BGH v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09, NZI 2010, 698, 699; Schlüter, NZI 2020, 928; zustimmend Krause, NStZ 2002, 42, Fischer, Vor § 283 Rz. 18; kritisch mit beachtlichen Argumenten dazu Krüger, wistra 2002, 52, Röhm, ZInsO 2003, 535, 537 ff. und Schramm, wistra 2002, 55. 127 BGH v. 17.12.1963 – 1 StR 391/63, BGHSt 19, 174, 176; RG v. 5.1.1935 – 3 D 974/34, RGSt 69, 65, 69. 128 Vgl. ausführlich Püschel in FS Rissing-van-Saan, S. 471; Waßmer, ZInsO 2018, 1485. 129 Fischer, Vor § 283 Rz. 6; zu den Insolvenzgründen Pape in Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, § 2; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, §§ 17–19. 130 BGH v. 10.7.2018 – 1 StR 605/16, NStZ 2019, 83; BGH v. 16.5.2017 – 2 StR 169/15, wistra 2017, 495, 498; BGH v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09, BGHSt 55, 107 ff.; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, wistra 2003, 232. 131 BGH v. 4.12.2018 – 4 StR 319/18, NZI 2019, 247; BGH v. 25.8.2016 – 1 StR 290/16, ZInsO 2016, 2032; BGH v. 10.2.2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, 2226.
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§ 8 Rz. 101 | § 8 Insolvenzstrafrecht ckungslücken, die binnen drei132 Wochen zumindest im Wesentlichen beseitigt werden können, begründen eine bloße Zahlungsstockung, aber noch keine Zahlungsunfähigkeit. 102
Die retrospektive betriebswirtschaftliche Methode ist regelmäßig sehr aufwendig und setzt eine weitestgehend lückenlose Dokumentation der Geschäftszahlen und -vorgänge voraus. Sind z.B. die nötigen Unterlagen nicht mehr vorhanden, lässt die Rechtsprechung zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit unter Umständen auch die sog. wirtschaftskriminalistische Methode zu.133 Sie stellt in der Praxis den Regelfall dar. Die Methode stützt sich auf das Vorliegen von Beweisanzeichen, die für eine Zahlungsunfähigkeit sprechen. Sie setzt aber dennoch voraus, dass in einem gewissen Mindestmaß auch Feststellungen zum Liquiditätsstatus getroffen werden.134 Als relevante Beweisanzeichen gelten u.a. die ausdrückliche Erklärung, nicht zahlen zu können, das Ignorieren von Rechnungen und Mahnungen, gescheiterte Vollstreckungsversuche, die Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern, der Sozialversicherungsabgaben oder der sonstigen Betriebskosten, Scheck- und Wechselproteste, Insolvenzanträge von Gläubigern, Steuerrückstände oder Kündigung von Krediten.135 Checkliste Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit: Ausdrückliche Erklärung, nicht zahlen zu können Ignorieren von Rechnungen und Mahnungen Gescheiterte Vollstreckungsversuche Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern Nichtzahlung von Sozialversicherungsabgaben oder der sonstigen Betriebskosten Scheck- und Wechselproteste Insolvenzanträge von Gläubigern Steuerrückstände Kündigung von Krediten
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Anhand dieser Indizien wird meist zur Veranschaulichung ein Häufigkeitsdiagramm erstellt. Dazu wird über einen gewissen Zeitraum geprüft, wie viele Indizien erkennbar waren; vielfach ist bereits die reine Anzahl stetig ansteigend und lässt Rückschlüsse auf die Zahlungsfähigkeit zu.136
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Die Grenze zwischen bloßer Stockung und Zahlungsunfähigkeit ist bei illegaler Kreditschöpfung regelmäßig überschritten, wenn der Schuldner also z.B. Sozialabgaben und Steuern nicht mehr begleicht.137 Nach der kriminalistischen Methode besteht Zahlungsunfähigkeit, wenn einerseits die Zahl der Indizien sich häuft und andererseits deren Qualität die Illegalität erreicht. Vor allem die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen indiziert nach zivilrechtlicher Rechtsprechung Illiquidität, da diese Verbindlichkeiten wegen drohender Strafbarkeit aus § 266a StGB erfahrungsgemäß bis zuletzt
132 BGH v. 4.12.2018 – 4 StR 319/18, NZI 2019, 247; BGH v. 10.7.2018 – 1 StR 605/16, NStZ 2019, 83; BGH v. 12.4.2018 – 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216; BGH v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, NJW 2014, 164, 165; BGH v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, ECLI:DE:BGH:2017:191217UIIZR88.16.0, MDR 2018, 429 = NJW 2018, 1089, 1091. 133 BGH v. 11.8.2016 – 1 StR 63/16, wistra 2017, 30; BGH v. 19.2.2013 – 5 StR 427/12, wistra 2013, 232, 234; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546, 547; BGH v. 20.7.1999 – 1 StR 668/98, wistra 2000, 18, 21; BGH v. 19.1.1993 – 1 StR 518/92, MDR 1993, 563 = NStZ 1994, 424; BGH v. 17.2.1993 – 3 StR 474/92, wistra 1993, 184; BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145; BGH v. 2.8.1990 – 1 StR 373/90, MDR 1990, 1067 = wistra 1991, 26; OLG Stuttgart v. 30.5.2011 – 1 Ss 851/10, NStZ-RR 2011, 277; KG v. 13.6.2000 – (3) 1 Ss 117/00 (38/00); Wolf/Kurz, DStR 2006, 1339, 1340, Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304, 1310; Bittmann, wistra 2005, 167 ff. 134 BGH v. 15.8.2019 – 5 StR 205/19, NStZ-RR 2019, 381; BGH v. 19.2.2013 – 5 StR 427/12, wistra 2013, 232, 234; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546. 135 BGH v. 12.4.2018 – 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216; BGH v. 23.7.2015 – 3 StR 518/14, NStZ-RR 2015, 341, 342; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, wistra 2003, 232. 136 Vgl. Bittmann, wistra 2005, 167 ff. 137 Vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 104 f.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 107 § 8
bedient werden.138 So spricht ein Rückstand von 6 Monaten bei den Sozialversicherungsbeiträgen regelmäßig für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit.139 Ein aussichtsreicher Verteidigungsansatz besteht, wenn bei der gewählten Methode sämtliche zivilrechtlich fälligen Verbindlichkeiten berücksichtigt wurden. Sie sind bereits insolvenzrechtlich nur maßgeblich, wenn die Gläubiger sie zusätzlich ernsthaft eingefordert haben. Allerdings genügt dafür schon das Stellen einer Rechnung. Hat es dabei sein Bewenden, kann eine solche stillschweigende Stundung die insolvenzrechtliche Fälligkeit wieder beseitigen. bb) Ermittlung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit durch die Tabelle Für den Insolvenzanfechtungsprozess lässt es der BGH genügen, wenn die Insolvenztabelle zum maßgeblichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten ausweist, die nicht mehr beglichen wurden.140 Zahlungsunfähigkeit liegt danach spätestens drei Wochen nach Fälligkeit der ältesten Verbindlichkeit vor. Damit lassen sich zwar objektive Umstände feststellen. Die Bestrafung verlangt aber eine zeitlich rückversetzte ex-ante-Betrachtung aller seinerzeitigen Parameter und die Feststellung, was der Beschuldigte von diesen wusste oder wissen musste. Daher ist das Alter der Verbindlichkeiten lediglich ein – wenngleich ernsthaftes – Indiz, tritt aber strafprozessual nicht an die Stelle weitergehender Feststellungen. Solche sind daher weiterhin geboten.
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cc) Überschuldung und in dubio pro reo Welche Bedeutung dem Grundsatz in-dubio-pro-reo bei der strafrechtlichen Beurteilung der Überschuldung zukommt, ist vom BGH noch nicht geklärt. Er betont lediglich die Unmaßgeblichkeit der Handelsbilanz und verlangt, einen Überschuldungsstatus aufzustellen. Im Interesse des beschuldigten Mandanten ist deshalb darauf zu drängen, sämtliche Bewertungsspielräume zugunsten des Schuldners auszuschöpfen. In diesem Sinne dürfte nur eine erhebliche Überschuldung, bei der die Passiva die Aktiva so weit übersteigen, dass auch bei der großzügigsten Bewertung der Aktiva und den zurückhaltendsten Ansätzen der Passiva eine deutlich negative Differenz verbleibt, strafrechtlich relevant sein.141 Auf der Grundlage des in-dubio-Grundsatzes dürfte ebenso bei der Fortbestehensprognose von einer Fortführung des Unternehmens solange auszugehen sein, bis das Gegenteil feststeht.142
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c) Objektive Bedingungen der Strafbarkeit Eine Verurteilung nach den §§ 283 ff. StGB setzt als objektive Bedingung der Strafbarkeit voraus, dass der als Täter bezeichnete Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen worden ist, § 283 Abs. 6 StGB. § 283 138 BGH v. 13.6.2006 – IX ZR 238/05, MDR 2007, 52 = NJW-RR 2006, 1422, 1423 m.w.N.; BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 89/02, MDR 2003, 1376 = NJW-RR 2003, 1632, 1634; BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 187 = MDR 2002, 416 = NJW 2002, 515, 517; so auch OLG Dresden v. 28.8.2000 – 7 W 1396/00, NZI 2001, 261, 262; OLG Celle v. 9.2.2000 – 2 W 101/99, NJW-RR 2001, 702, 704; OLG Naumburg v. 22.2.2000 – 5 W 1/00, MDR 2000, 1153 = OLGR Naumburg 2000, 295, 296. 139 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, MDR 2007, 52 = ZIP 2006, 1457, 1458; BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 89/02, MDR 2003, 1376 = ZIP 2003, 1666, 1669; Wegner in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 90; vgl. auch Bittmann, wistra 2005, 167, 169, der ein Indiz schon ab einem Rückstand von 3 Monaten bejaht. 140 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = NZI 2007, 36 m. Anm. Frenzel/Gundlach; vgl. Hölzle, ZIP 2007, 613 ff.; Gundlach, NZI 2007, 38 f.; Heinze, DZWiR 2007, 118 f. 141 MünchKomm/StGB/Petermann, Vor § 283 Rz. 65; Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304, 1308; zur Überschuldungsanalyse im Strafrecht vgl. Reck, ZInsO 2004, 661 ff., 728 ff. 142 Wegner, HRRS 2009, 32, 34; Wegner, HRRS 2012, 72; Schlüchter, wistra 1982, 41; vgl. auch Menger, GmbHR 1982, 221; im Ergebnis ebenso Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 147, Reck, ZInsO 2004, 661,663.
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§ 8 Rz. 107 | § 8 Insolvenzstrafrecht Abs. 6 StGB findet mit gewissen Abweichungen auch auf die §§ 283a bis 283d StGB Anwendung. Da es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt, ist es nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz des Täters darauf beziehen oder dass ihm am Eintritt dieser Umstände ein Verschulden nachgewiesen werden müsste.143 Mit ihrem Eintritt beginnt die Verjährung144 (außer die Bankrotthandlung wird erst danach begangen).145 aa) Zahlungseinstellung 108
Der Schuldner hat seine Zahlungen eingestellt, wenn er wegen eines voraussichtlich dauernden Mangels an Mitteln nach außen erkennbar aufgehört hat, seine fälligen und ernsthaft eingeforderten Geldschulden im Wesentlichen zu bezahlen.146 Zahlungsunfähigkeit ist ohne Zahlungseinstellung möglich, nicht aber umgekehrt Zahlungseinstellung ohne Zahlungsunfähigkeit.147 Darin kommt zum Ausdruck, dass die Zahlungseinstellung nicht lediglich einen tatsächlichen Umstand beschreibt, sondern es sich um einen Rechtsbegriff handelt. Daher führt bloße Zahlungsunwilligkeit nicht zur Zahlungseinstellung.148 Gleiches gilt für eine Zahlungsstockung, bei der die aufgetretene Liquiditätslücke/Unterdeckung innerhalb von drei Wochen geschlossen werden kann.149 Da es an einer Zahlungseinstellung im Rechtsinne fehlt, wenn in dieser absehbaren Zeit wieder ausreichend liquide Mittel vorhanden sein werden,150 erfordert auch dieser Begriff eine Zeitraumbetrachtung. Voraussetzung ist, dass der Schuldner außer Stande ist, einen erheblichen Teil seiner Verpflichtungen zu erfüllen.151 Dafür kann das Offenbleiben einer einzigen Forderung eines Großgläubigers genügen. Demgegenüber dokumentiert begründetes Bestreiten der Berechtigung einer Forderung keine Zahlungseinstellung.152
143 BGH v. 8.5.1951 – 1 StR 171/51, BGHSt 1, 186, 191; zum Erfordernis des sog. inneren Zusammenhangs vgl. Maurer, wistra 2003, 253; Wilhelm, NStZ 2003, 511; BayObLG v. 8.8.2002 – 5St RR 202/2002, NStZ 2003, 214. 144 BGH v. 15.4.2020 – 5 StR 435/19, ZInsO 2020, 1243, 1244; BGH v. 10.11.2016 – 4 StR 86/16, NStZ 2018, 45, 46. 145 Heinrich, NZWiSt 2020, 346, 361; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 283 Rz. 115; beachte insbesondere beim Tatbestand des Verheimlichens BGH v. 14.3.2016 – 1 StR 337/15, NJW 2016, 1525. 146 Vgl. BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, MDR 2007, 488 = ZIP 2006, 2222, 2223; BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 175/02, MDR 2003, 473 = ZIP 2003, 410; MünchKomm/StGB/Petermann, Vor §§ 283 ff. Rz. 99; Lackner/Kühl/Heger, § 283 Rz. 27; SystKommStGB/Hoyer, Vor § 283 Rz. 12 m.w.N. 147 LK-Tiedemann, StGB, Vor § 283 Rz. 146. 148 LK-Tiedemann, StGB, Vor § 283 Rz. 144; vgl. a. Mock in Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 168 ff. m.w.N. aus der Zivilrechtsjudikatur; a.A. Bittmann, NZWiSt 2019, 86, 87 m. Nachw. BGH v. 12.10.2017 – IX ZR 50/15, NJW 2018, 396, 397(im Zivilverfahren reiche eine Zahlungsunwilligkeit aus – die Zahlungseinstellung könne aber durch den Beweis der Zahlungsfähigkeit widerlegt werden); BGH bei Herlan GA 1953, 73; MünchKomm/StGB/Petermann, Vor §§ 283 ff. Rz. 102; Fischer, Vor § 283 Rz. 13 m.w.N. 149 Grundlegend BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZInsO 2005, 807; BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, MDR 2007, 52 = ZIP 2006, 1457, 1458; vgl. dazu auch Bruns, EWiR 2005, 767 f.; Knolle/Tetzlaff, ZInsO 2005, 897; Stahlschmidt, ZInsO 2005, 1086, 1088; Kritische Anm. Kamm/Köchling, ZInsO 2006, 732 ff. sowie Thonfeld, NZI 2005, 550, 552; zu den Auswirkungen Neumaier, NJW 2005, 3041, 3043 und Wolf/Kurz, DStR 2006, 1339 ff. 150 Zum Maßstab für § 17 Abs. 2 InsO vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, MDR 2005, 1248 = ZInsO 2005, 807; Neumaier, NJW 2005, 3041, 3043. 151 BGH v. 12.10.2017 – IX ZR 50/15, NJW 2018, 396, 397; BGH v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, MDR 2015, 422 = NZI 2015, 369, 370; BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, MDR 2007, 1344 = ZIP 2007, 1469. 152 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 60 m.w.N.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 112 § 8
bb) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Abweisung mangels Masse Die mit Beurteilungsspielräumen behaftete Frage nach Zahlungseinstellung braucht nicht mehr beantwortet zu werden, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgelehnt wurde. Diese insolvenzrechtlichen Entscheidungen binden die Strafjustiz. Sie sind strafprozessualer Nachprüfung entzogen.153 Am Eintritt der Strafbarkeitsbedingung ändert die spätere Einstellung eines einmal eröffneten Verfahrens nichts.
109
cc) Zeitlicher und tatsächlicher Zusammenhang Die Verurteilung setzt einen im Einzelnen unklaren Zusammenhang zwischen der Tathandlung und der objektiven Bedingung der Strafbarkeit voraus. Er muss – wie schon aus § 283 Abs. 2 StGB folgt – kein kausaler sein.154 Gegenteilig hat der BGH nur in Bezug auf § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB für die nach Bedingungseintritt aufzustellenden Bilanzen entschieden.155 In allen anderen Fällen, auch des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB, kommt es hingegen nicht darauf an, ob der Eintritt einer Strafbarkeitsbedingung der Bankrotthandlung vorgelagert ist oder ihr nachfolgt,156 sofern irgendein zeitlicher und tatsächlicher Zusammenhang157 besteht. Er fehlt, wenn der Schuldner zwar während einer Krise eine Bankrotthandlung begangen, sie anschließend aber überwunden hat, bevor eine erneute Krise die Bedingung eintreten ließ.158 Daher ist der erforderliche Konnex besonders intensiv zu prüfen, wenn zwischen der Bankrotthandlung und der Strafbarkeitsbedingung ein langer zeitlicher Abstand liegt. Bezugspunkt ist dabei dieselbe Krise. Hat der Schuldner diese erst nach Eintritt einer der Strafbarkeitsbedingungen überwunden, so besteht der Zusammenhang zwar. Es liegt aber die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 ff. StPO nahe,159 wenn die verantwortlichen Personen nicht gewechselt haben.
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d) Der Bankrott, § 283 StGB § 283 StGB ist die zentrale Vorschrift des Insolvenzstrafrechts und erfasst alle strafbaren Bankrotthandlungen des Täters. Wie dargestellt, ist für alle Varianten des § 283 StGB erforderlich, dass der Handelnde tauglicher Täter ist und eine der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit eingetreten ist. Während § 283 Abs. 1 und 2 StGB vorsätzliche Taten unter Strafe stellen, enthält Abs. 4 eine Kombination aus Vorsatz und Fahrlässigkeit und erfasst in Abs. 5 nur fahrlässiges Handeln. Der Versuch ist nach § 283 Abs. 3 StGB strafbar.
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aa) Straftatbestände des Abs. 1 § 283 Abs. 1 StGB stellt verschiedene vorsätzlich begangene Handlungsweisen unter Strafe, die geeignet sind, die bereits eingetretene wirtschaftliche Krise des Schuldners zu verschärfen. Die typisierten, aber speziellen Verhaltensweisen der Nrn. 1–7 ergänzt die Generalklausel in Nr. 8.
153 RG v. 6.7.1894 – Rep. 2087/94, RGSt 26, 37; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 61. 154 BGH v. 8.5.1951 – 1 StR 171/51, BGHSt 1, 186, 191; BGH v. 30.8.2007 – 3 StR 170/07, NStZ 2008, 401; a.A. Trüg/Habetha, wistra 2007, 365, 370. 155 BGHR § 283 Abs. 1 Nr. 7b Zeit 1 m.w.N. 156 BGH v. 15.8.2018 – 5 StR 381/18, NStZ 2019, 212, 213; zuvor noch anders BGH v. 24.3.2009 – 5 StR 353/08, wistra 2009, 273; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vor § 283 Rz. 103; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rz. 29. 157 BGH v. 30.8.2007 – 3 StR 170/07, NStZ 2008, 401; Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 17 m.w.N. 158 BGH v. 23.8.1978 – 3 StR 11/78 –, juris; OLG Stuttgart v. 30.5.2011 – 1 Ss 851/10, NStZ-RR 2011, 277 ff. 159 Wegner in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 106.
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§ 8 Rz. 113 | § 8 Insolvenzstrafrecht (1) Beiseiteschaffen/Verheimlichen/Zerstören (Nr. 1) (a) Schutzgut der Vorschrift 113
Nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer Gegenstände einer späteren Insolvenzmasse beiseite schafft oder verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Das Verbot des Beiseiteschaffens, Verheimlichens oder Zerstörens umfasst alle Vermögensbestandteile, die im Falle der Insolvenz nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehören würden.160 Es erstreckt sind daher nicht auf unpfändbare Gegenstände,161 die Arbeitskraft des Schuldners,162 vom Insolvenzverwalter freigegebene163 und wertlose Gegenstände. Allerdings gibt es keine Bagatellgrenze, so dass auch geringwertige Gegenstände unter das Verbot fallen. Zu den geschützten Gegenständen zählen auch solche, die über ihren Wert hinaus mit Sicherungsrechten belastet sind oder zur Sicherheit übereignet wurden, da dem Gläubiger in diesen Fällen nur ein Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 1 InsO zusteht.164 Deren wirtschaftlicher Wert besteht darin, dass die Masse durch Auskehr des Veräußerungserlöses an den Absonderungsberechtigten von dessen Ansprüchen befreit wird (zur Stellung als Absonderungsberechtigter vgl. § 10 Rz. 135 ff. und 231 ff.). Nach § 47 InsO aussonderungsfähige Gegenstände (s. dazu § 10 Rz. 21) sind hingegen nicht erfasst, z.B. dem Schuldner zur Sicherheit übereignete Sachen, da sie wirtschaftlich dem Vermögen des Sicherungsgebers zuzurechnen sind.165 Gleiches gilt für unter einfachem Eigentumsvorbehalt gelieferte Waren, während das verschwiegene Anwartschaftsrecht des Schuldners § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfällt, wenn der Sachwert die Restkaufpreisforderung übersteigt und damit ein Erlös für die Masse zu erwarten ist.166 (b) Beiseiteschaffen
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Beiseiteschaffen ist jede Handlung, die Gegenstände dem Zugriff der Gläubiger entzieht oder deren Zugriff wesentlich erschwert.167 Neben dem tatsächlichen Wegschaffen von Gegenständen fallen darunter auch solche Handlungen, die den rechtlichen Zugriff auf die Gegenstände erschweren, insb. die Vornahme von Verfügungsgeschäften. Typische Handlungen sind Verstecken, Verbrauchen, Übereignen (auch zur Sicherheit), Verpfänden und Verarbeiten von Sachen, Überweisen und Abheben von Bankguthaben oder das Abtreten, Erlassen und Einziehen von Forderungen. Der Abschluss schuldrechtlicher Verpflichtungsverträge kann lediglich einen Versuch darstellen.168 Vollendung tritt erst mit der dinglichen Rechtsänderung ein, bei Grundstücken also erst mit Eintragung im Grundbuch.169 Gibt der Täter die Durchführung des schuldrechtlichen Vertrages freiwillig auf, so kann darin ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB liegen.
160 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 3a; Gericke in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, Anh. V, § 283 Rz. 27. 161 BGH v. 8.9.1994 – 1 StR 169/94, NStZ 1995, 86; RG v. 24.3.1939 – 1 D 23/39, RGSt 73, 127, 128; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 283 StGB Rz. 10. 162 OLG Düsseldorf v. 23.12.1981 – 3 Ws 243/81, NJW 1982, 1712. 163 Vgl. RG v. 19.10.1918 – V 176/18, RGZ 94, 55; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 283 StGB Rz. 11. 164 BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 36; BGH v. 17.11.1953 – 5 StR 450/53, BGHSt 5, 119, 120. 165 BGH v. 17.11.1953 – 5 StR 450/53, BGHSt 5, 119. 166 BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 33; vgl. auch BGH v. 17.11.1953 – 5 StR 450/53, BGHSt 5, 119. 167 BGH v. 17.3.2016 – 1 StR 628/15, ZInsO 2016, 916 (917); BGH v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09, NStZ 2010, 637, 638; BGH v. 17.3.1987 – 1 StR 693/86, MDR 1987, 774 = NJW 1987, 2242, 2243; RG v. 2.5.1930 – I 296/30, RGSt 64, 138, 140 (zu „entziehen“); RG v. 15.2.1932 – II 1381/31, RGSt 66, 130, 131 (zu „wesentlich erschweren“). 168 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 4, 64. 169 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 4.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 118 § 8
Zusätzliche Voraussetzung ist ein den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens widersprechendes Handeln.170 Dieses Merkmal bezieht sich nach dem Wortlaut zwar nur auf die Handlungsalternativen des Zerstörens, Beschädigens und Unbrauchbarmachens, gilt aber nach h.M. auch für die übrigen Modalitäten,171 da anderenfalls in der Krise jede weitere normale geschäftliche Tätigkeit objektiv tatbestandsmäßig wäre. Ordnungsgemäßem Wirtschaften widerspricht eine Handlung, wenn dem Vermögen des Schuldners kein der Weggabe gleichwertiger oder nur ein dem Zugriff der Gläubiger entzogener Gegenwert zufließt. Der Gesamtwert des Vermögens darf sich aufgrund des Leistungsaustauschs nicht absehbar verringern. Wird ein Vermögensgegenstand zugunsten eines Gläubigers des Schuldners weggeschafft, unterfällt dies dem Privilegierungstatbestand der Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB (vgl. dazu unten Rz. 175 ff.), und sperrt eine Bestrafung nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB.172
115
(c) Verheimlichen Der Täter verheimlicht Vermögensgegenstände, wenn er diese der Kenntnis der Gläubiger oder nach Verfahrenseröffnung dem Insolvenzverwalter entzieht.173 Gelangt der betroffene Gegenstand trotzdem zur Masse, so entfällt das abstrakte Gefährdungsdauerdelikt nicht.174 Das Ableugnen auf Frage oder Schweigen entgegen einer Offenbarungspflicht genügen.175 Diese besteht z.B. bei der Vorlage des Vermögensverzeichnisses ggf. samt Versicherung an Eides statt,176 weil der Schuldner dem Insolvenzverwalter nach Aufforderung Auskunft über sein gesamtes zur Masse gehörendes Vermögen zu erteilen hat, §§ 20, 97, 153 InsO (vgl. Rz. 48, 65). Sobald er Unrichtigkeiten erkennt, hat er erteilte Auskünfte eigeninitiativ zu ergänzen oder richtigzustellen. Gleiches gilt im Fall nicht nur unwesentlicher Änderungen. Insoweit bedarf es keines weiteren Auskunftsverlangens des Insolvenzverwalters oder des Gerichts.177 Vielmehr führt bloßes Verschweigen zur Vollendung.
116
(d) Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen Für die Varianten des Zerstörens, Beschädigens und Unbrauchbarmachens gilt ausdrücklich die Beschränkung auf ordnungswidriges Wirtschaften. Handlungen in Modernisierungs-, Reparatur- oder Ersetzungsabsicht sind nicht tatbestandsmäßig.178 Die praktische Bedeutung dieser Tatbestandsalternative ist gering.
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(2) Verlust- und andere dubiose Geschäfte (Nr. 2) § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt zum einen Verlust-, Spekulations- oder Differenzgeschäfte mit Waren oder Wertpapieren unter Strafe, sofern diese den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft
170 BGH v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09, NStZ 2010, 637, 638; vgl. hierzu ausführlich Krause, Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko, 1995, S. 108 ff. 171 RG v. 8.10.1928 – III 606/28, RGSt 62, 277, 278; BGH v. 10.4.1952 – 5 StR 52/52, NJW 1952, 898; Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 896 m.w.N. 172 BGH v. 12.7.1955 – 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55, 56; BGH v. 6.11.1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 225 = MDR 1987, 247; BGH v. 29.9.1988 – 1 StR 332/88, BGHSt 35, 357, 359 = MDR 1989, 368. 173 BGH v. 17.3.2016 – 1 StR 628/15, ZInsO 2016, 916, 917; RG v. 20.11.1933 – II 545/33, RGSt 67, 365. 174 BGH v. 14.3.2016 – 1 StR 337/15, NJW 2016, 1525, 1527; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 5. 175 BGH v. 14.3.2016 – 1 StR 337/15, NJW 2016, 1525, 1526; BGH v. 20.12.1957 – 1 StR 492/57, BGHSt 11, 145, 146; vgl. zum Umfang der Auskunftspflichten des Schuldners, Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, § 6 Rz. 550 ff. 176 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 626/16, NStZ-RR 2017, 250; BGH v. 21.3.2017 – 1 StR 602/16, wistra 2017, 355. 177 BGH v. 17.11.2008 – NotZ 130/07, juris Rz. 36. 178 Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 283 Rz. 28 m.w.N.
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118
§ 8 Rz. 118 | § 8 Insolvenzstrafrecht widersprechen; zum anderen unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel oder Wette, falls der Schuldner dadurch übermäßige Beträge verbraucht oder schuldet. (a) Verlust-, Spekulations- und Differenzgeschäfte 119
Verlustgeschäfte liegen vor, wenn bereits bei Vertragsschluss erkennbar ist, dass die Ausgaben die Einnahmen übersteigen werden,179 z.B. beim Verkauf von Waren unter Einkaufspreis oder der Annahme unrentabler Aufträge. Stellt sich der Verlust erst nach Vertragsschluss heraus, fällt dies nicht unter § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
120
Spekulationsgeschäfte sind solche, „bei denen ein besonders großes Risiko eingegangen wird in der Hoffnung, einen größeren Gewinn als den sonst üblichen zu erzielen und um den Preis, möglicherweise einen größeren Verlust hinzunehmen“.180 Dabei hängt der Gewinn weitgehend vom Zufall ab.181
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Differenzgeschäfte sind auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren gerichtet und in der Absicht geschlossen, nach Ablauf der Vertragszeit eine gewinnbringende Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis erzielen zu können.182 Strafbegründend ist nur das Verfolgen dieses Ziels. Kommt es dem Täter dagegen auf den Erwerb der Waren oder Rechte als solcher an, so handelt es sich nicht um pönalisierte Differenzgeschäfte. Zu diesen zählten unbestritten Verträge gem. dem 2002 aufgehobenen § 764 BGB; strittig und durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt ist dies für an sich zulässige Börsentermingeschäfte.183
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Die Voraussetzung eines Widerspruchs zu ordnungsgemäßem Wirtschaften bezieht sich nicht auf finanziell gesunde Zeiten, sondern auf die Krise. Tatbestandsmäßig sind daher keine Geschäfte, die in solch angespannter Lage auch ein ordentlicher Kaufmann tätigen würde wie z.B. die Annahme verlustbringender Aufträge, um ein (etwa coronabedingtes) Konjunkturtief zu überstehen oder die Veräußerung vom Verderb bedrohter Ware unter Marktpreis.184 Vollendet ist die Tat mit Abschluss des Geschäfts; auf dessen Durchführung und die Realisierung des Risikos oder Verlustes kommt es daher grundsätzlich nicht an. Bei überraschendem Gewinn, soll aber die Strafbarkeit entfallen, da der Schutzzweck der Norm nicht verletzt sei.185 (b) Unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel und Wette
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Unwirtschaftlich sind Ausgaben, die das für den betroffenen Zeitraum notwendige und übliche Maß übersteigen und in einem unangemessenen Verhältnis zum Vermögen des Schuldners stehen.186 Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der Wirtschafts- und Liquiditätslage des Schuldners; bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften ist in die Betrachtung auch das persönliche Vermögen der Mithaftenden einzubeziehen. Beispiele sind aussichtslose Investitionen oder Expansionen, Luxusanschaf-
179 Sonderausschuss BT-Drucks. 7/5291, 18; amtl. Begründung BT-Drucks. 7/3441, 35; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 283 Rz. 29 m.w.N. 180 Sonderausschuss BT-Drucks. 7/5291, 35. 181 RG v. 2.7.1887 – Rep. 1390/87, RGSt 16, 238; RG v. 13.1.1887 – 3305/86, RGSt 15, 281. 182 RG v. 5.4.1886 – 652/86, RGSt 14, 80, 85. 183 Für die Einbeziehung unter Nr. 2 Fischer, StGB, § 283 Rz. 9; Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 283 Rz. 12; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 26; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 269; dagegen Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 59; differenzierend Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 83 Rz. 58. 184 Pelz in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 9 Rz. 148; differenzierend Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 83 Rz. 61. 185 BGH v. 18.3.1939 – 5 StR 59/69, BGHSt 22, 360, 361; Fischer, StGB, § 283 Rz. 10; Pelz in Wabnitz/ Janovsky/Schmitt, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 9 Rz. 149. 186 BGH v. 17.6.1952 – 1 StR 668/51, BGHSt 3, 23, 26; RG v. 15.6.1936 – 2 D 181/36, RGSt 70, 260, 261.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 129 § 8
fungen,187 überhöhte Spesen188 und übermäßige Werbung.189 Nicht unter die Vorschrift fallen marktübliche Löhne, Gehälter und Betriebskosten, Entnahmen für angemessenen Unterhalt190 und ebensolche Lebensversicherungsprämien.191 Unter Spiel und Wette fallen Verträge gem. § 762 BGB wie Lotto, Kettenbriefe, Sport- oder sonstige Wetten.
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Ob durch diese Handlungen übermäßige Beträge verbraucht wurden, ist wieder mittels Gesamtwürdigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme des Geschäftes zu ermitteln; es gilt das zu der Handlungsalternative der unwirtschaftlichen Ausgaben Gesagte entsprechend.
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Vollendet ist die Tat bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages, sofern er eine gegen den Schuldner durchsetzbare Forderung begründet; Naturalobligationen aus Spiel und Wette reichen nicht aus.192
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(3) Waren- oder Wertpapiergeschäfte (Nr. 3) In § 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter Strafe gestellt ist das Verschleudern von Waren oder Wertpapieren sowie aus diesen hergestellten Sachen, die sich der Schuldner auf Kredit beschafft hatte. Tathandlung ist die Abgabe erheblich unter aktuellem Marktwert z.B. durch Verkauf, Tausch oder Verpfändung. Auf eine Differenz zum Einkaufspreis kommt es – anders als bei Verlustgeschäften nach Nr. 2 – nicht an.193 Die Erheblichkeit muss evident sein, d.h. ins Auge springen.194 Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der unterste noch marktmäßige Preis um mehr als die Hälfte unterschritten wird.195 Wiederum nicht erfasst sind ordnungsgemäßem Wirtschaften entsprechende Abgaben etwa zwecks Räumung von Saisonartikeln, Lockvogelangebote, Mischkalkulationen und Senkungen im Zuge von Preiskämpfen mit Konkurrenten.
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Waren sind alle beweglichen Sachen, die Gegenstände des Handelsverkehrs sein können; Wertpapiere i.S.d. Vorschrift sind nur Inhaber- und Orderpapiere, also solche Papiere, die Rechte verkörpern (Inhaberschecks, Wechsel, Inhaberaktien und -schuldverschreibungen), d.h. bei denen das Recht aus dem Papier dem Recht an dem Papier folgt; nicht dazu zählen Rektapapiere wie z.B. Hypotheken- und Grundschuldbriefe.196
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Beschaffen verlangt, dass der Schuldner über die an sich gebrachten Gegenstände verfügen kann. Unerheblich ist ein bestehender Eigentumsvorbehalt und ob das zugrunde liegende Geschäft unwirksam oder anfechtbar ist (z.B. wegen arglistiger Täuschung über die Zahlungsfähigkeit). Ein Kredit ist nicht nur der förmlich vereinbarte. Es genügt vielmehr, wenn der Schuldner die Waren nicht sofort bei Übergabe bezahlt. Nicht unter diese Variante fallen sofortige Zahlungen mit Mitteln, die ihrerseits aus Krediten stammen. Dann ist aber der Anwendungsbereich des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB eröffnet. Nicht aus dem Wortlaut, aber aus dem Schutzzweck der Vorschrift folgt, dass die Verschleuderung vollstän-
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187 188 189 190 191 192 193 194 195 196
Vgl. Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 17. Z.B. BGH v. 10.2.1981 – 1 StR 515/80, MDR 1981, 510, 511; Fischer, StGB, § 283 Rz. 11. Vgl. RG v. 8.6.1939 – 5 D 204/39, RGSt 73, 230. BGH v. 10.2.1981 – 1 StR 515/80, MDR 1981, 510 = NStZ 1981, 259 mit Anm. Schlüchter, JR 1982, 29. RG, JW 1934, 2472. So BGH v. 18.3.1969 – 5 StR 59/69, BGHSt 22, 360; anders noch RG v. 22.5.1891 – 1362/91, RGSt 22, 12; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 15. RG v. 27.2.1913 – III 1044/12, RGSt 47, 61; BGH bei Herlan, GA 1955, 365. Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 283 Rz. 48. A.A. LK-Tiedemann, StGB, § 283 Rz. 78a: Unterschreiten „um wenige Prozent“ reiche aus. Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 83 Rz. 69.
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§ 8 Rz. 129 | § 8 Insolvenzstrafrecht dig bezahlter, wenngleich ursprünglich auf Kredit beschaffter Waren, nicht dem Tatbestand unterfällt, da die Schädigung des Lieferanten ausgeschlossen ist.197 (4) Vortäuschen oder Anerkennen von Rechten (Nr. 4) 130
Während § 283 Abs. 1 Nrn. 1–3 StGB die Verminderung der Aktiva im Blick hat, betrifft Nr. 4 das scheinbare Erhöhen von Passiva mittels Vortäuschens von Rechten Dritter oder Anerkennen nicht oder so nicht existenter Rechte nach außen; auf den Erfolg der Täuschung oder den Verlust des Rechts kommt es nicht an. Nach außen handelt der Täter z.B. bei Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, § 98 Abs. 1 InsO, sowie bei Angaben gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder den Gläubigern.198 Konkludente Täuschungen genügen, etwa mittels Fälschens Dritten vorzulegender Unterlagen.199 Neben der Vortäuschung eines insgesamt nicht bestehenden Rechts werden auch die Täuschung über den Umfang des Rechts oder über ein nicht vorhandenes Insolvenzvorrecht erfasst; nicht jedoch lediglich falsche Angaben zum Schuldgrund.200
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Die Variante der Anerkennung nicht existenter Rechte verlangt das Zusammenwirken des Täters mit einem Dritten. Sie ist nur erfüllt, wenn dieser fiktive, frei erfundene Rechte, die nie bestanden haben, geltend macht und der Täter sie irgendwie, auch formlos,201 als bestehend bestätigt. Nicht darunter fallen verjährte Forderungen und Naturalobligationen. Erkennt das Organ einer juristischen Person angebliche eigene Forderungen an die Gesellschaft an, so fiel dies früher mangels Handelns „wenigstens auch“ im Interesse der Gesellschaft nicht unter § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Das hat sich nun geändert, weil über die vermeintliche Schuldnereigenschaft der Gesellschaft der Geschäftskreis ihres vertretungsberechtigten Organs berührt ist (vgl. Rz. 79). (5) Buchführungspflichten (Nr. 5)
132
Strafbar nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB macht sich, wer kraft Gesetzes zu führende Handelsbücher nicht oder so führt bzw. verändert, dass die Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert wird. (a) Adressatenkreis/Täter
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Wer gesetzlich verpflichtet ist, Handelsbücher zu führen, folgt im Wesentlichen aus §§ 1 ff.; 238 ff.; 241a HGB. Rechtsformabhängige Ergänzungen finden sich in §§ 150 ff. AktG, §§ 41 ff. GmbHG, § 33 GenG und dem PublG. Für den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter deutscher Mutterunternehmen ist seit 2005 die Rechnungslegung nach IAS/IFRS maßgebend. Das wirkt zurück auf Art und Umfang der Buchführungspflicht.202 Verpflichtet sind grundsätzlich alle Gewerbetreibenden, d.h. Personenhandelsgesellschaften, juristische Personen und kaufmännische Einzelunternehmen, diese jedoch nicht, sofern sie keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb benötigen (§ 1 Abs. 2 HGB) und nicht freiwillig im Handelsregister eingetragen sind (§ 2 HGB). Für Einzelkaufleute entpönalisiert § 241a HGB die Buchführungspflicht.203 Die Vorschrift gibt die traditionelle Verknüpfung zwischen der Kaufmanneigenschaft und der daran anknüpfenden Verbindung zur handelsrechtlichen Buchführungspflicht partiell auf. Privilegiert sind „Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht mehr als 600.000 EUR Umsatzerlöse und 60.000 EUR
Vgl. RG v. 23.5.1938 – 3 D 271/38, RGSt 72, 187, 190. MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 39. Herlan, GA 1953, 74. BGH, LM Nr. 14 zu § 239 KO. RG v. 12.10.1928 – I 867/28, RGSt 62, 287, 288; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 26. 202 Zu den strafrechtlichen Auswirkungen vgl. Wolf, StuB 2003, 775 ff. 203 Vgl. ausf. Ebner, wistra 2010, 92 ff.; zur Rückwirkung a. LK-Tiedemann, StGB, § 283 Rz. 96.
197 198 199 200 201
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 136 § 8
Jahresüberschuss aufweisen“. Da diese Schwellenwerte von der überwiegenden Zahl der Einzelkaufleute nicht erreicht werden, ist die Buchführungs- und Bilanzierungspflicht für Einzelkaufleute zur Ausnahme, die Befreiung hiervon zum Regelfall geworden.204 Die Befreiung erstreckt sich aber nicht auf Personenhandelsgesellschaften und Genossenschaften.205 Bei juristischen Personen ist strafrechtlich für die Einhaltung der Buchführungsvorschriften das entsprechende Organ verantwortlich – bei der GmbH also der Geschäftsführer.206 Neben dem eingetragenen ist regelmäßig auch der faktische Geschäftsführer verpflichtet.207 Bei den Personenhandelsgesellschaften unterliegen grundsätzlich alle persönlich haftenden Gesellschafter der Buchführungspflicht, soweit sie nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind (vgl. zu alldem Rz. 77 ff.).
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Gemeint ist damit nicht, dass diese Personen verpflichtet wären, die Buchhaltung persönlich zu erstellen. Sie können und dürfen die Wahrnehmung dieser Aufgaben auf einzelne Gesellschafter, Mitarbeiter oder Außenstehende (z.B. Steuerberater) delegieren. Das befreit sie allerdings nicht von ihrer strafrechtlichen Verantwortung. Der Inhalt ihrer Pflicht wandelt sich jedoch von der Wahrnehmung zur Überwachung. Die Intensität richtet sich nach Qualifikation und Verlässlichkeit des Delegationsempfängers unabhängig von dessen sonstiger Stellung (z.B. Mitgeschäftsführer oder Gesellschafter).208 Selbst seit langem zuverlässig Arbeitende sind nicht ausgeschlossen. Während bei ihnen in wirtschaftlich ruhigen Zeiten Plausibilitätskontrollen und Stichproben genügen, gelten in der Krisensituation auch für sie strengere Maßstäbe,209 die bis zur taggleichen Vergewisserung der Erfüllung der Aufgabe reichen können. Unter den Voraussetzungen des § 14 StGB kann sich auch der Übernehmende als Täter strafbar machen (z.B. der Steuerberater), anderenfalls ist er ggf. Helfer.
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(b) Handelsbücher Maßstab ist nicht das Steuer-, sondern nur das Handelsrecht. Welche Bücher zu führen sind, richtet sich nach den gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung mit Abstufungen u.a. nach Struktur und Größe des Unternehmens. Für kleine und Unternehmen mit nur wenigen Geschäftsvorfällen kann schon die geordnete Ablage der Belege ausreichen.210 Jedenfalls ein sachverständiger Dritter muss in der Lage sein, sich in relativ kurzer Zeit einen verlässlichen Überblick über die Vermögens- und Ertragslage zu verschaffen.211 Grundsätzlich erforderlich sind zumindest die Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle in chronologisch und sachlich geordneter Form (Grund- und Hauptbuch), die Führung eines Kassenbuches und die Ablage einer Kopie jedes abgesandten Handelsbriefes nach § 238 Abs. 2 HGB. Diese sind ebenso wie eingehende Schreiben und Quittungen geordnet abzulegen und aufzubewahren. Fehlende oder mangelhafte Bilanzen und Inventarverzeichnisse erfasst strafrechtlich § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB als speziellere Norm.
204 205 206 207 208 209 210 211
S. Ebner, wistra 2010, 92, 94. S. BR-Drucks. 344/08, 99 ff. Zur Strafbarkeit des GmbH-Geschäftsführers vgl. Biletzki, NStZ 1999, 537 ff. Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Band 2, § 283 Rz. 57; Fischer, StGB, § 283 Rz. 20 m.w.N. BGH v. 14.12.1999 – 5 StR 520/99, NStZ 2000, 206; BGH v. 2.8.1960 – 1 StR 229/60, BGHSt 15, 103, 106; zum Überwachungsmaßstab vgl. BGH v. 1.7.1997 – 1 StR 244/97, StV 1998, 126, 127; Brand in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rz. 119. Vgl. Fischer, StGB, § 283 Rz. 20. BGH v. 19.12.1997 – 2 StR 420/97, StV 1999, 26; SystKommStGB/Hoyer, § 283 Rz. 76; Fischer, StGB, § 283 Rz. 23; vgl. a. BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, wistra 2003, 232, 233. BT-Drucks. 7/3441, 35; BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, StV 2000, 479, 483; Tiedemann, InsolvenzStrafrecht, § 283 Rz. 94; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 461; Dannecker/Hagemeier in Dannecker/ Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 940.
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§ 8 Rz. 137 | § 8 Insolvenzstrafrecht (c) Tathandlungen 137
Die erste Alternative des § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt212 und stellt das Unterlassen der Buchführung unter Strafe. Sie ist erfüllt, wenn der Pflichtige überhaupt keine Bücher führt. Selbst zeitweise unterlassene oder verspätete Buchungen sind strafbar.
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Die Unterlassungsstrafbarkeit setzt voraus, dass die Pflichterfüllung zumutbar und möglich war.213 Letzteres ist nicht der Fall, verfügt der Schuldner selbst nicht über ausreichend Sachwissen und fehlen ihm die finanziellen Mittel, einen Dritten für die Wahrnehmung dieser Aufgaben zu bezahlen.214 Allerdings trifft ihn die wie in Bezug auf die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, § 266a Abs. 1 StGB, die Pflicht zur Vorsorge, sobald sich Liquiditätsprobleme abzeichnen. Bildet er gleichwohl keine finanziellen Rücklagen, so verbleibt es nach den Grundsätzen der omissio libera in causa bei seiner Strafbarkeit.215 Eingehende Zahlungen hat er zum Bilden von Rücklagen zu nutzen216 und ggf. eine entsprechende Rechnungsstellung mit dem Steuerberater zu vereinbaren. Neben die Strafbarkeit wegen Nr. 5 soll in einer längerdauernden Unternehmensfortführung ohne Erfüllung der Buchführungspflicht ein positives Tun zu sehen sein, das § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB erfülle. Hieraus sei die Pflicht abzuleiten, das Unternehmen aufzugeben, wenn dauerhaft keine Mittel zur Buchführung vorhanden sind.217
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Mangelhaft i.S.d. zweiten Alternative ist die Buchführung, wenn sie unvollständig, unrichtig oder ungeordnet ist und deswegen ein falsches Bild über die tatsächliche wirtschaftliche Gesamtsituation des Unternehmens vermittelt. Dafür können schon (um zwei bis sechs Wochen)218 verspätete Buchungen genügen.219 Dazu in Widerspruch steht vereinzelte Rechtsprechung, die das Nachholen vor Eintritt einer Strafbarkeitsbedingung für die Straffreiheit genügen lässt.220 Strafbar ist sowohl die originär un-
212 LK-Tiedemann, StGB, § 283 Rz. 103; BeckOKStGB/Beukelmann, § 283 Rz. 58. 213 BGH v. 17.3.2021 – 5 StR 273/20, juris; BGH v. 20.12.1978 – 3 StR 408/76, BGHSt 28, 231, 232 f.; Fischer, StGB, § 283 Rz. 23a, 29b; dazu ausführlich Brand in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rz. 139 ff. 214 BGH v. 17.3.2021 – 5 StR 273/20, juris; BGH v. 20.12.1978 – 3 StR 408/76, BGHSt 28, 231, 232 f.; OLG Stuttgart v. 2.7.1987 – 5 Ss (23) 371/87, NStZ 1987, 460, 461; BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145; BGH v. 19.1.1993 – 1 StR 518/92, MDR 1993, 563 = NStZ 1994, 424; BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; BGH v. 14.12.1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804, 805; OLG Düsseldorf v. 23.7.1998 – 5 Ss 101/98-37/98, wistra 1998, 360, 361; OLG Braunschweig v. 8.4.2019 – 1 Ss 5/19, ZInsO 2019, 1423; vgl. auch Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 941; kritisch zur praktischen Relevanz Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 85 Rz. 28 ff.; Beckemper, JZ 2003, 806 ff. m.w.N. 215 OLG Braunschweig v. 8.4.2019 – 1 Ss 5/19, ZInsO 2019, 1423; Fischer, StGB, § 283 Rz. 29c; Hagemeier, NZWiSt 2012, 105, 109 f.; Renzikowski in FS Weber, S. 335; offen gelassen von BGH v. 20.11.2011 –1 StR 354/11, NStZ 2012, 511; KG v. 9.2.2016 – (4) 121 Ss 231/15 (5/16), StV 2016, 478; a.A. Hillenkamp in FS Tiedemann, S. 967. 216 Vgl. zu § 266a BGH, Beschl. v. 11.8.2011 – 1 StR 295/11. 217 Fischer, StGB, § 283 Rz. 29c m.w.N.; LK-Tiedemann, StGB, § 283 Rz. 120; Kindhäuser in Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen, StGB, Band 2, § 283 Rz. 59; MünchKomm/StGB/Petermann, StGB, § 283 Rz. 47; Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 941. 218 Zwei Wochen: Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 90; ein Monat: Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 464; sechs Wochen: Schäfer, wistra 1986, 200, 201 m.w.N.; Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 85 Rz. 36a. 219 Pelz in Wabnitz/Janovsky, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 9 Rz. 171; RG v. 26.10.1906 – II 436/06, RGSt 39, 217, 219; RG v. 21.9.1915 – II 374/15, RGSt 49, 276, 277; vgl. auch Schäfer, wistra 1986, 201 ff. 220 RGSt 39, 165, 167; Wegner in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 154; offen gelassen von BGH v. 7.2.2002 – 1 StR 412/01, NStZ 2002, 327; zweifelnd SystKommStGB/Hoyer, § 283 Rz. 77; Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 938.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 144 § 8
zureichende Erstellung als auch die nachträgliche Manipulation. Typisch ist z.B. die Nichtbuchung tatsächlicher ebenso wie die Buchung fiktiver Vorgänge, ggf. mit falschen Werten oder bereits im Zusammenhang mit dem Verpflichtungsgeschäft anstatt zutreffend erst bei dessen Erfüllung; ferner das Verschleiern von Vorgängen, Belegen und Geschäftspartnern.221 Nicht ausreichend sind einzelne Falschbuchungen oder wenige fehlende Belege.222 (6) Aufbewahrungspflichten (Nr. 6) § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB stellt die Verletzung der Aufbewahrungspflichten von Buchhaltungsunterlagen unter Strafe. Entscheidend ist wiederum, ob die Tathandlung einen sachverständigen Dritten außer Stand setzt, sich in angemessener Zeit einen Überblick über den Vermögensstand des Unternehmens zu verschaffen.
140
(a) Adressatenkreis/Täter Taugliche Täter sind nach dem über § 283 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 7 StGB hinausgehenden Wortlaut des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB nicht nur die zum Führen von Handelsbüchern Verpflichteten, sondern auch diejenigen, die entsprechende Bücher freiwillig führen. Das war früher v.a. der Minderkaufmann, § 4 HGB a.F. Seit 1998 sind es insbesondere Einzelkaufleute unterhalb der Schwellenwerte des § 241a Abs. 1 S. 1 HGB. Die wohl h.M. wendet den Tatbestand auch auf die Angehörigen der freien Berufe und Privatleute an, die beispielsweise aus steuerlichen Gründen oder aufgrund standesrechtlicher Regeln solche Bücher führen.223 Einschränkungen folgen freilich zwangsläufig aus der tatbestandlichen Bezugnahme auf kaufmännische Pflichten, so dass Privatleute nur bei Vorliegen besonderer Umstände als Täter in Frage kommen.224
141
Der Wegfall der Kaufmannseigenschaft und die Betriebsaufgabe führen nicht zum Wegfall der Aufbewahrungspflichten. Im Falle des Todes des Verpflichteten gehen die Aufbewahrungspflichten auf die Erben oder den Testamentsvollstrecker über; im Falle der Insolvenz auf den Insolvenzverwalter.
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(b) Tathandlungen Tathandlungen sind das Beiseiteschaffen, das Verheimlichen, das Zerstören und Beschädigen der Unterlagen, zu deren Aufbewahrung der Täter verpflichtet ist. Dies sind die oben zu § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB aufgeführten Bücher und Belege (vgl. Rz. 136). Beschädigung ist auch die irreführende Veränderung von Systematik oder Ordnung der Unterlagen, ohne Verlust an deren inhaltlicher Substanz. Verheimlichen setzt keine Aufforderung zum Erteilen von Auskünften voraus. Es genügt eine aus dem Gesetz selbst folgende Pflicht. Strafbar ist daher bereits, wenn der Täter dem Insolvenzverwalter nicht die vollständigen Geschäftsunterlagen aushändigt bzw. den Ort ihrer Aufbewahrung nicht mitteilt.225
143
Strafbar ist das Beiseiteschaffen vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen. Nach § 257 Abs. 4 HGB sind Handelsbücher, Inventare, Bilanzen sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Unterlagen und Be-
144
221 Vgl. auch Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 464, Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 34 f. beide m.w.N. 222 Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 85 Rz. 36a. 223 Wegner in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1, Rz. 156; Dannecker/ Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 942; Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 85 Rz. 56; a.A.: Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 123; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 467, 468; AnwKommStGB/Püschel, § 283 Rz. 23. 224 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 39. 225 LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193.
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§ 8 Rz. 144 | § 8 Insolvenzstrafrecht lege zehn Jahre, die übrigen Unterlagen sechs Jahre aufzubewahren, § 257 Abs. 1 Nr. 2 und 3 HGB.226 Die Frist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterlagen vollständig erstellt wurden bzw. beim Pflichtigen eingegangen sind, § 257 Abs. 5 HGB. Tathandlungen nach § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB stehen nicht selten in Tateinheit mit Urkundenunterdrückung, § 274 StGB, und (auch: veruntreuender) Unterschlagung, § 246 Abs. 1, 2 StGB.227 (7) Bilanzen (Nr. 7) 145
Bilanzen dienen der Publizität: Sie ermöglichen v.a. dem Kaufmann selbst, aber auch Dritten (z.B. Kreditgebern, Lieferanten) einen Überblick über die Vermögenslage, insbesondere über die zur Verfügung stehende Haftungsmasse. Dazu müssen sie inhaltlich richtig und möglichst aktuell sein. Daher ist gem. § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB sowohl die mangelhafte, Nr. 7a, als auch die nicht rechtzeitige Bilanzierung, Nr. 7b, strafbar.228 Erstere ist ein Begehungs-, Letztere ein echtes Unterlassungsdelikt.229 Beide gehören zu den abstrakten Gefährdungsdelikten und schützen die Gesamtheit der Gläubiger vor Schmälerung ihrer Aussichten auf Befriedigung.230 Der konkreten Beeinträchtigung oder selbst nur Gefährdung finanzieller Interessen auch nur eines Gläubigers bedarf es daher nicht.231 Adressat der Vorschrift sind Kaufleute, vgl. §§ 242 Abs. 1, 264, 264a HGB, oberhalb der Grenzen des § 241a S. 1 HGB (vgl. Rz. 133). Im Fall der Delegation gilt nichts Abweichendes gegenüber der Buchführung, § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Rz. 135).232 (a) Mangelhafte Bilanzaufstellung
146
Die §§ 242 ff. HGB gelten für jede Bilanz. Eine solche ist nach § 242 Abs. 1 S. 1 HGB eine stichtagsbezogene kontenförmige Gegenüberstellung des Vermögens und der Schulden des Kaufmanns. Auf der linken Aktivseite sind Anlage- und Umlaufvermögen, auf der rechten Passivseite Eigen- und Fremdkapital aufzuführen. Die maßgeblichen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, §§ 243 ff. und §§ 264 ff. HGB, fächern sich auf in Bilanzwahrheit, Bilanzklarheit und Bilanzvollständigkeit.233 Gemäß § 242 Abs. 1 HGB hat der Kaufmann zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit eine Eröffnungsbilanz zu erstellen, selbst wenn noch keine Aktiva oder Passiva vorhanden sind. Wird aus einem Einzelunternehmen eine Gesellschaft oder aus einer solchen ein Einzelkaufmann, so ist eine erneute Eröffnungsbilanz zu errichten.234
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Am Ende eines jeden Geschäftsjahres ist ein Jahresabschluss zu erstellen, § 242 Abs. 1, 3 HGB. Aktiva und Passiva sind nach den Vorschriften der §§ 266 ff. HGB zu gliedern und summarisch gegenüberzustellen. Der Bilanzgewinn auf der Passivseite oder der Bilanzverlust auf der Aktivseite führt zu summenmäßiger Deckung. Die nach § 242 Abs. 2 i.V.m. §§ 275 ff. HGB zusätzlich zu erstellende Gewinnund Verlustrechnung dokumentiert Aufwendungen und Erträge. Bei mittelgroßen und großen (vgl. § 267 HGB) Kapitalgesellschaften (GmbH, AG und KGaA) kommen ein erläuternder Anhang und ein Lagebericht hinzu, §§ 284 ff. HGB.
226 Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 85 Rz. 60; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 257 Rz. 3. 227 Vgl. BGH v. 29.1.1980 – 1 StR 683/79, NJW 1980, 1174; LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193. 228 Ausführlich dazu Reck, ZInsO 2001, 633 ff. 229 MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 55. 230 BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 373; Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 3. 231 BGH v. 30.8.2007 – 3 StR 170/07, wistra 2007, 463. 232 BGH v. 19.12.1997 – 2 StR 420/97, NStZ 1998, 248, 249; Reck, ZInsO 2001, 633, 634. 233 Wegner in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 164. 234 RG v. 23.11.1894 – 3296/94, RGSt 26, 222; Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 85 Rz. 46.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 152 § 8
Tatobjekt des § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB ist nur die Handelsbilanz als solche, also weder die Steuerbilanz noch Gewinn- und Verlustrechnung, erläuternder Anhang und Lagebericht. Dort enthaltene Fehler können jedoch zum (Kredit-)Betrug führen. Erfasst sind sämtliche Tathandlungen, die wegen Unrichtigkeiten oder Verschleierungen die sehr weiten Bewertungsspielräume sprengen und deshalb die Übersicht über den Vermögensstand des Unternehmens erschweren (unvertretbare Falschbewertung von Vermögensbestandteilen wie überhöhter Ausweis von Grundstücken im Anlage- und von Halbzeugen im Umlaufvermögen; lückenhafte Aufstellung von Aktiv- oder Passivposten;235 Einstellung fiktiver Forderungen oder zum Nennwert trotz Abschreibungsbedarfs; ungenaue Bezeichnung und Vermischung von Bilanzposten; Buchen erfolgswirksamer Umgehungshandlungen wie Konzernverschiebungen und Ausweis überhöhter Forderungen gegen verbundene Unternehmen). Der Nachweis der vorgenannten Handlungen ist wegen der bestehenden Spielräume bei der Bewertung von Anlagegegenständen und der Prognose über die Werthaltigkeit von Forderungen in der Praxis schwierig zu führen. Zudem erfolgt die strafrechtliche Überprüfung meist erst erheblich später als die Bilanzaufstellung. Ein Nachweis wird den Strafverfolgungsbehörden daher nur in Fällen besonders grober Fehler der Bilanz gelingen.
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Nicht von § 283 Abs. 1 Nr. 7a StGB erfasst ist die Erstellung einer zweiten, fehlerhaften neben der zutreffenden Bilanz.236 Ein strafbarer (Kredit-)Betrug ist erst die Nutzung der frisierten Bilanz zur Täuschung Dritter.
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(b) Verspätete Bilanzaufstellung Strafbar ist auch die nicht rechtzeitige, d.h. verspätete oder unterlassene Erstellung einer Bilanz. Das zudem genannte Inventar (§ 240 HGB)237 beschäftigt die Strafjustiz quasi nie. Die unterschiedlichen Aufstellungsfristen bestimmt das Handelsrecht für kleine, mittlere und große Kapitalgesellschaften § 264 HGB.238 Grundsätzlich stehen drei Monate zur Verfügung. Lediglich kleine Kapitalgesellschaften haben sechs Monate Zeit – allerdings nur, wenn dies ordnungsgemäßem Geschäftsgang entspricht. Aufgrund dieser Einschränkung wird sich für sie in einer Krise die Frist regelmäßig verkürzen.239 Für Einzelunternehmen und Personengesellschaften gilt gem. §§ 243 Abs. 3, 242 Abs. 1 S. 2 HGB die dem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechende, d.h. an § 264 HGB orientierte Zeit.240 Berater sollten sich nicht auf den Bestand der Rechtsprechung241 verlassen, dass nach Eintritt der objektiven Bedingung der Strafbarkeit eine nicht rechtzeitige Bilanzierung straflos sei (vgl. Rz. 110, 139).
150
Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit242 sind entsprechend dem zu § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB Gesagten zu beurteilen (vgl. Rz. 138).
151
Die handelsrechtlichen Fristen sind nicht verlängerbar.243 Irrelevant sind daher von Finanzbehörden gewährte Fristverlängerungen, die nur für die steuerrechtlichen Verpflichtungen gelten. War dies dem Kaufmann trotz seiner Ausbildung unbekannt und vertraute er auf die Fristverlängerung seitens der
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235 236 237 238 239 240 241 242
MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 56. BGH v. 15.7.1981 – 3 StR 230/81, BGHSt 30, 186 = MDR 1981, 948; hierzu Schäfer, wistra 1986, 200. Vgl. Reck, ZInsO 2001, 633, 637. Vgl. dazu beispielsweise die Übersicht bei Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 103. So Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 490. Wolf/Lupp, wistra 2008, 250. BGH v. 14.12.1999 – 5 StR 520/99, NStZ 2000, 206; Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 283 Rz. 20. BGH v. 17.3.2021 – 5 StR 273/20, juris Rz. 15; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804, 805; BGH v. 22.8.2001 – 1 StR 328/01, ZInsO 2002, 69; BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; KG v. 13.3.2002 – (5) 1 Ss 243/01 (6/02), wistra 2002, 313; OLG Braunschweig v. 8.4.2019 – 1 Ss 5/19, ZInsO 2019, 1423; vgl. auch Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 941; kritisch zur praktischen Relevanz Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 85 Rz. 28 ff.; Beckemper, JZ 2003, 806 ff. m.w.N. 243 Brand in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rz. 199 m.w.N.
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§ 8 Rz. 152 | § 8 Insolvenzstrafrecht Finanzbehörden, so unterlag er einem lediglich zu Strafmilderung führenden vermeidbaren Verbotsirrtum, § 17 StGB. (8) Sonstiges (Nr. 8) 153
Als Grundtatbestand und/oder Auffangklausel stellt § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB all diejenigen besonders schädlichen oder gefährlichen Handlungsweisen unter Strafe, die nicht in § 283 Abs. 1 Nr. 1–7 StGB spezifiziert sind, aber trotzdem in einer ordnungsgemäßem Wirtschaften grob widersprechenden Weise den Vermögensstand verringern oder die wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlichen bzw. verschleiern. Beide Alternativen der Nr. 8 pönalisieren nur grobe Verstöße, d.h. evident unvertretbare erhebliche Verletzungen elementarer Regeln des Wirtschaftslebens.244 Wirtschaftswidrigkeit allein genügt nicht. Die offene Formulierung setzt die Vorschrift einiger Kritik als insbesondere zu unbestimmt aus.245
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Gemäß der ersten Alternative verringert sich der Vermögensstand bei Schmälerung der Aktiva (z.B. Geschäftsführung ohne jegliche Planung und Übersicht;246 Weiterwirtschaften trotz Insolvenzreife; Lieferung an insolventen Abnehmer ohne Sicherheit;247 Verschleuderung von Waren, die nicht auf Kredit gekauft wurden und damit nicht unter § 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB fallen)248 oder Vermehrung der Passiva249 (z.B. Eingehen extrem unvernünftig hoher Risiken). Die bloße Verlagerung der Aktivitäten auf ein anderes Unternehmen ist nicht grob wirtschaftswidrig.250 Beim reinen Aktiv-Passiv-Tausch – z.B. der Befriedigung fälliger Forderungen – fehlt es schon an einer Verringerung des Vermögens.251
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Die zweite Alternative pönalisiert Verheimlichen oder Verschleiern der geschäftlichen Verhältnisse. Bezugspunkt sind alle Umstände, die für die Beurteilung der Bonität des in der Krise befindlichen Schuldners erheblich sind.252 Die Tathandlung berührt jedoch nicht die objektiven Umstände an sich, sondern nur ihre Offenlegung. Setzt oder hält der Täter die Gläubiger oder den Insolvenzverwalter über Zugriffsmöglichkeiten auf das Schuldnervermögen in Unkenntnis, verheimlicht er sie; gibt er die geschäftlichen Verhältnisse inhaltlich unrichtig wieder, verschleiert er sie.253 Tatbestandsmäßig ist das heimliche Unterhalten eines Tochterunternehmens im Ausland;254 die Anwerbung neuen Kapitals mit irreführenden Prospekten;255 zweckwidrige Verwendung eingehender Kundengelder für andere als das bestimmte Projekt;256 Aushöhlung zugunsten einer Auffanggesellschaft;257 wahrheitswidrige wesentliche Angaben im Antrag auf Eigenverwaltung, § 270a InsO. Praxisrelevant258 sind Fälle sog. Firmenbestattung (Sitzverlegung, Veräußerung der Geschäftsanteile an einer GmbH, Umfirmierung, Abberufung des Geschäftsführers, Unerreichbarkeit). Selbst wenn der Wechsel der Verantwortlichen tatsächlich gewollt sind, betrachtet der BGH § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB als erfüllt,259 falls das Gesamt244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256 257 258 259
Brand in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rz. 215; SystKommStGB/Hoyer, § 283 Rz. 94. Tiedemann, KTS 1984, 539; Heinz, GA 1977, 217, 226; Richter, GmbHR 1984, 148. BGH v. 25.11.1980 – 5 StR 356/80, MDR 1981, 244 = NJW 1981, 354, 355. Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 960; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108; Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 168. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108; Fischer, StGB, § 283 Rz. 30. MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 66. OLG Düsseldorf v. 23.12.1981 – 3 Ws 243/81, NJW 1982, 1712, 1713. SystKommStGB/Hoyer, § 283 Rz. 94; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 66. BGH v. 24.3.2009 – 5 StR 353/08, wistra 2009, 273, 274 m.w.N.; Achenbach, NStZ 2010, 621, 625 f. BGH v. 24.3.2009 – 5 StR 353/08, wistra 2009, 273, 274. Fischer, StGB, § 283 Rz. 30b; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108. Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 176 m.w.N. Richter, GmbHR 1984, 137, 148; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108. Fischer, StGB, § 283 Rz. 30b; Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 963. Püschel in FS Rissing-van Saan, S. 475 m.w.N. BGH v. 24.3.2009 – 5 StR 353/08, wistra 2009, 273,274.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 159 § 8
geschehen der Verschleierung Vorschub leistet und somit die Position der Gläubiger verschlechtert.260 Die Veräußerung von Geschäftsanteilen allein genügt jedoch nicht.261 Der frühere kann als faktischer Geschäftsführer Mittäter sein, der sich das Handeln des neu bestellten Geschäftsführers gem. § 25 Abs. 2 StGB zurechnen lassen muss.262 bb) § 283 Abs. 2 StGB Anders als die übrigen Insolvenzdelikte pönalisiert § 283 Abs. 2 StGB Geschehnisse in der Zeit vor Eintritt der Krise. Strafbar ist danach, wer eine der in § 283 Abs. 1 Nr. 1–8 StGB aufgeführten Handlungen vornimmt und dadurch seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung herbeiführt.263 Drohende Zahlungsunfähigkeit reicht hier daher nicht aus. Die objektive Bedingung der Strafbarkeit, § 283 Abs. 6 StGB, gilt auch für § 283 Abs. 2 StGB.
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§ 283 Abs. 2 StGB ist ein Erfolgsdelikt.264 Mitursächlichkeit der Bankrotthandlung für die Insolvenzreife genügt.265 Bei Blindwirtschaft können Buchführungs- und Bilanzierungsmängel, § 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 StGB, ausreichen, vgl. § 283 Abs. 5 Nr. 2 StGB. Zum Feststellen des Kausalzusammenhangs bedarf es ggf. eines eingehenden Gutachtens.266 Obwohl nicht nur bewusstes Herbeiführen der Insolvenz267 strafbar ist, sondern nach § 283 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 5 Nr. 2 StGB Leichtfertigkeit genügt, ist die praktische Bedeutung des § 283 Abs. 2 StGB gering – auch weil sich oft die Einstellung nach § 154 StPO im Hinblick auf schwerwiegendere, aber leichter beweisbare Delikte anbietet.
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cc) Versuch (Abs. 3) Vollendet ist der Bankrott mit dem Abschluss der Tathandlung.268 Wer zu ihrer Verwirklichung unmittelbar ansetzt, ist bei Eintritt einer der Strafbarkeitsbedingungen des § 283 Abs. 6 StGB269 wegen versuchter Tat nach § 283 Abs. 1 oder 2 StGB zu bestrafen, § 283 Abs. 3 StGB. Der Abschluss eines Übertragungsvertrags von Eigentum oder Besitz überschreitet nicht notwendig die Schwelle bloßer strafloser Vorbereitungshandlung zu einem Beiseiteschaffen nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB.270 Verkennt ein Einzelkaufmann die Unterschreitung eines Schwellenwerts des § 241a Abs. 1 S. 1 HGB, so liegt ein untauglicher Versuch vor.271
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dd) Subjektive Tatseite (1) Vorsatz Die Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 oder 2 StGB setzt Vorsatz voraus, § 15 StGB. Es genügt bereits bedingter Vorsatz, bei dem der Täter zwar bestimmte Folgen seines Handelns weder anstrebt noch 260 BGH v. 15.11.2012 – 3 StR 199/12, NZI 2013, 365 ff. (m. Anm. Köllner). 261 Brand/Reschke, ZIP 2010, 2135 f. 262 Offen gelassen in BGH v. 15.11.2012 – 3 StR 199/12, NZI 2013, 365, 368; vgl. Kümmel, wistra 2012, 165 ff.; Brand/Reschke, ZIP 2010, 2134 ff. 263 BGH v. 6.2.2019 – 3 StR 239/18, ZInsO 2019, 677; BGH v. 25.8.2016 – 1 StR 290/16, ZInsO 2016, 2032; OLG Frankfurt v. 18.6.1997 – 1 Ws 56/97, NStZ 1997, 551. 264 SystKommStGB/Hoyer, § 283 Rz. 120 m.w.N. 265 BGH v. 6.2.2019 – 3 StR 239/18, ZInsO 2019, 677. 266 BGH v. 28.9.2016 – 4 StR 293/16, NStZ-RR 2017, 177, 178. 267 Vgl. BGH v. 23.8.1978 – 3 StR 11/78, JZ 1979, 75; OLG Frankfurt v. 18.6.1997 – 1 Ws 56/97, NStZ 1997, 551. 268 Fischer, StGB, § 283 Rz. 33. 269 SystKommStGB/Hoyer, § 283 Rz. 122; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 82; unklar Fischer, StGB, § 283 Rz. 33a; kritisch zur Versuchsstrafbarkeit NK-StGB/Kindhäuser Rz. 100. 270 Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 283 Rz. 100. 271 MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 83.
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159
§ 8 Rz. 159 | § 8 Insolvenzstrafrecht deren Eintritt oder das Vorhandensein von Tatumständen für sicher hält, dies aber billigend in Kauf nimmt.272 Der Vorsatz muss sich auf das Bestehen der Krise und auf die Tathandlungen beziehen, nicht aber auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach § 283 Abs. 6 StGB. 160
§ 283 Abs. 1 StGB stellt ebenso wie Abs. 2 auf nicht sinnlich wahrnehmbare Umstände ab, sog. normative Tatbestandsmerkmale, deren Vorhandensein rechtliche Schlussfolgerungen aus wahrgenommenen Tatsachen erfordert. Vorsatz verlangt hier das Erfassen des rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalts zumindest in Gestalt einer Parallelwertung in der Laiensphäre.273 Dies setzt jedenfalls Grundkenntnisse des Handelsrechts voraus, namentlich der den Täter betreffenden Verhaltenspflichten.274 Ein Kaufmann dürfte allerdings aufgrund seiner Ausbildung grundsätzlich wissen, dass er zum Führen von Handelsbüchern (Abs. 1 Nr. 5) und zur Bilanzierung (Abs. 1 Nr. 7) verpflichtet ist. (2) Kombination von Vorsatz und Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit, § 283 Abs. 4 StGB
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§ 283 Abs. 4 StGB belässt es zwar beim Erfordernis vorsätzlicher Tathandlung, dehnt aber die Strafbarkeit der in § 283 Abs. 1 StGB aufgeführten Handlungen auf fahrlässiges Verkennen (Nr. 1) und leichtfertiges Verursachen (Nr. 2) der Krise aus. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt und die Verwirklichung des Tatbestandes zumindest erkennen und vermeiden konnte.275 Leichtfertigkeit ist eine besonders gesteigerte Form der Fahrlässigkeit, die etwa der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht entspricht.276
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Zur Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist grundsätzlich jeder Kaufmann verpflichtet. Er muss stets seine wirtschaftliche Lage zumindest in groben Zügen kennen. Beim Auftreten von Krisenindikatoren (vgl. Rz. 102) besteht die Pflicht zur besonders sorgfältigen Überprüfung der Vermögensverhältnisse. Wer diese Aufgaben nicht oder nur ansatzweise wahrnimmt, handelt in Bezug auf Insolvenzdelikte regelmäßig bedingt vorsätzlich. Hätte er seine tatsächlich vorgenommenen Kontrollen mit der gebotenen Sorgfalt vorgenommen und dabei die Krise erkannt, so fällt ihm jedoch nur Fahrlässigkeit zur Last. (3) Fahrlässigkeit, § 283 Abs. 5 StGB
163
Das Fahrlässigkeitsdelikt, § 283 Abs. 5 StGB, verzichtet auch für die Tathandlungen des § 283 Abs. 1 Nr. 2 (Spekulationsgeschäfte), Nr. 5 (Verletzung der Führung von Handelsbüchern) und Nr. 7 StGB (mangelhafte oder unterlassene Aufstellung von Bilanzen) auf das Vorsatzerfordernis. Hier reicht also Fahrlässigkeit sowohl im Hinblick auf das Vorliegen einer Krise als auch bezüglich der Handlung selbst aus, Abs. 5 Nr. 1. Gleiches gilt – allerdings mit der höheren Hürde der Leichtfertigkeit – für das Herbeiführen der Krise, Abs. 5 Nr. 2.
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Fahrlässig handelt, wer seine Pflicht zu Buchführung und Bilanzierung oder die Wirtschaftswidrigkeit eingegangener Spekulations- oder Differenzgeschäfte sorgfaltswidrig verkennt. Gleiches trifft auf den praktisch wohl wichtigsten Fall mangelhafter Auswahl und Überwachung von Delegationsempfängern zu (vgl. Rz. 135).277
272 Fischer, StGB, § 15 Rz. 11 f. m.w.N. 273 SystKommStGB/Hoyer, § 283 Rz. 118; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 72. 274 LK/Tiedemann, StGB, § 283 Rz. 189; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283 Rz. 72; a.A. z.B. Fischer, StGB, § 283 Rz. 32: Nur die tatsächlichen Voraussetzungen der Pflicht müssen vom Vorsatz umfasst sein; s.a. Fischer Rz. 20: „Ein Irrtum über das Bestehen der Buchführungspflicht ist Tatbestandsirrtum“. 275 Fischer, StGB, § 15 Rz. 20 m.w.N. 276 BGH v. 13.4.1960 – 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240, 255; Fischer, StGB, § 15 Rz. 35 m.w.N. 277 Vgl. BGH v. 2.8.1960 – 1 StR 229/60, BGHSt 15, 103; RG v. 18.2.1885 – 1343/85, RGSt 13, 354; RG v. 14.10.1924 – I 736/24, RGSt 58, 304; Fischer, StGB, § 283 Rz. 20.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 169 § 8
e) Besonders schwerer Fall des Bankrotts, § 283a StGB Ein besonders schwerer Fall des Bankrotts liegt nach der Strafzumessungsregel des § 283a StGB in der Regel vor, wenn der Täter aus Gewinnsucht handelt, eine Vielzahl von Personen in die Gefahr des Verlustes ihrer ihm anvertrauten Vermögenswerte oder in wirtschaftliche Not bringt. Der Strafrahmen gilt gleichermaßen für versuchten wie vollendeten Bankrott und reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Darin liegt zwar keine Hochstufung zu einem Verbrechen, § 12 StGB. Geldstrafe ist aber nur noch unter den engen Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 S. 1 StGB zulässig (v.a. bei eingeschränkter Schuldfähigkeit). Die angeführten Tatmodalitäten bilden lediglich Regelbeispiele. Ihr Vorliegen zwingt daher nicht zur Annahme eines besonders schwerer Falls, erlaubt sie aber auch bei Feststellung anderer, vergleichbar erschwerender Umstände.
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aa) Gewinnsucht Während typisches gewerbliches Gewinnstreben rechtmäßig, ja erwünscht ist, führt Gewinnsucht zu Strafschärfung. Prototyp ist das als kriminelles Gewerbe geführte, von vornherein nach Abschöpfen kurzfristig erzielter hoher Gewinne (Stoßbetrug, Schwarzarbeit unter wandelnder Firmierung) auf den Eintritt der Insolvenz angelegte Unternehmen.278 Es genügt aber bereits ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß an Gewinnstreben279 „um jeden Preis“280 sowie „überzogenes rücksichtsloses Eigeninteresse“.281
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bb) Vielzahl von Personen; subjektive Anforderungen Das Gesetz bestimmt nicht, wieviele Personen für eine Vielzahl erforderlich sind. Als Untergrenze nennt die Literatur zehn.282 Bei einer geringeren Personenanzahl, aber extrem hohem Schaden kann ein unbenannter besonders schwerer Fall vorliegen. Wegen des Erfordernisses der Wissentlichkeit, genügt Eventualvorsatz anders als bei Nr. 1 nicht.
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Für die erste Alternative genügt die bloße Gefahr des Verlusts anvertrauter Vermögenswerte einer Vielzahl von Personen. Auf den tatsächlichen Eintritt des Schadens kommt es nicht an. Anvertraut sind Vermögenswerte, die dem Täter mit der Erwartung überlassen wurden, er werde sie im Interesse des Überlassenden verwalten. Nach dem Willen des Gesetzgebers werden insbesondere Geldanlagen bei Kreditinstituten, Spar- oder Bausparkassen und vergleichbaren Institutionen, bzw. in gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen erfasst.283 Es genügen aber auch Lieferungen unter die Kreditierung sicherndem Eigentumsvorbehalt.284
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Die zweite Alternative erfasst hingegen nur tatsächlich eingetretene wirtschaftliche Not. Die Bankrotthandlung muss beim Opfer die Unmöglichkeit verursacht haben, seinen notwendigen Lebensunterhalt als soziokulturelles Existenzminimum ohne Hilfe Dritter (d.h. ohne Insolvenzausfallgeld oder sonstige Sozialleistungen) zu bestreiten,285 z.B. aufgrund Arbeitsplatzverlusts.
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278 Vgl. dazu Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 118. 279 Vgl. BGH v. 30.10.1951 – 1 StR 423/51, BGHSt 1, 388, 389; BGH v. 24.6.1952 – 2 StR 56/52, BGHSt 3, 30, 32; BGH v. 9.1.1962 – 1 StR 346/61, BGHSt 17, 35, 37. 280 BGH v. 31.5.2017 – 2 StR 489/16, ECLI:DE:BGH:2017:310517U2STR489.16.0, wistra 2017, 407; S/S/ W-Bosch, § 283a Rz. 2. 281 BGH v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09, juris Rz. 45. 282 Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 975; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283a Rz. 5 m.w.N. 283 BT-Drucks. 7/3441, 37; Fischer, StGB, § 283a Rz. 3. 284 Dannecker/Hagemeier in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 3 Rz. 976 m.w.N. 285 Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 283a Rz. 2; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283a Rz. 10.
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§ 8 Rz. 170 | § 8 Insolvenzstrafrecht
f) Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB aa) Allgemeines 170
§ 283b StGB ergänzt § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB und sanktioniert als abstraktes Gefährdungsdelikt und Auffangtatbestand,286 die Verletzung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten ohne das Erfordernis eines Handelns in der Krise oder deren Herbeiführung.287 Nach § 283b StGB ist zu verurteilen, wenn zwar eine Krise vorliegt, der Täter sie aber ohne Fahrlässigkeit (sonst § 283 Abs. 4 Nr. 1 StGB) verkannte bzw. Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht leichtfertig herbeiführte (sonst § 283 Abs. 2 bzw. Abs. 4 Nr. 2 oder Abs. 5 Nr. 2 StGB), oder die dafür nötige subjektive Tatseite nicht nachweisbar ist.
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§ 283b Abs. 3 StGB verweist auf § 283 Abs. 6 StGB. Die Bestrafung auch nach § 283b StGB setzt daher den Eintritt einer der objektiven Strafbarkeitsbedingungen voraus. Die h.M. verlangt insoweit ebenfalls einen tatsächlichen und zeitlichen Zusammenhang;288 ausreichend ist, wenn im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wenigstens noch „irgendwelche Auswirkungen“ vorliegen, die sich als gefahrerhöhende Folge der Verfehlung darstellen, wie etwa Zeitverlust durch verspätete Bilanzierung zwecks Dokumentation gegenüber dem Insolvenzverwalter.289 Der Zusammenhang wird aufgrund der Verwirklichung des Tatbestands vermutet und bestehende Zweifel stehen der Bestrafung nicht entgegen.290 Setzt sich die vor der Krise begonnene Tathandlung in der Krise fort, so tritt § 283b StGB hinter § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB zurück.291 Anders soll es sich aber bei bis zum Kriseneintritt nicht nachgeholter Bilanzerstellung verhalten. bb) Die Tathandlung
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Die in § 283b Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Strafe gestellte Verhaltensweise entspricht bereits nach dem Wortlaut der Vorschriften exakt dem § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Gleiches gilt für § 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB und § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB. Daher gelten obige Ausführungen entsprechend (unter Rz. 132 ff. und Rz. 145 ff.).
173
Zwischen § 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB findet sich ein kleiner Unterschied: Während nach § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB jeder strafbar ist, der Handelsbücher oder sonstige Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann verpflichtet ist, vor Ablauf der gesetzlichen Frist beiseite schafft, verheimlicht, zerstört oder beschädigt und dadurch die Vermögensübersicht erschwert (vgl. Rz. 141 ff.), gilt dies bei § 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB nur für Kaufleute, die zu der Aufbewahrung nach Handelsrecht verpflichtet sind. Straffrei ist daher die außerhalb der Krise in Bezug auf freiwillig geführte Bücher begangene Tathandlung. Tauglicher Täter ist nur ein Kaufmann, auch wenn ihm diese Eigenschaft über § 14 StGB zugerechnet wird. 286 BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; BGH v. 16.5.1984 – 3 StR 162/84, NStZ 1984, 455. 287 BGH v. 13.2.2014 – 1 StR 336/13, wistra 2014, 354, 356; OLG Hamburg v. 31.10.1986 – 2 Ss 98/86, NJW 1987, 1342, 1343; LK-Tiedemann, StGB, § 283b Rz. 1. 288 BGH v. 11.7.2019 – 1 StR 456/18, ZInsO 2019, 2461; BGH v. 20.12.1978 – 3 StR 408/78, BGHSt 28, 231, 234; BGH v. 2.4.1996 – GSSt 2/95, MDR 1996, 952 = wistra 1996, 264; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, ZInsO 2003, 519; OLG Düsseldorf v. 27.9.1979 – 5 Ss 391-410/79, BGH v. 6.2.1980 – 2 StR 729/79, MDR 1980, 506 = NJW 1980, 1292, 1293; BayObLG v. 8.8.2002 – 5St RR 202/2002a, b, NStZ 2002, 214; BayObLG v. 3.4.2003 – 5St RR 72/03, NJW 2003, 1960, 1960 f.; umfassend hierzu Wilhelm, NStZ 2003, 511 ff. und Maurer, wistra 2003, 253 f.; Brand in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rz. 223 ff. 289 BayObLG v. 3.4.2003 – 5St RR 72/03, NJW 2003, 1960; BayObLG v. 8.8.2002 – 5St RR 202/2002a, b, NStZ 2002, 214. 290 Vgl. BGH v. 13.2.2014 – 1 StR 336/13, wistra 2014, 354; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283b Rz. 24. Darin liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“, OLG Hamburg v. 31.10.1986 – 2 Ss 98/86, NJW 1987, 1342, 1343 m.w.N. 291 Maurer, wistra 2003, 174 f.; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283b Rz. 10 m.w.N.
626 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 179 § 8
Strafbar ist neben dem vorsätzlichen Handeln auch Fahrlässigkeit, § 283b Abs. 2 StGB (wiederum nicht bezogen auf die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit).292 Der Versuch des § 283b Abs. 1 StGB ist straffrei.
174
g) Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB aa) Allgemeines Wer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (ab 10 % offene Verbindlichkeiten) einem Gläubiger eine Sicherheit oder Befriedigung gewährt, auf welche dieser zumindest so keinen fälligen Anspruch hatte und ihn dadurch gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt, macht sich wegen Gläubigerbegünstigung strafbar. § 283c StGB sperrt als Privilegierungstatbestand die Anwendung von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB293: Es ist weniger strafwürdig, das bestehende Vermögen ungleich an Gläubiger als an unberechtigte Dritte zu verteilen.294 Es handelt sich um ein Erfolgsdelikt, das nur die leistungsbedingte Benachteiligung der Insolvenzgläubiger pönalisiert. Zu Letzteren zählen nicht die Aussonderungsberechtigten als solche (vgl. Rz. 113).295
175
Auch Täter nach § 283c StGB kann (wie bei § 283 StGB) nur der Schuldner sein (vgl. Rz. 96).296
176
§ 283c StGB ist nicht bei Überschuldung oder drohender, sondern nur bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit des Täters anwendbar. Tathandlungen unter solchen Umständen sind straffrei: Die Sperrwirkung der Privilegierung tritt ein. Als mindergefährlich können sie schon deshalb nicht nach dem schärferen § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB geahndet werden, da der vor Zahlungsunfähigkeit handelnde Täter nicht schlechter stehen darf als bei einem Handeln nach Zahlungsunfähigkeit.297
177
bb) Die Tathandlung Tathandlung ist das Gewähren inkongruenter, vom Gläubiger überhaupt nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchender Deckung, sei es in Form der Befriedigung (§§ 362 ff. BGB: Erfüllung, Leistung an Erfüllungs statt oder Aufrechnung), sei es im Wege gestellter Sicherheit als Einräumung einer dinglichen Rechtsposition, die es ihm ermöglicht, sich eher, leichter, besser oder sicherer zu befriedigen.298 Praktische Beispiele hierfür sind die Einräumung eines Pfand- oder Grundpfandrechts und die Sicherungsübereignung.299 Allerdings ist strafbar nur ein Teil der nach § 131 InsO anfechtbaren Handlungen (vgl. unter § 13 Rz. 119 ff.). Für Einreden (wie Verjährung) und Gestaltungsrechte (z.B. Anfechtung, Widerruf) ist das umstritten.
178
Der BGH zählt Gesellschafter eines Schuldners nicht zu den Gläubigern300 und subsumiert die vor der Krise nicht vertraglich vereinbarte Rückgewähr von z.B. Darlehen an sie unter § 283 StGB. Obwohl
179
292 Kritisch Bosch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, § 283b Rz. 1. 293 BGH v. 12.7.1955 – 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55, 56; BGH v. 6.11.1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 225; BGH v. 29.9.1988 – 1 StR 332/88, BGHSt 35, 357, 359 = MDR 1989, 368= MDR 1987, 247. 294 BGH v. 2.11.1995 – 1 StR 449/95, NStZ 1996, 543. 295 Vgl. Brand in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 14 Rz. 9 ff.; Gericke in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, Anh. V, § 283c Rz. 4. 296 BGH v. 13.2.2014 – 1 StR 336/13, wistra 2014, 354. 297 Vgl. BGH v. 12.7.1955 – 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55, 56; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283c Rz. 14. 298 Vgl. BGH v. 13.2.2014 – 1 StR 336/13, juris Rz. 67, wistra 2014, 354; RG v. 24.9.1897 – 2355/97, RGSt 30, 261, 262. 299 Vgl. BGH v. 21.7.2020 – 2 StR 99/19, NJW 2021, 247, 248 bzgl. eines vorinsolvenzlichen Vertrags, der eine Option auf ein Sicherungsrecht einräumte. 300 BGH v. 9.3.2017 – 3 StR 424/16, NZI 2017, 542, 544; ebenso Maurer/Wolf, wistra 2011, 327, 334 m.w.N.
Püschel | 627
§ 8 Rz. 179 | § 8 Insolvenzstrafrecht seit dem 1.11.2008, dem Inkrafttreten des MoMiG, Gesellschafterleistungen nicht mehr wie Stammkapital zu behandeln seien, § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG, erstrecke sich der Zweck der Privilegierung des § 283c StGB nicht auf Vorteile von Gesellschaftern zu Lasten der Masse. Diese wohl von Furcht vor Beweisschwierigkeiten ebenso wie von kriminalpolitischen Bedenken motivierte teleologische Restriktion schafft einen vom Zivilrecht abweichenden eigenständigen strafrechtlichen Gläubigerbegriff.301 Systematisch stimmig ist es, Gesellschafter auch i.S.d. § 283c StGB als Gläubiger zu behandeln,302 es sei denn der Gesellschafter hat einen qualifizierter Rangrücktritt erklärt.303 Denn solche Gesellschafterdarlehen sind nicht im Überschuldungsstatus zu passiveren; sie bilden im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern haftendes Kapital.304 180
Während die in der Begünstigungshandlung liegende Benachteiligung der übrigen Gläubiger den subjektiven Tatbestand nur bei Absicht oder Wissentlichkeit erfüllt, genügt ansonsten bedingter Vorsatz. Nach § 283c Abs. 2 StGB ist der Versuch strafbar. Verurteilung setzt das Vorliegen einer der Strafbarkeitsbedingungen nach §§ 283c Abs. 3, 283 Abs. 6 StGB voraus.
181
Da die Begünstigung ohne Mitwirkung des Gläubigers nicht vollendet wäre, ist er notwendiger Beteiligter. Daher macht er sich mit bloßer Annahme nicht strafbar.305 Bei darüberhinausgehenden Aktivitäten in (schwierig zu beweisender) Kenntnis der Umstände kommt aber Anstiftung (Überreden oder Druck ausüben)306 oder Beihilfe (zur Verfügungstellung eines Transportfahrzeugs)307 in Betracht.
h) Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB aa) Allgemeines 182
Anders als §§ 283–283c StGB wendet sich das abstrakte Gefährdungsdelikt § 283d StGB nicht an den Schuldner selbst oder die für diesen verantwortlichen Personen. Täter kann jeder sonstige Dritte sein, auch Gläubiger und Insolvenzverwalter.308
183
Die Personenverschiedenheit von Schuldner und Täter zieht Folgeänderungen nach sich. Die Strafbarkeitsbedingungen des § 283d Abs. 4 StGB stellen auf den von der Person des Täters abweichenden Schuldner ab, gleichen aber im Übrigen § 283 Abs. 6 StGB. Anders geregelt ist das Erfordernis der Krise: Die erste Alternative (Satz 1 Nr. 1) erfordert, dass dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht und der Täter positive Kenntnis davon hat. Nach Nr. 2 ist es erforderlich, dass der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat oder ein Insolvenzverfahren eröffnet oder beantragt wurde.
184
Die praktische Bedeutung des § 283d StGB ist gering, weil selten ein Anfangsverdacht besteht. bb) Die Tathandlung
185
Die relevanten Tathandlungen entsprechen § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. Rz. 112 ff.).309 Der Tatbestand setzt ein Handeln zugunsten des Schuldners oder mit dessen Einwilligung voraus. Die nach-
301 Wegner in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 222. 302 OLG Celle v. 23.1.2014 – 2 Ws 347/13, WM 2015, 188, 192 f.; s.a. LK-Tiedemann, StGB, § 283c Rz. 10; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283c Rz. 12. 303 So Brand, NZI 2017, 518, 520 f. 304 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231, 244 = MDR 2015, 544; Brand, NZI 2017, 518, 520 f. 305 So bereits RG v. 2.6.1927 – III 268/27, RGSt 61, 314, 315; RG v. 30.10.1931 – I 30/31, RGSt 65, 416, 417; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283c Rz. 21 m.w.N. 306 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283c Rz. 21 m.w.N. 307 BGH v. 19.1.1993 – 1 StR 518/92, MDR 1993, 563 = NJW 1993, 1278. 308 Brand, NZI 2016, 750, 751; MünchKomm/StGB/Petermann, § 283d Rz. 1. 309 Bittmann, NZWiSt 2019, 86, 90 mit Bezug auf BGH v. 12.5.2016 – 1 StR 114/16, NZI 2016, 749.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 192 § 8
trägliche Billigung reicht nicht aus.310 Die Einwilligung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen und liegt schon im Dulden des erkannten Zwecks. Mit Abschluss der Tathandlung ist das Delikt vollendet, auf die tatsächliche Schmälerung der Masse kommt es nicht an. Zugunsten des Schuldners handelt, wer diesem zu Lasten der Gläubigerschaft Teile seines Vermögens erhalten oder zukommen lassen will. Nicht erforderlich ist, dass dies das einzige oder das Hauptziel des Täters ist. Dieser wird naturgemäß sogar in den meisten Fällen auch seine eigene Begünstigung anstreben.
186
Fahrlässige Begehung stellt § 283d StGB nicht unter Strafe. Im Fall des Abs. 1 Nr. 1 bedarf es direkten Vorsatzes i.S. positiver Kenntnis des Krisenumstands. Im Übrigen reicht bedingter Vorsatz aus.
187
§ 283d Abs. 3 StGB normiert wortgleich mit § 283a StGB (vgl. Rz. 165 ff.) besonders schwere Fälle.
188
3. Verstoß gegen Anzeigepflichten a) Insolvenzverschleppung, § 15a InsO Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs juristischer Personen und von Personenhandelsgesellschaften ohne natürliche Person als unbeschränkt haftender Gesellschafter (Ausnahme: Verein) haben unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 1 InsO bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (s. § 1 Rz. 51 ff., 114 ff. und § 5 Rz. 11 ff.) Insolvenz anzumelden. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, so machen sie sich wegen Insolvenzverschleppung strafbar.311 Der Eröffnungsantrag wird oft zu spät gestellt, weil die Verantwortlichen (meist vergeblich) hoffen, die Krise wieder zu überwinden, oder Zeit gewinnen wollen, eine Auffanggesellschaft zu gründen, bzw. Vermögensgegenstände beiseite zu schaffen. Ermittelt wird meist von Amts wegen.
189
Das MoMiG312 hat die zuvor rechtsformspezifischen Antrags- und Anzeigepflichten (§ 64 Abs. 1, § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG a.F.; § 92 Abs. 2 AktG a.F.; § 130a Abs. 1 S. 1, § 177a S. 1 HGB; § 99 Abs. 1 GenG a.F.) zentralisiert.313
190
§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO erfasst juristische Personen (GmbH, AG, KGaA und Genossenschaft, ohne Vereine) und S. 3 InsO darüber hinaus Personenhandelsgesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (klassisch: GmbH & Co. KG, aber unter Umständen auch: OHG und Limited).314 Bei Mehrfachverschachtelung ist maßgeblich, ob am Ende der Haftungskette eine natürliche Person steht, § 15a Abs. 2 InsO.315 Im Fall persönlicher Haftung besteht zwar keine förmliche Insolvenzantragspflicht. Weiterwirtschaften trotz Insolvenzreife ist aber nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB strafbewehrt.
191
Weitere Strafvorschriften wegen Insolvenzverschleppung finden sich für Mitglieder des Verwaltungsrats einer SE in § 53 Abs. 4 Nr. 2 SEAG, und für die SCE in § 36 Abs. 1 SCEAG i.V.m. § 15a Abs. 4 InsO.
192
310 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, § 283d Rz. 3. 311 Hierzu und zu den zivilrechtlichen Folgen der Insolvenzverschleppung ausführlich Ahrens in Weisemann/Smid, Handbuch Unternehmensinsolvenz, Kap. 21 Rz. 93 ff.; Goette, ZInsO 2001, 529 ff.; Pape in Kübler/Prütting, InsO § 15 Rz. 2 ff. m.v.N.; Gehrlein in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, S. 828 ff. Rz. 6 ff.; zur Verjährung von Insolvenzverschleppungsansprüchen vgl. Haas, NZG 2011, 691. 312 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I 2026. 313 Vgl. dazu ausführlich Römermann, NZI 2010, 241; Bittmann, NStZ 2009, 113. 314 Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 7 ff. 315 Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 32.
Püschel | 629
§ 8 Rz. 193 | § 8 Insolvenzstrafrecht aa) Taugliche Täter 193
§ 15a InsO ist ein Sonderdelikt. Täter kann nur eine gesetzlich zur Insolvenzantragstellung verpflichtete Person sein.316 Das trifft auch auf den Liquidator zu. § 14 Abs. 2 StGB greift zwar nicht, wohl aber gilt die Antragspflicht auch für den faktischen Geschäftsführer317 – die Pflicht des förmlich bestellten bleibt unberührt (vgl. Rz. 88).
194
Die Insolvenzantragspflicht trifft jedes einzelne Mitglied des Vertretungsorgans.318 Sind mehrere Geschäftsführer oder Vorstände bestellt, so besteht sie für jeden einzelnen, unabhängig davon, ob Einzel- oder Gesamtvertretung besteht.319 Interne Geschäftsverteilung suspendiert niemanden von dieser Pflicht (Allzuständigkeit). Verschieden sind jedoch die Aufgaben, die zu ihrer Erfüllung nötig sind. Der kaufmännische Leiter hat sich vertikal berichten zu lassen und zu kontrollieren. Sonstige Mitglieder müssen beobachten, ob er dieser Pflicht nachkommt. Treten Krisenanzeichen auf, so müssen sie erforderlichenfalls selbst tätig werden. Dritte können nur Teilnehmer sein.320
195
Die Verantwortlichkeit setzt mit Bestellung zum Geschäftsführer ein; auf die nur deklaratorische Eintragung im Handelsregister kommt es nicht an. Ein Fremdantrag suspendiert die Pflicht nicht vor Eröffnung des Verfahrens, da der Gläubiger seinen Antrag jederzeit zurücknehmen kann.321 Da der Schuldner dies nicht allein in der Hand hat, ist ihm immer zu raten, trotz des Gläubigerantrags einen eigenen Antrag innerhalb der Antragsfrist zu stellen. Bei Mehrköpfigkeit entfällt die persönliche Antragspflicht erst dann, wenn ein anderer Geschäftsführer den Antrag gestellt hat.322 Die Pflicht zum Stellen des Eröffnungsantrags endet mit dem Amt (vgl. Rz. 81).
196
Besitzt die Gesellschaft keinen organschaftlichen Vertreter mehr, ist also rechtlich nicht mehr vertreten, so ist sie nach der Legaldefinition des § 10 Abs. 2 S. 2 InsO führungslos.323 In diesem Fall sind die Gesellschafter einer GmbH bzw. die Mitglieder des Aufsichtsrats einer AG oder Genossenschaft verpflichtet, den Eröffnungsantrag zu stellen, § 15a Abs. 3 InsO, aber nur, sofern sie über Kenntnis der Insolvenzreife verfügen. Gesellschafter und Aufsichtsorgane anderer Rechtsformen trifft hingegen keine Antragspflicht.324 bb) Die rechtzeitige Anmeldung
197
Der Insolvenzantrag ist unverzüglich („ohne schuldhaftes Zögern“) zu stellen, § 15a Abs. 1 S. 1 InsO. Das Gesetz gewährt für eigenständige Sanierungsmaßnahmen eine Erfolgsfrist von nur noch drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, § 15a Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 InsO,325 bzw. seit dem 1.1.2021
316 BGH v. 21.3.2018 – 1 StR 423/17, wistra 2018, 437; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 191; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 15a Rz. 32. 317 BGH v. 21.4.2021 – 6 StR 67/21, juris; BGH v. 11.7.2019 – 1 StR 456/18, wistra 2020, 295; BGH v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14, 4 StR 324/14, NJW 2015, 712; BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 37; BGH v. 5.10.1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314, 315; BGH v. 11.11.1982 – 4 StR 591/82, NJW 1983, 240. 318 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 7. 319 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 197 m.w.N. 320 Vgl. zur Strafbarkeit von Rechtsanwälten und anderen Beratern wegen Insolvenzverschleppung Baumgarte, wistra 1992, 41; Reck, ZInsO 2000, 121. 321 BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 380; BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, NZG 2009, 33; MünchKomm/InsO/Klöhn, § 15a Rz. 137; Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 11 Rz. 20. 322 Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 80 Rz. 24. 323 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 195. 324 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 61. 325 BReg, Entwurf des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG), 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181, 193.
630 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 200 § 8
von sechs Wochen nach eingetretener Überschuldung, § 15a Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 InsO. Demnach handelt es sich um Höchstfristen. Bei evident fehlender Sanierungsaussicht ist der Antrag sofort zu stellen. Die strafrechtliche Praxis begnügt sich zwar regelmäßig mit den Fristen – nicht aber die Zivilgerichtsbarkeit im Prozess um persönliche Haftung. Nach h.M. beginnt die Frist mit objektivem Eintritt eines Eröffnungsgrundes.326 Darin liegt aber beim Vorsatzdelikt ein Widerspruch zur eingeräumten Sanierungsfrist. Die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 3 InsO beginnt unstreitig erst mit positiver Kenntnis von Insolvenzgrund und Führungslosigkeit.327
198
cc) Die nicht richtige Antragstellung Gemäß § 15a Abs. 4 Nr. 2 InsO ist auch der zwar rechtzeitige, aber nicht richtig gestellte Eröffnungsantrag strafbar. Nachdem die bis Juni 2017 gültige Fassung dieser Variante kaum mehr als die Wahl zwischen entweder Leerlaufenlassen oder Überpönalisierung ließ,328 gestaltete sie der Gesetzgeber um. Zwar verrät er immer noch nicht, was er unter einem richtigen Antrag versteht.329 Das wirkt sich aber nicht mehr nur zu Lasten des Pflichtigen aus, weil die Bestrafung nunmehr von der objektiven negativen Strafbarkeitsbedingung der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund Unzulässigkeit des Antrags abhängt, § 15a Abs. 6 InsO.330 Da der BGH in Zivilsachen schon zuvor entschieden hatte, dass auf Unzulässigkeit nur nach ungenutzt verstrichener, vom Insolvenzgericht unter Angabe der noch fehlenden Punkte gesetzter angemessener Frist erkannt werden dürfe,331 besteht nunmehr eine realistische Chance, der Zurückweisung wegen Unzulässigkeit zu entgehen. Das gilt umso mehr, als die Insolvenzgerichte typischerweise pragmatisch vorgehen und regelmäßig eröffnen, wenn eine die Kosten deckende Masse vorhanden ist. Dem unbedarften Neugeschäftsführer nach Unternehmensbestattung wird es jedoch kaum gelingen können, einen zulässigen Antrag zu stellen: Das ist im Interesse rechtzeitiger Antragstellung seitens des zuvor Verantwortlichen genau so gewollt.
199
Die insolvenzrechtliche Zulässigkeit eines Eröffnungsantrags richtet sich nach §§ 13–15 InsO.332 Beim Antrag auf Eröffnung eines Normalverfahrens beschränkt sich die fehlende Richtigkeit neben bedingt oder befristet gestellten Anträgen auf (1) Einschaltung eines unzuständigen Gerichts, (2) fehlende Schriftlichkeit, (3) nicht vorgelegtes Gläubigerverzeichnis, (4) versagte Richtigkeitsversicherung und unterbliebene Glaubhaftmachung eines verpflichtenden Insolvenzgrunds. Bei Führungslosigkeit kommt noch das Gebot hinzu, sie glaubhaft zu machen. Anträge auf Eigenverwaltung sind zudem unzulässig, (a) aufgrund fehlender Spezifizierung der Gläubiger, (b) unterlassener Angaben zur Bilanzsumme, (c) zum Umsatz und (d) zur durchschnittlichen Anzahl der Arbeitnehmer. Die Angabe eines unzutreffenden Eröffnungsgrunds ist danach allein nicht strafbar.333
200
326 Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 114; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 14; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 15a Rz. 32; MünchKomm/InsO/Klöhn, § 15a Rz. 119. 327 MünchKomm/InsO/Klöhn, § 15a Rz. 119. 328 Bittmann, wistra 2017, 88 m.w.N. 329 Für eine restriktive Auslegung: Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 124; s.a. zur alten Fassung: Rönnau/Wegner, ZInsO 2014, 1025. 330 MünchKomm/InsO/Klöhn, § 15a Rz. 336a. 331 BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, Rz. 8, BGHZ 153, 205 = MDR 2003, 475. 332 BT-Drucks. 17/5712, 23; AG Duisburg v. 2.1.2007 – 64 IN 107/06, NZI 2007, 354 mit Anm. Schmittmann. 333 Zum Ganzen Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 11 Rz. 32.
Püschel | 631
§ 8 Rz. 201 | § 8 Insolvenzstrafrecht dd) Subjektiver Tatbestand 201
In subjektiver Hinsicht verlangt § 15a Abs. 4 InsO Vorsatz. Die Praxis stellt an dessen Vorliegen keine hohen Anforderungen. Zudem genügt Passivität trotz erkannter Krisenindikatoren.334
202
Fehlt der Vorsatz, so kommt fahrlässige Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 5 InsO in Betracht. ee) Suspendierung der Antragspflicht während der Corona-Pandemie, § 1 COVInsAG
203
§ 1 COVInsAG hatte während der COVID-19-Pandemie die Pflicht, Eröffnungsantrag zu stellen, für Unternehmen, die aufgrund der Corona-Pandemie in die Krise geraten waren, zeitweise ausgesetzt.335 Aufgrund sukzessiver Änderungen wechselten die Voraussetzungen für verschiedene Aussetzungszeiträume. Teils war die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung sowohl im Falle der Zahlungsunfähigkeit als auch der Überschuldung aufgehoben, § 1 Abs. 1 und 3 COVInsAG, teils nur bei Überschuldung des Unternehmens, § 1 Abs. 2 COVInsAG. (1) Aussetzung bis zum 30.9.2020, § 1 Abs. 1 COVInsAG
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Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 COVInsAG bestand im Zeitraum vom 1.3.2020 bis 30.9.2020 keine Insolvenzantragspflicht, d.h. weder bei Überschuldung noch bei Zahlungsunfähigkeit, allerdings nur, wenn die Insolvenzreife auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus beruhte und bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit Aussicht vorhanden war, sie wieder zu beseitigen, § 1 Abs. 1 S. 2 COVInsAG. Für Überschuldung bedurfte es keiner besonderen Ausblicksregelung, weil es an ihr bei positiver Fortbestehensprognose ohnehin fehlt. Die zivilrechtliche Verlagerung der Beweislast auf die Gläubiger („Dies gilt nicht, wenn…“)336 gilt strafprozessual nicht.
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Die weitere, zur Entlastung des Schuldners von Nachweis- und Prognoseschwierigkeiten337 aufgestellte Vermutung, bei Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2019 beruhe die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie und es bestünden Beseitigungsaussichten, § 1 Abs. 1 S. 3 COVInsAG, hat die Hürden für die Strafbarkeit nicht noch weiter erhöht. Zivilrechtlich ist die Vermutung zwar nur widerlegt, sofern keine Zweifel am Fehlen beider Voraussetzungen bestehen.338 Das jedoch ist der allgemeine strafprozessuale Maßstab.
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Unmittelbare und sogar mittelbare Mitursächlichkeit der Pandemie an der Insolvenzreife genügte zum Aussetzen der Antragspflicht.339 Monokausalität war weder vorausgesetzt noch wäre sie realistisch. Die Beurteilung ist in hohem Maße branchenabhängig.340 Während Restaurants schwer litten, boomten Logistik-Unternehmen und Lebensmitteldiscounter.
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Dem Erfordernis der Aussicht auf Beseitigung eingetretener Zahlungsunfähigkeit wohnt ein dynamisches Zeitmoment inne. Die Beobachtungspflicht galt verschärft,341 da die Antragspflicht nur so-
334 BGH v. 23.8.2017 – 2 StR 456/16, NJW 2018, 566567. 335 Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG) v. 27.3.2020, BGBl. I, 569. 336 Schülke, DStR 2020, 929, 930 f. 337 Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenzund Strafverfahrensrecht v. 24.3.2020, BT-Drucks. 19/18110, 22. 338 Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenzund Strafverfahrensrecht v. 24.3.2020, BT-Drucks. 19/18110, 22 f.; s.a. Schülke, DStR 2020, 929, 931. 339 Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46, 47; Heinrich, NZI 2021, 71, 72; Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290; Schülke, DStR 2020, 929, 930. 340 Klose, NZWiSt 2020, 333, 335. 341 Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46, 48; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 1 COVInsAG Rz. 24.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 211 § 8
lange ausgesetzt war, wie die tatsächlichen Umstände die Annahme späterer Überwindung zuließen. Rein subjektive Hoffnungen ohne Realkennzeichen reichten nicht.342 Die Antragspflicht konnte daher innerhalb des Zeitraums aufleben.343 Praktische Schwierigkeiten folgen aus dem Schweigen des Gesetzgebers zum Prognosezeitraum.344 Dieser muss zumindest länger sein als die drei-Wochen-Frist des § 15a InsO, weil die Sonderregelung sonst überflüssig wäre. Orientierung bietet der Zweck der Regelung, Unternehmen zu ermöglichen, die Geschäfte in der Corona-Pandemie fortzuführen und ihre Insolvenz durch staatliche Hilfen sowie Sanierungs- und Finanzierungsvereinbarungen zu beseitigen.345 Genaueres festzulegen war aufgrund der ungewissen Entwicklung weder möglich noch wegen fortbestehender Zulässigkeit von Fremdanträgen sinnvoll. Von einer sukzessiven Verlängerung war zwar auszugehen, wegen der Befristung war aber die Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit innerhalb der mit dem Ende der Aussetzung, 30.9.2020, beginnenden Frist des § 15a Abs. 1 InsO vonnöten.346 Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht setzte erst mit dem 1.3.2020 ein. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit ausnahmsloser Strafbarkeit aufgrund eines zuvor versäumten, nicht rechtzeitig gestellten Eröffnungsantrags.347 Das COVInsAG ist (zumindest insoweit) ein Zeitgesetz, § 2 StGB, so dass der lex-mitior-Grundsatz,348 § 2 StGB, nicht gilt. Es beruht auch nicht auf geänderter Rechtsauffassung, sondern trägt den besonderen tatsächlichen Umständen der Pandemie Rechnung. Genau deswegen entspricht die Privilegierung aber auch für die Zeit bis zum 28.2.2020 der gesetzgeberischen Wertung des COVInsAG. Anders als bei Unterbrechung der strafbewehrten Antragspflicht nach einer Naturkatastrophe setzten die Folgen der Pandemie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern erst schleichend ein. Daher wird Insolvenzreife vor dem 1.3.2020 zwar nur selten auf der Pandemie beruhen. Die Vermutung des § 1 Abs. 1 S. 3 COVInsAG zum Stichtag 31.12.2019 zeigt jedoch, dass diese Möglichkeit dem Gesetzgeber sogar eine ausdrückliche Regelung wert war. Zudem dienten staatliche Corona-Hilfen auch diesen Unternehmen. Dazu im Widerspruch stünde es, auf den formalen Stichtag 1.3.2020 und nicht inhaltlich auf die Insolvenzursache Pandemie abzustellen.
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Die Verteidigung sollte in den Fällen, in denen eine Staatsanwaltschaft sich auf den gegenteiligen Standpunkt stellt, von Anfang an nicht nur widersprechen, sondern zudem auf einem taggenauen Nachweis des Beginns der Insolvenzantragspflicht bestehen,349 weil sie nur dann in der Lage ist, den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen, sich täglich wandelnden Einfluss der Pandemie zu prüfen und zu Verteidigungszwecken vorzutragen.
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(2) Aussetzung vom 1.10.2020 bis 31.12.2020 Im Zeitraum vom 1.10.2020 bis zum 31.12.2020 war die Antragspflicht nur für den pandemiebedingten Eintritt des Insolvenzgrunds der Überschuldung ausgesetzt, § 1 Abs. 2 COVInsAG.
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Demzufolge lebte die Antragspflicht bei bestehender Zahlungsunfähigkeit mit dem 1.10.2020 wieder auf. Sofern für die Zeit davor die Antragspflicht ausgesetzt war, begann die Frist des § 15a Abs. 1 InsO
211
342 343 344 345 346 347 348 349
Heinrich, NZI 2021, 71, 72; Klose, NZWiSt 2020, 333, 336. Heinrich, NZI 2021, 71, 72. Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46 (48 m.w.N). Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenzund Strafverfahrensrecht v. 24.3.2020, BT-Drucks. 19/18110, 3, 22. Vgl. Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46, 48 f.; Heinrich, NZI 2021, 71, 72; Römermann, NJW 2020, 1108, 1109; Schülke, DStR 2020, 929, 933; a.A. Klose, NZWiSt 2020, 333, 336. A.A. Klose, NZWiSt 2020, 333, 335. Auf diesen abstellend Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46, 50 f. Vgl. Heinrich, NZI 2021, 71, 72 f.
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§ 8 Rz. 211 | § 8 Insolvenzstrafrecht von Neuem. War die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit allerdings nicht binnen drei Wochen zu erwarten, so war die unverzügliche Antragstellung geboten.350 (3) Aussetzung vom 1.1.2021 bis 30.4.2021 212
Der dritte Aussetzungszeitraum erstreckte sich vom 1.1.2021 bis zum 30.4.2021, § 1 Abs. 3 COVInsAG. Die Voraussetzungen glichen mit einer Ausnahme denen des ersten Zeitraums: Umfasst war sowohl Überschuldung als auch überwindungsfähig erscheinende Zahlungsunfähigkeit und die Mitursächlichkeit der Pandemie war ausreichend.
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Die Aussetzung hing jedoch zusätzlich davon ab, dass der Schuldner im Zeitraum vom 1.11.2020 bis zum 28.2.2021 einen Antrag auf Gewährung finanzieller Hilfeleistungen aus staatlichen Hilfsprogrammen zur Abmilderung der Folgen der Pandemie (v.a. sog. November-, Dezember- und sonstige Überbrückungshilfe) gestellt hatte. War dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen noch nicht möglich, so genügte es, dass der Schuldner in den Kreis der Antragsberechtigten fiel, § 1 Abs. 3 S. 2 COVInsAG.351
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Als Rückausnahme bestand die Insolvenzantragspflicht fort, sofern offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfe vorlag oder sie zur Beseitigung der Insolvenzreife nicht ausgereicht hätte, § 1 Abs. 3 S. 3 COVInsAG. Das Erfordernis der Beseitigungsaussicht wurde damit über die von Abs. 1 erfasste Zahlungsunfähigkeit hinaus auf, die gleichzeitige Beseitigung einer etwaig bestehenden Überschuldung erweitert.352 Kein Hindernis stellte bei positiver Fortbestehensprognose ein weiterhin negativer Überschuldungsstatus dar. Zudem genügte die Aussicht auf Beseitigung der Insolvenzreife aus der Summe öffentlicher Corona-Hilfen und sonstiger sicher aktivierbarer, in Finanzplan bzw. Fortführungsprognose einzustellender Mittel.353 Der Wortlaut „erlangbare Hilfeleistung“ schließt dies nicht aus und es wäre geradezu widersinnig, private Gelder außer Acht zu lassen, sind doch staatliche Hilfen nur bei Bedarf, d.h. bei Fehlen eigener Mittel legitim.
b) Sanierung und Restrukturierung, StaRUG 215
Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) ist Teil des Sanierungsund Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG). Es trat zum 1.1.2021 in Kraft.354 Es setzt die Restrukturierungsrichtlinie EU 2019/1023355 in deutsches Recht um und stellt ein Verfahren zur frühzeitigen Sanierung und Restrukturierung von Unternehmen im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens auf.356
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Wer nun denkt, im StaRUG, in der InsO oder in irgendeinem anderen Gesetz seien beide Anwendungsbereiche und v.a. deren Abgrenzung zueinander geregelt, wird vergeblich suchen.357 § 29 Abs. 1 StaRUG nennt immerhin als Ziel eines Restrukturierungsverfahrens die nachhaltige Überwindung drohender Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO. Versteht man sie als notwendige Voraussetzung, so klammert dies Phasen jenseits der Grenze des § 18 Abs. 2 S. 2 InsO von zwei Jahren ebenso wie wirtschaftlich spannungsfreie und Zeiten nach Eintritt der Insolvenzreife aus. Dies scheint allerdings so nicht
350 Zur Debatte: Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46, 51; Klose, NZWiSt 2020, 333, 335; Heinrich, NZI 2021, 71, 73 (Frist beginnt gem. § 249 Abs. 1 ZPO analog von neuem an zu laufen). 351 Jahn, NZI 2021, 75; Heinrich, NZI 2021, 71, 74. 352 Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46, 52. 353 Im Ergebnis auch Heinrich, NZI 2021, 71, 74; Brosthaus/Gierok, WiJ 2021, 46, 52. 354 Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 355 ABl. Nr. L 172 vom 26.6.2019, S. 18. 356 RegE Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, 1 (84). 357 Dies beklagt Pluta, NZI-Beilage 1/2021, 22, 23 und 24.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 220 § 8
gemeint zu sein. Anders als für ein Schutzschirmverfahren ist es nicht erforderlich eine Sanierungsbescheinigung wie gem. § 270d Abs. 1 InsO vorzulegen. Inwieweit das Gericht die vom Schuldner nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG beizubringenden Krisenbelege358 zu prüfen hat, ist offen. Die gerichtliche Überzeugung (zu welchem Zeitpunkt?)359 vorliegender drohender Zahlungsunfähigkeit ist gem. § 51 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG Voraussetzung (erst?) einer Stabilisierungsanordnung (Vollstreckungs- bzw. Verwertungssperre, § 49 Abs. 1 StaRUG) und nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG auch für die Bestätigung des Restrukturierungsplans. Überdies ist selbst der nachträgliche Eintritt von Insolvenzreife kein zwingender Grund zur gerichtlichen Aufhebung des Restrukturierungsverfahrens, § 33 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 StaRUG. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist das Verhältnis zwischen InsO und StaRUG nicht logischstringent voneinander abzugrenzen. Bezieht man die im Rahmen der Prüfung vorliegender Überschuldung gebotene Fortbestehensprognose auf die Liquidität, so erfordert § 19 Abs. 2 InsO die Vorausschau auf die folgenden zwölf Monate, während die drohende Zahlungsunfähigkeit den Blick auf die nächsten zwei Jahre eröffnet, § 18 Abs. 2 S. 2 InsO. Fehlt es nun aber an einer positiven Fortbestehensprognose schon für das kommende, so kann die Zahlungsfähigkeit für das übernächste Jahr kaum gesichert sein. Zudem liegt dann bei typischerweise negativem Status rechtliche Überschuldung vor. Da ihr Vorhandensein ein Restrukturierungsverfahren hindert, scheint das StaRUG nur für im übernächsten Jahr zu erwartende Liquiditätsengpässe einschlägig und damit intentionswidrig nicht zur Vorsorge gegen alsbald zu erwartende Zahlungsunfähigkeit geeignet zu sein. Dieses Eigentor lässt sich nur zirkelschlüssig dadurch vermeiden, dass bei Erstellung der Fortbestehensprognose der Erfolg des anderenfalls unzulässigen Restrukturierungsverfahrens zugrunde gelegt wird. Dann fehlt es aufgrund nur deshalb positiver Fortbestehensprognose an der Überschuldung.360
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Im Vertrauen auf den Erfolg der Praxis bei der Aufgabe detaillierter Gestaltung der Schnittstelle ist das systematische Verhältnis zwischen InsO und StaRUG dahingehend zu verstehen, dass Letzteres nur vorinsolvenzlich, aber auch erst zulässig ist, wenn Zahlungsunfähigkeit bereits droht. Nach Eintritt der Insolvenzreife besteht kein Wahlrecht zwischen Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren, sondern der Eröffnungsantrag ist zwingend zu stellen. Ein etwaiges Versäumnis ist daher auch dann nach § 15a Abs. 4 (oder 5) InsO strafbar, wenn stattdessen ein Restrukturierungsverfahren betrieben wird.
218
aa) Suspendierung der Insolvenzantragspflicht gem. § 15a Abs. 1 InsO, § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG bestimmt, dass die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht. Die Vorschrift hat nur Bedeutung, soweit Insolvenzreife besteht. Solange das nicht der Fall ist, besteht schon keine Antragspflicht, die ruhen könnte. Fehlt es aufgrund unterstelltem Erfolg des – damit erst zulässigen – Restrukturierungsverfahrens an einer negativen Fortbestehensprognose und damit an rechtlicher Überschuldung (vgl. Rz. 217), so kann diese jedoch ebenso wie Zahlungsunfähigkeit nachträglich eintreten (zu den strafrechtlichen Folgen vgl. Rz. 222 ff.).
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Für die Rechtshängigkeit genügt die bloße Anzeige des Restrukturierungsvorhabens, § 31 Abs. 3 StaRUG. Auf die Einhaltung der Pflicht aus § 31 Abs. 2 StaRUG zum Beifügen von Unterlagen kann es dabei mangels Strafbarkeit eines unrichtigen Restrukturierungsantrags nicht ankommen. Daher endet zumindest die Strafbewehrung versäumter Insolvenzanmeldung ohne weitere Voraussetzungen allein schon mit dem Eingang selbst eines unrichtigen Restrukturierungsantrags bei Gericht, § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG. Das hebt die bereits zuvor eingetretene Strafbarkeit zwar nicht auf. Tritt der Ruhenstatbestand jedoch in der laufenden 3-Wochen-Antragsfrist ein, so vermeidet dies die Vollendung der In-
220
358 Balthasar, NZI-Beilage 1/2021, 18. 359 Pluta, NZI-Beilage 1/2021, 22, 23. 360 Balthasar, NZI-Beilage 1/2021, 18, 19.
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§ 8 Rz. 220 | § 8 Insolvenzstrafrecht solvenzverschleppung, es sei denn, die Sanierung war bereits zuvor aussichtslos, so dass der deshalb sofort gebotene, aber unterlassene Eröffnungsantrag den Tatbestand des § 15a Abs. 4 (oder Abs. 5) InsO schon vollendet hatte. 221
Die Ruhensregelung des § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG geht über Art. 7 Abs. 1 Restrukturierungsrichtlinie hinaus. Diese verlangt das Ruhen nicht bereits mit Eingang einer Restrukturierungsanzeige, sondern nur dann, wenn während der (zuweilen erst wesentlich später) angeordneten Aussetzung einer Einzelvollstreckungsmaßnahme, nach deutschem Recht also nach Ergehen einer Stabilisierungsanordnung, §§ 29 Abs. 2 Nr. 3, 49–59 StaRUG, Insolvenzreife eintritt.361 Laut Regierungsentwurf soll die Vorverlagerung des Ruhens vermeiden, dass Schuldner neben und mit der Restrukturierungsanzeige eine Stabilisierungsanordnung beantragen, um die Suspendierung der straf- und haftungsbewehrten Insolvenzantragspflicht zu erreichen.362 Das entlastet zwar die Restrukturierungsgerichte, macht aber die missbräuchliche Restrukturierungsanzeige umso attraktiver, denn erst mit gerichtlicher Aufhebung der Restrukturierungssache, §§ 31 Abs. 4 Nr. 3, 33 StaRUG, lebt die strafbewehrte Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO wieder auf, § 42 Abs. 4 StaRUG. Da diese Aufhebung gem. § 33 Abs. 3 StaRUG unterbleibt, falls das Restrukturierungsgericht eine Stabilisierungsanordnung nach § 59 Abs. 3 StaRUG aufgrund fortgeschrittenen Restrukturierungsverfahrens in Kraft lässt, bleibt auch der Anreiz hoch, eine Stabilisierungsanordnung zu beantragen. bb) Verstoß gegen die Insolvenzanzeigepflicht, § 42 Abs. 3 StaRUG
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Während der Rechtshängigkeit müssen die Mitglieder der Vertretungsorgane einer juristischen Person sowie die übrigen nach § 15a Abs. 1 bis Abs. 3 InsO und § 42 Abs. 2 BGB antragspflichtigen Personen dem Restrukturierungsgericht den Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern anzeigen, § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG. Diese Pflicht tritt quasi an die Stelle der gem. § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG suspendierten Insolvenzantragspflicht. Ein während der Rechtshängigkeit gestellter, also freiwilliger Eigenantrag gilt jedoch als Erfüllung der Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG, § 42 Abs. 2 StaRUG.
223
Die Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG ist kraft uneingeschränkter Verweisung darauf gem. § 42 Abs. 3 StaRUG in toto strafbewehrt. Da § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG für die Anzeigepflicht im Gegensatz zu § 15a Abs. 1 InsO keine Höchstfrist von drei bzw. sechs Wochen einräumt, ist sie kraft Gesetzes ohne schuldhaftes Zögern nach Eintritt der Insolvenzreife zu erfüllen.363 Anderenfalls macht sich der Anzeigepflichtige sogleich strafbar. Die Zeitspanne, in der die Insolvenzreife gegenüber dem Restrukturierungs- oder Insolvenzgericht zu offenbaren ist, ist daher deutlich kürzer als gem. § 15a Abs. 1 InsO. Gleichzeitig ist das bereits bei leichter Fahrlässigkeit bestehende Strafbarkeitsrisiko aus tatsächlichen Gründen erheblich verschärft, wenngleich die Strafrahmen des § 42 Abs. 3 S. 1, 2 identisch mit denen des § 15a Abs. 4, 5 InsO sind und sich eine um nur kurze Zeit verzögerte Anzeige bei Festsetzung der Rechtsfolgen zugunsten des Pflichtigen auszuwirken hat. Ob das Restrukturierungsverfahren wegen der überaus stringenten Strafvorschrift des § 42 Abs. 3 S. 1 und 2 StaRUG an Attraktivität verliert, bleibt abzuwarten.
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Falls der Anzeigepflichtige oder sein Berater einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht feststellt, ist zwingend zu prüfen, ob der Eröffnungsantrag nach § 15a InsO noch rechtzeitig gestellt werden kann. Gem. § 42 Abs. 2 StaRUG gilt ein solcher als rechtzeitige Erfüllung der Anzeigepflicht und lässt somit die Strafbarkeit nach § 42 Abs. 3 StaRUG entfallen. Dadurch erlangt die drei- bzw. sechswöchige Antragsfrist nach § 15a InsO auch im Restrukturierungsverfahren wieder an Bedeutung.
361 ABl. Nr. L 172 vom 26.6.2019, S. 42; RegE Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, 144; Köllner, NZI-Beilage 2021, 71, 72. 362 RegE Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181, 144. 363 Die Höchstfrist hängt vom Insolvenzgrund ab, vgl. Rz. 197; Köllner, NZI-Beilage 1/2021, 71, 72.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 230 § 8
Für die forensische Praxis ist jedoch hervorzuheben, dass die neue Strafnorm nicht auf redlich Handelnde zielt. Begrenzte zeitliche Verzögerung ist nicht strafwürdig, wenn der Verantwortliche ansonsten gegenüber dem Restrukturierungsgericht und dem Restrukturierungsbeauftragten, §§ 73–79 StaRUG, transparent agiert. Vor einer Bestätigung des Restrukturierungsplans, § 60 StaRUG, sind auch Gläubigerinteressen nicht ernsthaft gefährdet, wenngleich Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund, aber auch nur wegen einer Stabilisierungsanordnung gem. § 49 InsO während des Restrukturierungsverfahrens ausscheiden. Die bloße Verzögerung ohne weitere Pflichtverletzungen hat daher in aller Regel zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gem. § 153 Abs. 1 StPO zu führen.
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Stimmig wäre es hingegen, missbräuchlich in Kenntnis der in Wahrheit längst eingetretenen Insolvenzreife gestellte Restrukturierungsanträge spürbar zu ahnden. Das allerdings ist nicht möglich. § 42 Abs. 3 StaRUG bezieht sich allein auf den Fall während des Restrukturierungsverfahrens eingetretener Insolvenzreife. Einer Ausdehnung auf Verschweigen bereits zuvor bestehender Insolvenzantragspflicht steht die Wortlautgrenze entgegen. Ein bewusst unrichtig gestellter Restrukturierungsantrag ist auch nicht gesondert strafbewehrt. Die ebenfalls strafbewehrte Insolvenzanzeigepflicht des § 42 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 StaRUG ersetzt zwar quasi das Ruhen der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO, eröffnet dem Nervenstarken aber ein riesiges Schlupfloch.
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Es ist ein unverständlicher Wertungswiderspruch, ungefährliche Verzögerungen der Anzeigepflicht seitens Redlicher unter Strafe zu stellen, während eklatanter Missbrauch des Restrukturierungsverfahrens nicht als solcher, sondern nur im Fall nachweislicher vorangegangener Insolvenzverschleppung bestraft werden kann.
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c) Verlustanzeigepflicht, § 84 GmbHG § 84 Abs. 1 GmbHG bedroht Verstöße der Geschäftsführer gegen die Pflicht, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen. In der Strafverfolgungs- und Gerichtspraxis spielt die Vorschrift des § 84 jedoch keine messbare Rolle.364 Hierzu veröffentlichte Rechtsprechung ist nicht ersichtlich.
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4. Weitere Straftatbestände aus dem StGB und dem Nebenstrafrecht a) Betrug Nach § 263 Abs. 1 StGB macht sich derjenige strafbar, der „in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält“. Die hierfür in Betracht kommenden Handlungsweisen sind vielfältig und können überall in Staat und Gesellschaft auftreten. Nachfolgend werden nur zwei typischerweise mit einer Unternehmenskrise einhergehende Betrugsformen herausgegriffen: der Lieferanten- bzw. Dienstleistungsbetrug und das Erschleichen von Krediten.365 Bei beiden handelt es sich um Eingehungsbetrug, also dem Abschließen eines Vertrags, ohne seine Verpflichtungen erfüllen zu können oder zu wollen.
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aa) Lieferanten- bzw. Dienstleistungsbetrug Der Grundfall des Lieferanten- bzw. Dienstleistungsbetrugs ist schlicht: Der Täter bestellt Waren oder Dienstleistungen gegen spätere Zahlung, obwohl er weiß, dass er sie aufgrund seiner schlechten wirtschaftlichen Situation nicht wird bezahlen können. Diese Handlungsweise ist typisch für Unter-
364 MünchKomm/StGB/O. Hohmann, § 84 GmbHG Rz. 7. 365 Vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 263 Rz. 25 ff., 162a; zur Betrugsstrafbarkeit bei privaten Insolvenzen Bosch, wistra 1999, 410.
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§ 8 Rz. 230 | § 8 Insolvenzstrafrecht nehmenskrisen. Sie ist dem Unternehmer zumeist bewusst. Dennoch schließt er Verträge – entweder im Vertrauen auf Besserung oder in der Hoffnung, so wenigstens Stellung und Ansehen zu bewahren. Sanierung, Insolvenz oder schlicht Einstellung seines unternehmerischen Handelns erscheinen ihm als schlechtere, oft gar „unmögliche“ Alternativen. Der Kaufmann denkt und fühlt anders als ein nüchterner Jurist. Hat er die Gegenleistung angenommen, bleibt aber seine versprochene Leistung schuldig, so ist es Aufgabe der Strafjustiz herauszufinden, wie lange er straflos darauf vertrauen durfte, es werde doch gutgehen, und ab wann er seine Unfähigkeit zur Leistung erkannt und zumindest billigend in Kauf nahm. In solchen Fällen hat die Justiz die wirtschaftliche Lage sowohl objektiv als auch im subjektiven inneren Abbild des Beschuldigten genau zu prüfen. 231
Der Tatbestand des § 263 StGB setzt die Täuschung über gegenwärtige Tatsachen voraus. Maßgeblich ist deshalb, ob der Handelnde im Moment der Bestellung in Zukunft seine versprochene Leistung erbringen will und annimmt, dazu im Zeitpunkt der Fälligkeit in der Lage zu sein. Verhielt es sich so, dann ist nachträglich einsetzende Leistungsunfähigkeit regelmäßig sub specie § 263 StGB straflos, es sei denn, er ist bei Entgegennahme der Leistung seines Vertragspartners ausnahmsweise zur Offenbarung seiner nunmehr desolaten finanziellen Lage verpflichtet. Die Täuschung kann ausdrücklich oder konkludent geschehen. Ersteres ist eher untypisch. Nach ständiger Rechtsprechung erklärt der Vertragschließende aber allein schon mit seinem Handeln, willens und in der Lage zu sein, seine eigene Leistung zu erbringen. Ist diese stillschweigende Erklärung unrichtig, so täuscht er konkludent in betrügerischer Weise.366
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Liegt der Zeitpunkt der Leistung, die der Besteller versprochen hat, weit in der Zukunft,367 so bedarf es genauer Prüfung, ob er seine Leistungsunfähigkeit bereits bei Vertragsschluss abgesehen hat. Insbesondere wenn er die finanziellen Mittel aufgrund Weiterverkaufs des Bestellten erst erwirtschaften will, sprechen konjunkturelle Einbrüche und technische Neuerungen gegen betrügerisches Handeln, weil sich derartige äußere Umstände nicht vorhersehen lassen und zum allgemeinen, sich einer Prognose entziehenden Lebensrisiko gehören.368 Anders verhält es sich, wenn es absehbar ist, dass sich der Aufwand mit dem Geschäftsmodell nicht refinanzieren lässt oder die eigene Leistungsfähigkeit erkennbar wesentlich von Zufällen abhängt. Gleiches gilt, aber nur in Ausnahmefällen, auch für Umstände, deren zwar nicht sicherer, aber doch auch nicht unwahrscheinlicher Eintritt die zukünftige Zahlungsfähigkeit gefährden würde369 (z.B. eine ausstehende behördliche Genehmigung).
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In der Zeit zwischen Vertragsschluss und Annahme der Gegenleistung kommt es zu einer Betrugsstrafbarkeit nur dann, wenn der Schuldner verpflichtet ist, dem Gläubiger die Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse mitzuteilen (Aufklärungspflicht). Bei einfachen Austauschverträgen370 stellt die bloße Entgegennahme keine Täuschung dar.371 Innerhalb spezieller, besonderer Vertrauensverhältnisse zwischen Gläubiger und Schuldner besteht jedoch ausnahmsweise eine Offenbarungspflicht.372 So kann es sich z.B. aufgrund langer und enger Zusammenarbeit verhalten oder bei Anbahnung besonderer, gegenseitiges Vertrauen gebietender Verbindungen, bei denen Treu und Glauben ebenso wie die Verkehrssitte Aufklärung über für die Entschließung des anderen Teils wichtige Umstände erfordern. Pflichtwidriges Schweigen führt hier zu Betrug durch Unterlassen.
234
Diese seltenen Aufklärungspflichten sind abzugrenzen zu einer sehr praxisrelevanten, sowohl Täuschung als auch Irrtum berührenden Konstellation. In laufender Geschäftsbeziehung werden häufig Einzelbestellungen rein auf Arbeitsebene abgesprochen und abgewickelt. Werden in der Krise Rech366 BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145, 146; BGH v. 15.6.1954 – 1 StR 526/53, NJW 1954, 1414; OLG Köln v. 13.1.1967 – Ss 336/66, NJW 1967, 741. 367 Vgl. zu Mietverträgen BayObLG v. 30.7.1998 – 3St RR 54/98, wistra 1999, 69. 368 Vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 534. 369 Vgl. BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 536 ff. 370 BGH v. 4.8.2016 – 4 StR 523/15, NStZ 2017, 349, 350; krit. Pauka/Link/Armenat, NZI 2016, 897. 371 BGH v. 24.3.1987 – 4 StR 73/87, MDR 1987, 623 = wistra 1987, 213. 372 Vgl. BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223.
638 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 237 § 8
nungen nicht mehr bezahlt, so ist die nachfolgende Strafanzeige nicht selten mit dem Hinweis versehen, nach zunächst schleppender Zahlung sei ab einem bestimmten Zeitpunkt gar nichts mehr beglichen worden. Sollte nicht einer der seltenen Fälle bestehender Offenbarungspflicht vorliegen (dann ist Betrug durch Unterlassen immerhin denkbar), so fehlt es meist ganz oder zumindest weitgehend am Tatbestand.373 Die schleppende Zahlung wird der dafür zuständigen kaufmännischen Ebene bekannt. Dieses Wissen hat sich das Unternehmen gem. § 166 Abs. 1 BGB zurechnen zu lassen. Es widerlegt die allgemeine konkludente Zusicherung bestehender Zahlungsfähig- und -willigkeit. Soweit rückständige Rechnungen nachgezahlt wurden, hat sich das Vertrauen, es werde schon klappen, als begründet erwiesen. Demzufolge fehlt es an einer Täuschungshandlung (jedenfalls in Bezug auf die Hauptleistung). Nach aufgelaufenen Zahlungsrückständen erteilte Aufträge stellen ebenfalls keine Täuschung dar, weil der Besteller ja wusste oder jedenfalls damit rechnete, dass der Vertragspartner Kenntnis von seinen Liquiditätsproblemen hat. Dieser irrte eben dieses Wissens wegen auch nicht. Weil es aber nicht erst am Irrtum, sondern bereits an einer Täuschungshandlung mangelt, ist auch nicht wegen Betrugsversuchs zu bestrafen. Allerdings kommt es jeweils auf die Umstände des konkreten Sachverhalts an. Bei einem Freispruch fühlt sich der Vertragspartner nicht selten aufgrund seiner Kulanz von der Strafjustiz benachteiligt. Sein zivilrechtlicher Anspruch bleibt jedoch bestehen. Stützt die Staatsanwaltschaft ihre Betrugsvorwürfe nur oder hauptsächlich auf vor Vertragsschluss eingetretene Zahlungsunfähigkeit,374 so führt dies keineswegs zwingend zum Bejahen tatbestandsmäßigen Handelns. Das folgt bereits aus dem Umstand, dass zahlungsunfähig schon derjenige ist, der immerhin 90 % seiner Verbindlichkeiten noch zu tilgen vermag. Bei nur geringfügiger Überschreitung dieser Grenze ist Vorsatz schon allgemein fraglich. Das gilt erst recht, wenn Umstände vorliegen, die zeigen, dass der Schuldner Vorsorge zum Erfüllen speziell dieser, dann doch offengebliebenen Verbindlichkeit getroffen hatte. Im Kern widerlegt ist der Täuschungsvorwurf (und zwar sogar schon in objektiver Hinsicht), war mit alsbaldiger Besserung der finanziellen Situation tatsächlich zu rechnen (anders bei bloßen Wünschen und Hoffnungen).375 Die Amtsermittlungspflicht der Staatsanwaltschaft erstreckt sich zwar auch auf solche, den Anschein der Täuschung erschütternde Tatsachen. Ohne besondere Anhaltspunkte wird sie jedoch nur selten darauf stoßen oder gezielt danach suchen. Es liegt dann im Interesse des Mandanten, verteidigungsseits dieses Umfeld darzulegen und die Beweise dafür entweder selbst vorzulegen oder zumindest zu benennen.
235
Täuschung allein konstituiert den Tatbestand noch nicht. Nur wenn sie zu einem Irrtum führt, besteht die Möglichkeit vollendeten Betrugs fort. Er ist konkret festzustellen und folgt nicht bereits aus dem Vorliegen der Täuschung. Die Anforderungen an das Vorliegen eines Irrtums sind allerdings nicht sehr hoch. Naivität und Leichtgläubigkeit stehen seiner Annahme nicht entgegen. Bei einer Vielzahl von Geschädigten genügt es, nur einen Teil von ihnen zu vernehmen. Zeigt sich ein verlässliches Quorum, so darf dies der Verurteilung mit einem Sicherheitsabschlag zugrunde gelegt werden.
236
Die Corona-Pandemie schließt die Strafbarkeit wegen Betrugs aufgrund von Liquiditätsschwierigkeiten nicht von vornherein aus, schon gar nicht die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht. Allerdings lässt sich aufgrund verbreiteter wirtschaftlicher Unsicherheit nicht mehr jedem Vertragsschluss die konkludente Zusicherung bestehender Zahlungsfähig- und -willigkeit entnehmen.376 Vielmehr bedarf es genauer Feststellungen, ob es sich in concreto so verhielt. Das wird häufiger als sonst zu verneinen sein. Zudem ist aufgrund des Gemeinwissens um die Folgen der Pandemie auch große Zurückhaltung vor Bejahen eines Irrtums geboten. Beides gilt erst recht aufgrund in Aussicht gestellter öffentlicher Corona-Hilfen.
237
373 BGH v. 24.3.1987 – 4 StR 73/87, MDR 1987, 623 = wistra 1987, 213. 374 Vgl. BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223, 224; BGH v. 9.4.1991 – 5 StR 85/91; BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 435/90, wistra 1991, 218; OLG Düsseldorf v. 19.7.1995 – 2 Ss 198/95, wistra 1996, 32. 375 BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223. 376 Schülke, DStR 2020, 929, 935.
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§ 8 Rz. 238 | § 8 Insolvenzstrafrecht 238
Die Vermögensverfügung liegt in der täuschungs- und irrtumsbedingten Vorleistung des Vertragspartners. Daher fehlt es bei Leistung Zug-um-Zug, Vorleistungspflicht des Täuschenden oder gestellter werthaltiger Sicherheiten am Betrugsschaden. Nur wenn die eigene Leistung nachträglich zu erbringen ist, der Anspruch darauf aber aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten einen geringeren als den Nennwert repräsentiert, liegt in der Differenz der Betrugsschaden. Obwohl darin manchmal nur ein sog. Gefährdungsschaden gesehen wird,377 bemisst ihn die Rechtsprechung selten im Umfang des Wertberichtigungsbedarfs zum Zeitpunkt der Täuschungshandlung, d.h. bei Vertragsschluss, sondern legt der Verurteilung die Höhe der ausgebliebenen Zahlung zugrunde.378 bb) Erschleichen von Krediten
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Der Begriff „Kreditbetrug“ lässt sich untechnisch als Betrug zum Nachteil eines Kreditgebers oder im förmlichen Sinne als Tatbestand gem. § 265b StGB379 verwenden. (1) Betrug bei Darlehensverträgen, § 263 StGB
240
Für Betrug zum Nachteil eines Kreditgebers gelten die allgemeinen Regeln des § 263 StGB: Kausal verknüpfte Täuschung, Irrtum, Vermögensverfügung und Schaden, in der Absicht sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.380 Unzutreffende Antworten zu abgefragten Vermögensverhältnissen führen zu ausdrücklicher (und nicht nur konkludenter) Täuschung.
241
Das Vorliegen eines Irrtums des Kreditgebers bedarf genauer Prüfung, weil nicht jede unzutreffende Aussage oder allein ein inhaltlich falscher Beleg zu falschen Vorstellungen spezifisch über die Bonität führt, sondern sich trotzdem ein zutreffendes Bild über die Kreditwürdigkeit ergeben kann. Werden die Antworten, wie es bei kleinen (Minuten-)Krediten durchaus vorkommt, inhaltlich gar nicht zur Kenntnis, sondern nur zu den Unterlagen genommen, so macht sich der Adressat keine Vorstellungen und es mangelt ebenso an dessen Irrtum, wie wenn sich bei Prüfung Unrichtigkeiten herausstellen.
242
Führt die Täuschung des Kreditgebers zu einem Vermögensschaden, so ist dies nach § 263 StGB strafbar. Weil Vollendung bei fehlendem Irrtum, unterbliebener Auszahlung, ausreichend gestellter Sicherheiten381 oder nicht nachweisbarer Kausalität zwischen Falschangabe und Schaden (z.B. aufgrund von Dritteinflüssen oder Teil-Rückzahlungen) ausscheidet und auch nicht durchweg ein Versuch vorliegt, der Gesetzgeber aber allein schon bestimmte unzutreffende Angaben gegenüber einem potentiellen Darleiher für gefährlich erachtet, hat er § 265b StGB als Vorfelddelikt geschaffen. Er bedroht unter gewissen Umständen bereits die Täuschung an sich mit Strafe, tritt aber als subsidiär zurück, falls § 263 StGB,382 selbst dessen Versuch,383 nachweisbar ist.
377 Vgl. dazu Fischer, StGB, § 263 Rz. 94, 97 m.w.N.; Baumanns, JR 2005, 227 ff. 378 Vgl. vertiefend zur Schadensberechnung Dannecker, NStZ 2016, 318. 379 Zum Kreditbetrug umfassend Lampe, Der Kreditbetrug, 1980; Kießner, Kreditbetrug und § 265b StGB, 1985. 380 Vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 263 Rz. 25 ff. m.w.N. 381 BGH v. 7.1.1986 – 1 StR 486/85, MDR 1986, 420 = NJW 1986, 1183; BGH v. 3.11.1987 – 1 StR 292/87, wistra 1988, 188. 382 BGH v. 21.2.1989 – 4 StR 643/88, BGHSt 36, 130 = MDR 1989, 655; OLG Stuttgart v. 14.6.1993 – 3 ARs 43/93; BGH v. 14.7.1993 – 5 StR 159/93, MDR 1993, 1112 = NStZ 1993, 545. 383 Zum Meinungsstreit vgl. MünchKomm/StGB/Kasiske, § 265b Rz. 53; Fischer, StGB, § 265b Rz. 3 und 41.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 247 § 8
(2) Kreditbetrug, § 265b StGB § 265b StGB stellt nicht allgemein jede Falschangabe im Vorfeld einer Kreditgewährung unter Strafe. Nach dieser Vorschrift macht sich jedoch strafbar, wer im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung der Bedingungen eines Kredits für ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen über die wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder seit der Erstellung der Unterlagen eingetretene Verschlechterungen nicht mitteilt. Dem Typus nach handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Vollendet ist es bereits mit Einreichen der falschen oder unvollständigen Unterlagen. Im Unterschied zum Betrug sind weder Irrtum noch Vermögensverfügung und Vermögensschaden erforderlich.
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(a) Unternehmen § 265b StGB ist auf Wirtschaftskredite fokussiert384 unter Gleichbehandlung von Betrieben und Unternehmen, sofern sie unabhängig von ihrem Gegenstand nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern, § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB. Erfasst sind IstKaufleute, § 1 Abs. 2 HGB, aber auch Nicht-Gewerbetreibende, z.B. freie Berufe und Urproduktion, zudem öffentliche Unternehmen wie Sparkassen.385 Es genügt die Angabe eines Betriebs oder Unternehmens als Empfänger, selbst wenn er gar nicht existiert oder die Anforderungen des § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB nicht erfüllt.
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(b) Kredit Der Begriff des Kredits i.S.v. § 265b StGB ist in Abs. 3 Nr. 2 legaldefiniert als Gelddarlehen aller Art, Akzeptkredit, entgeltlichem Erwerb und Stundung von Geldforderungen, Diskontierung von Wechseln und Schecks, Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen.386 Kein Gelddarlehen ist Kapitalbeschaffung im Wege gesellschaftsrechtlicher Beteiligung. Praxisrelevant ist die Stundung von Forderungen aus Warenlieferung, Werk- oder Dienstleistungen, die allerdings nicht bereits in vertraglich vereinbarter (teilweiser oder auch vollständiger) Pflicht zur Vorleistung der Gegenleistung besteht.
245
(c) Tathandlungen Tathandlungen können sowohl falsche, aber nur für den Kreditnehmer vorteilhafte schriftliche Angaben über wirtschaftliche Verhältnisse in unrichtigen oder unvollständigen Unterlagen, insbesondere Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Vermögensübersichten oder Gutachten sein, als auch die unterlassene, zumindest mündliche Mitteilung über zwischenzeitlich verschlechterte, in den Unterlagen zutreffend wiedergegebene Verhältnisse. Beides gilt nur, wenn diese Informationen für die Entscheidung über die Kreditgewährung erheblich sind.
246
Unrichtig sind Unterlagen nicht nur, wenn ihr Inhalt dem wahren Sachverhalt widerspricht, sondern auch beim Überschreiten von (meist allerdings sehr weiten) Bewertungsspielräumen. Vorteilhaft für den Kreditnehmer sind Unterlagen, wenn sie dessen Chance auf Bewilligung des Kredits aufgrund geschönt dargelegter wirtschaftlicher Verhältnisse erhöhen. Erheblich für die Entscheidung sind Informationen, die ein verständiger Dritter bei durchschnittlicher Vorsicht zu berücksichtigen hat,387 also weder irrelevante Angaben noch Bagatellmängel.
247
384 385 386 387
BGH v. 16.11.2010 – 1 StR 502/10, NStZ 2011, 279. Fischer, StGB, § 265b Rz. 7. Vgl. zu weiteren Details Fischer, StGB, § 265b Rz. 10 ff. Vgl. BGH v. 8.12.1981 – 1 StR 706/81, BGHSt 30, 285, 291 = MDR 1982, 334; BGH v. 20.1.1987 – 1 StR 456/86, BGHSt 34, 265, 267 = MDR 1987, 597.
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§ 8 Rz. 248 | § 8 Insolvenzstrafrecht 248
Tatbestandsmäßig sind allein in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Kreditantrag getätigte unrichtigen Angaben. Ein Kreditantrag ist kein formeller Akt, sondern liegt in jedem irgendwie zum Ausdruck gebrachten ernsthaften Begehren, einen Kredit i.S.v. § 265b Abs. 3 Nr. 2 StGB zu erlangen. (d) Täter
249
Zwar ist § 265b StGB nur einschlägig bei intendierten Krediten für (zumindest scheinbare) Betriebe und Unternehmen i.S.v. § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB. Täter ist aber derjenige, der falsche Angaben macht. Es kommt dabei weder auf Eigenhändigkeit noch auf Identität zwischen Antragsteller und Kreditnehmer an. Tauglicher Täter ist daher jedermann, nicht nur Betriebsleiter, sondern auch Angestellte, Steuerberater, kreditinteressierte Bürgen, Geschäftspartner, Gläubiger, Sanierungsberater und das gefährdete Unternehmen begleitende Rechtsanwälte. Ein den Kreditantrag einreichender Bote handelt nicht als Täter, gegebenenfalls aber als Helfer, § 27 StGB. (e) Straflosigkeit aufgrund tätiger Reue
250
Der Versuch des § 265b StGB ist nicht strafbar. Der Tatbestand ist aber bereits mit Einreichen der Unterlagen vollendet.388 Als gewissen Ausgleich für die fehlende Möglichkeit des Rücktritts erkennt § 265b Abs. 2 StGB tätige Reue an. Danach wird straflos, wer den Kreditgeber freiwillig veranlasst, seine versprochene Leistung zu behalten. Unterbleibt sie ohne Zutun des Täters, so genügt dessen freiwilliges und ernsthaftes Bemühen.
b) Untreue, § 266 StGB 251
Wegen Untreue nach § 266 StGB macht sich strafbar, wer fremdes Vermögen mittels vorsätzlicher Verletzung seiner Vermögensbetreuungspflicht schädigt.389 § 266 Abs. 1 StGB normiert den Missbrauchsund den Treubruchstatbestand. Ersterer liegt vor, wenn der Täter die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht und dadurch dessen Vermögen einen Nachteil zufügt.390 Es handelt sich um einen Spezialfall der 2. Alternative, für die das Bewirken eines Nachteils in jeder sonstigen Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht genügt. Die tatbestandliche Weite ist zwar nicht verfassungswidrig, erfordert aber zum Einhalten des grundgesetzlichen Bestimmtheitserfordernisses das Bilden von Fallgruppen.391
252
Vermögensbetreuungspflichtig ist der Insolvenzverwalter,392 auch der starke vorläufige nach § 22 Abs. 1 InsO, nicht jedoch der schwache und ein reiner Gutachter. § 22 Abs. 2 InsO gestattet es dem Insolvenzgericht, dem Schuldner verschiedene Rechte und Befugnisse zu entziehen und auf den dergestalt mittelstarken Verwalter zu übertragen. Unter welchen Umständen ihm auf diese Weise Vermögensbetreuungspflichten erwachsen, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Es wird zu differenzieren sein: Aufsichts- und Gutachterfunktionen allein reichen nicht aus. Unterstellt jedoch das
388 Vgl. BGH v. 8.12.1981 – 1 StR 706/81, BGHSt 30, 285, 291 = MDR 1982, 334. 389 Zu den Besonderheiten bei einer Unternehmenssanierung durch Banken vgl. Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, 103. 390 BGH v. 24.11.2020 – 5 StR 553/19, NJW 2021, 1473, 1474. 391 BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09 und 2 BvR 491/09, BVerfGE 126, 170 ff. 392 Vgl. hierzu Momsen/Christmann, NZI 2010, 121; Schramm, NStZ 2000, 398; Smok in Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, Kap. 2 Rz. 644. Noch zum Konkursverwalter BGH v. 16.12.1960 – 4 StR 401/ 60, BGHSt 15, 342; BGH v. 24.6.1957 – VII ZR 310/56, BGHZ 24, 393, 396.
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III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 256 § 8
Insolvenzgericht den Schuldner darüber hinaus einem generellen oder partiellen Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Verwalters, so hält dieser die Macht inne, über die Wirksamkeit von Geschäften des Schuldners zu entscheiden, und zwar im Interesse der Sicherung der Masse, d.h. der Gesamtheit der Gläubiger. Ihn dürften damit Vermögensbetreuungspflichten i.S.v. § 266 StGB treffen.393 Deren Umfang bestimmt sich nach der Anordnung des Insolvenzgerichts. Damit besteht aber noch keine Klarheit über den Inhalt und die Art und Weise ihrer Wahrnehmung. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist das normative Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit. Es verweist nicht wie ein Blankett auf anderweitige Vorschriften, sondern enthält selbst eine eigenständig auszulegende Primärnorm, deren Verletzung mit der Sekundärnorm strafbewehrt ist. Schon deshalb können verbandliche Regelwerke den Umfang der Vermögensbetreuungspflicht gem. § 266 StGB nicht bestimmen. Verlautbarungen des IDW und seine für Wirtschaftsprüfer festgelegten Standards394 sind daher genauso wie die vom Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. beschlossenen Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung („GOI“) mit ihren Bestimmungen zur Sicherung des Schuldnervermögens (III. 3. GOI) rein berufsrechtlicher Natur. Ihre Wahrung belegt jedoch ein Handeln „de lege artis“. Strafbar kann es daher nur dann sein, wenn die berufsrechtlichen Regeln hinter den Anforderungen der strafrechtlichen Primärnorm zurückbleiben. Bevor es dazu gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, wird die Bestrafung allerdings regelmäßig wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums ausscheiden. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass nicht jede Abweichung und jeder verbandsrechtliche Verstoß nach § 266 StGB strafbar ist. Das ist vielmehr erst dann der Fall, wenn mit dem missachteten Berufsrecht auch die strafrechtlich zu bestimmende Vermögensbetreuungspflicht verletzt ist.
253
Als spezifische Treupflichtverstöße des Verwalters sind zu erwähnen: Verschleuderung von Bestandteilen des Schuldnervermögens; Verschiebung von Geldern auf eigene private Konten und bei Konzerninsolvenzen zwischen verschiedenen Konzerngesellschaften; unterlassene Durchsetzung von Ansprüchen; Begründung unnötiger Masseverbindlichkeiten; Unterwertverkauf von Massegegenständen395 oder Vergabe von Dienstleistungen (z.B. Buchhaltung) über Marktpreisniveau an eine eigene oder nahestehende Gesellschaft.396
254
Der Verwalter ist auch aus- und absonderungsberechtigten und nicht nur einfachen Insolvenz- und Massegläubigern sowie dem Insolvenzschuldner gegenüber vermögensbetreuungspflichtig.397 Unterschiede bestehen jedoch in Bezug auf eine etwaige tatbestandsausschließende Einwilligung. Deren Wirksamkeit hängt davon ab, wem gegenüber die Vermögensbetreuungspflicht besteht. Im Fall eines Aussonderungsrechts ist dies nur dessen Inhaber. In diesem Umfang genügt daher allein schon seine Einwilligung, während im Übrigen die Tatbestandsmäßigkeit regelmäßig nur bei vorheriger Zustimmung aller anderen Genannten entfällt, so dass selbst die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder der Mehrheit der Gläubigerversammlung nicht genügt.
255
Die Strafbarkeit des Verwalters setzt (bedingten) Vorsatz in Bezug auf Pflichtverletzung und Nachteil voraus.398
256
393 Vgl. eingehender Schramm, NStZ 2000, 400, 401 m.w.N. 394 Vgl. MünchKomm/HGB/Ebke, Band 4, § 323 Rz. 32. 395 Vgl. dazu näher BGH v. 14.1.1998 – 1 StR 504/97, wistra 1998, 150; BGH v. 11.7.2000 – 1 StR 93/00, wistra 2000, 384. 396 BGH v. 30.10.1985 – 2 StR 383/85, MDR 1986, 273 = NStZ 1986, 361; BGH v. 30.10.1990 – 1 StR 544/ 90, NJW 1991, 1069. 397 Schramm, NStZ 2000, 389, 399. 398 Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 266 Rz. 19.
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§ 8 Rz. 257 | § 8 Insolvenzstrafrecht
c) Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266a Abs. 1 StGB aa) Allgemeines 257
Nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge verschaffen dem Schuldner in der Krise beträchtliche Liquidität.399 Das Geschehen lässt sich unschwer nachweisen.
258
§ 266a StGB enthält mehrere ganz unterschiedliche Tatbestände, von denen im Wesentlichen nur das Vorfelddelikt des § 266a Abs. 1 StGB insolvenzstrafrechtlich relevant ist.400 Es betrifft allein die Arbeitnehmeranteile zur gesamten Sozialversicherung. § 266a Abs. 2 StGB ist ein dem § 370 AO nachgebildetes Informationsdelikt,401 das § 263 StGB verdrängt. Dahingegen tritt § 266a Abs. 3 StGB, der das heimliche Einbehalten an Dritte abzuführender Teile des Arbeitsentgelts (z.B. an Direktversicherer und nach Pfändung)402 unter Strafe stellt, als Auffangtatbestand hinter § 263 StGB zurück.403 bb) Täter
259
§ 266a Abs. 1 StGB ist ein Sonderdelikt. Den Tatbestand begehen kann nur ein Arbeitgeber oder eine für diesen unter den Voraussetzungen des § 14 StGB handelnde Person wie z.B. Geschäftsführer und Vorständler, auch wenn er nur ein Strohmann ist.404 Jedes Mitglied eines mehrköpfigen Vertretungsorgans ist allzuständig. Das schließt zwar keine vertikale405 oder horizontale Delegation aus, wohl aber eine befreiende. Für nach interner Geschäftsverteilung nicht für das Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen zuständige Mitglieder wandelt sich die Handlungspflicht in auch strafrechtlich relevante Überwachungs- und Aufsichtsaufgaben. Während in wirtschaftlich ruhiger Zeit die Kontrolle der turnusgemäßen Berichterstattung auf Plausibilität genügt, zwingt jedes Anzeichen einer Krise zu konkreter Prüfung fristgerechter Abführung der Sozialversicherungsbeiträge, für die erforderlichenfalls auch jedes intern nicht zuständige Mitglied des Gremiums zu sorgen hat.406 Bewusste Versäumnisse führen zu vorsätzlicher Tat. Verkennt der extern All-, aber intern Unzuständige den Umfang seiner Pflichtenstellung, so liegt trotzdem kein Tatbestandsirrtum vor, wenn er unwissend bleiben wollte. § 266a Abs. 5 StGB stellt zwar besondere Leitungspersonen dem Arbeitgeber gleich, ohne dass dies jedoch die strafrechtliche Praxis beschäftigen würde.
260
Insolvenzverwalter sind via § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB taugliche Täter,407 aber nur außerhalb des Insolvenzgeld-Zeitraums, weil innerhalb dessen die Bundesagentur für Arbeit zuständig ist408 (ausführlich § 15 Rz. 387 ff.). Das gilt auch für (vorläufige) Insolvenzverwalter, für die im Übrigen die
399 Ca. 35 bis 40 % der Bruttolohnkosten zzgl. Arbeitgeberanteil, vgl. Reck, ZInsO 2002, 16. 400 Eine Rechtsprechungsübersicht liefert Weyand, ZInsO 2011, 745, 748 f.; Thum/Selzer, wistra 2011, 290; Metz, NZA 2011, 782; Sinn, NStZ 2007, 155; Rönnau, wistra 2007, 81; Berger/Herbst, BB 2006, 437; Gross/Schork, NZI 2004, 358; vgl. auch Flitsch, BB 2004, 351. 401 Vgl. Rönnau/Kirch-Heim, wistra 2005, 321 ff.; Spatscheck/Wulf/Fraedrich, DStR 2005, 132, 134. 402 Vgl. Fischer, StGB, § 266a Rz. 22a. 403 Vgl. BT-Drucks. 15/2573, 28; Joecks, wistra 2004, 441, 443; Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266a Rz. 28 f. 404 BGH v. 8.1.2020 – 5 StR 122/19, wistra 2020, 260; BGH v. 16.1.2019 – 5 StR 249/18, NStZ-RR 2019, 184 (faktischer Betriebsinhaber als direkter Normadressat); BGH v. 13.10.2016 – 3 StR 352/16, NStZ 2017, 149 (Strohmann). 405 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050; OLG Düsseldorf v. 27.10.1995 – 22 U 53/95, NJWRR 1996, 289; AG Hamburg v. 23.2.2007 – 509 C 57/06; vgl. auch OLG Frankfurt v. 9.12.1994 – 24 U 254/93, ZIP 1995, 213 und Weisemann, NZA 1996, 119. 406 Vgl. BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, MDR 2008, 981 = NJW-Spezial 2008, 468; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, MDR 2001, 520 = ZIP 2001, 422; dazu Reck, ZInsO 2002, 18 ff.; OLG Rostock v. 13.9.2001 – U 261/99, GmbHR 2002, 218. 407 MünchKomm/StGB/Radtke, § 266a Rz. 37 m.w.N. 408 Vgl. Richter, NZI 2002, 121, 126.
644 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 263 § 8
differenzierenden, für § 266 StGB zur Vermögensbetreuungspflicht entwickelten Grundsätze409 (vgl. Rz. 252) entsprechend anwendbar sind. cc) Tathandlung Tathandlung ist bei § 266a Abs. 1 StGB das Vorenthalten der sozialrechtlich ebenfalls vom Arbeitgeber abzuführenden Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung als Unterlassen ihrer Entrichtung an die Einzugsstelle bei Fälligkeit am drittletzten Bankarbeitstag des Monats, in dem die sozialversicherungspflichtige Arbeit geleistet wurde, § 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV. Mit Fälligkeit beginnt auch die Verjährung zu laufen.410 Der Weg, über § 266a Abs. 6 StGB zur Straffreiheit mittels rechtzeitiger Selbstanzeige und Nachzahlung zu gelangen, ist faktisch weitgehend obsolet, weil schon die Unmöglichkeit zur Leistung die Bestrafung für die Unterlassung gem. § 266a Abs. 1 StGB ausschließt. Eine Stundung ist sozialrechtlich nur unter engsten, in der Krise so gut wie nie vorliegenden Voraussetzungen zulässig. Jenseits derer riskiert der Gewährende seine Bestrafung nach § 266 StGB, denn sie ist im Verhältnis zum Arbeitgeber wirksam und schiebt noch nicht eingetretene Fälligkeit hinaus. Aufgrund späterer Stundungsabreden entfällt eine bereits eingetretene Strafbarkeit jedoch nicht wieder.411 Gemäß § 4 der Beitragsverfahrensordnung (BVV) sind Teilzahlungen hälftig auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zu verrechnen. Das hindert den Arbeitgeber jedoch nicht daran, gem. § 366 Abs. 1 BGB eine Leistungsbestimmung zu treffen und zur Sicherung eigener Straffreiheit (oder Milderung wegen erbrachter Nachzahlung) nur auf geschuldete Arbeitnehmeranteile zu zahlen.412
261
Unerheblich für die Strafbarkeit wegen Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile ist kraft ausdrücklicher Regelung im Tatbestand, ob auch der Lohn an die Arbeitnehmer ausgezahlt wurde.413
262
Nach allgemeinen Regeln setzt die Bestrafung wegen Unterlassens wie im Fall des § 266a StGB die Möglichkeit und Zumutbarkeit der geforderten Handlung voraus. Letztere besteht auch bei absehbarer Anfechtbarkeit in einem Insolvenzverfahren, weil dessen Eröffnung im Fälligkeitszeitpunkt noch nicht feststeht. Die Relevanz bestehender Unmöglichkeit ist zwar anerkannt, steht aber unter einem doppelten Vorbehalt. Der Vorrang der Pflicht zum Abführen der Arbeitnehmeranteile verbietet dem Arbeitgeber, sich selbst seiner Zahlungsfähigkeit im Fälligkeitszeitpunkt im Wege der Erfüllung sonstiger Verbindlichkeiten zu begeben.414 Die Vorsorgepflicht hält den Arbeitgeber dazu an, bereits im Vorfeld der Fälligkeit seine Leistungsfähigkeit bei deren Eintritt (etwa mittels Liquiditätsplanung, Bildung von Rücklagen oder Kürzung der Nettolohnzahlungen) sicherzustellen415 und nicht zum Begleichen anderer Verbindlichkeiten einzusetzen. Die letzten Mittel gebühren also der Sozialversicherung (gleichberechtigt sind Ausgaben zum Erfüllen der Buchführungspflicht) – selbst wenn das Unternehmen daran
263
409 MünchKomm/StGB/Radtke, § 266a Rz. 37; vgl. ausführlich zu diesem Thema und den Bedenken an einer Strafbarkeit Schäferhoff/Gerster, ZIP 2001, 905 und Richter, NZI 2002, 121, 124. 410 BGH. v. 13.11.2019 – 1 StR 58/19, ECLI:DE:BGH:2019:131119B1STR58.19.0, NStZ 2020, 159, 160 f. m.N. zur vorherigen Ansicht, der Verjährungslauf beginne mit Erlöschen der Beitragspflicht (noch BGH v. 19.12.2018 – 1 StR 444/18, NZWiSt 2019, 266); BGH v. 1.9.2020 – 1 StR 58/19, StraFo 2020, 506; BGH v. 17.3.2021 – 5 StR 41/20, juris (zur Gesamtstrafenbildung). 411 MünchKomm/StGB/Radtke, § 266a Rz. 52. 412 Weyand/Diversy, Insovenzdelikte, Rz. 160; Kerwer in Herberger et.al., jurisPK/BGB, § 366 Rz. 25; MünchKomm/BGB/Fetzer, § 366 Rz. 8; zu den Anforderungen an eine konkludente Tilgungsbestimmung: BGH v. 26.6.2001 – VI ZR 111/00, MDR 2001, 1166 = ZIP 2001, 1474. 413 BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, MDR 2001, 520 = ZIP 2001, 422, 423; BGH v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, MDR 2000, 953 = DB 2000, 1703. 414 BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, MDR 2007, 338 = ZIP 2006, 2127; BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547, 548 im Anschluss an BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304 = MDR 1997, 460. 415 Zu den Anforderungen an die zutreffenden Sicherheitsvorkehrungen BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547, 548 f.; BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, MDR 2007, 338 = ZIP 2006, 2127; vgl. auch OLG Naumburg v. 31.3.2010 – 5 U 115/09, NZS 2011, 310.
Püschel | 645
§ 8 Rz. 263 | § 8 Insolvenzstrafrecht zugrunde geht. Die Beratungspraxis kann daher nicht deutlich genug darauf hinweisen, dass nur ein rechtzeitig selbstgestellter Eröffnungsantrag Straflosigkeit bewahrt. 264
Zur Frage des Verhältnisses zwischen Massesicherung (früher § 64 GmbHG bzw. § 92 AktG, jetzt § 15b Abs. 1 InsO) und Abgabepflichten stehen sich Justiz und (insbesondere) Insolvenzrechtspraktiker unversöhnlich gegenüber. Nachdem der 5. Strafsenat des BGH416 die Strafbarkeit unterlassener Abführung der Arbeitnehmeranteile während laufender Insolvenzantragsfrist verneint hatte, judizierte der II. Zivilsenat des BGH, das Erfüllen von Abgabepflichten sei trotz eingetretener Krise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar.417 Der Konstruktion des 5. Strafsenats bedarf es jetzt nicht mehr. Daran ändert auch der neu inkraftgetretene § 15b Abs. 8 InsO nichts. Er befasst sich weder mit der sozialversicherungsrechtlichen Abgabepflicht noch mit strafrechtlicher Verantwortung.418 dd) Subjektiver Tatbestand
265
§ 266a StGB setzt Vorsatz voraus. Der Täter muss das Bewusstsein und den Willen haben, die Beiträge in Kenntnis der Umstände, die die Abführungspflicht begründen, bei Fälligkeit nicht abzuführen. Bloße Erkennbarkeit der Umstände reicht nicht aus.419 Beim Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft oder die daraus resultierende Pflicht zur Beitragsentrichtung liegt ein Tatbestandsirrtum vor.420
d) Steuerhinterziehung, § 370 AO aa) Allgemeines 266
Von den Vorschriften des Steuerstrafrechts,421 §§ 369 ff. AO, ist für den Insolvenzfall nur § 370 AO von praktischer Bedeutung. Nach § 370 Abs. 1 AO macht sich wegen Steuerhinterziehung strafbar, wer Finanz- oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht (Nr. 1), die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (Nr. 2) oder pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt (Nr. 3) und in allen Fällen dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Gewisse Ähnlichkeiten zum Betrug nach § 263 StGB sind nicht zufällig. Falsche Angaben sind trotz Krise und Insolvenz weiter strafbar. Anders kann es nur im Hinblick auf das Unterlassen der Abgabe von Steuererklärungen sein. bb) Täter
267
Für das Steuerstrafrecht gelten in Bezug auf (auch mittelbare) Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe die allgemeinen Vorschriften des StGB, § 369 Abs. 2 AO. Täter ist danach derjenige, der die Tathandlung selbst begeht; nicht erforderlich ist, dass der Täter selbst der Steuerpflichtige ist. Dennoch waren Steu416 BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 ff.; BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; dazu Berger/Herbst, BB 2006, 437 ff.; Goette, DStR 2005, 1869; Goette, OLG München v. 22.10.2003 – 7 U 2721/03, DStR 2004, 286; Schröder/Faust, GmbHR 2005, 1422 ff.; Flitsch, BB 2004, 351; ablehnend Rönnau, wistra 2007, 81 ff. 417 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, MDR 2007, 1085 = DStR 2007, 1174 m. Anm. Goette; s.a. BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, DStR 2008, 1492; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, DStR 2011, 530. Haftungsrechtlich schloss sich der BFH an, BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, DStRE 2009, 310, 312; BFH v. 26.9.2017 – VII R 40/16, DStRE 2018, 104, 107; BFH v. 22.10.2019 – VII R 30/18, NZI 2020, 585, 587. 418 Im Ergebnis ebenso Richter, ZInsO 2021, 2010; aA Heinrich, NZI 2021, 258, 261; Rönnau/Wegner, ZInsO 2021, 1137; Bitter, ZIP 2021, 321, 327, 336. 419 BGH v. 17.9.2020 – 1 StR 576/18, NStZ 2021, 304, 306; BGH v. 8.1.2020 – 5 StR 122/19, wistra 2020, 260. 420 BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, NJW 2019, 3532, 3533 m.N. zur vorherigen Ansicht, es läge ein Verbotsirrtum vor. 421 Vgl. umfassend Muhler in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 44.
646 | Püschel
III. Materielles Strafrecht im Kontext der Insolvenz | Rz. 272 § 8
erberater oder deren Mitarbeiter, die analoge Steuererklärungen fertigten, regelmäßig nur Gehilfen, da sie die Erklärung des Steuerpflichtigen lediglich vorbereiteten. Nur bei ohne dessen Wissen gemachter falscher Angaben waren sie mittelbare Täter kraft überlegenen Wissens. Ob die nunmehr gebotene elektronische Übermittlung eingeweihte Steuerberater oder ihre Mitarbeiter zu Tätern macht, ist offen. cc) Tatbestand Als Steuerhinterziehung ist nicht etwa die fehlende Zahlung strafbar, sondern das Verursachen verspäteter oder unvollständiger Festsetzung, § 370 Abs. 4 AO. Höhe der Steuern, Fristen zur Abgabe vorgeschriebener Erklärungen und dabei erforderliche Angaben regeln die materiellen Steuergesetze, z.B. KStG und UStG, teils i.V.m. der AO. Unterbliebene Angaben steuermindernder Umstände bleiben bei der Berechnung der verkürzten Steuern unberücksichtigt, § 370 Abs. 4 Satz 3 AO: Kompensationsverbot,422 wirken aber strafmildernd.
268
Hauptfall insolvenzspezifischer Steuerhinterziehung ist das Versäumen fristgerechter Abgabe vorgeschriebener Steuererklärungen.
269
Die Frist zur Abgabe einer Steuererklärung kann zwar verlängert werden. Wird dies jedoch vor dem Stellen des Eröffnungsantrags versäumt, so bleibt dies straflos, wenn Erstellen und Abgabe unmöglich waren. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der Steuerpflichtige dazu selbst in der Lage war. Dies kann jedoch bestenfalls bei kleinen Unternehmen und entsprechender Ausbildung erwartet werden. In den anderen, d.h. in nahezu allen Fällen ist der Mangel an liquiden Mitteln zum Bezahlen des Steuerberaters und seiner anschließenden Weigerung, deswegen noch die entsprechenden Erklärungen vorzubereiten oder zu erstellen, strafrechtlich relevant. Das Vorrang-Gebot gilt wie bei § 266a StGB (vgl. Rz. 263) und führt ggf. zum Erfordernis, noch vorhandene Mittel pro rata auf Einzugsstellen und den (buchenden) Steuerberater zu verteilen. Bewegt die Aussicht auf bloße Teilzahlung Letzteren jedoch nicht zur Aufgabe seiner Weigerung, so fehlt dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zur pflichtgemäßen Abgabe der vorgeschriebenen Steuererklärungen. Ob während laufender Insolvenzantragspflicht weitere Erleichterungen Platz greifen, ist nicht zuletzt aufgrund des neuen § 15b Abs. 8 InsO fraglich, weil dieser sich allein auf steuerrechtliche Zahlungspflichten bezieht.423
270
Die Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 AO setzt Vorsatz voraus. Allerdings stellt die leichtfertige Steuerverkürzung des § 370 Abs. 1 AO eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO dar, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann – sog. leichtfertige Steuerverkürzung. Nach § 370 Abs. 2 AO ist der Versuch strafbar.
271
dd) Selbstanzeige Die rechtzeitige Berichtigung falscher Angaben gegenüber der Steuerbehörde seitens des Steuerpflichtigen selbst oder auf dessen Veranlassung hin führt unter den mehrfach verschärften Voraussetzungen des § 371 AO zur Straflosigkeit. Einen neuen Anreiz, diesen Weg zu beschreiten, könnte der neue § 15b Abs. 8 InsO nur dann entfalten,424 wenn sich die fehlende Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten auch auf rückständige Steuern bezöge, noch dazu auf solche, die hinterzogen wurden. Das dürfte mit § 371 AO kaum vereinbar sein, steht die Straffreiheit doch unter dem Vorbehalt tatsächlicher Nachzahlung der aufgrund Hinterziehung offenen Steuerschuld binnen von der Finanzbehörde bestimmter angemessener Frist.
422 Vgl. erläuternde Beispiele bei Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 637 ff. 423 Vgl. dazu BeckOK-InsO/Wolfer, § 15b Rz. 25. 424 Vgl. dazu BeckOK-InsO/Wolfer, § 15b Rz. 25.
Püschel | 647
272
§ 8 Rz. 273 | § 8 Insolvenzstrafrecht 273
Ist ein Steuerprüfer erschienen, wurde dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben, dass ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, oder ist die Tat bereits entdeckt und wusste er dies oder hatte damit zu rechnen, so ist die Selbstanzeige verspätet und führt nicht mehr zu Straffreiheit, § 371 Abs. 2 AO.
648 | Püschel
§9 Beratung des ungesicherten Gläubigers I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3.
III. 1. 2.
3.
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerkategorien . . . . . . . . . . . . . . . Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präventive Gestaltungsansätze . . . . . . . Forderungsdurchsetzung und Anfechtungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zahlungsvergleich . . . . . . . . . . . bb) (Teilweiser) Forderungsverzicht und Besserungsschein . . . . . . . . cc) Umwandlung der Forderung in eine Beteiligung . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Schritte . . . . . . . . . . . . . . aa) Klagen und Mahnbescheide . . . bb) Arreste, einstweilige Verfügungen und Vormerkungen . . . . . . cc) Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatsächliche Grundlagen des Gläubigerinsolvenzantrags . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gläubigerstellung . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzfähigkeit des Schuldners . . c) Vorliegen eines Insolvenzgrundes . . Stellen des Insolvenzantrages . . . . . . . . a) Inhalt und Form des Insolvenzantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständiges Insolvenzgericht . . . . . . aa) Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . bb) Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . (2) Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . (3) Allgemeiner Gerichtsstand . (4) Verfahren bei Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Internationale Zuständigkeit . . . c) Rechtliches Interesse . . . . . . . . . . . . . d) Glaubhaftmachung der anderen Antragsvoraussetzungen . . . . . . . . . aa) Glaubhaftmachung der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 7
4.
9 9 10 13 14 15
5.
6.
18 22 27 27 33 36 37 37 IV. 45 45 46 52 54
1. 2. 3.
54 59 59 60 60 4. 64 69 72 75 77 84 84
5.
bb) Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonderfall: Insolvenzbegründende Gläubigerforderung . . . . . Maßnahmen des Insolvenzgerichts . . . . a) Anhörung des Schuldners . . . . . . . . . b) Amtsermittlungspflicht und Gutachterbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicherungsmaßnahmen im Überblick Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den antragstellenden Gläubiger . . . . . . . . . . a) Eröffnung des Verfahrens . . . . . . . . . b) Zurückweisung wegen Unzulässigkeit c) Zurückweisung wegen Unbegründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zurückweisung mangels Masse . . . . . aa) Feststellung der Kostendeckung . bb) Verfahrenskostenvorschuss . . . . cc) Kostenentscheidung . . . . . . . . . . e) Rechtsmittel für Gläubiger . . . . . . . . Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationserlangung durch Gläubiger im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . Möglichkeit der Forderungsdurchsetzung im Insolvenzantragsverfahren . a) Insolvenzrechtliche Vorgaben auf Schuldnerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen . . c) Prozessuale Auswirkungen von Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfechtungsfestigkeit erlangter Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Absicherung offener Forderungen . . Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Individuelle Handlungsmöglichkeiten des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorläufiger Gläubigerausschuss . . . . .
86 92 94 94 99 106 111 111 113
117 117 119 120 126 127 134 139 141 147 147 148 157 158 160 163 164 164 168 171 177 177 180
Riewe | 649
§ 9 | Beratung des ungesicherten Gläubigers V. Beratung im eröffneten Verfahren . . . . . 1. Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen für die Rechtsstellung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen für Prozesse . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen für Vollstreckungen . . . 3. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Masseforderungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Befriedigung aus der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Befriedigung bei Masseunzulänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzforderungen . . . . . . . . . . . . aa) Rangordnung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Forderungsanmeldung . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . (2) Form und Inhalt der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eintragung in die Tabelle . . . (4) Nachträgliche/verspätete Anmeldungen . . . . . . . . . . . (5) Rücknahme und Änderung von Anmeldungen . . . . . . . . cc) Forderungsfeststellung . . . . . . . . (1) Prüfungstermin . . . . . . . . . . (2) Feststellungswirkungen und Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . (3) Bestreiten von Forderungen, insbesondere vorläufiges Bestreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Feststellungsrechtsstreit . . . . . . . (1) Bestrittene Forderungen ohne Titel . . . . . . . . . . . . . . (2) Fortsetzung eines Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bestrittene titulierte Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Widerspruch des Schuldners (5) Wirkung der Entscheidung im Feststellungsprozess . . . . ee) Verteilungen an die Insolvenzgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsätzliches . . . . . . . . . . (2) Schlussverteilung . . . . . . . . . (3) Durchführung der Verteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
650 | Riewe
184 184 184 190 193 197 197
4.
201 209 220 223 225 225 228 231 235 241 258 266 268 269
VI. 1.
272 281 284 288 292 292 298 306 314 314 323 333 336 339 341 341 346 353
2.
(aa) Bestrittene Forderungen . . . (bb) Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger . . . . (cc) Bedingte Forderungen . . . . (dd) Doppelhaftungsfälle . . . . . . Gläubigerorgane im Insolvenzverfahren a) Gläubigerausschuss . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschussmitgliedschaft . . . . . . bb) Aufgaben des Gläubigerausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Arbeitsweise und Beschlussfassungen des Gläubigerausschusses dd) Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . ee) Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . aa) Einberufung und Leitung der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . bb) Teilnahme und Stimmrecht . . . . cc) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . Beratung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . . . a) Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Durchführung der Schlussverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestätigung eines Insolvenzplans cc) Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses nach § 34 Abs. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einstellung wegen Massearmut . (1) Einstellung mangels Masse, § 207 InsO . . . . . . . . . . . . . (2) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO . . . . . . . . . . . . . bb) Einstellung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO . . . . . . . . . . . . . (2) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger, § 213 InsO . . (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger . . . . . . a) Nach Durchführung der Schlussverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldnerstellung . . . . . . . . . . . bb) Gläubigerstellung . . . . . . . . . . . cc) Nachtragsverteilung . . . . . . . . . (1) Anordnungsvoraussetzungen (2) Praktische Bedeutung . . . . .
355 360 366 370 372 372 375 383 391 400 407 417 420 426 435 446 450 451 452 453 455 456 458 459 459 466 472 472 473 477 480 481 481 482 487 487 494
I. Vorbemerkungen | Rz. 4 § 9 (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . b) Nach Bestätigung eines Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nach Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nach Einstellung mangels Masse, § 207 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
496 499 500 503
e) Bei Aufhebung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO . . f) Nach Einstellung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . . .
506 511 512 513 519
I. Vorbemerkungen 1. Beratungsansatz Der Wunsch, eine Zahlungsforderung durchzusetzen, ist der häufigste Grund, einen Anwalt aufzusuchen. Meist geht es hierbei um streitige Forderungen. Gelegentlich liegt auch nur Zahlungsunwilligkeit auf Seiten des Schuldners vor. Bedeutsam und hier weiter in den Blick zu nehmen sind jedoch die Fälle, in denen der Schuldner aus wirtschaftlichen Gründen nicht zahlt.
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Was soll der Anwalt in dieser Situation seinem Mandanten raten? Die Beantwortung dieser Frage ist stark davon abhängig, ob der Mandant eine Sicherheit für eine Zahlungsforderung hat und in welchem wirtschaftlichen und gegebenenfalls auch bereits verfahrensrechtlichen Krisenzustand sich der Anspruchsgegner befindet.
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Checkliste: Insolvenzverfahrensrechtliche Einordnung Hat der Anspruchsgegner die Zahlungen eingestellt? Ist noch kein Insolvenzantrag gestellt worden (Rz. 13 ff.)? Läuft bereits ein Insolvenzantragsverfahren (Rz. 41 ff.)? Ist die Insolvenzeröffnung schon erfolgt (Rz. 184 ff.)? Ist ein Insolvenzverfahren zwischenzeitlich beendet (Rz. 450 ff.) oder überhaupt abgelehnt worden (Rz. 119 ff.)?
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Welche Handlungsmöglichkeiten für den Mandant in rechtlicher Hinsicht zur Verfügung stehen, hängt zunächst vom Status des Anspruchsgegners in den vorgenannten insolvenzverfahrensrechtlichen Kategorien ab.
2. Gläubigerkategorien Ein weiterer grundlegender Faktor für die Einschätzung der Handlungsoptionen und deren – auch wirtschaftliche – Erfolgsaussichten für den Mandanten ist dessen Einordnung in die insolvenzrechtlichen Gläubigerkategorien. Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen ist dabei zunächst der Insolvenzgläubiger i.S.v. § 38 InsO.
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Vorliegen muss danach ein Vermögensanspruch; nur dieser ließe sich aus dem haftenden Vermögen (Insolvenzmasse) erfüllen. Deshalb muss es sich bei der Forderung des Mandanten entweder um eine Geldforderung handeln oder um eine Forderung, die sich in eine Geldforderung umrechnen lässt (vgl. § 45 InsO). Folgende Ansprüche werden nicht erfasst:
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– Unvollkommene Ansprüche wie Forderungen aus Heiratsvermittlung (§ 656 BGB) sowie aus Spiel oder Wette (§ 762 BGB).1
1 Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 56 f.
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§ 9 Rz. 4 | Beratung des ungesicherten Gläubigers – Ansprüche auf Vornahme nicht vertretbarer Handlungen, § 888 ZPO, wie Ansprüche auf anwaltliche oder ärztliche Dienste, Weiterbeschäftigungsansprüche, Ansprüche auf Zeugniserteilung, auf Ausbildung, Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Widerruf von Behauptungen, Gegendarstellung usw. – Unterlassungspflichten, da diese jedenfalls nicht als solche als Insolvenzforderungen eingeordnet werden können.2 – Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Kündigung usw. 5
Insbesondere im Fall der Fortsetzung einer Geschäftsbeziehung nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vertragspartner kann der Mandant auch Masseforderungen erwerben, §§ 53 ff. InsO. Gemeinsam ist diesen Ansprüchen jedoch, dass sie alle Zahlungsansprüche sind (zu den durch den [vorläufigen] Insolvenzverwalter begründeten Masseforderungen vgl. § 16 ausführlich).
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Abhängig von dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis weisen bestimmte Forderungen Besonderheiten auf, die vertiefterer Betrachtung bedürfen. Ansprüche von Gesellschaftern, Geschäftsführern, Kreditinstituten und Arbeitnehmern werden daher in den §§ 5, 6, 11 und 14 dieses Buches gesondert behandelt.
3. Absicherung 7
Gerade in der Insolvenz des Anspruchsgegners gewinnen mögliche Sicherheiten für die Forderung des Mandanten besondere Bedeutung (hierzu § 10). Hier sei nur beispielhaft auf Grundpfandrechte, Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten, Eigentumsvorbehalt, Sicherungseigentum und Sicherungszessionen verwiesen. Auch Inhaber dieser Sonderrechte können allerdings im Ergebnis mit Blick auf ihre Gesamtforderung ganz oder teilweise ungesichert sein, so dass viele der nachstehenden Überlegungen für sie ebenfalls von Bedeutung sind.
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Keine Sicherheiten im Sinne dieser Abgrenzung sind Titel. Insolvenzrechtlich haben sie lediglich untergeordnete Bedeutung. Sie spielen regelmäßig nur für das Weiterverfolgen einer bestrittenen Forderung eine Rolle (vgl. Rz. 333 ff.).
II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz 1. Allgemeines 9
In gewisser Weise befindet sich jeder Gläubiger, dessen Schuldner nicht bereits in der Insolvenz ist, im Vorfeld der Insolvenz. Und sehr oft spielen bei der Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung zur Durchsetzung einer Forderung wirtschaftliche Umstände auf Seiten des Anspruchsgegners eine Rolle. Auf die grundlegenden Fragen der Durchsetzung von Forderungen, insbesondere zur Erlangung von Titeln und deren Realisierung im Wege der Zwangsvollstreckung, soll hier insoweit nicht eingegangen werden. Hervorzuheben sind jedoch insbesondere mit Blick auf das sich gegebenenfalls in der Insolvenz realisierende Risiko einer insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit (hierzu § 13) zwei Aspekte: Zum einen können bereits in der Phase der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen und der Gestaltung von Verträgen grundlegende Überlegungen zur Absicherung der Position des Mandanten Berücksichtigung finden. Zum anderen ist zu fragen, welches Vorgehen und welche Maßnahmen bei Krisenanzeichen auf Seiten des Anspruchsgegners vor dem Hintergrund einer möglichen zukünftigen Insolvenz empfehlenswert sind.
2 Zum Meinungsstand bezüglich einer möglichen Geltendmachung des Geldwertes eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 45, 38 InsO vgl. Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 45 InsO Rz. 8b.
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II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz | Rz. 13 § 9
2. Präventive Gestaltungsansätze Gerade die ungesicherten Gläubiger sind regelmäßig in der Situation, dass sie Fehlentwicklungen des schuldnerischen Unternehmens erst spät zu erkennen vermögen. Sicherheiten sind häufig das Ergebnis guter Informationen. Diejenigen Gläubiger, die in ständigem Kontakt mit dem Schuldner stehen, erfahren nicht nur etwas von wirtschaftlichen Fehlentwicklungen ihres Vertragspartners, sie kennen auch die „freien Werte“. So hört der informierte Gläubiger bspw. nicht nur, dass der Schuldner inzwischen so gut wie alle wichtigen Anlagegegenstände geleast hat, sondern auch von der Anschaffung einer neuen Maschine, die sich der misstrauische Lieferant sofort bezahlen ließ, so dass im schuldnerischen Unternehmen ein freier Wert vorhanden ist (unterstellt es gibt keinen Raumsicherungsvertrag zugunsten eines Gläubigers). Ein derartig informierter Gläubiger kann weitere Vorleistungen – etwa die Buchungs- und Bilanzarbeiten – von einer Sicherungsübereignung dieser Maschine abhängig machen. Ganz anders die Situation bspw. eines Tankstellenpächters, der naturgemäß keinen Einblick in die Wirtschaft- und Finanzsituation seines Kunden hat. Er sieht zwar die teuren Firmenwagen, weiß jedoch nicht, wo die Fahrzeugbriefe liegen.
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Nur Insider sehen die typischen Merkmale einer Krise:
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– stagnierende oder rückläufige Betriebsleistungen; – Jahresfehlbeträge; – vollständiger oder teilweiser Verlust des Eigenkapitals; – Kaschieren des schlechten Betriebsergebnisses durch außerordentliche Erträge aufgrund Realisierung stiller Reserven; – ständig steigender Zinsaufwand; – Zahlungen nur nach Mahnung; – Abwandern der Leistungsträger. Eine Krisenerkennung stellt gerade den externen Analysten, der keinen Zugang zu den unternehmensinternen Informationen hat, vor große Herausforderungen.3 Der „Normalgläubiger“ wendet sich deshalb meist erst an einen Anwalt zum Zwecke des Forderungseinzugs, wenn schon die „Spatzen von den Dächern pfeifen“, dass bei dem Schuldner bald „die Lichter ausgehen“ werden, weil die Arbeitnehmer von Monat zu Monat später bezahlt werden und der Geschäftsführer für den telefonisch mahnenden Gläubiger nie zu erreichen ist. Jetzt geht es für den Anwalt im Beratungsgespräch um die richtigen Strategien.
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3. Forderungsdurchsetzung und Anfechtungsrisiken Generell ist festzuhalten, dass ab dem Zeitpunkt, in dem eine wirtschaftliche Krise des Anspruchsgegners dem Mandant erkennbar geworden ist, ein erhöhtes Risiko dafür besteht, dass alle nachfolgend noch erlangten Leistungen des Anspruchsgegners einer Insolvenzanfechtung unterliegen und daher durch den Mandant in die (zukünftige) Insolvenzmasse zu erstatten sind. Dieses Risiko muss dem beratenden Anwalt bewusst sein und er muss darauf hinweisen. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch nicht, dass im Ergebnis von weiteren Maßnahmen der Forderungsdurchsetzung generell Abstand genommen werden sollte. Denn zunächst ist – jedenfalls solange ein Insolvenzantrag noch nicht gestellt ist – keineswegs abzusehen, ob überhaupt und gegebenenfalls wann ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird. Ohne Insolvenzverfahren findet aber auch keine Insolvenzanfechtung statt. Und in einem Insolvenzverfahren muss der Insolvenzverwalter die konkreten Voraussetzungen einer Anfechtungsnorm darle-
3 Vgl. zu möglichen Ansätzen der Krisenerkennung Drukarczyk/Schöntag in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 2 Rz. 10 ff.
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§ 9 Rz. 13 | Beratung des ungesicherten Gläubigers gen und beweisen, wobei sich für ihn neben den rechtlichen oft genug auch tatsächliche Hürden ergeben werden. Daher wird man im Ergebnis dem Mandanten auch etwa bei bestehender Kenntnis von einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit des Anspruchsgegners im Regelfall nicht von der Entgegennahme einer Zahlung abraten. Abzuwägen ist aber, welchen zusätzlichen Aufwand man in dieser Phase noch zur Durchsetzung unternimmt. Zudem sollte geprüft werden, ob durch die konkrete Gestaltung des Vorgehens die Argumentationslage für eine zukünftige Auseinandersetzung mit dem Insolvenzverwalter verbessert werden kann.
a) Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner 14
Der Umgang mit der eigenen wirtschaftlichen Krise auf Seiten des Schuldners kann unterschiedlich ausfallen. Während der eine versucht, die Situation zu verbergen und für eine Nichtzahlung Einwände gegen die konkrete Forderung oder sonstige „gute Gründe“ konstruiert, räumt der andere offen ein, dass er aus Liquiditätsgründen nicht zur Zahlung in der Lage ist. Letzteres mag dann auch mit Vorschlägen verbunden werden, wie die Situation einvernehmlich bewältigt werden könnte. aa) Zahlungsvergleich
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In vielen Fällen wird der grundsätzlich zahlungswillige Schuldner seinem Gläubiger um Gewährung einer Ratenzahlungsmöglichkeit bitten. Zahlungsvergleiche in der Form von Teilzahlungsvereinbarungen bergen die Gefahr, dass der Gläubiger letztlich nur eine minimale Teilleistung erhält.
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Das im Abschluss eines Zahlungsvergleichs liegende Entgegenkommen des Gläubigers kann – möglicherweise als eine von mehreren Maßnahmen – geeignet sein, die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beseitigen, also eine Sanierung zu erreichen. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es bei Zahlungen, die zwar bei erkannter (drohender) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, aber als Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuches vorgenommen werden, an den subjektiven Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung fehlen kann (vgl. § 13 Rz. 202). Insoweit ist es hilfreich, wenn im oder im Zusammenhang mit dem Zahlungsvergleich dokumentiert wird, dass durch bzw. im Zusammenhang mit dem Zahlungsvergleich davon auszugehen ist, dass der Schuldner zur Erfüllung seiner sämtlichen Verbindlichkeiten bei Fälligkeit (wieder) in der Lage ist.
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Um der Einhaltung der vereinbarten Ratenzahlungstermine Nachdruck zu verleihen, kommt eine Verfallklausel in Betracht.4 Musterformulierung für Verfallklausel: „Sollte der Schuldner … mit der Zahlung einer Rate … Tage in Rückstand geraten, werden alle ausstehenden Raten sofort fällig“. bb) (Teilweiser) Forderungsverzicht und Besserungsschein
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Räumt der Schuldner ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten ein, kommt auch eine Verständigung auf einen teilweisen Forderungsverzicht in Betracht.5 Dieser kann es dem Gläubiger einerseits ermöglichen, zumindest den verbleibenden Teilbetrag seiner Forderung zu realisieren. Andererseits kann damit auch weitergehend ein Beitrag zur Sanierung des Schuldners geleistet werden, der diesen als Geschäftspartner erhält. Noch deutlicher als bei einer Ratenzahlungsvereinbarung handelt es sich bei einem teilweisen Forderungsverzicht um einen Sanierungsbeitrag (s. auch § 1 Rz. 189 ff., 200). Durch den Teilverzicht bessert sich nicht nur die Liquiditätslage, sondern auch die Bilanz des Schuldners.
4 Im Einzelfall kann auch die Durchsetzung weiterer Rechte wie eines Räumungsanspruchs gegenüber dem Mieter bei bestehenden Mietrückständen an die Nichterfüllung der getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung geknüpft werden, vgl. BGH v. 14.10.2009 – VIII ZR 272/08, MDR 2010, 17 = NJW 2010, 859. 5 Drukarczyk/Schöntag in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 3 Rz. 99 ff.
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II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz | Rz. 24 § 9 Hinweis: Zu bedenken ist jedoch, dass der isolierte (teilweise) Forderungsverzicht eines einzelnen Gläubigers in erster Linie die Position der anderen Gläubiger verbessert.
Bei einem Forderungsverzicht sollten stets die steuerrechtlichen Folgen beachtet werden:
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– für den Schuldner mit Blick auf einen eintretenden Sanierungsgewinn, dessen etwaige Steuerfreiheit nach § 3a EStG zu klären ist,6 – für den Gläubiger ist der Verlust der Forderung durch eine Teilwertabschreibung zu berücksichtigen. Ein Forderungsverzicht wird häufig verbunden mit der Vereinbarung eines Besserungsscheins. Der Forderungserlass steht dabei unter einer auflösenden Bedingung; er entfällt bei einer Besserung der Vermögensverhältnisse. In diesem Fall lebt die Forderung wieder auf.
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Auch hier sind wieder steuerliche Überlegungen anzustellen.7 Würde der Verzicht als Betriebsausgabe geltend gemacht, kommt es bei Eintritt der auflösenden Bedingungen naturgemäß zu einer Betriebseinnahme.
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cc) Umwandlung der Forderung in eine Beteiligung Wenn die Forderung des Gläubigers nicht ganz unbedeutend ist, bieten zahlungsschwache Schuldner unter Umständen eine Umwandlung in eine Beteiligung an. Auch in Deutschland ist hierfür inzwischen die englische Bezeichnung Debt-to-Equity-Swap geläufig. Bei Kapitalgesellschaften sind Beteiligungen am Nennkapital oder in Form einer stillen Einlage möglich. Bei anderen Unternehmen bestehen ähnliche Möglichkeiten; eine Einzelfirma, OHG, BGB-Gesellschaft usw., kann den Gläubiger als neuen „offiziellen“ Gesellschafter oder als stillen Teilhaber aufnehmen.
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Ob die Übernahme einer Beteiligung für den Gläubiger eine bedenkenswerte Option darstellt, wird von der Gesamtkonstellation abhängen. Interessant kann dies vor allem sein, wenn der Gläubiger neben oder gar vorrangig zu der Befriedigung seiner aktuell bestehenden Forderung die Fortführung des Schuldnerunternehmens im Blick hat. Glaubt der Gläubiger an eine Sanierungsmöglichkeit, kann die Beteiligung auch ein besseres wirtschaftliches Ergebnis bedeuten als die kurzfristige Durchsetzung der Forderung. Allerdings beteiligt sich der Gläubiger mit Übernahme einer Gesellschafterstellung auch an der gesellschaftsrechtlichen Verantwortung für das Schuldnerunternehmen. Erfolgt nur eine stille Beteiligung, so ist ein Ausschluss der Verlustbeteiligung möglich; im Übrigen besteht eine Haftungsbeschränkung nur in Höhe der Einlage, § 232 HGB.
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Soll eine echte Kapitalbeteiligung erfolgen, kann der eine Forderung umwandelnde Gläubiger seine Einlage erbringen durch eine Sachkapitalerhöhung (z.B. § 56 GmbH; §§ 183 ff. AktG) oder durch Verrechnung der Forderung gegen die für das erhöhte Stammkapital zu leistende Einlage.
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Maßgeblich zu beachten ist aus Gläubigersicht die zutreffende Bewertung der von ihm eingebrachten Forderungen. Ist der Wert der eingebrachten Forderung geringer als die dafür übernommene Stammeinlage, haftet der Gläubiger gem. § 56 Abs. 2 i.V.m. § 9 GmbHG für die Differenz und ist zum Ausgleich der Differenz in bar verpflichtet.8 Auch bei einer Bareinlage, mit welcher dann die Forderung des Gläubigers zurückgeführt wird, kommt nach den Grundsätzen der verdeckten Sacheinlage auf 6 Hierzu Rüberg, NJW-Spezial 2019, 207; Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897. Vertiefter zur Besteuerung von Sanierungsgewinnen unten § 14 Rz. 20. 7 Zu den Auswirkungen in Handelsbilanz und Steuerbilanz vgl. Briese, DStR 2017, 799 sowie Pöschke, NZG 2017, 1408. 8 Drukarczyk/Schöntag in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 3 Außergerichtliche Sanierung Rz. 66.
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§ 9 Rz. 24 | Beratung des ungesicherten Gläubigers Grundlage der zwischenzeitlich geltenden Anrechnungslösung eine entsprechende Differenzhaftung in Betracht.9 25
Bei Umwandlung einer Gläubigerforderung in eine Beteiligung ist mit Blick auf ein mögliches nachfolgendes Insolvenzverfahren zu beachten, dass in einen Insolvenzplan nach § 217 Satz 2 InsO bei einem Schuldner, der keine natürliche Person ist, auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen einbezogen werden können, beispielsweise durch eine Kapitalherabsetzung. Dies ist die Kehrseite der umgekehrten Möglichkeit: Der Plan kann auch vorsehen, dass Forderungen der Gläubiger in Anteilsrechte umgewandelt werden. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf § 3 dieses Buches, Rz. 272 ff.
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Steuerliche Auswirkungen hat die Umwandlung in erster Linie für den Schuldner. Für den Gläubiger ist insbesondere zu beachten, dass nach der Umwandlung erhaltene Ausschüttungen als Erträge aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft Einkünfte gem. § 20 EStG darstellen, und zwar unabhängig davon, ob eine direkte oder eine typisch stille Beteiligung vorliegt. Anders wiederum ist die Situation bei atypisch stillen Beteiligten (Einkünfte aus Gewerbebetrieben).
b) Rechtliche Schritte aa) Klagen und Mahnbescheide 27
Der Mandant kommt regelmäßig zu seinem Anwalt mit der Vorstellung, dieser werde angesichts der geschilderten Zahlungsprobleme des Gegners sofort eine Klage einreichen oder einen Mahnbescheid beantragen. Gerade in der wirtschaftlichen Krise des Anspruchsgegners ist jedoch zu hinterfragen, ob dies mit Blick auf die üblichen Zeitabläufe bis zur Erlangung eines Titels und die entstehenden Kosten einen realistischen Weg zur tatsächlichen Durchsetzung der Forderung darstellt.
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Zu berücksichtigen ist dabei zunächst, dass die Geltendmachung einer (Insolvenz-)Forderung im Rahmen des Insolvenzverfahrens immer im Wege der Forderungsanmeldung nach §§ 87, 174 ff. InsO zu erfolgen hat. In diesem Rahmen bringt ein bereits zuvor erlangter Titel für die Forderung lediglich den Vorteil, dass der Insolvenzverwalter oder ein Gläubiger, wenn er die titulierte Forderung bestreiten möchte, seinerseits den Klageweg beschreiten und den Titel aus der Welt räumen müsste (vgl. Rz. 333 ff.). Wirtschaftlich ändert der Titel aber nichts daran, dass die Forderung mit derselben Quote bedient wird wie sämtliche anderen Insolvenzforderungen. Auch der Kostenerstattungsanspruch gegen den im Zivilverfahren unterlegenen Insolvenzschuldner teilt insolvenzrechtlich das Schicksal der Hauptforderung.
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Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, ehe der Zivilprozess abgeschlossen ist, führt die Verfahrenseröffnung zu einer Unterbrechung des Rechtsstreits nach § 240 ZPO (vgl. Rz. 209 ff.).
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Wird nach Einreichung der Klage bei Gericht, aber noch vor Zustellung an den Beklagten das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet, findet eine Unterbrechung des Rechtsstreits nicht statt.10 Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO). Eine gleichwohl gegen den Schuldner erhobene Klage ist unzulässig, weil ihm die passive Prozessführungsbefugnis und dem Gläubiger, der seine Forderung nur noch durch Anmeldung im Insolvenzverfahren realisieren kann (§ 87 InsO), das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Unabhängig vom materiellen Bestand der Forderung führt diese Konstellation daher zu einer Abweisung der Klage als unzulässig, weshalb der Kläger seine Klage regelmäßig zurücknehmen wird. In der Folge hat der Gläubiger nach dem Grundsatz des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht nur die ihm entstandenen Kosten selbst zu tragen, sondern ist
9 Drukarczyk/Schöntag in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 3 Außergerichtliche Sanierung Rz. 68. 10 BGH v. 11.12.2008 – IX ZB 232/08, MDR 2009, 411 = NZI 2009, 169.
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II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz | Rz. 34 § 9
auch einem in die Insolvenzmasse fallenden Kostenerstattungsanspruch des Schuldners ausgesetzt. Etwas anderes könnte sich nur nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO11 ergeben, der für den Fall des Wegfalls des Anlasses zur Klageerhebung vor Rechtshängigkeit und einer daraufhin vorgenommenen Klagerücknahme die Verteilung der Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen vorsieht.12 Schließlich kann ein Insolvenzverfahren, ohne dass der Gläubiger davon Kenntnis hatte, bereits eröffnet worden sein, bevor die Klage eingereicht wird. Erfährt ein Gläubiger erst nach der Klageerhebung, dass kurz vor Rechtshängigkeit das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wurde, rechtfertigt dies bei einer Klagerücknahme in der Regel keine Kostenentscheidung zugunsten des Klägers gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO.13 Begründet wird dies damit, dass keine prozessrechtliche Verpflichtung des Schuldners bestehe, seine Gläubiger von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu informieren, um unzulässige Klagen gegen ihn zu verhindern.
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Im Ergebnis sollten daher bei einer potentiellen Insolvenzsituation auf Seiten des Anspruchsgegners vor Erhebung einer Klage oder Einreichung eines Mahnbescheides immer Erkundigungen dazu eingeholt werden, ob ein Insolvenzverfahren bereits eingeleitet wurde. Verlässlich werden hierfür zunächst lediglich die offiziellen Veröffentlichungen unter www.insolvenzbekanntmachungen.de herangezogen werden können. Dabei ist zu beachten, dass der Insolvenzantrag als solcher, der weitere Entscheidungen erwarten lässt, dort nicht veröffentlicht wird. Unter Umständen, wenn zuvor keine zu veröffentlichenden Maßnahmen des Insolvenzgerichts getroffen wurden, kann die Eröffnungsentscheidung die erste veröffentlichte Maßnahme darstellen. Da die Veröffentlichung oft mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung eintritt, kann selbst bei einer Prüfung der Veröffentlichungen unmittelbar vor Einreichung einer Klage nicht ausgeschlossen werden, dass eine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt bereits ergangen ist. Noch weniger lässt sich ausschließen, dass es im Verfahrensverlauf zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt. Gerade wegen dieser Unsicherheiten ist für den beratenden Anwalt +eine offene Kommunikation mit dem Mandanten über die Folgen eines etwaigen Insolvenzverfahrens geboten.
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bb) Arreste, einstweilige Verfügungen und Vormerkungen Arreste und einstweilige Verfügungen haben gegenüber Klagen und Mahnbescheiden zeitliche Vorteile. Es werden jedoch nur in seltenen Fällen die entsprechenden Dringlichkeitsvoraussetzungen vorliegen. Ein fortschreitender Vermögensverfall ist für sich genommen noch kein Grund für derartig weitreichende zivilprozessuale Maßnahmen.14 Im Übrigen ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass ein erlangter Arrestbefehl schnellstmöglich vollzogen werden sollte. Ist dies bei Insolvenzeröffnung noch nicht geschehen, liegt also nicht mehr als ein Arrestbefehl vor, so ist dieser auf Widerspruch des Insolvenzverwalters ohne Sachprüfung aufzuheben.15
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Zu denken ist natürlich auch an eine Vormerkung in ein massezugehöriges Grundstück. Ein derartiges Recht kann auch durch einstweilige Verfügung erlangt werden. Soweit im Wege einstweiliger Verfügung die Eintragung einer Vormerkung betrieben wird, ist im Gegensatz zu den vorangegangenen
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11 Die Vorschrift ist im Mahnverfahren auf die Rücknahme des Mahnantrags entsprechend anwendbar, BGH v. 7.10.2004 – I ZB 20/04, MDR 2005, 411 = NJW 2005, 513. 12 Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 269 ZPO Rz. 59. 13 OLG Karlsruhe v. 18.6.2020 – 9 W 19/20, NZI 2020, 906 m. Anm. Kaubisch, NZI 2020, 907; vgl. auch OLG Koblenz v. 16.9.2019 – 6 W 257/19, NZI 2019, 991; zur Anwendbarkeit der Norm auch bei Wegfall des Klageanlasses bereits vor Einreichung der Klage Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 269 ZPO Rz. 61 m.w.N. 14 Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, § 917 ZPO Rz. 4. 15 BGH v. 15.1.1962 – VIII ZR 189/60, KTS 1962, 51; Mock in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 89 InsO Rz. 33.
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§ 9 Rz. 34 | Beratung des ungesicherten Gläubigers Ausführungen aufgrund der Regelung des § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Glaubhaftmachung der Gefährdung des zu sichernden Anspruchs nicht erforderlich (zur Rechtsstellung des Vormerkungsberechtigten vgl. § 11 Rz. 115 ff.). 35
Hinweis: Ein zügiges Handeln ist in diesen Fällen unabdingbar. Kommt es zur Insolvenzeröffnung, findet auch in derartigen Fällen § 89 InsO Anwendung. Der Verwalter könnte die Eintragung einer Zwangsvormerkung selbst dann verhindern, wenn der Eintragungsantrag noch vor der Eröffnung gestellt worden ist.16
cc) Insolvenzantrag 36
Insbesondere dann, wenn der Mandant kein Interesse hat, den Schuldner zu unterstützen, sei es, weil er sich von diesem betrogen oder schlecht behandelt fühlt, sei es, weil es sich zugleich um einen Konkurrenten handelt, den man nicht ungern vom Markt verschwinden sähe, wird dieser die Frage nach der Einleitung eines Insolvenzverfahrens stellen. Wann es rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, soll nachfolgend ausführlich behandelt werden.
III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag 1. Allgemeines 37
In der Praxis werden Gläubigerinsolvenzanträge überwiegend von institutionellen Gläubigern wie Sozialversicherungsträgern und Finanzämtern gestellt. Hierfür spielt insbesondere eine Rolle, dass diese Gläubiger keine Möglichkeit haben, das Entstehen neuer Forderungen gegen einen Schuldner durch Beendigung der Geschäftsbeziehung zu vermeiden. Zudem unterliegen sie einerseits einem gesetzlichen Auftrag, Forderungen durchzusetzen, haben andererseits aber auch die Möglichkeit, sich Vollstreckungstitel selbst zu verschaffen und auf der Grundlage erfolglos vorgenommener Vollstreckungsversuche aus diesen Titeln die Voraussetzungen für einen Insolvenzantrag einfacher und schneller darlegen zu können.
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Gerade für einen ungesicherten Gläubiger, der im Insolvenzverfahren typischerweise nur mit einer Quotenzahlung rechnen kann, die oft im einstelligen Prozentbereich liegt, wird sich der mit einer Insolvenzantragstellung verbundene Aufwand oft als „gutes Geld schlechtem hinterherwerfen“ darstellen. Allerdings können die konkreten Quotenaussichten im Einzelfall auch durchaus einmal anders ausfallen. Zudem können weitere Motive des Gläubigers hinzukommen, die ein Interesse an der Einleitung eines Insolvenzverfahrens begründen können.
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Vorteile: – Verfahrenseinleitung erfordert lediglich Glaubhaftmachung von Forderung, Rechtsschutzinteresse und Insolvenzgrund, § 14 InsO; – Verhinderung weiteren Vermögensverfalls; – Beendigung eines „Wettlaufs“ der Gläubiger – Erlangung eines neutralen, sachorientierten Ansprechpartners auf Seiten des Schuldners.
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Nachteile: – lediglich Anspruch auf quotale Befriedigung;
16 Mock in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 89 InsO Rz. 35.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 44 § 9
– Kostenrisiko bei unbegründetem Antrag/„Erledigung“ oder Abweisung mangels Masse, insbesondere Kosten eines Sachverständigen, § 23 Abs. 1 GKG; – möglicherweise Anforderung eines hohen Massekostenvorschusses; – keine Möglichkeit mehr, einen Titel gegen den Schuldner zu erwirken, um darüber im Rahmen der Vollstreckung eine bessere Stellung in einem evtl. späteren Verfahren zu erhalten; – Risiko, selbst Rückforderungsansprüchen ausgesetzt zu sein, insbesondere im Fall anfechtbar erlangter Leistungen des Schuldners – Gefahr der Restschuldbefreiung. Der Anwalt, der mit seinem Mandanten überlegt, ob ein Insolvenzantrag anstelle anderer Maßnahmen sinnvoll ist,17 sollte zunächst einmal recherchieren, ob es ein derartiges Antragsverfahren nicht bereits gibt. Diese Ermittlung ist nicht ganz einfach, da die bloße Insolvenzantragstellung noch nicht veröffentlicht wird. Erst wenn das Insolvenzgericht auf Grund eines Insolvenzantrages veröffentlichungspflichtige Maßnahmen anordnet, wie etwa die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters verbunden mit Verfügungsbeschränkungen für den Schuldner, wird diese unter www.insolvenzbe kanntmachungen.de veröffentlicht. Allein mit der Firma des Schuldners lassen sich Veröffentlichungen dort zudem lediglich innerhalb von 14 Tagen auffinden. Weiter zurückliegende Veröffentlichungen können nur unter Bezugnahme auf das zuständige Insolvenzgericht aufgerufen werden. Angesichts der Zuständigkeitsregelung der InsO, die vorrangig auf den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners abstellt, ist dies nicht notwendigerweise das für den Satzungssitz des Schuldners zuständige Gericht. Unter Umständen kommen auch mehrere Gerichte in Betracht. Liegt ein Eigenantrag des Insolvenzschuldners vor, wird die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts eine entsprechende Auskunft – auch telefonisch – geben. Auskünfte über Gläubigeranträge sind dagegen rechtlich etwas problematisch; in der Praxis kommen sie allerdings immer wieder vor.
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Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist ein klassisches Antragsverfahren (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO). Von Amts wegen kann ein derartiges Verfahren nicht eingeleitet werden.
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Die InsO regelt ein einheitliches Verfahren, das immer durch einen Insolvenzantrag eingeleitet wird. Innerhalb des Insolvenzverfahrens sind dann unterschiedliche Gestaltungen möglich, etwa durch einen Insolvenzplan oder durch die Anordnung einer Eigenverwaltung. Hierbei handelt es sich um Gestaltungsmöglichkeiten, die durch den Schuldner schon bei Antragstellung gezielt angesteuert werden können und daher auf Schuldnerseite von vornherein in die Überlegungen einbezogen werden müssen. Ein einzelner Gläubiger ist dagegen nicht befugt, einen Insolvenzplan vorzulegen oder eine Eigenverwaltung zu beantragen. Hält der Gläubiger eine entsprechende Verfahrensabwicklung für sinnvoll, wäre daher zunächst zu klären, ob eine Einflussnahme auf den Schuldner möglich ist, damit dieser einen entsprechenden Antrag stellt. Eine solche Interessenlage des Gläubigers wie auch die Möglichkeit einer diesbezüglichen Einflussnahme auf den Schuldner wird allerdings typischerweise eher bei gesicherten Gläubigern vorliegen. Auf der Ebene der eigenen Handlungsmöglichkeiten beschränkt sich die Frage daher darauf, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird oder nicht. Fragestellungen der Art und Weise der Verfahrensabwicklung, insbesondere auch ob ein Insolvenzplan sinnvoll ist, sind erst im Rahmen der Möglichkeiten einer Einflussnahme durch Gläubiger im Rahmen des eingeleiteten Verfahrens in den Blick zu nehmen (vgl. hierzu unten Rz. 177 ff. zum Insolvenzantragsverfahren, Rz. 372 ff. zum eröffneten Insolvenzverfahren).
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Zur Zulässigkeit eines Gläubigerantrages bestimmt § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft machen muss.
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17 Hierzu Geißler, ZInsO 2014, 14.
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§ 9 Rz. 45 | Beratung des ungesicherten Gläubigers
2. Tatsächliche Grundlagen des Gläubigerinsolvenzantrags a) Gläubigerstellung 45
Zur Stellung eines Insolvenzantrages berechtigt sind nach § 13 Abs. 1 S. 2 InsO die Gläubiger und der Schuldner. Erforderlich ist daher, dass dem Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung eine Forderung gegen den Antragsgegner zusteht.
b) Insolvenzfähigkeit des Schuldners 46
Die Insolvenzfähigkeit des Schuldners i.S.v. § 11 InsO ist Zulässigkeitsvoraussetzung für jedes Insolvenzverfahren. § 11 InsO ist die insolvenzrechtliche Entsprechung zu § 50 ZPO. Wie sich aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt, ist jede natürliche und juristische Person insolvenzfähig. Dies gilt auch für Ausländer, für die ein deutsches Insolvenzgericht nach § 3 InsO zuständig ist. Ob der Ausländer nach seinem Heimatrecht insolvenzfähig ist, ist unerheblich.18 § 11 InsO wird durch die Vorschrift des § 12 InsO ergänzt, wonach bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts von der Insolvenzfähigkeit ausgenommen werden.
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Übersicht: Als Insolvenzschuldner kommen damit in Frage: – jede Privatperson, die passiv parteifähig ist – jede juristische Person – Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG) – GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG) – KGaA (§ 287 Abs. 1 AktG) – eingetragene Genossenschaft (§ 17 Abs. 1 GenG) – rechtsfähiger Verein (§§ 21, 22 BGB) – rechtsfähige Stiftung (§ 80 BGB) – die in einem EU-Mitgliedstaat gegründeten rechtsfähigen Gesellschaften19 – der nicht rechtsfähige Verein (§ 54 BGB, ausdrücklich benannt in § 11 Abs. 1 Satz 2 InsO) – Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO) – offene Handelsgesellschaft – Kommanditgesellschaft – Partnerschaftsgesellschaft – Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Partenreederei (§ 489 Abs. 1 HGB) – Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung – Nachlass – Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft – Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, soweit es von den Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wird. 18 Zu Auslandsgesellschaften vgl. MünchKomm/InsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, InsO, § 11 Rz. 17a. 19 Zur Beurteilung der Rechtsfähigkeit nach der Gründungstheorie innerhalb der EU sowie nach der Sitztheorie in Bezug auf Drittstaaten vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, NJW 2009, 289 = ZIP 2006, 1822 = ZIP 2008, 2411.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 52 § 9
Nicht insolvenzfähig sind:
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– Bund oder Land (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO) – Juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, wenn das Landesrecht dies bestimmt (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO) – Wohnungseigentümergemeinschaft (§ 9a Abs. 5 WEG)20 – Bruchteilsgemeinschaft21 – Erbengemeinschaft.22 Im Einzelnen:
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Zu den natürlichen Personen ist anzumerken, dass der Schuldner kein Gewerbetreibender sein muss. Der Schuldner braucht nicht geschäftsfähig zu sein, so dass sich der Antrag auch gegen Minderjährige oder gegen unter rechtlicher Betreuung stehende Personen richten kann. Besonderheit Vor- und Nachgesellschaften: Ist eine Gesellschaft zwar errichtet, aber noch nicht im Handelsregister eingetragen, so ist sie dennoch insolvenzfähig.23 Voraussetzung ist jedoch, dass eine derartige Vorgesellschaft bereits Sondervermögen hat und im Rechtsverkehr als Gesellschaft in Erscheinung tritt.24 Anders verhält es sich mit der sog. Vorgründungsgesellschaft. Insoweit müsste allerdings geprüft werden, ob nicht in Wahrheit eine BGB-Gesellschaft oder eine OHG besteht. Nicht insolvenzfähig ist die BGB-Innengesellschaft.25 Auch die sog. fehlerhafte Gesellschaft ist zumindest dann insolvenzfähig, wenn sie in Vollzug gesetzt worden ist und Sondervermögen gebildet hat.26
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Nach Auflösung einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig, solange die Verteilung des Vermögens nicht vollzogen ist (§ 11 Abs. 3 InsO). Ein gegen eine bereits voll beendete und nicht mehr existierende BGB-Gesellschaft ergangener Eröffnungsbeschluss ist demgegenüber als nichtig anzusehen.27
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c) Vorliegen eines Insolvenzgrundes Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt nach § 16 InsO voraus, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist. Dementsprechend ist auch der Antrag auf Verfahrenseröffnung auf einen Eröffnungsgrund zu stützen. Die Insolvenzordnung kennt insgesamt drei Eröffnungsgründe: – Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO – drohende Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO und – Überschuldung, § 19 InsO. 20 Der ausdrückliche Ausschluss eines Insolvenzverfahrens über das Gemeinschaftsvermögen war bis zum Reform des WEG zum 1.12.2020 in § 11 Abs. 3 WEG a.F. geregelt. Zur Rechtsentwicklung vgl. auch Münch Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 63b. 21 Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, InsO, § 11 Rz. 63a. 22 Die Erbengemeinschaft ist weder rechtsfähig noch parteifähig, BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, MDR 2007, 340 = NJW 2006, 3715 = ZIP 2006, 2125. Ausdrücklich zur fehlenden Insolvenzfähigkeit AG Duisburg v. 4.8.2003 -63 IN 170/03, NZI 2004, 97. 23 BGH v. 9.10.2003 – IX ZB 34/03, MDR 2004, 233 = NZI 2004, 28 = ZIP 2003, 2123. 24 Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 14. 25 AG Köln v. 6.10.2003 – 71 IN 168/03, NZI 2003, 614. 26 BGH v. 16.10.2006 – II ZB 32/05, NJW-RR 2007, 259 = ZIP 2006, 2174. 27 BGH v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, MDR 2008, 1223 = NJW 2008, 2992 = ZIP 2008, 1677; zustimmend Vortmann, EWiR 2008, 679.
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§ 9 Rz. 53 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 53
Allerdings können nicht alle drei Eröffnungsgründe auch vom Gläubiger geltend gemacht werden. Für die drohende Zahlungsunfähigkeit bestimmt vielmehr § 18 Abs. 1 InsO, dass auch diese Eröffnungsgrund ist, wenn der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ein Gläubigerinsolvenzantrag nicht auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt werden kann.
3. Stellen des Insolvenzantrages a) Inhalt und Form des Insolvenzantrages 54
An die Formulierung eines Gläubigerantrages auf Insolvenzeröffnung werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Wie bei allen verfahrenseinleitenden Schriften ist das Ziel des Antrags ausreichend bestimmt anzugeben. Eine Formulierung in typischer Antragsform ist hierzu nicht notwendig.
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Klar muss natürlich sein, wer Antragsgegner ist: eine bestimmte natürliche Person, juristische Person oder ein anderes insolvenzfähiges Subjekt. Richtet sich ein Insolvenzantrag irrtümlich gegen die falsche Person, kommt eine Überleitung des Verfahrens in ein Insolvenzverfahren gegen die zutreffende Person mangels Sachdienlichkeit i.S.d. § 263 ZPO nicht in Betracht.28
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Wie bei allen bestimmenden Schriftsätzen gilt der Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit.29 Ein Insolvenzantrag, der nur mit der Maßgabe gestellt würde, dass er zunächst nicht bearbeitet wird, wäre unzulässig.30 Nicht zulässig wäre es etwa auch, den Antrag unter der Bedingung zu stellen, dass ein bestimmter Insolvenzverwalter bestellt wird.
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Nach § 13 InsO ist der Insolvenzantrag schriftlich zu stellen. Besondere Formvorschriften gibt es nicht (anders nur bei Schuldneranträgen in Verbraucherinsolvenzverfahren).
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Nach § 4 InsO i.V.m. § 133 ZPO hat der antragstellende Gläubiger ein Exemplar zustellungsfähiger Durchschriften oder anwaltlich beglaubigter Abschriften beizufügen. Geschieht dies nicht, wird das Gericht auf Kosten des Antragstellers Kopien erstellen.
b) Zuständiges Insolvenzgericht aa) Sachliche Zuständigkeit 59
Nach § 2 Abs. 1 InsO ist für das Insolvenzverfahren das AG, in dessen Bezirk ein LG seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht für den Bezirk dieses LG ausschließlich zuständig. Nach § 2 Abs. 2 InsO werden jedoch die Landesregierungen ermächtigt, andere oder zusätzliche AG zu Insolvenzgerichten zu bestimmen und die Bezirke der Insolvenzgerichte abweichend festzulegen. Für die Bundesländer, welche von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht haben, sind nachstehend die jeweiligen Insolvenzgerichte aufgeführt.31 Baden-Württemberg: AG Aalen, AG Baden-Baden, AG Crailsheim, AG Esslingen, AG Freiburg, AG Göppingen, AG Hechingen, AG Heidelberg, AG Heilbronn, AG Karlsruhe, AG Konstanz, AG Lörrach, AG Ludwigsburg, AG Mannheim, AG Mosbach, AG Offenburg, AG Pforzheim, AG Ravensburg, AG Rottweil, AG Stuttgart, AG Tübingen, AG Ulm, AG Villingen-Schwenningen, AG Waldshut-Tiengen.
28 AG Potsdam v. 3.12.2019 – 6 IN 460/19, NZI 2020, 113. 29 Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, § 13 InsO Rz. 59; BGH v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, MDR 2010, 891 = NZI 2010, 441 Rz. 7. 30 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, MDR 2007, 113 = NZI 2006, 469 Rz. 12. 31 Das jeweils zuständige Insolvenzgericht lässt sich auch online unter https://www.justizadressen.nrw.de/ de/justiz/suche ermitteln.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 61a § 9
Bayern: AG Amberg, AG Ansbach, AG Aschaffenburg, AG Augsburg, AG Bamberg, AG Bayreuth, AG Coburg, AG Deggendorf, AG Fürth, AG Hof, AG Ingolstadt, AG Kempten, AG Landshut, AG Memmingen, AG Mühldorf, AG München, AG Neu-Ulm, AG Nördlingen, AG Nürnberg, AG Passau, AG Regensburg, AG Rosenheim, AG Schweinfurt, AG Straubing, AG Traunstein, AG Weiden i.d. OPf., AG Weilheim, AG Wolfratshausen, AG Würzburg. Berlin: AG Berlin-Charlottenburg. Bremen: AG Bremen, AG Bremerhaven. Hessen: AG Bad Hersfeld, AG Bad Homburg v.d.H., AG Darmstadt, AG Eschwege, AG Friedberg, AG Fulda, AG Gießen, AG Hanau, AG Kassel, AG Königstein i.T., AG Korbach, AG Limburg a.d. Lahn, AG Marburg, AG Offenbach am Main, AG Wetzlar, AG Wiesbaden. Niedersachsen: AG Aurich, AG Bersenbrück, AG Braunschweig, AG Bückeburg, AG Celle, AG Cloppenburg, AG Cuxhaven, AG Delmenhorst, AG Gifhorn, AG Göttingen, AG Goslar, AG Hameln, AG Hannover, AG Hildesheim, AG Holzminden, AG Leer (Ostfr.), AG Lingen, AG Lüneburg, AG Meppen, AG Nordenham, AG Oldenburg, AG Osnabrück, AG Osterode, AG Stade, AG Syke, AG Tostedt, AG Uelzen, AG Vechta, AG Verden, AG Walsrode, AG Wilhelmshaven, AG Wolfsburg. Schleswig-Holstein: AG Eutin, AG Flensburg, AG Itzehoe, AG Kiel, AG Lübeck, AG Meldorf, AG Neumünster, AG Niebüll, AG Norderstedt, AG Pinneberg, AG Reinbek, AG Schwarzenbek. bb) Örtliche Zuständigkeit (1) Allgemeines Die örtliche Zuständigkeit in Insolvenzsachen ist in § 3 InsO geregelt. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO ist das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit ist der Eingang des Insolvenzantrages bei Gericht.32 Fehlt die örtliche Zuständigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung, so kann diese bis zur Entscheidung über den Antrag begründet werden.33
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Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO).34 Die Formulierung zeigt, dass vorrangig zu prüfen ist, ob der Schuldner eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Erst wenn dies verneint wird, stellt sich die Frage, wo der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.
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Bei der Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 InsO handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit. Allerdings besteht in zwei Konstellationen möglicherweise eine zusätzliche Zuständigkeit eines weiteren Gerichts. Zum einen ist in dem Fall, dass der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antrag-
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32 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, MDR 2007, 909 = NZI 2007, 344 Rz. 5. 33 AG Göttingen v. 27.11.2009 – 74 IN 271/09, ZIP 2010, 640. 34 BayObLG v. 12.11.2002 – 1Z AR 157/02, ZIP 2003, 676 f.
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§ 9 Rz. 61a | Beratung des ungesicherten Gläubigers stellung Instrumente gem. § 29 StaRUG in Anspruch genommen hat, auch das Gericht örtlich zuständig, das als Restrukturierungsgericht für die Maßnahme zuständig war. 62
Zum anderen besteht inzwischen eine Sonderregelung für Unternehmensgruppen/Konzernen in § 3a ff. InsO. Auch innerhalb einer Unternehmensgruppe ist im Ausgangpunkt für jede Gesellschaft ein gesonderter Insolvenzantrag zu stellen und dabei die Bestimmung des zuständigen Insolvenzgerichts gesondert vorzunehmen. Möglich ist allerdings die Bestimmung eines Gruppen-Gerichtsstands bei einem Insolvenzgericht, das nach den allgemeinen Vorschriften zuständig für eine Gesellschaft von nicht offensichtlich untergeordneter Bedeutung innerhalb der Gruppe35 ist (§ 3a InsO). Bei diesem Insolvenzgericht können dann Verfahren über weitere Gruppengesellschaften (sog. GruppenFolgeverfahren) eingeleitet und durchgeführt werden, auch wenn für diese nach den allgemeinen Regeln ein anderes Gericht zuständig wäre. Antragsberechtigt für die Errichtung des Gruppen-Gerichtsstands ist nur der Schuldner. Der Gruppen-Gerichtsstand tritt als Wahlgerichtsstand36 neben den allgemeinen Gerichtsstand nach § 3 InsO. Der Gläubiger kann einen Insolvenzantrag über das Vermögen einer anderen Gruppengesellschaft auch weiterhin bei dem für diese originär zuständigen Insolvenzgericht stellen. In diesem Fall kann der Schuldner allerdings die Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand beantragen, wobei diese zu erfolgen hat, wenn der Schuldner dort einen eigenen zulässigen Insolvenzantrag unverzüglich stellt, nachdem er Kenntnis von dem Gläubigerantrag erlangt hat (§ 3d Abs. 1 InsO).
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Neben diesen Sonderkonstellationen können mehrere Insolvenzgerichte bei Anwendung der allgemeinen Kriterien örtlich zuständig sein, wenn der Schuldner an mehreren Orten selbständig wirtschaftlich tätig ist, ohne dass ein Mittelpunkt festzustellen ist (Abs. 1 Satz 2), wenn der Schuldner mehrere Wohnsitze hat oder neben dem Geschäftssitz (§ 17 Abs. 1 ZPO) noch ein besonderer statutarischer Gerichtsstand (§ 17 Abs. 3 ZPO) besteht (Abs. 1 Satz 1). Dann haben die Antragsberechtigten die Wahl zwischen den mehreren Gerichtsständen (vgl. § 35 ZPO).37 Nach § 3 Abs. 3 InsO schließt in diesem Fall das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus. Es gilt insoweit also das Prioritätsprinzip. (2) Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit
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Der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ ist nicht identisch mit dem Begriff „Gewerbe“.38 Nicht ausschlaggebend ist daher eine etwaige Eintragung in das Handelsregister. Insbesondere auch bei Freiberuflern wie Ärzten, Apothekern oder Rechtsanwälten ist daher für die insolvenzgerichtliche Zuständigkeit auf den Tätigkeitsmittelpunkt abzustellen.
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Eine gesetzliche Definition des Mittelpunktes der wirtschaftlichen Tätigkeit gibt es nicht. Der Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners liegt in der Regel dort, von wo aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden (vgl. § 21 Abs. 1 ZPO). Das Zentrum der geschäftlichen Aktivitäten befindet sich an dem Ort, wo die tatsächliche Willensbildung innerhalb eines Unternehmens oder einer Gesellschaft stattfindet, also dort, wo die unternehmensleitenden Entscheidungen getroffen und in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.39 Bestehen in der Praxis mögliche Anknüpfungspunkte an unterschiedlichen Orten, wird im Rahmen einer Gesamtbetrachtung eine Wertung unterschiedlicher Faktoren vorgenommen werden müssen. Wohl einig ist man sich insoweit darin, dass ein Ort, an dem rein intern Entscheidungen getroffen werden, als solcher nicht den Tätigkeitsmittelpunkt darstellt. Gerade für den Gläubiger wird dieser Ort nicht erkennbar sein, weshalb auf die Umsetzung
35 36 37 38 39
Zum Begriff der Unternehmensgruppe nach § 3e InsO vgl. Prosteder, NZI-Beilage 2018, 9. Uhlenbruck/Pape, 15. Aufl. 2019, § 3a InsO Rz. 9. Ganter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 3 InsO Rz. 20. Uhlenbruck/Pape, 15. Aufl. 2019, § 3 InsO Rz. 4. AG Hannover, Beschl. v. 24.9.2018 – 903 IN 540/18, NZI 2019, 115 m. Anm. von Wilcken, NZI 2019, 116.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 68 § 9
von Entscheidungen mit entsprechender Erkennbarkeit nach außen abgestellt wird. Auch mit Blick auf den Verfahrenszweck wird hervorgehoben, dass der Insolvenzverwalter an diesem Ort auch die Geschäftsunterlagen vorfinde, die er für seine Abwicklungstätigkeit benötigt.40 Streitig war eine Zeitlang, ob nach einer Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit einer GmbH nur noch der Wohnsitz des Geschäftsführers maßgeblich ist. Dies ist sowohl von dem OLG Schleswig als auch von dem KG so gesehen worden, jedenfalls wenn die Geschäftsräume nicht mehr existierten und der Geschäftsführer alle Geschäftsunterlagen an seinen Wohnsitz verbracht hatte.41 Für diese Rechtsmeinung sprachen vor allem Praktikabilitätsüberlegungen. Hatte bspw. die GmbH ihren Sitz in Kiel und verzog der Geschäftsführer nach Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Freiburg, wohin er auch alle Unterlagen mitnahm, so stand das AG Kiel, wenn es sich mit der Meinung des OLG Schleswig als zuständig ansah, vor dem Problem, entweder einen Gutachter oder vorläufigen Insolvenzverwalter aus seinem Gerichtssprengel einzusetzen, der dann jedoch unter Umständen zur Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen nach Freiburg reisen musste oder aber einen ihm unbekannten Insolvenzpraktiker aus Freiburg auszuwählen. Dieses Dilemma hat das LG Hamburg veranlasst, auf den Wohnsitz des Geschäftsführers jedenfalls dann abzustellen, wenn dieser von dort aus noch Abwicklungsmaßnahmen erledigte, also bspw. die Korrespondenz führte.42
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Die heute ganz herrschende Meinung geht jedoch dahin, trotz dieser praktischen Schwierigkeiten nur auf den satzungsmäßig festgelegten Sitz und die entsprechende Handelsregistereintragung abzustellen.43 Das OLG Koblenz hatte im Übrigen bereits nach altem Recht bei einer wegen Vermögenslosigkeit gelöschten GmbH das Gericht als örtlich zuständig angesehen, in dessen Bezirk die Schuldnerin zuletzt im Handelsregister eingetragen war.44 Praktische Bedeutung hat dies vor allem für die Fälle der sog. gewerbsmäßigen Firmenbestattung,45 wobei die die „Bestattung“ vorbereitenden Gesellschafterbeschlüsse nichtig sind.46 Die Bestattungsunternehmen sind dabei immer mehr ins Visier der Gerichte gekommen, vor allem soweit es um eine Schadensersatzpflicht der Mitwirkenden geht,47 aber auch was die Zulässigkeit ihrer Insolvenzanträge angeht.48 Liegen Anhaltspunkte für den Verdacht einer solchen gewerbsmäßigen „Firmenbestattung“ vor, darf das Insolvenzgericht bei der Ermittlung seiner Zuständigkeit sich nicht auf die pauschalen und substanzlosen Angaben des Geschäftsführers verlassen. Dem Insolvenzgericht obliegt in einem solchen Fall eine gesteigerte Amtsermittlungsplicht, und es hat vor einer etwaigen Verweisung den für die Zuständigkeit maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären.49
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Das für eine Personenhandelsgesellschaft zuständige Insolvenzgericht ist nicht automatisch auch für ein Insolvenzverfahren gegen deren Gesellschafter zuständig. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn
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40 Vgl. Ganter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 3 InsO Rz. 10 mit Auflistung in der Praxis herangezogener Kriterien. 41 Schl.-Holst. OLG v. 9.8.1999 – 2 W 116/99, NZI 1999, 416; KG v. 7.6.1999 – 28 AR 65/99, NZI 1999, 499. 42 LG Hamburg v. 20.12.1999 – 326 T 194/99, ZInsO 2000, 118; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 3 Rz. 13. 43 OLG Celle v. 16.12.2003 – 2 W 117/03, ZIP 2004, 581; BayObLG v. 19.9.2003 – 1 Z AR 102/03, NZI 2004, 148; OLG Braunschweig v. 13.4.2000 – 1 W 29/00, NZI 2000, 266, 267; OLG Hamm v. 14.1.2000 – 1 Sbd 100/99, NZI 2000, 220, 221; Kirchhof in HK/InsO, § 3 Rz. 20; Pape, EWiR 2003, 1255. 44 OLG Koblenz v. 20.1.1989 – 4 SmA 1/89, Rpfleger 1989, 251. 45 OLG Celle v. 9.10.2003 – 2 W 108/03, ZIP 2004, 1022 m. zust. Bspr. Runkel, EWiR 2004, 859, 860 und zwar auch zu der Frage, ob fehlerhafte Verweisungsentscheidungen Bindungswirkung haben. 46 Pfälz. OLG v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, ZIP 2013, 2463; a.A. Wertenbruch, EWiR 2013, 721. 47 Vgl. LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865; LG Berlin v. 8.3.2006 – 86 O 33/05, ZIP 2006, 862. 48 AG Duisburg v. 2.1.2007 – 64 IN 107/06, ZIP 2007, 690. 49 OLG Celle v. 11.1.2010 – 4 AR 3/10, ZIP 2010, 489; OLG München v. 12.3.2009 – 31 AR 158/09, ZInsO 2009, 838.
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§ 9 Rz. 68 | Beratung des ungesicherten Gläubigers ein persönlich haftender Gesellschafter, selbst wenn er woanders lebt, vor allem für diese eine Gesellschaft tätig ist, also an deren Sitz den Schwerpunkt seiner eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit hat.50 (3) Allgemeiner Gerichtsstand 69
Liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht vor, so ist nach Satz 1 das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dieser ergibt sich aus den §§ 11 ff. ZPO.
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Bei natürlichen Personen ist der Wohnsitz entscheidend, § 13 ZPO. Fehlt dieser, so ist auf den Aufenthaltsort oder den letzten Wohnsitz abzustellen. Der Wohnsitz muss nicht immer dort liegen, wo jemand „polizeilich“ gemeldet ist. Die Anmeldung ist jedoch zumindest ein Indiz für den Wohnsitz.51
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Für juristische Personen gilt § 11 ZPO: Entscheidend ist der satzungsgemäße Sitz, der regelmäßig auch im Register eingetragen ist. Satzungsmäßige Sitzverlegungen bei einer GmbH sind nur zu beachten, wenn eine entsprechende Eintragung vorgenommen worden ist. (4) Verfahren bei Unzuständigkeit
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Das Gericht überprüft seine Zuständigkeit von Amts wegen. Will es seine Zuständigkeit verneinen, so hat es den Antragsteller hierauf hinzuweisen. Stellt dieser keinen Verweisungsantrag, so weist das Gericht den Insolvenzantrag ab.
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Der Verweisungsbeschluss – nur dieser, nicht die formlose Weitergabe der Akte – bindet das bezeichnete Gericht, §§ 281 Abs. 2 Satz 2, 495 ZPO. Die Bindungswirkung entfällt, wenn die Verweisung willkürlich ist oder unter schweren Verfahrensfehlern wie beispielsweise der Verletzung rechtlichen Gehörs leidet,52 aber auch wenn die Begründung nicht erkennen lässt, aus welcher Alternative des § 3 Abs. 1 InsO das Insolvenzgericht seine örtliche Unzuständigkeit ableitet.53 Eine willkürliche Entscheidung liegt vor allem dann vor, wenn das verweisende Gericht nicht nur den entscheidungsrelevanten Sachverhalt evident falsch erfasst hat, sondern auch keine eigenen Sachverhaltsermittlungen angestellt hat.54 Hält das Gericht, an das verwiesen wurde, die Verweisung für rechtsfehlerhaft und lehnt die Übernahme ab, so erfolgt von Amts wegen die Vorlage an das höhere Gericht durch eines der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte,55 § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO.
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Hat das Gericht einmal seine Zuständigkeit bejaht und das Verfahren eröffnet, ist eine Verweisung an ein anderes Gericht selbst dann nicht möglich, wenn das Gericht seine örtliche Zuständigkeit irrtümlich angenommen hat.56 Ist das Insolvenzverfahren durch ein Insolvenzgericht eröffnet worden, kann dessen örtliche Unzuständigkeit auch nicht durch die Stellung eines neuen Insolvenzantrags bei dem angeblich örtlich zuständigen Gericht beseitigt werden.57 Ein Gericht darf sich auch nicht mit einem Insolvenzantrag weiter befassen, wenn zeitlich vorher ein anderes Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet hat.58
50 Uhlenbruck/Pape, 15. Aufl. 2019, § 3 InsO Rz. 10. 51 OLG Naumburg v. 20.9.1999 – 1 AR 44/99, InVo 2000, 12. 52 BGH v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, NZI 2006, 164 = MDR 2006, 703 = ZIP 2006, 442 Rz. 12; OLG Hamm v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, NZI 2019, 998; Pape, ZIP 2006, 877. 53 OLG Hamm v. 15.2.2013 – I-32 SA 1/13, ZIP 2013, 1144. 54 KG v. 2.4.2009 – 2 AR 10/09, NZI 2009, 727 = ZIP 2009, 1637. 55 Patzina in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 36 Rz. 19. 56 OLG Celle v. 7.5.2007 – 4 AR 27/07, ZIP 2007, 1922; zustimmend Schmerbach, EWiR 2008, 143; Andres/Leithaus/Andres, 4. Aufl. 2018, InsO § 3 Rz. 4. 57 LG Berlin v. 14.9.2007 – 86 T 424/07, NZI 2008, 43. 58 OLG München v. 21.1.2014 – 34 AR 277/13, ZIP 2014, 741 = ZInsO 2014, 902.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 78 § 9
cc) Internationale Zuständigkeit Bei Insolvenzen mit grenzüberschreitenden Bezug gilt aus der Perspektive des nationalen Rechts zunächst der allgemeine Grundsatz, dass die internationale Zuständigkeit der örtlichen folgt. Im europäischen Kontext ist allerdings die Zuständigkeitsregelung in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu beachten. Danach sind für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens die Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in denen sich der „Mittelpunkt der hautsächlichen Interessen“ (COMI) des Schuldners befindet. Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO). Ferner sieht die Vorschrift vor, dass bei Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der COMI der Ort ihres Sitzes ist. Im Hinblick auf die einschneidenden Wirkungen, die das Insolvenzstatut für die Zuständigkeit und für das anzuwendende materielle Insolvenzrecht hat, sind an die Widerlegung der Vermutung hohe Anforderungen zu stellen. Sowohl das Gebot der Rechtssicherheit als auch die Voraussehbarkeit für den Gläubiger verlangen einen strengen Maßstab.59 Die europäische Betrachtung ist nicht vollumfänglich deckungsgleich mit dem Verständnis des § 3 InsO, weshalb bei einem grenzüberschreitenden Bezug zusätzlich diese besonderen Anforderungen in den Blick genommen werden müssen.60
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Liegt der COMI des Schuldners im Ausland, kommt nach der Konzeption der EuInsVO in Deutschland womöglich dennoch ein territorial begrenzt wirkendes Sekundärinsolvenzverfahren in Betracht. Dies setzt voraus, dass in Deutschland eine rechtlich unselbständige Niederlassung61 besteht. Nach Art. 102 § 1 Abs. 2 Satz 1 EGInsO ist örtlich das für diese Niederlassung nach § 3 InsO zuständige Insolvenzgericht für das Sekundärverfahren ausschließlich zuständig (vgl. hierzu und zu Fragen des Internationalen Insolvenzrechts § 20 Rz. 77).
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c) Rechtliches Interesse Das rechtliche Interesse des Gläubigers an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird in § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich verlangt. Der Gläubiger muss allerdings in seinem Insolvenzantrag hierzu keine besonderen Angaben machen. Durch die Darlegung, dass ihm eine Forderung zusteht und ein Eröffnungsgrund vorliegt, indiziert er gleichzeitig sein rechtliches Interesse.62
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Nach der seit 5.4.2017 geltenden Fassung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO wird der Insolvenzantrag nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird. Auch angesichts dieser Regelung wird in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin bestehen und in dieser Konstellation auch besonders geprüft werden muss. In Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass ein rechtliches Interesse an einer Verfahrensfortführung regelmäßig nur bei Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern anzuerkennen sein werde, weil diese öffentlichen Gläubiger nicht verhindern können, dass sie weitere Forderungen gegen den Schuldner erwerben.63 Die Maßstäbe, die von den einzelnen Insolvenzgerichten angelegt werden, sind insoweit allerdings nicht völlig einheitlich. Für den antragstellenden Gläubiger ist dies insbesondere deshalb von Bedeutung, weil ihm dann, wenn das Gericht eine Fortsetzung des Antragsverfahrens für zulässig hält, der Gläubiger den Antrag aber nicht weiterverfolgen möchte und zurücknimmt, die Verfahrenskosten auferlegt werden. Begründet wird das von den Gerichten damit, dass in diesem Fall von einem von vornherein vorrangig auf die Durchsetzung der eigenen Forderung gerichteten und daher unzulässigen Druckantrag64 auszugehen sei. Dem Gläubiger
78
59 LG Berlin v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, NZI 2018, 85. 60 Vgl. insbesondere zum COMI natürlicher Personen Ahrens, NJW-Spezial 2020, 725. 61 Zur Niederlassung i.S.v. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO bei natürlichen Personen vgl. Bork/Harten, NZI 2018, 673. 62 Bußhardt in Braun, InsO, § 14 Rz. 9 f. 63 BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 18/12, MDR 2012, 1254 = ZIP 2012, 1674 = NZI 2012, 708 Rz. 7. 64 Dazu Brzoza, NJW 2019, 335.
Riewe | 667
§ 9 Rz. 78 | Beratung des ungesicherten Gläubigers wie seinem beratenden Anwalt ist daher zu raten, diese mögliche Entwicklung von vornherein mit im Blick zu behalten. Von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses geht beispielsweise das AG Göttingen bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus anwaltlicher Tätigkeit aus.65 Das LG Hamburg66 hat dagegen etwa angenommen, das Rechtsschutzbedürfnis des antragstellenden Sozialversicherers entfalle nicht, wenn die Schuldnerin zwar ihre Mitarbeiter gekündigt hat, aus deren Arbeitsverhältnis die bei Antragstellung bestehenden Forderungen der Gläubigerin resultierten, die Betriebsstätte aber nicht geschlossen wurde. Bei einer Betriebsfortführung bestehe jederzeit die Gefahr, dass die Schuldnerin neue Mitarbeiter einstellt und somit neue Forderungen bei der Antragstellerin begründet. 79
Auch bei Bestand der Forderung sind Ausnahmen denkbar, in denen das Rechtsschutzbedürfnis für einen Insolvenzantrag fehlt. Zeigen die Ausführungen des Gläubigers, dass ihm auch ein einfacherer oder billigerer Weg zur Befriedigung seiner Forderung offen steht, müsste das Rechtsschutzbedürfnis verneint werden. Nur wegen einer Forderung, die auch ohne die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Sicherheit vollständig befriedigt werden kann, darf ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden. Die Ausnutzung einer rein formalen Rechtsposition – insbesondere: der Stellung als persönlicher Gläubiger gem. § 52 S. 1 InsO – rechtfertigt für sich genommen den mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen weitreichenden Eingriff in die Rechte des Schuldners (§ 80 InsO) nicht. Der BGH hat daher das Rechtsschutzbedürfnis für einen vollständig dinglich gesicherten Gläubiger abgelehnt.67 In der Praxis wird sich allerdings auch bei einer bestehenden Sicherheit unter Umständen die Frage stellen, ob diese tatsächlich entsprechend werthaltig ist und daher wirklich eine vollständige Sicherung angenommen werden kann.
80
Nicht entgegengehalten werden kann dem Antragsteller der Umstand, er sei der einzige Gläubiger und benötige deshalb kein „Gesamtvollstreckungsverfahren“ und müsse vielmehr im Wege der Einzelvollstreckung nach der ZPO vorgehen.68 Aus Sicht des Gläubigers bergen Vollstreckungsmaßnahmen im Zeitpunkt des erkannten Vorliegens eines Insolvenzgrundes generell das Risiko, dass ein anderer Gläubiger oder der Schuldner einen Antrag stellt und es zu einer Anfechtung des Rechtserwerbs kommt.69
81
Verfehlt wäre zudem die Auffassung, den Insolvenzantrag eines nachrangigen Gläubigers als unzulässig zu verwerfen, weil dieser im eröffneten Verfahren keine Befriedigung erwarten könne.70 Auch im Falle völliger Masseunzulänglichkeit wird das Rechtsschutzinteresse für einen Eröffnungsantrag nicht berührt.71
82
Unterschiedliche Auffassungen hat es zu der Frage gegeben, ob bei Kleinstforderungen ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen ist. Der BGH hat sich insoweit „offen“ positioniert; es müsse eine Verhältnismäßigkeitskontrolle vorgenommen werden.72 Abgesehen davon, dass hier jede Grenzziehung willkürlich wäre (50 € können für einen bestimmten Gläubiger viel Geld sein), zeigt die Nichtbegleichung geringer Forderungen, dass tatsächlich Zahlungsunfähigkeit vorliegt und deshalb ein öffentliches Interesse besteht, den Schuldner einem geregelten Verfahren zu unterwerfen. Die mit der Antragstellung verbundene Kostenbelastung für den Gläubiger erscheint als ausreichender Schutz vor 65 AG Göttingen v. 18.12.2020 – 74 IN 112/20, BeckRS 2020, 40673; vgl. dazu Büttner, VIA 2021, 30. 66 LG Hamburg, Beschl. v. 2.5.2019 – 326 T 20/19, NZI 2019, 719. 67 BGH v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, MDR 2008, 344 = ZIP 2008, 281, ZInsO 2008, 103; kritisch hierzu Hölzle, EWiR 2008, 407. 68 BGH v. 17.6.2009 – IX ZB 250/09, BeckRS 2010, 16353 Rz. 5; BGH v. 15.9.2016 – IX ZB 32/16, MDR 2017, 56, NZI 2016, 950 Rz. 21. 69 Pape, EWiR 1995, 665, 666. 70 BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, MDR 2010, 1490 = ZIP 2010, 2055; im Ergebnis zustimmend Gundlach/Müller, EWiR 2010, 819. 71 BGH v. 15.9.2016 – IX ZB 32/16, MDR 2017, 56 = ZIP 2016, 85, 2177 = NZI 2016, 950 Rz. 21 m. Anm. Leithaus, NZI 2016, 952. 72 BGH v. 20.3.1986 – III ZR 55/85, NJW-RR 1986, 1188.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 85 § 9
rechtsmissbräuchlichen Anträgen bei Kleinbeträgen. Der Insolvenzantrag eines Gläubigers ist auch dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Antragsteller zuvor eine vom Schuldner angebotene erhebliche Teilleistung zurückgewiesen hat.73 Als Fälle des Rechtsmissbrauchs werden zudem Gestaltungen diskutiert, in denen der antragstellende Gläubiger vorrangig verfahrensfremde Zwecke74 verfolgt, etwa das Ziel
83
– eine höchstrichterliche Entscheidung über das Bestehen einer Steuerforderung zu vermeiden;75 – nur zu seinem eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer Gläubiger Vermögensgegenstände des Schuldners ermitteln zu lassen, in die der Gläubiger dann außerhalb eines Insolvenzverfahrens vollstrecken kann;76 – der Beendigung eines lästigen Vertragsverhältnisses;77 – der Ausschaltung eines Konkurrenten.78 Liegen die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Gläubigerinsolvenzantrag vor, wird eine solche gegenüber dem Interesse an der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und Geltendmachung der eigenen Forderung in diesem Verfahren vorrangige Interessenlage als subjektiver Umstand in der Praxis allerdings kaum einmal nachzuweisen sein. Auch in den vorliegenden Entscheidungen werden diese Fallgestaltungen meist diskutiert, im Ergebnis aber abgelehnt. In der Beratung des Gläubigers empfiehlt es sich insoweit darauf zu achten, dass insbesondere im Insolvenzantrag, aber auch in einer etwaigen auch unmittelbaren Korrespondenz des Gläubigers mit dem Schuldner keine etwaige diesbezüglich zweifelhafte Motivlage dokumentiert und vermittelt wird.
83a
d) Glaubhaftmachung der anderen Antragsvoraussetzungen aa) Glaubhaftmachung der Forderung Der Insolvenzantrag muss einen schlüssigen Sachvortrag zum Bestehen einer Forderung enthalten.79 Darauf aufbauend hat eine Glaubhaftmachung zu erfolgen. Ist ein Anspruch rechtskräftig tituliert, bedarf es außer der Vorlage des Titels keiner schlüssigen Darlegung und Glaubhaftmachung der Forderung durch den Gläubiger.80 Andererseits ist im Rahmen des § 14 InsO das Vorliegen eines Titels kein notwendiges Erfordernis.81 Mittel der Glaubhaftmachung sind alle prozessualen Beweismittel, wie sie sich aus § 294 ZPO ergeben, sowie die eidesstattliche Versicherung. Die Glaubhaftmachung ist bspw. auch durch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis,82 einen Wechsel, einen Vertrag und ähnliches möglich.
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Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass für die Zulässigkeit des Antrages und entsprechende Sicherungsmaßnahmen geringere Voraussetzungen gelten als für die spätere Eröffnung. Dann genügt die Glaubhaftmachung mit den Mitteln des § 294 ZPO nicht mehr. Zur Eröffnung ist eine weitergehende Überzeugung des Gerichtes notwendig.
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73 74 75 76 77 78 79 80 81 82
BGH v. 7.5.2009 – IX ZB 262/08, BeckRS 2009, 13304. Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 14 InsO Rz. 29 ff. AG Burgwedel v. 3.11.1983 -5 N 14/83, ZIP 1984, 475. BGH v. 7.2.2008 – IX ZB 137/07, MDR 2008, 647 = ZIP 2008, 565, NZI 2008, 240 Rz. 7. BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121. BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 214/10, MDR 2011, 815 = NZI 2011, 540 = ZIP 2011, 1161; Frind, EWiR 2011, 467. BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 205/04, NZI 2006, 34. Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, § 14 InsO Rz. 39. BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 7/08, WuM 2009, 144 = BeckRS 2009, 2192 Rz. 3; Kirchhof in HK/InsO, § 14 Rz. 14; Vallender, MDR 1999, 280. BGH v. 12.3.2009 – IX ZB 157/08, ZInsO 2009, 767 = BeckRS 2009, 9185.
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§ 9 Rz. 86 | Beratung des ungesicherten Gläubigers bb) Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes 86
Den Insolvenzgrund glaubhaft zu machen, fällt naturgemäß dem antragstellenden Gläubiger schwerer als die Glaubhaftmachung der Forderung. Beim Insolvenzgrund geht es nämlich – anders als bei der Forderung – um die Sphäre des Gegners, in die ein Gläubiger häufig keinen Einblick hat.
87
Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit, § 17 Abs. 1 InsO. Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Insolvenzgrund, § 19 Abs. 1 InsO (die drohende Zahlungsunfähigkeit als dritter Insolvenzgrund hat nur für den Schuldnerantrag Bedeutung, § 18 InsO). Wann im Einzelfall von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auszugehen ist, wird in § 1 Rz. 51 ff. und 114 ff. näher erläutert. An dieser Stelle soll nachstehend deshalb nur dargestellt werden, wie der Gläubiger die Insolvenzgründe glaubhaft machen kann.
87a
Genauso wie bei der Glaubhaftmachung der Forderung ist auch hier zunächst ein schlüssiger Tatsachenvortrag nötig. Da es um Vorgänge im Bereich des Gegners geht, dürfen die Anforderungen an den Tatsachenvortrag nicht überspannt werden. Der Vortrag von Indiztatsachen reicht aus.83 Zur Glaubhaftmachung des Vorbringens kann zunächst wieder auf § 294 ZPO verwiesen werden.
87b
Die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit hat von der Legaldefinition in § 17 Abs. 2 InsO auszugehen, wonach der Schuldner zahlungsunfähig ist, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Im Regelfall wird der antragstellende Gläubiger glaubhaft machen, dass Zahlungseinstellung gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vorliegt.84 Entsprechend der Rechtsprechung des BGH zum Insolvenzanfechtungsrecht kann eine Zahlungseinstellung aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden.85 Insoweit ist im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen, ob das oder die vorgetragenen und glaubhaft gemachten Indizien hinreichendes Gewicht für die Annahme einer Zahlungseinstellung haben.
88
Übersicht: Gängige Mittel der Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit: – Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers, – Protokoll über die Abgabe der Vermögensauskunft des Schuldners nach § 802c ZPO (früher: Offenbarungsversicherung bzw. eidesstattliche Versicherung) im Zwangsvollstreckungsverfahren,86 – eigene schriftliche Erklärung des Schuldners, nicht zahlen zu können. – eidesstattliche Versicherungen.
89
Eine Besonderheit ergibt sich allerdings in Zusammenhang mit der Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO und den an die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes gestellt Anforderungen. Anhand der Gesetzesbegründung lässt sich aus der Formulierung, dass „besonders strenge Anforderungen an das Rechtschutzinteresse und die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes“87 zu stellen seien, keine konkreten Vorgaben entnehmen.88 Dagegen hat sich in der Rechtsprechung die Auffassung verfestigt, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen, dass der Gläubiger nach Zahlung der Forderung weiterhin
83 84 85 86
Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, § 14 InsO Rz. 47. Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, § 14 InsO Rz. 48. BGH v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, NZI 2012, 663 Rz. 11. Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, § 14 InsO Rz. 52; BayObLG v. 11.9.2001 – 4 ZBR 12/01, InVo 2002, 18; OLG Celle v. 29.10.2001 – 2W114/01, InVo 2002, 105. 87 BT-Drucks. 17/3030, 54. 88 Marotzke, ZInsO 2011, 841; vgl. auch (kritisch) Smid, DZWiR 2013, 133; Müller/Rautmann, ZInsO 2013, 378; Beth, ZInsO 2014, 1702.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 92 § 9
gehalten ist, den Insolvenzgrund glaubhaft zu machen.89 Anders als der BGH, verkennt das AG Köln jedoch nicht die Konfliktsituation des darlegungsbelasteten Gläubigers, dem es ohne weitere Ermittlungen kaum möglich sein dürfte, zum Vorliegen des Insolvenzgrundes Näheres vorzutragen.90 Insoweit trifft den Schuldner eine sekundäre Darlegungslast und die Verpflichtung konkrete Angaben zum Wegfall des Insolvenzgrundes zu machen.91 Eine kommentarlose Zahlung des Schuldners reicht hierfür nicht aus92 (vgl. Rz. 115). Besondere Schwierigkeiten wird dem Gläubiger die Glaubhaftmachung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung (dazu § 1 Rz. 114 ff.) machen. Hier ist zunächst ein Gesamtvergleich von Vermögen und Verbindlichkeiten erforderlich. Die dazu erforderlichen Informationen werden dem Gläubiger typischerweise nicht vorliegen, insbesondere weil hier nicht ohne weiteres die Bilanzwerte angesetzt werden können. Weist ein Schuldnerunternehmen allerdings in seinen Bilanzen über Jahre hinweg eine Überschuldung aus, so wird man im Rahmen der Glaubhaftmachung die Bezugnahme des Antragstellers auf diese Bilanzen regelmäßig als ausreichend ansehen können.93 Nicht notwendig ist im Rahmen der Überschuldungsprüfung im ersten Schritt eine Glaubhaftmachung bezüglich der fehlenden positiven Fortführungsprognose. Allerdings eröffnet der Tatbestand insoweit dem Schuldner die Möglichkeit, sich mit einer Gegenglaubhaftmachung zum Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose gegen den Insolvenzantrag zu wenden. Mangels genauerer Einblicke wird dies regelmäßig für den Gläubiger und seinen Berater nicht kalkulierbar sein, weshalb man sich in der Praxis stets mindestens auch um die Glaubhaftmachung einer Zahlungseinstellung bemühen wird.
90
So wie bei der Forderung als Antragsvoraussetzung könnte der Schuldner auch bei dem Eröffnungsgrund eine Gegenglaubhaftmachung versuchen. Ein bloßes Bestreiten reicht nicht aus. Vielmehr müsste der Schuldner detailliert darlegen, dass der Anschein, den die vom Gläubiger vorgelegten Beweismittel begründen, trügt.94
91
cc) Sonderfall: Insolvenzbegründende Gläubigerforderung Ein besonderes Problem kann dann entstehen, wenn nur bei Berücksichtigung der Forderung des Gläubigers Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung vorliegt, der Schuldner aber die Forderung bestreitet (sog. insolvenzbegründende Forderungen)95.
89 BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, MDR 2013, 878 = WM 2013, 1033 und ZIP 2013, 1086 mit zustimmender Besprechung Kexel, EWiR 2013, 515 und Klages/Pape, NZI 2013, 561; AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379; LG Berlin v. 10.1.2012 – 85 T 386/11, ZIP 2012, 935 mit kritischer Anm. Frind, EWiR 2012, 285; AG Ludwigshafen v. 25.2.2013 – 3a IN 421/12 Sp, ZInsO 2013, 514; AG Wuppertal v. 16.4.2012 – 145 IN 1070/11, ZIP 2012, 1090;AG Köln v. 17.7.2013 – 73 IN 272/11, ZIP 2013, 1588; a.A. AG Göttingen v. 26.8.2011 – 74 IN 86/11, ZIP 2011, 2312; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 14 Rz. 136; Wehr in Hamburger Kommentar zur InsO, § 14 Rz. 72; Hackländer/Schur, ZInsO 2012, 901; vgl. auch Harder, NJW Spezial 2012, 277; LG München v. 10.1.2014 – 14 T 375/14, ZInsO 2014, 362; kritisch hierzu Müller/Rautmann, ZInsO 2014, 888. 90 AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379. 91 AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379; nur in besonders gelagerten Einzelfällen vgl. AG Wuppertal v. 16.4.2012 – 145 IN 1070/11, ZIP 2012, 1090; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 14 Rz. 16; a.A. BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, MDR 2013, 878 = WM 2013, 1033 und ZIP 2013, 1086; AG Wuppertal v. 3.5.2012 – 145 IN 84/12, ZIP 2012, 1363; Beth, NZI 2012, 1. 92 AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379; „Die Kölner Insolvenzrichter“, ZIP 2013, 1456 – s.a. Rz. 472. 93 So etwa Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, § 14 InsO Rz. 56 m.w.N. 94 OLG Celle v. 7.9.2000 – 2 W 69/00, NZI 2001, 28; AG Göttingen v. 3.5.2002 – 74 IN 134/02, NZI 2003, 104; LG Dresden v. 29.4.2004 – 5 T 0407/04, 5-T-0407/04, ZIP 2004, 1062. 95 Hierzu instruktiv Leithaus/Wachholtz, ZIP 2019, 649.
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§ 9 Rz. 93 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 93
Der BGH vertritt die Auffassung, dass in diesem Fall die Glaubhaftmachung der Forderung nicht genügt,96 vielmehr ein Vollbeweis notwendig ist. Den ihm obliegenden Beweis kann der Gläubiger etwa durch die Vorlage einer vollstreckbaren Urkunde führen.97 Der Schuldner kann jedoch Einwendungen gegen die Vollstreckbarkeit in dem dafür vorgesehenen Verfahren verfolgen.98 Gelingt ihm dies nicht, braucht das Insolvenzgericht die Einwendungen des Schuldners nicht zu berücksichtigen.99
4. Maßnahmen des Insolvenzgerichts a) Anhörung des Schuldners 94
Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass alle oben genannten Voraussetzungen, – Insolvenzfähigkeit des Schuldners, – inhaltlich und formal ordnungsgemäßer Antrag, – Zuständigkeit, – Glaubhaftmachung von Forderung und Insolvenzgrund, – rechtliches Interesse des Gläubigers, vorliegen, lässt es den Antrag zu. Die Bewertung des Antrags als zulässig stellt keine eigenständige Zwischenentscheidung und ist deshalb – unabhängig von § 6 Abs. 1 InsO – nicht gesondert mit Rechtsmitteln anfechtbar.100 Erst jetzt ist dem Schuldner der Antrag zuzustellen. Er erhält nach § 14 Abs. 2 InsO Gelegenheit zur Stellungnahme (rechtliches Gehör). Das bis dahin einseitige wird hierdurch zu einem zweiseitigen Verfahren.
95
Die Pflicht des Gerichts zur Anhörung des Schuldners ist im Fall des § 10 InsO eingeschränkt.101 Wenn der Schuldner sich im Ausland aufhält und die Anhörung das Verfahren übermäßig verzögern würde oder wenn der Aufenthalt des Schuldners unbekannt ist, kann die Anhörung unterbleiben; allerdings soll an seiner Stelle ein Vertreter oder ein Angehöriger Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten (§ 10 Abs. 1 InsO). Ist zu erwarten, dass Zustellungsaufträge im Ausland ordnungsgemäß erledigt werden, hat das Gericht eine Auslandszustellung zu veranlassen. Entsprechendes gilt bei einem Schuldner, der keine natürliche Person ist, für seine organschaftlichen Vertreter oder Gesellschafter (§ 10 Abs. 2 InsO).
96
Sicherungsmaßnahmen können wegen der allgemein zu befürchtenden Gefährdung des Sicherungszwecks ohne vorherige Anhörung des Schuldners erlassen werden. Nach Kenntnisnahme des Sicherungsbeschlusses ist dem Schuldner in diesem Fall eine nachträgliche Anhörung zu gewähren.102
96 BGH v. 23.6.2016 – IX ZB 18/15, NZI 2016, 732 Rz. 12 = ZIP 2016, 1447; BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 141/06, ZInsO 2007, 604 = ZIP 2007, 1226 mit dem Hinweis darauf, dass die Berechtigung einer Verjährungseinrede gegen die nicht titulierte insolvenzbegründende Forderung grds. nur im Prozesswege überprüft werden kann; vgl. auch BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, MDR 2007, 52 = ZIP 2006, 1456 sowie AG Göttingen v. 4.1.2013 – 71 IN 100/11 NOM, ZIP 2013, 1347; a.A. LG Itzehoe v. 21.4.1989 – 1 T 22/89, KTS 1989, 730. 97 BGH v. 29.6.2006 – IX ZB 245/05, MDR 2007, 50 = ZIP 2006, 1452 = WM 2006, 1632. 98 BGH v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, MDR 2008, 344 = ZIP 2008, 281 = WM 2008, 227. 99 BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 177/09, MDR 2010, 594 = ZIP 2010, 291; BGH v. 17.9.2009 – IX ZB 26/08, ZInsO 2009, 2072. 100 BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, MDR 2007, 52 = ZIP 2006, 1456 = NZI 2006, 590 Rz. 6. 101 Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 14 InsO Rz. 131. 102 BGH, Beschl. v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, NZI 2011, 680 Rz. 13 = ZIP 2011, 1875.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 103 § 9
Kommt es zu einer persönlichen Anhörung des Schuldners, hat der Gläubiger kein Recht auf Anwesenheit. Ihm ist jedoch rechtliches Gehör zu gewähren, wenn das Gericht den Insolvenzantrag zurückweisen will. Ihm ist insbesondere ein evtl. erstelltes Sachverständigengutachten zur Kenntnis zu geben.
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Viele Schuldner zeigen auch überhaupt keine Reaktion. Ihr Schweigen wird von der Literatur als Bestreiten des Insolvenzgrundes angesehen.103 Bestreitet dagegen der Schuldner die Zulässigkeitsvoraussetzungen und/oder den Insolvenzgrund, hat das Gericht Amtsermittlungen anzustellen.
98
b) Amtsermittlungspflicht und Gutachterbestellung Auch wenn mit der Zulassung des Antrages ein zweiseitiges Verfahren beginnt, bleibt es für einige Bereiche ein Amtsverfahren. § 5 InsO bestimmt, das Gericht habe von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Hierzu korrespondierend wird in § 20 Abs. 1 InsO eine Auskunftspflicht des Schuldners normiert.
99
Nach § 97 InsO hat der Schuldner auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat herbeizuführen. Es besteht dann allerdings im Strafverfahren ein – theoretisches – Verwertungsverbot.104 Außerdem soll der Geschäftsführer ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, soweit dies für eine eigene zivilrechtliche Inanspruchnahme von Bedeutung sein könnte.105 Das Gericht kann nach § 98 InsO zur Durchsetzung der Pflichten des Schuldners die zwangsweise Vorführung und Haft anordnen.106 Die Beschwerde gegen die Haftanordnung hat aufschiebende Wirkung.107
100
Bei vielen Gerichten wird nach Eingang und Zulassung des Insolvenzantrages zunächst ein Gutachter bestellt, der nicht gleichzeitig die Funktion des vorläufigen Insolvenzverwalters hat, also die Bestellung alleine auf § 5 InsO gestützt. Wenn es dort heißt, das Gericht könne „Sachverständige vernehmen“, so bedeutet dies in der Praxis, dass der Sachverständige seine Aussagen schriftlich macht, also ein Gutachten erstellt. Die Bestellung eines Gutachters erfolgt regelmäßig deshalb, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts begrenzt sind.
101
Die Ermittlungsbefugnisse des nach § 5 InsO bestellten Sachverständigen bewegen sich nur im Rahmen der §§ 402 ff. ZPO. Der Sachverständige kann Dritte – bspw. Banken und Steuerberater – nicht zu Auskünften zwingen. Das Gericht kann den Sachverständigen auch nicht zur Einholung von Auskünften bei der Bank des Schuldners ermächtigen.108 Die Räume des Schuldners kann er nur mit dessen Einverständnis betreten;109 das Gleiche gilt für die Einsichtnahme in seine Geschäftsbücher. Vor allem besteht eine Auskunftspflicht des Schuldners nicht gegenüber dem Gutachter, sondern nur gegenüber dem Insolvenzgericht. Die isolierte Bestellung des Sachverständigen ist deshalb nur sinnvoll, wenn alle Insolvenzbeteiligten kooperativ sind.
102
Anders ist die Situation bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter, der gleichzeitig einen Gutachtenauftrag erhält. Dieser kann die Auskunftspflicht des Schuldners mit Zwangsmitteln durchsetzen, §§ 22 Abs. 3, Satz 3, 98 InsO. Er ist außerdem kraft Gesetzes berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten, dort Nachforschungen anzustellen, insbesondere Einsicht in alle Geschäftsunterlagen zu nehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er auch von Dritten die Vorlage von Unterlagen
103
103 104 105 106
Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 14 Rz. 17; ähnlich Kirchhof in HK/InsO, § 14 Rz. 48. Zur Weiterleitung des Eröffnungsgutachtens an die Staatsanwaltschaft Tetzlaff, NZI 2005, 316. LG Ingolstadt v. 30.8.2004 – 1T 1333/04, 1 T 1333/04, ZIP 2005, 275. Zur entsprechenden Abwägung durch das Gericht BGH v. 23.10.2003 – v. 18.3.2004 – IX ZB 159/03, NZI 2004, 86. 107 Hierzu Ahrens, NZI 2005, 299; a.A. LG Göttingen v. 17.12.2004 -10 T 133/04, NZI 2005, 339. 108 LG Göttingen v. 22.10.2002 – 10 T 57/02, NZI 2003, 38 mit zustimmender Anm. Vallender. 109 BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, MDR 2004, 1022 = ZIP 2004, 915; Bähr, EWiR 2004, 499.
Riewe | 673
§ 9 Rz. 103 | Beratung des ungesicherten Gläubigers verlangen.110 Hingegen ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, die Räume eines am Eröffnungsverfahren nicht beteiligten Dritten zu durchsuchen.111 104
Der Sachverständige wird in seinem Gutachten bestimmte Empfehlungen geben, denen das Gericht jedoch nicht folgen muss. Es kann auch noch ergänzende Auskünfte verlangen. Dem antragstellenden Gläubiger gegenüber ist der Sachverständige allerdings nicht zu Auskünften verpflichtet. Im Übrigen hat der Sachverständige das Gutachten unverzüglich zu erstellen. Irgendwelcher Vermittlungstätigkeit hat er sich zu enthalten, aber auch kein Geld in Empfang zu nehmen, um es an den antragstellenden Gläubiger weiterzuleiten.112
105
Die Honorierung des Gutachters erfolgt nach dem JVEG. Die Vergütung ist Teil der Kosten des Insolvenzverfahrens i.S.d. § 54 InsO (Auslagen nach GKG).
c) Sicherungsmaßnahmen im Überblick 106
Das Insolvenzgericht hat nach § 21 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten, dies in Ausnahmefällen selbst dann, wenn die Zulässigkeit des Antrags noch nicht sicher beurteilt werden kann.113 Die Sicherungsmaßnahmen können wegen der allgemein zu befürchtenden Gefährdung des Sicherungszwecks auch ohne die vorherige Anhörung des Schuldners erlassen werden.114 Zuständig ist im Insolvenzantragsverfahren der Insolvenzrichter.
107
§ 21 Abs. 2 InsO nennt sechs wichtige Maßnahmen und bringt mit der Formulierung („insbesondere“) zum Ausdruck, dass auch noch andere Maßnahmen möglich sind. In § 21 Abs. 3 InsO wird dann schließlich – sozusagen als Steigerung – erwähnt, dass das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen kann, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen.
108
Welche Sicherungsmaßnahmen das Gericht anordnet, steht in seinem Ermessen. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu beachten. So wird etwa eine Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume nur zulässig sein, wenn zuvor die Vernehmung des Schuldners in einem Anhörungstermin versucht worden ist.115
109
Die wichtigsten Maßnahmen im Überblick: – Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (Abs. 2 Ziff. 1); – Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (Abs. 2 Ziff. 1a);116 – Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots (Abs. 2 Ziff. 2); – Anordnung, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (Zustimmungsvorbehalt – Abs. 2 Ziff. 2); – Untersagung oder einstweilige Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner (Abs. 2 Ziff. 3); 110 AG Mönchengladbach v. 6.12.2002 – 32 IN 11/02, ZInsO 2003, 42. 111 BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, MDR 2009, 1413 = ZIP 2009, 2068; kritisch hierzu Frind, EWiR 2010, 21. 112 OLG Köln v. 16.3.2004 – 22 U 148/03, ZIP 2004, 919 m. Bespr. Pape, EWiR 2004, 607. 113 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, MDR 2007, 909 = ZIP 2007, 878 = NZI 2007, 344; Pape, EWiR 2007, 599. 114 BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875. 115 LG Göttingen v. 12.4.2007 – 10 T 10/07, ZIP 2007, 2007. 116 Vgl. LG Kleve v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992 mit krit. Anm. Haarmeyer, ZInsO 2013, 1039; Vallender, MDR 2012, 61; im Übrigen vgl. Rz. 372.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 114 § 9
– Anordnung einer vorläufigen Postsperre (Abs. 2 Ziff. 4); – Anordnung eines Verwertungsverbots (Abs. 2 Ziff. 5); zwangsweise Vorführung und Inhaftierung des Schuldners (Abs. 3); – Erlass von Aufenthaltsbeschränkungen (Abs. 3); – Schließung der Geschäftsräume; – Anordnung der Betriebsfortführung; – Ermächtigung des vorläufigen Verwalters zur Stilllegung und Schließung des Betriebes; – Siegelung von Räumen; – Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen; – Gestattung von Verwertungshandlungen des vorläufigen Verwalters im Einzelfall (zur Verhinderung von Nachteilen für das Schuldnervermögen); – Beschlagnahme und Verfügungsverbot hinsichtlich einzelner Vermögenswerte, insbesondere Guthaben oder Forderungen des Schuldners (u.a. Kontensperre); – Verbot der Herausgabe von Gegenständen an Absonderungsberechtigte; – isolierte Beauftragung eines Sachverständigen. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist in der Praxis die wohl wichtigste Sicherungsmaßnahme im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber gerade diese Sicherungsmaßnahme an den Anfang seiner nicht als abschließend zu qualifizierenden Auflistung („insbesondere“) von in Betracht kommenden Sicherungsmaßnahmen gestellt hat, § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO. Ausführlich zum vorläufigen Insolvenzverwalter s. § 22 Rz. 20 ff. dieses Buches.
110
5. Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung a) Allgemeines Bei dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 13 Abs. 1 InsO handelt es sich um eine Prozesshandlung. Der Antrag ist dementsprechend nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts anfechtbar. Der Antrag kann jedoch bis zum Wirksamwerden des Eröffnungsbeschlusses bzw. bis zur Rechtskraft des Beschlusses über die Ablehnung der Eröffnung mangels Masse zurückgenommen werden, § 13 Abs. 2 InsO. Die Rücknahme erfolgt durch einseitige Erklärung gegenüber dem Gericht. Da eine mündliche Verhandlung über den Eröffnungsantrag nicht stattfindet, greift § 269 Abs. 1 ZPO nicht ein. Konsequenz: Eine Zustimmung des Antragsgegners ist nicht erforderlich.
111
Hintergrund einer Rücknahme des Insolvenzantrages durch den antragstellenden Gläubiger wird typischerweise der Fall einer erfolgten Befriedigung seiner Forderung sein.
112
b) Kosten Nach den allgemeinen Grundsätzen sind vom Antragsteller bei Rücknahme seines Antrags die Kosten des Verfahrens einschließlich der Auslagen zu tragen (§ 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO).
113
Gerade für den Fall des Ausgleichs der Forderung des antragstellenden Gläubigers ist zwischenzeitlich allerdings die Regelung in § 14 InsO zu berücksichtigen, wonach zunächst der Antrag des Gläubigers
114
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§ 9 Rz. 114 | Beratung des ungesicherten Gläubigers trotz zwischenzeitlicher Erfüllung der Forderung durch den Schuldner zulässig bleiben kann.117 Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO besteht für den Gläubiger daher nicht mehr die Notwendigkeit, seinen Antrag zurückzunehmen oder diesen für erledigt zu erklären.118 Nach § 14 Abs. 3 InsO hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn er die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung erfüllt und der Antrag als unbegründet abgewiesen wird. Zu beachten ist, dass nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 3 InsO dem Schuldner auch dann die Kosten des Verfahrens auferlegt werden könnten, wenn der Gläubiger einen ursprünglich unbegründeten Insolvenzantrag stellte. Daher wird überwiegend anhand einer engen Wortlautauslegung des § 14 Abs. 3 InsO die Auffassung vertreten, die Kostenfolge dürfe nur beim Vorliegen eines ursprünglich zulässigen und begründeten Insolvenzantrages eintreten.119 115
Erledigt sich der Antrag des Antragstellers vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf sonstige Weise, besteht für den Antragsteller die Möglichkeit seinen Antrag gem. § 4 InsO, § 91a ZPO für erledigt zu erklären, wenn dieser nachträglich unzulässig und unbegründet geworden ist.120 Haben der Gläubiger und der Schuldner das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt, wird das Gericht gem. § 4 InsO, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstands durch Beschluss über die Kosten entscheiden. Verweigert dagegen der Schuldner seine Zustimmung, so sind nach den Grundsätzen der einseitigen Erledigungserklärung im ordentlichen Zivilprozessverfahren die Kosten dem Schuldner aufzuerlegen, wenn der Antrag ursprünglich zulässig war und sich durch ein nachträgliches Ereignis erledigt hat.121 Kommt das Insolvenzgericht hingegen zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unabhängig von dem nachträglich eingetretenen Ereignisses als unzulässig oder unbegründet hätte abgewiesen werden müssen, so trägt der Gläubiger die Kosten des Verfahrens.122
116
Gegen die Kostenentscheidung des Insolvenzgerichts ist die sofortige Beschwerde nach §§ 6, 34 Abs. 2 InsO statthaft.123
6. Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den antragstellenden Gläubiger a) Eröffnung des Verfahrens 117
Eine Verfahrenseröffnung darf der Richter nur beschließen, wenn die Sache „ausermittelt“ ist, wenn also aufgrund vorgelegter Unterlagen und evtl. ergänzender Amtsermittlung zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass – der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Eröffnung hat, – ein Eröffnungsgrund vorliegt und – die Verfahrenskosten gedeckt sind.
118
Zum Inhalt und den Folgen des Eröffnungsbeschlusses s. unten Rz. 184 ff.
117 K. Schmidt/Gundlach, § 14 InsO Rz. 31. 118 K. Schmidt/Gundlach, § 14 InsO Rz. 32; vgl. auch „Die Kölner Insolvenzrichter“, ZIP 2013, 1456. 119 LG Bonn v. 7.12.2011 – 6 T 258/11, ZIP 2012, 1362; AG Köln v. 17.7.2013 – 73 IN 272/11; Marotzke, ZInsO 2010, 2168; Gundlach/Rautmann, DStR 2011, 84. 120 BGH v. 11.11.2004 – IX ZB 258/03, MDR 2005, 595 = ZIP 2005, 91; Kexel in Graf-Schlicker, InsO, § 14 Rz. 43. 121 BGH v. 11.11.2004 – IX ZB 258/03, MDR 2005, 595 = ZIP 2005, 91; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 13 Rz. 148 ff.; Kexel in Graf-Schlicker, InsO, § 14 Rz. 48; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 13 Rz. 69; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 13 Rz. 149. 122 OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 39/01, ZIP 2001, 1018. 123 OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 39/01, ZIP 2001, 1018.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 125 § 9
b) Zurückweisung wegen Unzulässigkeit Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine Prozesshandlung, so dass bei Fehlen einer zwingenden Zulässigkeitsvoraussetzung und Aufrechterhaltung des Antrages trotz entsprechenden Hinweises durch das Gericht, dieser als unzulässig zurückzuweisen ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter Rz. 184 ff. verwiesen.
119
c) Zurückweisung wegen Unbegründetheit Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt gem. § 16 InsO voraus, dass ein Insolvenzgrund gegeben ist (s. hierzu im Einzelnen § 1). Kann sich das Insolvenzgericht nicht die für eine Verfahrenseröffnung notwendige Überzeugung vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes verschaffen, ist der Antrag als unbegründet zurückzuweisen.
120
Bei den Anforderungen an die richterliche Überzeugung ergeben sich Differenzierungen danach ob der Schuldner selbst in einem Eigenantrag das Vorliegen eines Insolvenzgrundes einräumt oder ob „lediglich“ ein Gläubigerantrag vorliegt. Hat nur der Gläubiger die Verfahrenseröffnung beantragt wird das Gericht insbesondere dann zugunsten des Schuldners entscheiden und den Antrag abweisen, wenn Forderungen des Antragstellers bestritten werden, diese aber erst bei Bestehen die Zahlungsunfähigkeit begründen würden.124
121
Dagegen kann das Gericht regelmäßig davon ausgehen, dass bei einem Eigenantrag des Schuldners auch Insolvenzreife vorliegt, dass also der Antrag nicht ohne wichtigen Grund gestellt wurde. Gelegentlich könnte allerdings auch der Verdacht bestehen, der Schuldner wolle das Verfahren lediglich dazu nutzen, sich von unliebsamen Verbindlichkeiten zu befreien. Solchen Zweifeln kann das Gericht regelmäßig nur durch Einsetzung eines Gutachters begegnen.
122
Hinweis: Die Zurückweisung eines Insolvenzantrages als unbegründet hindert nicht die Stellung eines neuen Antrages.125
123
Im Falle der Zurückweisung des Antrags durch das Gericht kann der Schuldner die Erstattung der ihm entstandenen Kosten beanspruchen. Dies betrifft alle Kosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren.126 Es handelt sich insoweit um Kosten des Verfahrens, die vom Antragsteller zu tragen sind.
124
Darüber hinaus kommen möglicherweise Ersatzansprüche des Schuldners gegen den Gläubiger aus unerlaubter Handlung in Betracht. Ein fahrlässig gestellter, unbegründeter Insolvenzantrag verletzt allerdings nicht das Recht des Schuldners am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.127 Derjenige, der ein staatliches Verfahren in Anspruch nimmt, hat ein „Recht auf Irrtum“. Eine Ersatzpflicht des Antragstellers ist wohl erst dann anzunehmen, wenn der Antrag erkennbar rechtsmissbräuchlich gestellt wird, um etwa den Schuldner zu schädigen oder eigene, nicht vom Gesetz gedeckte Vorteile zu erlangen.
125
124 125 126 127
BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, MDR 2007, 52 = ZIP 2006, 1456. BGH v. 5.8.2002 – IX ZB 51/02, MDR 2002, 1393 = NZI 2002, 601. LG Köln v. 10.7.1956 – 1 T 227/56, KTS 1956, 127; K. Schmidt, § 13 InsO Rz. 45. BGH v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, NJW 1961, 2254; BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, NJW 1979, 1361; BGH v. 15.2.1990 – III ZR 293/88, MDR 1990, 803 = ZIP 1990, 805; OLG Düsseldorf v. 28.10.1993 – 10 U 17/93, ZIP 1994, 479; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 13 Rz. 111a (22. Lfg. 2/2005), 112; Pape, ZIP 1995, 623.
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§ 9 Rz. 126 | Beratung des ungesicherten Gläubigers
d) Zurückweisung mangels Masse 126
Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Gericht den Antrag auf Eröffnung abzuweisen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens, § 54 InsO, zu decken.128 Das Vermögen des Schuldners muss die in § 54 InsO genannten Kosten des Verfahrens decken. Reicht das Vermögen hierzu voraussichtlich nicht aus, weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung ab. Diese Entscheidung ist nicht öffentlich bekannt zu machen.129 aa) Feststellung der Kostendeckung
127
Vor Erlass des entsprechenden Beschlusses hat das Gericht das Vermögen des Schuldners von Amts wegen zu ermitteln, vgl. § 5 Abs. 1 InsO, so dass eine Abweisung nicht ohne weiteres ausschließlich aufgrund von Angaben des Schuldners zu erfolgen hat. Die Prüfung der Massekostendeckung erfolgt regelmäßig nicht durch das Gericht selbst, sondern wird durch den Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter vorgenommen (vgl. § 22 Rz. 34 f., 38).
128
Materiell kommt es aufgrund der Formulierung des § 26 InsO und der Definition der Verfahrenskosten in § 54 InsO alleine darauf an, dass die Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren sowie die Vergütung und die Auslagen130 des vorläufigen Insolvenzverwalters, des endgültigen Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses gedeckt sind.131
129
Der Begriff der zur Verfahrensdeckung heranzuziehenden Masse ergibt sich aus §§ 35, 36 InsO. Als Vermögen des Schuldners erfasst sind danach alle diesem gehörenden pfändbaren Gegenstände. Gegenstände, an denen Aussonderungsrechte bestehen, § 47 InsO, werden nicht berücksichtigt. Gegenstände, an denen Absonderungsrechte i.S.d. §§ 49–51 InsO bestehen, werden lediglich in Höhe des aus der Verwertung voraussichtlich resultierenden Kostenbeitrages berücksichtigt. Ebenso sind in die Ermittlung begründete Aussichten auf Realisierung bestehender oder auch erst im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, z.B. durch die Anfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO, mögliche Ansprüche einzubeziehen.
130
Eine Massekostendeckung ist auch in denjenigen Fällen gegeben, in denen die erforderliche Masse erst durch entsprechende Handlungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens, z.B. Verwertung der Masse oder Insolvenzanfechtung, erlangt werden kann. Dabei kann durchaus auf einen Zeitraum von einem Jahr ab der Verfahrenseröffnung abgestellt werden.132
131
Demgegenüber kann eine Entscheidung über die Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse nicht durch den nachträglichen Ausgleich der Forderung des Antragstellers zu Fall gebracht werden. Die spätere Befriedigung der Forderung des Gläubigers ändert nämlich nichts an der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Insolvenzgerichts die Voraussetzungen für eine Abweisung mangels Masse gegeben waren.133
128 Erzielbare Verwertungskostenbeiträge nach §§ 170 f. InsO sind bei der Feststellung des verwertbaren Vermögens zu berücksichtigen, vgl. hierzu BGH v. 10.2.2011 – IX ZB 35/10, ZIP 2011, 1531. 129 Keller, ZIP 2003, 149 ff. 130 Hier weit auslegend Rattunde/Röder, DZWiR 1999, 309 ff.; s. zur Gesamtproblematik Frenzel/Schmidt, InVo 2000, 149 und zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen AG Charlottenburg v. 3.5.1999 – 107 IN 299/99, ZIP 1999, 1687. 131 Zur Berücksichtigung der Deckung der Fortführungskosten vgl. Nerlich/Römermann/Mönning/Zimmermann, 41. EL April 2020, InsO § 26 Rz. 51–56. 132 BGH v. 17.6.2003 – IX ZB 476/02, NZI 2004, 30 = ZIP 2003, 2171. 133 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 121/10, MDR 2011, 262 = ZIP 2011, 90; zustimmend Grundlach/Müller, EWiR 2011, 155.
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III. Beratung zum Gläubigerinsolvenzantrag | Rz. 139 § 9
Können lediglich die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht abgedeckt werden, so kann das Insolvenzverfahren dennoch eröffnet werden. Im eröffneten Verfahren ist dann vom Insolvenzverwalter nach § 208 InsO die Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht anzuzeigen (hierzu näher unten Rz. 466).
132
Eine natürliche Person kann die Abweisung mangels Masse vermeiden, wenn sie nach § 4a InsO die Kostenstundung beantragt. Notwendig ist jedoch ein Antrag auf Restschuldbefreiung. Die Entscheidung über die Stundung erfolgt für jeden Verfahrensabschnitt gesondert (§ 4a Abs. 3 Satz 2 InsO). Näher hierzu § 18 Rz. 731 ff.
133
bb) Verfahrenskostenvorschuss Reicht das vorhandene Vermögen nicht aus, so kann die Eröffnung des Verfahrens dadurch erreicht werden, dass ein Verfahrensbeteiligter einen Vorschuss in entsprechender Höhe leistet. Wird das Verfahren mangels Masse abgewiesen, ist der Schuldner – wieder – dem Zugriff der einzelnen Gläubiger ausgesetzt.
134
Das Insolvenzgericht kann dem Antragsteller oder, bei Eigenantrag des Schuldners, einem an der Verfahrenseröffnung interessierten Gläubiger die Leistung eines Vorschusses aufgeben. Die Anforderung kann formlos erfolgen, eine Anforderung in Form eines Beschlusses ist nicht zwingend vorgesehen. Eine Vorschusspflicht des betroffenen Gläubigers besteht jedoch nicht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei Nichtleistung des Vorschusses die Abweisung des Antrages nach § 26 Abs. 1 InsO erfolgt. Bei der Vorschussleistung darf keine Zweckbestimmung erfolgen, die über den Wortlaut des § 26 InsO hinausgeht, auch nicht etwa in der Weise, dass eine Eigenverwaltung zur Bedingung gemacht wird.134
135
Ein geleisteter Vorschuss ist nicht Bestandteil der Insolvenzmasse; er ist ausschließlich für die Deckung der Verfahrenskosten zu verwenden und insoweit zweckgebunden. Soweit die Verfahrenskosten durch die Insolvenzmasse abgedeckt werden, ist ein Vorschuss daher an den antragstellenden Gläubiger zurückzuzahlen.
136
Dem Vorschussleistenden steht daneben nach § 26 Abs. 3 und 4 InsO ein Erstattungsanspruch gegen diejenige Person zu, die es nach gesellschaftsrechtlichen Regelungen pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.135 Dabei hat nach Satz 2 dieser Vorschrift der Anspruchsinhaber Verschulden und Pflichtwidrigkeit nicht zu beweisen. Vielmehr obliegt es dem Anspruchsgegner, einen Entlastungsbeweis zu führen.
137
Notwendige, aber auch hinreichende Voraussetzung dieses Erstattungsanspruchs ist, dass es sich bei dem vorgeschossenen Betrag nach objektiven Kriterien um einen Massekostenvorschuss handelte.136 Das Risiko einer mit Verfahrensfehlern behafteten Fehlprognose des Insolvenzgerichts ist demgegenüber dem Anspruchsgegner zuzuweisen, wenn etwa der vom Insolvenzgericht bestellte Sachverständige fehlerhaft die Massearmut ermittelt und das Gericht entgegen seiner Amtsermittlungspflicht dem ohne weitere Sachaufklärung folgt.137
138
cc) Kostenentscheidung Im Falle einer Abweisung mangels Masse steht die Frage im Vordergrund, wer die insoweit entstandenen Kosten zu tragen hat. Die Insolvenzordnung sieht hierfür keine ausdrückliche Regelung vor. In entsprechender Anwendung von § 91 ZPO i.V.m. § 4 InsO sind bei Abweisung eines Gläubigerantrags
134 135 136 137
BGH v. 7.7.2005 – v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, MDR 2007, 739 = ZIP 2007, 394 = NZI 2006, 34. Hierzu Marotzke, ZInsO 2013, 1940. Vgl. BGH v. 14.11.2002 – IX ZR 40/02, ZInsO 2003, 28 = NZI 2003, 324. BGH v. 15.1.2009 – IX ZR 56/08, MDR 2009, 528 = ZIP 2009, 571; zustimmend Voß, EWiR 2009, 247.
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139
§ 9 Rz. 139 | Beratung des ungesicherten Gläubigers mangels Masse dem Schuldner die Verfahrenskosten einschließlich der Auslagen aufzuerlegen.138 Hier hindert die Massearmut i.S.d. § 207 InsO i.V.m. § 26 InsO als objektives Verfahrenshindernis die Eröffnung des Verfahrens. Die Abweisung des Antrags erfolgt also nicht deshalb, weil der Antrag unbegründet ist, sondern aus Gründen, die ausschließlich in der Person des Schuldners liegen. Sind nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt, hat der Antragsteller im Verhältnis zum Antragsgegner, dem Schuldner, in vollem Umfang obsiegt. Bei zulässigem und begründetem Gläubigerantrag hat der Schuldner gerade Anlass zu der Einleitung des Insolvenzverfahrens gegeben, so dass die Kostenentscheidung in aller Regel gegen ihn zu ergehen hat. 140
Hinweis: Problematisch ist insofern, dass nach § 23 Abs. 1 GKG der Antragsteller bei Ausfall des Schuldners als Zweitschuldner haftet. Dies kann insbesondere aufgrund der damit verbundenen Haftung für Auslagen zu einer erheblichen Inanspruchnahme führen. Von der Haftung erfasst sind insbesondere Sachverständigenkosten.139 Nicht zu den Auslagen zählt demgegenüber die Vergütung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, da diese nicht im Kostenverzeichnis aufgeführt ist.140
e) Rechtsmittel für Gläubiger 141
Ausgehend vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit (§ 6 Abs. 1 InsO), bedarf es für eine Rechtsschutzmöglichkeit des Gläubigers einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, dass die Entscheidung des Insolvenzgerichts der sofortigen Beschwerde unterliegt. Die für die jeweilige Beschwerdemöglichkeit maßgeblichen Bestimmungen finden sich über den § 6 InsO hinaus in den Vorschriften des zivilprozessualen Beschwerderechts. Diese §§ 567–577 ZPO finden gem. § 4 InsO für das Insolvenzverfahren entsprechende Anwendung, soweit die Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt141 (s. hierzu auch § 18 Rz. 156 ff.). Seit dem 1.1.2014 müssen die Insolvenzgerichte ihre Entscheidungen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.142
142
Das Bedürfnis nach Rechtsschutz besteht insbesondere in dem Fall, dass die vom Gläubiger beantragte Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgelehnt wird. Diesem Bedürfnis wird § 34 Abs. 1 InsO gerecht und räumt dem Antragsteller die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Abweisung der Verfahrenseröffnung ein. Für den antragstellenden Gläubiger spielt es keine Rolle, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Feststellbarkeit eines Insolvenzgrundes, Nichtvorliegens einer zur Antragstellung berechtigenden Forderung oder mangels Masse abgewiesen wird. Der antragstellende Gläubiger ist in jedem Fall beschwerdeberechtigt.143 Der Schuldner hingegen ist bei einer Abweisung des Verfahrens mangels Masse auch dann beschwerdeberechtigt, wenn kein Eigenantrag vorliegt144 (vgl. § 18 Rz. 158).
143
Legt der antragstellende Gläubiger gegen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts sofortige Beschwerde ein, so hat dies innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Verkündung, Zustellung oder öffentlicher Bekanntmachung zu erfolgen (§§ 6 Abs. 2, 8, 9 InsO). Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO in der seit Inkrafttreten des ESUG geltenden Fassung kann die sofortige Beschwerde nur beim Insolvenzgericht eingelegt werden. Die zwingende Einlegung der Beschwerde beim Insolvenzgericht hat den
138 Mönning/Zimmermann in Nerlich/Römermann, 42. EL Februar 2021, § 26 InsO Rz. 154; Vallender, InVo 1997, 4. 139 OLG Köln v. 28.1.2010 – 17 W 343/09, MDR 2010, 596 = ZIP 2010, 637 = NJW-RR 2010, 929; LG Göttingen v. 14.4.2009 – 10 T 25/09, ZIP 2010, 147 = NZI 2009, 729. 140 BGH v. 26.1.2006 – IX ZB 231/04, MDR 2006, 1068 = ZIP 2006, 431 = NZI 2006, 239. 141 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 4 InsO Rz. 88. 142 Hierzu Zipperer, NZI 2013, 965. 143 BeckOK InsO/Farian, 23. Ed. 15.4.2021, § 34 InsO Rz. 9. 144 BeckOK InsO/Farian, 23. Ed. 15.4.2021, § 34 InsO Rz. 10.
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IV. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren | Rz. 149 § 9
Vorteil, dass der Insolvenzrichter sofort überprüfen kann, ob er von seiner Abhilfebefugnis nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gebrauch machen will.145 Die sofortige Beschwerde kann schriftlich – auch per Telegramm, Telefax, Computerfax (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO) oder, wenn die Landesregierungen eine entsprechende Verordnung erlassen haben, als elektronisches Dokument nach § 130a ZPO – oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden (§ 4 i.V.m. § 569 Abs. 2, 3 ZPO).146
144
Im Hinblick auf die Entscheidungen des Beschwerdegerichts eröffnete § 7 InsO a.F. generell die Rechtsbeschwerde. Mit Wirkung vom 27.10.2011 ist jedoch § 7 InsO ersatzlos aufgehoben worden mit der Folge, dass seither auch insoweit die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde in den §§ 574 ff. ZPO heranzuziehen sind. Danach bedarf die Rechtsbeschwerde nunmehr stets der Zulassung.147 Der Gesetzgeber sah für die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde keine Notwendigkeit mehr; die wesentlichen Streitfragen seien geklärt.148
145
Nach Ablehnung eines Insolvenzantrags mangels Masse ist auch bei einer GmbH ein neuer Gläubigerinsolvenzantrag mit dem Ziel der Eröffnung möglich, wenn glaubhaft gemacht wird, dass inzwischen ausreichende Vermögenswerte vorhanden sind, welche die Massekosten decken.149
146
IV. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren 1. Allgemeines Die meisten Gläubiger werden nicht selbst aktiv, um einen Insolvenzantrag über das Vermögens ihres Schuldners zu stellen, sondern werden irgendwann mit der Information konfrontiert, dass ein Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners gestellt wurde. Viele Gläubiger werden auch erst in dieser Situation erfahren, dass ihr Schuldner sich in einer wirtschaftlichen Lage befindet, die (möglicherweise) die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens rechtfertigt. Für den Gläubiger stellt sich dann die Frage, wie er sich verhalten sollte, um seine Rechte und im Ergebnis seine wirtschaftlichen Interessen bestmöglich zu wahren.
147
2. Informationserlangung durch Gläubiger im Insolvenzantragsverfahren Als Grundlage aller weiteren Maßnahmen wird der Gläubiger oft zunächst zusätzliche Informationen über den Verfahrensstand und die konkretere Situation des Schuldners erlangen wollen.
148
Erster Ansatzpunkt der Informationserlangung auch für den beratenden Anwalt sind die Veröffentlichungen zum Insolvenzverfahren unter www.insolvenzbekanntmachungen.de. Dort lässt sich zum Verfahrensstand mindestens feststellen, ob bereits ein Eröffnungsbeschluss bekannt gemacht wurde (vgl. §§ 30 Abs. 1, 9 InsO). Ist während des Insolvenzantragsverfahrens zunächst ein vorläufiger Insolvenzverwalter unter Anordnung von Verfügungsbeschränkungen bestellt worden, lässt sich dem veröffentlichten Beschluss insbesondere die bestellte Person entnehmen. Zu beachten sind allerdings auch die Grenzen der veröffentlichten Informationen. So ist zunächst ein gewisser Zeitverzug bei der Veröffentlichung zu berücksichtigen. Wie bereits dargestellt werden zudem keineswegs sämtliche
149
145 Ganter in MünchKomm/InsO/Bruns, 4. Aufl. 2019, § 6 InsO Rz. 40. 146 Zum 1.1.2022 wird eine Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument eingeführt (§ 130d ZPO), vgl. Ganter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 6 InsO Rz. 40. 147 Uhlenbruck/Pape, 15. Aufl. 2019, § 7 InsO Rz. 4. 148 BT-Drucks. 17/5334, 8. 149 BGH v. 5.8.2002 – IX ZB 51/02, MDR 2002, 1393 = NZI 2002, 601 = ZIP 2002, 1695; LG Zweibrücken v. 20.1.2005 – 4 T 230/04, NZI 2005, 397.
Riewe | 681
§ 9 Rz. 149 | Beratung des ungesicherten Gläubigers Vorgänge im Zusammenhang mit einem Insolvenz(antrags)verfahren veröffentlicht, insbesondere nicht die Antragstellung als solche. 150
Die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts ist grundsätzlich zu Auskünften berechtigt und verpflichtet. Der Umfang der Auskunft richtet sich dabei nach dem jeweiligen Verfahrensabschnitt. Im Eröffnungsverfahren ist außerdem zu berücksichtigen, wer den Eröffnungsantrag gestellt hat. Bei einem Eigenantrag des Schuldners ist eine unbeschränkte Auskunft zum Verfahrensstand zulässig. Liegt dagegen „nur“ ein Gläubigerantrag vor, ist ein rechtliches Interesse des Anfragenden erforderlich. Insofern findet § 299 Abs. 2 ZPO (i.V.m. § 4 InsO) Anwendung.
151
Die Insolvenzordnung sieht an verschiedenen Stellen vor, dass die gerichtlichen Insolvenzakten durch Verfahrensbeteiligte eingesehen werden können, z.B. in §§ 66 Abs. 2 Satz 2, 150, 154, 175, 188 Satz 2, 234 InsO. Darüber hinaus eröffnet § 4 InsO die entsprechende Anwendung von Vorschriften der ZPO. In Bezug auf ein Akteneinsichtsrecht150 ist insofern § 299 ZPO einschlägig.151
152
Gemäß § 299 Abs. 1 ZPO dürfen Beteiligte grundsätzlich in jedem Verfahrensabschnitt die Akten einsehen; das Einverständnis der übrigen Beteiligten ist nicht erforderlich. Bei der Entscheidung über ein entsprechendes Ersuchen besteht kein Ermessen.152 Ein Einsichtsrecht soll grundsätzlich nicht nur bezüglich der bei Gericht geführten Akten, sondern auch für die Verwalterakten bestehen,153 was in dieser Allgemeinheit (welche Aktenbestandteile?) zu weit gehend ist.
153
Voraussetzung für das Recht auf Akteneinsicht durch einen Gläubiger im Antragsverfahren ist, dass dieser Beteiligter i.S.d. § 299 ZPO ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Gläubiger Antragsteller ist, und zwar auch dann, wenn der Gläubiger die Forderung bisher noch nicht angemeldet hat.154 Potentielle Insolvenzgläubiger sind im Rahmen des Eröffnungsverfahrens (noch) nicht beteiligt. Sie gelten als Dritte. Erst nach Eröffnung des Verfahrens sind alle Insolvenzgläubiger auch „Partei“ i.S.d. § 299 ZPO.
154
Eine andere Frage ist, in welcher Weise die Akteneinsicht zu gewähren ist, nur auf der Geschäftsstelle des zuständigen Insolvenzgerichts oder auch durch Übersendung an den Anwalt, der sich für seinen Mandanten informieren will. Dies sehen die Gerichte uneinheitlich. Bei einem abgeschlossenen Verfahren werden die Akten bei Gericht nicht ständig gebraucht. Hier ist zumindest die Versendung an ein für den Antragsteller ortsnahes Gericht angezeigt; auch die Übersendung von Ablichtungen wichtiger Aktenbestandteile kann verlangt werden.155
155
Eine Akteneinsicht durch Dritte, § 299 Abs. 2 ZPO, setzt voraus, dass der Schuldner zu einer solchen sein Einverständnis erteilt hat oder aber dass ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. In diesem Fall hat eine Abwägung der Interessen der Beteiligten (insbesondere auf Geheimhaltung)156 sowie des Dritten zu erfolgen. Ein rechtliches Interesse des Dritten ist bereits dann anzunehmen, wenn eine Stellung als Insolvenzgläubiger glaubhaft gemacht wird und festgestellt werden soll, ob der Schuldner noch über Vermögen verfügt.157 Der Gläubiger, der bei Insolvenzeröffnung Insolvenzgläubi-
150 Hierzu umfassend Thole, ZIP 2012, 1533. 151 Für das Einsichtsrecht der Bank, die für den Insolvenzverwalter das Treuhandkonto führt, vgl. OLG Naumburg v. 27.5.2010 – 5 VA 11/10, ZIP 2010, 1765. 152 Zu den insoweit dennoch bestehenden Schranken Holzer, ZIP 1998, 1333; für ein beschränktes Einsichtsrecht etwaiger Konkurrenten des selbständigen Schuldners, Schuster/Friedrich, ZIP 2009, 2418. 153 AG Frankfurt/O. v. 30.1.1998 – 2.5 C 1568/97, ZInsO 1998, 142. 154 OLG Celle v. 19.1.2004 -ZW 118/03, OLG Celle v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370 unter Hinweis auf § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO, a.A. LG Düsseldorf v. 20.2.2007 – 25 T 85/07, ZIP 2007, 1388. 155 OLG Celle v. 31.8.2006 – 4 W 151/06, ZIP 2007, 299. 156 OLG Hamburg v. 19.5.2008 – 2 Va 3/08, Hans. OLG Hamburg v. 19.5.2008 – 2 VA 3/08, ZIP 2008, 1834. 157 OLG Köln v. 3.5.1999 – 7 VA 6/98, NZI 1999, 502; OLG Köln v. 10.2.1988 – 7 VA 6/87, MDR 1988, 502; Ganter/Lohmann in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 63.
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IV. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren | Rz. 159 § 9
ger gewesen wäre, hat auch ein Akteneinsichtsrecht nach Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse; von diesem Recht erfasst wird auch das Gutachten, das der Gerichtsentscheidung zugrunde lag.158 Nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt werden die Massegläubiger ebenfalls als Dritte i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO qualifiziert, da sich die Geltendmachung von Ansprüchen und Befriedigung der Massegläubiger außerhalb des Insolvenzverfahrens und unabhängig von ihnen vollziehen.159 Lange Zeit war streitig, ob auch Akteneinsicht zu gewähren ist, wenn der Antragsteller erklärt, er wolle überprüfen, ob Durchgriffsansprüche gegenüber dem Geschäftsführer einer GmbH bestehen, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt worden ist.160 Der BGH hatte im Jahr 2006 diese Frage zu entscheiden und ist zu einem positiven Ergebnis gekommen.161
156
3. Möglichkeit der Forderungsdurchsetzung im Insolvenzantragsverfahren Gerade weil den Gläubiger mit einer Kenntnisnahme von einem eingeleiteten Insolvenzantragsverfahren die Erkenntnis trifft, dass seine Forderung nicht mehr vollständig befriedigt werden könnte, wird dem beratenden Anwalt regelmäßig vorrangig die Frage gestellt, ob und gegebenenfalls wie gerade in dieser Situation noch eine vollständige Durchsetzung der Forderung möglich ist.
157
a) Insolvenzrechtliche Vorgaben auf Schuldnerseite Denkbar ist zunächst eine freiwillige Zahlung durch den Schuldner. Diese ist dann wirksam möglich, wenn der Schuldner noch über die entsprechende Verfügungsbefugnis verfügt. Darüber hinaus muss der Schuldner zu einer entsprechenden Zahlung bereit sein. Dies kann, wie bereits mehrfach angesprochen, zunächst in Bezug auf die Forderung des antragstellenden Gläubigers der Fall sein mit dem Ziel, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf diese Weise noch abzuwenden. Der Gläubiger erhält dann Befriedigung seiner Forderung, muss allerdings mit dem Risiko einer möglichen Insolvenzanfechtung wegen Entgegennahme einer Leistung bei Kenntnis von einem gestellten Insolvenzantrag für den Fall leben, dass nachträglich doch noch ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird. Einseitig bestehende offene Forderungen von anderen als einem antragstellenden Gläubiger wird der Schuldner nach Stellung eines Insolvenzantrages regelmäßig nicht mehr erfüllen, da hiermit für ihn keine Vorteile verbunden sind.
158
Hat das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt und einen Zustimmungsvorbehalt angeordnet, bedürfen insbesondere vorzunehmende Auszahlungen an Gläubiger der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird seine Zustimmung davon abhängig machen, ob mit der Zahlung im Ergebnis ein wirtschaftlicher Vorteil für die (zukünftige) Insolvenzmasse und damit für die Gesamtheit der Gläubiger erzielt werden kann. Zahlungen auf einseitig offene Forderungen eines Gläubigers wird der vorläufige Insolvenzverwalter daher seine Zustimmung verweigern. In Betracht kommt eine Zustimmung demgegenüber insbesondere zur Bezahlung von Leistungen, die während des laufenden Insolvenzantragsverfahrens an den Schuldner erbracht und von diesem zur Sicherung oder Mehrung der Masse, insbesondere im Rahmen einer Betriebsfortführung, benötigt werden.
159
158 OLG Hamburg v. 14.8.2001 – 2 VA 6/00, MDR 2002, 235 = ZIP 2002, 266; OLG Celle v. 21.12.2001 – 2 W 102/01, ZIP 2002, 446. 159 OLG Frankfurt v. 28.1.2010 – 20 VA 9/09, v. 18.1.2010 – 20 VA 6/09, 20 VA 9/09, ZIP 2010, 1811; a.A. Jaeger/Gerhardt, InsO, § 4 Rz. 21; Rüther in Hamburger Kommentar zur InsO, § 4 Rz. 34, je m.w.N. 160 Hierzu Heeseler, ZInsO 2001, 873. 161 BGH v. 5.4.2006 – IV AR (VZ) 1/06, MDR 2006, 947 = ZIP 2006, 1154 m. zust. Anm. Kind/Heinrich, NZI 2006, 433.
Riewe | 683
§ 9 Rz. 160 | Beratung des ungesicherten Gläubigers
b) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen 160
Verfügt der Gläubiger für seine Forderung über einen Titel, stellt sich die Frage, ob eine Zwangsvollstreckung noch durchgeführt werden kann. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass mit Verfahrenseröffnung vorgenommene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Rahmen der sog. Rückschlagsperre unwirksam werden. Vielfach wird das Insolvenzgericht zudem als eine der Standardmaßnahmen im Insolvenzantragsverfahren die Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anordnen. Selbst wenn dies noch nicht geschehen sein sollte, besteht für das Insolvenzgericht jederzeit kurzfristig die Möglichkeit, auf vorgenommene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mit einer entsprechenden Anordnung zu reagieren. Im Ergebnis sind daher nach Kenntnis von einem Insolvenzantrag weitere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in aller Regel nicht sinnvoll, da hiermit weitere Kosten verbunden sind, die aber regelmäßig keine Verbesserung der Befriedigungsaussichten für den vollstreckenden Gläubiger mehr mit sich bringen.
161
Eine weitere Möglichkeit einer mittelbaren zwangsweisen Durchsetzung einer eigenen Forderung stellt die Aufrechnung dar. Besteht zugunsten eines Gläubigers eine Aufrechnungslage, kann er die Aufrechnung grundsätzlich auch nach Kenntnis von einer Insolvenzantragstellung über das Vermögen seines Schuldners und nach § 94 InsO sogar auch noch im eröffneten Verfahren erklären. Zu beachten ist allerdings, dass die tatsächlich geschützten Aufrechnungskonstellationen durch die Regelungen in §§ 95, 96 InsO erhebliche Einschränkungen erfahren. Von Bedeutung ist dabei insbesondere der Ausschluss der Aufrechnung in Fällen einer anfechtbar erlangten Aufrechnungslage. Anfechtbar erlangt ist dabei insbesondere eine Aufrechnungslage, die erst durch Schaffung einer der beiden einander gegenüberstehenden Forderungen nach Kenntnis des Gläubigers vom Insolvenzantrag hergestellt wird, vgl. § 130 InsO.
162
Da die Regelungen der §§ 94 ff. InsO erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirken, wäre allerdings eine zuvor erklärte Aufrechnung zunächst wirksam und würde ihre Wirkung erst mit der Eröffnungsentscheidung rückwirkend verlieren. Auch in Bezug auf Forderungen, die etwa durch Lieferungen des Schuldners an den Gläubiger im Insolvenzantragsverfahren erwirtschaftet werden, müsste auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter eine Aufrechnungserklärung des Leistungsempfängers gestützt auf seinerseits bestehende (Insolvenz-)Forderungen zunächst einmal akzeptieren. Gerade in der Phase des Insolvenzantragsverfahrens wird es jedoch insbesondere bei Fortführung des Geschäftsbetriebes oft akut auf die Sicherstellung der Liquidität ankommen. Vor diesem Hintergrund werden Weiterbelieferungen im Insolvenzantragsverfahren vielfach von der Abgabe einer Erklärung durch den Leistungsempfänger abhängig gemacht, dass dieser keine Aufrechnung mit bereits bestehenden Forderungen erklären wird. Wie vorstehend aufgezeigt bedeutet dies im Ergebnis lediglich eine Vorwegnahme des ohnehin mit dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung eintretenden Rechtszustandes. Abgesehen von Sonderkonstellationen dürfte daher regelmäßig die Abgabe der entsprechenden Erklärung unproblematisch sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Leistungsempfänger ein Interesse an der Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebes hat, welche er mit der unmittelbaren Vergütung der an ihn erbrachten Leistungen fördert.
c) Prozessuale Auswirkungen von Sicherungsmaßnahmen 163
Für einen laufenden Zivilprozess gegen den Schuldner ist zu beachten, dass bereits die Einsetzung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters, also die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bei gleichzeitiger Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes zu einer Unterbrechung des Rechtsstreits nach § 240 ZPO führt (vgl. § 22 Rz. 68 ff.). In diesem Fall kann ein Urteil und damit ein durchsetzbarer Titel gegen den Schuldner nicht länger erlangt werden.
684 | Riewe
IV. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren | Rz. 168 § 9
4. Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen im Insolvenzantragsverfahren a) Allgemeines Sofern der Geschäftsbetrieb des Schuldnerunternehmens nicht schon im Zeitpunkt der Antragstellung eingestellt ist, wird sich auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter im Insolvenzantragsverfahren um die Fortführung des Geschäftsbetriebes bemühen.162 Für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter ist diese Aufgabenstellung ausdrücklich in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO festgeschrieben (vgl. § 22 Rz. 29 ff.). Generell kann die Fortführung den Erhalt und die Schaffung wirtschaftlicher Werte ermöglichen und liegt damit regelmäßig im Gesamtinteresse der Gläubiger.
164
Eine Fortsetzung des Geschäftsbetriebes erfordert auch die Fortsetzung von vertraglichen Beziehungen. Damit stellt sich aus dem Blickwinkel der Vertragspartner die Frage, ob und unter welchen Umständen sie noch zur Erbringung weiterer Leistungen verpflichtet sind und, soweit noch keine bindenden vertraglichen Verpflichtungen bestehen, ob neue Verträge eingegangen werden können und sollten. In der mit dem Insolvenzantrag offenbar gewordenen wirtschaftlichen Schieflage wird das Interesse vor allem darin bestehen, keine weiteren Leistungen zu erbringen, für die nicht zugleich mit einer insolvenzfesten Gegenleistung zu rechnen ist. Übergeordnet kann auch aus Vertragspartnerperspektive die Frage eine Rolle spielen, ob man an einem Erhalt des schuldnerischen Geschäftsbetriebes interessiert ist, um längerfristig einen Lieferanten oder Abnehmer zu haben.
165
Mit Blick auf bestehende gegenseitige Vertragsverhältnisse ist zunächst festzuhalten, dass diese durch den gestellten Insolvenzantrag nicht in ihrem Bestand und ihrer Wirksamkeit berührt werden. Grundsätzlich bleiben daher beide Seiten zur Erbringung der vertraglichen Leistungen verpflichtet. Die Sonderregelungen der Insolvenzordnung für gegenseitige Verträge in §§ 103 ff. InsO greifen weitgehend erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. Allerdings gelten auch für Leistungsverpflichtungen aus Vertragsverhältnissen die allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsätze, wonach bereits ab Insolvenzantragstellung keine Leistungen zu Lasten der zukünftigen Insolvenzmasse mehr erbracht werden, für die keine Gegenleistung an den Schuldner fließt. Der Schuldner und ein eingesetzter vorläufiger Insolvenzverwalter werden daher in der Praxis die weitere Erbringung von Leistungen verweigern, wenn entweder der Vertragspartner seine Leistung bereits an den Schuldner erbracht hat oder für die Fortsetzung des Geschäftsbetriebes an der Leistung des Vertragspartners kein Interesse besteht.
166
Eine bereits mit Stellung des Insolvenzantrags greifende Sonderregelung enthält § 112 InsO, wonach ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, vom anderen Teil nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens weder wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, noch wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners gekündigt werden kann.
167
b) Anfechtungsfestigkeit erlangter Leistungen Ist der vertraglich vorgesehene Leistungsaustausch für die zukünftige Insolvenzmasse vorteilhaft, wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter seine Zustimmung zu der vom Schuldner zu erbringenden Zahlung oder sonstigen Leistung erteilen. Für den Vertragspartner stellt sich dann die Folgefrage, ob der Erhalt der Leistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch anfechtungsfest ist. Hierbei ist insbesondere an die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu denken. Anfechtbar ist danach eine Rechtshandlung, die einen Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Gerade mit Blick auf das Ziel der Fortsetzung des Geschäftsbetriebes im Insolvenzantragsverfahren hat der Gesetzgeber jedoch zugleich als Ausnahme die Unanfechtbarkeit des Bargeschäfts geregelt. Gemäß § 142 Abs. 1 162 Zur Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren vgl. Ganter NZI 2012, 433.
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168
§ 9 Rz. 168 | Beratung des ungesicherten Gläubigers InsO ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 bis 3 InsO gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte. 169
Der Vertragspartner wird sich daher darum bemühen, dass ein Leistungsaustausch im Insolvenzantragsverfahren die Voraussetzungen des Bargeschäfts erfüllt. Erforderlich ist dafür insbesondere die Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs. Diese erfordert nach § 142 Abs. 2 InsO, dass der Leistungsaustausch nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt. Nicht entscheidend ist dabei, in welcher zeitlichen Reihenfolge Leistung und Gegenleistung vorgenommen werden.
170
Ist ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und erteilt dieser seine Zustimmung zur Leistung an den Vertragspartner, kann sich der Vertragspartner zudem regelmäßig auf Vertrauensschutz gegenüber einem etwaigen Versuch einer Insolvenzanfechtung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens berufen.
c) Absicherung offener Forderungen 171
Vorrangiger Wunsch eines Vertragspartners des Insolvenzschuldners wird eine Leistung des Insolvenzschuldners im Wege der Vorkasse sein. In diesem Fall kann der Vertragspartner sicher sein, dass er die ihm geschuldete Leistung tatsächlich erhält, ehe er die seinerzeit zu erbringende Gegenleistung aus der Hand gibt. Sieht allerdings der bestehende Vertrag keine Vorleistungspflicht des Insolvenzschuldners vor, kann nicht ohne weiteres aus der Insolvenzantragstellung ein Grund für ein Vorkasseverlangen abgeleitet werden. Hinzu kommt regelmäßig, dass der Insolvenzschuldner jedenfalls nicht gegenüber sämtlichen Vertragspartnern zur Vorkasseleistung in der Lage sein wird. In diesen Fällen ist aus der Perspektive des Vertragspartner abzuwägen, wie sich die rechtliche Ausgangssituation mit Blick auf das Vorkasseverlangen nach der bestehenden Vertragsgrundlage darstellt, vor allem aber auch welche Auswirkung eine Verweigerung der eigenen Leistung auf die Möglichkeit der Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebes hat.
172
Häufig wird man sich daher im Insolvenzantragsverfahren auch auf eine nachlaufende Zahlung durch den Schuldner verständigen, wobei die Abrechnungszyklen gegebenenfalls angepasst werden, um den Bargeschäftsvorgaben zu genügen. Wird eine entsprechende Absprache unter Einbindung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters getroffen, ist rechtlich zu beachten, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter gerade noch nicht in der Lage ist, Masseverbindlichkeiten zu begründen. In der Praxis wird sich der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch sehr darum bemühen, ein bei Vertragspartnern begründetes Vertrauen in die nachlaufende Erfüllung von deren Forderungen nicht zu enttäuschen, da hiervon nicht nur die weitere Kooperationsbereitschaft dieser Beteiligten im jeweiligen Verfahren abhängt, sondern auch allgemein ein Vertrauen in die vom (vorläufigen) Insolvenzverwalter gegebenen Zusagen unabhängig von deren unmittelbarer rechtlicher Bindungswirkung oder Sanktioniertheit für die erfolgreiche Führung von Insolvenzverfahren eine wichtige Grundlage darstellt. Solange das Insolvenzantragsverfahren andauert, ist der schwache vorläufige Insolvenzverwalter auch in der Lage, durch seine Zustimmung die Erfüllung der Forderung des Vertragspartners zu ermöglichen.
173
Mit der Eröffnungsentscheidung greifen wesentliche weitere insolvenzrechtliche Folgen, zu denen insbesondere die Einordnung von vorinsolvenzlich begründeten Forderungen als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO gehört. Diese Forderungen können vom dann eingesetzten Insolvenzverwalter nicht mehr erfüllt werden, ohne dass dieser sich wegen Verstoß gegen die insolvenzrechtlich vorgegebenen Befriedigungsreihenfolge gegenüber den Insolvenzgläubigern nach § 60 InsO persönlich schadenersatzpflichtig macht. Soweit laufende Leistungen nach Abrechnung vom Insolvenzschuldner im Antragsverfahren vergütet werden sollen, ist daher zunächst darauf zu achten, dass die Abrechnung so organisiert wird, dass eine faktische Erfüllung vor der Eröffnungsentscheidung erfolgen kann. Im Grundsatz ist dies regelmäßig planbar, da es im Vorfeld eine Absprache mit dem Insolvenzgericht geben wird, wann über die Verfahrenseröffnung entschieden wird. 686 | Riewe
IV. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren | Rz. 179 § 9
Lässt sich eine Erfüllung vor der Eröffnungsentscheidung nicht verlässlich gestalten oder kommt aus Liquiditätsgründen eine Erfüllung erst im eröffneten Verfahren in Betracht,163 sind Maßnahmen zur Sicherstellung der Erfüllung erforderlich.
174
Eine Möglichkeit besteht in einer Aufwertung der Forderung des Vertragspartners zur Masseverbindlichkeit. Dazu kommt es zunächst kraft Gesetzes, wenn ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird und dieser neue Verbindlichkeiten im Insolvenzantragsverfahren eingeht oder Leistungen aus einem bestehenden Dauerschuldverhältnis für das von ihm verwaltete Vermögen in Anspruch nimmt (§ 55 Abs. 2 InsO). Viele Insolvenzgerichte sind allerdings eher zurückhaltend in der Bestellung starker vorläufiger Insolvenzverwalter, auch vor dem Hintergrund, dass dieser eben mit all seinen Handlungen Masseverbindlichkeiten begründet.
175
Zulässig ist nach der Rechtsprechung auch ein differenzierendes Vorgehen des Insolvenzgerichts in der Weise, dass dem im Ausgangspunkt schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im Einzelfall die Ermächtigung erteilt wird, gegenüber bestimmten Gläubigern Masseverbindlichkeiten zu begründen.164 Eine solche Einzelermächtigung165 muss vom vorläufigen Insolvenzverwalter beim Insolvenzgericht beantragt werden. Ein weiterer Ansatz zur Absicherung von Gläubigerforderungen aus dem Insolvenzantragsverfahren über den Eröffnungszeitpunkt hinweg besteht in der Gestaltung einer Treuhandlösung, wobei entsprechende Beträge aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners separiert und von einem Treuhänder gehalten werden.166
176
5. Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Verfahren a) Individuelle Handlungsmöglichkeiten des Gläubigers Mit Blick auf den kollektiven Charakter sieht das Insolvenzrecht grundsätzlich keine besonderen Handlungsmöglichkeiten einzelner Gläubiger zur Einflussnahme auf die Gestaltung und den Ablauf des Insolvenzverfahrens vor. Die Wahrung der Interessen sämtlicher Insolvenzgläubiger und weiterer Verfahrensbeteiligter obliegt vielmehr dem Insolvenzgericht und gegebenenfalls vor allem einem eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter. Sowohl im Hinblick auf konkrete Handlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters als auch bezüglich einzelner Maßnahmen des Insolvenzgerichts wie der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen hat der einzelne Insolvenzgläubiger kein Antragsrecht. Möglich sind allerdings Anregungen. So kann es unter Umständen durchaus sinnvoll sein, sich als einzelner Gläubiger an den vorläufigen Insolvenzverwalter zu wenden, etwa wenn Kenntnisse über Vermögenswerte bestehen, die dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht bekannt sind und bei denen eine faktische Sicherung geboten erscheint.
177
Eine faktische Möglichkeit der Einflussnahme kann sich für einen wirtschaftlich bedeutenden Gläubiger ergeben, wenn etwa die Fortsetzung des Geschäftsbetriebes des Insolvenzschuldners von einer Weiterführung einer Leistungsbeziehung mit dem Gläubiger oder der Gewährung eines Massekredits abhängt.
178
Eine weitere Ebene der Beteiligung am Verfahren kann sich für einen Gläubiger ergeben, wenn dieser zugleich als möglicher Erwerber an einem Investorenprozess teilnimmt.
179
163 164 165 166
Zu echten und unechten Massekrediten vgl. Ganter, NZI 2020, 249. BGH v. 16.6.2005 – IX ZB 264/03, MDR 2005, 1435 = ZIP 2005, 1372 = NZI 2005, 627. Laroche, NZI 2010, 965. Ganter, NZI 2012, 433.
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§ 9 Rz. 180 | Beratung des ungesicherten Gläubigers
b) Vorläufiger Gläubigerausschuss 180
Nach § 21 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1a InsO kann bereits als Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden. Zur besonderen Rolle des vorläufigen Gläubigerausschusses im Insolvenzantragsverfahren, insbesondere mit Blick auf die Einflussnahme auf die Verwalterauswahl, s. § 22 Rz. 110 ff. Näher zum Gläubigerausschuss im Zusammenhang unten Rz. 372 ff.
181
Eine Pflicht zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses besteht für das Insolvenzgericht nach § 22a InsO, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale erfüllt hat: 1. mindestens 6.000.000 € Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags i.S.d. § 268 Abs. 3 des Handelsgesetzbuchs; 2. mindestens 12.000.000 € Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag; 3. im Jahresdurchschnitt mindestens fünfzig Arbeitnehmer. Das Gericht soll gem. § 22a Abs. 2 Satz 1 InsO auf Antrag des Schuldners, des vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn Personen benannt werden, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen und dem Antrag Einverständniserklärungen der benannten Personen beigefügt werden.
182
Andererseits sieht § 22a Abs. 3 InsO vor, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht einzusetzen ist, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist, die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig ist oder die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt.
183
Da die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses einerseits sehr zeitnah nach Antragstellung erfolgen soll, andererseits dem Insolvenzgericht zu diesem Zeitpunkt nur sehr beschränkte Informationen zu den beteiligten Gläubigern vorliegen, stellt die personelle Besetzung des Gläubigerausschusses für den Insolvenzrichter eine gewisse Herausforderung dar. Das Gesetz gibt dem Gericht insoweit unterstützend die Möglichkeit einer Aufforderung an den Schuldner oder – soweit ein solcher bereits bestellt ist – den vorläufige Insolvenzverwalter Personen zu benennen, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen (§ 22a Abs. 4 InsO). Hinsichtlich der generellen Eignung als Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses ist zu beachten, dass mit Wirkung seit 1.1.2021 auch auf den im Insolvenzantragsverfahren eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschuss die Regelung des § 67 Abs. 3 InsO, wonach zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses auch Personen bestellt werden können, die keine Gläubiger sind, entsprechend anzuwenden ist.
V. Beratung im eröffneten Verfahren 1. Eröffnungsbeschluss a) Inhalt 184
Der Inhalt des Eröffnungsbeschlusses richtet sich nach den §§ 27–29 InsO. Der Beschluss enthält den Ausspruch der Eröffnung des Verfahrens. Das betroffene Vermögen muss rechtlich eindeutig bezeichnet sein.
185
Die Ernennung eines bestimmten Insolvenzverwalters ist ebenfalls ein wesentlicher Teil des Eröffnungsbeschlusses (vgl. zur Auswahl des Insolvenzverwalters § 22 Rz. 97 ff.). Das Gericht hat bei einem eventuellen Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung über diesen Antrag ebenfalls im Eröffnungs-
688 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 191 § 9
beschluss zu entscheiden; in diesem Fall ist an Stelle eines Insolvenzverwalters ein Sachwalter zur Aufsicht über den Schuldner zu ernennen (hierzu im Einzelnen § 3 Rz. 536 ff.). Tag und Stunde der Eröffnung sind im Eröffnungsbeschluss anzugeben (§ 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Dabei ist als Eröffnungszeitpunkt der Zeitpunkt anzugeben, in dem der Eröffnungsbeschluss unterzeichnet wird. Vordatierungen sind unzulässig.167 Der genaue Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung spielt etwa bei der Frage eine Rolle, ob an den Schuldner erbrachte Leistungen noch schuldbefreiende Wirkung haben (vgl. § 82 InsO). Der Eröffnungstag ist insbesondere maßgeblich für die Berechnung der Anfechtungsfristen nach §§ 129 ff. InsO.
186
Im Eröffnungsbeschluss sind die in § 28 InsO vorgesehenen Aufforderungen an die Gläubiger und (Dritt-)Schuldner des Insolvenzschuldners auszusprechen. Die Gläubiger sind aufzufordern, ihre Forderungen innerhalb einer – konkret zu bestimmenden – Frist unter Beachtung des § 174 InsO beim Insolvenzverwalter anzumelden (§ 28 Abs. 1 S. 1 InsO). Weiterhin sind die Gläubiger aufzufordern, dem Verwalter unverzüglich mitzuteilen, welche Sicherungsrechte sie an beweglichen Sachen oder an Rechten des Schuldners in Anspruch nehmen (§ 28 Abs. 2 InsO). Personen, die als Drittschuldner Verpflichtungen gegenüber dem Schuldner haben, sind aufzufordern, nicht mehr an den Schuldner zu leisten, sondern an den Verwalter (§ 28 Abs. 3 InsO).
187
Wegen der für das Insolvenzverfahren grundlegenden Bedeutung des die Eröffnung anordnenden Beschlusses ist er schon aus Gründen der Rechtssicherheit nur außerordentlich selten als nichtig zu behandeln, hauptsächlich dann, wenn bereits äußerlich ein für eine richterliche Entscheidung wesentliches Merkmal fehlt.168
188
Sind die Vermögensverhältnisse des Schuldners überschaubar und die Zahl der Gläubiger oder die Höhe der Verbindlichkeiten gering, so wird das Verfahren nach § 5 Abs. 2 Satz 1 InsO schriftlich durchgeführt wird. Folgerichtig ist in diesem Fall in Anlehnung an die Regelung des § 29 InsO bereits im Eröffnungsbeschluss der Stichtag zu bestimmen, der dem Berichts- und Prüfungstermin entspricht. Ist dies so geschehen, so hat das Gericht auf Antrag eines Insolvenzgläubigers die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters auf schriftlichem Wege durchzuführen. Ein solcher Gläubigerantrag ist nicht an das Quorum des § 75 InsO gebunden.169
189
b) Bekanntmachung Die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts hat den Eröffnungsbeschluss nach § 30 InsO sofort öffentlich bekanntzumachen. Alle Beteiligten sollen möglichst schnell, zuverlässig und umfassend unterrichtet werden.
190
Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt durch eine zentrale und länderübergreifende Veröffentlichung im Internet unter www.insolvenzbekanntmachungen.de (§ 9 Abs. 1 Satz 1 InsO, wobei § 9 Abs. 2 Satz 1 InsO den Ländern eigene Regelungen über weitere Veröffentlichungen ermöglicht). Die Veröffentlichung kann auszugsweise geschehen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO). Zu gewährleisten ist in jedem Fall die genaue Bezeichnung des Schuldners (§ 9 Abs. 1 Satz 2 InsO). Hierzu ist auch der Vorname des Schuldners anzugeben.170
191
167 BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, MDR 2004, 902 = NZI 2004, 316 = KTS 2004, 403 mit krit. Anm. Strasser, soweit der BGH in der Vergangenheit ergangene Beschlüsse als dennoch wirksam ansieht; BGH v. 13.1.2005 – IX ZR 33/04, ZIP 2005, 310. 168 BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, MDR 2003, 474 = NZI 2003, 197 mit uneingeschränkt zustimmender Anm. Pape, EWiR 2003, 281, 282. 169 BGH v. 16.5.2013 – IX ZB 198/11, MDR 2013, 937 = ZIP 2013, 1286 m. zust. Anm. Ahrens, EWiR 2013, 519. 170 BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 229/11, MDR 2014, 303 = ZIP 2014, 86, NZI 2014, 77; krit. hierzu Vallender, EWiR 2014, 89.
Riewe | 689
§ 9 Rz. 192 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 192
Neben der öffentlichen Bekanntmachung ist der Beschluss an den Schuldner sowie dessen Gläubiger und Schuldner zuzustellen. Diese Zustellung kann durch Aufgabe zur Post von Seiten des Gerichts erfolgen (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Insolvenzgericht kann mit der Zustellung auch den Insolvenzverwalter beauftragten (§ 8 Abs. 3 Satz 1 InsO), was in der Praxis regelmäßig geschieht. Der Insolvenzverwalter kann die Zustellung ebenfalls durch „einfache“ Aufgabe zur Post veranlassen.
c) Rechtsmittel 193
Gemäß § 6 InsO unterliegen die Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht. Bei dem Eröffnungsbeschluss sieht § 34 Abs. 2 InsO die sofortige Beschwerde nur durch den Insolvenzschuldner vor. Der Gläubiger hat dementsprechend keine Möglichkeit, gegen den Eröffnungsbeschluss vorzugehen. Auch der Insolvenzverwalter hat im Zusammenhang mit der Verfahrenseröffnung kein Beschwerderecht.171
194
Die sofortige Beschwerde des Schuldners setzt voraus, dass dieser durch den Eröffnungsbeschluss beschwert ist. Dabei ist für das Vorliegen einer Beschwer mit der Rechtsprechung auf eine formale Betrachtungsweise abzustellen. Hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners eröffnet, steht diesem hiergegen grundsätzlich kein Beschwerderecht zu. Dies gilt auch dann, wenn entgegen der Erwartung des Schuldners eine Verfahrenseröffnung und keine Ablehnung mangels Masse erfolgt.172 Die Beschwerde des Schuldners ist mangels formeller Beschwer auch dann als unzulässig abzuweisen, wenn neben dem Schuldner ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gestellt hat.173 Lag allein ein Gläubigerantrag vor, billigt die Rechtsprechung dem Schuldner ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss mit dem Ziel einer Abweisung des Antrags mangels Masse zu.174
195
Die auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin vorgenommene Abhilfe des Insolvenzgerichts wie auch die abändernde Entscheidung des Beschwerdegerichts beschränken sich nicht auf die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses. Vielmehr ist gleichzeitig der Eröffnungsantrag zurückzuweisen mit der Konsequenz, dass nunmehr eine weitere Beschwerdemöglichkeit eröffnet ist: Wird nämlich die Aufhebung beschlossen und der Eröffnungsantrag zurückgewiesen, kann der insoweit beschwerte antragstellende Gläubiger gem. § 34 Abs. 1 i.V.m. § 6 InsO sofortige Beschwerde einlegen.
196
Die Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Der BGH hält eine aufschiebende Wirkung nur dann für geboten, wenn die Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile bringt als den anderen Beteiligten.175
2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses a) Allgemeines 197
Gemäß § 80 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter über. Gleichzeitig sind die nach Verfahrenseröffnung vorgenommenen Verfügungen des Schuldners unwirksam, § 81 InsO.
171 BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 72/08, ZIP 2010, 856. 172 BGH v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, MDR 2007, 801 = ZIP 2007, 499; bestätigt durch BGH v. 26.1.2012 – IX ZB 213/11, NZI 2012, 274; OLG Köln v. 10.12.2001 – 2 W 154/01, NZI 2002, 101. 173 BGH v. 9.2.2012 – IX ZB 248/11, MDR 2012, 492 = ZIP 2012, 998; Stahlschmidt, EWiR 2012, 355; Keller, NZI 2012, 317. 174 BGH v. 15.7.2004 – IX ZB 172/03, MDR 2005, 49 = ZIP 2004, 1727. 175 BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 48/02, MDR 2002, 1084 = ZIP 2002, 718; BGH v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, BeckRS 2020, 615 = ZInsO 2020, 401.
690 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 206 § 9
Vor Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten sind Insolvenzforderungen, § 38 InsO. Die seit Verfahrenseröffnung laufenden Zinsen stehen gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Nachrang. Der Eröffnungszeitpunkt ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Abzinsung nicht fälliger Ansprüche, § 41 InsO. Gemäß § 43 InsO können Gläubiger, denen neben dem Schuldner Dritte als Gesamtschuldner mithaften, gegen jeden Schuldner die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehenden Forderungen geltend machen.
198
Die Situation zur Zeit der Verfahrenseröffnung ist außerdem für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Aufrechnung maßgeblich, §§ 94, 95 InsO.
199
Besonders bedeutsam ist der Einfluss der Insolvenzeröffnung auf bestehende Verträge (vgl. hierzu umfassend § 11). Für die bei Verfahrenseröffnung noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträge gilt § 103 InsO, der dem Verwalter ein Wahlrecht gewährt (s. § 11 Rz. 10 ff.). Bei Miet- und Pachtverträgen über unbewegliche Gegenstände oder Räume ist § 108 InsO einschlägig, der anstelle eines Wahlrechts ein besonderes Kündigungs- und Rücktrittsrecht vorsieht. Diese Regelung erfasst ebenfalls bestehende Dienstverhältnisse (s. § 11 Rz. 187 ff.). Vom Schuldner erteilte Vollmachten erlöschen durch die Eröffnung, § 117 InsO (s. §11 Rz. 292 ff.).
200
b) Rechtsfolgen für die Rechtsstellung des Schuldners Der Schuldner verliert im Zeitpunkt der Eröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das massezugehörige Vermögen, § 80 Abs. 1 InsO. Der Schuldner behält aber seine Eigentümerstellung.
201
Seine Kaufmannseigenschaft bleibt ebenfalls erhalten, solange das Handelsunternehmen nicht veräußert oder aufgegeben wird. Auch bleibt der Schuldner bei Fortführung des Unternehmens vertraglicher Arbeitgeber (vgl. im Einzelnen § 15 Rz. 5 ff.).
202
Notwendige Folge des Übergangs des Verwaltungs- und Verfügungsrechts auf den Insolvenzverwalter ist nach § 81 InsO die Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners. Sie besteht nicht nur – relativ – gegenüber den Insolvenzgläubigern, sondern gegenüber jedermann. Ausgenommen von dieser Unwirksamkeit sind nur solche Verfügungen, die zu einem gutgläubigen Erwerb des anderen Teiles nach §§ 892, 893 BGB führen; der öffentliche Glaube des Grundbuchs ist stärker als das mit der Verfahrenseröffnung eintretende Verfügungsverbot.
203
Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte (§ 82 Satz 1 InsO). Fahrlässige, auch grob fahrlässige Unkenntnis schließt den Schutz des § 82 InsO nicht aus.176 Nach einem Urteil des BGH aus dem Jahr 2010 wird die Berufung auf Unkenntnis nach § 82 InsO nicht nach Treu und Glauben dadurch beschränkt, dass sich das leistende Unternehmen die Information über die Verfahrenseröffnung durch eine Einzelabfrage unter www.insolvenzbekanntmachungen.de hätte beschaffen können.177
204
Nach § 91 InsO können Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Verfahrens nicht wirksam erworben werden.
205
Den Schuldner trifft gegenüber dem Gericht, dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts auch gegenüber der Gläubigerversammlung eine umfangreiche Auskunfts- und
206
176 OLG Düsseldorf v. 19.11.2007 – 17 U 207/06, ZInsO 2008, 44. 177 BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, MDR 2010, 1018 = ZIP 2010, 935 = NZI 2010, 480; vgl. aus der aktuellen Rechtsprechung auch LG Kiel v. 30.7.2020 – 12 O 76/19, NZI 2020, 949 m. Anm. Kleinschmidt, NZI 2020, 951.
Riewe | 691
§ 9 Rz. 206 | Beratung des ungesicherten Gläubigers Mitwirkungspflicht;178 diese ist in § 97 InsO normiert. Er hat auch die Pflicht, das Verfahren zu fördern. Dies bedeutet jedoch nicht die generelle Pflicht, seine Arbeitskraft der Masse zur Verfügung zu stellen. 207
Ist der Schuldner keine natürliche Person, so erweitert § 101 InsO den Anwendungsbereich der §§ 97–99 InsO für die dort genannten Personen. Insbesondere gegen Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans und die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners hat das Gericht die gleichen Vorgehensmöglichkeiten wie gegen den Schuldner. Vom Anwendungsbereich dieser Vorschriften sind damit z.B. die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft, der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Geschäftsführer und Gesellschafter einer OHG oder der Geschäftsführer einer GmbH erfasst.179 Eingeschränkte Möglichkeiten bestehen für das Gericht in Bezug auf Angestellte sowie frühere Angestellte des Schuldners.
208
Der Schuldner ist in der Ausübung seiner Freizügigkeitsrechte nicht unmittelbar durch die Eröffnung eingeschränkt, er hat sich jedoch bei Anordnung durch das Gericht jederzeit zur Verfügung zu stellen. Kommt der Schuldner seinen Pflichten nicht nach, kann das Insolvenzgericht zur Durchsetzung die in § 98 InsO genannten Maßnahmen anordnen. Als Mittel stehen insoweit die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, die Vorführung und letztlich auch die Anordnung der Haft zur Verfügung.
c) Rechtsfolgen für Prozesse 209
Mit der Eröffnung180 des Insolvenzverfahrens werden die die Masse betreffenden (rechtshängigen)181 Prozesse182 unterbrochen (§ 240 InsO).183 Die Verfahrensunterbrechung tritt auch ein, wenn Eigenverwaltung durch den Schuldner angeordnet wird.184
210
Ein nach der Insolvenzeröffnung ergangenes Urteil unter Missachtung der Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO ist nicht nichtig, kann aber im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden.185 Ein Rechtsmittel, das bereits vor der Unterbrechung unzulässig war, kann allerdings auch während der Unterbrechung des Verfahrens verworfen werden.186 Auch eine Gerichtsstandsbestimmung ist während der Unterbrechung noch möglich.187
211
Die Insolvenzmasse (Sollmasse) ist betroffen, wenn ein der Masse zustehendes Recht geltend gemacht wird oder wenn die Masse in Anspruch genommen wird. Unterbrochen werden alle Verfahren, also auch Arrest- oder Einstweilige Verfügungsverfahren, Kostenfestsetzungsverfahren,188 Beschwerdever-
178 Hierzu im Einzelnen Gaiser, ZInsO 2002, 472; Uhlenbruck, NZI 2002, 401; Vallender, EWiR 2004, 293. 179 Vallender, ZIP 1996, 529, 530. 180 Ausnahmsweise schon vorher (Eröffnungsverfahren) bei einem Verfügungsverbot gegen Schuldner, BGH v. 16.5.2013 – IX ZR 332/12, MDR 2013, 1117 = ZIP 2013, 1493. 181 BGH v. 11.12.2008 – IX ZB 232/08, MDR 2009, 411 = ZIP 2009, 240 mit krit. Anm. Naraschewski, EWiR 2009, 727. 182 Zu der parallelen Thematik der Wirkung auf Rechtbehelfsverfahren gegen einen Anfechtungs- und Duldungsbescheid im Steuerrecht Olbing/Hennig, ZInsO 2013, 119. 183 Überblick bei Waltenberger, NZI 2018, 505. 184 BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06 (KG), NZI 2007, 188; Bähr, EWiR 2007, 249 = ZIP 2007, 249; BFH v. 27.2.2014 – V R 21/11, ZIP 2014, 894. 185 BGH v. 27.1.2009 – XI ZR 519/07, MDR 2009, 583 = ZIP 2009, 1027. 186 BGH v. 10.10.2013 – III ZR 358/13, MDR 2014, 109 = ZIP 2014, 148. 187 BGH v. 7.1.2014 – X ARZ 578/13, MDR 2014, 239 = ZIP 2014, 243. 188 Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung die Kostengrundentscheidung bereits rechtskräftig ist und lediglich über die Höhe der zu erstattenden Kosten zu entscheiden ist, vgl. BGH v. 15.5.2012 – VIII ZB 79/11, MDR 2012, 990 = ZIP 2012, 1263; LG Detmold v. 31.1.2011 – 3 T 30/11, ZIP 2011, 1028.
692 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 214 § 9
fahren, u.a. auch über die Nichtzulassung der Revision,189 usw., nicht jedoch selbständige Beweisverfahren190 oder Verfahren auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel.191 Für Prozesskostenhilfeverfahren wird die Unterbrechungswirkung überwiegend verneint,192 anders bei Steuerstreitigkeiten.193 Die Unterbrechungswirkung gem. § 240 ZPO tritt auch ein bei Beschlussverfahren über die Ausübung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates durch die Insolvenz des Arbeitgebers,194 Prozesse wegen Auskunftsansprüchen nach § 51a GmbHG195 und Vergabenachprüfungsverfahren, sofern die Vergabestelle insolvent ist.196 Nach einer Entscheidung des LG Saarbrücken werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GbR auch die Gerichtsverfahren unterbrochen, die die persönliche Haftung eines Gesellschafters betreffen.197 Die Erstreckung der Unterbrechungswirkung auf die gegen die Gesellschafter gerichtete Klage ergibt sich aus dem Zweck des § 93 InsO, um während der Insolvenz der Gesellschaft im Interesse der Gleichbehandlung der Gläubiger einen Gläubigerwettlauf um die Gesellschafterhaftung zu verhindern.198
212
Nach § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO wird auch durch die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens ein im Inland anhängiger Rechtsstreit unterbrochen, der zur Zeit der Eröffnung anhängig ist und die Insolvenzmasse betrifft. Dies gilt etwa für ein US-amerikanisches Verfahren nach Chapter 11.199 Unter welchen Voraussetzungen die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens im Einzelfall nicht anerkannt werden kann, ergibt sich aus § 343 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 InsO. Danach ist die Anerkennung zu versagen, wenn die Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht nicht zuständig sind oder die Anerkennung gegen den deutschen ordre public verstößt.200
213
Innerhalb des Geltungsbereichs der EuInsVO bestimmt Art. 18 EuInsVO, dass für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit oder ein anhängiges Schiedsverfahren über einen Gegenstand oder ein Recht, der bzw. das Teil der Insolvenzmasse ist, ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats gilt, in dem der Rechtsstreit anhängig oder in dem das Schiedsgericht belegen ist. Da nach Art. 19 EuInsVO die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald die Entscheidung im
214
189 BFH v. 10.11.2010 – IV B 18/09, ZIP 2011, 592. 190 BGH v. 11.12.2003 – VII ZB 14/03, MDR 2004, 404, ZInsO 2004, 85 = ZIP 2004, 186; hierzu Meyer, NZI 2005, 9; Abgrenzung BGH v. 23.3.2011 – VII ZB 128/09, MDR 2011, 749 = ZIP 2011, 1024 (Eine Unterbrechung kommt dann nicht mehr in Frage, wenn in einem selbständigen Beweisverfahren die Beweisaufnahme beendet und das Verfahren damit sachlich abgeschlossen ist. Ab diesem Zeitpunkt besteht kein besonderes Beschleunigungsbedürfnis mehr). 191 BGH v. 12.12.2007 – VII ZB 108/06, MDR 2008, 410 = ZIP 2008, 527; BGH v. 28.3.2007 – VII ZB 25/ 05, MDR 2007, 908 = ZIP 2007, 983; Naraschewski, EWiR 2008, 319. 192 Auswirkung insoweit, als die Entscheidung über die PKH nunmehr grundsätzlich nur noch für den Zeitraum bis zur Unterbrechung des Hauptsacheverfahrens zu treffen ist, OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 4 W 15/12, ZIP 2013, 1838. 193 BFH v. 27.9.2006 – IV S 11/05, ZVI 2007, 134; Paul, EWiR 2007, 219; Abgrenzung BFH v. 30.4.2008 – X S 14/07, BFH/NV 2008, 1351: Stellt der Insolvenzschuldner den Prozesskostenhilfe-Antrag erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wird das Prozesskostenhilfeverfahren nicht unterbrochen. 194 LArbG Berlin-Brandenburg v. 23.5.2012 – 6 Ta 675/12, ZIP 2012, 1479. 195 Gessner, NZI 2013, 677. 196 OLG Naumburg v. 22.4.2010 – 1 Verg 11/09, ZIP 2010, 1620. 197 OLG Koblenz v. 15.1.2010 – 2 W 842/09, MDR 2010, 470 = ZIP 2010, 448; LG Saarbrücken v. 4.6.2010 – 5 T 137/10, ZIP 2010, 1823; ähnlich bei einem anhängigen Steuerstreit in der Insolvenz der Personengesellschaft, Kaiser, NZI 2013, 336. 198 BGH v. 20.11.2008 – IX ZB 199/05, MDR 2009, 279 = ZIP 2009, 47. 199 BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, MDR 2010, 108 = ZIP 2009, 2217 mit zust. Anm. Rendels/Körner, EWiR 2009, 781; BAG v. 27.2.2007 – 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047. 200 Verstoß abgelehnt etwa von BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 882/11 (A), ZIP 2014, 596 für ein brasilianisches Verfahren.
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§ 9 Rz. 214 | Beratung des ungesicherten Gläubigers Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist, führt auch eine solche Verfahrenseröffnung zum Eintritt der Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO.201 215
Passivprozesse, die die Aussonderung, die abgesonderte Befriedigung oder eine Masseverbindlichkeit betreffen, können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden (§ 86 Abs. 1 InsO).202 Nimmt der Gegner den Rechtsstreit auf und erkennt der Verwalter den Anspruch sofort an, so kann der Gegner einen Kostenerstattungsanspruch nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 86 Abs. 2 InsO). Um Passivprozesse handelt es sich insbesondere bei einem gegen den Insolvenzschuldner gerichteten gesetzlichen Unterlassungsanspruch wegen Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts,203 bei Verfahren über eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO204 oder auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils gem. § 722 ZPO,205 bei denen ebenfalls die Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO eintritt.
216
Klagt nicht ein Aus-/Absonderungsgläubiger oder Massegläubiger, sondern ein Insolvenzgläubiger, so tritt zunächst eine Unterbrechung ein. Wird der bereits anhängige Anspruch des Insolvenzgläubigers zur Tabelle angemeldet und im Prüfungstermin weder durch den Insolvenzverwalter noch einen der anderen Insolvenzgläubiger bestritten, so tritt mit der Feststellung der streitigen Forderung zur Insolvenztabelle die Erledigung des Klageverfahrens ein.206
217
Wird die Forderung dann im Prüfungstermin bestritten, so muss der Rechtsstreit gegen den Bestreitenden aufgenommen werden, wenn die Forderung weiterverfolgt werden soll. Wenn dem Schuldner schon im Zeitpunkt der insolvenzbedingten Unterbrechung des Verfahrens ein sofortiges Anerkenntnis versagt war, so hat dies auch für den Insolvenzverwalter Konsequenzen. Erkennt er den Anspruch, den er zunächst im Prüfungstermin bestritten hat, im anschließenden Feststellungsprozess an, so habe er die Kosten als Masseverbindlichkeit zu tragen. Der Kostenerstattungsanspruch sei auch insgesamt Masseverbindlichkeit, also auch für den Zeitraum vor der Unterbrechung.207
218
Die Teilaufnahme eines gem. § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreits ist in der Regel nur möglich, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen in Bezug auf den aufgenommenen Teil des Rechtsstreits und den nicht aufgenommenen Teil ausgeschlossen ist.208
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Für neu zu führende Prozesse kann die Frage Bedeutung bekommen, ob der Insolvenzverwalter an eine vor Verfahrenseröffnung getroffene Schiedsabrede gebunden ist. Dies wird überwiegend bejaht, soweit es um Rechte des Insolvenzverwalters geht, die sich nicht unmittelbar aus dem vom Gemeinschuldner abgeschlossenen Vertrag ergeben, sondern auf der Insolvenzordnung beruhen;209 etwas anderes gilt nur, wenn für die Prozessführung keinerlei liquide Mittel vorhanden sind, der Insolvenzverwalter also auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, die es bei einem Schiedsverfahren nicht gibt.210
201 OLG Köln v. 17.10.2007 – 16 W 24/07, ZIP 2007, 2287. 202 Zum Unterschied zwischen Aktiv- und Passivprozess vgl. BGH v. 14.4.2005 – IX ZR 221/04, MDR 2005, 1073, ZInsO 2005, 534, hier bei Ersatz eines Vollstreckungsschadens Passivprozess angenommen. 203 BGH v. 18.3.2010 – I ZR 158/07, MDR 2010, 761 = ZIP 2010, 948. 204 BGH v. 14.8.2008 – VII ZB 3/08, MDR 2008, 1421 = ZIP 2008, 1941. 205 BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 150/05, MDR 2008, 1231 = ZIP 2008, 1943. 206 FG Hamburg v. 15.8.2011 – 3 K 132/11, ZIP 2012, 795. 207 BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, MDR 2007, 428 = ZIP 2006, 2132 = WM 2007, 91; Hofmann, EWiR 2007, 85. 208 BGH v. 27.3.2013 – III ZR 367/12, MDR 2013, 740 = ZIP 2013, 1094; Hirtz, EWiR 2013, 457. 209 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, MDR 2011, 1002 = ZIP 2011, 1477 mit Anm. Prütting, EWiR 2011, 545: BGH v. 20.11.2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88; Kück, ZInsO 2006, 11; zu Besonderheiten bei Forderungseinzug nach § 166 Abs. 2 InsO BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 49/12, MDR 2013, 1193 = ZIP 2013, 1539 mit Anm. Dahl/Schmitz, NZI 2013, 159. 210 OLG Köln v. 5.6.2013 – 18 W 32/13, ZIP 2013, 2024.
694 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 224 § 9
d) Rechtsfolgen für Vollstreckungen Gemäß § 89 Abs. 1 InsO ist die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. In der Insolvenz einer GbR gilt das Vollstreckungsverbot gem. §§ 89, 92 InsO allerdings nicht zugunsten des Privatvermögens einzelner Gesellschafter.211 Wer Insolvenzgläubiger ist, richtet sich dabei ausschließlich nach § 38 InsO; dabei ist es unerheblich, ob der Gläubiger tatsächlich am Insolvenzverfahren teilnimmt.212 Im Übrigen darf auch ein absonderungsberechtigter Grundpfandgläubiger nach Insolvenzeröffnung nicht die Mieten pfänden. Er unterliegt ebenfalls dem Vollstreckungsverbot und darf nur den Weg über die Zwangsverwaltung gehen.213
220
Zwangsvollstreckungen wegen Masseverbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind, sind nach § 90 Abs. 1 InsO für die Dauer von sechs Monaten seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig. Nicht unter das Vollstreckungsverbot fallen Ansprüche aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter kündigen konnte, und aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch nimmt (§ 90 Abs. 2 InsO).
221
In diesem Zusammenhang ist auf § 210 InsO zu verweisen, durch den ein Vollstreckungsverbot nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit normiert wird.214 Es gilt nach dem Gesetzeswortlaut nur für die sog. Altmassegläubiger. Es kann jedoch durchaus vorkommen, dass die Masse noch nicht einmal ausreicht, um die Neumassegläubiger zu befriedigen. In diesem Fall wird man mangels anderweitiger gesetzlicher Regelungen auf das frühere Recht zurückgreifen müssen, wonach bei Eintritt der Massearmut Vollstreckungsversuche von Massegläubigern, die mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Ziff. 2 InsO zu befriedigen wären und bereits über einen Titel verfügen, mit einer Vollstreckungsgegenklage bekämpft werden müssen. Eine erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist hierzu nicht erforderlich. Darüber hinaus verbietet der BGH generell den Neumassegläubigern im Falle der Neumasseunzulänglichkeit die Erwirkung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses,215 was konsequenterweise auch für andere Titel gelten muss.
222
3. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren Die Insolvenzordnung kennt folgende Gläubigergruppen:
223
– „einfache“ Insolvenzgläubiger, § 38 InsO; – nachrangige Insolvenzgläubiger, § 39 InsO; – Aussonderungsgläubiger, §§ 47, 48 InsO; – absonderungsberechtigte Gläubiger, §§ 49–52 InsO; – Massegläubiger, §§ 53–55 InsO. Bei der Stellung der Aussonderungsgläubiger sowie der absonderungsberechtigten Gläubiger geht es im Wesentlichen und Sicherungsrechte, diese sind in § 10 ausführlich behandelt. Nachfolgend ist daher auf die Forderungen der Massegläubiger und der Insolvenzgläubiger einzugehen. Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen ist vorrangig der Zeitpunkt der Entstehung der Forderung, wobei vereinfacht gesagt werden kann, dass Masseforderungen regelmäßig 211 212 213 214 215
Saarl. OLG v. 29.7.2009 – 1 Ws 118/09, ZInsO 2009, 1704. LG Erfurt v. 23.7.2003 – 2T 185/03, InVo 2004, 21. BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, MDR 2007, 300 = ZIP 2006, 1554. Allgemein zu den Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeit s. Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49. BGH v. 27.9.2007 – IX 172/05, MDR 2008, 108 = ZIP 2007, 2140.
Riewe | 695
224
§ 9 Rz. 224 | Beratung des ungesicherten Gläubigers nach Eröffnung des Verfahrens entstehen (Ausnahme § 55 Abs. 2 InsO sowie Abs. 4 InsO) und Insolvenzforderungen vor der Verfahrenseröffnung entstanden sein müssen.
a) Masseforderungen aa) Allgemeines 225
Die Insolvenzordnung unterscheidet im Bereich der Massegläubiger begrifflich zwischen den – Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO, und – den sonstigen Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO.
226
§ 53 InsO bestimmt, dass die Massegläubiger vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind. § 209 InsO legt hierbei die einzuhaltende Rangfolge fest: 1. Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO. 2. Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. 3. Die übrigen Masseverbindlichkeiten. 4. Der nach den §§ 100 und 101 InsO bewilligte Unterhalt.
227
Die bevorzugte Stellung der Verfahrenskosten ergibt sich daraus, dass ohne die Begründung dieser Kosten die Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht möglich wäre. Die sonstigen Masseverbindlichkeiten sind im Rahmen des Verfahrens privilegiert, weil regelmäßig ein äquivalenter Gegenwert in die Masse gelangt. bb) Verfahrenskosten
228
Die Kosten des Insolvenzverfahrens sind – die Gerichtskosten (vorläufiges und endgültiges Verfahren); – die Vergütung und die Auslagen – des vorläufigen Insolvenzverwalters sowie – des endgültigen Insolvenzverwalters und – der Mitglieder des Gläubigerausschusses.
229
Die Gerichtskosten bestehen aus Gebühren und Auslagen; auch hier gilt § 1 Abs. 1 Satz 1 GKG. Nicht in den Kostenbestimmungen aufgeführte Amtshandlungen sind gebührenfrei, so etwa im Eröffnungsverfahren die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach dem Wert der Insolvenzmasse, § 58 Abs. 1 GKG.
230
Die Vergütungen und Auslagen des (vorläufigen oder endgültigen) Verwalters sowie der Mitglieder des Gläubigerausschusses setzt das Gericht durch Beschluss fest, §§ 64, 73 InsO. cc) Sonstige Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO
231
Zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten zählen: – die Ansprüche, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO; 696 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 236 § 9
– die Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung entweder zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahren erfolgen muss, § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO; – die Ansprüche wegen einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Im Einzelnen ergeben sich insoweit durchaus komplexe Abgrenzungsfragen. Dies betrifft etwa die Frage, ob zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Ansprüche wegen Umweltschäden auch Masseforderungen sind.216
232
Weiter ist streitig, wann die Kosten eines Rechtsstreits Masseverbindlichkeiten sind, ob also beispielsweise die Kosten 1. Instanz diese Qualifikation erfahren, wenn der Verwalter den Rechtsstreit in der 2. Instanz aufnimmt und unterliegt. Früher wurde dies bejaht; es mehren sich jedoch die Stimmen, die sich dahin gehend eine Differenzierung wünschen, dass die Kosten 1. Instanz als Insolvenzforderungen anzusehen sind.217 Es ist im Übrigen Aufgabe der Kostengrundentscheidung, nicht des Kostenfestsetzungsverfahrens, eine Aussage darüber zu treffen, ob die zu erstattenden Kosten Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten sind.218 Weder dem einen noch dem anderen Bereich zuzuordnen ist der Kostenerstattungsanspruch, wenn der Rechtsstreit nach Verfahrenseröffnung gegen den Schuldner angestrengt worden ist; dann handelt es sich vielmehr um eine Neuforderung, die am Verfahren überhaupt nicht teilnimmt.219
233
Abweichend von dem Grundsatz, dass Masseverbindlichkeiten erst nach Insolvenzeröffnung entstehen, sieht § 55 Abs. 2 InsO eine Aufwertung derjenigen Verbindlichkeiten vor, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis übergegangen ist, begründet worden sind. Sie „gelten“ nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Im Falle der Übertragung der Verfügungsbefugnis gilt Gleiches für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch nimmt (s. hierzu bereits oben Rz. 175).
234
dd) Befriedigung aus der Insolvenzmasse Masseverbindlichkeiten sind nach § 53 InsO aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen. Der Insolvenzverwalter ist daher berechtigt und verpflichtet, Masseansprüche zu prüfen und, soweit berechtigt, anzuerkennen sowie – sofern kein Fall der Masseunzulänglichkeit vorliegt – die Ansprüche zu befriedigen.
235
Hierbei können im Einzelfall Verzögerungen auftreten, so etwa wenn sich eine Kollision mit der Vorschrift des § 160 InsO ergibt. Das ist der Fall, wenn die Anerkennung der Forderung als Rechtshandlung von „besonderer Bedeutung“ zu qualifizieren ist, so dass die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung erforderlich wird. Dies ist allerdings eher die Ausnahme. Eine Verzögerung der Regulierung kann sich aber auch dadurch ergeben, dass die vorhandenen Barmittel noch nicht ausreichen und zunächst eine Verwertung von Massegegenständen zur Liquiditätsverbesserung erfolgen muss. In jedem Fall kann der Gläubiger auch eine Verzinsung der Masseforderung verlangen, und zwar selbst bei Masseunzulänglichkeit.220
236
216 Hierzu etwa MünchKomm/InsO/Peters, 4. Aufl. 2019, InsO § 35 Rz. 109 ff. 217 K. Schmidt/Thole, § 55 InsO Rz. 12; Uhlenbruck, ZIP 2001, 1988; Binz, EWiR 2002, 77; LAG Hamm v. 14.3.2002 – 4 Sa 1366/97, ZIP 2002, 770; Schumacher, EWiR 2002, 777; Heiderhoff, ZIP 2002, 1564; Malitz, EWiR 2003, 71; a.A. BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, MDR 2007, 428 = ZIP 2006, 2132 = WM 2007, 91 mit Anm. Hofmann, EWiR 2007, 85. 218 BGH, v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, NZI 2007, 104 Rz. 11 = ZIP 2006, 2132; BAG v. 19.9.2007 – 3 AZB 35/05, ZIP 2007, 2141; a.A. BFH v. 10.7.2002 – I R 69/00, ZIP 2002, 2225. 219 BGH v. 6.2.2014 – IX ZB 57/12, MDR 2014, 426 = ZIP 2014, 480. 220 Hees/Stange, ZIP 2013, 1206; einschränkend Jansen, NZI 2013, 774.
Riewe | 697
§ 9 Rz. 237 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 237
Für diejenigen Masseforderungen, die sich aus der Verwaltung der Masse ergeben, also durch Tätigwerden des Verwalters begründet werden, bestehen keine Besonderheiten. Die praktische Abwicklung des Forderungseinzugs unterscheidet sich in diesem Fall aus Sicht des Gläubigers nicht von anderen Rechtsbeziehungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Insbesondere erfolgt die Regulierung unabhängig von dem Verteilungsverfahren, das für Insolvenzforderungen vorgesehen ist. Die Masseforderung wird formlos geltend gemacht. Im Fall des Bestreitens durch den Verwalter kann der Gläubiger seinen Anspruch im Prozessweg verfolgen.
238
Kommt es dann zu einer Titulierung, so ist bei der Vollstreckung die Vorschrift des § 90 InsO zu beachten, die für Masseverbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind, die Vollstreckung für die Dauer von sechs Monaten seit Eröffnung des Verfahrens für unzulässig erklärt. Vollstreckungen wegen Forderungen aus einem Sozialplan sind generell unzulässig, § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO.
239
Hinsichtlich der Verjährung von Masseforderungen gelten die allgemeinen Verjährungsregeln nach §§ 195 ff. BGB. Besondere, an die Eigenschaft als Masseforderung anknüpfende Verjährungsregeln existieren nicht. Mangels besonderer Regelungen muss hinsichtlich der Geltendmachung der Verjährung ebenfalls auf die allgemeinen Regelungen zurückgegriffen werden. Es sind jedoch Umstände denkbar, in denen der Verwalter sich nicht in zulässiger Weise auf die Verjährung einer Masseforderung berufen kann, beispielsweise wenn er zunächst auf die zur Zeit bestehende Unvollständigkeit der Masse verwiesen hat.221
240
Hinzuweisen ist abschließend auf die Rechtslage für den Fall, dass eine einfache Insolvenzforderung irrtümlicherweise als Masseschuld erfüllt worden ist. Hier nimmt die überwiegende Rechtsansicht einen Rückzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung an. Es fehlt an einem Rechtsgrund für die Zahlung. Nicht zuletzt der Schutz der Massegläubiger gebietet es, dass Irrtümer des Insolvenzverwalters zu Lasten des zu Unrecht begünstigten Insolvenzgläubiger rückgängig gemacht werden müssen.222 ee) Befriedigung bei Masseunzulänglichkeit
241
Eine besondere (und für den betroffenen Gläubiger bedauerliche) Situation ergibt sich dann, wenn der Verwalter feststellen muss, dass die vorhandene Masse zur Befriedigung der Masseverbindlichkeiten nicht ausreicht. Ist die Masse sogar so gering, dass nicht einmal die Kosten des Verfahrens gedeckt sind, ist das Verfahren sofort einzustellen, § 207 Abs. 1 InsO. Man spricht in diesem Fall von Massearmut oder Masselosigkeit. Sind die Verfahrenskosten zwar gedeckt, aber die sonstigen Masseverbindlichkeiten (voraussichtlich) nicht, so spricht man von Masseunzulänglichkeit.
242
Der Verwalter hat den Eintritt der Masseunzulänglichkeit dem Gericht anzuzeigen, § 208 Abs. 1 InsO. Die Feststellung der Masseunzulänglichkeit liegt allein in der Verantwortung des Verwalters. Er kann sie damit begründen, dass die fälligen Verbindlichkeiten nicht voll befriedigt werden können, aber auch erklären, dass die künftig fällig werdenden Masseverbindlichkeiten voraussichtlich nicht zu erfüllen sein werden, § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO, Masseunzulänglichkeit zwar noch nicht eingetreten ist, dafür aber droht. Durch das Wort „voraussichtlich“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass dem Verwalter auch eine Prognose erlaubt ist; er darf Imponderabilien mit ins Spiel bringen, Schätzungen vornehmen usw. Für den Verwalter besteht weder für die Vornahme der Prognose noch für die Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Pflicht, diese zu einem bestimmten Zeitpunkt anzuzeigen. Daher können auch aus der Nichtanzeige der Masseunzulänglichkeit keine materiell-rechtlichen oder prozessualen
221 Zur Gesamtproblematik vgl. Spiekermann, NZI 2019, 446; Werner/Jauch, ZIP 2009, 1894. 222 Bdb. OLG v. 6.12.2001 – 12 U 59/01, NZI 2002, 107.
698 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 247 § 9
Konsequenzen gezogen werden.223 Die Annahme einer solchen Pflicht würde eine unzulässige Ausdehnung der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters bedeuten224 Das Gericht hat die Erklärung des Verwalters hinzunehmen, also die Richtigkeit nicht zu überprüfen. Die hiervon betroffenen Massegläubiger können sich gegen die Erklärung nicht zur Wehr setzen; sie haben kein Rechtsmittel.225 War die Erklärung falsch, lag also keine Masseunzulänglichkeit vor, so beschränkt sich ihr Nachteil auch lediglich auf einen Zinsschaden, weil die Gläubiger, deren Nachrangigkeit mit der Masseunzulänglichkeitsanzeige herbeigeführt worden ist, später doch noch voll befriedigt werden.
243
Das Gericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt zu machen. Den Massegläubigern ist sie besonders zuzustellen. Dies wird das Gericht regelmäßig dem Verwalter übertragen, § 8 Abs. 3 InsO.
244
Der Verwalter hat nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit weiterhin die Pflicht zur weiteren Verwaltung und Verwertung der Masse. Er muss also alles das machen, was auch bei fehlender Masseunzulänglichkeit seine Pflicht gewesen wäre:
245
– Betriebsfortführung (je nach Entscheidung der Gläubigerversammlung), – Verkauf der Anlagegegenstände, – Forderungseinzug einschließlich Prozessführung, – Anfechtungen und sonstige Haftungen geltend zu machen, – Bilanzen zu erstellen, – Forderungen zu prüfen, um nur einige Beispiele zu nennen. Lange Zeit war streitig, ob bei Masseunzulänglichkeit noch eine Anfechtungsklage erhoben werden kann. Die Möglichkeit einer solchen Anfechtungsklage hat der BGH jedoch bejaht;226 auch PKH ist zu gewähren.227
246
Folge der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist, dass die Masseverbindlichkeiten gem. § 209 Abs. 1 InsO in der dort genannten Reihenfolge zu befriedigen sind. Dabei wird für jeden Rang ermittelt, ob die vorhandenen Mittel genügen, sämtliche in dem Rang vorhandenen Ansprüche zu befriedigen. Innerhalb desjenigen Ranges, bei dem dies nicht mehr der Fall ist, findet dann eine quotale Verteilung unter den betroffenen Gläubigern statt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Kosten des Insolvenzverfahrens vorrangig zu bedienen sind, selbst dann, wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit nicht angezeigt hat oder die Verfahrenskosten zuvor gestundet wurden.228
247
223 OLG Düsseldorf v. 27.1.2012 – 22 U 49/11, ZIP 2012, 2115. 224 BGH v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, MDR 2011, 133 = ZIP 2010, 2356, ZInsO 2010, 2323; Gundlach/ Frenzel/Jahn, DZWiR 2013, 177. 225 Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49. 226 BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 36/99, MDR 2002, 172 = ZIP 2001, 1641. 227 BGH v. 28.2.2008 – IX ZB 147/07, ZInsO 2008, 378 = ZIP 2008, 944; anders wenn die Voraussetzungen des § 207 vorliegen, also noch nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt sind, BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 48/12, ZInsO 2013, 496. 228 BGH v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, MDR 2010, 350 = ZIP 2010, 145; zustimmend Weitzmann, EWiR 2010, 127.
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§ 9 Rz. 248 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 248
Sobald der Verwalter die Verwertung der Aktiva abgeschlossen und alle Masseverbindlichkeiten ermittelt hat, muss er Verteilungen an die Massegläubiger vornehmen; und zwar gem. § 209 InsO nach folgender Rangordnung, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis der Beträge (Quoten)229: – Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO; – die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören; – die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 InsO bewilligte Unterhalt.
249
Wichtig: Eine Besonderheit gibt es für die 2. Rangklasse. Hierzu gehören auch Verbindlichkeiten: – aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte (§ 209 Abs. 2 Ziff. 1 InsO); – aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Abs. 2 Ziff. 2 InsO); – aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (§ 209 Abs. 2 Ziff. 3 InsO).
250
Manchmal ist es nicht einfach zu sagen, ob es sich um eine Neumasseverbindlichkeit i.S.d. § 209 Abs. 1 Ziff. 2 InsO handelt. Was ist beispielsweise mit Steuerschulden, die durch die Verwertung von Sicherungsgut anfallen? Was ist mit der Mehrwertsteuer, die bei einer Betriebsfortführung aufgrund der Rechnungserteilung an Kunden fällig wird? Für die mit der Veräußerung der Massegegenstände verbundenen Umsatzsteuer nach eingetretener Masseunzulänglichkeit hat der BGH anhand des klaren Wortlauts des § 54 InsO i.V.m. § 209 Abs. 1 Ziff. 1 InsO festgestellt, dass diese nicht zu den vorrangig zu bedienen Verfahrenskosten zähle. Das gelte selbst dann, wenn dem Insolvenzschuldner die Verfahrenskosten gestundet wurden. Führt der Insolvenzverwalter unter Verletzung des gesetzlichen Vorrangs der Verfahrenskosten die Umsatzsteuer dennoch an das Finanzamt ab, ist ihm sein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse entsprechend zu kürzen. Eine darüber hinausgehende Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO scheide allerdings aus, weil er durch den Abschluss eines derartigen Geschäfts keine insolvenzspezifischen Pflichten gegenüber dem Fiskus verletzt hat.230
251
Auch Kostenerstattungsansprüche gehören nicht zu den Neumasseverbindlichkeiten, wenn der Verwalter nach Rechtshängigkeit einer gegen ihn gerichteten Klage Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Das gleiche gilt bei einem nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fortgesetzten Prozess231: Es handelt sich um eine Altmasseverbindlichkeit, da der Kostenerstattungsanspruch schon mit Zustellung der Klage (und damit vor Unzulänglichkeitsanzeige) entsteht. Macht allerdings der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit glaubhaft, dass eine danach entstandene, als Neumasseverbindlichkeit einzustufende Kostenerstattungsforderung aus der Masse nicht befriedigt werden kann, so darf gegen ihn kein Kostenfestsetzungsbeschluss ergehen.232
252
Ähnlich ist die Situation bei Ansprüchen aus Dauerschuldverhältnissen (insbesondere Miet- und Arbeitsverhältnissen). Soweit der Verwalter deren Entstehung nicht verhindern kann, ist die Ziff. 2 unanwendbar. Unterlässt der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit jedoch die sofortige Kündigung des Dauerschuldverhältnisses, so gelten die Ansprüche, die für die Zeit nach dem ersten 229 Speziell zum Verhältnis Gerichtskosten und Verwaltervergütung BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 175/11, MDR 2013, 552 = ZIP 2013, 634. 230 BGH v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, MDR 2011, 263 = MDR 2011, 70 = ZIP 2010, 2252; zustimmend Ries, EWiR 2011, 59; vgl. hierzu auch Huep/Webel, NZI 2011, 389. 231 Bdb. OLG v. 2.2.2006 – 6 W 232/05, ZIP 2006, 684. 232 BGH v. 9.10.2008 – IX ZB 129/07, MDR 2009, 107 = ZIP 2008, 610, 2284, ZInsO 2008, 1204.
700 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 257 § 9
Kündigungstermin entstehen, als Neumasseansprüche.233 Für die Zeit bis zum ersten Kündigungstermin ist es entscheidend, ob der Verwalter die Gegenleistung des Vertragspartners in Anspruch nimmt.234 Wenn der Insolvenzverwalter nicht kündigt, erhalten die Ansprüche des Arbeitnehmers durch die Freistellung nicht den Rang des § 209 Abs. 1 Ziff. 3 InsO.235 Nimmt der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Arbeitsleistung in Anspruch, sind nach jüngster Rechtsprechung des BAG auch die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Urlaubsvergütung und auf Abgeltung des Urlaubs uneingeschränkt als Neumasseverbindlichkeiten zu berichtigen, wenn der Urlaub innerhalb dieses Zeitraums gewährt wird bzw. das Arbeitsverhältnis endet.236 Ist der Insolvenzschuldner Mitglied einer WEG sind nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige fällig gewordene Wohngeldschulden Neumasseverbindlichkeiten, sofern der Insolvenzverwalter die Gegenleistung dadurch in Anspruch genommen hat, dass er über einen längeren Zeitraum von der Möglichkeit der Freigabe keinen Gebrauch gemacht hat.237
253
Wird durch eine irrtümliche Überweisung die Insolvenzmasse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ungerechtfertigt bereichert, so ist der Rückzahlungsanspruch des Bereicherungsgläubigers nicht als Altmasseverbindlichkeit anzusehen. Der Insolvenzverwalter kann sich aber selbst dann auf „erneute Masseunzulänglichkeit“ berufen, wenn die Bereicherungsforderung die einzige nach der ersten Unzulässigkeitsanzeige begründete Masseverbindlichkeit ist; dies gilt jedenfalls, wenn eine Einstellung nach § 207 InsO erfolgen müsste. Im Ergebnis bedeutet dies die Durchsetzung des Vorrangs der Verfahrenskosten, wobei es für den Bereicherungsgläubiger sicherlich merkwürdig ist, dass er sein Geld nicht zurück erhält, sondern dass dies, zumindest prozentual, der Vergütung des Verwalters zugeschlagen wird.238
254
Hat der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt, so stellt sich für den Gläubiger einer streitigen Masseforderung die Frage, ob er Leistungsklage erheben kann oder nur eine Feststellungsklage zulässig ist. Das BAG und der BGH sind der Ansicht, dass nur die Feststellungsklage statthafte Klageart sein kann.239 Relevant kann die Klageerhebung insbesondere mit Blick auf eine mögliche Verjährung sein.240
255
Gelingt die Befriedigung der Massegläubiger wie zu erwarten nur teilweise (Konsequenz aus Masseunzulänglichkeit), ist das Verfahren nach vollständiger Abwicklung nach § 211 InsO einzustellen. Die Einstellungsentscheidung ist nicht anfechtbar.241
256
In Bezug auf den insoweit nicht befriedigten Teil der Forderung könnte eine Haftung des Verwalters nach § 61 InsO in Betracht kommen, wenn die Masseverbindlichkeit durch seine Rechtshandlung begründet worden ist. Gemäß § 61 Satz 2 InsO hat der Verwalter jedoch die Möglichkeit, sich zu exkulpieren. Er muss vortragen und im Streitfall beweisen, dass er bei der Begründung der Verbindlichkeit die mangelnde Deckung nicht erkennen konnte (vgl. hierzu ausführlicher § 16 Rz. 116 ff. sowie § 22 Rz. 211 ff.).
257
Einschränkend BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, ZIP 2003, 1850. LAG Hamm v. 13.10.2005 – 4 Sa 2340/04, ZInsO 2007, 51. BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, DZWiR 2005, 106; a.A. OLG Düsseldorf v. 27.1.2012 – 22 U 49/11. BAG, Beschl. v. 16.2.2021 – 9 AS 1/21, ECLI:DE:BAG:2021:160221.B.9AS1.21.0, NZI 2021, 446. OLG Düsseldorf v. 28.4.2006 – 3 Wx 299/05, NZI 2007, 50. S. hierzu BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, MDR 2006, 1428 = ZIP 2006, 1004; a.A. noch OLG Rostock v. 29.12.2004 – 3 U 164/04, ZVI 2005, 317 und Knoche, EWiR 2005, 361. 239 BAG v. 11.12.2001 -9 AZR 459/00, ZIP 2002, 628; BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, MDR 2003, 1015 = ZIP 2003, 914; a.A. OLG Stuttgart v. 9.5.2011 – 5 U 7/11, MDR 2011, 1265 = ZIP 2011, 2077; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49; statthafte Leistungsklage auch im Falle eines Sozialplans, vgl. hierzu BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 785/08, MDR 2010, 528 = ZIP 2010, 546. 240 Wenner/Jauch, ZIP 2009, 1894. 241 BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 234/05, MDR 2007, 799 = ZIP 2007, 603. 233 234 235 236 237 238
Riewe | 701
§ 9 Rz. 258 | Beratung des ungesicherten Gläubigers
b) Insolvenzforderungen 258
Die InsO benutzt den Begriff „Insolvenzforderung“ nicht. Sie gibt vielmehr in § 38 InsO nur eine gesetzliche Definition des Begriffs der Insolvenzgläubiger. Darunter versteht man demnach – persönliche Gläubiger, – die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen nach Maßgabe der §§ 174 ff. InsO zu verfolgen.
259
Das persönliche Gläubigerrecht gem. § 38 InsO ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner mit seinem ganzen Vermögen (bzw. Sondervermögen, § 333 InsO) für die Verbindlichkeit einzustehen hat. Den Gegenbegriff hierzu bildet das dingliche Haftungsrecht.
260
Insolvenzforderung kann nur ein Vermögensanspruch, also ein solcher Anspruch sein, der auf Geldleistung gerichtet ist oder sich in einen Geldanspruch umwandeln lässt. Der Gläubiger steht insoweit selber in der Pflicht, seine Forderung mit einem Geldbetrag in inländischer Währung zu beziffern, um an dem Verfahren teilnehmen zu können.
261
Forderungen, die keinen in Geld umrechenbaren Inhalt haben und als solche daher keine Insolvenzforderungen darstellen, etwa Ansprüche auf unvertretbare Handlungen, können aber evtl. Schadensersatzansprüche auslösen, die dann wiederum Insolvenzforderungen darstellen.
262
Die Forderung muss bei Insolvenzeröffnung bereits begründet gewesen sein. Diese Abgrenzung ist relevant für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseforderung, aber auch zur Trennung von Neuforderungen, die nichts mit der Insolvenzabwicklung zu tun haben. Entscheidend ist dabei, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Das ist dann der Fall, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war.242
263
Ist eine Forderung auf wiederkehrende Leistungen gerichtet, so ist taugliches Abgrenzungskriterium zwischen Insolvenz- und Masseforderungen die Frage, ob die Leistung des Gläubigers bereits vollständig erbracht wurde oder ob auch nach Verfahrenseröffnung (weiterhin) Leistungen erbracht werden. Dabei macht es im Ergebnis zwar keinen Unterschied, ob Ansprüche aus einem einheitlichen Dauerschuldverhältnis vorliegen oder aber ob jeweils neue Einzelforderungen entstehen. Allerdings ist zu differenzieren, ob es sich um die vorgenannten Konstellationen oder ob es sich um Ansprüche aus einem sog. einheitlichen Stammrecht handelt.243
264
Bei Ansprüchen aus einem einheitlichen Stammrecht, wie z.B. bei Rentenansprüchen aus § 843 BGB oder Leibrentenverträgen etc., wurde der Gegenwert für die künftig wiederkehrenden Forderungen bereits in das Vermögen des Schuldners erbracht. Dies hat zur Folge, dass die wiederkehrenden Forderungen auch aus diesem Vermögen zu zahlen sind. Es handelt sich daher immer um Insolvenzforderungen. Hinsichtlich der jeweils neu entstehenden Schuldverhältnisse sowie der Dauerschuldverhältnisse wird bei der Frage, ob es sich insofern um Masseschulden oder Insolvenzforderungen handelt, nach dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung differenziert: Die vor der Verfahrenseröffnung entstehenden Forderungen sind Insolvenzforderungen. Danach entstehende Forderungen sind, je nachdem, ob eine Fortsetzung mit der Masse oder dem insolvenzfreien Vermögen erfolgt, Masse- oder Neuforderungen. Auf die detaillierte Regelung zu Miet- und Pachtverhältnissen über unbewegliche Sachen bzw. Dienstverhältnisse des Schuldners in § 108 InsO wird ausdrücklich hingewiesen. 242 BGH, NZI 2011, 953; Ehricke in MünchKomm/InsO, § 38 InsO Rz. 16. 243 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 38 Rz. 58 ff.; Ehricke in MünchKomm/InsO, § 38 InsO Rz. 19; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 38 InsO Rz. 20 (10. EL Stand September 2005).
702 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 272 § 9
Bereits entstandene, aber noch nicht fällige Forderungen gelten im Insolvenzverfahren als fällig, § 41 InsO. Auflösend bedingte Forderungen werden gem. § 42 InsO wie unbedingte Forderungen behandelt, soweit die Bedingung nicht eingetreten ist.
265
aa) Rangordnung Innerhalb der Insolvenzforderungen gibt es anders als unter der Konkursordnung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1–6 KO keine Vorrechte. Die Forderungen der Insolvenzgläubiger stehen alle im gleichen Rang; das Verhältnis untereinander ergibt sich aus den jeweils angemeldeten Beträgen.
266
In einem gewissen Widerspruch hierzu hat der Gesetzgeber jedoch „nachrangige“ Insolvenzforderungen eingeführt, § 39 InsO. Derartige Forderungen haben nach früherem Recht überhaupt nicht an den Verteilungen teilgenommen. Die Gründe für ihre Nachrangigkeit sind jedoch nicht in der Person des jeweiligen Gläubigers, sondern in der Art der Verbindlichkeit zu suchen.
267
bb) Forderungsanmeldung Die Einzelheiten zur Anmeldung von Insolvenzforderungen im Insolvenzverfahren sind in den §§ 174 ff. InsO geregelt.
268
(1) Allgemeines Die Forderungen sind nach § 174 Abs. 1 InsO beim Insolvenzverwalter (und nicht etwa beim Insolvenzgericht) anzumelden. Die Anmeldung der Forderung ist Voraussetzung für die Teilnahme am Verfahren. Die Teilnahme wiederum dürfte im Regelfall die einzige Möglichkeit sein, überhaupt einen Teil der Forderung zu realisieren. § 87 InsO entfaltet Wirkung für sämtliche Insolvenzgläubiger, unabhängig von ihrer Teilnahme am Verfahren, so dass ein Verzicht auf die Teilnahme nicht die Möglichkeit eröffnet, den Schuldner persönlich in Anspruch zu nehmen.
269
Die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger sind nur anzumelden, soweit das Insolvenzgericht besonders zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert, § 174 Abs. 3 InsO. Eine solche Aufforderung wird dann erfolgen, wenn die Forderungen der einfachen, nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger vollständig erfüllt werden können. Sie stellt in der Praxis eine seltene Ausnahme dar.
270
Die Anmeldung der Forderung im Insolvenzverfahren wirkt verjährungshemmend, § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB. Bereits für die Konkursordnung wurde höchstrichterlich entschieden, dass die unterbrechende Wirkung nur für Konkursforderungen – also nicht etwa für Masseverbindlichkeiten – eintrat. Diese Rechtslage änderte sich auch nicht nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung; die irrtümliche Anmeldung einer Forderung, die in Wahrheit keine Insolvenzforderung (sondern z.B. eine Masseforderung) ist, unterfiel nicht der Regelung des § 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB a.F. Gleiches dürfte nunmehr auch für die Vorschrift § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gelten; es besteht insoweit Wortlautidentität.
271
(2) Form und Inhalt der Anmeldung Üblich ist es, dass mit Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger auch zugleich ein Formular für die Anmeldung übersandt wird. Diese Formulare variieren von Bundesland zu Bundesland. Die Verwendung durch den Gläubiger ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Anmeldung, korrekt ausgefüllt aber jedenfalls eine Erleichterung im Bereich der Datenerfassung. Entsprechende Formulare sind auch online verfügbar, z.B. bei der Justizverwaltung NRW.244 Ein Muster zur Forderungsanmeldung findet sich umseitig.
244 www.justiz.nrw.de.
Riewe | 703
272
§ 9 Rz. 272 | Beratung des ungesicherten Gläubigers
704 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 272 § 9
Riewe | 705
§ 9 Rz. 273 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 273
Die Anmeldung ist in deutscher Sprache abzufassen; § 184 GVG findet insoweit Anwendung. Die Anmeldung per Telefax (bzw. telegrafisch) ist zulässig. Diese Formen sind allgemein für Prozesshandlungen anerkannt; eine entgegenstehende Regelung ergibt sich aus der InsO nicht, so dass insofern über § 4 InsO die Vorschriften der ZPO Anwendung finden.
274
Die Anmeldung hat den Betrag (in inländischer Währung) und den Grund der Forderung zu enthalten. Als Forderungsgrund ist der zugrunde liegende Lebenssachverhalt anzugeben; eine lediglich rechtliche Würdigung genügt hier nicht. Bei einer Sammelanmeldung, der mehrere Forderungen zugrunde liegen, hat für jede einzelne Forderung eine Substantiierung zu erfolgen.245 Dies ist wichtig, weil die Anmeldung eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung als Titel die Zwangsvollstreckung betreiben kann; deshalb muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden.246
275
Nach § 174 Abs. 2 InsO muss der Insolvenzgläubiger im Hinblick auf § 302 Ziff. 1 InsO ausdrücklich angeben und konkret begründen, ob die Forderung auf einer unerlaubten Handlung beruht.247
276
Die Anmeldung eines Anspruchs auf Zahlung Zug um Zug gegen Herausgabe einer Sache ist rechtlich nicht möglich.248
277
Zinsforderungen auf die Hauptforderung sind gesondert auszuweisen mit Angabe des Verzinsungsbeginns und des Zinssatzes; erforderlichenfalls ist auch der Endtermin anzugeben; spätestens ist dies der Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
278
Mehrere selbständige Forderungen sind einzeln anzugeben; dagegen ist bei Kontokorrentforderungen der Saldo anzumelden. Forderungen von Arbeitnehmern sind brutto anzumelden.
279
Der Anmeldung sollten Kopien derjenigen Unterlagen beigefügt werden, die geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch nachzuweisen. Auf die Wirksamkeit der Anmeldung hat dies keine Auswirkung. Ein Unterlassen dürfte jedoch in aller Regel zum Bestreiten des Anspruchs durch den Verwalter führen mit dem sich dann daraus ergebenden Kostenrisiko des sofortigen Anerkenntnisses bei Vorlage im Rahmen eines möglicherweise erforderlichen Feststellungsprozesses (s. hierzu unten Rz. 312 f.).
280
Befindet sich der Gläubiger im Besitz eines Titels über die angemeldete Forderung, so sollte dieser Titel im Original der Anmeldung beigefügt werden, auch wenn dies nach Meinung des BGH für die Feststellung der Forderung entbehrlich ist.249 (3) Eintragung in die Tabelle
281
Dem Insolvenzverwalter obliegt es gem. § 175 Satz 1 InsO, die angemeldeten Forderungen in eine Tabelle einzutragen. Bei der Aufnahme von Forderungen in die Tabelle ist der Insolvenzverwalter an die Auffassung des Gläubigers gebunden. Bei nachrangigen Forderungen besteht keine Zurückweisungsbefugnis, sondern nur die Möglichkeit des Bestreitens im Prüftermin.250
245 BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 3/08, MDR 2009, 594 = ZIP 2009, 483; OLG Jena v. 20.3.2013 – 2 U 554/12, BGH v. 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZIP 2013, 1235. 246 BGH v. 27.9.2001 – IX ZR 71/00, NZI 2002, 37 = MDR 2001, 1438 = ZIP 2001, 2099. 247 Kehe/Meyer/Schmerbach, ZInsO 2002, 615, 660 sowie Mäusezahl, ZInsO 2002, 462. 248 BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 165/02, MDR 2004, 595 = ZIP 2003, 2379 m. Bespr. Holzer, EWiR 2004, 191. 249 BGH v. 1.12.2005 – IX ZR 95/04, MDR 2006, 835 = ZIP 2006, 192 = ZVI 2006, 26; Köster/Ahrendt, EWiR 2006, 177. 250 LG Waldshut-Tiengen v. 26.1.2005 – 1 T 172/03, ZInsO 2005, 557.
706 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 288 § 9
Die Tabelle hat als Mindestinhalt den Namen und die Anschrift des Gläubigers sowie dessen Vertreter, den angemeldeten Betrag, aufgeschlüsselt nach Hauptforderung, Kosten und Zinsen, den Grund der Forderung und den Tag des Eingangs der Anmeldung bei dem Verwalter zu enthalten.
282
Der Verwalter hat die Tabelle innerhalb der Frist des § 175 Satz 2 InsO bei der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen.
283
(4) Nachträgliche/verspätete Anmeldungen Versäumt der Gläubiger die Anmeldung seiner Forderung innerhalb der Frist des § 28 Abs. 1 InsO, ist ihm damit noch nicht die Möglichkeit genommen, seine Forderung in dem Verfahren geltend zu machen. Bei der Frist zur Anmeldung handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist.
284
Im Ausgangspunkt sind im Prüfungstermin auch solche Forderungen zu prüfen, die nach Ablauf der Frist angemeldet werden, § 177 Abs. 1 Satz 1 InsO, theoretisch auch solche, die erst im Prüfungstermin geltend gemacht werden. Der Verwalter hat allerdings die Möglichkeit, der Prüfung einer nach Fristablauf angemeldeten Forderung unter Hinweis auf den Fristablauf zu widersprechen, § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO, mit der Folge, dass das Gericht auf Kosten des Säumigen entweder die schriftliche Prüfung der Forderung oder aber einen besonderen Prüfungstermin anordnet. Die Prüfung im Termin findet dann jedenfalls nicht statt. Geht eine Anmeldung erst ein, nachdem der Prüfungstermin stattgefunden hat, so ist auch in diesem Fall entweder ein besonderer Prüfungstermin zu bestimmen oder es ist die Prüfung der Forderung im schriftlichen Verfahren anzuordnen. Die Kosten für eine Nachprüfung (Nr. 4140 KostO) sind vom säumigen Gläubiger zu tragen.
285
Forderungsanmeldungen, die erst nach Bestimmung des Schlusstermins erfolgen, sind als Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis zu werten; sie müssen persönlich im Schlusstermin vorgebracht werden. Der Insolvenzverwalter darf nachträglich angemeldete Forderungen, die in einem mit dem Schlusstermin verbundenen Nachprüfungstermin geprüft werden, nicht mehr in das Schlussverzeichnis, das für die Verteilung bindend ist, aufnehmen.251 Dies ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Zu spät kommende Gläubiger haben durchaus das Interesse, noch Teilnahmerechte im Verfahren zu bekommen, insbesondere was die Stellung von Versagungsanträgen angeht. Deshalb sind Forderungsanmeldungen grundsätzlich bis zum Schlusstermin zulässig. Die Prüfung erfolgt gegebenenfalls in einem mit dem Schlusstermin verbundenen nachträglichen Prüfungstermin. Die Grenze ist jedoch die Ladungsfrist des § 177 Abs. 2 InsO, deren Einhaltung dem Insolvenzgericht ohne Vertagung des Schlusstermins möglich bleiben muss. Ein Anspruch des säumigen Gläubigers auf Prüfung seiner Forderung in einem nachträglichen Prüfungstermin vor Veröffentlichung der Schlussverteilung besteht bis zu diesem Zeitpunkt nur, soweit hierdurch nicht ein bereits festgesetzter Schlusstermin versagt werden müsste.252
286
Nach dem Schlusstermin sind keine Forderungsanmeldungen mehr möglich. Dies hat vor allem für ein sich anschließendes Restschuldbefreiungsverfahren Bedeutung. Dort ist für eine Forderungsprüfung kein Raum mehr. Der Gläubiger, der vergessen hat, im eröffneten Insolvenzverfahren die Forderung anzumelden, verliert diese endgültig.253
287
(5) Rücknahme und Änderung von Anmeldungen Eine Anmeldung kann bis zur Feststellung der Forderung zurückgenommen werden. Danach ist eine Rücknahme wegen der Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO eigentlich nicht mehr möglich. Wird trotzdem die Rücknahme erklärt, so kann die Erklärung als Verzicht auf die Teilnahme an den 251 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, MDR 2007, 977 = ZIP 2007, 876. 252 Gerbers/Pape, ZInsO 2006, 685. 253 AG Potsdam v. 25.8.2006 -35 IK 440/05, ZIP 2006, 2230.
Riewe | 707
288
§ 9 Rz. 288 | Beratung des ungesicherten Gläubigers Verteilungen ausgelegt werden. Die Rücknahme geschieht durch Erklärung gegenüber dem Verwalter bzw. dem Gericht, sofern die Tabelle bereits dort niedergelegt ist, § 175 InsO (die Tabelle verbleibt nach der Prüfung beim Insolvenzgericht). 289
Ändert der Gläubiger seine Anmeldung, etwa in Bezug auf den angemeldeten Betrag (Ermäßigung bzw. Erhöhung) oder den Forderungsgrund, handelt es sich der Sache nach um eine Neuanmeldung. Die Behandlung einer solchen geänderten Anmeldung hängt davon ab, in welchem Stadium sich das Verfahren befindet254:
290
Eine Änderung vor Ablauf der Anmeldefrist wird in der Regel die „alte“ Anmeldung ersetzen. Nach Ablauf der Anmeldefrist, jedoch noch vor dem Prüfungstermin kann eine Berücksichtigung im Prüfungstermin erfolgen; widerspricht der Insolvenzverwalter oder ein Insolvenzgläubiger der Prüfung, ist eine Nachprüfung erforderlich. Bei Änderung der Anmeldung nach dem Prüfungstermin sind verschiedene Konstellationen denkbar, deren Darstellung im Einzelnen hier zu weit führen würde. Zu unterscheiden ist jedenfalls, ob die Änderung den angemeldeten Betrag oder den Schuldgrund betrifft und ob die Forderung bereits festgestellt wurde.
291
Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit im Prüfungstermin weder vom Verwalter noch von einem anderen Gläubiger ein Widerspruch erfolgt (§ 178 Abs. 1 InsO). Die Eintragung in die Tabelle wirkt wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter (Abs. 3). Der Austausch des Grundes der Forderung ist nur bis zur rechtskräftigen Feststellung zulässig; einer späteren Berichtigung steht die Rechtskraftwirkung entgegen.255 cc) Forderungsfeststellung (1) Prüfungstermin
292
Mit Eröffnung des Verfahrens bestimmt das Insolvenzgericht einen Termin zur Forderungsprüfung und gibt diesen Termin im Eröffnungsbeschluss bekannt, § 29 Abs. 1 Satz 2 InsO.
293
Die Durchführung des Prüfungstermins geschieht durch das Insolvenzgericht. Zuständig ist insoweit regelmäßig der Rechtspfleger, auf den das Verfahren übertragen wurde.
294
Der Insolvenzverwalter hat im Termin zu jeder einzelnen Forderung Stellung zu nehmen und wird daher im Vorfeld des Termins die Forderungen im Hinblick darauf sichten, ob er diese im Termin bestreiten will oder nicht. Grundlage hierfür sind zum einen die Angaben des Schuldners, der gem. § 97 InsO verpflichtet ist, dem Verwalter die erforderlichen Auskünfte zu erteilen; zum anderen wird der Verwalter die der jeweiligen Anmeldung beigefügten Unterlagen dahin überprüfen, ob die angemeldete Forderung insoweit hinreichend belegt erscheint. Streitig ist, ob der Insolvenzverwalter persönlich anwesend zu sein hat256 oder ob die Entsendung eines Vertreters zulässig ist.257
295
Zur Teilnahme an dem Prüfungstermin sind alle Insolvenzgläubiger berechtigt, die eine Forderung in dem Verfahren angemeldet haben.
296
Der Schuldner ist ebenfalls berechtigt, am Prüfungstermin teilzunehmen. Sein Erscheinen kann auch durch das Gericht angeordnet werden.
254 Überblicksdarstellung zur Änderung von Insolvenztabelle und Schlussverzeichnis bei Willmer/Berner, NZI 2015, 877. 255 AG Marburg/Lahn v. 5.7.2005 – 22 IN 15/04, ZInsO 2005, 784. 256 So etwa Jungmann in K. Schmidt InsO, 19. Aufl. 2016, § 176 InsO Rz. 9; Graeber/Graeber ZInsO 2013, 1056, 1062 m.w.N. 257 So etwa Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl. 2019, InsO § 176 Rz. 22 m.w.N.
708 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 302 § 9
Für jede angemeldete Forderung hat das Insolvenzgericht das Ergebnis der Prüfung einzutragen, § 178 Abs. 2 InsO. Aus dem entsprechenden Vermerk ergibt sich dann, ob eine Forderung ganz oder teilweise (vorläufig) bestritten oder festgestellt wurde. Zu den bestrittenen Forderungen ist außerdem anzugeben, wer der Forderung widersprochen hat. Die Eintragung der festgestellten Ansprüche reduziert sich in bestimmten Fällen nicht darauf, dass der Anspruch festgestellt wurde, vielmehr können sich hier weitere Besonderheiten ergeben: So werden Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger in den Fällen, in denen die Verwertung des Sicherungsgutes noch nicht abgeschlossen ist, „für den Ausfall“ festgestellt, § 52 InsO. Ebenso erhalten Wechsel- bzw. Scheckforderungen einen entsprechenden Vermerk: „Festgestellt unter der Bedingung des Art. 39 WG bzw. Art. 34 ScheckG“.
297
(2) Feststellungswirkungen und Rechtsbehelfe Die Feststellung der Forderung wirkt gegenüber den Insolvenzgläubigern, gegenüber dem Verwalter und gegenüber dem Schuldner hinsichtlich des festgestellten Betrages wie ein rechtskräftiges Urteil, § 178 Abs. 1 InsO. Unschädlich ist dabei die falsche Bezeichnung des Gläubigers bei der Eintragung der Forderung in die Tabelle. Diese kann jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen berichtigt werden und setzt keine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 319 ZPO voraus.258
298
Hat der Insolvenzgläubiger nur eine Teilforderung zur Tabelle angemeldet, so bewirkt die Eintragung in die Tabelle lediglich die positive Feststellung des Anspruchs in angemeldeter Höhe. Eine zugleich negative Feststellung, dass eine weitergehende Forderung nicht bestehe, folgt daraus nicht.259
299
Die Rechtskraftwirkung gegenüber dem Schuldner erlangt regelmäßig erst nach Verfahrensbeendigung Bedeutung. Eine Besonderheit ergibt sich, wenn einzig der Schuldner der Forderung im Prüfungstermin widersprochen hat. Ein solcher Widerspruch hindert nicht die Feststellung der Forderung zur Tabelle, hindert jedoch nach Abschluss des Verfahrens eine Vollstreckung gegen den Schuldner aus der Tabelle.
300
Gegen feststellende Tabelleneinträge sind die Rechtsbehelfe zulässig, die das Gesetz allgemein gegen rechtskräftige Urteile gewährt, also insbesondere die Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO260 und die Restitutionsklage des § 580 ZPO. Hierzu zählt nicht die negative Feststellungsklage bezüglich des Nichtbestehens einer zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung.261 Im Einzelfall kann die Erhebung einer materiell-rechtlichen Klage aus § 826 BGB in Betracht kommen, wenn der Gläubiger die Feststellung sittenwidrig herbeigeführt hat oder die Feststellungswirkung in sittenwidriger Weise ausnutzt.262
301
Sind die Einwendungen gegen die festgestellte Forderung erst nach deren Feststellung entstanden, kommt auch eine Klage nach § 767 ZPO in Betracht. Da es hier auf den Zeitpunkt der Feststellung ankommt, ist darauf zu achten, wann diese erfolgte:
302
– wurde der Forderung nicht widersprochen, handelt es sich um den Tag des Prüfungstermins; – wurde Feststellungsklage erhoben, ist der Schluss der mündlichen Verhandlung maßgebend (§ 296a ZPO); – bei Einlegung und anschließender Rücknahme eines Widerspruchs: der Zugang der Rücknahmeerklärung bei Gericht oder dem anmeldenden Gläubiger;
258 259 260 261 262
OLG München v. 22.10.2010 – 14 U 120/08, ZIP 2010, 2526. BGH v. 19.1.2012 – IX ZR 4/11, MDR 2012, 492 = ZIP 2012, 537; Keller, EWiR 2012, 251. BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07, MDR 2009, 351 = ZIP 2009, 243. BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 113/09, ZIP 2010, 1772 = NZI 2010, 345. Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, InsO, § 178 Rz. 51.
Riewe | 709
§ 9 Rz. 302 | Beratung des ungesicherten Gläubigers – wurde der Forderung durch einen Gläubiger widersprochen, nimmt dieser jedoch seine eigene Anmeldung zurück: Eingang der Rücknahmeerklärung bei Gericht; – bei Erlöschen der Forderung des Bestreitenden: Zeitpunkt des Erlöschens. 303
Aktivlegitimiert ist während des Verfahrens der Verwalter und jeder Insolvenzgläubiger, nach Verfahrensbeendigung der (ehemalige) Schuldner.
304
Die Rechtskraftwirkung der Feststellung zur Insolvenztabelle beschränkt sich nach herrschender Meinung auf Forderungen, die auch wirklich Insolvenzforderungen sind. Liegt in Wahrheit eine Masseverbindlichkeit vor, so wird keine Feststellungswirkung ausgelöst. Hat ein Gläubiger irrtümlich eine andere als eine Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet, hindert ihn dies auch bei etwaiger Feststellung nicht, seinen Anspruch nach den Vorschriften zu verfolgen, die für die anderen Forderungen gelten, also bspw. bei einer Masseforderung darauf zu bestehen, dass sie vorab befriedigt wird.263
305
Umgekehrt ist die Situation, wenn der Gläubiger fälschlicherweise von einer Masseverbindlichkeit ausgegangen ist, in Wahrheit aber eine Insolvenzforderung vorliegt. Hat er in diesem Fall versäumt, die Forderung rechtzeitig zur Tabelle anzumelden, so kann ihm, je nach Zeitablauf, die Verjährungseinrede entgegengehalten werden, auch wenn er die Forderung dem Verwalter mitgeteilt, sie ihm gegenüber jedoch ausdrücklich als Masseforderung bezeichnet hat.264 (3) Bestreiten von Forderungen, insbesondere vorläufiges Bestreiten
306
Das Bestreiten von zur Tabelle angemeldeten Forderungen erfolgt durch mündliche Erklärung, dass der angemeldeten Forderung widersprochen wird. Ein schriftlicher Widerspruch ist nur zulässig, wenn gem. § 177 Abs. 1 InsO die Prüfung im schriftlichen Verfahren angeordnet wurde. Widersprochen werden kann dem Anspruch als solchem, der Höhe des Anspruchs, der Anmeldbarkeit des Anspruchs zur Tabelle (für den Fall, dass es sich nicht um eine Insolvenzforderung handelt) sowie einem im Rahmen des § 39 InsO angemeldeten Vorrecht.
307
Zunächst ist der Schuldner selbst berechtigt, im Prüfungstermin angemeldeten Forderungen zu widersprechen. Ein solcher Widerspruch hindert allerdings die Feststellung zur Tabelle nicht (§ 178 Abs. 1 S. 2 InsO). Die Wirkung besteht jedoch darin, dass eine Vollstreckung gegen den Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens aus dem Tabelleneintrag nicht möglich ist, § 209 Abs. 2 InsO. Um die Möglichkeit einer solchen späteren Vollstreckung zu erhalten, ist ein Vorgehen nach § 184 InsO (Feststellungsklage gegen den Schuldner) erforderlich.
308
Des Weiteren ist der Verwalter, der in Ausübung seines Amtes die Interessen aller Gläubiger in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen hat, zum Widerspruch berechtigt. Neben ihm sind dies ebenfalls die Gläubiger, die ihre Forderungen zur Tabelle angemeldet haben.
309
Ein Widerspruch durch den Verwalter und/oder einen oder mehrere Gläubiger führt dazu, dass der Inhaber der bestrittenen Forderung nunmehr zunächst die Feststellung seines Anspruchs betreiben muss, § 179 Abs. 1 InsO, will er die Feststellung zur Tabelle erreichen.
310
Umgekehrt liegt der Fall dann, wenn der Gläubiger der bestrittenen Forderung über einen Titel verfügt. Dann ist gem. § 179 Abs. 2 InsO der Bestreitende gehalten, die Feststellung zu betreiben, dass die
263 Vgl. auch BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 30/12, MDR 2014, 114 = ZIP 2014, 134 = NZI 2014, 73 Rz. 22. 264 LG Wuppertal v. 20.4.2010 – 16 O 129/09, ZIP 2010, 2170.
710 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 315 § 9
Forderung nicht besteht. An dieser Stelle wirkt sich die ansonsten im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht besonders bedeutsame Titulierung einer Forderung gegen den Schuldner zugunsten des Gläubigers aus. Zu den Einzelheiten s. unten Rz. 333 ff. Eine Besonderheit der Prüfung liegt in dem von Verwaltern in umfangreichen Verfahren oftmals praktizierten „vorläufigen“ Bestreiten einzelner Forderungen. Der Verwalter ist gehalten, in seiner Erklärung klar und deutlich darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Vielzahl der angemeldeten Forderungen eine sorgfältige Prüfung der einzelnen Ansprüche bis zu dem Prüfungstermin noch nicht möglich war; andernfalls hat der Verwalter die Verlegung des Prüfungstermins zu beantragen.265 Ob ein solches Vorgehen zulässig ist, ist streitig. Nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung – GOI266 – soll etwas derartiges vermieden werden.
311
Mit Blick auf das weitere Vorgehen des Gläubigers ist zu beachten, dass auch „vorläufig“ bestrittene Forderungen als bestrittene Forderungen i.S.d. § 179 Abs. 1 InsO einzuordnen sind.267 Der Gläubiger kann daher zulässigerweise Klage auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erheben. Dabei wird es auch aus Sicht des beratenden Anwalts darum gehen, die Kostenfolge des § 93 ZPO zu vermeiden. Erklären die Prozessparteien nach einem Anerkenntnis der vorläufig bestrittenen Forderung den Rechtsstreit für erledigt, so hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Er hätte sich vor Aufnahme des Rechtsstreits vergewissern müssen, ob der Insolvenzverwalter das Bestreiten der angemeldeten Forderung aufrechterhält.268
312
Hinweis: Hat etwa der Bestreitende deutlich gemacht, dass er die Forderung nur deshalb bestreitet, weil er sich zu ihr nicht abschließend erklären kann, so sollte sich der Gläubiger vergewissern, dass der Bestreitende seinen Widerspruch nach wie vor aufrechterhält. Lässt sich dagegen dem Bestreiten kein Grund für einen Widerspruch entnehmen und ist auch nicht zu erkennen, dass die Erklärung unter dem Vorbehalt weiterer Prüfung und möglicherweise Anerkennung erfolgte, dürfte bei Klageerhebung durch den Gläubiger das Risiko einer für ihn negativen Kostenentscheidung gegen Null tendieren.
313
dd) Feststellungsrechtsstreit (1) Bestrittene Forderungen ohne Titel Hat der Insolvenzverwalter oder ein Gläubiger eine nicht titulierte Forderung bestritten, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben, § 179 Abs. 1 InsO. Betrieben wird die Feststellung durch Klageerhebung im „ordentlichen Verfahren“ (§ 180 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gemeint ist hiermit regelmäßig ein Zivilprozessverfahren. Ausnahmsweise kann nach § 185 InsO auch ein besonderes Gericht zuständig sein, wenn nämlich Ansprüche betroffen sind, die bei Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs- oder FG geltend zu machen sind. Nach Satz 2 von § 180 Abs. 1 InsO ist grundsätzlich das AG anzurufen, und zwar dasjenige, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist. Damit soll nur die örtliche Zuständigkeit angesprochen werden. Die Klage ist also nicht etwa bei der Insolvenzabteilung, sondern bei der Zivilabteilung einzureichen.
314
Gehört der Streitgegenstand nicht zur Zuständigkeit der AG, so ist das LG ausschließlich zuständig, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört, § 180 Abs. 1 Satz 3 InsO. Dort ist evtl. auch die Kammer für Handelssachen anzurufen, wenn die Voraussetzungen des § 95 GVG vorliegen.
315
265 266 267 268
AG Hagen v. 14.2.2012 – 10 C 491/11, ZIP 2012, 1678. ZIP 2011, 1489. BGH v. 9.2.2006 – IX ZB 160/04, MDR 2006, 1188 = NZI 2006, 295 = ZIP 2006, 576. LAG Hamm v. 14.3.2002 – 4 Sa 1366/97, ZIP 2002, 770; Schumacher, EWiR 2002, 777.
Riewe | 711
§ 9 Rz. 316 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 316
Wäre vom Streitwert her zunächst das außergerichtliche Schlichtungsverfahren zu durchlaufen, so muss dies nicht bei einer bestrittenen Tabellenforderung beachtet werden. Es kann also sofort auf Feststellung zur Tabelle geklagt werden.269 Dagegen soll aber ein Schiedsverfahren zulässig sein.270
317
Ein Mahnverfahren scheidet aus, weil ein Vollstreckungsbescheid nicht auf Feststellung zur Tabelle lauten kann.271 Genauso wenig ist ein Urkunds-, Wechsel- oder Scheckprozess eine geeignete Verfahrensart.272 Ein Vorbehaltsurteil würde nämlich hinsichtlich der endgültigen Klärung einer Tabellenforderung nicht weiterhelfen. Der gesetzgeberische Gedanke, dem Kläger zügig eine Vollstreckungsmöglichkeit zu verschaffen, hat im Rahmen der Insolvenz keine Bedeutung.
318
Die erhobene Feststellungsklage muss den selben Streitgegenstand haben wie die Forderungsanmeldung. Hatte der Gläubiger etwa einen Rückzahlungsanspruch nach Rücktritt zur Tabelle angemeldet, so kann er im Falle des Bestreitens der Klageforderung nicht später auf einen Nichterfüllungsschaden gestützt werden; eine derartige neue, d.h. andere Forderung müsste zunächst wieder zur Tabelle angemeldet werden.273 Im Übrigen ist es unzulässig, der Klage einen anderen Anspruch zugrunde zu legen als er in der Forderungsanmeldung aufgeführt ist.274
319
Formulierungsvorschlag: Zu achten ist auf den richtigen Klageantrag.275 „Es wird festgestellt, dass dem Kläger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma XY eine Insolvenzforderung in Höhe von … Euro zusteht.“
320
Eine Feststellungsklage nach den §§ 179 ff. InsO ist nur zulässig, wenn zuvor ein Prüfungsverfahren stattgefunden hat. Anmeldung und Prüfung der Forderung sind Sachurteilsvoraussetzungen, die von Amts wegen berücksichtigt werden müssen.276 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.277
321
Hinweis: Ist die Feststellung gegen mehrere Bestreitende zu betreiben, empfiehlt sich die Führung des Rechtsstreits gegen sämtliche Widersprechenden, diese werden zu notwendigen Streitgenossen, weil die Feststellung der Forderung in Bezug auf die Insolvenztabelle nur einheitlich erfolgen kann.278
322
Streitig ist, ob außer der Insolvenzfeststellungsklage der Gläubiger auch eine Klage des Verwalters zulässig ist, die auf Feststellung des Nichtbestehens der (ohnehin bestrittenen) Forderung gerichtet ist. In aller Regel dürfte für eine solche Klage das Rechtsschutzbedürfnis bzw. Feststellungsinteresse fehlen
269 BGH v. 9.6.2011 – IX ZR 213/10, MDR 2011, 1253 = ZIP 2011, 1687; kritisch hierzu Eckardt, EWiR 2011, 607; zust. Hörmann, VIA 2011, 75; a.A. AG Wuppertal v. 30.11.2001 – 36 C 366/01, ZInsO 2002, 91 m. zust. Besprechung von Mankowski, EWiR 2002, 347. 270 BGH v. 29.1.2009 – III ZB 88/07, MDR 2009, 591 = ZIP 2009, 627; zustimmend Wirt/Undritz, EWiR 2009, 451; BGH v. 28.2.1957 – VII ZR 204/56, BGHZ 24, 15, 18; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, InsO, § 180 Rz. 15. Zur Bindungswirkung von Schiedsabreden für den Insolvenzverwalter im Allgemeinen vgl. Mock in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 80 InsO Rz. 185 ff. 271 Sinz in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 180 InsO Rz. 13. 272 OLG München v. 19.10.1984 -23 U 3153/84, MDR 1985, 419 = ZIP 1985, 297; a.A.: Greger in Zöller, ZPO, § 592 Rz. 3. 273 BGH v. 27.9.2001 – IX ZR 71/00, MDR 2001, 1438 = WM 2001, 2180 = ZIP 2001, 2099; BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 165/02, MDR 2004, 595 = ZIP 2003, 2379 = NZI 2004, 214. 274 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 26. 275 BGH v. 29.6.1994 – VIII ZR 28/94, MDR 1995, 320 = ZIP 1994, 1193. 276 BAG v. 3.12.1985 – 1 AZR 545/84, MDR 1986, 434 = ZIP 1986, 518; LG Bonn v. 15.8.1996 – 18 O 2/ 96, ZIP 1996, 1672. 277 Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 4 (90. Lfg. 2021). 278 Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 9 m.w.N. (90. Lfg. 2021).
712 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 329 § 9
(wenn der von dem Widerspruch betroffene Gläubiger auf eine Feststellungsklage verzichtet), weil eine bestrittene Forderung bei der Verteilung unberücksichtigt bleibt, § 189 InsO.279 (2) Fortsetzung eines Rechtsstreits War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die angemeldete Forderung anhängig, so ist die Feststellung durch Aufnahme des gem. § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit zu betreiben, § 180 Abs. 2 InsO. Dies entspricht dem Grundsatz der Prozessökonomie. Einem neuen Rechtsstreit stünde der Einwand der Rechtshängigkeit entgegen.
323
Haben mehrere Personen der Forderung i.S.d. § 178 InsO widersprochen, so ist die Aufnahme des Rechtsstreits durch den Gläubiger nur wirksam, wenn der Rechtsstreit gegenüber allen Widersprechenden aufgenommen wird.280
324
Für die Aufnahme des Rechtsstreits sind folgende Erklärungen notwendig:
325
– den Rechtsstreit aufnehmen zu wollen, § 250 ZPO; – Änderung des Leistungsantrages in einen Feststellungsantrag; – Bezeichnung des Bestreitenden als nunmehrigen Beklagten. War der Klageantrag nicht auf eine Geldforderung gerichtet, so ist der Anspruch gem. § 45 InsO in Geld umzurechnen. Im Übrigen muss die angemeldete Forderung mit der Forderung des anhängig gewesenen Rechtsstreits identisch sein.281 Die fehlende Identität kann jedoch durch eine sachdienliche Klageänderung gem. § 263 ZPO herbeigeführt werden.282
326
Der Rechtsstreit kann in jedem Stadium aufgenommen werden, also auch in der Revisionsinstanz.283 Das einmal angerufene Gericht (LG) bleibt auch zuständig, selbst wenn es wegen der Quotenerwartung vom Streitwert her bei einem neuen Prozess nicht mehr angerufen werden könnte.284
327
Der Wert des Streitgegenstandes einer Klage auf Feststellung der bestrittenen Forderung bestimmt sich nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse zu erwarten ist, § 182 InsO. Der Betrag, den der Gläubiger als Insolvenzquote zu erwarten hat, ist nicht nur für den Kosten-, sondern auch für den Zuständigkeits- und Rechtsmittelstreitwert, also auch für den Wert des Beschwerdegegenstands, maßgeblich.285
328
Es ist zu fragen, welchen Betrag der klagende Gläubiger bei einer Verurteilung der Insolvenzmasse bekommen würde.286 Ist mit einer Quote nicht zu rechnen, muss der Streitwert auf die niedrigste Gebührenstufe festgesetzt werden.287 Da der Gläubiger die Quotenaussichten regelmäßig nicht beurteilen kann, ist der Verwalter verpflichtet, hierzu gegenüber dem Gericht und den Parteien geschätzte Anga-
329
279 OLG Hamm v. 24.02.2021 – 8 U 2/20, ZIP 2021, 1926. 280 BGH v. 31.10.2012 – III ZR 204/12, MDR 2013, 304 = ZIP 2012, 2369; hierzu krit. Eckardt, EWiR 2012, 799. 281 BGH v. 23.6.1988 – IX ZR 172/87, MDR 1988, 960 = ZIP 1988, 979. 282 Bdb. OLG v. 10.6.2010 – 12 U 198/09, ZIP 2010, 2318. 283 BGH v. 18.2.1965 – II ZR 205/61, WM 1965, 626. 284 BGH v. 23.6.1988 – IX ZR 172/87, MDR 1988, 960 = ZIP 1988, 979. 285 BGH v. 21.1.2016 – IX ZA 32/15, BeckRS 2016, 2990. 286 OLG Köln v. 29.1.2003 – 2 W 14/03, NZI 2003, 568. 287 OLG Düsseldorf v. 11.3.1994 – 17 W 1/94, ZIP 1994, 638, 639; a.A. OLG Rostock v. 28.4.2003 – 3 W 43/03, ZInsO 2004, 46, zumindest dann, wenn der Verwalter eine materiell-rechtlich aussichtsreiche und auch durchsetzbare Forderung verfolgt.
Riewe | 713
§ 9 Rz. 329 | Beratung des ungesicherten Gläubigers ben zu machen.288 Das Gericht kann auch eine eigene Schätzung vornehmen und hat insoweit richterliches Ermessen.289 Der Streitwert wird nicht davon beeinflusst, dass der Gläubiger für seine Forderungen Sicherheiten hat, gleichgültig, ob es sich um Drittsicherheiten oder ein Absonderungsrecht handelt.290 330
Die Kostenentscheidung richtet sich so wie üblich nach dem Umfang des Obsiegens. Unterliegt der klagende Gläubiger, so steht der Masse ein Kostenerstattungsanspruch zu, gegen den der Gläubiger nicht mit einer anderen – unstreitigen – Insolvenzforderung aufrechnen kann. Unterliegt der Verwalter, so bekommt der Gläubiger eine Masseforderung.
331
Auch wenn die Forderung nicht vorläufig, sondern „normal“ oder ausdrücklich endgültig bestritten worden ist, könnte bei einem sofortigen Anerkenntnis nach § 93 ZPO die Kostenlast den Gläubiger treffen, nämlich dann, wenn er den Verwalter vor Klageerhebung nicht zunächst zur Rücknahme des Widerspruchs aufgefordert hat oder wenn der Gläubiger erst im Klageverfahren die erforderlichen Forderungsnachweise vorlegt bzw. Schlüssigkeitsmängel in der Forderungsmeldung beseitigt.291 Dieser Rechtsauffassung folgt der BGH allerdings nur eingeschränkt: Wenn dem Schuldner schon im Zeitpunkt der insolvenzbedingten Unterbrechung des Verfahrens ein sofortiges Anerkenntnis versagt war, so hat dies auch für den Insolvenzverwalter Konsequenzen. Erkennt er den Anspruch, den er zunächst im Prüfungstermin bestritten hat, im anschließenden Feststellungsprozess an, so habe er die Kosten als Masseverbindlichkeit zu tragen. Eine solche Kostenlastverteilung greift auch in den Fällen, in denen der Insolvenzverwalter den Gläubiger nicht auf offensichtliche Mängel bei der Forderungsanmeldung hingewiesen hat,292 Der Kostenerstattungsanspruch sei auch insgesamt Masseverbindlichkeit, also auch für den Zeitraum vor der Unterbrechung.293
332
Hinweis für den beratenden Anwalt: Einem Gläubiger ist deshalb dringend anzuraten, – bei vorläufigem Bestreiten den Verwalter zu einer endgültigen Erklärung aufzufordern; – bei „normalem“ oder endgültigem Bestreiten zunächst außergerichtlich auf Beseitigung des Widerspruchs zu drängen; – zu überprüfen, ob die Anmeldung den Vorschriften des § 174 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 InsO entsprach und notfalls den Forderungsgrund zu konkretisieren sowie die Belege zu übersenden.
(3) Bestrittene titulierte Forderungen 333
Tituliert ist eine Forderung, wenn im Eröffnungszeitpunkt für sie ein Schuldtitel vorlag, aus dem die Zwangsvollstreckung hätte betrieben werden können (unter Außerachtlassung des § 89 Abs. 1 InsO).
334
Wird einer solchen Forderung im Prüfungstermin widersprochen, so obliegt es dem Widersprechenden, seinen Widerspruch durchzusetzen. Die Insolvenzordnung stellt hierfür keine Vorschriften zur Verfügung. Der Widersprechende hat sich der prozessualen Mittel zu bedienen, die dem Schuldner möglich wären, gäbe es kein Insolvenzverfahren.
335
Die gerichtliche Zuständigkeit regelt § 180 InsO. Der Antrag des Widersprechenden geht dahin, den Widerspruch gegen die Forderung für begründet zu erklären.294
288 289 290 291
Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 182 Rz. 7. LAG Frankfurt v. 5.8.2013 – 1 Ta 217/13, ZIP 2014, 444. BGH v. 12.11.1992 – VII ZB 13/92, MDR 1993, 287 = ZIP 1993, 50. OLG Dresden v. 3.2.1997 – 13 W 935/96, ZIP 1997, 327 mit Anm. Voß, EWiR 1997, 331; LG Berlin v. 5.4.2013 – 83 T 66/13, ZInsO 2013, 1269; OLG Stuttgart v. 29.4.2008 – 10 W 21/08, ZIP 2008, 1718. 292 OLG Stuttgart v. 29.4.2008 – 10 W 21/08, ZIP 2008, 1718; zustimmend Schröder, EWiR 2008, 695. 293 BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, MDR 2007, 428 = ZIP 2006, 2132. 294 BGH v. 29.6.1994 – VIII ZR 28/94, MDR 1995, 320 = ZIP 1994, 1193; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 17 (90. Lfg. 2021).
714 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 340 § 9
(4) Widerspruch des Schuldners Hat der Schuldner eine Forderung bestritten, so kann der Gläubiger auch ihm gegenüber Feststellungsklage erheben oder ihm gegenüber den Rechtsstreit aufnehmen, § 184 InsO.295 Dies ist wegen der grundsätzlich unbeschränkten Möglichkeit der Geltendmachung von Forderungen gegen den Schuldner nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gem. § 201 InsO wichtig. Aus der Eintragung in die Tabelle können die Gläubiger insoweit nur dann wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben, wenn die Forderung nicht vom Schuldner bestritten worden ist.
336
Für ein mögliches Restschuldbefreiungsverfahren hat der Widerspruch des Schuldners jedoch keine Bedeutung. Grundlage für die Verteilungen des Treuhänders während der Wohlverhaltensperiode ist das Schlussverzeichnis, § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO (vgl. hierzu auch § 18 Rz. 446 f.). In ein Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO gehören die nach den §§ 174 ff. InsO festgestellten Forderungen. Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird. Ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen, § 178 Abs. 1 InsO.
337
Hinsichtlich des Streitwerts ist § 182 InsO nicht auf Klagen gegen den Widerspruch des Schuldners anwendbar. Bei der Klage auf Feststellung, dass dem Gläubiger ein Anspruch aus einer unerlaubten Handlung zusteht, ist der Streitwert nicht auf den vollen Nennwert der (vom Schuldner unbestrittenen) Forderung festzusetzen, sondern es muss ein Abschlag gemacht werden.296 Die Klage hat in diesem Fall nur Bedeutung für die Vollstreckungsmöglichkeit nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 201 InsO). Deshalb ist der Streitwert auch um die voraussichtliche Quotenzahlung zu reduzieren.
338
(5) Wirkung der Entscheidung im Feststellungsprozess Eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erachtet wird, wirkt gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern, § 183 Abs. 1 InsO. Für den Schuldner, der die Forderung selbst nicht bestritten hat, hat die Feststellungsentscheidung die Folge, dass nach entsprechender Korrektur der Tabelle hieraus ein Titel mit Zwangsvollstreckungsmöglichkeit gebildet werden kann.
339
Der obsiegenden Partei obliegt es, beim Insolvenzgericht die Berichtigung der Tabelle zu beantragen, § 183 Abs. 2 InsO. Die Berichtigung der Insolvenztabelle erfolgt in entsprechender Anwendung (§ 4 InsO) des § 164 ZPO. Nach dieser Vorschrift scheidet eine sofortige Beschwerde in jedem Fall aus, gleichgültig ob eine Berichtigung erfolgt oder abgelehnt wird. Als Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf Berichtigung der Insolvenztabelle durch den Rechtspfleger kommt nur die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG in Betracht, über welche der Richter nach Vorlage durch den Rechtspfleger abschließend entscheidet.297
340
295 Hierfür gilt nicht die 2-Wochenfrist des § 189 InsO, BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, MDR 2007, 977 = ZIP 2007, 876; OLG Stuttgart v. 20.2.2008 – 10 U 3/08, ZIP 2008, 2090. 296 BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 235/08, MDR 2009, 594 = ZIP 2009, 435: Der Streitwert einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, eine angemeldete Forderung beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, bemisst sich nicht nach dem Nennwert der Forderung. Maßgeblich sind vielmehr die späteren Vollstreckungsaussichten des Insolvenzgläubigers nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung. Wenn diese nur als gering anzusehen sind, kann ein Abschlag von 75 Prozent des Nennwerts der Forderung angemessen sein. 297 BGH v. 16.7.2020 – IX ZB 14/19, MDR 2020, 1147 = ZIP 2020, 1623 = NZI 2020, 895 Rz. 5.
Riewe | 715
§ 9 Rz. 341 | Beratung des ungesicherten Gläubigers ee) Verteilungen an die Insolvenzgläubiger (1) Grundsätzliches 341
Mit der Befriedigung der Insolvenzgläubiger kann erst nach dem allgemeinen Prüfungstermin begonnen werden, § 187 Abs. 1 InsO. Die Verteilungen werden vom Insolvenzverwalter vorgenommen. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, so ist dessen Zustimmung vor der Verteilung einzuholen, § 187 Abs. 3 InsO. Versäumt dies der Verwalter, so hat dies für die Wirksamkeit der Ausschüttungen keine Folge. Obwohl nach den Regeln des BGB, § 269, nur eine Holschuld besteht, nimmt der Verwalter üblicherweise Überweisungen vor – allerdings auf Kosten und Gefahr der Gläubiger.
342
Hinweis: Da Kosten auf beiden Seiten anfallen, wird in der Praxis gelegentlich überlegt, ob es nicht besser ist, auf die Auszahlung von Kleinbeträgen zu verzichten. Anwaltliche Beratung sollte dahin gehen, die Mandanten zu veranlassen, für Beträge unter 10 € schon mit der Forderungsanmeldung ausdrücklich einen Auszahlungsverzicht zu erklären.
343
Folgende Verteilungen sind möglich: – Abschlagsverteilungen, – Schlussverteilungen, – Nachtragsverteilungen.
344
Eine Abschlagsverteilung kann dann erfolgen, wenn der allgemeine Prüfungstermin stattgefunden hat und eine erste Verteilung vom Massebestand her lohnend ist, § 187 InsO. Bork plädiert allerdings dafür, statt eine Abschlagsverteilung vorzunehmen, bestimmte Tätigkeiten einer Nachtragsverteilung vorzubehalten, denn die Beendigung eines Insolvenzverfahrens unter Vorbehalt der Nachtragsverteilung sei mit dem Gesetz vereinbar und daher auch zulässig, wenn die Vermögensverwertung im Wesentlichen abgeschlossen sei und nur noch einzelne Maßnahmen ausstünden.298
345
Die Schlussverteilung hingegen erfolgt, sobald die Verwertung der Insolvenzmasse beendet ist, § 196 InsO. Anhängige Aktiv- und Passivprozesse sollen die Schlussverteilung nicht hindern,299 eine Rechtsauffassung, die eigentlich im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes steht, für die jedoch im Einzelfall Praktikabilitätsüberlegungen sprechen. (2) Schlussverteilung
346
Die Schlussverteilung setzt – wie sich aus § 197 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 InsO ergibt – ein Schlussverzeichnis voraus. Üblicherweise übersendet der Verwalter zusammen mit dem Antrag auf Zustimmung zur Schlussverteilung nicht nur das Schlussverzeichnis, sondern auch eine Schlussrechnung und einen Schlussbericht. Wie die Schlussrechnung auszusehen hat, ist im Gesetz nicht geregelt. § 66 InsO bestimmt lediglich ganz allgemein, dass der Verwalter bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen hat. Ausgehend von den Anfangsverzeichnissen der §§ 151–153 InsO wird allgemein angenommen, dass der Verwalter eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung, einen Schlussbericht und ein Schlussverzeichnis (Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO) vorzulegen hat. Schlussbericht und Schlussverzeichnis sind demnach Teil der Schlussrechnung (vgl. hierzu § 22 Rz. 166 ff.).
347
Das Schlussverzeichnis basiert auf der Insolvenztabelle. In dem Verzeichnis sind alle bei der Schlussverteilung zu berücksichtigenden Forderungen aufzunehmen.
298 Bork, ZIP 2009, 2077. 299 Wegener in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 196 InsO Rz. 8.
716 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 355 § 9
Das Schlussverzeichnis ist auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen, § 188 Satz 2 InsO. Der Verwalter hat die Summe der Forderungen und den für die Verteilung verfügbaren Betrag öffentlich bekannt zu machen, § 188 Satz 3 InsO. Auf diese Weise sollen die Gläubiger erfahren, welche Zahlung sie erwarten und wo sie das Verzeichnis einsehen können.
348
Die Genehmigung der Schlussverteilung führt zum Ausschluss aller nicht im Schlussverzeichnis aufgeführten Insolvenzforderungen von der Verteilung.300 Auch wenn ein Gläubiger bereits einen Vollstreckungstitel hat, kann er eine Änderung des Schlussverzeichnisses nach § 189 InsO nur durch die Erhebung einer Feststellungsklage erreichen.
349
Die Rechtsprechung nimmt an, dass das Insolvenzgericht nicht verpflichtet ist, das Verzeichnis auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen.301 In der Praxis findet jedoch regelmäßig eine Überprüfung mit entsprechenden Hinweisen an den Verwalter statt. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Verwalter die alleinige Verantwortung für die Richtigkeit des Verzeichnisses trägt, was im Rahmen des § 60 InsO haftungsrechtliche Bedeutung hat.302
350
Gleichzeitig mit der Zustimmung zur Schlussverteilung bestimmt das Insolvenzgericht den Termin für eine abschließende Gläubigerversammlung, § 197 Abs. 1 Satz 1 InsO. Funktion des Schlusstermins:
351
– Erörterung der Schlussrechnung; – Erhebung von Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis; – Entscheidung der Gläubiger über nicht verwertbare Gegenstände der Insolvenzmasse. Eine Ladung der Gläubiger ist nicht vorgesehen, geschieht jedoch in der Praxis regelmäßig. Das Gericht hat den Termin jedoch öffentlich bekannt zu machen. Zwischen dieser Bekanntmachung und dem Termin soll eine Frist von mindestens einem Monat und höchstens zwei Monaten liegen, § 197 Abs. 2 InsO.
352
(3) Durchführung der Verteilungen Die Verteilungen werden vom Insolvenzverwalter vorgenommen, § 187 Abs. 3 Satz 1 InsO. Vor einer Verteilung – gleichgültig ob Abschlags- oder Schlussverteilung – hat der Verwalter ein Verzeichnis der Forderungen aufzustellen, die bei der Verteilung zu berücksichtigen sind, § 188 Satz 1 InsO. Grundlage dieses Verzeichnisses ist die Insolvenztabelle nach § 175 InsO.
353
Besonderheiten gelten bei der Verteilung für
354
– bestrittene Forderungen, § 189 InsO; – Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger, § 190 InsO; – bedingte Forderungen, § 191 InsO; – Doppelhaftungsfälle, §§ 43 f. InsO. (aa) Bestrittene Forderungen Ein Insolvenzgläubiger, dessen Forderung nicht festgestellt und für dessen Forderung ein vollstreckbarer Titel oder ein Endurteil nicht vorliegt, hat spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei 300 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, MDR 2007, 977 = ZIP 2007, 876 = NZI 2007, 401; Köster, EWiR 2007, 627. 301 RG v. 7.4.1937 – V 290/36, RGZ 154, 291, 298. 302 OLG Hamm v. 29.11.1982 – 5 U 232/81, ZIP 1983, 341; K. Schmidt/Thole, § 60 InsO Rz. 22.
Riewe | 717
355
§ 9 Rz. 355 | Beratung des ungesicherten Gläubigers Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag die Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen ist. Wird der Nachweis rechtzeitig geführt, so wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung zurückbehalten, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt, § 189 InsO. 356
Hinweis: Die bloße Zusendung der Klageschrift an den Verwalter mit der Erklärung, diese eingereicht zu haben, reicht für den Nachweis der Klageerhebung über die bestrittene Forderung nicht aus. Dieser kann etwa durch Vorlage einer schriftlichen Eingangsbestätigung des Prozessgerichts, Übersendung einer Kopie der Klageschrift mit dem Eingangsstempel des Gerichts, durch eidesstattliche oder auch ausdrückliche anwaltliche Versicherung der persönlichen Abgabe der Klageschrift geführt werden.303
357
Ist die bestrittene Forderung tituliert, so ist sie im Verzeichnis zu berücksichtigen (Umkehrschluss aus der insoweit unvollständigen Formulierung des Gesetzes). Verfolgt der Bestreitende entgegen § 179 Abs. 2 InsO nicht den Widerspruch, kann auch ausgezahlt werden. Anderenfalls kommt nur eine Zurückbehaltung in Frage.304 Diese erfolgt auch, wenn der Nachweis der Klageerhebung rechtzeitig geführt wird, und zwar so lange, wie der Rechtsstreit anhängig ist.
358
Die zweiwöchige Ausschlussfrist beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung. Sie gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO.
359
Hinweis: – Die äußerst knapp bemessene Frist kann nicht verlängert werden, weder durch das Gericht noch durch den Verwalter. – Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich, weil die Ausschlussfrist keine Notfrist i.S.d. §§ 224 Abs. 1 Satz 2, 233 ZPO ist.305 – Der Nachweis ist gegenüber dem Verwalter, nicht gegenüber dem Gericht zu führen. Leitet das Gericht einen bei ihm eingegangenen Nachweis an den Verwalter weiter, so gehen Verspätungen zu Lasten des Gläubigers.
(bb) Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger 360
Bei absonderungsberechtigten Gläubigern sieht das Gesetz unterschiedliche Regeln für die Verteilung vor, je nachdem ob es sich um eine Schlussverteilung oder nur um eine Abschlagsverteilung handelt. Die grundsätzliche Regelung findet sich in § 190 Abs. 1 InsO und gilt nur für Schlussverteilungen sowie für Nachtragsverteilungen. Hiernach hat ein Gläubiger, der zur abgesonderten Befriedigung berechtigt ist, dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet hat oder bei ihr ausgefallen ist. Der Nachweis ist innerhalb der oben erwähnten Zweiwochenfrist des § 189 Abs. 1 InsO zu führen. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so findet die Forderung bei der Verteilung keine Berücksichtigung.
361
Der Verzicht auf eine abgesonderte Befriedigung ist nur dann wirksam, wenn der belastete Massegegenstand hierdurch für die Masse frei wird.306 Die Anmeldung der Forderung eines absonderungsberechtigten Gläubigers ohne eine Beschränkung auf den Ausfall (vgl. §§ 28 Abs. 2, 52 Satz 2, 190 Abs. 1 InsO) wird nicht als konkludenter Verzicht auf ein Absonderungsrecht gewertet.307 Im Fall ei-
BGH v. 13.9.2012 – IX ZB 143/11, MDR 2012, 1373 = ZIP 2012, 2071. Eckardt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, Rz. 64 seines dortigen Beitrages. Wegener in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 189 InsO Rz. 13. BGH v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, MDR 2017, 729 = NZI 2017, 345 = ZIP 2017, 686; vgl. auch BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, MDR 2011, 262 = ZIP 2011, 180 für eine Gesamtgrundschuld. 307 BGH v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, MDR 2017, 729 = NZI 2017, 345 Rz. 16 = ZIP 2017, 686.
303 304 305 306
718 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 368 § 9
ner Eigenverwaltung ist Adressat der Verzichtserklärung des Absonderungsberechtigten ungeachtet der Zuständigkeit des Sachwalters für die Entgegennahme der Forderungsanmeldung des absonderungsberechtigten Gläubigers der eigenverwaltende Schuldner.308 Der Nachweis des Ausfalls ist erst mit Verwertung des Absonderungsgutes möglich. Er kann nicht durch Gutachten oder Ähnliches geführt werden. Die Rechtsprechung hat allerdings unter bestimmten Voraussetzungen die Vorlage des Gutachtens als Erklärung angesehen, sich nur in Höhe dieses Wertes aus dem Gegenstand zu befriedigen und im Übrigen zu verzichten.309 Deshalb sollte dem Gläubiger geraten werden, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er keinen Verzicht erklären will.
362
Bei einer Abschlagsverteilung genügt es nach § 190 Abs. 2 InsO dagegen für die Berücksichtigung, wenn der Gläubiger – auch hier gilt wiederum die Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO – nachweist, dass die Verwertung des Gegenstandes betrieben wird; er muss darüber hinaus den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft machen. In diesem Fall wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung in der Weise berücksichtigt, dass eine Zurückbehaltung erfolgt. Der zurückbehaltene Anteil wird dann wiederum im Rahmen der Schlussverteilung an den Gläubiger ausgezahlt, wenn dieser in diesem späteren Stadium fristgemäß seinen Ausfall nachweist. Andernfalls gelangt der Betrag in die allgemeine Auszahlung an die Gesamtgläubigerschaft.
363
Im dritten Absatz von § 190 InsO wird darauf abgestellt, dass eigentlich der Verwalter zur Verwertung des Gegenstandes berechtigt ist, jedenfalls soweit bewegliches Vermögen als Sicherheit dient. Es ist dann seine Sache, für die Abschlagsverteilung und die Schlussverteilung den Ausfall zu ermitteln. Hat der Verwalter den Gegenstand bis zur Abschlagsverteilung noch nicht verwerten können, so muss er den Ausfall des Gläubigers schätzen und den auf dessen Forderung entfallenden Anteil zurückbehalten.
364
Die Fristen der ersten beiden Absätze von § 190 InsO können für die Gläubiger höchst gefährlich werden, dies umso mehr als nach der Rechtsprechung ein Verwalter nicht verpflichtet ist, den Gläubiger auf den Fristablauf hinzuweisen.310
365
(cc) Bedingte Forderungen Eine Sonderregelung gibt es nur bei aufschiebenden Bedingungen, nicht bei auflösenden Bedingungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auflösend bedingte Forderungen nach § 42 InsO wie unbedingte Forderungen behandelt werden. Sind sie zur Tabelle festgestellt, müssen sie bei den Verteilungen normal berücksichtigt werden, es sei denn, die Bedingung ist vor der Verteilung eingetreten (das Recht hat sich aufgelöst!).
366
Bei den aufschiebend bedingten Forderungen wird wiederum zwischen der
367
– Abschlagsverteilung und der – Schlussverteilung unterschieden. Ist also der Forderungsbeginn von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig, so gilt Folgendes: Die Forderung ist bei Abschlagsverteilungen nach § 191 Abs. 1 Satz 1 InsO mit ihrem vollen Betrag zu berücksichtigen. Da jedoch noch ungewiss ist, wann die Bedingung eintritt, darf keine Auszahlung erfolgen, sondern nur eine Zurückbehaltung, § 191 Abs. 1 Satz 2 InsO.
308 BGH v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, MDR 2017, 729 = NZI 2017, 345 Rz. 17 = ZIP 2017, 686. 309 RG v. 9.2.1918 -V 272/17, RGZ 92, 181, 191. 310 OLG Hamm v. 1.6.1994 – 15 W 123/93, ZIP 1994, 1373, 1376; Johlke, EWiR 1994, 901.
Riewe | 719
368
§ 9 Rz. 369 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 369
Bei der Schlussverteilung wird eine aufschiebend bedingte Forderung nicht berücksichtigt, wenn die Möglichkeit des Eintritts der Bedingung so fernliegt, dass die Forderung zur Zeit der Verteilung keinen Vermögenswert hat, § 191 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ist der Bedingungseintritt dagegen nahe liegend, ist der auf die aufschiebend bedingte Forderung entfallende Betrag nicht auszuzahlen, sondern zurückzubehalten.311 Eine Auszahlung erfolgt erst mit Eintritt der Bedingung. Tritt diese nicht ein, wird der hinterlegte Betrag einer Nachtragsverteilung zugeführt.312 (dd) Doppelhaftungsfälle
370
Ein Gläubiger, dem mehrere Personen haften, kann im Insolvenzverfahren gegen jeden Schuldner bis zu seiner vollen Befriedigung den ganzen Betrag geltend machen (§ 43 InsO). Erhält der Gläubiger Teilleistungen, so ist er nicht etwa gezwungen, nur noch die Restforderung zu verfolgen. Er kann vielmehr in jedem Verfahren die Quote auf die ursprüngliche Gesamtforderung verlangen.313
371
Demgegenüber werden Gesamtschuldner und Bürge bei der Geltendmachung ihrer Forderungen eingeschränkt. In Abweichung von dem Grundsatz, dass aufschiebend bedingte Forderungen anmeldbar sind, bestimmt § 44 InsO, dass bei Verfahrensteilnahme des noch nicht befriedigten Gläubigers ein Mithaftender seine durch den Fall einer erst künftigen Leistung bedingte Forderung nicht bereits vorher anmelden kann.
4. Gläubigerorgane im Insolvenzverfahren a) Gläubigerausschuss 372
Jeder Anwalt, der einen ungesicherten Gläubiger berät, muss darauf hinweisen, dass ein Gläubigerausschuss gebildet werden kann. Ob eine Mitwirkung im Gläubigerausschuss empfehlenswert ist, wird sich im Ergebnis nur im Einzelfall beantworten lassen. Naheliegend erscheint zunächst der Gedanke, dass die Ausschusstätigkeit gerade dem ungesicherten Gläubiger Informationen verschaffen kann, die gesicherte Gläubiger wegen ihrer häufig engeren Verbindung zum Schuldner oft schon auf andere Weise bekommen. Allerdings ist andererseits zu beachten, dass Gläubiger die im Ausschuss erlangten Informationen keineswegs uneingeschränkt zum eigenen Vorteil nutzen oder weitergeben dürfen, da die Gläubigerausschussmitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.314 Zu berücksichtigen ist weiter, dass eine einmal übernommene Rolle im Gläubigerausschuss nicht nach Belieben wieder aufgegeben werden kann.
373
Das Gesetz unterscheidet zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Gläubigerausschuss. Der vorläufige Ausschuss wird von dem Insolvenzgericht eingesetzt, der endgültige Ausschuss durch die Gläubigerversammlung. Nach § 21 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1a InsO kann ein vorläufiger Gläubigerausschuss bereits als Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren eingesetzt werden. Zu den Einzelheiten s. Rz. 180 ff.
374
Der Gläubigerausschuss ist ein selbständiges Organ der Gläubigergesamtheit und unterliegt bei seinem Handeln weder der Kontrolle durch das Insolvenzgericht noch derjenigen durch die Gläubigerversammlung. Diese könnte lediglich eine Abwahl vornehmen, nicht jedoch für zukünftige Entscheidungen irgendwelche Vorgaben machen oder getroffene Entscheidungen aufheben. Ohnehin hat die Ausschusstätigkeit keine unmittelbaren Außenwirkungen. Der Vollzug der Abwicklungsmaßnahmen
311 Wegener in Uhlenbruck, Inso, 15. Aufl. 2019, § 191 InsO Rz. 10. 312 Wegener in Uhlenbruck, Inso, 15. Aufl. 2019, § 191 InsO Rz. 10; Kebekus/Schwarzer in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2019, § 191 InsO Rz. 10. 313 Zu den Einzelheiten vgl. Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 ff. 314 Zur Verschwiegenheitspflicht der Gläubiger des Ausschusses vgl. BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, MDR 2008, 648 = ZIP 2008, 652; Runkel/Schmidt, EWiR 2008, 473.
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V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 378 § 9
bleibt immer dem Insolvenzverwalter vorbehalten. Der Ausschuss hat vielmehr die allgemeine Aufgabe, den Verwalter zu unterstützen und zu überwachen, § 69 Satz 1 InsO, und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen Entscheidungen des Verwalters zuzustimmen oder geplante Maßnahmen abzulehnen. aa) Ausschussmitgliedschaft Von der Rechtsstellung des Ausschusses ist diejenige der einzelnen Ausschussmitglieder zu unterscheiden.315 Wer Mitglied werden kann, sagt indirekt das Gesetz. Nach § 67 Abs. 2 InsO sollen folgende Gruppen vertreten sein:
375
– absonderungsberechtigte Gläubiger, – Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen, – Kleingläubiger, – Vertreter der Arbeitnehmer. Zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch Personen bestellt werden, die keine Gläubiger sind, § 67 Abs. 3 InsO. Im Übrigen liegt die endgültige Entscheidung immer bei der Gläubigerversammlung. Sie beschließt:
376
– ob überhaupt ein Gläubigerausschuss eingesetzt werden soll, – bejahendenfalls, ob ein evtl. schon existierender Ausschuss beibehalten werden soll, – ob bereits vom Gericht bestellte Mitglieder abzuwählen sind und andere oder zusätzliche Mitglieder den Ausschuss besetzen sollen. Anders als das Gericht ist die Gläubigerversammlung nicht an die Soll-Zusammensetzung des § 67 Abs. 2 gebunden.316 Auch bei der Entscheidung über die Größe des Gläubigerausschusses ist die Gläubigerversammlung frei. Deshalb kann auch ein Zweier-Ausschuss eingesetzt werden, obwohl dies wegen des Mehrheitsprinzips unzweckmäßig ist. Ein Einer-Ausschuss ist dagegen unzulässig.317 Nach oben ist die Zahl der Mitglieder zwar rechtlich nicht beschränkt; es sollten jedoch aus Praktikabilitätsüberlegungen übergroße Ausschüsse vermieden werden.
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Mitglieder eines Gläubigerausschusses können sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen sein.318 Der Gefahr mangelnder Kontinuität in der Zusammensetzung des Ausschusses kann dabei etwa durch die Angabe des regelmäßigen Vertreters der juristischen Person im Ausschuss begegnet werden.319 Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, bspw. die Bundesagentur für Arbeit können zum Ausschussmitglied bestellt werden.320 Entscheidend ist alleine, ob es sich wirklich um eine „Person“ handelt. Deshalb kann eine Behörde wie das Finanzamt nicht Mitglied werden.321 Wird eine Behörde dennoch bestellt, so ist dieser Akt nichtig; das „Scheinmitglied“ ist nicht stimmberechtigt. Denkbar ist es hingegen, einen Mitarbeiter der Behörde in den Ausschuss zu wählen.322
378
315 316 317 318 319 320 321 322
Einen guten Überblick hierzu liefert Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373. Frege, NZG 1999, 478, 481; a.A. Eickmann in HK/InsO, § 68 Rz. 4. BGH v. 5.3.2009 – IX ZB 148/08, MDR 2009, 768 = ZIP 2009, 727. Vgl. BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, NZI 2021, 536 Rz. 24. Vgl. AG Hamburg, v. 6.5.2013 – 67 c IN 165/13, NZI 2013, 701. Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 67 Rz. 23 (50. Lfg. 9/2012). BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, MDR 1994, 683 = ZIP 1994, 46. OLG Köln v. 1.6.1988 – 13 U 234/87, ZIP 1988, 992.
Riewe | 721
§ 9 Rz. 379 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 379
Nach der Konkursordnung durfte das Gericht nur einen Gläubiger zum Ausschussmitglied bestellen, die Gläubigerversammlung jedoch auch einen Dritten. Nach der Insolvenzordnung wird dieser Unterschied nicht mehr gemacht. Besonders geeignete außen stehende Personen sollen vielmehr schon vor der Gläubigerversammlung die Möglichkeit haben, in einem Ausschuss mitzuwirken. Auch wenn die Gläubigereigenschaft jetzt nach dem Gesetz nicht mehr entscheidend ist, so scheiden dennoch bestimmte Personen als Mitglieder aus, bspw. der Schuldner. Das Gleiche muss für Gesellschafter zumindest dann gelten, wenn sie persönlich haftend sind.323 Streitig ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob auch ein Beirats- oder Aufsichtsratsmitglied der Schuldnerin eingesetzt werden kann. Dies wird ganz überwiegend verneint.324
380
Die Mitgliedschaft beginnt mit der Annahme des Amtes325 und endet regelmäßig mit der Aufhebung des Verfahrens nach § 259 InsO. Für den vorläufigen Ausschuss gilt die Besonderheit, dass sein Amt durch die Wahl des endgültigen Ausschusses endet, und zwar auch dann, wenn der Personenkreis identisch ist. Das Amt endet individuell durch – Niederlegung, – Abwahl, – Entlassung aufgrund Gerichtsbeschluss, – Tod.
381
Eine Niederlegung ist nicht jederzeit und vor allem nicht ohne wichtigen Grund möglich.326 Eine Abwahl ist auch nur insoweit möglich, als das Gericht das Gläubigerausschussmitglied bestellt hat. Die in der ersten Gläubigerversammlung gewählten Mitglieder können anschließend nicht wieder abgewählt werden.327 Dies folgt aus der Regelung des § 70 InsO, der statt einer Abwahl nur eine Entlassung auf Antrag der Gläubigerversammlung vorsieht. Diese Entlassung muss aber durch das Insolvenzgericht erfolgen328 und setzt einen wichtigen Grund voraus.329 Dies zeigt, dass die Gläubigerversammlung selbst kein eigenes Abwahlrecht hat.330
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Als wichtiger Grund, der zur Entlassung führen kann, kommt etwa die Begünstigung eines einzelnen Insolvenzgläubigers zum Nachteil der Übrigen in Betracht.331 Auch wiederstreitende Interessen sind ein Entlassungsgrund.332
323 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 16. 324 Verneinend mit guten Argumenten Schmid-Burgk in MünchKomm/InsO, § 67 InsO Rz. 22; Schmitt in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 67 InsO Rz. 11; Eickmann in HK/InsO, § 67 InsO Rz. 5; a.A. AG Hamburg v. 15.12.1986 – 65 N 771/86, ZIP 1987, 386. 325 Hierzu LG Duisburg v. 29.9.2003 – 7 T 203/03 – 7 T 235/03, ZIP 2004, 729. 326 Gundlach/Frenzel/Schmidt, InVo 2003, 49; Pöhlmann in Graf-Schlicker, InsO, § 70 Rz. 4. 327 BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, NZI 2021, 536 Rz. 15: Ist der Ausschuss einmal gewählt, ist der Gläubigerversammlung eine Abwahl einzelner Mitglieder oder des gesamten Ausschusses verwehrt. Die Gläubigerversammlung kann die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses lediglich durch eine Zuwahl weiterer Mitglieder ändern. 328 AG Wolfratshausen v. 15.11.2002 – 1 IN 194/01, ZInsO 2003, 96. 329 BGH v. 15.5.2003 – IX ZB 448/02, ZInsO 2003, 560 = ZIP 2003, 1259; s. auch Vallender in FS Kirchhof, S. 507 ff. und Runkel in FS Goerg, S. 402 ff. 330 Frege, NZG 1999, 478, 480. 331 BGH v. 15.5.2003 – IX ZB 448/02 = ZIP 2003, 1259, ZInsO 2003, 560; vgl. auch AG Göttingen v. 11.8.2006 – 71 N 90/94, ZIP 2006, 2048; hierzu Runkel, EWiR 2007, 57. 332 BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, MDR 2008, 648 = ZIP 2008, 652; hierzu Runkel/Schmidt, EWiR 2008, 473; LG Deggendorf v. 27.2.2013 – 13 T 18/13, ZIP 2013, 2371.
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V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 387 § 9
bb) Aufgaben des Gläubigerausschusses Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Sie haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einsehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen, § 69 InsO. Die Formulierung zeigt, dass bei den Aufgaben und Befugnissen auf das einzelne Mitglied des Ausschusses abgestellt wird. Es gibt jedoch Fälle, in denen die InsO auch vom Gläubigerausschuss als Kollegialorgan spricht, so bei der Ausübung von Verfahrensrechten und bestimmter Mitwirkungsbefugnisse.333 Deshalb bedarf es zur Ausübung der Rechte des Ausschusses im Regelfall eines Beschlusses dieses Gremiums. Natürlich ist der Ausschuss so souverän, die Aufgabenverteilung durch eine Geschäftsordnung zu regeln. Einzelnen Mitgliedern können bestimmte Aufgaben zugewiesen werden, wie bspw. die Kassenprüfung.
383
Der Ausschuss nimmt seine Aufgaben unabhängig von der Gläubigerversammlung wahr. Er untersteht auch nicht der Aufsicht des Gerichtes. Bezeichnenderweise kann das Gericht zwar Beschlüsse der Gläubigerversammlung aufheben, nicht aber solche des Gläubigerausschusses. Der Ausschuss ist auch keineswegs Hilfsorgan des Verwalters.334 Im Gegenteil, er hat sogar – im Verhältnis zum Verwalter – weiter gehende Rechte als das Gericht. Während dieses gegenüber dem Verwalter nur eine Rechtsaufsicht ausübt, ist dem Gläubigerausschuss eine Zweckmäßigkeitskontrolle gestattet. Sie steht im Mittelpunkt seiner Aufgaben.
384
Innerhalb der Aufgaben des Gläubigerausschusses lassen sich drei Bereiche unterscheiden:
385
– verfahrensrechtliche Aufgaben, – Überwachungsaufgaben, – Mitwirkungsbefugnisse. Zu den verfahrensrechtlichen Aufgaben gehören:
386
– das Recht, die Einberufung der Gläubigerversammlung zu beantragen, § 75 Abs. 1 Ziff. 2 InsO; – die Entlassung des Verwalters zu beantragen, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO; – zu bestimmen, bei welcher Stelle und zu welchen Bedingungen Geld hinterlegt oder angelegt wird, § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Art und Weise der Überwachung des Insolvenzverwalters ist vom Gesetz nicht vorgeschrieben. Die Gläubigerausschussmitglieder haben sich zumindest durch Stichproben anhand von Akten und Geschäftsunterlagen zu informieren, wie die Abwicklungstätigkeit durchgeführt wird.335 Der Ausschuss hat dementsprechend das Recht, vom Verwalter Auskunft, Bericht und Rechnungslegung zu verlangen.336 Er darf Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Verwalters nehmen. Damit verbunden ist besonders das Recht auf Kassenprüfung. Wenn § 69 Satz 2 InsO in diesem Zusammenhang davon spricht, die Mitglieder des Ausschusses hätten den Geldverkehr und Geldbestand „prüfen zu lassen“, so bedeutet dies nicht, dass zwingend ein Dritter eingeschaltet werden müsste. Vielmehr soll nur die Möglichkeit eröffnet werden, einen Dritten zu beauftragen. Ein weiteres wichtiges Überprüfungsrecht betrifft die Schlussrechnung des Verwalters, § 66 Abs. 2 Satz 2.
333 334 335 336
Knof in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Inso Rz. 3. A.A. Schl.-Holst. OLG v. 27.5.1986 – 1 W 207/86, ZIP 1986, 930. Knof in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 InsO Rz. 22. Eickmann in HK/InsO, § 69 Rz. 2.
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§ 9 Rz. 388 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 388
In zahlreichen Einzelbestimmungen sind schließlich die Mitwirkungsbefugnisse geregelt. Sie betreffen u.a. die Unterhaltsgewährung an den Schuldner, § 100 Abs. 2 InsO, sowie generell die Zustimmung zu Rechtshandlungen des Verwalters von zentraler Bedeutung. Nach § 160 InsO geht es vor allem um die – Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens; – Veräußerung eines Betriebes; – Veräußerung des ganzen Warenlagers; – Veräußerung eines Grundstücks; – Aufnahme eines die Masse erheblich belastenden Darlehens; – Führung oder vergleichsweise Beendigung eines Rechtsstreits. An anderer Stelle festgelegt ist die Mitwirkungspflicht bei – der Stilllegung des Unternehmens vor dem Berichtstermin, § 158 InsO; – Verteilungen, § 187 Abs. 3 Satz 2 InsO, insbesondere bei Abschlagsverteilungen, § 195 InsO.
389
Schließlich hat der Ausschuss auch besondere Mitwirkungspflichten im Insolvenzplanverfahren (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Außerdem ist der Vergütungsbeschluss gem. § 64 Abs. 2 InsO dem Gläubigerausschuss zuzustellen, obwohl weder dieser selbst noch seine Mitglieder das Recht haben, hiergegen Beschwerde einzulegen. Dies darf vielmehr nur der einzelne Gläubiger. Sind die Ausschussmitglieder Gläubiger, prüfen sie den Vergütungsbeschluss nicht nur; sie können auch in ihrer Gläubigereigenschaft Beschwerde einlegen.
390
Hinsichtlich der Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung (§ 56a InsO), die durch das ESUG geschaffen worden ist, verweise ich auf § 22 Rz. 111 ff., sowie § 3, Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung. cc) Arbeitsweise und Beschlussfassungen des Gläubigerausschusses
391
Bei größeren Verfahren gibt sich der Gläubigerausschuss gelegentlich eine Geschäftsordnung,337 insbesondere dann, wenn nicht nur das Verfahren besondere Bedeutung hat, sondern wenn auch der Ausschuss aus zahlreichen Mitgliedern besteht. In derartigen Geschäftsordnungen sind üblicherweise folgende Regelungen enthalten: – Sitzungsrhythmus, – Art und Weise der Einberufung, – Sitzungsleitung, – Erstellung einer Tagesordnung, – Art und Weise der Beschlussfassung, – Protokollierung.
392
Derartige Ausschüsse werden auch einen Vorsitzenden haben und gelegentlich einzelnen Mitgliedern Sonderaufgaben zuweisen. Für den Kassenprüfer ist dies auch bei kleineren Verfahren üblich.
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Gibt es keine Geschäftsordnung, so nimmt in der Praxis der Insolvenzverwalter die Einberufung der Sitzung vor. Dieses Recht hat jedoch auch jedes einzelne Ausschussmitglied.338 In welcher Weise die 337 Vgl. Knof in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 72 InsO Rz. 2 ff. 338 Jaeger, KO, § 90 Rz. 2.
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V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 399 § 9
Einladung erfolgt, ob sie also auch telefonisch vorgenommen werden kann, ist den Ausschüssen freigestellt. Hinweis: Es empfiehlt sich jedoch schon deshalb eine schriftliche Einladung, weil bei dieser Gelegenheit auch die Tagesordnung mitgeteilt werden kann. Diese ist praktisch unerlässlich. Ein Verstoß gegen allgemeine Grundsätze der Willensbildung von Organen würde nämlich die Beschlüsse unwirksam machen.
394
Genauso wichtig wie die Tagesordnung ist eine Protokollierung zumindest der Ergebnisse. Protokollführer ist in der Regel der Verwalter. Diese Aufgabe könnte jedoch genauso gut ein Gläubigerausschussmitglied übernehmen.
Ohnehin muss die Ausschusssitzung keineswegs in Anwesenheit des Verwalters stattfinden.339 Der Ausschuss kann auch ohne sein Wissen und sogar gegen seinen Willen tagen. Dies wird insbesondere dann geschehen, wenn mögliche Pflichtverletzungen des Verwalters zur Diskussion steht.
395
Die Protokollierung ist eine ausschussinterne Angelegenheit. Deshalb gibt es kein Einsichtsrecht gem. § 299 ZPO.340 Es ist zwar allgemein üblich, die Protokolle auch dem Insolvenzgericht zu überlassen. Dies ist jedoch weder notwendig noch in bestimmten Einzelfällen zweckmäßig (wenn es um die Geheimhaltung gegenüber bestimmten Gläubigern geht).
396
Beschlussfassungen im Gläubigerausschuss erfolgen entweder in einer Sitzung oder schriftlich, in dringenden Fällen auch telefonisch. Förmliche Sitzungen sind also nicht notwendig, wenn auch regelmäßig zweckmäßig. Die Insolvenzordnung gibt bis auf die Regelung zur Abstimmung keine Formvorschriften vor.
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Ein Beschluss des Gläubigerausschusses ist nur dann gültig, wenn die Mehrheit der Mitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat und der Beschluss mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst worden ist, § 72 InsO. Es kommt also anders als in der Gläubigerversammlung nicht auf die Höhe der Forderung an, was schon deshalb nicht gehen würde, weil auch Nicht-Gläubiger Ausschussmitglieder sein können. Auf diese Weise haben Kleingläubiger, wenn sie im Ausschuss anwesend oder vertreten sind, ebenfalls Einfluss auf die Insolvenzabwicklung. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt; es kommt also kein Beschluss zustande. Deshalb sind Ausschüsse, die nur aus zwei Mitgliedern bestehen, unzweckmäßig.
398
Es wird immer wieder vorkommen, dass einzelne Mitglieder nicht mitstimmen dürfen. Der häufigste Fall ist die sog. Selbstbetroffenheit. Hier gelten die zu § 47 Abs. 4 GmbHG und § 136 Abs. 1 AG entwickelten Grundsätze. Die „Selbstbetroffenheit“ ist in zwei Varianten möglich, zum einen im Fall der Interessenkollision und zum anderen aufgrund des Verbotes, Richter in eigener Sache zu sein. Was den Umfang der Selbstbetroffenheit angeht, so darf die Betrachtung nicht allzu kleinlich sein. Nur die Tatsache, dass ein Ausschussmitglied Geschäftsbeziehungen zur Schuldnerin hat oder ein Arbeitsverhältnis besteht, führt nicht zu einem Stimmrechtsverlust. Die Rechtsprechung hat selbst dann einen Stimmrechtsausschluss verneint, wenn es um einen Prozess mit einem nahen Angehörigen eines Ausschussmitglieds geht.341 Eine gewisse Großzügigkeit ist deshalb angezeigt, weil Interessenkollisionen praktisch systemimmanent sind, sobald Gläubiger zur Mitgliedschaft aufgerufen sind, wie § 67 Abs. 2 InsO es vorsieht.342
399
339 340 341 342
Knof in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 72 Inso Rz. 6. BGH v. 18.2.1998 – IV AR 2/97, ZInsO 1998, 92, 93 = ZIP 1998, 961. BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, MDR 1985, 566 = WM 1985, 423, 424 = ZIP 1985, 423. Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 72 Rz. 7 (90. Lfg. 2021).
Riewe | 725
§ 9 Rz. 400 | Beratung des ungesicherten Gläubigers dd) Haftungsfragen 400
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind den absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern zum Schadenersatz verpflichtet, wenn sie schuldhaft die Pflichten verletzen, die ihnen nach diesem Gesetz obliegen, § 71 Satz 1 InsO.343 Eine Haftung besteht danach nur gegenüber den Absonderungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern.344 Damit sind nicht aktivlegitimiert – Massegläubiger, – aussonderungsberechtigte Gläubiger, – Schuldner – Drittsicherungsgeber, insbesondere Bürgen.
401
Es entspricht im Übrigen der herrschenden Meinung, dass Gemeinschaftsschäden trotz der Formulierung des § 71 InsO nur vom Verwalter geltend gemacht werden können.345 Der Anspruch ist also während des Verfahrens geltend zu machen; auf die Zustimmung des Gläubigerausschusses kommt es naturgemäß nicht an.
402
Die Haftung ist nicht abdingbar. Weder das Insolvenzgericht noch die Gläubigerversammlung können die Pflichten der Mitglieder einschränken.346
403
Passivlegitimiert sind nur die Mitglieder, die auch tatsächlich gehandelt haben. Sie können sich exkulpieren, wenn sie an der Ausschusssitzung nicht teilgenommen oder gegen den schädigenden Beschluss gestimmt haben. Ist eine juristische Person Mitglied, so haftet diese, nicht aber die Person, die entsandt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied seinen Angestellten in den Ausschuss delegiert hat. Im Übrigen richtet sich das Verschulden nach den Fähigkeiten und Erfahrungen des einzelnen Mitglieds. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein unerfahrenes Mitglied überhaupt nicht haftet. Die Rechtfertigung der Haftung liegt nämlich in der Übernahme und der Ausübung des Amtes.347
404
Für Sondertätigkeiten, wie die Kassenprüfung, gilt die Solidarhaftung aller Ausschussmitglieder. Im Hinblick auf die Prüfung von Geldverkehr und -bestand besteht die Pflicht der Mitglieder des Gläubigerausschusses darin, eine mit der Prüfung zu betrauende Person sorgfältig auszuwählen und zu überwachen.348 In welchen zeitlichen Abständen der Gläubigerausschuss Geldverkehr und -bestand des Insolvenzverwalters prüfen muss, ist eine tatrichterlicher Würdigung unterliegende Frage der Umstände des jeweiligen Einzelfalls; erforderlich ist jedenfalls der unverzügliche Beginn der Prüfung nach Übernahme des Amts. Geldverkehr und -bestand sind so zu prüfen, dass eine zuverlässige Beurteilung des Verwalterhandelns möglich ist.
405
Für die Verjährung349 gilt eine Dreijahresfrist. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf die für die Verwalterhaftung geltende Regelung des § 62 InsO (§ 71 Satz 2 InsO).
343 Diese Haftungsbestimmung gilt auch für den jetzt neu durch das ESUG eingeführten vorvorläufigen Gläubigerausschuss nach § 21 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1a; zu den besonderen Gefahren für diesen Ausschuss Frind, ZIP 2012, 1380. 344 BGH v. 25.6.2015 – IX ZR 142/13, NZI 2015, 799 Rz. 25. 345 Pape, ZInsO 1999, 675, 679. 346 BGH v. 11.12.1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121, 123. 347 Delhaes in Nerlich/Römermann, InsO, § 71 Rz. 10 (43. EL Mai 2021). 348 BGH v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, MDR 2015, 241 = NZI 2015 = ZIP 2014, 2242, 166; BGH v. 25.6.2015 – IX ZR 142/13, NZI 2015, 799. 349 Hierzu instruktiv OLG Rostock v. 12.3.2007 – 3 U 45/06, ZIP 2007, 735 (Verjährung verneint); aufgehoben durch BGH v. 8.5.2008 –IX ZR 54/07, MDR 2008, 881 = ZIP 2008, 1243 (Verjährung bejaht).
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V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 410 § 9
Bei größeren Insolvenzverfahren schließen die Verwalter üblicherweise Haftpflichtversicherungen für die Ausschussmitglieder ab. Die Fortsetzung der Tätigkeit als Mitglied des Gläubigerausschusses kann nach der Rechtsprechung unzumutbar sein, wenn nicht gesichert ist, dass die Kosten einer angemessenen Haftpflichtversicherung für diese Tätigkeit von der Masse getragen werden können.350 Entsprechende Versicherungen werden von diversen Versicherungsgesellschaften angeboten, so dass regelmäßig mehrere Angebote eingeholt werden, unter welchen dann von den Ausschussmitgliedern eine Auswahl zu treffen ist.351
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ee) Vergütung Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben Anspruch auf Vergütung für ihre Tätigkeit und auf Erstattung angemessener Auslagen, § 73 Abs. 1 Satz 1 InsO. Einzelheiten zu dieser Vorschrift werden durch die insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) geregelt. Der Anspruch richtet sich im Regelfall nach dem Zeitaufwand und dem Umfang der Tätigkeit (§ 73 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Gesetz stellt dabei mit dem Zeitaufwand auf die tatsächlich für die Tätigkeit verwendete Zeit ab.352
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Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 InsVV in der seit 1.1.2021 anzuwendenden Fassung soll die Vergütung der Ausschussmitglieder regelmäßig zwischen 50 € und 300 € pro Stunde liegen. Ausgehend von der zuvor vorgesehenen Regelvergütung zwischen 35 € und 95 € war bereits die Auffassung vertreten worden, dass Abweichungen von diesem Regelsatz zulässig und in vielen Fällen auch geboten sind, insbesondere bei Großverfahren, weil dort die Ausschüsse auf hoch qualifizierte Mitglieder angewiesen sind.353 Die Höhe des Stundensatzes hat das Gericht in seiner Vergütungsentscheidung anhand der für die Bemessung des Stundensatzes maßgeblichen Gesichtspunkte zu begründen. Hierzu zählen einerseits für alle Mitglieder des Gläubigerausschusses gleich wirkende Umstände wie der Umfang und die Schwierigkeit des Insolvenzverfahrens und der Umfang und die Schwierigkeit der Aufgaben des Gläubigerausschusses in dem betreffenden Insolvenzverfahren. Andererseits sind auch nur in der Person des Mitglieds begründete Umstände heranzuziehen wie besondere nicht versicherbare Haftungsrisiken, Art und inhaltlicher Umfang (Intensität) der Mitwirkung sowie die Qualifikation und Sachkunde des jeweiligen Ausschussmitglieds.354 Die Dauer des Insolvenzverfahrens und der zeitliche Gesamtumfang der Tätigkeit, die Freiwilligkeit der Tätigkeit und die allgemeinen Haftungsrisiken haben hingegen keine Bedeutung für die Bemessung des Stundensatzes.
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Die Gläubigerausschussmitglieder haben keinen Anspruch auf gleich hohe Honorarfestsetzung. Besondere Umstände, die eine unterschiedliche Höhe des Stundensatzes rechtfertigen können, sind insbesondere die Qualifikation und Sachkunde des jeweiligen Ausschussmitglieds.355 Das Gericht kann zudem berücksichtigen, ob das Mitglied durch die Dauer oder die Häufigkeit seiner Inanspruchnahme andernfalls einen nicht zumutbaren Erwerbsverlust erleiden würde und ob das Mitglied des Gläubigerausschusses kein Gläubiger ist und daher gem. § 67 Abs. 3 InsO zum Mitglied bestellt worden ist.356
409
Hinsichtlich der Stundenzahl kommt es auf die tatsächlich geleisteten Stunden an. Vergütungsfähig sind nur jene Stunden und Tätigkeiten, die innerhalb des Aufgabengebiets des Gläubigerausschusses geleistet wurden. Dies sind alle Zeiten, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit im Gläubigerausschuss stehen.357 Die Teilnahme an Fortbildungen zu Aufgaben und Tätigkeit eines Gläubigeraus-
410
350 351 352 353 354 355 356 357
BGH v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, MDR 2012, 735 = ZIP 2012, 876. Zu den Auswahlkriterien vgl. Lehmann/Rettig, NZI 2015, 790. BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 94/18, MDR 2021, 513, NZI 2021, 457 Rz. 8. Zimmer, ZIP 2013, 1309; dort auch Auseinandersetzung mit der äußerst fragwürdigen Vergütungsentscheidung des LG Aurich v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZIP 2013, 1342. BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 94/18, MDR 2021, 513 = NZI 2021, 457 Rz. 9. BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 94/18, MDR 2021, 513 = NZI 2021, 457 Rz. 13. BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, MDR 2021, 514 = NZI 2021, 461 Rz. 15 f. BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, MDR 2021, 514 = NZI 2021, 461 Rz. 17.
Riewe | 727
§ 9 Rz. 410 | Beratung des ungesicherten Gläubigers schusses – sei es aus Anlass einer konkreten Tätigkeit, sei es zur Vorbereitung auf eine Bestellung zum Mitglied des Gläubigerausschusses – gehört nicht zur Tätigkeit in einem Gläubigerausschuss.358 411
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben auch einen Anspruch auf Auslagenerstattung. Hierunter fallen alle Sachaufwendungen, gelegentlich auch gesonderte Personalkosten, die dem Ausschussmitglied aus Anlass eines bestimmten Verfahrens entstanden sind, nicht jedoch seine allgemeinen Geschäftskosten.
412
Trotz fehlender ausdrücklicher Regelung ist auch für die Gläubigerausschussmitglieder ein Vorschussanspruch anzuerkennen.359 Die Zahlung eines Vorschusses durch den Insolvenzverwalter an die Ausschussmitglieder bedarf jedoch der Genehmigung des Insolvenzgerichts. § 9 InsVV ist entsprechend anwendbar. Geht der Verwalter bei der Beantragung des Vorschusses für die Mitglieder von einem bestimmten Stundensatz aus und wird dieser vom Gericht auch zugrunde gelegt, so bindet dies nicht bei der Entscheidung der späteren Festsetzung der endgültigen Vergütung.360
413
Das Festsetzungsverfahren verläuft ähnlich wie bei dem Insolvenzverwalter. Es setzt einen Antrag voraus, der in der Vergangenheit häufig vom Verwalter für die Ausschussmitglieder gestellt wurde.361 Über den Antrag entscheidet das Insolvenzgericht durch Beschluss. Dieser ist öffentlich bekannt zu machen. Vor der Festsetzung der Vergütung ist die Gläubigerversammlung mit dem Antrag zu befassen. Regelmäßig ist dazu Gelegenheit spätestens im Schlusstermin zu geben.362
414
Gegen den Festsetzungsbeschluss steht gem. § 17 Abs. 3 InsVV dem Insolvenzverwalter, dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu, auch wenn der Rechtspfleger entschieden hat (§ 11 RPflG).
415
Honorarvereinbarungen dürfen nicht getroffen werden. Sie sind nach § 134 BGB nichtig.363
416
Auch für die Vergütung der Ausschussmitglieder besteht ein Anspruch auf Erstattung aus der Staatskasse, soweit die Insolvenzmasse zur Deckung nicht ausreicht. Dies ergibt sich aus Abs. 2 von § 73 InsO, wonach § 63 Abs. 2 InsO entsprechend anwendbar ist.
b) Gläubigerversammlung 417
Die Gläubigerversammlung ist nicht lediglich das organisierte Zusammentreffen der einzelnen Gläubiger, der Hauptinteressenten an der Durchführung des Verfahrens, sondern es handelt sich um ein Organ der Gläubigerselbstverwaltung, das nach dem Willen des Gesetzgebers das Verfahren weitgehend beherrscht. Die Bedeutung der Versammlung ist bereits daraus ersichtlich, dass dem Insolvenzgericht lediglich die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und die Verfahrensbeendigung vorbehalten ist, alles andere aber die Gläubigerversammlung zu entscheiden hat.
418
Innerhalb des Verfahrens gibt es einige besonders bedeutsame Abschnitte, die durch bestimmte Gläubigerversammlungen markiert sind. Es handelt sich um – den Berichtstermin, §§ 29, 156 InsO; 358 BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, MDR 2021, 514 = NZI 2021, 461 Rz. 19. 359 Riedel in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, InsO § 73 Rz. 22; AG Konstanz, v. 11.8.2015 – 40 IN 408/ 14, NZI 2015, 959. 360 LG Aachen v. 20.7.1992 – 3 T 265/91, ZIP 1993, 137. 361 Bedenken bei Zimmer, ZIP 2013, 1309. 362 LG Göttingen v. 1.12.2004 -10 T 128/04, ZInsO 2005, 48; Frind in Hamburger Kommentar zur InsO, § 73 Rz. 8 bezeichnet die Festsetzung im Schlusstermin als sinnvoll; zwingend ist dies jedoch nicht. 363 Jungmann in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 73 InsO Rz. 6; zu einer angeblichen diesbezüglichen Vereinbarung zwischen Sachwalter und Gericht vgl. AG Duisburg v. 13.1.2004 – 62 IN 167/02, NZI 2004, 325.
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V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 423 § 9
– den Prüfungstermin, § 176 InsO, in dem die zur Tabelle angemeldeten Forderungen geprüft werden; – den Schlusstermin, § 197 InsO. Ebenfalls hat das Gericht eine Versammlung einzuberufen bei Rechnungslegung des Verwalters aufgrund der Beendigung seines Amtes, § 66 Abs. 1 Satz 1 InsO. Für den Fall, dass kein Gläubigerausschuss bestellt ist, obliegt die Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen ebenfalls der Gläubigerversammlung, §§ 160 Abs. 1 Satz 2, 162 Abs. 1 InsO. Weitere Versammlungen können entweder auf Antrag einberufen werden oder aber das Insolvenzgericht kann diese anberaumen, wenn es dies bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für erforderlich hält.
419
aa) Einberufung und Leitung der Versammlung Die Gläubigerversammlung ist gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Insolvenzgericht einzuberufen, wobei der Versammlungsort, die Zeit sowie die Tagesordnungspunkte nach § 74 Abs. 2 InsO öffentlich bekannt zu machen sind. Bei Vertagungen, die im Termin beschlossen werden, ist keine förmliche Bekanntmachung notwendig.
420
Abgesehen von den oben genannten Versammlungen, die das Gericht auch ohne Antrag einberuft, sind nach § 75 Abs. 1 InsO folgende Personen befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung bei dem Insolvenzgericht zu beantragen:
421
– der Insolvenzverwalter;364 – der Gläubigerausschuss; – Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigte mit bestimmten Mehrheiten (vgl. § 75 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 InsO).365 Die Insolvenzgläubiger sind grundsätzlich auch dann berechtigt, einen Antrag auf Einberufung zu stellen, wenn ihre angemeldete Forderung noch nicht geprüft oder vom Insolvenzverwalter oder einem Gläubiger bestritten worden ist.366 Wird ein Antrag von den hierzu befugten Personen gestellt, so muss die Einberufung auch dann erfolgen, wenn der Antrag auch noch so unzulänglich begründet worden ist. Das Gericht hat insoweit keinen Ermessensspielraum.367 Eine Ausnahme hiervon hat das AG Duisburg gemacht, das den Antrag eines Gläubigers als offenkundig willkürlich erachtete und folgerichtig die Einberufung der Gläubigerversammlung mangels eines Rechtsschutzinteresses ablehnte.368
422
Gegen die ablehnende Entscheidung des Insolvenzgerichts zur Einberufung der Gläubigerversammlung ist gem. § 75 Abs. 3 InsO die sofortige Beschwerde statthaft. Hiernach ist nur der nach § 75 Abs. 1 InsO berechtigte Antragsteller – bei Gläubigern mithin nur die Antragsteller, die allein oder gemeinsam mit anderen das Quorum nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 InsO erfüllen – beschwerdebefugt.369
423
364 Hierzu BGH v. 21.12.2006 – IX ZB 138/06, MDR 2007, 802 = ZIP 2007, 551. 365 Zu den Anforderungen einer gerichtlichen Schätzung der Absonderungsrechte und Forderungen, BGH v. 16.7.2009 – IX ZB 213/07, ZIP 2009, 1528. 366 BGH v. 14.10.2004 – IX ZB 114/04, MDR 2005, 292 = ZIP 2004, 2339 = InVo 2005, 54; krit. hierzu Gundlach und Schirrmeister, EWiR 2005, 359; Festhaltung BGH v. 16.12.2010 – IX ZB 238/09, ZInsO 2011, 131. 367 OLG Celle v. 25.3.2002 – 2 W 9/02, ZIP 2002, 900. 368 AG Duisburg v. 18.8.2010 – 60 IN 26/09, ZIP 2010, 2362. 369 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 212/09, MDR 2011, 633 = ZIP 2011, 673; Keller, EWiR 2011, 391.
Riewe | 729
§ 9 Rz. 424 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 424
Die Gläubigerversammlung wird gem. § 76 Abs. 1 InsO von dem Insolvenzgericht geleitet. In aller Regel wird die Versammlung unter Leitung des zuständigen Rechtspflegers stattfinden, da mit der Verfahrenseröffnung die funktionelle Zuständigkeit vom Richter auf den Rechtspfleger über, soweit sich der Richter das Insolvenzverfahren nicht ganz oder teilweise vorbehält (vgl. § 18 Abs. 1 RPflG).370
425
Inhaltlich umfasst die Leitung der Versammlung die Sorge für einen geordneten Ablauf, die Beschlussfassung und Protokollierung der Versammlung. Die Vorschriften des GVG, §§ 176 ff. und der ZPO, §§ 136 ff., 159 ff., finden entsprechende Anwendung. bb) Teilnahme und Stimmrecht
426
An den Versammlungen teilnehmen dürfen (allgemein geregelt in § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO)371: – die absonderungsberechtigten Gläubiger; – die normalen Insolvenzgläubiger, § 38 InsO; – die nachrangigen Insolvenzgläubiger, § 39 InsO; – der Insolvenzverwalter; – der Schuldner; – die Mitglieder des Gläubigerausschusses, auch wenn sie nicht Gläubiger sind. Nicht teilnahmeberechtigt sind die Massegläubiger und die Aussonderungsberechtigten.
427
Die Versammlung ist nicht öffentlich i.S.d. § 169 GVG, weil es sich nicht um eine „Verhandlung vor dem erkennenden Gericht“ handelt. Nach § 4 i.V.m. § 175 Abs. 2 Satz 1 GVG kann das Insolvenzgericht den Zutritt einzelner Personen gestatten, sogar ohne die Beteiligten anzuhören (§ 175 Abs. 2 Satz 3 GVG). Kritisch gesehen wird insoweit insbesondere die Frage der Zulassung von Pressevertretern.372
428
Dritte sind im Übrigen insoweit zum Berichtstermin zuzulassen, als sie das Recht haben, sich zu dem Bericht des Verwalters zu äußern. Dies ist nach § 156 Abs. 2 InsO der Fall bei – dem Schuldner, – dem Gläubigerausschuss, – dem Betriebsrat, – dem Sprecherausschuss für leitende Angestellte, – der für Schuldner zuständigen amtlichen Berufsvertretung.
429
Die Stimmrechte innerhalb der Gläubigerversammlung sind in den §§ 76 Abs. 2, 77 InsO geregelt. Danach gibt es keine Mehrheitsentscheidungen nach Köpfen, sondern ausschließlich nach der Höhe der in dem Verfahren angemeldeten Forderung. Eine Ausnahme gilt für die Abwahl des Insolvenzverwalters; hier muss zusätzlich eine Mehrheit der abstimmenden Gläubiger vorliegen, § 57 InsO. Zu beachten ist, dass die Stimmgewichtung nur im Verhältnis zu den angemeldeten Forderungen der im Termin erschienenen Gläubiger ermittelt wird und nicht etwa in Bezug auf die insgesamt zur Tabelle angemeldeten Forderungen.
370 Zu Fragen der Kompetenzabgrenzung in Einzelnen Pape in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 2 InsO Rz. 4. 371 Zu Einschränkungen der Teilnahmemöglichkeit AG Aurich v. 25.4.2006 – 9 IN 41/06, ZIP 2006, 2004. 372 Für eine restriktive Handhabung etwa Ehricke/Ahrens in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 76 InsO Rz. 5.
730 | Riewe
V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 435 § 9
Zu unterscheiden ist allerdings danach, ob die angemeldeten Forderungen anerkannt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder bestritten sind (§ 77 Abs. 2 InsO), gleichgültig ob das Bestreiten durch den Insolvenzverwalter oder einen Gläubiger erfolgt. Wurde die Forderung bestritten, so ist entweder eine Einigung zwischen dem Verwalter und den erschienenen Gläubigern erforderlich oder aber es ergeht – wenn eine solche Einigung nicht erzielt wird – eine Entscheidung des Gerichts über das Stimmrecht des betroffenen, ansonsten nicht stimmberechtigten Gläubigers. Eine solche Entscheidung wirkt nur in dem Termin, in dem sie getroffen wurde; darüber hinaus muss der betroffene Gläubiger die Feststellung seiner Forderung (weiter) betreiben. An dem Einigungsversuch über das Stimmrecht ist auch der betroffene Gläubiger zu beteiligen.373
430
Wird der Antrag des betroffenen Gläubigers negativ beschieden, so gibt es gegen diese Entscheidung, wird sie von dem Richter getroffen, kein Rechtsmittel, vgl. § 6 Abs. 1 InsO. Bei einer Entscheidung durch den Rechtspfleger kommt eine weitere Entscheidung durch den Richter in Betracht. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 RpflG ist zwar die Erinnerung gegen die Entscheidung über die Gewährung des Stimmrechts ausgeschlossen. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RpflG kann jedoch in dem Fall, dass die Entscheidung Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis hat, der Richter auf Antrag eines Gläubigers oder des Verwalters das Stimmrecht neu festsetzen und eine Wiederholung der Abstimmung anordnen. Der entsprechende Antrag ist bis zum Terminsende zu stellen.
431
Die nachrangigen Gläubiger (§ 39 InsO) besitzen in der Versammlung kein Stimmrecht (§ 77 Abs. 1 Satz 2 InsO).
432
Werden die Vorschriften über die Abstimmung verletzt, sind hierunter zustande gekommene Beschlüsse unwirksam.
433
Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass durchaus Stimmrechtseinschränkungen vorkommen können. So ist ein Gläubiger von der Abstimmung über die Wahl eines anderen Insolvenzverwalters ausgeschlossen, wenn es zwischen ihm und dem bisherigen Verwalter einen Interessenkonflikt gibt, beispielsweise weil der Verwalter von ihm Zahlung verlangt. Dies hat das LG Göttingen374 herausgestellt und hierbei auf aktienrechtliche Grundsätze verwiesen („eine Abstimmung in eigener Sache ist verboten“)375. Der Rechtspfleger muss aber die Stimmrechtsversagung begründen.376 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass das Insolvenzgericht im Rahmen seiner gerichtlichen Stimmrechtsfestsetzung befugt ist, etwaige Vorfragen zur Abstimmungsberechtigung abschließend zu klären.377
434
Gegen die Ablehnung der Vertagung der Gläubigerversammlung ist kein Rechtsmittel möglich.378
434a
cc) Aufgaben Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers haben die Gläubiger innerhalb des Verfahrens eine beherrschende Stellung. Dementsprechend sind auch alle wichtigen, richtungsweisenden Entscheidungen von der Versammlung zu treffen. Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn von der Versammlung keine Kompetenzen durch Einsetzung eines Gläubigerausschusses übertragen werden.
373 Kind/Herzig, EWiR 2006, 175. 374 LG Göttingen v. 20.11.1998 – 10 T 66/98, ZIP 1999, 120. 375 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, MDR 1985, 566 = ZIP 1985, 423; hierzu AG Itzehoe v. 22.7.2014 – 28 IE 1/14, ZIP 2014, 1545; LG Hamburg v. 25.8.2014 – 326 T 81/14, ZIP 2014, 1889. 376 BVerfG v. 4.8.2004 – 1 BvR 698/03, ZIP 2004, 1762. 377 BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, MDR 2009, 223 = ZIP 2008, 2428; vgl. hierzu auch Nichtannahmebeschluss des BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237; zustimmend Keller, EWiR 2009, 117. 378 BGH v. 5.4.2006 – IX ZB 144/05, MDR 2006, 1247 = ZIP 2006, 1065.
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435
§ 9 Rz. 436 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 436
In der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters durch das Gericht erfolgt (Berichtstermin), haben die Gläubiger die Möglichkeit, an Stelle des gerichtlich eingesetzten Insolvenzverwalters eine andere Person zu wählen (§ 57 InsO). Damit entscheidet die Versammlung über die Person des Verwalters. Die Initiative dürfte dabei üblicherweise von einer Person oder Personengruppe mit entsprechender Stimmgewichtung in der Versammlung ausgehen. Bevor jedoch im Hinblick auf die Verwalterauswahl eine vom Gericht abweichende Entscheidung getroffen wird, sollten die Entscheidungsträger die dieser Überlegung zugrunde liegenden Motive kritisch hinterfragen, insbesondere die Frage der Unabhängigkeit des neu einzusetzenden Verwalters.379
437
Das Gericht kann die Bestellung des Gewählten nur versagen, wenn dieser für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist.380 Der Beschluss der ersten Gläubigerversammlung zur Wahl eines anderen Verwalters kann auch nicht im Verfahren nach § 78 Abs. 1 InsO angefochten werden. Die Bestimmung sieht die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung vor, wenn er dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. § 57 S. 3 und 4 InsO enthalten jedoch eine abschließende Sonderregelung381 und zwar auch für den Fall, dass der Insolvenzverwalter vorher die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat und sich gegen seine Abwahl wehren will.382
438
Die Frage ist allerdings, ob sich der abgewählte Verwalter auf die Nichtigkeit des Beschlusses der Versammlung berufen kann. Er kann jedenfalls nicht ein Verfahren nach § 78 InsO anstrengen, weil diese Norm die Wirksamkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung voraussetzt. Nichtige Beschlüsse bedürfen keiner besonderen Aufhebungsentscheidung, sondern sind ipso iure unwirksam.383
439
Die Gläubigerversammlung hat gem. § 68 InsO ebenfalls darüber zu entscheiden, ob ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird. Diese Entscheidung ist auch dann zu treffen, wenn das Gericht bereits vor der Versammlung einen Ausschuss eingesetzt hatte. In diesem Fall hat die Versammlung drei Möglichkeiten: – Sie kann die eingesetzten Mitglieder bestätigen, also so ähnlich verfahren wie bei dem Verwalter. – Sie kann neue Mitglieder wählen, wobei auch die Auswechselung einzelner Personen oder eine Hinzuwahl möglich ist. – Sie kann trotz der vorangegangenen positiven Entscheidung des Gerichts von der Wahl eines endgültigen Ausschusses Abstand nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten in Bezug auf den Gläubigerausschuss wird auf die obigen Ausführungen unter a) Bezug genommen.
440
Die wohl bedeutendste Grundentscheidung der Gläubigerversammlung für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens ist diejenige, ob das Unternehmen des Schuldners vorläufig fortgeführt oder stillgelegt werden soll, § 157 InsO. Wenn der Gesetzgeber von einer vorläufigen Fortführung spricht, so hat er hierbei zwei Alternativen vor Augen: – die Ausproduktion oder – die Veräußerung der Unternehmenswerte durch einen sog. Asset Deal (übertragende Sanierung) (zu dieser Übertragungsart s. § 17 Rz. 16 ff.).
379 BGH v. 22.4.2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 113; Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, 2004, Rz. 897 ff. 380 Zur Ablehnung einer vom Gläubigerausschuss bestellten Person mangels Verwaltererfahrung, BVerfG v. 27.11.2008 – 1 BvR 2032/08, ZIP 2009, 975. 381 BGH v. 17.7.2003 – IX ZB 530/02, MDR 2003, 1134 = InVo 2004, 14; Ergänzung BGH v. 7.10.2004 – IX ZB 128/03, MDR 2005, 294 = ZIP 2004, 2341. 382 BGH v. 7.10.2004 – IX ZB 128/03, MDR 2005, 294 = ZIP 2004, 2341. 383 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 128/10, MDR 2011, 1141 = ZIP 2011, 1626.
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V. Beratung im eröffneten Verfahren | Rz. 448 § 9
Die Versammlung kann sich bereits für eine der beiden Alternativen entscheiden. Soweit im Berichtstermin noch unklar ist, ob der Betrieb an ein anderes Unternehmen übertragen werden kann oder ob nicht doch letztlich eine Ausproduktion notwendig ist, wird in derartigen Fällen regelmäßig ein Ausschuss gewählt, dem diese Entscheidung übertragen wird. Dem Gesetzgeber war der Erhalt des Unternehmens besonders wichtig. Deshalb hat er auch noch eine dritte Alternative zur Diskussion gestellt:
441
– Die Entscheidung über einen Insolvenzplan, mit dessen Hilfe sogar der Unternehmensträger erhalten werden kann. Liegt im Termin noch kein Insolvenzplan vor, so kann die Versammlung den Verwalter beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und ihm auch das Ziel des Plans vorgeben, § 157 Satz 2 InsO (zu weiteren strategischen Überlegungen zum Insolvenzplanverfahren vgl. § 3 Rz. 107 ff.). Damit gibt es in Wahrheit vier Alternativen:
442
– sofortige Betriebsstilllegung; – Ausproduktion; – Fortführung des Betriebes zum Zwecke der übertragenden Sanierung; – Fortführung des Betriebes im Rahmen eines Insolvenzplans. Darüber hinaus kann die Gläubigerversammlung auch Einzelentscheidungen zur Verwertung der Insolvenzmasse treffen; dies ergibt sich aus § 159 InsO.
443
Schließlich steht es der Versammlung frei, alle Entscheidungen dem Verwalter zu überlassen, also sein Ermessen an die Stelle eines sonst zu wählenden Ausschusses zu setzen. Hierbei ist der Verwalter in seinen zukünftigen Entscheidungen jedoch nicht völlig frei. Für besonders bedeutsame Rechtshandlungen, die im Einzelnen in § 160 Abs. 2 InsO genannt werden, müsste er die Zustimmung „der Gläubigerversammlung“, in diesem Fall also einer späteren Versammlung, einholen.
444
Schließlich hat die Gläubigerversammlung auch darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang dem Schuldner Unterhalt aus der Insolvenzmasse gewährt werden soll, §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 InsO.
445
dd) Haftungsfragen Während die Haftung des Insolvenzverwalters und des Gläubigerausschusses im Gesetz geregelt ist, gibt es keine entsprechenden Bestimmungen für die Gläubigerversammlung. Es stellt sich deshalb die Frage, ob ein Gläubiger für Entscheidungen in der Versammlung haftbar gemacht werden kann, und zwar zum einen
446
– von Seiten der bei der Versammlung unterlegenen Minderheitsgläubiger – und zum anderen von Gläubigern, die an der Versammlung nicht teilgenommen haben. Mangels einer gesetzlichen Regelung besteht keine insolvenzrechtliche Haftung einzelner Gläubiger, wenn man einmal von der Sonderregelung in § 28 Abs. 2 Satz 3 InsO absieht, wonach ein sicherungsberechtigter Gläubiger bei Verletzung seiner Mitteilungspflichten schadenersatzpflichtig ist. Diese Sonderregelung gebietet den Umkehrschluss, dass eine darüber hinausgehende allgemeine insolvenzrechtliche Haftung der Gläubiger nicht gewollt ist.
447
Einzelne Absonderungs-, Masse- und Insolvenzgläubiger können deshalb nur nach den allgemeinen Deliktsbestimmungen, insbesondere nach § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie zu Lasten des gemeinschaftlichen Befriedigungsinteresses aller Gläubiger, aber auch zu Lasten des Schuldners, Manipulationen und Ausbeutungsaktionen durchführen. Eine darüber hinausgehende Haftung für schlichte Fehlentscheidungen in der Versammlung gibt es demnach nicht.
448
Riewe | 733
§ 9 Rz. 449 | Beratung des ungesicherten Gläubigers 449
In diesem Zusammenhang ist jedoch auf § 78 InsO zu verweisen: Widerspricht ein Beschluss der Gläubigerversammlung dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger, so hat das Insolvenzgericht den Beschluss aufzuheben, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger, ein nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzverwalter dies in der Gläubigerversammlung beantragt (§ 78 Abs. 1 InsO). Diese Bestimmung birgt Haftungsgefahren für den Insolvenzverwalter. Er muss sofort, d.h. in der Versammlung reagieren, wenn er feststellt, dass ein Beschluss die Masse schädigt.
VI. Beratung nach Beendigung des Verfahrens 450
Sucht der Mandant anwaltlichen Rat, nachdem er bei der Schlussverteilung ganz oder teilweise leer ausgegangen ist bzw. meldet sich der Mandant, weil er erfährt, dass das Verfahren ohne Schlussverteilung sein Ende gefunden hat, stehen folgende Themen an: – Ist das Verfahren tatsächlich beendet? – Welche Konsequenzen hat dies für seine ungesicherte Forderung?
1. Beendigungstatbestände 451
Das Gesetz kennt zwei Formen der Verfahrensbeendigung: – die Aufhebung; – die Einstellung.
a) Aufhebung 452
Die Insolvenzordnung kennt drei verschiedene Aufhebungsgründe: – die Durchführung der Schlussverteilung, § 200 InsO; – die Bestätigung eines Insolvenzplans, § 258 InsO; – die Rechtskraft einer Entscheidung, mit der der Eröffnungsbeschluss, § 27 InsO, aufgehoben worden ist, § 34 Abs. 3 InsO. aa) Durchführung der Schlussverteilung
453
Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist – dies hat der Insolvenzverwalter dem Gericht nachzuweisen –, beschließt das Gericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO). Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen (§ 200 Abs. 2 Satz 1 InsO). Hatte das Gericht die Verfahrenseröffnung einem Registergericht oder Grundbuchamt nach §§ 31 bis 33 InsO mitgeteilt, so ist dieses wieder zu informieren.
454
Der Aufhebungsbeschluss ist unanfechtbar. Er erwächst mit Verkündung in Rechtskraft. Deshalb muss die Aufhebung trotz des Nachweises der Schlussverteilung durch den Verwalter aufgeschoben werden, solange über Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis, § 197 Abs. 3 InsO i.V.m. § 194 InsO, noch nicht rechtskräftig entschieden ist.384 Ist die Schlussverteilung vollzogen, hat das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu beschließen, auch wenn nach der Erstellung des Schlussverzeichnisses oder nach der Schlussverteilung noch weitere Massezuflüsse aus dem laufenden
384 Wegener in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 200 InsO Rz. 4.
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VI. Beratung nach Beendigung des Verfahrens | Rz. 458 § 9
Einkommen des Schuldners erfolgt sind oder eine abschließende Entscheidung über die Vergütung des Insolvenzverwalters noch aussteht.385 bb) Bestätigung eines Insolvenzplans Sobald die Bestätigung des Insolvenzplans, § 248 InsO, rechtskräftig ist – auf die Erfüllung des Plans kommt es regelmäßig nicht an –, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Verfahrens, § 258 Abs. 1 InsO. Vor der Aufhebung hat der Verwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten (§ 258 Abs. 2 Satz 1 InsO). Für die nicht fälligen Masseansprüche kann auch ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, dass ihre Erfüllung gewährleistet ist (§ 258 Abs. 2 S. 2 InsO). Der Beschluss enthält den Zeitpunkt der Aufhebung, der frühestens zwei Tage nach der Beschlussfassung liegen soll (§ 258 Abs. 3 Satz 1 InsO). Was die Bekanntmachung und die Anfechtbarkeit angeht, gilt das Gleiche wie bei § 200 InsO; auch hier unterliegt der Beschluss keinem Rechtsmittel – s. § 6 InsO.
455
cc) Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses nach § 34 Abs. 3 InsO Gegen die Insolvenzeröffnung kann sich der Schuldner mit der Beschwerde wehren (§ 34 Abs. 2 InsO). Bei begründeter Beschwerde gegen die Insolvenzeröffnung kann das Beschwerdegericht bei Entscheidungsreife den Eröffnungsbeschluss aufheben und den Insolvenzantrag selbst zurückweisen oder mangels Masse abweisen.386
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Wirksam wird die Aufhebungsentscheidung erst mit Rechtskraft. Erst dann hat das Gericht seine Entscheidung öffentlich bekannt zu machen, § 34 Abs. 3 Satz 1. Registergerichte und Grundbuchämter sind zu informieren, denn die mit dem Eröffnungsbeschluss einhergehenden Sperrvermerke müssen gelöscht werden, §§ 34 Abs. 3 Satz 2, 200 Abs. 2 Satz 2, 31–33 InsO. Der Insolvenzverwalter hat von ihm begründete Masseverbindlichkeiten entsprechend § 25 Abs. 2 InsO vorab zu berichtigen.387
457
b) Einstellung Eine Einstellung des Insolvenzverfahrens kommt in Frage, wenn ein eröffnetes Verfahren vorzeitig beendet werden muss, weil sein Zweck – gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger – nicht erreicht werden kann. Hierfür kann es unterschiedliche Gründe geben: – zum einen die Massearmut, wobei hier wiederum zwei Varianten denkbar sind: – Einstellung mangels Masse, § 207 InsO; – Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO; – zum anderen, weil sich nachträglich wichtige Voraussetzungen geändert haben: – Wegfall des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO; – weil die Gläubiger das Verfahren nicht mehr wollen, § 213 InsO.
385 BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 75/16, NZI 2017, 822 = ZIP 2017, 1629. 386 Keller in K. Schmid, InsO, 19. Aufl. 2016, § 34 InsO Rz. 50. 387 Keller in K. Schmid, InsO, 19. Aufl. 2016, § 34 InsO Rz. 52.
Riewe | 735
458
§ 9 Rz. 459 | Beratung des ungesicherten Gläubigers aa) Einstellung wegen Massearmut (1) Einstellung mangels Masse, § 207 InsO 459
Stellt sich nach Eröffnung des Verfahrens heraus, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken, so stellt das Insolvenzgericht das Verfahren ein. Zu berücksichtigen sind – genauso wie im Rahmen der Prüfung nach § 26 InsO – nur die Kosten i.S.d. § 54 InsO (Gerichtskosten, Verwalterkosten, Ausschusskosten). Unter den dortigen engen Verfahrenskostenbegriff fallen nicht allgemeine Verwaltungs- und Verwertungskosten, die bspw. für eine Bewachung, eine Versicherung, einen Prozess oder für Jahresabschlüsse anfallen.
460
Die Entscheidung ist in jedem Stadium des Verfahrens möglich, also schon kurz nach der Eröffnung, aber auch noch nach Jahren, bspw. wenn sich dann erst zeigt, dass ein gerichtlich durchgesetzter Anspruch, der die eigentliche Masse ausmachte, nicht werthaltig ist.
461
Bei seiner Entscheidung hat das Gericht einen gewissen Beurteilungsspielraum: unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts, § 287 ZPO i.V.m. § 4 InsO. Das Gericht hat hierbei auf die vorhandene Masse abzustellen; hierzu gehören auch alle der Masse zugewiesenen Haftungsansprüche und Nachschusspflichten. Die Entscheidung erfolgt von Amts wegen; einer Antragstellung bedarf es nicht – wobei in der Praxis der Entscheidung regelmäßig eine entsprechende Anregung des Verwalters vorausgehen dürfte und auch dessen Bewertung der Massebestandteile von Einfluss ist.
462
Nach § 207 Abs. 1 Satz 2 InsO unterbleibt die Einstellung, wenn ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird. Die Vorschussfrage spielt auch schon bei der erstmaligen Entscheidung des Gerichts nach § 26 InsO eine Rolle. Deshalb verweist § 207 auf § 26 Abs. 3 InsO, das heißt den dort normierten Erstattungsanspruch des Vorschussleistenden (hier Rz. 137). Wer den Vorschuss leistet, ist unerheblich. Normalerweise geschieht dies durch den antragstellenden Gläubiger; aber auch ein anderer Gläubiger, der Schuldner oder ein Dritter könnte den Vorschuss leisten.
463
Vor der Einstellung sind die Gläubigerversammlung, der Insolvenzverwalter – wenn nicht schon von ihm die Anregung kam – und die Massegläubiger zu hören. Auf diese Weise soll das Gericht von allen Seiten Informationen zur Kostendeckungsfrage bekommen, insbesondere auch zu der Frage, ob jemand zu einer Vorschussleistung bereit ist.
464
Gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 9 InsO sind der Einstellungsbeschluss und der Grund der Einstellung – also Einstellung mangels Masse – öffentlich bekannt zu machen. Wie sich aus § 200 Abs. 2 Satz 2 InsO, auf den § 215 InsO verweist, ergibt, hat die auszugsweise Veröffentlichung im Internet zu erfolgen. Die Information der Registergerichte und Grundbuchämter zwecks Löschung von Sperrvermerken sind nach den gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls vorgesehen.
465
§ 216 Abs. 1 InsO stellt für jeden Insolvenzgläubiger – und im Falle der Einstellung nach § 207 InsO auch für den Schuldner – das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zur Verfügung. (2) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO
466
Diese Bestimmung sieht eine Einstellung des Verfahrens vor, wenn – die Kosten des Insolvenzverfahrens zwar gedeckt sind, die Masse jedoch nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, § 208 Abs. 1 InsO, – der Verwalter diese Art der Masseunzulänglichkeit dem Gericht angezeigt hat, § 208 Abs. 1 InsO, – das Gericht die Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt gemacht hat, § 208 Abs. 2 InsO, – der Verwalter die Masse anschließend „zu Ende“ verwaltet und verwertet hat, § 208 Abs. 3 InsO,
736 | Riewe
VI. Beratung nach Beendigung des Verfahrens | Rz. 474 § 9
– und der Verwalter die Masseverbindlichkeiten in einer bestimmten Rangfolge nach dem Verhältnis ihrer Beträge (quotal) berichtigt hat – § 209 InsO. Anders als bei einer Einstellung nach § 207 InsO (Verfahrenskosten nicht gedeckt) kommt der Einstellungsbeschluss also erst nach geraumer Zeit. Reicht die Masse zur Deckung der Verfahrenskosten, können jedoch die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht voll befriedigt werden, so ist das Verfahren vollständig abzuwickeln.
467
Sobald der Verwalter die Verteilungen abgeschlossen und hierüber dem Gericht berichtet hat, erlässt das Gericht den Einstellungsbeschluss. Da mit der Verfahrenseinstellung das Amt des Verwalters endet, ist § 66 InsO zu beachten:
468
Es muss eine Rechnungslegung erfolgen. Hierbei verlangt § 211 Abs. 2 InsO eine gesonderte Rechnungslegung für die Tätigkeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Es sind also zwei getrennte Zeitabschnitte zahlenmäßig darzustellen.
469
Ob die Schlussrechnungslegung im Falle der Einstellung nach § 211 InsO gegenüber einer Gläubigerversammlung zu erfolgen hat, ist unsicher. Der Wortlaut des § 66 InsO spricht hierfür. § 211 InsO erwähnt jedoch diese Bestimmung nicht. Außerdem kennt das Gesetz den Schlusstermin als abschließende Gläubigerversammlung nur im Zusammenhang mit der Schlussverteilung, § 197 InsO. Diese findet jedoch bei einer Einstellung mangels Masse nicht statt, so dass es auch keinen Sinn macht, nur wegen der besonderen Rechnungslegung nach § 211 Abs. 2 InsO einen Termin anzuberaumen.
470
Der Einstellungsbeschluss ist genauso wie in den anderen Fällen zu veröffentlichen, § 215 InsO. Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss ist jedoch – anders als bei einer Einstellung nach § 207 InsO – nicht möglich; § 211 InsO wird in § 216 InsO nicht erwähnt.388
471
bb) Einstellung aus anderen Gründen (1) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO Auf Antrag des Schuldners ist das Insolvenzverfahren einzustellen, wenn gewährleistet ist, dass nach der Einstellung beim Schuldner weder Zahlungsunfähigkeit (auch keine drohende) noch eine Überschuldung – soweit diese als Eröffnungsgrund in Frage kommt – vorliegt; § 212 InsO. Das Gericht hat dies von Amts wegen zu prüfen. Es muss den Antrag des Schuldners als unzulässig zurückweisen, wenn dieser das Fehlen der Eröffnungsgründe nicht glaubhaft macht, § 212 Satz 2 InsO, einer der seltenen Fälle, in denen das Gesetz einen Negativbeweis fordert; deshalb werden positive Entscheidungen nach § 212 InsO auch eher selten sein.
472
(2) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger, § 213 InsO Nicht viel anderes gilt für Einstellungsentscheidungen nach § 213 InsO. Hiernach ist das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners einzustellen, wenn er nach Ablauf der Anmeldefrist die Zustimmung aller Insolvenzgläubiger beibringt, die Forderungen angemeldet haben. Bei Gläubigern, deren Forderungen vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter bestritten werden, und bei absonderungsberechtigten Gläubigern entscheidet das Insolvenzgericht nach freiem Ermessen, inwieweit es einer Zustimmung dieser Gläubiger oder einer Sicherheitsleistung ihnen gegenüber bedarf.
473
Ausnahmsweise kann das Verfahren auch schon vor dem Ablauf der Anmeldefrist eingestellt werden, wenn außer den Gläubigern, deren Zustimmung der Schuldner beibringt, andere Gläubiger nicht bekannt sind. Da die Anmeldefristen ohnehin immer knapp bemessen sind, hat diese Alternative keine
474
388 BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 234/05, MDR 2007, 799 = ZIP 2007, 603.
Riewe | 737
§ 9 Rz. 474 | Beratung des ungesicherten Gläubigers große praktische Bedeutung; in jedem Fall wird das Gericht vor Ablauf der Anmeldefrist eher zurückhaltend mit einem Einstellungsbeschluss sein. 475
Im Übrigen bedeutet das Einverständnis des einzelnen Gläubigers mit der Einstellung des Verfahrens keinen Forderungsverzicht.389
476
Hinweis: Dennoch ist dem Gläubiger zu raten, nur dann dem Schuldner eine Zustimmungserklärung in die Hand zu geben, wenn er mit einer anderweitigen Befriedigung seiner Forderung rechnen kann.
(3) Bekanntmachung und Rechtsmittel 477
In beiden Einstellungsfällen muss schon der Antrag auf Einstellung öffentlich bekannt gemacht werden, § 214 Abs. 1 Satz 1 InsO. Er ist außerdem in der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. Im Falle des § 213 InsO sind die Zustimmungserklärungen der Gläubiger beizufügen. Die Insolvenzgläubiger können binnen einer Woche nach der öffentlichen Bekanntmachung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Widerspruch gegen den Antrag erheben.
478
Das Insolvenzgericht muss vor Einstellung des Verfahrens den Insolvenzverwalter und einen evtl. vorhandenen Gläubigerausschuss anhören, § 214 Abs. 2 Satz 1 InsO. Die Anhörung des Insolvenzverwalters ist vor allem deshalb wichtig, weil dieser vor der Einstellung die unstreitigen Masseansprüche befriedigen und für streitige Ansprüche Sicherheit leisten muss.
479
Für die öffentliche Bekanntmachung der Einstellungsbeschlüsse nach §§ 212, 213 InsO gilt das Gleiche wie bei einer Einstellung mangels Masse. Rechtsmittel hat in diesen Fällen nicht nur jeder Insolvenzgläubiger, sondern auch der Schuldner, der eine bei stattgebenden, der andere bei ablehnenden Entscheidungen, § 216 InsO.
2. Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger 480
Die Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger sind unterschiedlich, je nachdem, wie und weshalb das Verfahren beendet worden ist:
a) Nach Durchführung der Schlussverteilung aa) Schuldnerstellung 481
Dem Gläubiger steht jetzt wieder ein Schuldner gegenüber, der seine ursprüngliche Rechtsposition weitgehend zurückerlangt hat. Er hat wieder das Verwaltungs- und Verfügungsrecht. War ein Rechtsstreit durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 240 ZPO unterbrochen und hat der Verwalter das Verfahren nicht aufgenommen oder ist der Prozess noch nicht beendet so erlangt der Schuldner mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch seine Prozessführungsbefugnis zurück.390 Außerdem hat der Insolvenzverwalter sämtliche Geschäftsunterlagen, welche zur Insolvenzmasse gehörten, zurückzugeben. bb) Gläubigerstellung
482
Die Insolvenzgläubiger können nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen, § 201 Abs. 1 InsO, allerdings nur soweit nicht Restschuldbefreiung erteilt worden ist; § 201 Abs. 3 InsO. Sie können aus der Eintragung in die Tabel389 Uhlenbruck/Ries, 15. Aufl. 2019, InsO § 213 Rz. 7; K. Schmidt/Jungmann, 19. Aufl. 2016, InsO, § 213 Rz. 13. 390 BGH v. 28.9.2009 – II ZR 22/08, ZIP 2009, 2170.
738 | Riewe
VI. Beratung nach Beendigung des Verfahrens | Rz. 487 § 9
le, also aus dem Tabellenauszug, wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. Dies setzt allerdings voraus, dass die Forderung festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden ist. Ist dies nicht der Fall, muss der Gläubiger nach Abschluss des Verfahrens gegen den Schuldner einen Titel erwirken oder einen während des Insolvenzverfahrens eingeleiteten Feststellungsprozess zu Ende führen. Erst nach Rechtskraft der Feststellungsklage darf das Insolvenzgericht auf Antrag des Gläubigers einen Auszug aus der Tabelle erteilen. Der Tabellenauszug ersetzt einen evtl. früheren Vollstreckungstitel. Versucht der Gläubiger die Vollstreckung aus dem früheren Titel, der an sich verbraucht ist, kann sich der Schuldner mit der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO wehren.391
483
Erteilt das Gericht einen vollstreckbaren Auszug aus der Tabelle, so muss es auf dem Auszug evtl. Quotenzahlungen des Insolvenzverwalters vermerken.
484
Hinweis: Es ist immer wieder festzustellen, dass Gläubiger während des noch laufenden Insolvenzverfahrens den Verwalter um Erteilung eines Tabellenauszuges bitten. Dies ist in doppelter Hinsicht falsch: – Zu einen hat nicht der Verwalter, sondern das Gericht den Tabellenauszug zu erteilen; die Fehlvorstellung beruht offensichtlich auf der Tatsache, dass die Forderung – anders als noch während der Geltung der Konkursordnung – beim Verwalter anzumelden war; Titel kann jedoch regelmäßig nur ein Gericht erteilen. – Zum anderen ist die Anforderung eines Tabellenauszuges während des Verfahrens deshalb falsch, weil – wie oben erwähnt – evtl. Quotenzahlungen vermerkt werden müssen und insoweit erst nach Abschluss des Verfahrens feststeht, ob und welche Quote gezahlt werden konnte. Dies gilt auch, wenn der Insolvenzverwalter in der Gläubigerversammlung ausdrücklich erklärt hat, dass nicht mit einer Quotenzahlung zu rechnen ist.
485
Für die Haftung des Schuldners ist allein die Eintragung in der Insolvenztabelle entscheidend. Verfahrensbedingte Forderungsumwandlungen bleiben auch nach Aufhebung des Verfahrens bestehen. Dies führt zu Folgendem:
486
– Werden nicht fällige Forderungen, § 41 InsO, und wiederkehrende Leistungen, § 46 InsO, zur Insolvenztabelle angemeldet und festgestellt, so haftet der Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens unabhängig von der ursprünglich vereinbarten Fälligkeit. – Der Schuldner haftet auch für während des Verfahrens begründete und – versehentlich oder absichtlich – nicht getilgte Masseverbindlichkeiten nur, soweit er nach Aufhebung des Verfahrens Massewerte zurückerhalten hat.392 – Sind Forderungen nicht zur Tabelle angemeldet oder festgestellt worden, so ändert dies nichts an ihrer Existenz.393 Besteht für eine derartige Forderung ein Titel, so kann der Gläubiger nach Aufhebung des Verfahrens hieraus vollstrecken. Anders als bei einem Forderungsanerkenntnis zur Tabelle ist der Titel in diesem Fall nicht verbraucht. cc) Nachtragsverteilung (1) Anordnungsvoraussetzungen Nach § 203 InsO ordnet das Insolvenzgericht auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an, wenn nach dem Schlusstermin394
391 392 393 394
Pape, KTS 1992, 185 ff. Weitergehend Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 25.09. Wegener in Uhlenbruck, InsO,15. Aufl. 2019, § 201 InsO Rz. 25. Hierzu BGH v. 17.3.2005 – IX ZB 286/03, NZI 2005, 395.
Riewe | 739
487
§ 9 Rz. 487 | Beratung des ungesicherten Gläubigers – zurückbehaltene Beträge für die Verteilung frei werden, – Beträge, die aus der Insolvenzmasse gezahlt sind, zurückfließen oder – Gegenstände der Masse ermittelt werden oder versehentlich nicht verwertet wurden.395 488
Tatbestandliche Voraussetzung der letzten Alternative ist die Zugehörigkeit eines nachträglich ermittelten Gegenstandes zur Masse des noch laufenden (§ 203 Abs. 1 InsO) oder bereits aufgehobenen (§ 203 Abs. 2 InsO) Insolvenzverfahrens.396
489
Nachtragsverteilungen sind auch in Verbraucherinsolvenzverfahren möglich.397 Normalerweise wird im Schlusstermin die Frage einer möglichen Nachtragsverteilung erörtert und ein Beschluss dahin gehend gefasst, dass hinsichtlich bestimmter Werte noch eine Nachtragsverteilung erfolgen soll (sog. Vorbehalt der Nachtragsverteilung).398 Es ist jedoch genauso gut möglich, dass erst nach Aufhebung des Verfahrens Vermögenswerte ermittelt werden, weil sie dem Insolvenzverwalter bis dahin unbekannt waren oder der Verwalter in Kenntnis derer diese für unverwertbar bzw. wertlos hielt.399 Dieser Tatsache trägt das Gesetz mit Abs. 2 von § 203 InsO Rechnung, indem es ausdrücklich festhält, dass die Anordnung einer Nachtragsverteilung auch nach Aufhebung des Verfahrens erfolgen kann. Dem steht auch nicht die Löschung der Schuldnerin im Handelsregister entgegen.400
490
Soweit der Vorbehalt der Nachtragsverteilung im Schlusstermin erklärt wird, bleibt das Verwaltungsund Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters weiter bestehen. Dies gilt auch für das Prozessführungsrecht. Erfolgt im Schlusstermin ein derartiger Vorbehalt nicht und sind nachträglich Gegenstände ermittelt worden, so sind diese zunächst einmal frei; sie könnten also auch im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung beschlagnahmt werden. Erst mit der nachträglichen Anordnung erlangt der (ehemalige) Insolvenzverwalter wieder das Verwaltungs- und Verfügungsrecht.
491
Werden nach der in § 211 Abs. 1 InsO geregelten Einstellung des Verfahrens (bei vorausgegangener Masseunzulänglichkeit) noch Gegenstände der Insolvenzmasse ermittelt, so ordnet das Gericht auf Antrag des Verwalters oder eines Massegläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an (§ 211 Abs. 3 Satz 1 InsO).
492
Wird aber von der Nachtragsverteilung nicht das gesamte Vermögen des Schuldners erfasst, sondern nur ein bestimmter Betrag oder ein einzelner Vermögensgegenstand, kann aufgrund dieser beschränkten Beschlagswirkung die Zulässigkeit eines (weiteren) Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ohne weiteres verneint werden.401
493
Fraglich ist, ob auch bei Einstellung des Verfahrens mangels Masse die Durchführung einer Nachtragsverteilung möglich ist, also auch in dem Fall, dass die Masse nicht einmal die Verfahrenskosten deckt, § 207 InsO (zur Unterscheidung vgl. Rz. 464 ff.). Das LG Marburg hat dies verneint.402 Es kann sich auf eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung stützen. Nach § 211 Abs. 3 InsO beschränkt sich die Möglichkeit einer Nachtragsverteilung ausdrücklich auf die Fälle der Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Dies verbietet eine entsprechende Anwendung der §§ 203 Abs. 3, 204, 205
395 396 397 398 399 400 401 402
BGH v. 6.12.2007 – IX ZB 229/06, MDR 2008, 340 = ZIP 2008, 322. BGH v. 20.6.2013 – IX ZB 10/13, ZInsO 2013, 1409. BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, MDR 2006, 894 = ZInsO 2006, 33 = ZIP 2006, 143. Zur Anordnung des Nachtragsverfahrens im Gesamtvollstreckungsverfahren, vgl. BGH v. 17.2.2011 – IX ZB 268/08, MDR 2011, 569 = ZIP 2011, 625. BGH v. 26.1.2012 – IX ZB 111/10, MDR 2012, 371 = ZIP 2012, 437; Zipperer, EWiR 2012, 183. BGH v. 16.1.2014 – IX ZB 122/12, ZIP 2014, 437. BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 151/09, MDR 2011, 261 = ZIP 2011, 134; zustimmend Gundlach/Müller, EWiR 2011, 121. LG Marburg v. 27.11.2002 -3 T 214/02, NZI 2003, 101; Dinstühler, ZIP 1998, 1697; a.A. Kübler in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 595 f., Rz. 53.
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VI. Beratung nach Beendigung des Verfahrens | Rz. 499 § 9
InsO auf das mangels Masse eingestellte Verfahren. Die Gegenansicht argumentiert mit einem „Erstrecht-Schluss“.403 Gerade dann, wenn die Masse noch nicht einmal ausreicht, die Kosten des Verfahrens zu decken, muss die Möglichkeit eingeräumt werden, den Ausfall der Insolvenzgläubiger zu verringern. Die Alternative liegt in der aus Kostengründen wirtschaftlich wenig sinnvollen Möglichkeit, ein erneutes Insolvenzverfahren zu eröffnen. Diese Ansicht muss sich dennoch die bewusste gesetzgeberische Entscheidung entgegenhalten lassen. Dies verkennt meines Erachtens der BGH in seiner Entscheidung vom 10.10.2013.404 (2) Praktische Bedeutung In der Praxis haben Nachtragsverteilungen vor allem Bedeutung, wenn noch ein Steuerguthaben entsteht. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn aufgrund von Quotenzahlungen die ursprünglich vorgenommene Vorsteuerberichtigung „rückkorrigiert“ werden muss (§ 17 UStG):
494
Mit der Insolvenzeröffnung steht für das Finanzamt zunächst fest, dass ein mehrwertsteuerpflichtiger Schuldner, für den die Sollversteuerung galt, die Vorsteuer zu Unrecht in Anspruch genommen hat. Das Finanzamt wird eine entsprechende Forderung zur Tabelle anmelden, die zunächst einmal berechtigt ist und deshalb vom Verwalter auch anzuerkennen ist. Kommt es dann – spätestens mit einer Schlussverteilung – zu Zahlungen an Gläubiger, die dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung Rechnungen mit Mehrwertsteuer erteilt hatten, wird damit nachträglich die Inanspruchnahme der Vorsteuer in Höhe der Quote berechtigt. Das Finanzamt hat deshalb auf die zur Tabelle anerkannte Forderung zu viel erhalten. Es ist ungerechtfertigt bereichert und muss einen Teil der Ausschüttung zurückerstatten. Dieser Betrag steht dann für eine Nachtragsverteilung zur Verfügung.
495
(3) Bekanntmachung und Rechtsmittel Der Beschluss, mit dem die Nachtragsverteilung angeordnet wird, ist öffentlich bekannt zu machen. Außerdem ist dieser Beschluss dem Insolvenzverwalter, dem Schuldner und – wenn ein Gläubiger die Verteilung beantragte – diesem Gläubiger zuzustellen, § 204 Abs. 2 Satz 1 InsO.
496
Der Schuldner kann gegen den Anordnungsbeschluss sofortige Beschwerde einlegen, § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO. Wird die Nachtragsverteilung abgelehnt, kann hiergegen der Antragsteller Beschwerde einlegen (§ 204 Abs. 1 Satz 1 InsO).
497
Nach der Anordnung der Nachtragsverteilung hat der Insolvenzverwalter den zur Verfügung stehenden Betrag aufgrund des Schlussverzeichnisses zu verteilen. Hierüber hat der Insolvenzverwalter Rechnung zu legen, und zwar nicht gegenüber einer Gläubigerversammlung, sondern nur gegenüber dem Insolvenzgericht.
498
b) Nach Bestätigung eines Insolvenzplans § 257 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht für die Insolvenzgläubiger die Möglichkeit vor, aus dem rechtskräftigen bestätigten Insolvenzplan (zur Planbestätigung durch das Insolvenzgericht vgl. § 3 Rz. 365 ff.) in Verbindung mit der Eintragung in die Tabelle zu vollstrecken. Die Klausel ist auf dem – ggf. berichtigten (§ 183 Abs. 2) – Tabellenauszug zu erteilen (§ 4 i.V.m. § 724 Abs. 1 ZPO).405
403 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 207 Rz. 39 (1. Lfg. 8/98); Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 207 Rz. 39. 404 BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 40/13, MDR 2013, 1492 = ZIP 2013, 2320 m. zust. Anm. Zimmer, EWiR 2014, 19. 405 Spliedt in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 257 InsO Rz. 7.
Riewe | 741
499
§ 9 Rz. 500 | Beratung des ungesicherten Gläubigers
c) Nach Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses 500
Nach rechtskräftiger Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses erhält der Schuldner sein Verwaltungsund Verfügungsrecht wieder zurück. Die mit der Eröffnung verbundenen Rechtsfolgen werden durch den Beschluss rückwirkend außer Kraft gesetzt. Dies schränkt allerdings § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO dahin gehend ein, dass Wirkungen von Rechtshandlungen, die der Insolvenzverwalter vorgenommen hat oder die ihm gegenüber vorgenommen worden sind, durch die Aufhebung nicht berührt werden. Der Rechtsverkehr soll auf Erklärungen eines ordnungsgemäß im Amt gewesenen Insolvenzverwalters vertrauen können. Deshalb muss der Schuldner vom Verwalter begründete Verbindlichkeiten aus dem Vermögen erfüllen, das zeitweilig mit Insolvenzbeschlag belegt war.
501
Im Übrigen treffen den Insolvenzverwalter – auch wenn sein Amt mit der Aufhebung beendet ist – noch verschiedene Abwicklungspflichten. Er hat insbesondere Gegenstände, die er zur Insolvenzmasse gezogen hat, an den Schuldner herauszugeben. Außerdem ist der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber zur Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet. Die Angaben könnten durchaus Bedeutung für Gläubiger haben; sie könnten vor allem durch die Rechnungslegung Hinweise auf Vermögenswerte bekommen. Hat der Gläubiger einen Vollstreckungstitel, besteht für ihn auch die Möglichkeit, den Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zu pfänden.
502
Im Übrigen können Gläubiger nach der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses wieder auf herkömmlichem Wege gegen den Schuldner vorgehen, das heißt Klage erheben und aus einem Titel die Zwangsvollstreckung betreiben.
d) Nach Einstellung mangels Masse, § 207 InsO 503
Mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens erhält der Schuldner das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen, § 215 Abs. 2 Satz 1 InsO. Dementsprechend muss auch der Verwalter die noch vorhandenen Massegegenstände dem Schuldner zurückgeben. Die Insolvenzgläubiger können nach der Einstellung des Verfahrens ihre Forderungen gegen den Schuldner wieder unbeschränkt geltend machen, unter Umständen aufgrund des Tabelleneintrages auch vollstrecken.
504
Streitig ist, ob im Anschluss an eine Einstellung des Verfahrens nach § 207 InsO auch eine Nachtragsverteilung möglich ist. Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber – anders als im Fall des § 211 InsO – in Kauf nimmt, dass der Schuldner Teile der Insolvenzmasse unverwertet zurückerhält.
505
Hinweis: Den ungesicherten Gläubigern ist deshalb dringend zu raten, auch noch nach Einstellung des Verfahrens Recherchen hinsichtlich der Vermögenswerte des Schuldners anzustellen.
e) Bei Aufhebung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO 506
Die Situation ist in diesem Fall derjenigen ähnlich, die nach Durchführung der Schlussverteilung besteht. Zwischen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und dem Einstellungsbeschluss ist nämlich von dem Verwalter auch die gesamte Restabwicklung vorgenommen worden. In dieser sog. Zwischenphase kann der Gläubiger natürlich noch nicht vollstrecken; diese Möglichkeit besteht vielmehr erst nach Erlass des Einstellungsbeschlusses. Die Verfügungsbefugnis erhält der Schuldner auch erst mit dem Einstellungsbeschluss zurück.
507
Werden nach der Einstellung des Verfahrens Gegenstände der Insolvenzmasse ermittelt, so ordnet das Gericht auf Antrag des Verwalters oder eines Massegläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an, § 211 Abs. 3 Satz 1 InsO. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur Einstellung nach § 207 InsO: Besteht nur Masseunzulänglichkeit außerhalb der Verfahrenskosten, so soll die gesamte Insolvenzmasse vollständig versilbert werden, erforderlichenfalls auch im Wege einer Nachtragsvertei-
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VII. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung | Rz. 513 § 9
lung. Dementsprechend gelten alle oben unter Rz. 492 ff. erwähnten Bestimmungen über Rechtsmittel und den Vollzug der Nachtragsverteilung. Ist ein Verfahren nach Schlussverteilung aufgehoben worden, kann die Durchsetzung der restlichen Gläubigerforderung an einer bewilligten Restschuldbefreiung scheitern (vgl. im Einzelnen § 18 Rz. 526 ff.). Erstaunlicherweise ist dies auch möglich, wenn das Verfahren nach § 211 InsO eingestellt wird. In diesem Fall kann jedoch Restschuldbefreiung nur erteilt werden, wenn nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse nach § 209 InsO verteilt worden ist, § 289 InsO.
508
Im Übrigen besteht bei einer angekündigten Restschuldbefreiung, die gleichzeitig mit einer Verfahrenseinstellung nach § 211 InsO erfolgt, die Besonderheit, dass der Treuhänder während der Laufzeit der Abtretungserklärung von den eingehenden Beträgen zunächst einmal die Massegläubiger vollständig befriedigen muss. Erst anschließend kommen während der Wohlverhaltensperiode die normalen Insolvenzgläubiger zum Zuge. Es ist also möglich, dass ein Verfahren mangels Masse eingestellt wird, dem Schuldner Restschuldbefreiung angekündigt wird und dennoch sogar Insolvenzgläubiger noch Geld erhalten.
509
Der Treuhänder muss die Verteilungen nach dem Schlussverzeichnis vornehmen. Deshalb muss der Verwalter ein entsprechendes Verzeichnis anfertigen, obwohl dies sonst bei einer Einstellung mangels Masse entbehrlich erscheint.
510
f) Nach Einstellung aus anderen Gründen Auch bei einer Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus anderen Gründen erhält der Schuldner mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen, § 215 Abs. 2 Satz 1 InsO. In Satz 2 der genannten Bestimmung verweist der Gesetzgeber ausdrücklich auf die §§ 201, 202 InsO. Dem entsprechend können also die Insolvenzgläubiger nach Einstellung des Verfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen, d.h. auch vollstrecken. Dies zeigt, dass – wie bereits oben ausgeführt (Rz. 481) – die Gläubiger ihre Forderung nicht etwa deshalb verlieren, weil sie sich mit der Einstellung des Verfahrens nach § 213 InsO einverstanden erklärt haben.
511
VII. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung Sucht ein ungesicherter Gläubiger anwaltlichen Rat, nachdem er erfahren hat, dass die Insolvenzeröffnung über das Vermögen seines Schuldners abgelehnt worden ist, so ergeben sich folgende Beratungsthemen:
512
– Macht es wirtschaftlich Sinn, gegen den Schuldner weiter vorzugehen? – Welche Maßnahmen sind nunmehr zweckmäßig?
1. Juristische Personen Ein rechtskräftiger Abweisungsbeschluss gem. § 26 InsO führt zur Auflösung einer
513
– Aktiengesellschaft, § 262 AktG; – Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 278 Abs. 3 i.V.m. § 262 AktG; – GmbH, § 60 GmbH-Gesetz; – OHG oder KG, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter wenigstens mittelbar eine natürliche Person ist, §§ 131 Abs. 2 Ziff. 1, 161 Abs. 2 HGB. Riewe | 743
§ 9 Rz. 513 | Beratung des ungesicherten Gläubigers In all diesen Fällen ist damit zu rechnen, dass in Kürze auch eine entsprechende Löschung im Handelsregister erfolgt. 514
Der Abweisungsbeschluss hindert jedoch nicht einen neuen Insolvenzeröffnungsantrag, wenn glaubhaft gemacht wird, dass entgegen der ursprünglichen Annahme doch ausreichende Vermögenswerte vorhanden sind, also die Massekosten gedeckt sind.406 Selbst eine schon im Handelsregister gelöschte Gesellschaft, die damit ihre Rechtsfähigkeit verloren hat, kann Gegenstand eines neuen Verfahrens werden.407
515
Praktische Schwierigkeiten ergeben sich jedoch dadurch, dass ein derartiger Schuldner nach seiner Löschung im Register keinen Geschäftsführer oder Liquidator mehr hat. Auf Antrag müsste deshalb das Registergericht zunächst einen Nachtragsliquidator bestellen. Es dürfte schwierig werden, eine Person zu finden, die dieses Amt übernimmt. Der bisherige Geschäftsführer oder ein Gesellschafter ist hierzu keineswegs verpflichtet. In Frage kommen deshalb vor allem außenstehende Personen, die jedoch davor zurückscheuen werden, in amtlichen Bekanntmachungen namentlich in Erscheinung zu treten.
516
Hinweis: Sinnvoll sind Bemühungen in diese Richtung nur dann, wenn tatsächlich Anhaltspunkte für Vermögenswerte vorhanden sind. Aufschluss bringt häufig das Gutachten, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige erstellt hat.
517
Häufig finden sich in den Sachverständigengutachten Hinweise auf nicht ordnungsgemäß eingezahltes Stammkapital, allerdings verbunden mit dem Hinweis, dass die Realisierungsaussichten bei bestimmten Gesellschaftern, vor allem wenn sie noch zusätzlich von dritter Seite als Geschäftsführer in Anspruch genommen werden, unsicher sind. In diesem Zusammenhang sollte mit dem Mandanten erörtert werden, ob er unter Umständen zu den Vermögensverhältnissen bessere Erkenntnisse als der Sachverständige hat.
518
Unabhängig von einem neuen Insolvenzverfahren kann der Gläubiger auch versuchen, den Anspruch auf Einlageleistung zu pfänden. Dies könnte aber schwierig werden, wenn auf Schuldnerseite niemand mehr vorhanden ist, dem ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch mit dem Mandanten zu überlegen, ob jetzt nicht bei Vermögensverschiebungen Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes zum Tragen kommen.
2. Natürliche Person 519
Ist der Schuldner eine natürliche Person, so wird die anwaltliche Beratung sich mit reinen Fragen – des Vollstreckungsrechtes und – der Ermittlung von Vermögenswerten und ähnlichem zu befassen haben.
406 LG Hagen v. 20.7.1988 -13 T 432/88, KTS 1988, 805, 806; Vallender, InVo 1997, 4, 7. 407 Hirte in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 46.
744 | Riewe
§ 10 Beratung des gesicherten Gläubigers I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwertungsverfahren . . . . . . . . . . . b) Lastenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . II. Aussonderungsfragen . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) . . . . . a) Aussonderungsfähige Objekte . . . . . b) Dingliche Aussonderungsrechte . . . . aa) Alleineigentum . . . . . . . . . . . . . bb) Miteigentum . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . (1) Einfacher Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . (2) Erweiterter und verlängerter Eigentumsvorbehalt . . . . . . (3) Weitergeleiteter und nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstige dingliche Rechte . . . . . ee) Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Immaterialgüterrechte . . . . . . . . gg) Aussonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte an Leistungen aus Lebensversicherungen . . . . . hh) Treuhandverhältnisse . . . . . . . . ii) Leasing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Leasing von Mobilien . . . . . (2) Leasing von Immobilien . . . jj) Inhaberschaft von Forderungen kk) Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Persönliche Aussonderungsrechte . . 3. Realisierung der Aussonderungsrechte . a) Vor und während der Krise . . . . . . . b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren . . c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . . aa) Stellung des Aussonderungsberechtigten (§ 47 InsO) . . . . . . bb) Durchsetzung von Aussonderungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . (1) Prüfungspflicht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . (2) Aussonderung von Mobilien
1 1 8 11 11 12
4. III. 1. 2.
15 16 17 17 21 21 22 23 27 29 29 32 33 38 43 44 45 46 50 51 60 63 64 81 89 90 95 103 103 106 107 112
3.
(3) Aussonderung von Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Gerichtliche Durchsetzung . cc) Kosten der Aussonderung . . . . . Die Ersatzaussonderung . . . . . . . . . . . . . Absonderungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . Die Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) . . . a) Absonderungsfähige Objekte . . . . . . b) Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . aa) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte . . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang der Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mobiliarpfandrechte . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsgeschäftliche Pfandrechte . (1) Pfandrechte an Sachen . . . . (2) Pfandrechte an Rechten und Forderungen . . . . . . . . . . . . (3) Pfandrecht an Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche Pfandrechte . . . . . . . d) Besitzlose Mobiliarsicherheiten . . . . . aa) Sicherungsübereignung . . . . . . . bb) Sicherungszession . . . . . . . . . . . (1) Globalzession . . . . . . . . . . . (2) Sicherungsabtretung im Rahmen von Kautionsversicherungsverträgen . . . . . . (3) Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . e) Widerrufliches Bezugsrecht an Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Pfändungspfandrechte, Zwangssicherungshypotheken und Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse . . . . . . g) Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . . aa) Zurückbehaltungsrechte wegen nützlicher Verwendungen . . . . . bb) Kaufmännische Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Gemeinschaftsforderungen . . . . . . . . i) Zölle und Steuern . . . . . . . . . . . . . . . Realisierung der Absonderungsrechte . . a) Vor und während der Krise . . . . . . . .
115 116 123 125 135 135 138 138 141 144 145 150 151 153 155 159 160 168 169 175 176 177 178 179
180 183 190 190 196 199 200 203 203
Drees/Schmidt/Hoffmann | 745
§ 10 | Beratung des gesicherten Gläubigers aa) Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reaktionsmöglichkeiten . . . . . . . b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren . . aa) Vorläufige Verwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Immobiliarsicherheiten . . . . (2) Mobiliarsicherheiten . . . . . . bb) Vorläufige Verwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . . . aa) Verwertung der Absonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verwertung von Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . (a) Zwangsversteigerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Vorläufige Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . (bb) Zinszahlungspflicht (§ 30e Abs. 1 ZVG) . . . . . . . . . . . . . (cc) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 30e Abs. 2 ZVG) . . . . . . . (b) Zwangsverwaltungsverfahren (c) Gerichtliche Durchsetzung . (2) Verwertung von Mobiliarpfandrechten . . . . . . . . . . . . (a) Mobiliarpfandrechte an Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mobiliarpfandrechte an Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten . . . . . . (a) Verwertung von Sachen . . . . (b) Verwertung von Forderungen (c) Verwertung von Rechten und sonstigen Vermögenswerten . (d) Verwertungsverfahren . . . . . (aa) Auskunftsanspruch (§ 167 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Mitteilungspflicht und Hinweisrecht (§ 168 InsO) . . . . . (cc) Schutz vor Verwertungsverzögerungen (§ 169 InsO) . . . (dd) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 172 InsO) . . . . . . . . . . . . . (e) Verwertung durch den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kosten der Absonderung und Erlösverteilung . . . . . . . . . . . . . . (1) Immobiliarsicherheiten . . . . (a) Feststellungs- und Verwertungskosten . . . . . . . . . . . . . (b) Umsatzsteuer und Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . .
746 | Drees/Schmidt/Hoffmann
203 208 216 217 220 223 230 231 239 244 250 250 253 256 258 262 263 263 266 270 272 278 279 281 282 289 301 309 313 317 325 325 331
IV. V. 1. 2.
(c) Sicherungsübereignung der Zubehörsgegenstände . . . . . (d) Freihändige Grundstücksveräußerung . . . . . . . . . . . . (2) Mobiliarpfandrechte . . . . . . (3) Besitzlose Mobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) An Sachen . . . . . . . . . . . . . . (aa) Feststellungskosten . . . . . . . (bb) Verwertungskosten . . . . . . . (cc) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . (dd) Erhaltungs- und Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) An Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . . . . . . . (aa) Verwertungs- und Feststellungskosten . . . . . . . . . . . . . (bb) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . cc) Die Ersatzabsonderung . . . . . . . dd) Die Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . (1) Verhältnis persönlicher zu dinglicher Haftung . . . . . . . (2) Ausfallhaftung . . . . . . . . . . (3) Verzicht und Verwirkung . . (a) Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verwirkung . . . . . . . . . . . . . (4) Nachweis des Ausfalls . . . . . d) Nach Aufhebung des Verfahrens (§§ 200, 201 InsO) . . . . . . . . . . . . . . e) Bei Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Bei Anzeige von Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherheitenpool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realisierung der Personalsicherheiten . a) Vor und während der Krise . . . . . . . b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren . . c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . . . aa) Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Insolvenz des Hauptschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Haftung des Bürgen . . . . . . (b) Zahlungen des Bürgen . . . . (c) Rückgriffsansprüche des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Absonderungsrechte des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Insolvenz des Bürgen . . . . . (a) Alleinige Insolvenz des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Insolvenz des Bürgen und des Hauptschuldners . . . . . (3) Insolvenz des Gläubigers . . bb) Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . .
334 338 339 341 342 343 345 350 365 368 368 370 371 376 376 385 392 392 394 395 401 408 410 414 419 419 420 420 423 426 428 428 428 440 455 456 457 458 463 465 466
I. Allgemeines | Rz. 4 § 10
VI. VII. 1. 2.
(1) Haftung des Beitretenden . . (2) Rückgriffsansprüche des Beitretenden . . . . . . . . . . . . cc) Garantien . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Patronatserklärung . . . . . . . . . . d) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittsachsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . Aufrechnungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenseitigkeitsverhältnis . . . . . . . . b) Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
466 472 478 484
3.
487 488 496 497 507 509 513 515
4. 5. 6.
d) Eintritt der Aufrechnungslage im Insolvenzverfahren, § 95 InsO . . . . . . Aufrechnungsverbote nach § 96 InsO . . a) Gegenseitigkeit nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erwerb der Gegenforderung nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . c) Forderungserwerb durch anfechtbare Rechtshandlung, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vermögenstrennung, § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausnahme nach § 96 Abs. 2 InsO . . . Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . Wirkungen der Aufrechnung . . . . . . . . . Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz
516 519 521 524
526 528 529 530 531 534
I. Allgemeines 1. Beratungsansatz Die anwaltliche Beratung von Gläubigern in Insolvenzsachverhalten ist ein zweischneidiges Schwert: Der Sorge, „schlechtem Geld gutes hinterherzuwerfen“, steht die mitunter nur vage Chance gegenüber, mit anwaltlicher Unterstützung eine bessere Befriedigung zu erlangen. Während sich bei ungesicherten Gläubigern verbesserte Befriedigungsaussichten nur in einer höheren – in der Regel aber immer noch sehr geringen – Quote widerspiegeln, haben gesicherte Gläubiger durch die Zugriffsmöglichkeit auf einen allein ihrer Befriedigung dienenden Sicherungsgegenstand die begründete Aussicht, den insolvenzbedingten Ausfall so gering wie möglich zu halten. Der Insolvenzfall ist insofern die Bewährungsprobe einer jeden Kreditsicherheit.
1
Diesem Interesse eines jeden Sicherungsgläubigers, aus der ihm überlassenen Sicherheit die bestmögliche Befriedigung zu erlangen, steht der gesetzliche Auftrag des Insolvenzverwalters aus § 1 Abs. 1 InsO gegenüber, „die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt […] wird.“ Es gilt damit der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger („par conditio creditorum“). In Erfüllung dieses Auftrags werden Insolvenzverwalter bei fehlenden Anhaltspunkten für Sicherheitenrechte von einer ungesicherten Insolvenzforderung ausgehen und diese bei Verfahrensbeendigung als bloße Insolvenzforderung quotal befriedigen.
2
Die Inbesitznahme (§ 148 InsO) umfasst daher zunächst auch solche Gegenstände, die mit Sicherungsrechten Dritter belastetet sind. Es gelten insoweit auch für den Insolvenzverwalter die Regelungen des § 1006 Abs. 1 und 2 BGB, wonach vermutet wird, dass der Besitzer einer Sache auch deren Eigentümer ist. Der Insolvenzverwalter kann also davon ausgehen, dass der besitzende Insolvenzschuldner auch Eigentümer ist. Dementsprechend ist es Sache des Sicherungsgläubigers, sein Recht binnen einer angemessenen Frist zu reklamieren und substantiiert darzulegen.
3
Im wohlverstandenen Interesse der Gesamtgläubigerschaft sind Sicherungsrechte, namentlich die Ausund Absonderungsrechte, vom Verwalter erst dann zu beachten, wenn sie durch Glaubhaftmachung durch den Sicherungsgläubiger oder auf andere Weise im Rahmen der Verwaltertätigkeit bekannt geworden sind. Ergeben sich entsprechende Anhaltspunkte für Sicherungsrechte, besteht die Pflicht des Verwalters, den Sachverhalt hinsichtlich solcher Rechte aufzuklären. Wann sich etwaige Hinweise auf
4
Drees/Schmidt | 747
§ 10 Rz. 4 | Beratung des gesicherten Gläubigers Drittrechte zu Nachforschungspflichten verdichten, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls, zumal es gerade nicht zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters gehört, einzelnen Gläubigern zur Durchsetzung ihrer Rechte zu verhelfen. Die Beweislast für solche Anhaltspunkte trägt jedenfalls der (vermeintliche) Sicherungsgläubiger, nicht zuletzt weil die Geltendmachung der Sicherungsrechte in seinen Verantwortungsbereich fällt.1 5
Um Gläubigern entsprechenden Vortrag zu ermöglichen, sind diese gem. § 28 Abs. 2 InsO mit dem Eröffnungsbeschluss aufzufordern, dem Verwalter unverzüglich mitzuteilen, – welche Sicherungsrechte sie an beweglichen Sachen oder an Rechten des Schuldners in Anspruch nehmen und – den Gegenstand, an dem das Sicherungsrecht beansprucht wird, die Art und den Entstehungsgrund des Sicherungsrechts sowie die gesicherte Forderung zu bezeichnen.
5a
M 6 Musterschreiben – Anmeldung einer gesicherten Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle Sehr geehrter Herr Kollege, wir dürfen Ihnen mitteilen, dass wir die rechtlichen Interessen der Fa. … in vorbenanntem Insolvenzverfahren vertreten. Uns liegt Ihr Schreiben vom … vor, in dem Sie uns zur Anmeldung der Forderungen unserer Mandantin zur Insolvenztabelle auffordern. Bezugnehmend hierauf melden wir die nachfolgend näher bezeichnete Forderung für den Ausfall zur Insolvenztabelle an2: 1. Forderung auf Darlehensrückzahlung gemäß Vertrag vom … in Höhe von … 2. Rückständige Zinsverpflichtung seit dem … bis zur Verfahrenseröffnung laut Ziff. … des vorbenannten Vertrages in Höhe von … Den Darlehensvertrag, die den Empfang der Darlehenssumme bestätigende Quittung der Schuldnerin, die Kündigung des Vertrages sowie eine Aufstellung der Zinsen überreichen wir in der Anlage. Zur Sicherung dieser Forderung bestehen zugunsten unserer Mandantin folgende Sicherheiten: 1. Briefhypothek über … nebst … % Zinsen seit dem … gemäß Hypothekenbestellungsurkunde des … vom […] zur Urkunds.-Nr. 2. Sicherungsübereignung des …, amtliches Kennzeichen … 3. Garantieerklärung der … Zum Nachweis dieser Sicherheiten überreichen wir ebenfalls in der Anlage die entsprechenden Urkunden in einfacher Kopie. Hinsichtlich der unter Ziff. 1. und 2. angeführten Sicherheiten begehrt unsere Mandantin abgesonderte Befriedigung. Mit freundlichen Grüßen
6
(Vermeintlich) gesicherte Gläubiger sind daher gut beraten, aktiv zu werden und den Insolvenzverwalter mit dem Wissen um bestehende Sicherungsrechte zu belasten. Nur auf diese Weise kann es gelingen, den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu verlassen und eine über die Insolvenzquote hinausgehende Befriedigung zu erlangen, indem etwa – ein Gegenstand aus der Insolvenzmasse gem. § 47 InsO herausverlangt bzw. ausgesondert wird (vgl. zur Aussonderung unter Rz. 17 ff.); 1 Vgl. hierzu Hahn, ZInsO 2018, 911. 2 Vgl. hierzu sowie zu weiteren Mustern Breuer, Insolvenzrechtshandbuch, S. 244 ff.
748 | Drees/Schmidt
I. Allgemeines | Rz. 9 § 10
– aus der Verwertung eines bestimmten Gegenstandes gem. §§ 49 ff. InsO abgesonderte Befriedigung aus dem hierbei erzielten Erlös beansprucht wird (vgl. zur Absonderung unter Rz. 135 ff.); – persönlich und/oder dinglich mithaftende Dritte in Anspruch genommen werden (vgl. hierzu Rz. 419 ff. und Rz. 488). Grundsätzliche Hinweise: zum anwaltlichen Beratungsansatz bei der Behandlung von Sicherungsrechten in Insolvenzsachverhalten: – Die insolvenzrechtliche Beratung gesicherter Gläubiger setzt gedanklich und auch tatsächlich stets eine zivilrechtliche Beratung voraus. Denn nur zivilrechtlich wirksame Sicherheiten eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 47 f., 49 ff. InsO. – Auch innerhalb der insolvenzrechtlichen Beratung gibt es zwingende gedankliche Vorüberlegungen. Mit der Feststellung der zivilrechtlichen Wirksamkeit ist es nicht getan. Die Geltendmachung von Absonderungsrechten setzt weiter deren Insolvenzfestigkeit voraus.3 Hierfür hat der Berater insbesondere den Einwand der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit gem. §§ 129 ff., 143 Abs. 1 InsO und die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit aus anderen Gründen, z.B. gem. § 88 InsO (§ 9 Rz. 160) zu überprüfen. Indizien für entsprechenden Beratungsbedarf sind die zeitliche Nähe zum Insolvenzantrag und die Vereinbarung nachträglicher Sicherheiten, insbesondere mit Blick auf etwaige Anfechtungsgefahren. Zur Insolvenzanfechtung vgl. § 13 dieses Buches. – Die Erfolgsaussichten der Verfolgung von Absonderungsrechten können nicht ohne sorgfältige Überprüfung der zuvor genannten Vorfragen beurteilt werden. Kommt es zu einer streitigen Auseinandersetzung bei der Durchsetzung, werden Insolvenzverwalter stets bemüht sein, Wirksamkeit und Insolvenzfestigkeit anzugreifen. – Gesicherte Gläubiger sind gut beraten, diese Vorfragen auch dann zu klären, wenn die den Sicherheiten zugrunde liegende Hauptforderung noch vor dem Insolvenzantrag beglichen worden ist. Denn sollte diese Befriedigung erfolgreich angefochten werden, so leben mit der Hauptforderung sowohl akzessorische4 als auch nicht akzessorische5 Sicherheiten wieder auf.6
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2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform Die Beratung gesicherter Gläubiger hat mit Einführung der InsO an Bedeutung gewonnen. Denn neben zahlreichen anderen gesetzgeberischen Anliegen (Maßnahmen zur Beseitigung der Massearmut, Gläubigergleichbehandlung, Sanierungsgedanke, etc.) galt ein Hauptaugenmerk der Reformüberlegungen der privilegierten Rechtsstellung gesicherter Gläubiger. Den Sicherungsrechten wurde in dreifacher Hinsicht eine Ausbeutung der Masse vorgeworfen:
8
– Vorabbefriedigung auf Kosten der Gesamtgläubigerschaft. – Möglichkeit der Eigenverwertung sorgte für unkoordinierten Zugriff und verhinderte sowohl die Sanierung und Fortführung als auch eine mögliche gewinnbringende Gesamtveräußerung des insolventen Unternehmens. – Belastung der Masse mit den durch die Feststellung, Erhaltung und Bearbeitung der Sicherungsrechte entstehenden Kosten („Exklusiv-Konkurs der Privilegierten“). Mit der Grundidee eines neuen Insolvenzrechts – Ablösung des Prioritätsprinzips durch den Grundsatz der gemeinschaftlichen Befriedigung – sollten diese Privilegien stark eingeschränkt werden.
3 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, NZI 2014, 167 = ZIP 2013, 2025. 4 BGH v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, KTS 1974, 96. 5 OLG Frankfurt v. 25.11.2003 – 9 U 127/02, ZIP 2004, 271 m. Anm. Wagemann, EWiR 2004, 563, 564. Zur Vorinstanz vgl. LG Frankfurt v. 15.8.2003 – 17 O 370/02, ZInsO 2003, 907 m. Bspr. von Biehl, ZInsO 2003, 932 ff. 6 Ausführlich hierzu Heidbrink, NZI 2005, 363 m. zahlr. w.N.
Drees/Schmidt | 749
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§ 10 Rz. 10 | Beratung des gesicherten Gläubigers 10
Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Gesetzesreform insbesondere die Behandlung von Sicherungsrechten im Insolvenzfall abweichend von der Konkursordnung gestaltet, um den vorrangigen Reformzielen – Anreicherung der Masse sowie erleichterte Verfahrenseröffnung – möglichst nahe zu kommen.
3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick a) Verwertungsverfahren 11
Die Abwicklung von Konkursverfahren kollidierte häufig mit der selbständig betriebenen Verwertung des Schuldnervermögens durch aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger. Durch den eigenhändigen Zugriff der Gläubiger auf die betriebsgebundenen Vermögensgegenstände wurde das Betriebsvermögen des Gemeinschuldners zerschlagen, die Betriebe dadurch lahm gelegt, ihre Fortführung oder Veräußerung als Betriebseinheit verhindert und damit letztlich der Versuch des Verwalters, das Verfahren einer vorteilhaften Abwicklungsstrategie zuzuführen, häufig vereitelt. Der Gesetzgeber sah es deshalb als notwendig an, die Insolvenzmasse vor der unkontrollierten Zerschlagung durch Einzelzugriffe zu schützen.7 Das Nutzungspotential der schuldnerfremden Sachen sollte zunächst der Masse zur vereinfachten Verwertungskoordinierung vorbehalten bleiben. Die wirtschaftlich sinnvollste und bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens erforderte daher die Einbeziehung der gesicherten Gläubiger in das Gesamtverfahren8 Als Konsequenz wird dem Insolvenzverwalter die Verwertungsbefugnis im Hinblick auf die Absonderungsrechte zugesprochen (vgl. §§ 165 ff. InsO). Er soll darüber bestimmen, wann und auf welche Art und Weise die belasteten schuldnerischen Vermögensgegenstände verwertet werden. Dadurch tritt eine Verfahrensvereinheitlichung und -konzentration in der Hand des Insolvenzverwalters ein.
b) Lastenverteilung 12
Des Weiteren wurde die Lastenverteilung hinsichtlich der im Verwertungsvorgang von Mobiliarsicherheiten entstehenden Kosten beklagt, da diese allein den gesicherten Gläubigern zugutekamen, hingegen finanziell der Insolvenzmasse zur Last fielen und damit allein von den ungesicherten Gläubigern zu tragen waren.9 Die vielfältigen Formen von Mobiliarsicherheiten, ihre fehlende Erkennbarkeit und die häufig auftretenden Kollisionsfälle verursachen bei der Abwicklung von Insolvenzfällen regelmäßig erhebliche Kosten. Namentlich die rechtliche Feststellung sowie die tatsächliche Trennung der Sicherheiten, die Erhaltung des Sicherungsguts während des Verfahrens und seine Verwertung führen zu einer finanziellen Belastung der Insolvenzmasse und letztlich zu einer Senkung der Befriedigungsquoten ungesicherter Gläubiger. Konzeptionell sollen diese Lasten aber von demjenigen getragen werden, dem sie zugutekommen.
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Der Gesetzgeber verpflichtete daher die Absonderungsberechtigten zu obligaten Kostenbeiträgen, die dem Verwertungserlös bereits vorab zugunsten der Insolvenzmasse entnommen werden. Für die Höhe der einzubehaltenden Kostenbeiträge sieht § 171 InsO aus Gründen der Praktikabilität Pauschalsätze vor. Soweit die Verwertung zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer führt, ist auch der Umsatzsteuerbetrag zusätzlich zu den Kostenbeiträgen von dem Sicherungsnehmer zu tragen (§ 171 Abs. 2 Satz 3 InsO).
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Überblick – Wesentliche Änderungen bei Absonderungsrechten – Ausnahmsloser Einbezug der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren (§ 52 InsO)
7 BT-Drucks. 12/2443, 2. 8 BT-Drucks. 12/2443, 77, 79; Referentenentwurf, 2. Teil, S. 16. 9 BT-Drucks. 12/2443, 87.
750 | Drees/Schmidt
I. Allgemeines | Rz. 15c § 10
– Regelverwertungsrecht liegt bei Verwalter – Obligatorische Kostenbeiträge
4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO Auch nach Inkrafttreten der InsO hat es zahlreiche gesetzliche Neuerungen und Änderungen gegeben:
15
– Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (InsOÄndG 2001),10 – Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 (vgl. Rz. 15a),11 – Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung vom 26.3.2007,12 – Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008,13 – Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7.12.2011,14 – Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.3.2017,15 – Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) vom 22.12.2020.16 Für die Beratung des gesicherten Gläubigers ist in erster Linie das mit dem 1.7.2007 in Kraft getretene Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens von Bedeutung. Neben Neuregelungen in den Bereichen der Auswahl des Insolvenzverwalters (§ 22 Rz. 95 ff.) und der Freigabe der Arbeitskraft des selbständigen Schuldners (§ 19 Rz. 87) liegt ein Schwerpunkt dieses Gesetzes in der Stärkung der Sanierungs- und Ordnungsfunktion des Eröffnungsverfahrens durch Einbeziehung aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger.17
15a
Aufgegangen ist diese Neuregelung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO. Hiernach kann das Insolvenzgericht für aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger beweglicher Sachen und Forderungen eine Verwertungssperre anordnen. Entsprechend gesicherte Gläubiger können bei einer solchen Anordnung weder Herausgabe verlangen, noch eine sicherungszedierte Forderung einziehen.18 Das Schrifttum kritisiert die fehlende Unterscheidung zwischen Aus- und Absonderungsrechten.19 Nach richtigem Verständnis sind auch Aussonderungsgläubiger erfasst.20 Für den gesicherten Gläubiger stellt die Neuregelung zweifelsohne eine Belastung dar. Wegen der Einzelheiten wird für Aussonderungsberechtigte auf Rz. 95 ff. und für Absonderungsberechtigte auf Rz. 216 ff. verwiesen.
15b
Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) und das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) haben fundamentale Auswirkungen auf die Insolvenzordnung genommen, nicht jedoch auf die Rechtsstellung gesicherter Gläubiger.
15c
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
BGBl. I 2710. BGBl. I, 509. BGBl. I, 368. BGBl. 2008, Teil I Nr. 48, S. 2026. BGBl. I 2582. BGBl. I, 654. BGBl. I 3256. OLG Oldenburg v. 9.4.2013 – 1 W 13/13, ZInsO 2014, 301. Ausführlich hierzu Kuder, ZIP 2007, 1690 ff. Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 228 ff. Kritisch zur Einbeziehung von Aussonderungsberechtigten Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 228 ff.
Drees/Schmidt | 751
§ 10 Rz. 15d | Beratung des gesicherten Gläubigers 15d
Das MoMiG zielt über die erleichterte Gründung einer Kapitalgesellschaft, die allgemeine Attraktivitätssteigerung der GmbH, die Bekämpfung von Missbräuchen (Firmenbestattung, etc.) insbesondere auf die Deregulierung des Eigenkapitalersatzrechts und Integration der §§ 32a f. GmbHG a.F. in das Recht der Insolvenzanfechtung. Die zuletzt genannte Stoßrichtung des am 1.11.2008 in Kraft getretenen Gesetzes findet in § 135 InsO ihren Niederschlag. So erklärt § 135 InsO sämtliche Rechtshandlungen, die eine Befriedigung oder Sicherung von Gesellschafterdarlehen bewirken, für anfechtbar und erschwert damit entscheidend die Sicherheitenbestellung im Kontext der Gesellschafterfinanzierung.
15e
Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (ESUG) beinhaltet weitreichende Änderungen der Insolvenzordnung, um die Sanierung von Unternehmen zu erleichtern. Zu diesem Zweck ist mit dem sog. Schutzschirmverfahren ein gänzlich neues Sanierungsinstrument (§ 270d InsO) eingeführt worden, wenngleich nur als Spielart des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Die Instrumentarien der Eigenverwaltung und Plansanierung erfahren hiermit eine deutliche Aufwertung (zu den Einzelheiten vgl. § 3). Die zahlreichen Änderungen werden durch Regelungen zur Stärkung der Gläubigerrechte flankiert, etwa durch die Installation eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a InsO), der auch eine gestärkte Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung nach sich zieht (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 56a InsO). So darf das Gericht von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Verwalters nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 56a Abs. 2 InsO).
15f
Unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung von Aus- und Absonderungsberechtigten sieht das ESUG nicht vor. Anders als für die Anteilsinhaber (§§ 225a ff. InsO) werden keine weitergehenden Eingriffsmöglichkeiten in die Rechtsstellung gesicherter Gläubiger geschaffen. Auch sonstige – unmittelbar für Aus- und Absonderungsrechte geltende Regelungen – enthält das ESUG nicht, mit Ausnahme der Repräsentanz absonderungsberechtigter Gläubiger im vorläufigen Gläubigerausschuss. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass bei verstärktem Auftreten von Plansanierungen (in Eigenverwaltung) die Verwertungsrechte des Insolvenzverwalters gemäß der §§ 166 ff. InsO an Bedeutung verlieren. Denn im (klassischen) Fall der Plansanierung kommt es jedenfalls dann nicht zu Verwertungsmaßnahmen, wenn die wirtschaftliche Einheit und deren Fortbestand Gegenstand der Plansanierung ist.
15g
Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.3.2017 brachte vor allem Neuerungen im Regelungskomplex der Insolvenzanfechtung mit sich. Um übermäßige Belastungen des Geschäftsverkehrs zu vermeiden, wurden die aus gesetzgeberischer Sicht „schneidigen Wirkungen“ der Insolvenzanfechtung teilweise einer Neuregelung unterworfen. Die Reformbemühungen haben vor allem zu Änderungen im Bereich der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) und beim Ausnahmetatbestand des Bargeschäfts (§ 142 InsO) geführt. Angesichts der stetigen Ausweitung der Insolvenzanfechtung, insbesondere durch deren Handhabung durch Insolvenzverwalter und Gerichte, soll eine entsprechende Erweiterung der Bargeschäftsausnahme diese Entwicklung wieder zurückdrängen und den Rechtsverkehr vor Unsicherheiten entlasten.21 Wenn die Sicherheitenbestellung unter das Privileg des Bargeschäfts fällt, Leistung und Gegenleistung also vereinbarungsgemäß unmittelbar ausgetauscht werden, ist sie damit weitestgehend anfechtungsfest. Dies gilt nunmehr selbst für den Fall, dass die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung vorliegen. Regelungstechnisch installiert § 142 Abs. 1 InsO ein zusätzliches Unlauterkeitskriterium, das in der Gerichtspraxis noch näher zu konkretisieren sein wird. Ausgeschlossen ist das erkennbar unlautere Schuldnerhandeln, also eine bezweckte Nachteiligkeit des Geschäfts, die über den „einfachen“ Gläubigerbenachteiligungsvorsatz hinausgeht.
15h
Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) vom 22.12.2020 gewährt Unternehmen Zugang zum Restrukturierungsrahmen und den Verfahrenshilfen bei lediglich drohen-
21 BT-Drucks. 18/7054, 2.
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I. Allgemeines | Rz. 15i § 10
der Zahlungsunfähigkeit außerhalb des regulären Insolvenzverfahrens. Kernstück ist das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (StaRUG), vgl. § 2 dieses Buches. Es ermöglicht die gerichtliche und außergerichtliche Gestaltung bestimmter Rechtsverhältnisse und -positionen, insbesondere diejenigen der absonderungsberechtigten Gläubiger. Da es sich um ein vorinsolvenzliches Verfahren handelt, kann die Regelung nur solche Gläubiger erfassen, die im eröffneten Insolvenzverfahren in die Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger fallen würden (Inhaber sog. Absonderungsanwartschaften, § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Zudem sind nach § 2 Abs. 2 StaRUG Absonderungsanwartschaften aus mehrseitigen Rechtsverhältnissen zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern sowie nach § 2 Abs. 4 StaRUG gruppeninterne Drittsicherheiten plangestaltbar. Zu den Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gehört mitunter die gerichtliche Anordnung von Vollstreckungs- und Verwertungssperren für Aus- oder Absonderungsrechte einzelner Gläubiger (sog. Stabilisierungsanordnungen, §§ 49 ff. StaRUG).22 Die Stabilisierungsanordnung folgt auf den Antrag des Schuldners (§ 50 StaRUG), wobei die Anordnungsdauer zunächst auf drei Monate begrenzt ist (§ 53 StaRUG). In ihren Wirkungen entspricht sie der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im vorläufigen Insolvenzverfahren nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 5 InsO. So kann sich die Verwertungssperre auf sämtliche Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens beziehen, die mit Sicherungsrechten belastet sind, etwa Pfandrechten, Sicherungsübereignungen und -zessionen. Die Parallelität zum Insolvenzeröffnungsverfahren offenbart sich exemplarisch in der Entschädigungsregelung des § 54 Abs. 1 StaRUG, wonach der Schuldner verpflichtet ist, dem gesicherten Gläubiger geschuldete Zinsen zu zahlen sowie einen etwaigen Wertverlust auszugleichen. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO kennt insoweit ähnliche Ausgleichansprüche für Eingriffe in Aus- und Absonderungsanwartschaften. Inhaber revolvierender Kreditsicherheiten werden darüber hinaus durch die Separierungsverpflichtung des § 54 Abs. 2 StaRUG geschützt, die im Anschluss an die Getränkemarkt-Entscheidung des BGH23 – ungeachtet ihrer gesetzlichen Anordnung – auch im (vorläufigen) Insolvenzverfahren Geltung beansprucht; dort durch Auslegung der Veräußerungsermächtigung des Sicherungsnehmers.24 Demnach hat der Schuldner die Erlöse aus den Aus- oder Absonderungsrechten – vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen – unterscheidbar zu verwahren oder auszukehren,25 indem er die Entgelte aus der Verwertung auf einem zugunsten des Sicherungsnehmers eingerichteten offenen Treuhandkonto einzieht. Insoweit sei auf die Erläuterungen zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO in Rz. 95 ff., 216 ff. sowie zur Ersatzaussonderung in Rz. 126e verwiesen. Zu den Instrumenten des Restrukturierungsrahmens insgesamt vgl. § 2 Rz. 159. Ferner eröffnet das SanInsFoG auch im Insolvenzplanverfahren tiefgreifende Gestaltungs- und Einwirkungsmöglichkeiten hinsichtlich bestimmter Rechte gesicherter Gläubiger, die diesen aus einer Drittsicherheit zustehen, sofern es sich bei dem Sicherungsgeber um ein verbundenes Unternehmen des Schuldners (§ 15 AktG) handelt (sog. gruppeninterne Drittsicherheiten, vgl. § 217 Abs. 2 InsO). Hierzu gehören Bürgschaften, Mitverpflichtungen oder eine Patronatserklärung des verbundenen Unternehmens sowie Sicherungsrechte an Gegenständen, die im Insolvenzverfahren der Absonderung unterliegen würden. Die Neuregelung betrifft sowohl das Insolvenzplanverfahren (§ 223a InsO) als auch das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren (§ 2 Abs. 4 StaRUG). Jeweils ist der Eingriff in die Drittsicherheit angemessen zu entschädigen (§ 223a Satz 2 InsO, § 2 Abs. 4 Satz 1 2. Hs StaRUG).26 Zu den Einzelheiten vgl. § 4 Rz. 178 ff., 212 ff.
22 Überblick bei Bork, NZI-Beilage 2021, 38; Smid, ZInsO 2021, 198. 23 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17 („Getränkemarkt“), ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, EWiR 2019, 211 (Prütting) = IHR 2019, 210 = ZIP 2019, 472 = NZI 2019, 274 (Ganter). 24 Knauth, NZI 2021, 158, 160; Bork, NZI-Beilage 2021, 38, 39; zur Verwertungsvereinbarung Trowski, NZI 2021, 297. 25 Bork, NZI-Beilage 2021, 38, 39. 26 Zum Ganzen Westphal/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46.
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15i
§ 10 Rz. 16 | Beratung des gesicherten Gläubigers
5. Gang der Darstellung 16
Vor diesem Hintergrund sollen nunmehr die für die Beratung gesicherter Gläubiger relevanten Fragestellungen jeweils isoliert für – Aussonderungsberechtigte (Rz. 17 ff.), – Absonderungsberechtigte (Rz. 135 ff.) sowie – durch Personalsicherheiten abgesicherte Gläubiger (Rz. 419 ff.) behandelt werden.
II. Aussonderungsfragen 1. Die Aussonderung 17
Entsprechend der Einzelzwangsvollstreckung sollen auch von der Gesamtvollstreckung nur die Vermögensgegenstände erfasst werden, die dem schuldnerischen Vermögen zuzuordnen sind. Gemäß § 35 InsO fallen daher nur die Gegenstände in die Insolvenzmasse, die dem Schuldner „gehören“, d.h. wenn diesem an den haftenden Gegenständen ein vorbehaltloses Vollrecht zukommt. Allein maßgeblich ist die haftungsrechtliche Zuordnung des betreffenden Gegenstandes,27 denn nur dieses Kriterium vermag etwa die insolvenzrechtliche Unterscheidung zwischen Vorbehalts- und Sicherungseigentum zu begründen. Vor diesem Hintergrund ist die Aussonderungskraft der jeweiligen Rechtsposition zu beurteilen.
18
Schuldnerfremde Sachen sind mithin aus der Haftungsmasse zu nehmen, insolvenztechnisch sind sie nach § 47 InsO auszusondern. Übernimmt der Verwalter bei der Inbesitznahme des Vermögens nach § 148 Abs. 1 InsO auch die im Vermögen des Insolvenzschuldners vorhandenen Gegenstände und Rechte, die nicht in dessen Eigentum stehen, sondern einem Dritten gehören, kann der Dritte die Inbesitznahme für die Masse dadurch abwenden, dass er die Aussonderung seines Vermögensgegenstandes nach § 47 InsO begehrt. Durch die Aussonderung werden sodann die im Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Verwalter noch im schuldnerischen Vermögen vorhandenen Fremdgegenstände aus der Insolvenzmasse („Ist-Masse“) herausgelöst und diese dadurch zur „Soll-Masse“ bereinigt.28
19
Die Aussonderungsberechtigten sind keine Insolvenzgläubiger. Sie machen lediglich geltend, dass ein bestimmter Gegenstand bzw. ein bestimmtes Recht nicht zur Insolvenzmasse gehört. Dabei können sie ihren Ansprüchen frei von den Zwängen des Insolvenzverfahrens Geltung verschaffen und brauchen sich hierbei keinen insolvenzrechtlich bedingten Einschränkungen zu unterwerfen (vgl. § 47 Satz 2 InsO). Ihnen kommt mithin die stärkste Stellung unter allen Gläubigern zu. Die Aussonderung findet innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung ihre Parallele im Rechtsbehelf der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO.
20
Wer im Einzelnen aussonderungsberechtigt ist, ergibt sich nicht aus den Vorschriften der InsO selbst. Das Gesetz spricht in § 47 Satz 1 InsO nur davon, dass derjenige, der aufgrund eines – dinglichen (Rz. 22 ff.) oder – persönlichen (Rz. 81 ff.) Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, kein Insolvenzgläubiger und damit Aussonderungsberechtigter ist. Der Anspruch auf Aussonderung eines bestimm-
27 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 1 f. 28 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 1.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 22 § 10
ten Gegenstands bestimmt sich nach den allgemeinen Gesetzen außerhalb der InsO.29 Gegenstand eines Aussonderungsanspruchs können – bewegliche und unbewegliche Sachen oder – dingliche und persönliche Rechte sowie Forderungen sein, soweit diese individuell bestimmbar sind. Voraussetzung eines Aussonderungsrechts ist daher, dass dem Berechtigten ein dingliches oder persönliches Recht an dem Aussonderungsobjekt zukommt und dieses massebefangen ist, sprich, sich bei Insolvenzeröffnung im Besitz des Schuldners befand und der Insolvenzverwalter – sei es auch bereits vor der Inbesitznahme – Ansprüche auf diesen Gegenstand erhebt.
2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) a) Aussonderungsfähige Objekte Aussonderungsfähig i.S.v. § 47 InsO sind alle Gegenstände im Rechtssinne, d.h. bewegliche und unbewegliche Sachen, dingliche und persönliche Rechte, Forderungen aller Art sowie der Besitz. Das Aussonderungsobjekt muss individuell bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Handelt es sich um vertretbare oder verbrauchbare Sachen, ist Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit gegeben, wenn sie sich noch unterscheidbar in der Masse befinden. Ist aufgrund vorangegangener Vermischung mit schuldnereigenen Gegenständen gem. § 948 BGB die Unterscheidbarkeit des Aussonderungsobjekts nicht mehr gegeben, so erfolgt die Abwicklung nach § 84 InsO. Für den Fall der unberechtigten Veräußerung von Gegenständen, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Aussonderung unterlegen hätten, gewährt § 48 InsO dem Aussonderungsberechtigten entsprechende Ersatzansprüche (sog. Ersatzaussonderung).
21
Gemessen an diesen Kriterien sind nach Ansicht des OLG Düsseldorf auch persönliche Kundendaten aussonderungsfähig.30 So müssen Daten, die Kunden über die Homepage eines Unternehmens eingegeben haben, um sich für den Bezug eines elektronischen Newsletters an- oder abzumelden31 in der Insolvenz des technischen Dienstleisters, der den Versand des Newsletters abgewickelt hatte, vom Insolvenzverwalter nach Maßgabe des Geschäftsbesorgungsvertrages gem. §§ 668 Alt. 1, 675 BGB i.V.m. § 47 InsO herausgegeben werden.32
21a
b) Dingliche Aussonderungsrechte Während zu den dinglichen Rechten für gewöhnlich all diejenigen Rechte zählen, die dem Rechtsinhaber das Recht zur Herrschaft über eine Sache einräumen, fallen unter die dinglichen Rechte des § 47 InsO all diejenigen, die die Rechtsinhaberschaft an Gegenständen im Sinne der InsO zuweisen.33
29 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 3; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 4 ff. 30 So auch Bultmann, ZInsO 2011, 992, 993 f.; Jülicher, ZIP 2015, 2063. 31 OLG Düsseldorf v. 27.9.2012 – 1-6 U 241/11, ZInsO 2013, 260 ff. m. kritischer Anmerkung Egerlandt, EWiR 2013, S. 53 f. Ausführlich zur Aussonderungsfähigkeit von Daten sowie den denkbaren rechtlichen Grundlagen einer Aussonderung (§ 667, Grundsätze der uneigennützigen Verwaltungstreuhand, § 1004, etc.) Bultmann, ZInsO 2011, 992, 994 ff. 32 OLG Düsseldorf v. 27.9.2012 – 1-6 U 241/11, ZInsO 2013, 260 ff. m. kritischer Anm. Egerlandt, EWiR 2013, S. 53 f. 33 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 8 m.w.N.
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22
§ 10 Rz. 23 | Beratung des gesicherten Gläubigers aa) Alleineigentum 23
Zu den Aussonderungsrechten gehört in erster Linie das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Die Geltendmachung des Eigentums erfolgt grundsätzlich im Wege des Vindikationsanspruchs aus § 985 BGB, und bildet zugleich paradigmatisch den Grundfall der Aussonderung, da Gegenstände, die im Eigentum eines Dritten stehen, haftungsrechtlich nicht zu dem insolvenzbeschlagenen Vermögen des Schuldners und damit nicht zur Insolvenzmasse zählen (§ 35 InsO). Das Eigentum berechtigt den Rechtsinhaber demnach zur Aussonderung einer Sache, wenn ihm zugleich ein Anspruch auf Herausgabe nach § 985 BGB hinsichtlich des auszusondernden Gegenstands zukommt.34 Dies bedeutet etwa für den Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts, dass der Vorbehaltsverkäufer, der die Ware im Insolvenzfall aussondern will, das Besitzrecht des Vorbehaltskäufers aus § 986 BGB durch Rücktritt vom Kaufvertrag (§ 449 Abs. 2 BGB) beseitigen muss.35
24
Hiervon ausdrücklich ausgenommen ist das Sicherungseigentum (§ 51 Nr. 1 Alt. 1 InsO). Rechtlich gesehen gelangt das Eigentum zwar in die Hände des Sicherungsnehmers. Gleichwohl kann er das Eigentum in der Insolvenz des Sicherungsgebers nicht aussondern, weil es wirtschaftlich nicht seinem Vermögen, sondern aufgrund der treuhänderischen Bindung weiterhin dem Vermögen des Sicherungsgebers zugewiesen ist. Die Sicherungsübereignung dient damit ausschließlich als Instrument der Kreditsicherung; die Eigentumsposition des Sicherungsnehmers ist durch die vertraglichen Abreden derart überlagert, dass es aus wirtschaftlicher Sicht weiterhin am Vermögen des Sicherungsgebers teilnimmt. Der aus dem Alleineigentum erwachsende dingliche Anspruch des Berechtigten auf Aussonderung richtet sich in der Regel auf die Herausgabe des Aussonderungsobjekts nach § 985 BGB, soweit der Schuldner jedenfalls unmittelbarer Besitzer in Form des Eigen- oder Fremdbesitzers ist und ihm kein Recht zum Besitz zusteht. Soweit der Insolvenzschuldner selbst die Stellung eines mittelbaren Besitzers innehat, richtet sich der Aussonderungsanspruch auf Abtretung des Herausgabeanspruchs gegenüber dem Besitzmittler.36 Kommt dem Schuldner jedoch ausnahmsweise ein Recht zum Besitz zu, oder bestreitet der Insolvenzverwalter die Eigentumsposition des Dritten, so beschränkt sich der Anspruch zunächst auf die Feststellung der Eigentumsposition.
25
Der Aussonderungsanspruch kann auch auf eine schuldrechtliche Rechtsgrundlage gestützt werden, z.B. auf § 546 Abs. 1 BGB für den Vermieter gegenüber dem Mieter oder auf § 695 BGB für den Hinterleger gegenüber dem Hinterlegungsempfänger (s. hierzu Rz. 81 ff.). Stehen dem Berechtigten sowohl dingliche als auch persönliche Ansprüche auf Aussonderung zu, so kann er zwischen beiden Anspruchsgrundlagen wählen. Er wird sich im Hinblick auf die Ausübung seines Wahlrechts daran orientieren, bei welchem der Ansprüche sich für ihn die günstigere Behauptungs- und Beweislast bzw. der günstigere Gerichtsstand ergibt. Der mietvertragliche Räumungsanspruch geht allerdings in seiner Aussonderungskraft nicht über den Anspruch nach § 985 BGB hinaus; ein etwaiger überschießender „Teil“ ist Insolvenzforderung.37
26
Bei beweglichen Sachen, die sich im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im Besitz des Insolvenzschuldners befinden, streitet zugunsten der Insolvenzmasse die Vermutungswirkung des § 1006 BGB. Derjenige, der sein Eigentumsrecht im Rahmen der Aussonderung geltend machen möchte, muss die Eigentumsvermutung entgegen der Publizitätswirkung des § 1006 BGB widerlegen, womit ihm auch im Aussonderungsprozess die Darlegungs- und Beweislast obliegt.38
34 35 36 37 38
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 10. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 26. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 16. BGH v. 7.10.2010 – IX ZB 115/08, ZInsO 2010, 2410 ff. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 15; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 142.
756 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 29a § 10
bb) Miteigentum Befindet sich das Aussonderungsobjekt im Miteigentum mehrerer, so kann jeder Miteigentümer die Aussonderung durch Geltendmachung des Herausgabeanspruchs an alle Miteigentümer gem. §§ 1011, 432 BGB betreiben.39
27
Soweit der Insolvenzschuldner selbst Miteigentümer an dem auszusondernden Gegenstand ist, z.B. weil es in seinem Lager zu einer Vermischung von eigenen mit schuldnerfremden Gegenständen gem. § 948 BGB gekommen ist, können die anderen Miteigentümer neben der Feststellung des Miteigentumsanteils und der Einräumung des Mitbesitzes auch die Auseinandersetzung der Gemeinschaft nach § 84 InsO i.V.m. § 749 BGB außerhalb des Insolvenzverfahrens verlangen.40
28
cc) Eigentumsvorbehalt (1) Einfacher Eigentumsvorbehalt In der Kreditsicherungspraxis vereinbaren Verkäufer und Käufer häufig einen einfachen Eigentumsvorbehalt, um den Zahlungsanspruch des Verkäufers aus § 433 Abs. 2 BGB zu sichern.41 Indem der Vorbehaltsverkäufer dem Käufer ein bestimmtes Zahlungsziel einräumt und ihm zugleich den Besitz an der Kaufsache überlässt, gewährt er dem Käufer aus wirtschaftlicher Sicht einen Kredit. Bis zur vollständigen Befriedigung des Kaufpreisanspruchs behält sich der Verkäufer das Eigentum an der Kaufsache vor, indem er die Übereignung (§§ 929 ff. BGB) an die Bedingung knüpft, dass der Käufer alle noch ausstehenden Raten begleicht (§ 158 Abs. 1 BGB).42 Dies hat für den Käufer den Vorteil, dass er die Vorbehaltsware bereits in eigenem Interesse nutzen kann. Regelmäßig wird der Eigentumsvorbehalt schon beim Kauf vereinbart, § 449 Abs. 1 BGB enthält hierzu eine Auslegungsregel.
29
Im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers begründet der einfache Eigentumsvorbehalt ein Aussonderungsrecht für den Vorbehaltsverkäufer.43 Hat sich der Verkäufer mithin das Eigentum an einer Kaufsache vorbehalten, kann er die unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Sache aussondern und nach § 47 InsO Herausgabe der Sache verlangen, soweit dem Insolvenzverwalter kein Recht zum Besitz (§ 986 BGB) zur Seite steht.44 Um das Besitzrecht zu beseitigen, muss der aussonderungsberechtigte Vorbehaltsverkäufer nach Maßgabe des § 449 Abs. 2 BGB vom Kaufvertrag zurücktreten.45 Bereits empfangene Kaufpreisraten muss er dann der Masse zurückerstatten. Sofern ihm der Vertrag Vorteile gebracht hätte, steht ihm ein Schadensersatzanspruch aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO zu, den er als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden muss.46 Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, kann der Verkäufer ohne zusätzliche Voraussetzungen zurücktreten, wobei in der Anmeldung des Nichterfüllungsschadens gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO eine konkludente Rücktrittserklärung zu erblicken ist.
29a
39 Vgl. hierzu näher Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 5; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 45. 40 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 13. 41 Zu den verschiedenen Funktionen des Eigentumsvorbehalts Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 19. 42 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 12. 43 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 62; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 19; hierzu krit. Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 47 Rz. 21 ff.; der Gesetzgeber hat sich entschlossen, dem Warenkreditgeber den Vorrang einzuräumen und den Vorbehaltsverkäufer nicht aus dem Kreis der Aussonderungsberechtigten herauszunehmen, vgl. Lohmann in HK/InsO, § 47 Rz. 10; aufgrund der Kreditsicherungsfunktion des Eigentumsvorbehalts wird de lege ferenda stellenweise ein bloßes Absonderungsrecht befürwortet, Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 25. 44 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 12. 45 Lohmann in HK/InsO, § 47 Rz. 11. 46 Diesen Nichterfüllungsschaden aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO kann der Verkäufer dem Rückzahlungsanspruch des Käufers aufrechnungsweise entgegenhalten, BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, EWiR 2013, 351 (Tintelnot) = ZIP 2013, 526.
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§ 10 Rz. 29b | Beratung des gesicherten Gläubigers 29b
Der Insolvenzverwalter kann das Aussonderungsbegehren des Vorbehaltsverkäufers abwenden, indem er gem. § 103 Abs. 1 InsO Erfüllung wählt und die offenen Kaufpreisraten begleicht. Nach Maßgabe des § 103 Abs. 1 InsO handelt es sich bei den ausbleibenden Raten dann um Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Für die Vertragserfüllung wird sich der Insolvenzverwalter nur entscheiden, wenn der Wert der Kaufsache höher ist als der zu zahlende Kaufpreis, der Schuldner seinerzeit also ein „gutes Geschäft“ gemacht hat. Entscheidet sich der Verwalter für die Erfüllung und begleicht den offenen Kaufpreis, erstarkt das Anwartschaftsrecht des Käufers zu Eigentum und vergrößert auf diese Weise das zur Insolvenzmasse zählende Vermögen.
29c
Hinweis: Nur bei wirksamer Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts ist der Lieferant dinglich gesichert und mithin zur Aussonderung berechtigt. Gegen die Existenz einer entsprechenden Vereinbarung, und folglich zugunsten des Schuldners bzw. später des Insolvenzverwalters, streitet die Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 BGB, so dass der gesicherte Gläubiger die Wirksamkeitsvoraussetzungen des Verkaufs unter Eigentumsvorbehalt darlegen und beweisen muss. Wenn der Eigentumsvorbehalt in AGB vereinbart wird,47 muss die Vereinbarung einer Wirksamkeitsprüfung gem. §§ 305 ff. BGB standhalten. Die Existenz einer sog. Abwehrklausel in den AGB des Käufers allein vermag den einfachen Eigentumsvorbehalt nicht auszuschließen, sehr wohl jedoch etwaige Verlängerungsformen.48 Der bloße Vorbehalt auf der Rechnung ist nach unbedingter Übereignung jedenfalls wirkungslos.49 Ob bei langjähriger Geschäftsbeziehung und positiver Kenntnis des Käufers des Eigentumsvorbehalts aus früheren Rechnungen ein solcher wirksam vereinbart ist, darf ungeachtet der positiven Rechtsprechung50 jedenfalls aus Darlegungs- und Beweisgründen als riskant bewertet werden.
30
Gelingt der Nachweis des Vorbehaltseigentums, besteht im Grundsatz Aussonderungskraft. Diese wird jedoch unter zwei Gesichtspunkten eingeschränkt: – Gemäß § 107 Abs. 2 InsO besteht eine sog. „Ausübungssperre“, um das Nutzungspotential der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ware zugunsten einer möglichen Betriebsfortführung aufrechtzuerhalten. So ordnet § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO an, dass der zur Ausübung des Wahlrechts aufgeforderte Verwalter die diesbezügliche Erklärung gegenüber dem Verkäufer nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben braucht. Für den Aussonderungsberechtigten bedeutet das, dass er sein Aussonderungsrecht aufgrund seiner Stellung als Vorbehaltseigentümer faktisch bis zu drei Monate nicht ausüben kann, da der Verwalter auf die Aufforderung des Aussonderungsberechtigten zur Ausübung des Wahlrechts für seine Erklärung bis zum Berichtstermin Zeit hat.51 – Gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO kann das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren anordnen, dass Gegenstände, deren Aussonderung im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangt werden können, nicht herausverlangt, sondern zur Fortführung des Unternehmens eingesetzt werden können (vgl. ausführlich hierzu nachstehend Rz. 96 ff.). Die zuletzt genannte Bestimmung wird für den Fall des Vorbehaltseigentums in Gegenüberstellung mit § 107 Abs. 2 InsO keinen eigenständigen Anwendungsbereich haben.
30a
Der einfache Eigentumsvorbehalt erlischt durch Verbindung, Vermischung, Verarbeitung oder durch erlaubte Weiterveräußerung des Vorbehaltskäufers mit unbedingter Veräußerung an den Zweitkäufer.52 Um das Ausfallrisiko zu verringern, das mit dem Verlust des Eigentums einhergeht, kann der
47 48 49 50 51
Grünberg in Palandt, § 307 Rz. 85 f. Weidenkaff in Palandt, § 449 Rz. 5. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 12. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 12. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 27; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 13. 52 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 13.
758 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 32 § 10
Eigentumsvorbehalt vertraglich auf das Substitut des erloschenen Vollrechts, namentlich auf die hierfür erlangten Kaufpreisforderungen, erstreckt werden (verlängerter Eigentumsvorbehalt). Er erlischt weiterhin bei gutgläubigem Erwerb (§§ 932, 933, 934 BGB) durch Zahlung des Kaufpreises, d.h. Eintritt der vereinbarten Bedingung (§ 449 Abs. 1 BGB).53 Hinweis: Ist der Kaufpreis bezahlt und wird der Vorbehaltsverkäufer als Bürge für den (Lieferanten-)Kredit in Anspruch genommen – mit dem der Kaufpreis finanziert wurde – so lebt der Eigentumsvorbehalt nach einem zur sog. Zentralregulierung ergangenen Urteil des OLG Köln nicht wieder auf.54
30b
In der Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers kann der Vorbehaltskäufer das Vorbehaltsgut nicht ohne weiteres aussondern, weil diesem hieran im Wege der bedingten Übereignung nur der Besitz, nicht jedoch das Eigentum eingeräumt wurde. Der Verkäufer kann den Vollrechtserwerb allerdings nicht mehr einseitig verhindern. Dieser Schutz zeigt sich außerhalb der Insolvenz in der Anordnung des § 161 Abs. 1 BGB, wonach der Vorbehaltsverkäufer über den Gegenstand insoweit keine Zwischenverfügungen treffen kann, als sie die von der Bedingung abhängige Wirkung, hier den Vollrechtserwerb, vereiteln würden. Gemeinhin wird die in § 161 Abs. 1 BGB umschriebene Rechtsposition des Vorbehaltskäufers als Anwartschaftsrecht bezeichnet. Zahlt der Käufer den Kaufpreis, erwirbt er das Eigentum an der Vorbehaltsware. Die InsO verstärkt das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers im Insolvenzfall und normiert in § 107 Abs. 1 InsO dessen Insolvenzfestigkeit, soweit diesem bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Besitz an der Vorbehaltsware übertragen worden ist.55 Damit kann der Verwalter des Vorbehaltsverkäufers nicht die weitere Erfüllung des mit dem Vorbehaltskäufer geschlossenen Vertrags ablehnen und die Vorbehaltsware herausverlangen. Der Vorbehaltskäufer kann nunmehr seinerseits gem. § 107 Abs. 1 InsO die Erfüllung des Vertrags verlangen, wobei ihm – solange er sich selbst vertragstreu verhält – ein unentziehbares Recht zum Besitz zusteht. Lediglich wenn der Käufer selbst gegen seine vertraglichen Verpflichtungen verstößt, so z.B. wenn er in Zahlungsverzug gerät, kann der Verwalter nach den allgemeinen Regeln vom Vertrag zurücktreten. Soweit dem Vorbehaltskäufer vor Verfahrenseröffnung der Besitz allerdings noch nicht übertragen wurde, ist ihm der Weg über § 107 Abs. 1 InsO zum Vollrecht an der Vorbehaltsware versperrt56 (zu der Regelung des § 107 InsO ausführlich s. § 11 Rz. 144 ff.).
31
(2) Erweiterter und verlängerter Eigentumsvorbehalt Die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts berechtigen hingegen nicht zur Aussonderung. Weder der erweiterte Eigentumsvorbehalt, der gegeben ist, wenn das Eigentum an der Kaufsache nicht bereits mit Erfüllung der Kaufpreisforderung übergeht, sondern erst nach Tilgung weiterer Verbindlichkeiten, noch der verlängerte Eigentumsvorbehalt, bei dem die Sicherheit auf künftige Vermögenswerte erstreckt wird, die an die Stelle des Vorbehaltsguts treten, begründen für den Vorbehaltseigentümer die Rechtsstellung eines Aussonderungsberechtigten. Strukturell kommt diesen Eigentumsvorbehaltsformen in erster Linie Pfandfunktion zu, womit diese eher dem Sicherungseigentum gleichzustellen sind. Mithin räumen diese dem Berechtigten nur ein Recht zur abgesonderten Befriedigung nach §§ 50 ff. InsO ein. Dies gilt aber nach herrschender Auffassung für den erweiterten bzw. verlängerten Eigentumsvorbehalt nur insoweit, als auch der Erweiterungs- bzw. Verlängerungsfall eingetreten ist. Liegt hingegen noch der Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts vor, muss dem Berechtigten auch noch ein Aussonderungsrecht zukommen.
53 54 55 56
Bremen in Graf-Schlicker, § 47 Rz. 12. OLG Köln v. 8.4.2011 – 2 U 137/10, ZIP 2011, 2019 ff. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 76 ff.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 28. Vgl. hierzu Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 27.
Drees/Schmidt | 759
32
§ 10 Rz. 33 | Beratung des gesicherten Gläubigers (3) Weitergeleiteter und nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt 33
Ein weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt liegt vor, wenn der Käufer beim Weiterverkauf offenlegt, dass er selbst nur unter Eigentumsvorbehalt erworben hat und daher lediglich Anwartschaftsberechtigter geworden ist, als der er nun auch sein Anwartschaftsrecht weiterveräußert. Der Zweiterwerber soll erst dann Eigentümer werden, wenn die Kaufpreisforderung aus dem Erstverkauf getilgt ist. Der weitergeleitete Eigentumsvorbehalt steht mithin sowohl im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Erstkäufers als auch über das Vermögen des Zweitkäufers dem einfachen Eigentumsvorbehalt gleich. Unabhängig davon, ob Erst- oder Zweitkäufer in die Insolvenz geraten, steht dem ursprünglichen Verkäufer in beiden Fällen ein Aussonderungsrecht an der Ware zu.57
34
Wird über das Vermögen des Erstkäufers das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Verkäufer die Ware als sein Eigentum beim Zweitkäufer aussondern, sobald das Besitzrecht des Erstkäufers entfällt. In analoger Anwendung des § 268 BGB muss dem Zweitkäufer aber ein Recht auf Befriedigung des Verkäufers zugestanden werden.58 Zahlt er mithin den Restkaufpreis an den Verkäufer, so wird er ohne Durchgangserwerb des Insolvenzschuldners neuer Eigentümer der Ware.
35
Wird über das Vermögen des Zweitkäufers ein Insolvenzverfahren betrieben, so kann der Verkäufer nur dann aussondern, wenn das Besitzrecht des Erstkäufers durch Rücktritt nach § 449 BGB erloschen ist.59 Es besteht für den Insolvenzverwalter insoweit ein Wahlrecht nach § 103 InsO (zu diesem Wahlrecht vgl. § 11 Rz. 10 ff.). Wählt der Verwalter die Nichterfüllung, kann der Verkäufer das Vorbehaltsgut aussondern.
36
Für den Fall der Insolvenz des Verkäufers findet wiederum § 107 InsO Anwendung.60
37
Ein Fall des sog. nachgeschalteten Eigentumsvorbehalts61 ist gegeben, wenn der Eigentumsvorbehaltskäufer seinerseits gegenüber seinen Lieferanten nur unter Eigentumsvorbehalt verfügen darf. In beiden Verträgen werden selbständige Eigentumsvorbehalte vereinbart. Im Unterschied zum weitergeleiteten Eigentumsvorbehalt ist der Erstkäufer nicht dazu genötigt, seine Lieferantenbeziehung und damit seine Stellung als Anwartschaftsberechtigter offen zu legen. Dies ist insbesondere im Zwischenhandel üblich. Dabei wird die Vereinbarung eines Weiterverkaufs der Vorbehaltsware zwischen dem Verkäufer und dem Erstkäufer in der Regel mit der Vorausabtretung der daraus entstehenden Forderungen verbunden. Der Zweitkäufer erwirbt in diesem Fall ein selbständiges Anwartschaftsrecht. Es handelt sich daher um zwei nacheinander geschaltete Eigentumsvorbehalte, wobei der Verkäufer zunächst Vorbehaltseigentümer bleibt. Ihm steht daher weiterhin ein Aussonderungsrecht zu.62 Der Verkäufer verliert sein Eigentum erst dann, wenn eine der beiden Kaufpreisforderungen bezahlt wird.63 Damit geht mit der Zahlung des Kaufpreises in einem der beiden Kausalverhältnisse sein Aussonderungsrecht unter und der Verkäufer ist im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Erst- oder auch Zweiterwerbers nicht mehr zur Aussonderung der Vorbehaltsware berechtigt.64
57 58 59 60 61 62 63 64
Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 37; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 25. Weidlich in Palandt, § 1922 Rz. 12; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 21. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 21. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 22. Vgl. hierzu Weidenkaff in Palandt, § 449 Rz. 17; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 101. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 51 Rz. 17; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 22. Weidenkaff in Palandt, § 449 Rz. 17. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 22; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 102.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 41 § 10
dd) Sonstige dingliche Rechte Sonstige dingliche Rechte können ebenfalls einen Anspruch auf Aussonderung begründen,65 wenn das geltend gemachte dingliche Recht selbst den Gegenstand der Aussonderung bildet und nicht die Sache oder das Recht, auf dem das dingliche Recht lastet. In Betracht kommen hier
38
– der Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB), – das Erbbaurecht (§§ 1012 ff. BGB), – Grunddienstbarkeiten (§§ 1018 ff. BGB), – beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB). Des Weiteren gehören auch die Grundpfandrechte sowie die Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten zu den dinglichen Rechten, die ein Aussonderungsrecht begründen können. Soweit der Insolvenzverwalter das Bestehen des Pfandrechts bestreitet oder dieses z.B. für den Insolvenzschuldner in Form einer Eigentümergrundschuld in Anspruch nimmt, kann sein Bestehen bzw. seine Nichtzugehörigkeit zur Insolvenzmasse als Aussonderungsanspruch geltend gemacht werden.
39
Hinweis: Insoweit gilt es nur zu beachten, dass sich die Aussonderung auf Herausgabe des Rechts selbst richtet. Das Ziel der Aussonderung kann in allen diesen Fällen nur die Geltendmachung gerade des Inhalts sein, den das jeweilige dingliche Recht gewährt.66 Demgemäß ist beim Nießbrauch und beim Erbbaurecht nicht die Sache oder das Recht, an dem der Nießbrauch besteht und nicht das Grundstück, auf dem das Erbbaurecht lastet, Gegenstand der Aussonderung, sondern der Nießbrauch und das Erbbaurecht selbst. Entsprechend kann auch bei den Grundpfandrechten lediglich das Pfandrecht selbst Gegenstand der Aussonderung sein und nicht das Grundstück, zu dessen Lasten das Grundpfandrecht besteht. Diesbezüglich führt das Pfandrecht, soweit seinetwegen Befriedigung aus einem zur Masse gehörenden Gegenstand gesucht wird, nämlich lediglich zu einem Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem pfandbelasteten Gegenstand gem. §§ 49 ff. InsO (s. hierzu Rz. 150 ff.).
40
Ein durch eine Vormerkung gesicherter schuldrechtlicher Verschaffungsanspruch kann in der Insolvenz des Verpflichteten ausgesondert werden67 (zur Aussonderungskraft rein schuldrechtlicher Verschaffungsansprüche vgl. Rz. 84). Dies gilt auch für künftige Ansprüche, solange die Vormerkung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Grundbuch eingetragen worden ist. Gemäß § 883 Abs. 2 BGB sind Verfügungen über den durch Vormerkung gesicherten Anspruch insoweit unwirksam, als sie den Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würden. Der Vormerkungsberechtigte erlangt demnach eine gesicherte Rechtsposition, die ihn davor schützt, dass der Vormerkungsverpflichtete weitere (Zwischen-)Verfügungen über das Recht trifft. Solche Verfügungen sind dem Vormerkungsberechtigten gegenüber (relativ) unwirksam, so dass er den Anspruch weiterhin verfolgen kann. Verstärkt wird dieser Schutz durch § 106 InsO, wonach er für seinen Anspruch auch in der Insolvenz des Vormerkungsverpflichteten Befriedigung verlangen kann. Wie § 47 InsO bezweckt letztlich auch § 106 InsO, dass eine Sache aus der Ist-Masse als nicht zur Soll-Masse gehörend herausgelöst wird. Bei wertender Betrachtung handelt es sich demnach um Aussonderung.68
41
65 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 55. 66 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 42; Brinkmann in Uhlenbruck InsO, § 47 Rz. 5. 67 jüngst OLG Düsseldorf v. 27.2.2020 – 12 U 48/19, ZInsO 2021, 337; Lohmann in HK/InsO, § 47 Rz. 14 m.w.N. 68 BGH v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, EWiR 2008, 501 (Eckert) = NotBZ 2008, 266 m. Anm. Suppliet = ZIP 2008, 1028 = NZI 2008, 428 Rz. 11.
Drees/Schmidt | 761
§ 10 Rz. 41a | Beratung des gesicherten Gläubigers 41a
Das dingliche Vorkaufsrecht (§ 1094 ff. BGB) begründet sowohl in der Insolvenz des Grundstückseigentümers als auch des Dritterwerbers, dem das verkaufte Grundstück übereignet worden ist, ein Recht zur Aussonderung.69 Aufgrund der Vormerkungswirkung des §§ 1098 Abs. 2, 888 BGB ist dieses im Fall der Insolvenz des Dritterwerbers auf die Bewilligung der Umschreibung des Grundbuches gerichtet.70 In der Insolvenz des Vorkaufsverpflichteten kann der Vorkaufsberechtigte nach Verkauf des Grundstücks hingegen kein Recht auf Herausgabe des Grundstücks gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen, denn das Vorkaufsrecht entfaltet dingliche Wirkung nur gegenüber dem Dritterwerber.71 Insoweit kann der Aussonderungsberechtigte im Rahmen der Aussonderung lediglich einen Anspruch auf Feststellung des Bestehens des dinglichen Vorkaufsrechts begehren.
42
Der Erbschaftsanspruch des Erben gegenüber dem Erbschaftsbesitzer nach §§ 2018 ff. BGB führt ebenfalls zu einem Aussonderungsrecht des Berechtigten, welches auf Herausgabe der in der Insolvenzmasse des Erbschaftsbesitzers befindlichen Erbschaft einschließlich dessen, was der Besitzer durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erworben hat (§ 2019 Abs. 1 BGB) sowie der aus ihr gezogenen Nutzungen, auch soweit der Erbschaftsbesitzer daran Eigentum erworben hat (§ 2020 BGB), gerichtet ist.72 Ansprüche des Erben aus den §§ 2021 und 2023 BGB begründen demgegenüber nur Insolvenzforderungen.73 ee) Besitz
43
Der Besitz wird ebenfalls wie ein dingliches Recht behandelt, soweit sich aus ihm Herausgabeansprüche ergeben, so dass auch dem Besitz Aussonderungskraft zuzuschreiben ist. Der frühere Besitzer kann daher im Wege der Aussonderung die Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 Abs. 1 BGB bzw. Herausgabe nach § 1007 Abs. 1 und 2 BGB sowie die Beseitigung einer Besitzstörung nach § 862 Abs. 1 BGB verlangen.74
43a
Hinweis: Die Bedeutung der auf den Besitz gestützten Aussonderungsansprüche ist allerdings gering, da die auf den Besitz gestützte Aussonderung nur dann in Betracht kommt, wenn weder der Insolvenzverwalter noch der vermeintlich Berechtigte sein Eigentum an der herauszugebenden Sache beweisen kann.
ff) Immaterialgüterrechte 44
Auch Schutzrechte, Urheber- und Persönlichkeitsrechte können Aussonderungsrechte begründen. In der Insolvenz über das Vermögen des unberechtigten Inhabers kann beispielsweise der Erfinder des Patents den Anspruch auf Abtretung des Rechts auf Erteilung des Patents, auf Übertragung des erteilten Patents sowie auf Übertragung bereits erteilter Lizenzen aussondern.75 Ausgesondert werden können ferner – Gebrauchsmuster (§ 11 GebrMG), – Marken (vgl. §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 MarkenG), – das Urheberpersönlichkeitsrecht und die Urheberverwertungsrechte (§§ 12, 14 UrhG) sowie – das Recht am eigenen Bild (§ 22 UrhG).76 69 70 71 72 73 74 75 76
Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 8. Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 58; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 55. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 55; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 330. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 335 ff. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 52. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 59; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 326. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 73; Bausch, NZI 2005, 289 ff. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 66.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 44c § 10
Voraussetzung ist grundsätzlich, dass durch das jeweilige Recht eine absolut geschützte und damit dingliche Rechtsposition begründet worden ist. Ist eine Internet-Domain namens- oder markenrechtlich geschützt ist,77 so kann sie tauglicher Aussonderungsgegenstand sein. Die Kriterien, nach Maßgabe derer beurteilt werden kann, ob eine Rechtsposition dinglichen Charakter hat, richtet sich nach dem jeweiligen gewerblichen Schutzrecht. Für das Urheberrecht hat der BGH erstmals in seiner „Reifen Progressiv“ Entscheidung den Rechtssatz aufgestellt, dass einfache – ebenso wie ausschließliche – Nutzungsrechte keinen schuldrechtlichen, sondern dinglichen Charakter haben.78 Zur Verallgemeinerungsfähigkeit dieses Rechtssatzes vgl. nachstehend Ziff. 44c und das Urteil des LG Mannheim.79
44a
Geht es darum, ein Recht gegenüber der Insolvenzmasse zu verteidigen, so kann auch ein Unterlassungsanspruch Gegenstand eines Aussonderungsrechts gegenüber der Insolvenzmasse sein. Hierfür kommen jedoch nur die Unterlassungsansprüche in Betracht, die Ausfluss eines absoluten Rechts (z.B. §§ 12, 907, 1004 BGB, 14 Abs. 5, 15 Abs. 4, 128, 135 MarkenG, 139 PatG, 97 UrhG) sind.80 Seinem Inhalt nach kann dieser Abwehranspruch auf Unterlassung der Herstellung, Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstigen Ausbreitung, auf Vernichtung, Unschädlichmachung oder Löschung unbefugt hergestellter Platten, Stücke, Vorrichtungen und Datenträger gehen.81 Ein Unterlassungsanspruch, der allein auf einer schuldrechtlichen Grundlage basiert, begründet hingegen kein Aussonderungsrecht.82
44b
Wie ausgeführt (Rz. 44) kann gewerblichen Schutzrechten und damit auch einer Lizenz Aussonderungskraft zukommen. Die Lizenz verschafft ihrem Inhaber das Recht, ein gewerbliches Schutzrecht wirtschaftlich zu nutzen. Dieses Nutzungsrecht wird auf schuldvertraglicher Ebene mit der Pflicht zur Zahlung von Lizenzgebühren verknüpft (Lizenzvertrag). Der Lizenzvertrag ist typischerweise ein Dauerschuldverhältnis. Voraussetzung ist die Existenz einer absolut geschützten Rechtsposition. Andernfalls ist der Anwendungsbereich des § 47 Satz 1 Alt. 1 InsO („dingliches Recht“) nicht eröffnet. Ein Lizenznehmer kann nach herrschender Meinung in der Insolvenz des Lizenzgebers grundsätzlich das durch die Lizenz vermittelte Nutzungsrecht aussondern, wenn es sich um eine ausschließliche Lizenz (i.S.v. § 30 Abs. 4 PatG) handelt.83 Dies gilt jedoch nicht, wenn der Insolvenzverwalter des Lizenzgebers die Erfüllung des Lizenzvertrags abgelehnt hat.84 Dann entfällt die zur Aussonderung berechtigende dingliche Rechtsposition des Lizenznehmers. Die hiermit verbundene Abhängigkeit des Lizenznehmers vom Agieren des Insolvenzverwalters des Lizenzgebers führt zu einer erheblichen Belastung des Lizenznehmers. Ursächlich hierfür ist die Einordnung des Lizenzvertrages in das Insolvenzvertragsrecht der §§ 103 ff. InsO.85 Wegen der hiermit verbundenen Schwierigkeiten für Lizenznehmer in der Insolvenz des Lizenzgebers hatte die Bundesregierung am 22.9.2007 den Entwurf eines Gesetzes beschlossen,86 mit dem die Insolvenzfestigkeit von Lizenzverträgen durch Schaffung eines § 108a InsO
44c
77 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 47 Rz. 107. 78 BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, BGHZ 180, 344 = CR 2009, 767 = ITRB 2010, 4 – Reifen Progressiv. Bestätigt durch BGH v. 29.4.2010 – I ZR 69/08, EWiR 2010, 689 = AfP 2010, 265. = CR 2010, 463 = IPRB 2010, 148 = ITRB 2010, 175 79 LG Mannheim v. 18.2.2011 – 7 O 100/10, EWiR 2011, 645. 80 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 66; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 44. 81 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 47 Rz. 107. 82 BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 119/02, ZIP 2003, 1550 ff = EWiR 2004, 27 (Holzer). 83 Andere Ansicht LG Mannheim v. 18.2.2011 – 7 O 100/10, EWiR 2011, 645: „Wie im Urheberrecht hat auch im Patentrecht das ausschließliche ebenso wie das einfache Nutzungsrecht dinglichen Charakter.“ Zustimmende Anmerkung Westphal/Schönen, EWiR 2011, 645 f. Im Anschluss hieran nehmen auch Frentz/Masch, ZIP 2011, 1245, 1249 ein Aussonderungsrecht an. 84 K. Schmidt/Thole, InsO, § 47 Rz. 59; Ganter, NZI 2011, 833, 837 f. 85 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = EWiR 2006, 119 (Bärenz) = ITRB 2006, 74 = ZIP 2006, 87 = NZI 2006, 229 m. Anm. Höpfner, NZI 2006, 231 ff.; Wegener in Uhlenbruck, InsO, § 103 Rz. 38; Hoffmann in MünchKomm/InsO, § 112 Rz. 7. Ebenso die urheberrechtliche Literatur, statt vieler: Möhring/Nicolini/Lütje, UrhG, § 112 Rz. 13. 86 Entwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen.
Drees/Schmidt | 763
§ 10 Rz. 44c | Beratung des gesicherten Gläubigers sichergestellt werden sollte; diese Gesetzesinitiative wurde indes weder – wie ursprünglich beabsichtigt – im Jahre 2008 noch im Zusammenhang mit späteren Reformen weiter verfolgt, so dass die Rechtsstellung des (grundsätzlich zur Aussonderung berechtigten) Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers noch immer dem Risiko des dortigen Nichteintritts ausgesetzt ist. gg) Aussonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte an Leistungen aus Lebensversicherungen 45
Unwiderrufliche Bezugsrechte begründen in der Insolvenz des Versicherungsnehmers ein Aussonderungsrecht des Bezugsberechtigten. Die Ansprüche aus der Lebensversicherung sind nicht Bestandteil der Insolvenzmasse (§ 35 InsO). Zwar erwirbt gem. § 159 Abs. 2 VVG der Bezugsberechtigte im Zweifel den Anspruch auf die Versicherungsleistung erst mit Eintritt des Versicherungsfalls, jedoch stellt § 13 Nr. 2 ALB 2008 klar, dass Bezugsberechtigte Ansprüche unwiderruflich und damit sofort erwerben können sollen.87 Ob tatsächlich ein unwiderrufliches und nicht ein lediglich eingeschränkt unwiderrufliches oder gar ein widerrufliches (Rz. 180 ff.) Bezugsrecht vorliegt, ergibt sich aus der gegenüber der Versicherung abgegebenen Erklärung des Versicherungsnehmers.88 Für die Benennung eines Bezugsberechtigten genügt die einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung.89 Die Auslegung dieser Erklärung ist maßgeblich für die Ausgestaltung des Bezugsrechts.90 Eine besondere Form für die Erklärung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.91 Die Schriftform wird jedoch zumindest zu fordern sein.92 Das unwiderrufliche Bezugsrecht ändert nichts daran, dass der Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherungsvertrages bleibt und das Dispositionsrecht über den Vertrag behält, also diesen kündigen oder ihn in eine prämienfreie Versicherung umwandeln kann. Es hat aber zur Konsequenz, dass der Versicherungsnehmer nicht mehr über den Anspruch auf die Versicherungsleistungen verfügen kann, weshalb dann auch eine Sicherungsabtretung (Rz. 176 f.) durch den Versicherungsnehmer nicht mehr möglich ist.93
45a
Hinweis: Arbeitgeber (Versicherungsnehmer) sind bei Abschluss von Direktversicherungsverträgen für ihre Arbeitnehmer (versicherte Person) gut beraten, sich das Recht vorzubehalten (eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht, vgl. Rz. 45b f.), unter bestimmten Voraussetzungen selbst über den Anspruch auf die Versicherungsleistung, etwa durch Abtretung, disponieren zu können. Dieser Vorbehalt müsste sowohl im Arbeitsals auch im Versicherungsvertrag Niederschlag finden. Fehlt ein solcher Vorbehalt, scheidet die Abtretung oder Verpfändung von Ansprüchen aus einer Lebensversicherung als Sicherungsmittel gänzlich aus, wenn ein unwiderrufliches Bezugsrecht vorliegt.
45b
Ausgehend von der beschriebenen Freiheit zur Gestaltung der Rechtsposition des Bezugsberechtigten sind Einschränkungen bzw. Vorbehalte des grundsätzlich unwiderruflichen Bezugsrechts denkbar. In den Allgemeinen Bestimmungen entsprechender Versicherungsverträge wird die Widerruflichkeit des Bezugsrechts beispielsweise für den Fall vorbehalten, dass
87 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05, ZInsO 2006, 997; Schneider in Prölss/Martin, VVG, § 159 Rz. 10 ff. (widerruflich Abs. 2, unwiderruflich Abs. 3); BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 = VersR 2014, 321. 88 BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269 ff.; BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 f. = VersR 2005, 1134 = EWiR 2005, 801 (Blank/Petersen)= EWiR 2012, 781 (Mückl/Herrnstadt) = StBW 2012, 996. 89 OLG Zweibrücken v. 24.1.2013 – 4 U 107/12, BeckRS 2013, 03731. 90 BGH v. 6.6.2012 – IV ZA 23/11, NZI 2012, 762. 91 OLG Zweibrücken v. 24.1.2013 – 4 U 107/12, BeckRS 2013, 03731. 92 BAG v. 17.1.2012 – 3 AZR 10/10, ZIP 2012, 1678 = ZInsO 2012, 1265 ff. für den Fall der Abtretung unter Hinweis auf § 13 Abs. 4 der Allgemeinen Lebensversicherungsbedingungen (ALB 86). 93 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05; Schneider in Prölls/Martin, VVG, § 159 Rz. 12.
764 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 45d § 10
– das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungs- bzw. Versorgungsfalls endet, – die versicherte Person das 35. Lebensjahr nicht vollendet und die Versicherung noch nicht 10 Jahre bestanden hat oder – die versicherte Person das 35. Lebensjahr nicht vollendet und das Arbeitsverhältnis noch nicht 12 Jahre und die Versicherung noch nicht drei Jahre bestanden hat. Greifen diese tatbestandlichen Voraussetzungen nicht ein, steht das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht einem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht gleich.94 Greift der eingeräumte Vorbehalt, berechtigt das Bezugsrecht nicht zur Aussonderung.95 Dies gilt auch dann, wenn die Prämien aus der Vergütung des Arbeitnehmers nach entsprechender Entgeltumwandlung entrichtet worden sind. Dies allein begründet keine zur Aussonderung berechtigenden Rechte aus dem Versicherungsvertrag.96 Der Insolvenzverwalter wird daher das Bezugsrecht in diesen Fällen widerrufen. Dem Widerruf wird auch nicht eine arbeitsrechtliche Vereinbarung entgegengehalten werden können. Die Zulässigkeit richtet sich ausschließlich nach der versicherungsrechtlichen Rechtslage im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Versicherer. Verstößt der Insolvenzverwalter mit dem Widerruf gegen eine Bestimmung des Arbeitsvertrages, so kann dies grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründen. Dieser ist jedoch weder auf Erstattung der Beiträge zur Versicherung noch auf Zahlung des Rückkaufswerts gerichtet, sondern auf Ausgleich des Versorgungsschadens.97 Abschließenden Schutz kann der Arbeitnehmer daher nur erlangen, wenn er sich ein unwiderrufliches Bezugsrecht an den Leistungen aus der Versicherung einräumen lässt.98
45c
In der Vorauflage wurde unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH v. 8.6.200599 – jüngst bestätigt durch das Urt. v. 22.1.2014100 – die Divergenz mit der Rechtsprechung des BAG zu der Frage dargestellt, ob der beschriebene Vorbehalt (Rz. 45b) auch dann erfüllt sei, wenn das Arbeitsverhältnis deshalb vor Eintritt der Unverfallbarkeit endet, weil der Arbeitgeber insolvenzbedingt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführe. Mit der Konsequenz, dass der Insolvenzverwalter den Rückkaufswert zur Insolvenzmasse beanspruchen kann. Die bisherige Rechtsprechung des BGH lehnte dies ab.101 Der Arbeitgeber wolle sich durch den Vorbehalt der weiteren Betriebstreue vergewissern.102 Dieses Interesse erfordere es nicht, den Vorbehalt auf jeden Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erstrecken. Insbesondere die durch die Insolvenz des Arbeitgebers bedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterfalle dem beschriebenen Vorbehalt daher nicht103 – mit der Konsequenz, dass
45d
94 BGH v. 19.6.1996 – IV ZR 243/95, ZIP 1996, 1356 = EWiR 1996, 775 (Griebeling) = VersR 1996, 1089. 95 OLG Frankfurt v. 12.5.2005 – 3 U 21/04, ZIP 2005, 1036 ff. = EWiR 2006, 81 (Höpfner). 96 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 264/01, ZInsO 2002, 878; weitergehend OLG Karlsruhe v. 18.1.2007 – 12 U 185/06, ZIP 2007, 286 = VersR 2007, 1111 = EWiR 2007, 405 (Schröder) = VersR 2002, 1294, 289. 97 BAG v. 18.9.2012 -3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269 ff. = EWiR 2012, 781 (Mückl/Herrnstadt) = StBW 2012, 996. 98 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 48. 99 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 = EWiR 2005, 801 (Blank/Petersen) = VersR 2005, 1134, 1374 ff.; BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836 ff.; BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, EWiR 2006, 661 (Gundlach/Frenzel) = VersR 2006, 1059 = ZInsO 2006, 710 ff. Ungeachtet dieser Rechtsprechung ist das OLG Hamm v. 24.1.2006 – 27 U 159/05, ZInsO 2006, 881 f. anderer Ansicht. 100 BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 ff. = VersR 2014, 321. 101 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 = EWiR 2005, 801 (Blank/Petersen) = VersR 2005, 1134, 1374 ff.; BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836 ff.; BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, EWiR 2006, 661 (Gundlach/Frenzel) = VersR 2006, 1059 = ZInsO 2006, 710 ff. Ungeachtet dieser Rechtsprechung ist das OLG Hamm v. 24.1.2006 – 27 U 159/05, ZInsO 2006, 881 f. anderer Ansicht. 102 BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, EWiR 2006, 661 (Gundlach/Frenzel) = VersR 2006, 1059 = ZIP 2006, 1309 = ZInsO 2006, 710 ff. 103 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 = EWiR 2005, 801 (Blank/Petersen) = VersR 2005, 1134, 1374 ff.
Drees/Schmidt | 765
§ 10 Rz. 45d | Beratung des gesicherten Gläubigers keine Widerruflichkeit mehr gegeben sei und dem berechtigten Arbeitnehmer ein Aussonderungsrecht gem. § 47 InsO zustehe. In der Vorauflage wurde die hiervon abweichende Rechtsprechung des BAG und die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte dargestellt.104 In der neuen Rechtsprechung hat das BAG jedenfalls dann den Vorbehalt nicht als erfüllt angesehen und die Widerruflichkeit abgelehnt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Betriebsübergangs aus dem schuldnerischen Unternehmen ausscheidet.105 Ob der Vorbehalt bei der insolvenzbedingten Kündigung eingreift, ist indes weiterhin ungeklärt.106 Auch wurde die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte nicht weiterverfolgt, nachdem der BGH nun davon ausgeht, dass der Vorbehalt auch für die insolvenzbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt und das Widerrufsrecht im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln ist.107 Dies hat auch nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH v. 22.1.2014 Bestand, da das Gericht – wie auch im Vorlageverfahren – erneut das Primat der Auslegung klarstellt.108 45e
Nach der Rechtsprechung des AG Göttingen109 – nunmehr bestätigt durch das LG110 – ist ein Aussonderungsrecht aufgrund der fehlenden Widerruflichkeit auch dann insolvenzfest, wenn bei einer solchen firmenfinanzierten Direktversicherung das Bezugsrecht zugunsten des geschäftsführenden Mehrheitsgesellschafters eingeräumt worden ist.111 Das OLG München vertritt in seinem Urteil v. 11.7.2008 indes die Auffassung, ein vom BGH nach den Maßstäben des Urteils v. 8.6.2005112 – bzw. dessen Fortsetzung durch das Urteil des BGH v. 22.1.2014113 – anerkanntes Aussonderungsrecht könne dann nicht insolvenzfest sein, wenn es sich bei dem Bezugsberechtigten um den Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer handelt. Er könne nicht als normaler Arbeitnehmer angesehen werden.114
45f
Ist das Bezugsrecht (uneingeschränkt) widerruflich, kann der Insolvenzverwalter des Arbeitgebers den Rückkaufswert auch dann zur Insolvenzmasse ziehen, wenn die zugrunde liegende Versorgungsanwartschaft bereits unverfallbar geworden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Beiträge aus dem Gehalt des Arbeitnehmers bezahlt worden sind.115 Um in diesem Fall als Insolvenzverwalter des Arbeitgebers den Rückkaufswert für die Masse beanspruchen zu können, ist sowohl das Bezugsrecht zu widerrufen als auch der Versicherungsvertrag zu kündigen.116 Ist der Versicherungsfall indes bereits eingetreten, erwirbt der Bezugsberechtigte den Anspruch auf die Versicherungssumme; das Widerrufsrecht ist vollständig entfallen und ermöglicht es nicht, den Rückkaufswert zur Masse zu beanspruchen.117 Anders verhält es sich, wenn der Versicherungsnehmer zeitlich nach der widerruflich getroffenen Bezugs104 BAG v. 31.7.2007 – 3 AZR 446/05, BAG v. 22.5.2007 – 3 AZR 334/06 (A), ZIP 2007, 1869 = ArbRB 2008, 4. 105 BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 334/06, ArbRB 2010, 370 = EWiR 2010, 767 (Klasen) = ZIP 2010, 1915 = ZInsO 2011, 185. 106 Einen guten Überblick über den Sach- und Streitstand der zahlreichen Urteile von BAG und BGH gibt LG Kleve v. 28.8.2012 – 6 S 187/10, ZIP 2012, 2028 ff. 107 BGH v. 6.6.2012 – IV ZA 23/11, NZI 2012, 762; Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 62 unter Hinweis auf BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 334/06, ZIP 2010, 1915 = ArbRB 2010, 370 = EWiR 2010, 767 (Klasen) (1919). Zur Notwendigkeit der Auslegung vgl. auch jüngst OLG Zweibrücken v. 24.1.2013 – 4 U 107/12, BeckRS 2013, 03731. 108 BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 f. = VersR 2014, 321. 109 AG Göttingen v. 9.3.2012 – 21 C 117/11, ZIP 2012, 2121. 110 LG Göttingen v. 25.2.2014 – 8 S 4/12, ZIP 2014, 1187. 111 AG Göttingen v. 9.3.2012 – 21 C 117/11, ZIP 2012, 2121. 112 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 = EWiR 2005, 801 (Blank/Petersen) = VersR 2005, 1134. 113 BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 f. = VersR 2014, 321. 114 OLG München v. 11.7.2008 – 25 U 2684/08, ZIP 2008, 1738 ff. = VersR 2009, 97. 115 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 264/01, VersR 2002, 1294 = ZIP 2002, 1696 = ZInsO 2002, 878 ff. 116 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 79/11, VersR 2012, 299 = ZIP 2012, 34 = NZI 2012, 76 ff. 117 BGH v. 18.2.2011 – 3 O 207/10, ZInsO 2011, 997 ff. Denkbar ist in diesem Fall ein die Anfechtung des Erwerbs des bezugsrechts, vgl. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 62b.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 46c § 10
rechtsbestimmung seine Ansprüche zur Sicherheit der Schuld eines Dritten abgetreten hat. Dann steht die Bezugsberechtigung auch in der Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls hinter den Rechten des Sicherungsnehmers.118 hh) Treuhandverhältnisse Mit Blick auf die Aussonderungskraft von Treuhandabreden ist zwischen der eigennützigen und uneigennützigen Treuhand differenzieren. Bei der uneigennützigen Treuhand (Verwaltungstreuhand) handelt der Treuhänder ausschließlich im Interesse des Treugebers, der sein Recht zur Verwahrung, Verwaltung oder Durchsetzung aufgrund des Treuhandvertrags auf den Treuhänder übertragen hat. Dabei wird dem Treuhänder zwar formal die volle Rechtsstellung eingeräumt, gleichzeitig muss er sich den Weisungen des Treugebers unterwerfen, weshalb der Treugeber jedenfalls aus wirtschaftlicher Sicht Berechtigter bleibt. Daher ist es nur konsequent, dass dem Treugeber für den Fall einer Insolvenz des Treuhänders ein an dem Treugut zusteht, da das Treugut haftungsrechtlich weiterhin dem Vermögen des Treugebers zuzurechnen ist.119 Der Treugeber kann mit anderen Worten jederzeit die Rückübertragung seiner dem Treuhänder übertragenen Rechte fordern.
46
Hinweis: Durch eine bloße schuldrechtliche Vereinbarung, dass der bisherige Volleigentümer sein Eigentum nunmehr im Interesse eines anderen (Treugeber) verwaltet, erwirbt dieser kein Aussonderungsrecht in der Insolvenz des Eigentümers (Treuhänders). Die Zuordnung zum Schuldnervermögen wird ausschließlich nach dinglichen Gesichtspunkten vorgenommen.120 Die Rechtsprechung ist hinsichtlich der Anforderungen in diesem Zusammenhang uneinheitlich. Überwiegend wird neben der Vermögenstrennung die Unmittelbarkeit gefordert.121 Teilweise lässt die Rechtsprechung Ausnahmen von dem Unmittelbarkeitsprinzip zu;122 teilweise wird alternativ die Offenkundigkeit als Kriterium herangezogen.123
46a
Umgekehrt kann sich der Treuhänder in der Insolvenz des Treugebers nicht auf seine dingliche Rechtsposition berufen, da das Treuhandverhältnis entsprechend §§ 115 Abs. 1, 116 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt (zu diesem Bestimmungen vgl. § 11 Rz. 273 ff.). In der Insolvenz des Treugebers gehört das Treugut zur Insolvenzmasse und kann vom Insolvenzverwalter des Treugebers herausverlangt werden, sofern kein Besitzrecht des Treuhänders mehr besteht.124
46b
Bei der eigennützigen Treuhand liegt die Treuhand vorwiegend im Interesse des Treuhänders. Er bezweckt mit der Treuhand regelmäßig die Absicherung einer Forderung gegenüber dem Treugeber (sog. Sicherungstreuhand). Den Hauptanwendungsfall bilden die Sicherungsübereignung und die Sicherungszession. Diese geben dem Treuhänder zwar formal die Stellung eines Eigentümers bzw. Rechts-
46c
118 BGH v. 27.10.2010 – IV ZR 22/09, ZIP 2011, 68 ff. Zur = EWiR 2011, 97 (Harter) = FamRZ 2011, 106 = VersR 2010, 1629 Anfechtbarkeit der Prämienzahlung auf Grundlage einer in der Abtretungsvereinbarung übernommenen Verpflichtung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Sicherungsnehmer vgl. BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 21/12, ZIP 2013, 223 = EWiR 2013, 247 (Henkel) = FamRZ 2013, 446 = VersR 2013, 466. 119 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1613 = EWiR 2003, 981 (Eckert), 1615; Lohmann in HK/ InsO, § 47 Rz. 22; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 45; differenzierend Fridgen, ZInsO 2004, 530 ff. Zur Aussonderung von Beträgen, die nach Kündigung des Treuhandvertrages auf das Treuhandkonto eingingen vgl. BGH v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, ZIP 2005, 1465 = EWiR 2005, 863 (Gundlach/Frenzel), 1467. 120 BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, EWiR 2004, 1099 (Neußner) = VersR 2004, 93 = ZIP 2003, 2307 = ZInsO 2003, 1096, 1099. 121 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 46. 122 BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, EWiR 2004, 1099 (Neußner) = VersR 2004, 93 = ZIP 2003, 2307 = ZInsO 2003, 1096, 1099. 123 BGH v. ZInsO 2007, 2173, 2178. 124 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 83.
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§ 10 Rz. 46c | Beratung des gesicherten Gläubigers inhabers, fungieren aber als Mobiliarsicherheiten. Auch hier gehört das Treugut bei Insolvenz des Treugebers in die Insolvenzmasse und kann nicht vom Treuhänder ausgesondert werden. Jedoch steht diesem ein Absonderungsrecht gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu.125 Fällt hingegen der Treuhänder in Insolvenz, so kann der Treugeber das Treugut aussondern, soweit er die im Rahmen des Treuhandverhältnisses abgesicherte Forderung des Treuhänders befriedigt oder diese nicht valutiert ist.126 47
47a
Handelt es sich bei dem Treugut um Gelder, so spricht man von einem Treuhandkonto. Dieses ist eine Schöpfung der Bankpraxis.127 Es handelt sich dabei um ein von einem Kreditinstitut eingerichtetes Konto, das dazu bestimmt ist, dass auf ihm Geldbeträge gutgeschrieben werden, die dem Kontoinhaber (Treuhänder) von Dritten (Treugeber) anvertraut werden.128 Das namensgebende Treuhandverhältnis besteht zwischen dem Kontoinhaber als Treuhänder und dem Dritten als Treugeber und nicht etwa zwischen dem Kontoinhaber und dem Kreditinstitut. Mögliche Aussonderungsrechte in der Insolvenz des Treuhänders stünden dem Treugeber zu. Die Bank ist nur insofern beteiligt, als dass sie mit der Kontoführung die banktechnischen Voraussetzungen dafür schafft, dass die überwiesenen Geldbeträge zum Treugut werden.129 Ein Treuhandkonto wird von der Rechtsprechung nur als solches anerkannt, wenn – das Konto ausschließlich für treuhänderisch anvertraute Gelder bestimmt ist und – der Treuhandcharakter offenkundig ist, er sich mithin schon aus der Kontobezeichnung ergibt.130 Letzteres hat die praktische Konsequenz, dass die Bank sodann auf ihr AGB-Pfandrecht verzichtet.131
47b
Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen an ein Treuhandkonto versteht sich eine Entscheidung des BGH.132 Streitbefangen war hier die Aussonderungsbefugnis an Treuhandgeldern, die der Treuhänder auf einem gemischten Konto verwahrte, d.h. einem Konto, auf dem sich auch eigene Gelder befanden. Der BGH versagte die Aussonderungskraft. Werde ein Treuhandkonto auch als Eigenkonto geführt, bestehe seitens des Treugebers nur ein schuldrechtlicher Anspruch gemäß den §§ 667 ff. BGB und kein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO.
47c
Werden Geldbeträge versehentlich noch nach Beendigung des Treuhandverhältnisses auf ein Treuhandkonto geleistet, so bleibt trotzdem ein Aussonderungsrecht aufgrund des Treuhandverhältnisses möglich. Vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarung bedeutet das Ende des Treuhandvertrages nicht ohne weiteres zugleich eine Beendigung der treuhänderischen Bindung für die Kontoforderung. Das Treuhandkonto ist vielmehr abzurechnen. Bis dahin hat der Treugeber ein Interesse an einer Fortdauer der Bindungswirkung und dem damit einhergehenden Schutz vor Zugriffen von Gläubigern des
125 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 27. 126 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 85. 127 Schimansky/Bunte/Lwowski/Hadding/Häuser, Bankrechtshandbuch, § 37 Rz. 1. Zum Mietkautionskonto im Allgemeinen vgl. BGH v. 13.12.2012 – IX ZR 9/12, EWiR 2013, 81 (Derleder) = MietRB 2013, 76 = ZIP 2013, 179 = NZI 2012, 158. 128 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 392. 129 Anders ist die Situation, wenn einem Kreditinstitut selbst als Treuhänder Geldbeträge überlassen worden sind. Dann bestehe – so das LG Berlin mit Urt. v. 2.6.2004 – 4 O 777/03, ZIP 2004, 2396 f. = EWiR 2004, 979 (Pannen) – selbst dann kein Aussonderungsrecht an einem Guthaben, wenn sich dieses auf einem Treuhandkonto befindet. 130 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1613, 1615; Obermüller, Handbuch Insolvenzrecht für die Kreditwirtschaft, Rz. 2.85; Pannen, LG Berlin v. 2.6.2004 – 4 O 777/03, EWiR 2004, 979, 980. 131 Pannen, LG Berlin v. 2.6.2004 – 4 O 777/03, EWiR 2004, 979 = ZIP 2004, 2396, 980. 132 BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, NZI 2011, 371 m. zust. Anm. Neußner, EWiR 2011, 605. Anderer Ansicht ist das OLG Frankfurt v. 1.3.2012 – 16 U 152/11, ZIP 2012, 1922 ff. = VersR 2011, 1062.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 48b § 10
Treuhänders, während dieser entsprechend zur Entgegennahme und Weiterleitung später eingehender Zahlungen an den Treugeber verpflichtet ist.133 Ein Rechtsanwalt ist ohne besondere Abrede mit dem Mandanten nicht verpflichtet, Forderungen des Mandanten auf ein Fremdgeldkonto einzuziehen. In der Insolvenz des Rechtsanwalts ist der Mandant in der Regel weder zur Aussonderung noch zur Ersatzaussonderung wegen einer vom Rechtsanwalt auf sein Geschäftskonto eingezogenen Forderung des Mandanten berechtigt. Es besteht lediglich ein Anspruch des Auftraggebers gegen den Beauftragten auf Herausgabe des durch die Einziehung Erlangten. Dieser Anspruch ist indes rein schuldrechtlicher Art. Er begründet kein Treuhandverhältnis und mithin auch kein Aussonderungsrecht.134
47d
Exkurs – Treuhandverhältnisse und Arbeitsrecht In diesen Kontext gehört ebenso eine Kontroverse zwischen BFH und BGH. Gegenstand dieser ist die Aussonderung des Arbeitnehmeranteils in der Insolvenz des Arbeitgebers. Der BGH hat am 13.4.2006 entschieden, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Abführung des Arbeitnehmeranteils weder den Sozialversicherungsträgern gegenüber noch dem einzelnen Arbeitnehmer gegenüber ein Treuhandverhältnis begründet. Der Arbeitgeber zahle die entsprechenden Beiträge aus eigenem Vermögen. Der BFH sieht das anders. Durch die Einführung des neuen § 28e SGB IV müssen die die Arbeitnehmerbeiträge zwar nunmehr kraft Fiktion als Vermögen des Arbeitnehmers angesehen und behandelt werden. Diese Fiktion begründet jedoch kein Aussonderungsrecht des Arbeitnehmers am Vermögen des Arbeitgebers, der den Gesamtsozialversicherungsbetrag zahlt.135
48
Ebenso wenig begründet die durch Entgeltumwandlung finanzierte Direktversicherung ein Treuhandverhältnis. Die Entgeltumwandlung i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG stellt kein treuhänderisches Geschäft i.S. oben genannter Kriterien dar.136 Es fehlt an der Unmittelbarkeit, denn aus dem Vermögen des Arbeitgebers stammen nur die Beiträge, nicht jedoch die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Versicherer. Es bleibt insoweit bei der angenommenen Notwendigkeit der Vereinbarung eines unwiderruflichen Bezugsrechts.
48a
Vom Arbeitgeber auf einem besonderen Konto für die Abgeltung von Arbeitszeitguthaben der Arbeitnehmer bereitgestellte Gelder unterliegen in der Insolvenz nicht der Aussonderung, wenn der Arbeitgeber selbst Inhaber des Kontos ist.137 Die Ansprüche gegenüber der kontoführenden Bank gehören in der Insolvenz des Arbeitgebers zur Insolvenzmasse. Die Forderungen rückständiger Arbeitsvergütung berechtigen als schuldrechtliche Verschaffungsansprüche (hierzu Rz. 81 ff.) nicht zur Aussonderung aus dem gesondert eingerichteten Konto. Anders wäre nur bei Vorliegen eines echten Treuhandverhältnisses zu entscheiden gewesen. Eine dingliche Ausgliederung der Arbeitsvergütung aus dem Vermögen des insolventen Arbeitgebers erfolgt durch die Einzahlung der Beträge auf ein dem Arbeitgeber zuzurechnendes Bankkonto gerade nicht.138 Alternativ zu dieser Absicherung eines Altersteilzeitguthabens durch ein echtes – zur Aussonderung berechtigendes – Treuhandverhältnis kann im Rahmen einer sog. Doppeltreuhand zugunsten der Arbeitnehmer eine Sicherungstreuhand vereinbart werden. Eine solche indes berechtigt nicht zur Aussonderung, sondern lediglich zur abgesonderten Befriedigung (§ 51 Nr. 1 InsO).139
48b
BGH v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, ZIP 2005, 1465 = EWiR 2005, 863 (Gundlach/Frenzel). LG Gießen v. 5.12.2011 – 1 S 345/11, ZIP 2012, 1725 ff. BGH v. 5.11.2009 – IX ZR 233/06, ZInsO 2009, 2293 ff. OLG Karlsruhe v. 18.1.2007 – 12 U 185/06, ZIP 2007, 286 = EWiR 2007, 405 (Schröder) = VersR 2007, 1111, 289. 137 BAG v. 24.9.2003 – 10 AZR 640/02 m. zust. Anm. Bezani/Richter, EWiR 2004, 391 f. = ArbRB 2004, 45 = ZIP 2004, 124. 138 Bezani/Richter, BAG v. 24.9.2003 – 10 AZR 640/02, EWiR 2004, 391 f. = ZIP 2004, 124 = ArbRB 2004, 45. 139 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, ZIP 2013, 2025 m. Anm. Mückl, EWiR 2013, 733. 133 134 135 136
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§ 10 Rz. 48c | Beratung des gesicherten Gläubigers 48c
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Hinweis: Arbeitnehmer sind gut beraten, sich über die rechtlichen Möglichkeiten der Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten zu unterrichten.140 Anerkannte und in Empfehlungen von Tarifvertragsparteien enthaltene Sicherungsmittel sind141: – Absicherung der Wertguthaben durch Bankbürgschaft, – Einrichtung eines Sperrkontos mit treuhänderischen Pfandrechten und – Hinterlegung der bereitgestellten Gelder bei einer Urlaubs- und Ausgleichskasse
Zusammenfassender Überblick – Aussonderung und Treuhandverhältnisse Zusammenfassend sind (mögliche) Aussonderungsberechtigte im Zusammenhang mit Treuhandverhältnissen gut beraten, folgende Gesichtspunkte in der Insolvenz zu beachten: – Vorliegen eines Treuhandverhältnisses – Art der Treuhand – eigennützige (echte) oder uneigennützige Treuhand – Abgrenzung zu bloßen schuldrechtlichen Vereinbarungen – Gemischte und eigene Konten bzw. reine Treuhandkonten
49a
Mischformen sind sog. doppelseitige Treuhandverhältnisse, bei denen der Treuhänder für mehrere Treugeber tätig wird.142 Eine solche Gestaltung wird in der Praxis insbesondere bei der Verwaltung und Verwertung von Sicherheiten gewählt, da der Treuhänder die Sicherheit sowohl für den Schuldner bzw. Sicherungsgeber als auch den Gläubiger bzw. Sicherungsnehmer verwaltet. In der Insolvenz des Sicherungsgebers erlischt der Verwaltungstreuhandauftrag. Das Treugut ist an den Insolvenzverwalter des Schuldners bzw. Sicherungsgebers für die Zwecke herauszugeben. Die Sicherungsnehmer können hiernach abgesonderte Befriedigung beanspruchen.143 Dies hat das BAG jüngst in dem erwähnten Urteil v. 18.7.2013 noch einmal klargestellt für die Absicherung eines Altersteilzeitguthabens im Rahmen einer sog. Doppeltreuhand, die zugunsten der Arbeitnehmer eine Sicherungstreuhand vorsah.144 ii) Leasing
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Mit dem Finanzierungsleasing hat sich ein neues und eigentümliches Kredit- und Kreditsicherungsgeschäft entwickelt, das sowohl kauf- als auch mietvertragliche Elemente in sich vereint. Der Leasingnehmer sucht das Leasinggut zumeist selbst beim Hersteller aus, der Leasinggeber erwirbt es und finanziert den Kaufpreis. Die Leasingraten, die der Leasingnehmer an den Leasinggeber zu zahlen hat, sind zum Teil als Entgelt für die Nutzungsüberlassung, zum Teil aber auch als Vergütung des Substanzwertes der Leasingsache anzusehen. Die Finanzierungs-, Anschaffungs- und Nebenkosten (zzgl. Gewinn und Zinsen) des Leasinggebers werden entweder vollständig durch die während der Grundmietzeit zu zahlenden Leasingraten (Vollamortisation) oder zusätzlich durch bei Vertragsbeendigung zu leistende Zahlungen (Teilamortisation) abgegolten.145 In dem praktisch bedeutsamsten Fall der Insolvenz des Leasingnehmers hat der Leasinggeber jedenfalls im Grundsatz ein Aussonderungsrecht.146 Dessen Durchsetzung entscheidet sich im Einzelnen nach dem Leasinggut. 140 Wahlig, DZWiR 2000, 370 ff.; Diller, NZA 1998, 792 ff. 141 Ausführlich zur Sicherung von Betriebsrenten im Allgemeinen und durch Contractual Trust Arrangements (CTA) im Allgemeinen vgl. Rolfs/Schmid, ZIP 2010, 701 ff. Ebenso hierzu Mückl, BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, EWiR 2013, 733. 142 Zur Rechtsnatur von Treuhandabreden und Abgrenzung zur doppelnützigen Treuhand (am Beispiel der Übernahme von Gesellschaftsanteilen) vgl. Undritz, ZIP 2012, 1153 ff. und Budde, ZInsO 2011, 1369 ff. 143 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 43. 144 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, ZIP 2013, 2025 m. Anm. Mückl, EWiR 2013, 733. 145 Zum Ganzen Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 220. 146 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 33.
770 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 56 § 10
(1) Leasing von Mobilien Auf das Finanzierungsleasing finden mietvertragliche Regelungen Anwendung.147 Das Gesetz geht in §§ 108, 109 InsO in der Insolvenz jedes Vertragspartners für den Miet- aber auch den Leasingvertrag vom Fortbestand des Schuldverhältnisses aus, sofern sich dieses auf einen unbeweglichen Gegenstand bezieht. Für solche Verträge über bewegliche Gegenstände entscheidet die Ausübung des Wahlrechts nach § 103 InsO über die Fortsetzung des Vertrags148 (zu diesem Wahlrecht vgl. § 11 Rz. 10 ff.).
51
Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung des Leasingvertrages, so kann er dem Aussonderungsanspruch des Leasinggebers ein Recht zum Besitz entgegenhalten, soweit der Leasingvertrag nicht bereits vor Insolvenzeröffnung gekündigt wurde und diese Kündigung nicht gegen § 112 InsO (vgl. Rz. 53) verstößt.149
52
In Korrelation dazu werden die Kündigungsmöglichkeiten des Leasinggebers in der Insolvenz des Leasingnehmers gem. § 112 InsO eingeschränkt150 (zur Kündigungssperre des § 112 InsO s. § 11 Rz. 250 ff.).
53
Fällt mithin der Leasingnehmer in Insolvenz, hat der Verwalter nach der Verfahrenseröffnung die Wahl, ob er den Vertrag erfüllen oder die weitere Erfüllung ablehnen will. Entscheidet sich der Verwalter für die Erfüllung, so obliegen ihm dieselben Pflichten und Rechte wie dem Mieter bzw. Leasingnehmer. Die Leasingraten bilden Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.151 Die rückständigen Leasingraten aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung begründen hingegen nur einfache Insolvenzforderungen.152
54
Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, wird der Leasinggeber hinsichtlich seiner Schadensersatzansprüche auf eine Insolvenzforderung entsprechend § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO verwiesen.153 Bezüglich des Leasinggegenstandes ist der Leasingnehmer bzw. inzwischen der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Mobilienleasingvertrags aufgrund der Eigentümerstellung des Leasinggebers zur Rückgabe des Leasinggegenstandes verpflichtet. Das bedeutet, der Leasinggeber kann nach dieser mietrechtlichen Konzeption als Eigentümer das Leasinggut im Insolvenzfall des Leasingnehmers entsprechend § 47 InsO aussondern.154
55
Insoweit wurden die Miet- und Pachtverhältnisse über bewegliche Sachen abweichend von dem bisherigen Recht grundsätzlich von der Regelung über das Fortbestehen von Dauerschuldverhältnissen nach § 108 Abs. 1 InsO ausgenommen. Der Insolvenzverwalter kann daher kein eigenes Verwertungsrecht und damit auch keine Kostenbeiträge nach den §§ 170, 171 InsO beanspruchen, da dem Leasinggeber ein Aus- und kein Absonderungsrecht zusteht. Zudem darf er seine Wahl zwischen Vertrags-
56
147 BGH v. 19.2.1986 – VIII ZR 91/85, WM 1986, 591 = CR 1986, 458 = EWiR 1986, 559 (Graf von Westphalen) = ZIP 1986, 716, 592; BGH v. 10.11.1993 – VIII ZR 119/92, WM 1994, 208 = CR 1994, 605 = EWiR 1994, 81 (Graf von Westphalen) = ZIP 1993, 1876; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 71. 148 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 228; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 122; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 19. 149 Zu den Risiken im Zusammenhang mit der Erfüllungswahl bei Aussonderungsgut vgl. BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, EWiR 2014, 389 (Dahl/Schmitz) = StBW 2014, 318 = ZIP 2014, 736 im Fall eines Konsignationslagervertrages. 150 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 76 ff. 151 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 229; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 22; Engel/Völkers, Leasing in der Insolvenz, Rz. 307. 152 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 229. 153 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 122; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 20; Engel/ Völkers, Leasing in der Insolvenz, Rz. 308. 154 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 230; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 122.
Drees/Schmidt | 771
§ 10 Rz. 56 | Beratung des gesicherten Gläubigers erfüllung und deren Ablehnung nicht wie beim Eigentumsvorbehaltskauf bis zum Berichtstermin hinauszögern (§ 107 Abs. 2 InsO), sondern muss diese unverzüglich treffen.155 57
Im Falle der Insolvenz des Leasinggebers besteht der Leasingvertrag nicht ohne weiteres fort. Auch hier steht dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des Leasinggebers ein Wahlrecht nach § 103 InsO hinsichtlich des Fortbestehens des Leasingvertrags aufgrund seiner Erfüllungswahl bzw. der Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Ablehnung der Erfüllung zu. Lehnt der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung gem. § 103 Abs. 2 InsO ab, kann er das Leasinggut nach erfolgter Vertragsbeendigung aussondern.156 Beabsichtigt der Verwalter hingegen, weiterhin die Leasingraten zu vereinnahmen, so wird er die Vertragserfüllung wählen mit der Folge, dass der Leasinggegenstand bei dem Leasingnehmer verbleibt.
58
Wurde das Leasinggut refinanziert, wird die refinanzierende Bank die Refinanzierung in der Regel nur unter gleichzeitiger Sicherungsabtretung der Ansprüche gegen den Leasingnehmer und Sicherungsübereignung des Leasinggutes vornehmen, womit die refinanzierende Bank Sicherungseigentümerin des Leasingguts wird.157 Ist dies der Fall, so ist zu beachten, dass die Leasingverträge dann ausnahmsweise gem. § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO insolvenzfest sind und trotz Eröffnung des Verfahrens fortbestehen.158 Dem Verwalter steht sodann das Recht zur Erfüllungswahl nach § 103 InsO nicht zu. Die refinanzierende Bank ist in diesen Fällen aufgrund der Vereinbarung mit dem Leasinggeber Sicherungseigentümerin des Leasingguts und Sicherungszessionarin der abgetretenen Forderungen gegen den Leasingnehmer geworden und damit zur abgesonderten Befriedigung berechtigt.159 Wird der Kredit daher nicht mehr ordnungsgemäß bedient oder endet der Vertrag aus sonstigen Gründen, steht ihr gem. § 51 Abs. 1 InsO ein Absonderungsrecht zu.
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Bei dem kurzfristigen Operating-Leasing von Investitionsgütern handelt es sich um einen normalen Miet- bzw. Pachtvertrag über bewegliche Sachen.160 Dem Insolvenzverwalter kommt daher in der Insolvenz des Leasingnehmers mangels Sonderregelung das Wahlrecht nach § 103 InsO zu. Die Rechtsfolgen entsprechen den für das Finanzierungsleasing bei Erfüllungswahl und -ablehnung beschriebenen Rechtsfolgen (Rz. 52 ff.).161 (2) Leasing von Immobilien
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Für das Leasing von Immobilien gilt es zu unterscheiden, ob das Leasinggut dem Leasingnehmer im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits überlassen war, oder ob es sich noch im Besitz des Leasinggebers befindet (zum Immobilienleasing s. auch § 11 Rz. 189).
61
War die Immobilie dem Leasingnehmer im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht überlassen, können sowohl der Leasinggeber als auch der Insolvenzverwalter entsprechend § 109 Abs. 2 Satz 1
155 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 81. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 232 verweist darauf, dass die Nichtanwendung der aus der faktischen Ausübungssperre (§ 107 Abs. 2 InsO) resultierenden Überlegungsfrist des Insolvenzverwalters nicht zwingend sei; jedenfalls sei die Schwierigkeit der Entscheidung, ob der Betrieb des Schuldners fortgeführt werden soll und ob die weitere Nutzung des Leasingguts hierfür erforderlich ist, bei der Auslegung des Merkmals „unverzüglich“ (§ 103 Abs. 2 S. 2 InsO) zu berücksichtigen. 156 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 124; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 247. 157 Zum Refinanzierungsregister und den hiermit verbundenen Fragen zur Aussonderung Obermüller, ZInsO 2005, 1079 ff. m. zahlr. w.N. 158 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 124; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 248; vgl. hierzu näher Huth, Kreditsicherungsrecht, S. 254 ff. 159 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 124; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 250. 160 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 69. 161 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 121.
772 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 64 § 10
InsO vom Vertrag zurücktreten.162 Für den Fall des Rücktritts seitens des Verwalters kann der Leasinggeber wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertrags als Insolvenzgläubiger Schadensersatz nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO verlangen.163 Soweit es sich um einen Leasingvertrag über unbewegliche Gegenstände handelt und das Leasinggut dem Leasingnehmer bereits überlassen wurde, besteht der Leasingvertrag unberührt von der Verfahrenseröffnung fort (§ 108 InsO).164 An die Stelle des Wahlrechts nach § 103 InsO tritt das gesondert geregelte Kündigungsrecht des § 109 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter kann das Mietverhältnis danach ohne Rücksichtnahme auf die vertraglichen Fristen allein entsprechend der gesetzlichen Kündigungsfristen kündigen (§ 109 Abs. 1 InsO). Kündigt er das Leasingverhältnis, so ist der Leasinggeber wegen der auf der verfrühten Vertragsauflösung beruhenden Nachteile nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO auf eine Insolvenzforderung verwiesen. Hinsichtlich seines Leasinggegenstandes steht ihm als Eigentümer wiederum ein Aussonderungsrecht zu.165 Solange der Verwalter die Pflichten aus dem Leasingvertrag erfüllt, steht dem Leasinggeber ein eigenes Kündigungsrecht nicht zu.166 Die vor der Verfahrenseröffnung entstandenen Leasingforderungen kann der Leasinggeber lediglich als Insolvenzforderungen, die während des Verfahrens bis zur Beendigung des Vertrags entstehenden Raten dagegen als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO beanspruchen.167
62
jj) Inhaberschaft von Forderungen Auch der Inhaber einer Forderung kann als dinglich Berechtigter die Aussonderung betreiben, sofern der Insolvenzverwalter die Forderung zur Insolvenzmasse beansprucht.168 Wurde die Forderung allerdings nur zur Sicherheit abgetreten (Sicherungsabtretung), ist der Forderungsinhaber ausnahmsweise nur zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, § 51 Nr. 1 Alt. 2 InsO. Denn die Übertragung der Forderung erfolgt allein zu Sicherungszwecken, sie ist treuhänderisch gebunden und soll nach dem Willen der Parteien zurückübertragen werden, sobald der Sicherungszweck entfällt. Hier manifestiert sich die insolvenzrechtliche Parallelität zum (Sicherungs-)Eigentum, und letztlich die Maßgeblichkeit der haftungsrechtlichen Zuordnung für die Unterscheidung von Aus- und Absonderungsbegehren.
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kk) Factoring Das Factoring ist eine Finanzierungsform, die auf dem Verkauf und der Abtretung von Forderungen beruht. Im Rahmen des Factoringgeschäfts tritt ein Gläubiger – der Anschlusskunde – seine Forderungen, die ihm aus Warenlieferungen oder Dienstleistungen gegenüber seinen Abnehmern – den Debitoren – zustehen, an den Factor – meist auf kaufrechtlicher Basis – ab. Dieser schreibt dem Anschlusskunden den Gegenwert abzgl. Gebühren und Zinsen gut und stellt diesen dem Anschlusskunden als Vorschuss zur sofortigen Verfügung. Nach Eintritt der Fälligkeit zieht der Factor sodann die beim Anschlusskunden gekaufte und bereits „bezahlte“ Forderung bei dessen Schuldner, dem Debitor, ein. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht handelt es sich mithin um eine Art Absatzfinanzierung zur Schaffung von Liquidität durch die Umwandlung der Forderungen in bares Geld bzw. Kontoguthaben.169 Die in den Forderungen gebundenen Mittel können dadurch bereits vor dem Fälligkeitszeitpunkt freigesetzt werden, der sog. Kapitalfreisetzungseffekt des Factorings. 162 163 164 165 166 167
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 123. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 235. Brinkmann in Uhlenbruck InsO, § 47 Rz. 123; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 236. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 123; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 236. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 237. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 236; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 84. 168 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 22; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 47 Rz. 44e. 169 Busche in Staudinger, BGB, Vor §§ 398 ff. Rz. 162; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 69.
Drees/Schmidt | 773
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§ 10 Rz. 65 | Beratung des gesicherten Gläubigers 65
Gemeinhin wird zwischen dem – echten und – unechten Factoring unterschieden.170 Während der Zedent beim echten Factoring nur für den rechtlichen Bestand der Forderung, die Abtretbarkeit sowie die Freiheit von Einreden und Einwendungen der finanzierten Forderung haftet (Verität), besteht beim unechten Factoring auch eine Bonitätshaftung des Zedenten für die vorfinanzierten Forderungen, so dass dem Anschlusskunden beim unechten Factoring das Ausfallrisiko (Delkredererisiko) verbleibt. Dennoch vergütet der Factor auch beim unechten Factoring die Kundenforderungen sofort, womit auch das unechte Factoring der Beschaffung von Liquidität dient. Ihm steht hinsichtlich des Ausfalls lediglich ein Rückbelastungsrecht gegenüber dem Anschlusskunden zu. Trotz des Rückbelastungsrechts ist aber auch das unechte Factoring als Kreditgeschäft verbunden mit einer Kreditsicherheit anzusehen, da die Abtretung der Forderungen quasi im Rahmen eines atypischen Darlehensvertrags als Sicherheit erfüllungshalber geschieht. Falls es bei den Kundenforderungen zu Ausfällen kommt, kann der Factor diese im Hinblick auf den von ihm gezahlten „Kaufpreis“, die Kreditsumme, zurückbelasten.
66
Die InsO sieht keine speziellen Regelungen für das Factoringgeschäft vor. Die insolvenzrechtliche Behandlung folgt daher der zivilrechtlichen Qualifikation der zugrunde liegenden Verträge.171
67
Der Factoringvertrag wird allgemein als ein gemischttypischer Vertrag mit Elementen einer Geschäftsbesorgung angesehen. Nach den §§ 116 ff. InsO i.V.m. § 115 InsO enden Geschäftsbesorgungsverträge, in denen der Schuldner der Berechtigte ist, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Insolvenz des Anschlusskunden führt daher zum Erlöschen des Factoringvertrags.172 Dabei hat die Beendigung eines unechten Factoringvertrags keinen Einfluss auf die Delkrederehaftung, da diese nicht auf dem Factoringvertrag beruht, sondern Inhalt des Factoring-Kausalgeschäfts ist.173
68
Das der Factoringzession zugrunde liegende Kausalgeschäft ist zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung sowohl beim echten als auch beim unechten Factoring bereits beiderseits vollständig erfüllt. Der Anschlusskunde hat die Forderung bereits an den Factor abgetreten und der Factor hat durch die Gutschrift des Gegenwertes für die Forderung ebenfalls bereits seine Vertragspflicht erfüllt. Dadurch wurde der von den Parteien erwünschte Leistungserfolg, nämlich die Vorfinanzierung, herbeigeführt.174 Die weiteren Pflichten des Factors wie die Forderungseinziehung beim Debitor im Rahmen des unechten Factorings oder die Auskehrung eines eventuellen Sicherungseinbehalts stellen lediglich nachvertragliche Pflichten des Factors dar, die aber nicht mehr auf die Herbeiführung des Leistungserfolges gerichtet sind. Damit scheidet das Wahlrecht des Verwalters nach § 103 InsO für die einzelnen Factoringgeschäfte aus. Sie sind als bereits vollständig erfüllt anzusehen.175
69
Forderungen, die dem Factor vor der Verfahrenseröffnung auf der Basis echten Factorings abgetreten wurden und für die seitens des Factors dem Anschlusskunden im Gegenzug bereits eine vorbehaltlose Gutschrift erteilt wurde, kann der Factor im Falle einer Insolvenz des Anschlusskunden aufgrund seiner Stellung als Vollrechtsinhaber nach § 47 InsO aussondern.176
170 Grüneberg in Palandt, § 398 Rz. 38 ff.; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 75; Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 23. 171 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 261; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 70. 172 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 262. 173 Uhlenbruck in Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 23 Rz. 20b; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 74. 174 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 264; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 77. 175 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 264; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 77. 176 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 51; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 265; Beck, KTS 2008, 121, 125 f. m. zahlr. w. N.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 77 § 10
Im Rahmen des unechten Factorings wird dem Factor aufgrund des Sicherungscharakters der Abtretung nur ein Absonderungsrecht zugebilligt.177
70
Hinweis: Der Factor wird mithin als lediglich zur Absonderung berechtigter Gläubiger den Abzug der Verwertungsund Feststellungskosten aus den §§ 170, 171 InsO (hierzu unten Rz. 317 ff.) dulden.
71
Voraussetzung für die Insolvenzfestigkeit der Ansprüche des Factors ist, dass das zugrunde liegende Deckungsgeschäft zwischen Anschlusskunden und Debitor im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits vollständig erfüllt war. Ist das nämlich nicht der Fall, erlöschen die beiderseitigen Erfüllungsansprüche aus dem Vertrag zwischen dem Anschlusskunden und dem Debitor durch die Verfahrenseröffnung gem. § 103 Abs. 1 InsO, wodurch mittelbar auch die abgeleiteten Rechte aus der Abtretung untergehen. Selbst wenn sich der Verwalter im Fortgang für die Erfüllungswahl entscheiden würde, könnte der Factor wegen § 91 Abs. 1 InsO die neu begründete Forderung gegen den Debitor nicht erwerben.178 Dies gilt entsprechend für alle bereits vorausabgetretenen Forderungen, die erst nach dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zur Entstehung gelangen.
72
Des Weiteren ist das echte Factoring auch hinsichtlich einer eventuellen Kollision mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt „insolvenzfest“, da die Grundsätze, die für die Kollision eines verlängerten Eigentumsvorbehalts mit einer globalen Sicherungszession an einen Geldkreditgeber entwickelt wurden, auf das echte Factoring keine Anwendung finden.179 Es gilt das Prioritätsprinzip.180 Denn im Falle eines zeitlichen Vorrangs der Factoring-Globalzession nimmt der Gläubiger die Stellung ein wie bei einer – erlaubten – Weiterveräußerung der Vorbehaltsware gegen Barzahlung. Erfolgt die Abtretung an den Factor nach Vereinbarung des verlängerten Eigentumsvorbehalts, wird die Abtretung regelmäßig von der Einziehungsermächtigung gedeckt sein, die der Vorbehaltsverkäufer dem Schuldner erteilt hat, so dass sich auch bei dieser zeitlichen Abfolge keine Kollisionslage ergibt.181
73
Schwieriger ist es, das Konkurrenzverhältnis einer Factoring-Globalzession zu einem verlängerten Eigentumsvorbehalt im Rahmen unechten Factorings zu bestimmen. Der BGH schreibt dem unechten Factoring vorwiegend Sicherungsfunktion zu und wendet deswegen auf diesen Kollisionsfall auch die Vertragsbruchtheorie an.182
74
Einstweilen frei.
75–76
Das Factoring als „Kreditsicherungsalternative“ ist auch weitgehend anfechtungsfest. In der Regel liegt ein Bargeschäft gem. § 142 InsO vor, welches grundsätzlich nicht der Anfechtung unterliegt. Da der Anschlusskunde im Rahmen des Forderungsverkaufs für seine Leistung eine wertäquivalente Gegenleistung erhält, bleibt eine Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich außer Betracht. Eine Anfechtung von Factoringgeschäften kann deswegen nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO und erkannter Unlauterkeit des Schuldnerhandelns erfolgen. Der Anschlusskunde müsste demnach in der dem Factor bekannten Absicht gehandelt haben, den Factoringerlös dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen (zu den Voraussetzungen eines Bargeschäfts und einer Absichtsanfechtung s. § 13 Rz. 283 ff. und § 13 Rz. 168 ff.).
177 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 51; Hess, InsO, 1995, § 47 Rz. 140 f.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 36, § 51 Rz. 58. 178 Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 84; Zeuner in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 116 Rz. 36 ff. 179 BGH v. 19.9.1977 – VIII ZR 169/76, BGHZ 69, 254, 258; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 98. 180 Thole in K. Schmidt, InsO, § 47 Rz. 79. 181 BGH v. 7.6.1978 – VIII ZR 80/77, BGHZ 72, 15, 19 ff.; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 187. 182 BGH v. 14.10.1981 – VIII ZR 149/80, BGHZ 82, 50 = ZIP 1981, 1313, 64 f. Kritisch Thole in K. Schmidt, InsO, § 47 Rz. 79.
Drees/Schmidt | 775
77
§ 10 Rz. 78 | Beratung des gesicherten Gläubigers 78
In der Insolvenz des Factors erlischt der Factoringvertrag anders als bei der Insolvenz des Anschlusskunden nicht, da die §§ 115, 116 InsO nur auf die Insolvenz des Auftraggebers bzw. des Berechtigten Anwendung finden. Dem Verwalter steht daher hinsichtlich des Factoringvertrags das Wahlrecht nach § 103 InsO zu.183 Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, ist der Schadensersatzanspruch des Anschlusskunden als einfache Insolvenzforderung anzusehen.
79
Bezüglich der einzelnen Factoringgeschäfte kommt es zunächst darauf an, ob diese bereits voll abgewickelt sind. Ist dies der Fall, berührt der Eintritt der Insolvenz das einzelne Factoringgeschäft im Rahmen echten Factorings nicht mehr. Hingegen kann der Anschlusskunde im Rahmen des unechten Factorings gegen Rückzahlung des bereits für die abgetretene Forderung erhaltenen Vorschusses an die Insolvenzmasse die abgetretene Forderung in der Factorinsolvenz aussondern.184 Ist das einzelne Factoringgeschäft noch nicht voll abgewickelt, kann der Verwalter die Forderungen, die dem Factor bereits abgetreten und von diesem auch bezahlt wurden, zur Masse einziehen. Da das Kausalgeschäft insoweit bereits erfüllt ist, findet § 103 InsO keine Anwendung.185 Beim unechten Factoring kann der Anschlusskunde den Insolvenzverwalter hingegen mit der Aussonderung an der Einziehung hindern bzw. die sodann durch den Verwalter eingezogene Forderung ersatzaussondern.186
80
Überblick – Dingliche Aussonderungsrechte – Eigentumsrechte (insbesondere Vorbehaltseigentum) – Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB) – Erbbaurecht (§§ 1012 ff. BGB) – Grunddienstbarkeiten (§§ 1018 ff. BGB) – Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB) – Grundpfandrechte sowie Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten – Besitz – Immaterialgüterrechte – Treuhandverhältnisse – Leasing – Inhaberschaft von Forderungen und Factoring
c) Persönliche Aussonderungsrechte 81
Persönliche, sprich schuldrechtliche Ansprüche verhelfen dem Berechtigten nur dann zu einem Aussonderungsrecht, wenn sie auf Herausgabe eines dem Schuldner nicht gehörenden Gegenstandes gerichtet sind, wobei der Berechtigte nicht zugleich auch dinglich Berechtigter sein muss. Entscheidend ist, dass der schuldrechtliche Herausgabeanspruch darauf beruht, dass die Sache nicht zur Masse gehört.187 Persönliche Aussonderungsrechte spielen vor allem dann eine Rolle, wenn der Gläubiger auf diese persönlichen Forderungen beschränkt ist, wie etwa im Fall der Vermietung einer fremden Sache. Ist der Gläubiger zugleich dinglich Berechtigter, so hat er die Wahl zwischen persönlichen und ding-
183 184 185 186 187
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 54; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 274 m.w.N. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 275. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 276. Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 277. BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 73/10, ZIP 2011, 626, 627; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 95 = EWiR 2011, 355 (Vogel), 96; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 61.
776 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 82 § 10
lichen Aussonderungsrechten und es besteht freie Anspruchskonkurrenz. In Betracht kommen hier die Herausgabeansprüche des – Vermieters (§ 546 Abs. 1 BGB),188 – Verpächters (§ 596 Abs. 1 BGB), – Verleihers (§ 604 Abs. 1 BGB), – Auftraggebers (bezüglich überlassener Gegenstände, § 667 Alt. 1 BGB), – Hinterlegers (§ 695 BGB)189 und – Kommissionärs (§ 392 Abs. 2 HGB) Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Maßgeblich ist vielmehr die Anforderung des BGH, wonach eine schuldrechtliche Abrede zu einer von der dinglichen Rechtsordnung abweichenden Vermögenszuweisung führen kann und dies für die Begründung der Aussonderungskraft im Einzelfall auch tun muss.190 Vor diesem Hintergrund können Aussonderungsansprüche beispielsweise auch in einem Bauvertrag erkannt werden. Ist etwa der Auftraggeber eines Bauvertrages verpflichtet, nach einem fehlgeschlagenen Sicherheitentausch eine als Austauschsicherheit gestellte Gewährleistungsbürgschaft an den Auftragnehmer zurückzugewähren, kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Auftraggebers der Auftragnehmer die Bürgschaftsurkunde heraus verlangen.191 In der Praxis sehr häufig sind sog. Konsignationslagerverträge. Bei einem solchen lagert der Lieferant beim Kunden Ware ein. Regelmäßig ist der Lieferant aufgrund des einfachen Eigentumsvorbehalts zur Aussonderung berechtigt und damit gesichert. Denkbar ist indes auch, dass neben diese dingliche Rechtsposition eine Aussonderungsberechtigung aufgrund des zugrunde liegenden Schuldverhältnisses tritt.192
81a
Wie ausgeführt kann beispielsweise der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses in der Insolvenz des Mieters seinen Rückgabeanspruch als Aussonderungsrecht geltend machen.193 Er richtet sich indes nur dann gegen den Insolvenzverwalter, wenn dieser den Mietgegenstand in Besitz genommen oder daran für die Masse ein Recht beansprucht. Ein über den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB hinausgehender – d.h. nicht bloß auf Verschaffung unmittelbaren Besitzes zielender – Räumungsanspruch ist eine Insolvenzforderung; gleiches gilt für bis zur Insolvenzeröffnung entstandenen Räumungskosten.
81b
Steht dem Aussonderungsberechtigten neben dem obligatorischen Recht auch ein dingliches Recht zu, kann er sich sowohl auf den schuldrechtlichen als auch den dinglich begründeten Anspruch stützen.
81c
In dem praktisch seltenen Fall der Insolvenz des Wertpapierverwahrers geben die persönlichen Ansprüche des Hinterlegers diesem sowohl bei der Sonderverwahrung nach § 2 DepotG als auch bei der Sammelverwahrung nach § 5 DepotG ein Aussonderungsrecht.194
82
188 BGH v. 7.7.2010 – XII ZR 158/09, ZIP 2010, 2410 = ZInsO 2010, 1452, 1453; BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, OVG NW v. 29.6.2001 – 5 B 832/01, NJW 2001, 2986 = EWiR 2002, 395 (Flitsch/Herbst) = ZIP 2001, 1469, 2968; keine Aussonderungskraft hat hingegen der Anspruch auf Rückforderung der nicht separierten Mietkaution, vgl. BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, EWiR 2008, 209 (Eckert) = MietRB 2008, 115 = ZIP 2008, 469 = ZInsO 2008, 2064. 189 Vgl. auch Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 95, 96 f.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 67. 190 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613 = EWiR 2003, 1191 (Gundlach/Frenzel). 191 BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 73/10, ZIP 2011, 626 = EWiR 2011, 355 (Vogel). 192 Vgl. zum Konsignationslagervertrag jüngst BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, EWiR 2014, 389 (Dahl/ Schmitz) = StBW 2014, 318 = ZIP 2014, 736. 193 BGH v. 7.7.2010 – XII ZR 158/09, ZIP 2010, 2410. 194 S. hierzu Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 119.
Drees/Schmidt | 777
§ 10 Rz. 83 | Beratung des gesicherten Gläubigers 83
Das Aussonderungsrecht des Kommittenten gem. § 392 Abs. 2 HGB besteht unmittelbar nur dann, wenn der Kommissionär das Kommissionsgut noch nicht übereignet hat. Nach erfolgter Übereignung kann das Kommissiongut nicht mehr ausgesondert werden und es stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB dem Kommittenten ein Aussonderungsrecht an der noch offenen Kaufpreisforderung oder an dem Surrogat der bereits eingezogenen Forderung verschafft. Lediglich ein Teil des Schrifttums bejaht dies.195 Die h.M. lehnt in Wahrung des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes eine Verdinglichung des Surrogats ohne ausdrückliche gesetzgeberische Vorgabe ab.196
83a
Hinweis: Oftmals kann diese Streitfrage dahinstehen. Denn selbst bei entsprechender Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB scheitern Ansprüche auf Aus- bzw. Ersatzabsonderung daran, dass das Aussonderungsgut bzw. das Surrogat regelmäßig nicht mehr unterscheidbar im Schuldnervermögen vorhanden ist.197 Eine Aussonderung wegen eines bloßen Geldsummenanspruchs kennt die Rechtsordnung nicht.198
84
Persönliche Ansprüche, die nur auf Verschaffung des Aussonderungsgutes gerichtet sind (sog. Verschaffungsansprüche), begründen kein Aussonderungsrecht.199 Zu den bloßen Verschaffungsansprüchen gehören beispielhaft – Ansprüche auf Erfüllung schuldrechtlicher Verträge, – Herausgabeanspruch gem. § 285 Abs. 1 BGB, – Bereicherungsansprüche, – Rückgewähransprüche aufgrund Rücktritts200 und – Wertersatzansprüche aufgrund Insolvenzanfechtung gem. §§ 143 Abs. 1 Satz 2, 129 ff. InsO.201
85
Der Verschaffungsanspruch führt auch dann nicht zu einem Aussonderungsrecht, wenn er als Herausgabeanspruch formuliert ist, letztlich aber nicht auf der Massefremdheit des Leistungsgegenstandes beruht.
86
Auch die Anfechtung von Rechtsgeschäften nach den §§ 119 ff. BGB bzw. die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften aufgrund der §§ 134, 138 BGB begründen kein Aussonderungsrecht, es sei denn, die Anfechtung oder Nichtigkeit erfasst zugleich das dingliche Rechtsgeschäft.202
87
Der auf einer Insolvenzanfechtung beruhende Rückgewähranspruch des Anfechtungsgläubigers nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt in der Insolvenz des Anfechtungsgegners zur Aussonderung, soweit der Anspruch auf Rückgewähr des Vermögensgegenstandes gerichtet ist.203 Gleiches gilt für den 195 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 289. Dagegen OLG Hamm v. 7.10.2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 m. krit. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2004, 75 f. 196 BGH v. 26.11.1973 – II ZR 117/72, NJW 1974, 456, 457; BGH v. 26.9.1980 – I ZR 119/78, NJW 1981, 918, 919; OLG Hamm v. 7.10.2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 m. krit. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2004, 75 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 101; Lohmann in HK/InsO, § 47 Rz. 17 ff. 197 Lesenswert zu dieser Problematik das Urteil des OLG Köln v. 25.8.2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151, 152 zu den Rechtsfolgen der Insolvenz eines Versteigerers. 198 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, EWiR 2003, 981 (Eckert) = ZIP 2003, 1404 = NZI 2003, 549, 550. 199 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 60; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 95, 97. 200 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 69. 201 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 228/02, NZI 2003, 537; zu den hierzu vertretenen Theorien über die Rechtsnatur des Anfechtungsanspruchs (schuldrechtlich/dinglich) vgl. Haas/Müller, ZIP 2003, 49 = BauRB 2003, 240 = EWiR 2004, 347 (Haas/Müller) = ProzRB 2003, 355, 50. 202 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 63; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 7. 203 BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, EWiR 2004, 1099 (Neußner) = VersR 2004, 93 = ZIP 2003, 2307 = NZI 2004, 78; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 346.
778 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 91 § 10
Anspruch aus § 11 Abs. 1 Satz 1 AnfG. Dem auf Geld gerichteten Wertersatzanspruch (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO bzw. § 11 Abs. 1 Satz 2 AnfG) kommt eine solche Aussonderungskraft hingegen nicht zu. In diesem Fall ist der Anfechtungsanspruch als Insolvenzforderung zu verfolgen.204 Überblick – Aussonderungsrechte
88
Dingliche Aussonderungsrechte – Eigentumsrechte und Vorbehaltseigentum aus einfachem Eigentumsvorbehalt (nicht: Sicherungseigentum) – Beschränkt dingliche Rechte (Nießbrauch, Erbbaurecht, Grunddienstbarkeit, dingliches Vorkaufsrecht) – Besitz – Immaterialgüterrechte (Urheberrechte, Lizenzen, allgemeines Persönlichkeitsrecht) – Treuhandverhältnisse (insbesondere das Aussonderungsrecht des Treuhänders) – Leasing – Inhaberschaft von Forderungen und Factoring Persönliche Aussonderungsrechte – Herausgabeansprüche des Vermieters, Verpächters, Sicherungsgebers etc.
3. Realisierung der Aussonderungsrechte Unter Aussonderung versteht man die Geltendmachung der Nichtzugehörigkeit eines Gegenstandes zur Insolvenzmasse aufgrund eines daran bestehenden dinglichen oder persönlichen Rechts. Mit dem Begehren auf Aussonderung beansprucht ein Dritter, dass ihm ein persönliches oder dingliches Recht an einem Gegenstand zusteht und dieser deshalb nicht Bestandteil der Insolvenzmasse ist. Inhaber von Aussonderungsrechten können diese im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners in gleicher Weise geltend machen wie außerhalb des Insolvenzverfahrens. Ob und in welcher Höhe der Gläubiger gegen den Insolvenzschuldner eine offene Forderung hat, spielt für die Geltendmachung eines Aussonderungsrechts keine Rolle.
89
a) Vor und während der Krise Vor Eintritt der Krise bzw. während der Krise kann der Aussonderungsberechtigte die seinem dinglichen oder persönlichen Recht zu entnehmenden Ansprüche entsprechend den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen ohne insolvenzbezogene Einschränkungen gegenüber dem späteren Insolvenzschuldner geltend machen.
90
Aufgrund der möglicherweise mit Eröffnung des Verfahrens eintretenden Kündigungssperre nach § 112 InsO sollte sich der aussonderungsberechtigte Vermieter bzw. Verpächter oder Leasinggeber jedoch überlegen, ob er nicht, soweit eine Verbesserung der Vermögenslage nicht ersichtlich scheint, bereits während der Krise das Dauerschuldverhältnis im Falle des Zahlungsverzuges des späteren Insolvenzschuldners kündigt. Gemäß § 112 InsO werden die vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters oder Verpächters bzw. Leasinggebers nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in zweifacher Hinsicht beschränkt.
91
204 Diese Frage lässt der BGH offen, zuletzt BGH v. 27.4.2017 – IX ZR 198/16, ECLI:DE:BGH:2017:2704 17UIXZR198.16.0, ZIP 2017, 1336 = NZI 2017, 712 Rz. 16.
Drees/Schmidt | 779
§ 10 Rz. 92 | Beratung des gesicherten Gläubigers 92
Eine Kündigung wegen Verzugs mit der Zinsentrichtung ist insoweit unzulässig, als dieser Verzug bereits in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, die Kündigung aber bis zum Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht ausgesprochen wurde. Nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ebenfalls eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse nicht mehr zulässig.
93
Dabei erfasst die Kündigungssperre nach § 112 InsO nur Gestaltungserklärungen, die nach dem Antrag auf Verfahrenseröffnung zugehen. Hingegen ist eine Rückwirkung der Kündigungssperre auf bereits vor dem Eröffnungsantrag erklärte Kündigungen nicht gegeben.205 Das gilt auch für fristgerechte Kündigungen, soweit die Kündigungsfrist über den Zeitpunkt des Eröffnungsantrags oder der Verfahrenseröffnung hinausgeht. Damit bleibt die vor dem Eröffnungsantrag wegen Zahlungsverzugs erklärte Kündigung wirksam. Die Rückgabeansprüche des Vermieters aufgrund einer vor Verfahrensantrag erklärten Kündigung werden von der Kündigungssperre nicht berührt. Der Verwalter kann die Räumung oder Entfernung der Mietsache und damit die Geltendmachung des Aussonderungsrechts des Vermieters, Verpächters oder auch Leasinggebers auch nicht durch eine nachträgliche Begleichung des rückständigen Mietzinses abwenden.206 Anders nur bei Wohnraummietverhältnissen, da der Verwalter dann gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch die nachträgliche Zahlung der Kündigung die Wirksamkeit nehmen kann (zur Kündigungssperre vgl. auch § 11 Rz. 250 ff.).
94
Hinweis: Will der Vermieter sein Aussonderungsrecht für den Fall der Insolvenz sichern, muss er die Kündigung noch vor dem Antrag auf Verfahrenseröffnung aussprechen.
b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren 95
Dem vorläufigen Insolvenzverwalter obliegt zum einen die Pflicht zur Sicherung und Erhaltung der Insolvenzmasse (u.a. § 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO), zum anderen die Pflicht zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Nur in Ausnahmefällen ist es dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichts erlaubt, zur Abwendung erheblichen Schadens ein Unternehmen stillzulegen.
96
Im Rahmen seiner Fortführungspflicht sieht sich der vorläufige Insolvenzverwalter der Konfliktlage gegenüber, dass die gesicherten Gläubiger gegenüber den einfachen Insolvenzgläubigern und dem vorläufigen Insolvenzverwalter daran interessiert sind, ihr Sicherungsgut frühestmöglich aus dem Vermögensverbund des Schuldners herauszulösen. Andererseits ist er zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet, wobei das schuldnerische Unternehmen zu weiten Teilen Kreditgebern zur Sicherung übereignet ist und die Warenbestände – wenn nicht vollständig dann doch größtenteils – unter Eigentumsvorbehalt stehen. Für den Eigentumsvorbehalt regelt bereits das Gesetz in § 107 Abs. 2 InsO die Auflösung dieser Konfliktlage, indem es dem Insolvenzverwalter faktisch eine Überlegungsfrist von drei Monaten zubilligt, innerhalb derer der Vorbehaltsverkäufer die Aussonderung nicht betreiben kann (Rz. 98 ff.). Das Schicksal anderweitiger Gegenstände, deren Aus- bzw. Absonderung nach Eröffnung des Verfahrens verlangt werden könnte, bestimmt sich nach § 21 InsO. Um nachteilige Veränderungen der Vermögenslage des späteren Insolvenzschuldners zu verhüten, kann das Insolvenzgericht erforderliche Maßnahmen treffen, insbesondere Verwertungs- und Verfügungsanordnungen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 5 InsO) verhängen.207
97
Im Rahmen seiner Pflicht zur Sicherung und Erhaltung der Insolvenzmasse ist der vorläufige Verwalter zunächst zur Sicherung des gesamten vorgefundenen Vermögens des Schuldners verpflichtet, ohne sich im Einzelnen um die jeweiligen Eigentumsverhältnisse zu kümmern. Der Schutzzweck der
205 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 112 Rz. 12; Wegener in Uhlenbruck, InsO, § 112 Rz. 7 f. 206 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 112 Rz. 12. 207 Vgl. hierzu ausführlich Andres/Hees, NZI 2011, 881 ff.; Wiche-Wendler, ZInsO 2011, 1530 ff.
780 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 101 § 10
vorläufigen Verwaltung erfasst auch die Gegenstände, die mit Aussonderungsrechten belastet sind, da deren Klärung dem eröffneten Insolvenzverfahren vorzubehalten ist.208 Hinweis: Konsequenterweise steht einem Gläubiger gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO auch dann kein Beschwerderecht zu, wenn die Anordnung für den Gläubiger eine erhebliche Einschränkung bedeutet.209 Wendet sich ein Gläubiger etwa gegen die gerichtliche Anordnung der Sicherstellung eines Pkw, so kann dieser sein Aussonderungsrecht nicht mit der sofortigen Beschwerde im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO geltend machen. Dieses Beschwerderecht steht lediglich dem Schuldner zu. Dem Gläubiger bleibt die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes.
97a
Für Gegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, folgt dies bereits aus der Vorschrift des § 107 Abs. 2 InsO. Soweit der vorläufige Verwalter z.B. Vermögensgegenstände des Schuldners siegelt und dadurch die Rechte eines Dritten beeinträchtigt, muss dieser vor dem Prozessgericht eine materiell-rechtliche Prüfung anstrengen. Wegen der Sperrwirkung der §§ 103 ff. InsO wird diese aber in der Regel erst im eröffneten Verfahren möglich sein.
97b
Hat ein Gläubiger Ware unter Eigentumsvorbehalt an den Schuldner verkauft und geliefert, so kann er im nachfolgenden Insolvenzverfahren ein Aussonderungsrecht gem. § 47 InsO geltend machen, soweit dem Verwalter kein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB zusteht. Dieses entfällt jedoch erst mit Erklärung des Rücktritts vom Kaufvertrag oder der Eröffnung des Verfahrens, es sei denn, der Verwalter hat die Vertragserfüllung nach §§ 107 Abs. 2, 103 Abs. 1 Satz 1 InsO gewählt. Der Schuldner darf im vorläufigen Verfahren nach Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots über Eigentumsvorbehaltsware nicht mehr verfügen, es sei denn, der vorläufige Verwalter würde dieser Verfügung zustimmen. Mithin ist der Schuldner auch nicht dazu berechtigt, die Vorbehaltsware an den unter Vorbehalt liefernden Lieferanten zurückzugeben.
98
Der vorläufige Verwalter nimmt die Gegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, ebenfalls in Besitz, um das Wahlrecht des Verwalters im eröffneten Verfahren nicht vorwegzunehmen (§ 107 Abs. 2 InsO).210 Da es dem Verwalter gem. § 107 Abs. 2 InsO sogar erlaubt ist, seine Entscheidung darüber, ob er den Vorbehaltskaufvertrag erfüllen und sich dadurch das Eigentum an der Vorbehaltsware verschaffen will, oder ob er die unter Vorbehalt gelieferte Sache lieber zurückgibt, bis zum Zeitpunkt unmittelbar nach dem Berichtstermin im eröffneten Verfahren zurückzustellen, können Aussonderungsrechte nach § 47 InsO generell erst nach Eröffnung des Verfahrens gegenüber dem Verwalter beansprucht werden.
99
Für den Vorbehaltslieferanten ergibt sich daher für den Antragszeitraum eine schwebende Rechtslage. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass gem. § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO eine erhebliche Wertminderung aufgrund des Zeitablaufs bis zum Berichtstermin zu erwarten ist und der Gläubiger den vorläufigen Verwalter darauf hingewiesen hat. Sollte der aussonderungsberechtigte Vorbehaltsverkäufer trotz der Regelung des § 107 Abs. 2 InsO seinen Herausgabeanspruch geltend machen, kann der Insolvenzverwalter die Herausgabe der zur Unternehmensfortführung erforderlichen Gegenstände unter Berücksichtigung seiner Funktion, die gesetzmäßigen Rechte des späteren Insolvenzverwalters sicherzustellen, verweigern und beim Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO die Untersagung gegenüber dem Aussondernden anregen (zur Regelung des § 107 InsO s. auch § 11 Rz. 144 ff.).
100
Der vorläufige Insolvenzverwalter wird daher grundsätzlich vor der Eröffnung des Verfahrens noch keine Verwertungshandlungen vornehmen. Bewegliche Gegenstände wird er in der Regel nicht herausgeben, sondern im Rahmen der Betriebsfortführung nutzen. Unabhängig davon ist der vorläufige
101
208 Vgl. Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 18, 39. 209 LG Bremen v. 14.8.2011 – 2 T 435/11, ZIP 2012, 1189 = EWiR 2012, 387 (Joos) (2. LS); LG Göttingen v. 24.6.2004 – 10 T 75/04, NZI 2004, 502, 503. 210 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 39.
Drees/Schmidt | 781
§ 10 Rz. 101 | Beratung des gesicherten Gläubigers Insolvenzverwalter jedoch dazu berechtigt, einzelne Aussonderungsgegenstände, welche er für die weitere Geschäfts- bzw. Unternehmensfortführung nicht benötigt und daher als entbehrlich ansieht, bereits im Eröffnungsverfahren an den Aussonderungsgläubiger herauszugeben, soweit dem nicht gerichtliche Anordnungen nach § 21 InsO entgegenstehen.211 Umgekehrt muss berücksichtigt werden, dass § 47 Satz 2 InsO – mit den schon beschriebenen und auch weiteren Ausnahmen – die Durchsetzung des Herausgabe- bzw. Aussonderungsanspruchs nach Verfahrenseröffnung nicht durch die Insolvenzordnung beschränkt sieht. Mit Rücksicht auf diese erst der Verfahrenseröffnung vorbehaltene Anordnung, muss dies erst Recht für die Zeit vor Verfahrenseröffnung gelten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Schuldner – auch wenn keine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO getroffen worden ist und keine Vorbehaltsware betroffen ist – ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bestimmte Gegenstände an den Eigentümer herausgeben darf. Diese Annahme des OLG Naumburg212 unterläuft den Zustimmungsvorbehalt. 102
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens am 1.7.2006 kann das Gericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO für bestimmte Aussonderungsrechte eine Verwertungssperre anordnen und den Einsatz dieser Vermögenswerte zur Fortführung des Unternehmens gestatten. Erfasst sind Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens als Aus- oder Absonderungsrechte geltend gemacht werden könnten. Als der Aussonderung unterliegende Gegenstände umfasst die Regelung vor allem bewegliche Sachen, die dem Schuldner unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden sowie Gegenstände, an denen der Schuldner ein obligatorisches Nutzungsrecht hat (z.B. Miet- oder Leasingvertrag).213 Mit Anordnung der Verwertungssperre ist es den Inhabern der Aus- bzw. Absonderungsanwartschaften nicht mehr gestattet, Herausgabe zu verlangen bzw. die Vollstreckung zu betreiben. Darüber hinaus ist dem Insolvenzverwalter die Nutzung der betroffenen Gegenstände im Eröffnungsverfahren gestattet. Die Reichweite der Nutzung richtet sich nach den getroffenen Abreden zwischen dem Schuldner und dem Berechtigten. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat insoweit keine Rechte, die über diejenigen des Schuldners hinausgehen. Verbrauch, Verarbeitung und Veräußerung sind hiervon nicht erfasst und können auch nicht durch das Insolvenzgericht angeordnet werden.214
102a
Voraussetzung ist, dass das Aussonderungsgut für die Fortführung von erheblicher Bedeutung ist. Dies ist der Fall, wenn der Geschäftsbetrieb läuft, fortführungsfähig ist und auch fortgeführt werden soll und der Betriebsablauf ohne den Zugriff auf die fraglichen Gegenstände nicht unerheblich gestört würde. Ein mit Beurteilung dieser Fragen einhergehender (betriebswirtschaftlicher) Einschätzungsspielraum ist dem Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter zuzubilligen. Diesem obliegt es, darzulegen, welche Gegenstände für die Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind. Er kann das Gericht auf dieser Grundlage anregen, die Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO zu treffen, was allerdings nicht ausschließt, dass das Gericht amtswegig von seiner Anordnungsbefugnis Gebrauch macht. Ein Antragsrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters sieht § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO gerade nicht vor. Die der Anordnung zugrunde liegenden Feststellungen muss das
211 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 18, 39 f. 212 OLG Naumburg v. 27.5.2009 – 5 U 36/09, ZInsO 2009, 1448 ff. 213 Der Gesetzgeber hatte dabei den Eigentumsvorbehalt (vgl. BT-Drucks. 549/06, 26) sowie das Leasing (vgl. BT-Drucks. 549/06, 28) vor Augen. Allgemein zur Einbeziehung von Aussonderungsrechten in das Insolvenzeröffnungsverfahren Kirchhof, ZInsO 2007, 227. 214 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17 („Getränkemarkt“), ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, EWiR 2019, 211 (Prütting) = IHR 2019, 210 = ZIP 2019, 472 = NZI 2019, 274, 276 Rz. 34 für den Fall, dass der Sicherungsgläubiger die dem Schuldner im Sicherungsvertrag erteilte Weiterveräußerungsbzw. Verarbeitungsermächtigung widerrufen hat. Der vorläufige Insolvenzverwalter könne das Vorbehaltsgut dann weder auf Grundlage des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO veräußern bzw. verarbeiten noch könne das Insolvenzgericht ihn gegen den Willen des Berechtigten hierzu ermächtigen. Denn die Vorschrift regle allein die Folgen der Nutzung fremden Eigentums (und der Einziehung abgetretener Forderungen), nicht aber die Folgen einer Verarbeitung oder Veräußerung fremden Eigentums.
782 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 102e § 10
Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen treffen. Es muss genau darlegen, ob und welches Aus- bzw. Absonderungsrecht für die Betriebsfortführung notwendig ist und daher eingesetzt werden soll. Die Regelung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO entspricht der in der Praxis im Prinzip seit Einführung der InsO üblichen Einbeziehung der aussonderungsberechtigten Gläubiger.215 Dem Herausgabebegehren obstruktiver Aussonderungsberechtigter kann mit einer entsprechenden Anregung bei Gericht begegnet werden. Gläubigern bleibt u.a. die bereits beschriebene Möglichkeit, darzulegen, dass der betreffende Gegenstand nicht von erheblicher Bedeutung für die Betriebsfortführung ist.216 Die hiermit verbundene Einschränkung des Eigentumsrechts gab Anlass zur Erörterung der Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, insbesondere deswegen, weil innerhalb der ersten drei Monate nach Anordnung eines Einziehungs- und Verwertungsstopps im Sinne dieser Bestimmung keine Nutzungsausfallentschädigung als Masseforderung gewährt wird. Diese Bedenken sind mit der Entscheidung des BVerfG vom 22.3.2012 ausgeräumt und die Verfassungsmäßigkeit bestätigt.217
102b
Hinweis: Die für das eröffnete Verfahren einschlägigen Regelungen haben zugleich für das Eröffnungsverfahren zur Folge, dass sich der vorläufige Verwalter weder zur Vertragserfüllung zu erklären braucht noch der Gläubiger bis zur Erklärung berechtigt ist, sein vorbehaltenes Eigentum im Wege der Aussonderung beim Schuldner herauszuholen.
102c
Bezogen auf die erhebliche Bedeutung für die Betriebsfortführung218 muss der Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters hinreichend bestimmt gefasst sein. Die Anordnung eines Verwertungs- und Einziehungsverbotes nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO darf nicht pauschal erfolgen, insbesondere nicht durch bloße Wiederholung des Gesetzestextes, sondern bedarf einer individualisierenden Anordnung für bestimmte Gläubiger und Gegenstände. Weil die Insolvenzordnung dem Aussonderungsberechtigten für diesen Fall keine Rechtsmittel einräumt, sind nur solche Anordnungen zulässig, die einen genauen Rückschluss auf die angestellten Erwägungen zulassen. Und diese Erwägungen können sinnvollerweise nur mit Blick auf individuelle Aussonderungsgegenstände getroffen werden. Aus Gründen der Verfahrensökonomie ist es dem Gericht allerdings zuzuerkennen, Aussonderungsgegenstände etwa nach Kategorien oder nach Arten von Gläubigern zusammenzufassen.219 Wird ein Beschluss diesen Anforderungen nicht gerecht, so ist er wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam.220 Die gesetzlichen Ausgleichsansprüche entstehen indes gleichwohl, weil ein betroffener Gläubiger im Fall der unwirksamen Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nicht schlechter stehen darf als bei Wirksamkeit des Beschlusses.221
102d
Ordnet das Gericht nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO als Sicherungsmaßnahme an, dass ein der Aussonderung unterliegender Gegenstand von dem Berechtigten nicht herausverlangt werden darf, steht dem Aussonderungsberechtigten gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter wegen eines durch Nutzung oder Beschädigung eingetretenen Wertverlusts ein Ersatzanspruch zu. Nach Verfahrenseröffnung gilt der Anspruch als Masseverbindlichkeit.222 Der wirtschaftliche Ausgleich erfolgt in zwei Formen, zum einen durch Zinsen bzw. Nutzungsentgelt (Nutzungsausfallentschädigung, vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 169 Satz 2 und 3 InsO), zum anderen durch Wertersatz (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 2 InsO).
102e
215 216 217 218 219 220
Kuder, ZIP 2007, 1690, 1694 ff. Andres/Hees, NZI 2011, 881, 882 ff.; Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 229 ff. BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252 ff. Zu den Einzelheiten dieses Begriffs vgl. Wiche-Wendler, ZInsO 2011, 1530, 1532. BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, EWiR 2010, 155 (Voß) = ZIP 2010, 141 = ZInsO 2010, 136 ff. Zu den Anforderungen des BGH und etwaigen Rechtsschutzmöglichkeiten vgl. Andres/Hees, NZO 2011, 881, 885. 221 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, EWiR 2010, 155 (Voß) = ZIP 2010, 141 = ZInsO 2010, 136 ff. 222 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 = EWiR 2012, 389 (Tillmann); vgl. hierzu auch Schädlich/Stapper, NZI 2012, 371.
Drees/Schmidt | 783
§ 10 Rz. 102e | Beratung des gesicherten Gläubigers – Nach Maßgabe der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. 169 Satz 2 und 3 InsO kann der Gläubiger die geschuldeten Zinsen und das laufende Nutzungsentgelt verlangen, welches die vertragsmäßige Nutzung des Aussonderungsguts mit einschließt (Nutzungsausfallentschädigung). – Ein solcher Nutzungsausfallentschädigungsanspruch in Form von Zinsen i.S.d. § 169 Satz 2 InsO steht keinesfalls nur Absonderungsberechtigten, sondern auch Aussonderungsberechtigten zu. – Dieser Nutzungsausfallentschädigungsanspruch besteht jedoch erst drei Monate nach gerichtlicher Anordnung der Nutzungsbefugnis.223 Für eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ist wegen des abschließenden Charakters der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 169 Satz 2 InsO kein Raum.224 – Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung orientiert sich entweder am vertraglich vereinbarten Nutzungsentgelt (z.B. Leasing, Miete) oder an der Verkehrsüblichkeit. – Weiterhin ist Wertersatz zu leisten für einen etwaigen Wertverlust, der durch die Benutzung der Sache eintritt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 InsO). Ausgleich des durch die Nutzung eingetretenen Wertverlusts kann der Gläubiger für den gesamten Nutzungszeitraum beanspruchen.225 Die Höhe des Ersatzanspruchs bemisst sich nach der Wertdifferenz bei Beginn und Ende der Nutzung. Die Darlegungs- und Beweislast für die nachteilige Veränderung des Aussonderungsguts trägt auch in dieser Hinsicht der Sicherungsgläubiger.226 Der durch die Nutzung eingetretene Wertverlust eines geleasten Lastkraftwagens kann anhand der Kauf- und Rückkaufpreise sowie nach der anhand der durchschnittlichen Laufleistung ermittelten Gesamtlebensdauer geschätzt werden. Ebenso zulässig ist die (abstrakte) Berechnung anhand der vom BMF herausgegebenen Abschreibungslisten oder anhand von Gutachten, welche den Wert der Gegenstände zu Beginn und Ende des Nutzungszeitraums dokumentieren.227 – Die beiden Ansprüche – Nutzungsausfallentschädigung und Wertersatz – bestehen nebeneinander. Kein Wertersatzanspruch entsteht, wenn und soweit der Wertverlust bereits Kalkulationsgrundlage bei der Berechnung des Nutzungsentgeltes war und dieses durch die Nutzungsausfallentschädigung bereits ausgeglichen wird. Ein Wertersatzanspruch kommt damit vor allem für die ersten drei Monate nach der Anordnung in Betracht, da in dieser Zeit noch kein Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung besteht.228 Für den Zeitraum danach kann mit dem Wertersatzanspruch noch der Ausgleich übermäßiger Nutzungen und Beschädigungen verlangt werden, weil solche nicht durch die Nutzungsausfallentschädigung abgegolten sein dürften. 102f
Praktische Hinweise: Die Beweislast für den Wertverlust trifft – wie zuvor angemerkt – den Eigentümer. Beansprucht dieser Entschädigung für nach Rückerhalt des Fahrzeugs festgestellte Schäden, so hat er zu beweisen, dass diese während des hoheitlich begründeten Nutzungsverhältnisses eingetreten sind. Das praktisch Bedeutsame an dieser (wiederholten)229 Feststellung des BGH liegt in der Verpflichtung des Nutzers, zu Beginn des durch die Ermächtigung begründeten Nutzungsverhältnisses den Zustand des weiter genutzten vormaligen Leasing-
223 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, EWiR 2010, 155 (Voß) = ZIP 2010, 141 = ZInsO 2010, 136 ff. 224 KG v. 11.12.2008 – 23 U 115/08, EWiR 2009, 311 (Köster) = MietRB 2009, 131 = ZIP 2009, 137. 225 BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE:BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, EWiR 2016, 731 (Lüke) = ZIP 2016, 2131 = ZInsO 2016, 2201, 2202 Rz. 6. 226 OLG Braunschweig v. 31.3.2011 – 1 U 33/10, ZInsO 2011, 1895, 1899 m. Anm. Vallender, EWiR 2011, 507 = ZIP 2011, 1275 als Vorinstanz des BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 = EWiR 2012, 389 (Tillmann), 780. 227 BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE:BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, EWiR 2016, 731 (Lüke) = ZIP 2016, 2131 = ZInsO 2016, 2201, 2202 Rz. 10. 228 BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE:BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, EWiR 2016, 731 (Lüke) = ZIP 2016, 2131 = ZInsO 2016, 2201, 2202 Rz. 8. 229 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 = EWiR 2012, 389 (Tillmann).
784 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 105a § 10 gegenstandes festzuhalten. Verletzt der Nutzer diese Pflicht, ist dem durch eine Beweiserleichterung zugunsten des Eigentümers Rechnung zu tragen.230
c) Im eröffneten Insolvenzverfahren aa) Stellung des Aussonderungsberechtigten (§ 47 InsO) Die Regelung des § 47 InsO sieht die zur Aussonderung Berechtigten als von den insolvenzspezifischen Verfahrensregularien befreit an und regelt, dass diese ihre Ansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter nach den allgemeinen Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten, durchsetzen können. Damit kommt den aussonderungsberechtigten Gläubigern die stärkste Stellung unter allen in der InsO genannten Gläubigern zu. Dabei enthält § 47 InsO rechtstechnisch für den Aussonderungsberechtigten in zweifacher Hinsicht eine Verweisung auf das materielle Recht:
103
– Zum einen beurteilt sich die Frage, ob überhaupt ein Aussonderungsrecht an einem Gegenstand besteht, gem. § 47 Satz 2 InsO nach den Vorschriften des materiellen Rechts, welche außerhalb des Insolvenzverfahrens normiert sind. – Zum anderen bestimmt § 47 Satz 1 InsO, dass der Aussonderungsberechtigte aufgrund seines dinglichen oder persönlichen Rechts nicht Insolvenzgläubiger und damit bei der Geltendmachung seiner Rechte nicht wie diese an die Beschränkungen der insolvenzspezifischen Vorschriften gem. § 87 InsO gebunden ist. Hinweis: Der Aussonderungsberechtigte kann seine Ansprüche gegenüber dem Verwalter in gleicher Weise entsprechend den Vorschriften des BGB und der ZPO verfolgen, als sei der Schuldner nicht insolvent geworden.
104
Da dem Aussonderungsberechtigten keine Stellung als Insolvenzgläubiger zukommt, ist er auch weder zur Abstimmung noch zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung berechtigt. Gleiches gilt auch für das Planverfahren. Dennoch steht es den Aussonderungsberechtigten frei, freiwillig dem Planverfahren beizutreten. Ein derartiges Interesse kann insbesondere bei Leasinggebern gegeben sein, da ihnen mit der Beendigung des Leasingvertrags und der Verwertung des Leasingguts zumeist weniger gedient ist als mit der Fortsetzung des Vertrags, wenn auch zu ermäßigten Konditionen.231
105
M 7 Musterschreiben – Geltendmachung eines Aussonderungsanspruchs
105a
Sehr geehrter Herr
Kollege,232
in dem vorbezeichneten Insolvenzverfahren zeigen wir an, dass wir die anwaltliche Interessen der Fa. … vertreten. Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird anwaltlich versichert. Die Insolvenzschuldnerin hatte bei unserer Mandantin umfangreich Ware unter Eigentumsvorbehalt bezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten verweisen wir auf die beigefügte Anlage nebst Liefervereinbarung. Infolge Zahlungsverzugs hat unser Mandant mit eingeschriebenen Brief vom … den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Das Schreiben überreichen wir ebenfalls zu Ihrer gefälligen Kenntnisnahme. Unsere Mandantschaft berichtet davon, dass einzelne Gegenstände der Lieferung sowohl vor der Verfahrenseröffnung durch die Schuldnerin als auch noch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Sie an Dritte veräußert worden sind. Da hierdurch die Sicherungsrechte unserer Mandantin berührt werden, bitten wir um vollständige Auskunft darüber,
230 BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, ZIP 2012, 1566. Ausführlich hierzu Kayser, ZIP 2013, 1353 = EWiR 2012, 601 (Voß), 1355. 231 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.261. 232 Wegen weiterer Muster vgl. Breuer, Insolvenzrechtsformularhandbuch, S. 254 ff.
Drees/Schmidt | 785
§ 10 Rz. 105a | Beratung des gesicherten Gläubigers – welche Gegenstände zu welchen Bedingungen vor der Verfahrenseröffnung durch die Schuldnerin an Dritte veräußert wurden; – ob und welche Gegenstände aus der Lieferung durch Sie nach der Verfahrenseröffnung an Dritte veräußert wurden; – ob und in welcher Höhe die Kaufpreisansprüche gegen die Erwerber bereits realisiert wurden; – ob sich eine etwaige vereinnahmte Gegenleistung noch unterscheidbar in der Insolvenzmasse befindet und – ob und welche Gegenstände der Lieferung noch im Besitz der Masse vorhanden sind. Hinsichtlich der noch im Massebesitz befindlichen Gegenstände verlangen wir zunächst Herausgabe. Sofern aus einer Weiterveräußerung an Dritte Kaufpreisansprüche noch nicht realisiert wurden, fordern wir sie zur Abtretung dieser Ansprüche auf. Für den Fall, dass bei etwaig bereits beglichenen Kaufpreisansprüchen die Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist, machen wir einen Bereicherungsanspruch geltend. Wegen der noch bei Ihnen befindlichen Ware erklären wir ein Veräußerungsverbot. Für den vollständigen Eingang der Auskünfte sowie zur Erfüllung der geltend gemachten Ansprüche habe ich mir eine Frist bis zum … notiert. Mit freundlichen kollegialen Grüßen
bb) Durchsetzung von Aussonderungsrechten 106
Der Aussonderungsberechtigte nimmt – wie ausgeführt – nicht an dem Insolvenzverfahren teil. Die Rechtsverfolgung findet außerhalb und neben dem Insolvenzverfahren statt, ohne den insolvenzspezifischen Beschränkungen nach § 87 InsO zu unterliegen. Möchte der Aussonderungsberechtigte die Herausgabe des befangenen Sicherungsgegenstandes erreichen, muss er sein Recht unmittelbar gegenüber dem Insolvenzverwalter anzeigen und seine Berechtigung glaubhaft machen. (1) Prüfungspflicht des Insolvenzverwalters
107
Den Insolvenzverwalter trifft keine allgemeine Verpflichtung, von sich aus Fremdrechte zu ermitteln und an die Aussonderungsberechtigten heranzutreten.233 Es ist vielmehr Aufgabe der Gläubiger, den Insolvenzverwalter über ihre Mobiliarsicherheiten zu informieren, § 28 Abs. 2 InsO. In der Regel nimmt der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Verfahrens gem. § 148 InsO das Schuldnervermögen unmittelbar in Besitz, unabhängig davon, ob an den Gegenständen Aussonderungsrechte bestehen, soweit diese nicht offenkundig oder abschließend geprüft sind.234 Er ist nicht verpflichtet, Aussonderungsberechtigten Zutritt zu den Geschäftsräumen des Schuldners zu gewähren, damit diese das Aussonderungsgut besichtigen, aussuchen und inventarisieren können.235 Werden seitens Dritter Aussonderungsrechte erhoben, so obliegt es dem Verwalter, nach pflichtgemäßem Ermessen eine Entscheidung über das Aussonderungsrecht zu treffen. Der Verwalter hat gegenüber dem Aussonderungsberechtigten die spezifische Verpflichtung, das geltend gemachte Aussonderungsrecht auf seinen Gehalt und seinen rechtlichen Bestand hin zu überprüfen. Die Annahme insolvenzspezifischer Pflichten birgt für den Insolvenzverwalter stets die Gefahr einer persönlichen Haftung (vgl. hierzu Rz. 109a f.).236 Er hat sodann darüber zu entscheiden, ob, in welchem Umfang und mit welchen Maßgaben die Aussonderung zu erfolgen hat.237 Dem Verwalter steht für diese Feststellung ein dem Umfang der mit
233 234 235 236 237
Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350, 354; Hahn, ZInsO 2018, 911. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350, 352; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 95, 96. LG Düsseldorf v. 27.4.1964 – 11b T 6/64, KTS 1964, 246. OLG Jena v. 27.10.2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 127; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 59.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 109b § 10
Fremdrechten belasteten Aussonderungsobjekte angemessener Prüfungszeitraum zur Verfügung, während dessen er nicht in Verzug geraten kann; im Normalfall sind dem Insolvenzverwalter zwei Monate zuzuerkennen.238 Hinweis: Im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers ist zudem die faktische Ausübungssperre für den Zeitraum bis zum Berichtstermin gem. § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO zu beachten.
108
Der Verwalter ist dem Aussonderungsberechtigten zur Auskunft über den Verbleib, etwaige Verarbeitungen etc. der mit Fremdrechten belegten Gegenstände verpflichtet (§ 242 BGB).239 Der Umfang der Auskunftspflicht ist jedoch durch das Kriterium der Zumutbarkeit beschränkt. Der Verwalter ist selbst nicht zu umfangreichen Nachforschungen verpflichtet, wenn der Aussonderungsberechtigte seinerseits die auszusondernden Gegenstände nicht hinreichend bestimmen kann. Schließlich kann der Verwalter den Aussonderungsberechtigten auch auf eine eigene Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen verweisen.240 Etwaige Kosten, die durch die Erteilung von Auskünften entstehen, kann der Verwalter nicht gegenüber den aussonderungsberechtigten Gläubigern geltend machen.
109
Hierauf lassen sich die gegenüber Aussonderungsgläubigern bestehenden Pflichten eines Insolvenzverwalters jedoch nicht beschränken. Je nach Fallgestaltung können die gegenüber Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten sehr weitgehend sein, so z.B. zur Verwahrung, Sicherung und ggf. Nachforschung. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des BGH vom 25.1.2007.241 Der Insolvenzverwalter hatte ein auszusonderndes Mietobjekt (§ 546 BGB) ohne Zustimmung des Vermieters an eine unzuverlässige Person untervermietet hatte und damit den Rückgewähranspruch des Aussonderungsgläubigers gefährdet. Der BGH erkannte dem Vermieter einen Schadensersatzanspruch zu, allerdings mit Schwierigkeiten, eine insolvenzspezifische Pflichtverletzung (§ 60 Abs. 1 InsO) zu begründen. Denn der Verstoß gegen die Zustimmungspflicht des Vermieters (§ 553 Abs. 1 BGB) trifft jeden Mieter und ist nicht insolvenzspezifisch. Letztlich zog er § 546 BGB i.V.m. § 47 Satz 2 InsO heran und bejahte einen Schadensersatzanspruch in Höhe des negativen Interesses.
109a
Für den anwaltlichen Berater des Aussonderungsberechtigten empfiehlt sich im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegenüber dem Insolvenzverwalter die Orientierung an folgenden Grundsätzen242:
109b
– Hat der Insolvenzverwalter deutliche Hinweise auf das Vorliegen von Eigentumsvorbehalten und verwertet er gleichwohl die damit belegten Waren oder gibt diese zur Versteigerung frei, so verletzt er damit objektiv die ihm gegenüber dem Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten.243 – Von deutlichen Hinweisen im vorbenannten Sinne ist dann auszugehen, wenn die Kenntnisnahme vom Vorbehaltseigentum zu erwarten gewesen ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Eigentumsvorbehalt deutlich erkennbar auf dem Lieferschein erklärt ist und der Aussonderungsberechtigte erwarten durfte, dass der Schuldner bzw. dessen Insolvenzverwalter davon Kenntnis nimmt.244
238 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 127. 239 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 130; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 83; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 67. 240 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 74. 241 BGH v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZInsO 2007, 264 ff. m. Anm. Ferslev, EWiR 2007, 437 = MietRB 2007, 114 = ZIP 2007, 539 242 Grundlegend zu den gegenüber Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten Gundlach/Frenzel/ Schmidt, NZI 2001, 350 ff. und Barnert, KTS 2005, 431 ff. 243 OLG Jena v. 27.10.2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 244 Vgl. statt vieler: BGH v. 5.5.1982 – VIII ZR 162/81, NJW 1982, 1751 f. = ZIP 1982, 845.
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§ 10 Rz. 109b | Beratung des gesicherten Gläubigers – Ein Aussonderungsberechtigter ist gehalten, das von ihm behauptete Recht dem Insolvenzverwalter so konkret wie möglich darzulegen.245 Andernfalls entfällt entweder bereits die Pflichtverletzung oder aber der Insolvenzverwalter kann ein Mitverschulden (§ 254 BGB) einwenden. 109c
Bei der Vorbereitung entsprechender Haftungsansprüche empfiehlt sich die Orientierung an folgenden Pflichtenkreisen: – Inbesitznahme (§ 148 InsO),246 – Verwahr- und Sicherungspflichten (sog. Vermögensbetreuungspflichten),247 – Auskunftspflichten,248 – Erkundigungs- und Aufklärungspflichten; Haftung bei unzureichender Sachverhaltsaufklärung (insb. Nachforschungspflichten bei Eigentumsvorbehaltsrechten), – falsche Beurteilung einer klaren Rechtslage und – Masseverwertung.
110
Soweit der Verwalter die ihm zuzuerkennende Frist zur Sichtung und Feststellung der Aussonderungsrechte schuldhaft überschreitet, kann er mit der Erfüllung des Aussonderungsanspruchs in Verzug geraten, so dass dem Aussonderungsberechtigten ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB erwächst, der nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Masseschuld wird.249 Besteht aufgrund der sich bietenden Erkenntnislage Streit über das Bestehen des Aussonderungsrechts, so ist dieser im ordentlichen Prozessweg zwischen Verwalter und Gläubiger auszutragen. In der Regel wird der Aussonderungsberechtigte Klage auf Herausgabe des Gegenstandes erheben.
111
Hinweis: Der Aussonderungsberechtigte hat im Prozess die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB zugunsten des Schuldners bzw. der Insolvenzmasse zu widerlegen und sein Aussonderungsrecht nachzuweisen.250
(2) Aussonderung von Mobilien 112
Ist für den Insolvenzverwalter offenkundig, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, sondern eindeutig als massefremder Vermögensgegenstand zu identifizieren ist, so gibt er die Sache an den Aussonderungsberechtigten heraus bzw. überlässt diese dem Aussonderungsberechtigten in sonstiger Weise. Eine formelle Aussonderung ist nur dann erforderlich, wenn der Insolvenzverwalter den Gegenstand in zweifelhaften Fällen als Bestandteil der Insolvenzmasse beansprucht und Besitz an diesem ergriffen hat oder ergreifen will. Bis zur Entscheidung über die Berechtigung ist die Verwertung der Gegenstände, für die von dritter Seite Aussonderungsrechte geltend gemacht werden, auszusetzen. Kommt der Verwalter zu der Feststellung, dass das Aussonderungsrecht besteht und durchsetzbar ist, so erklärt er nach erfolgter Prüfung die Freigabe des Gegenstandes. Einer Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung nach § 160 InsO bedarf es nur dann, wenn das Aussonderungsobjekt – im Gegensatz zur früheren 300 DM-Grenze (§ 133 Nr. 2 KO) – von erheblichem Wert ist251 (zu diesen Organen der Gläubigerautonomie vgl. § 9 Rz. 372 ff., 417 ff.). 245 OLG Düsseldorf v. 2.6.1987 – 23 U 150/86, ZIP 1988, 450 = EWiR 1988, 391 (Haug), 451 f.; OLG Jena v. 27.10.2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 246 Vgl. Barnert, KTS 2005, 431, 435 f. 247 Barnert, KTS 2005, 431, 436 f. 248 Bäuerle in Braun, InsO, § 47 Rz. 5. 249 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 134; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 82. 250 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 142; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350, 354. 251 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 75; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 160 Rz. 3.
788 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 116 § 10
Der Verwalter kommt seiner Herausgabepflicht nach Anerkennung des Aussonderungsrechts grundsätzlich durch körperliche Übergabe des Gegenstands an den Aussonderungsberechtigten oder dadurch, dass er den belasteten Gegenstand zur Abholung bereitstellt. Das Bereitstellen i.S.v. § 47 InsO entspricht der Herausgabe nach § 985 BGB, so dass die bloße Duldung der Wegnahme durch den Berechtigten für die Pflichterfüllung des Insolvenzverwalters nicht genügt.252 Eine Verpflichtung zum Versand trifft den Insolvenzverwalter nicht.253
113
Hinweis: Das Pflichtenprogramm im Zusammenhang mit der Bereitstellung ist eine Frage des Einzelfalls und lässt sich als solche nicht pauschal beantworten. Das LG Bonn hat am Beispiel der sog. On-Board-Units (Mauterfassungsgeräte) entschieden, dass die Bereitstellung dergestalt erfolgen muss, dass die Abholung am Ort der Verwahrung gewährleistet sein muss.254 Zu den hiermit verbundenen Kosten bzw. der Kostentragungspflicht im Verhältnis von Insolvenzmasse und Aussonderungsberechtigtem vgl. nachstehend Rz. 123.255
113a
Für den Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts sehen die §§ 103, 107 Abs. 2 InsO allerdings Einschränkungen für die Geltendmachung des Aussonderungsrechts vor. Nachdem der Insolvenzverwalter nunmehr die Entscheidung über die Erfüllungswahl erst unverzüglich nach dem Berichtstermin zu treffen hat, besteht für die unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sachen bis zu diesem Zeitpunkt ein Aussonderungsstopp, und sie können von dem Vorbehaltsverkäufer nicht herausverlangt werden.256 Dies gilt gem. § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht, wenn in der Zeit bis zum Berichtstermin eine erhebliche Verminderung des Wertes der Sache zu erwarten ist und der Gläubiger den Verwalter auf diesen Umstand hingewiesen hat.
114
(3) Aussonderung von Immobilien Soweit es sich um die Herausgabe eines Grundstücks oder von Mieträumlichkeiten handelt, hat der Verwalter entsprechend einem Mieter die Räumung fristgerecht und vollständig vorzunehmen, da Teilleistungen im Rahmen der Erfüllung der Rückgabeverpflichtung nach § 266 BGB unzulässig sind und der Erfüllungsanspruch des Aussonderungsberechtigten anderenfalls nicht befriedigt werden kann.257
115
(4) Gerichtliche Durchsetzung Da der Aussonderungsberechtigte nicht Beteiligter des Insolvenzverfahrens und daher nach § 87 InsO frei von dessen Beschränkungen ist, kann er in dem Fall, in dem der Insolvenzverwalter die Herausgabe des Gegenstandes an ihn verweigert, trotz des eröffneten Verfahrens die Herausgabeklage gegen den Insolvenzverwalter erheben und aus einem Herausgabetitel die Zwangsvollstreckung nach den §§ 883 ff. ZPO betreiben.258 Soweit es sich bei dem auszusondernden Gegenstand um eine unbewegliche Sache handelt, kommt ein Grundbuchberichtigungsanspruch gem. § 894 BGB gegenüber dem Verwalter in Betracht bzw. der Anspruch auf Löschung des Insolvenzvermerks (§ 32 InsO).259 Schließlich genügt zur Geltendmachung des Anspruchs auch die Klage auf Feststellung des geltend gemachten dinglichen oder persönlichen Rechts.260 Beansprucht der Insolvenzverwalter ein angeblich der Masse
252 BGH v. 26.5.1988 – IX ZR 276/87, NJW 1988, 3264 = EWiR 1988, 701 (Eickmann) = ZIP 1988, 853. 253 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 133. 254 LG Bonn v. 21.12.2006 – 6 S 264/06, ZInsO 2011, 2336, 2337 m. krit. Anm. Hage/Lind, ZInsO 2011, 2264 ff. 255 Ausführlich zu den Kosten der Aussonderung: Hage/Lind, ZInsO 2011, 2264 ff. 256 Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 18. 257 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 465. 258 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 138, 143; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 479 f. 259 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 143; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 40. 260 Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 15.
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§ 10 Rz. 116 | Beratung des gesicherten Gläubigers zustehendes Eingriffsrecht, kann sich der Aussonderungsberechtigte auch auf einen Unterlassungsanspruch gem. §§ 12, 1004 BGB gegenüber der Insolvenzmasse stützen, soweit dieser auf einem absoluten Recht beruht.261 117
Für die gerichtliche Geltendmachung des Aussonderungsanspruchs ist im Streitfall der Rechtsweg zu den allgemeinen ordentlichen Gerichten gegeben, da sich der Anspruch auf Aussonderung nach den Gesetzen außerhalb des Insolvenzverfahrens bestimmt und die Geltendmachung der Aussonderung sich außerhalb des Insolvenzverfahrens vollzieht.262 Im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ist zum einen der allgemeine Gerichtsstand gemäß der §§ 12 ff. ZPO maßgeblich. Nach § 19a ZPO bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand des Insolvenzverwalters für die Insolvenzmasse betreffende Klagen nach dem Sitz des Insolvenzgerichts, wobei sich dessen örtliche Zuständigkeit ihrerseits nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Insolvenzschuldners bzw. dem Ort seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt (§ 3 InsO). Es handelt sich hierbei aber nicht um einen ausschließlichen Gerichtsstand.263 Als besondere Gerichtsstände für die Aussonderungsklage kommen daher daneben auch der dingliche Gerichtsstand (§ 24 ZPO) sowie der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) in Betracht.264 Der Aussonderungsanspruch kann auch Handelssache i.S.v. § 95 Nr. 1 GVG sein.
118
Gegner des Aussonderungsbegehrens ist der Insolvenzverwalter.265 Diesem stehen als Beklagter alle Einwendungen und Einreden gegenüber dem geltend gemachten Anspruch zu, zu deren Erhebung auch der Schuldner berechtigt wäre.
119
Ferner kann der Aussonderungsanspruch auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gesichert werden, beispielsweise dadurch, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO beantragt wird, mit dem Ziel, dem Verwalter die Verwertung des Aussonderungsgutes zu untersagen.266
120
Der Aussonderungsanspruch kann im Rahmen eines Prozesses auch einredeweise geltend gemacht werden.267
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Ferner steht dem Aussonderungsberechtigten für den Fall, dass der Insolvenzverwalter einen Aussonderungsgegenstand im Wege der Zwangsvollstreckung verwertet, auch das Recht zu, Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO zu erheben und gegebenenfalls nach §§ 771 Abs. 3, 769 ZPO per einstweiliger Anordnung eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu beantragen.268
122
Außer der die Grenzen des § 87 InsO außer Acht lassenden Befugnis, das Aussonderungsrecht geltend zu machen, stehen dem Aussonderungsberechtigten keine weitergehenden Rechte zu. Insbesondere ist es ihm untersagt, für den Fall, dass sich der Insolvenzverwalter weigert, das Aussonderungsgut herauszugeben, zur Selbsthilfe in Form eines Rechts auf eigenmächtige Wegnahme des Aussonderungsguts zu greifen, was sowohl für die Zeit vor als auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt.269 Ohne die Zustimmung des Verwalters ist es dem Aussonderungsberechtigten verwehrt, die Geschäftsräume des Insolvenzschuldners zum Zwecke des Aufsuchens, der Besichtigung oder der Sicherung und Herausnahme des Aussonderungsobjekts zu betreten. Im Gegensatz zur eigenmächtigen
261 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 51; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 6. 262 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 138; Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 473; vgl. auch BayObLG v. 17.1.2003 – 1Z AR 162/02, ZIP 2003, 541. 263 BayObLG v. 17.1.2003 – 1Z AR 162/02, ZIP 2003, 541. 264 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 138. 265 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 139. 266 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 144; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 64. 267 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 403. 268 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 144. 269 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 126; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 72.
790 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 123b § 10
Wegnahme und Verwertung von Gegenständen, die mit einem Absonderungsrecht belastet sind, macht sich der Aussonderungsberechtigte insoweit jedoch nicht schadensersatzpflichtig.270 Übersicht – Möglichkeiten gerichtlicher Durchsetzung von Ansprüchen auf Aussonderung
122a
– Herausgabeklage, – Zwangsvollstreckung aus dem Herausgabetitel gem. §§ 883 ff. ZPO, – Grundbuchberichtigungsanspruch gem. § 894 BGB, insbesondere gerichtet auf Löschung des Insolvenzvermerks, – Klage auf Feststellung des geltend gemachten dinglichen oder persönlichen Rechts, – Unterlassungsanspruch gem. §§ 12, 1004 BGB, – Vorläufiger Rechtsschutz, beispielsweise gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO, – Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO und – Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 771 Abs. 3, 769 ZPO. cc) Kosten der Aussonderung Die Kosten, die dem Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit dem Aussonderungsverfahren im weiteren Sinne, häufig aber auch bereits im Vorfeld durch die Verwahrung, Ermittlung und Feststellung des Aussonderungsgutes sowie die Erteilung von Auskünften entstehen, fallen grundsätzlich der Masse zur Last.271 Der Verwalter führt insoweit kein fremdes, sondern ein eigenes Geschäft als herausgabepflichtiger Besitzer. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich dagegen entschieden, die Aussonderungsberechtigten mit einem Kostenbeitrag zu belasten. Die Regelungen der §§ 170, 171 InsO sind insoweit eindeutig formuliert und bestimmen die Erhebung eines Kostenbeitrags nur für die Feststellung und Verwertung von Absonderungsrechten. Damit kommt ein Kostenerstattungsanspruch der Insolvenzmasse gegenüber dem Aussonderungsberechtigten ohne eine gesonderte Vereinbarung – die auf freiwilliger Basis jederzeit möglich ist – nicht in Betracht.272 Gleiches gilt für die Aufwendungen, die der Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Sicherung und Aufbewahrung der Aussonderungsobjekte tätigt. Auch diese sind umfänglich von der Insolvenzmasse zu tragen.273
123
Hinweis für den Insolvenzverwalter bei Vereinbarung eines Kostenbeitrages: Mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BFH, nach der die bei einer freihändigen Grundstücksveräußerung vereinbarte Massebeteiligung eine umsatzsteuerpflichtige Leistung darstellt, besteht eine rechtliche Unsicherheit darüber, ob auch die mit einem Aussonderungsgläubiger vereinbarte Kostenbeteiligung eine umsatzsteuerpflichtige Leistung darstellt.
123a
Abgesehen von einer solchen – ggf. auch nur konkludent geschlossenen – Vereinbarung des Insolvenzverwalters mit dem Aussonderungsberechtigten über dessen Kostenbeteiligung wird nur dann ein Aufwendungsersatzanspruch des Insolvenzverwalters erwogen, wenn dieser über die ihm obliegenden Pflichten hinaus für den Aussonderungsberechtigten tätig ist. Als solche Aufwendungen werden beispielsweise die Versandkosten (s.o. Rz. 113) aufgefasst. Die Kosten der Abholung fallen nach einhel-
123b
270 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 72. 271 Statt vieler: Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 70. 272 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 277, 278 f.; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 60; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 105 f. 273 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 137; a.A. Häsemeyer, Rz. 11.27. Ebenso kritisch Hage/Lind, ZInsO 2011, 2264 ff.
Drees/Schmidt | 791
§ 10 Rz. 123b | Beratung des gesicherten Gläubigers liger Ansicht dem Aussonderungsberechtigten zur Last.274 Die Kosten der Verwahrung können ausnahmsweise dem Aussonderungsberechtigten zur Last fallen, wenn er das Aussonderungsgut trotz Aufforderung nicht abholt und dem Insolvenzverwalter kein Lagerraum zur Verfügung steht.275 123c
Unklar ist dies bei etwaigen Ausbaukosten, um die Bereitstellung des Aussonderungsguts zu ermöglichen. Soweit ersichtlich hat sich mit dieser Fragestellung bislang allein das LG Bonn im Zusammenhang mit den erwähnten (Rz. 113) On-Board-Units (Mauterfassungsgeräte) auseinandergesetzt und eine Kostentragungspflicht des Insolvenzverwalters angenommen.276
124
Solche Aufwendungen, die – wie die erwähnten Kosten der Versendung bzw. der Abholung – dem Aussonderungsberechtigten zur Last fallen, kann dieser im Insolvenzverfahren als nachrangige Forderung entsprechend § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend machen.277
4. Die Ersatzaussonderung 125
Werden Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Aussonderung unterliegen würden, vor der Eröffnung durch den Schuldner oder nach Eröffnung durch den Insolvenzverwalter unberechtigt veräußert, so kann der Aussonderungsberechtigte anstelle des verlorenen Gegenstandes gem. § 48 Satz 1 InsO die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung verlangen. Für den Fall, dass die Gegenleistung der Insolvenzmasse bereits zugeflossen ist, richtet sich der Anspruch gem. § 48 Satz 2 InsO auf Herausgabe der Gegenleistung. Verfügt der Insolvenzverwalter etwa in Verkennung der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse über einen Gegenstand, der sich tatsächlich im Eigentum des Aussonderungsberechtigten befindet, und erhält er aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung hierfür von einem Dritten eine Gegenleistung, so kann der Aussonderungsberechtigte zumindest noch die Gegenleistung herausverlangen. Diesem Vorgang, der sog. Ersatzaussonderung, liegt der Gedanke zugrunde, dass auch das Surrogat für das vereitelte Aussonderungsrecht haftungsrechtlich dem aussonderungsberechtigten Gläubiger zugewiesen ist. Dieser soll zu seinem Schutz nicht auf etwaige schuldrechtliche Ansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens verwiesen werden, sondern vielmehr direkt auf die erlangte (oder noch zu erlangende) Gegenleistung zugreifen können. Der vormalige Berechtigte kann nun die Gegenleistung jedenfalls haftungsrechtlich aus der Insolvenzmasse herauslösen; aus einem schuldrechtlichen Anspruch erwächst ihm de facto ein dingliches Recht.278 Hinsichtlich ihrer Voraussetzungen ist die Ersatzaussonderung mit den Eingriffskondiktionen in § 816 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB vergleichbar.
125a
Die Aussonderungsbefugnis nach § 47 InsO im Insolvenzverfahren bezieht sich immer auf einen konkreten Gegenstand und geht deshalb unter, sobald sich der belastete Gegenstand nicht mehr in der Insolvenzmasse befindet.279 Da das Recht auf die Gegenleistung nach allgemeinen Regeln dem Insolvenzschuldner oder der Insolvenzmasse zusteht, wäre der ursprünglich Berechtigte bei Verfügungen des Insolvenzschuldners auf die quotenmäßige Befriedigung seines Bereicherungsanspruchs bzw. bei Verfügungen des Insolvenzverwalters auf die Geltendmachung eines Masseanspruchs nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 InsO verwiesen.280 Die unberechtigte Verfügung würde sich daher zugunsten der Insolvenzgläubiger auswirken, obwohl diesen eigentlich nur ein Recht auf Befriedigung aus der legal vorhandenen Soll-Masse zusteht. Der aussonderungsberechtigte Gläubiger wird vor der Vereitelung seines
274 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 76. 275 Vgl. Smid, NZI 2014, 633, 637, der einen konkludent geschlossenen Verwahrungsvertrag konstruiert, der nach § 689 BGB vom Aussonderungsberechtigten (als Hinterleger) zu vergüten ist. 276 A.A. Hage/Lind, ZInsO 2011, 2264 ff. 277 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 87. 278 Smid, ZInsO 2020, 1573, 1574; a.A. Ganter, ZInsO 2020, 1752. 279 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, EWiR 2003, 981 (Eckert) = ZIP 2003, 1404, NZI 2003, 549, 550; Ganter, NZI 2005, 1, 2. 280 Hierzu grundlegend Ganter, NZI 2005, 1 ff. und Ganter/Bitter, ZIP 2005, 93 ff.
792 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 126c § 10
Aussonderungsrechts geschützt, indem sich das Aussonderungsrecht gem. § 48 InsO ersatzweise an der erhaltenen Gegenleistung bzw. dem Anspruch auf diese fortsetzt. § 48 InsO bezweckt damit eine haftungsrechtliche Surrogation, die es dem Aussonderungsberechtigten konkret ermöglicht, vor den sonstigen Gläubigern auf die Gegenleistung zuzugreifen. Gemäß § 48 InsO setzt sich der Ersatzanspruch an solchen Gegenständen fort, deren Aussonderung hätte verlangt werden dürfen. Es ist also zu prüfen, ob der Gegenstand, der auf Grund der Rechtshandlung des Schuldners bzw. des Insolvenzverwalters nicht mehr herausgegeben werden kann, im Ausgangspunkt der Aussonderung nach § 47 InsO unterlegen hätte (Aussonderungsanwartschaften). Hierzu gehören dingliche und persönliche Rechte, aufgrund derer der Berechtigte geltend machen kann, dass der Gegenstand ihm (und gerade nicht der Insolvenzmasse) haftungsrechtlich zugewiesen ist. Weiterhin ist § 48 InsO auf Absonderungsrechte analog anwendbar. Für die Ersatzabsonderung gilt das hier Gesagte mithin entsprechend. Ins Auge zu fassen sind hier vor allem Absonderungsrechte des Kreditgebers aus dem Sicherungseigentum oder verlängerten Eigentumsvorbehalt. Verfügt der Insolvenzverwalter über ein Surrogat, das dem Vermögen des Schuldners nach Verfügung über das Aussonderungsgut zugeflossen ist, erlangt der Aussonderungsberechtigte auch an der hieraus erlangten Gegenleistung, dem „Surrogat des Surrogats“, einen Ersatzaussonderungsanspruch. Die Verfügung des späteren Insolvenzschuldners über ein solches Surrogat begründet indes keinen „zweiten Ersatzaussonderungsanspruch“,281 weil es in diesem Fall vom bloßen Zufall abhängt, welche Leistungen bei Verfahrenseröffnung noch unterscheidbar in der Masse vorhanden sind.282
126
Der betroffene Gegenstand muss durch den Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung oder durch den Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung veräußert worden sein. Überdies gilt § 48 InsO entsprechend für Veräußerungen durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder spezieller Ermächtigung (§ 22 Abs. 2 InsO).283 Dies ist mit Blick auf den Zweck des § 48 InsO auch geboten, weil gleichsam der vorläufige Insolvenzverwalter eine Vereitelung des Aussonderungsrechts herbeiführen kann.
126a
Der Begriff der Veräußerung meint jede Verfügung (Aufhebung, Übertragung, Belastung, Inhaltsänderung) über einen Gegenstand. Paradigmatisch ist die Übereignung einer Sache, die im Eigentum des Aussonderungsberechtigten steht, an einen Dritten. Der Begriff ist denkbar weit auszulegen, umfasst daher vor allem auch den Einzug von Forderungen durch den Insolvenzverwalter. Zieht der (vorläufige) Insolvenzverwalter etwa Forderungen ein, die im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts zur Sicherheit an den Vorbehaltsverkäufer abgetreten wurden, kann der Vorbehaltsverkäufer wegen der Vereitelung seines Absonderungsrechts unter Umständen nach § 48 InsO („doppelt analog“) vorgehen. Die nach § 48 Abs. 2 InsO aussonderungsfähige Gegenleistung ist in diesem Fall der Geldbetrag, der durch die Zahlung des Drittschuldners in die Masse geflossen ist.
126b
Demgegenüber stellen rein tatsächliche Verhaltensweisen wie Verbindungen, Vermischungen oder Verarbeitungen (§§ 946 ff. BGB) keine Veräußerung im Sinne der in Rede stehenden Vorschrift dar, es sei denn, der gesetzliche Eigentumsverlust erfolgt innerhalb einer rechtsgeschäftlichen Leistungsbeziehung.284 Exemplarisch ist dies bei dem Einbau einer fremden Sache auf der Grundlage eines Werkvertrags der Fall. Die Verarbeitung innerhalb des verlängerten Eigentumsvorbehalts mit Verarbeitungsklausel ist dies ebenso, denn auch sie beruht auf vertraglicher Ermächtigung. Die Beschädigung oder Zerstörung von Aussonderungsgut ist hingegen als Realakt ebenso wenig eine Veräußerung wie dessen bloße Nutzung.285
126c
281 Smid, ZInsO 2020, 1573, 1574; a.A. Ganter/Bitter, ZIP 2005, 93, 96; Ganter, ZInsO 2020, 1752. 282 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 39. 283 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, EWiR 2019, 211 (Prütting) = IHR 2019, 210 = ZIP 2019, 472 („Getränkemarkt“), NZI 2019, 274 (Ganter). 284 Ganter in MünchKomm/InsO, § 48 Rz. 25. 285 BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZIP 2006, 1641 = ZInsO 2006, 938.
Drees/Schmidt | 793
§ 10 Rz. 126d | Beratung des gesicherten Gläubigers 126d
Der Tatbestand des § 48 InsO enthält zwei Varianten. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nimmt der Schuldner (der spätere Insolvenzschuldner) die Vereitelungshandlung vor, so dass das Aussonderungsrecht des Berechtigten erst gar nicht zur Entstehung gelangt. Im Rahmen der zweiten Variante wird der aussonderungsfähige Gegenstand nach Eröffnung durch den Insolvenzverwalter veräußert, ein entstandenes Aussonderungsrecht folglich zum Erlöschen gebracht.
126e
Umstritten ist, ob die Veräußerung i.S.d. § 48 InsO wirksam sein muss. Der Berechtigte muss sein Recht infolge der Handlung des Schuldners bzw. Insolvenzverwalters aber verloren haben; andernfalls muss er nicht auf die Ersatzaussonderung verwiesen werden, sondern kann vielmehr unmittelbar gegen den Dritten vorgehen, etwa nach § 985 BGB. Richtigerweise kann eine Vereitelung des Aussonderungsrechts nur eintreten, wenn die Verfügung auch wirksam war. Die unberechtigte Forderungseinziehung durch den Insolvenzverwalter führt etwa nur dann zu einem Rechtsverlust, wenn eine befreiende Leistung des Drittschuldners vorliegt (etwa auf Grundlage des § 407 BGB). Verfügungen über Dritteigentum berechtigen nach dieser Lösung nur zur Ersatzaussonderung, wenn der Dritte den Gegenstand nach § 932 BGB bzw. nach § 366 HGB gutgläubig erworben hat. Ist die Veräußerung hingegen unwirksam, hat der Aussonderungsberechtigte sein Recht gegenüber dem Dritten – dem gescheiterten Erwerber – geltend zu machen. Außerdem steht es ihm offen, die Verfügung nachträglich zu genehmigen, um im Wege der Ersatzaussonderung gegen die Insolvenzmasse vorzugehen. Wie in den von § 816 BGB erfassten Fällen erlischt durch die Genehmigung nicht etwa das Merkmal der unberechtigten Verfügung und damit mittelbar der Ersatzaussonderungsanspruch, sondern nur die Unwirksamkeit der Verfügung. Gegen das Wirksamkeitserfordernis wird vorgetragen, dass durch das Wahlrecht die Insolvenzmasse um eine Gegenleistung geschmälert wird, die der Berechtigte auch bei einem Dritten realisieren könnte.286 Das dem Aussonderungsberechtigten auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung zugebilligte Wahlrecht ist allerdings sachgerecht, weil seiner Rechtsmacht ein Eingriff des Schuldners bzw. Insolvenzverwalters in seine Rechte vorausgegangen ist. Auch der Wortlaut des § 48 InsO spricht dafür, dass die Verfügung wirksam sein muss, denn der Begriff „Verfügung“ lässt eher auf einen vollzogenen Eigentumsübergang schließen, und stellt dessen rechtsgeschäftliche Grundlage in den Hintergrund.287 Ferner verdeutlicht diese Handhabung die Parallelität zu den Eingriffskondiktionen nach § 816 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB. Denn auch hier muss dem Kondiktionsanspruch eine wirksame Veräußerung vorausgehen, um eine Doppelkompensation des Kondiktionsgläubigers zu vermeiden.
126f
Der Ersatzaussonderungsanspruch ist nur gegeben, wenn die Veräußerung im Verhältnis zum Aussonderungsberechtigten unberechtigt erfolgt ist. Dies richtet sich allein nach der Rechtsbeziehung zwischen dem Schuldner und dem Sicherungsnehmer. Die Veräußerung ist demnach unberechtigt, wenn es dem Schuldner bzw. dem Insolvenzverwalter nach der vertraglichen Abrede nicht gestattet war, über den Gegenstand unter den gegebenen Umständen zu verfügen.288 Bei der Einziehung fremder Forderungen kommt es darauf an, ob sich der Schuldner auf eine Einziehungsermächtigung (§§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB) berufen konnte.
127
Ein besonderes Augenmerk gilt der Einziehungsermächtigung im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehalts mit Weiterveräußerungsermächtigung. Dieser geht in seiner Grundkonzeption mit der Ermächtigung des Vorbehaltskäufers einher, über das Vorbehaltsgut „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ zu verfügen (Weiterveräußerungsermächtigung, vgl. § 185 Abs. 1 BGB). Sie ist mit Blick auf das Sicherungsinteresse des Vorbehaltsverkäufers auszulegen, es kommt namentlich darauf an, ob der Vorbehaltskäufer annehmen darf, der Vorbehaltsverkäufer werde unter den gegebenen Umständen mit der Weiterveräußerung einverstanden sein (§§ 133, 157 BGB). Nach der Rechtsprechung des BGH dürften hieran nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden, weil die Weiterveräußerung auch
286 Smid, ZinsO 2020, 1573, 1575. 287 Saenger/Scholz, NZI 2021, 561, 564. 288 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 23.
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II. Aussonderungsfragen | Rz. 127c § 10
ohne ausdrückliche Vereinbarung der selbstverständliche Zweck des Geschäfts ist.289 Im Gegenzug tritt der Vorbehaltskäufer dem Vorbehaltsverkäufer sämtliche Forderungen aus dem Weiterverkauf antizipiert und sicherungshalber ab. Diese Vorausabtretung soll nach dem Willen der Parteien regelmäßig als stille Zession ausgestaltet sein, der Verkäufer erteilt dem Käufer mit anderen Worten eine weitere Ermächtigung, um die Forderung in eigenem Namen einzuziehen (Einziehungsermächtigung, vgl. §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB). Über die Frage, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt diese Einziehungsermächtigung im Fortgang des insolvenzlichen Geschehens entfällt, hatte der BGH in seiner Entscheidung vom 24.1.2019 („Getränkemarkt“) zu befinden. In der dortigen Fallgestaltung hatte sich der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt über die Rechte der Klägerin, einer Bank, die sich Getränke des Schuldners zur Sicherheit hat übereignen und Kundenforderungen hat abtreten lassen, hinweggesetzt. Nach den Abreden war die Schuldnerin ermächtigt, die sicherungsübereignete Ware im ordnungsgemäßen Geschäftsverkehr im eigenen Namen zu übereignen. Laut BGH teilten Einziehungs- und Weiterveräußerungsermächtigung dasselbe Schicksal, so dass die Frage über ihr Bestehen nur einheitlich beantwortet werden könne; der Wegfall der Veräußerungsermächtigung habe auch den Wegfall der Einziehungsermächtigung zur Folge. Und der Wegfall letzterer mache die ursprünglich berechtigte und vom Parteiwillen gedeckte „Veräußerung“ (gemeint ist der Forderungseinzug) zu einer unberechtigten i.S.v. § 48 InsO.290
127a
Jedenfalls das Geraten in die finanzielle Krise führe nicht zu einem automatischen Wegfall der Veräußerungs- und Einziehungsermächtigungen. Auch die Stellung des Insolvenzantrags ändere den Fortbestand entsprechender Abreden nicht. Gleiches gelte für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht auf Grundlage des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO.291 Die Einziehung fremder Forderung obliegt daher auch während der Krise grundsätzlich dem Insolvenzverwalter, es sei denn, die Einziehungsermächtigung wurde durch den Sicherungsnehmer wirksam widerrufen. Dies richtet sich nach der vertraglichen Abrede zwischen ihm und dem Schuldner, die nach allgemeinen Regeln, nicht zuletzt mit Blick auf die Interessen der Parteien, auszulegen ist (vgl. §§ 133, 157 BGB). Die zuoberst aufgeführten Umstände, nämlich das Geraten in die finanzielle Krise, der Eröffnungsantrag oder die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, berechtigen den Sicherungsnehmer aber nicht ohne weiteres zum Widerruf. Erst Recht können diese Umstände kein Rücktrittsrecht aus § 449 Abs. 2 BGB begründen.292 Im Einzelfall kann sich aus der Vereinbarung der stillen Zession ergeben, dass ein Recht zum Widerruf der Einziehungsermächtigung erst in einem Zeitpunkt entstehen soll, in welchem sich der Vertragspartner selbst vertragswidrig verhält. Der Vorbehaltskäufer soll die Einwilligung zur Weiterveräußerung nicht nach freiem Willen widerrufen können, andernfalls würde dem Vorbehaltskäufer der Warenumschlag unmöglich gemacht.293 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bildet hingegen die entscheidende Zäsur, nach deren Eintritt nicht mehr von einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang die Rede sein kann.
127b
In der Folgeentscheidung vom 12.12.2019,294 die den Vorbehaltskauf von Werkzeugstahl unter Vereinbarung von Weiterverarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen zum Gegenstand hatte, stellte der BGH klar, dass entsprechend gesicherte Gläubiger eine unberechtigte Forderungseinziehung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung nicht nachträglich genehmigen
127c
289 BGH v. 12.12.2019 – IX ZR 27/19, EWiR 2020, 311 (Dörrscheidt/Kalisz) = ZIP 2020, 182 = NZI 2020, 164 Rz. 23. 290 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17 („Getränkemarkt“), ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, EWiR 2019, 211 (Prütting) = IHR 2019, 210 = ZIP 2019, 472 = NZI 2019, 274 (Ganter). 291 Zusammenfassend etwa Saenger/Scholz, NZI 2021, 561, 562. 292 Saenger/Scholz, NZI 2021, 561, 563. 293 BGH v. 12.12.2019 – IX ZR 27/19, EWiR 2020, 311 (Dörrscheidt/Kalisz) = ZIP 2020, 182 = NZI 2020, 164. 294 BGH v. 12.12.2019 – IX ZR 27/19, EWiR 2020, 311 (Dörrscheidt/Kalisz) = ZIP 2020, 182 = NZI 2020, 164 Rz. 39.
Drees/Schmidt | 795
§ 10 Rz. 127c | Beratung des gesicherten Gläubigers können. Infolge der Genehmigung entfiele rückwirkend die Unwirksamkeit der Verfügung, ein Ersatzabsonderungsrecht des gesicherten Gläubigers würde begründet und der Masse zugeflossene Geldmittel würden entzogen, und zwar zum Nachteil der Insolvenzgläubiger. Dies verhindere § 91 InsO. 127d
In der Diktion des verlängerten Eigentumsvorbehalts mit Weiterveräußerungsermächtigung erfolgt die Weiterveräußerung des Vorbehaltsguts durch den Insolvenzverwalter im Einzelfall nicht mehr „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang“, wenn und soweit der Verkäufer die Veräußerung unter den gegebenen Umständen nicht mehr als mit seinen Sicherungsbedürfnissen vereinbar sehen darf. Dann kommt es auf einen wirksamen Widerruf des Vorbehaltsverkäufers nicht mehr an. Dies wird gemeinhin bei einer Verschleuderung der Vorbehaltsware angenommen.295 Überdies ist das Sicherungsinteresse als nachhaltig verletzt anzusehen, wenn der Insolvenzverwalter die vereinnahmten Gelder aus der Forderungseinziehung auf Geschäftskonten des Schuldners einzieht, weil dann die Gefahr besteht, dass der gesicherte Gläubiger seine offenen Forderungen aus der im Rahmen der Fortführung des Geschäftsbetriebs entstehenden Erlöse nicht bezahlt erhält. Um die Sicherungsinteressen des Vorbehaltsverkäufers zu wahren, muss der Insolvenzverwalter, und hierin liegt die Besonderheit der Getränkemarkt-Entscheidung, die vereinnahmten Gelder auf ein zugunsten des Sicherungsnehmers eingerichtetes offenes Treuhandkonto überweisen. Als Begründung wird angeführt, dass letztlich nur diese Vorgehensweise durch den Parteiwillen gedeckt sei (§§ 133, 157 BGB). Sogar eine dem Insolvenzverwalter seitens des Insolvenzgerichts in der Sicherungsanordnung erteilte Ermächtigung zum Forderungseinzug vermag hieran nichts zu ändern; die Ermächtigung des Sicherungsnehmers reiche nur so weit, wie sie dem Schuldner erteilt worden sei. Der BGH stellt insofern fest, dass auch das Insolvenzgericht eine auf § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO gestützte Veräußerungs- und Einziehungsermächtigung nicht erteilen kann. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Vorbehaltsverkäufer folglich ein Ersatzabsonderungsrecht aus § 48 Satz 2 InsO „doppelt analog“, wenn der Erlös nicht auf ein zu seinen Gunsten eingerichtetes Treuhandkonto eingezahlt wird. Kommt der vorläufige Verwalter dieser Obliegenheit nach, bleibt es dem Vorbehaltsverkäufer offen, die Einziehungsermächtigung wirksam zu widerrufen, wobei die in Rz. 127b dargestellten Hürden zu beachten sind. Im Ergebnis hat der BGH den tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 48 Satz 2 InsO in zweifacher Hinsicht ausgedehnt. Zum einen handelte anstelle des Schuldners bzw. des Insolvenzverwalters ein vorläufiger Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren (hierzu Rz. 131), zum anderen hat er durch die nicht vom Parteiwillen gedeckte, mithin unberechtigte „Veräußerung“ kein Aus-, sondern ein Absonderungsrecht vereitelt. Hinzu tritt die auf bloßen Annahmen beruhende Argumentation, dass der Vorbehaltsverkäufer im Insolvenzeröffnungsverfahren mit der Forderungseinziehung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht einverstanden wäre, wenn er die eingezogenen Beträge nicht auskehrt oder zumindest separiert.
127e
Damit trifft den vorläufigen Insolvenzverwalter die Pflicht, den Erlös aus der Verwertung des Sicherungsguts auf offenen Sonderkonten zugunsten des Berechtigten anzulegen und zu separieren; insbesondere darf er den Erlös nicht verwenden, um die Fortführung des Unternehmens zu finanzieren.296 Um diese Konfliktlage zu entschärfen, ist der Insolvenzverwalter gut beraten, sich mit den Sicherungsnehmern zu verständigen, indem er verhindert, dass sie den Widerruf der Einziehungsermächtigung erklären und sicherstellt, dass die Verwertung weiterhin im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgt.297 Eine diesen Grundsätzen zuwiderlaufende Verwertung durch den Insolvenzverwalter begründet (neben dem Anspruch aus § 48 InsO) Schadensersatzansprüche gem. § 60 InsO in Höhe der vereinnahmten Erlöse.298
295 BGH v. 28.10.1988 – V ZR 14/87, NJW 1989, 521 = EWiR 1989, 123 (Köndgen) = ZIP 1989, 12, 522. 296 Krit. Smid, ZInsO 2019, 2554, der BGH stelle den vorläufigen Verwalter vor „anspruchsvolle Aufgaben“. 297 Brinkmann, BB 2019, 1474, 1478. 298 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 27.
796 | Drees/Schmidt
II. Aussonderungsfragen | Rz. 129 § 10
Entsprechendes gilt fortan für das vorinsolvenzliche Restruktierungsverfahren. Auf Antrag des Schuldners kann das Restrukturierungsgericht Verfügungs- und Verwertungssperren (sog. Stabilisierungsanordnungen) verhängen, vgl. § 49 StaRUG, die den gerichtlichen Anordnungen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 5 InsO weitgehend entsprechen. Auch in diesen Verfahren kann der Schuldner davon ausgehen, die Einziehung sicherungsabgetretener Forderungen und die Veräußerung sicherungsübertragener oder unter Eigentumsvorbehalt erworbener Ware erfolge nicht mehr im ordnungsgemäßen Geschäftsgang. Ihn trifft damit wie im Insolvenzeröffnungsverfahren die Pflicht, die dabei erzielten Erlöse an den Berechtigten auszukehren oder zu separieren. Dieser Gedanke findet nun in § 54 Abs. 2 StaRUG seinen Niederschlag, wobei die Vorschrift abweichende Vereinbarungen zwischen Schuldner und Sicherungsnehmer nun ausdrücklich zulässt299 (vgl. zu den Instrumenten des Restrukturierungsrahmens allgemein § 2 Rz. 159 ff. und konkret zur Separierungsverpflichtung § 2 Rz. 172 dieses Buchs).
127f
Die Veräußerung muss zudem entgeltlich, d.h. um einer Gegenleistung willen erfolgen. Fehlt die Gegenleistung – wie etwa bei einer Schenkung –, schuldet der Empfänger dem Berechtigten nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB Herausgabe des Erlangten.
127g
Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen des Ersatzaussonderungsanspruchs ist derjenige, der sich darauf beruft.300 Dies ist der Aussonderungsberechtigte, dessen Recht durch das Handeln des Schuldners oder Insolvenzverwalters vereitelt wurde.
127h
Voraussetzung für die Geltendmachung des Ersatzaussonderungsanspruchs ist nach § 48 Abs. 2 InsO weiterhin, dass die Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse weilt.301 Dies ist bei einer Gegenleistung in Form einer Geldzahlung dann der Fall, wenn
128
– diese entweder getrennt von dem übrigen Bargeld oder auf einem Sonderkonto302 verwahrt wird; hieran fehlt es insbesondere bei der Einziehung von Bargeld in die Kasse des Schuldners303 oder auch des Insolvenzverwalters. – diese auf ein laufendes Konto des Insolvenzverwalters bzw. ein seiner Verfügung unterliegendes Konto des Schuldners gelangt ist, da bei Beendigung des Kontokorrents die Aussonderungsfähigkeit aufgrund der einzelnen Buchungsvorgänge und Belege gegeben ist.304 Dies gilt nach überwiegender Ansicht auch dann, wenn es zwischenzeitlich zu weiteren Zahlungsausgängen oder -eingängen kam bzw. ein periodischer Rechnungsabschluss auf dem Konto erfolgte.305 Gleiches gilt für Zahlungen auf das vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingerichtete Anderkonto, da seine Sicherungsaufgabe gerade die Einziehung fremder Gelder und Forderungen umfasst.306 Voraussetzung für die Unterscheidbarkeit ist, dass das Konto eine ausreichende, sprich eine den Aussonderungsbetrag übersteigende Deckung aufweist.307 Denn bei einem debitorisch geführten Konto kann mangels Gegenleistung nicht ausgesondert werden, da die Bank die Gutschrift sofort mit dem 299 300 301 302 303 304 305 306 307
Hierzu Trowski, NZI 2021, 297. Ganter in MünchKomm/InsO, § 48 Rz. 73c. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 40; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 48 Rz. 17. BGH v. 17.9.1998 – IX ZR 300/97, ZIP 1998, 1805 = EWiR 1999, 27 (Marotzke); BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 = EWiR 1999, 707 (Canaris) = VersR 2000, 1245. OLG Köln v. 25.8.2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151. BGH v. 15.11.1988 – IX ZR 11/88, ZIP 1989, 118 = EWiR 1989, 285 (Gerhardt); BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626; Krull, InVo 2000, 257 = EWiR 1999, 707 (Canaris) = VersR 2000, 1245, 258; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.258. BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626, 627 f.; Krull, InVo 2000, 257 = EWiR 1999, 707 (Canaris) = VersR 2000, 1245, 259. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 29. So genannte Bodensatztheorie, vgl. hierzu v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626, 627 f. m. Anm. Canaris, EWiR 1999, 707. Zur = VersR 2000, 1245 jüngeren Rechtsprechung vgl. BGH v. 24.6.2003 –
Drees/Schmidt | 797
129
§ 10 Rz. 129 | Beratung des gesicherten Gläubigers dortigen Sollsaldo verrechnet.308 Eine Aussonderung wegen eines bloßen Geldsummenanspruchs kennt die Rechtsordnung nicht.309 Daraus ergibt sich weiterhin, dass die Ersatzaussonderungsmöglichkeit nur bis zur Höhe des in der folgenden Zeit niedrigsten Saldos besteht,310 die spätere Wiederauffüllung des Kontos durch anderweitige Gutschriften lässt den Anspruch hingegen nicht wieder aufleben.311 Gleiches gilt für die Anfechtung einer Verrechnung; auch diese lässt einen Ersatzaussonderungsanspruch nicht wiederaufleben.312 129a
Streitig ist, ob die Unterscheidbarkeit auch dann entfällt, wenn Zahlungen auf ein kreditorisches Schuldnerkonto geleistet und dort in das Kontokorrent eingestellt werden.313 Entsprechend dem zuvor Gesagten (Rz. 128) bejaht der BGH einen Ersatzaussonderungsanspruch, soweit die Gutschrift durch Belege feststellbar und nicht durch Abbuchungen verbraucht ist;314 für die Höhe der Ersatzaussonderung ist der niedrigste Tagessaldo nach Gutschrift maßgeblich.
129b
Ist eine Unterscheidbarkeit hingegen nicht mehr zu verzeichnen, erlischt das Ersatzaussonderungsrecht und dem Berechtigten verbleibt nur noch ein als Masseanspruch geltend zu machender Bereicherungsanspruch gegenüber der Masse oder ein Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter.315
129c
Prozessual trifft den Anspruchsteller, ebenso wie für die sonstigen Voraussetzungen des § 48 InsO, die Darlegungs- und Beweislast für die dauerhafte Unterscheidbarkeit der Beträge in der Masse. Dazu muss er auch Angaben zum jeweiligen Kontosaldo machen und darlegen, dass die für das Sicherungsgut erzielten Erlöse auf einem kreditorisch geführten Konto eingegangen sind. Überdies muss er darlegen, dass die Kontostände bis zum Zeitpunkt des Anspruchsbegehrens nie unter die herausverlangten Gutschriften abgesunken sind.316 Den Insolvenzverwalter trifft hierbei allerdings eine sekundäre Beweislast; der darlegungs- und beweisbelaste Anspruchsteller braucht demnach nur pauschal vorzutragen, zumal er meistens keine näheren Informationen über die Kontostände des Schuldners besitzen wird.317 Dazu tritt der dem Berechtigten zustehende Auskunftsanspruch gegen den Insolvenzverwalter, der allerdings klageweise und gesondert geltend zu machen ist.
130
Soweit die unberechtigte Veräußerung des Sicherungsgegenstandes nicht nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter stattgefunden hat und damit nicht die Voraussetzungen einer Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO gegeben sind, wird der Berechtigte regelmäßig nicht mehr vorrangig befriedigt, sondern auf eine einfache Insolvenzforderung verwiesen.
131
Da auch bereits der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis im Insolvenzeröffnungsverfahren („starker vorläufiger Insolvenzverwalter“) dazu in der Lage ist, Aussonderungsrechte durch Verfügungen über der Aussonderung unterliegende Gegenstände zu vereiteln, muss § 48 InsO dem Gläubiger in entsprechender Anwendung auch in diesem Fall ein Ersatzaussonderungsrecht zugeste-
308 309 310 311 312 313 314 315 316 317
IX ZR 120/02, NZI 2003, 549, 550; OLG Hamm v. 7.10.2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 ff. m. Anm. Gundlach/Schmidt; BGH v. 9.4.2002 – X ZR 228/00, EWiR 2003, 75 = VersR 2002, 866, 76. OLG Hamm v. 7.10.2003 – IX ZR 154/03, ZInsO 2004, 97. OLG Köln v. 25.8.2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151, 152. BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/03, EWiR 2006, 503 (Frind) = ZIP 2006, 959 = ZInsO 2006, 493. BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 = EWiR 1999, 707 (Canaris) = VersR 2000, 1245, 627 f.; Ganter in MünchKomm/InsO, Vorbem. Vor § 48 Rz. 176. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 23, 26. Zu diesem Streitstand vgl. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 27. BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/03, EWiR 2006, 503 (Frind) = ZIP 2006, 959 = ZInsO 2006, 493. BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 = EWiR 1999, 707 (Canaris) = VersR 2000, 1245, 627. BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, EWiR 2019, 211 (Prütting) = IHR 2019, 210 = ZIP 2019, 472 („Getränkemarkt“) = NZI 2019, 274 (Ganter). Brinkmann, BB 2019, 1474, 1476 f.
798 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 137 § 10
hen,318 zumal der Dritteigentümer nur wegen des Eröffnungsverfahrens nicht schlechter stehen darf als im Insolvenzverfahren. Erforderlich ist, dass es sich um eine unberechtigte, gleichsam wirksame Veräußerung handelt.319 Veräußerungen durch einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter können eine Ersatzaussonderung nicht begründen, weil sie unwirksam sind und der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis nicht geschützt wird.320 Der Umfang des Ersatzaussonderungsanspruchs bezieht sich auf die tatsächlich seitens des Insolvenzschuldners oder Insolvenzverwalters erzielte Höhe der Gegenleistung einschließlich eines möglicherweise erzielten Gewinns.321
132
Bei einer unberechtigten Veräußerung einer Sachgesamtheit steht dem Aussonderungsberechtigten ein Anspruch in Höhe des auf den Aussonderungsgegenstand entfallenden Anteils der Gegenleistung zu.322
133
Tritt an die Stelle des ursprünglichen Aussonderungsguts im Wege der dinglichen Surrogation323 ein anderer Gegenstand, findet § 48 InsO keine Anwendung. Der Ersatzgegenstand wird in diesen Fällen nicht Eigentum des Insolvenzschuldners, sondern steht ohnehin weiter dem ursprünglich Berechtigten zu, so dass dieser nach § 47 InsO zur Aussonderung berechtigt ist. Dies ist gemeint, wenn gesagt wird, eine dingliche Surrogation schließe die Ersatzaussonderung gerade aus.324
134
III. Absonderungsfragen 1. Die Absonderung Nachdem die außerordentliche Zunahme der Mobiliarsicherheiten ganz erheblich zu dem Funktionsverlust des Konkursrechts beigetragen hatte, bildete die Behandlung der Mobiliarsicherheiten einen Schwerpunkt der Insolvenzrechtsreform. Die Reformbestrebungen zielten darauf ab, die gesicherten Gläubiger stärker in das Insolvenzverfahren einzubinden und zugleich an den Kosten des Verfahrens, insbesondere den Kosten der Sicherheitenverwertung, zu beteiligen.
135
Diese Einbindung in das Insolvenzverfahren kennzeichnet zugleich den wesentlichen Unterschied zur Aussonderung: Es wird gerade nicht die Herausgabe eines Sicherungsgutes beansprucht, sondern die vorzugsweise Befriedigung aus dem Verwertungserlös des weiterhin zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstands. Der Absonderungsgegenstand gehört mithin unbestritten zum Vermögen des Insolvenzschuldners. Unter Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann der Absonderungsberechtigte seine Vorzugsbefriedigung aus einem bestimmten Massegegenstand verlangen und damit außerhalb der allgemeinen Verfahrensbeschränkungen und quotalen Ausschüttungen vor allen anderen Befriedigung aus dem Verwertungserlös des Sicherungsguts verlangen.
136
Der Verwertungserlös steht in Höhe der offenen Forderung, für die das Absonderungsrecht besteht, dem Absonderungsberechtigten zu. Ein etwaiger Übererlös, der nach der Verwertung Gegenstands und der Befriedigung des absondernden Berechtigten verbleibt, gebührt hingegen aufgrund der nach § 1247 Satz 2 BGB eintretenden dinglichen Surrogation der Insolvenzmasse und ist an den Insolvenz-
137
318 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 3; 14; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 48 Rz. 19; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 48 Rz. 28; Saenger/Scholz, NZI 2021, 561, 567. 319 Siehe Rz. 126e; Saenger/Scholz, NZI 2021, 561, 567. 320 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 48 Rz. 23; Ganter, NZI 2005, 1, 7. 321 Ganter in MünchKomm/InsO, § 48 Rz. 67; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 48 Rz. 25. 322 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 48 Rz. 15 f. 323 So etwa die ausdrückliche Anordnung in den §§ 1247 Satz 2, 1048 Abs. 1 Satz 2, 1287, 1370, 1473, 1646, 2019, 2041, 2111 BGB, § 92 Abs. 1 ZVG; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 19. 324 Ganter, NZI 2005, 1, 2.
Drees/Schmidt | 799
§ 10 Rz. 137 | Beratung des gesicherten Gläubigers verwalter auszukehren, worin gerade die weitere Zugehörigkeit des Absonderungsguts zur Insolvenzmasse zum Ausdruck kommt.325 Soweit der Absonderungsberechtigte bei der abgesonderten Befriedigung ausfällt oder auf diese verzichtet, nimmt er an der anteilsmäßigen Befriedigung aus der Insolvenzmasse teil, § 52 Satz 2 InsO. Wie das Recht der Aussonderung in der ZPO seine Parallele in der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) findet, würde die Vorzugsklage (§ 805 ZPO) in der Einzelzwangsvollstreckung der Absonderung entsprechen.
2. Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) a) Absonderungsfähige Objekte 138
Der Kreis der Absonderungsberechtigten ist in den §§ 49–51 InsO abschließend geregelt. Eine vertragliche Erweiterung des Kreises der Berechtigten ist nicht möglich. Weder dem Schuldner noch dem Insolvenzverwalter steht es zu, Absonderungsrechte zu vereinbaren oder anzuerkennen, soweit diese über die gesetzlich Vorgesehenen hinausgehen. Wem letztlich im Einzelnen ein Absonderungsrecht zukommt, ist in den insolvenzrechtlichen Regelungen nicht näher festgelegt, sondern bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften, die einer bestimmten Rechtsposition das Recht auf Befriedigung aus einem bestimmten Vermögensgegenstand zuschreiben.
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Hinweise für den Berater: – Der insolvenzrechtlichen Beratung eines gesicherten Gläubigers geht damit gedanklich und auch tatsächlich eine zivilrechtliche Beratung voraus. Gegenstand dieser Beratung ist in erster Linie die Überprüfung der Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung. Nur wirksame Sicherheitenrechte eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 49 ff., 166 ff. InsO. – Auch innerhalb der insolvenzrechtlichen Beratung gibt es zwingende gedankliche Vorüberlegungen. Mit der Feststellung der zivilrechtlichen Wirksamkeit ist es nicht getan. Die Geltendmachung von Absonderungsrechten setzt weiterhin deren Insolvenzfestigkeit voraus. Hierfür hat der Berater den Einwand der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit (§§ 129 ff., 143 Abs. 1 InsO) und die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit aus anderen Gründen, etwa gem. § 88 InsO326 (§ 9 Rz. 160), zu überprüfen. Indizien für entsprechenden Beratungsbedarf sind die zeitliche Nähe zum Insolvenzantrag und die Vereinbarung nachträglicher Sicherheiten. Diese Fragen betreffen insbesondere die Insolvenzanfechtung und werden in § 10 behandelt. Zur anwaltlichen Beratung von Kreditinstituten vgl. § 12. – Die Erfolgsaussichten der Verfolgung von Absonderungsrechten können nicht ohne sorgfältige Überprüfung dieser Vorfragen beurteilt werden. Kommt es zu einer streitigen Auseinandersetzung, werden Insolvenzverwalter stets bemüht sein, Wirksamkeit und Insolvenzfestigkeit anzugreifen. – Gesicherte Gläubiger sind gut beraten, diese Vorfragen auch dann zu klären, wenn die den Sicherheiten zugrunde liegende Hauptforderung noch vor dem Insolvenzantrag beglichen worden ist. Denn sollte diese Befriedigung erfolgreich angefochten werden, so leben mit der Hauptforderung sowohl akzessorische327 als auch nicht akzessorische328 Sicherheiten wieder auf.329
325 BGH v. 13.10.1959 – VIII ZR 186/58, NJW 1959, 2251. 326 Die sog. Rückschlagsperre des § 88 InsO gilt für Sicherungen, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt hat. Entsprechende Sicherheiten werden mit Verfahrenseröffnung unwirksam. Betroffene Sicherheiten sind insb. die zur Absonderung berechtigenden Zwangssicherungshypotheken (Rz. 185 ff.) und Pfändungspfandrechte (Rz. 183 ff.). Zum Umfang der insolvenzrechtlichen Rückschlagsperre bei der Pfändung künftiger Lohnansprüche vgl. OLG Nürnberg v. 17.9.2013 – 12 U 1530/12, OLG Nürnberg v. 17.9.2013 – 4 U 1719/13, ZIP 2014, 286. Zu § 88 InsO im Allgemeinen vgl. die lehrreiche Entscheidung des LG Leipzig v. 15.12.2004 – 1 S 5075/04, ZInsO 2005, 833 und Thietz-Bartram/Spilger, ZInsO 2005, 858. 327 BGH v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, KTS 1974, 96. 328 OLG Frankfurt v. 25.11.2003 – 9 U 127/02, ZIP 2004, 271 m. Anm. Wagemann, EWiR 2004, 563, 564. Zur Vorinstanz vgl. LG Frankfurt v. 15.8.2003 – 17 O 370/02, ZInsO 2003, 907 m. Bspr. von Biehl, ZInsO 2003, 932 ff. 329 Ausführlich hierzu Heidbrink, NZI 2005, 363 m. zahlr. w.N.
800 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 141 § 10
Innerhalb des Kreises der absonderungsberechtigten Gläubiger differenziert der Gesetzgeber danach,
140
– ob sich das Befriedigungsrecht auf unbewegliche Gegenstände (§ 49 InsO, vgl. Rz. 141) bezieht, die der Immobiliarzwangsvollstreckung nach den §§ 864, 865 ZPO unterliegen, oder – ob es sich um Pfandrechte (§ 50 InsO, vgl. Rz. 150 ff.) oder ihnen gleichgestellte Rechte (§ 51 InsO, vgl. Rz. 168 ff.) an beweglichem Vermögen handelt, zu dem das Gesetz sowohl bewegliche Sachen als auch Forderungen zählt. Grundsätzlich muss das Absonderungsrecht bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen (§ 91 Abs. 1 InsO). Das heißt jedoch nicht, dass nicht auch nach Eröffnung des Verfahrens Absonderungsrechte zur Entstehung gelangen können. Aus den §§ 91 Abs. 2 und 106 InsO ergibt sich, dass ein Absonderungsrecht in Ausnahmefällen auch noch nach dem Eröffnungszeitpunkt entstehen kann, so z.B. in dem Fall einer nach Insolvenzeröffnung eingetragenen Vormerkung, wenn
140a
– eine bindende Bewilligung vorliegt und – ihre Eintragung vor dem Eröffnungszeitpunkt beantragt war.330 Ferner kann der Insolvenzverwalter selbst noch Pfandrechte an Massegegenständen bestellen331 und Massegläubiger können durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in Massegegenstände neu Pfandrechte erwerben.332 Zudem kann sich das Bezugsobjekt des Absonderungsrechts noch verändern, indem der Insolvenzverwalter selbst Verfügungen vornimmt, beispielsweise Zubehör einem Grundstück zuordnet, oder dadurch, dass ein Eigentumsvorbehalt am Zubehör erlischt. Unzulässig ist die Begründung von Absonderungsrechten durch den Insolvenzverwalter indes dann, wenn der Masse keine entsprechenden Gegenleistungen zufließen. Solche Verfügungen sind insolvenzzweckwidrig. Dogmatisch ergibt sich die Unwirksamkeit der Begründung des Absonderungsrechts aus dem Missbrauch der Vertretungsmacht.333 Besteht für die Hauptforderung bereits ein Absonderungsrecht, so kann der Berechtigte aus dem behafteten Gegenstand auch für die nach Verfahrenseröffnung entstehenden Zinsen Befriedigung suchen,334 obwohl es sich bei den Zinsen selbst nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur um nachrangige Insolvenzforderungen handelt. Dennoch haftet der absonderungsbelastete Gegenstand für diese Zinsen in voller Höhe. Zur Tilgungsreihenfolge und hiervon abhängigen Methodik der Ausfallberechnung vgl. nachstehend Rz. 390.
140b
b) Immobiliarsicherheiten Die Rechte selbst, die dem Berechtigten im Einzelfall ein Absonderungsrecht gewähren, sind außerhalb der InsO geregelt. Nach § 49 InsO sind Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus Gegenständen zusteht, die der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen, nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Ein Absonderungsrecht an unbeweglichen Gegenständen nach den §§ 49, 165 InsO gewähren alle in § 10 ZVG erfassten Rechte und Ansprüche, da diesen in § 10 ZVG ein Recht auf Befriedigung zugeschrieben wird, und damit vor allem
330 BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 100/03, NotBZ 2005, 182 = ZIP 2005, 627 = ZInsO 2005, 370, 371. 331 Zu den Möglichkeiten der Kreditfinanzierung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren und zur insolvenzfesten Absicherung von Massekrediten durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter vgl. Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 42. 332 Lohmann in HK/InsO, § 50 Rz. 13; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 5. 333 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWiR 2003, 125 (Tintelnot) = ZIP 2002, 1093 = ZInsO 2002, 577. 334 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, EWiR 2011, 321 (Flitsch) = NZI 2011, 247; BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, EWiR 2009, 89 (Gundlach/Frenzel) = ZIP 2008, 1539, 1541 f.; BGH v. 5.12.1996 – IX ZR 53/96, NJW 1997, 522 = EWiR 1997, 227 (Henckel).
Drees/Schmidt | 801
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§ 10 Rz. 141 | Beratung des gesicherten Gläubigers – Hypotheken, – Grund- und Rentenschulden, – Reallasten und – Registerpfandrechte bei eingetragenen Luftfahrzeugen und Schiffen. 142
Diesen dinglich gesicherten Gläubigern steht bereits ein Recht zur Seite, dessen gesetzlicher Inhalt ihnen ein Befriedigungsrecht an der dinglichen Sicherheit zuschreibt. Kraft ihres gesetzlichen Inhalts verschaffen diese Rechte ihren Inhabern ein Absonderungsrecht für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Sicherungsgebers. Wie sich die Rangfolge mehrerer Absonderungsberechtigter untereinander gestaltet und welcher Inhalt dem Absonderungsrecht zukommt, wird durch die §§ 10–14 ZVG bestimmt. Welche Gegenstände dabei der Immobiliarzwangsvollstreckung unterliegen ist den §§ 864, 865 ZPO i.V.m. §§ 93 ff., 1120 ff., 1265 BGB zu entnehmen (vgl. hierzu Rz. 145 ff.)
142a
Exkurs: Sonstige dinglich gesicherte Gläubiger (Hausgeld, Grundbesitzabgaben, Erbbauzinsen, etc.) In der Praxis der Kreditsicherung haben die erwähnten Hypotheken und Grundschulden zweifelsohne die größte Bedeutung unter den Absonderungsrechten, die ein „Recht auf Befriedigung“ aus dem Grundstück begründen. Über die nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG dinglich berechtigten Grundpfandrechtsgläubiger (d.h. Grundschuld- und Hypothekengläubiger) hinaus kommt – den Hausgeldforderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft335 (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG) und – den öffentlichen Grundstückslasten, insbesondere Grundsteuerforderungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG) erhebliche praktische Bedeutung zu.
142b
So ist in der Insolvenz eines Wohnungseigentümers die Wohnungseigentümergemeinschaft wegen der nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG bevorrechtigten, vor der Insolvenzeröffnung fällig gewordenen Hausgeldansprüche ohne die Notwendigkeit einer vorherigen Beschlagnahme des Wohnungseigentums absonderungsberechtigt.336 Nach jüngerer Rechtsprechung des BGH folgt dies nicht aus dem dinglichen Charakter dieses Vorrechts. Die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 InsO enthalte lediglich eine Privilegierung schuldrechtlicher Ansprüche sowohl im Zwangsversteigerungsverfahren als auch – i.V.m. § 49 InsO – im Insolvenzverfahren.337 Das Vorrecht wegen der Hausgeldansprüche an der bis dahin nicht beschlagnahmten Eigentumswohnung entsteht mit der Verfahrenseröffnung. Jedoch kann die Wohnungseigentümergemeinschaft keine Zahlungsklage erheben. Haben also die Berechtigten gegen den säumigen Wohnungseigentümer vor der Insolvenzeröffnung keinen Zahlungstitel erlangt, können sie den das Absonderungsrecht bestreitenden Insolvenzverwalter mit der Pfandklage auf Duldung der Zwangsversteigerung in die Eigentumswohnung in Anspruch nehmen. Das Prozessgericht muss in diesem Fall prüfen, ob die Voraussetzungen des Vorrechts gegeben sind.338
142c
Die praktischen Probleme ergeben sich nicht nur aus diesen rechtlichen Besonderheiten und aus der Frage nach der Existenz solcher (rückständigen) Forderungen als solchen, sondern insbesondere auch aus der Schwierigkeit der Ermittlung der Gläubiger dieser Rangklassen (Nr. 2 und 4). Anders als bei Grundschulden und Hypotheken ergeben sich diese Rechte nicht aus dem Grundbuch. Zu ihrer Ermittlung muss der Insolvenzverwalter offene Verbindlichkeiten bei potentiellen Absonderungsberechtigten abfragen bzw. die Forderungsanmeldungen hierauf überprüfen. Bei bestimmten Abgabenarten (z.B. Abfallentsorgung und Straßenreinigung) bedarf es zusätzlich der Prüfung nach Maßgabe ein335 Sinz/Hiebert, ZInsO 2012, 205 ff. 336 Grundlegend hierzu BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 120/10, ZIP 2011, 1723 = EWiR 2011, 715 (Eckert) = MietRB 2011, 346. 337 BGH v. 13.9.2013 – V ZR 209/12, ZIP 2013, 2122 ff. = EWiR 2014, 265 (Kesseler) = MietRB 2013, 327 m. zahlr. w. N. 338 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 120/10, ZIP 2011, 1723 = EWiR 2011, 715 (Eckert) = MietRB 2011, 346 m. Anm. Drado, NZI 2011, 731 ff.
802 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 142f § 10
schlägiger Spezialbestimmungen (z.B. § 12 GrStG), inwieweit diese überhaupt öffentliche Lasten im Sinne der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG sind.339 Beabsichtigt der Insolvenzverwalter die freihändige Verwertung des entsprechend belasteten Grundbesitzes bzw. Wohnungseigentums, so gelingt ihm dies regelmäßig nur dann, wenn er sich gegenüber dem Erwerb zur lastenfreien Veräußerung verpflichtet.340
142d
Praktisch kann der Insolvenzverwalter das Grundstück daher nur dann veräußern, wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger bereit sind, auf ihre dinglichen Rechte am Grundstück zu verzichten. Denn bei der freihändigen Veräußerung bleiben alle im Grundbuch eingetragenen Rechte bestehen und belasten weiterhin das Grundstück.341 Reicht der Erlös zur Befriedigung der betreffenden Gläubiger aus, so erteilen diese in Treuhandaufträgen die Zustimmung zur Löschung der eingetragenen Rechte gegen Befriedigung der gesicherten Forderungen.342 Ist dagegen das Grundstück wertübersteigend belastet, muss der Insolvenzverwalter über die Ermittlung und Feststellung der Absonderungsberechtigung hinaus Verwertungsvereinbarungen mit diesen herbeiführen.343
142e
Fehlt es an solchen Vereinbarungen, scheitert – mangels Erkennbarkeit solcher Lasten im Grundbuch und der fehlenden Einbindung der entsprechenden Gläubiger bei der Umsetzung – nicht zwingend die Abwicklung des Kaufvertrages, jedoch droht dem Insolvenzverwalter der Rückgriff durch den Erwerber, wenn der Gläubiger vom Erwerber Zahlungen zur Abwendung der Vollstreckung fordert.344 Es sind weder nachträgliche Verwertungsvereinbarungen möglich noch kann der entsprechende Gläubiger nachträglich bei der Erlösverteilung berücksichtigt werden. Letzterem hat der BGH gleich zweimal eine Absage erteilt.345 Dies ist in erster Linie dadurch begründet, dass der Gläubiger gegenüber der Insolvenzmasse kein Absonderungsrecht geltend machen kann, da der Gegenstand nicht mehr in die Insolvenzmasse fällt.346 Ebenso wenig liegt ein Fall der Ersatzabsonderung vor. Diese setzt eine Veräußerung voraus, die zu einem Rechtsverlust des Absonderungsgläubigers führt. Hieran fehlt es, wenn das dingliche Recht am veräußerten Gegenstand fortbesteht.347
142f
339 Büchler, ZInsO 2011, 718, 719. 340 Zu den praktischen Facetten der freihändigen Verwertung vgl. Hartwig/Schmittmann, InsbürO 2014, 347. 341 So für § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG vom BGH entschieden, vgl. BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, EWiR 2010, 431 (Büchler) = ZInsO, 914, 915 und zuvor Rz. 142c. Streitig für das zur Absonderung berechtigende Vorrecht der Wohnungseigentümergemeinschaft nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG. Durch BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 120/10, ZIP 2011, 1723 ff. = EWiR 2011, 715 (Eckert) = MietRB 2011, 346 = VersR 2014, 597 ausdrücklich offen gelassen; nach LG Landau in der Pfalz v. 17.8.2012 – 3 S 11/12, ZInsO 2012, 2258 ff. haftet der Erwerber mit seinem Wohnungseigentum nicht fort für die Hausgeldrückstände des insolventen Wohnungseigentümers. Anders h.M.: Sinz/Hiebert, ZInsO 2012, 205 ff. m.w.H. 342 Zu den Ansprüchen des Insolvenzverwalters auf Erteilung einer Löschungsbewilligung gegen nachrangige Grundpfandgläubiger bei wertausschöpfender Belastung vgl. OLG Nürnberg v. 19.11.2013 – 4 U 994/13, EWiR 2014, 123 = ZIP 2013, 2471; LG Leipzig v. 27.11.2013 – 05 O 3032/12, ZInsO 2014, 100. 343 Zur Insolvenzzweckwidrigkeit von sog. Lästigkeitsprämien vgl. BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884. = EWiR 2008, 471 (Schulz) = NotBZ 2008, 234 Diese zu rechtsgeschäftlichen Sicherungsrechten ergangene Rechtsprechung hat das OLG Nürnberg in gleicher Weise für anwendbar erklärt bei nachrangigen gesetzlichen Sicherungsrechten, vgl. Fn. 2 zu Rz. 139. Zu dieser Thematik vgl. auch Wipperfürth, ZInsO 2014, 1263 ff. 344 So der BGH in seiner Entscheidung v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, NotBZ 2010, 307 m. Anm. Suppliet = ZIP 2010, 791 = ZInsO 2010, 764 für Erbbauzinsen und in seiner Entscheidung v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, EWiR 2010, 431 (Büchler) = ZIP 2010, 994 = ZInsO 2010, 914 für rückständige Grundsteuer. 345 BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, EWiR 2010, 431 (Büchler) = ZIP 2010, 994 = ZInsO 2010, 914; BGH v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, NotBZ 2010, 307 m. Anm. Suppliet = ZIP 2010, 791 = ZInsO 2010, 764. 346 BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, EWiR 2010, 431 (Büchler) = ZIP 2010, 994 = ZInsO 2010, 994, 995. 347 Büchler, ZInsO 2011, 718, 720.
Drees/Schmidt | 803
§ 10 Rz. 143 | Beratung des gesicherten Gläubigers 143
Während sich für die genannten Grundpfandrechte und Reallasten das dingliche Vorrecht (§ 49 InsO) unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, bedurfte es für die Absonderungskraft des Vormerkungsanspruchs des nachrangig besicherten Grundpfandgläubigers gem. § 1179a BGB der höchstrichterlichen Klärung und selbst hiernach bestand nur einstweilen Rechtsklarheit.348 Wurde in der Vorauflage noch für den Fall, dass ein Schuldner ein vorrangiges, nicht mehr valutiertes Grundpfandrecht abtritt, dem Vormerkungsanspruch des nachrangig gesicherten Grundpfandgläubigers gem. § 1179a Abs. 1 BGB ein Absonderungsrecht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH des IX. Zivilsenats vom 9.3.2006 versagt,349 ist die Rechtslage aufgrund abweichender Senatsrechtsprechung350 inzwischen ungesichert. Mit Urteil vom 27.4.2012 hat der V. Senat in ausdrücklicher Abweichung von dem erwähnten Urteil des IX. Zivilsenats als Leitsatz festgestellt, dass der Anspruch nach § 1179a BGB insolvenzfest sei.351 Ob dies auch für einen abgetretenen Rückgewähranspruch gilt, konnte der V. Senat offen lassen. Für diese Fallgestaltung hatte wiederum der IX. Zivilsenat in einem weiteren Urteil – nach der Entscheidung vom 9.3.2006 – angenommen, dass die Sicherungsabtretung des Anspruchs auf Rückgewähr einer Grundschuld jedenfalls dann ein Absonderungsrecht begründen kann, wenn eine Revalutierung der Grundschuld ohne die Zustimmung des Abtretungsempfängers nicht oder nicht mehr in Betracht kommt.352 Genau aus diesem Grund hatte der IX. Zivilsenat in seiner Entscheidung vom 9.3.2006 den Anspruch aus § 1179a BGB als nicht insolvenzfest qualifiziert, da sein Entstehen allein vom Schuldner abhinge.353 Der Praxis ist nicht zuletzt aufgrund dieser divergierenden Rechtsprechung und der fehlenden Aussage des V. Zivilsenats zur Sicherungsabtretung des Anspruchs auf Rückgewähr einer Grundschuld zur Vorsicht zu raten; insbesondere kann nicht aus den beiden Judikaten – des V. Senats354 zum einen und des IX. Senats355 zum anderen – die Insolvenzfestigkeit der entsprechenden Sicherungsabtretung einerseits und des gesetzlichen Vormerkungsanspruchs nach § 1179a BGB andererseits gefolgert werden.356 aa) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte
144
Gegenstand von Absonderungsrechten am Immobiliarvermögen können Grundstücke (§ 864 Abs. 1 ZPO) und grundstücksgleiche Rechte (§§ 864, 870 ZPO) sein. Zu Letzteren zählen vornehmlich das Erbbaurecht, Wohnungs- und Teileigentum sowie Bergwerkseigentum.357 Des Weiteren unterliegen dem Absonderungsrecht in die Luftfahrzeugrolle eingetragene Luftfahrzeuge sowie die im Schiffsregister eingetragenen Schiffe und Schiffsbauwerke.358 Betroffen sind ebenso Miteigentumsanteile an
348 Aktuell und instruktiv: Kesseler, ZIP 2014, 110 ff. 349 BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 11/05, ZIP 2006, 1141 ff. = NotBZ 2006, 395 m. Anm. Krause m. Anm. Kesseler, EWiR 2006, 457. 350 BGH v. 27.4.2012 – V ZR 270/10, ZIP 2012, 1140 ff = EWiR 2012, 517 (Clemente) = NotBZ 2012, 377 m. Anm. Suppliet. 351 BGH v. 27.4.2012 – V ZR 270/10, ZIP 2012, 1140 = EWiR 2012, 517 (Clemente) = NotBZ 2012, 377 m. Anm. Suppliet. 352 BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2012, 2364 ff = EWiR 2012, 181 (Weiß) = NotBZ 2012, 353 m. Anm. Suppliet. 353 BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 11/05, ZIP 2006, 1141 ff. = NotBZ 2006, 395 m. Anm. Krause m. Anm. Kesseler, EWiR 2006, 457; anders noch die Vorinstanz OLG Köln v. 22.12.2004 – 2 U 103/04, ZIP 2005, 1038 ff. Vgl. auch Ganter, ZInsO 2007, 841, 849 f. Ausführlich zu dieser Problematik und zugleich Bspr. der Entscheidung des BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 67/04; Böttcher, ZfIR 2007, 395 ff. m. umfangr. w.N. 354 BGH v. 27.4.2012 – V ZR 270/10, ZIP 2012, 1140 = EWiR 2012, 517 (Clemente) = NotBZ 2012, 377 m. Anm. Suppliet. 355 BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2011, 2364 = EWiR 2012, 181 (Weiß) = NotBZ 2012, 353 m. Anm. Suppliet. 356 Obermüller, ZIP 2013, 299 ff. 357 Ganter in MünchKomm/InsO, § 49 Rz. 6; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 5. 358 Vgl. näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 44; Ganter in MünchKomm/InsO, § 49 Rz. 7, 9.
804 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 146b § 10
Grundstücken, grundstücksgleichen Rechten, Luftfahrzeugen und Schiffen zugunsten der Gläubiger, denen nur ein Recht an einem einzelnen Miteigentumsanteil zukommt (§ 864 Abs. 2 ZPO).359 bb) Umfang der Immobiliarsicherheiten Der Umfang des Absonderungsrechts des betreibenden Gläubigers bestimmt sich nach dem Inhalt des Sicherungsrechts, das dem Inhaber im Insolvenzfall das Absonderungsrecht einräumt. Dieses legt fest, aus welchen Gegenständen sich der Gläubiger vorzugsweise befriedigen darf. Die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen umfasst alle Gegenstände, auf die sich bei den genannten Grundstücksrechten und grundstücksgleichen Rechten auch ein eingetragenes Pfandrecht erstreckt (§ 865 Abs. 1 ZPO). Dabei ist die Unterscheidung zwischen der Art der Vermögensverwertung, d.h.
145
– Zwangsversteigerung (Rz. 146 ff.) oder – Zwangsverwaltung (Rz. 147 ff.) für den betreibenden Gläubiger von erheblichem Interesse, da der Umfang der Beschlagnahme nicht in beiden Fällen der Gleiche ist. Der hypothekarische Haftungsverband im Rahmen der Zwangsversteigerung gemäß der § 865 Abs. 1 ZPO, § 20 Abs. 2 ZVG, §§ 1120 ff. BGB umfasst auch
146
– die von dem Grundstück getrennten Erzeugnisse und einfachen Bestandteile sowie – das Zubehör einschließlich der Anwartschaftsrechte am Zubehör, soweit es Eigentum des Grundstückeigners ist. Durch Enthaftung scheiden Erzeugnisse, Bestandteile sowie Zubehör eines Grundstücks aus dem Haftungsverband des Grundpfandrechts aus, vgl. §§ 1121 ff. BGB. Bis zur Beschlagnahme (also bis zur Anordnung der Zwangsverwaltung gem. §§ 148 Abs. 1, 21 Abs. 2 ZVG) überwiegen die Interessen des Eigentümers und des Dritterwerbers an einer möglichst uneingeschränkten Verfügungsbefugnis. Vor diesem Hintergrund wird der Grundpfandschuldner nach § 1121 Abs. 1 BGB von der Haftung frei, wenn Erzeugnisse, Bestandteile oder Zubehör nach der Veräußerung, aber noch vor der Beschlagnahme vom Grundstück entfernt werden. Veräußerung ist die sich nach §§ 929 ff. BGB vollziehende Eigentumsübertragung an mithaftenden Gegenständen. Die Veräußerung durch den Insolvenzverwalter ist einer Veräußerung durch den Eigentümer gleichzusetzen, § 80 Abs. 1 InsO. Nach der Beschlagnahme ist die Enthaftung grundsätzlich ausgeschlossen. Erfolgt die Beschlagnahme vor der Entfernung, erlischt die Haftung auch nicht schon deshalb, weil der Erwerber beim Erwerb hinsichtlich der Grundpfandshaftung gutgläubig war, § 1121 Abs. 2 Satz 1 BGB. Eine Enthaftung kommt allerdings bei Gutgläubigkeit des Erwerbers hinsichtlich der Beschlagnahme in Betracht, § 1121 Abs. 2 Satz 2 BGB.360
146a
Auch ohne Veräußerung kommt eine Enthaftung in Betracht, wenn Erzeugnisse oder sonstige Bestandteile vor der Beschlagnahme innerhalb der Grenzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft von dem Grundstück getrennt werden, § 1122 Abs. 1 BGB. Trennung meint die Loslösung vom Boden im Rahmen der Nutzung des Grundstücks.361 Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Eigentümer bis zur Beschlagnahme getrennte Früchte und andere Bestandteile im Rahmen der ordnungsgemäßen Wirtschaft vom Grundstück trennen können soll.
146b
359 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 46; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 49 Rz. 5. Wird über das Vermögen eines Bruchteilseigentümers das Insolvenzverfahren eröffnet, wird hinsichtlich seines Anteils eine entsprechende Grundbucheintragung vorgenommen, vgl. BGH v. 19.5.2011 – V ZB 197/10, ZIP 2011, 1273 = EWiR 2011, 469 (Kesseler) = FamRZ 2011, 1223 = NotBZ 2011, 330 m. Anm. Suppliet 360 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 37. 361 MünchKomm/BGB/Lieder, § 1122 Rz. 6.
Drees/Schmidt | 805
§ 10 Rz. 146c | Beratung des gesicherten Gläubigers 146c
Auch § 1122 Abs. 2 BGB ermöglicht dem Eigentümer die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Grundstücks, indem er auch ohne die Zustimmung des Gläubigers die Zubehöreigenschaft etwa zwecks Erneuerung aufgeheben kann.362 Die Aufhebung der Zubehöreigenschaft endet mit der Beendigung der zweckdienenden Funktion (§ 97 Abs. 1 Satz 1 BGB) der Gegenstände auf Dauer.363 Dabei muss die Änderung der Zweckbestimmung im Rahmen der aktiven und ordnungsgemäßen Bewirtschaftung erfolgen. Mithin führt allein die Betriebsstilllegung im Rahmen eines Insolvenzfalls nicht zur Enthaftung des Zubehörs.364 Nach Ansicht des BGH365 macht sich der Insolvenzverwalter, der nach Betriebsstilllegung, aber vor Beschlagnahme des Grundstücks Zubehörteile frei veräußert und damit nicht in den Grenzen einer aktiven ordnungsgemäßen Wirtschaft verwaltet, entsprechend den §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. 1134, 1135 BGB gegenüber dem Grundpfandgläubiger ersatzpflichtig, wobei der Ausgleich als Masseschuld gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO zu erfolgen hat.
146d
Wird Vorbehaltseigentum, das zugleich Grundstückszubehör ist, verwertet, nachdem zunächst das Grundstück beschlagnahmt und im Folgenden das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Grundstückeigentümers eröffnet worden ist, steht der Erlös aus der Veräußerung des Vorbehaltsguts aufgrund des vorbehaltenen Eigentumsrechts dem Verkäufer zur Tilgung des Restkaufpreises zu. Der verbleibende Erlös als Gegenwert des Anwartschaftsrechts gebührt sodann den Grundpfandrechtsgläubigern, deren Absonderungsrecht sich auch auf das Anwartschaftsrecht an der Vorbehaltsware erstreckt und sich nach Veräußerung derselben an dessen Surrogat fortsetzt.366
146e
Wurden Zubehörstücke vor der Grundstücksbeschlagnahme veräußert und entfernt, wodurch sie zugleich aus dem Haftungsverband fielen (§ 1121 Abs. 1 BGB), kann der Grundpfandrechtsinhaber die Veräußerung unter den Voraussetzungen der §§ 3 f., 11 AnfG anfechten, soweit er einen Ausfall erleidet.367 Nach einer entsprechenden Anfechtung lebt das Absonderungsrecht wieder auf.368
146f
Gemäß § 865 Abs. 1 ZPO, § 1123 BGB unterliegen auch Miet- und Pachtzinsforderungen der Grundschuld- und Hypothekenhaftung.369 Allerdings kann der Grundpfandgläubiger sein Absonderungsrecht aus § 49 InsO nicht verwirklichen, indem er im Wege der Zwangsversteigerung auf die mithaftenden Ansprüche zugreift.370 Eine mobiliarvollstreckungsrechtliche Separathaftung der Miet- und Pachtzinsen im Rahmen einer Forderungspfändung (§ 50 InsO) ist ebenfalls ausgeschlossen, weil die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen gem. § 865 Abs. 2 Satz 2 ZPO der Forderungspfändung vorgeht.371
147
Einen Zugriff ermöglicht damit allein die Zwangsverwaltung, deren Beschlagnahmewirkung sich gem. § 148 Abs. 1 Satz 1 ZVG gerade auf Miet- und Pachtzinsforderungen sowie wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück und Versicherungsansprüche erstreckt.372
362 MünchKomm/BGB/Lieder, § 1122 Rz. 3, 11. 363 MünchKomm/BGB/Lieder, § 1122 Rz. 13. 364 BGH v. 30.11.1995 – IX ZR 181/94, NJW 1996, 835 = EWiR 1996, 259 (Plander) = ZIP 1996, 223; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 39. 365 BGH v. 21.3.1973 – VIII ZR 52/72, NJW 1973, 997. 366 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 13 f. 367 Zur Frage der Haftung des Insolvenzverwalters vgl. OLG Dresden v. 25.7.2002 – 13 U 833/02, ZInsO 2003, 472 f. 368 Ganter in MünchKomm/InsO, § 49 Rz. 16. 369 Der Immobiliarvollstreckung unterliegt allerdings nicht ein an den Eigentümer zu zahlendes Nießbrauchsentgelt, OLG Schleswig v. 8.12.2016 – 7 U 47/15, ZInsO 2017, 1315. 370 BGH v. 13.7.2006 – IX ZV 301/04, NZI 2006, 577. 371 BGH v. 13.7.2006 – IX ZV 301/04, NZI 2006, 577. 372 Ganter in MünchKomm/InsO, § 49 Rz. 28.
806 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 147c § 10
Ebenfalls vom Haftungsverband eines Zwangsverwaltungsverfahrens erfasst sind
147a
– vor Begründung des Grundpfandrechts abgetretene Mietzinsansprüche (dogmatisch entspricht dies einer Anwendung des § 1124 Abs. 2 BGB)373, – Ansprüche wegen rechtsgrundloser Benutzung der der Zwangsverwaltung zugrunde liegenden Sache,374 – Nutzungsentschädigungsansprüche und – sog. Mietausfallschäden,375 d.h. Ersatzansprüche für einen Mietausfall für die Zeit ab dem Wegfall des Nutzungsentschädigungsanspruchs (Räumungszeitpunk) bis zum Ende der regulären Vertragslaufzeit bzw. bis zum Beginn einer Neuvermietung.376 In dieser Befriedigung des betreibenden Gläubigers aus den Erträgen des Grundstücks liegt gerade der wirtschaftliche Zweck der Zwangsverwaltung. Ein Zwangsverwalter ist insoweit auch nicht befugt, der Beschlagnahme unterliegende Forderungen „freizugeben“ und den Schuldner im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft zu ermächtigen, diese geltend zu machen.377 Vollstreckt ein absonderungsberechtigter Gläubiger im Wege der Zwangsverwaltung nach der erforderlichen Titelumschreibung gegen den Insolvenzverwalter in weiterhin selbstgenutztes Wohnungseigentum eines Insolvenzschuldners, kann der Besitzergreifung des Zwangsverwalters das Recht des Schuldners entgegengehalten werden, ihm die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume unentgeltlich zu überlassen.378 Der Umstand der Titelumschreibung ist nur eine verfahrensrechtliche Notwendigkeit, die den sozialen Schutzzweck (§ 149 Abs. 1 ZVG) nicht berührt.379 Nicht vom Haftungsverband der Zwangsverwaltung umfasst sind hingegen Ansprüche auf Ersatz schuldhaft nicht gezogener Nutzungen380 oder von Erträgen des (Haupt-)Mieters aus einem berechtigten Untermietverhältnis. Ist der Mieter zur weiteren entgeltlichen Überlassung der Mietsache berechtigt, so stehen grundsätzlich ihm die Erträge aus dem Untermietverhältnis zu, nicht dem Eigentümer. Eine Beschlagnahme des Grundstücks kann daher diese Forderung nicht erfassen. Gläubiger des Eigentümers haben keinen Anspruch darauf, sich aus schuldnerfremdem Vermögen zu befriedigen.381 Anders ist es aber, wenn die Mieterträge nur formell dem Hauptmieter zugeordnet sind, wirtschaftlich hingegen dem Eigentümer zustehen.382
147b
Kommt es zur Anordnung der Zwangsverwaltung über ein Grundstück, dessen mietweise Überlassung eine eigenkapitalersetzende Leistung darstellt,383 so endet das Recht des Insolvenzverwalters zur unentgeltlichen Nutzung des Grundstücks mit dem Wirksamwerden der Beschlagnahme gem. §§ 148, 152 Abs. 2, 22 ZVG, §§ 1123, 1124 Abs. 2 BGB.384 An die Stelle des Nutzungsanspruchs tritt ein An-
147c
373 BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 160/04, ZIP 2005, 1452 = EWiR 2005, 879 (Weber/Madaus) = MietRB 2006, 40. 374 BGH v. 29.6.2006 – IX ZR 119/04, ZIP 2006, 1697 = ZInsO 2006, 822, 823 f. 375 OLG Jena v. 20.2.2013 – 7 U 390/12, MietRB 2013, 261 = ZInsO 2013, 1762 f. 376 BGH v. 16.2.2005 – XII ZR 162/01, MietRB 2005, 203 = MietRB 2005, 175 = NZM 2005, 340 f. 377 OLG Jena v. 20.2.2013 – 7 U 390/12, MietRB 2013, 261 = ZInsO 2013, 1762 f. 378 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 30/11, FamRZ 2013, 1734 = MietRB 2013, 207 = ZIP 2013, 1189 = ZInsO 2013, 1075 ff. 379 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 30/11, FamRZ 2013, 1734 = MietRB 2013, 207 = ZIP 2013, 1189 = ZInsO 2013, 1075, 1076. 380 BGH v. 29.6.2006 – IX ZR 119/04, ZIP 2006, 1697 = ZInsO 2006, 822, 823 f. 381 BGH v. 29.6.2006 – IX ZR 119/04, ZIP 2006, 1697 = ZInsO 2006, 822, 823 f. 382 BGH v. 4.2.2005 – V ZR 294/03, MietRB 2005, 173 = ProzRB 2005, 230 = ZInsO 2005, 371, 372 ff. 383 BGH v. 16.10.1989 – II ZR 307/88, ZIP 1989, 1542 = EWiR 1990, 371 (Fabritius) = GmbHR 1990, 118, 1543. 384 BGH v. 31.1.2000 – II ZR 309/98, ZIP 2000, 455 ff = GmbH-StB 2000, 98 = GmbHR 2000, 325.
Drees/Schmidt | 807
§ 10 Rz. 147c | Beratung des gesicherten Gläubigers spruch gegen den Gesellschafter auf den Wert des Nutzungsrechts. Der Ersatzanspruch setzt aber voraus, dass der Insolvenzverwalter über eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich des Grundstücks verfügt hätte. Dies gilt auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Grundstück an den Zwangsverwalter vor Ablauf der Mietzeit herausgibt.385 148
Es ist umstritten, ob Miet- oder Pachterträge nur dann von der Absonderungskraft des Grundpfandrechts erfasst sind, wenn die Beschlagnahme des Grundstücks bereits angeordnet ist. Nach früherer Rechtsprechung386 setzte eine auf Miet- und Pachtzinsforderungen zielende Grundpfandhaftung eine Beschlagnahme nicht voraus. Die Absonderungskraft einer Grundschuld setze sich stets fort an den entsprechenden Erträgen und entstehe damit auch dann, wenn noch keine Zwangsverwaltung angeordnet ist. Damit gebe die Grundpfandhaftung auch schon vor der Beschlagnahme einen hinreichenden Rechtsgrund, um die Mieten zu vereinnahmen. Allerdings ist der Grundpfandgläubiger zwischen Forderungsentstehung und Beschlagnahme nicht vor Verfügungen des Eigentümers oder der Vollstreckungsgläubiger geschützt, vgl. §§ 1123 Abs. 2, 1124 BGB. Die neuere Rechtsprechung387 sieht in der unterschiedlichen Behandlung einen Widerspruch. Es sei auf den (einheitlichen) Zeitpunkt abzustellen, an dem der Grundpfandgläubiger eine gesicherte Rechtstellung erlangt. Bis dorthin sei die Grundpfandhaftung nur eine „vorläufige“, da die Forderungen weder der Verfügung des Schuldners noch dem wirksamen Zugruff seiner Gläubiger entzogen seien. Erst mit der Beschlagnahme scheiden die erfassten Forderungen als Zugriffsobjekt für die Insolvenzgläubiger aus und die „vorläufige“ Haftung erstarkt zu einer „voll wirksamen“, vgl. § 1124 Abs. 2 BGB. Die Beschlagnahme erfolgt gem. §§ 148 Abs. 1, 21 Abs. 2 ZVG durch die Anordnung der Zwangsverwaltung, kann vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch durch eine Pfändung der Miet- oder Pachtforderungen aufgrund des dinglichen Anspruchs herbeigeführt werden.388
149
Hinweise für Grundpfandgläubiger: Den Grundpfandgläubigern ist es verwehrt, nach Insolvenzeröffnung Mieterträge zu pfänden.389 Es gilt der Vorrang der Immobiliarvollstreckung, der in § 49 InsO und § 865 Abs. 2 ZPO gesetzlich verankert ist. Entsprechende Vollstreckungsversuche sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig (§ 89 InsO). Die mit dem unbeweglichen Vermögen haftenden Gegenstände unterliegen nur so lange der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen, solange nicht ihre Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgt ist. Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht den unter Rz. 148 dargelegten Grundsätzen, wonach die Erstreckung des Absonderungsrechts auf die mithaftenden Mieten keine Beschlagnahme voraussetzt. Denn nach Verfahrenseröffnung ist die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht Entstehungsvoraussetzung, sondern Voraussetzung für die abgesonderte Befriedigung und damit Verwertungsvoraussetzung.390
149a
Kreditinstitute, zu deren Gunsten der Insolvenzschuldner sein vermietetes Grundstück mit einer Grundschuld belastet hat, sind daher auch nicht berechtigt, nach Insolvenzeröffnung auf dem Konto des Insolvenzschuldners eingegangene Mietzahlungen einzubehalten. Auch hier muss sich der Grundschuldgläubiger, dem zweifelsohne gem. §§ 1123 i.V.m. § 1192 BGB auch die Mietforderungen haften,
385 BGH v. 31.1.2005 – II ZR 240/02, ZIP 2005, 484 = EWiR 2005, 355 (Herbst/Flitsch) = GmbH-StB 2005, 133 = GmbHR 2005, 534 m. Anm. Blöse, 485 ff. 386 BGH v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, EWiR 2007, 83 (Neußner) = MietRB 2007, 67 = NotBZ 2007, 17 = ZIP 2007, 35 = NZI 2006, 457 ff. 387 BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, NZI 2010, 58; BGH v. 30.4.2020 – IX ZR 162/16, NZI 2020, 687 (Schädlich). 388 BGH v. 30.4.2020 – IX ZR 162/16, NZI 2020, 687 (Schädlich). 389 BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 m. Anm. Freudenberg, EWiR 2007, 281; Schuschke, BGHReport 2006, 1320 = MietRB 2006, 326 = NotBZ 2007, 22 Vgl. hierzu auch die weiteren Beschlüsse des BGH v. 26.10.2006 – IX ZB 155/05; BGH v. 26.10.2006 – IX ZB 177/05; BGH v. 21.12.2006 – IX ZB 264/05. 390 So die instruktiven Ausführungen von Ganter, ZInsO 2007, 841, 849 f.
808 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 151 § 10
auf die Zwangsvollstreckung verweisen lassen.391 Es gilt insoweit das zu der Pfändung der Mietzinsansprüche Gesagte. Der Zugriff auf das Guthaben macht die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht entbehrlich. Dem Kreditinstitut ist – wie jedem anderen Gläubiger – Selbsthilfe zur Durchsetzung seines Anspruchs versagt. – Kreditinstitute sind daher gut beraten, den Schuldner unter Hinweis auf die drohende Zwangsvollstreckung zu einer freiwilligen Leistung zu bewegen. Die Kreditwirtschaft spricht in einem solchen Fall von einer „stillen“ oder „kalten“ Zwangsverwaltung.392 Eine solche Vereinbarung privilegiert und rechtfertigt den Zugriff auf die Mietzinsansprüche. Dies gilt auch für die Dauer eines Insolvenzverfahrens, sofern eine entsprechende Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter vorliegt.393 Gehen Kreditinstitute auf diese Weise vor, so müssen die mit einer „kalten“ Zwangsverwaltung verbundenen Anfechtungsrisiken sorgsam bedacht werden.394 Insolvenzverwalter hingegen müssen bei einer solchen – auf einen Massekostenbeitrag zielenden –Vereinbarung an dessen Versteuerung denken (vgl. hierzu ausführlich unten Rz. 338 ff.).
149b
– Andernfalls – d.h. es liegt weder eine förmliche noch eine kalte Zwangsverwaltung vor – sind Grundpfandgläubiger gem. § 1123 Abs. 1 BGB verpflichtet, die für den Schuldner bestimmten Zahlungen des Mieters an den Insolvenzverwalter abzuführen.395
149c
c) Mobiliarpfandrechte Während § 49 InsO die Absonderungsrechte am unbeweglichen Vermögen des Insolvenzschuldners regelt, werden in § 50 InsO die Pfandrechte an Gegenständen als sog. „Prototypen“ der Absonderungsrechte an beweglichen Vermögensgegenständen genannt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Pfandrechte
150
– rechtsgeschäftlicher Natur (§§ 1204 ff., 1273 ff. BGB, vgl. Rz. 151 ff.) oder – gesetzlicher Natur (z.B. §§ 562, 581 Abs. 2, 592, 647 BGB, 397, 441 HGB, vgl. Rz. 160 ff.) sind. aa) Rechtsgeschäftliche Pfandrechte Das rechtsgeschäftliche Pfandrecht (§§ 1204 ff. BGB) ist der klassische Fall der Begründung eines Absonderungsrechts im Fall der Insolvenz des Pfandrechtsschuldners, das allerdings aufgrund der Entwicklung des Rechts der Kreditsicherheiten seine Bedeutung zugunsten der in § 51 Nr. 1 InsO erfassten Kreditsicherungsformen eingebüßt hat. Es gewährt seinem Inhaber im Falle der Insolvenz des Pfandrechtsschuldners – ein Recht auf abgesonderte Befriedigung – aus dem Pfandgut
391 LG Stendal v. 7.2.2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800. 392 OLG Hamm v. 14.6.2005 – 27 U 85/04, ZInsO 2006, 776, 777; LG Stendal v. 7.2.2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800. Allgemein zur stillen oder kalten Zwangsverwaltung vgl. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 34; jüngst BGH v. 14.7.2016 – IX ZB 31/14, ECLI:DE:BGH:2016:140716BIXZB31.14.0, BRAK 2016, 236 = EWiR 2016, 635 (Mock) = ZIP 2016, 1543 = NZI 2016, 824. In eine ähnliche Richtung: Förster, ZInsO 2008, 190. 393 Ausführlich hierzu Mitlehner, ZIP 2012, 649 ff., insbesondere zur Umsatzsteuerpflicht der bei der Insolvenzmasse verbleibenden Kostenbeiträge; vgl. hierzu auch Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 16. 394 Zu den anfechtungsrechtlichen Risiken einer kalten Zwangsverwaltung vgl. ausführlich Bräuer, ZInsO 2006, 742 ff. und OLG Hamm v. 14.6.2005 – 27 U 85/04, ZInsO 2006, 776 ff. 395 LG Stendal v. 7.2.2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800 = ZInsO 2005, 614, 615.
Drees/Schmidt | 809
151
§ 10 Rz. 151 | Beratung des gesicherten Gläubigers – wegen der Pfandforderung – in der geänderten Reihenfolge Hauptforderung, Zinsen, Kosten, soweit das Pfandrecht an einem Massegegenstand wirksam und insolvenzfest bestellt worden ist. Wegen seiner Akzessorietät erfordert seine wirksame Bestellung die Sicherung einer gegenwärtigen, zukünftigen oder bedingten Forderung (vgl. § 1204 Abs. 2 BGB), wobei es bei der Sicherung zukünftiger und bedingter Forderungen erst mit dem vollständigen Entstehen der verpfändeten Forderung Bestand erlangt.396 Entsteht diese erst nach Insolvenzeröffnung, kann § 91 Abs. 1 InsO dem Erwerb des Pfandrechts entgegenstehen, sofern nicht an dem Erwerbsgegenstand bereits eine gesicherte Rechtsstellung besteht. Kann beispielsweise ein Schuldner (nach Sicherungsabtretung und Forderungspfändung) schon vor der Insolvenzeröffnung nicht mehr über einen Lebensversicherungsvertrag verfügen, hat der zur Kündigung berechtigte Pfändungsgläubiger an dem aufschiebend bedingten Anspruch auf den Rückkaufswert eine gesicherte Rechtsposition.397 152
Ein rechtsgeschäftlich bestelltes Pfandrecht, das seinem Inhaber im Falle der Insolvenz ein Absonderungsrecht gewähren soll, kann – sowohl an einem beweglichen Gegenstand (Rz. 153 ff.) als auch – an übertragbaren Rechten und Forderungen (Rz. 155 ff.) bestellt werden (§§ 1204 ff., 1273 ff., 1279 ff. BGB). (1) Pfandrechte an Sachen
153
An beweglichen Sachen entsteht das Pfandrecht durch – Einigung zwischen dem Pfandrechtsschuldner und dem Pfandrechtsgläubiger, – Übertragung des unmittelbaren Besitzes (§ 1205 f. BGB), – bei Berechtigung des Bestellers und – bei Bestehen einer zu sichernden Forderung. Die Pfandrechtsbestellung auf der Grundlage eines Besitzkonstituts ist nicht möglich. Mithin kann eine Verpfändung ohne Publizitätsakt nur zugunsten des unmittelbaren Besitzers erfolgen. Auch nach den Regelungen der ZPO können unpfändbare Sachen i.S.v. § 811 ZPO rechtsgeschäftlich verpfändet werden. Zubehörgegenstände sowohl beweglicher als auch unbeweglicher Sachen sind im Zweifel nach § 311c BGB mit der Hauptsache verpfändet. Sie können aber als selbständige Sache (§ 97 BGB) auch unabhängig von der Hauptsache verpfändet werden. Nach der Trennung von der Hauptsache sind auch Erzeugnisse verpfändbar, soweit sie nicht nach den §§ 1120 ff. BGB der vorrangigen Haftung für Grundpfandrechte unterliegen.
154
Soweit dem Gläubiger für seine Forderung gegen den Insolvenzschuldner ein Pfandrecht an einem massefremden Gegenstand zukommt, kann er bezogen auf seine persönliche Forderung in voller Höhe verhältnismäßige Befriedigung aus der Masse verlangen, ohne Beschränkung auf den Ausfall (§ 52 InsO). Im Hinblick auf seinen Ausfall kann er sich sodann aufgrund seines Pfandes an den Pfandrechtsschuldner halten.
396 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, EWiR 2012, 491 (Weiß/Müller) = VersR 2012, 1520 = ZIP 2012, 638 = NZI 2012, 319. 397 Ganter, NZI 2013, 209, 214.
810 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 157 § 10
(2) Pfandrechte an Rechten und Forderungen Die Bestellung eines Pfandrechts an Rechten folgt den Übertragungsvorschriften für das betreffende Recht (§ 1274 BGB). Besonderheiten bei der Pfandrechtsbestellung an Rechten bestehen für die Übertragung von
155
– Grundschulden und Hypotheken (§§ 1154, 1192 BGB), – Erbanteilen (§§ 2033 ff. BGB), – GmbH-Anteilen (§§ 15 Abs. 3, 17 GmbHG), – Gebrauchsmustern (§ 22 GebrMG), – Geschmacksmustern (§ 3 GeschmMG), Marken und Kennzeichen (§§ 27, 29 MarkenG), Patenten (§ 15 PatG),398 – Wertpapieren im Depot (§§ 4, 9a, 12 DepotG)399 und – Order- und Inhaberpapieren (§§ 1292, 1293 BGB). Das hieran bestellte Pfandrecht erstreckt sich aber nur dann auch auf die Zins-, Renten- und Gewinnanteilsscheine, wenn sie dem Pfandgläubiger mit übergeben wurden (§ 1296 BGB).400 Wurde das Pfandrecht an einem Recht wirksam bestellt, kann der Pfandgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Pfandschuldners abgesonderte Befriedigung aus dem sicherungshalber übertragenen Recht gem. § 50 Abs. 1 InsO beanspruchen.401 Soweit das Pfandrecht an einer Forderung bestellt werden soll (§ 1279 BGB), ist
156
– die Einigung über die Pfandrechtsbestellung sowie – die Pfandanzeige des Pfandgebers an den Drittschuldner (§ 1280 BGB) Voraussetzung für eine wirksame Bestellung. Ein häufiges Beispiel für die Verpfändung einer Forderung gem. § 1279 BGB ist die Verpfändung einer Lebensversicherungsforderung (hierzu Rz. 159 und zur Aus- bzw. Absonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte Rz. 45, 159). Größere wirtschaftliche Bedeutung hat die Verpfändung von Forderungen aufgrund der AGB-Banken bzw. AGB-Sparkassen zur Sicherung von Forderungen der Banken gegen ihre Kunden.402 Gemäß
398 Vgl. zur Bewertung und Verwertung gewerblicher Schutzrechte Häfele/Wurzer, DZWiR 2001, 282 ff. 399 Hierzu jüngst BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, AG 2016, 29 = EWiR 2015, 739 (Jacoby) = ZIP 2015, 2286, NZI 2016, 21 m. Anm. Mitlehner. Auch bei bloß mittelbarem Besitz des Schuldners an in Globalurkunden verbrieften und verpfändeten Aktien sei der Insolvenzverwalter nach § 166 Abs. 1 InsO zur Verwertung berechtigt, wenn die Aktie weiterhin der wirtschaftlichen Einheit des Schuldnerunternehmens zuzurechnen sei. Dies sei der Fall, wenn der Schuldner die sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Rechte weiterhin ausüben könne. Denn die besondere Besitzlage unter Einbeziehung der Wertpapiersammelbank könne das Verwertungsrecht des Verwalters nicht hindern. Bei Übertragung der Aktie auf einen Treuhänder zum Zweck der Sanierung entfalle jedoch die Zurechenbarkeit, weil der Schuldner die ihm nach der Verpfändung grundsätzlich verbleibenden Mitgliedschaftsrechte dann nicht mehr ausüben könne, mit der Folge, dass der Pfandgläubiger gem. § 173 Abs. 1 InsO zur Verwertung berechtigt sei. In Anlehnung an § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO sei zwischen Aktienerwerb im Rahmen eines Finanzgeschäfts einerseits und Aktienerwerb mit dem Ziel der Unternehmensbeteiligung anderseits zu differenzieren. Nur letzterer sei durch Mitgliedschaftsrechte geprägt und begründe daher ein Verwertungsrecht des Verwalters. 400 Ganter in MünchKomm/InsO, § 50 Rz. 19. 401 Zu den Fällen einer Vorauspfändung vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2007 – 23 U 297/05, ZIP 2007, 1670 m. Anm. Mitlehner, EWiR 2008, 81. 402 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 14.
Drees/Schmidt | 811
157
§ 10 Rz. 157 | Beratung des gesicherten Gläubigers Nr. 14 AGB-Banken bzw. Nr. 21 AGB-Sparkassen403 dienen der Bank alle in ihrem Besitz befindlichen Sachen und Rechte des Kunden für ihre Ansprüche gegen diesen als Vertragspfand. Zu diesen Pfandgegenständen zählen auch die Forderungen, die dem Kunden selbst gegenüber der Bank aus der bankmäßigen Geschäftsbeziehung zustehen, da die Bank nach Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 AGB-Banken (Nr. 21 Abs. 1 Satz 2 AGB-Sparkassen) auch an diesen, gegen sich selbst gerichteten Forderungen, ein Pfandrecht erwirbt. Voraussetzung für die Entstehung dieses Vertragspfandes ist allerdings, dass die Bank dem Insolvenzschuldner bereits vor Eröffnung des Verfahrens etwas schuldet, da sie nur so an dem gegen sich gerichteten Anspruch ein Pfandrecht erwerben kann (zur Anfechtbarkeit von vertraglich – auch durch AGB – vereinbarten Pfandrechten vgl. § 10 Rz. 67). 158
Das Pfandrecht an einer Forderung erstreckt sich auch auf die anlaufenden Zinsen (§ 1289 BGB).404 (3) Pfandrecht an Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen
159
Die Verpfändung von Lebensversicherungen bzw. der Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag405 hat in der Vergangenheit an Bedeutung gewonnen und darf als übliches Kreditsicherungsmittel angesehen werden. Die Verpfändung begründet ein Absonderungsrecht gem. § 50 Abs. 1 InsO.
159a
Die praktisch wichtigste Konstellation in diesem Zusammenhang ist die Verpfändung der Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag, den Arbeitgeber zugunsten von Arbeitnehmern üblicherweise abschließen, um eine Versorgungszusage diesen gegenüber rückzuversichern.
159b
Grundvoraussetzung, um auf diese Weise ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zu erlangen, ist die Anzeige der Verpfändung beim Versicherer gem. § 11 ALB. Unterbleibt sie, ist die Verpfändung unwirksam.
159c
Eine Verpfändung ist weiter auch dann unwirksam, wenn an den Ansprüchen aus der Lebensversicherung ein unwiderrufliches Bezugsrecht besteht (vgl. hierzu oben Rz. 45). Dann sind die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag dinglich der Vermögensmasse eines Dritten zuzuordnen. Zwar bleibt der Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherungsvertrages; er behält weiterhin das Dispositionsrecht über den Vertrag und kann diesen damit kündigen oder ihn in eine prämienfreie Versicherung umwandeln. Er kann aber nicht mehr über den Anspruch auf die Versicherungsleistungen verfügen, weshalb dann auch eine Verpfändung ins Leere geht.406
159d
Wurden die Ansprüche aus der Lebensversicherung wirksam und auch insolvenzfest verpfändet, kann der Pfandgläubiger das Pfandrecht dann selbst einziehen, wenn der gesicherte Versorgungsanspruch wegen Eintritts des beschriebenen Versorgungsfalls fällig ist (§§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2 BGB).407 Ob dies der Fall ist, muss vom Insolvenzverwalter regelmäßig überprüft werden, da der Versorgungsfall in den allermeisten Fällen gerade noch nicht eingetreten ist – mit der Konsequenz, dass das Verwertungsrecht dem Insolvenzverwalter zusteht. Dies war lange Zeit ungeklärt, entspricht aber seit der Entscheidung des BGH v. 7.4.2005 – der Rechtspraxis. Rechtliche Grundlage des Verwertungsrechts ist § 80 Abs. 1 InsO und nicht etwa § 166 Abs. 2 InsO oder § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO. Der verwertungsberechtigte Verwalter muss daher den Erlös aus der Einziehung der Ansprüche in Höhe der gesicherten Versicherungsforderung zurückbehalten und vorrangig hinterlegen, bis die Versorgungsforderung fällig wird oder die Bedingung ausfällt (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO).408 403 Beide in der Fassung von 1993. 404 Ganter in MünchKomm/InsO, § 50 Rz. 18. 405 Vgl. BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, EWiR 2013, 523 (Mitlehner) = ZIP 2013, 987; BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, EWiR 2012, 491 (Weiß/Müller) = VersR 2012, 1520 = ZIP 2012, 638 = NZI 2012, 319 ff. 406 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05, 997. 407 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, EWiR 2005, 641 (Balle) = ZIP 2005, 909 = NZI 2005, 384, 385. 408 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, EWiR 2005, 641 (Balle) = ZIP 2005, 909 = NZI 2005, 384, 385.
812 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 163 § 10
Anders verhält es sich mit der Verwertung, soweit durch eine Rückdeckungsversicherung Versorgungsansprüche nach dem BetrAVG rückgedeckt sind. Dann besteht eine Eintrittspflicht des Pensionsversicherungsvereins nach § 7 BetrAVG, wodurch die jeweiligen Versorgungsansprüche als unbedingte und fällige Forderungen i.S.d. § 41 Abs. 1 InsO geltend gemacht werden können. Kraft dieser gesetzlichen Fiktion tritt bereits mit Verfahrenseröffnung die Verwertungsreife ein.409
159e
bb) Gesetzliche Pfandrechte Gesetzliche Pfandrechte entstehen kraft gesetzlicher Sondervorschriften aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses zugunsten des Gläubigers an Sachen und Rechten zur Sicherung seiner Forderung. Ein gesetzliches Pfandrecht entsteht z.B. zugunsten des
160
– Hinterlegers am hinterlegten Gut bzw. der Rückerstattungsforderung (§ 233 BGB); – Vermieters oder Verpächters an eingebrachten Sachen des Mieters bzw. Pächters, soweit diese pfändbar sind (§§ 562, 581 Abs. 2 BGB); – Landverpächters an eingebrachten Sachen und Früchten (§ 592 BGB); – Unternehmers an hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen (§ 647 BGB); – Gastwirts an eingebrachten Sachen des Gastes (§ 704 BGB).410 Darüber hinaus sind gesetzliche Pfandrechte im HGB vorgesehen, so etwa das gesetzliche Pfandrecht zugunsten des
161
– Kommissionärs am Kommissionsgut (§ 397 HGB); zu möglichen Aussonderungsrechten des Kommissionärs s. oben Rz. 83; – Frachtführers am Frachtgut (§ 441 HGB); – Spediteurs am Speditionsgut (§ 464 HGB); – Lagerhalter am Lagergut (§ 475b HGB) etc.411 Voraussetzung für das wirksame Entstehen des Absonderungsrechts ist allerdings auch hier, dass das Pfandrecht bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein muss, denn auch insoweit ist § 91 InsO einschlägig.412 Ist das Pfandrecht kraft Gesetzes wirksam entstanden, begründet es für den Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners nach § 50 Abs. 1 3. Alt. InsO ein Absonderungsrecht zugunsten des Pfandgläubigers. Gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO ist der Pfandgläubiger vorweg aus dem Erlös zu befriedigen (zu dieser Kostenregelung vgl. unten Rz. 317 ff.).
162
Das Pfandrecht des Vermieters bzw. Verpächters dient der Sicherung bereits entstandener Forderungen aus dem Miet- bzw. Pachtverhältnis.413 Hiervon erfasst sind auch Rückstände aus der Zeit des vorläufigen Insolvenzverfahrens.414 Maßgeblich ist allein der Zeitpunkt der Einbringung des Pfandgegenstandes. Nach § 562 Abs. 1 BGB entsteht das Pfandrecht an eingebrachten Sachen des Mieters (res-
163
409 Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1584 ff. 410 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 19; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 50 Rz. 10; Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 43. 411 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 19; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 76 ff. Zu den Besonderheiten eines Konsignationslagers vgl. BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, ZIP 2014, 736 f. = EWiR 2014, 389 (Dahl/Schmitz) = StBW 2014, 318. 412 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 19; Lohmann in HK/InsO, § 50 Rz. 24. 413 Tetzlaff, NZI 2006, 87, 89 ff. 414 BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 m. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2007, 185 f. = MietRB 2007, 115.
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§ 10 Rz. 163 | Beratung des gesicherten Gläubigers pektive nach § 581 Abs. 2 BGB an eingebrachten Sachen des Pächters). Nicht erfasst werden unpfändbare Sachen (§ 562 Abs. 1 Satz 2 BGB). Eingebracht hat der Mieter Sachen, die er während der Dauer des Mietverhältnisses in Ausübung des mietvertraglichen Gebrauchsrechts willentlich und nicht lediglich vorübergehend in die Mieträume geschafft hat. Dies gilt auch für die regelmäßig auf dem Mietgrundstück abgestellten Kraftfahrzeuge. Das Pfandrecht erlischt, wenn das Fahrzeug für die Durchführung einer Fahrt von dem Mietgrundstück entfernt wird. Es entsteht neu, wenn es später wieder dort abgestellt wird.415 Im vorläufigen Verfahren werden solche Sachen erfasst, die der starke vorläufige Verwalter einbringt, bei durch den schwachen vorläufigen Verwalter eingebrachten Sachen muss der Schuldner zustimmen.416 164
Zu den gesicherten Ansprüchen gehören neben dem vertraglich geschuldeten Mietzins/Pachtzins auch die Nebenkosten sowie Ansprüche wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Miet- oder Pachtsache oder wegen Zahlungsverzugs etc. (vgl. hierzu auch § 11 Rz. 174 ff.). Verwertet der Verwalter eingebrachte Sachen des Schuldners in Unkenntnis des Vermieter- bzw. Verpächterpfandrechts, so setzt sich das Pfandrecht im Wege der Ersatzabsonderung an dem Veräußerungserlös fort, solange der Erlös unterscheidbar in der Masse vorhanden ist417 (vgl. hierzu Rz. 371 ff.). Ist der Erlös aus der Verwertung der Sachen vom Verwalter zur Masse gezogen worden und nicht mehr unterscheidbar vorhanden, so tritt an die Stelle des Absonderungsrechts ein Masseschuldanspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
165
Hinweise für die Beratung des Vermieters – Beim Vermieter- und Verpächterpfandrecht gilt die Sonderregelung in § 50 Abs. 2 InsO, welche die Ausübung des Absonderungsrechts des Vermieters und Verpächters aufgrund des ihnen erwachsenen gesetzlichen Pfandrechts beschränkt.418 Hiernach deckt das Pfandrecht lediglich offene Miet- und Pachtzinsforderungen aus den letzten zwölf Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mieters bzw. Pächters. Zwar entfaltet § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO keine materielle Wirkungskraft in der Weise, dass für die weiter zurückliegende Zeit das Vermieter- bzw. Verpächterpfandrecht nicht mehr besteht. Jedoch begründet es eine Ausübungssperre. Bei einer Konkurrenz mit anderen Absonderungsrechten gilt die Zwölfmonatsfrist nicht.419 Zu beachten ist ferner die Gegenausnahme in § 50 Abs. 2 Satz 2 InsO bei der Verpachtung eines landwirtschaftlichen Grundstücks. – Zur besseren Durchsetzung des Vermieterpfandrechts gewährt die Rechtsprechung dem Vermieter einen umfassenden Auskunftsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter.420 Dieser besteht während des gesamten Zeitraums der Verfahrensabwicklung einschließlich der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Rechtliche Grundlage ist insoweit § 50 Abs. 1 InsO oder § 167 Abs. 1 InsO, wobei der BGH die genaue Einordnung offen lässt. Insolvenzverwalter sind gut beraten, Erlöse aus der Verwertung der dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Gegenstände an den Vermieter auszukehren. Andernfalls entstehen nicht nur Ersatzabsonderungs- und als Masseforderungen zu befriedigende Bereicherungsansprüche (hierzu unten Rz. 371), sondern auch Haftungsansprüche nach § 60 Abs. 1 InsO, da es zu den insolvenzspezifischen Pflichten gehört, Verwertungserlöse an die Absonderungsberechtigten auszukehren.421 – Ebenso wenig ist der Insolvenzverwalter berechtigt, Erlöse aus dem Vermieterpfandrecht auf Masseforderungen des Vermieters anzurechnen. Ein Tilgungsbestimmungsrecht steht dem Verwalter insoweit nicht zu.422 Die Verrechnung zwischen der durch das Vermieterpfandrecht gesicherten Forderung und dem Erlös erfolgt ipso iure, ohne dass Raum für eine Tilgungsbestimmung bleibt.
415 416 417 418 419 420 421 422
BGH v. 6.12.2017 – XII ZR 95/16, EWiR 2018, 115 (Mitlehner) = ZIP 2018, 236 = NZI 2018, 174. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 50 Rz. 33. Ganter, NZI 2005, 1, 8 f. Ganter in MünchKomm/InsO, § 50 Rz. 90; Brinkmann in Uhlenbruck, § 50 Rz. 29; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 63. Ganter in MünchKomm/InsO, § 50 Rz. 90a; Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 50 Rz. 34. BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326 m.w.N. und Anm. Pape, EWiR 2004, 349 f = MietRB 2004, 168. Pape, BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, EWiR 2004, 349 = ZIP 2004, 326 = MietRB 2004, 168, 350. BGH v. 9.10.2014 – IX ZR 69/14, EWiR 2014, 783 (Mordhorst) = ZIP 2014, 2248; zuvor OLG Karlsruhe v. 4.3.2014 – 14 U 180/12, ZIP 2014, 786.
814 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 167 § 10 – Darüber hinaus können sich der Vermieter oder Verpächter im Fall der eröffneten Insolvenz über das Vermögen des Mieters bzw. Pächters neben ihrem gesetzlichen Pfandrecht an den seitens des Mieters bzw. Pächters eingebrachten Gegenständen auch aus der Mietkaution abgesondert befriedigen, soweit die Vereinbarung zwischen ihnen und dem Mieter bzw. Pächter eindeutig als Pfandrechtsbestellung oder Sicherungsabtretung zu deuten ist.423 – Gesondert zu beurteilen ist die Gesellschaftereigenschaft des Vermieters. War die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung vor Inkrafttreten des MoMiG noch eine einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung i.S.v. § 32a Abs. 3 GmbHG, wird dies mangels gesetzlicher Klarstellung für §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1 und 3 InsO lebhaft bestritten. Nach einem Urteil des OLG Schleswig ist § 135 Abs. 1 und 3 InsO nicht anwendbar, mit der Konsequenz, dass Ansprüche aus der Nutzungsüberlassung nicht nachrangig sind i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und der Gesellschafter wegen seines Vermieterpfandrechts für seine Mietzinsansprüche aus den letzten 12 Monaten vor Verfahrenseröffnung abgesonderte Befriedigung verlangen kann.424
Ferner gewährt § 110 VVG dem Gläubiger wegen eines ihm gegen den Schuldner erwachsenden Schadensersatzanspruchs ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung, die dem Schuldner als Versicherungsnehmer gegen seine Versicherungsgesellschaft zusteht und mit in die Insolvenzmasse fällt.425 Die Ansprüche geschädigter Dritter in der Insolvenz des Versicherungsnehmers sind einem gesetzlichen Pfandrecht an der Entschädigungsforderung gleichgestellt. Das Absonderungsrecht entsteht mit Eröffnung des Verfahrens und besteht bis zum Eintritt des Versicherungsfalls unabhängig vom Lauf des Insolvenzverfahrens fort.426 Der Insolvenzverwalter kann den Anspruch im Fall der Verfahrensunterbrechung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege der Aufnahme des gegen den Schuldner geführten Rechtsstreits verfolgen.427
166
Der Versicherungsfall kann daher auch erst nach Eröffnung oder nach Abschluss des Verfahrens eintreten, ohne dass die Rechtsposition des geschädigten Dritten beeinträchtigt wird.428 Entsprechend eines Pfandrechtsinhabers können die Geschädigten abgesonderte Befriedigung aus dieser Forderung verlangen, ohne dass es nach der Feststellung des Haftpflichtanspruchs gegenüber dem Insolvenzverwalter noch einer Pfändung der Forderung aus dem Haftpflichtverhältnis bedürfte. Vielmehr kann der Haftpflichtgläubiger analog § 1282 BGB den Entschädigungsanspruch des Versicherungsnehmers unmittelbar gegen den Versicherer geltend machen.429 Haftpflichtansprüche und das Absonderungsrecht nach § 110 VVG können mithin ohne weiteres nach den bestehenden Verfahrensregeln der InsO abgewickelt werden. Entgegen der ständigen Rechtsprechung des BGH zur Konkursordnung bedarf es daneben keiner auf die Versicherungsleistung beschränkten Leistungsklage des Geschädigten gegen den Insolvenzverwalter. Eine derartige Klage ist nach § 87 InsO unzulässig und wegen § 1282 BGB für die Verwertung des Absonderungsrechts nicht erforderlich.430
167
423 Vgl. hierzu ausführlich Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 28 ff. 424 OLG Schleswig v. 13.1.2012 – 4 U 57/11, ZIP 2012, 885 f. = EWiR 2012, 321 (Lutz) = GmbHR 2012, 1130 m. Anm. Blöse. 425 Vgl. ausführlich hierzu Mitlehner, ZIP 2012, 2003 ff. 426 Zur Möglichkeit der Freigabe des Deckungsanspruchs gegen Haftpflichtversicherung vgl. BGH v. 2.4.2009 – IX ZR 23/08, ZIP 2009, 874; OLG Nürnberg v. 12.12.2007 – 12 U 195/07, ZIP 2008, 435 = VersR 2008, 813 = EWiR 2008, 287 (Wazlawik)= EWiR 2009, 459 (Oepen) = VersR 2009, 821. 427 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 311/12, ZIP 2013, 1742 = EWiR 2013, 791 (Mitlehner) in Fortsetzung der Rechtsprechung des BGH v. 25.4.1989 – VI ZR 146/88, ZIP 1989, 857 = EWiR 1989, 659 (Littbarski) = VersR 1989, 730 = VersR 1989, 834. 428 S. hierzu näher Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 33; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 239. 429 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 43; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 238. 430 Mitlehner, ZIP 2012, 2003, 2005.
Drees/Schmidt | 815
§ 10 Rz. 168 | Beratung des gesicherten Gläubigers
d) Besitzlose Mobiliarsicherheiten 168
Die im Wirtschaftsleben bedeutendste Gruppe der Absonderungsrechte stellen die den Pfandrechten in § 51 InsO gleichgestellten sonstigen Absonderungsrechte dar. Von vorrangiger praktischer Bedeutung sind hier die in § 51 Nr. 1 InsO aufgeführte – Sicherungsübereignung431 (Rz. 169 ff.), – die Sicherungszession (Rz. 175 ff.) sowie – die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts (Rz. 179 ff.) zu nennen. aa) Sicherungsübereignung
169
Die Sicherungsübereignung stellt den Hauptanwendungsfall der eigennützigen Treuhand dar. Im Rahmen einer Sicherungsübereignung übereignet der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer eine Sache zum Zwecke der Absicherung einer Forderung. Die Übergabe erfolgt im Wege der Einräumung mittelbaren Besitzes an den Sicherungsnehmer durch Vereinbarung eines Besitzkonstituts (§ 930 BGB). Der Sicherungsnehmer wird dadurch Vollrechtsinhaber, seine rechtlichen Befugnisse sind jedoch durch die Sicherungsabrede in der Gestalt beschränkt, dass er auf das Sicherungsgut nur in den vertraglich vereinbarten Fällen Zugriff nehmen darf; in der Regel dann, wenn die gesicherten Forderungen, zu deren Zweck die Sicherungsübereignung erfolgte, nicht bedient werden.
169a
Für die Kreditpraxis von besonderer Bedeutung ist die Sicherungsübereignung von Sachgesamtheiten im Rahmen einer Raumsicherungsübertragung, also einer Sicherungsübereignung von in bestimmten Räumlichkeiten befindlichen Sachen. Eine solche Raumsicherungsübereignung erfordert die hinreichend bestimmte Kennzeichnung der erfassten Gegenstände auf Grund derer jeder, der die zugrunde liegende Sicherungsabrede kennt, die übereigneten Sachen von anderen unterscheiden kann.432 Diesen Erfordernissen genügt es nicht, wenn eine Zuordnung von Sachen als Sicherungsgut weder in räumlicher noch in funktionaler Hinsicht möglich ist und auch das Eigentum Dritter an Sachen, die sich im Sicherungsraum befinden, nicht erkennbar ist.433 Die praktischen Schwierigkeiten dürften bei der Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand am größten sein. Auch hier kommt es zunächst darauf an, dass es aufgrund einfacher äußerer Abgrenzungskriterien für jeden, der die Parteiabrede kennt, ohne weiteres ersichtlich ist, welche individuell bestimmten Sachen übereignet worden sind. Dabei genügt es, wenn in dem Vertrag auf eine Skizze der Räumlichkeiten Bezug genommen wird. Maßgeblich für die Frage der Bestimmtheit des Gegenstandes der Sicherungsübereignung ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.434
169b
Die Raumsicherungsübertragung ist als Unterfall sog. revolvierender Globalsicherheiten besonders anfällig für eine nachträgliche Übersicherung, etwa wenn sich der Bestand des übereigneten Warenlagers im Laufe der Zeit vergrößert. Im Fall der nachträglichen Übersicherung gewährt der BGH dem Sicherungsgeber im Wege ergänzender Vertragsauslegung einen vertragsimmanenten Freigabeanspruch.435 Daraus folgt, dass für die Wirksamkeit einer solchen Sicherungsübereignung eine ausdrückliche Freigabeklausel mit bestimmter Deckungsgrenze nicht erforderlich ist. Klauseln, die diesen Freigabeanspruch einschränken, sind unwirksam.
431 432 433 434
Vgl. ausführlich Sessig/Fischer, ZInsO 2011, 618 ff. Instruktiv OLG Brandenburg v. 20.6.2012 – 7 U 73/11, ZInsO 2014, 1160, 1162. OLG Düsseldorf v. 17.1.2012 – 14 U 10/12, ZIP 2012, 992. LG Bielefeld v. 28.2.2014 – 1 O 71/13, OLG Frankfurt v. 17.1.2014 – 19 U 160/13, ZIP 2014, 612. Das Urteil ist mit Rücksicht auf die feinsinnige Auslegung der Sicherheitenverträge und auch im Übrigen lesenswert. 435 BGH GS v. 27.11.1997 – GSZ 1 u. 2/97, ZIP 1998, 235.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 174 § 10
Wird über das Vermögen des Sicherungsgebers das Insolvenzverfahren eröffnet, so tritt der vertragliche Sicherungsfall ein und das Sicherungseigentum erweist sich wirtschaftlich als besitzloses Pfandrecht. Daher wird dem Sicherungsnehmer trotz seiner formalen Eigentümerstellung – im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung außerhalb des Insolvenzverfahrens, in deren Rahmen die formale Eigentümerstellung des Sicherungsnehmers durch die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage i.S.v. § 771 ZPO umfassend respektiert wird – aufgrund der bloßen Sicherungsfunktion der Eigentumsübertragung in der Insolvenz des Sicherungsgebers nur ein Absonderungsrecht zuerkannt.436
170
Aus denselben Gründen gewährte die herrschende Meinung dem Sicherungseigentümer auch bereits unter dem Geltungsbereich der KO nur ein Absonderungsrecht.437 Diese Handhabe ist nunmehr durch § 51 Nr. 1 Alt. 1 InsO positivrechtlich manifestiert; das Sicherungseigentum wird mithin in der Insolvenz wie ein besitzloses Pfandrecht behandelt.
171
Aufgrund des ihm bestellten Sicherungseigentums steht dem Gläubiger zwar ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus diesem Gegenstand zu, er ist jedoch nicht dazu berechtigt, den Gegenstand von dem Insolvenzverwalter herauszuverlangen, da dem Verwalter gem. § 166 Abs. 1 InsO das alleinige Recht zur Verwertung des Sicherungsguts zukommt (vgl. Rz. 270 ff.), soweit er die Sache – wie beim Sicherungseigentum in der Regel der Fall – in seinem Besitz hat.438 Schließt der Insolvenzverwalter einen Versicherungsvertrag über das Inventar des schuldnerischen Betriebs ab und wird das Inventar sodann gestohlen oder zerstört, so setzt sich das Absonderungsrecht eines Sicherungseigentümers am Inventar an dem Anspruch aus der Versicherung fort.439
172
In den praktisch seltenen Fällen der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Sicherungsnehmers kann der Sicherungsgeber das Sicherungsgut aussondern.440 Der Einräumung eines Aussonderungsrechts für den Sicherungsgeber im Insolvenzfall des Sicherungsnehmers liegt die Annahme zugrunde, dass die dingliche Übertragung des Volleigentums von der schuldrechtlichen Sicherungsabrede so stark überlagert wird, dass ihr eine quasi dingliche Wirkung zukommt, die in der Insolvenz des Sicherungsnehmers entgegen der formalen Rechtslage und unter Durchbrechung des Abstraktionsprinzips zu der Entstehung eines Aussonderungsrechts führt.441 Der vertraglich ausbedungene Rückübertragungsanspruch in der Sicherungsabrede für den Fall des Wegfalls des Sicherungszwecks ist insoweit ein persönliches Recht i.S.v. § 47 Satz 1 Alt. 2 InsO, aufgrund dessen der Sicherungsgeber geltend machen kann, dass der Gegenstand (haftungsrechtlich) nicht zur Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers gehört.442 Der Rückübertragungsanspruch (und damit die Aussonderung) setzt allerdings voraus, dass die gesicherte Forderung erfüllt oder der Sicherungszweck in sonstiger Weise weggefallen ist.443 Im Rahmen der Sicherungsübereignung erfolgt die Realisierung des Eigentums folglich geradezu „mit umgekehrten Vorzeichen“: Der Nichteigentümer kann hier die Aussonderung nach § 47 InsO betreiben, der Eigentümer wegen § 51 Nr. 1 Alt. 1 InsO hingegen nur abgesonderte Befriedigung verlangen.
173
Hinweis: Ist das Sicherungseigentum ausnahmsweise in den Besitz eines Dritten gelangt (z.B. ein zur Sicherheit übereignetes Kraftfahrzeug in den Besitz eines Reparaturbetriebs) und wird über das Vermögen des Dritten das Insolvenzverfahren eröffnet, so ist der Sicherungseigentümer wie bei gewöhnlichem Dritteigentum zur Aus-
174
436 Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 4; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 24; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 3. 437 Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 13a; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 9. 438 Ausführlich zum Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters und dessen Auswirkungen auf den Herausgabeanspruch des Gläubigers Sessig/Fischer, ZInsO 2011, 618 ff. 439 OLG Brandenburg v. 20.6.2012 – 7 U 73/11, ZInsO 2014, 1160. 440 Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 4; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 25. 441 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 29. 442 Braun, InsO, § 51 Rz. 3. 443 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 25.
Drees/Schmidt | 817
§ 10 Rz. 174 | Beratung des gesicherten Gläubigers sonderung berechtigt.444 Die treuhänderische Sicherungsabrede ist schuldrechtlicher Natur und entfaltet daher im Verhältnis zu außenstehenden Dritten keine Wirkung. Aufgrund seiner Stellung als formaler Eigentümer der Sache kann der Sicherungsnehmer gegenüber dem insolvent gewordenen Dritten daher ein Aussonderungsrecht i.S.v. § 47 InsO geltend machen. Dem Sicherungsgeber steht in diesen Fällen regelmäßig daneben aufgrund eines ihm zustehenden obligatorischen Herausgabeanspruchs, z.B. aus Vermietung, Leihe, Verwahrung oder ähnlichen Rechtsverhältnissen, ebenfalls ein Anspruch auf Aussonderung im Hinblick auf das Sicherungsgut zu.445
bb) Sicherungszession 175
Bei der Sicherungszession wird zur Sicherung einer Forderung im Gegensatz zur Sicherungsübereignung nicht das Eigentum an einem Vermögensgegenstand übertragen, sondern ein Recht sicherungshalber abgetreten. Zumeist handelt es sich um ein Recht an einer Forderung, die der Sicherungsnehmer im Sicherungsfall sodann gegenüber dem Drittschuldner realisieren kann. Die Sicherungszession erfolgt regelmäßig – in Form einer Globalzession (Rz. 176) oder – im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts (Rz. 179).
175a
Auch die Sicherungszession wird gem. § 51 Nr. 1 Alt. 2 InsO wie ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht behandelt. Damit steht dem Rechtsinhaber ebenfalls kein Recht auf Abtretung der Forderung zur Einziehung zu, sondern lediglich ein Recht auf abgesonderte und damit vorzugsweise Befriedigung aus der sicherungshalber abgetretenen Forderung.446 Dem Zessionar eines Anspruchs auf Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens kann die Qualifikation des Darlehens als Gesellschafterdarlehen und die damit verbundene Nachrangigkeit nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO jedenfalls dann entgegengehalten werden, wenn die Abtretung innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, mithin innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzantrag erfolgte (vgl. hierzu ausführlich § 7 Rz. 31 ff.).447 (1) Globalzession
176
Einen Sonderfall der Sicherungszession stellt die sog. Globalzession dar. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Gläubiger zu Sicherungszwecken bereits zukünftige Forderungen des Schuldners abtreten lässt. Diese müssen zur Wirksamkeit der Globalzession bereits im Zeitpunkt ihrer globalen Abtretung ausreichend bestimmbar, d.h. im Zeitpunkt ihrer Entstehung nach448 – Gläubiger, – Schuldner und – Rechtsgrund einwandfrei ermittelbar sein.
176a
Regelmäßig handelt es sich hierbei um eine stille Zession, die den Zedenten nach §§ 185 Abs. 1, 362 Abs. 2 BGB zur Einziehung der abgetretenen Forderungen im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ermächtigt und dem Drittschuldner gegenüber nicht angezeigt wird. Die Einziehungsbefugnis für die still zedierten Forderungen verliert der sicherungsgebende Globalzedent nicht automatisch durch Eintritt der wirtschaftlichen Krise, durch Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder durch Anordnung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen, sondern erst
444 445 446 447
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 26; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 51 Rz. 8. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 26. Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 4; Lohmann in HK/InsO, § 51 Rz. 23 ff. OLG Stuttgart v. 8.2.2012 – 14 U 27/11, ZIP 2012, 879 = GmbHR 2012, 577 m. Anm. Blöse = EWiR 2012, 293 (Guski) = GmbH-StB 2012, 111. 448 Ganter, ZIP 2014, 53, 54.
818 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 176e § 10
– mit dem ausdrücklichen und wirksamen Widerruf der Ermächtigung oder aber – spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (s. hierzu unten Rz. 232 ff.). Hinweis: Zahlt der jeweilige Kunde auf die Forderung, erlöscht diese mit Wirkung gegenüber der Zessionarin (§§ 362 Abs. 1, 407 Abs. 1 BGB).449 Den hiermit verbundenen Verlust der Sicherheit können entsprechend gesicherte Gläubiger nur vermeiden, wenn sie die Abtretung offen gelegt, d.h. die Einziehungsbefugnis widerrufen und die Forderung selbst eingezogen haben. Der Versuch, für den Eintritt der wirtschaftlichen Krise des Sicherungszedenten formularvertraglich den Widerruf auszusprechen, dürfte an einer Inhaltskontrolle scheitern.450
176b
Globalzessionen eines Kreditinstituts sind bereits dann unwirksam, wenn sie dem Grunde nach auch solche Forderungen erfassen, die aufgrund branchenüblichen Eigentumsvorbehalts den Gläubigern der Kunden zustehen.451 Die Kollision zwischen verlängertem Eigentumsvorbehalt und Globalzession wird folglich – in Abkehr des Prioritätsprinzips – zugunsten des Vorbehaltslieferanten, also des Warenkreditgebers aufgelöst. Zur Begründung wird angeführt, die Erstreckung der Globalzession auf sämtliche Forderungen (damit auch solche, die dem Vorbehaltskäufer aus der Veräußerung des Vorbehaltsguts zustehen) sei sittenwidrig und gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil der Geldkreditgeber den Vorbehaltskäufer hierdurch zu wiederholtem Vertragsbruch verleite. Denn der typischerweise zeitlich kurzzeitig abgewickelte und deshalb nachgeschaltete Eigentumsvorbehalt mit einem Warenkreditgeber gehe in der Praxis regelmäßig ins Leere.452 Gerade über diesen Umstand müsse der Käufer seinen Lieferanten wiederholt täuschen, um weiterhin Waren zu beziehen, die üblicherweise mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt abgesichert werden (Vertragsbruchtheorie). Nach früherer Rechtsprechung war eine Globalzession auch dann nichtig, wenn sie nicht mit einer ermessensunabhängigen Freigabeklausel ausgestattet war und keine bestimmte Deckungsobergrenze enthielt. Nach der grundlegenden Änderung in der Rechtsprechung im Bereich der revolvierenden Globalsicherheiten sind diese nunmehr auch ohne Freigabeklausel, Deckungsgrenze und Bewertungsklausel zur Vermeidung einer nachträglichen Übersicherung wirksam.453
176c
Die Unwirksamkeit der Globalzession kann sich auch daraus ergeben, dass der Schuldner durch die Zession sein gesamtes Vermögen überträgt und so für seinen wirtschaftlichen Zusammenbruch sorgt. So ist ein Vertrag, durch den ein Schuldner sein letztes zur Gläubigerbefriedigung taugliches Vermögen einem bestimmten Gläubiger überträgt, regelmäßig sittenwidrig, wenn dadurch gegenwärtige oder künftige Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden und beide Vertragspartner bei dieser Täuschung zusammengewirkt haben.454 Einem Zessionar obliegt hierbei die Prüfung der Auswirkung der Zession auf das Vermögen des Zedenten. Unterlässt er diese gebotene Prüfung, so trifft ihn der Vorwurf, sich leichtfertig über die Gefährdung anderer Gläubiger durch Kredittäuschung hinweggesetzt zu haben.455
176d
Kollidieren die Globalzession zugunsten einer Bank und die zeitlich nachfolgende Globalzession zugunsten eines Vermieters, gilt das Prioritätsprinzip. Wirksam ist lediglich die zeitliche frühere Abtretung; die zeitlich spätere geht ins Leere. Die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit einer Globalzession bei Kollision mit einer zeitlich nachfolgenden Forderungsabtretung im Rahmen eines verlängerten Ei-
176e
449 BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 185/04, EWiR 2006, 501 (Homann) = ZIP 2006, 1009, ZInsO, 544, 545 f. m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 ff.; Beiner/Luppe, NZI 2005, 15 ff. 450 Ganter, ZInsO 2007, 841 f. m. zahlr. w.N. 451 BGH v. 8.10.1986 – VIII ZR 342/85, BGHZ 98, 303 ff. = EWiR 1987, 5 (Meyer-Cording) = ZIP 1987, 85. 452 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 181. 453 Vgl. hierzu BGH v. 27.11.1997 – GSZ 1 und 2/97, BGH v. 27.11.1997 – GSZ 1/97, WM 1998, 227. 454 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668 ff. = EWiR 1995, 429 (Gerhardt) = ZIP 1995, 630. 455 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668 ff. = EWiR 1995, 429 (Gerhardt) = ZIP 1995, 630; im Anschluss daran OLG Brandenburg v. 25.11.2004 – 11 U 220/98.
Drees/Schmidt | 819
§ 10 Rz. 176e | Beratung des gesicherten Gläubigers gentumsvorbehalts kann auf diesen Sachverhalt zweier reiner Globalzessionen nicht übertragen werden.456 176f
Die wirksame Globalzession verschafft ihrem Sicherungsnehmer aufgrund ihrer Sicherungsfunktion ebenfalls kein Aussonderungsrecht, sondern lediglich ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus den abgetretenen Forderungen gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
176g
Exkurs zur Bedeutung der Sicherungsabtretung als Kreditsicherungsmittel: – Geldkreditgeber sichern ihren Rückzahlungsanspruch typischerweise durch Globalzession mit Vorausabtretung.457 Die Bedeutung der Globalzession ist durch eine vom OLG Karlsruhe458 in Gang gesetzte Rechtsprechung in Frage gestellt worden. In nahezu sämtlichen Insolvenzverfahren, an denen durch Globalzessionen abgesicherte Kreditinstitute beteiligt sind, stellt sich die Frage, ob diese an dem Erlös aus dem Forderungseinzug, der innerhalb des Drei-Monats-Zeitraums erzielt worden ist, auf der Grundlage der vereinbarten Globalzession ein insolvenzfestes Absonderungsrecht erlangt haben. – Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob die von Seiten des Kreditinstituts vorgenommenen Verrechnungen als kongruent oder inkongruent anzusehen sind. Im Fall einer Einordnung der Verrechnungen als inkongruent würde die Abtretung der erleichterten insolvenzrechtlichen Anfechtung gem. § 131 Abs. 1 InsO unterliegen. Genau dies vertritt das OLG Karlsruhe. In seinen drei Grundsatzentscheidungen459 geht der BGH aber nunmehr von der Kongruenz entsprechender Verrechnungen aus (hierzu ausführlich § 13 Rz. 128).460 – Gibt der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit eines Schuldners gem. § 35 Abs. 2 InsO aus dem Insolvenzbeschlag frei, erlangt die Vorausabtretung künftiger – und damit auch nach Verfahrenseröffnung entstehender – Forderungen infolge Konvaleszenz ihre Wirksamkeit zurück.461 Die Regelung des § 91 InsO steht dem aufgrund der Freigabe(-wirkung) nicht entgegen. Diese Rechtsprechung des BGH hat in der Praxis die Fortführung und Sanierung von Arztpraxen im Wege der Freigabe erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. – Ebenso als Mittel der Kreditsicherung von Bedeutung ist die Sicherungsabtretung des Anspruchs auf Rückgewähr einer Grundschuld (s. hierzu und zur Absonderungskraft der Vormerkung nach § 1179a BGB auch unter Rz. 142a ff.). Eine solche Sicherungsabtretung kann indes nur dann ein Recht auf abgesonderte Befriedigung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Abtretenden begründen, wenn eine Revalutierung der Grundschuld ohne Zustimmung des Abtretungsempfängers nicht oder nicht mehr in Anspruch kommt.462 Denn der Sicherungswert ist trotz Abtretung nicht endgültig ausgeschieden, solange der Sicherungsnehmer allein oder im Einvernehmen mit dem Sicherungsgeber selbst oder dem Insolvenzverwalter über dessen Vermögen, etwa zur Besicherung eines Massekredits, die Grundschuld revalutieren kann, ohne dadurch den Inhalt des Rückgewähranspruchs zu verändern. Dieser Sicherungswert kann der Masse gem. § 91 Abs. 1 InsO nicht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Begründung eines Absonderungsrechts mit Vollendung des Rechtserwerbs an dem abgetretenen Rückgewähranspruch entzogen werden.
176h
Hinweis: Eine insolvenzfeste Rechtsposition für den Abtretungsempfänger des Rückgewähranspruchs besteht insbesondere (erst) dann, wenn eine Grundschuld nur eine bestimmte Verbindlichkeit sichert und diese vor Insolvenzeröffnung vollständig getilgt ist. Bei weitem Sicherungszweck ist der Abtretungsempfänger einer
456 BGH v. 14.7.2004 – XII ZR 257/01, WM 2005, 378 = NJW 2005, 1192 m. zust. Anm. Mordhorst, EWiR 2005, 691 f. = BauRB 2005, 127. 457 Beiner/Luppe, NZI 2005, 15 ff. m. zahlr. w.N. 458 OLG Karlsruhe v. 8.4.2005 – 14 U 200/03, ZIP 2005, 1248. 459 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 = EWiR 2008, 187 (Ries); BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372 m. Anm. Kuder, ZIP 2008, 289 = EWiR 2008, 505 (Homann/Junghans). 460 Vgl. hierzu ausführlich Blum, ZInsO 2007, 528 ff. und Runkel/Kuhlemann, ZInsO 2007, 1094; im Sinne der Entscheidung des BGH v. 29.11.2007: LG Bielefeld v. 7.8.2007 – 6 O 167/07, ZIP 2007, 1764 ff. m. Anm. Freudenberg, EWiR 2008, 57; vgl. auch Jacoby, ZIP 2008, 385 ff. 461 BGH v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, ZIP 2013, 1181 = EWiR 2013, 551 (Hofmann). 462 BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2011, 2364 = EWiR 2012, 181 (Weiß) = NotBZ 2012, 353 m. Anm. Suppliet.
820 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 177c § 10 Grundschuld dieser Schwäche seines Rückgewähranspruchs ausgesetzt, dem trotz seiner Entstehung noch die auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung der Grundschuld durch Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer anhaftet.463
(2) Sicherungsabtretung im Rahmen von Kautionsversicherungsverträgen Ansprüche von Kautionsversicherern in der Insolvenz des Versicherungsnehmers sind Gegenstand einer Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen.464 Im Vordergrund steht eine Entscheidung des BGH, wonach Prämienansprüche
177
– für die Zeit nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Versicherungsnehmers – vom Kautionsversicherer nicht insolvenzfest vereinbart oder gesichert werden können.465 Kautionsversicherer lassen sich regelmäßig zur Sicherung der Ansprüche aus dem Kautionsversicherungsvertrag Festgeldguthaben abtreten. Als Geschäftsbesorgungsverträge erlöschen Kautionsversicherungsverträge gem. § 116 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers. Prämienansprüche nach Verfahrenseröffnung sind mit Rücksicht auf § 91 InsO nur dann abgesichert, wenn sie von der erwähnten Sicherungsabtretung erfasst sind. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die Prämienansprüche bereits vor Verfahrenseröffnung begründet worden wären. Dies aber – so der BGH – sei nicht der Fall und lasse sich auch nicht durch analoge Anwendung des § 41 InsO rechtfertigen.466
177a
Für die Kautionsversicherungspraxis ist diese Rechtsprechung ein immenses Problem. Das OLG Dresden hatte seinerzeit versucht, einen Weg zur insolvenzfesten Absicherung aufzuzeigen, indem es als den durch die Abtretung gesicherten Anspruch nicht den Prämienanspruch des Versicherers, sondern dessen Regressanspruch nach § 774 BGB ansieht. Denn dieser sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung467 bereits mit der Bürgschaftsübernahme entstanden und stehe lediglich unter der für § 91 InsO unschädlichen aufschiebenden Bedingung der Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen.468 Folglich sei eine insolvenzfeste Absicherung gewährleistet. Im Revisionsverfahren hat der BGH die Rechtsprechung des OLG Dresden bestätigt und dem Kautionsversicherer bei Inanspruchnahme aus einer von ihm erteilten Bürgschaft in der Insolvenz des Versicherungsnehmers ein Absonderungsrecht an einem ihm vor Insolvenzeröffnung sicherungshalber abgetretenen Festgeldguthaben auch dann zugestanden, wenn er den gesicherten Anspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworben hat.469
177b
Nach der Rechtsprechung des BGH sind Bankavalverträge in der Insolvenz des Avalkreditnehmers nicht anders zu behandeln als Kautionsversicherungsverträge.470 Die sich aus dem als Geschäftsbesor-
177c
463 BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2011, 2364 = EWiR 2012, 181 (Weiß) = NotBZ 2012, 353 m. Anm. Suppliet. 464 BGH v. 24.6.2010 – IX ZR 199/09, ZIP 2010, 1453; BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 17/10, ZIP 2011, 282; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781 = VersR 2006, 1637; BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/ 05, ZIP 2007, 543; OLG Dresden v. 11.1.2007 – 13 U 2119/05, EWiR 2007, 309 = VersR 2007, 1367 (nicht rechtskräftig) m. Anm. Stahlschmidt, EWiR 2007, 309. 465 BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781 = VersR 2006, 1637; BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/ 05, ZIP 2007, 543 = VersR 2007, 1367. 466 BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781 = VersR 2006, 1637. 467 BGH v. 6.11.1989 – II ZR 62/89, ZIP 1990, 53 = EWiR 1990, 175 (Häsemeyer). 468 OLG Dresden v. 11.1.2007 – 13 U 2119/05, EWiR 2007, 309 m. Anm. Stahlschmidt, EWiR 2007, 309 = ZIP 2007, 640. 469 BGH v. 13.3.2008 – IX ZR 14/07, ZIP 2008, 885 = VersR 2008, 826 = NZI 2008, 20. 470 BGH v. 6.10.2011 – IX ZR 153/09, ZIP 2011, 2163 unter Verweis auf BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781 = VersR 2006, 1637 und BGH v. 24.6.2010 – IX ZR 199/09, ZIP 2010, 1453 und BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 17/10, ZIP 2011, 282.
Drees/Schmidt | 821
§ 10 Rz. 177c | Beratung des gesicherten Gläubigers gungsvertrag ergebenden Ansprüche erlöschen hiernach gem. §§ 116 S. 1, 115 I InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Zukunft ohne Einschränkung. (3) Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen 178
Neben der Globalzession hat sich die Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen in der Kreditsicherungspraxis als probates Sicherungsmittel etabliert. Nicht anders als bei der Globalzession (Rz. 176) gilt bei entsprechender Besicherung in erster Linie der Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung das Hauptaugenmerk. Hierbei sind insbesondere folgende Gesichtspunkte zu bedenken: – Es entspricht bankvertraglicher Praxis, sich zur Kreditfinanzierung Ansprüche aus Lebensversicherungen sicherungshalber abtreten zu lassen. Wie bei der rechtsgeschäftlichen Verpfändung solcher Ansprüche (Rz. 159) ist die Anzeige der Abtretung bei der Versicherung gem. § 11 ALB Wirksamkeitsvoraussetzung. – Eine Abtretung scheidet per se aus, wenn einem Dritten an den Leistungen aus dem Versicherungsvertrag ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden ist. Hat sich der Versicherungsnehmer nicht vorbehalten, unter bestimmten Voraussetzungen den Anspruch aus der Versicherung selbst geltend zu machen, geht eine Sicherungsabtretung ins Leere und ein Absonderungsrecht kann nicht entstehen (vgl. oben Rz. 159).471 – Ist eine Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung verbunden, so besteht eine rechtliche Unsicherheit darüber, ob die Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung oder das Recht zur Kündigung der Lebensversicherung abgetreten werden können bzw. gem. § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unpfändbar sind. Das OLG Hamm erkennt die Unpfändbarkeit entsprechender Ansprüche gem. § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO an und verneint daher die Abtretbarkeit, § 400 BGB.472 Sind in einer Sicherungsabtretung gleichwohl alle Rechte aus dem Versicherungsvertrag abgetreten worden, so könne die Übertragung der Forderungen aus dem Lebensversicherungsvertrag nach § 139 BGB wirksam sein. Aus der Einheit von Hauptversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung könne nicht ohne weiteres auf die Gesamtnichtigkeit der Abtretungsvereinbarung geschlossen werden.473 Anders das OLG Hamburg. Es ordnet in einem jüngeren Urteil die Ablaufleistungen von Lebensversicherungsverträgen mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung vollumfänglich der Masse zu.474 Die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht „für die Hauptversicherung“ (Lebensversicherung) sei nach § 1 Abs. 1a) der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen zwar ebenso eine Versicherungsleistung wie die Berufsunfähigkeitsrente und beide Leistungen setzten eine mindestens 50 %ige Berufsunfähigkeit voraus. Die Versicherungsleistung der Beitragsfreistellung stehe jedoch selbstständig neben der in § 1 Abs. 1b) der Besonderen Bedingungen geregelten Versicherungsleistung der – anerkanntermaßen von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfassten – Berufsunfähigkeitsrente. Die Anwendung des § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Beitragsbefreiung der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung komme daher nicht in Betracht. Sowohl die Kapitalabfindung als auch die seit Insolvenzeröffnung eingetretene Wertsteigerung seien daher Bestandteil der Insolvenzmasse.475 – Außerhalb eines Insolvenzverfahrens würde im Sicherungsfall der Sicherungsnehmer die Lebensversicherung kündigen und den Rückkaufswert vereinnahmen, sobald Verwertungsreife vorliegt.476
471 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05, ZInsO 2006, 997, 998. 472 OLG Hamm v. 16.3.2006 – 27 U 118/05, ZInsO 2006, 878 ff. 473 OLG Hamm v. 16.3.2006 – 27 U 118/05, ZInsO 2006, 878 ff.; OLG Köln v. 25.3.1996 – 5 U 148/95, VersR 1998, 222; a.A. OLG Jena v. 19.5.2000 – 5 W 129/00, VersR 2000, 1005. 474 OLG Hamburg v. 27.3.2012 – 8 U 11/11, ZInsO 2012, 978 ff. 475 OLG Hamburg v. 27.3.2012 – 8 U 11/11, ZInsO 2012, 978, 981. 476 Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1587 f.
822 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 178c § 10
– Kommt es zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers, so steht das Verwertungsrecht hinsichtlich solcher sicherungszedierter Ansprüche gem. § 166 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Aus dem Einziehungsrecht folgt der Anspruch auf die Kostenpauschalen gem. §§ 170, 171 InsO (s. hierzu ausführlich unten Rz. 317 ff.). Anders verhält es sich dann, wenn ein Schuldner nach Sicherungsabtretung und Forderungspfändung schon vor der Insolvenzeröffnung in Gänze nicht mehr über die sich aus dem Lebensversicherungsvertrag ergebenden Ansprüche verfügen kann. Dann hat der zur Kündigung berechtigende Pfändungsgläubiger an dem aufschiebend bedingten Anspruch auf den Rückkaufswert eine gesicherte Rechtsposition erlangt, die einem Erwerb durch die Masse und Verwertung durch den Insolvenzverwalter entgegensteht.477 Komplizierter ist die Rechtslage, wenn der Versicherungsnehmer (Insolvenzschuldner) lediglich die im Todesfall bestehenden Ansprüche zur Sicherheit abgetreten hat.478 Der Versicherungsnehmer kann im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit über seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verfügen;479 auf dieser Grundlage beschränken Versicherungsnehmer eine Abtretung aus den genannten Gründen oftmals auf Ansprüche „für den Todesfall“.
178a
In Fällen solcher inhaltlich beschränkten Abtretungserklärungen ist in der Insolvenz des Versicherungsnehmers regelmäßig die Berechtigung zur Einziehung des Rückkaufswerts streitbefangen: Steht sie dem Insolvenzverwalter oder dem Zessionar zu?
178b
Entscheidend ist, ob die Abtretung die Ansprüche auf den Rückkaufswert mitumfasst. In diesem Fall besteht das beschriebene (Rz. 159) Absonderungsrecht. Ergibt sich aus der Abtretungsurkunde, dass eine Abtretung des Rückkaufswertes nur mit Abtretung der Erlebensfallansprüche erfolgt, diese aber nicht erfolgt ist, steht der Rückkaufswert zweifelsohne der Insolvenzmasse in voller Höhe zu.480 Kann der Abtretungsurkunde auch nach gebotener (ergänzender) Vertragsauslegung nicht eindeutig entnommen werden, ob die Ansprüche auf den Rückkaufswert mitabgetreten worden sind, gebühren diese dem Zessionar.481 Denn aus § 176 Abs. 1 VVG ergibt sich, dass der Anspruch auf den Rückkaufswert den Ansprüchen auf den Todesfall zuzuordnen ist, sofern sich eine Abweichung hiervon nicht ausdrücklich oder konkludent ergibt.482 Dient die Beschränkung der Abtretung der Vermeidung steuerlicher Nachteile, geht der BGH davon aus, dass der Anspruch auf den Rückkaufswert nicht von der Abtretung erfasst ist.483 In einer neueren Entscheidung betont der BGH, dass es ausdrücklich keine generelle Zuordnung des Anspruchs auf den Rückkaufswert zu dem (abgetretenen) Anspruch auf die Versicherungsleistung im Todesfall gebe; entscheidend sei allein der durch Auslegung zu ermittelnde
178c
477 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, ZIP 2012, 638 = EWiR 2012, 491 (Weiß/Müller) = VersR 2012, 1520. 478 Dies ist aus steuerlichen Gründen in der Praxis der Kreditsicherung durchaus üblich. Nach § 10 Abs. 2 EStG greift das Abzugsverbot bei einem steuerschädlichen Finanzierungseinsatz von Lebensversicherungen ein, wenn die Versicherungsansprüche während ihrer Dauer im Erlebensfall der Tilgung oder Sicherung eines Darlehens dienen, dessen Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind. Ebenso wird die Steuerfreiheit der Erträge aus Lebensversicherung versagt (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 EStG). Die Abtretung auch der Erlebensfallansprüche kann daher zu einer Nachversteuerung führen (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 EStG). 479 OLG Hamburg v. 8.11.2007 – 9 U 123/07, ZIP 2008, 33 = VersR 2008, 767, 34. 480 OLG Dresden v. 2.12.2004 – 13 U 1569/04, ZIP 2005, 631; OLG Düsseldorf v. 25.8.2006, ZInsO 2006, 1270. 481 BGH v. 13.6.2007 – IV ZR 330/05, ZIP 2007, 1375 = VersR 2007, 1065 = EWiR 2007, 567 (Güther/ Kohly); BGH v. 18.6.2003 – IV ZR 59/02, NJW 2003, 2679 = FamRZ 2003, 1264 = VersR 2003, 1021; OLG Celle v. 23.6.2005 – 16 W 54/05, ZInsO 2005, 890. 482 OLG Celle v. 23.6.2005 – 16 W 54/05, ZInsO 2005, 890. 483 BGH v. 13.6.2007 – IV ZR 330/05, ZIP 2007, 1375 = VersR 2007, 1065 = EWiR 2007, 567 (Güther/ Kohly).
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§ 10 Rz. 178c | Beratung des gesicherten Gläubigers Handlungswille des Versicherungsnehmers. Bleibe beispielsweise das Kündigungsrecht, so spreche dies dafür, dass der Anspruch auf den Rückkaufswert beim Versicherungsnehmer verbleiben solle.484 cc) Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt 179
Der Sicherungsübereignung in ihren insolvenzrechtlichen Auswirkungen gleichzusetzen sind die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts. Während der einfache Eigentumsvorbehalt den Vorbehaltsverkäufer zur Aussonderung der Vorbehaltsware berechtigt (vgl. hierzu Rz. 29 ff.), begründen die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts nur ein Absonderungsrecht, sobald der Verlängerungs- oder Erweiterungsfall eingetreten ist.485 Solange also – die ursprüngliche Kaufpreisforderung noch offen und – der Käufer noch im Besitz der unverarbeiteten Sache ist, kann der Verkäufer in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers sein Eigentum aussondern. Erst mit Eintritt des Erweiterungs- bzw. Verlängerungsfalls wandelt sich das Recht des Verkäufers auf Aussonderung in ein Recht auf Absonderung um. Ab diesem Zeitpunkt kommt dem vereinbarten Eigentumsvorbehalt wirtschaftlich nur noch die Funktion eines Pfandrechts zu.
179a
Beim verlängerten Eigentumsvorbehalt erstreckt sich die Sicherung des Verkäufers auch auf künftige Vermögenswerte, die an die Stelle der unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sache treten; namentlich das aus der Vorbehaltsware entstandene Erzeugnis oder die Kundenforderung, die sich aus der Weiterveräußerung ergibt.486 Für zwei Situationen hat sich die vertragsmäßige Erweiterung auf das Surrogat als Kompensation für den Verlust der Eigentümerstellung des Vorbehaltsverkäufers als praxistauglich erwiesen.
179b
Es liegt letztlich im Interesse beider Vertragsparteien, dass der Vorbehaltskäufer die gelieferte Sache weiterverarbeiten kann, um im Fortgang des Verarbeitungsprozesses Gewinne zu erzielen, die der Vorbehaltskäufer wiederum für die Befriedigung der Kaufpreisraten und den Ankauf neuer Ware einsetzen kann. Dem steht jedoch das Sicherungsinteresse des Vorbehaltsverkäufers entgegen, weil er das zur Sicherung des Kaufpreisanspruchs vorbehaltene Eigentum durch den Verarbeitungsvorgang nach § 947 BGB typischerweise ersatzlos verliert. Daher soll anstelle des Eigentums an der ursprünglichen Kaufsache das originär an der neuen Sache entstandene Eigentum der Sicherung seines Anspruchs dienen.487 Die Verlängerung des Eigentumsvorbehalts geschieht in der Regel durch die Vereinbarung einer sog. Verarbeitungs- oder Herstellungsklausel. Richtigerweise regelt § 947 BGB die sachenrechtliche Zuordnung abschließend, ohne dass es auf den abweichend kundgetanen Willen der Parteien ankommen kann. Wenn die vertragliche Abbedingung aufgrund des zwingenden Charakters der § 946 ff. BGB unwirksam ist, kann auch die Vereinbarung, dass der Vorbehaltsverkäufer als Hersteller i.S.d. § 947 BGB behandelt werden soll, eine abweichende Beurteilung nicht begründen. Deshalb ist die Regelung in Gestalt der Verarbeitungsklausel als antizipierte Sicherungsübereignung (§§ 929, 930 BGB) auszulegen.488 Die neu hergestellten Sachen werden demnach ohne weiteren Erklärungsakt sicherungshalber auf den Verkäufer übertragen, wenngleich nach dieser Auslegung beim Vorbehaltskäufer zwangsläufig ein Durchgangserwerb an der neuen Sache eintritt, wenn auch nur für eine „juristische Sekunde“. Nur auf diese Weise lässt sich die parallele Behandlung von Sicherungseigentum und verlängertem Eigentumsvorbehalt zweifelsfrei erklären; beiden Sicherungsformen liegt dieselbe Konstruk-
484 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 67/09, EWiR 2012, 735 (Lau) = ZIP 2012, 1301, NZI 2012, 667; Ganter, NZI 2013, 209, 214. 485 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 38; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 23 ff. 486 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 105. 487 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 39. 488 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 108.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 179d § 10
tion zugrunde. Fällt der Vorbehaltskäufer in die Insolvenz (und ist der Verlängerungsfall schon eingetreten), hat der Vorbehaltsverkäufer nach § 51 Nr. 1 Alt. 1 InsO nur ein Absonderungsrecht hinsichtlich des neu entstandenen Eigentums. Das Absonderungsrecht ist allerdings auf den Wert der gelieferten Vorbehaltsware begrenzt.489 In der Insolvenz des Verkäufers kann der Käufer hingegen aussondern, falls durch Zahlung des Kaufpreises der Sicherungszeck entfällt.490 Eine ähnliche Ausgangssituation ergibt sich für den Fall, dass der Vorbehaltskäufer die gelieferte Ware weiterveräußern will. Hier erteilt ihm der Vorbehaltsverkäufer eine Weiterveräußerungsermächtigung (§ 185 Abs. 1 BGB), gestattet also den Weiterverkauf der ihm gehörenden Ware im „normalen Geschäftsgang“ oder „ordnungsgemäßen Wirtschaftsverkehr“. Von der Ermächtigung sollen nur solche Veräußerungen erfasst sein, die das Sicherungsinteresse des Vorbehaltsverkäufers nicht gefährden (§§ 133, 157 BGB). Im Gegenzug lässt der Vorbehaltsverkäufer sich die Forderungen, die dem Vorbehaltskäufer aus dem Weiterverkauf der Vorbehaltsware entstehen, antizipiert und sicherungshalber abtreten. Diese Konstruktion ist letztlich mit der Sicherungszession identisch. Fällt der Vorbehaltskäufer in die Insolvenz (und ist der Verlängerungsfall schon eingetreten), hat der Vorbehaltsverkäufer nach § 51 Nr. 1 Alt. 2 InsO wiederum nur das Absonderungsrecht an den zur Sicherheit abgetretenen Forderungen. Die Verwertung erfolgt nach § 166 Abs. 2 InsO durch den Insolvenzverwalter. Wird im Insolvenzeröffnungsverfahren zur Sicherung des schuldnerischen Vermögens ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der anstelle des Schuldners verfügungsbefugt ist (§ 22 InsO), so deckt die Weiterveräußerungsermächtigungen auch Verfügungen des vorläufigen Insolvenzverwalters. Er ist im Grundsatz auch zur Einziehung der Kundenforderungen befugt. Ist das Verhalten des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht von der Ermächtigungen gedeckt oder ist sie seitens des Vorbehaltsverkäufers gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter wirksam widerrufen worden, so kann das Insolvenzgericht die Ermächtigungen nicht ersetzen.
179c
Veräußert der Vorbehaltskäufer die Ware unter Wert, ist der Verlust des vorbehaltenen Eigentums nicht vollständig kompensiert. Solche Verfügungen sind rechtswidrig. Begründet wird dies mit den Sicherungsinteressen des Verkäufers, dessen Befriedigungsaussichten aus der zur Sicherheit abgetretenen Forderung als nachhaltig verletzt anzusehen sind. Eine Handlung, die gegen die Sicherungsinteressen versößt, ist als nicht von den Ermächtigungen des Verkäufers gedeckt anzusehen (§§ 133, 157 BGB). Dies mag zunächst nur auf die Veräußerungsermächtigung zutreffen, weil sie die berechtigte Entäußerung des Vermögensgegenstandes durch den Schuldner ermöglicht. Allerdings sind Veräußerungs- und Einziehungsermächtigung untrennbar miteinander verbunden. Auch die Einziehung der Kundenforderung ist daher nicht mehr von einer Ermächtigung gedeckt. Aus ähnlichen Erwägungen leitet der BGH auch das Gebot der Erlösseparierung und -auskehr des vorläufigen Insolvenzverwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren ab (hierzu Rz. 127 ff.).491 Im zugrunde liegenden Fall hat der (starke) vorläufige Insolvenzverwalter auf Basis der Veräußerungs- und Einziehungsermächtigung Vorbehaltsware veräußert und entsprechende Forderungen zur Masse gezogen. Dies sei während des Insolvenzeröffnungsverfahrens zwar aufgrund der Ermächtigungen des Verkäufers grundsätzlich möglich und wird typischerweise auch im Interesse des Verkäufers liegen. Überdies habe der Verkäufer kein Bedürfnis für einen Widerruf der Ermächtigungen, solange er davon ausgehen kann, dass die Veräußerungen weiterhin im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen. Voraussetzung sei auch hier, dass seine Rechte im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht gefährdet werden. Allerdings sei die Einziehung der Kundenforderungen nicht mehr als von der Einziehungsermächtigung gedeckt anzusehen, wenn der vorläufige Verwalter die eingezogenen Beträge auf schuldnereigenen Konten verwaltet, um sie zur Fortführung des Geschäftsbetriebs einzusetzen. In diesem Fall tätige er eine unberechtigte Veräußerung, die zu einem Ersatzabsonderungsrecht des Vorbehaltsverkäufers analog § 48 InsO führt.
179d
489 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 114. 490 Ganter in MünchKomm/InsO, § 47 Rz. 116. 491 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17 („Getränkemarkt“), ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, EWiR 2019, 211 (Prütting) = IHR 2019, 210 = ZIP 2019, 472 = NZI 2019, 274, 276; krit. Smid, ZInsO 2019, 2554, 2561 f.
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§ 10 Rz. 179e | Beratung des gesicherten Gläubigers 179e
Bereits nach früherem Konkursrecht wurde der Lieferant aufgrund seines verlängerten Eigentumsvorbehalts nicht als Aussonderungsberechtigter, sondern als zur Absonderung Berechtigter betrachtet.492 Dies beruhte darauf, dass der Verkäufer die entstandene Sache bzw. Forderung nicht behalten, sondern sie lediglich zu Sicherungszwecken nutzen will. Es liegt praktisch ein Fall der antizipierten Sicherungsübereignung bzw. -zession vor, die dem Verkäufer nunmehr nach § 51 Nr. 1 InsO ein Absonderungsrecht gewährt.
179f
Der erweiterte Eigentumsvorbehalt, der in verschiedenen Formen auftreten kann, dehnt den Eigentumsvorbehalt über die Bedingung der Kaufpreiszahlung hinaus auf anderweitige Kaufverträge und Forderungen aus. D.h., dass das vorbehaltene Eigentum nicht bereits mit Bezahlung des auf die Sache bezogenen Kaufpreises, sondern erst nach Begleichung weiterer Verbindlichkeiten auf den Käufer übergehen soll. Der Eigentumsvorbehalt wird mithin auf alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen aus der Geschäftsbeziehung erstreckt, bis diese beglichen worden sind (Saldo- oder Kontokorrentvorbehalt).493
179g
Insolvenzrechtlich sind auch hier die folgenden zwei Situationen zu unterscheiden: – Hat der Käufer im Insolvenzfall die Kaufpreisforderung noch nicht vollständig beglichen, so liegt noch der Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts vor, der dem Verkäufer ein Aussonderungsrecht an der unter Vorbehalt veräußerten Sache zubilligt. – Ist hingegen die ursprüngliche Kaufpreisforderung bereits erloschen und die Bedingung nur deshalb noch nicht eingetreten, weil noch weitere offene Forderungen nicht getilgt wurden, so dient der Kaufgegenstand jenseits des einfachen Eigentumsvorbehalts als Sicherungsgut für eine mit ihm nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende, vertragsfremde Forderung. Damit handelt es sich im wirtschaftlichen Sinne nunmehr um Sicherungseigentum des Verkäufers. Aufgrund seines Sicherungszwecks kommt diesem erweiterten Eigentumsvorbehalt ebenfalls nur absondernde Kraft zu494 (zur Stellung des Vorbehaltsverkäufers bzw. -käufers in der Insolvenz vgl. im Übrigen § 11 Rz. 144 ff.).
e) Widerrufliches Bezugsrecht an Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen 180
Durch die Einräumung eines lediglich widerruflichen Bezugsrechts hat der Bezugsberechtigte bis zum Eintritt des Versorgungsfalls weder einen Anspruch aus einem Versicherungsvertrag (§ 166 Abs. 2 VVG) noch eine sonstige gesicherte Rechtsposition erworben.495 Der Bezugsberechtigte besitzt lediglich eine mehr oder weniger starke tatsächliche Aussicht auf den Erwerb eines zukünftigen Anspruchs und erhält erst mit Eintritt des Versicherungsfalls einen rechtlich gesicherten Anspruch. Der Versicherungsnehmer kann die Bezugsberechtigung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls auf sich oder Dritte umleiten.
181
In der Insolvenz des Versicherungsnehmers steht dieses Widerrufsrecht dem Insolvenzverwalter zu. Hiervon macht er durch Zahlungsbegehren auf den Rückkaufswert Gebrauch mit der Konsequenz, dass der Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt.496 Es bedarf weder eines ausdrücklichen Widerrufs497 noch einer ausdrücklichen Kündigungserklärung.
492 493 494 495 496 497
BGH v. 9.12.1970 – VIII ZR 52/69, WM 1971, 71; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 24a. Vgl. hierzu Weidenkaff in Palandt, § 449 Rz. 19; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 33. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 51 Rz. 15; vgl. auch BT-Drucks. 12/2443, 125. BGH v. 22.3.1984 – IX ZR 69/83, WM 1984, 817 = FamRZ 1984, 666 = VersR 1984, 632, 818. BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 ff. = EWiR 2005, 641 (Balle). LG Hamburg v. 7.1.2005 – 303 O 31/04, ZInsO 2005, 725 f.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 183b § 10
Mit Eintritt des Versicherungsfalls wird das widerrufliche Bezugsrecht unwiderruflich. Allerdings vermag dies nicht den Erwerb eines Absonderungsrechts zu begründen, da mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Erwerbsverbot gem. § 91 InsO greift, so dass auch bei Eintritt des Versicherungsfalls während des Insolvenzverfahrens der Anspruch auf den Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt.498
182
f) Pfändungspfandrechte, Zwangssicherungshypotheken und Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse Das Pfändungspfandrecht entsteht gem. § 804 ZPO durch Pfändung aus zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen vollstreckbaren Titeln. An beweglichen Sachen erfolgt die Pfändung nach den §§ 808 ff. ZPO, an Forderungen und anderen Vermögensrechten nach den §§ 828 ff. ZPO. Soweit ein Gegenstand zum Zwecke der Befriedigung eines Gläubigers der Verfügungsbefugnis des Schuldners entzogen und sichergestellt wurde, erwirbt der Gläubiger an diesem Gegenstand nach § 804 ZPO ein Pfändungspfandrecht, welches dem rechtsgeschäftlichen Pfandrecht des § 50 Abs. 1 Alt. 1 InsO nach § 804 Abs. 2 ZPO gleichgestellt ist.
183
Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach § 111b StPO erfolgt auf Anordnung des Strafgerichts und wird durch die Staatsanwaltschaft vollzogen. Sie dient der Sicherstellung bestimmter Gegenstände des Täters, die der Täter durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat und umfasst ferner deren Nutzungen und Surrogate (§ 73 StPO). Damit sichert die Beschlagnahme Tatmittel, -produkte und -objekte, die der Einziehung unterliegen, vor Vereitelungshandlungen des Täters. Nach § 111d Abs. 1 StPO begründet die Beschlagnahme ein Veräußerungsverbot, das von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt bleibt und nicht der Insolvenzanfechtung unterliegt.499 Die §§ 80 Abs. 2 S. 1, 88 InsO finden im Gegensatz zur alten Rechtslage500 keine Anwendung; die vollzogene Beschlagnahme hat deshalb auch im Insolvenzverfahren Bestand. Mit Anordnung der Einziehung geht das Eigentum an dem gesicherten Gegenstand gem. § 75 Abs. 1 InsO auf den Staat über, der sodann als dinglich Berechtigter die Aussonderung betreiben kann. Alternativ kann derjenige, dem der Gegenstand gehört oder zusteht, sein Recht bei der Vollstreckungsbehörde anmelden und die Eigentumsübertragung bewirken. Kritisiert wird hierbei, dass Verletzte oder der Staat in der Insolvenz des Täters zu Lasten der sonstigen Gläubiger privilegiert behandelt werden.501
183a
Der Vermögensarrest (§ 111e StPO) unterscheidet sich von der Beschlagnahme dadurch, dass er nicht der Einziehung bestimmter Gegenstände, sondern allgemein der Wertersatzeinziehung dient. Die Anordnungsvoraussetzungen sind indes identisch. Der Vermögensarrest wird für bewegliche Gegenstände gem. § 111f Abs. 1 StPO durch Pfändung, für unbewegliche Gegenstände gem. § 111f Abs. 2 StPO durch Eintragung einer Sicherungshypothek bewirkt. Auch die Vollziehung des Arrests führt zu einem Veräußerungsverbot, das durch Verfahrenseröffnung nicht wirkungslos wird (§ 111h Abs. 1 StPO). Beide Sicherungsrechte begründen in der Insolvenz im Grundsatz ein Absonderungsrecht des Staates an den belasteten Gegenständen, dieses erlischt allerdings gem. § 111i Abs. 1 StPO, wenn mindestens einem Tatverletzten ein Anspruch auf Wertersatz erwachsen ist und der Gegenstand bzw. der Verwertungserlös vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Zudem unterliegt die Pfändung der Rückschlagsperre und der Insolvenzanfechtung. In beiden Fällen sind die Sicherungsrechte demnach insolvenzfest.
183b
498 Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1575. 499 Reformiert durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017, BGBl. I 2017, 872; hierzu Blankenburg, ZInsO 2017, 1453; Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 50 Rz. 16. 500 Nach BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 41/05, EWiR 2007, 693 (Malitz) = ZIP 2007, 1338 = NZI 2007, 450 führte die Beschlagnahme zu relativem Veräußerungsverbot, das in der Insolvenz des Täters gem. § 80 Abs. 2 S. 1 InsO wirkungslos ist. 501 Köllner/Mück, NZI 2017, 593.
Drees/Schmidt | 827
§ 10 Rz. 183c | Beratung des gesicherten Gläubigers 183c
Bei unzulässiger Überpfändung darf nicht vorschnell die Absonderungskraft verneint werden; vielmehr ist denkbar, dass das Pfändungspfandrecht nur teilunwirksam ist. Lediglich in diesem Umfang scheiden Absonderungsrechte aus.502
184
Da während des Insolvenzverfahrens nach § 89 InsO Vollstreckungsmaßnahmen nicht mehr zulässig sind, muss das Pfandrecht durch eine Vollstreckungsmaßnahme vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam entstanden sein.503 Damit müssen zur wirksamen Entstehung des Pfändungspfandrechts bzw. Absonderungsrechts auch der Pfändungsbeschluss und die Titelzustellung vor dem Veräußerungsverbot bewirkt worden sein. Lediglich beim Arrestpfandrecht kann die Zustellung des Arrestbefehls gem. § 929 Abs. 3 ZPO auch nach der Verfahrenseröffnung nachgeholt werden.504
185
Zusätzlich muss die Rückschlagsperre des § 88 InsO beachtet werden. Hiernach sind im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherungen unwirksam, wenn sie innerhalb des letzten Monats vor dem Insolvenzantrag erlangt worden sind. Entsprechende Vollstreckungsgläubiger sind daher nur dann insolvenzfest gesichert, wenn das Pfändungspfandrecht spätestens einen Monat vor der Antragstellung zur Entstehung gelangt ist.505
185a
Hinweise zur Bedeutung der Rückschlagsperre für Absonderungsberechtigte: – Bei der Pfändung künftiger Forderungen muss die Entstehung des Pfändungspfandrechts besonders kritisch geprüft werden. Denn das Pfandrecht entsteht nicht bereits mit der Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner, sondern erst mit der späteren Entstehung der Forderung.506 Das Pfändungspfandrecht als Sicherung i.S.d. § 88 InsO ist daher erst dann erlangt, wenn die Forderung entsteht. Liegt dieser Zeitpunkt im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag, ist die Sicherung nicht insolvenzfest; sie wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ipso iure unwirksam.507 Entsteht die gepfändete Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann der Pfandgläubiger daran gem. § 91 Abs. 1 InsO grundsätzlich zu Lasten der Masse kein Pfandrecht erwerben. Die Regelung des § 91 Abs. 1 InsO schont jedoch solche Erwerbsanwärter, die an dem Erwerbsgegenstand bereits eine gesicherte Rechtsstellung erworben haben. Dann ist die Pfändung insolvenzfest. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der Schuldner schon vor Insolvenzeröffnung nicht mehr über den betreffenden Vermögensgegenstand in Gänze verfügen kann.508 – Bei der Pfändung künftiger Lohnansprüche des Schuldners umfasst die insolvenzrechtliche Rückschlagsperre diejenigen Ansprüche, die in der beschriebenen kritischen Zeit vor Verfahrenseröffnung entstehen, nicht jedoch Lohnansprüche, die im Monat des Insolvenzantrages und ggf. im Folgemonat entstehen.509 – Ein vergleichbares Problem stellt sich für den Beginn der Monatsfrist bei einer Sicherungshypothek mit Grundbucheintragung. Das LG Bonn meint, die Frist des § 88 InsO beginne erst mit der Grundbucheintragung und nicht bereits mit dem Eingang eines beanstandungsfreien Eintragungsantrags beim Grundbuchamt.510 Erst mit Grundbucheintragung sei die Sicherung i.S.d. § 88 InsO erlangt. Einem früheren
502 BGH v. 24.3.2011 – IX ZB 217/08, EWiR 2011, 511 (Lüke/Scherz) = ZIP 2011, 871 = NZI 2011, 365. 503 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, EWiR 2012, 491 (Weiß/Müller) = VersR 2012, 1520 = ZIP 2012, 638 = NZI 2012, 319, 320; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 55; Ganter in MünchKomm/InsO, § 50 Rz. 76 f.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 35. 504 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 35. 505 Zu § 88 InsO vgl. die lehrreiche Entscheidung des LG Leipzig v. 15.12.2004 – 1 S 5075/04, ZInsO 2005, 833; vgl. weiter Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 58; Ganter in MünchKomm/InsO, § 50 Rz. 66; Thietz-Bartram/Spilger, ZInsO 2005, 858. 506 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, EWiR 2012, 491 (Weiß/Müller) = VersR 2012, 1520 = ZIP 2012, 638 = NZI 2012, 319. 507 BGH v. 12.4.2005 – VII R 7/03, ZInsO 2005, 888, 889 f. 508 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, EWiR 2012, 491 (Weiß/Müller) = VersR 2012, 1520 = ZIP 2012, 638 = NZI 2012, 319 ff.; Ganter, NZI 2013, 209, 214. 509 OLG Nürnberg v. 17.9.2013 – 4 U 1719/13, ZIP 2014, 286 = ZInsO 2014, 157. 510 LG Bonn v. 2.12.2003 – 4 T 519/03, ZIP 2004, 1374 = EWiR 2004, 861 (Gerhardt), 1375. Zum Streitstand Kayser in HK/InsO, § 88 Rz. 17, 28 ff.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 186 § 10
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Zeitpunkt stehe das Fehlen einer § 140 Abs. 2 InsO vergleichbaren Regelung entgegen. Auch eine entsprechende Anwendung des § 932 Abs. 3 ZPO sei nicht zu rechtfertigen.511 Für den grundbuchverfahrensrechtlichen Nachweis, dass die Eintragung des von der Rückschlagsperre erfassten Rechts innerhalb der Frist des § 88 InsO erfolgt ist, reicht es für den Fall, dass zwischen der Eintragung der Vormerkung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mehr als ein Monat liegt, nicht aus, dass in den Gründen des Eröffnungsbeschlusses des Insolvenzgerichts der Zeitpunkt des Eingangs desjenigen Antrags genannt wird, auf dessen Grundlage das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.512 Gleiches gilt für eine Bescheinigung des Insolvenzgerichts über den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags.513 In den Fällen des § 139 InsO ist es mithin – wenn auch wenig praktikabel – erforderlich, dass der Insolvenzverwalter den (vermeintlich) dinglich Berechtigten auf Erteilung der Löschungsbewilligung in Anspruch nehmen muss, und zwar auch dann, wenn – ggf. offensichtlich – die Eintragung von der Rückschlagsperre erfasst ist.514 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen innerhalb der Sperrfrist des § 88 InsO werden durch die Verfahrenseröffnung ipso iure unwirksam, d.h. die Verstrickung endet automatisch; einer weiteren Aufhebung durch den Gerichtsvollzieher bedarf die Vollstreckungsmaßnahme nicht.515 Bereits gepfändete Sachen sind dem Verwalter zur Verwertung nach den §§ 166 ff. InsO herauszugeben.516 Für die Sicherungshypothek hatten Rechtsprechung und h.M. bislang angenommen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 88 InsO eine Eigentümergrundschuld entstehe. Inzwischen hat sich der BGH517 gegen diese entsprechende Anwendung des § 868 ZPO ausgesprochen und geht vom Erlöschen einer von der Rückschlagsperre erfassten Sicherungshypothek und deren Wiederaufleben nach Freigabe des Grundbesitzes (nachstehend) aus.518 Schwierig ist die Rechtslage, wenn der Gegenstand, an dem die § 88 InsO zuwiderlaufende Sicherheit erlangt wurde, nach Verfahrenseröffnung im Wege der Freigabe wieder herausgegeben wird. Dann stellt sich die Frage, ob die Sicherung dann weiterhin unwirksam bleibt oder ob sie nach Herausgabe des Vermögensgegenstandes aus der Insolvenzmasse wieder auflebt. Das LG Leipzig hat sich im Fall der Sicherungshypothek für letzteres und damit gegen eine absolute – vom Ausgang des Verfahrens unabhängige – Unwirksamkeit entschieden. Nach Zulassung der Revision hat der BGH dieses Ergebnis entgegen der h.M.519 bestätigt und sich dafür ausgesprochen, eine Sicherungshypothek nach Freigabe wieder aufleben zu lassen.520 Künftig wird lebhaft darüber gestritten werden, ob sich diese Rechtsprechung über die Sicherungshypothek hinaus auch auf Pfändungspfandrechte anwenden lässt.521
Der Vorpfändung nach § 845 ZPO allein kommt keine Absonderungskraft zu; vielmehr muss noch vor Verfahrenseröffnung unter Berücksichtigung des § 88 InsO die Pfändung bewirkt werden.522 Auch anfechtungsrechtlich kommt es auf die Hauptpfändung an. Wird die Vorpfändung früher als drei Monate vor dem Insolvenzantrag ausgebracht, fällt die Hauptpfändung aber in den von § 131 InsO erfassten Bereich, richtet sich die Anfechtung insgesamt nach § 131 InsO.523
511 512 513 514 515 516 517 518 519 520 521 522 523
LG Bonn v. 2.12.2003 – 4 T 519/03, ZIP 2004, 1374, 1375 m. Anm. Gerhardt, EWiR 2004, 861 f. OLG Hamm v. 21.8.2013 – 15 W 392/12, ZInsO 2014, 150. BGH v. 12.7.2012 – V ZB 219/11, FGPrax 2012, 234 = EWiR 2012, 631 (Eckardt) = ZIP 2012, 1767. OLG Hamm v. 21.8.2013 – 15 W 392/12, ZInsO 2014, 150. BGH v. 12.4.2005 – VII R 7/03, ZInsO 2005, 888, 889 f.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 36. Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 50 Rz. 9. BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 232/04, EWiR 2007, 29 (Henkel) = ZIP 2007, 95 = ZInsO 2006, 261 ff. Zu den hiermit verbundenen Risiken für den Insolvenzverwalter bei sofortiger Löschung der Zwangssicherungshypothek vgl. Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 ff. Zu dem vergleichbaren Wiederaufleben von Sicherheiten nach erfolgter Insolvenzanfechtung vgl. Heidbrink, NZI 2005, 363 ff. Vgl. statt vieler Breuer in MünchKomm/InsO, § 88 Rz. 23; Kayser in HK/InsO, § 88 Rz. 36. BGH v. 19.1.2006 – IX ZB 22/04, ZInsO 2006, 261 ff. Strikt dagegen Thietz-Bartram/Spilger, ZInsO 2005, 858 ff. Ebenso kritisch Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 ff. unter Hinweis auf die praktischen Probleme bei der Umsetzung dieser Entscheidung. Hierzu Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481, 483. Ganter in MünchKomm/InsO, § 50 Rz. 66a; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 35; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 50 Rz. 9. BGH v. 23.3.2006 – IX ZR 116/03, EWiR 2006, 537 (Eckardt) = ZIP 2006, 916 = ZInsO 2006, 553, 554.
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186
§ 10 Rz. 187 | Beratung des gesicherten Gläubigers 187
Soweit der Gläubiger schuldnerfremde Sachen gepfändet hat, kann er das Pfändungspfandrecht entsprechend § 185 Abs. 2 BGB nur durch einen Eigentumserwerb des Schuldners an der gepfändeten Sache erlangen. Dieser muss zur wirksamen Entstehung des Absonderungsrechts aber ebenfalls noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen, da später die §§ 81, 91 InsO den Rechtserwerb zu Lasten der Masse hindern.
188
Das Pfändungspfandrecht erlischt, wenn die Verstrickung endet, sprich mit der Verwertung oder Aufhebung der Pfändung durch ein Vollstreckungsorgan. Soweit die Zwangsvollstreckung gem. § 766 ZPO für unzulässig erklärt wird, ist seine Aufhebung nicht mehr erforderlich.
189
Eine Pfändung und Überweisung an Zahlungs statt nach § 835 ZPO begründet hingegen ein Recht zur Aussonderung, da der Schuldner gem. § 835 Abs. 2 ZPO nicht mehr Inhaber der Forderung ist.
g) Zurückbehaltungsrechte aa) Zurückbehaltungsrechte wegen nützlicher Verwendungen 190
Den Inhabern von Zurückbehaltungsrechten aufgrund nützlicher Verwendungen, die sie in Bezug auf die zurückbehaltene Sache aufgebracht haben, steht ein Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO zu.524 Voraussetzung für die insolvenzrechtliche Anerkennung des Zurückbehaltungsrechts als Absonderungsrecht ist, dass – sich dieses auf eine bewegliche Sache525 bezieht, – der Berechtigte den Besitz an der zurückzubehaltenden Sache vor der Verfahrenseröffnung erlangt hat und – dieser Besitz bis zur Geltendmachung des Rechts noch fortbesteht.526
190a
Soweit das Zurückbehaltungsrecht auf einer der Sache zugeführten Werterhöhung beruht, muss diese sowohl im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch noch im Zeitpunkt der Realisierung des Absonderungsrechts im Verfahren gegeben sein.527
191
Das Zurückbehaltungsrecht wegen nützlicher Verwendungen kommt nur in den gesetzlich normierten Fällen zum Zuge. Dem Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB kommt für sich genommen als persönliches Recht keine Absonderungskraft zu, es wird mit Verfahrenseröffnung hinfällig.528 Es ist ein Zwangsmittel zur Durchsetzung einer persönlichen Forderung und daher nicht mit dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger vereinbar.529 Ebenfalls führt ein vertraglich vereinbartes Zurückbehaltungsrecht nicht zu einem Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO.530
524 Vgl. hierzu Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 51; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 10. 525 Dass Verwendungen auf ein Grundstück nicht zur abgesonderten Befriedigung nach § 51 Nr. 2 InsO berechtigen, hat der V. Zivilsenat des BGH in Übereinstimmung mit dem IX. Senat inzwischen mehrfach klargestellt. Vgl. hierzu BGH v. 23.5.2003 – V ZR 279/02, ZIP 2003, 1406 m. Anm. Beutler, EWiR 2004, 351 f.; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, ZIP 2002, 858. 526 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 65, 70; Lohmann in HK/InsO, § 51 Rz. 47. 527 Lohmann in HK/InsO, § 51 Rz. 46; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 51; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 51 Rz. 29. 528 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, WM 2002, 971 = ZIP 2002, 858, 973; vgl. auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 51. 529 BGH v. 23.5.2003 – V ZR 279/02, ZIP 2003, 1406 = EWiR 2004, 351 (Beutler). 530 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 51.
830 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 198 § 10 Hinweis: Einem Steuerberater steht z.B. kein Zurückbehaltungsrecht an den von ihm erstellten Buchhaltungsunterlagen oder DATEV-Konten im Hinblick auf seine Honoraransprüche zu.531 Ebenfalls steht dem Rechtsanwalt kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Handakten zu, auch diese sind dem Insolvenzverwalter herauszugeben.532 Der Insolvenzverwalter kann die Herausgabe per einstweiliger Verfügung verlangen.
192
Im Einzelnen ist ein Zurückbehaltungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO anzunehmen, wenn das Zurückbehaltungsrecht gerade darauf beruht, dass der Gläubiger Verwendungen zugunsten der Sache vorgenommen hat und diese Verwendungen oder die aus ihnen resultierenden Forderungen den noch vorhandenen Vorteil nicht übersteigen. Die einzelnen Verwendungsansprüche wurden im BGB ausdrücklich normiert. Vornehmlich handelt es sich um die Ansprüche auf Verwendungsersatz entsprechend der §§ 994 ff. i.V.m. 1000 BGB. Des Weiteren kommen auch die Verwendungsansprüche gemäß der Vorschriften §§ 102, 292, 304, 347 Abs. 2, 459, 601 Abs. 2, 670, 675, 683, 693, 850, 972, 1049, 1057, 1216, 2022 BGB in Betracht.533
193
Hinweis: Alle genannten Verwendungsansprüche sind ausschließlich auf bewegliche Sachen bezogen. Für Verwendungen auf Immobilien findet die Regelung des § 51 Nr. 2 InsO keine Anwendung; die Vorschrift des § 49 InsO trifft insoweit eine abschließende Regelung.534
194
Die Höhe des Anspruchs auf abgesonderte Befriedigung ist begrenzt auf den Vorteil, sprich die Werterhöhung, die zum Zeitpunkt der Verwertung – nicht zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens – besteht.535 Da sich die Sache im Besitz des Zurückbehaltenden befindet, steht diesem gem. §§ 166 Abs. 1, 173 InsO ausnahmsweise ein Selbstverwertungsrecht zu.536
195
bb) Kaufmännische Zurückbehaltungsrechte Die in § 51 Nr. 3 InsO genannten kaufmännischen Zurückbehaltungsrechte an beweglichen Sachen berechtigen ebenfalls zur abgesonderten Befriedigung. Es handelt sich im Einzelnen um die Regelungen der §§ 369–372 HGB.537 Diese sehen ein Zurückbehaltungsrecht für alle fälligen Forderungen zwischen Kaufleuten aus zwischen ihnen geschlossenen beiderseitigen Handelsgeschäften im Hinblick auf bewegliche Sachen und Wertpapiere vor.538
196
Hinweis: Der frühere § 370 HGB, der das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht auch auf noch nicht fällige Forderungen erstreckte, wurde vom Gesetzgeber ersatzlos gestrichen.
197
Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht des § 369 HGB ist nur ein persönliches Recht, dennoch gewährt es dem Gläubiger ein Recht zur Befriedigung nach den für das Vertragspfandrecht geltenden Bestimmungen (§§ 371 Abs. 2 HGB, 1228 ff. BGB).539 Steht einem Gläubiger im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ein kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht nach den Vorschriften der §§ 369 ff. HGB an beweglichen Sachen oder Wertpapieren wegen fälliger Forderungen aus einem beiderseitigen Han-
198
531 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 52; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 73 m.w.N. 532 Hess, InsO, 1995, § 51 Rz. 33 m.w.N.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 72 m.w.N. 533 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 51. 534 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 51. 535 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 53; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 69. 536 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 74. 537 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, EWiR 2011, 603 (Hackenberg) = ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463 = 1464 zur Absonderungskraft des Zurückbehaltungsrechts nach § 371 Abs. 1 Satz 1 HGB und zum Verwertungsrecht des Kaufmanns. 538 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 55; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 11. 539 Hess in Hess/Pape, InsO, 1995, Rz. 575.
Drees/Schmidt | 831
§ 10 Rz. 198 | Beratung des gesicherten Gläubigers delsgeschäft zu, so kann dieser nach § 51 Nr. 3 InsO entsprechend den Inhabern zivilrechtlicher Zurückbehaltungsrechte aufgrund der Sicherungsfunktion ein Recht zur Absonderung entsprechend einem Pfandgläubiger geltend machen. Die Vorschrift § 51 Nr. 3 InsO stellt die kaufmännischen Zurückbehaltungsrechte insoweit den Pfandrechten gleich. Sie berechtigen ebenfalls nach §§ 166, 173 InsO zur Selbstverwertung.540
h) Gemeinschaftsforderungen 199
Besteht zwischen dem Schuldner und Dritten eine Gemeinschaft nach Bruchteilen, eine andere Gemeinschaft (z.B. Erbengemeinschaft) oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, so erfolgt die Teilung oder Auseinandersetzung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens. Damit ist jeder der Beteiligten zur Aussonderung seines eigenen Anteils berechtigt.
199a
Wegen der Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis, sprich aus dem Gemeinschafts- oder Gesellschaftsverhältnis gegenüber dem Insolvenzschuldner, kann jeder Mitberechtigte aus dem bei der Teilung ermittelten Anteil des Schuldners Berichtigung verlangen, wobei die Berichtigung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 InsO im Wege der abgesonderten Befriedigung aus dem ermittelten Anteil beansprucht werden kann.541
i) Zölle und Steuern 200
Soweit dem Bund, Ländern, Gemeinden oder Gemeindeverbänden zoll- und steuerpflichtige Sachen nach weiteren gesetzlichen Vorschriften als Sicherheit für die jeweiligen öffentlichen Abgaben dienen, räumt § 51 Nr. 4 InsO dem jeweiligen Fiskus ein Absonderungsrecht an den steuer- und zollpflichtigen Gegenständen hinsichtlich dieser öffentlichen Abgaben ein.542 Die Steuergegenstände unterliegen dabei von Gesetzes wegen einer Sachhaftung zur Sicherung der Steuerschuld, welche ein öffentlichrechtliches Pfandrecht an den steuerpflichtigen bzw. zollpflichtigen Waren und damit ein Absonderungsrecht an diesen begründet. Entsprechend der §§ 76 Abs. 2, 327 AO 1977 haften verbrauchssteuerpflichtige Erzeugnisse bereits ab Herstellung, zollpflichtige Waren ab Überschreitung der Zollgrenze für die auf ihnen lastende Steuer- oder Zollschuld.543 Damit kommt den Steuer- und Zollgläubigern ein Recht zur Absonderung zu, wenn zur Sicherung der auf der Sache lastenden Steuer- oder Zollschuld ein öffentlich-rechtliches Pfandrecht an dieser Sache begründet wurde. Dieses Absonderungsrecht geht dabei allen anderen vor.544
201
Zu den Steuer- und Zollgläubigern gehören die Bundesrepublik, die Länder sowie die Kommunen wegen der auf Massegegenständen ruhenden Zölle und Verbrauchsteuern, deren Absonderungsberechtigung bereits vorinsolvenzlich aufgrund der materiellen Rechtslage entsteht. Umstritten war lange Zeit, ob die Beschlagnahme der Gegenstände zur Verwertung derselben bereits vor Verfahrenseröffnung erfolgen muss, oder ob eine Beschlagnahme auch noch nach Verfahrenseröffnung erfolgen kann. Mittlerweile besteht Einigkeit darüber, dass eine Beschlagnahme vor Verfahrenseröffnung nicht erforderlich ist.545
540 Zu diesem Verwertungsrecht des Kaufmanns vgl. BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, EWiR 2011, 603 (Hackenberg) = ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463 f. 541 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 57. 542 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 57; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 244; Bähr/Smid, InVo 2000, 401 f. 543 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 57. 544 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 58. 545 Thole in K. Schmidt, InsO, § 51 Rz. 32; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 58; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 255.
832 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 204 § 10
Überblick – Absonderungsrechte
202
– Immobiliarsicherheiten – Mobiliarpfandrechte – Rechtsgeschäftliche Pfandrechte – Gesetzliche Pfandrechte – Besitzlose Mobiliarsicherheiten – Sicherungsübereignung – Sicherungszession – Globalzession – Kautionsversicherungsverträge – Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen – Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt – Bezugsrechte an Ansprüchen aus Lebensversicherungen – Pfändungspfandrechte – Zurückbehaltungsrechte – Gemeinschaftsforderungen – Zölle und Steuern
3. Realisierung der Absonderungsrechte a) Vor und während der Krise aa) Rechtslage Vor und während der Krise greifen noch keine insolvenzspezifischen Regelungen ein. Bevor ein Insolvenzverfahren eröffnet oder im Antragsverfahren ein vorläufiger Verwalter eingesetzt wird, ist der gesicherte Gläubiger dazu berechtigt, bei Eintritt des Sicherungsfalls die Sicherheit selbst zu verwerten. Dem Sicherungsnehmer stehen die allgemeinen Regularien zur Verfügung, aufgrund derer er seine Sicherungsrechte geltend machen kann. Je nach Ausgestaltung und Inhalt der jeweiligen Sicherungsabrede bzw. der gesetzlichen Vorgaben, unter denen ein gesetzliches Sicherungsrecht steht, kann der erst im Insolvenzverfahren auf die Absonderung Verwiesene versuchen, seine Sicherheiten bereits vor oder während der Krise zu realisieren. Dies hat für ihn den entscheidenden Vorteil, dass ihm bis zum Eröffnungsverfahren noch ein eigenes Verwertungsrecht zukommt. Befindet sich das Sicherungsgut im Besitz des Sicherungsgebers, so kann der Sicherungsnehmer von diesem die Herausgabe verlangen. Soweit sich der Sicherungsgeber weigert, das Sicherungsgut herauszugeben, ist der Sicherungsnehmer auf den Rechtsweg verwiesen.
203
Hinweis: Gegen den Willen des Sicherungsgebers kann der Gläubiger die Sache nicht an sich nehmen, insbesondere ist es ihm auch verwehrt, unter Berufung auf seine Rechtsstellung polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.546
204
546 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.232.
Drees/Schmidt | 833
§ 10 Rz. 205 | Beratung des gesicherten Gläubigers 205
Im Einzelfall bietet sich auch eine Verwertungsvereinbarung zwischen den Parteien des Sicherungsvertrags dahingehend an, dass die Verwertung des Sicherungsgegenstandes dem Sicherungsgeber überlassen bleibt.547 Durch den Verzicht auf das Recht zur Inbesitznahme geht der Gläubiger nicht seines Absonderungsrechts verlustig. Diese Alternative bietet sich insbesondere bei einer besseren Branchenkenntnis des Sicherungsgebers, aber auch bei der Gefahr an, dass allein der vorübergehende Besitz Haftungskonsequenzen beispielsweise im Bereich des Umweltrechts nach sich ziehen könnte.
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Hinweis: Solange dem Berechtigten noch das Verwertungsrecht zusteht und die Verwertung vor dem Insolvenzverfahren betrieben wird, kommen auch die Kostenregelungen der §§ 170 ff. InsO noch nicht zur Anwendung. Auch dies spricht für eine vorzeitige Verwertung vor oder während der Krise. Die Vielzahl der gerichtlichen Entscheidungen, in denen Insolvenzverwalter die Umgehung der Kostenbeiträge anzugreifen versuchten, zeigt die wirtschaftliche Bedeutung dieses Gedankens. Zu diesen Entscheidungen nachstehend unter Rz. 317 ff.
207
Sollte nach Abschluss der Verwertung ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, braucht der Gläubiger die Anfechtung der Verrechnung der auf dem Kundenkonto eingehenden Erlöse mit dem debitorischen Saldo auch bei einer Verwertung durch den Sicherungsgeber nicht zu fürchten, da nur die Befriedigung von Insolvenzgläubigern der Anfechtung unterliegt, nicht hingegen von Absonderungsberechtigten, soweit die Mittel aus dem dinglichen Surrogat gewährt werden.548 Zudem dürfte es auch an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen.549 Einen möglichen Ausfall kann der gesicherte Gläubiger in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren anmelden. bb) Reaktionsmöglichkeiten
208
Die Sicherungsnehmer sind daher darauf bedacht, den Nachteilen und Einbußen, die sich für sie aus dem Übergang des Verwertungsrechts auf den Verwalter und vor allem aus den damit verbundenen obligatorischen Kostenbeiträgen ergeben (s. nachstehend Rz. 210 und Rz. 317 ff.), durch geeignete Maßnahmen sowie konkret angepasste Vertragsgestaltungen zu begegnen. Dabei bieten sich prinzipiell mehrere Vermeidungsstrategien an: – Zum einen ist daran zu denken, durch rechtzeitige Herausnahme des Sicherungsguts dessen spätere Verwicklung in das Insolvenzverfahren gänzlich zu vermeiden. – Zum anderen könnten die jeweiligen Vertragskonditionen den neuen Gegebenheiten angepasst werden, um auf diese Weise den durch die Massebeteiligung zu erwartenden Verlust zu kompensieren.550
209
Die Sicherungsnehmer können sich im Fall einer absehbaren Krise bemühen, wieder die Herrschaft über den Sicherungsgegenstand und damit auch über das Verwertungsverfahren zurückzuerlangen. Der für sie entscheidende Anknüpfungspunkt ist insoweit die Besitzlage an dem Sicherungsgegenstand zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, da das Verwertungsrecht im konkreten Einzelfall neben der Art der Sicherheit entscheidend von der Besitzlage zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abhängt (vgl. ausführlich Rz. 239, 263 ff., 270 ff.).
547 Vgl. hierzu näher Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.233 ff. 548 BGH v. 11.5.2000 – IX ZR 262/98, EWiR 2001, 177 (Johlke/Schröder) = ZInsO 2000, 410; BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, EWiR 2004, 1043 (Flitsch) = ZInsO 2004, 856; BGH v. 2.4.1998 – IX ZR 232/96, ZIP 1998, 830. 549 Rogge/Leptien in Hamburger Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 55; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.236 f. 550 Entsprechende Versuche sind dem Risiko einer Insolvenzanfechtung ausgesetzt und zwar selbst bei Zustimmung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Vgl. hierzu BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, EWiR 2006, 349 (Homann) = ZIP 2006, 431 = ZInsO 2006, 208 ff.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 213 § 10
Nach § 166 Abs. 1 InsO steht dem Insolvenzverwalter nur dann das Verwertungsrecht an den mit Absonderungsrechten belasteten beweglichen Sachen zu, wenn er diese auch in seinem Besitz hat. Hat der Gläubiger hingegen bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens, z.B. aufgrund von Liquiditätsproblemen des Sicherungsgebers, von seinem Sicherungsrecht Gebrauch gemacht und das Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen, so kann er die Verwertung auch fortsetzen. Eine Rückgabepflicht an den Verwalter besteht nicht.551 Da die InsO für die Fälle, in denen dem gesicherten Gläubiger von Anfang an das Verwertungsrecht zusteht, keine Kostenpflicht des verwertenden Gläubigers vorsieht, entfällt diese bei frühzeitiger Herausnahme des Sicherungsgegenstandes aus dem Schuldnervermögen ebenfalls. Zu den Möglichkeiten einer Insolvenzanfechtung durch den späteren Insolvenzverwalter nachstehend unter Rz. 230d.
210
Hinweis: Gelingt es dem Sicherungsnehmer, den Sicherungsgegenstand vor der Verfahrenseröffnung aus dem schuldnerischen Vermögen zu lösen, so verhindert er dadurch eine spätere Verwicklung des Sicherungsguts in das Insolvenzverfahren und wird durch die rechtzeitige Herausnahme desselben nicht nur von den Kostenbeiträgen für Feststellung und Verwertung freigestellt, sondern vermeidet unter Vereinnahmung des Bruttoerlöses auch die Belastung mit der Umsatzsteuer.552 Mithin stellt sich der Sicherungsnehmer (vordergründig) finanziell am besten, der das Sicherungsgut bereits vor Eröffnung des Verfahrens an sich gezogen hat.553 Anders wäre dann zu urteilen, wenn das Sicherungsgut im Rahmen der wirtschaftlichen Einheit im Rahmen einer (Gesamt-)Verwertung Erlöse verspricht, die höher sind und die Belastung des Sicherungsnehmers mit den Kostenbeiträgen kompensieren.
211
Diese Konstellation bietet den absonderungsbefugten Gläubigern geradezu den Anreiz, selbige zur Vermeidung und Umgehung der nachteiligen und einschränkenden Wirkungen der §§ 166 ff. InsO auszunutzen und vor Eröffnung des Verfahrens – und sei es noch im Antragsstadium – Zugriff auf den Sicherungsgegenstand zu nehmen. Das bedeutet andererseits aber auch, dass es schärfer als unter Geltung des Konkursrechts zu einem Wettlauf mit der Zeit kommt, da die gesicherten Gläubiger eher geneigt sind, das ihnen zur Sicherung übertragene Gut möglichst noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots im Antragsverfahren herauszuverlangen oder selbst herauszuholen.
212
Nach § 166 Abs. 2 InsO umfasst das Verwertungsrecht des Verwalters auch zur Sicherheit abgetretene Forderungen. Realisiert wird die Verwertung durch Einziehung des Betrages zur Insolvenzmasse oder durch Verkauf. Als Resultat kann der Drittschuldner nach Verfahrenseröffnung nicht mehr mit schuldbefreiender Wirkung an den Sicherungszessionar leisten, wenn er den Charakter der Sicherungszession und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines ursprünglichen Gläubigers kennt.554 Im Insolvenzeröffnungsverfahren wird das Verwertungsrecht des Verwalters durch § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO verwirklicht, womit das Verbot der Einziehung sicherungsabgetretener Forderungen durch entsprechende Anordnungen des Insolvenzgericht bereits auf den Zeitpunkt der Antragstellung vorverlagert werden kann.555 Vor Insolvenzeröffnung geleistete Zahlungen an den Absonderungsberechtigten werden nicht durch § 166 Abs. 2 InsO erfasst.556 Die gesicherten Gläubiger werden deshalb versuchen, ihre Forderungen noch vor Verfahrenseröffnung (bzw. Anordnung des Verbots aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5) selbst einzuziehen, zumal sie sich dadurch die Kosten-
213
551 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 9; ursprünglich sahen die Entwürfe der InsO auf Anordnung des Insolvenzgerichts auch für diese Fälle eine Rückgabepflicht des Sicherungsgläubigers an den Insolvenzverwalter vor, wobei nach erfolgter Übergabe der Insolvenzverwalter zur Verwertung berechtigt sein sollte (vgl. § 188 DiskE − § 188 RefE − § 199 RegE). 552 Vgl. hierzu LG Stuttgart v. 24.2.2004 – 7 O 502/03, ZIP 2004, 1117 f. = EWiR 2004, 983 (Maus). 553 Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 530; zur Frage der Anfechtbarkeit der Besitzentziehung vor Insolvenzeröffnung vgl. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 20 ff. 554 BGH, NZI 2009, 425, 426. 555 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 26. 556 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 20.
Drees/Schmidt | 835
§ 10 Rz. 213 | Beratung des gesicherten Gläubigers beiträge i.S.d. §§ 170, 171 InsO ersparen. Da die begonnene Verwertung einer zur Sicherung abgetretenen Forderung von dem gesicherten Gläubiger allerdings anders als bei sicherungsübereigneten Sachen nach Verfahrenseröffnung nicht fortgesetzt werden darf, sondern das Recht zur weiteren Verwertung stets dem Verwalter zusteht, kann es in der Praxis zu einem mehrfachen Wechsel des Einziehenden kommen, was bei den Drittschuldnern zu erheblichen Verunsicherungen und damit zu einer herabgesetzten Zahlungsbereitschaft führen wird.557 214
In diesem Zusammenhang bestätigte sich die nach Einführung der InsO angestellte Überlegung, dass institutionelle Kreditgläubiger bestrebt sein werden, bestehende Kontrollsysteme zu verbessern, um dadurch der Insolvenzabwicklung effektiv zu entgehen oder zumindest die Negativeffekte durch Vorsorgemaßnahmen abzumildern.558 Kreditgläubiger sind heute insbesondere über sog. financial covenants in der Lage, finanzielle Schieflagen ihrer Kreditkunden frühzeitig aufzuspüren, um diese gegebenenfalls durch Gegenmaßnahmen zu korrigieren oder aber durch rechtzeitige Herausnahme des Sicherungsguts dessen spätere Verwicklung in das Insolvenzverfahren zu vermeiden. Dies geschieht aber keinesfalls allein, um noch vor Eintritt der Insolvenz Herausgabeansprüche durchzusetzen, sondern versteht sich auch als Versuch, einen sanierungswürdigen und sanierungsfähigen Unternehmenskern durch Einflussnahme auf die operativen Entscheidungen zu retten und Liquiditätsprobleme rechtzeitig zu erkennen.
215
Tatsächlich realisiert sich die Befürchtung, die auf § 170 InsO fußenden Kostenfaktoren zum Nachteil der ungesicherten Gläubiger in die Sicherheitenberechnung einzupreisen. Gesicherte Gläubiger können die anfallenden Beiträge demnach durch Übersicherung schon vorab weitestgehend neutralisieren.559
b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren 216
Nach der Stellung eines Insolvenzantrags hängt die Position des gesicherten Gläubigers entscheidend davon ab, ob und welche vorläufigen Maßnahmen das Gericht für den Zeitraum bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens angeordnet hat (§ 21 InsO). Denkbar sind insbesondere – vorläufige Insolvenzverwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. nachstehend Rz. 217 ff.), d.h. Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (ausführlich hierzu § 16 Rz. 36 ff.) oder – vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. nachstehend Rz. 230 ff.), d.h. Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters (ausführlich zu dessen Rechtsstellung § 16 Rz. 11 ff.)
216a
Nach Inkrafttreten des ESUG können die nach Antragstellung denkbaren Entscheidungen nicht auf die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, die Erteilung eines Gutachtenauftrages oder aber die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen reduziert werden. Durch die Stärkung der Eigenverwaltung und die Einführung des Schutzschirmverfahrens ist nunmehr auch eine vorläufige Sachwaltung denkbar. Eine solche wird in den entsprechenden Verfahrensarten der §§ 270a und 270b InsO anstelle der vorläufigen Insolvenzverwaltung angeordnet, sofern die Voraussetzung hierfür vorliegen. Die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters richtet sich nach den Befugnissen des bereits vor Einführung des ESUG bekannten Sachwalters (§§ 274, 275 InsO). Da es sich bei der vorläufigen Sachwaltung indes nur um eine Spielart des Insolvenzeröffnungsverfahrens handelt, gibt es keine grundsätzlichen Auswirkungen auf die Rechtsposition gesicherter Gläubiger. Insbesondere im Fall des Schutzschirm557 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.324; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 166 Rz. 8. 558 Eckardt, ZIP 1999, 1734, 1735; vgl. auch allgemein Cluse/Kalhoff/Peukert, Die Bank 2001, 112 ff. 559 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 170 Rz. 2; Breutigam in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 170 Rz. 2; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 170 Rz. 2; Bales, BKR 2003, 572, 578.
836 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 219 § 10
verfahrens sind Unterschiede denkbar, wenn der Beschluss nach § 270b Abs. 1 InsO keine Sicherungsmaßnahmen vorsieht. Zu den Einzelheiten vgl. § 3 dieses Buches. Im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren kann das Restrukturierungsgericht Maßnahmen treffen, die den Wirkungen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 5 InsO weitgehend entsprechen (sog. Stabilisierungsanordnungen, vgl. §§ 49 ff. StaRUG). Zu den Einzelheiten vgl. § 2.
216b
aa) Vorläufige Verwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Soweit seitens des Gerichts keine Sicherungsmaßnahmen angeordnet wurden (bloßer Sachverständigenauftrag, vgl. § 22 Rz. 7), können Gläubiger ihre Sicherheiten nach Maßgabe der Sicherungsverträge verwerten. Der Gläubiger kann daher noch jederzeit, auch während des Eröffnungsverfahrens, die Herausgabe des Sicherungsgegenstandes verlangen und durchsetzen.
217
Entsprechendes gilt grundsätzlich, wenn das Gericht zwar einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, hingegen aber keine Verfügungsbeschränkungen anordnet bzw. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen untersagt (hierzu nachstehend Rz. 219). Dem vorläufigen Verwalter kommt in erster Linie die Aufgabe zu,
218
– die künftige Insolvenzmasse zu sichern, – das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zu überprüfen und – festzustellen, ob für eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausreichend Masse vorhanden ist.560 Er kann den Schuldner – vorbehaltlich einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO – aber nicht daran hindern, Sicherungsgut, das für die Betriebsfortführung entbehrlich ist, an den Sicherungsnehmer zum Zwecke der Verwertung herauszugeben. Dem vorläufigen Verwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis steht insbesondere kein eigenes Verwertungsrecht zu.561 Die Bestellung eines solchen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ist der praktische Regelfall (ausführlich hierzu und zu der Möglichkeit einer Einzelermächtigung562 § 16 Rz. 75 ff.).
218a
Vergleichbar ist die Rechtslage bei der Anordnung der vorläufigen Sachwaltung aufgrund beantragter Eigenverwaltung (§ 270a InsO) bzw. eines Antrags auf Durchführung eines Schutzschirmverfahrens (§ 270d InsO n.F.). Die Eingriffsintensität bezüglich der Sicherungsrechte von Gläubigern wird sich mangels Verfügungsbeschränkungen an den Überwachungsrechten der §§ 274 f. InsO und etwaigen individuell beantragten und angeordneten Sicherungsmaßnahmen ausrichten.
218b
Außerhalb der Eigenverwaltungsverfahren wird das Gericht die Bestellung eines solchen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters regelmäßig mit der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts sowie der Untersagung oder einstweiligen Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen verbinden (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 und 3 InsO). Hinzugetreten ist durch das Änderungsgesetz zur InsO vom 1.7.2007 in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO die Möglichkeit der Anordnung eines Verwertungsstopps hinsichtlich solcher Gegenstände, die im Fall der Eröffnung von § 166 InsO erfasst wären (Absonderungsanwartschaften) oder deren Aussonderung verlangt werden könnte. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die tatbestandlichen Voraussetzungen und die Rechtsfolgen sind für Ausund Absonderungsrechte identisch. Die Ausführungen unter den Rz. 31 ff. zu den Aussonderungsrechten gelten insoweit auch für die Abwehr von Absonderungsrechten im Eröffnungsverfahren. Über diese Verwertungssperre hinaus sind die Auswirkungen des Zustimmungsvorbehalts sowie des Voll-
219
560 BT-Drucks. 12/2443, 117. 561 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, EWiR 2007, 499 (Voß) = ZIP 2007, 827, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340; Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 30. 562 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 ff. = EWiR 2002, 919 (Spliedt).
Drees/Schmidt | 837
§ 10 Rz. 219 | Beratung des gesicherten Gläubigers streckungsverbots auf die Durchsetzung von Immobiliarsicherheiten (Rz. 230) und Mobiliarsicherungsrechten auf (Rz. 223) von praktischer Bedeutung. (1) Immobiliarsicherheiten 220
Die Verwertung von Grundpfandrechten, für die das Gesetz die Möglichkeiten der Zwangsversteigerung und der Zwangsverwaltung vorsieht, wird durch die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen seitens des Gerichts im Antragsverfahren nicht automatisch unterbrochen. Von dem Ausnahmefall des lediglich für persönliche Gläubiger bedeutsamen § 88 InsO abgesehen (s. hierzu oben Rz. 183 ff.), spielt es für die Wirksamkeit einer Beschlagnahme keine Rolle, ob bereits ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde oder nicht. Soweit § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Untersagung oder einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen während des Eröffnungsverfahrens durch das Insolvenzgericht vorsieht, betrifft dies nur Mobilien. Unbewegliche Gegenstände sind von solchen Sicherungsmaßnahmen ausdrücklich ausgenommen.
220a
Entscheidend ist, dass das Grundpfandrecht zivilrechtlich wirksam bestellt worden ist. Hat sich der Schuldner beispielsweise in notarieller Urkunde mit einem Gläubiger dinglich über die Bestellung einer Grundschuld an einem noch nicht eingetragenen Erbbaurecht, dessen Bestellung der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Grundstückseigentümers bedarf, geeinigt und den Eintragungsantrag gestellt, so ist dies ausreichend.563 Die Anordnung des Zustimmungsvorbehalts hindert nicht mehr den Eintritt des Verfügungserfolges.564 Die Vorschrift des § 91 InsO gilt erst ab Verfahrenseröffnung. Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist sie auch nicht entsprechend anwendbar. Auch §§ 81 Abs. 1 Satz 1, 24 InsO stehen dem Verfügungserfolg nicht entgegen, sofern zum Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung die dingliche Einigung erfolgt und der Eintragungsantrag gestellt ist und lediglich die erforderliche Eintragung noch aussteht. Nach der Eröffnung sichern die §§ 91 Abs. 2 InsO, 878 BGB diesen Schutz.
221
Allerdings steht dem Insolvenzverwalter das Recht zu, unter den Voraussetzungen der Neuregelung des § 30d Abs. 4 ZVG die einstweilige Einstellung einer angeordneten oder bereits laufenden Zwangsversteigerung – nicht hingegen der Zwangsverwaltung – bereits im Eröffnungsverfahren zu beantragen, soweit er die niedergelegten Einstellungsgründe glaubhaft macht.565 Dem Antrag ist stattzugeben, wenn der Insolvenzverwalter glaubhaft macht, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Änderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist (§ 30d Abs. 4 ZVG). Die Einstellung wird sodann mit der Auflage angeordnet, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin, spätestens jedoch nach Ablauf von drei Monaten seit der ersten Einstellung, laufend die geschuldeten Zinsen aus der Masse zu zahlen sind (§ 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG).566
222
Wird die Zwangsversteigerung eines Grundstücks vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen – unabhängig von dem Zeitpunkt der Erlösverteilung – entfällt der Kostenbeitrag des gesicherten Gläubigers nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG für das mithaftende Grundstückszubehör, da diese gesetzliche Vorschrift einen Abzug ausdrücklich nur für das eröffnete Verfahren und nicht für das Antragsverfahren vorsieht.567 Zu welchem Zeitpunkt letztlich die Erlösverteilung erfolgt, ist unerheblich, da der Wortlaut des Gesetzes auf den Zeitpunkt der Versteigerung als solche abstellt und nicht auf den Abschluss des Zwangsversteigerungsverfahrens insgesamt.
563 Ganter, NZI 2013, 209, 212. 564 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, EWiR 2012, 629 (Mitlehner) = NotBZ 2012, 292 m. Anm. Suppliet = ZIP 2012, 1256 = NZI 2012, 614. 565 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 8; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521. 566 Zur Höhe der geschuldeten Zinsen vgl. Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 f. m.w.N. 567 Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 40.
838 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 225 § 10
Während § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO auf unbewegliche Gegenstände nicht anwendbar ist, erscheint indes die Anordnung nach dieser Bestimmung denkbar, Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen in ein im Ausland belegenes Seeschiff zu unterlassen.568
222a
(2) Mobiliarsicherheiten Die Gläubiger aus Mobiliarsicherheiten sind hingegen unmittelbar von dem angeordneten Zwangsvollstreckungsverbot erfasst. Die einstweilige Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO) zielt gerade auf die Herausgabevollstreckung aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger.
223
Auch wenn der Schuldner verwaltungs- und verfügungsbefugt bleibt, ist dieser nicht mehr zur selbständigen Herausgabe sicherungsübereigneter Gegenstände oder sonstigen, noch in seinem Besitz befindlichen Absonderungsguts an den Sicherungsnehmer befugt. Der vorläufige Verwalter wird seine Zustimmung zur Herausgabe in der Regel verweigern, wenn die Gegenstände noch für die Fortführung des Betriebs benötigt werden, er die derzeitige Rechtslage noch nicht überprüft hat, oder der betreffende Gegenstand in sonstiger Weise im Sinne einer effektiven Verfahrensgestaltung für das weitere Verfahren von Bedeutung sein könnte.569 Mit Rücksicht auf die Betriebsfortführungspflicht (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) des vorläufigen Insolvenzverwalters und das im eröffneten Insolvenzverfahren bestehende Verwertungsrecht wird man sogar sagen müssen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter der Herausgabe solcher Gegenstände gar nicht zustimmen darf.570 Auf diese Weise werden die Betriebsmittel, die für die Fortführung des Unternehmens von Bedeutung sind, entsprechend der Gesetzesintention in dem technisch-organisatorischen Verbund des insolventen Schuldnerunternehmens belassen, was die Möglichkeit einer Sanierung oder späteren Gesamtveräußerung erhöht. Hierfür ist es unerlässlich, dass auch die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände des beweglichen Anlageund Umlaufvermögens, vornehmlich wenn sie zur Betriebsfortführung benötigt werden, im Betrieb des Schuldners verbleiben.
224
Zur rechtlichen Absicherung dient vorläufigen Insolvenzverwaltern die Anordnung eines Verwertungsstopps gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, wodurch die rechtlichen Wirkungen der §§ 166 ff. InsO auf das Insolvenzeröffnungsverfahren vorverlagert werden. Dazu kommt die Möglichkeit, dem Schuldner bzw. vorläufigen Verwalter die Nutzungsbefugnis für künftiges Aus- und Absonderungsgut einzuräumen. Voraussetzung ist jeweils, dass die betreffenden Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens eingesetzt werden und hierfür von erheblicher Bedeutung sind. Der durch die Nutzung eingetretene Wertverlust muss gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Halbs. 2 InsO ausgeglichen werden, zudem gelten die Regelungen des § 169 Satz 2 und 3 InsO entsprechend (zu diesen vgl. Rz. 297).571
224a
Trotz der Möglichkeit der Anordnung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO bleibt der Umstand der Unternehmensfortführung nicht nur wegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm („zur Fortführung des Unternehmens“, vgl. hierzu oben Rz. 31 ff.) entscheidend. So hat der BGH eine entsprechende gerichtliche Anordnung für Forderungen außerhalb des laufenden Geschäftsbetriebs nur unter der Voraussetzung zugelassen, wenn die Verjährung oder Uneinbringlichkeit der Forderung droht.572
225
568 LG Bremen v. 14.8.2011 – 2 T 435/11, ZIP 2012, 1189 = EWiR 2012, 387 (Joos). 569 OLG Celle v. 11.12.2002 – 2 W 91/02, ZIP 2003, 87, 88 f. 570 BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, ZIP 2000, 895 = EWiR 2000, 643 (Eckardt); Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 12; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 50; Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 22 Rz. 50; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 119, 122. 571 Ausführlich Kuder, ZIP 2007, 1690 ff. Vgl. weiter Schloz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 32. 572 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, EWiR 2012, 459 (Schröder) = ZIP 2012, 737 = ZInsO 2012, 693.
Drees/Schmidt | 839
§ 10 Rz. 226 | Beratung des gesicherten Gläubigers 226
Weiter stellt sich die Frage, ob über die beschriebene Möglichkeit, Gegenstände, die mit Aus- oder Absonderungsrechten belastet sind, im Rahmen der Betriebsfortführung nutzen zu dürfen, dem vorläufigen Insolvenzverwalter in bestimmten Grenzen Verwertungshandlungen gestattet sind.573 Im Grundsatz steht dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt kein Verwertungsrecht zu.574 Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO geregelte Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters steht daher in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Sicherungs- und Erhaltungspflicht nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO (hierzu § 22 Rz. 28 ff.).
226a
Aus der Pflicht zur Unternehmensfortführung folgt, dass nicht jede Verwertungsmaßnahme unzulässig ist. Ausgenommen sind Verwertungsmaßnahmen im Rahmen der Verwaltungstätigkeit. Hierzu gehören insbesondere die Verarbeitung von Rohstoffen, der Verkauf von Waren oder die Einziehung von Forderungen im laufenden Umsatzgeschäft.575 Diese Verwertungsmaßnahmen stellen sich als Bestandteil der insgesamt massesichernden Betriebsfortführung dar und verwirklichen die von dem Schuldner vorgegebene Zweckrichtung des Unternehmens. Diesem praktischen Bedürfnis allein mit Verwertungsvereinbarungen zu begegnen, greift zu kurz. Für sicherungszedierte Forderungen kann sich der vorläufige Insolvenzverwalter gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 InsO gerichtlicher Hilfe bedienen. Für bewegliche Gegenstände des Anlagevermögens wird dies mit Rücksicht auf die Gesetzesfassung nicht möglich sein. Aber auch in diesem Bereich sind – über Verwertungsvereinbarungen hinaus – ausnahmsweise Verwertungsmaßnahmen denkbar, wenn etwa das schuldnerische Unternehmen stillgelegt wird und die Masse bei verzögerter Verwertung mit weiteren Kosten belastet würde, wie dies auch bei einem unterbleibenden Notverkauf verderblicher Ware der Fall sein kann.576
226b
Die Rechtsprechung des BGH geht sogar so weit, dass ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter gegenüber dem Absonderungsberechtigten verpflichtet sein kann, der freihändigen Veräußerung durch den Schuldner zuzustimmen. Voraussetzung hierfür ist, dass bei einer freihändigen Veräußerung ein höherer Erlös als bei einer Versteigerung zu erwarten ist. Fehlt es an der Mitwirkung des Schuldners, weitet der BGH das Pflichtenprogramm des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters dahingehend aus, den Verkauf mit Hilfe einer bei dem Insolvenzgericht zu erwirkenden Einzelanordnung durchzusetzen. Voraussetzung ist auch hier, dass es sich bei dem freihändigen Verkauf um eine besonders günstige, sich nach Verfahrenseröffnung voraussichtlich nicht mehr bietende Veräußerungsgelegenheit handelt.577
227
Dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Verwertungsbefugnis zu versagen, heißt jedoch nicht, dass der Sicherungsgläubiger im Eröffnungsverfahren uneingeschränkt verwerten darf. Während unter Geltung der KO die Sicherungsgläubiger häufig bereits aufgrund der Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu berechtigt waren, Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung aus der Masse zu nehmen (vgl. auch § 127 KO), sieht § 166 Abs. 1 InsO vor, dass die Verwertungsbefugnis bezüglich der Mobilien, an denen ein Absonderungsrecht besteht, im eröffneten Verfahren bei dem Insolvenzverwalter liegt, wenn er diese in seinem Besitz hat. Ebenfalls obliegt ihm nach § 166 Abs. 2 InsO die Einziehung oder sonstige Verwertung von Forderungen, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat.578 Dem Sicherungsgläubiger kann im Eröffnungsverfahren daher nicht das Recht zukommen, Mobiliarsicherheiten ohne die Zustimmung des vorläufigen Verwalters zu verwerten.579 573 Ausführlich hierzu Szalai, ZInsO 2009, 1177, 1184. 574 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 22 Rz. 41; BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, EWiR 2007, 499 (Voß) = ZIP 2007, 827 = NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340. 575 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 31; § 22 Rz. 42. 576 BT-Drucks. 12/2443, 117. 577 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = EWiR 2011, 603 (Hackenberg). 578 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340, Ganter, ZInsO 2007, 841, 842 f. und Voß, EWiR 2007, 499 = ZIP 2007, 827. 579 Offen gelassen vom BGH in seinen Entscheidungen v. 8.3.2007 – IX ZR 127/05, ZIP 2007, 924 ff. = EWiR 2007, 529 (Henkel) und v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 f. = EWiR 2010, 395 (Knof).
840 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 228e § 10
Für die Einziehung sicherungszedierter Forderungen ergibt sich eine Verwertungsbefugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters auch nicht aus dem regelmäßig angeordneten Verbot an die Drittschuldner, an die Schuldnerin zu leisten, oder aus der Ermächtigung, Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO). Diese Anordnung regelt allein die Empfangszuständigkeit zwischen Schuldner und vorläufigem Insolvenzverwalter gegenüber Drittschuldnern, nicht hingegen eine etwaige Rechtsbeziehung des Schuldners zu Sicherungsnehmern.580 Eine Ermächtigung hätte vom Insolvenzgericht ausdrücklich angeordnet werden müssen, was auch schon vor Einführung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO möglich war (§ 21 Abs. 2 InsO) und den vorläufigen Insolvenzverwalter konsequenterweise analog § 170 Abs. 1 Satz InsO zur Erlösauskehr verpflichtet hätte.581
228
An dieser Stelle bleibt abzuwarten, inwieweit sich vorläufige Insolvenzverwalter künftig gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 InsO ermächtigen lassen werden, um nicht zuletzt auf diesem Wege die Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO zu ermöglichen. Diese gerichtliche Ermächtigung ist insbesondere dann von Interesse, wenn der Abschluss einer für notwendig erachteten Verwertungsvereinbarung582 nicht gelingt.
228a
Abzulehnen ist die Entscheidung des AG Hamburg,583 nach Maßgabe derer eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO nie in Betracht komme im Zusammenhang mit der Einziehung sicherungszedierter Forderungen durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter. Das AG Hamburg begründet dies damit, dass die entsprechenden (Absonderungs-)Erlöse stets vom vorläufigen Verwalter zu separieren seien und vor diesem Hintergrund nie zur Betriebsfortführung genutzt werden könnten. Insoweit fehle es an der erheblichen Bedeutung für die Fortführung.584 Nicht selten gelingt erst durch die Drohung mit einer solchen ergänzenden Anordnung eine Verwertungsvereinbarung, die auch vom AG Hamburg als probates Mittel angesehen wird.
228b
Ausgehend von der grundsätzlichen Möglichkeit einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO stellt sich die Frage nach den Anforderungen an die Bestimmtheit bezüglich der Forderungen, hinsichtlich derer die Einziehungsermächtigung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen werden soll. Nach einer begrüßenswerten Entscheidung des AG Hamburg vom 30.9.2011 bedarf es für die Übertragung der Einziehung sicherungszedierter Forderungen nicht in der Weise der Individualisierung, dass die von der Anordnung betroffenen Forderungen im Einzelnen aufgelistet werden müssen. Es sind keine schützenswerte Belange der betroffenen Gläubiger erkennbar, die eine solche Individualisierung erfordern.
228c
Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten §§ 170, 171 InsO entsprechend. Der Verwertungserlös ist – nach Abzug der Kostenbeiträge – unverzüglich auszukehren (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 3, 170 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der vorläufige Insolvenzverwalter darf ihn ausdrücklich nicht zur Finanzierung des Eröffnungsverfahrens einsetzen.585
228d
Unklar ist, inwieweit die entsprechende Anwendung der Kostenbeiträge auf die Einziehung zedierter Forderungen beschränkt ist.586 Der Wortlaut lässt dies vermuten und dürfte angesichts seiner Klarheit
228e
580 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, EWiR 2007, 499 (Voß) = ZIP 2007, 827 = NZI 2007, 338. 581 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = EWiR 2010, 395 (Knof), 742. 582 Ausführlich zu solchen im Allgemeinen und bei Sicherungszessionen im Besonderen Mitlehner, ZIP 2012, 649, 656. 583 AG Hamburg v. 2.5.2011 – 67g IN 62/11, ZIP 2011, 1279 f. 584 AG Hamburg v. 2.5.2011 – 67g IN 62/11, ZIP 2011, 1279 f. 585 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, EWiR 2012, 459 (Schröder) = ZIP 2012, 737 = ZInsO 2012, 693. 586 Andres/Hees, NZI 2011, 881, 885.
Drees/Schmidt | 841
§ 10 Rz. 228e | Beratung des gesicherten Gläubigers mutmaßlich der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke entgegenstehen.587 Vorläufige Insolvenzverwalter werden daher gut beraten sein, diese Regelung im Wege von Verwertungsvereinbarungen auszuweiten auf die Verwertung anderweitiger Vermögensgegenstände (z.B. Warenveräußerung). 229
Zahlen Drittschuldner gutgläubig an den vorläufigen Insolvenzverwalter, ist die von diesem veranlasste Einziehung der Forderung wirksam (§ 407 Abs. 1 BGB) und der vorläufige Insolvenzverwalter zur Herausgabe verpflichtet entweder aus § 816 Abs. 2 BGB oder nach Verfahrenseröffnung analog § 48 InsO.588 bb) Vorläufige Verwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
230
Während die Anordnung eines Zwangsvollstreckungsverbots als Sicherungsmaßnahme üblich ist, wird das Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot lediglich ausnahmsweise anordnen (starker vorläufiger Insolvenzverwalter). Einen Überblick über die gerichtlichen Sicherungsmaßnahmen gibt § 22 Rz. 15. Für den gesicherten Gläubiger bedeutet dies folgendes:
230a
Geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter über, nimmt dieser das Vermögen des Schuldners in Besitz, und zwar einschließlich aller mit Absonderungsrechten belasteter Gegenstände, da auch diese zum haftenden Schuldnervermögen gehören.589 Mit der Inbesitznahme durch den vorläufigen Verwalter endet die Verfügungsbefugnis des Schuldners, vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO. Dieser ist daher nicht mehr zur selbständigen Herausgabe sicherungsübereigneter Gegenstände oder sonstigen, noch in seinem Besitz befindlichen Absonderungsguts an den Sicherungsnehmer befugt.590 Der vorläufige Verwalter wird seine Zustimmung zur Herausgabe in der Regel verweigern.
230b
Reine Verwertungshandlungen im Hinblick auf Sicherungsgüter, die nicht zu dem fortführungsnotwendigen Schuldnervermögen gehören, sind auch dem vorläufigen starken Insolvenzverwalter in der Regel verwehrt, da die planmäßige Liquidation dem eröffneten Verfahren vorzubehalten ist.591 Er hat keine weitergehenden Rechte als der Schuldner und ist zur Wahrung der Interessen der Sicherungsgläubger verpflichtet. Nur in Ausnahmefällen wird ein isoliertes Recht zur Verwertung an absonderungsbelasteten Gegenständen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsfortführung stehen, bestehen können (s.o. Rz. 223 ff.).
230c
In Ergänzung zu Rz. 230b könnten solche Ausnahmefälle dann anzunehmen sein, wenn die Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahme bereits während der Dauer des Eröffnungsverfahrens zur Vermögenssicherung unvermeidbar erforderlich wird,592 so z.B. die Einziehung von Forderungen, um spätere Ausfälle zu vermeiden.593 Zudem kann sich ein dringender Verwertungsbedarf dann ergeben, wenn es sich bei dem Sicherungsgut um verderbliche Ware handelt oder um entbehrliche Betriebsmit-
587 Wiche-Wendler, ZInsO 2011, 1530, 1532 fordert aus diesem Grund eine erweiternde abstrakt-generelle Regelung. 588 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, EWiR 2007, 499 (Voß) = ZIP 2007, 827 = NZI 2007, 338. 589 Haarmeyer in MünchKomm/InsO/Schildt, § 22 Rz. 37; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 23. 590 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 21; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.412. 591 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 = EWiR 2001, 281 (Keller), 298 m.w.N.; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, EWiR 2003, 425 (Schumacher) = ZInsO 2003, 318, 320; BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274 Rz. 39; Haarmeyer in MünchKomm/InsO/Schildt, § 22 Rz. 48, Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 21. 592 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 26; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 12; OLG Köln v. 29.12.1999 – 11 W 81/99, ZInsO 2000, 296. 593 Haarmeyer in MünchKomm/InsO/Schildt, § 22 Rz. 49; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 22; Blersch in Berliner Praxiskommentar Insolvenzrecht, § 22 Rz. 12.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 230f § 10
tel, die nicht mehr in zumutbarer Weise zu erhalten sind und daher sog. Notverkäufe zu tätigen sind.594 Schließlich sind aber auch solche Verwertungs- oder Abwicklungsmaßnahmen als erforderlich zu betrachten, die kurzfristig zur Überwindung der regelmäßig vorliegenden Liquiditätskrise des Unternehmens beitragen, so dass dadurch die Fortführung des Betriebs oder aber die Voraussetzungen für die Eröffnung des Verfahrens gesichert werden.595 Soweit dies zum Vermögenserhalt notwendig ist, ist mithin auch der vorläufige Insolvenzverwalter bereits im Eröffnungsverfahren zur Vornahme von Verwertungshandlungen berechtigt. Ob in solchen Ausnahmefällen eine Zustimmung der Absonderungsberechtigten eingeholt werden muss,596 erscheint zweifelhaft. Aus Sicht des vorläufigen Insolvenzverwalters empfiehlt sich dieser Schritt aus Haftungsgründen. Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter Verwertungsmaßnahmen vornimmt, sollte er aber – sofern er keine entsprechende Vereinbarung mit den gesicherten Gläubigern trifft – immer die Gefahr im Blick haben, dass die Insolvenzmasse im Rahmen von Verwertungshandlungen im Antragsverfahren der nunmehr obligatorischen Kostenbeiträge der Gläubiger nach den §§ 170, 171 InsO verlustig zu gehen droht, da auf diese Vorschriften im Rahmen des Eröffnungsverfahrens nicht zurückgegriffen werden kann.597 Anders für die Einziehung sicherungszedierter Forderungen gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO. Damit stellt sich die Insolvenzmasse bei Verwertungen von Sicherungsgut im Eröffnungsverfahren wirtschaftlich ungünstiger als bei einer Verwertung im eröffneten Verfahren, da die Kostenbeiträge für die Feststellung und Verwertung des Sicherungsguts entfallen. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist daher gehalten, im Einvernehmen mit den betroffenen Sicherungsnehmern das Sicherungsgut aufgrund von Verwertungsverträgen zu verwerten und dabei eine angemessene Beteiligung des verwalteten Vermögens am Erlös auszuhandeln.598
230d
Verwertungshandlungen bezüglich sonstiger Rechte und Vermögenswerte, die einem Gläubiger zur Sicherung übertragen worden sind, kann der vorläufige Verwalter hingegen im Antragsverfahren nicht unter Berufung auf eine spätere Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters widersprechen, da die Verwertungsbefugnis – wenn auch weiterhin umstritten – nach Verfahrenseröffnung weiterhin dem gesicherten Gläubiger und nicht dem Verwalter zusteht.599 Ebenfalls hindert die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots den Schuldner nur an der Bestellung neuer Pfandrechte, sie hindert den gesicherten Gläubiger hingegen nicht daran, bereits vorher verpfändete Sachen oder Forderungen zu verwerten.600 Denn auch durch eine nachfolgende Verfahrenseröffnung geht dem gesicherten Gläubiger sein Selbstverwertungsrecht nicht verloren.
230e
Bei einem Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel kann sich eine Gefährdung des Gläubigeranspruchs dann ergeben, wenn die sicherungshalber vorgenommene Vorausabtretung der Forderungen wertlos wird. Dies ist insbesondere dann zu befürchten, wenn die Abnehmer der noch nicht bezahlten Ware befreiend an den Insolvenzschuldner zahlen (§ 407 BGB). Der gesicherte Gläubiger sollte daher dafür sorgen, dass die Abnehmer der Eigentumsvorbehaltsware unmittelbar von der Forderungsabtretung unterrichtet werden. Bei Gefahr im Verzuge kann diese Unterrichtung im Wege der
230f
594 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 = EWiR 2001, 281 (Keller), 298; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 45; Kirchhof in HK/InsO, § 22 Rz. 16. 595 Näher hierzu Haarmeyer in MünchKomm/InsO/Schildt, § 22 Rz. 73. 596 So Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 46; vgl. hierzu auch Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe in Graf-Schlicker, ZIP 2002, 1166, 1171 ff. 597 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, EWiR 2003, 425 (Schumacher) = ZIP 2003, 632 = ZInsO 2003, 318, 320 f.; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 29 m.w.N.; vgl. eingehend zur Einflussnahme auf die Kostenbeteiligungspflicht: Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 530 ff. 598 Schmerbach in Frankfurter Kommentar, InsO, § 22 Rz. 41; Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 57. 599 Zum Streitstand vgl. ausführlich Szalai, ZInsO 2009, 1177, 1179 f.; Sinz in K. Schmidt, InsO, § 166 Rz. 33 ff. m.w.N. 600 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.423.
Drees/Schmidt | 843
§ 10 Rz. 230f | Beratung des gesicherten Gläubigers einstweiligen Verfügung erzwungen werden, ohne dass dieser Maßnahme einstweilige Sicherungsmaßnahmen entgegenstünden.
c) Im eröffneten Insolvenzverfahren 231
Die Koordinierung der Beteiligten durch das Insolvenzverfahren findet ihre Rechtfertigung darin, dass sich nur auf diesem Wege marktkonforme Entscheidungsbedingungen für die günstigste Masseverwertung herstellen lassen. Die geordnete Masseverwertung wird behindert, wenn einzelne Sicherungsgläubiger das ihnen haftende Sicherungsgut aus dem technisch-organisatorischen Verbund des Schuldnervermögens herauslösen. Es bedarf daher der Einbeziehung gesicherter Gläubiger in das Insolvenzverfahren.
232
Gesetzlich verankert ist der ausnahmslose Einbezug der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren in § 52 InsO, sofern der Schuldner diesen über die bestehende Sachhaftung hinaus auch persönlich haftet.601
233
Die Verfahrensbeteiligung besteht unabhängig davon, ob das Verwertungsrecht dem Verwalter oder dem Gläubiger selbst zukommt.
234
Diesem gesetzgeberischen Anliegen, namentlich der – Verfahrensvereinheitlichung und der – Verfahrenskonzentration in der Hand des Insolvenzverwalters, wurde durch die §§ 165 ff. InsO Abhilfe geschaffen.
235
Aufgrund der Einbeziehung der Sicherungsgläubiger in das Insolvenzverfahren mussten ihre Mitspracherechte hinsichtlich der Abwicklung des Insolvenzverfahrens gestärkt werden. (Näheres zu Gläubigerversammlung und -ausschuss sowie zur sonstigen Rechtsstellung einfacher Insolvenzgläubiger unter § 9 Rz. 258 ff., 372 ff.).602
236
Infolge der Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren gem. § 52 InsO ist ihre Teilnahme an der Gläubigerversammlung nicht darauf beschränkt, dass sie lediglich mit ihrer Ausfallforderung als Insolvenzgläubiger am Verfahren teilnehmen, sondern ihnen steht ein volles Teilnahmerecht zu, das ihnen nach § 77 Abs. 1 InsO auch ein volles Stimmrecht in Höhe ihrer Forderung einräumt.
237
Auch soweit der Schuldner dem Absonderungsberechtigten nicht persönlich haftet, ist der Absonderungsberechtigte mit einem Stimmrecht zur Teilnahme an den Versammlungen berechtigt. An die Stelle des Wertes der Forderung tritt sodann der Wert des Absonderungsrechts (§ 76 Abs. 2 Halbs. 2 InsO).
238
M 8 Musterschreiben – Geltendmachung eines Absonderungsrechts am beweglichen Vermögen Sehr geehrter Herr Kollege, wir dürfen Ihnen anzeigen, dass wir die rechtlichen Interessen der Fa. … in vorbezeichnetem Insolvenzverfahren vertreten. Unserer Mandantin steht gegenüber der von Ihnen verwalteten Schuldnerin eine fällige Darlehensforderung gemäß beiliegendem Darlehensvertrag zu. Der Darlehensvertrag ist mit eingeschriebe-
601 BT-Drucks. 12/2443, 126; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 1; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 1. 602 BT-Drucks. 12/2443, 80, 86; RefE, 2. Teil, S. 49.
844 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 242 § 10 nen Brief vom … gekündigt worden. Entsprechende Unterlagen überreichen wir zu Ihrer Kenntnisnahme anbei. Weiter dürfen wir Sie darauf hinweisen, dass unserer Mandantin wegen dieser Forderung folgende Sicherheiten der Schuldnerin zustehen: – Sicherungsübereignung des bereits in unserem Besitz befindlichen LKWs mit dem amtlichen Kennzeichen … – Sicherungsübereignung der noch in der Insolvenzmasse befindlichen Gegenstände gemäß Anlage … – Abtretung der Außenstände, d.h. Abtretung der der Schuldnerin zustehenden Forderungen aus Warenlieferungen vom … gegenüber den Drittschuldnern … Hinsichtlich dieser Sicherheiten beanspruchen wir abgesonderte Befriedigung. Hinsichtlich der noch in der Insolvenzmasse befindlichen Gegenstände bitten wir um Auskunft über deren Zustand, hilfsweise die Besichtigung vor Ort. Weiter beanspruchen wir Auskunft hinsichtlich der unserer Mandantin zur Sicherheit abgetretenen Forderungen. Diesbezüglich begehren wir Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere der Schuldnerin. Mit freundlichen Grüßen
aa) Verwertung der Absonderungsrechte Eine dem ehemaligen § 4 Abs. 2 KO entsprechende Regelung, die die abgesonderte Befriedigung grundsätzlich außerhalb des Konkursverfahrens vorsah, fehlt in der InsO. Diese differenziert hinsichtlich der Verwertungsmodalitäten nach Art des Sicherungsgegenstandes bzw. Sicherungsrechts. Im Wesentlichen gibt es drei Gruppen, für die jeweils verschiedene Verwertungsregelungen gelten:
239
– Immobiliarsicherungsrechte (§ 49 InsO, vgl. Rz. 244); – Mobiliarpfandrechte (§ 50 InsO, vgl. Rz. 263 ff.); – besitzlose Mobiliarsicherungsrechte (§ 51, vgl. Rz. 270 ff.). Das Rangverhältnis der einzelnen konkurrierenden Absonderungsrechte zueinander bestimmt sich nach materiellem Recht sowie Prozessrecht. Grundsätzlich gilt unter mehreren Rechten der Prioritätsgrundsatz, wonach in der Regel das ältere Recht dem jüngeren vorgeht (vgl. §§ 879, 1209 BGB, 804 Abs. 3 ZPO, 10 ZVG).
240
Einen Ausnahmefall stellen die Absonderungsrechte des Fiskus gem. § 51 Nr. 4 InsO dar, denen der Vorrang gegenüber sonstigen Absonderungsrechten zukommt, da die Sachhaftung verbrauchssteuerpflichtiger und zollpflichtiger Waren nach § 76 Abs. 1 AO „ohne Rücksicht auf Rechte Dritter“ besteht.
241
Hinweise für den Berater: Die Beratungspraxis muss sich in einem ersten Schritt mit der Verwertungsberechtigung befassen. Dies zwingt zu einer zeitlich frühen Beratung. Denn liegt die Verwertungsberechtigung in einem (möglichen) Insolvenzverfahren beim Insolvenzverwalter, so gewinnen die unter Rz. 216 ff. dargelegten Möglichkeiten einer Sicherheitenverwertung im Vorfeld einer Insolvenz an Bedeutung. – Ist erst einmal das Insolvenzverfahren eröffnet, so erschwert sich die Verwertungssituation für den gesicherten Gläubiger. Insolvenzverwalter sind insbesondere nicht verpflichtet, die Interessen der Absonderungsberechtigten wahrzunehmen. Allerdings muss er die ihm bekannten Absonderungsrechte bei der Verwertung der Masse beachten (zu den hiermit verbundenen Haftungsgefahren für den Insolvenzverwalter s. unten Rz. 371 ff.). – Soweit die Überprüfung eines bestehenden Absonderungsrechts seitens des Insolvenzverwalters zugunsten des beanspruchenden Absonderungsberechtigten ausfällt, erkennt der Insolvenzverwalter das Absonderungsrecht an und verwertet den Sicherungsgegenstand bzw. überlässt dem Berechtigten die Verwertung, soweit dem Gläubiger ausnahmsweise ein Verwertungsrecht zukommt.
242
Drees/Schmidt | 845
§ 10 Rz. 242 | Beratung des gesicherten Gläubigers – Ist das Bestehen eines Absonderungsrechts streitbefangen, so richtet sich die Rechtsverfolgung nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts sowie des Prozessrechts. Für die Anmeldung bzw. Feststellung eines Absonderungsrechts existiert kein besonderes, in der InsO kodifiziertes Verfahren. Der Rechtsstreit ist mithin zwischen dem Absonderungsberechtigten und dem Insolvenzverwalter im ordentlichen Rechtsweg zu führen. In einem solchen Rechtsstreit könnte auch der Insolvenzverwalter die Anfechtbarkeit einer Sicherheitenverwertung im Vorfeld der Insolvenz einwenden. 243
Für die Beurteilung dieser und zahlreicher anderer Fragen der Sicherheitenverwertung ist eine Differenzierung nach den oben genannten Absonderungsrechten unerlässlich. Begonnen werden soll mit der Verwertung von Absonderungsrechten aufgrund von Immobiliarsicherheiten: (1) Verwertung von Immobiliarsicherheiten
244
Ausgangspunkt der Verwertung von Immobiliarsicherheiten sind die §§ 49, 165 InsO. In der Insolvenz des Grundstückseigentümers sind daher sowohl der absonderungsberechtigte Grundpfandgläubiger als auch der Insolvenzverwalter zur Betreibung der Verwertung berechtigt. Die Gläubiger, denen ein Absonderungsrecht an einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht zusteht, werden durch die Verfahrenseröffnung keinem automatischen Verwertungsverbot unterworfen. Gläubiger, denen ein Absonderungsrecht an einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht zukommt, können auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, zur Befriedigung ihrer Forderung, die Verwertung der belasteten Immobilie durch – Betreibung des Zwangsversteigerungs- (Rz. 250 ff.) oder – Zwangsverwaltungsverfahrens (Rz. 258 ff.) initiieren.603 Dieses Verwertungsrecht ist in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: – Zum einen durch die Einstellungsmöglichkeiten, die eine einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung bzw. Zwangsverwaltung gemäß der §§ 30d, 153b ZVG nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erleichtern. – Zum anderen wurden auch die Grundpfandrechtsgläubiger mit obligatorischen Kostenbeiträgen (Rz. 325) belegt.
245
Neben diesem Verwertungsrecht des Absonderungsberechtigten besteht die Möglichkeit der sog. Verwaltervollstreckung gem. § 165 InsO, für die sich in §§ 172 ff. ZVG Sonderregelungen finden. Danach steht auch dem Verwalter das Recht zu, die zur Masse gehörenden unbeweglichen Gegenstände im Wege der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung zu verwerten bzw. freihändig zu veräußern, wobei auch Letzteres als Realisierung der Absonderungsrechte anzusehen ist.604 Der Insolvenzverwalter kann indes nicht aus seinem Verwertungsrecht nach § 165 InsO an einem Miteigentumsanteil die Zwangsversteigerung des gesamten Grundstücks nach §§ 72 ff. ZVG betreiben. Dem steht bereits entgegen, dass nach § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO die Teilung einer zwischen dem Schuldner und einem Dritten bestehenden Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt. Eine Teilungsversteigerung, die der Insolvenzverwalter in Ausübung der ihm nach § 80 Abs. 1 InsO zustehenden Befugnisse des Schuldners als Miteigentümer betreiben kann, ist allein nach den für sie geltenden Bestimmungen durchzuführen. Das geringste Gebot ist nach § 182 ZVG festzustellen. In der Teilungsversteigerung nach §§ 180 ff. ZVG sind die nur für die Insolvenzverwaltervollstreckung gelten-
603 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 4; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 41; ein Plädoyer gegen die gesetzliche Zwangsverwaltung und für privatautonome Vereinbarungen findet sich bei Forster, ZinsO 2008, 190 f. 604 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 14; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 165 Rz. 1.
846 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 251 § 10
den Vorschriften über die abweichende Feststellung des geringsten Gebots nach §§ 174, 174a ZVG nicht anzuwenden.605 Das belastete Grundvermögen wird häufig mit dem übrigen betrieblich genutzten Vermögen des Schuldners im Verbund stehen. Durch die beim Absonderungsberechtigten verbleibende Verwertungsbefugnis droht ein Nutzungskonflikt zwischen Grundpfandgläubiger und Insolvenzverwalter.
246
Da die Zwangsverwertung von Grundstücken – im Gegensatz zur Verwertung beweglicher Sachen – ein langwieriges Verfahren voraussetzt, droht dieser Nutzungskonflikt oftmals erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Schicksal des insolventen Unternehmens einschließlich der Nutzung des Betriebsgrundstücks gelöst ist.606 Die Interessen der Insolvenzmasse werden durch die Möglichkeit des Verwalters, im Einzelfall eine Verwertungseinstellung zu beantragen, gewahrt (vgl. hierzu Rz. 252 ff.).
247
Soweit sich der Immobiliarhaftungsverband gem. §§ 1120 ff. BGB über das eigentliche Grundstück hinaus auch auf bestimmte andere bewegliche Sachen, wie die von dem Grundstück getrennten Erzeugnisse und Bestandteile sowie Zubehörsgegenstände erstreckt (zum Umfang s. oben Rz. 145) und diese damit in den Haftungsverband des mit dem Grundpfandrecht belasteten Grundstücks fallen, gelten für deren Verwertung ebenfalls die Vorschriften über die Verwertung von Immobilien. § 166 InsO findet keine Anwendung.
248
Die Rangfolge der Befriedigung der Absonderungsberechtigten ist in §§ 10 ff. ZVG festgelegt.607 Vorab haftet das Grundstück zunächst für die Kosten des Vollstreckungsverfahrens (§§ 44 Abs. 1, 109 Abs. 1 ZVG).608 Für den Insolvenzverwalter bedeutet dies, nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG den Anspruch der Masse auf die Kostenbeteiligung bzgl. des Zubehörs durchzusetzen. Hierfür genügt der Sperrvermerk nicht. Erforderlich zur Rangwahrung ist die Anmeldung, spätestens im Versteigerungstermin.609
249
Hinweis: Es bleibt abzuwarten, ob dieser Anspruch auch im Fall der Eigenverwaltung gilt. Die Literatur lehnt dies unter Hinweis auf den ausdrücklichen Wortlaut ab. So fordert § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG ausdrücklich die Bestellung eines Insolvenzverwalters.610 Der ausdrückliche Wortlaut der Vorschrift stehe einer analogen Anwendung nicht entgegen.611
249a
(a) Zwangsversteigerungsverfahren (aa) Vorläufige Einstellung des Verfahrens Der Sicherungsgläubiger kann zwar die Zwangsversteigerung betreiben, ohne dass ihn ein automatischer Verwertungsstopp bei Verfahrenseröffnung daran hindern würde, aber sowohl der vorläufige als auch der spätere Insolvenzverwalter können bei dem entsprechenden Gericht einen Antrag gem. § 30d Abs. 1, 4 ZVG stellen, die bereits begonnene Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen.612
250
Die Einstellungsmöglichkeiten wurden im Vergleich zu den früher maßgeblichen Bestimmungen der §§ 30c ZVG a.F. i.V.m. § 775 Nr. 2 ZPO durch § 30d ZVG erleichtert. Das Insolvenzgericht ordnet danach auf Antrag des Insolvenzverwalters die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung an, wenn
251
605 606 607 608 609 610 611 612
BGH v. 26.4.2012 – V ZB 181/11, EWiR 2012, 605 (Kesseler) = ZIP 2012, 1426 = NZI 2012, 575. BT-Drucks. 12/2443, 88. Vgl. hierzu Lohmann in HK/InsO, § 49 Rz. 19. Nicht vergessen sollte man mögliche Ersteheransprüche an Nebenkostenabrechnungen, vgl. BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 156/06, ZInsO 2007, 1221 m. Anm. Schmidberger, ZInsO 2008, 83 ff. Sinz in K. Schmidt, InsO, § 165 Rz. 14. Sinz in K. Schmidt, InsO, § 165 Rz. 15. Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 165 Rz. 17. Ausführlich hierzu: Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134 ff.
Drees/Schmidt | 847
§ 10 Rz. 251 | Beratung des gesicherten Gläubigers – der Berichtstermin noch bevorsteht, – das Grundstück zur Fortführung des Unternehmens oder für die Vorbereitung einer Betriebsveräußerung benötigt wird, – die Versteigerung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährden oder – in sonstiger Weise eine angemessene Verwertung der Insolvenzmasse durch die Versteigerung wesentlich erschwert würde.613 252
Das Gericht kann den Antrag des Insolvenzverwalters nach § 30d Abs. 1 Satz 2 ZVG zwar ablehnen, wenn die Einstellung dem Gläubiger unter „Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse“ nicht zuzumuten ist. Handelt es sich bei den die Zwangsversteigerung betreibenden Sicherungsnehmern aber wie zumeist in der Praxis um Banken, dürfte diese Ausnahmevorschrift wohl kaum zum Tragen kommen, nämlich nur in dem praxisfernen Fall einer ernsten wirtschaftlichen Krise der Bank. (bb) Zinszahlungspflicht (§ 30e Abs. 1 ZVG)
253
Durch die einstweilige Einstellung soll der wirtschaftliche Wert des Absonderungsrechts nicht gemindert werden.
254
Hieraus folgt, dass die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung und die damit einhergehende, zumindest vorübergehend verlängerte Bindung des Sicherungsguts an die Insolvenzmasse, nur unter gleichzeitiger Gewährung eines entsprechenden Nachteilsausgleichs erfolgen darf. Die einstweilige Einstellung kann daher nach § 30e Abs. 1 ZVG nur unter der Auflage angeordnet werden, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin laufend die aufgrund des Rechtsverhältnisses geschuldeten, sprich die vertraglich vereinbarten oder kraft Gesetzes geschuldeten (§ 288 BGB, § 352 HGB) Zinsen gezahlt werden.614 Dabei ist für die Berechnung der Zinsen allein der Kapitalbetrag maßgeblich, für den der Gläubiger die Zwangsversteigerung betreibt.615 Erfolgte die Einstellung bereits im Antragsverfahren, setzt die Zinszahlungverpflichtung spätestens drei Monate nach der ersten Einstellung ein (§ 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG).
255
Für die Zeit bis zum Berichtstermin ist, von dem Ausnahmefall der einstweiligen Einstellung im Eröffnungsverfahren abgesehen, in paralleler Ausgestaltung zu den Mobiliarsicherheiten eine Zinszahlungsverpflichtung des Verwalters nicht vorgesehen. Dieser Zeitraum dient dem Verwalter zur Feststellung von Rechten Dritter am Schuldnervermögen und vor allem zur Überprüfung der Frage nach der für alle Beteiligten – auch für die absonderungsberechtigten Gläubiger – günstigsten Art der Verfahrensdurchführung. (cc) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 30e Abs. 2 ZVG)
256
Nutzt der Verwalter das Grundstück weiterhin für die Insolvenzmasse, so ergeht auf Antrag des betreibenden Gläubigers nach § 30e Abs. 2 ZVG eine weitere Anordnung des Gerichts, nach der dem beantragenden Sicherungsinhaber von der Einstellung des Versteigerungsverfahrens an etwaige Wertverluste durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse auszugleichen sind.616
257
Der Zinsanspruch bzw. Nachteilsausgleich nach Abs. 1 und Abs. 2 ist naturgemäß dann nicht zu bedienen, wenn der Sicherungsnehmer aus der Sicherheit, z.B. wegen ihrer Nachrangigkeit, ohnehin
613 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 7 ff. 614 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, 176 f.; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 f. m.w.N. 615 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 9; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 427. 616 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 10; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 809.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 262 § 10
nicht mit einer Befriedigung rechnen kann (§ 30e Abs. 3 ZVG).617 Das bedeutet, dass wirtschaftlich nicht der Kapitalbetrag der gesicherten Forderung für die Verzinsung sowie den Wertersatz ausschlaggebend ist, sondern allein die Werthaltigkeit des Grundpfandrechts. Je nach erlangtem Rang618 und dem zu erwartenden Verwertungserlös kann der absonderungsberechtigte Gläubiger folglich mit seinen Rechten ganz oder teilweise ausfallen. Ist das Grundpfandrecht nur zum Teil von dem Wert des Grundstücks gedeckt, so sind die Zins- bzw. Ausgleichszahlungen auch nur auf diesen Teilbetrag zu erbringen.619 (b) Zwangsverwaltungsverfahren Auch für die Zwangsverwaltung620 nach den §§ 146 ff. ZVG besteht die Möglichkeit der einstweiligen Einstellung im Hinblick auf ein laufendes Insolvenzverfahren. Es besteht diesbezüglich eine gesonderte Vorschrift in § 153b ZVG.621 Zur Vermeidung von Kollisionen zwischen Zwangs- und Insolvenzverwaltung eröffnet § 153b Abs. 1 ZVG die Möglichkeit, das Zwangsverwaltungsverfahren insoweit einstellen zu lassen, als eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Masse seitens des Insolvenzverwalters durch die weitere Zwangsverwaltung ernsthaft behindert oder erheblich erschwert würde.622
258
Den Grundpfandrechtsgläubigern soll es nicht möglich sein, den Verwalter im Wege der Zwangsverwaltung zur vorzeitigen Betriebsstilllegung zwingen zu können (zum Umfang der Beschlagnahmewirkung bei der Zwangsverwaltung Rz. 145).
259
Zur Gewährleistung, dass dem betreibenden Gläubiger aus der vorläufigen Einstellung der Zwangsverwaltung keine Nachteile erwachsen, sieht § 153b Abs. 2 ZVG ebenfalls eine Entschädigungspflicht der Insolvenzmasse gegenüber dem Gläubiger hinsichtlich der einstellungsbedingten Nachteile in Form von laufenden Zahlungen, und zwar bereits ab Einstellung vor.623 Die Einstellung der Zwangsverwaltung wird nach § 153b Abs. 2 ZVG von Amts wegen mit der Auflage erlassen, die dem betreibenden Gläubiger aus der Einstellung erwachsenden Nachteile auszugleichen.
260
Hinweis: Den Gläubigern, die mit Einstellungsanträgen rechnen müssen, wäre anzuraten, zusammen mit der Zwangsversteigerung auch die Zwangsverwaltung einzuleiten, um dadurch den Beginn des Zahlungsanspruchs auf den Einstellungszeitpunkt vorzuverlegen.624
261
(c) Gerichtliche Durchsetzung Soweit der Absonderungsberechtigte seine Rechte vollstreckungsrechtlich geltend machen möchte, ist er dazu gezwungen, sich einen Vollstreckungstitel gegen den Insolvenzverwalter zu erstreiten. Gegenstand dieser Klage kann nicht die Durchsetzung eines schuldrechtlichen Anspruchs sein, da hierdurch entgegen des Verbots in § 89 Abs. 1 InsO ein Zugriff auf das gesamte pfändbare Schuldnervermögen angestrebt würde. In Betracht kommt hier die sog. Pfandklage, mit der die Duldung der Zwangsvollstreckung aus einem bestehenden dinglichen Recht in den unbeweglichen Gegenstand beansprucht wird.625
617 618 619 620 621 622 623 624 625
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 11; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 810. Zur Problematik des Rangrücktritts bei Grundpfandrechten vgl. Kesseler, ZIP 2013, 1806. BT-Drucks. 12/2443, 177; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 11. Zu aktuellen Problemen im Zusammenhang mit der sog. „kalten“ Zwangsverwaltung vgl. Bork, ZIP 2013, 2129 ff. Ausführlich hierzu Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134 ff. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 33; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521, 527. Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 813; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 33. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 33. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 49 Rz. 28.
Drees/Schmidt | 849
262
§ 10 Rz. 263 | Beratung des gesicherten Gläubigers (2) Verwertung von Mobiliarpfandrechten (a) Mobiliarpfandrechte an Sachen 263
Das Zugriffs- und Verwertungsrecht der Pfandgläubiger bleibt von der Verfahrenseröffnung unberührt. § 173 InsO stellt insoweit klar, dass der Gläubiger zur Verwertung beweglicher Sachen oder Forderungen befugt bleibt, wenn die Verwertung nicht (durch § 166 InsO) dem Verwalter zugewiesen ist.626 Der Gläubiger bleibt vor allem beim Pfandrecht zur Bewertung befugt, weil sich nach der Konzeption des Pfandrechts (vgl. § 1205 BGB) typischerweise nicht der Schuldner bzw. Insolvenzverwalter nach § 166 Abs. 1 InsO, sondern vielmehr der Gläubiger im Besitz des Gegenstands befindet. Mit der Besitzaufgabe hat der Schuldner bereits gezeigt, auf den Sicherungsgegenstand für die Betriebsfortführung nicht angewiesen zu sein. Es kommt die Regelung des § 173 InsO zum Zuge, die dem Absonderungsberechtigten das Verwertungsrecht zuschreibt.627 Das bedeutet, dass der gesicherte Gläubiger das in seinem Besitz befindliche Pfandgut wie bislang selbst verwerten kann.
264
Hinweis für den Berater: Entsprechend gesicherte Gläubiger sind gut beraten, von diesem Verwertungsrecht zeitnah Gebrauch zu machen. Denn Insolvenzverwalter haben die Möglichkeit, die Verwertung nach § 173 Abs. 2 InsO zu forcieren und nach fruchtlosem Verstreichen der Frist das Verwertungsrecht auf sich überzuleiten.628 Ebenfalls ist das Risiko einer Insolvenzanfechtung im Auge zu behalten. Sollte die vom Insolvenzverwalter eingewandte Anfechtbarkeit der Pfandrechtsbestellung nicht von der Hand zu weisen sein, so kann diese rechtliche Unsicherheit zum Anlass genommen werden, sich mit dem Insolvenzverwalter gegen Verzicht auf das Anfechtungsrecht über eine Massebeteiligung – etwa analog §§ 170 ff. InsO – zu verständigen.
265
Bei Pfändungspfandrechten kommt es entscheidend darauf an, ob der Gläubiger sein Pfandrecht schon vor der Insolvenz geltend gemacht und den Pfandgegenstand zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen hat oder ob sich der Pfandgegenstand noch im Besitz des Schuldners befindet. Im zweiten Fall kann der Insolvenzverwalter den Besitz an der Sache ergreifen und die Verwertung übernehmen. Zu einer möglichen Unwirksamkeit gem. § 88 InsO s. oben Rz. 183 ff. (b) Mobiliarpfandrechte an Forderungen und sonstigen Rechten
266
Verpfändete Forderungen sowie sonstige verpfändete Rechte629 können von den gesicherten Gläubigern selbst eingezogen bzw. verwertet werden.630 Dies basiert darauf, dass bereits die Begründung eines Pfandrechts an einer Forderung nach § 1280 BGB die Anzeige der Verpfändung gegenüber dem Drittschuldner der Forderung voraussetzt. Bei Fälligkeit der gesicherten Forderung ist der Gläubiger nach § 1282 Abs. 1 BGB unmittelbar zur Einziehung der Forderung gegenüber dem Drittschuldner berechtigt. Der Drittschuldner kennt mithin den Gläubiger und rechnet von vornherein damit, von diesem in Anspruch genommen zu werden.631
626 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 1; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 792. 627 BT-Drucks. 12/2443, 88, 183; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 1; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 566 f., 576. 628 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, EWiR 2005, 641 (Balle) = ZIP 2005, 909 = NZI 2005, 384, 385 f.; vgl. näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 10 ff. 629 Zum Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei verpfändeten Unternehmensbeteiligungen vgl. OLG Hamburg v. 18.5.2012 – 14 U 138/10, ZInsO 2012, 1781 ff. 630 BT-Drucks. 12/2443, 178 f.; BT-Drucks. 12/7302, 176; BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 = EWiR 2003, 799 (Tetzlaff) = ProzRB 2003, 298 bestätigt durch BGH v. 25.9.2003 – IX ZR 213/ 03, NZI 2004, 29 ff. Zuvor bereits BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 = EWiR 2002, 921 (Gundlach/Frenzel) = VersR 2002, 1292, 1798 f. 631 Landfermann in HK/InsO, § 166 Rz. 28.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 269 § 10
Aus diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund und der Formulierung des § 166 Abs. 2 InsO kann daher für verpfändete Forderungen auf ein regelmäßiges Verwertungsrecht des Pfandgläubigers geschlossen werden.632 Dies ist allerdings – mit Blick auf das praktische Bedürfnis für den Gleichlauf von Sicherungsabtretung und Verpfändung – nicht unumstritten.633 Allerdings ist § 166 Abs. 2 InsO insoweit eindeutig. Überdies liegt auch keine planwidrige Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO eröffnen könnte.634Damit kann der Gläubiger die gepfändete Forderung selbst einziehen bzw. das gepfändete Recht selbständig in sonstiger Weise verwerten.
267
Hinweis bei fehlender Pfandreife: Hat der Pfandrechtsgläubiger mangels Pfandreife gegen den Insolvenzverwalter nur einen Anspruch auf Sicherstellung und ist er deshalb nicht befugt, das Pfandrecht selbst einzuziehen (§§ 1282 Abs. 1, 1282 Abs. 2 BGB), steht das Einzugsrecht allein dem Insolvenzverwalter zu;635 insbesondere liegt keine gemeinsame Berechtigung des Insolvenzverwalters und des Pfandgläubigers entsprechend § 1281 BGB vor. Dieses alleinige Einzugsrecht ergibt sich zwar nicht aus der (hier unanwendbaren) Vorschrift des § 166 Abs. 2 InsO, wohl aber aus einer Analogie zu § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO.636 Zieht der Insolvenzverwalter in Ausübung dieses Verwertungsrechts und wegen des fehlenden Einzugsrechts des Pfandgläubigers im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Pfandschuldners die verpfändete Forderung eine, kann er die Kosten der Feststellung und der Verwertung vorab der Masse entnehmen. Die §§ 170, 171 InsO gelten analog;637 mit der Konsequenz, dass er zur Erlösauskehr nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO verpflichtet ist bzw. den Verwertungserlös in Höhe der zu sichernden Forderung (§ 45 Satz 1 InsO) zurückbehalten und vorrangig hinterlegen muss, bis die zu sichernde Forderung fällig wird oder die Bedingung ausfällt (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO).638
268
Hinweise für die Beratung von Kreditinstituten: Praktische Relevanz hat das Eigenverwertungsrecht insbesondere für Kreditinstitute, die aufgrund ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen häufig Pfandrechte, vornehmlich an Wertpapieren, besitzen. Kreditinstitute haben daher ein besonderes Interesse, das eigene Verwertungsrecht zunächst insolvenzfest zu begründen und sodann insolvenzfest auszuüben. – Wenn ein Sicherungsbedürfnis besteht, kann eine Bank von ihrem Pfandrecht an den Forderungen des Kunden auch schon vor Pfandreife Gebrauch machen, indem sie zur Sicherung einer späteren Verwertung keine Verfügungen des Kunden mehr zulässt. Dies geschieht durch eine Kontosperre.639 – Lässt die Bank es aber zu, dass der Kunde über sein Kontoguthaben verfügt, gibt sie insoweit ihr Pfandrecht frei. Erhöht sich anschließend im letzten Monat vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Gutschriften der Kontostand, ist das in entsprechender Höhe neu entstehende Pfandrecht nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. – Machen Kreditinstitute von ihrem Pfandrecht durch Anordnung einer Kontosperre Gebrauch bevor ihre Forderung aus dem Dispositionskredit fällig ist (§ 1281 Satz 2 Halbs. 2 BGB), dann sind sie gut beraten, auch dann keine Verfügungen über das Kontoguthaben mehr zuzulassen, wenn es zwischenzeitlich wieder zu Zahlungseingängen gekommen ist und die bauvertraglichen Voraussetzungen zur Anordnung der Kontosperre u.U. wieder weggefallen sind. – Insolvenzverwalter werden aus dieser Rechtsprechung nur dann Rechte herleiten können, wenn der Beweis gelingt, dass ohne die Kontosperre das Guthaben abgeflossen wäre.640
269
632 633 634 635 636 637 638 639 640
BGH v. 25.9.2003 – IX ZR 213/03, NZI 2004, 29 ff. Vgl. hierzu und zum Meinungsstand Szalai, ZInsO 2009, 1177, 1183 f. BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 ff. = EWiR 2003, 799 (Tetzlaff) = ProzRB 2003, 298. BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, EWiR 2005, 641 (Balle) = ZIP 2005, 909, NZI 2005, 384 ff. BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, EWiR 2013, 523 (Mitlehner) = ZIP 2013, 987 = NZI 2013, 596, 570 f.; in Fortsetzung von BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, EWiR 2005, 641 (Balle) = ZIP 2005, 909 = NZI 2005, 384 ff. BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, EWiR 2013, 523 (Mitlehner) = ZIP 2013, 987 = NZI 2013, 596, 570 f. BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, EWiR 2005, 641 (Balle) = ZIP 2005, 909 = NZI 2005, 384, 386 f. BGH v. 12.2.2004 – IX ZR 98/03, ZIP 2004, 620 im Anschluss an BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 233/01, BGHZ 150, 122 = EWiR 2004, 1141 (Beutler/Vogel), 125 f.; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812 ff. = EWiR 2002, 685 (Ringstmeier/Rigol); m. zust. Anm. Haertlein/J. Schmidt, WuB 2004, 535. Beutler/Vogel, BGH v. 11.3.2004 – I ZR 304/01, EWiR 2004, 1143 f. = CR 2004, 763 m. Anm. Volkmann = AfP 2004, 584 = ITRB 2005, 127.
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§ 10 Rz. 269a | Beratung des gesicherten Gläubigers
269a
M 9 Musterschreiben – Anerkennung eines Absonderungsrechts durch den Insolvenzverwalter bei fehlendem Verwertungsrecht Sehr geehrter Herr Kollege, in dem vorbezeichneten Insolvenzverfahren liegt mir Ihr Schreiben vom … vor. In diesem weisen Sie mich auf das zugunsten Ihrer Mandantin bestehende Werkunternehmerpfandrecht an dem PKW … zur Absicherung Ihrer Werklohnforderung aufgrund eines Vertrages vom … hin. Das von Ihnen geltend gemachte Pfandrecht erkenne ich an. Ihre Mandantin ist daher zur abgesonderten Befriedigung aus diesem Gegenstand berechtigt. Um der Abwicklung des Insolvenzverfahrens den Fortgang zu geben, darf ich Sie bitten, umgehend die Verwertung nach Maßgabe der Vorschriften über die Pfandverwertung zu betreiben und mir gegenüber über den Verwertungserlös Rechnung zu legen. Ich rechne mit einer Verwertung bis spätestens zum …. Sollte dies nicht geschehen, werde ich beim Insolvenzgericht beantragen, dass Ihnen zur Verwertung eine Frist gesetzt wird, nach deren fruchtlosem Ablauf die Verwertungsberechtigung mir zusteht. Mit freundlichen Grüßen
(3) Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten 270
Unter der KO oblag die Verwertung von Gegenständen, an denen zugunsten eines Gläubigers ein Absonderungsrecht bestand, regelmäßig dem absonderungsberechtigten Gläubiger; es bestand damit ein Selbstverwertungsrecht des Sicherungsnehmers. Diese Rechtslage wurde insbesondere im Hinblick auf sicherungsübereignete Gegenstände als besonders unbefriedigend empfunden. Wurden die zur Sicherung übereigneten Vermögensgegenstände nach der Verfahrenseröffnung aus dem betrieblichen Verbund des Schuldners herausgelöst, verlor das Unternehmen regelmäßig Betriebsmittel, die für seine Fortführung unentbehrlich waren. Ein Verwertungsrecht des Gläubigers stand mit der Konzeption besitzloser Mobiliarsicherheiten nicht in Einklang, und widersprach letztlich auch dem in der Sicherungsabrede zum Ausdruck kommenden Parteiwillen; denn das Bedürfnis, den Gegenstand im unmittelbaren Besitz des Sicherungsgebers zu belassen, hat sich bereits in der Auswahl des Sicherungsrechts manifestiert und besteht typischerweise auch im Krisenfall fort. Gleiches gilt für Gegenstände, an denen aufgrund eines verlängerten oder erweiterten Eigentumsvorbehalts ein Absonderungsrecht besteht.
271
Um die vorzeitige Auszehrung der Insolvenzmasse durch die eigenmächtigen Verwertungsversuche der Gläubiger zu unterbinden, findet die Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten nunmehr im Rahmen des Insolvenzverfahrens statt, weshalb für die gesicherten Gläubiger mit Verfahrenseröffnung ein automatischer Verwertungsstopp eingreift.641 Rechtstechnisch wird der Verwertungsstopp mit der Verlagerung des regelmäßigen Verwertungsrechts an absonderungsbehafteten Gegenständen auf den Insolvenzverwalter durchgesetzt, vgl. § 166 InsO. Ausdrücklich sind dies zum einen bewegliche Sachen, die der Verwalter in seinem Besitz hat (§ 166 Abs. 1 InsO), zum anderen Forderungen, die der Schuldner im Wege der Sicherungsabtretung übertragen hat (§ 166 Abs. 2 InsO). (a) Verwertung von Sachen
272
§ 166 Abs. 1 InsO sieht vor, dass der Insolvenzverwalter bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten und damit ein Herausgabeverlangen des Absonderungsberechtigten zurückweisen darf, wenn er den Gegenstand selbst im Besitz hat.642 Hauptanwendungs641 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 2. 642 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, EWiR 2007, 119 (Bork) = ZIP 2006, 2390 = ZInsO 2007, 1320; Sessig/Fischer, ZInsO 2011, 618, 620.
852 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 276 § 10
fall der Regelung ist das Absonderungsrecht kraft Sicherungseigentums, weshalb § 166 InsO als Komplementärnorm zu § 51 InsO begriffen werden kann. Wie bei § 51 Abs. 1 InsO sind ebenso Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts erfasst, aber auch gepfändete Sachen oder Sachen, die mit einem Vermieterpfandrecht643 belastet sind. Ausschlaggebendes Moment für das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters ist mithin sein Besitz am Sicherungsgegenstand (bzw. der Besitz des Schuldners) zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung.644 Ausreichend ist ebenso die Besitzerlangung im Antragsverfahren in seiner Eigenschaft als vorläufiger Verwalter bei gleichzeitiger Anordnung eines Veräußerungsverbots.645 Ein Anfechtungsrisiko berührt das Verwertungsrecht nicht; das Verwertungsrecht erstreckt sich auch auf Gegenstände, deren Besitz sich der Verwalter im Wege der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO wieder verschafft hat.646 Hintergrund und gesetzliches Leitbild Regelung ist im Wesentlichen der Gedanke, dass besitzlose Mobiliarsicherheiten in aller Regel am Umlauf- oder Anlagevermögen des schuldnerischen Unternehmens bestehen. Zu den Verwertungsrechten bei lediglich mittelbarem Besitz des Verwalters und den Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 InsO im Einzelnen s. unten Rz. 275. Den Gläubigern wird durch die Verlagerung des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter der Zugriff auf die wirtschaftliche Einheit des schuldnerischen Unternehmens verwehrt. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass der herausverlangte Gegenstand für die geordnete Abwicklung des Unternehmens benötigt wird. Auch kann aus dem Sicherungseigentum kein Verfügungsanspruch abgeleitet werden, der einen Eingriff in das dem Insolvenzverwalter zustehende Verwertungsrecht im Wege einer einstweiligen Verfügung rechtfertigt.647 Vorhandene Chancen zeitweiliger oder dauerhafter Unternehmensfortführung bleiben dadurch erhalten. Soweit durch eine Sanierung des Unternehmens der Fortführungswert der Sicherheit erhalten bleibt oder eine vorteilhafte Gesamtveräußerung erfolgt, können die Verwertungsregelungen auch dem gesicherten Gläubiger zugutekommen.
273
Befindet sich die absonderungsbelastete Mobilie nicht im Besitz des Insolvenzverwalters, ist folglich ausnahmsweise der Gläubiger gemäß zur Verwertung befugt, vgl. § 173 Abs. 1 InsO.
274
Hat der Gläubiger lediglich mittelbaren Besitz, so hängt die Verwertungsbefugnis davon ab, ob es dem Gläubiger gelingt, den Sicherungsgegenstand rechtzeitig vor der Verfahrenseröffnung beim Schuldner herauszuholen, was spätestens im Antragsverfahren durch Maßnahmen des Insolvenzgerichts nach § 21 InsO verhindert werden kann. Denn mit Verfahrenseröffnung entsteht auch bei lediglich mittelbarem Besitz das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters.
275
Dies zeigt wiederum die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Durchsetzung der Sicherungsrechte im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens (Rz. 216 ff.). Denn hat der Gläubiger bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens aufgrund der Liquiditätsprobleme des Sicherungsgebers von seinem Sicherungsrecht Gebrauch gemacht und das Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen, so kann er die Verwertung auch fortsetzen. Eine Rückgabepflicht an den Verwalter besteht – vorbehaltlich einer Insolvenzanfechtung – nicht.648 Diesem Vorgehen kann schon im Insolvenzeröffnungsverfahren mit einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO begegnet werden. Zeichnet sich eine Sanierung im Insolvenzverfahren ab, wird regelmäßig anders zu beraten sein. Bei Erhalt der wirt-
276
643 Zur Bedeutung des Vermieterpfandrechts in der Betriebsfortführung Lütcke, NZI 2012, 262 ff.; Zipperer, NZI 2005, 538 ff. 644 Instruktiv in diesem Zusammenhang: Uhlenbruck, ZInsO 2008, 114 ff. 645 Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 15; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 497. 646 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 11. 647 OLG Oldenburg v. 9.4.2013 – 1 W 13/13, ZInsO 2014, 304 f. 648 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 90 f.; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 772; ursprünglich sahen die Entwürfe der InsO auf Anordnung des Insolvenzgerichts auch für diese Fälle eine Rückgabepflicht des Sicherungsgläubigers an den Insolvenzverwalter vor, wobei nach erfolgter Übergabe der Insolvenzverwalter auch zur Verwertung berechtigt sein sollte (vgl. § 188 DiskE – § 188 RefE – § 199 RegE).
Drees/Schmidt | 853
§ 10 Rz. 276 | Beratung des gesicherten Gläubigers schaftlichen Einheit dürfte mit Rücksicht auf die dann erzielbaren Fortführungswerte trotz der Massebeteiligung ein geringerer Ausfall zu erzielen sein als bei Verwertung eines für sich genommen weniger wertvollen Gegenstandes. 277
Befindet sich der betreffende Gegenstand bei Verfahrenseröffnung im Besitz eines Dritten, der sein Besitzrecht vom Schuldner ableitet, etwa bei einem seitens des Schuldners bezahlten Lagerhalter oder zur Reparatur bei einem Werkunternehmer, so ist nach der Rechtsprechung des BGH der mittelbare Besitz des Schuldners ausreichend für die Begründung eines Verwertungsrechts des Verwalters.649 Ein Verwertungsrecht des Verwalters nach § 166 Abs. 1 InsO ist mit anderen Worten immer dann anzunehmen, wenn die (mittelbare) Besitzposition bei typisierender Betrachtungsweise weiterhin dem technisch-organisatorischen Verbund des Schuldners zugewiesen ist. Hinsichtlich der Art des mittelbaren Besitzes argumentiert der BGH mit der Zugehörigkeit des Sicherungsguts zum funktionalen Geschäftsbetrieb des Schuldners. Er stellt darauf ab, ob der Schuldner die betreffenden Gegenstände aus betrieblichen Gründen überlassen hat, und sieht dies insbesondere in den Fällen der Weitervermietung als gegeben an; mit der Konsequenz, dass dem Verwalter das Verwertungsrecht zusteht. Dies gilt auch für den mehrstufigen mittelbaren Besitz.650
277a
Ist die Sache nach Art des mittelbaren Besitzes bereits mit der dauerhaften Überlassung an einen Dritten aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschieden in einer Weise, dass der Schuldner daran gehindert ist, den unmittelbaren Besitz gegen den Willen des unmittelbaren Besitzers wiederzuerlangen, hat der Verwalter hingegen kein Verwertungsrecht gem. § 166 InsO. Dies gilt etwa im Rahmen des Finanzierungsleasings für den Fall, dass dem Leasingnehmer (als unmittelbarer Besitzer) nach der konkreten Vertragsgestaltung ein Recht auf Übereignung des Leasingguts versichert wird. Überlässt der Schuldner die Sache dem Leasingnehmer für eine feste, nicht ordentlich kündbare Grundlaufzeit, nach der er eine Vollamortisation erlangt, widerspricht es dem Interesse der Parteien, dass der Schuldner das Leasinggut zurückerlangt; es ist insoweit nicht mehr dem technisch-organisatorischen Verbund des Schuldners zugewiesen.651 Insgesamt kommt es daher darauf an, ob der mittelbare Besitz des Schuldners weiterhin auch eine gegen den Willen des unmittelbaren Besitzers erfolgende Nutzung der Sache zulässt.652
277b
Auch in Dauerglobalurkunden verbriefte Aktien sind der wirtschaftlichen Einheit des Schuldners zuzurechnen, womit dem Insolvenzverwalter nach § 166 Abs. 1 InsO ein Verwertungsrecht zusteht;653 mittelbarer Fremdbesitz erster Stufe ist demnach ausreichend. Aktien sind dem Schuldnerunternehmen aber nur insoweit zurechenbar, als ihm seine Mitgliedschafts- und Beteiligungsrechte trotz Aufgabe seiner Besitzposition auch verbleiben. Bei einer Übertragung der verpfändeten Aktie an einen weisungsunabhängigen Treuhänder, dem nun anstelle des ursprünglichen Inhabers die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte obliegt, entfällt laut BGH das Kriterium der wirtschaftlichen Einheit, wobei die Beurteilung über den Verbleib der Mitgliedschaftsrechte in Anlehnung an § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO erfolgen könne. Hieraus folgend sei der Aktienerwerb im Rahmen des Finanzgeschäfts kein Fall des Verwertungsrechts nach § 166 Abs. 1 InsO; der Aktienerwerb mit dem Ziel der Unternehmensbeteiligung hingegen schon. Denn nur Letzterer sei – und dies folge aus der Wertung des § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO – auf die Herstellung einer dauerhaften Verbindung zu dem zu erwerbenden Unter649 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, ZIP 2006, 814, 816 m. Anm. Gundlach/Frenzel, BGHReport 2006, 818 sowie Anm. v. N. Schmidt/Schirmeister, EWiR 2006, 471 f.; BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320, 1321; m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f.; LG Stuttgart v. 12.4.2005 – 2 C 34/05, ZIP 2005, 1523 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 14; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 166 Rz. 4; differenzierend Gaedertz, ZInsO 2000, 256, 263. 650 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, EWiR 2007, 119 (Bork) = ZIP 2006, 2390 = ZInsO 2006, 1320 f. 651 BGH v. 11.1.2018 – IX ZR 295/16, ECLI:DE:BGH:2018:110118UIXZR295.16.0, EWiR 2018, 373 (Brinkmann) = ZIP 2018, 695 = NZI 2018, 396 m. Anm. Mitlehner, NZI 2018, 400. 652 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 6. 653 BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, AG 2016, 29 = EWiR 2015, 739 (Jacoby) = ZIP 2015, 2286 = NZI 2016, 21 m. Anm. Mitlehner, NZI 2016, 26; hierzu Kor, ZInsO 2021, 1204.
854 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 278 § 10
nehmen gerichtet, so dass dem Schuldner weiterhin die Mitgliedschaftsrechte obliegen. Ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters könne also angenommen werden, wenn der Aktienbesitz eine Unternehmensbeteiligung repräsentiere, wobei eine bestimmte Anteilsquote nicht erforderlich sei.654 Als Orientierung diene allerdings die Regelung des § 271 Abs. 1 Satz 3 HGB, wonach bei einer Beteiligungshöhe von mehr als 20 % eine Unternehmensbeteiligung zu vermuten ist. Ob die Entscheidung des BGH auf sämtliche Immaterialgüterrechte, insbesondere auf nicht verbriefte Unternehmensbeteiligungen zu übertragen ist, ist bislang ungeklärt.655 Sinn und Zweck des § 166 Abs. 1 InsO dürften allerdings dafür sprechen, das Verwertungsrecht dem Insolvenzverwalter auch bei nicht verbrieften Unternehmensbeteiligungen zuzubilligen. Eine unterschiedliche Behandlung von Aktien und GmbH-Anteilen ist nicht zu rechtfertigen, so dass § 166 Abs. 1 InsO oder § 166 Abs. 2 InsO in diesem Fall analog heranzuziehen ist. Zuletzt hat sich auch das AG Hamburg656 dafür ausgesprochen und folgt weitgehend der hier dargestellten Argumentation.
277c
Hinweise bei mittelbarem Besitz des Schuldners: – Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger eine solche bewegliche Sache, ohne dazu vom Insolvenzverwalter ermächtigt worden zu sein, schuldet er der Masse die Feststellungskostenpauschale (hierzu Rz. 343 ff.).657 – Der absonderungsberechtigte Gläubiger erhält auch nicht dadurch ein eigenes Verwertungsrecht, dass er den unmittelbaren Besitzer veranlasst, den Besitzmittlungswillen für den Insolvenzverwalter aufzugeben.658 – Soweit der Schuldner den Besitz an dem Absonderungsgegenstand gegen seinen Willen verloren bzw. aufgrund des Drucks des Gläubigers unfreiwillig herausgegeben hat, werden diese Gegenstände ebenfalls zu dem Besitz des Verwalters gezählt, so dass ihm auch in diesen Fällen ein Verwertungsrecht zukommt. Der Verwalter kann in diesen Fällen nur den Weg über die Durchsetzung des zivilrechtlichen Besitzkehranspruchs nach § 861 Abs. 1 BGB659 bzw. den Weg der Anfechtung (Rz. 349e und umfassend § 13) wählen.
277d
(b) Verwertung von Forderungen Auch die Verwertung sicherungszedierter Forderungen obliegt – ähnlich der Verwertung von Sachen – dem Insolvenzverwalter. Der Verwalter darf eine Forderung, die der Schuldner dem Gläubiger zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat, einziehen oder in sonstiger Weise verwerten, § 166 Abs. 2 InsO.660 Dass dem Verwalter die Verwertungsbefugnis zugewiesen wird, ist Praktikabilitätsgründen sowie dem Charakter des § 166 als Komplementärnorm zu § 51 InsO geschuldet. Da dem verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Weiterveräußerungsermächtigung eine Sicherungszession zugrunde liegt, ist der Verwalter nach Eintritt des Verlängerungsfalls ebenfalls zur Verwertung nach § 166 Abs. 2 InsO berechtigt. An eine vom Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffene Schiedsver-
654 näher Kor, ZInsO 2021, 1204, 1206. 655 dafür Bitter, ZIP 2015, 2249, 2250 f.; Landfermann in HK/InsO, § 166 Rz. 36; Scholz in HambKomm, § 166 Rz. 28; dagegen Sinz in K. Schmidt, InsO, § 173 Rz. 9; auch laut Kor, ZInsO 2021, 1204, 1206 ff. kein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters auf Kosten der Absonderungsberechtigten „um jeden Preis“. 656 AG Hamburg v. 1.8.2021 – 67g IN 470/13, ZIP 2021, 1985. 657 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320, 1321; m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f. = ZIP 2006, 2390. 658 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f. = ZIP 2006, 2390; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 435. 659 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 12; vgl. hierzu auch Eckardt, ZIP 1999, 1734, 1743. 660 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797, 1798 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 13. Zur Vergleichsbefugnis am Beispiel der Globalzession vgl. Ganter, ZIP 2014, 53 ff. = EWiR 2002, 921 (Gundlach/Frenzel) = VersR 2002, 1292.
Drees/Schmidt | 855
278
§ 10 Rz. 278 | Beratung des gesicherten Gläubigers einbarung ist der Insolvenzverwalter im Grundsatz gebunden.661 Voraussetzung ist, dass die sicherungshalber abgetretene Forderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch besteht.662 War die abgetretene Forderung zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits erfüllt, bleibt kein Raum für § 166 Abs. 2 InsO. Ist die Erfüllung im Rahmen des vom vorläufigen Insolvenzverwalter betriebenen Forderungseinzugs eingetreten, ist der Insolvenzverwalter (mangels Forderung) zwar nicht zur Verwertung berechtigt, sehr wohl aber zur abgesonderten Befriedigung ohne Abzug der Kostenbeiträge verpflichtet.663 Erfolgt der Einzug auf der Grundlage von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO oder einer isolierten gerichtlichen Ermächtigung (§ 21 Abs. 2 InsO), folgt diese Verpflichtung aufgrund der Berechtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht aus § 48 InsO (Ersatzabsonderung), sondern aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO.664 Weiterhin ist kein Raum für die Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO für den vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Drittschuldner unter Verzicht auf die Rücknahme hinterlegten Forderungserlös. Auch eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO im Hinblick auf den Kostenbeitrag des § 171 InsO ist hier nicht geboten.665 Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass der Masse für sicherungshalber abgetretene Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung ausgeglichen worden sind, keine Verwertungskosten gebühren. (c) Verwertung von Rechten und sonstigen Vermögenswerten 279
Die InsO enthält keine Regelung, wem die Verwertungsbefugnis hinsichtlich sonstiger der Zwangsvollstreckung unterliegender Rechte zukommt, wenn diese mit Absonderungsrechten belastet sind.666 Unter den Begriff der sonstigen Rechte fallen zum Beispiel – Erbteile, – Immaterialgüterrechte, – Mitgliedschaftsrechte, – Geschäftsanteile, – Marken, – Patente, – Urheberrechte oder etwa – Computerprogramme.
280
Da § 166 InsO dem Insolvenzverwalter die Verwertungsbefugnis nur hinsichtlich der in seinem Besitz befindlichen Gegenstände zuweist, obliegt die Verwertung sonstiger Rechte und Vermögensgegenstände grundsätzlich dem jeweiligen Gläubiger. Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm, Gegenstände nicht aus dem technisch-organisatorischen Gesamtverbund des Schuldnerunternehmens herauszulösen und die Verwertung im Interesse der Gläubigerschaft in der Hand des Insolvenzverwalters zu konzentrieren, ist die Vorschrift richtigerweise auf sonstige, nicht mit einem Schuldnerbesitz verbundene Rechte analog anzuwenden. Abgesehen von den Entscheidungen zur Verwertungsbefugnis bei Geschäftsanteilen (s. oben Rz. 277b f.), existiert Rechtsprechung – soweit ersichtlich – nur in Form einer die Analogie abweisende Entscheidung des AG Karlsruhe.667 Zweifelsohne richtig ist, dass eine 661 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 49/12, ZInsO 2013, 1583 ff.; dazu auch Flöther, EWiR 2013, 659 f. m. zahlr. w.N., z.B. auf OLG Köln v. 5.6.2013 – 18 W 32/13, ZIP 2013, 2024 für den Fall der Masseunzulänglichkeit und die Frage der Undurchführbarkeit einer Schiedsvereinbarung. 662 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, EWiR 2006, 375 (Heublein) = ZIP 2006, 91 = ZInsO 2006, 34 f. 663 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = EWiR 2010, 395 (Knof). 664 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = EWiR 2010, 395 (Knof). 665 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, EWiR 2006, 375 (Heublein) = ZIP 2006, 91 = ZInsO 2006, 34 f. 666 Vgl. hierzu ausführlich Szalai, ZInsO 2009, 1177 ff. 667 AG Karlsruhe v. 7.2.2008 – 12 C 490/07, ZIP 2009, 143 = EWiR 2009, 189 (Knof).
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III. Absonderungsfragen | Rz. 284 § 10
derartige Analogie den Gesetzeswortlaut und die bewusst vom Gesetzgeber668 gezogene Grenze hinsichtlich des Verwertungsrechts und der Kostenbeiträge konterkariert. Berücksichtigt man indes die wesentlichen Beweggründe des Gesetzgebers, dann kann der Wortlaut allein nicht entscheidend sein. Denn die Durchsetzung der gesetzgeberischen Zielvorstellung ist nur dann möglich, wenn zumindest diejenigen Rechte, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur technisch-organisatorischen Einheit gehören und zur Fortführung erforderlich sind, dem Verwertungsrecht des Sicherungsgläubigers entzogen werden.669 Konsequenterweise ist der auf diesen Zweck zielende § 166 Abs. 1 InsO heranzuziehen und nicht der auf Praktikabilität gerichtete § 166 Abs. 2 InsO. Da der Besitz kein taugliches Abgrenzungskriterium ist, ist stattdessen auf die Nutzungsbefugnis im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abzustellen.670 (d) Verwertungsverfahren Nach Ausweitung des Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters hat der Gesetzgeber den absonderungsberechtigten Gläubigern mit den Bestimmungen der §§ 167 ff. InsO ein rechtliches Instrumentarium zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen an die Hand gegeben.671
281
(aa) Auskunftsanspruch (§ 167 InsO) Sofern der Insolvenzverwalter nach § 166 Abs. 1 InsO zur Verwertung einer beweglichen Sache berechtigt ist, so hat er dem absonderungsberechtigten Gläubiger auf dessen Verlangen Auskunft über den Zustand der Sache zu erteilen, vgl. § 167 Abs. 1 InsO. Für das Verwertungsrecht sicherungszedierter Forderungen (§ 166 Abs. 2 InsO) gilt gem. § 167 Abs. 2 InsO Entsprechendes mit der Maßgabe, dass der Verwalter dem Gläubiger Auskunft über die Forderung zu erteilen hat. Die Regelung gründet jeweils auf dem Gedanken, dass derjenige, der die Verwertungsbefugnis aufgrund von § 166 InsO verloren hat, zumindest die Möglichkeit haben soll, Informationen über den Gegenstand einzuholen.672 Das Auskunftsverlangen des Absonderungsberechtigten ist formlos möglich.
282
Der Insolvenzverwalter hat den Gegenstand hinreichend bestimmt zu bezeichnen, hat zum Zustand sowie zum Belegenheitsort der Sache zu informieren. Die Reichweite des Auskunftsrechts umfasst die qualitative und quantitative Beschaffenheit der Sache sowie Angaben zum Stand des Verarbeitungsprozesses respektive der sonstigen Nutzung und erstreckt sich, soweit erforderlich, auch auf die Erstellung von Bestandslisten. Einen Anspruch auf Besichtigung bzw. Einsichtnahme begründet die Vorschrift hingegen nicht (§ 167 Abs. 1 Satz 2 InsO e contrario).
283
Dem Insolvenzverwalter steht es nach § 167 Abs. 1 Satz 2 InsO indes frei, die Gläubiger darauf zu verweisen, sich selbst vom Zustand der Sache zu überzeugen (Ersetzungsbefugnis des Insolvenzverwalters).673 Im Einzelfall ist die Entscheidung anhand von Zumutbarkeitskriterien zu treffen, so dass weder der Verwalter noch der Berechtigte über Gebühr belastet werden.674
284
668 669 670 671
§ 181 Abs. 2 DiskE (1988) sprach noch von zur Sicherung übertragenen Rechten. Sinz in K. Schmidt, InsO, § 166 Rz. 36. instruktiv Brinkmann in Uhlenbruck, § 47 Rz. 37 f. Vgl. hierzu die Ausführungen des OLG Oldenburg v. 9.4.2013 – 1 W 13/13, ZInsO 2014, 304 f. sowie des OLG Celle v. 26.11.2003 – 16 U 134/03, ZInsO 2004, 42 m. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, S. 301 f. 672 S. eingehend zum Auskunftsanspruch Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 1 ff.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 1 ff. 673 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274 Rz. 48; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 9. 674 Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537, 539 m.w.N.
Drees/Schmidt | 857
§ 10 Rz. 285 | Beratung des gesicherten Gläubigers 285
Bei Forderungen hat der Insolvenzverwalter Angaben zur Bonität und Verität zu machen. Anstelle der eigenen Auskunftserteilung räumt § 167 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Insolvenzverwalter auch insoweit das Recht ein, den Gläubiger Einblick in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners nehmen zu lassen.675 Besteht Streit über den Inhalt und Reichweite des Auskunftsrechts, ist eine restriktive Handhabe geboten. Denn § 167 InsO räumt den Gläubigern kein allgemeines Informations- oder Einsichtsrecht ein. Ist zu besorgen, dass der Gläubiger durch die Gestattung der Einsichtnahme Kenntnis von wettbewerbsrelevanten Geschäftsunterlagen und Daten des schuldnerischen Unternehmens erhält, so darf die Einsichtnahme gegebenenfalls nur durch einen unabhängigen und zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer vorgenommen werden.676
286
Dem Verwalter kommt es nicht zu, für die erteilten Auskünfte Aufwendungsersatzansprüche zu erheben.677 Etwaige Kosten sind im Rahmen der obligatorischen Kostenbeiträge nach §§ 170, 171 InsO bereits abgegolten.678 Im Übrigen gehört die Erteilung von Auskünften zur Ausübung der allgemeinen Verwaltertätigkeit, so dass die erzeugten Kosten auch insoweit zu Lasten der Masse gehen.
287
Der Auskunftsanspruch stellt eine eigenständige Rechtsposition des absonderungsberechtigten Gläubigers dar und erweist sich zugleich als Grundlage für die nachfolgenden Vorschriften. So – hat der Insolvenzverwalter dem Gläubiger Gelegenheit zum Nachweis günstigerer Verwertungsalternativen, – die Eintrittsmöglichkeit in geplante Verwertungsgeschäfte des Verwalters sowie – Schutz vor Verzögerungen der Verwertung zu gewähren. Über dieses Anspruchsziel hinaus verschafft § 167 InsO den Gläubigern kein allgemeines Informations- oder Einsichtsrecht. Allgemeine Informationen über das Verfahren und die Massegegenstände ergeben sich aus den pflichtgemäßen Aufzeichnungen des Insolvenzverwalters, die im Berichtstermin zu erläutern sind.679
288
Hinweis für Berater: Der Gesetzestext sollte absonderungsberechtigte Gläubiger nicht davon abhalten, entsprechende Auskunftsrechte auch dann geltend zu machen, wenn Absonderungsgut im schuldnerischen Vermögen nur (vage) vermutet wird. Denn auch in diesem Fall ist der Insolvenzverwalter zur Auskunft verpflichtet. Ungeklärt ist lediglich, ob dieses Recht unmittelbar aus § 167 InsO oder als Nebenrecht des Absonderungsrechts aus § 50 InsO folgt.680 Der BGH lässt diese rechtliche Einordnung offen.
(bb) Mitteilungspflicht und Hinweisrecht (§ 168 InsO) 289
Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Verwalter soll nicht zwangsläufig dazu führen, dass günstigere Verwertungsmöglichkeiten des gesicherten Gläubigers zu dessen Lasten ungenutzt bleiben.681 Deshalb muss der Verwalter dem absonderungsberechtigten Gläubiger gem. § 168 InsO vor der Verwertung des belasteten Gegenstandes zumindest die Gelegenheit einräumen, eine günstigere Verwertungsmöglichkeit nachzuweisen oder den Gegenstand zu den vorgesehenen Bedingungen selbst
675 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 11; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 7. 676 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 8; vgl. auch BGH v. 11.5.2000 – IX ZR 262/98, ZIP 2000, 1061, 1065 = EWiR 2001, 177 (Johlke/Schröder). 677 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 8; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 12; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537, 539. 678 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 8. 679 BGH v. 16.9.2010 – IX ZR 56/07, Hess. VGH v. 6.10.2010 – 6 A 2227/08, ZIP 2010, 2234 ff. = EWiR 2011, 131 (Fischer). 680 BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326 = EWiR 2004, 349 (Pape) = MietRB 2004, 168. 681 BT-Drucks. 12/2443, 179.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 293 § 10
zu übernehmen. Um dem Gläubiger die Möglichkeit des Nachweises einer günstigeren Verwertungsalternative zu ermöglichen, normiert § 168 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Mitteilungspflicht des Insolvenzverwalters gegenüber dem Sicherungsinhaber bezüglich der konkret beabsichtigten Verwertung.682 Dabei besteht die Mitteilungspflicht auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Sicherungsgut im Rahmen einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung verwerten möchte.683 Eine inhaltlich hinreichend konkrete Anzeige löst die Wochenfrist zur Abgabe des Gläubigerhinweises i.S.v. § 168 Abs. 2 InsO aus. § 168 InsO betrifft alle Gegenstände, zu deren Verwertung der Verwalter nach § 166 InsO berechtigt ist, also neben beweglichen Sachen auch sicherungszedierte Forderungen. Allerdings wird ausweislich des Wortlauts nur die Veräußerung des Gegenstands an einen Dritten erfasst. Daraus wird geschlossen, § 168 InsO erfasse nur den freihändigen Verkauf und andere Verwertungsarten, nicht aber den Forderungseinzug. Der Verwalter sei berechtigt, sicherungszedierte Forderungen ohne vorherige Mitteilung einzuziehen.684 Ein Bedürfnis nach einer entsprechenden Regelung besteht aber für die Fälle, in denen der Verwalter die Forderung nicht zum Nominalwert einziehen kann oder diese nicht durch Einziehung, sondern in anderer Weise, z.B. durch Verkauf zu verwerten gedenkt.685 Zum Teil wird daher der Anwendungsbereich des § 168 InsO auch auf zur Sicherung abgetretene Forderungen ausgeweitet.686 Letztlich dürfte eine Anwendung nur dann zutreffend sein, wenn die Forderung verkauft wird oder aber im Rahmen des Forderungseinzugs ein Vergleich geschlossen wird. In dem zuletzt genannten Fall dürfte indes die Mitteilung des Vergleichsergebnisses nach § 168 InsO genügen; eine Einbindung in die Vergleichsverhandlungen mag praktisch sinnvoll sein, ist letztlich aber nicht erforderlich. Bei bloßer Einziehung lässt sich mit Rücksicht auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut und den Normzweck keine Anwendung rechtfertigen.687
290
Das Gesetz lässt offen, wie konkret die vom Verwalter geplante Veräußerung bezeichnet werden muss, und damit auch, wie weit die Verhandlungen zwischen dem Verwalter und dem erwerbswilligen Dritten schon gediehen sein müssen, wenn der Verwalter die Mitteilung macht.688 Institutionelle Gläubiger neigen dazu, die inhaltlichen Anforderungen an eine Anzeige des Insolvenzverwalters überzustrapazieren, um sich zum einen mögliche Ersatzansprüche (vgl. § 168 Abs. 2 InsO) vorzubehalten und zum anderen den Insolvenzverwalter zu einer Überlassung der Verwertung (§ 170 Abs. 2 InsO) zu bewegen, wodurch sich die Massebeteiligung auf die Feststellungskosten reduzieren würden.
291
Aus Gründen der Praktikabilität dürfen die Anforderungen an die Anzeige nicht zu streng sein. So dürfte die Person des Käufers nicht genannt werden müssen. Letztlich muss zur Beurteilung, ob eine günstigere Verwertungsmöglichkeit besteht, allein der Gegenstand, die Art der Verwertung und der Kaufpreis bekannt sein. Enthält die Mitteilung nach § 168 InsO einen Hinweis auf notfalls erforderliche Preisabschläge, so muss auch dies noch als hinreichend konkrete Anzeige i.S.d. § 168 InsO bewertet werden.
292
Das Gesetz regelt in § 168 InsO weiterhin nicht, wie der Insolvenzverwalter zu verfahren hat, wenn er nach einem Hinweis des Gläubigers auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit eine noch günstigere Verwertungsmöglichkeit findet. Mittlerweile hat der BGH klargestellt, dass keine Pflicht zur erneuten
293
682 683 684 685
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 2; vgl. näher Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 642 f. m.w.N. OLG Celle v. 20.1.2004 – 16 U 109/03, EWiR 2004, 715 (Blank) = ZIP 2004, 725 = ZInsO 2004, 445 ff. Brinkmann in Uhlenbruck, § 168 Rz. 5. Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 18, 20; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.326; Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 168 Rz. 3. 686 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 6; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 18, 19 f.; Haas/Scholl, NZI 2002, 642 m.w.N. 687 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 168 Rz. 3. 688 Landfermann in HK/InsO, § 168 Rz. 3.
Drees/Schmidt | 859
§ 10 Rz. 293 | Beratung des gesicherten Gläubigers Mitteilung besteht.689 Dies gilt auch, wenn der Gläubiger den Gegenstand gem. § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO selbst übernehmen möchte.690 294
Dem Gläubiger wird durch Abgabe eines den Verwalter bindenden Hinweises auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit Einfluss auf die Verwertung seines Sicherungsguts im Insolvenzverfahren gewährt. Zwar begründet ein entsprechend konkreter Hinweis auf eine für ihn691 günstigere Verwertungsmöglichkeit keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters, diese auch wahrzunehmen.692 Bei Nichtwahrnehmung der nachgewiesenen günstigeren Verwertungsmöglichkeit muss er den Gläubiger aber so stellen, als ob die Verwertung zu diesen Bedingungen erfolgt wäre (§ 168 Abs. 2 InsO).693 Folglich muss er ihm den Erlös auszahlen, den der Gläubiger bei der Realisierung der für ihn günstigeren Verwertungsoption hätte beanspruchen können. Der Anspruch des Gläubigers errechnet sich aus der Differenz zwischen dem fiktiven Erlös und dem erzielten Erlös. Die Beweislast dafür, dass die vom Gläubiger angezeigte Verwertungsmöglichkeit tatsächlich bestand und zu einer günstigeren Verwertung geführt hätte, trägt der Gläubiger.694 Können solche Ansprüche dargetan werden, so dürften sie im Rang einer Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehen.695
295
Den Nachteilsausgleichsanspruch des Gläubigers wird der Verwalter insbesondere dann hinnehmen, wenn der mit dem Absonderungsrecht belastete Gegenstand Bestandteil einer Gesamtveräußerung ist und diese zwar nicht für den absonderungsberechtigten Gläubiger, dafür aber gegenüber dem Einzelverkauf für die Masse insgesamt Vorteile mit sich bringt.696 Auch in diesem Fall braucht der Gläubiger zur Auslösung der Rechtsfolgen des § 168 Abs. 2 InsO lediglich eine günstigere Verwertungsoption allein für den mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand nachzuweisen.697 Unabhängig von der Erlösauskehr durch den Insolvenzverwalter nach der ersten oder zweiten Alternative des § 168 Abs. 2 InsO nimmt der Gläubiger bei unvollständiger Befriedigung in Höhe seines Ausfalls als Insolvenzgläubiger an dem Insolvenzverfahren teil (§ 52 InsO).698
296
Bei der Wochenfrist in § 168 Abs. 2 Satz 1 InsO handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist. Der Verwalter hat auch dann die seitens des Gläubigers nachgewiesene günstigere Verwertungsmöglichkeit unabhängig von dem Ablauf der Wochenfrist wahrzunehmen, wenn der Hinweis rechtzeitig vor der Vornahme der Verwertungshandlung eingeht.699
297
Als günstigere Verwertungsmöglichkeit kommt auch der Selbsteintritt des Absonderungsberechtigten nach § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO durch Übernahme des belasteten Gegenstandes zu besseren oder
689 BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 208/08, StBW 2010, 520 = ZIP 2010, 1089 = NZI 2010, 525. Ebenso OLG Karlsruhe v. 9.10.2008 – 9 U 147/08, NZI 2008, 747, 748. 690 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 168 Rz. 6. 691 Gibt der absonderungsberechtigte Gläubiger einen Hinweis bzgl. einer Verwertungsalternative, die entgegen des Wortlauts des § 168 Abs. 1 InsO allein für andere Insolvenzgläubiger günstiger ist, so werden die Rechtsfolgen des § 168 Abs. 2 und Abs. 3 nicht ausgelöst, Lwowski/Heyn, WM 1998, 473, 477 f. 692 BT-Drucks. 12/2443, 179; Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 647. 693 BT-Drucks. 12/2443, 179; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 15; vgl. auch Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 647. 694 MünchKomm/InsO/Kern, § 168 Rz. 34. 695 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 14 und Blank, EWiR 2004, 715 f. = ZIP 2004, 725 der diese Aussage in den Entscheidungsgründen des OLG Celle v. 20.1.2004 – 16 U 109/03, ZIP 2004, 725 = EWiR 2004, 715 (Blank) erkennt. 696 BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 264/12, ZIP 2013, 1927 = ZInsO 2013, 1690, 1691; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 168 Rz. 11; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537, 540; vgl. zur Vergleichsmethode auch Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644 ff. 697 BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 264/12, ZIP 2013, 1927 = ZInsO 2013, 1690, 1691. 698 Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644 ff. 699 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 20; Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644; Gundlach/Frenzel/ Schmidt, ZInsO 2001, 537, 539.
860 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 300 § 10
den vorgesehenen Bedingungen in Betracht.700 Der Selbsteintritt erfolgt durch Verkauf des Gegenstandes an den absonderungsberechtigten Gläubiger. Terminologisch ändert der Selbsteintritt freilich nicht, dass es sich weiterhin um eine Verwertung durch den Insolvenzverwalter i.S.d. § 166 InsO handelt. Der Insolvenzverwalter hat dem Gläubiger den betreffenden Gegenstand sodann an den Gläubiger herauszugeben. Aus § 168 Abs. 2 InsO ergibt sich, dass der Verwalter nicht verpflichtet ist, das günstigere Angebot des gesicherten Gläubigers anzunehmen; ihn trifft allerdings auch insoweit eine Ausgleichspflicht. Seine Zahlungsverpflichtung aufgrund des Kaufvertrags kann der Gläubiger mit dem ihm gegen die Insolvenzmasse zustehenden Anspruch auf Auskehrung des Verwertungserlöses nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO (wegen des Verkaufs an ihn selbst) verrechnen.701 Das Verwertungsrisiko, aber auch die Möglichkeit eines Verwertungsgewinns durch einen Weiterverkauf, liegt bei dem übernehmenden Sicherungsgläubiger. Demnach wird auch ein eventueller Mehrgewinn nicht – auch nicht auf die Ausfallforderung – angerechnet.702 Da es sich nach wie vor um eine Verwertung des Insolvenzverwalters aufgrund von § 166 InsO handelt, hat der Gläubiger allerdings sowohl die Feststellungs- als auch die Verwertungspauschale nach §§ 170, 171 InsO zu entrichten (anders als bei der eigenen Verwertung durch den Gläubiger gem. § 170 Abs. 2 InsO nach Überlassung durch den Insolvenzverwalter). Für den Gläubiger ist das Vorgehen also nur sinnvoll, wenn er entweder an dem konkreten Gegenstand ein besonderes Interesse hat oder die realistische Aussicht auf ein noch besseres Geschäft durch den Weiterverkauf des Gegenstands die Abgabe des zunächst höchsten Angebots und die Inkaufnahme des Risikos der eigenen Verwertung überwiegt. Der Insolvenzverwalter wird das Angebot des Gläubigers annehmen, wenn sein Angebot günstiger ist als das durch den Insolvenzverwalter mitgeteilte Angebot eines Dritten, der Gläubiger mithin einen höheren Kaufpreis bietet oder er auf seine Ausfallforderung nach § 52 InsO verzichtet.703 § 168 Abs. 2 InsO findet auch im Fall der öffentlichen Versteigerung Anwendung.704 Kündigt der Verwalter an, das Absonderungsgut durch öffentliche Versteigerung verwerten zu lassen, und gibt der gesicherte Gläubiger selbst ein Angebot ab, so ist der Verwalter gehalten, dem Auktionator dieses Angebot zzgl. der Versteigerungskosten als Mindestgebot aufzugeben. Unterlässt er es und wird bei der Versteigerung schließlich ein geringerer Erlös erzielt, ist er dem Sicherungsgläubiger in Höhe der Differenz zum Nachteilsausgleich verpflichtet.
298
In der Vergangenheit waren absonderungsberechtigte Gläubiger bemüht, den Unterrichtungsanspruch aus § 168 InsO über die vorgesehene Verwertung durch Herausgabe des Gegenstands an einen Sequester im Wege einer einstweiligen Verfügung sicherzustellen. Ein solcher Herausgabeanspruch ist von § 168 InsO jedoch nicht gedeckt. Absonderungsberechtigte Gläubiger sind durch die Unterrichtungsund Mitteilungsverpflichtung gem. § 168 Abs. 1 und 2 InsO ausreichend geschützt. Auch das Selbsteintrittsrecht nach § 168 Abs. 3 InsO rechtfertigt einen solchen Anspruch nicht. Dieses Recht des absonderungsberechtigten Gläubigers beschränkt sich auf das Aufzeigen einer bestimmten Verwertungsmöglichkeit, die der Verwalter wahrnehmen kann, aber nicht muss. Der durch § 168 InsO gewährte Schutz beschränkt sich damit auf einen Nachteilsausgleich. Ein Herausgabeanspruch ist hiermit nicht verbunden.705
299
Unterlässt der Insolvenzverwalter schuldhaft die Mitteilung der Veräußerungsabsicht, so entsteht eine persönliche Schadensersatzpflicht nach § 60 InsO. Der Verstoß gegen § 168 InsO macht die Verwer-
300
700 701 702 703
Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 16. BT-Drucks. 12/2443, 179; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 529. BT-Drucks. 12/2443, 179; Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644. Zu den Vor- und Nachteilen sowie weiteren Alternativen zum freihändigen Verkauf gem. § 166 Abs. 1 InsO Markgraf/Remuta, ZInsO 2018, 841. 704 OLG Celle v. 20.1.2004 – 16 U 109/03, ZIP 2004, 725 m. zust. Anm. Blank, EWiR 2004, 715 f. 705 OLG Celle v. 26.11.2003 – 16 U 134/03, ZInsO 2004, 42 m. zust. Anm. und w.N. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, 301 f.
Drees/Schmidt | 861
§ 10 Rz. 300 | Beratung des gesicherten Gläubigers tung jedoch nicht zu einer unberechtigten; auch die Ansprüche gem. §§ 170, 171 InsO entstehen rechtswirksam. (cc) Schutz vor Verwertungsverzögerungen (§ 169 InsO) 301
Drittes Instrument zur Absicherung der privilegierten Rechtsstellung des Absonderungsberechtigten ist der Zinsanspruch des Gläubigers nach § 169 InsO. Sein Zweck liegt in der Verhinderung etwaiger Verwertungsverzögerungen. Kommt es dennoch zu Verzögerungen, sieht § 169 Satz 1 InsO einen finanziellen Ausgleich vor. Gerade im Falle zeitweiliger Betriebsfortführung müssen die Gläubiger befürchten, dass der Verwalter sein Besitz- und Verwertungsrecht missbraucht, indem er den Sicherungsgegenstand im Rahmen der Betriebsfortführung nutzt und die Verwertung hinauszögert. Hat der Insolvenzverwalter also einen Grund, die Verwertung aufzuschieben, so darf sich dies nicht zum Nachteil der absonderungsberechtigten Gläubiger auswirken.706 Deshalb gesteht § 169 InsO dem gesicherten Gläubiger zu, – vom Berichtstermin an – laufend die geschuldeten Zinsen für die vorenthaltene Liquidität – bis zum Verwertungszeitpunkt zu beanspruchen.
302
Diese schadensersatzähnliche Regelung soll dem Gläubiger den Nachteil egalisieren, der ihm durch den Verlust der Verwertungsbefugnis sowie der damit einhergehenden Beschränkung seiner Einflussmöglichkeiten auf den Verwertungsvorgang entstanden ist.707 Er soll in die Lage versetzt werden, die ihm durch die verzögerte Verwertung „vorenthaltene Liquidität anderweitig zu beschaffen“, um auf diese Weise „eine wirtschaftliche Einbuße zu vermeiden“.708 Voraussetzung für die Zinszahlungspflicht ist daher, dass dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht nach § 166 InsO zusteht; sie umfasst daher bewegliche Sachen und Forderungen. Da der Sicherungsnehmer auch im Rahmen einer Eigenverwertung den Verwertungserlös nicht alsbald vereinnahmen kann, besteht diese Entschädigungsverpflichtung erst ab dem Berichtstermin, der höchstens drei Monate nach der Verfahrenseröffnung liegen darf.709 Damit ist der Insolvenzverwalter für den Zeitraum bis zum Berichtstermin oder zumindest für drei Monate zur kostenlosen Nutzung des Sicherungsguts berechtigt.710 Dabei bedeutet die Ausklammerung dieses Zeitraums bis zum Berichtstermin nicht einen endgültigen Zinsverlust für diese Zeit, sondern es entfällt lediglich die Vorabverzinsung. Die Sicherheit haftet auch für die auf diesen Zeitraum entfallenden Zinsen, diese finden aber erst bei der endgültigen Erlösverrechnung Berücksichtigung.711
303
Bei zur Sicherung abgetretener Forderungen steht dem Sicherungsnehmer eine Verzinsung erst ab dem Tag nach dem Zahlungseingang beim Insolvenzverwalter zu, sofern sich dieser vom Berichtstermin an ordnungsgemäß um den Forderungseinzug gekümmert hat.712
304
Ist der Gläubiger schon vor der Verfahrenseröffnung durch Sicherungsmaßnahmen gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO an der Verwertung gehindert worden, so tritt an die Stelle des Berichtstermins der
706 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, EWiR 2006, 471 (Schmidt/Schirrmeister) = ZIP 2006, 814 = ZInsO 2006, 433, 434 f. Vgl. hierzu Ganter, ZInsO 2007, 841, 848. 707 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 169 Rz. 1; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 169 Rz. 2. 708 BT-Drucks. 12/2443, 180. 709 BT-Drucks. 12/2443, 88. 710 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, EWiR 2010, 155 (Voß) = ZIP 2010, 141 = NZI 2010, 95, 96. 711 Landfermann in HK/InsO, § 169 Rz. 18. 712 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, EWiR 2003, 425 (Schumacher) = ZIP 2003, 632 = ZInsO 2003, 318 ff.; Obermüller, NZI 2003, 418; a.A. Landfermann in HK/InsO, § 169 Rz. 2 f.
862 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 306c § 10
Zeitpunkt, in dem nach Anordnung der Sicherungsmaßnahme drei Monate verstrichen sind, § 169 Satz 2 InsO.713 Der Zinsanspruch tritt als verschuldensunabhängiger Anspruch systematisch neben die Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters aus § 159 InsO und die Haftungsnorm des § 60 InsO.714 Er bemisst sich nach der Dauer der Verzögerung, der Höhe des Gegenstandswertes und nach dem Zinssatz, den der Gläubiger aus dem ungestörten Schuldverhältnis mit dem Schuldner beanspruchen konnte, bzw. dem gesetzlichen Zinssatz. Für die Höhe der nach dieser Vorschrift geschuldeten Zinsen kommt es nicht darauf an, ob sich der Schuldner im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits in Verzug befand oder nicht. Waren vertraglich ausnahmsweise keine Zinsen als Hauptleistung geschuldet (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder lag der vereinbarte Zinssatz unter 4 %, ist entsprechend des gesetzlichen Zinssatzes gem. § 247 BGB eine Verzinsung von 4 % anzunehmen.715 Dies schließt nicht aus, dass Insolvenzverwalter und gesicherter Gläubiger – etwa in der Hoffnung auf spätere günstigere Verwertungsmöglichkeiten – einvernehmlich auf die Zinszahlungspflicht verzichten.
305
Nach dem Gesetzeswortlaut endet die Zinszahlungsverpflichtung nach der Verwertung. Eine verzögerte Ausschüttung des Erlöses nach abgeschlossener Verwertung dürfte hiernach allenfalls eine Ersatzpflicht des Verwalters nach § 60 Abs. 1 InsO, nicht jedoch eine Verpflichtung nach § 169 Satz 1 InsO auslösen. Da es für den gesicherten Gläubiger jedoch allein auf die Auskehr des Erlöses ankommt und eine Differenzierung zwischen verzögerter Verwertung und verzögerter Ausschüttung nicht gerechtfertigt ist, erfasst § 169 Satz 1 InsO nach inzwischen einhelliger Ansicht auch den Fall der verzögerten Ausschüttung. Die Zinszahlungsverpflichtung endet daher erst mit der Auskehr des Erlöses an den Absonderungsberechtigten.716
306
Die Zinszahlungsverpflichtung ist allerdings abhängig von einer realen Befriedigungschance des Gläubigers, da ihm nur in diesem Fall auch vorzeitige Liquidität verloren geht. Der Zinsanspruch des Gläubigers scheidet aus, wenn dieser mit einer Befriedigung aus dem Verwertungserlös nicht rechnen kann, § 169 Satz 3 InsO. Das bedeutet, dass nicht der gesicherte Kapitalbetrag Grundlage der Verzinsung ist, sondern der Wert der Sicherheit und damit der zu erwartende Verwertungserlös.717 Entsprechend kommt bei bloß teilweise anzunehmender Befriedigung lediglich eine anteilige Zinsauskehr in Betracht.718
306a
Die Zinszahlungspflicht entfällt ferner, wenn auch der Gläubiger selbst im Falle einer eigenen Verwertung seine gesicherten Ansprüche nicht früher (oder überhaupt nicht) hätte verwirklichen können. Auch dies gebietet der in § 169 Satz 3 InsO – in Anlehnung an § 30e Abs. 3 ZVG und § 172 Abs. 1 Satz 3 InsO – enthaltene allgemeine Grundsatz, dass die Insolvenzmasse nicht für die Werthaltigkeit des Sicherungsgutes einzustehen hat.719
306b
Nach diesen vom BGH entwickelten Grundsätzen entfällt eine Verzinsungspflicht ganz allgemein, wenn die verzögerte Verwertung nicht auf insolvenzspezifischen Gründen beruht. Solche liegen vor,
306c
713 Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung Beschluss des BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1251, 1252. 714 Zu den Einzelheiten vgl. Hellmich, ZInsO 2005, 680 ff. 715 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, EWiR 2006, 471 (Schmidt/Schirrmeister) = ZIP 2006, 814 = ZInsO 2006, 433, 436 ff. 716 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318, 322; a.A. LG Stendal v. 7.3.2002 – 22 S 208/01, ZIP 2002, 765 m. Anm. Runkel, EWiR 2002, 587 und auch LG Köln v. 7.1.2003 – 3 O 304/02, ZIP 2003, 2313. 717 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, EWiR 2003, 425 (Schumacher) = ZIP 2003, 632 = ZInsO 2003, 318, 322. 718 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 169 Rz. 12; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 169 Rz. 6. 719 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, EWiR 2006, 471 (Schmidt/Schirrmeister) = ZIP 2006, 814 = ZInsO 2006, 433, 434 ff.
Drees/Schmidt | 863
§ 10 Rz. 306c | Beratung des gesicherten Gläubigers wenn auch dem Gläubiger eine Verwertung überhaupt nicht oder auch nicht früher möglich gewesen wäre. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Verzögerung auf Gründen beruht, die sich unmittelbar aus der Beschaffenheit des Sicherungsguts selbst ergeben.720 307
Prozessuale Hinweise für den Gläubigervertreter: – Die Darlegungs- und Beweislast für derartige nicht insolvenzspezifische Risiken, die eine Verzögerung der Verwertung des Sicherungsgutes oder dessen gänzliche Nichtverwertbarkeit zur Folge haben, trägt der Insolvenzverwalter. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 169 Satz 3 InsO, der nach Inhalt und Systematik als Ausnahmetatbestand ausgestaltet ist („gelten nicht“). – Hat der Insolvenzverwalter den Gegenstand nicht selbst verwertet, sondern nach dem Berichtstermin an den Gläubiger freigegeben, trifft diesen die sekundäre Darlegungslast dafür, dass und mit welchem Ergebnis er nach erfolgter Freigabe Verwertungsbemühungen entfaltet hat. Genügt er dieser Anforderung, ist für den Zinsanspruch regelmäßig davon auszugehen, dass eine frühere Überlassung des Gegenstandes auch zu einer früheren Verwertung geführt hätte. Die Zinsen sind dann bis zum Freigabezeitpunkt geschuldet. – Da der Zinsanspruch nach Ansicht des BGH den Charakter einer Entschädigung hat und zudem die Führung des Vollbeweises hinsichtlich des Fehlens einer Verwertungsverzögerung für den Insolvenzverwalter mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden sein kann, kommt dem Gericht – zugunsten des Insolvenzverwalters – eine Beweiserleichterung gem. § 287 ZPO zugute. Streiten die Parteien also über das Bestehen oder die Dauer der Zinspflicht und ist eine vollständige Aufklärung der dafür maßgeblichen Gegebenheiten nicht zu erwarten, ist unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts zu entscheiden, ob und in welchem Umfang eine Verzögerung auf insolvenzspezifischen Gründen beruht.
308
Über den Anspruch des gesicherten Gläubigers aus § 169 Satz 1 InsO auf die laufenden Zinsen aus der Masse hinaus kommen in Betracht: – Die Haftung des Sicherungsobjekts für die geschuldeten Zinsen. Diese Haftung betrifft auch die Zinsen nach Verfahrenseröffnung und damit auch die Zinsen für den von § 169 InsO erfassten Zeitraum. Jedoch realisiert sich diese Haftung erst, wenn der Erlös ausreicht, um Hauptschuld und Zinsen zu decken. Auf Grundlage von § 169 InsO gezahlte Zinsen sind auf die Zinsforderung anzurechnen. – Die Haftung auf Ausgleichzahlungen gem. § 172 Abs. 1 InsO für den Fall, dass das Sicherungsgut während des Verfahrens genutzt wird und dadurch zum Nachteil des Gläubigers an Wert verliert.721 Diese Zahlungen sind zusätzlich zu den Zinszahlungen gem. § 169 Satz 1 InsO zu erbringen und werden nachstehend unter Rz. 305 ff. ausführlich dargestellt. (dd) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 172 InsO)
309
Bei Fortführung des schuldnerischen Betriebs ist der Verwalter darauf angewiesen, auch die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände weiter für das Unternehmen einzusetzen. Deshalb kann der Verwalter von der Verwertung des Absonderungsguts absehen und es stattdessen zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens „benutzen“, § 172 Abs. 1 Satz 1 InsO. Dieses Nutzungsrecht umfasst zunächst den bestimmungsgemäßen Gebrauch. Darüber hinaus sind im Einzelfall auch Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung erfasst, soweit die Sicherung dadurch nicht beeinträchtigt wird, § 172 Abs. 2 InsO. Jeweils darf der in Rede stehende Realakt nicht zu einem Wert- oder gar Eigentumsverlust führen; Ausgangspunkt ist die eigentumsrechtliche Güterzuordnung i.S.d. §§ 946 ff. BGB. So ist etwa die Verbindung von Absonderungsgut mit einer schuldnerfremden Sache unzulässig, wenn die andere Sache als Hauptsache anzusehen ist; denn auf diese Weise verliert der Berechtigte sein Ei-
720 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, EWiR 2006, 471 (Schmidt/Schirrmeister) = ZIP 2006, 814 = ZInsO 2006, 433 434 ff. 721 Landfermann in HK/InsO, § 169 Rz. 25.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 312 § 10
gentum nach § 947 Abs. 2 BGB vollständig. Zulässig ist demnach die Verbindung aufgrund von § 947 Abs. 1 BGB, da in diesem Fall der Absonderungsberechtigte jedenfalls Miteigentümer bleibt.722 Als Ausgleich zwischen dem Sicherungsinteresse des absonderungsberechtigten Gläubigers und dem wirtschaftlichen Interesse des Schuldners und der übrigen Gläubiger an der Fortführung des Unternehmens sieht § 172 Abs. 1 Satz 1 InsO laufende Ausgleichszahlungen für Wertverluste im Zeitraum der Nutzung vor.723 Der Ausgleichsanspruch setzt voraus, dass der Wertverlust des mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstandes auf dessen Nutzung zurückzuführen ist; (potentielle) Nutzungsvorteile für die Masse oder entgangene Nutzungsmöglichkeiten des Absonderungsberechtigten sind nicht auszugleichen.724 Ebenso wenig sind Wertverluste ausgleichspflichtig, die im Rahmen von Verwertungsverzögerungen entstehen; denn maßgeblich ist stets die tatsächliche Nutzung. Des Weiteren kann der Absonderungsberechtigte einen Ausgleich nur verlangen, soweit die durch die Nutzung entstehende Wertminderung seine Sicherung auch übersteigt, § 172 Abs. 1 Satz 2 InsO. Der Ausgleichsanspruch ist vorab aus der Masse zu begleichen. Er stellt mithin eine Masseverbindlichkeit dar.725 Er tritt neben den Zinsanspruch aus § 169 InsO.726 Die Ausgleichszahlung hat grundsätzlich in Geld zu erfolgen, kann aber auch durch Stellung einer Ersatzsicherheit erbracht werden.727
310
Die Höhe der Ausgleichsverpflichtung orientiert sich stets an der eingetretenen Wertminderung, vgl. § 172 Abs. 1 Satz 2 InsO. Darlegungs- und beweispflichtig ist insoweit der Aussonderungsberechtigte. Zur Ermittlung des ursprünglichen Werts des Sicherungsguts verhilft ihm der Auskunftsanspruch aus § 167 InsO gegenüber dem Insolvenzverwalter. Der konkrete Wertverlust kann anhand von AfA-Tabellen ermittelt werden.
311
Hinweise für den Berater: – Die Hürde des Ausgleichsanspruchs dürfte darin bestehen, dass der Sicherungsgläubiger die Darlegungsund Beweislast trägt und daher den Eintritt des Wertverlustes zu beweisen hat. Um aufwendige Sachverständigengutachten zu vermeiden, sind Gläubiger gut beraten, bei Beginn der Nutzung mit dem Insolvenzverwalter eine Vereinbarung über die Ausgleichszahlungen zu treffen. Alles andere ist nur schwer praktikabel und kostenintensiv. – Was nicht gelingen wird, ist die Ausweitung einer solchen Vereinbarung auf die im vorläufigen Insolvenzverfahren beanspruchte Nutzung, ohne dass eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO erfolgt ist.728 Hierfür ist die Rechtslage zu eindeutig. So wird eine analoge Anwendung des § 172 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nahezu einhellig abgelehnt. Wortlaut und Gesetzessystematik stünden einer solchen Analogie entgegen.729 Sollte gleichwohl der schwache vorläufige Insolvenzverwalter eine Nutzungsentschädigung für die Dauer des vorläufigen Verfahrens zusagen, so begründet diese Erklärung keine Masseverbindlichkeit.730 Existiert indes eine gerichtliche Ermächtigung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, sind die Rechtsfolgen entsprechend denen in § 172 InsO in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO geregelt. Die Ansprüche auf Zinsen und auf Ausgleich von Wertminderungen werden dann zu Masseforderungen i.S.v. 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.731
312
722 723 724 725 726 727 728 729 730 731
Zu weiteren Beispielen Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 172 Rz. 7. BT-Drucks. 12/2443, 182; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537, 542. OLG Düsseldorf v. 27.4.2017 – 1-12 U 42/15, ZInsO 2018, 34. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 9; Smid in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 172 Rz. 9. Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 172 Rz. 8; Hess, InsO, § 172 Rz. 14. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 9; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 443. Sinz in K. Schmidt, InsO, § 172 Rz. 2. BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938, 939 f. m. Anm. Büchler, BGH v. 26.9.2006 – XI ZR 156/05, EWiR 2007, 75; vgl. hierzu auch Ganter, ZInsO 2007, 841, 845 und Olshausen, ZIP 2007, 1145. BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZIP 2006, 1641 = ZInsO 2006, 938, 939 f. BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 = EWiR 2012, 389 (Tillmann), 780.
Drees/Schmidt | 865
§ 10 Rz. 313 | Beratung des gesicherten Gläubigers (e) Verwertung durch den Gläubiger 313
Befindet sich die Sache nicht im Besitz des Insolvenzverwalters, ist ausnahmsweise der Gläubiger selbst verwertungsberechtigt, § 173 Abs. 1 Alt. 1 InsO. Aus seiner Sicht ist indes noch zu prüfen, ob er auch nach materiellem Recht zur Verwertung befugt ist, was sich aus den allgemeinen Gesetzen bzw. aus der jeweiligen Sicherungsabrede ergibt. Die Verwertung von Forderungen obliegt ebenfalls dem Gläubiger, § 173 Abs. 1 Alt. 2 InsO. Ihm steht es frei, die Verwertungsart selbst zu wählen. Das Gesetz selbst sieht keine bestimmte Verwertungsart vor. Um unnötigen Verzögerungen bei der Verwertung vorzubeugen, kann das Insolvenzgericht dem Gläubiger auf Antrag des Insolvenzverwalters eine Frist für die Verwertung setzen (§ 173 Abs. 2 InsO).732 Sollte der Gläubiger die Verwertung innerhalb dieser Frist nicht bewirken, fällt das ausschließliche733 Verwertungsrecht nach § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu.
314
M 10 Musterschreiben – Antrag des Insolvenzverwalters auf Fristsetzung (§ 173 Abs. 2 InsO) An das Amtsgericht … – Insolvenzgericht – In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen … beantrage ich, dem Gläubiger … eine Frist von sechs Wochen zu setzen, innerhalb welcher er den ihm sicherungsübereigneten PKW, Marke … zu verwerten hat. Begründung: Die Schuldnerin hat dem Gläubiger den o.g. PKW zur Sicherung eines ihr von ihm gewährten Darlehens in Höhe von … durch schriftliche Vereinbarung vom … sicherungsübereignet. Der PKW befindet sich im Besitz des Gläubigers. Trotz mehrfacher Aufforderung durch den Unterzeichnenden hat er das Sicherungsgut bis heute nicht verwertet. Meine letzte Aufforderung stammt vom … … Rechtsanwalt Insolvenzverwalter
315
Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter mit Verfahrenseröffnung schließt notwendigerweise die eigene Verwertung durch den Sicherungszessionar aus.734 Eine Berechtigung des Sicherungszessionars kann nur dann bestehen, wenn die Forderung aus der Insolvenzmasse freigegeben worden ist oder eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Verwalter vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Sicherungszession im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits im Verwer-
732 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 11; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 173 Rz. 5. 733 Becker in Nerlich/Römermann, InsO, § 173 Rz. 14; Dithmar in Braun, InsO, § 173 Rz. 3. a.A. Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 173 Rz. 7. Offen lassend BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 = EWiR 2005, 641 (Balle), 911. 734 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 96 und Bork, EWiR 2007, 119; BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, ZIP 2006, 91, 92 f.; OLG Dresden v. 10.8.2006 – 13 U 926/06, ZInsO 2006, 1168, 1169 f.
866 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 319 § 10
tungsstadium befindet. Auch hier darf der gesicherte Gläubiger die Verwertung nicht fortsetzen.735 Dadurch kann es in der Praxis zu einem mehrfachen Wechsel des Einziehenden kommen, was bei den Drittschuldnern zu erheblichen Verunsicherungen und damit zu einer herabgesetzten Zahlungsbereitschaft führen wird. Erfahrungsgemäß reagieren viele Drittschuldner bereits auf die Zessionsanzeige der Bank mit Zurückhaltung und die Zahlungsbereitschaft lässt erkennbar nach.736 Schließt sich der Offenlegung der Zession durch die Bank die Anzeige des Verwalters an, dass er nunmehr die Forderung einziehen wird, so ist zu befürchten, dass die Zahlungsmotivation der Drittschuldner noch weiter absinkt. Mit schuldbefreiender Wirkung können Drittschuldner jedenfalls nur noch an den Insolvenzverwalter leisten, nicht mehr an den Sicherungsnehmer.737 Hinweise für den Berater: Verschiedentlich wird versucht, eine bereits offen gelegte Sicherungsabtretung in eine Forderungsverpfändung umzudeuten. Die rechtlichen Voraussetzungen einer Verpfändung dürfte die Sicherungsabtretung jedenfalls erfüllen. Jedoch hat der BGH für diese Möglichkeit mit Rücksicht auf die erheblich unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Rechtsinstitute nur wenig Raum gelassen.738 – Insgesamt müssen solche Gläubiger, die das Einziehungsrecht des Verwalters und die hiermit verbundenen Kostenbeiträge vermeiden wollen, auf die Verpfändung der Forderung verwiesen werden.739 – Es sollte bereits im Eröffnungsverfahren eine Absprache zwischen dem vorläufigen Verwalter und dem entsprechenden Gläubiger über die Fortführung der begonnenen Verwertung durch den Gläubiger oder die Übertragung der Inkassobefugnis auf den Verwalter getroffen werden, um dadurch unnötige Verunsicherungen der Drittschuldner zu vermeiden.740
316
bb) Kosten der Absonderung und Erlösverteilung Ein wesentlicher Bestandteil der Insolvenzrechtsreform war das Ziel, Insolvenzverfahren unter erleichterten Voraussetzungen zu eröffnen. Hierfür sollten gesicherte Gläubiger, insbesondere die Inhaber besitzloser Mobiliarsicherheiten, zu einem Solidarbeitrag herangezogen werden.
317
Der Gesetzgeber führte mit den Regelungen in den §§ 170, 171 InsO obligatorische Kostenbeiträge der absonderungsberechtigten Gläubiger ein, die eine Beteiligung an den entstehenden Kosten der Sicherheitenverwertung vorsehen.741 Ziel ist die Anreicherung der Insolvenzmasse.742
318
In § 170 InsO sind die Arten der zu erstattenden Kostenbeiträge festgelegt, nämlich
319
– zum einen die Feststellungskosten (§§ 170 Abs. 1, 171 Abs. 1 InsO) und – zum anderen die Verwertungskosten (§§ 170 Abs. 1, 171 Abs. 2 InsO).
735 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.324; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 166 Rz. 10. a.A. Mitlehner, ZIP 2001, 679 f., der dem Verwalter ein Verwertungsrecht dann versagt, wenn die Zession offengelegt und die Einziehungsbefugnis widerrufen worden ist. Dann nämlich liege keine von § 166 Abs. 1 InsO erfasste Sicherungszession mehr vor, sondern eine Abtretung zur treuhänderischen Verwertung, die nicht unter § 166 Abs. 1 InsO zu subsumieren sei. 736 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.324; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 44. 737 KG v. 13.8.2001 – 12 U 5843/00, ZIP 2001, 2012 = EWiR 2002, 27 (Häcker), 2013; Landfermann in HK/ InsO, § 166 Rz. 34; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 16. a.A. Häcker, NZI 2002, 409 ff. 738 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909, 911; BGH v. 3.7.2002 – IV ZR 191/01, NJW 2002, 3477 = EWiR 2005, 641 (Balle). 739 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.357. 740 Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 44. 741 BT-Drucks. 12/2443, 80 f. 742 BT-Drucks. 12/2443, 86.
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§ 10 Rz. 319 | Beratung des gesicherten Gläubigers Eine darüber hinausgehende – die freie Insolvenzmasse besser stellende – Verwertungsvereinbarung ist grundsätzlich zulässig. Für das Bestehen einer solchen abweichenden Vereinbarung trägt indes der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast.743 320
Soweit die Verwertung zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer führt, ist auch der Umsatzsteuerbetrag zusätzlich zu der Verwertungskostenpauschale von dem Sicherungsnehmer zu tragen (§ 171 Abs. 2 Satz 3 InsO).
321
Hinsichtlich etwaiger Erhaltungskosten sind Insolvenzverwalter aufgrund fehlender gesetzlicher Bestimmungen darauf angewiesen, mit Gläubigern eine Kostenbeteiligung für erforderliche Erhaltungsmaßnahmen zu treffen. Entzieht man sich als Gläubiger einer solchen Vereinbarung, ist es keineswegs gewiss, sich nicht an den Kosten beteiligen zu müssen. Denn letztlich wird man es Insolvenzverwaltern gestatten müssen, solche Kosten als Verwertungskosten anzusetzen und vom Gesamterlös abzuziehen. Es wäre unbillig, dem Gläubiger den Erlös der Gesamtveräußerung zufließen zu lassen, ohne von diesem die zwangsläufig mit der Verwertung verbundenen Erhaltungsaufwendungen abzuziehen.744
322
Die Belastung des Verwertungserlöses mit den Kostenbeiträgen einschließlich der abzuführenden Umsatzsteuer richtet sich hinsichtlich ihres Inhalts und Umfangs nach der Person des Verwertenden. Für die Höhe der einzubehaltenden Kostenbeiträge sieht § 171 InsO aus Gründen der Praktikabilität Pauschalsätze vor.
323
Die obligaten Kostenbeiträge sind dem Verwertungserlös gem. § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO vorab und damit bereits vor dessen Auskehr an den absonderungsberechtigten Gläubiger zugunsten der Insolvenzmasse zu entnehmen.745
324
Sind die Kostenbeiträge nach erfolgter Verwertung in Abzug gebracht, entsteht der Anspruch auf Erlösauskehr. § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt, dass der Gläubiger unverzüglich aus dem verbleibenden Betrag zu befriedigen ist. Unverzüglich meint „ohne schuldhaftes Zögern“, so dass der Auskehranspruch spätestens zwei Wochen nach erfolgter Verwertung fällig ist.746
324a
Es stellt sich die Frage, wieviel Zeit dem Gläubiger zur Verfolgung des Anspruchs bleibt („Verjährung des Erlösanspruchs“). Auf eine Hemmung des Anspruchs gem. § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB durch Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle sollte sich der absonderungsberechtigte Gläubiger besser nicht verlassen. Denn dieser Hemmungstatbestand greift nicht, da nur einfache Insolvenzforderungen i.S.v. § 38, 174 ff. InsO erfasst sind. Eine Hemmung ließe sich allenfalls durch ein Verhandeln über das Bestehen des Absonderungsrechts und des Erlösanspruchs (§ 203 BGB) oder Treuwidrigkeit des unverzüglich zur Auskehr verpflichteten Insolvenzverwalters (§ 242 BGB) begründen.
324b
Die Verjährungsfrist beläuft sich gem. § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB aber auf dreißig Jahre. Der Normzweck dieser Bestimmung – Sicherstellung der Verwirklichung des Stammrechts – erfordert die Erstreckung auf den an die Stelle des dinglichen Herausgabeanspruchs getretenen Wertersatzanspruch. Ansonsten würde ein zu großer Wertungswiderspruch zwischen der drei- und der dreißigjährigen Verjährungsfrist bestehen.747
743 AG Köln v. 27.12.2010 – 142 C 338/10, ZInsO 2011, 1260. 744 Zur Kostenpflicht des Absonderungsberechtigten im Zusammenhang mit Erhaltungsmaßnahmen und diesbezügliches Befriedigungsrecht aus dem Sicherungsgut BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 61/11, EWiR 2012, 401 (Derleder) = ZIP 2012, 1224, Jurion RS 2012, 16643. Ebenso hierzu Obermüller, ZInsO 2013, 845, 856. 745 BT-Drucks. 12/2443, 180. 746 Schmidt, ZInsO 2005, 422, 423 f. 747 Schmidt, ZInsO 2005, 422, der sich ausführlich mit der Verjährung von Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter auf Auskehr des Sicherheitenerlöses befasst.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 327 § 10
(1) Immobiliarsicherheiten (a) Feststellungs- und Verwertungskosten Bezüglich der Verwertung von Grundpfandrechten sah der Gesetzgeber bei Einführung der InsO hinsichtlich der Kosten nur ein geringes Reformbedürfnis, da eine kostenmäßige Belastung der Masse in der Regel nicht zu erwarten ist.
325
Die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens sind dem Verwertungserlös nach § 109 ZVG vorweg zu entnehmen.748 Sie sind nach § 10 Abs. 2 ZVG mit dem Hauptanspruch zu befriedigen und gehören damit zu den Kosten der abgesonderten Befriedigung im Insolvenzverfahren, die insgesamt von § 49 InsO erfasst sind.749 Für die Kosten der abgesonderten Befriedigung haftet aber nicht die Insolvenzmasse unmittelbar, sondern nur beschränkt auf den Gegenstand der abgesonderten Befriedigung. Insoweit stellen die Verfahrenskosten einer Zwangsversteigerung, die ein absonderungsberechtigter Gläubiger betrieben hat, auch keine Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 InsO dar. Sie sind weder durch Rechtshandlung des Insolvenzverwalters noch in sonstiger Weise durch die Verwertung der Insolvenzmasse begründet worden.750 Insoweit greift auch keine Zweitschuldnerhaftung des § 29 Nr. 4 GKG. Zwar mag nach dem Wortlaut dieser Bestimmung eine Haftung des Insolvenzverwalters begründbar sein, dies verkennt jedoch, dass hierfür eine Masseverbindlichkeit vorliegen muss, was nicht der Fall ist.751
325a
Im Falle der Zwangsverwaltung werden die Verfahrens- und Verwaltungskosten aus den Nutzungen gem. § 155 Abs. 1 ZVG vorab bestritten.752
325b
Nennenswerte Feststellungskosten fallen bei der Belastung von Grundstücken aufgrund der Grundbuchpublizität für gewöhnlich nicht an.753 Aus diesem Grund sind die §§ 170 f. InsO nicht auf Immobiliarsicherheiten nicht anwendbar und andere Bestimmungen – mit Ausnahme von § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG (s. Rz. 326) – nicht existent. Möglich bleibt allein der Abschluss einer Verwertungsvereinbarung, was regelmäßig nur bei freihändiger Veräußerung gelingt (Vgl. hierzu unten Rz. 338).
325c
Die dingliche Haftung des Grundstücks erstreckt sich per Gesetz über das eigentliche Grundstück hinaus auch auf bestimmte bewegliche Gegenstände, welche in den Haftungsverband des Grundstücks nach § 1120 BGB fallen. Hinsichtlich der Kosten, die die Verwertung dieser mithaftenden Gegenstände mit sich bringt, bedurfte es keiner Regelung in der InsO, denn diese sind ebenfalls nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts (§§ 109, 155 ZVG) dem erzielten Erlös vorab zu entnehmen.754
326
Dem entgegen gestaltet sich die Feststellung der zum Haftungsverband gehörenden Vermögensgegenstände für den Verwalter häufig aufwendig, da diese dem Grundbuch nicht zu entnehmen sind. Die Überprüfung, ob derartige Gegenstände
327
748 Obermüller/Hess, InsO, Rz. 814. 749 Sowohl rechtsdogmatisch als auch praktisch bedeutsam die Einordnung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 ZVG („kein dingliches Vorrecht“) durch den BGH v. 13.9.2013 – V ZR 209/12, BAG v. 17.4.2012 – 1 AZR 119/11, ZIP 2012, 2122 ff. = EWiR 2012, 749 (Klasen) = ArbRB 2012, 368= EWiR 2014, 265 (Kesseler) = MietRB 2013, 327. 750 OLG Zweibrücken v. 26.3.2009 – 3 W 150/08, ZIP 2009, 1239 = EWiR 2009, 483 (Keller); bestätigt durch OLG Hamburg v. 27.11.2012 – 4 W 85/12, ZIP 2013, 789 ff. 751 OLG Hamburg v. 27.11.2012 – 4 W 85/12, ZIP 2013, 789, 790. 752 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 23; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 619. Relevant in diesem Zusammenhang: Ersteheransprüche aus Nebenkostenabrechnungen, vgl. BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 156/06, ZInsO 2007, 1221 m. Anm. Schmidtberger, ZInsO 2008, 83 ff. 753 Zur Richtigkeit dieser Aussage vgl. Ziff. 141 ff. zur Absonderungskraft sonstiger dinglicher Rechte, z.B. Wohngeldforderungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG); s. auch: BGH v. 13.9.2013 – V ZR 209/12, ZIP 2013, 2122 = EWiR 2014, 265 (Kesseler) = MietRB 2013, 327. 754 Marotzke, ZZP 1996, 429, 459; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 621.
Drees/Schmidt | 869
§ 10 Rz. 327 | Beratung des gesicherten Gläubigers – als Zubehör, – Erzeugnisse oder – sonstige Bestandteile des Grundstücks anzusehen sind und im konkreten Fall von der Grundstücksbeschlagnahme auch tatsächlich erfasst werden, verlangt aufwendige Feststellungen des Verwalters sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht.755 Um auch hier eine den Mobiliarsicherheiten entsprechende Kostenbeteiligung der immobiliargesicherten Gläubiger sicherzustellen, sieht § 10 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 2 ZVG vor, dass im Falle der Zwangsversteigerung eines Grundstücks der Insolvenzmasse die Kosten zu erstatten sind, die durch die Feststellung des mithaftenden Grundstückszubehörs entstehen. Zur Pragmatisierung der Beitragsberechnung legte das Gesetz eine Kostenpauschale i.H.v. 4 % des Verkehrswertes der beweglichen Sachen fest (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 2 ZVG).756 Dies gilt wohlgemerkt nur für das Zwangsversteigerungsverfahren und führt nicht zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO auf Zubehör belasteter Grundstücke.757 Daher fällt im Zwangsverwaltungsverfahren sowie bei der freihändigen Veräußerung diese Massekostenbeteiligung für mithaftende Gegenstände nicht an. 328
Die vom ZVG anerkannten Kostenforderungen erhalten den Rang nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG und gehen daher ihrem Zweck entsprechend den Grundpfandrechten vor.758 Dies bedeutet zum einen, dass die Kosten nicht anteilig auf alle gesicherten Gläubiger umzulegen, sondern wirtschaftlich von den nachrangig Gesicherten zu tragen sind.759 Zum anderen führt dies aber auch dazu, dass der Insolvenzverwalter aufgrund der Kostenforderung die Versteigerung nunmehr im Range vor den absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsgläubigern betreiben kann.
329
Nach § 174a ZVG hat der Insolvenzverwalter zusätzlich ein Antragsrecht bezüglich des sog. „Doppelausgebots“. Das bedeutet, der Verwalter kann nach dieser Vorschrift verlangen, dass bei der Feststellung des geringsten Gebots nur diejenigen Rechte Berücksichtigung finden, die den Kostenerstattungsansprüchen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG vorgehen. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dem Verwalter die Verwertung auch hochbelasteter Grundstücke zu ermöglichen. Für die absonderungsberechtigten Gläubiger bedeutet das aber zugleich, dass sie allein auf den bei der Versteigerung erzielten Erlös angewiesen sind, denn der Bieter erwirbt das Grundstück gemäß der §§ 52 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 1 ZVG frei von allen in § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 10 ZVG genannten Rechten, insbesondere also frei von Grundpfandrechten.760
330
Hinweis: Zur Sicherung ihrer dinglichen Rechte haben die absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsinhaber allerdings die Möglichkeit, den die Versteigerung betreibenden Insolvenzverwalter durch Befriedigung der Kostenerstattungsansprüche aus § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG analog § 268 BGB abzulösen.761 Dadurch kann der ablösende Gläubiger den Verlust seines dinglichen Rechts verhindern. In diesem Fall rückt der ablösende Gläubiger in die Rechtsstellung des bisherigen Gläubigers (Insolvenzverwalter) ein und die Erstattungsansprüche gehen entsprechend § 268 Abs. 3 BGB zusammen mit den Sicherheiten auf den ablösenden Gläu-
755 RefE, 2. Teil, S. 62; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 165 Rz. 18. 756 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 20; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521, 522 f. 757 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 25. a.A. Henckel in Jaeger, InsO, 2004, vor § 49 Rz. 48, der stets von der Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO ausgeht. 758 Breutigam/Kahlert in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 49 Rz. 18; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 20. 759 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 20; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.380. 760 Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 629. 761 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 22.
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III. Absonderungsfragen | Rz. 332 § 10 biger über (§§ 412, 401 BGB).762 Dies bietet ihm zudem die Möglichkeit, durch eine Versteigerung aus dem ihm nun zustehenden Rang des § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG die gesamten zur Ablösung aufgewandten Kosten im Wege des Rückgriffs auf die anderen Grundpfandgläubiger wieder zurückzuerlangen.763
(b) Umsatzsteuer und Einkommensteuer Beim Grundstücksumsatz handelt es sich um einen einzeln steuerbaren Umsatz des Insolvenzschuldners an den Erwerber des Grundstücks. Als solcher unterliegt er der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG) und ist damit grundsätzlich umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 9a UStG).764
331
Ein umsatzsteuerrechtlich relevanter Liefervorgang kann sich aber dann ergeben, wenn der Insolvenzverwalter für eine Umsatzsteuer nach § 9 UStG optiert765 oder aber im Falle der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9a UStG766 aus der etwa erforderlichen Vorsteuerrückforderung nach § 15a Abs. 1 und 4 UStG.767 Ein Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit (§ 9 Abs. 1 UStG) ist im Zwangsversteigerungsverfahren aber nur bis zur Aufforderung zur Gebotsabgabe möglich (§ 9 Abs. 3 UStG).768
331a
Eine mögliche Steuerforderung entsteht im zuletzt genannten Fall nicht als sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.769 Kraft § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 UStG ist der Erwerber Umsatzsteuerschuldner; die Masse wird konsequenterweise nicht mehr mit der Umsatzsteuerschuld belastet.770
331b
Gibt der Insolvenzverwalter das Grundstück aus der Insolvenzmasse frei und veräußert der Schuldner das Grundstück, wird die Insolvenzmasse aufgrund des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 UStG auch nicht mit der Umsatzsteuer belastet. In Altfällen, d.h. Grundstücksveräußerungen vor dem 1.1.2004 dürfte die Belastung der Insolvenzmasse mit der Umsatzsteuer nach Veräußerung durch den Schuldner anders zu beurteilen sein. So jedenfalls die Rechtsprechung des BFH.771
331c
Erfolgt im Rahmen einer insolvenzbedingten Zwangsversteigerung eines Grundstücks zugleich die Versteigerung von Grundstückszubehör nach den §§ 90 Abs. 2, 55 Abs. 2, 20 Abs. 2 ZVG, 1120 BGB, greift der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 9a UStG für diese Zubehörsstücke nicht ein.772 Vielmehr geht die auf das Zubehör entfallende Umsatzsteuer zu Lasten der Masse.773 Sie ist dem Erlös auch nicht vorab zu entnehmen und an das Finanzamt abzuführen, da § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStDV den Leistungsempfänger nur zur Einbehaltung und Abführung der Steuer hinsichtlich der „Lieferung von
332
762 763 764 765 766 767 768 769 770 771 772 773
MünchKomm/InsO/Kern, § 165 Rz. 169; a.A. Hintzen in FS Kirchhoff, 2004, 219 ff. Lwowski/Tetzlaff, WM 1999, 2336, 2343. Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 47; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 165 Rz. 52. Vgl. Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 47; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 49; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 9 Anm. 1 ff. Waza in Handzik/Hundt-Eßwein/Schuhmann, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 1 ff. Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 47; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.382 f.; zur Frage des Meistgebots als Netto- bzw. Bruttobetrag BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 93/02, BGHZ 154, 327 ff. = UR 2003, 295 = ZIP 2003, 1109. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 38. Str., s. hierzu eingehend Welzel, Die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit, S. 123 ff.; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 818; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 710. Eckert, ZInsO 2004, 702, 706. BFH v. 16.8.2001 – V R 59/99, ZInsO 2002, 222; kritisch Lwowski in MünchKomm/InsO/Tetzlaff, § 165 Rz. 194 ff.; Onusseit, ZIP 2002, 1344 = EWiR 2002, 301 (Büteröwe) = UR 2002, 170. Waza in Handzik/Hundt-Eßwein/Schuhmann, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 4. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 42; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.386.
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§ 10 Rz. 332 | Beratung des gesicherten Gläubigers Grundstücken“ verpflichtet, von der das Zubehör jedoch steuerrechtlich getrennt zu sehen ist.774 Es liegt vielmehr eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor.775 333
333a
Fraglich ist, ob der Insolvenzverwalter mit Rücksicht auf diese Belastung der Masse mit einer Masseverbindlichkeit die Umsatzsteuer vom Erlös des Absonderungsberechtigten abziehen kann.776 Die h.M. versagt einen solchen Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse gegen die Grundpfandrechtsinhaber. Die Regelungen der §§ 170, 171 InsO seien schlechterdings nicht anwendbar, da sie ausdrücklich nur auf Mobiliarsicherungsrechte, zu deren Verwertung der Verwalter nach § 166 InsO berechtigt ist, beschränkt sind.777 Unterstützt werde diese Annahme durch das Fehlen einer Regelung in den Vorschriften des ZVG. Der diskutierte Vorschlag, eine Umsatzsteuerabführungspflicht für alle gesicherten Gläubiger unabhängig von der Art der Sicherheit zu begründen, wurde von dem Rechtsausschuss des Bundestages abgelehnt.778 Eine im Vordringen befindliche Ansicht differenziert779: – Hat der Insolvenzverwalter die Zwangsversteigerung beantragt? – Hat er also sein Verwertungsrecht nach § 165 InsO ausgeübt? In diesem Fall könne die Umsatzsteuer dem Rechtsgedanken des § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO entsprechend dem Gläubiger belastet werden. Erfolge die Zwangsversteigerung auf den Antrag des Absonderungsberechtigten hin, falle der Umsatzsteueranteil in den auszukehrenden Erlös.780
333b
Auch wenn nicht „Umsatzsteuern“ streitgegenständlich waren, ist die Darstellung des Urteils des BFH v. 16.5.2013 und damit die Ausweitung der vorstehenden Randziffern auf Einkommensteuern unerlässlich.781 Der BFH hatte sich mit einer Einkommensteuerschuld zu befassen und qualifizierte diese für den Fall der Verwertung eines wertübersteigend belasteten Grundstücks als Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 InsO. Dass diese den Erlös für die freie Masse überstieg, war für den BFH ohne Belang. Nach der Ansicht des erkennenden IV. Senats des BFH handele es sich bei der festgesetzten Einkommensteuerschuld um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Veräußerung des Grundstücks auf einer Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters beruhe und damit der Besteuerungstatbestand durch eine Handlung nach Verfahrenseröffnung vollständig verwirklicht sei. An der zur Konkursordnung ergangenen – gegenteiligen – Rechtsprechung hält das Gericht ausdrücklich nicht mehr fest. Durch diese Rechtsprechung werden Insolvenzverwalter faktisch zur Freigabe gezwungen, wenn durch die Veräußerung die Aufdeckung stiller Reserven und damit einer Einkommensteuerschuld droht.
333c
In die gleiche Richtung zielt ein Urteil des FG Münster.782 Nach diesem ist die auf Vermietungseinkünfte entfallende Einkommensteuer auch dann gegenüber dem Insolvenzverwalter als Massever-
774 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 36; Hess, InsO, § 165 Rz. 78. 775 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 36; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 820; Flöther in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, § 165 Rz. 52. 776 Zu diesem Streitstand vgl. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 42, der jedoch eine Mindermeinung (Fn. 8) vertritt, wenn auch mit einer überzeugenden Differenzierung. 777 Tetzlaff, ZInsO 2004, 521, 522 f.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.386; Obermüller/ Hess, InsO, Rz. 820; a.A. Marotzke, ZZP 1996, 429, 466, der eine analoge Anwendung aus den Gründen einer planwidrigen Gesetzeslücke befürwortet; differenzierend auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10. 778 BT-Drucks. 12/7302, 178. 779 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 42. 780 Dazu ausführlich Mitlehner, ZIP 2012, 649, 655. 781 BFH v. 16.5.2013 – IV ZR 23711, ZInsO 2013, 1536 ff. 782 FG Münster v. 29.11.2013 – 4 K 3607/10 E (nicht rechtskräftig), ZIP 2014, 589 f. = EWiR 2014, 189 (de Weerth).
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III. Absonderungsfragen | Rz. 337 § 10
bindlichkeit festzusetzen, wenn die vermieteten Grundstücke zugleich unter Zwangsverwaltung stehen. Bei der Begründung stützt sich das FG maßgeblich auf die zuvor dargestellte Rechtsprechung des BFH und argumentiert mithin in erster Linie mit der Verwirklichung des gesetzlichen Besteuerungstatbestandes nach Verfahrenseröffnung.783 (c) Sicherungsübereignung der Zubehörsgegenstände Probleme ergeben sich hinsichtlich der abzuführenden Kostenbeiträge dann, wenn sich die Sicherungsnehmer, entsprechend einer weit verbreiteten Praxis aufgrund der häufig zu beklagenden Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Zubehör und selbständigen Sachen, solche Gegenstände rein vorsorglich noch zur Sicherheit übereignen lassen, sog. Doppelsicherung.784 Durch diese Vorsorgemaßnahme entsteht die Frage nach der Höhe der Massebeteiligung: 4 % gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG bei der Verwertung als Grundstückszubehör oder 9 % zzgl. 19 % Umsatzsteuer bei der Verwertung als selbständigen sicherungsübereigneten Gegenstand.785
334
Sind die sicherungsübereigneten Gegenstände eindeutig als Grundstückszubehör zu charakterisieren, so ist darauf abzustellen, dass im Rahmen der Zwangsversteigerung der Erwerber mit Zuschlagserteilung Eigentum an den sicherungsübereigneten Gegenständen erwirbt, mithin der Insolvenzschuldner mit Zuschlagserteilung an den Erwerber liefert.786 Die §§ 166 ff. InsO greifen in diesem Fall nicht ein, da sie keine Anwendung auf bewegliche Sachen und Forderungen finden, die zum Haftungsverband eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks gehören. Damit fällt für diese Zubehörstücke nur die 4 %ige Kostenpauschale hinsichtlich der Feststellungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG an.787
335
Ein Doppelumsatz liegt hinsichtlich der sicherungsübereigneten Gegenstände nicht vor, weil das Grundstückszubehör in der Zwangsversteigerung ausschließlich aufgrund des Grundpfandrechts verwertet wird und nicht aufgrund der zusätzlich geschlossenen Sicherungsübereignungsvereinbarung.788 Mithin sind in diesem Fall die ebenfalls sicherungsübereigneten Gegenstände umsatzsteuerlich wie Grundstückszubehör zu behandeln. Zwar entsteht die Umsatzsteuerschuld in der Masse als sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO,789 selbige hat aber gegenüber dem Sicherungsnehmer keinen Anspruch auf Erstattung der anfallenden Umsatzsteuer.790
336
Verwertet der Insolvenzverwalter das sicherungsübereignete Zubehör hingegen unabhängig von dem Grundstück oder überlässt er die Verwertung gar dem Sicherungsnehmer, so gelten die oben für die Verwertung von beweglichem Sicherungsgut dargestellten Grundsätze (Rz. 270 ff., 331 ff.) und der Verwalter bzw. der Sicherungsnehmer ist zur Abführung der Kostenbeiträge sowie der vereinnahmten Umsatzsteuer vor Erlösauskehr verpflichtet.791 Es bleibt dann steuerrechtlich ohne Bedeutung, dass das Zubehör auch der Immobiliarhaftung unterlag.792
337
783 FG Münster v. 29.11.2013 – 4 K 3607/10 E (nicht rechtskräftig), ZIP 2014, 589 = EWiR 2014, 189 (de Weerth), 590. 784 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 42 m.w.N. 785 Obermüller/Hess, InsO, Rz. 817; Wenzel, NZI 1999, 101, 104. 786 BFH v. 16.4.1997 – XI R 87/96, BB 1997, 1674 = UR 1997, 339. 787 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 20. 788 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 35. 789 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 36; de Weerth, BB 1999, 821, 826. 790 Tetzlaff, ZInsO 2004, 521, 523; vgl. differenzierend Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 36. 791 Obermüller/Hess, InsO, Rz. 821; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521, 522 f. 792 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.388; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 822.
Drees/Schmidt | 873
§ 10 Rz. 338 | Beratung des gesicherten Gläubigers (d) Freihändige Grundstücksveräußerung 338
Neben der zwangsweisen Verwertung massezugehörigen Grundbesitzes durch Anordnung der Zwangsverwaltung bzw. Zwangsversteigerung bleibt die Möglichkeit einer freihändigen Veräußerung durch den Insolvenzverwalter. Die in § 165 InsO vorgesehene Verwertung von mit Absonderungsrechten belasteten Grundstücken ist damit nicht zwingend. Dies ergibt sich aus § 159 InsO, wonach eine Verwertung durch freihändigen Verkauf einer vorherigen Zustimmung des Gläubigerausschusses bedarf (§ 160 InsO).793 Dies gilt auch für den – seit dem 1.7.2014 nicht mehr existenten – Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren. Dessen Verfügungsbefugnis zur rechtsgeschäftlichen Veräußerung einer Immobilie wurde durch § 313 Abs. 3 Satz 1 InsO nicht beschränkt.794
338a
Diese Möglichkeit ist die konsequente Fortsetzung der auch außerhalb der Insolvenz denkbaren Vereinbarung zwischen Grundpfandgläubiger und Grundstückseigentümer, wonach letzterer im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages gem. § 675 BGB beauftragt wird, das Grundstück im eigenen Namen für die Rechnung des Grundpfandgläubigers zu veräußern. Der Grundstückseigentümer ist dann verpflichtet, dem Grundpfandgläubiger den Veräußerungserlös abzgl. des vereinbarten Entgelts herauszugeben.
338b
Für Grundpfandgläubiger hat diese Möglichkeit den großen Vorteil einer zeitnahen und kostengünstigeren Verwertung.
338c
Insolvenzverwalter nehmen jedoch den mit einer freihändigen Veräußerung verbundenen Aufwand sowie Risiken795 üblicherweise nur auf sich, wenn sich hierdurch ein freier Betrag für die Insolvenzmasse realisieren lässt. Da das Gesetz einen Kostenbeitrag nicht vorsieht, sind Insolvenzverwalter auf die vertragliche Vereinbarung einer solchen Massebeteiligung angewiesen.
338d
Die Höhe einer zu vereinbarenden Massebeteiligung dürfte von mehreren Faktoren wie dem Kaufpreisvolumen, der allgemeinen Marktsituation und nicht zuletzt vom Verhandlungsgeschick der Beteiligten abhängen. Die Vereinbarung eines Kostenbeitrages in Höhe der §§ 170, 171 InsO (9 %) dürfte Insolvenzverwaltern nur selten gelingen. Realistischer erscheinen Beträge in einer Größenordnung von 3–8 %, je nach Fallgestaltung, insbesondere in Abhängigkeit vom der Verwaltung und Verwertung, aber auch des Verhandlungsgeschicks der Beteiligten.
338e
Die Tatsache, dass das Gesetz für die freihändige Verwertung von Grundbesitz durch den Insolvenzverwalter keine Massebeteiligung vorsieht, hat auch umsatzsteuerliche Konsequenzen. Denn – nicht anders als der Schuldner außerhalb des Insolvenzverfahrens (Rz. 338a) – könnte der Insolvenzverwalter nicht nur dem Grundstückserwerber, sondern auch dem Grundpfandgläubiger gegenüber eine steuerbare Leistung erbringen, mit der Konsequenz, dass die vereinbarte Massebeteiligung gem. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG der Umsatzsteuer unterliegt. So die mittlerweile herrschende Rechtsprechung,796 Literatur797 und das Bundesministerium der Finanzen in Umsetzung der erwähnten Rechtsprechung im BMF-Schreiben v. 30.4.2014.798 Das Gleiche wird für den Fall der kalten Zwangsverwaltung angenommen; auch hiernach sollen die der Insolvenzmasse verbleibenden Beiträge der Umsatzsteuer un-
793 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 = EWiR 2005, 841 (Spliedt/Schacht) = UR 2006, 221 = UStB 2006, 4, 2120; Weis/Ristelhuber, ZInsO 2002, 859; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 4. 794 OLG Hamm v. 4.11.2011 – 15 W 698/10, ZInsO 2011, 2279. 795 Vgl. hierzu das Urteil des BFH v. 16.5.2013 – IV ZR 23711, ZInsO 2013, 1536 ff. 796 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923 ff. = UR 2011, 855 = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UStB 2011, 342. 797 d’Avoine, ZIP 2012, 58 ff.; Johann, DStZ 2012, 127 ff. 798 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/07/10037 (2014/0332437) zum BFH-Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09. Vgl. ZIP 2014, 995 ff. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UR 2011, 855 = UStB 2011, 342.
874 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 340 § 10
terliegen.799 Dies ist keineswegs zwingend und auch in der Literatur mit überzeugenden Argumenten kritisiert worden.800 Anders verhält es sich (unstreitig) dann, wenn der erzielte Erlös die Forderung des Grundpfandgläubigers übersteigen. Dann fehlt es an einer unentgeltlichen Leistung und abhängig hiervon an einer Umsatzsteuerbarkeit i.S.v. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG.801 Exkurs: Leistungen sind grundsätzlich nur dann umsatzsteuerbar, wenn sie gegen Entgelt bewirkt werden und wenn zwischen Leistung und Gegenleistung eine innere Verknüpfung besteht. Der Leistende muss seine Leistung erkennbar um der Gegenleistung willen erbringen, wobei zwischen Leistendem und Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehen muss.802 Dies sieht der BFH bei der für die freihändige Grundstücksveräußerung vereinbarten Massebeteiligung als gegeben an.803 Den zwischen Insolvenzverwalter und Grundpfandgläubiger geschlossenen Vertrag qualifiziert die erwähnte Rechtsprechung als Geschäftsbesorgung i.S.d. § 675 BGB.804 Diese Rechtsprechung ist fragwürdig. Denn die Massebeteiligung lässt nicht auf den Willen der Parteien schließen, sich im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages zu binden, sondern stellt vielmehr eine bloße Erlösverteilung dar. Mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BFH bleibt indes wenig Spielraum für hiervon abweichende steuerliche Gestaltungen.
338f
(2) Mobiliarpfandrechte Bei den Pfandrechten an beweglichen Sachen, die den unmittelbaren Besitz des Pfandgläubigers voraussetzen, sowie den Pfandrechten an Forderungen und sonstigen Rechten findet die Verwertung des Sicherungsguts nicht durch den Verwalter, sondern durch den Absonderungsberechtigten selber statt (§§ 166 i.V.m. 173 InsO). Feststellungskosten und Verwertungskosten entstehen der Insolvenzmasse schon naturgemäß nicht oder zumindest in erheblich reduzierter Form, wenn sich der Sicherungsgegenstand im Besitz des Sicherungsnehmers befindet und die Verwertung durch selbigen erfolgt.805 Die InsO sieht daher von einer Kostenbelastung der Inhaber von Besitz- und Forderungspfandrechten ab.806
339
Ebenso entfällt die Verpflichtung, einen Umsatzsteuerbetrag an die Masse abzuführen, denn das Gesetz sieht für die Verwertung durch den Gläubiger nach § 173 Abs. 1 InsO keinen Vorwegabzug hinsichtlich der Umsatzsteuer vor. Da die mit Besitzpfandrechten belasteten Gegenstände zu der Insolvenzmasse i.S.v. § 35 InsO gehören, bedeutet deren Verwertung im Wege eines umsatzsteuerbaren Tatbestandes die Begründung von umsatzsteuerlichen Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.807 Hinsichtlich dieser Steuerschuld hat der Gesetzgeber weder einen Vorwegabzug aus dem Verwertungserlös noch eine sonstige Erstattungsverpflichtung des Absonderungsberechtigten vorgesehen.
340
799 BFH v. 28.7.2011 – V ZR 28/09, ZIP 2012, 58 ff.; BFH v. 28.7.2011 – V ZR 28/09, BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923 ff. = UR 2011, 855 = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UStB 2011, 342. 800 Statt vieler: Bork, ZIP 2013, 2129 ff. 801 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 165 Rz. 39. 802 EuGH v. 3.3.1994 – C-16/93, ECLI:EU:C:1994:80, BB 1994, 1132 = UR 1994, 226 = UR 1994, 399. 803 BFH v. 18.8.2005 – 1 K 2949/92, BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 = EWiR 2005, 841 (Spliedt/Schacht) = UR 2006, 221 = UStB 2006, 4. 804 Grundlegend BFH v. 18.8.2005 – 1 K 2949/92, ZIP 2005, 2119 = UR 2006, 221 = UStB 2006, 4 m. krit. Anm. Beck, ZInsO 2006, 244 ff. Vgl. hierzu in derselben Rechtssache BFH v. 10.2.2005 – V R 31/04, DZWiR 2005, 247 m.w.N. Lesenswert auch die Entscheidung der Vorinstanz: FG Brandenburg v. 16.3.2004 – 1K 2949/02, ZIP 2004, 2249 m. Anm. Beck, FG Bdb. v. 16.3.2004 – 1 K 2949/02, EWiR 2004, 931; vgl. weiter BFH v. 17.2.2005, BFH v. 18.1.2005 – V R 17/02, BFH/NV 2005, 1394 m.w.N. 805 BT-Drucks. 12/2443, 180. 806 Vgl. auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 170 Rz. 1; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 122; Breutigam in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 170 Rz. 5 ff. 807 Welzel, ZIP 1998, 1823, 1825; vgl. auch Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 28.
Drees/Schmidt | 875
§ 10 Rz. 340 | Beratung des gesicherten Gläubigers Der Tatbestand fällt weder unter § 51 Abs. 1 Satz 2 UStDV noch unter die Regelungen der §§ 170, 171 InsO.808 Eine analoge Anwendung der Regelungen, die der Masse den Gegenwert des Umsatzsteuerbetrags zuschreiben, scheidet angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts und der klaren Gesetzessystematik809 aus.810 Der Sicherungsnehmer kann daher entsprechend dem bisherigen Recht den gesamten Veräußerungserlös einschließlich des darin enthaltenen Umsatzsteueranteils beanspruchen, da die meisten Sicherungsabreden insoweit eine unbeschränkte Vereinnahmung des Erlöses durch den Sicherungsnehmer vorsehen.811 (3) Besitzlose Mobiliarsicherheiten 341
Im Rahmen der besitzlosen Mobiliarsicherheiten, zu denen die – Sicherungsübereignung (Rz. 169 ff., 270 ff.), – Sicherungszession (Rz. 175 f., 270 ff., 309 ff.), – die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts sowie – die besitzlosen Pfandrechte zählen, erfolgt die Verwertung der absonderungsbelasteten Gegenstände entsprechend dem gesetzlichen Regelfall des § 166 InsO durch den Insolvenzverwalter. Gerade die hierunter fallenden Sicherungsformen der Sicherungsübereignung und Sicherungszession sowie die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts verursachen wegen ihrer fehlenden Erkennbarkeit und den häufig auftretenden Kollisionsfällen bei ihrer Abwicklung erhebliche Bearbeitungskosten.812 (a) An Sachen
342
Der jeweils von dem absonderungsberechtigten Gläubiger zu erbringende Kostenbeitrag ist unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Berechnungsweisen für jede Kostenart zu ermitteln. Grundsatz der Kostenberechnung ist, dass dem Gläubiger nur die tatsächlich entstandenen Kosten auferlegt werden sollen.813 Aus Gründen der Praktikabilität wurden aber dennoch sowohl für die Feststellungsals auch die Verwertungskosten gesetzliche Pauschalsätze eingeführt. (aa) Feststellungskosten
343
Die Feststellungskosten i.S.d. § 171 Abs. 1 InsO umfassen die Kosten – der tatsächlichen Ermittlung und – Trennung des belasteten Gegenstandes sowie – der Überprüfung der Rechtsverhältnisse
808 Welzel, ZIP 1998, 1823, 1825; vgl. auch Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 28. 809 Die §§ 166–171 InsO regeln die Rechtsfolgen des Regelinsolvenzverfahrens, in dem regelmäßig dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht zusteht; der Ausnahmefall ist in § 173 InsO geregelt, der die Rechtsfolgen der Verwertung eines nicht im Besitz des Verwalters befindlichen Sicherungsgegenstandes bestimmt. 810 de Weerth, BB 1999, 821, 825. 811 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 173 Rz. 12. 812 BT-Drucks. 12/2443, 180. 813 BT-Drucks. 12/2443, 181.
876 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 344 § 10
an diesem.814 Im Wesentlichen geht es hier um Zeit und Arbeitskraft des Insolvenzverwalters, so dass die Kosten regelmäßig in der Form von Vergütungszuschlägen, die aufgrund der zusätzlichen Arbeitsbelastung an den Verwalter zu zahlen sind, anfallen. Da die Festsetzung dieser Zuschläge zusammen mit der sonstigen Vergütung des Verwalters aber erst am Ende des Insolvenzverfahrens erfolgt, steht ihre Höhe im Zeitpunkt der von § 170 Abs. 1 InsO verlangten unverzüglichen Erlösauskehr noch nicht fest. Ein Abzug konkret ermittelter Feststellungskosten stößt daher auf praktische Schwierigkeiten, was den Gesetzgeber zu dem Ausweg eines pauschalierten Kostenansatzes genötigt hat.815 Auf den konkreten Feststellungsaufwand im Einzelfall kommt es mithin nicht an, so dass – im Gegensatz zur Verwertungspauschale – die Feststellungspauschale auch nicht durch eine konkrete Kostenberechnung in Frage gestellt werden kann.816 Möglich ist insoweit allerdings eine anderweitige rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem absonderungsberechtigten Gläubiger.817 Für das Bestehen einer solchen abweichenden Regelung ist der Insolvenzverwalter darlegungs- und beweisbelastet.818
343a
Bei der Bemessung der Kostenpauschale in § 171 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber die Höhe der gewöhnlich von der Gerichtspraxis in Ansatz gebrachten Zuschläge zu der Verwaltervergütung für die Befassung mit Aus- und Absonderungsrechten zugrunde gelegt und ist auf diese Weise zu der Pauschale von 4 % des Bruttoverwertungserlöses gelangt. Dass der Brutto- und nicht der Nettoerlös Bezugsgröße ist, dürfte als unstrittig gelten,819 auch wenn bisweilen mit wenig überzeugenden Argumenten versucht wird, dies in Frage zu stellen.820 Diesen Stimmen können mit einer älteren Entscheidung des LG Wuppertal821 und einer jüngeren Entscheidung des OLG Nürnberg822 Nachweise in der Rechtsprechung entgegengehalten werden. Diese Kostenpauschale ist dem Verwertungserlös durch den Verwalter vor dessen Auskehrung an den Gläubiger nach § 170 Abs. 1 InsO zu entnehmen.
343b
Da grundsätzlich jeder Sicherungsgegenstand vor der Verwertung festgestellt werden muss, hat der absonderungsberechtigte Gläubiger die Feststellungskosten auch dann an die Masse zu leisten, wenn der Insolvenzverwalter ihm ausnahmsweise einen Gegenstand, zu dessen Verwertung der Verwalter nach § 166 Abs. 1 InsO berechtigt gewesen wäre, zur Verwertung überlassen hat oder der Gläubiger von seinem Eintrittsrecht nach § 168 Abs. 3 InsO Gebrauch macht und die Sache übernimmt (§ 170 Abs. 2 InsO).823
343c
Praktische Hinweise für den Berater zur Feststellungskostenpauschale: – Im Grundsatz gilt: Steht dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht zu (§ 166 InsO), ist er zugleich zwingend zur Geltendmachung der 4 %igen Feststellungskostenpauschale nach § 171 Abs. 1 InsO berechtigt. – Der Einwand, dass der Insolvenzverwalter die Verwertungshandlung bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren hätte vornehmen können (z.B. Zustimmung zur Einziehung des Versicherungsanspruchs) ist unbeachtlich und steht der Feststellungskostenpauschale nicht entgegen. Zum einen ist eine solche Pflicht
344
814 BT-Drucks. 12/2443, 181; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 4. 815 BT-Drucks. 12/2443, 181. 816 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 = EWiR 2002, 921 (Gundlach/Frenzel) = VersR 2002, 1292 = ZIP 2002, 1630, 1800; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 5. Vgl. hierzu weiter Kirchhof, ZInsO 2003, 149, 155. 817 AG Köln v. 27.12.2010 – 142 C 338/10, ZInsO 2011, 1260 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 6. 818 AG Köln v. 27.12.2010 – 142 C 338/10, ZInsO 2011, 1260 ff. 819 Nach der Gesetzesbegr. ist der Bruttoerlös maßgebend, BT-Drucks. 12/2443, 181, BT-Drucks. 12/7302, 177; vgl. weiter Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 3. 820 de Weerth, ZInsO 2007, 70 ff. Dem begegnet mit überzeugender Argumentation Onusseit, ZInsO 2007, 247 ff. 821 LG Wuppertal v. 11.4.2012 – 3 O 444-11, BeckRS 2012, 10654. 822 OLG Nürnberg v. 11.12.2013 – 12 U1530/12, ZInsO 2014, 206. 823 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 8.
Drees/Schmidt | 877
§ 10 Rz. 344 | Beratung des gesicherten Gläubigers nicht erkennbar und zum anderen steht dem vorläufigen Insolvenzverwalter – ob stark oder schwach – gerade kein Verwertungsrecht zu.824 – Hat der gesicherte Gläubiger allerdings die Sache bereits vor Verfahrenseröffnung zwecks Verwertung in Besitz genommen, so ist der Kostentatbestand des § 170 Abs. 1 InsO mangels Verwertungsrechts des Verwalters i.S.d. § 166 Abs. 1 InsO nicht ausgelöst. Insolvenzverwalter sind gleichwohl bemüht, die Zahlung der Feststellungskostenpauschale zu verlangen, da sie diese durch treuwidriges Verhalten des Absonderungsberechtigten als vereitelt ansehen. Hierzu ausführlich unten Rz. 349.
(bb) Verwertungskosten 345
Neben den Feststellungskosten entstehen regelmäßig Verwertungskosten. Diese setzen sich im Wesentlichen aus den Kosten der Vorbereitung und Durchführung der Verwertung zusammen und sind in der Praxis durch eine erhebliche Streubreite gekennzeichnet. Trotzdem wurde aus Praktikabilitätsgründen auch hinsichtlich der Verwertungskosten eine Kostenpauschale festgesetzt, die allerdings aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten als widerlegbare Vermutungsregel ausgestaltet wurde. Nach § 171 Abs. 2 Satz 1 beträgt die Regelpauschale 5 % bezogen auf den Bruttoverwertungserlös,825 soweit die tatsächlich entstandenen Kosten nicht erheblich niedriger oder erheblich höher liegen.
346
Der Pauschalsatz von 5 % geht zurück auf Mitteilungen von Kreditinstituten, die diesen Wert als Durchschnittswert der tatsächlich entstehenden Verwertungskosten angaben. Da die Verwertungskosten jedoch im Einzelfall, z.B. bei Spezialmaschinen, ein Mehrfaches oder aber auch bei marktgängigen Sachen nur einen Bruchteil des Pauschalsatzes betragen können, sieht Abs. 2 Satz 2 als Ausfluss des Kostenverursachungsprinzips die Möglichkeit vor, die Kostenvermutungsregel zu widerlegen. Um unergiebige Streitigkeiten zu umgehen, was gerade Sinn und Zweck der Einführung eines Pauschalsatzes war, kann die Vermutung nur durch den Nachweis einer „erheblichen“ Abweichung ausgeräumt werden. Für „erheblich“ i.S.d. § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO wird man eine Abweichung jedenfalls dann ansehen, wenn die tatsächlich entstandenen und erforderlichen Verwertungskosten die Hälfte oder das Doppelte des festgesetzten Vomhundertsatzes betragen. Bislang konnte dies im Wesentlichen nur mit den Gesetzesmotiven und der Literatur belegt werden.826 Mit dem AG Göttingen827 hat sich nunmehr ein Gericht entsprechend positioniert und für eine beachtliche erhebliche Abweichung im Sinne der Vermutung des § 171 Abs. 2 Satz InsO ein Über-/Unterschreiten der tatsächlichen und erforderlichen Verwertungskosten um 50 % gefordert. Vergleichbare (Vor-)Überlegungen hatte bereits das LG Wuppertal angestellt.828 Es besteht indes nicht die Möglichkeit einer Kombination („Mischkalkulation“), d.h., entweder werden die Verwertungskosten der Kostenpauschale entsprechend festgesetzt oder aber anhand der tatsächlich entstandenen Kosten berechnet. So jedenfalls die Grundsatzentscheidung des BGH vom 22.2.2007.829
346a
Führt der Insolvenzverwalter bzw. der absonderungsberechtigte Gläubiger830 mithin den Nachweis einer erheblichen Abweichung von der gesetzlichen Pauschale aufgrund einer Überschreitung von 100 % bzw. einer Unterschreitung um 50 %,831 sind die tatsächlich entstandenen Kosten in Ansatz zu bringen.
824 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, EWiR 2001, 281 (Keller) = ZIP 2001, 296 = ZInsO 2001, 165. 825 Nach der Gesetzesbegr. ist der Bruttoerlös maßgebend, BT-Drucks. 12/2443, 181, BT-Drucks. 12/7302, 177; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 3; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 6, § 171 Rz. 4, 6 ff. 826 BT-Drucks. 12/2443, 181; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 4. 827 AG Göttingen v. 10.12.2013 – 21 C 55/13, ZIP 2014, 838 f. 828 LG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZIP 2006, 772 f. 829 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 112/06, ZIP 2007, 686 = ZInsO 2007, 374 f. 830 So ausdrücklich AG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386, 387 f. 831 Über einen solchen Fall hatten zu entscheiden: OLG Jena v. 3.2.2004 – 5 U 709/02, ZInsO 2004, 509; LG Meiningen v. 9.7.2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199.
878 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 346f § 10
Geht es um den Nachweis dafür, dass die tatsächlichen Verwertungskosten erheblich niedriger waren als die nach § 171 InsO berechnete Pauschale, so darf trotz der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des absonderungsberechtigten Gläubigers nicht verkannt werden, dass zunächst der Insolvenzverwalter über den bei ihm entstandenen Aufwand Rechnung zu legen bzw. die zum Nachweis erforderlichen Unterlagen vorzulegen hat.832 Ihn trifft daher eine von der Rechtsprechung anerkannte sekundäre Darlegungslast, auf Grund derer er der darlegungs- und beweispflichtigen Partei eine prozessordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben über die zu seinem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen hat.833
346b
Wenn die tatsächlichen Verwertungskosten die Verwertungskostenpauschale erheblich unterschreiten, neigen Gerichte dazu, die angemessene Höhe der Verwertungskosten mangels anderer Grundlagen nach § 287 ZPO zu schätzen.834 Ob die Gerichte hierbei berücksichtigen, dass ein Verwalter einen umfangreichen Verwaltungsapparat mit hochqualifizierten Mitarbeitern vorhalten muss, darf bezweifelt werden.
346c
Besonders häufig wurden Verwertungskosten unterhalb der Pauschale behauptet, wenn es um die Verwertung von Lebensversicherungen durch Einziehung des Rückkaufswertes ging. Soweit ersichtlich entschied erstmals das AG Bonn einen solchen Fall, in dem der Insolvenzverwalter seinen mit der Einziehung verbundenen Aufwand einschließlich seines Verwertungsapparates hinreichend substantiiert darlegen musste, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Verwertungskosten auf weniger als 1 % geschätzt wurden.835
346d
Vergleichbar die Entscheidungen des AG Leipzig836 sowie des AG Wiesbaden.837 In dem vom AG Wiesbaden zu entscheidenden Sachverhalt bestand die Verwertung seitens des Insolvenzverwalters darin, eine sicherungsabgetretene Forderung einzuziehen, was durch ein einfaches Schreiben gelang. Das Gericht hat – wie auch das AG Bonn – den Ersatz der tatsächlichen Kosten und nicht die Pauschale für zutreffend erklärt und diese nach § 287 ZPO auf 100 € geschätzt. Ganz anders verhält sich dazu die lesenswerte Entscheidung des AG Wuppertal,838 dessen Überlegungen vom AG Göttingen839 in einer ebenso lesenswerten Entscheidung aufgegriffen werden. Gleichwohl muss die Tendenz in der Rechtsprechung zur Kenntnis genommen werden, dass bei Verwertungsmaßnahmen, die durch ein – was immer genau hierunter zu verstehen ist – „einfaches Schreiben“ umsetzbar sind, die Insolvenzpraxis die tatsächlichen Kosten für maßgeblich erachtet und sich bei der Ermittlung dieser einer Schätzung (§ 287 ZPO) behilft.
346e
Von praktischer Bedeutung sind weiterhin die nachstehenden Überlegungen bzw. Fallgestaltungen:
346f
– Insolvenzverwalter beauftragen zur Verwertung regelmäßig sog. Verwerter. Die durch die Einschaltung solcher Dritten angefallenen Kosten sind unstreitig Verwertungskosten i.S.d. § 171 Abs. 2 InsO. Wird deren Entlohnung vom Insolvenzverwalter vorab vom (Brutto-)Verwertungserlös abgezogen, so widerspricht das der Rechtsprechung des BGH, wonach solche Kosten Teil der tatsächlich
832 LG Meiningen v. 9.7.2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199. 833 OLG Nürnberg v. 4.3.2005 – 4 U 3471/04, ZInsO 2005, 380 ff. 834 So z.B. AG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386, 387 f. oder auch LG Meiningen v. 9.7.2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199; bei falscher Schätzung: AG Leipzig v. 6.2.2014 – 110 C 6188/ 13, ZInsO, 2014, 850, 851; AG Wiesbaden v. 11.10.2013 – 93 C 6552/12, ZInsO 2014, 910. 835 AG Bonn v. 11.10.2000 – 16 C 322/00, NZI 2001, 50 f. 836 AG Leipzig v. 6.2.2014 – 110 C 6188/13, ZInsO 2014, 850 f. 837 AG Wiesbaden v. 11.10.2013 – 93 C 6552/12, ZInsO 2014, 910 f. 838 AG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386, 387 f. 839 AG Göttingen v. 10.12.2013 – 21 C 55/13, ZIP 2014, 838 f.
Drees/Schmidt | 879
§ 10 Rz. 346f | Beratung des gesicherten Gläubigers angefallenen Verwertungskosten i.S.d. § 171 Abs. 2 InsO sind.840 Denn schaltet der Insolvenzverwalter zur Verwertung einen Dritten ein, so ist Verwertungserlös i.S.v. § 170 InsO der diesem Dritten tatsächlich zugeflossene Betrag und nicht der – mit Rücksicht auf die Kosten des Dritten – weitergeleitete geringere Betrag.841 – Mitunter versuchen Insolvenzverwalter im Rahmen des Nachweises des mit einer Verwertung verbundenen Aufwands Tätigkeiten im Rahmen der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit zu berücksichtigen. Auch diese Argumentation rechtfertigt nicht den Ansatz höherer – tatsächlich – entstandener Kosten, da diese keine Verwertungskosten i.S.d. § 171 InsO darstellen.842 – Keine Verwertungskostenpauschale soll – jedenfalls nach Ansicht des IX. Zivilsenats des BGH – dem Insolvenzverwalter für solche Kraftfahrzeuge zustehen, die er als Insolvenzverwalter eines insolventen Kraftfahrzeughändlers gegen Gutschrift des Kaufpreises an den Hersteller zurückgibt. Dies sei keine Verwertung i.S.d. § 171 Abs. 2 InsO, da kein mit der Veräußerung an einen Dritten typischerweise verbundener Aufwand entstehe.843 347
Hat der Insolvenzverwalter entgegen § 166 Abs. 1 InsO dem Absonderungsberechtigten die Verwertung des Sicherungsgegenstandes überlassen, so hat der verwertende Gläubiger keine Verwertungskosten an die Masse zu erbringen, da diese i.d.R. bei ihm selbst anfallen.844
348
Hat der gesicherte Gläubiger hingegen den Sicherungsgegenstand im Wege des Selbsteintritts nach § 168 Abs. 3 InsO übernommen, so hat er die Verwertungskosten uneingeschränkt und unabhängig von einer möglichen späteren eigenen Verwertung des Gutes nach § 170 Abs. 1 InsO zu tragen, da eine Verwertung des Verwalters vorliegt, nachdem dieser die Verwertung bereits vorbereitet und die Veräußerungsabsicht dem gesicherten Gläubiger mitgeteilt hat.845 Diese Rechtsfolge beruht auf der systematischen Stellung des § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO im Gefüge der Vorschriften über die Verwertung. Danach gehört die Übernahme durch den absonderungsberechtigten Gläubiger zu den Verwertungsmöglichkeiten, die das Gesetz für den Verwalter vorsieht. Hierdurch stellt das Gesetz klar, dass diese Verwertungsmöglichkeit streng von der in § 170 Abs. 2 InsO vorgesehenen zu unterscheiden ist.846 Soweit die Anwendbarkeit des § 170 Abs. 1 InsO auf den Fall des Selbsteintritts mangels ausdrücklicher Regelung abgelehnt wird,847 ist dies nach der ausdrücklichen Entscheidung des BGH v. 3.11.2005 – nicht mehr haltbar.848 Insolvenzverwalter sind daher nicht mehr darauf angewiesen, aus Gründen der Rechtssicherheit einen Kostenbeitrag vertraglich zu vereinbaren.
348a
Absonderungsberechtigten Gläubigern ist es durch diese Rechtsprechung jedoch nicht genommen, abweichend vom Anspruch auf eine Kostenbeteiligung in der gesetzlichen Höhe mit dem Insolvenzverwalter eine Absenkung der prozentualen Beteiligung zu vereinbaren. 840 BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 65/04, ZIP 2005, 1974; OLG Nürnberg v. 11.12.2013 – 12 U 1530/12, ZIP 2014, 280, 282 = ZWH 2014, 159 m. Anm. Hoos, ZInsO 2014, 206 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 3. 841 OLG Nürnberg v. 11.12.2013 – 12 U 1530/12, ZIP 2014, 280 = ZWH 2014, 159 m. Anm. Hoos, ZInsO 2014, 206 f. 842 OLG Jena v. 3.2.2004 – 5 U 709/03, ZIP 2004, 2107 ff. 843 BGH v. 27.3.2008 – IX ZR 220/05, EWiR 2008, 439 (Mitlehner) = ZIP 2008, 842; vgl. Ganter, ZInsO 2007, 841, 845. 844 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 8; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 10 ff.; Landfermann in HK/InsO, § 170 Rz. 17. 845 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZInsO 2005, 1270 ff. m. Anm. Foerste, NZI 2006, 275 und Ringstmeier, BGHReport 2006, 128 f. = ZIP 2005, 2214 im Anschluss an die herrschende Literatur: Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, §§ 170, 171 Rz. 7; Undritz/Fiebig in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 168 Rz. 26. 846 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214 = ZInsO 2005, 1270. 847 Vgl. Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644. 848 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214 = ZInsO 2005, 1270 f.
880 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 349c § 10
Fraglich ist, ob ein absonderungsberechtigter Gläubiger, der das Sicherungsgut vom Insolvenzverwalter übernommen und sodann weiterveräußert hat, sich einen hierbei erzielten Mehrerlös nach Abzug der beschriebenen Kosten auf die Insolvenzforderung anrechnen lassen muss. Diese Frage beantwortet sich aus dem Vergleich mit einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter, bei der ein Mehrerlös erzielt wird: Verwertet ein Insolvenzverwalter, indem er das Sicherungsgut selbst an einen Dritten veräußert, erhält der absonderungsberechtigte Gläubiger den erzielten Erlös abzgl. der daraus für die Masse zu entnehmenden Kosten (§ 170 Abs. 1 Satz 1 InsO) und damit auch einen Mehrerlös.
348b
Da das Gesetz – wie dargelegt – die Verwertung durch die Übernahme seitens des Gläubigers derjenigen durch Veräußerung an einen Dritten gleichstellt, ist es nur konsequent, in diesem Fall
348c
– den Gläubiger lediglich in Höhe des mit dem Verwalter vereinbarten Übernahmepreises – abzgl. der Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale – als befriedigt anzusehen und ihn wegen des verbleibenden Restes seiner Forderung als Insolvenzgläubiger gem. § 52 InsO zu behandeln. Kurzum: Ein durch die Weiterveräußerung erzielter Mehrerlös muss nicht auf die Insolvenzforderung angerechnet werden.849 Diese Wertung entspricht dem Willen des Gesetzgebers, benachteiligt die Masse nicht unangemessen und verschafft dem absonderungsberechtigten Gläubiger keinen ungerechtfertigten Vorteil, da dieser auch das Risiko trägt, auf diesem Weg einen Verlust zu erzielen.
348d
In besonderer Weise zu befassen hatte sich die Rechtsprechung mit der Verwertung von Absonderungsgut durch den Sicherungsgläubiger vor Verfahrenseröffnung, insbesondere während des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Diese Fälle zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass Insolvenzverwalter versucht haben, entsprechend vorgehende Absonderungsgläubiger wegen der vereitelten Feststellungsund Verwertungskostenpauschalen in Anspruch zu nehmen. Der Einfachheit halber soll diese Problematik hier auch schon für Absonderungsrechte an Forderungen (hierzu Rz. 368 ff.) dargestellt werden.
349
Die in diesem Zusammenhang typischen Sachverhalte sehen etwa folgendermaßen aus: Die spätere Insolvenzschuldnerin verkauft Gegenstände, die sie zuvor unter verlängertem Eigentumsvorbehalt bezogen hat. Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist, legt die Vorbehaltslieferantin die Abtretung offen und fordert die Kunden der Schuldnerin auf, an sie zu zahlen. Nach Vereinnahmung der Zahlung durch die Vorbehaltslieferantin macht der Insolvenzverwalter die Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale geltend.850
349a
Sachverhalt und sich hieraus ergebende Fragestellung sind nahezu identisch, wenn ein Gläubiger aufgrund eines Sicherungsübereignungsvertrages berechtigt ist, das Sicherungsgut herauszuverlangen, hiervon Gebrauch macht und den Gegenstand noch vor Verfahrenseröffnung verwertet. Auch hier beansprucht der Insolvenzverwalter – nach Anfechtung der Inbesitznahme – die gesetzlichen Kostenbeiträge, die er bei eigener Verwertung nach Eröffnung hätte erzielen können.851
349b
Rechtliche Grundlage der behaupteten Ansprüche ist jeweils ein aus der Insolvenzanfechtung herrührender Schadensersatzanspruch gem. § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292
349c
849 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214 = ZInsO 2005, 1270 f. 850 Auf der Grundlage von BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 = EWiR 2004, 123 (Gundlach/Schmidt). 851 Dieser Sachverhalt beruht auf BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40, 41 f. = DZWiR 2005, 123 ff.
Drees/Schmidt | 881
§ 10 Rz. 349c | Beratung des gesicherten Gläubigers Abs. 1, 989 Abs. 1 BGB. Ebenso wurde versucht, diesen Anspruch aus dem Bereicherungsrecht gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB herzuleiten. 349d
Gegen entsprechende Verwertungsmaßnahmen in der vorläufigen Insolvenzverwaltung können Verwalter grundsätzlich nichts einwenden. Steht einem Gläubiger – etwa aufgrund einer Abtretung – ein Absonderungsrecht an den Forderungen zu und ist er nach Offenlegung der Abtretung berechtigt, die Forderungen von der Drittschuldnerin einzuziehen, so ändern weder der Insolvenzantrag noch die Anordnung einer vorläufigen Verwaltung hieran etwas. Ob im Falle einer gerichtlichen Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Verwertung von Gegenständen, die mit Absonderungsrechten belastet sind, etwas anderes gilt, ist noch ungeklärt.852
349e
Grundsätzlich entsteht erst durch die Verfahrenseröffnung eine entgegenstehende Berechtigung des endgültigen Verwalters aus § 166 InsO.853 Eine Verwertung durch den Gläubiger nach Verfahrenseröffnung ist mithin objektiv rechtswidrig. Die Rechtsfolgen einer solchen eigenmächtigen – § 166 InsO zuwiderlaufenden – Verwertung sind nicht geregelt, jedoch inzwischen von der Rechtsprechung geklärt: – Da der Insolvenzverwalter auch hier die notwendigen Feststellungen zu den tatsächlichen Umständen sowie zu Wirksamkeit und Umfang der behaupteten Sicherungsrechte machen musste, steht der Masse der Anspruch auf die Feststellungskostenpauschale zu.854 – Dagegen ist der Masse kein Verwertungskostenaufwand zu erstatten. Es ist in diesem Fall konsequent, dem Verwalter § 170 Abs. 2 InsO entsprechend keine Pauschale zuzuerkennen.855 – Diese Rechtsprechung sollte den Sicherungsgläubiger aber nicht veranlassen, das Sicherungsgut nach Verfahrenseröffnung eigenmächtig in Besitz zu nehmen, da er sich damit einer möglichen Schadensersatzpflicht gegenüber dem Insolvenzverwalter aussetzt, wenn dieser das Sicherungsgut für die Betriebsfortführung benötigt und diese durch die eigenmächtige Wegnahme unmöglich wird oder wenn eine Verwertung durch den Insolvenzverwalter (u.U. im Rahmen eines asset deals) einen höheren Erlös erbracht hätte.
349f
Vor der Verfahrenseröffnung gelten diese Rechtsfolgen indes nicht. Ohne Verwertungsrecht des Verwalters fehlt es an einer objektiv rechtswidrigen Verwertungshandlung. Gleichwohl argumentieren Verwalter in diese Richtung, da durch die beschriebene Vorgehensweise (Rz. 349, 349a) die bei Eröffnung zu erzielenden Feststellungs- und ggf. auch Verwertungskostenpauschalen vereitelt werden. Wie die nachstehenden Ausführungen zeigen, sind solche Argumentationen wenig erfolgversprechend. Dies gilt sowohl für die Feststellungs- als auch die Verwertungskostenpauschale:
349g
Zunächst zur Feststellungskostenpauschale. Die – soweit ersichtlich – erste grundlegende Entscheidung des BGH ist diejenige vom 20.11.2003.856 Da der absonderungsberechtigte Gläubiger die Feststellungskostenpauschale abgeführt hatte, waren nur die Verwertungskosten (Rz. 349c) streitgegen-
852 Offen lassend BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 f. Vgl. hierzu weiter BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632, 634 f. m. Anm. Schumacher, EWiR 2003, 425 f. 853 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, ZIP 2002, 1630 f. m. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2002, 921 f. = VersR 2002, 1292; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42. 854 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 = EWiR 2003, 425 (Schumacher), 633 f.; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42, 43 f. Zu der in diesem Punkt vergleichbaren Rechtslage unter Geltung der KO vgl. LAG Hamm v. 29.4.1986 – 10 (9) Sa 1099/84, ZIP 1986, 1262 ff. = EWiR 1986, 959 (Brehm)= EWiR 2004, 123 (Gundlach/Schmidt). 855 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 = EWiR 2004, 123 (Gundlach/Schmidt), 43 f. im Anschluss an die herrschende Literatur. Statt vieler: Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 3. 856 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 in Bestätigung der Vorinstanz, OLG Frankfurt v. 17.10.2002, OLG Frankfurt v. 17.10.2002 – 15 U 7/02, ZIP 2002, 2140 m. zust. Anm. Gerhardt, EWiR 2003, 27, 28.
882 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 349j § 10
ständlich. Gleichwohl ist diese Entscheidung auch für die Kosten der Feststellung von Belang, da der Senat in einer späteren Entscheidung vom 7.10.2004 klarstellt, dass die in diesem ersten Urteil angestellten Überlegungen für Verwertungs- und Feststellungskosten gleichermaßen gelten. Maßgeblich für das Entstehen sei allein der Zeitpunkt der Verwertung (vor Verfahrenseröffnung). Bestehe zu diesem kein entgegenstehendes Verwertungsrecht, könne die Anfechtbarkeit nicht mit den entgangenen Kostenbeiträgen begründet werden. Art der Pauschale und auch Gegenstand des Absonderungsrechts seien ohne Belang.857 Es gelten damit die nachstehenden Grundsätze (Rz. 349h). Die in der Literatur geforderte Differenzierung zwischen den einzelnen Pauschalen858 dürfte kaum vertretbar sein, auch wenn diesen Stimmen zuzugeben ist, dass der Verwalter auch in den Fällen zur rechtlichen Prüfung und Feststellung von Drittrechten verpflichtet bleibt. Auch – oder besser: gerade – eine Verwertung in der vorläufigen Insolvenz verlangt eine Überprüfung der Insolvenzfestigkeit. Daher vermag die Entscheidung des BGH nicht recht zu überzeugen. Eine Rechtsprechungsänderung ist jedoch – trotz der Entscheidung des BGH859 in einem anderen Bereich (s. unten Rz. 363) – nicht zu erwarten. Bei der Verwertungskostenpauschale verhält es sich dementsprechend nicht viel anders. Inzwischen zahlreich ergangene höchstrichterliche Entscheidungen verneinen eine Anfechtbarkeit und hiermit einhergehenden Ersatz der Verwertungskostenpauschale860: In der erwähnten Entscheidung vom 20.11.2003861 wurde dies – soweit ersichtlich – erstmals für den Fall einer bereits offen gelegten Abtretung entschieden. Bemüht wurden in erster Linie Inhalt und Zweck der §§ 166 ff. InsO. Denn soweit die Masse mit keinen Verwertungskosten belastet sei, könne aus diesen Bestimmungen auch keine Verwertungskostenpauschale hergeleitet werden.862 Überdies fehle die Gläubigerbenachteiligung, da bis zur Insolvenzeröffnung auch insolvenzrechtlich eine Einziehungsberechtigung bestehe.863 Erst mit Verfahrenseröffnung stehe dieser eigenmächtigen Verwertung ein kollidierendes Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters entgegen (s. oben Rz. 270). Diese Rechtsprechung gilt unabhängig vom Gegenstand der Absonderung und damit auch für den skizzierten Fall der Verwertung eines zur Sicherheit übereigneten Fahrzeugs (Rz. 349).
349h
Der von Insolvenzverwaltern ebenfalls bemühte bereicherungsrechtliche Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB scheitert ebenso, weil in Fortsetzung der Argumentation, zwar auf Seiten des Gläubigers „etwas in sonstiger Weise“ erlangt wird, es sich hierbei aber um keinen der Insolvenzmasse gebührenden Wert handelt. Mithin ist der Eingriff nicht „auf Kosten“ der Schuldnerin. Dies gilt sowohl für den Verwertungserlös als auch die zum Verwertungszeitpunkt noch nicht entstandenen Kostenpauschalen.
349i
Damit sind absonderungsberechtigte Gläubiger weder unter bereicherungs- (§ 812 Abs. 1 BGB) noch unter insolvenzanfechtungsrechtlichen (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 Abs. 1 BGB) Gesichtspunkten zur Erstattung der Kostenbeiträge verpflichtet. Dies gilt wohlgemerkt unabhängig von Art der Pauschale und Gegenstand des Absonderungsrechts.
349j
857 BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40 ff. = DZWiR 2005, 124 ff. m. Anm. Smid, DZWiR 2005, 89, 94. 858 Gundlach/Schmidt, BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, EWiR 2004, 123 = ZIP 2004, 42, 124. 859 Vorinstanz OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – 16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. 860 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 m. eingeschränkt zust. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, 123 f.; BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 89/03, BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318, 319; BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, UR 2007, 583 = ZInsO 2007, 605 ff. m. Anm. Ries, ZInsO 2007, 650 ff. in Bestätigung des OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – 16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. 861 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 = EWiR 2004, 123 (Gundlach/Schmidt). 862 Gerhardt, OLG Frankfurt v. 17.10.2002 – 15 U 7/02, EWiR 2003, 27 = ZIP 2002, 2140, 28. 863 BGH v. 22.7.2004 – IX ZR 270/03, ZIP 2004, 1912 ff. = NJW-RR 2005, 125, 126 f. m. Anm. Gerhardt, EWiR 2005, 27, 28; BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370 f. m. Anm. Beutler/Vogel, EWiR 2004, 241; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42, 44.
Drees/Schmidt | 883
§ 10 Rz. 350 | Beratung des gesicherten Gläubigers (cc) Umsatzsteuer 350
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH864 sowie des BFH865 stellt sich die Verwertung von Sicherungsgut im eröffneten Verfahren als umsatzsteuerpflichtiger Vorgang nach § 3 Abs. 1 UStG dar. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Verwertung beweglichen Sicherungsguts orientiert sich grundsätzlich an dem konkreten Verfahrensablauf, d.h. daran, ob die Verwertung durch – den Insolvenzverwalter (Rz. 351) oder – den Sicherungsnehmer selbst (Rz. 352) erfolgt.
351
Bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter gehen Rechtsprechung,866 Finanzverwaltung867 und Literatur868 davon aus, dass eine umsatzsteuerpflichtige Lieferung zwischen dem Verwalter und dem Erwerber vorliegt.
351a
Beschäftigt hat die Gerichte die Frage, ob bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter dieser zugleich auch eine Leistung an den Sicherungsgeber erbringt. Da sich der zu versteuernde Umsatz nach dem Entgelt bemisst (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG), müsste der Insolvenzverwalter dem Sicherungsgeber gegenüber eine Leistung gegen Entgelt erbringen.869 Ein solches könnte in den gesetzlichen Kostenbeiträgen erblickt werden. So die kurze Feststellung in der Vorauflage für die Verwertung von Mobiliarsicherheiten. Für die freihändige Veräußerung von Grundbesitz wurde bereits in der Vorauflage die damalige Rechtsprechung des BFH870 dargestellt. Nach Maßgabe dieser unterliegen die im Rahmen von Verwertungsvereinbarungen getroffenen Massekostenbeiträge als Entgelt für steuerbare und steuerpflichtige Leistungen der Umsatzsteuer. Der Steuerschuldner – vertreten durch den Insolvenzverwalter – hat im Rahmen entgeltlicher Geschäftsbesorgung gehandelt.871 Diese schon damals maßgebliche Aussage wurde vom BFH in seiner Entscheidung vom 28.7.2011 bekräftigt872: „Veräußert ein Insolvenzverwalter ein mit einem Grundpfandrecht belastetes Grundstück freihändig aufgrund einer mit dem Grundpfandgläubiger getroffenen Vereinbarung, liegt neben der Lieferung des Grundstücks durch die Masse an den Erwerber auch eine steuerpflichtige entgeltliche Geschäftsbesorgungsleistung der Masse an den Grundpfandgläubiger vor, wenn der Insolvenzverwalter vom Verwertungserlös einen „Massekostenbeitrag“ zugunsten der Masse einbehalten darf. Vergleichbares gilt für die freihändige Verwaltung grund-
864 BGH v. 22.3.1972 – VIII ZR 119/70, BGHZ 58, 292, 294 f.; BGH v. 12.5.1980 – VIII ZR 167/79, BGHZ 77, 139 = UR 1981, 6 = ZIP 1980, 520. 865 BFH v. 6.6.1991 – V R 70/89, ZIP 1991, 1293 = EWiR 1991, 1017 (Weiß) = UR 1991, 315 m. Anm. Weiss. 866 BFH v. 20.7.1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 4.6.1987 – V R 57/79, BB 1987, 2010; BGH v. 12.5.1980 – VIII ZR 167/79, BGHZ 77, 139 = UR 1981, 6 = ZIP 1980, 520= EWiR 1987, 915 (Weiß) = UR 1987, 288 m. Anm. Weiss = ZIP 1987, 1134. 867 Abschn. 2 Abs. 4 Satz 1 UStR. 868 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 19; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 685. 869 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. = EWiR 2005, 841 (Spliedt/Schacht) = UR 2006, 221 = UStB 2006, 4. 870 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119; Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 30 m. z. w.N.; Fölsing, ZInsO 2011, 2261; Mitlehner, ZIP 2012, 649 = EWiR 2005, 841 (Spliedt/Schacht) = UR 2006, 221 = UStB 2006, 4, 657; Herget/Kreuzberg, NZI 2013, 118 ff. 871 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 30; d’Avoine, ZIP 2012, 58, 59. 872 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923; a.A. Mitlehner, ZIP 2012, 649, 657; dazu: das BMFSchreiben v. 30.4.2014, ZIP 2014, 995 = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UR 2011, 855 = UStB 2011, 342
884 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 351c § 10
pfandrechtsbelasteter Grundstücke durch den Insolvenzverwalter. (Leitsatz 1). Für Immobiliarsicherheiten kann mithin die Bestätigung der damaligen Entscheidung des BFH v. 18.8.2005 festgehalten werden. Nicht absehbar und neu ist die Ausweitung dieser Rechtsprechung auf Mobiliarsicherheiten, bei deren Verwertung nunmehr zweimal Umsatzsteuer anfällt: – bei Lieferung des Insolvenzverwalters an den Käufer (gem. § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO) und – bei der sonstigen Leistung des Insolvenzverwalters an den zur Absonderung berechtigten Gläubiger. Für Letzteres fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. In Gegenüberstellung zur freihändigen Grundstücksveräußerung überrascht die Annahme einer sonstigen Leistung des Insolvenzverwalters im Fall der Mobiliarverwertung, da in dieser Hinsicht aufgrund des gesetzlichen Verwertungsrechts (§ 166 InsO) keine Verwertungsvereinbarung – in der man eine entgeltliche Geschäftsbesorgung hätte erkennen können – erforderlich war.873 In Anbetracht der Eindeutigkeit der Aussage des BFH muss die beschriebene zweite Leistung des Insolvenzverwalters an den Absonderungsberechtigten hingenommen und die Umsatzsteuer für die Verwertungskosten ausgewiesen und abgeführt werden. Mittlerweile ist die Rechtsprechung des BFH v. 28.7.2011 Gegenstand des BMF-Schreibens v. 30.4.2014874 („BMF zu umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen bei der Verwertung von Sicherungsgut im Insolvenzverfahren“). In diesem wird – in Fortsetzung des betreffenden Urteils – die Kommissionärsstellung des Insolvenzverwalters für den Sicherungsgläubiger und damit die Leistungserbringung in diesem Verhältnis klargestellt. Die Feststellungskosten selbst sind nicht umsatzsteuerbar, da ihr keine Leistungen des Insolvenzverwalters i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zugrunde liegen.875 Gemäß seiner Anwendungsregelungen sind die Grundsätze dieses BMF-Schreibens in allen offenen Fällen anzuwenden. Für vor dem 1.7.2014 ausgeführte Umsätze kann bei Konsens der Beteiligten die Sicherheitenabrechnung nach dem nunmehr überholten Abschnitt 1.2 Abs. 1b UStAE vorgenommen und der Dreifachumsatz unberücksichtigt gelassen werden.876 Steuerrechtlicher Exkurs – Begriff des Entgelts Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzgl. der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Eine Leistung gegen Entgelt liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbracht Dienstleistung bildet.877
351b
Gemessen an dieser Definition wurde bislang angenommen, dass der Insolvenzverwalter durch Verwertung gem. § 166 InsO keine Leistung an den Sicherungsgeber erbringt. Dies entsprach der Rechtsprechung des BFH vom 18.8.2005.878 Nach Maßgabe dieser verwertet der Insolvenzverwalter aufgrund seiner gesetzlichen Verwertungsbefugnis und entnimmt dem Verwertungserlös die Kostenbeiträge aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 170 InsO. Er handelt damit weder im Auftrag des ab-
351c
873 d’Avoine, ZIP 2012, 58, 60. 874 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/07/10037 (2014/0332437) zum BFH-Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09. Vgl. ZIP 2014, 995 ff. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UR 2011, 855 = UStB 2011, 342. 875 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 30. 876 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/07/10037 (2014/0332437), ZIP 2014, 995, 996. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. 877 Ständige Rechtsprechung des BFH. Vgl. statt vieler: BFH v. 18.3.2004 – V R 101/01, BFHE 205, 342 = UR 2004, 428. 878 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. Zuvor bereits BFH v. 10.2.2005 – V R 31/04, DZWiR 2005, 247 m. Anm. Heublein, EWiR 2005, 513 = UR 2006, 221 = UStB 2006, 4.
Drees/Schmidt | 885
§ 10 Rz. 351c | Beratung des gesicherten Gläubigers sonderungsberechtigten Gläubigers noch erhält er von diesem seine Kosten ersetzt.879 Diese Rechtsprechung hat der BFH mit der erwähnten Entscheidung v. 28.7.2011880 nicht aufrechterhalten und die Leistung des Insolvenzverwalters als steuerbar qualifiziert, soweit sie die Verwertung betrifft. Mit der beschriebenen Konsequenz, dass der gesetzliche Verwertungskostenbeitrag i.H.v. 5 % (§ 171 Abs. 2 Satz 1 InsO) der Umsatzsteuer unterliegt. 351d
Die Situation unterscheidet sich damit nicht mehr von einer freihändigen Grundstücksveräußerung, bei der der Insolvenzverwalter – mangels gesetzlicher Regelung – eine Kostenbeteiligung nur vertraglich vereinbaren kann (hierzu oben Rz. 338).881 Insgesamt gilt: Kosten der Verwertung im Zusammenhang mit der Verwertung von Immobilien im Wege der freihändigen Veräußerung oder auch („kalten“) Zwangsverwaltung sowie Kosten der Verwertung von Mobiliar liegen umsatzsteuerpflichtige Leistungen des Insolvenzverwalters im Verhältnis zum Absonderungsberechtigten zugrunde.
352
Die Verwertung des Sicherungsguts durch den Sicherungsnehmer (§ 170 Abs. 2 InsO) hingegen begründete schon immer zwei steuerpflichtige Vorgänge im Sinne des Umsatzsteuerrechts (sog. „Doppelumsatz“). Da nach ständiger Rechtsprechung des BFH882 der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer die Sache noch nicht bereits mit der Sicherungsübereignung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne liefert, sondern erst wenn er diesem bei Herausgabe des Sicherungsguts die Verfügungsmacht zur Verwertung verschafft, liegen in der Verwertung durch den Sicherungsnehmer zwei selbständige steuerbare Vorgänge im Sinne des Umsatzsteuergesetzes883 vor, nämlich – sowohl zwischen Schuldner und Sicherungsnehmer (die Überlassung des Sicherungsguts an diesen zum Zwecke der Verwertung) als auch – zwischen Sicherungsnehmer und Erwerber (Verwertungshandlung in Form der Veräußerung des Sicherungsguts durch den absonderungsberechtigten Gläubiger). Dies gilt auch dann, wenn der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut dadurch verwertet, dass es der Sicherungsgeber im Auftrag und für Rechnung des Sicherungsnehmers veräußert.884 Der einzige Unterschied besteht darin, dass in diesem Fall die Insolvenzmasse mit der Umsatzsteuer belastet wird, diese aber vom Absonderungsberechtigten zu erstatten ist.885
353
Sowohl bei der Verwertung durch den Insolvenzverwalter (§ 166 InsO) als auch bei der Verwertung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 170 Abs. 1 InsO) wird die Masse mit der Umsatzsteuerschuld als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) belastet.
879 BFH v. 10.2.2005 – V R 31/04, DZWiR 2005, 247 m. Anm. Heublein, EWiR 2005, 513. Anders noch die Vorinstanz: FG Brandenburg v. 16.3.2004 – 1 K 2949/02, ZIP 2004, 2249 m. Anm. Beck, EWiR 2004, 931. 880 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923 ff. = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UR 2011, 855 = UStB 2011, 342. 881 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. m. Anm. Spliedt, EWiR 2005, 841 = UR 2006, 221 = UStB 2006, 4. 882 BFH v. 16.4.1997 – XI R 87/96, BB 1997, 1674; BFH v. 20.7.1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684 = UR 1997, 339; BFH v. 4.6.1987 – V R 57/79, ZIP 1987, 1134 = EWiR 1987, 915 (Weiß) = UR 1987, 288 m. Anm. Weiss; BFH v. 12.5.1993 – XI R 49/90, ZIP 1993, 1247 = EWiR 1993, 795 (Braun) = UR 1994, 347 m. Anm. Weiss; vgl. weiter Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 171 Rz. 15 m.w.N. 883 BFH v. 20.7.1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 17.7.1980 – V R 124/75, ZIP 1980, 791 = UR 1980, 225 m. Anm. Weiss; BFH v. 4.6.1987 – V R 57/79, ZIP 1987, 1134; Markert in Offerhaus/Söhn/ Lange, Umsatzsteuer, § 3 Rz. 47; de Weerth, BB 1999, 821 = EWiR 1987, 915 (Weiß) = UR 1987, 288 m. Anm. Weiss; BT-Drucks. 12/2443, 181; a.A. Knobbe-Keuk, Einhundert Jahre KO 1877–1977, S. 219, 241 ff. 884 BFH v. 23.7.2009 – V R 27/07, ZIP 2009, 2285 = EWiR 2010, 225 (Mitlehner) = UR 2010, 22 = UStB 2009, 347, 2287. 885 MünchKomm/InsO/Kern, § 171 Rz. 56.
886 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 356 § 10
Verwertet der Insolvenzverwalter, so hat er nach dem Abzug der Kostenbeiträge dem Erlös auch die Umsatzsteuer zu entnehmen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO) und den Nettoerlös auszukehren. Dem Verwalter steht mithin eine Vorwegabzugsberechtigung in Höhe der in der Masse entstehenden Steuerlast zu.886 Der einbehaltene Steueranteil wird Bestandteil der Insolvenzmasse.
353a
Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger, hat dieser die Umsatzsteuer an die Masse abzuführen (§§ 170 Abs. 2, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO).887 D.h., auch in dem Fall einer Verwertung gem. § 170 Abs. 2 InsO muss der bei der Verwertung als sonstige Masseverbindlichkeit entstehende Umsatzsteuerbetrag vorweg aus dem Verwertungserlös an die Masse abgeführt werden.888 Die ebenso vorweg zu begleichenden Kosten der Feststellung nach § 170 Abs. 2 InsO gehören dabei nicht zum Entgelt und begründen keine Umsatzsteuerpflicht.889
353b
Übernimmt der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut im Wege des Selbsteintritts nach § 168 Abs. 3 InsO, führt dies umsatzsteuerrechtlich bislang lediglich zu einem Einzelumsatz zwischen dem Insolvenzschuldner und dem Sicherungsnehmer.890 Dies beruhte darauf, dass der Sicherungsnehmer durch den Selbsteintritt wirtschaftlicher Eigentümer des Sicherungsguts wird und ihn die Chancen und Risiken von Wertveränderungen sowie der Verwertungsveräußerung treffen. Ein „Doppelumsatz“ wurde selbst dann abgelehnt, wenn der Sicherungsnehmer die Sache zur Verwertung veräußert.891 Mit Rücksicht darauf, dass der Selbsteintritt eine Form der Verwertung durch den Insolvenzverwalter ist und konsequenterweise auf diesen ebenfalls die §§ 170, 171 InsO anwendbar sind, wird diese Behandlung nicht aufrechterhalten werden können. Mit dem BFH in seiner Entscheidung v. 28.7.2011 ist ein Doppelumsatz anzunehmen, ohne dass dieser Fall des Selbsteintritts Gegenstand der Entscheidung war. Die Entscheidung ist in ihren grundsätzlichen Aussagen indes eindeutig. Gleichwohl möglich bleibt, dass der Verwertungserlös in Form des vom Sicherungseigentümer zu bezahlenden Kaufpreises um den Umsatzsteueranteil zu kürzen ist.892
354
Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger kraft eigenen Verwertungsrechts gem. § 173 InsO, führt auch dies zu dem beschriebenen Doppelumsatz in entsprechender Anwendung des § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG.893 Der absonderungsberechtigte Gläubiger erteilt dem Insolvenzverwalter eine Gutschrift über den Bruttobetrag und erhält den vollen Erlös.
355
Die bei der Masse anfallende Umsatzsteuerschuld ist Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). In entsprechender Anwendung von § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG, §§ 170, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO ist der Masse
356
886 Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 171 Rz. 9 ff.; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 688. 887 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 171 Rz. 10 f. 888 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 34; Geurts, DB 1999, 818, 819; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 696. 889 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/007/10037 (2014/0332437), ZIP 2014, 995, 996 in Umsetzung des Urteils des BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UR 2011, 855 = UStB 2011, 342. 890 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 33; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 691; de Weerth, BB 1999, 821, 824. 891 de Weerth, BB 1999, 821, 824. Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 33. 892 Landfermann in HK/InsO, § 168 InsO Rz. 14. 893 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/007/10037 (2014/0332437), ZIP 2014, 995, 996 in Fortsetzung des Urteils des BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. = EWiR 2011, 673 (Mitlehner) = StBW 2011, 927 = UR 2011, 855 = UStB 2011, 342.
Drees/Schmidt | 887
§ 10 Rz. 356 | Beratung des gesicherten Gläubigers die Umsatzsteuer zu erstatten. Dies ist abweichend von der Vorauflage894 durch die Entscheidung des BGH gesicherte Rechtspraxis.895 357
Die Freigabe von Sicherungsgut an den Schuldner ist nicht umsatzsteuerbar.896 Die anschließende Verwertung durch den Schuldner belastet die Masse mit der Umsatzsteuer lediglich dann, wenn die Masse in Höhe des Verwertungserlöses von Insolvenzforderungen des Absonderungsberechtigten befreit wird.897 Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO stellt umsatzsteuerrechtlich keine Lieferung dar, so dass es bereits an der Umsatzsteuerbarkeit i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fehlt.
358
Von besonderer praktischer Bedeutung für die Beratung des gesicherten Gläubigers ist die steuerliche Situation bei Verwertungsmaßnahmen in der vorläufigen Insolvenz. Dies gilt zunächst einmal unabhängig von den Änderungen im Zusammenhang mit der Einführung des § 55 Abs. 4 InsO und der Rechtsprechung des BFH v. 9.12.2010. Diese Änderungen sind nur entscheidend für die insolvenzrechtliche Qualität einer Umsatzsteuerforderung: Insolvenz- oder Masseforderung. Eine Aussage über das Vorliegen von umsatzsteuerbaren Leistungen und Lieferungen enthalten weder die Entscheidung noch die Gesetzesänderung. In der Praxis tritt insbesondere folgende Situation auf898: Nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung kommt es zur Kreditkündigung durch die Hausbank, die hierdurch einen Anspruch auf Herausgabe hat. Die Bank verzichtet – um keine Preisabschläge hinnehmen zu müssen – auf ein Auftreten nach außen und überlässt dem vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen der Betriebsfortführung die Nutzung und anschließende Verwertung von zur Sicherheit übereigneter Gegenstände. Der hierbei erzielte Erlös ist dem Sicherungsnehmer auszukehren. Eine solche Vorgehensweise liegt regelmäßig im gemeinsamen Interesse von Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber.
359
Bei Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters sollte nach den USt-Richtlinien und der früheren Auffassung der Finanzverwaltung eine solche Veräußerung zu einem sog. Doppelumsatz führen.899 Dies hat der BFH mit Urteilen vom 6.10.2005900 und vom 30.3.2006901 bereits zum Zeitpunkt der Vorauflage aufgegeben und einen Dreifachumsatz angenommen.
359a
So gelangt er für den Fall, dass – außerhalb eines eröffneten Insolvenzverfahrens (praktisch bedeutsamster Fall: das Eröffnungsverfahren) – nach Kreditkündigung – ein sicherungsübereigneter Gegenstand – vom Sicherungsgeber
894 LG Stuttgart v. 24.2.2004 – 7 O 502/03, ZIP 2004, 1117 m. Anm. Maus, EWiR 2004, 983 und Maus, ZInsO 2005, 82, 83. 895 BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126 ff. = EWiR 2007, 537 (Flitsch) = UR 2007, 583. 896 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 171 Rz. 23; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 23. Zur Freigabe an den Schuldner vgl. BGH v. 1.2.2007 – IX ZR 178/05, ZIP 2007, 1020 = EWiR 2008, 183 (Kexel), 1021 f. Diese Form der Freigabe ist sorgsam zu unterscheiden von der Überlassung eines Absonderungsgegenstandes an einen Absonderungsberechtigten zur Verwertung gem. § 170 Abs. 2 InsO. 897 BFH v. 16.8.2001 – V R 59/99, EWiR 2002, 301 (Büteröwe) = UR 2002, 170 = ZIP 2002, 230 = ZInsO 2002, 222. 898 Vgl. de Weerth, ZInsO 2006, 653. 899 de Weerth, ZInsO 2006, 653. 900 BFH v. 6.10.2005 – V R 20/04, DB 2006, 140 = UR 2006, 119. 901 BFH v. 30.3.2006 – V R 9/03, UR 2006, 395 = UStB 2006, 183 = ZInsO 2006, 651 ff. m. zust. Anm. de Weerth, ZInsO 2006, 653 ff.
888 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 363 § 10
– in Abstimmung mit dem Sicherungsnehmer (Bank) – veräußert wird und – der Sicherungsnehmer (Bank) den Veräußerungserlös erhält bei Lieferung an den Erwerber zeitgleich zu der Annahme eines sog. Dreifachumsatzes, nämlich
359b
– einer Lieferung vom Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer (Bank), – einer Lieferung vom Sicherungsnehmer (Bank) zurück an den Sicherungsgeber und – vom Sicherungsgeber an den Erwerber. Dieser ist folgendermaßen konstruiert: Die Umsatzsteuer schuldet der Sicherungsnehmer aus der ersten Lieferung (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG). Dieser schuldet auch die Umsatzsteuer für die Lieferung von sich an den Sicherungsgeber, ist aber zum Vorsteuerabzug berechtigt und trägt wirtschaftlich die Umsatzsteuer nur einmal. Für die Lieferung an den Erwerber trifft den Sicherungsgeber die Steuerschuld. Da er aber – ordnungsgemäße Gutschrift an den Sicherungsnehmer über die erbrachte Lieferung vorausgesetzt – zum Vorsteuerabzug aufgrund der Lieferung an ihn berechtigt ist, schuldet er wirtschaftlich keine Umsatzsteuer.902
359c
Im Hinblick auf diese Steuerschuld des Absonderungsberechtigten bei Verwertung von Sicherungsgut durch den Schuldner im Rahmen des schwachen vorläufigen Insolvenzverfahrens haben entsprechend gesicherte Gläubiger nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht und (zwischenzeitlich903 auch) gefunden.
360
Diese bestand darin, das Sicherungsgut vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Besitz zu nehmen, aber erst nach Eröffnung zu verwerten, um auf diese Weise eine als Masseverbindlichkeit zu qualifizierende (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) Umsatzsteuerschuld der Insolvenzmasse für die Lieferung des Sicherungsgutes an den Absonderungsberechtigten auszulösen.
361
Für die verwaltete Masse – der die zu verwertende Sache trotz Herausgabe an den absonderungsberechtigten Gläubiger noch angehörte – war dies besonders misslich, da der Verpflichtung zur Entrichtung der Umsatzsteuer (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) weder ein Erstattungsanspruch noch eine sonstige Gegenleistung gegenüberstand.
362
Hiergegen haben sich Insolvenzverwalter erfolgreich gewehrt. Entsprechend vorgehenden Gläubigern gegenüber kann der Insolvenzverwalter nach einer Entscheidung des BGH vom 29.3.2007904 die Erstattung der Umsatzsteuer beanspruchen. Die Regelung des § 170 Abs. 2 Satz 3 InsO sei zwar nicht unmittelbar, aber analog anwendbar.905 Das Gericht begründet ausführlich das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, die mit den Wertungen der InsO und des UStG (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG)
363
902 Lesenswert hierzu die Anm. de Weerth, ZInsO 2006, 653 f. zu BFH v. 30.3.2006 – V R 9/03, UR 2006, 395 = UStB 2006, 183 = ZInsO 2006, 651 ff. 903 OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – 16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. m. Anm. Ries, ZInsO 2006, 162 ff. Aufgehoben durch BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, EWiR 2007, 537 (Flitsch) = UR 2007, 583 = ZIP 2007, 1126 = ZInsO 2007, 605 ff. m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841, 843 f. 904 BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, EWiR 2007, 537 (Flitsch) = UR 2007, 583 = ZIP 2007, 1126 = ZInsO 2007, 605, 607 f. Zur Vorinstanz vgl. OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – 16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 m. Anm. Ries, ZInsO 2006, 154, 162. 905 Diese Frage war lebhaft umstritten. Vgl. statt vieler: Landfermann in HK/InsO, § 171 Rz. 15; Ganter/ Brünink, NZI 2006, 257, 260; de Weerth, ZInsO 2003, 246, 250. Von Seiten der Rechtsprechung gab es hierzu – soweit ersichtlich – lediglich die Entscheidung des LG Stuttgart v. 24.2.2004 – 7 O 502/03, ZIP 2004, 1117 = EWiR 2004, 983 (Maus).
Drees/Schmidt | 889
§ 10 Rz. 363 | Beratung des gesicherten Gläubigers nicht vereinbar sei, da hiernach der Gläubiger die mit der Lieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsnehmer verbundene Umsatzsteuer tragen müsse. 364
Die Relevanz dieser Rechtsprechung in künftigen Fällen ist aufgrund der Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO zweifelhaft. Ein Motiv seitens der Kreditgläubiger, den Verwertungsvorgang auf die Zeit nach Verfahrenseröffnung zu verlagern, besteht seit Einführung des § 55 Abs. 2 InsO nicht mehr. Nunmehr stellt sich vielmehr die Frage nach dem Erstattungsanspruch für die Verwertung in der vorläufigen Verwaltung. (dd) Erhaltungs- und Verfahrenskosten
365
Die bei nicht sofortiger Verwertung des Sicherungsguts häufig entstehenden Erhaltungskosten, wie z.B. notwendige Reparaturkosten, Bewachungs- oder Versicherungskosten, wurden von dem Gesetzgeber nicht als obligatorischer Kostenbeitrag in die InsO aufgenommen.906 Dadurch wurde jedoch weder die Möglichkeit – einer individuellen Kostentragungsvereinbarung zwischen dem Verwalter und dem Gläubiger907 noch – eine Zuordnung zu den Verwertungskosten908 ausgeschlossen.
366
Praktischer Hinweis: Absonderungsberechtigte Gläubiger sind daher gut beraten, auch unter diesem Gesichtspunkt umfassende Verwertungsvereinbarungen zu schließen. Andernfalls wird sich – zugunsten der Masse – immer eine Zuordnung entsprechender Kosten zu den Verwertungskosten begründen lassen.
367
Eine über die kodifizierten Kostenbeiträge hinausgehende Beteiligung der Absonderungsberechtigten an den allgemeinen Verfahrenskosten ist in der InsO ebenfalls nicht vorgesehen. Dies befreit jedoch nicht von überobligationsmäßigen Beiträgen zum Erhalt des Sicherungsguts; insbesondere dann nicht, wenn der Insolvenzverwalter die Notwendigkeit der Durchführung von (Erhaltungs-)Maßnahmen anders beurteilt bzw. solche ablehnt. In dieser Hinsicht besteht kein gesichertes rechtliches Instrumentarium, um dem Absonderungsberechtigten bei selbst vorgenommenen Erhaltungsmaßnahmen ein Befriedigungsrecht aus dem Sicherungsgut zu ermöglichen. Allein für die Sicherung von Grundstücken enthält das Gesetz einen aufwendigen Weg (§§ 1133, 134 BGB),909 der jedoch dann nicht zur Erstattung von Kosten führt, wenn diese nach Insolvenzeröffnung entstanden sind (§ 91 InsO). Überdies wurden die hierzu berechtigenden AGB Banken (Nr. 12 Abs. 6 AGB Banken) vom BGH für unwirksam erklärt. Die Neufassung reduziert sich auf den Verweis für etwaige Aufwendungsersatzansprüche auf die gesetzlichen Bestimmungen. Hiernach ist ein Aufwendungsersatz aber nur möglich, wenn der Beauftragte den Umständen nach die Aufwendungen für erforderlich erachten durfte; hieran fehlt es, wenn der Insolvenzverwalter die Kostenübernahme ablehnt.910 Kurzum: Für alle Beteiligten besteht ein großes Interesse an einer diesbezüglichen (Verwertungs-)Vereinbarung.
906 BT-Drucks. 12/7302, 177, 180 f.; vgl. näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 7; Gundlach/ Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 140, 141. 907 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2001, 140, 141. 908 Landfermann in HK/InsO, § 170 Rz. 23 ff. 909 BGH v. 29.9.1988 – IX ZR 39/88, ZIP 1988, 1411 = EWiR 1988, 1113 (Lüke). 910 BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 61/11, EWiR 2012, 401 (Derleder) = ZIP 2012, 1224, JurionRS 2012, 16643 m. Anm. Obermüller, ZInsO 2013, 845, 856.
890 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 370 § 10
(b) An Forderungen und sonstigen Rechten (aa) Verwertungs- und Feststellungskosten Da sich die Entrichtung der Kostenbeiträge an der gleichzeitigen Verwertungsbefugnis des Verwalters orientiert, fallen diese nach § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO auch bei der Verwertung von Forderungen durch den Verwalter an.911 Auch insoweit sind die oben (Rz. 343 f., Rz. 345 ff.) benannten Pauschalen für die Feststellungs- und Verwertungskosten von dem absonderungsberechtigten Gläubiger zu begleichen. Dort (Rz. 343 ff.) sind aus Gründen der Darstellung auch Fragen behandelt, die ausschließlich Absonderungsrechte an Forderungen betreffen. Ergänzend zu den dortigen Ausführungen sollen an dieser Stelle anhand des Grundsatzurteils des BGH vom 20.2.2003912 weitere Fragen dargestellt werden, die für die Kosten der Verwertung von Absonderungsrechten an Forderungen von Belang sind:
368
– Die Feststellungskostenpauschale gebührt der Insolvenzmasse bei sicherungshalber abgetretenen Forderungen auch dann, wenn diese nach Verfahrenseröffnung durch direkte Leistung an den absonderungsberechtigten Gläubiger getilgt werden. – Beruht dies auf einem eigenmächtigen – § 166 Abs. 2 InsO zuwiderlaufenden – Forderungseinzug, ohne entsprechende Ermächtigung seitens des Insolvenzverwalters schuldet der Gläubiger jedoch nicht auch die Verwertungskostenpauschale (s. hierzu oben Rz. 345 ff.).913 – Für sicherungshalber abgetretene Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung getilgt werden, gebühren der späteren Insolvenzmasse grundsätzlich weder Feststellungs- noch Verwertungskostenpauschalen (s. ausführlich oben Rz. 343 ff.). – Hieran ändert auch das im Eröffnungsverfahren dem Drittschuldner gegenüber bestehende Verbot, an den Schuldner zu zahlen, bzw. die Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zum Forderungseinzug nichts. Diese Anordnungen wirken von sich aus nicht gegenüber den Sicherungsnehmern. Bereits abgetretene Forderungen sind nicht solche des Schuldners, wie sie der Beschluss meint; sie stehen vielmehr Dritten (dem Zessionar) zu, in deren Rechte das Insolvengericht nicht eingreifen kann. Anderes gilt nur dann, wenn dem vorläufigen Insolvenzverwalter gem. § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO die entsprechende Rechtsmacht eingeräumt worden ist. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter in dieser Situation eine zur Sicherheit eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 InsO entsprechend (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 a.E.). Vergleiche hierzu ausführlich Rz. 31 ff. Für die Verwertung sonstiger Rechte fällt hingegen kein Kostenbeitrag an, da diese durch die gesicherten Gläubiger selbst vorgenommen wird914 (s. dazu Rz. 318).
369
(bb) Umsatzsteuer Eine Erstattung des der Masse entstehenden Umsatzsteuerbetrags kommt grundsätzlich weder bei der Verwertung von Forderungen noch bei der Verwertung von Rechten in Betracht. Hiervon zu unterscheiden ist das in der Gegenleistung für die sicherungszedierte Forderung liegende steuerbare Geschäft (vgl. Rz. 370b).
911 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 = EWiR 2002, 921 (Gundlach/Frenzel) = VersR 2002, 1292 = ZIP 2002, 1630, 1800; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 11 f.; vgl. auch BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, EWiR 2003, 425 (Schumacher) = ZIP 2003, 632 = ZInsO 2003, 318, 319, bei direkter Leistung an den absonderungsberechtigten Gläubiger. 912 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 ff. = ZInsO 2003, 318 ff. m. Anm. Schumacher, EWiR 2003, 424. 913 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. Anm. Bork, EWiR 2007, 119; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 f. 914 A.A. Marotzke, ZZP 1996, 429, 455.
Drees/Schmidt | 891
370
§ 10 Rz. 370a | Beratung des gesicherten Gläubigers 370a
Zieht der Insolvenzverwalter des Sicherungszedenten die Forderung ein – wozu er nach § 166 Abs. 2 Satz 1 InsO (Rz. 309) berechtigt ist – findet hierbei kein steuerbarer Umsatz statt. Die Masse wird daher nicht mit einer Umsatzsteuerforderung belastet.915 Verwertet der Gläubiger die Forderung selbst, so wird ebenfalls keine Umsatzsteuerabführungspflicht gem. §§ 170, 171 InsO ausgelöst, da diese nur bei der Verwertung von Sicherungsgut eingreift, das der Verwalter auch selbst hätte verwerten dürfen.916
370b
Hinweis: Ein steuerbares Geschäft ist hingegen die Erbringung der Gegenleistung, für die das sicherungszedierte Entgelt gefordert wird.
370c
In der Vorauflage konnte in dieser Hinsicht allein differenziert werden zwischen Zahlungen vor und nach Insolvenzeröffnung: Werden die Leistungen noch vor Insolvenzeröffnung erbracht und entsteht die Umsatzsteuerschuld daher als bloße Insolvenzforderung und der verwertende Insolvenzverwalter ist nicht berechtigt, nur den Nettobetrag der von ihm eingezogenen Forderung an den absonderungsberechtigten Gläubiger abzuführen.917 Die Abzugsberechtigung greift nur ein, wenn die Steuerforderung vom Insolvenzverwalter als Masseforderung bedient worden ist.918
370d
Diese Rechtslage hat sich durch die Einführung des § 55 Abs. 4 InsO919 und die Rechtsprechung des BFH v. 29.1.2009,920 v. 9.10.2010921 und v. 24.11.2011922 grundlegend geändert. Wegen der Einzelheiten vgl. ausführlich § 14 Rz. 243 ff.
370e
Gemäß § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Steuerforderungen aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren werden nach Verfahrenseröffnung mithin zur Masseverbindlichkeit. Dies hat Auswirkungen auf die Einziehung sicherungszedierter Forderungen. Denn durch § 55 Abs. 4 InsO ist die Insolvenzmasse auch bezüglich der im Insolvenzeröffnungsverfahren begründeten Forderungen mit der Umsatzsteuer belastet und der Insolvenzverwalter insoweit berechtigt, nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO dem Verwertungserlös zusätzlich zu den Kostenbeiträgen die Umsatzsteuerbeträge vorweg zu entnehmen.923
370f
Weitergehende Änderungen sind auf die Rechtsprechung des BFH zurückzuführen. Konkret angesprochen sind die Urteile des BFH v. 29.1.2009,924 v. 9.10.2010925 und v. 24.11.2011.926 Diese 915 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 112/06, ZIP 2007, 686 = ZInsO 2007, 374 m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 (8843 f.); BT-Drucks. 12/2443, 182. 916 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.350; vgl. hierzu auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 20. 917 Ganter, ZInsO 2007, 841, 843 f.; de Weerth, NZI 2006, 501 ff. 918 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 112/06, ZIP 2007, 686 = ZInsO 2007, 374. 919 BT-Drucks. 17/3030, 43. 920 BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977 = EWiR 2009, 315 (Berger) = UR 2009, 388 = UStB 2009, 155. 921 BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 = EWiR 2011, 323 (Mitlehner) = StBW 2011, 390 = UR 2011, 551 m. Anm. Widmann = UStB 2011, 176. 922 BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, ZIP 2011, 2481 = AO-StB 2012, 14 = EWiR 2012, 127 (de Weerth) = StBW 2012, 69 = UR 2012, 403 = UStB 2012, 36. 923 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 20. 924 BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977 = EWiR 2009, 315 (Berger) = UR 2009, 388 = UStB 2009, 155. 925 BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 = EWiR 2011, 323 (Mitlehner) = StBW 2011, 390 = UR 2011, 551 m. Anm. Widmann = UStB 2011, 176. 926 BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, ZIP 2011, 2481 = AO-StB 2012, 14 = EWiR 2012, 127 (de Weerth) = StBW 2012, 69 = UR 2012, 403 = UStB 2012, 36.
892 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 370h § 10
Rechtsprechung betrifft die Einziehung von Altforderungen durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter. Konnte bislang davon ausgegangen werden, dass die Umsatzsteuer aus der Einziehung sog. Altforderungen – d.h. von vor Insolvenzantragstellung erbrachten Leistungen – lediglich die Qualität einer Insolvenzforderung hat, so muss nunmehr ein grundlegend anderes Bild konstatiert werden. Zunächst für die Ist-927 und sodann auch für die Soll-Besteuerung928 nimmt der BFH nunmehr an, dass beim Einzug solcher Altforderungen die Entgeltvereinbarung für eine vor Insolvenzeröffnung ausgeführte Lieferung oder Leistung eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet. Für die Soll-Besteuerung ergibt sich dies nach Ansicht des BFH aus § 17 UStG. Die der Umsatzsteuer unterliegende Entgeltforderung werde daher spätestens mit Verfahrenseröffnung unbeschadet einer möglichen späteren Insolvenzquote in voller Höhe uneinbringlich; bei einer nachträglichen Zahlung auf das uneinbringlich gewordene Entgelt sei der Umsatzsteuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen; mit der Konsequenz der Begründung einer Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und der Abzugsberechtigung des Insolvenzverwalters nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO.929 Hiervon zu unterscheiden ist Vereinnahmung von Entgelten aus diesen sog. Altforderungen im Insolvenzeröffnungsverfahren. Für den Fall der Sollversteuerung führt die Vereinnahmung entsprechender Umsätze durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht zu Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 4 InsO.930 Bei der Ist-Besteuerung sieht der BFH931 den den Umsatzsteueranspruch begründenden Tatbestand in der Entgeltvereinnahmung, weshalb die Finanzverwaltung932 in diesem Fall § 55 Abs. 4 InsO auf den Forderungseinzug anwenden will. Für den Fall einer Sicherungszession muss die Belastung der Masse mit der Umsatzsteuer und hiermit einhergehend die Abzugsberechtigung des Insolvenzverwalters nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO festgehalten werden.
370g
Steuerrechtlicher Exkurs – Haftung des Abtretungsempfängers nach § 13c UStG Unter Berücksichtigung der Steuerschuldnerschaft des Sicherungsnehmers muss bei Abtretungen zugleich die Ausfallhaftung nach § 13c UStG933 bedacht werden.
370h
Soweit der leistende Unternehmer den Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen Umsatz nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG an einen anderen Unternehmer abgetreten und die festgesetzte Steuer, bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig entrichtet hat, haftet der Abtretungsempfänger nach Maßgabe des § 13c Abs. 2 UStG für die in der Forderung enthaltene Umsatzsteuer, soweit sie im vereinnahmten Betrag enthalten ist (§ 13c Abs. 1 Satz 1 UStG). Für die Kreditsicherung (in der Insolvenz) ist relevant, dass Abtretung i.S.d. § 13c UstG alle Formen der Abtretung von Forderungen aus Umsätzen und damit auch die Globalzession erfasst. Hat ein vorläufiger Insolvenzverwalter aufgrund richterlicher Ermächtigung eine zur Sicherheit abgetretene Forderung eingezogen und den Erlös an den Abtretungsempfänger weitergeleitet, haftet der Abtretungsempfänger nach § 13c UStG für die im vereinnahmten und an ihn weitergeleiteten Forderungsbetrag enthaltene
927 BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977 = EWiR 2009, 315 (Berger) = UR 2009, 388 = UStB 2009, 155. 928 BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 = EWiR 2011, 323 (Mitlehner) = StBW 2011, 390 = UR 2011, 551 m. Anm. Widmann = UStB 2011, 176. 929 In kritischer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung und zahlr. w. Nachw. Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 25 ff. Ebenso kritisch mit beachtlichen Argumenten und unter Hinweis auf den Widerspruch zu dieser Rechtsprechung FG Berlin-Brandenburg v. 18.3.2013 – 7 V 7279/12, ZIP 2013, 1184 ff. = EWiR 2013, 387 (Mitlehner). 930 BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3-S0550/10/10020-05, ZInsO 2012, 213. 931 BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977 = EWiR 2009, 315 (Berger) = UR 2009, 388 = UStB 2009, 155. 932 BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3-S0550/10/10020-05, ZInsO 2012, 213. 933 Grundlegend hierzu BFH v. 20.3.2013 – XI R 11/12, ZIP 2013, 1289 ff. = EWiR 2013, 495 (Schmittmann) = StBW 2013, 628 = StBW 2013, 697 = UR 2013, 910 = UStB 2013, 225 und BFH v. 21.11.2013 – V R 21/12, ZIP 2014, 737 ff. = StBW 2014, 257 = StBW 2014, 202 = UR 2014, 436 = UStB 2014, 105.
Drees/Schmidt | 893
§ 10 Rz. 370h | Beratung des gesicherten Gläubigers Umsatzsteuer. Diese Haftung nach § 13c UStG kann nicht durch eine zivilrechtliche Vereinbarung ausgeschlossen werden, nach der es sich bei dem weitergeleiteten Betrag um einen Nettobetrag ohne Umsatzsteuer handeln soll.934 370i
Steuerrechtlicher Exkurs – Übertragung der Rechtsprechung des BFH v. 9.12.2010 auf die Eigenverwaltung Ungeklärt ist bislang, ob das Urteil des BFH v. 9.12.2010935 auch im Fall der Eigenverwaltung gilt. In der Literatur wird dies teilweise abgelehnt, weil sich die Empfangszuständigkeit nicht ändere und somit keine rechtliche Uneinbringlichkeit i.S.d. § 17 UStG vorliege. Dies ändere sich erst durch eine Anordnung des Gerichts nach § 277 InsO. Die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO auf die Eigenverwaltung kann in gleicher Weise hinterfragt werden, muss aber mit Rücksicht auf den (ungewollt) eindeutigen Gesetzestext des § 55 Abs. 4 InsO selbst abgelehnt werden.
370j
Zur Umsatzsteuer in der Insolvenz im Allgemeinen und der Problematik des Forderungseinzugs im Besonderen vgl. § 14 Rz. 239 ff. cc) Die Ersatzabsonderung
371
Wird ein Gegenstand, der mit einem Absonderungsrecht belastet ist, unberechtigt veräußert, so findet die Vorschrift über die Ersatzaussonderung in § 48 InsO auf die Ersatzabsonderung entsprechende Anwendung (zur Ersatzaussonderung umfassend Rz. 125 ff.). Die Ersatzabsonderung ist in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich geregelt, da mit Rücksicht auf die weitergehenden (Verwertungs-) Rechte des Insolvenzverwalters von einem geringeren Anwendungsbereich gegenüber der KO auszugehen war.
371a
Auch wenn der Regierungsentwurf mit § 60 RegEInsO eine Regelung der Ersatzabsonderung im Text der InsO vorsah und der Gesetzgeber sich gegen die Übernahme dieser Bestimmung entschieden hat, ist die entsprechende Anwendung allgemein anerkannt,936 da die geplante Neuregelung aus Gründen der Gesetzesstraffung fallen gelassen wurde.
371b
Die weitere direkte bzw. analoge Anwendung937 der Ersatzaussonderungsregelung auf die Ersatzabsonderung sollte somit nicht ausgeschlossen werden und widerspricht mithin nicht dem Willen des Gesetzgebers.938 Es fehlt an jedem inneren Grund, den Berechtigten bei der Vernichtung eines Pfandoder sonstigen zur Absonderung berechtigenden Rechts schlechter zu stellen als bei der Vernichtung des Eigentums.939
372
In entsprechender Anwendung des § 48 InsO entsteht ein Ersatzabsonderungsrecht des Sicherungsnehmers, wenn – der Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung940 oder
934 BFH v. 20.3.2013 – XI R 11/12, ZIP 2013, 1289 ff. = EWiR 2013, 495 (Schmittmann) = StBW 2013, 628 = StBW 2013, 697 = UR 2013, 910 = UStB 2013, 225. 935 BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 = EWiR 2011, 323 (Mitlehner) = StBW 2011, 390 = UR 2011, 551 m. Anm. Widmann = UStB 2011, 176. 936 Lohmann in HK/InsO, § 48 Rz. 17 ff. 937 Vgl. zu diesem Streit: Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 48 Rz. 18 ff. m.w.N.; a.A. Harder, KTS 2001, 97 ff. 938 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 48 Rz. 26; Harder, KTS 2001, 97, 102 f. 939 BGH v. 9.12.1970 – VIII ZR 52/69, KTS 1971, 194 = WM 1971, 71. 940 Dass das Ersatzabsonderungsrecht auch an Vereitelungshandlungen des Schuldners angeknüpft werden kann, hat der BGH ausdrücklich entschieden, vgl. BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493, 494.
894 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 372d § 10
– der (vorläufige) Insolvenzverwalter – ein mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand unberechtigt941 veräußert. Der Veräußerungsbegriff bestimmt sich nach der Art des Gegenstandes, der mit einem Absonderungsrecht belastet ist. Erfasst sind insbesondere Übereignung und Zession; dem gleichzustellen ist der Forderungseinzug. Die Veräußerung muss rechtsgeschäftlich geschehen, darunter fallen auch Rechtsverluste durch Verbindung oder Vermischung, wenn dies in Erfüllung einer Vertragspflicht geschieht.942 Somit führt die bloße Verarbeitung im schuldnerischen Unternehmen nicht zu Ersatzabsonderungsrechten.943 Ebenso wenig sind Nutzung,944 Beschädigung oder Zerstörung des Absonderungsguts vom Veräußerungsbegriff des § 48 InsO erfasst.945
372a
Wesentlich ist stets, dass das Absonderungsrecht gerade durch die Veräußerung vereitelt wird.946 Hieran fehlt es, wenn sich das Absonderungsrecht kraft Surrogation fortsetzt.947Zu denken ist an die Fortsetzung des Absonderungsrechts
372b
– am Erlös nach Pfandverwertung oder – an einem anderen Gegenstand kraft Vereinbarung, z.B. am Produkt beim verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Verarbeitungsklausel oder an der Forderung beim verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel. Liegen die Voraussetzungen für eine solche Surrogation nicht vor, ist ferner zu prüfen, ob die Veräußerung unberechtigt war. Die lastenfreie Veräußerung von Absonderungsgut kann beispielsweise
372c
– durch Verwertungsvereinbarungen oder – das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters oder des starken vorläufigen Insolvenzverwalters gerechtfertigt sein. Liegt ein Verwertungsrecht vor, so dürften mangels unberechtigter Veräußerung keine Ersatzabsonderungsrechte entstehen. Das Absonderungsrecht wird vielmehr geschützt, in dem es sich am Erlös fortsetzt und dieser dann gemäß den §§ 165 InsO i.V.m. §§ 10 ff. ZVG bzw. §§ 170, 171 InsO ausgekehrt wird. Die Verwertung im vorläufigen Insolvenzverfahren ist berechtigt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit dem Absonderungsberechtigten eine Verwertungsvereinbarung getroffen bzw. einer solchen mit dem Schuldner zugestimmt hat.948 Ebenfalls liegt eine berechtigte Veräußerung vor, wenn diese durch eine Ermächtigung gedeckt ist, die der Absonderungsberechtigte dem Schuldner erteilt hat. Zu denken wäre hier an – Weiterveräußerungsermächtigungen am Absonderungsgut, z.B. erweiterter Eigentumsvorbehalt, verlängerter Eigentumsvorbehalt.
941 BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 185/04, ZInsO 2006, 544 (545); BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493, 495; BGH v. 25.3.1999 – IX ZR 223/97, ZIP 1999, 621 = VersR 2000, 1247 = BRAK 1999, 196 = BRAK 2010, 207 m. Anm. Jungk = FamRZ 2010, 1154 m. Anm. Schlünder = VersR 2010, 1648, 623; BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509, 1510; BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326, 328 m. Anm. Pape, EWiR 2004, 349 = MietRB 2004, 168. 942 Lohmann in HK/InsO, § 48 Rz. 6. 943 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 8. 944 BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZIP 2006, 1641 = ZInsO 2006, 938. 945 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 8. 946 Lohmann in HK/InsO, § 48 Rz. 18. 947 Ganter, NZI 2005, 1, 8. 948 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 35 f.
Drees/Schmidt | 895
372d
§ 10 Rz. 372d | Beratung des gesicherten Gläubigers – Einziehungsermächtigungen bei abgetretenen Forderungen, z.B. verlängerter Eigentumsvorbehalt mit Weiterveräußerungsermächtigung und Einziehungsermächtigung.949 – Ob die Veräußerung von der Weiterveräußerungsermächtigung gedeckt ist, bestimmt sich nach den Sicherungsinteressen des Sicherungsgläubigers. Der Vorbehaltsverkäufer erlaubt die Weiterveräußerung typischerweise nur im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs und verlangt im Gegenzug die aus der Veräußerung resultierenden Kundenforderungen, die ihm vom Käufer antizipiert und sicherungshalber abgetreten werden. Die Abtretung wird den Kunden des Vorbehaltskäufers nicht offen gelegt (stille Zession). – Die Ermächtigungen erlöschen weder durch Eintritt der Krise noch durch Stellung des Insolvenzantrags. Auch die Bestelung eines vorläufigen Insolvenzverwalters führt nicht zu einem automatischen Wegfall. Der Vorbehaltsverkäufer kann die Weiterveräußerungsermächtigung gegenüber dem Schuldner (bzw. dem vorläufigen Insolvenzverwalter) nach der vertraglichen Abrede widerrufen. Allerdings wird sich aus der Einziehungsermächtigung ergeben, dass ein Widerrufsrecht verbunden mit der Offenlegung der stillen Zession erst entstehen soll, wenn sich der Vertragspartner selbst vertragswidrig verhält. Hierfür geben weder die Krise noch die Antragstellung genügenden Anlass. Außerdem darf dem Vorbehaltskäufer der Warenumschlag nicht ohne weiteres vereitelt werden. Wird ein vorläufiger Verwalter eingesetzt, so kann er die Vorbehaltsware anstelle des Schuldners veräußern und die Forderungen einziehen. Um einen Widerruf nicht zu befürchten, kann der Insolvenzverwalter Vereinbarungen mit dem Sicherungsgläubiger treffen. Erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen die Ermächtigungen. – Weiterveräußerungs- und Einziehungsermächtigung sind typischerweise in der Gestalt verbunden, dass der Wegfall der Weiterveräußerungsermächtigung den Verlust der Einziehungsermächtigung nach sich zieht. – Hat das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Einziehung ermächtigt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO), ist der Forderungseinzug durch den vorläufigen Insolvenzverwalter berechtigt. In diesem Fall ist jedoch der Insolvenzverwalter zur abgesonderten Befriedigung des Sicherungsnehmers aus dem Erlös analog § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO verpflichtet. Kostenbeiträge darf der vorläufige Insolvenzverwalter indes nicht einbehalten. Eine analoge Anwendung des § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO kommt nicht in Betracht.950 – Die Verfügung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter hält sich nur dann innerhalb der dem Schuldner erteilten Ermächtigung, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter die eingezogenen Beträge auf ein zugunsten des aussonderungsberechigten Gläubigers eingerichtetes Treuhandkonto einzieht (Auskehr- und Separierungsverpflichtung). Denn durch die Vereinnahmung der Beträge auf schuldnereigenen Konten verletzt der vorläufige Insolvenzverwalter die Sicherungsinteressen des Vorberhaltsverkäufers und sein Handeln ist nicht mehr durch seine Ermächtigungen gedeckt. Folge der unberechtigten „Veräußerung“ ist ein Ersatzabsonderunugsanspruch des Vorbehaltsverkäufers aus § 48 Satz 2 InsO „doppelt analog“ (hierzu Rz. 127 ff.).951 372e
Erst hiernach (Rz. 372a bis Rz. 372d) kann das Vorliegen einer unberechtigten Verwertungshandlung des Schuldners, des vorläufigen oder endgültigen Insolvenzverwalters beurteilt werden, wobei im Hin-
949 Hierzu ausdrücklich: BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493, 495. Zuvor bereits BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793 = AG 1998, 342 = EWiR 1998, 699 (Eckardt) = GmbHR 1998, 935, 797. Vgl. weiter Ganter, NZI 2005, 1, 8; Saenger/Scholz, NZI 2021, 561. 950 BGH v. 9.12.2009 – VIII ZR 219/08, BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = EWiR 2010, 395 (Knof) = CR 2010, 388 = EWiR 2010, 209 (Corzelius) = ITRB 2010, 50, 742. 951 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17 („Getränkemarkt“), ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, EWiR 2019, 211 (Prütting) = IHR 2019, 210 = ZIP 2019, 472 = NZI 2019, 274 (Ganter); hierzu Saenger/Scholz, NZI 2021, 561, 562.
896 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 374 § 10
blick auf das sehr weitgehende Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 166 InsO952 eine analoge Anwendung des § 48 InsO vornehmlich auf Handlungen – des Schuldners oder – des vorläufigen Insolvenzverwalters in Betracht kommen. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Einziehungsermächtigung des Schuldners oder nach deren Widerruf Forderungen ein, so sind die Erlöse ohne Abzug von Kostenbeiträgen analog § 48 InsO auszukehren. Beruht der Forderungseinzug auf der gerichtlichen Anordnung i.S.v. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, richtet sich die Erlösverteilung nach §§ 170, 171 InsO (vgl. zuvor Rz. 372d). Handelt der vorläufige Insolvenzverwalter auf der Grundlage der fortbestehenden Einziehungsermächtigung, so gebühren die Erlöse der freien Insolvenzmasse. Es gilt dann weder § 48 InsO analog noch §§ 170, 171 InsO i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO.953
372f
Im eröffneten Verfahren ist an eine entsprechende Anwendung in erster Linie bei Verwertungen durch den Insolvenzverwalter ohne diesbezügliche Verwertungsberechtigung gem. § 166 InsO zu denken, so etwa in den Fällen des § 173 InsO.954 Dann kann analog § 48 InsO Auskehr des Erlöses verlangt werden, ohne dass der Insolvenzverwalter gem. §§ 170, 171 InsO zum Abzug von Kostenbeiträgen gem. §§ 170, 171 InsO berechtigt ist. Ob darüber hinaus auch ein Verfahrensfehler i.S.d. §§ 166 ff. InsO des an sich gem. § 166 InsO zur Verwertung berechtigten Insolvenzverwalters zu Ersatzabsonderungsrechten führt, darf bezweifelt werden.955
372g
Im eröffneten Verfahren verbleiben als Anwendungsfall im Wesentlichen lediglich
372h
– die Veräußerung von Vorbehaltsware, wenn die Ermächtigung zur Weiterveräußerung von einer Sicherung abhängig war, die der Ermächtigende aber nicht erhält,956 sowie – die Veräußerung von Grundstückszubehör, wenn dieses nach § 865 ZPO i.V.m. den §§ 1120 ff. BGB der Haftung für Grundpfandrechte unterliegt. Ergänzend zu den Ansprüchen aus § 48 InsO können zugunsten des Absonderungsberechtigten Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO oder Haftungsansprüche gegen den (vorläufigen) Insolvenzverwalter gem. § 60 InsO entstehen.957
372i
Voraussetzung für die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Ersatzabsonderung ist weiter, dass die Gegenleistung entweder noch aussteht bzw. sich nach ihrer Einziehung zur Masse noch unterscheidbar in dieser befindet.
373
Unterscheidbar ist die Gegenleistung immer bei einer Sachleistung,958 bei Geldleistungen ist zu differenzieren: Kommt es zu einer Gutschrift auf dem Konto, so bleibt das gutgeschriebene Geld unterscheidbar, solange es durch Buchungen belegt und der positive Kontensaldo nicht durch Abbuchungen
374
952 Ganter, NZI 2005, 1, 8. 953 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = EWiR 2010, 395 (Knof), 741 f.; BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 185/04, EWiR 2006, 501 (Homann) = ZInsO 2006, 544; BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/03, EWiR 2006, 503 (Frind) = ZInsO 2006, 493 m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 f.; Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 38b. 954 Ganter, NZI 2005, 1, 8. 955 Ganter, NZI 2005, 1, 8 m.w.N. 956 Lohmann in HK/InsO, § 48 Rz. 8; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 31. 957 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 31 f. 958 Lohmann in HK/InsO, § 48 Rz. 11.
Drees/Schmidt | 897
§ 10 Rz. 374 | Beratung des gesicherten Gläubigers unter den Betrag der beanspruchten Leistung absinkt.959 Wird das Konto zur Zeit der Gutschrift im Soll geführt, so wird die Gegenleistung in dieser Höhe zur Schuldentilgung verbraucht mit der Folge, dass insoweit eine gegenständlich fassbare Gegenleistung nicht mehr vorhanden ist.960 375
Ist die Gegenleistung nicht mehr unterscheidbar vorhanden, kommt dem ehemals Absonderungsberechtigten nur ein Masseanspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO, bzw. bei einer Vereitelung der Ersatzabsonderung durch den Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu.961 dd) Die Ausfallhaftung (1) Verhältnis persönlicher zu dinglicher Haftung
376
Schuldrechtliche Leistungspflicht und dingliche Haftung können in unterschiedlichen Konstellationen und unter Einbeziehung mehrerer Rechtspersönlichkeiten bestehen. Haftet der Insolvenzschuldner beispielsweise nur dinglich (sog. Dritthaftung), dann hat der Gläubiger zwar ein Absonderungsrecht an dem Sicherungsgegenstand, ist jedoch nicht zugleich Insolvenzgläubiger und kann daher auch keine Leistung aus der Insolvenzmasse beanspruchen. Soweit der Insolvenzschuldner nur persönlich haftet und sich die dingliche Haftung allein gegen einen Dritten richtet, kommt dem Gläubiger je nach Art seines Anspruchs nur die Stellung eines Insolvenz- bzw. Massegläubigers zu, und er unterliegt den entsprechenden insolvenzrechtlichen Regelungen.962
377
Die Vorschriften über die Ausfallhaftung betreffen allein den Fall, dass der Insolvenzschuldner sowohl persönlich aufgrund einer schuldrechtlichen Verpflichtung, als auch dinglich mit einem massezugehörigen Vermögensgegenstand i.S.d. §§ 49 ff. InsO haftet. Nur in diesem Fall kommt eine Doppelstellung des Gläubigers als Absonderungsberechtigter und Insolvenzgläubiger in Betracht. § 52 InsO regelt für diesen Fall das Verhältnis der abgesonderten Befriedigung zur Befriedigung aus der persönlichen Insolvenzforderung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens.963
378
Grundsätzlich haftet der belastete Massegegenstand für das an ihm bestehende Absonderungsrecht unabhängig von einer gleichzeitigen persönlichen Schuld des Insolvenzschuldners. Auch soweit das Pfandrecht an einem Gegenstand der Insolvenzmasse eine fremde Schuld sichert, kann es im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Kommt es trotz der abgesonderten Befriedigung zu einem Ausfall des Absonderungsberechtigten, so kann er diesbezüglich keine anteilige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, sondern muss den Ausfall in voller Höhe gegenüber dem persönlichen Schuldner geltend machen.964
379
Gehört der die Forderung sichernde Absonderungsgegenstand selbst nicht zur Insolvenzmasse, sondern steht dieser im Eigentum eines Dritten (Drittsicherheit), handelt es sich nur um eine persönliche Schuld des Insolvenzschuldners, so dass die gesamte Forderung im Insolvenzverfahren nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann. Es liegt dann ebenfalls kein Fall des § 52 InsO vor.965 An der fehlenden Massezugehörigkeit scheitert die Anwendung des § 52 InsO daher auch dann, wenn das Absonderungsgut wegen Unpfändbarkeit massefrei ist.966 Wird der Gegenstand hingegen
BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493, 494. Ganter in MünchKomm/InsO, § 48 Rz. 34. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 41. Lohmann in HK/InsO, § 52 Rz. 2 ff. Vgl. hierzu Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 1 ff.; Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 2. Lohmann in HK/InsO, § 52 Rz. 2. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 8; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 4; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 2. 966 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 52 Rz. 3; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 52 Rz. 14. 959 960 961 962 963 964 965
898 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 387 § 10
erst durch den Insolvenzverwalter aus der Masse freigegeben, bleibt § 52 InsO anwendbar, so dass die Forderung weiterhin nur in Höhe des Ausfalls am Insolvenzverfahren teilnimmt.967 Haftet der Insolvenzschuldner zugleich dinglich und persönlich für die Forderung, so kann der Gläubiger frei wählen, welche Rechtsstellung er geltend machen und ob er allein aus seinem Absonderungsrecht oder der persönlichen Forderung vorgehen möchte.968 Der absonderungsberechtigte Gläubiger ist in diesem Fall zugleich Insolvenzgläubiger (§ 52 Satz 1 InsO).
380
Soweit der Gläubiger lediglich die persönliche Forderung geltend macht, kann er diese in voller Höhe zur Tabelle anmelden, wo sie vorbehaltlos festgestellt wird, unabhängig von dem gleichzeitigen Bestehen eines eventuellen Absonderungsrechts.969 Er erhält sodann die volle Verteilungsquote auf die geltend gemachte Forderung, wenn er auf die Geltendmachung seines Absonderungsrechts verzichtet (vgl. hierzu Rz. 392 ff.).
381
Der Gläubiger kann sich andererseits aber auch nur aus den dinglichen Sicherheiten befriedigen und die Geltendmachung der persönlichen Haftung nicht ausüben.
382
Verzichtet er auf die Geltendmachung einer der beiden Rechtspositionen, bedarf es mangels Kollision keiner näheren Haftungsabgrenzung (zum Verzicht s. nachstehend Rz. 392 ff.).
383
Beruft sich der Gläubiger hingegen auf seine beiden bestehenden Rechtspositionen, kann er sich zunächst aus den dinglichen Sicherheiten weitestmöglich befriedigen und im Anschluss daran auf den ausgefallenen Teil der Forderung die Insolvenzquote beanspruchen. Er kann hingegen nicht umgekehrt die Insolvenzquote auf die volle Forderung geltend machen und sich für den dann noch offen stehenden Forderungsanteil aus der dinglichen Sicherheit befriedigen.970
384
(2) Ausfallhaftung Auf die Insolvenzforderung der absonderungsberechtigten Gläubiger ist das besondere Forderungsfeststellungsverfahren der §§ 87, 174 ff. InsO anzuwenden. Beruft sich der Gläubiger sowohl auf seine Stellung als Insolvenzgläubiger als auch auf sein Absonderungsrecht, so hat er die Forderung als persönliche Forderung in voller Höhe für den Ausfall zur Tabelle anzumelden.971 Nach Überprüfung der Forderung und Beseitigung eventueller Widersprüche wird die Forderung sodann „als Ausfallforderung“ oder „als Insolvenzforderung für den Ausfall“ in voller Höhe zur Tabelle festgestellt.972 Die erfolgte Feststellung beinhaltet aufgrund ihrer Anmeldung und Feststellung als Ausfallforderung jedoch keinerlei Beschränkungen. Die Einschränkung („für den Ausfall“) hat mithin nur Bedeutung für das Verteilungsverzeichnis. Die Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO erstreckt sich mithin auf die gesamte Forderung, so dass auch für den Fall, dass sich später herausstellt, dass das Absonderungsrecht nicht besteht, eine erneute Anmeldung der Forderung nicht erforderlich wird.
385
Hat der Gläubiger sein Absonderungsrecht zumindest zum Teil erfolgreich geltend gemacht oder teilweise auf dieses verzichtet, so kann er auf die persönliche Forderung eine anteilige Befriedigung verlangen, aber nur in Höhe des Ausfalls, um insoweit eine doppelte Befriedigung des Gläubigers zu vermeiden (§ 52 Satz 2 InsO).
386
Hierfür muss der absonderungsberechtigte Gläubiger innerhalb der Frist des § 189 Abs. 1 InsO den tatsächlichen Ausfall nachweisen. Andernfalls muss er auf sein Absonderungsrecht verzichten (§ 190
387
967 968 969 970 971 972
Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 52 Rz. 3. Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 14 ff.; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 4. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 5. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 4. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 5; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 5. Lohmann in HK/InsO, § 52 Rz. 4; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 5.
Drees/Schmidt | 899
§ 10 Rz. 387 | Beratung des gesicherten Gläubigers Abs. 1 Satz 1 InsO). Liegt das Verwertungsrecht beim Gläubiger, muss dieser den Ausfall durch den Beleg über die reale Verwertung oder die konkrete Darlegung der Gründe einer gescheiterten Verwertung nachweisen. 387a
So wird der Absonderungsberechtigte in der Wohlverhaltensperiode eines vereinfachten Insolvenzverfahrens (§§ 311 ff. InsO) nur dann bei der Verteilung berücksichtigt, wenn er innerhalb von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Schlussverzeichnisses eine Erklärung nach § 190 Abs. 1 InsO zum erlittenen Ausfall abgegeben hat.973
387b
Soweit der Gläubiger unter Verstoß gegen das Verwertungsrecht des Verwalters gem. § 166 InsO das Sicherungsgut selbst verwertet hat, kann er einen möglichen Ausfall grundsätzlich nur dann zur Tabelle anmelden, wenn er zugleich den Nachweis erbringt, dass auch der Verwalter das Sicherungsgut nicht hätte günstiger verwerten können.974 Liegt das Verwertungsrecht beim Insolvenzverwalter, stellt dieser den Ausfall selbst fest.975 Ein Nachweis ist de jure nicht erforderlich, in der Praxis jedoch gleichwohl üblich (näheres zum Nachweis des Ausfalls unten Rz. 395 ff.).
388
Bei einer Abschlagsverteilung genügt es, wenn der Absonderungsberechtigte seinen Ausfall glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 Satz 1 InsO).
389
Diese zwingende Bestimmung des § 52 Satz 2 InsO gilt auch für den Fall, dass der Gläubiger formell Eigentümer bzw. Inhaber des Rechts ist, als Sicherungsnehmer im Insolvenzfall des Schuldners aber nur Absonderung verlangen kann. Eine anderweitige Vereinbarung derart, dass das Sicherungsgut seinerseits nur für den Ausfall nach der Verteilung der Masse haften soll, wäre mithin unwirksam. Bezüglich der Ausfallforderung kommt dem Gläubiger nur noch die Stellung eines einfachen Insolvenzgläubigers zu. Damit erhält er die Verteilungsquote auf die verbleibende Ausfallforderung berechnet, nicht hingegen auf den ursprünglichen Forderungsbetrag. Erweist sich bereits die dingliche Sicherung als unzureichend, kann der Gläubiger eine Befriedigung in voller Höhe nur bei einer Verteilungsquote von 100 % erlangen.
390
Unklar war lange Zeit die genaue Berechnung des Ausfalls, soweit es um die Berücksichtigung nachrangiger Insolvenzforderungen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Zinsen nach Insolvenzeröffnung) und Nr. 2 (Kosten durch Teilnahme am Insolvenzverfahren) geht. Teilweise976 wurde der Verwertungserlös nur auf die vor Verfahrenseröffnung begründeten Insolvenz(haupt)forderungen angerechnet. Die Zinsen nach Verfahrenseröffnung sowie die Kosten durch Teilnahme am Insolvenzverfahren würden hiernach unberücksichtigt bleiben und weiter lediglich nachrangig sein. Dies ist nach der Entscheidung des BGH v. 17.7.2008 nicht mehr haltbar.977 Nach Insolvenzeröffnung fällig werdende Ansprüche auf Zinsen und Kosten werden von dem Recht auf abgesonderte Befriedigung erfasst. Insoweit ist die in der Vorauflage vertretene Auffassung, nach Maßgabe derer bei der Berechnung des Ausfalls die Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht umgangen werden dürfe und daher eine Berücksichtigung nicht geboten sei, aufzugeben.
390a
Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH – jedenfalls in der benannten Entscheidung – die Frage nach der Tilgungsreihenfolge.978 Eine Entscheidung war nicht erforderlich, da der Verwertungserlös auch die nach Verfahrenseröffnung entstandenen Forderungen abgedeckt hatte. Dies hat sich auf die gegen das Urteil des OLG Frankfurt v. 23.4.2010979 eingelegte Revision geändert. So hat der BGH mit BGH v. 2.7.2009 – IX ZR 126/08, ZIP 2009, 1580 f. = BRAK 2009, 230 m. Anm. Grams. Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 33. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 52 Rz. 5, § 190 Rz. 3. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 7; Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 29. BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, EWiR 2009, 89 (Gundlach/Frenzel), ZIP 2008, 1539. Ebenso OLG Frankfurt v. 23.4.2010 –25 U 58/08, ZIP 2010, 2256 m. Anm. Kremer, EWiR 2011, 21. 978 BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, EWiR 2009, 89 (Gundlach/Frenzel), ZIP 2008, 1539, 1541 f. 979 OLG Frankfurt v. 23.4.2010 – 25 U 58/08, ZIP 2010, 2256, m. Anm. Kremer, EWiR 2011, 21.
973 974 975 976 977
900 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 393 § 10
Urt. v. 17.2.2011 entschieden, dass die Tilgungsreihenfolge der §§ 366, 367 BGB maßgeblich ist.980 Es ist daher nicht mehr vertretbar, die Norm des § 50 Abs. 1 InsO als eine Spezialregelung zu den §§ 366, 367 BGB zu qualifizieren und die dort genannte Tilgungsreihenfolge (Hauptforderung, Zinsen und Kosten) für maßgeblich zu erklären.981 Hierdurch liege auch kein Wertungswiderspruch mit der in § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO angeordneten Nachrangigkeit vor. Die Vorschriften der §§ 49 bis 52 InsO – insbesondere diejenige des § 50 Abs. 1 InsO – regeln jedoch nicht die Befriedigung von Insolvenzgläubigern, sondern die Befriedigung der Absonderungsgläubiger aus dem Absonderungserlös. Von dieser Maßgeblichkeit der Tilgungsreihenfolge der §§ 366, 367 BGB kann der Insolvenzverwalter auch nicht durch einseitige Tilgungsbestimmung abweichen. Dies ist im Fall der Auskehr des Erlöses einer Sicherheit nur dann zulässig und möglich, wenn die zugrunde liegende Sicherungsabrede entsprechende Anrechnungs- bzw. Tilgungsbestimmungen vorsieht. Ist dies nicht der Fall, sind spätere Änderungen nur einverständlich und nicht durch einseitige Tilgungsbestimmungen möglich.982
390b
Unstreitig erhöht sich die Ausfallforderung jedoch um die Kostenbeiträge gem. § 171 InsO (Feststellungs- und Verwertungskosten sowie Umsatzsteuer).983
391
(3) Verzicht und Verwirkung (a) Verzicht Es steht im Belieben des Berechtigten, auf das Absonderungsrecht gänzlich oder zumindest teilweise zu verzichten und im Insolvenzverfahren nur die persönliche Forderung unbeschränkt geltend zu machen.984 In der Regel dürfte ein derartiger Verzicht wirtschaftlich nicht ratsam sein, weil der Gläubiger damit auf die Befriedigung aus dem Verwertungserlös des belasteten Gegenstands verzichtet und regelmäßig einen wesentlich höheren Ausfall hinzunehmen haben wird.
392
Praktische Hinweis für den Berater bei der Entscheidung über einen Verzicht: Ein Verzicht auf das Absonderungsrecht kann ratsam sein, wenn die Verwertung wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint, diese sich aussichtslos und schwierig gestaltet und der Gläubiger nur bei einem Verzicht seinen „Ausfall“ innerhalb der Ausschlussfrist der §§ 190 Abs. 1 Satz 1, 189 Abs. 1 InsO nachweisen und sodann auch an der Schlussverteilung teilnehmen kann985 (s. dazu Rz. 396 ff.). – Der Verzicht ist gegenüber dem Insolvenzverwalter entsprechend den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zu erklären. Ein Teilverzicht ist möglich. Ein solcher ist aber nicht die Freigabe einzelner Haftungsobjekte aus dem Haftungsverband der Sicherheit.986 – Die Verzichtserklärung muss verbindlich und vorbehaltlos sein und zu einer endgültigen Freigabe des Sicherungsguts zugunsten der Masse führen.987 In der Vorauflage wurde erörtert, ob einem Verzicht auch eine Erklärung gleichstehen kann, nach der „sich der Gläubiger verpflichtet, das Absonderungsrecht nicht geltend zu machen“. Unter Hinweis auf die Ansicht von Prütting988 wurde die Gleichstellung einer solchen Erklärung mit einer Verzichtserklärung abgelehnt. Hieran wird – mit einer Ausnahme – festgehalten. Entfaltet die Verpflichtungserklärung des Gläubigers, das Absonderungsrecht nicht geltend zu machen, auch Bindungswirkung für die Zeit nach der Verfahrensbeendigung, dann steht eine solche Erklärung in ihren Wirkungen einem unmissverständlich formulierten Verzicht gleich.989 Als Verzicht auf
393
980 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, EWiR 2011, 321 (Flitsch) = ZIP 2011, 579 = NZI 2011, 247. 981 So Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 62. 982 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, EWiR 2011, 321 (Flitsch) = ZIP 2011, 579 = NZI 2011, 247, 248, obgleich diese Frage mangels Vorlage einer Tilgungsbestimmung nicht streitgegenständlich war. 983 Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 31; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 52 Rz. 17. 984 OLG Köln v. 3.3.2000 – 2 W 31/00, NZI 2001, 33, 34. 985 Vgl. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 9. 986 Thole in K. Schmidt, InsO, § 52 Rz. 10. 987 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 21; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 27. 988 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 5. 989 Thole in K. Schmidt, InsO, § 52 Rz. 10.
Drees/Schmidt | 901
§ 10 Rz. 393 | Beratung des gesicherten Gläubigers
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das Absonderungsrecht genügt mithin auch sonst jede Erklärung, die verhindert, dass das Absonderungsgut verwertet und die gesicherte Insolvenzforderung trotzdem in voller Höhe bei der Verteilung der Masse berücksichtigt wird. Zu diesem Zweck muss nicht notwendig über das zur abgesonderten Befriedigung berechtigende Grundpfandrecht verfügt werden. Ein dinglicher Verzicht ist mithin nicht erforderlich.990 Diese Rechtsprechung sollte daher auch weiterhin einen Verzicht durch schlüssiges Verhalten möglich lassen.991 Die vorbehaltlose Geltendmachung der gesamten Forderung stellt jedoch noch keine Verzichtserklärung dar.992 Abweichend von der bisherigen Praxis993 bedarf ein für die Teilnahme am Insolvenzverfahren relevanter Verzicht nicht einer besonderen Form. Auch dies ist die Konsequenz der Rechtsprechung des BGH v. 2.12.2010.994 Handelt es sich bei dem Absonderungsrecht um ein Recht an einem Grundstück, so ist für den Verzicht auf das Recht an dem Grundstück nach § 875 BGB die Erklärung des Berechtigten gegenüber dem Begünstigten bzw. dem Grundbuchamt in der entsprechenden Form des § 29 GBO erforderlich sowie die Eintragung im Grundbuch. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn man mit der zuvor beschriebenen Rechtsprechung des BGH nicht zwingend einen dinglichen Verzicht und damit eine Verfügung über das zur Absonderung berechtigende Grundpfandrecht fordert. Liegt indes eine Verfügung vor, so bedarf die Erklärung der grundbuchmäßigen Form.995 Soweit auf ein Pfandrecht an einem beweglichen Gegenstand oder an Wertpapieren verzichtet werden soll, genügt für diesen Verzicht die Rückgabe der Sache an den Insolvenzverwalter, verbunden mit einer formfreien Aufgabeerklärung (vgl. §§ 1255, 1257, 1293 BGB). Auf einen Eigentumsvorbehalt kann der Berechtigte durch einseitige Erklärung verzichten, da der Verzicht praktisch zum Wegfall bzw. Eintritt der Bedingung und damit zum Rechtserwerb des Insolvenzschuldners führt. Entsprechendes gilt auch für die auflösend bedingt vereinbarte Sicherungsübereignung oder -zession. Im Regelfall ist die einseitige Aufgabe analog §§ 959, 1255 BGB allerdings nicht als ausreichend anzusehen, weil insoweit für die Rückübertragung des Sicherungseigentums bzw. der Sicherungsforderung auf den Sicherungsgeber dessen Mitwirkung unablässig ist. Der Insolvenzverwalter kann eine Rückübereignungserklärung (§ 930 BGB) bzw. eine Rückabtretung (§ 398 BGB) allerdings seinerseits konkludent annehmen.
(b) Verwirkung 394
Außerhalb einer gesetzlichen Regelung ist es anerkannt, dass das Absonderungsrecht auch verwirkt werden kann. Eine Verwirkung wird z.B. dann in Betracht zu ziehen sein, wenn der absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger in voller Kenntnis seines Absonderungsrechts ohne erklärten Vorbehalt Ratenzahlungen auf die gesamte Forderungssumme entgegen nimmt.996 (4) Nachweis des Ausfalls
395
Zur Teilnahme an der Abschlussverteilung (§ 196 InsO) ist der Absonderungsberechtigte nur dann berechtigt, wenn er bis zum Ablauf der Ausschlussfrist seinen Verzicht auf abgesonderte Befriedigung oder seinen Ausfall im Hinblick auf die bereits erfolgte abgesonderte Befriedigung nachweist (§§ 190 Abs. 1, 189 Abs. 1 InsO). Der Absonderungsberechtigte kann also auf seine persönliche Forderung gegenüber dem Schuldner nur dann eine Zahlung verlangen, wenn er den Nachweis seines Verzichts 990 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180 = EWiR 2011, 193 (Kesseler), 181. 991 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 8; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 23; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 27. 992 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 23; Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 39; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 28. 993 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 23; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 52 Rz. 3. 994 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180 = EWiR 2011, 193 (Kesseler), 181. 995 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180 = EWiR 2011, 193 (Kesseler), 181. 996 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 10; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 30.
902 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 398 § 10
oder seines tatsächlichen Ausfalls rechtzeitig bis zum Ablauf der Ausschlussfrist erbringt.997 Der Nachweis des Ausfalls kann nur durch – die reale Verwertung bzw. – deren erfolglosen Versuch geführt werden.998 Der bloße Nachweis eines bestimmten Verkehrswertes des mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands ist nicht ausreichend. Allerdings kann in dem Nachweis, dass dem Pfandgegenstand nur ein gewisser Wert zukommt, konkludent der Wille des Gläubigers zum Ausdruck kommen, dass er jedenfalls nicht für einen höheren Betrag aus dem Pfandgegenstand Befriedigung suchen wird, mithin insoweit auf abgesonderte Befriedigung verzichtet.999 Der zufällige Untergang der Sache oder ihr unerklärliches Abhandenkommen ist dem Ausfall gleichzusetzen.1000
395a
Die Nachweispflicht entfällt, wenn der Insolvenzverwalter die Verwertung des Absonderungsguts selbst betreibt (§ 190 Abs. 3 Satz 1 InsO).1001 Der Insolvenzverwalter hat im Falle, dass die Verwertung noch nicht erfolgte, den Ausfall des Gläubigers zu schätzen und den auf die Forderung entfallenden Anteil zurückzubehalten (§ 190 Abs. 3 InsO). Lässt sich der Ausfall bis zur Verteilung nicht ermitteln, muss der Verwalter unter Zurückhaltung von Mitteln eine Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) durchführen. Zu einer solchen kommt es auch dann, wenn es bei Verwertung durch einen Absonderungsberechtigten zu einem nicht zu erwartenden Übererlös kommt.1002
396
Handelt es sich zunächst nur um eine Abschlagsverteilung, so kommt es ebenfalls darauf an, wem das Verwertungsrecht zusteht. Soweit der Insolvenzverwalter gem. § 166 InsO zur Verwertung berechtigt ist, obliegt es ihm, den möglichen Ausfall des Berechtigten zu schätzen und den auf die Forderung entfallenden Teil zurückzubehalten (§ 190 Abs. 3 Satz 2 InsO).1003 Ist der Gläubiger selbst verwertungsbefugt (§ 173 InsO), so kann dieser bei einer Abschlagsverteilung dann Berücksichtigung finden, wenn er dem Verwalter bis zum Ablauf der Ausschlussfrist das Betreiben der Verwertung nachweist und den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 Satz 2 InsO).1004 Soweit der Gläubiger diese Vorgaben erfüllt, bekommt er den Abschlag aufgrund der weiterhin unsicheren Höhe des Ausfalls nicht ausbezahlt, sondern der Verwalter hält diesen Betrag nach § 190 Abs. 2 Satz 2 InsO für ihn zurück. Sollte es dem Gläubiger nicht gelingen, seinen Ausfall rechtzeitig vor der Abschlagsverteilung glaubhaft zu machen, sondern gelingt ihm das erst zu einem späteren Zeitpunkt, so wird er aus der Restmasse nachträglich soweit vorab befriedigt, dass er mit den übrigen Gläubigern gleichgestellt ist (§ 192 InsO). Soweit der Gläubiger den Nachweis über seinen tatsächlichen Ausfall gegenüber dem Insolvenzverwalter auch nicht innerhalb der Ausschlussfrist bis zur Schlussverteilung erbringt, fließen die zurückbehaltenen Beträge in die Gesamtschlussverteilungsmasse und werden für die Schlussverteilung unter den übrigen Insolvenzgläubigern frei (§§ 189 Abs. 3, 190 Abs. 2 Satz 2 InsO).
397
Ersteht der absonderungsberechtigte Gläubiger den Absonderungsgegenstand im Rahmen der Verwertung selbst zu einem Betrag unterhalb des Verkehrswertes, so ist dem Absonderungsberechtigten dieser Vorteil – anders als bei § 114a ZVG (s. Rz. 339) – bei der Ausfallberechnung nicht anzurechnen.1005
398
997 998 999 1000 1001 1002 1003 1004 1005
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 17; Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 22. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 17; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 11. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 153 Rz. 2b. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 17; Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 32. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 7; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 19. BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143, 144. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 19; Hess, InsO, 1995, § 52 Rz. 485. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 18; Ganter in MünchKomm/InsO, § 52 Rz. 22. BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214, 2215; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 9.
Drees/Schmidt | 903
§ 10 Rz. 399 | Beratung des gesicherten Gläubigers 399
Hinweis: Handelt es sich allerdings um die Erstehung eines Grundstücks und bleibt das Gebot hinter dem 7/10-Gebot bezogen auf den Grundstückswert zurück, ist dies für die bis zu diesem Wert bestehende Differenz zu berücksichtigen (§ 114a ZVG).1006
400
Gehört der Sicherungsgegenstand nicht dem Insolvenzschuldner, sondern einem Dritten, entfällt die Beschränkung des § 52 Satz 2 InsO. Es liegt insoweit gar kein Fall abgesonderter Befriedigung vor. Entsprechend § 43 InsO kann der Gläubiger sowohl von dem persönlichen als auch von dem dinglichen Schuldner jeweils volle Befriedigung verlangen und zwar unabhängig davon, ob einer von beiden oder beide in Insolvenz gefallen sind. Bei lediglich dinglicher Dritthaftung gilt § 43 InsO analog.1007 Der Gläubiger erhält mithin eine Dividende auf seine volle persönliche Forderung und kann zudem durch eine zusätzliche Pfandverwertung gegebenenfalls zur vollen Befriedigung gelangen.
d) Nach Aufhebung des Verfahrens (§§ 200, 201 InsO) 401
Wird das Insolvenzverfahren im Wege der Liquidation des Schuldnervermögens bis zur Schlussverteilung durchgeführt, so beschließt das Insolvenzgericht nach vollzogener Schlussverteilung und deren Nachweis seitens des Verwalters gem. § 200 Abs. 1 InsO die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet das Amt des Insolvenzverwalters und der Schuldner erhält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die vormals vom Insolvenzbeschlag erfassten Vermögensgegenstände zurück, soweit es sich nicht um Massegegenstände handelt, die einer Nachtragsverteilung vorbehalten wurden1008 (zur Nachtragsverteilung vgl. § 9 Rz. 487 ff.).
402
Wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben, entfallen damit auch alle insolvenzspezifischen Beschränkungen und an die Stelle der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung tritt wieder die bürgerlich-rechtliche Haftungsordnung in der Gestalt, wie sie auch vor der Verfahrenseröffnung für das Schuldnervermögen Geltung beanspruchte.1009
403
Damit fallen auch die durch die §§ 85 ff. InsO der individuellen Rechtsverfolgung durch die Gläubiger gegenüber dem Schuldner gezogenen Schranken fort. Der Schuldner haftet – vorbehaltlich einer möglichen Restschuldbefreiung – grundsätzlich wieder unbeschränkt für die Verbindlichkeiten, die er vor Eröffnung des Verfahrens begründet hat.
404
Korrelierend damit steht den im Verfahren nicht befriedigten Gläubigern – soweit keine Restschuldbefreiung angekündigt ist1010 – ein freies Nachforderungsrecht zu, d.h., den Gläubigern steht es frei, ihre restlichen Forderungen gegenüber dem Insolvenzschuldner nach § 201 Abs. 1 InsO uneingeschränkt geltend zu machen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens eine Befriedigung im Hinblick auf ihre Forderung gar nicht erst beansprucht bzw. ihre Forderung nicht zur Tabelle angemeldet hatten oder ob ihre Forderung durch die ausgeschüttete Quote nicht vollständig gedeckt wurde. Sie müssen sich auf ihre Nachforderung allerdings die an sie im Rahmen der Verfahrensverteilungen (Abschlags- und/oder Schlussverteilung) zur Auszahlung gebrachten Anteile anrechnen lassen.
1006 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 9; Lohmann in HK/InsO, § 52 Rz. 7 ff. 1007 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 12. 1008 Wegener in Uhlenbruck, InsO, § 200 Rz. 17; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 200 Rz. 7. Nach BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 kommt es auch bei einem nicht zu erwartenden Übererlös nach Verwertung durch den Absonderungsberechtigten. 1009 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 201 Rz. 3. 1010 Vgl. zu der Frage der Beschränkung des Nachforderungsrechts bei Restschuldbefreiung: Wegener in Uhlenbruck, InsO, § 201 Rz. 14; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 201 Rz. 4.
904 | Drees/Schmidt
III. Absonderungsfragen | Rz. 408 § 10 Hinweis: Als Haftungsmasse steht den Gläubigern auch das vom Schuldner nach Abschluss des Verfahrens neu hinzuerworbene Vermögen zur Verfügung (zu den hiermit verbundenen Problemen in der Insolvenz eines Freiberuflers vgl. § 19 Rz. 61 ff.).
405
Den Gläubigern, die an dem Insolvenzverfahren teilgenommen haben, ist nach Abschluss des Verfahrens eine beglaubigte auszugsweise Ausfertigung der Tabelle zu erteilen, soweit diese jeweils ihre Forderung betrifft. Aus diesem Tabellenauszug kann der Gläubiger nach Aufhebung des Verfahrens die Zwangsvollstreckung unmittelbar betreiben. Aufgrund der Feststellungswirkung des Tabelleneintrags gem. § 178 Abs. 3 InsO kann die Vollstreckung aus der Tabelle gem. § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO „wie aus einem vollstreckbaren Urteil“ betrieben werden.1011
406
Absonderungsberechtigte Gläubiger, denen der Schuldner zugleich persönlich haftet, können mithin nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre persönliche Forderung gegenüber dem Schuldner, die sie in der Regel im Insolvenzverfahren in voller Höhe zur Tabelle angemeldet hatten, unmittelbar auf der Grundlage der Tabellenfeststellung vollstrecken.
407
Dass die Insolvenzforderung „nur für den Ausfall“ festgestellt worden ist, ändert an dieser uneingeschränkten Rechtskraftwirkung dem Schuldner gegenüber nichts. Grundsätzlich kann folglich nach Verfahrensaufhebung und Erteilung der Vollstreckungsklausel die Vollstreckung hinsichtlich der Forderung in voller Höhe betrieben werden. Hat während des Insolvenzverfahrens die Verwertung des Absonderungsguts stattgefunden, ist im Fall der Vollstreckung aus dem Tabellenauszug die durch die Verwertung bewirkte teilweise Erfüllung der Forderung im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 Abs. 1 ZPO) geltend zu machen.
407a
Konnte aus der Verwertung von Absonderungsgut ein Erlös erzielt werden, so erfolgt wegen der Regelung des § 190 InsO eine Eintragung in das Verteilungsverzeichnis nur in Höhe des Ausfalls. Dies beeinflusst aber nicht den Tabelleneintrag. Die in der Tabelle vermerkte Forderungshöhe wird nicht um den Verwertungserlös reduziert. Auch die bei Verteilungen erhaltenen Quoten werden lediglich auf dem vollstreckbaren Auszug vermerkt, beeinflussen aber nicht die in der Tabelle eingetragene Forderungshöhe.1012
407b
In der Praxis darf die Vollstreckungsgegenklage als Ausnahmefall bezeichnet werden. Denn die Insolvenzverwalter sind darum bemüht, die zur Tabelle festgestellte Forderungshöhe nach erfolgter Verwertung an das Verteilungsverzeichnis anzupassen. Hierzu werden Absonderungsberechtigte mitunter aufgefordert, einen (teilweisen) Verzicht auf die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung in Höhe des Verwertungserlöses zu erklären. Wird der Verzicht erklärt, werden vollstreckbare Tabellenauszüge später lediglich über die verbleibende Restforderung erteilt und vollstreckungsrechtliche Folgeprobleme (§ 767 Abs. 1 ZPO) vermieden.1013
407c
e) Bei Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) Ergibt sich im Verlauf des eröffneten Verfahrens die Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens dergestalt, dass die Insolvenzmasse nicht einmal zur Deckung der Verfahrenskosten ausreicht, so ist das Insolvenzgericht zur Verfahrenseinstellung mangels Masse verpflichtet (§ 207 Abs. 1 InsO). Der Verwalter hat vor der Einstellung des Verfahrens die vorhandenen Barmittel entsprechend Abs. 3 zu verteilen, wozu ihm seitens des Insolvenzgerichts vor der Einstellung Gelegenheit zu geben ist. Zur Verwertung vorhandener Massegegenstände ist der Verwalter nicht weiter verpflichtet, da seine Vergütung nicht gedeckt ist und ihm daher die Fortsetzung der Masseverwertung nicht zugemutet werden
1011 Wegener in Uhlenbruck, InsO, § 201 Rz. 19 ff.; Depré in HK/InsO, § 201 Rz. 5. 1012 Herchen in Hamburger Kommentar zur InsO, § 201 Rz. 7a und § 202 Rz. 2. 1013 Herchen in Hamburger Kommentar zur InsO, § 201 Rz. 7a.
Drees/Schmidt | 905
408
§ 10 Rz. 408 | Beratung des gesicherten Gläubigers soll (Abs. 3 Satz 2).1014 Bis zur Einstellungsentscheidung ist er jedoch noch zu Verwertungshandlungen berechtigt, wenngleich ihm im Hinblick auf eine drohende Schadensersatzpflicht für neu begründete Masseverbindlichkeiten nach § 61 InsO davon eher abzuraten ist1015 (vgl. zu Neumasseschulden auch § 14 dieses Buches). Das unverwertete Vermögen wird dem Schuldner wieder zurückgegeben. 409
Mit der Einstellung des Verfahrens entfallen auch hier die insolvenzspezifischen Haftungsregularien. Der Schuldner erhält mit der Einstellung des Verfahrens die Verfügungsbefugnis über die Masse zurück (§ 215 Abs. 2 InsO). Die Gläubiger können ihre Ansprüche gegenüber dem Schuldner ohne Beschränkungen im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung nach den Regelungen der ZPO geltend machen.1016 Die Vorschriften über die freie Nachhaftung des Schuldners nach Aufhebung des Verfahrens gem. § 201 Abs. 1 InsO finden auch nach einer Verfahrenseinstellung mangels Masse entsprechende Anwendung (§ 215 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das gilt auch für die gesicherten Gläubiger, die zum einen ihre persönliche Forderung nach den allgemeinen Vorschriften des BGB sowie des Prozessrechts geltend machen können, was jedoch nach einem mangels Masse eingestellten Insolvenzverfahren zumeist wenig erfolgversprechend sein dürfte. Zum anderen steht ihnen darüber hinaus aber auch das Recht zur Realisierung ihrer Sicherheit zu (auch zur Einstellungsmasse § 9 Rz. 459 ff.).
f) Bei Anzeige von Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) 410
Das Insolvenzverfahren wird im ausdrücklichen Gegensatz zur fehlenden Kostendeckung gem. § 207 InsO bei Masseunzulänglichkeit nicht unmittelbar eingestellt (§ 208 InsO). Das Amt des Insolvenzverwalters mit seinen Rechten und Pflichten bleibt zunächst unangetastet. Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit besteht für den Verwalter nach § 208 Abs. 3 InsO weiterhin die Pflicht zur Verwaltung und Verwertung der Masse sowie zur Tilgung etwaiger Masseverbindlichkeiten, soweit die Masse dies zulässt.1017 Unabhängig von dem Verteilungsverfahren nach § 209 InsO hat der Insolvenzverwalter die Aus- und Absonderungsrechte zu befriedigen.1018 Damit unterliegen die gesicherten Gläubiger bei angezeigter Masseunzulänglichkeit weiterhin den insolvenzspezifischen Regelungen und der mit ihnen einhergehenden Beschränkungen.
411
Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit verwaltet und verwertet der Verwalter die Insolvenzmasse zunächst weiter und verteilt die Masse entsprechend § 209 InsO. Im Anschluss an die Masseverteilung wird das Verfahren nach § 211 InsO durch Beschluss des Gerichts eingestellt. Massegegenstände, die nicht verwertet werden konnten, sind dem Schuldner freizugeben. Mit der Einstellung des Verfahrens kommt dem Schuldner nach § 215 Abs. 2 InsO wieder das Recht zu, über die vormals dem Insolvenzbeschlag unterlegene Masse frei zu verfügen. Der Insolvenzbeschlag endet mit dem Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung.
412
Den Insolvenzgläubigern steht auch hier nach § 215 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. § 201 Abs. 1 InsO das Recht zur freien Nachforderung zu, soweit dem Schuldner keine Restschuldbefreiung erteilt wurde. Die Absonderungsberechtigten, denen der Insolvenzschuldner zugleich persönlich haftet, sind daher als ehemalige Insolvenzgläubiger zur freien Nachforderung bezüglich ihrer persönlichen Forderung gegenüber dem Schuldner berechtigt, soweit sie diesbezüglich einen Ausfall erlitten haben. Diesen können sie im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung entsprechend den Bestimmungen der ZPO beanspruchen.
413
Bezüglich des Sicherungsrechts kommt es darauf an, ob es während des Insolvenzverfahrens noch zu einer Verwertung des Sicherungsguts kam oder nicht. War dies der Fall, dann steht dem Gläubiger das
1014 1015 1016 1017 1018
Ries in Uhlenbruck, InsO, § 207 Rz. 11; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 207 Rz. 22. Westphal in Nerlich/Römermann, InsO, § 207 Rz. 38. Ries in Uhlenbruck, InsO, § 207 Rz. 13 ff.; Kießner in Frankfurter Kommentar, InsO, § 207 Rz. 42. Ries in Uhlenbruck, InsO, § 208 Rz. 19; Landfermann in HK/InsO, § 208 Rz. 10 ff. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 208 Rz. 18 ff.; Hess, InsO, 1995, § 209 Rz. 55.
906 | Drees/Schmidt
IV. Sicherheitenpool | Rz. 415a § 10
Recht zur abgesonderten Befriedigung aus dem Erlös zu. Soweit eine Verwertung in dem zwischenzeitlich eingestellten Verfahren nicht vorgenommen wurde, kann der gesicherte Gläubiger sein Sicherungsrecht entsprechend den allgemeinen gesetzlichen bzw. individualvertraglich vereinbarten Bedingungen realisieren und im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung in den Sicherungsgegenstand vollstrecken1019 (zur Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit s. § 9 Rz. 466 ff.).
IV. Sicherheitenpool In der Insolvenzpraxis hat sich die Bildung sog. Sicherheitenpools etabliert. Der Begriff des Sicherheitenpools lässt vom Wort her verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Ein Sicherheitenpool liegt regelmäßig dann vor, „wenn mehrere Gläubiger die Aussonderung und Absonderung ihrer Mobiliarsicherheiten gemeinsam wahrnehmen1020 „. Der BGH spricht mitunter auch von
414
– Sicherheitenverwertungsverträgen oder – Sicherheitenpoolverträgen und meint hiermit nichts anderes.1021 Die rechtliche Zulässigkeit entsprechender Poolabreden ist unbestritten.1022 Grundformen derartiger Sicherheitenpools sind – Lieferantenpools zwischen Warenkreditgläubigern (Rz. 415b) und – Bankenpools zwischen Geldkreditgläubigern (Rz. 415a). In der Praxis treten auch Mischformen dieser beiden Gruppen auf.1023 Der wirtschaftliche Hintergrund entsprechender Poolbildungen dürfte stets derselbe sein: Aus- und Absonderungsberechtigte stehen häufig vor der Schwierigkeit, dem Insolvenzverwalter gegenüber ihre Rechte nachzuweisen. Insbesondere der Nachweis der konkreten dinglichen Berechtigung stellt die Aus- und Absonderungsberechtigten immer wieder vor erhebliche Schwierigkeiten, vornehmlich dann, wenn sich die Vereinbarungen der Lieferanten mit dem Schuldner überschneiden. Um diesen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art bei der Abgrenzung der verschiedenen Sicherheiten zu begegnen und die Durchsetzung und Verwertung der Sicherheiten zu vereinfachen, schließen sich die gesicherten Gläubiger zu einem so genannten Sicherheitenpool zusammen und bringen in diesen ihre Sicherheiten ein. Dadurch soll die Gesamtheit dieser Gläubiger gegenüber dem Insolvenzverwalter jedenfalls aus- und absonderungsberechtigt werden, unabhängig davon, ob sich die Rechte der Einzelnen überschneiden.1024
415
Bei einem Sicherheitenpool der Banken sind sehr verschiedene Ausgestaltungen denkbar. Eine Besonderheit ist sicherlich die kreditbegleitende – und damit krisenunabhängige – Poolbildung. Kommt es zu einer außergewöhnlich hohen Kreditgewährung, teilen sich in der Praxis regelmäßig mehrere Banken den Kredit (so genannter Konsortialkredit), um damit das Risiko der einzelnen Bank zu minimieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt kann es sinnvoll sein, einen Sicherheitenpool zu bilden. Bei einer solchen Vorgehensweise ist neben den Vorteilen der fortwährenden Kommunikation und effizienten Informationsgewinnung zu einem sehr frühen Zeitpunkt für den Fall einer später eintretenden Krise vorgesorgt. Abzugrenzen ist ein solcher Bankenpool vom bloßen Bassinvertrag, bei dem den einzel-
415a
1019 1020 1021 1022
Kießner in Frankfurter Kommentar, InsO, § 208 Rz. 24. Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 44 Rz. 1. BGH v. 3.11.1988 – IX ZR 213/87, ZIP 1988, 1534 = EWiR 1989, 153 (Tiedtke). MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 189 ff.; Riggert, NZI 2000, 525; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142 ff. 1023 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 56. 1024 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 18 ff.
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§ 10 Rz. 415a | Beratung des gesicherten Gläubigers nen Banken gerade keine eigenen Sicherheitenrechte eingeräumt werden, sondern ein Treuhänder für das Unternehmen – im Einverständnis mit den beteiligten Banken – von vornherein sämtliche Sicherheiten verwaltet. Sieht man einmal von den fehlenden eigenen Sicherheiten ab, unterscheidet sich die Sicherheitenverwaltung und in der Krise deren Verwertung nicht von der in einem Sicherheitenpool. Als klassischer Sicherheitenpool von Banken dürfte letztlich ein solcher bezeichnet werden, der bei Eintritt der Krise des Unternehmens implementiert wird. 415b
416
Der so genannte Lieferantenpool wird oftmals auch als Sicherheitenpool der Sicherungsgläubiger bezeichnet. Er kann bereits zur Abwendung der Krise gebildet werden, regelmäßig geschieht die Poolbildung jedoch erst bei einer unmittelbar bevorstehenden oder gar schon eingetretenen Insolvenz. Die inzwischen eingetretene Verbreitung liegt unter anderem daran, dass auch (vorläufige) Insolvenzverwalter ein erhebliches Interesse an der Einrichtung solcher Pools haben. So bündeln Insolvenzverwalter die Kommunikation auf einen wirtschaftlich kompetenten Poolführer und müssen nicht mit jedem Lieferanten gesondert verhandeln. Auf diese Weise wird das laufende Insolvenzverfahren zudem nicht mit der notwendigen Abgrenzung der kollidierenden Sicherheiten belastet. Vorteile einer Poolbildung: – umfassender und effizienterer Informationsaustausch zwischen den Poolmitgliedern untereinander sowie im Verhältnis zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter, – Möglichkeit der Krisenfrüherkennung, – institutionalisierte und gebündelte Kommunikation erhöht Sanierungschancen – Verwertung im Ganzen anstelle von Zerschlagung, – verbesserter Verwertungserlös durch geordnete Verwertung, – Kostenreduzierung bei der Feststellung und Durchsetzung von Sicherungsrechten, – Verlagerung der Auseinandersetzung konkurrierender Sicherheitenrechte auf einen späteren Zeitpunkt.
416a
Poolbildung und ESUG: Über diese Vorteile hinaus muss mit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)1025 die Koordination der jeweiligen Gläubigergruppen zur Ermöglichung einer Repräsentanz im (vorläufigen) Gläubigerausschuss benannt werden. Gemäß §§ 21 Abs. 2 Ziff. 1a, 22a, 69 ff. InsO sollen im vorläufigen wie auch im endgültigen Gläubigerausschuss absonderungsberechtigte Gläubiger vertreten sein. Unabhängig davon, dass es sich hierbei um eine so genannte „Soll Bestimmung“ handelt, gehören Absonderungsberechtigte zu den zentralen Ansprechpartnern im Zusammenhang mit der Implementierung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses. Hierzu gehören insbesondere die Geld- und Warenkreditgläubiger. Die Erfahrung zeigt, dass jedenfalls bei 5-köpfigen Ausschüssen sowohl der Lieferanten- als auch der Kreditfinanziererkreis durch ein geeignetes Mitglied vertreten sind. Die Identifikation eines einzelnen Absonderungsberechtigten – der auch nach den Maßstäben des Gerichts der richtige Absonderungsberechtigte – aus dem Kreis der Lieferanten ist erheblichen praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt. So greift beispielsweise der (zunächst richtige) Blick auf die Forderungshöhe zu kurz. Ebenso müssen die – zukünftige – strategische Bedeutung des Lieferanten und das Bewusstsein für die Verantwortung im (vorläufigen) Gläubigerausschuss ausgeprägt sein. Daneben tritt die praktische Schwierigkeit der Erreichbarkeit des richtigen Ansprechpartners, dessen praktische Erfahrung bei Ausschusstätigkeiten und zweifelsohne die Bereitschaft zur Mitwirkung.
1025 Gesetz v. 7.12.2011, BGBl. I, S. 2582.
908 | Drees/Schmidt
IV. Sicherheitenpool | Rz. 417c § 10
Die praktische Erfahrung zeigt, dass diese Schwierigkeiten dann überwunden werden können, wenn eine Poolverwaltung im zeitlichen Zusammenhang mit der Antragsvorbereitung installiert wird. Auf diese Weise sind regelmäßig die Professionalität und Koordination in Richtung der Warenkreditversicherung sichergestellt. Umgekehrt muss über die Mitwirkung im Ausschuss hinaus die Poolverwaltung – mit den damit verbundenen Kosten – als geeignetes Instrument für den konkreten Sanierungsfall erachtet werden. Unter Transparenz-, Vertrauens- und letztlich auch Kompetenzgesichtspunkten dürfte die Installation eines Sicherheitenpools aus Anlass der Ansprache von potentiellen Ausschussmitgliedern empfehlenswert sein.1026
416b
Neben den beschriebenen wirtschaftlichen Hintergrund (Rz. 415) tritt der entscheidende rechtliche Vorteil einer Beweiserleichterung. Der Sicherheitenpool dient in erster Linie der Überwindung von Beweisschwierigkeiten, die auftreten, wenn die beteiligten Gläubiger ihre Rechte an den Sicherungsgegenständen einzeln gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen würden. Dies gilt sowohl für Aussonderungs- als auch Absonderungsberechtigte. Einem einzelnen Eigentumsvorbehaltslieferanten wird es kaum möglich sein, nachzuweisen, zu welchem Anteil sich die von ihm ausgelieferten Waren noch im Warenbestand des Schuldners befinden. Auch Lieferanten mit verlängertem Eigentumsvorbehalt und Vorausabtretungs- oder Verarbeitungsklausel werden entsprechende Nachweise nur schwer erbringen können. Verantwortlich für diese Schwierigkeiten ist stets der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz, wonach dingliche Rechte nur an einzelnen Sachen bestehen können, die sich als solche individualisieren bzw. spezifizieren lassen.
417
Auch wenn sowohl Aus- als auch Absonderungsrechte im Sicherheitenpool gebündelt werden können, bilden in der Praxis regelmäßig nur Absonderungsberechtigte einen Pool.1027 So wird das aus dem einfachen Eigentumsvorbehalt resultierende Aussonderungsrecht in der Regel von dem Vorbehaltslieferanten auch selbständig und außerhalb des Pools – sei es durch Abholung noch vorhandener Bestände oder deren Veräußerung an den Insolvenzverwalter – verfolgt. Auch andere Poolkonstellationen sind denkbar. So wurde im Insolvenzverfahren der Fa. Anton Schlecker e.K. beispielsweise ein Lieferantenpool für den einfachen Eigentumsvorbehalt gebildet, obgleich der Nämlichkeitsnachweis einen solchen nicht zwingend erfordert hätte.
417a
Hinweis: Mit Rücksicht auf zu erwartende Abgrenzungsprobleme ist strikt davon abzuraten, einen Sicherheitenpool sowohl aus Ab- als auch Aussonderungsberechtigten zu bilden. Insolvenzverwalter werden regelmäßig der Aussonderung widersprechen, weil sie hinsichtlich der Absonderungsrechte Kostenbeiträge erwarten. Sind die Anteile der kollidierenden Sicherungsgläubiger nicht abgrenzbar, empfiehlt sich eine umfassende Verwertungsvereinbarung.1028
417b
Die beschriebenen Beweiserleichterungen haben jedoch eine feststehende Grenze: Der Pool kann nicht mehr Rechte haben als seine Mitglieder. Durch den bloßen Beitritt zu einem Sicherheitenpool können ungesicherte Gläubiger keine dinglichen Rechte an den gepoolten Sicherheiten erwerben.1029 Absonderungsrechte sind daher auch nur insoweit an einem Verwertungserlös zu beteiligen, als ihnen gesicherte Forderungen zugrunde liegen. Eine Umvalutierung durch Poolvereinbarungen ist unzulässig, wenn dadurch ungesicherte Forderungen gesichert oder Sicherheiten aufgefüllt werden.1030
417c
1026 1027 1028 1029
Schmidt in Buth/Hermanns, 2014, § 33 Rz. 129 ff. Leiner, ZInsO 2006, 460 ff. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 58. BGH v. 2.6.2005 – IX ZR 181/03, ZIP 2005, 1651, 1652 f. m. Bspr. Leiner, ZInsO 2006, 460 ff.; OLG Köln v. 24.1.2007 – 2 U 50/05, ZIP 2007, 391 = EWiR 2005, 899 (Gundlach/Frenzel). 1030 Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 59; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 18; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142.
Drees/Schmidt | 909
§ 10 Rz. 418 | Beratung des gesicherten Gläubigers 418
Der Pool stellt sich i.d.R. als Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar, die den Zweck verfolgt, die Sicherheiten der Gesellschafter im Sicherungsfall zu realisieren.1031 Im Außenverhältnis tritt für den Pool ein Treuhänder auf (sog. Poolführer), auf den die Beteiligten ihre Rechte übertragen.1032 Im Rahmen des Poolvertrags wird pauschal vereinbart, dass jeder Lieferant, der dem Pool beitritt, eine bestimmte Quote erhält, ohne auf die Problematik des Einzelnachweises verwiesen zu werden. Ausschlaggebend für die Höhe der Quote der einzelnen Poolmitglieder werden in der Regel die einzelnen Anteile der Poolmitglieder an den eingebrachten Sicherheiten bzw. das Werteverhältnis der eingebrachten Sicherheiten der einzelnen Mitglieder zueinander sein.
418a
Sind die Anteile der einzelnen Mitglieder an den Gegenständen nicht bestimmbar, müssen sämtliche Gläubiger dem Pool beitreten.1033 Lediglich dann kann dem Pool die angestrebte Beweiserleichterung zuerkannt werden. Weiter muss bei fehlender Bestimmbarkeit der Anteile der einzelnen Mitglieder an den Sicherungsgegenständen jede gesicherte Forderung den Erlös aus der Verwertung des gesicherten Gegenstandes abdecken. Hat ein Mitglied eine geringere Forderung, ist nicht auszuschließen, dass der Verwertungserlös nicht durch die Absonderungsrechte der einzelnen Mitglieder gedeckt und daher zumindest teilweise freie Masse ist. In diesem Fall kann der Pool aus dem Verwertungserlös nur den Erlösanteil herausverlangen, der der geringsten gesicherten Forderung entspricht.1034
418b
Poolmitglieder sind gut beraten, ihre Sicherheitenrechte nur mit solchen Sicherungsnehmern zu bündeln, deren Sicherheitenverträge wirksam sind. Ist etwa ein einzelner Sicherungsgläubiger anfänglich übersichert und trifft ihn auch die von der Rechtsprechung geforderte verwerfliche Gesinnung, so darf dieser Gläubiger nicht in den Pool aufgenommen werden. Die Forderung des betreffenden Gläubigers ist dann lediglich eine einfache Insolvenzforderung. Werden solche Gläubiger trotz der unwirksamen Sicherheitenbestellung in den Pool aufgenommen, verhilft dieser ihnen zur Durchsetzung ihrer vermeintlichen Sicherungsrechte.
V. Personalsicherheiten 1. Allgemeines 419
Im Gegensatz zu einer Sachsicherheit, bei der im Sicherungsfall der Wert der mit dem Sicherungsrecht belasteten Sache realisiert wird, der sodann der Befriedigung der abgesicherten Forderung dient, haftet bei einer sog. Personalsicherheit eine andere Rechtspersönlichkeit mit ihrem Vermögen im Sicherungsfall. Im Rahmen der Bestellung einer Personalsicherheit gewährt eine dritte, von dem Schuldner fremde Person dem Gläubiger eine Sicherung des Anspruchs durch ein Befriedigungsrecht an ihrem Vermögen. Typische Formen der Personalsicherheiten sind – Bürgschaften (Rz. 428 ff.), – Schuldmitübernahmen (Rz. 466 ff.), – Garantie- (Rz. 478 ff.) oder – Patronatserklärungen (Rz. 484 ff.)
1031 1032 1033 1034
Vgl. hierzu eingehend Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.127. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 57. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 57a. Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 59.
910 | Drees/Schmidt
V. Personalsicherheiten | Rz. 422b § 10
2. Realisierung der Personalsicherheiten a) Vor und während der Krise Vor und während der finanziellen Krise des Hauptschuldners kann der Gläubiger den Dritten entsprechend der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen aus der Personalsicherheit in Anspruch nehmen. Insoweit gelten für die Inanspruchnahme des Dritten aufgrund der finanziellen Krise des Hauptschuldners keine besonderen Regularien. Soweit und sobald die allgemeinen Voraussetzungen der Inanspruchnahme der seitens des Dritten bestellten Personalsicherheit eingetreten sind, kann der Sicherungsnehmer auf diese zurückgreifen.
420
Handelt es sich bei der für die Hauptschuld bestellten Personalsicherheit um die Bürgschaft eines Dritten, so sind für die Inanspruchnahme das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 765 ff. BGB zu überprüfen. Da der Bürge vor und während der Krise nicht neben, sondern nach dem Hauptschuldner haftet, ist i.d.R. zunächst eine erfolglose Inanspruchnahme des Hauptschuldners erforderlich, es sei denn, es handelt sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft, einen Fall des § 349 HGB oder der Bürge hat ohnehin auf die Einrede der Vorausklage verzichtet. Die Einrede der Vorausklage entfällt gem. § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB noch nicht während der Krise, sondern erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners.1035 Mithin ergeben sich während des Zeitraums der Krise keine Besonderheiten bei einer Inanspruchnahme des Bürgen.
421
Auf die sonstigen Personalsicherheiten findet ebenfalls weiterhin die allgemeine bürgerlich-rechtliche Haftungsordnung Anwendung. Treten die Voraussetzungen – seien sie gesetzlich normiert oder individualvertraglich vereinbart – eines Sicherungsfalls ein, berechtigt dies den Sicherungsnehmer zur Realisierung der ihm für die Forderung gegen den Hauptschuldner bestellten Personalsicherheit.
422
Hinweis für die Beratung bei Gesellschafter(personal-)sicherheiten: Hat ein Gesellschafter unter den Voraussetzungen des Eigenkapitalersatzrechts (hierzu ausführlich Kap. 4) den Darlehensrückzahlungsanspruch eines Dritten gegen die GmbH durch Übernahme einer Bürgschaft oder eine andere Personalsicherheit gesichert, dann kann nach § 44a InsO der Dritte als Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nur für den Betrag quotale Befriedigung erhalten, mit dem er bei Inanspruchnahme des Gesellschafters ausgefallen ist. Damit beeinflusst die Haftung des zusätzlichen Schuldners unmittelbar die Geltendmachung der gegen den Schuldner gerichteten Forderung.1036 Die Diskussion,1037 worauf der Sicherungsgläubiger eine Insolvenzquote erhält – auf die Restforderung und damit nach Maßgabe des Ausfallprinzips oder aber im Sinne des Doppelberücksichtigungsprinzips auf den vollen Forderungsbetrag – ist durch Einführung des § 44a InsO obsolet. Hiernach kann die anteilsmäßige Befriedigung nur verlangt werden, soweit der Gläubiger bei der Inanspruchnahme der Sicherheit bzw. Bürgschaft ausgefallen ist. Es gilt mithin das Ausfallprinzip. Wegen der Einzelheiten hierzu sowie zur Gesellschafterfinanzierung im Allgemeinen vgl. Kap. 4.
422a
Über die Eigenkapitalersatzhaftung hinaus ergibt sich für Gesellschafter(personal-)Sicherheiten eine Besonderheit aus § 93 InsO. Diese Norm schreibt für die Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft das Recht zur Geltendmachung der persönlichen Haftung des Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft allein deren Insolvenzverwalter zu. Unter Hinweis1038 auf den Wortlaut der Vorschrift hatten Gerichte dem Bürgschaftsgläubiger die Geltendmachung des Bürgschaftsanspruchs gegen den (noch nicht insolventen) Gesellschafter versagt. Diese Problematik ist jedoch im Sinne der Bürgschaftsgläubiger durch die Entscheidung des BGH v. 4.7.2003 – geklärt worden. Hiernach umfasst die
422b
1035 1036 1037 1038
Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335, 338. Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335, 345 ff. m. zahlr. w.N. Noack/Bunke, FS Uhlenbruck, 2000, 335, 348 f. m.w.N. Vgl. ausführlich J. Schmidt, Die Gesellschafterbürgschaft in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft, S. 87 ff.
Drees/Schmidt | 911
§ 10 Rz. 422b | Beratung des gesicherten Gläubigers Sperr- und Ermächtigungswirkung des § 93 InsO nur die persönliche Gesellschaftersicherheit kraft Gesetzes und nicht auch die Parallelsicherheiten,1039 so dass diese weiter gesondert geltend gemacht werden dürfen. 422c
Auswirkungen der Krise des Hauptschuldners auf den Bürgschaftsanspruch sind dann nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn der Bürgschaftsgläubiger den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners (mit-)verursacht hat. Denn Bürgschaftsgläubiger verwirken ihren Sicherungsanspruch, wenn sie den wirtschaftlichen Zusammenbruch schuldhaft verursachen.1040 Hieran ist insbesondere dann zu denken, wenn der Bürgschaftsgläubiger dem Hauptschuldner gegenüber bestehenden Vertragspflichten zuwider handelt und z.B. pflichtwidrig die Einlösung eines Schecks verweigert, obwohl sich die damit einhergehende Kontobelastung im Rahmen des vereinbarten Kontokorrents gehalten hätte.1041
b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren 423
Auch im vorläufigen Insolvenzverfahren ergeben sich für die Realisierung einer, seitens eines am Insolvenzverfahren unbeteiligten Dritten bestellten Personalsicherheit keine Besonderheiten aufgrund des Eintritts des Hauptschuldners in das vorläufige Insolvenzverfahren.
424
Der Bürge haftet auch im vorläufigen Insolvenzverfahren nach und nicht neben dem Hauptschuldner. Der Gläubiger ist zur Inanspruchnahme des Bürgen unter den allgemeinen Voraussetzungen berechtigt. Eine direkte Inanspruchnahme ohne eine vorherige Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Hauptschuldner kommt nur in Betracht, wenn es sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft handelt, ein Fall des § 349 HGB vorliegt oder der Bürge auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die Einrede der Vorausklage entfällt nach § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB erst mit der tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners. Die Anordnung vorläufiger Maßnahmen im Antragsverfahren schließt die Einrede der Vorausklage ebenfalls noch nicht gem. § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB aus.
425
Entsprechend richtet sich auch die Realisierung anderweitiger Personalsicherheiten nach den allgemeinen Vorschriften.
c) Im eröffneten Insolvenzverfahren 426
Während für die Realisierung von Sachsicherheiten an Vermögenswerken des Insolvenzschuldners erhebliche insolvenzspezifische Einschränkungen bestehen, können die Gläubiger auf Personalsicherheiten Dritter auch während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners weitgehend unbehelligt von diesem Zugriff nehmen, soweit nicht auch der Dritte insolvent wird (Rz. 457 ff.).
427
Hinweis: Die Realisierung persönlicher Drittsicherheiten bleibt von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners weitgehend unberührt.1042
1039 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 256/01, BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492 ff. = EWiR 2003, 335 (Welzel) im Anschluss an die h.M. Im Ergebnis ebenso J. Schmidt, Die Gesellschafterbürgschaft in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft, S. 150 ff. sowie Runkel/J. Schmidt, ZInsO 2007, 505 ff. 1040 BGH v. 6.7.2004 – XI ZR 254/02, ZIP 2004, 1589 = EWiR 2004, 1165 (Nielsen), 1591; BGH v. 7.2.1966 – VIII ZR 40/64, WM 1966, 317, 319; BGH v. 23.2.1984 – III ZR 159/83, WM 1984, 586. 1041 BGH v. 6.7.2004 – XI ZR 254/02, ZIP 2004, 1589 = EWiR 2004, 1165 (Nielsen), 1591. 1042 Obermüller, NZI 2001, 225; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.313.
912 | Drees/Schmidt
V. Personalsicherheiten | Rz. 430a § 10
aa) Bürgschaft (1) Insolvenz des Hauptschuldners (a) Haftung des Bürgen Wird über das Vermögen des Hauptschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und wird dieser zum Insolvenzschuldner, so steht es dem Gläubiger frei, seine persönliche Forderung als Insolvenzgläubiger entsprechend der allgemeinen insolvenzrechtlichen Regelungen im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Der Gläubiger hat die Hauptforderung wie alle anderen Gläubiger zur Tabelle gem. § 174 InsO anzumelden (vgl. § 9 Rz. 268 ff.). Er wird sodann – soweit das Insolvenzverfahren eröffnet und das Vermögen des Insolvenzschuldners liquidiert wird – nach Maßgabe der Insolvenzquote hinsichtlich seiner Hauptforderung befriedigt, natürlich nur insoweit, als er noch keine Befriedigung seitens des Bürgen erlangt hat1043 (zur Bedeutung einer Bürgschaft für Banken vgl. § 12 Rz. 97). Im Insolvenzplanverfahren bleibt die Haftung des Bürgen von den Regelungen des Insolvenzverfahrens unberührt (§ 254 Abs. 2 Satz 1 InsO).
428
Dass der Bürgschaftsgläubiger neben der Anmeldung der Hauptforderung zur Insolvenztabelle den Bürgen in voller Höhe in Anspruch nehmen kann, ermöglicht die Anwendung des § 43 InsO.1044 Nach dem dort geregelten Doppelberücksichtigungsprinzip1045 kann ein Gläubiger, dem mehrere Personen für dieselbe Leistung auf das Ganze haften, im Insolvenzverfahren gegen jeden Schuldner bis zu seiner vollen Befriedigung den ganzen Betrag geltend machen, den er zur Zeit der Verfahrenseröffnung zu fordern hatte. Dass die in erster Linie für Gesamtschuldner1046 geltende Regelung des § 43 InsO auch auf die Bürgschaft anwendbar ist, ergibt sich – wenn nicht ohnehin eine selbstschuldnerische Bürgschaft vorliegt – aus § 793 Abs. 1 Nr. 3 BGB.1047
429
§ 43 InsO gibt sachlich unverändert die bereits in § 68 KO bzw. § 32 VerglO getroffene Regelung wieder.1048 Der Gläubiger kann daher die Insolvenzquote für die gesamte Hauptverbindlichkeit beanspruchen und trotzdem den Bürgen in Anspruch nehmen, solange die Befriedigungsquote den Gesamtbetrag der Hauptverbindlichkeit nicht überschreitet.1049 Insbesondere richtet sich auch das Stimmrecht des Gläubigers nach der vollen Höhe der angemeldeten Forderung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.1050
430
Sinn und Zweck dieser Regelung ist die Privilegierung solcher Gläubiger, denen zwei Schuldner für dieselbe Leistung nebeneinander haften. Ohne den § 43 InsO wäre ein derart gesicherter Gläubiger im Fall von Teilleistungen eines Mithaftenden gezwungen, im Verfahren nur noch die Restforderung zu verfolgen und auf diese Weise einen höheren Ausfall hinzunehmen. Er liefe damit in der Insolvenz mehrerer Mithaftender Gefahr, mit einem Teil seiner Forderung auszufallen, obwohl die Quoten aller Verfahren zusammen zu seiner vollen Befriedigung führen würden, da er nach Ausschüttung in einem Verfahren in den übrigen Verfahren nur noch mit einer Restforderung teilnehmen dürfte.1051 Dies ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Der bei Insolvenzeröffnung bestehende Forderungsbetrag soll bis zur Vollbefriedigung für das gesamte Verfahren maßgeblich bleiben. Nach Insolvenzeröffnung vom Bürgen eingehende Teilzahlungen oder aus der Insolvenz eines weiteren Mithaftenden erzielte Quotenzah-
430a
1043 1044 1045 1046 1047 1048 1049 1050 1051
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 1; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 778. Knof in Uhlenbruck, InsO, § 43 Rz. 4; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 7. Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077, 1079 ff. Sowohl echte als auch unechte Gesamtschuld, vgl. Lwowski/Bitter, InsO, § 43 Rz. 5; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 9. Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 4. Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335, 339 f.; BT-Drucks. 12/2443, 124. Hess, InsO, 1995, § 43 Rz. 3, 15; zu den Rechtswirkungen des außergerichtlichen Vergleichs zwischen Bürgschaftsgläubiger und Insolvenzverwalter vgl. BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 443/00, NJW 2003, 59 = EWiR 2003, 111 (Tiedtke) = ZIP 2002, 2125. Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 2. Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 2.
Drees/Schmidt | 913
§ 10 Rz. 430a | Beratung des gesicherten Gläubigers lungen verringern die angemeldete Forderung nicht. Nur so können die Vorteile des Gesamtschuldverhältnisses und der Bürgenhaftung auch im Insolvenzverfahren gesichert werden.1052 430b
Es ist anerkannt, dass § 43 InsO auch dann Anwendung findet, wenn die Mitverpflichteten der Haftungsgemeinschaft jeweils nur für einen Teil der Gläubigerforderung haften und sie ihre Teilschulden nicht vollständig erfüllen (s. hierzu unten Rz. 452).1053
430c
Handelt es sich um eine Ausfallbürgschaft, kann der Gläubiger in der Insolvenz des Hauptschuldners nicht parallel den Ausfallbürgen in Anspruch nehmen, da sich erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners beurteilen lässt, ob und in welcher Höhe er ausgefallen ist. Eine während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gegen den Ausfallbürgen erhobene Klage ist daher i.d.R. verfrüht und abzuweisen.1054
431
Hinweis: Zu beachten ist allerdings die Ausnahmeregelung in § 773 Abs. 2 BGB, nach der sich der Bürge auf die Einrede der Vorausklage trotz des eröffneten Insolvenzverfahrens berufen kann, soweit dem Gläubiger noch ein Mobiliarsicherungsrecht an einer Sache des Hauptschuldners zur Befriedigung zusteht, das er im Wege der Absonderung im Insolvenzverfahren geltend machen könnte.
432
Da der Bürge die Einrede der Vorausklage im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners verliert, haftet er nunmehr neben dem Hauptschuldner auf dieselbe Leistung. Mithin kann der gesicherte Gläubiger von dem Bürgen dieselbe Leistung fordern, die ihm der Hauptschuldner schuldig geblieben ist. Dazu zählen auch die Zinsen einschließlich der Verzugszinsen, deren Einordnung in den Nachrang im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO) den Gläubiger insoweit unberührt lässt, als er seine Zinsansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen kann, wie dies bei der Bürgschaft der Fall ist.1055
433
Die Inanspruchnahme des Bürgen im Fall der Insolvenz des Hauptschuldners ist davon abhängig, dass die allgemeinen Anspruchsbedingungen erfüllt sind, sprich die verbürgte Forderung muss fällig und der Gläubiger darf durch den Schuldner noch nicht befriedigt worden sein.
434
Die Fälligkeit der Hauptforderung kann durch Ablauf der vereinbarten Frist, durch Kündigung seitens der Bank oder des Kreditnehmers sowie kraft Gesetzes durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 41 InsO) eintreten. Die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots im Antragsverfahren reicht zur Fälligstellung der Forderung nicht aus. Während die Fälligkeit aufgrund Fristablaufs oder Kündigung stets auch gegenüber dem Bürgen Wirkung entfaltet, gilt es für die Rechtsfolgen der kraft Gesetzes eintretenden Fälligkeit zu unterscheiden, ob es sich um einen Kontokorrentkredit oder um einen Tilgungskredit handelt. – Handelt es sich um einen Tilgungskredit des Insolvenzschuldners, tritt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen gem. § 41 InsO die Fälligkeit des Kredits ein. § 41 InsO sieht nämlich auch betagte Forderungen mit der Eröffnung des Verfahrens als fällig an. Zu beachten gilt es hier jedoch, dass § 41 InsO nur das Verhältnis zwischen dem Insolvenzgläubiger und der Insolvenzmasse betrifft, nicht hingegen das Verhältnis zu Dritten wie dem Bürgen. Die Vorschrift will nämlich nur die Schuldenbereinigung im Rahmen des Insolvenzverfahrens durch die Einbeziehung betagter Forderungen fördern und dadurch jeden Fälligkeitsaufschub ausräumen. Den Gläubigern betagter Forderungen sollen die Mittel zur Befriedigung ihrer betagten Ansprüche nicht bereits vorweg entzogen werden und die Beträge sollen auch nicht bis zu ihrer Fälligkeit zurückbehalten wer-
1052 1053 1054 1055
Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 339, 342 m.w.N. Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 13. MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 9; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 68 Rz. 4e. Obermüller, NZI 2001, 225 m.w.N.
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V. Personalsicherheiten | Rz. 438 § 10
den müssen. Daher erstreckt sich die Fälligkeit nicht auch auf die Ansprüche des Gläubigers gegen den Bürgen. – Will der Gläubiger bei Vorliegen eines Tilgungskredits auch den Bürgen in Anspruch nehmen, ist insoweit der Ausspruch einer Kündigung zur Fälligstellung erforderlich. – Handelt es sich um eine Forderung aus einem Kontokorrentkredit, so werden die Forderungen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls kraft Gesetzes durch das Erlöschen des Kontokorrentverhältnisses fällig (§§ 116 i.V.m. 115 InsO).1056 Dabei beschränkt sich die Wirkung dieser Fälligkeit nicht auf die am Insolvenzverfahren beteiligten Parteien, vielmehr erlöschen die in § 116 InsO genannten Verträge schlechthin und damit nicht nur gegenüber der Masse, sondern auch gegenüber dem Insolvenzschuldner. Dadurch wird die besicherte Kreditforderung aufgrund der bestehenden Akzessorietät auch im Verhältnis zum Bürgen fällig1057 (zu den §§ 115, 116 InsO vgl. § 11 Rz. 273 ff.). – Um sämtlichen Einwänden des Bürgen und sonstigen Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, empfiehlt es sich, rein vorsorglich auch bei diesen Krediten eine Kündigung auszusprechen.1058 Liegen die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme des Bürgen vor, steht es dem Gläubiger frei, den Bürgen auf Zahlung in Anspruch zu nehmen, ohne vorher gegen den Hauptschuldner gerichtlich vorzugehen oder etwa den Ausgang des Insolvenzverfahrens abzuwarten. Dies entspricht dem Leitbild des § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
435
Hinweis: Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Gläubiger auch bei Vorliegen einer selbstschuldnerischen Bürgschaft regelmäßig für verpflichtet gehalten wird, den Hauptschuldner zunächst erfolglos unter Fristsetzung zur Zahlung aufzufordern, um den Bürgen sodann, nach fruchtlosem Fristablauf, in Anspruch nehmen zu können. Die Zahlungsaufforderung muss aber jedenfalls dann als entbehrlich angesehen werden, wenn der Hauptschuldner einen Insolvenzantrag gestellt hat, ein allgemeines Verfügungsverbot gegen ihn angeordnet oder sogar bereits das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden ist.
436
Haftet für die durch die Bürgschaft abgesicherte Forderung zusätzlich eine Sachsicherheit mit Absonderungskraft und beruft sich der Bürge nicht auf § 773 Abs. 2 BGB, so mindert der Erlös aus der Verwertung des Absonderungsguts abzgl. der Kostenbeiträge grundsätzlich die Hauptforderung und damit den Umfang der Bürgschaft. Dies gebietet das Akzessoritätsprinzip (§ 767 Abs. 2 BGB). Verwertet der Insolvenzverwalter einen Gegenstand in der Weise, dass ihn der absonderungsberechtigte Gläubiger übernimmt (§ 168 Abs. 3 InsO; vgl. hierzu oben Rz. 297), wird ein durch die Weiterveräußerung erzielter Mehrerlös zwar nicht auf die Insolvenzforderung des gesicherten Gläubigers angerechnet, sehr wohl aber im Verhältnis zu einem für die Hauptforderung zusätzlich haftenden Bürgen berücksichtigt. D.h., der Gläubiger kann den Bürgen in Höhe des durch die Weiterveräußerung nach Abzug der Kosten erlangten Mehrerlöses nicht in Anspruch nehmen. Dies gebieten der Schutz des Bürgen sowie die Regelungen der §§ 767 Abs. 1 Satz 3, 776 BGB.1059 Dieses Verwertungsszenario ist damit nicht anders zu behandeln als eine Sicherheitenaufgabe im Sinne des erwähnten § 776 BGB.
437
Eine solche Sicherheitenfreigabe dürfte im Übrigen auch dann vorliegen, wenn Insolvenzverwalter und gesicherter Gläubiger über die Pauschalsätze nach § 171 InsO hinausgehende Kostenbeiträge zugunsten der Masse vereinbaren. Dies hätte zur Konsequenz, dass ein Bürge bei einer Inanspruchnahme
438
1056 BGH v. 13.11.1990 – XI ZR 217/89, ZIP 1991, 155 = EWiR 1991, 151 (Bülow), 156; OLG Jena v. 5.4.2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550, 551 f. 1057 Obermüller, NZI 2001, 225, 226. 1058 Obermüller, NZI 2001, 225, 226. 1059 BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 181/05, ZInsO 2005, 1270, 1272 f.
Drees/Schmidt | 915
§ 10 Rz. 438 | Beratung des gesicherten Gläubigers aus der Bürgschaft wegen der zumindest teilweisen Sicherheitenaufgabe die Einrede aus § 776 BGB gegenüber dem gesicherten Gläubiger einwenden kann.1060 439
Hinweis für den Abschluss von Verwertungsvereinbarungen: Insolvenzverwalter und Sicherungsgläubiger sind daher gut beraten, die Interessen weiterer (Dritt-)Sicherungsgeber zu berücksichtigen und sorgsam zu überprüfen, ob diesen gegenüber Treuepflichten im Hinblick auf die Aufgabe anderweitiger Sicherheiten bestehen. Dann nämlich könnte die Einbindung solcher (Dritt-) Sicherungsgeber ratsam sein. Eine für die Praxis ratsame Alternative könnte darin bestehen, die vereinbarten Kostenbeiträge mit einem erhöhten Aufwand und damit einem Fall des § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO zu rechtfertigen. Ebenso empfiehlt sich die Dokumentation möglicher Anfechtungsrisiken, infolge derer die Vereinbarung eines über die Pauschalsätze hinausgehenden Kostenbeitrags gerechtfertigt war.
(b) Zahlungen des Bürgen 440
Erbringt der Bürge seinerseits Zahlungen, so kommt es für die Wirkung seiner Zahlung entscheidend darauf an, ob er seine Leistung vor (Rz. 442) oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Rz. 447) über das Vermögen des Hauptschuldners erbringt.
441
Zahlt der Bürge bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners an den Gläubiger und befriedigt er diesen in voller Höhe, gehen die – verbürgte Forderung sowie – die für sie bestellten akzessorischen Sicherheiten kraft Gesetzes auf den Bürgen über (§§ 774, 401 BGB). In dem späteren Insolvenzverfahren steht es dem Bürgen sodann frei, die auf ihn übergegangene Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner unbeschränkt geltend zu machen und entsprechend zur Tabelle anzumelden.1061 Nachdem der Gläubiger in diesem Fall bereits in voller Höhe seiner Forderung befriedigt ist, steht einer Forderungsanmeldung durch ihn das Verbot der Doppelanmeldung durch Gläubiger und Bürgen gem. § 44 InsO nicht mehr entgegen.1062 Allein der Bürge nimmt in Höhe der übergegangenen Forderung uneingeschränkt am Insolvenzverfahren teil.
442
Soweit der Bürge den Gläubiger vor der Insolvenzeröffnung nur bezüglich einer Teilforderung befriedigt hat, können beide, der Gläubiger sowie der Bürge, an dem Insolvenzverfahren teilnehmen.1063 Der Gläubiger muss sich die bereits erhaltene Teilleistung auf seine Forderung anrechnen lassen und kann nur die ihm verbliebene Restforderung im Insolvenzverfahren anmelden.1064 Der Bürge selbst ist dazu berechtigt, den auf ihn übergegangenen Teil der Forderung ebenfalls im Insolvenzverfahren anzumelden, letztlich darf er den Forderungsübergang im Rahmen der Insolvenzverteilung aber nicht zum Nachteil des Gläubigers ausnutzen (§ 774 Abs. 1 Satz 2 BGB).
443
Dies führt dazu, dass der Bürge die auf ihn entfallende Quote zwar vereinnahmen kann, die vereinnahmte Quote aber insoweit wieder an den Gläubiger herausgeben muss, als dieser durch die Teilnahme des Bürgen an dem Insolvenzverfahren einen Nachteil erlitten hat. Letztlich muss dem Gläubiger die Quote verbleiben, die auf ihn entfallen wäre, wenn der Bürge am Verfahren nicht teilgenommen
1060 OLG Dresden v. 15.5.2003 – 18 W 361/03, WM 2003, 2137 m. krit. Anm. Tetzlaff, EWiR 2003, 1259 f. 1061 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 3; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 2 ff. 1062 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 3. 1063 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 3; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 4; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8. 1064 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 39, § 44 Rz. 28; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 25.
916 | Drees/Schmidt
V. Personalsicherheiten | Rz. 447 § 10
hätte.1065 Da der Bürge dadurch aber nur zur Auszahlung des Quotenminderungsbetrags, nicht hingegen zur Herausgabe der erlangten Dividende insgesamt verpflichtet ist, erscheint die zudem bestehende Möglichkeit des Gläubigers, aufgrund seiner noch offenen Restforderung einen Titel gegen den Bürgen zu erwirken und dessen Regressansprüche gegen den Insolvenzschuldner zu pfänden, soweit der Bürge dem Gläubiger seine vereinnahmte Quote bis zur vollständigen Erfüllung der Bürgschaftsforderungen nicht freiwillig überlässt, i.d.R. günstiger.1066 Hinweis: Für den Gläubiger bietet es sich i.d.R. an, aufgrund seiner offenen Restforderung einen Titel gegen den Bürgen zu erwirken und dessen Regressansprüche gegen den Insolvenzschuldner zu pfänden, um dadurch seine Befriedigungsquote im Rahmen eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners zu steigern.
444
Der Bürge selbst ist zur Teilnahme an dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners aber nicht verpflichtet, ebenfalls kann ihn der Gläubiger nicht zu einer Teilnahme zwingen. Ob der Bürge letztlich zur Aufbesserung der Quote des Gläubigers beiträgt oder nicht, bleibt mithin seiner freien Entscheidung überlassen, die allerdings bereits durch den Umstand beeinflusst werden dürfte, dass dieser sich weiterhin der noch nicht vollständig bezahlten Bürgschaftsforderung ausgesetzt sieht und diese sich durch eine bessere Insolvenzquote des Gläubigers reduzieren ließe. Sollte die zur Verteilung anstehende Quote ausnahmsweise von wirtschaftlichem Interesse sein, so kann der Gläubiger die Teilzahlung gem. § 266 BGB auch zurückweisen und die Verfahrenseröffnung abwarten, um sodann die volle Forderung zur Tabelle anzumelden.
445
Hinweis: Bei dieser Überlegung ist seitens des Gläubigers allerdings zu berücksichtigen, dass das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Bürgen im Laufe der Zeit möglicherweise zunimmt, so dass die Annahme der Teilzahlung gegenüber den Vorteilen einer höheren Quote eventuell günstiger sein kann.
446
Unabhängig von dieser Differenzierung gilt: Zahlungen von Bürgen auf das Kontokorrentkonto der Schuldnerin führen zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Schuldners in Form einer Gutschrift (Gutschrift als Saldoanerkenntnis gem. §§ 781, 812 Abs. 2 BGB), da es sich bei solchen Zahlungen um Leistungen des Bürgen an das Kreditinstitut handelt. Gelingt dem späteren Insolvenzverwalter nicht der Nachweis, dass den Zahlungen ein anderer Rechtsgrund als die Bürgenverpflichtung zugrunde lag, so können Kreditinstitute die Gutschriften insolvenzfest verrechnen. Einem Anfechtungsanspruch kann die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung des Schuldners (§§ 821, 812 Abs. 2 BGB) entgegengehalten werden.1067
446a
Soweit der Bürge den Gläubiger im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht befriedigt hat, kann und wird der Gläubiger seine Forderung in voller Höhe zur Tabelle anmelden. Leistet der Bürge nach Verfahrenseröffnung Zahlungen, so hindern diese den Gläubiger gem. § 43 InsO nicht daran, seine Forderung unabhängig von der geleisteten Teilzahlung in Höhe ihres Standes bei Verfahrenseröffnung anzumelden und auch in dieser Höhe seiner Forderung an dem Verfahren teilzunehmen.1068 Der BGH formuliert in seiner Entscheidung v. 11.12.2008 ausdrücklich: „Sofern Zahlungen von Mithaftenden des Schuldners nicht zur vollen Befriedigung eines Insolvenzgläubigers geführt haben, nimmt dieser mit dem vollen Berücksichtigungsbetrag am Insolvenzverfahren teil.“ Dabei ist dieser Betrag nicht nur für die Anmeldung, sondern auch für sein Stimmrecht und die Verteilung maß-
447
1065 1066 1067 1068
MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 29. MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 30. OLG Jena v. 5.4.2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550, 551. BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07, ZIP 2009, 243 = NZI 2009, 167; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9; MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 23; Bitter, ZInsO 2003, 490 m.w.N. Andere Auffassung insbesondere der BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 = EWiR 1997, 269 (Gerhardt) = ZIP 1997, 372 und Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 11.
Drees/Schmidt | 917
§ 10 Rz. 447 | Beratung des gesicherten Gläubigers geblich, womit auch seine Mitwirkungsrechte im Verfahren von den Zahlungen des Bürgen nach Verfahrenseröffnung unberührt bleiben.1069 Eine Quotenkürzung tritt erst dann ein, wenn die Quote zusammen mit den Teilzahlungen des Bürgen den Gesamtbetrag seiner Forderung übersteigt.1070 448
Der Bürge selbst kann seine Regressansprüche, die ihm wegen einer teilweisen Leistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwachsen (§ 774 Abs. 1 BGB), bis zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht anmelden (§ 44 InsO).1071 Dabei kommt es auf die Höhe des offenen Restbetrags nicht an. Wird die auf die Gesamtforderung entfallende Quote nicht zur vollen Befriedigung des Gläubigers benötigt, besteht für den Bürgen ein Zugriffsrecht im Hinblick auf den überschießenden Betrag.1072
449
Hat der Bürge seinerseits den Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens voll befriedigt, scheidet der Gläubiger aus dem Verfahren aus und der regressberechtigte Bürge kann nunmehr die Forderung im Insolvenzverfahren geltend machen, soweit diese nach § 774 BGB auf ihn übergegangen ist. Für eine Anwendung des § 44 InsO, der dem Schutz des ursprünglichen, nunmehr aber befriedigten Gläubigers dient, verbleibt in diesem Fall kein Raum.1073 Allerdings ist die Geltendmachung nur insoweit statthaft, als der Bürge im Innenverhältnis auch einen Ausgleich vom Insolvenzschuldner zu fordern berechtigt ist. Da die Forderung des Gläubigers auf den Rückgriffsberechtigten übergeht und dieser mithin dieselbe Forderung geltend macht, bedarf es einer erneuten Anmeldung zur Tabelle nicht.1074 Die Rechtsnachfolge ist allerdings auf entsprechende Anzeige und Nachweis seitens des Bürgen in der Tabelle zu vermerken.1075
450
Bestehen zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen Streitigkeiten über die Höhe der Zahlungspflicht und führen diese dazu, dass auch der Bürge seine Forderung im Verfahren mit der Begründung anmeldet, er habe den Gläubiger bereits vollständig befriedigt, sind diese außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären (§ 179 InsO).1076 Insoweit ist im ordentlichen Verfahren Klage auf Feststellung gem. § 180 InsO zu erheben. Die Zuständigkeit des Amts- bzw. LG am Ort des Insolvenzgerichts ergibt sich aus § 180 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO.
451
Steht im Rahmen des Insolvenzverfahrens bereits eine Abschlags- oder Schlussverteilung an, so hat der Gläubiger, soweit seine Forderung aufgrund des Widerspruchs des Bürgen nicht festgestellt werden konnte, innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung der Verteilung dem Insolvenzverwalter die Erhebung der Feststellungsklage nach § 189 InsO nachzuweisen. Soweit der Nachweis geführt wurde, wird der auf die Forderung entfallende Teil für die Dauer des Rechtsstreits zurückbehalten.1077
452
Auch auf das Verhältnis von Hauptschuldner und Teilbürge finden die §§ 43, 44 InsO Anwendung, dann jedoch beschränkt auf den Teil, für den die Gesamthaftung besteht.1078 Hat der Bürge lediglich eine Teilbürgschaft übernommen und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners den vollen Bürgschaftsbetrag gegenüber dem Gläubiger ausgeglichen, wird leb-
1069 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9. 1070 Obermüller, NZI 2001, 225, 226; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10a. 1071 BGH v. 11.10.1984 – IX ZR 80/83, NJW 1985, 1159; BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, ZIP 1997, 372 = EWiR 1997, 269 (Gerhardt); Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 1, 3; Holzer in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, § 43 Rz. 11; Obermüller, NZI 2001, 225, 226. 1072 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8. 1073 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 9; Hess, InsO, 1995, § 44 Rz. 9 m.w.N. 1074 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 8; MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 21. 1075 MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 21. 1076 MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 20. 1077 Obermüller, NZI 2001, 225, 226. 1078 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 9; Hess, InsO, 1995, § 44 Rz. 5.
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V. Personalsicherheiten | Rz. 455 § 10
haft gestritten, ob der Gläubiger seine Forderungsanmeldung in Höhe des empfangenen Betrags zurücknehmen muss. Berücksichtigt man, dass in Höhe des ihm nunmehr noch zustehenden Betrags keine Gesamthaftung mehr besteht, wäre eine Rücknahme konsequent. Die (noch)1079 h.M. verlangt eine solche daher auch.1080 Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht endet die Anwendbarkeit des § 43 InsO erst, wenn der Gläubiger vollständig befriedigt ist.1081 Um die wesentlich praktikablere Anwendung des § 43 InsO sicherzustellen, empfehlen sich formularvertragliche Vorkehrungen, deren Wirksamkeit sich an den §§ 305 ff. BGB messen lassen müssen. Andernfalls steht es dem Bürgen frei, seine Regressansprüche entsprechend anzumelden, weil die gebotene Kürzung der Gläubigeranmeldung es gestattet, den Rückgriffsanspruch neben der restlichen Forderung des Gläubigers zu berücksichtigen.1082 Für eine Anwendung der §§ 43, 44 InsO verbliebe dann kein Raum.1083 Hat der Bürge auf die Teilbürgschaft hin nur einen Teilbetrag der verbürgten Forderung beglichen, so gelten bezogen auf den verbürgten Teil der Gläubigerforderung die oben zur Teilzahlung gemachten Ausführungen entsprechend.
453
Hinweis für die Gestaltung von Sicherheitenverträgen: Sicherungsgläubiger sind mit Rücksicht auf diese Unsicherheiten gut beraten, durch AGB-Klauseln die bei Anwendung der herrschenden Meinung erforderliche Rücknahme der Forderungsanmeldung zu umgehen, indem sie klarstellen, dass die Rechte des Gläubigers erst nach seiner vollständigen Befriedigung auf den Sicherungsgeber übergehen und die Zahlungen bis dahin nur als Sicherheit gelten.1084
454
(c) Rückgriffsansprüche des Bürgen Neben dem Gläubiger ist es dem Bürgen gem. § 44 InsO grundsätzlich verwehrt, seine Rückgriffsforderungen, die bereits mit Abschluss des Bürgschaftsvertrags in aufschiebend bedingter Form entstehen, mit den Einschränkungen der §§ 238 Abs. 1 Satz 3, 77 Abs. 2 und 3 Ziff. 1 und 191 InsO im Insolvenzverfahren anzumelden.1085 Seine Teilnahme hätte zur Folge, dass ein und dieselbe Forderung mehrfach in dem Verfahren geltend gemacht würde, da die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner sowie die Rückgriffsforderung des Bürgen, die dieser durch Befriedigung des Gläubigers erlangen würde, zumindest bei wirtschaftlicher Betrachtung identisch sind.1086 Demnach ist der Bürge, soweit er gegenüber dem Gläubiger noch keine Zahlungen erbracht hat, grundsätzlich daran gehindert, seine aufschiebend bedingten Regressansprüche im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners geltend zu machen (§ 44 InsO). Im Insolvenzplanverfahren wird der Schuldner gegenüber dem Bürgen bzw. dessen Rückgriffsanspruchs in gleicher Weise befreit wie gegenüber dem Gläubiger (§ 254 Abs. 2 Satz 2 InsO).
1079 So die Bewertung der aktuellen Meinungsbildung von Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 13. 1080 BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 = EWiR 1997, 269 (Gerhardt) = ZIP 1997, 372 noch zu § 68 KO; Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 4. 1081 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 30 f.; Bitter, ZInsO 2003, 490; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 17; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 13. 1082 Obermüller, NZI 2001, 225, 227. 1083 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 7. 1084 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 14 unter Hinweis auf MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 32 und BGH v. 30.10.1984 – IX ZR 92/83, NJW 1985, 614 = EWiR 1985, 85 (Horn) = ZIP 1985, 18. 1085 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 2; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 1 f. 1086 BT-Drucks. 12/2443, 124; vgl. auch Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 44 Rz. 1; MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 1.
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455
§ 10 Rz. 456 | Beratung des gesicherten Gläubigers (d) Absonderungsrechte des Bürgen 456
Soweit dem regressberechtigten Bürgen z.B. aufgrund einer dinglichen Sicherung des Rückgriffsanspruchs zugleich ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gegenüber der Insolvenzmasse zusteht, findet § 44 InsO im Hinblick auf dieses Absonderungsrecht keine Anwendung.1087 Lediglich sein Recht als Insolvenzgläubiger wird durch § 44 InsO beschränkt, soweit der Bürge nur sein Absonderungsrecht geltend macht, kann er dies ohne die Beschränkung des § 44 InsO tun. Der Bürge kann daher aus diesem Sicherungsrecht auch dann Befriedigung suchen, wenn der Hauptgläubiger noch nicht voll befriedigt ist und daher weiter nach § 43 InsO in voller Höhe seiner Forderung am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners teilnimmt.1088 (2) Insolvenz des Bürgen
457
Für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bürgen ist zwischen dem Fall der alleinigen Insolvenz des Bürgen (Rz. 458 ff.) und dem Fall, dass sowohl der Bürge als auch der Hauptschuldner insolvent werden (Rz. 463 ff.), zu differenzieren. (a) Alleinige Insolvenz des Bürgen
458
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bürgen führt nicht zur Fälligkeit der Bürgschaftsforderung, solange der Hauptschuldner selbst seinen Verpflichtungen fristgerecht nachkommt. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bürgen eröffnet, kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als Eventualforderung anmelden.1089 Steht dem insolventen Bürgen die Einrede der Vorausklage zu, kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung daher als aufschiebend bedingte Forderung und zwar durch den Ausfall beim Hauptschuldner aufschiebend bedingte Insolvenzforderung (§ 191 InsO) geltend machen, und zwar in Höhe des Ausfalls.1090 Die Einrede der Vorausklage würde erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gem. § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB entfallen.
459
Wird eine Abschlagsverteilung vorgenommen, ist die Eventualforderung in Höhe ihres vollen Betrags zu berücksichtigen. Der auf sie entfallende Betrag kommt allerdings nicht zur Auszahlung, sondern wird gem. § 191 Abs. 1 InsO bei der Verteilung zurückbehalten.
460
Im Rahmen der vorzunehmenden Schlussverteilung findet die Bürgschaft in Höhe des Betrags Berücksichtigung, der auf die unbedingte Forderung bei einer berechtigten Inanspruchnahme des Bürgen entfallen würde, soweit der Insolvenzverwalter nicht nachweist, dass der Bedingungseintritt entsprechend § 191 Abs. 2 InsO so weit entfernt liegt, dass der bedingten Forderung kein gegenwärtiger Vermögenswert zugeschrieben werden kann.1091 Kommt der bedingten Forderung bereits ein Vermögenswert zu, werden die auf sie entfallenden Anteile hinterlegt und bei Bedingungseintritt an den Gläubiger ausgezahlt. Entfällt die Auszahlung aufgrund des Bedingungsausfalls, wird der hinterlegte Betrag für eine Nachtragsverteilung frei.
461
Hat sich der Bürge hingegen selbstschuldnerisch verbürgt oder entfällt die Einrede der Vorausklage aus einem sonstigen Grund (§§ 773 BGB, 349 HGB), kommt es zu einer Haftung des Bürgen neben dem Hauptschuldner, so dass der Grundsatz der Doppelberücksichtigung gem. § 43 InsO Anwen-
1087 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 12; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 4; MünchKomm/InsO/Bitter, InsO, § 44 Rz. 31. 1088 MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 31. 1089 Obermüller, NZI 2001, 225, 228 m.w.N.; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 4. 1090 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 43 Rz. 4; MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 11; Obermüller, NZI 2001, 225, 228. 1091 Obermüller, NZI 2001, 225, 228.
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V. Personalsicherheiten | Rz. 464a § 10
dung findet.1092 Eine noch nicht fällige Forderung wird in diesem Fall nach § 41 InsO vorzeitig gegenüber dem Bürgen fällig gestellt.1093 Der Gläubiger kann in der Bürgeninsolvenz sodann die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch bestehende Forderung in voller Höhe anmelden. Zwischenzeitliche Zahlungen des Hauptschuldners oder anderer Mitverpflichteter berühren die Forderungsfeststellung nicht. Letztlich darf der Gläubiger einschließlich der zwischenzeitlichen Zahlungen nur nicht mehr erhalten, als ihm zu seiner vollen Befriedigung zusteht (s. hierzu oben Rz. 429, 441). In dem über das Vermögen des Ausfallbürgen eröffneten Insolvenzverfahren kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als durch den Ausfall im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners aufschiebend bedingte Forderung anmelden.1094
462
(b) Insolvenz des Bürgen und des Hauptschuldners Werden sowohl der Bürge als auch der Hauptschuldner insolvent, kann der Gläubiger an beiden Insolvenzverfahren partizipieren und in beiden Verfahren seine Forderung jeweils in der gesamten Höhe, die ihr im Zeitpunkt der jeweiligen Insolvenzeröffnung zuzuschreiben ist, anmelden und die entsprechende Quote vereinnahmen.1095 Gemäß § 43 InsO haften beide, der Hauptschuldner sowie der Bürge, jeweils voll für die Befriedigung des Gläubigers.1096 Eine Kürzung der Quote findet erst dann statt, wenn die Summe der Insolvenzquoten aus beiden Insolvenzverfahren die Höhe der Gesamtforderung übersteigt.1097 Die Forderungshöhe ist dabei neben der Anmeldung sowohl für das Stimmrecht als auch die Verteilung bestimmend. Es ist weder eine Kündigung des Kredits noch eine Mahnung mit Fristsetzung gegenüber dem Bürgen oder dem Hauptschuldnererforderlich.1098 Die Einrede der Vorausklage steht dem Bürgen gem. § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB hier nicht mehr zu.
463
In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Ausfallbürgen kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als durch den Ausfall im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners bedingte Forderung anmelden.1099
464
Mit der Anfechtbarkeit von Zahlungen gem. §§ 129 ff. InsO in der Doppelinsolvenz des Bürgen sowie des Hauptschuldners hatte sich der BGH auseinanderzusetzen. Das Berufungsgericht hatte die vom Insolvenzverwalter eines Bürgen erklärte Anfechtung einer von diesem an den Hauptschuldner geleisteten Zahlung abgelehnt, da nicht sicher beurteilt werden konnte, ob die Zahlung des Bürgen auf die Hauptschuld oder die Bürgschaft erfolgt sei und damit nicht sicher sei, dass eine Insolvenzgläubigerin Empfängerin der Zahlung gewesen sei. Nach Ansicht des BGH kommt es hierauf nicht an. Die Gläubigerin sei in jedem Fall Insolvenzgläubigerin und zwar unabhängig davon, ob auf die Hauptschuld oder auf die Bürgschaft gezahlt worden ist. In beiden Fällen hätte sie eine Leistung auf eine Insolvenzforderung erhalten.1100
464a
1092 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 11. 1093 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 11. 1094 Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 4; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 68 KO Anm. 3. 1095 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 43 Rz. 4. 1096 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 1; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 783, 779; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 8. 1097 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 3; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 3. 1098 Obermüller, NZI 2001, 225, 227. 1099 Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 4; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 68 Rz. 4e. 1100 BGH v. 9.10.2008 – IX ZR 59/07, ZIP 2008, 2183 = EWiR 2008, 755 (Koza).
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§ 10 Rz. 465 | Beratung des gesicherten Gläubigers (3) Insolvenz des Gläubigers 465
Fällt der Gläubiger seinerseits in Insolvenz, so ist der Insolvenzverwalter berechtigt, die Bürgschaftsforderung zugunsten der Insolvenzmasse bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Inanspruchnahme des Bürgen zu realisieren.1101 Problematisch stellt sich die Situation dann dar, wenn dem Bürgen seinerseits eine Forderung gegen den Gläubiger zusteht und er nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften zur Aufrechnung gegenüber dem Insolvenzschuldner berechtigt ist. Durch die Aufrechnung befriedigt der Bürge den Gläubiger als Insolvenzschuldner mit der Folge, dass die gesicherte Forderung gem. § 774 Abs. 1 BGB auf ihn übergeht und der Bürge seine Ansprüche gegenüber dem Hauptschuldner geltend machen kann. Dadurch wird die Hauptverbindlichkeit der Insolvenzmasse entzogen und der Bürge erhält für seine Gegenforderung statt der quotalen Befriedigung nach Maßgabe der Insolvenzquote eine Befriedigung in voller Höhe. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Verwalter der Aufrechnung widersprechen kann.1102 bb) Schuldbeitritt (1) Haftung des Beitretenden
466
Im Unterschied zur Bürgschaft haftet der Dritte im Rahmen eines Schuldbeitritts außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht lediglich akzessorisch für eine fremde Verbindlichkeit, sondern die Verpflichtung des Schuldbeitretenden entwickelt sich vom Zeitpunkt des Beitritts an als eigenständige Verpflichtung gem. § 422 f. BGB.1103 Damit steht dem Beitretenden bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Einrede der Vorausklage nicht zu. Der Beitretende haftet von Anfang an neben und nicht nach dem Hauptschuldner. Es handelt sich um einen Fall der freiwillig begründeten Gesamtschuldnerschaft. Daran ändert sich auch aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners nichts.
467
Auf das Gesamtschuldverhältnis zwischen Hauptschuldner und Beitretenden finden ebenfalls die Vorschriften der §§ 43, 44 InsO Anwendung.1104 Dadurch wird auch im Insolvenzverfahren dem in § 421 BGB enthaltenen Grundsatz Geltung verschafft, wonach der Gläubiger bis zur vollen Befriedigung seiner Forderung von jedem der Schuldner zu fordern berechtigt ist.1105 Der Gläubiger kann also im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners seine Forderung uneingeschränkt im Insolvenzverfahren geltend machen, ohne wegen der Mithaft seines anderen Schuldners eine Minderung seiner Insolvenzforderung oder eine Einschränkung seiner insolvenzrechtlichen Mitwirkungsrechte hinnehmen zu müssen.1106
467a
Gleiches gilt im Insolvenzplanverfahren. Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger an Gegenständen, die nicht zur Insolvenzmasse gehören, werden durch den Insolvenzplan nicht berührt (§ 254 Abs. 2 Satz 1 InsO). Anders verhält es sich mit dem möglichen Innenregress des Schuldners. So wird der Schuldner durch den Plan gegenüber dem Mitschuldner als Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber dem Gläubiger (§ 254 Abs. 2 Satz 2 InsO).
468
Erfolgen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zahlungen des Dritten, so bleiben diese zunächst unberücksichtigt, da der Schutzzweck des § 43 InsO dem Gläubiger „bis zu seiner vollen Befriedigung“
1101 Zur Frage der Behandlung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern bei masselosen Verfahren vgl. BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 97/99, KTS 2003, 111 = EWiR 2003, 17 (Theewen) = ZIP 2002, 1633, 114. 1102 Vgl. hierzu Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 784 m.w.N. 1103 Vgl. MünchKomm/BGB/Möschel, Vor § 414 Rz. 21. 1104 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 6. 1105 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 1. 1106 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 2; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10; MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 33.
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V. Personalsicherheiten | Rz. 471b § 10
zuteil werden soll.1107 Der Schutzzweck des § 43 InsO endet erst in dem Augenblick, in dem der Gläubiger aufgrund der Zahlungen der Mitverpflichteten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der aus dem Insolvenzverfahren erhaltenen Quote, eine Befriedigung erlangt, die den Betrag seiner Forderung übersteigt. Erhält der Gläubiger seitens des Schuldbeitretenden freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung – die dieser neben der Teilnahme am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners gegen den Mithaftenden betreiben kann – Zahlungen, die ihn in Höhe seiner gesamten Forderung befriedigen, erfolgt eine Kürzung der Auszahlung seitens des Insolvenzverwalters, um die Überzahlung des Gläubigers zu verhindern.1108 Der Ausgleich unter den Mitschuldnern erfolgt sodann nach den für deren Rechtsbeziehung geltenden Vorschriften, der die Stellung des Gläubigers jedoch nicht berührt. Der Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner wird indes lediglich die Qualität einer Insolvenzforderung haben. Der Rückgriffsberechtigte ist mithin „normaler“ Gläubiger. Dies gilt sowohl für das Regel- als auch das Insolvenzplanverfahren (§ 254 Abs. 2 Satz 2 InsO). Hat der Mitverpflichtete den Gläubiger bereits vor der Verfahrenseröffnung in voller Höhe befriedigt, finden die §§ 43, 44 InsO keine Anwendung, da bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung kein Fall der Mithaft mehr gegeben ist. Der Regressberechtigte kann in diesem Fall von Anfang an in Höhe seiner Regressforderung als Gläubiger am Insolvenzverfahren teilnehmen.1109
469
Kam es vor Verfahrenseröffnung zu einer teilweisen Befriedigung des Gläubigers durch den Mithaftenden, so erfolgt auch bereits vor Verfahrenseröffnung der Teilforderungsübergang in entsprechender Höhe auf diesen. Der Gläubiger kann daher nur noch den im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht befriedigten Restbetrag seiner Forderung im Insolvenzverfahren anmelden.1110
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Entsprechend dem oben Dargestellten für den Fall der Bürgschaft findet § 43 InsO auch für den Fall einer lediglich teilweisen Mithaft Anwendung, insoweit aber nur für den entsprechenden, durch den Schuldbeitritt gesicherten Teilbetrag.1111 Diese Anwendung des § 43 InsO ist allgemein anerkannt. Umstritten ist – wie auch bei der Bürgschaft – die weitere Anwendung von § 43 InsO, wenn einer der Teilbeträge nach Verfahrenseröffnung in vollem Umfang geleistet wird.
471
Während die wohl h.M. für eine Anwendung des § 43 InsO keinen Raum mehr sieht und als Konsequenz hieraus den Gläubiger verpflichtet sieht, seine angemeldete Forderung um den bereits beglichenen Betrag der Teilmithaftung zu kürzen,1112 endet für eine andere Ansicht die Anwendbarkeit des § 43 InsO erst, wenn der Gläubiger vollständig befriedigt ist.1113
471a
In Kenntnis dieser Unsicherheit sind Sicherungsgläubiger gut beraten, entsprechend dem oben zur Bürgschaft Gesagten (Rz. 447) die Rechte des Gläubigers erst nach seiner vollständigen Befriedigung auf den Sicherungsgeber übergehen und die Zahlungen bis dahin nur als Sicherheit gelten zu lassen.1114
471b
1107 BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07, ZIP 2009, 243; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10; MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 33. 1108 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 36; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10a. 1109 MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 27. 1110 MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 28. 1111 Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 13. 1112 BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 = EWiR 1997, 269 (Gerhardt) = ZIP 1997, 372 noch zu § 68 KO; Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 11; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 4. 1113 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 30 f.; Bitter, ZInsO 2003, 490; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 17. 1114 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 14 unter Hinweis auf MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 32.
Drees/Schmidt | 923
§ 10 Rz. 472 | Beratung des gesicherten Gläubigers (2) Rückgriffsansprüche des Beitretenden 472
Im Falle der Gesamtschuldnerschaft steht dem neben dem Hauptschuldner Mithaftenden ein aufschiebend bedingter Anspruch gegen den insolventen Hauptschuldner auf Ausgleich der an den Gläubiger gezahlten Beträge zu, welcher sich nach den im Innenverhältnis geltenden Vorschriften richtet. Der Ausgleichsanspruch entsteht zwar erst, wenn der Schuldbeitretende den Gläubiger befriedigt und er dabei mehr leistet, als er dazu im Innenverhältnis zum Insolvenzschuldner verpflichtet ist, doch auch die aufschiebend bedingte Forderung könnte bereits im Insolvenzverfahren geltend gemacht und zur Tabelle angemeldet werden (§ 191 InsO).
473
Bei Vorliegen einer Gesamtschuldnerschaft ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich zwar rechtlich gesehen bei der aufschiebend bedingten Rückgriffsforderung des mithaftenden Gesamtschuldners und der Forderung des Gläubigers um zwei unterschiedliche Forderungen handelt. Wirtschaftlich gesehen liegen jedoch, entsprechend der Situation bei Rückgriffsansprüchen des Bürgen, identische Forderungen vor.1115 Daher untersagt es die Vorschrift des § 44 InsO, dass sowohl der Gläubiger als auch der mithaftende Gesamtschuldner – der Gesamtschuldner lediglich in Form eines aufschiebend bedingten Anspruchs – ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren geltend machen.1116 Dabei berührt der Ausschluss des Regressanspruchs von der Teilnahme am Insolvenzverfahren gem. § 44 InsO den Bestand der Forderung selbst nicht.1117
474
Der Mithaftende kann seine Rückgriffsforderung im Insolvenzverfahren nur dann zur Tabelle anmelden, wenn der Gläubiger seinerseits auf die Geltendmachung seiner Forderung im Insolvenzverfahren verzichtet, z.B. weil er auf die Zahlungsfähigkeit des Mithaftenden vertraut.1118
475
Macht der Gläubiger seine Forderung nicht geltend, kann der Mitverpflichtete seinen Rückgriffsanspruch als aufschiebend bedingte Forderung anmelden und unter den für derartige Forderungen geltenden Beschränkungen am Verfahren teilnehmen (§ 191 InsO).
476
Ist die Befriedigung des Gläubigers und damit auch die Bedingung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, verbleibt für eine Anwendung des § 44 InsO kein Raum mehr. Die Rückgriffsansprüche nehmen in diesem Fall am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners uneingeschränkt teil.1119
477
Hat der Rückgriffsberechtigte seine Rückgriffsforderung hingegen z.B. durch ein Pfandrecht derart abgesichert, dass ihm ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zukommt (§ 50 InsO), so findet auf das Recht zur abgesonderten Befriedigung § 44 InsO keine Anwendung, d.h., der Mithaftende ist insoweit frei, seine Sicherungsrechte neben einer Forderungsanmeldung des Gläubigers im selben Insolvenzverfahren geltend zu machen.1120 cc) Garantien
478
Im Rahmen einer Garantieerklärung verpflichtet sich der Garant gegenüber dem Gläubiger, für einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg oder das Risiko eines zukünftig eintretenden Schadens einzustehen. In den Rechtsfolgen hat der Garantievertrag mit dem Schuldbeitritt im Unterschied zur Bürgschaft gemein, dass eine selbständige Verbindlichkeit begründet wird, die vom weiteren Schicksal der Forderung gegen den Hauptschuldner unabhängig ist.
1115 1116 1117 1118
BT-Drucks. 12/2443, 124; MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 1. MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 6. MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 16. Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, § 44 Rz. 1; MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 12; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 8. 1119 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8. 1120 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 4; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 12.
924 | Drees/Schmidt
V. Personalsicherheiten | Rz. 483 § 10
Handelt es sich um eine Garantie „auf erstes Anfordern“, so ist der Gläubiger dem Garanten gegenüber im Falle der Inanspruchnahme nicht zu einem Nachweis der Fälligkeit der Hauptforderung verpflichtet. Es ist ebenfalls unerheblich, ob der Gläubiger vor der Inanspruchnahme des Garanten den Schuldner vergeblich zur Zahlung aufgefordert oder die Forderung gerichtlich beizutreiben versucht hat. Der Garant ist grundsätzlich auf Verlangen zur Zahlung an den Gläubiger verpflichtet, ohne geltend machen zu können, die Forderung sei im Valutaverhältnis nicht entstanden, nicht fällig oder erloschen. Hierfür wäre ein Rückforderungsprozess erforderlich, den nicht nur der Hauptschuldner, sondern auch der Garant anstrengen kann.
479
Allerdings unterliegt das Recht des Gläubigers trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen des Garantiefalls insoweit den Grenzen des Rechtsmissbrauchs, als anzunehmen ist, dass der Gläubiger allein wegen der wirtschaftlichen Krise des Hauptschuldners und nicht wegen des Eintritts des Garantiefalls Zahlung verlangt. Ein Rechtsmissbrauch kann jedoch dann nicht angenommen werden, wenn über das Vermögen des Hauptschuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein allgemeines Verfügungsverbot im Antragsverfahren angeordnet wurde.
480
Die insolvenzrechtlichen Konstellationen bei der gleichzeitigen Mithaft eines Garanten unterscheiden sich im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners nur unwesentlich von denen einer Mithaft des Bürgen bzw. des Schuldbeitretenden (Rz. 428 ff. bzw. 466 ff.). Auf diese finden ebenfalls die §§ 43, 44 InsO Anwendung.1121 Wird der Hauptschuldner mithin insolvent, haften dieser und der Garant nebeneinander i.S.v. § 43 InsO. Der Gläubiger muss sich daher die Zahlungen, die er seitens des Garanten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners erhält, nicht anrechnen lassen, sondern erhält seine Quote im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners in Höhe des im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehenden Forderungsbetrags.1122
481
Liegt ein Fall der Doppelinsolvenz vor, kann der Gläubiger seine Forderung in beiden Insolvenzverfahren in voller Höhe anmelden und erhält auch die Quote jeweils auf die volle Forderung, unabhängig davon, welches Verfahren zuerst eröffnet bzw. beendet wird.1123 Insoweit gilt das oben zur Bürgschaft (Rz. 463 f.) Gesagte entsprechend.
482
Kommt es ausnahmsweise zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Garanten, kann dieser Fall nicht nach den Regeln über den selbstschuldnerischen Bürgen gelöst werden,1124 soweit es sich nicht um eine „Garantie auf erstes Anfordern“ handelt und die Haftung des Garanten damit durch die Nichterfüllung seitens des Hauptschuldner bedingt ist. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Garanten wird die Forderung des Gläubigers – im Gegensatz zu dem Fall einer selbstschuldnerischen Bürgschaft – nicht gem. § 41 InsO vorzeitig fällig, sondern diese kann nur als durch den Eintritt des Garantiefalls aufschiebend bedingte Forderung angemeldet werden.1125 Erhält der Gläubiger mithin von dem Hauptschuldner zu dem vertraglich vorgesehenen Fälligkeitszeitpunkt eine Zahlung, kommt eine Geltendmachung des Betrags im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Garanten nicht in Betracht. Insoweit gilt das für den Fall der alleinigen Insolvenz des Bürgen Gesagte entsprechend.
483
dd) Patronatserklärung Ein weiteres persönliches Sicherungsinstrument ist die Abgabe einer sog. Patronatserklärung. Eine solche ist ein spezielles Sicherungs- aber auch Finanzierungsmittel,1126 das (Konzernmutter-)Gesell-
1121 1122 1123 1124 1125 1126
Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 10 f. Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 2 ff. MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 8. Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 11; MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 12. MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 12. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.590.
Drees/Schmidt | 925
§ 10 Rz. 483 | Beratung des gesicherten Gläubigers schaften die Möglichkeit eröffnet, Verbindlichkeiten einer von ihr beherrschten (Tochter-)Gesellschaft auf andere Weise als durch die beschriebenen Sicherheiten abzusichern. 484
Der Begriff der Patronatserklärung umfasst eine Vielzahl von Erklärungen, durch die zwar eine Gesellschaft veranlasst werden soll, für die Schulden einer beherrschten Gesellschaft einzustehen, die jedoch mangels Rechtsbindungswillen oftmals keine rechtliche Verpflichtung für die Muttergesellschaft begründen.
484a
In Rechtsprechung1127 und Literatur1128 hat sich die Unterscheidung von sog. harten und weichen Patronatserklärungen herausgebildet. Letztere beinhaltet allenfalls eine mehr oder weniger solide Vertrauenshaftung, an die im Einzelnen hohe Anforderungen zu stellen und die im Rechtsstreit von derjenigen Partei darzulegen und zu beweisen sind, die aus ihr Vorteile ableitet.1129
484b
Der Rechtsbindungswille einer harten Patronatserklärung erscheint im Gegensatz dazu klar. Typischer Wortlaut einer solchen1130 ist etwa: „Hiermit verpflichtet sich die … als Mehrheitsgesellschafterin (zwecks Abwendung der Überschuldung der …) dafür zu sorgen, dass diese Gesellschaft so geleitet und finanziell gestellt wird, dass sie (stets) in der Lage ist, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Auf einen Rückgriff nach Inanspruchnahme durch diese Gesellschaft wird verzichtet.“
485
Sie beinhaltet nach gefestigter Auffassung eine vertraglich übernommene garantieähnliche Ausstattungsverpflichtung für einen Dritten, wobei ein bestimmter Erfolg geschuldet wird.1131 Erfüllungstauglich ist jede Maßnahme, die insbesondere zu einer Liquiditäts- und/oder Bonitätssicherung des Begünstigten führt. Hierzu gehören nicht nur liquide Mittel wie Geldzufluss etwa durch Darlehen, sondern auch Kapitalerhöhungen und die Bereitstellung von Kreditsicherheiten. Da lediglich aus harten Patronatserklärungen entsprechende Ausstattungsverpflichtungen sicher hergeleitet werden können, soll auf weiche Erklärungen nicht weiter eingegangen werden. Innerhalb der (harten) Patronatserklärungen kann wiederum differenziert werden nach dem Erklärungsempfänger der Patronatserklärung, da diese sowohl gegenüber der – auszustattenden (Tochter-)Gesellschaft („konzerninterne Patronatserklärung“) als auch – einem Gläubiger gegenüber („konzernexterne Patronatserklärung“) abgegeben werden kann.
486
Bei einer dem Gläubiger gegenüber abgegebenen konzernexternen Patronatserklärung („ … in der Lage ist, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verpflichtungen aus dem Kredit … gegenüber der … fristgemäß zu erfüllen“) handelt es sich um eine einseitige vertragliche Verpflichtung der Patronin, ohne dass ein Vertrag zugunsten des Schuldners i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB vorliegt. Im Rahmen dieser Ausstattungsverpflichtung kann die Schuldnerin frei über den Einsatz der genannten Maßnahmen (Rz. 485) entscheiden. Anders als bei einer Bürgschaft (Rz. 426 ff.), dem Schuldbeitritt (Rz. 466 ff.) und der Garantie (Rz. 478 ff.) besteht grundsätzlich keine unmittelbare Verpflichtung zur Zahlung an den Gläubiger.1132 Dies ändert sich jedoch mit der Insolvenz der begünstigten Gesellschaft. Dann besteht Einigkeit darüber, dass sich der Anspruch in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des begünstigten Gläubigers umwandelt.1133 Die Begründungsansätze für die Umwandlung des Primäranspruchs auf Ausstattung in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch sind unterschiedlich. Überwiegend wird von einer BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, ZIP 2003, 1097, 1099 m. zahlr. w.N. Kiethe, ZIP 2005, 646, 647. Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 ff.; Kiethe, ZIP 2005, 646, 647. Vgl. die Erklärung, wie sie dem OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 zur = EWiR 2005, 31 (Tetzlaff) Entscheidung vorlag. 1131 Rosenburg/Kruse, BB 2003, 641 ff. 1132 Habersack in MünchKomm/BGB, vor § 765 Rz. 52; BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, ZIP 1992, 338 = AG 1992, 447 = EWiR 1992, 335 (Rümker), 340. 1133 BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, ZIP 2003, 1097, 1099; BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, ZIP 1992, 338, 340; Kiethe, ZIP 2005, 646 = AG 1992, 447 = EWiR 1992, 335 (Rümker), 649. 1127 1128 1129 1130
926 | Drees/Schmidt
V. Personalsicherheiten | Rz. 486c § 10
Schadensersatzverpflichtung gem. §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB ausgegangen, da die Ausstattungsverpflichtung mit der Insolvenz der Gesellschaft unmöglich geworden ist.1134 Konzerninterne Patronatserklärungen kommen regelmäßig dann zum Einsatz, wenn die (Tochter-) Gesellschaft in der Krise ist und die Geschäftsführung sich vor der Inanspruchnahme wegen drohender Insolvenzverschleppung schützen möchte.1135 Für sich genommen begründen solche Verpflichtungen keine Rechte der Gläubiger, sie stellen lediglich ein aufschiebend bedingtes Darlehensversprechen gegenüber der Tochtergesellschaft dar.1136 Der Geschäftsführung ist hiermit aber nur geholfen, wenn sie sich fortwährend davon vergewissert, ob die Patronin auch tatsächlich in der Lage ist, die bestehende oder mögliche Überschuldung zu beseitigen und die zugesagten Finanzmittel auch einfordert. In der Insolvenz der begünstigten Gesellschaft haftet die Patronin dieser bzw. deren Insolvenzverwalter gegenüber unmittelbar. Haftungsbegründend ist die – spätestens mit Insolvenzeröffnung – verletzte Ausstattungsverpflichtung. Inhaltlich ist der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gerichtet. Die Patronin hat den Zustand herzustellen, der bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Ausstattungsverpflichtung bestünde, d.h. der Schuldnerin die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigt, um ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber Dritten zu erfüllen, das Insolvenzverfahren zu beenden und den Geschäftsbetrieb fortzusetzen.1137 Geltend zu machen ist dieser massezugehörige Anspruch vom Insolvenzverwalter.
486a
Hinweis: Anders als diese konzerninterne Erklärung schafft eine konzernexterne Patronatserklärung keine eigenen Ansprüche der Tochtergesellschaft gegen die Muttergesellschaft.1138 Mit Hilfe einer konzerninternen Patronatserklärung, durch die sich die Muttergesellschaft gegenüber ihrer Tochtergesellschaft verpflichtet, dieser die zur Erfüllung ihrer jeweils fälligen Forderungen benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen, kann die Zahlungsunfähigkeit der Tochtergesellschaft vermieden werden. Dies setzt jedoch – falls nicht der Tochtergesellschaft ein ungehinderter Zugriff auf die Mittel eröffnet wird – voraus, dass die Muttergesellschaft ihrer Ausstattungsverpflichtung tatsächlich nachkommt. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Anwendungsbereichs von Patronatserklärungen in der Krise – Beseitigung von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung – erklärt sich, dass die konzerninterne Patronatserklärung in der Praxis den Regelfall der Kreditsicherung durch einen Patron darstellt. Denn regelmäßig begründen konzernexterne Erklärungen für sich genommen keine eigene Ansprüche und können daher weder eine Zahlungsunfähigkeit noch eine Überschuldung der Tochtergesellschaft beseitigen. Dies kommt vielmehr erst in Betracht, wenn die Patronin ihre gegenüber dem Gläubiger eingegangen Verpflichtungen durch eine Liquiditätsausstattung der Tochtergesellschaft tatsächlich erfüllt.1139
486b
Von dieser Wirkung im Zusammenhang mit der Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung im Vorfeld einer Insolvenz ist die Frage (Rz. 486a und 486b) zu unterscheiden, ob sich aus den betreffenden Erklärungen noch in der Insolvenz der Tochtergesellschaft durch deren Insolvenzverwalter bzw. den berechtigten Gläubiger1140 gegenüber dem Patron Ansprüche herleiten lassen. Rechtlich gesichert sind solche Ansprüche keineswegs. Dies liegt in erster Linie an einem Urteil des OLG Celle vom 28.6.20001141 zum Schicksal einer harten konzerninternen Patronatserklärung in der Insolvenz. Das Gericht konterkariert die bei Insolvenz der (Tochter-)Gesellschaft von der herrschenden Meinung befürwortete Umwandlung der Ausstattungsverpflichtung in eine unmittelbare Zahlungsverpflichtung,
486c
1134 1135 1136 1137 1138 1139
Kiethe, ZIP 2005, 646, 649. Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913, 914 f. Kiethe, ZIP 2005, 646, 649 f. OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 = EWiR 2005, 31 (Tetzlaff), 2104. Hirte/Praß in Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 169. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, ZIP 2011, 1111 = AG 2011, 512 = EWiR 2011, 575 (Hirte/Ede) = GmbH-StB 2011, 236 = GmbHR 2011, 769 m. Anm. Blöse. 1140 Die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter könnte allenfalls die Regelung § 92 InsO rechtfertigen. Deren (analoge) Anwendung wird jedoch abgelehnt, vgl. OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102, 2104 f. m. zust. Anm. Tetzlaff, EWiR 2005, 31, 32. 1141 OLG Celle v. 28.6.2000 – 9 U 54/00, GmbHR 2001, 303 = NdsRpfl 2000, 309, 310.
Drees/Schmidt | 927
§ 10 Rz. 486c | Beratung des gesicherten Gläubigers indem es wörtlich ausführt1142: „Ein gegebenenfalls zu bejahender Ausstattungsanspruch der Gesellschaft wandelt sich in einem solchen Fall insbesondere nicht in eine Verpflichtung des Erklärenden um, die im Vollstreckungsverfahren befindliche Gesellschaft mit Mitteln zur Befriedigung der Vollstreckungsgläubiger auszustatten.“ Komme es trotz Abgabe einer solchen Patronatserklärung zu einem Insolvenzantrag, könne der verfolgte Unterstützungszweck („Herr … verpflichtet sich gegenüber der Fa. … zur Abwendung der Überschuldung …) entfallen sein. Das ließe den Schluss zu, dass der Sicherungsgeber von seiner Erfüllungsverpflichtung befreit wäre. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Der Sinn der von der Beklagten abgegebenen Erklärung kann bei verständiger Würdigung des Erklärungsinhaltes, §§ 133, 157 BGB, nur darin gesehen werden, die Gesellschaft lebensfähig zu erhalten, mithin den Eintritt des Vermögensverfalls und die Eröffnung eines Konkurses oder Gesamtvollstreckungsverfahrens zu verhindern. Wenn aus welchen Gründen auch immer dieser mit der Erklärung verbundene Zweck nicht erreicht werden kann oder mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens wie hier vereitelt worden ist, besteht eine den Beklagten treffende Verpflichtung zur weiteren Stützung der Gesellschaft nicht mehr.“ 486d
Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, die Form der Patronatserklärung als geeignetes Sicherungsund Finanzierungsinstrument zu empfehlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn mit Hilfe einer solchen Erklärung ein Ausstattungsanspruch im Überschuldungsstatus zur Abwendung der Überschuldung angesetzt werden soll.1143 Ungeachtet dieser rechtlichen Unsicherheit vermag das Urteil in der Sache nicht zu überzeugen. Sollte der Ausstattungsanspruch mit der Insolvenz der unterstützten Gesellschaft untergehen, widerspricht dies dem Wesen der Patronatserklärung als Sicherungsmittel, gerade im Fall der Insolvenz des Sicherungsnehmers seine Wirkung zu entfalten. Die Literatur kritisiert das Urteil daher – soweit ersichtlich – erfreulicherweise einhellig.1144
486e
Ebenso hat sich das OLG München mit seiner Entscheidung vom 22.7.2004 gegen die Rechtsprechung des OLG Celle gewandt und klargestellt, dass ein Untergang der Ausstattungsverpflichtung mit Insolvenzeröffnung der unterstützten (Tochter-)Gesellschaft wegen Zweckvereitelung sinnwidrig sei. Der Sicherungszweck einer Patronatserklärung gebiete das Gegenteil und damit den Fortbestand der Ausstattungsverpflichtung in der Insolvenz bzw. deren Umwandlung in einen Schadensersatzanspruch – entweder des Insolvenzverwalters (konzerninterne Patronatserklärung) oder des jeweiligen Gläubigers (konzernexterne Patronatserklärung) – wegen Nichterfüllung. Wegen der Abweichung hatte das OLG München die Revision zugelassen, obwohl die Divergenz mit dem OLG Celle nicht die tragenden Gründe der Entscheidung betraf. Die Literatur hat vergeblich auf eine Klarstellung durch den BGH gehofft.1145 Denn dieser hat sich in seiner als Sportgate bekannt gewordenen Entscheidung vom 8.5.2006 lediglich mit einer ebenfalls streitbefangenen Verlustdeckungszusage befasst (Rz. 486f) und die Gelegenheit verpasst, diese für die Beratungspraxis immens wichtige Frage zu klären.1146
486f
Das Gericht hätte hierfür lediglich den für schuldrechliche Verlustdeckungszusagen bejahten Fortbestand in der Insolvenz der (Tochter-)Gesellschaft obiter dicta auf Patronatserklärungen ausweiten müssen. Dies hat es jedoch nicht getan. Teile der Literatur versuchen nun aus der Vergleichbarkeit von schuldrechtlichen Verlustdeckungszusagen auch für harte Patronatserklärungen den Fortbestand der Ausstattungsverpflichtung in der Insolvenz zu bejahen.1147 Dies mag ein fruchtbarer Erklärungsansatz sein, der jedoch die Bedenken, die Patronatserklärung als Sicherungsinstrument zu empfehlen, nicht ausräumen kann.
1142 OLG Celle v. 28.6.2000 – 9 U 54/00, GmbHR 2001, 303 = NdsRpfl 2000, 309, 310. 1143 Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913, 914 f. 1144 Tetzlaff, OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, EWiR 2005, 31, 32; Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913, 914 f.; Kiethe, ZIP 2005, 646, 650; Paul, ZInsO 2004, 1327, 1328 f.; Wolf, ZIP 2006, 1885, 1891. 1145 Tetzlaff, OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, EWiR 2005, 31 = ZIP 2004, 2102, 32. 1146 BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, ZIP 2006, 1199 (Boris Becker/Sportgate) m. ausführl. Bspr. von Wolf, ZIP 2006, 1885 ff. = AG 2006, 548 = NotBZ 2007, 23. 1147 Wolf, ZIP 2006, 1885 ff.
928 | Drees/Schmidt
V. Personalsicherheiten | Rz. 487b § 10
Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Kreditpraxis auf die Möglichkeit der Kündigung. Eine Entwicklung, die sich bereits im Zusammenhang mit dem Urteil des OLG München abzeichnete. Wirksamkeit und Anfechtbarkeit der Kündigung nach den §§ 129 ff. InsO – dies waren die bestimmenden Fragestellungen, nachdem in der Insolvenz der Fortbestand des gegen den Patron gerichtete Ausstattungsanspruch bzw. eine Schadensersatzpflicht drohte. Fehlt ein Kündigungsrecht, so dürfte sich der Patron durch das bloße Lossagen kaum seiner Ausstattungspflicht entziehen können. Besteht ein Kündigungsrecht, so stellt sich die Frage nach der Anfechtbarkeit der hierauf gestützten Erklärung. In seinem unter STAR 21 bekannt gewordenen Urteil v. 20.9.2010 begegnete der BGH der Möglichkeit einer Kündigung sehr großzügig. Verspreche eine Muttergesellschaft in einer (Patronats-)Erklärung gegenüber ihrer bereits in der Krise befindlichen Tochtergesellschaft, während eines Zeitraums, der zur Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlich ist, auf Anforderung zur Vermeidung von deren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung deren fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, könne diese Erklärung mit Wirkung für die Zukunft gekündigt werden, wenn die Parteien nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Kündigungsrecht vereinbart haben.1148
486g
Der Wirksamkeit der Kündigung einer solchen konzernintern getroffenen Vereinbarung stehen auch weder die Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts noch diejenigen des sog. Finanzplankredits entgegen.1149 Diese Frage und die Frage nach der Anfechtbarkeit nach den §§ 129 ff. InsO – nunmehr insbesondere § 135 InsO – wurden als Verteidigungslinie bemüht, um den Ausstattungsanspruch aufrechtzuerhalten.
486h
Hinweis: Die aufgezeigten Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Schicksal des Ausstattungsanspruchs können mithin aus Sicht des Patrons beseitigt werden, wenn die Patronatserklärung Kündigungsmöglichkeiten vorsieht. Die Ausgestaltung einer Patronatserklärung gewinnt damit unter einem weiteren Gesichtspunkt an Bedeutung. Bislang galt das Hauptaugenmerk dem „Härtegrad“ – hart und weich – sowie der „Wirkungsweise“ – intern und extern. Hinzutritt die nunmehr die Ausgestaltung der Kündigungsmöglichkeit und deren insolvenzfeste Verwendung.
486i
d) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens kann der Gläubiger den Mithaftenden weiterhin nach den allgemeinen Regelungen in Anspruch nehmen. Handelt es sich bei dem Mithaftenden um einen Bürgen, so ist zugunsten des Gläubigers zu berücksichtigen, dass auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens die Einrede der Vorausklage, die seit dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gem. § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB unzulässig war, nicht wieder auflebt.
487
Unbeschadet einer gewährten Restschuldbefreiung verbleiben den Gläubigern nach § 301 Abs. 2 InsO ihre Rechte gegenüber den Mitschuldnern und Bürgen.1150 Als Konsequenz hieraus verliert der Bürge daher auch die Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB, da die Bürgenhaftung im Rahmen der Restschuldbefreiung nicht zu verwirklichen wäre.1151
487a
Nach Beendigung des Verfahrens kann der regressberechtigte Mithaftende seine Ansprüche gem. § 201 InsO gegenüber dem Hauptschuldner verfolgen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn es zur
487b
1148 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, ZIP 2010, 2092 = AG 2010, 870 = EWiR 2010, 757 (Guski) = GmbH-StB 2010, 319 = GmbHR 2010, 1204 m. Anm. Ulrich/Rath = NotBZ 2011, 33 m. Anm. Vossius (STAR 21). 1149 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, ZIP 2010, 2092 = AG 2010, 870 = EWiR 2010, 757 (Guski) = GmbH-StB 2010, 319 = GmbHR 2010, 1204 m. Anm. Ulrich/Rath = NotBZ 2011, 33 m. Anm. Vossius (STAR 21). 1150 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 301 Rz. 16 ff. 1151 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 8 Rz. 309.
Drees/Schmidt | 929
§ 10 Rz. 487b | Beratung des gesicherten Gläubigers Aufstellung und Durchführung eines Insolvenzplans oder einer Restschuldbefreiung im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners kam. Denn obwohl die Regressberechtigten nach § 44 InsO daran gehindert waren, neben den Gläubigern ihre Forderungen im Insolvenzverfahren geltend zu machen, treten die Wirkungen des bestätigten Insolvenzplans gem. § 254 Abs. 2 Satz 2 InsO auch gegenüber dem Mitschuldner bzw. dem Bürgen ein.1152 Ebenfalls müssen die Rückgriffsberechtigten nach § 301 Abs. 2 Satz 2 InsO die Wirkungen der Restschuldbefreiung gegen sich gelten lassen.1153 Der Hauptschuldner selbst wird gegenüber dem Mitschuldner, dem Bürgen und den sonstigen Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber den Insolvenzgläubigern.1154
VI. Drittsachsicherheiten 488
Die für die Bürgschaft (vgl. Rz. 428 ff.) und den Schuldbeitritt (vgl. Rz. 466 ff.) dargestellte Regelung des § 43 InsO gilt nach ganz überwiegender Ansicht auch dann, wenn ein Dritter – auch dinglich neben der persönlichen Haftung oder – nur dinglich
489
mit einem eigenen Gegenstand mithaftet.1155 Da § 43 InsO dem Wortlaut nach nur auf die persönliche Haftung mehrerer Schuldner Anwendung findet, ist die Norm bei dinglicher Haftung entsprechend heranzuziehen. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, die nicht explizit geregelten Fälle der dinglichen Haftung anders zu beurteilen als die der persönlichen Mithaftung. In beiden Konstellationen haften zwei verschiedene Vermögensmassen für die Verbindlichkeiten des Gläubigers.1156 Dementsprechend kann ein Gläubiger, auch wenn er bereits teilweise aus der nicht insolvenzbefangenen dinglichen Sicherheit befriedigt worden sein sollte, im Insolvenzverfahren gegen den Schuldner seine gesamte Forderung geltend machen, die er zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens fordern konnte.
490
Wurde der Gläubiger bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens teilweise durch den Dritten befriedigt (vgl. ausführlich zu Zahlungen des Bürgen, Rz. 440 ff.), greift § 43 InsO nicht. In diesem Fall kann der Gläubiger nur in Höhe seiner dann noch bestehenden Restforderung am Insolvenzverfahren teilnehmen. Daneben ist zugleich auch der Dritte berechtigt, die infolge seiner Zahlung an den Gläubiger auf ihn übergegangene Forderung bzw. Regressforderung gegen den Schuldner zur Tabelle anzumelden.1157 § 44 InsO findet insoweit keine Anwendung, da der Anspruch dem Mithaftenden bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustand. Die Teilnahme des Mithaftenden am Insolvenzverfahren hat allerdings zur Folge, dass sich die zu erwartende Quote des Gläubigers ver-
1152 1153 1154 1155
MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 18. MünchKomm/InsO/Bitter, § 44 Rz. 18. Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 14; Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 44 Rz. 2. RG v. 30.11.1937 – VII 127/37, RGZ 156, 271, 278; BGH v. 9.5.1960 – II ZR 95/58, MDR 1960, 649 f.; BGH v. 15.10.1969 – VIII ZR 136/67, MDR 1970, 229; BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, MDR 2011, 262 = EWiR 2011, 193 (Kesseler); Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 3; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 12; FK-InsO/Schumacher, § 43 Rz. 4; Nerlich/Römermann/Andres, § 43 Rz. 5; Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 22; Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077, 1079; a.A. Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 9. 1156 MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 19; Knof in Uhlenbruck, § 43 InsO Rz. 15; Andres/Leithaus, § 43 Rz. 2; Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077, 1079. 1157 BGH v. 9.5.1960 – II ZR 95/58, MDR 1960, 649 f.; BGH v. 30.10.1984 – IX ZR 92/83, BGHZ 92, 374 = EWiR 1985, 85 (Horn) = ZIP 1985, 18; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 20; Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 30; MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 36, 39; § 44 Rz. 28; FK-InsO/ Bernsau, § 43 Rz. 8.
930 | Drees/Schmidt
VI. Drittsachsicherheiten | Rz. 494 § 10
ringert. Infolge der teilweisen Befriedigung durch den Dritten hat sich der Nominalwert der insgesamt der Insolvenzmasse gegenüberstehenden Forderungen reduziert. Dieser Rückgang wird nunmehr dadurch egalisiert, dass der Dritte seine Forderung zur Tabelle anmeldet. Da der Übergang einer Forderung jedoch nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden darf (vgl. §§ 426 Abs. 2 S. 2, 774 Abs. 1 S. 2, 1143 Abs. 1 S. 2 BGB), kann dieser auch die Differenz zwischen ursprünglich zu erwartender und nunmehr verminderter Quote beanspruchen. Diesen Betrag kann der Gläubiger nach wohl überwiegender Auffassung außerhalb des Insolvenzverfahrens herausverlangen.1158 Soweit der Dritte den Gläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens befriedigt, muss der Gläubiger sich nicht auf die Anmeldung einer insoweit geminderten Forderung verweisen lassen. Er kann ungeachtet der teilweisen Befriedigung nach § 43 InsO im Insolvenzverfahren gegen den Schuldner seine gesamte Forderung geltend machen, die er im Zeitpunkt der Eröffnung zu beanspruchen hatte. Anders als im Falle der Befriedigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der mithaftende Dritte aber nicht zugleich seine infolge der Zahlung auf ihn übergegangene Forderung bzw. Regressforderung zur Tabelle anmelden. Er ist hieran gem. § 44 InsO solange gehindert, wie der Gläubiger selbst am Insolvenzverfahren teilnimmt. D.h., der mithaftende Dritte hat nur dann die Möglichkeit, seine Forderung im Insolvenzverfahren gegen den Schuldner geltend zu machen, wenn der Gläubiger überhaupt nicht am Insolvenzverfahren teilnimmt oder durch den Dritten voll befriedigt worden ist. Welche Auswirkungen dies jeweils auf die Befriedigung des Gläubigers hat, soll folgender Beispielsfall verdeutlichen:
491
Insolvenzmasse: 200.000 €; Forderungen gesamt: 500.000 €; davon Forderung des Gläubigers 100.000 € und realisierbare Drittsicherheit 20.000 €. Wird die Quote des Gläubigers aus dem vollen Forderungsbetrag berechnet, erhält er 40.000 € aus der Insolvenzmasse und 20.000 € aus der Drittsicherheit, insgesamt 60.000 €. Kann der Gläubiger dagegen nur den verminderten Betrag von 80.000 € geltend machen, erhält er einen Betrag von 33.333 € aus der Insolvenzmasse und 20.000 € aus der Drittsicherheit, insgesamt also nur 53.333 € und somit 6.666 € weniger als bei Zugrundelegung der gesamten Forderung.
492
Die doppelte Berücksichtigung der Forderung des Gläubigers darf allerdings nicht dazu führen, dass der Gläubiger mehr erhält, als er materiell zu beanspruchen hat. Ergibt eine Addition der Beträge aus teilweiser Befriedigung und zu erwartender Insolvenzquote einen die Forderung des Gläubigers übersteigenden Betrag, ist dessen Quote entsprechend zu kürzen. Erklärt sich der Gläubiger hiermit nicht einverstanden, muss der Insolvenzverwalter aufgrund der Rechtskraftwirkung des Tabelleneintrags eine Entscheidung des Gerichts im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 Abs. 1 ZPO herbeiführen. Ist es gleichwohl zu einer Überzahlung gekommen, hat der Insolvenzverwalter den entsprechenden Betrag zu kondizieren. Dieser kommt allerdings nicht der Insolvenzmasse zu Gute, sondern ist wegen des Forderungsübergangs an den mithaftenden Dritten auszukehren, der wegen § 44 InsO an der Geltendmachung seiner Forderung gehindert war.1159
493
Handelt es sich bei dem mithaftenden Dritten um einen Gesellschafter des Schuldners, regelt § 44a InsO die Teilnahme des Gläubigers am Insolvenzverfahren. Hiernach kann der Gläubiger nur anteilsmäßige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, soweit er bei der Inanspruchnahme der Gesellschaftersicherheit ausgefallen ist. Wie sich dies konkret auf das Insolvenzverfahren auswirkt, ist umstritten. In Anlehnung an den Wortlaut der Norm des § 44a InsO wird vertreten, dass der Gläubiger seine Forderung im Insolvenzverfahren nur insoweit durchsetzen könne, als er bei der Inanspruchnahme
1158 Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 10; FK-InsO/Bernsau, § 43 Rz. 8; Palandt/Sprau, § 774 Rz. 12; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 21; Braun/Bäuerle, InsO, § 43 Rz. 11. 1159 OLG Karlsruhe v. 2.10.1981 – 15 U 76/81, ZIP 1982, 1108; BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07, MDR 2009, 351 = ZIP 2009, 243; Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 33; Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 11; FKInsO/Bernsau, § 43 Rz. 8.
Drees/Schmidt | 931
494
§ 10 Rz. 494 | Beratung des gesicherten Gläubigers des Gesellschafters ausgefallen sei.1160 Der Berechnung der Insolvenzquote sei daher nur die Forderung zugrunde zu legen, die dem Gläubiger nach Leistung des Gesellschafters verbleibe. 495
Da dies zu einer materiellen Beeinträchtigung des Gläubigers einer gesellschafterbesicherten Forderung führt, geht eine andere Ansicht davon aus, dass § 44a InsO ausschließlich in verfahrensmäßiger Hinsicht für eine vorrangige Verwertung der Gesellschaftersicherheit sorgen solle. Zwar soll der Gläubiger zur Befriedigung aus der Insolvenzmasse erst berechtigt sein, wenn er nachweist, dass er mit seiner Forderung bei der Inanspruchnahme des Gesellschafters ausgefallen ist. Eine Kürzung der Forderung nach dem Ausfallprinzip des § 52 InsO komme gleichwohl aber nicht in Betracht, da der Gläubiger einer Gesellschaftersicherheit anders als ein absonderungsberechtigter Gläubiger nicht vorab aus zur Insolvenzmasse gehörenden Sicherheiten befriedigt werde.1161 Darüber hinaus richte sich § 44a InsO, wie sich auch aus § 135 Abs. 2 InsO ergebe, gegen den Gesellschafter und nicht gegen den Drittgläubiger. Bei der Berechnung der Insolvenzquote sei daher der Grundsatz der Doppelberücksichtigung i.S.v. § 43 InsO heranzuziehen, mit der Folge, dass der Berechnung die gesamte Forderung des Gläubigers zugrunde zu legen ist.
VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht 496
Die Möglichkeit des Gläubigers, mit einer eigenen Forderung gegen den Schuldner nach §§ 387 ff. BGB aufzurechnen, wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners durch die §§ 94–96 InsO modifiziert. Grundsätzlich bleibt eine zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Aufrechnungsbefugnis nach § 94 InsO weiterhin erhalten. Diese stellt eine gesicherte Rechtsstellung dar, die auch im Insolvenzverfahren uneingeschränkt anerkannt wird.1162 Hierdurch soll verhindert werden, dass dem Aufrechnungsberechtigten die ursprünglich vorhandene „Selbstexekutionsbefugnis“ entzogen wird, wonach er seine Leistung voll zur Masse erbringen müsste und im Gegenzug nur die Insolvenzquote erhielte.1163
1. Persönlicher Anwendungsbereich 497
Die §§ 94 ff. InsO gelten nur für Insolvenzgläubiger i.S.d. §§ 38 f. InsO und nicht für Massegläubiger. Anders als Insolvenzforderungen werden Masseforderungen nach § 53 InsO ohnehin vorab und daher regelmäßig vollumfänglich befriedigt.
498
Die Aufrechnung durch den Insolvenzverwalter richtet sich ausschließlich nach den §§ 387 ff. BGB. Die §§ 94 ff. InsO finden insoweit keine Anwendung.1164 Umstritten ist, ob der Insolvenzverwalter gegen eine Insolvenzforderung aufrechnen kann, bevor diese zur Tabelle festgestellt worden ist. 1160 Kleindiek in HK/InsO, § 44a Rz. 8; Braun/Bäuerle, InsO, § 44a Rz. 4; Andres/Leithaus, § 44a Rz. 8; Nerlich/Römermann/Andres, § 44a Rz. 16 f.; Hirte in Uhlenbruck, § 44a InsO Rz. 5; Michalski/Heidinger, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 336; Ulmer/Habersack, GmbHG, §§ 32a/b Rz. 177 f. 1161 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 16 m.w.N.; vgl. Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 23; Keller in HK/InsO, § 43 Rz. 6; MünchKomm/InsO/Bitter, § 43 Rz. 27; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 32a Rz. 172; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 32a Rz. 85; Scholz/Emmerich, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 169. 1162 BT-Drucks. 12/2443, 140; BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 149/11, MDR 2012, 874 = EWiR 2012, 633 (Dörrscheidt) = ZIP 2012, 1254; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 1. 1163 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, MDR 2011, 1074 = ZIP 2011, 1271 = BRAK 2012, 73 m. Anm. Jungk; BGH v. 20.6.1951 – GSZ 1/51, BGHZ 2, 300; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 2, 24; Nerlich/ Römermann/Kruth, § 94 Rz. 2. 1164 FK-InsO/Bernsau, § 94 Rz. 4; Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 76; Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbem. zu §§ 94–96 Rz. 10; Andres/Leithaus/Leithaus, § 94 Rz. 2; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 8; MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 14; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner,
932 | Drees/Schmidt und Hoffmann
VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht | Rz. 504 § 10
Nach Ansicht des BGH scheidet eine Aufrechnung mangels Erfüllbarkeit der Hauptforderung aus, da der Insolvenzverwalter eine Insolvenzforderung erst befriedigen dürfe, wenn diese angemeldet, geprüft und zur Tabelle festgestellt worden sei. Die Aufrechnung vor Feststellung der Forderung verstoße insbesondere gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, da hierdurch ausschließlich der Inhaber der Gegenforderung Befriedigung erlange.1165 Dagegen wird eingewandt, dass eine Aufrechnung vor Feststellung der Insolvenzforderung jedenfalls dann nicht gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung verstoße, wenn zugleich auch der Insolvenzgläubiger nach §§ 94 ff. InsO zur Aufrechnung berechtigt sei.1166 Durch die Aufrechnungserklärung des Insolvenzverwalters würden lediglich die Rechtsfolgen eintreten, die der aufrechnungsberechtigte Insolvenzgläubiger selbst durch eine eigene Aufrechnungserklärung herbeiführen könne.1167
499
Die Aufrechnung durch den Insolvenzverwalter kann darüber hinaus zum Erhalt der Insolvenzmasse geboten sein. Dies ist etwa der Fall, wenn die Insolvenzforderung die Forderung der Masse übersteigt.1168
500
Beispiel: Forderung des Insolvenzgläubigers: 100.000 €; Forderung der Masse gegen diesen Insolvenzgläubiger: 50.000 €; Insolvenzquote: 5 %. Nimmt der Insolvenzgläubiger mit seiner gesamten Forderung i.H.v. 100.000 € am Verteilungsverfahren teil, erhält er eine Dividende von 5.000 € und kann anschließend die Aufrechnung mit seiner verbleibenden Forderung erklären. Bringt der Insolvenzverwalter dagegen zunächst die Forderung des Insolvenzgläubigers i.H.v. 50.000 € durch Aufrechnung zum Erlöschen, nimmt der Insolvenzgläubiger nur noch in Höhe des nicht erloschenen Teils i.H.v. 50.000 € am Verteilungsverfahren teil und erhält hierauf eine Dividende von 2.500 €.
501
Darüber hinaus kommt die Aufrechnung des Insolvenzverwalters im Hinblick auf den Erhalt der Insolvenzmasse in Betracht, wenn die Forderung der Masse verjährt, aber nach § 215 Alt. 1 BGB noch aufrechenbar, oder der Insolvenzgläubiger zugleich auch insolvent ist (Doppelinsolvenz)1169:
502
Beispiel: Forderung des Insolvenzgläubigers: 100.000 €; Insolvenzquote in der Insolvenz des Insolvenzgläubigers: 3 %; Forderung der Masse gegen diesen Insolvenzgläubiger: 100.000 €; Insolvenzquote in der Insolvenz des Schuldners: 5 %. Ohne Erklärung der Aufrechnung erhielte der Insolvenzverwalter auf die Forderung der Masse 3.000 €, während er im Gegenzug 5.000 € auf die Forderung des Insolvenzgläubigers zu zahlen hätte. Erklärt er dagegen die Aufrechnung, erlöschen beide Forderungen, ohne dass eine darüber hinausgehende Zahlungspflicht gegeben ist.
503
Allerdings kann die Aufrechnung des Insolvenzverwalters auch zu Nachteilen für die Insolvenzmasse führen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Insolvenzgläubiger selbst nicht nach §§ 94 ff. InsO die Aufrechnung erklären könnte.1170
504
1165 1166 1167 1168 1169 1170
InsO, § 94 Rz. 19, 20; Windel in Jaeger, InsO, § 94 Rz. 56; Nerlich/Römermann/Kruth, § 94 Rz. 6; Kayser in HK/InsO, § 96 Rz. 16. BGH v. 19.3.1987 – IX ZR 148/86, BGHZ 100, 222 = MDR 1987, 578; Grüneberg in Palandt, § 387 Rz. 12; vgl. auch Kayser in HK/InsO, § 96 Rz. 14 f.; Eckardt, ZIP 1995, 257, 257 f. = EWiR 1987, 1011 (Gerhardt). Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 77; Kayser in HK/InsO, § 96 Rz. 16; MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 16; Eckardt, ZIP 1995, 257, 264 ff.; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 94 Rz. 20. Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 94 Rz. 20; Kayser in HK/InsO, § 96 Rz. 16; Eckardt, ZIP 1995, 257, 265. MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 16. MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 14; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 94 Rz. 20; Eckardt, ZIP 1995, 257, 266; Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbem. zu §§ 94– 96 Rz. 10. Eckardt, ZIP 1995, 257, 266.
Hoffmann | 933
§ 10 Rz. 505 | Beratung des gesicherten Gläubigers 505
Beispiel: Forderung des Insolvenzgläubigers: 100.000 €; Forderung der Masse gegen diesen Insolvenzgläubiger: 100.000 €; Insolvenzquote: 5 %. Erklärt der Insolvenzverwalter die Aufrechnung, erlöschen beide Forderungen. Ohne Aufrechnung könnte der Insolvenzverwalter dagegen Zahlung von 100.000 € durch den Insolvenzgläubiger verlangen, während er im Gegenzug nur zur Zahlung der Insolvenzquote i.H.v. 5.000 € verpflichtet wäre.
506
Sofern in diesen Fällen eine gleichwohl erklärte Aufrechnung nicht ohnehin nach den Grundsätzen der Insolvenzzweckwidrigkeit unwirksam sein sollte,1171 macht sich der Insolvenzverwalter jedenfalls gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern nach § 60 InsO schadensersatzpflichtig.1172
2. Aufrechnungslage 507
Eine Aufrechnungslage liegt dann vor, wenn sich eine bereits entstandene und erfüllbare Forderung des Insolvenzschuldners und eine durchsetzbare, fällige und einredefreie Gegenforderung des Insolvenzgläubigers im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüberstehen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bildet insoweit die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit der §§ 94 ff. InsO.1173 Diese finden nach § 94 InsO sowohl auf gesetzliche als auch auf vertraglich vereinbarte Aufrechnungslagen Anwendung. Da Aufrechnungsabreden im Einzelfall aber zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse führen können, befürwortet ein großer Teil der Literatur eine einschränkende Anwendung der Norm. Hiernach sollen die gesetzlichen Voraussetzungen der Aufrechnung auch weiterhin erforderlich, aber im Einzelfall durch konkrete vertragliche Abreden modifizierbar sein.
508
Clearing-, Kontokorrent- oder Verrechnungsabreden fallen nicht unter den Anwendungsbereich der vertraglich vereinbarten Aufrechnungslagen i.S.v. § 94 Alt. 2 InsO. Diesen ist gemein, dass im Wege der Vorausverfügung, innerhalb eines bestimmten Zeitraums alle künftig entstehenden Forderungen miteinander verrechnet werden. Erst der Saldo am Ende der Verrechnungsperiode entscheidet darüber, welcher Partei eine Forderung zusteht (Aktivsaldo). Da die Verrechnungsbefugnis mit Anordnung eines allgemeinen oder besonderen Verfügungsverbotes, spätestens aber mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt, endet auch die Verrechnungsperiode zu diesem Zeitpunkt. Mit einer sich hiernach ergebenden Forderung kann der Insolvenzgläubiger gleichwohl unter den Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB i.V.m. §§ 94 ff. InsO die Aufrechnung erklären.
a) Gegenseitigkeitsverhältnis 509
Die Forderungen stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, wenn der Aufrechnende Gläubiger der Gegenforderung und der Schuldner Gläubiger der Hauptforderung ist. Ausnahmen vom Gegenseitigkeitserfordernis in allgemeinen Vorschriften gelten auch im Insolvenzverfahren.
1171 Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbem. zu §§ 94–96 Rz. 10; vgl. zur Insolvenzzweckwidrigkeit allgemein: BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, MDR 2013, 621 = ZIP 2013, 531 = EWiR 2013, 329 (Schulz) = GmbH-StB 2013, 175 = GmbHR 2013, 373 m. Anm. Blöse; BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 = MDR 2002, 1270 = EWiR 2003, 125 (Tintelnot); Eckardt, ZIP 1995, 257, 266; Kroth in Braun, InsO, § 80 Rz. 27; Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 80 Rz. 84 ff.; BGH v. 20.3.2014 – IX ZR 80/13, MDR 2014, 803 = ZIP 2014, 978 = EWiR 2014, 593 (Weiß/Linsenbarth). 1172 Graf-Schlicker/Hofmann, § 94 Rz. 18; Eckardt, ZIP 1995, 257, 266. 1173 Wegen des eindeutigen Wortlauts von § 94 InsO kommt eine Anwendung der Vorschriften im Eröffnungsverfahren – etwa in Analogie zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO – auch dann nicht in Betracht, wenn ein (starker) vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und ein Verfügungsverbot erlassen wurde; BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, MDR 2012, 607 f. = EWiR 2012, 459 (Schröder) = ZIP 2012, 737; BGH v. 29.6.2004 – IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388 ff. = ZIP 2004, 1558; vgl. auch BGH v. 4.6.1998 – IX ZR 165/97, NJW 1998, 2538 f.; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 8; A/G/R/Piekenbrock, § 94 InsO Rz. 5; Kayser, WM 2008, 1477, 1479 = EWiR 1998, 755 (Steinecke-Meyns) = ZIP 1998, 1319.
934 | Hoffmann
VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht | Rz. 513 § 10
Die Zulassung von vertraglichen Aufrechnungsabreden durch § 94 Alt. 2 InsO ermöglicht auch die Aufrechnung mit der Forderung eines Dritten. Der Dritte selbst hingegen ist nur dann aufrechnungsberechtigt, wenn er Träger eines Ablösungsrechts, etwa nach § 35b VVG, ist.
510
Den wichtigsten Anwendungsfall bilden Konzernverrechnungsklauseln, durch welche das Gegenseitigkeitserfordernis zugunsten anderer Konzernmitglieder des Gläubigers abbedungen und so die Drittaufrechnung ermöglicht wird. In Literatur und instanzgerichtlicher Rechtsprechung werden derartige Klauseln teilweise für zulässig gehalten.1174 Der BGH tritt der herrschenden Literatur entgegen und verneint das Vorliegen der Aufrechnungsvoraussetzungen nach den §§ 94 ff. InsO1175: Die Aufrechnungslage tritt danach erst mit Abgabe der Aufrechnungserklärung durch das entsprechende Konzernmitglied ein, also regelmäßig nach Einleitung des Insolvenzverfahrens. Das aufrechnende Konzernmitglied ist demnach so zu behandeln, als habe es die zur Aufrechnung gestellte Forderung erst im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung und damit nach Insolvenzeröffnung erworben.
511
Keine Anwendung findet das Aufrechnungsverbot dagegen dann, wenn die Forderung des Schuldners bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege des sog. „echten“ Factoring auf einen Dritten übertragen wurde und der Drittschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer zuvor vereinbarten Konzernverrechnungsklausel gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklärt.1176 Die Aufrechnung ist in dieser Konstellation gerade nicht mit Blick auf § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO unwirksam, da sie keine Auswirkung auf den Bestand der Insolvenzmasse hat. Auch wenn der Drittschuldner ohne den Factoring-Vertrag seine Forderung zur Tabelle anmeldet und hiernach nur eine quotale Befriedigung zu erwarten hätte, handelt es sich doch um eine Forderung des Dritten, die vom Schutzbereich des § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht erfasst wird. Gleichwohl anders mag sich die Situation aber in Fällen des sog. „unechten“ Factoring darstellen.
512
Handelt es sich um Forderungen aus einem Steuerschuldverhältnis ermöglicht § 226 Abs. 4 AO dem Fiskus die Aufrechnung unter erleichterten Voraussetzungen. Grundsätzlich ist für eine Aufrechnung gegen Forderungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften nach § 395 BGB erforderlich, dass die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden entstanden ist. Für die Aufrechnung aus dem Steuerschuldverhältnis erleichtert § 226 Abs. 4 AO diese Voraussetzungen dahingehend, dass auch die Körperschaft, die die Steuer verwaltet, als Gläubiger oder Schuldner des jeweiligen Anspruchs anzusehen ist. Aufrechnungsbefugt sind demnach sowohl die Körperschaft, der der Steuerertrag nach § 395 BGB zusteht, als auch diejenige, die die Steuer gem. § 226 Abs. 4 AO nur verwaltet.
b) Gleichartigkeit Des Weiteren müssen die Forderungen gleichartig sein. Dies bezieht sich nur auf den Gegenstand, bzw. den Inhalt der Leistungsverpflichtung, nicht auch auf den Rechtsgrund.1177 Konnexität, wie sie im Rahmen der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechtes notwendig wird, ist nicht erforderlich. Den Maßstab für die Beurteilung der Gleichartigkeit bildet die Verkehrsanschauung.
1174 OLG Frankfurt v. 22.1.2003 – 21 U 7/02, EWiR 2003, 773 (Rendels/Tetzlaff) = ZIP 2003, 1408 = NZI 2003, 436 ff.; MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 64. 1175 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, MDR 2010, 523 ff.; BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 152/04, NZI 2006, 639 ff.; BGH v. 15.7.2004 – IX ZR 224/03, BGHZ 160, 107 ff.; BGH v. 3.6.1981 – VIII ZR 171/80, BGHZ 81, 15; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 25; Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 9; Rendels/Tetzlaff, OLG Frankfurt v. 22.1.2003 – 21 U 7/02, EWiR 2003, 773 f.; Rendels, ZIP 2003, 1583; Adam, WM 1998, 801; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.146. 1176 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, MDR 2010, 523; Jacoby, EWiR 2010, 123 f. = ZIP 2010, 138; Krüger/Opp, NZI 2010, 672 ff. 1177 FK-InsO/Bernsau, § 94 Rz. 10; Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 29.
Hoffmann | 935
513
§ 10 Rz. 514 | Beratung des gesicherten Gläubigers 514
Während währungsverschiedene Forderungen nach den allgemeinen Vorschriften mangels Gleichartigkeit regelmäßig keine Aufrechnungslage begründen,1178 lässt § 95 Abs. 2 S. 1 InsO eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren ausdrücklich zu, wenn die Währungen am Zahlungsort der Gegenforderung frei tauschbar sind. Die Umrechnung erfolgt nach dem dortigen Kurswert zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung. Entgegen der systematischen Verortung gilt diese Regelung auch für die vor Einleitung des Eröffnungsverfahrens entstandene Aufrechnungslage nach § 94 InsO.1179
c) Fälligkeit 515
Der Aufrechnende muss die ihm gebührende Leistung nach § 387 BGB fordern, d.h. rechtlich erzwingen können. Dafür ist erforderlich, dass die Gegenforderung vollwirksam und fällig ist und der Geltendmachung nach § 390 BGB keine Einrede entgegensteht. Hiervon ausgenommen ist nach § 215 BGB die Einrede der Verjährung.
d) Eintritt der Aufrechnungslage im Insolvenzverfahren, § 95 InsO 516
Fehlt es an einer der o.g. Voraussetzungen liegt keine Aufrechnungslage vor, die gem. § 94 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechterhalten werden könnte. Sind die aufzurechnenden Forderungen zu diesem Zeitpunkt noch aufschiebend bedingt, nicht fällig oder nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so eröffnet § 95 Abs. 1 S. 1 InsO dem Insolvenzgläubiger gleichwohl die Möglichkeit der Aufrechnung, sofern die jeweils einschlägigen Voraussetzungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintreten. Zu beachten ist allerdings, dass die Gegenforderung stets vor der Hauptforderung unbedingt und fällig werden muss, da andernfalls eine Aufrechnung nach § 95 Abs. 1 S. 3 InsO ausgeschlossen ist.
517
Dies gilt nach § 95 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 InsO für aufschiebend bedingte Forderungen. Die Bedingung kann dabei sowohl auf vertraglicher als auch auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Nach dem Rechtsgedanken des § 96 Abs. 1 InsO soll dies für gesetzlich bedingte Forderungen aber nur dann gelten, wenn das Rechtsverhältnis dem Grunde nach bereits vor Insolvenzeröffnung angelegt war und Vorwirkungen entfaltete.1180 Nicht erfasst werden dagegen auflösend bedingte Forderungen. Dies ergibt sich aus § 95 Abs. 1 S. 2 InsO. Danach ist die Anwendbarkeit der §§ 41, 45 InsO ausgeschlossen, nicht aber die des § 42 InsO. Demzufolge sind auflösend bedingte Forderungen, solange die Bedingung nicht eingetreten ist, wie unbedingte Forderungen zu behandeln. Aufgrund des Ausschlusses gem. § 95 Abs. 1 S. 2 InsO lässt sich aber weder die Fälligkeit einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht fälligen Forderung nach § 41 Abs. 1 InsO herstellen, noch gem. § 45 S. 1 InsO mit einer Forderung aufrechnen, die nicht auf Geld gerichtet oder deren Geldbetrag unbestimmt ist. Vielmehr ist auch in diesen Fällen eine Aufrechnung gem. § 95 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 3 InsO nur dann möglich, wenn Fälligkeit bzw. Gleichartigkeit der Gegenforderung nach Verfahrenseröffnung aber vor derjenigen der Hauptforderung eintreten.
518
Gerade die Zulassung der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden Gleichartigkeit gem. § 95 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 InsO stößt weitgehend auf Kritik. Diese ergibt sich meist nur infolge von Vertragspflichtverletzungen, die einen ursprünglich nicht auf Geld gerichteten Anspruch in einen solchen umwandeln.1181 Hierauf aber könne der Gläubiger in der Regel nicht vertrauen. Verhalte er sich selbst zum Zwecke der Herbeiführung der Aufrechnung vertragsbrüchig, verstoße dies gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und führe dementsprechend zur Unwirksamkeit der Aufrechnung. Der Insol-
1178 Graf-Schlicker/Hofmann, § 94 InsO Rz. 5. 1179 Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 24; MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 95 Rz. 36; Sinz in Uhlenbruck, § 95 InsO Rz. 54. 1180 Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 95 Rz. 4; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 95 Rz. 18. 1181 Kroth in Braun, InsO, § 95 Rz. 18; Nerlich/Römermann/Kruth, § 95 Rz. 8.
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VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht | Rz. 522 § 10
venzgläubiger sollte aber gleichwohl prüfen, ob er die Gleichartigkeit der Forderungen nicht auch durch eine Gestaltungserklärung herbeiführen kann. Allerdings hat er auch hierbei die Grenze der missbräuchlichen Rechtsausübung zu beachten, die im Falle einer unberechtigten Kündigung zur Herstellung der Gleichartigkeit von Haupt- und Gegenforderung überschritten sein dürfte.
3. Aufrechnungsverbote nach § 96 InsO Allein das Bestehen einer Aufrechnungslage führt allerdings noch nicht zur Wirksamkeit der Aufrechnung. Dieser dürfen darüber hinaus weder gesetzliche noch vertragliche Aufrechnungsverbote entgegenstehen.
519
Ein solches folgt nicht bereits aus der Annahme und Bestätigung eines gerichtlichen Insolvenzplanes. Selbst der (überwiegende) Erlass der Gegenforderung in einem Insolvenzplan kann grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Insolvenzgläubiger sein Aufrechnungsrecht verliert.1182 Wie sich aus § 94 InsO ergibt, wird dieses Recht durch das „Verfahren“ nämlich gerade nicht berührt. Zum „Verfahren“ gehört aber auch das Ergebnis des Insolvenzverfahrens, das – etwa als Insolvenzplan – über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens hinauswirken kann. Diese Wirkung kann nur vermieden werden, wenn rechtzeitig die Geltendmachung des Aufrechnungsrechtes ausgeschlossen wird. Der Insolvenzverwalter wird in dieser Situation gut beraten sein, entweder mit dem betreffenden Gläubiger einen Verzicht auf die Ausübung des Aufrechnungsrechtes zu vereinbaren oder dieses bereits im Insolvenzplan zu berücksichtigen, sofern die Aufrechnung nicht ohnehin unter den gesetzlichen Voraussetzungen ausgeschlossen ist. Neben den allgemeinen gesetzlichen Aufrechnungsverboten1183 wird die Aufrechnung im Insolvenzverfahren vor allem durch § 96 InsO eingeschränkt. Danach ist eine Aufrechnung in den Fällen ausgeschlossen, in denen die Voraussetzungen der Aufrechnung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht in dem durch § 95 InsO geschützten Kern vorlagen (§ 96 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO) oder aber in anfechtbarer Weise herbeigeführt worden sind (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Ferner wird dem Gesichtspunkt der Trennung von Insolvenzmasse und freiem Vermögen des Schuldners Rechnung getragen (§ 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Dadurch soll die Insolvenzmasse geschützt und eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung ermöglicht werden.
520
a) Gegenseitigkeit nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Beruft sich ein Insolvenzgläubiger, der zugleich Schuldner der Masse ist, darauf, gegen deren Anspruch aufrechnen zu können, muss er darlegen und beweisen, dass die Aufrechnungslage schon vor Verfahrenseröffnung entstanden ist.1184
521
Sofern § 95 InsO nicht anwendbar sein sollte, fehlt es mangels erfüllbarer Hauptforderung bereits an einer schützenswerten Aufrechnungslage. Ist die Leistung hingegen teilbar und hat der Schuldner bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Teil seiner Leistung erbracht, ist eine Aufrechnung nach §§ 94 f. InsO grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Anschaulich wird dies insbesondere im Zusammenhang mit der Ausübung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO.
522
1182 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, MDR 2011, 1074 = ZIP 2011, 1271 = BRAK 2012, 73 m. Anm. Jungk; OLG Karlsruhe v. 8.7.2010 – 2 WF 77/10, MDR 2011, 107 f. = FamRZ 2010, 2010= BRAK 2012, 73 m. Anm. Jungk; A/G/R/Piekenbrock, § 94 InsO Rz. 6. 1183 Nerlich/Römermann/Kruth, § 94 Rz. 20; MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 50; GrafSchlicker/Hofmann, § 94 Rz. 8; Ries/Rook in Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 94 Rz. 15. 1184 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 149/11, MDR 2012, 874 = EWiR 2012, 633 (Dörrscheidt) = ZIP 2012, 1254
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§ 10 Rz. 523 | Beratung des gesicherten Gläubigers 523
Macht der Insolvenzverwalter von seinem Wahlrecht gem. § 103 InsO (ausführlich hierzu: § 8 Rz. 10 ff.) Gebrauch und wählt die Erfüllung eines gegenseitigen Vertrages, so ist die Aufrechnung gegen eine hierdurch begründete Forderung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgeschlossen. Die Erfüllungswahl ist ihrer Wirkung nach nämlich der Konstellation gleichzusetzen, in der „Verwalter und Vertragspartner den Vertrag mit identischem Inhalt neu abgeschlossen hätten“.1185 Hat der Insolvenzschuldner hingegen vor Verfahrenseröffnung die ihm aufgrund des gegenseitigen Vertrages obliegende Leistung bereits teilweise erbracht, wird der dieser Teilleistung entsprechende Anspruch auf die Gegenleistung durch die Verfahrenseröffnung nicht berührt.1186 Eine Aufrechnung ist auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 94 InsO möglich. Lehnt der Insolvenzverwalter dagegen die Erfüllung des gegenseitigen Vertrages ab, so gilt der infolge der Teilleistung entstandene Rückzahlungsanspruch bereits zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als aufschiebend bedingt i.S.v. § 95 InsO entstanden.1187
b) Erwerb der Gegenforderung nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO 524
Die Aufrechnung ist ferner nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger seine Forderung erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von einem anderen Gläubiger erworben hat. Hierdurch soll eine Schmälerung der Insolvenzmasse infolge der Umgehung des Gegenseitigkeitserfordernisses verhindert werden. Eine Aufrechnung ist nach dieser Norm folglich immer dann unzulässig, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen in keinem Gegenseitigkeitsverhältnis gestanden haben.
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Daher ist die Aufrechnung mit einer Gegenforderung grundsätzlich unzulässig, wenn diese (sicherheitshalber) vor Verfahrenseröffnung an einen Dritten abgetreten und erst nach Verfahrenseröffnung wieder zurückerworben wurde.1188 Hiervon ausgenommen sind Fälle, in denen eine Forderung zurückerworben wird, die vor Verfahrenseröffnung zum Inkasso oder aufgrund einer vergleichbaren uneigennützigen Treuhandabrede übertragen worden ist, da eine solche Forderung wirtschaftlich beim Zedenten verbleibt.1189
c) Forderungserwerb durch anfechtbare Rechtshandlung, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO 526
Die Herbeiführung der Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung führt ebenfalls zum Aufrechungsausschluss, vgl. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gläubiger selbst oder ein Dritter die Rechtshandlung vorgenommen hat. Der Kern der Regelung liegt damit im Anfechtungsrecht nach den §§ 129 ff. InsO (ausführlich hierzu: § 10 Rz. 128 ff.).
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An dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung öffentlich-rechtliche Körperschaften im Gegenzug zu den erleichterten Voraussetzungen der Aufrechnung nach § 226 AO im Rahmen der Anfechtung strengeren Anforderungen unterwirft. „Werden behördenübergreifende Handlungs- und Informationseinheiten gebildet, um Aufrechnungen zu ermöglichen, liegt darin ein besonderer Umstand, der eine Erkundigungs- und Informationspflicht über alle bekannten Tatsachen im
1185 BGH v. 20.12.1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 ff. = MDR 1989, 446 = EWiR 1989, 283 (Pape) = ZIP 1989, 171. 1186 BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 ff. = MDR 1996, 161 = EWiR 1995, 691 (Uhlenbruck) = ZIP 1995, 926; BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99; BGHZ 150, 353 ff. = MDR 2002, 1270 = EWiR 2003, 125 (Tintelnot) = ZIP 2002, 1093. 1187 BGH v. 3.12.1954 – V ZR 96/53, BGHZ 15, 333; Nerlich/Römermann/Kruth, § 96 Rz. 8; Kayser, WM 2008, 1525, 1528. 1188 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 96 Rz. 38; Nerlich/Römermann/Kruth, § 96 Rz. 15; MünchKomm/InsO/ Lohmann/Reichelt, § 96 Rz. 29; Ries/Rook in Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 96 Rz. 15. 1189 MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 96 Rz. 34.
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VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht | Rz. 531 § 10
Zusammenhang mit der beabsichtigten Aufrechnung auslöst“.1190 Verletzt die aufrechnende Körperschaft diese Pflicht, kann sie sich insbesondere im Rahmen von § 133 Abs. 1 S. 2 InsO nicht mehr auf die Unkenntnis der anfechtungsbegründenden Tatsachen berufen, sondern muss sich vielmehr das Wissen der weiteren Körperschaft zurechnen lassen.
d) Vermögenstrennung, § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO Nach § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Gläubiger, dessen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu erfüllen ist, etwas zur Insolvenzmasse schuldet. Die Vorschrift dient der Klarstellung und ist dem Umstand geschuldet, dass einerseits das infolge rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen des Schuldners erlangte Vermögen nach § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO Teil der Insolvenzmasse ist, andererseits aber eine Verpflichtung der Insolvenzmasse nicht begründet wird. Daher kann der Gläubiger auch nur auf das insolvenzfreie bzw. das aus der Beschlagnahme freigegebene Vermögen1191 des Schuldners zugreifen. Um den Gläubiger nicht völlig schutzlos zu stellen, befürwortet ein großer Teil der Literatur daher, zumindest bei Unkenntnis des Gläubigers von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine entsprechende Anwendung von § 406 BGB bzw. eine teleologische Reduktion des § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO und infolgedessen eine Aufrechnungsmöglichkeit des Insolvenzgläubigers anzunehmen. „Kennt der Vertragspartner hingegen das Insolvenzverfahren, ist ihm nur zu raten, vorab auf einer Zug-um-Zug-Leistung zu bestehen“.1192
528
e) Ausnahme nach § 96 Abs. 2 InsO § 96 Abs. 2 InsO nimmt Verfügungen über Finanzsicherheiten sowie Verrechnungen aus bankrechtlichen Verträgen von den dargestellten Aufrechnungsbeschränkungen aus und verfolgt somit das Ziel, die Funktionsfähigkeit von Zahlungs- und Abrechnungssystemen von Gläubigerbanken im Interbankenverkehr aufrechtzuerhalten.1193 Der Terminus Verrechnung erfasst dabei sowohl gesetzliche als auch vertraglich herbeigeführte Aufrechnungslagen. Die Verrechnung hat allerdings spätestens bei Verfahrenseröffnung zu erfolgen.1194
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4. Aufrechnungserklärung Allein aus der Kumulation von Aufrechnungslage und Nichtvorhandensein eines Aufrechnungsverbotes folgt noch nicht das Erlöschen der aufzurechnenden Forderungen. Es bedarf vielmehr nach § 388 BGB einer Erklärung gegenüber dem anderen Teil, welche weder unter einer Bedingung noch unter einer Zeitbestimmung abgegeben werden darf. Als Verfügungsgeschäft setzt die Aufrechnungserklärung ferner die Verfügungsbefugnis sowohl des Erklärenden als auch des Empfängers voraus. Da diese gem. § 80 Abs. 1 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergegangen ist, kann die Aufrechnungserklärung folglich nur noch gegenüber diesem abgegeben werden.
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5. Wirkungen der Aufrechnung Die Aufrechnungserklärung hat nach § 389 BGB zur Folge, dass Haupt- und Gegenforderung, soweit sie sich decken, rückwirkend zum Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage erlöschen. Bis zur Erklärung der Aufrechnung stehen sich beide Forderungen jedoch selbstständig gegenüber. Erbringt in diesem Zeitraum ein Insolvenzgläubiger im Unwissen über die bestehende Aufrechnungslage die ihm 1190 BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 155/08, BGHZ 190, 202 = MDR 2011, 1204 = EWiR 2011, 577 (Eckardt) = ZIP 2011, 1523. 1191 BFH v. 1.9.2010 – VII R 35/08, BFHE 230, 490 = AO-StB 2011, 13 = EStB 2011, 7 = EWiR 2011, 53 (Kahlert) = UR 2011, 234 = ZIP 2010, 2359. 1192 Kayser in HK/InsO, § 96 Rz. 61. 1193 Sinz in Uhlenbruck, § 96 InsO Rz. 72; Nerlich/RömermannKruth, § 96 Rz. 27 ff. 1194 Kroth in Braun, InsO, § 96 Rz. 20.
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§ 10 Rz. 531 | Beratung des gesicherten Gläubigers aufgrund der Hauptforderung obliegende Leistung, kann er diese nicht unter bereicherungsrechtlichen Gesichtspunkten zurückfordern, da die Forderung des Schuldners den Rechtsgrund dieser Leistung i.S.v. § 812 BGB darstellt. Da es sich bei der Aufrechnung um ein Gestaltungsrecht und nicht um eine Einrede handelt, scheidet auch eine Rückforderung unter Berücksichtigung von § 813 BGB aus. 532
Vertraglich vereinbarte oder infolge Verzuges geleistete Zinsen können hingegen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückgefordert werden.1195 Angesichts der Rückwirkung der Aufrechnungserklärung auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage gelten auch die Forderungen zu diesem Zeitpunkt als erloschen und können folglich keine Zinsforderungen mehr begründen. Darüber hinaus werden Rücktritt und Kündigung wegen Nichterfüllung unwirksam, wenn eine Aufrechnungslage bestand und die Aufrechnung unverzüglich nachgeholt wird.1196
533
Nicht durch die Aufrechnung beeinträchtigt wird dagegen die Teilnahme des Gläubigers am Insolvenzverfahren (vgl. § 9 Rz. 378 ff.). Er kann unbeschadet der erklärten Aufrechnung seine Forderung zur Tabelle anmelden. Dies hat den Vorteil, dass dem Insolvenzgläubiger, etwa für den Fall des Bestreitens der Aufrechnungsbefugnis, zumindest noch die Aussicht auf die Quote verbleibt. Übersteigt die Forderung des Insolvenzgläubigers die Forderung der Masse, mit der Folge, dass die Insolvenzforderung nur teilweise getilgt wird, sollte dem Insolvenzgläubiger geraten werden, zunächst seine volle Forderung zur Tabelle anzumelden, hierauf die Quote zu erhalten und erst anschließend die Aufrechnung zu erklären. Da eine der Vorschrift des § 52 InsO vergleichbare Regelung, die den zur Tabelle angemeldeten Anspruch auf den Ausfall beschränken würde, für die Aufrechnung nicht existiert, erhielte der Gläubiger in diesem Fall zunächst die Quote auf seine gesamte Forderung und könnte dann mit dem verbleibenden Teil die Aufrechnung erklären. Da dies zu einer höheren Befriedigung führt, als wenn der Gläubiger zunächst aufgerechnet und anschließend die verbleibende Forderung zur Tabelle angemeldet hätte, sollte der Insolvenzverwalter in diesem Falle die Initiative ergreifen und die Aufrechnung erklären und so die Quote des Insolvenzgläubigers auf den überschießenden Teil seiner Forderung beschränken.1197
6. Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz 534
Von der Aufrechnung zu unterscheiden ist das Zurückbehaltungsrecht des Schuldners nach § 273 Abs. 1 BGB. Zwar ist auch hier erforderlich, dass sich zwei Forderungen gegenüberstehen. Anders als bei der Aufrechnung müssen diese aber nicht zwingend gleichartig sein. Vielmehr reicht es bereits aus, dass die Forderungen auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen. Dies setzt „ein innerlich zusammengehöriges einheitliches Lebensverhältnis voraus, welches es als wider Treu und Glauben verstoßend erscheinen ließe, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen geltend gemacht und verwirklicht werden könnte“.1198
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Sind die Forderungen darüber hinaus auch gleichartig, ist sowohl die Möglichkeit der Aufrechnung als auch diejenige der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes gegeben. Da Letztere allerdings nur die Durchsetzbarkeit der Forderungen hemmt, während die Aufrechnung zu deren gegenseitigen Erlöschen führt, besteht für die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes in der Regel kein rechtlich schützenswertes Interesse. Daher ist bei gleichartigen und konnexen Forderungen in der Aus-
1195 1196 1197 1198
FK-InsO/Bernsau, § 94 Rz. 32. MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 74. MünchKomm/InsO/Lohmann/Reichelt, § 94 Rz. 75. BGH v. 17.3.1975 – VIII ZR 245/73, BGHZ 64, 122; BGH v. 27.9.1984 – IX ZR 53/83, BGHZ 92, 194 = FamRZ 1985, 48 = FamRZ 1985, 153 = MDR 1985, 137; BGH v. 3.7.1991 – VIII ZR 190/90, BGHZ 115, 99 = MDR 1991, 841; Grüneberg in Palandt, § 273 Rz. 9; BeckOK Hau/Poseck/Lorenz, BGB, § 273 Rz. 18.
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VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht | Rz. 537 § 10
übung des Zurückbehaltungsrechts zumeist die Erklärung einer Aufrechnung zu sehen.1199 Abgesehen davon, dass bestimmte Zurückbehaltungsrechte nach § 51 Nr. 2 und 3 InsO zu einem Absonderungsrecht führen können, verliert ein allein auf § 273 Abs. 1 BGB gestütztes Zurückbehaltungsrecht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber ohnehin seine Wirkung.1200 Dies gilt zumindest insoweit, als ein Insolvenzgläubiger versucht eine gegen den Schuldner gerichtete Forderung durchzusetzen.1201 Die mit der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes bezweckte Durchsetzung einer rein persönlichen Gegenforderung steht nämlich im Widerspruch zum Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger.1202 Will der Insolvenzverwalter einen massezugehörigen Gegenstand zur Insolvenzmasse ziehen, müsste er zuvor den von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machenden Schuldner in voller Höhe vor den übrigen Gläubigern befriedigen. Dies würde zu einer nicht gerechtfertigten und auch nicht vorgesehenen Privilegierung des Zurückbehaltungsrechtes im Insolvenzverfahren führen. Insolvenzgläubiger sind daher, sofern nicht zugleich die Möglichkeit der Aufrechnung besteht, verpflichtet, ihre Leistung voll zur Masse zu erbringen, obgleich sie im Gegenzug allenfalls eine quotale Befriedigung ihrer eigenen Forderung erwarten dürfen.
536
Massegläubiger hingegen können das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB grundsätzlich uneingeschränkt geltend machen.1203 Da etwaige Masseverbindlichkeiten ohnehin nach § 53 Alt. 2 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen sind, kann deren Begleichung in der Regel keinen Einfluss auf die gleichmäßige Befriedigung der übrigen Gläubiger haben. Dementsprechend können beispielsweise Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird,1204 oder aus ungerechtfertigter Bereicherung der Masse1205 ein insolvenzfestes Zurückbehaltungsrecht des Massegläubigers begründen. Reicht die Insolvenzmasse allerdings nicht zur Befriedigung sämtlicher Massegläubiger (derselben oder einer höheren Rangklasse) aus, ist dagegen auch diesen die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes nach § 273 Abs. 1 BGB versagt.1206 Andernfalls nämlich stellte sich eine ungerechtfertigte Bevorzugung zurückbehaltungsberechtigter Massegläubiger mit der Folge ein, dass die nach § 209 Abs. 1 InsO vorgesehene Rangordnung der Befriedigung nicht mehr zwingend gewährleistet werden könnte. Denn gleich der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch Insolvenzgläubiger, führte diese dazu, dass Forderungen zu-
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1199 BGH v. 13.4.1983 – VIII ZR 320/80, MDR 1983, 1018; BGH v. 18.10.1985 – V ZR 82/84, NJW-RR 1986, 543; Krüger in MünchKomm/BGB, Bd. 2, § 273 Rz. 75; Staudinger/Gursky, 2011, § 388 Rz. 13. 1200 BGH v. 20.1.1965 – V ZR 214/62, BB 1965, 436; BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 252/93, MDR 1995, 1134 = EWiR 1995, 465 (Uhlenbruck) = ZIP 1995, 225; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, BGHZ 150, 138 = ZIP 2002, 858; Staudinger/Gursky, 2008, § 894 Rz. 136; Grüneberg in Palandt, § 273 Rz. 20; FKInsO/Imberger, § 51 Rz. 83. 1201 „Praktische Relevanz hat dies bei der Durchsetzung des Herausgabeverlangens des Insolvenzverwalters in Bezug auf Handakten des Rechtsanwalts bzw. Unterlagen des Steuerberaters des Insolvenzschuldners“, FK-InsO/Imberger, § 51 Rz. 83; vgl. Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 242a; Brinkmann in Uhlenbruck, § 51 InsO Rz. 51 m.w.N.; Büchler/Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 49; Henckel in Jaeger, InsO, § 51 Rz. 52. 1202 BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 252/93, MDR 1995, 1134 = EWiR 1995, 465 (Uhlenbruck) = ZIP 1995, 225; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, BGHZ 150, 138 = ZIP 2002, 858; BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 200/03, BGHZ 161, 241 = EWiR 2005, 565 (Naraschewski) = ZIP 2005, 126; Ganter in MünchKomm/ InsO, § 51 Rz. 242; Henckel in Jaeger, InsO, § 51 Rz. 52. 1203 Büchler/Scholz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 50; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 242c. 1204 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 = MDR 2002, 1270 = EWiR 2003, 125 (Tintelnot) = ZIP 2002, 1093; Henckel in Jaeger, InsO, § 51 Rz. 53; Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 242b. 1205 Bspw. der Anspruch des Anfechtungsgegners aus § 144 Abs. 2 S. 1 InsO, den dieser dem Rückgewähranspruch der Insolvenzmasse aus § 143 Abs. 1 S. 1 InsO entgegenhalten kann; Zeuner in Leonhardt/ Smid/Zeuner, InsO, § 143 Rz. 23, § 144 Rz. 6; BGH v. 29.4.1986 – IX ZR 145/85, MDR 1986, 1021 = EWiR 1986, 707 (Gerhardt) = ZIP 1986, 787. 1206 Ganter in MünchKomm/InsO, § 51 Rz. 242c.
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§ 10 Rz. 537 | Beratung des gesicherten Gläubigers rückbehaltungsberechtigter Massegläubiger voll befriedigt werden müssten, während übrige Massegläubiger allenfalls die Insolvenzquote erhielten. 538
Darüber hinaus kann sich ein Ausschluss des Zurückbehaltungsrechtes aus dem Gesetz, vertraglicher Vereinbarung sowie insbesondere auch aus einem gesetzlichen Aufrechnungsverbot ergeben. Wegen der unterschiedlichen Wirkungen von Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht ist insoweit aber auf den jeweiligen Zweck des Aufrechnungsverbotes abzustellen. Soll es die Wirkungen der Zurückbehaltung ausschließen oder kommt die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes einer Aufrechnung gleich, so erstreckt sich das Verbot der Aufrechnung auch auf die Einrede des Zurückbehaltungsrechtes.1207
1207 BGH v. 18.12.1954 – II ZR 206/53, BGHZ 16, 37; BGH v. 24.10.1962 – V ZR 1/61, BGHZ 38, 122; BGH v. 20.9.1978 – VIII ZR 2/78, WM 1978, 1326; BGH v. 16.6.1987 – X ZR 61/86, MDR 1988, 49 = EWiR 1987, 865 (Siegburg) = ZIP 1987, 1324; Grüneberg in Palandt, § 273 Rz. 14; BeckOK Hau/Poseck/Lorenz, BGB, § 273 Rz. 28.
942 | Hoffmann
§ 11 Beratung bei gegenseitigen Verträgen I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Problemstellung . . . . . . . 2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . a) Gegenseitiger Vertrag . . . . . . . . . . . aa) Begriff der Gegenseitigkeit . . . . bb) Von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht . . . . . . cc) Nicht von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht . b) Beiderseits nicht vollständige Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters . . . a) Erklärung des Insolvenzverwalters . b) Aufforderung zur Wahlrechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens 5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . a) Teilbare Leistungen . . . . . . . . . . . . . b) Vorleistung des Vertragspartners . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Praxistipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 7 10 10 15 15 15 16 17 20 28 35 40 47 54 64
68 68 71 71 75 80 80 87 91 91 95 95 98 99 107 111 114 114 115
3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO a) Miete und Pacht von Immobilien und Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dienstverträge . . . . . . . . . . . . . . . . c) Finanzierte Mobilienmiet- und Pachtverträge (Leasing) . . . . . . . . . d) Sale-and-lease-back-Verfahren . . . e) Darlehensverträge . . . . . . . . . . . . . 3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) . . 4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorzeitige Beendigung . . . . . . . bb) Abwicklungsverhältnis . . . . . . . c) Wohnraummiete des Schuldners . . d) Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . e) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erklärungsverlangen . . . . . . . . . . . 5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO . . . . . . . . . . .
127 136 141 142
144 144 148 152 172
174 174 181 181 187 189 192a 192d 193 203 203
214 214a 216a 217 222
226 227 228
Dahl | 943
§ 11 Rz. 1 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen
6.
7.
8. 9. VIII.
1. 2. 3. 4.
a) Verfügungsverbote . . . . . . . . . . . . . 228 b) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . 238 b) Sonderkündigungsrecht des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Kündigungssperre, § 112 InsO . . . . . . 250 a) Reichweite des Kündigungsverbots 250 aa) Miet- und Pachtverträge . . . . . . 251 bb) Ausgeschlossene Kündigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Analoge Anwendung . . . . . . . . . . . 266 Zwischenvermietung . . . . . . . . . . . . . . 268b Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . 269 Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, §§ 115, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 273 Tatbestandsvoraussetzungen, §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . 275 Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Notgeschäftsführung, §§ 115 Abs. 2, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
5. Unverschuldete Unkenntnis der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . IX. Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notgeschäftsführung und Insolvenzunkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . 2. Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche (Un-)Zulässigkeit von Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . b) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kündigungsrecht gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B . . . . . . bb) AGB-Banken . . . . . . . . . . . . . . cc) Notarielle Gestaltungspraxis . . dd) Gesetzliche Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verstoß gegen §§ 108, 109, 112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . .
288 289 292 292 294 299 302 308 308 309 310 323 323 326 327 328 329
I. Grundlagen 1. Allgemeines/Problemstellung 1
Sofern nicht bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren ein vorläufiger „starker“ Insolvenzverwalter gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 Abs. 1 InsO bestellt wurde, geht spätestens nach § 80 Abs. 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (vgl. auch § 9 Rz. 201). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bringt es dabei mit sich, dass auch der von Gläubiger und Schuldner ursprünglich verabredete Leistungsaustausch gefährdet wird und es zu einer Leistungsstörung kommen kann.1
2
Das so genannte Insolvenzvertragsrecht, das in den §§ 103 ff. InsO gesetzlich fixiert ist, enthält Regelungen, die es dem Insolvenzverwalter im Interesse der Insolvenzmasse ermöglichen, auf gegenseitigen Verträgen beruhende laufende Vertragsbeziehungen des Schuldners fortzuführen, oder aber – sofern möglich – die Erfüllung zu verweigern.2 Das in § 103 InsO enthaltene Wahlrecht modifiziert dabei die im Privatrecht geltende Maxime, dass Verträge eingehalten werden müssen (pacta sunt servanda), für den Insolvenzfall dahin gehend, dass dem Insolvenzverwalter ein dem Schuldner nicht zuste-
1 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 103, Rz. 8. 2 Ausführlich zum Ganzen: Marotzke, Gegenseitige Verträge im neuen Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2001.
944 | Dahl
I. Grundlagen | Rz. 8 § 11
hendes Gestaltungsrecht zuerkannt wird,3 von dessen Ausübung es in der Regel abhängt, ob der Vertrag durchgeführt wird oder nicht. Ist der gegenseitige Vertrag hingegen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Seiten vollständig erfüllt worden, berühren die §§ 103 ff. InsO das Vertragsverhältnis nicht: Das Schuldverhältnis ist durch Erfüllung erloschen und die erbrachten Leistungen verbleiben bei der jeweils anderen Vertragspartei (vgl. Rz. 20 ff.). Anderes kann freilich dann gelten, wenn mit der Vermögensverschiebung zugunsten des Vertragspartners des späteren Schuldners einer der in den §§ 129 ff. InsO geregelten Anfechtungstatbestände verwirklicht worden ist (zur insolvenzrechtlichen Anfechtung vgl. § 13).
3
Auch in den Fällen, in denen der gegenseitige Vertrag bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von wenigstens einer Vertragspartei vollständig erfüllt wurde, bleibt es bei den allgemeinen Regeln und die §§ 103 ff. InsO finden grundsätzlich keine Anwendung.4
4
Hat lediglich der spätere Schuldner seine Leistungspflichten bereits vor Verfahrenseröffnung vollständig erbracht, darf sie der Vertragspartner behalten, ist aber seinerseits gehalten, die Gegenleistung in die Masse zu erbringen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 82 Satz 1 InsO. Leistet der Gläubiger nach Verfahrenseröffnung zur Erfüllung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit an den Schuldner, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird er von seiner Leistungspflicht nur dann befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte.
5
Ist lediglich der Vertragspartner des späteren Schuldners seinen Leistungsverpflichtungen aus dem gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung vollständig nachgekommen, fällt die Leistung in die Masse. Den ihm zustehenden Anspruch auf die Gegenleistung kann der Vertragspartner aber nicht realisieren. § 105 Satz 2 InsO ordnet insofern unmissverständlich an, dass der andere Teil nicht berechtigt ist, wegen der Nichterfüllung seines Anspruchs auf die Gegenleistung die Rückgabe einer vor Verfahrenseröffnung in das Vermögen des Schuldners übergegangenen Leistung aus der Insolvenzmasse zu verlangen. Dem Vertragspartner des Schuldners bleibt daher keine andere Möglichkeit, als seinen Anspruch auf die Gegenleistung als Insolvenzforderung weiterzuverfolgen und zur Insolvenztabelle anzumelden.
6
2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO Gerade für die Praxis scheint es sinnvoll, zunächst eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche der einzelnen Regelungen innerhalb der §§ 103 ff. InsO vorzunehmen. Dabei gilt, dass die Regelung des § 103 InsO bei zur Zeit der Verfahrenseröffnung weder vom Schuldner noch vom anderen Teil erfüllten oder nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen als Grundsatznorm immer dann zur Anwendung kommt, wenn keine speziellere Vorschrift eingreift.
7
Solche Sondervorschriften sind in den §§ 104–128 InsO enthalten: § 104 InsO für Fixgeschäfte- und Finanzleistungen, § 105 InsO für teilbare Leistungen, § 106 InsO für Vormerkungsansprüche, § 107 InsO für den Kauf unter Eigentumsvorbehalt, §§ 108–112 InsO für Miete, Pacht und Darlehen in der Insolvenz des Darlehensgebers, § 115 InsO für Auftragsverhältnisse, § 116 InsO für Geschäftsbesorgungsverträge, § 117 für Vollmachten, § 118 InsO für die Auflösung von Gesellschaften sowie die §§ 113, 114, 120–128 InsO für die Dienst- und Arbeitsverträge. Überdies ist Art. 102b EGInsO bei der Insolvenz von Clearingmitgliedern zu beachten.
8
3 K. Schmidt/Kilger, Kommentar zur KO, 17. Aufl. 1997, § 17 Rz. 4a. 4 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 57; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 103 Rz. 19.
Dahl | 945
§ 11 Rz. 8a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 8a
Am 1.1.2021 trat das StaRUG5 in Kraft. Mit dem StaRUG soll eine Grundlage für die Durch- und Umsetzung von Sanierungen gegen den Widerstand von Minderheiten unter Vermeidung eines Insolvenzverfahrens geschaffen werden. Voraussetzung für die Anwendung der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist gemäß § 29 Abs. 1 StaRUG, dass sich der Schuldner im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO, also noch nicht im Stadium der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit befindet. Unter dieser Voraussetzung stellt § 29 Abs. 2 StaRUG folgende Instrumente zur Verfügung: die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung), die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung), die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung) und die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung). Die zuvor in § 31 Abs. 2 RegE StaRUG verortete Bestimmung sah zudem in §§ 31 Abs. 2 Nr. 3, 51 ff. RegE StaRUG die gerichtliche Beendigung von gegenseitigen, noch nicht beiderseitig vollständig erfüllten Verträgen (Vertragsbeendigung) vor.6 Einer gerichtlichen Vertragsbeendigung sollten nach § 51 Abs. 3 RegE StaRUG Verträge zugänglich sein, bei denen in einem Insolvenzverfahren nach § 103 Abs. 1 InsO eine Erfüllungsverweigerung möglich wäre oder die nach Maßgabe des § 109 InsO kündbar wären. Die §§ 31 Abs. 2 Nr. 3, 51 ff. RegE StaRUG wurden jedoch ersatzlos gestrichen. Vollständig übernommen hat der Gesetzgeber jedoch in Gestalt des § 3 Abs. 2 StaRUG die zuvor in RegE § 5 Abs. 2 StaRUG geregelte Bestimmung, nach der Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan nur insoweit zugänglich sind, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. Soweit der andere Teil seine Gegenleistung noch nicht erbracht hat, beschert ihm § 3 Abs. 2 StaRUG somit eine „Planimmunität“, wie sie ihm im Fall eines Insolvenzverfahrens nur dann zustände, wenn der Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltende (§ 270 Abs. 1 InsO) Schuldner die Erfüllung des Vertrages verlangt (§ 103 Abs. 1 InsO) und dadurch die eigentlich eine plangestaltbare (§ 217 Abs. 1 Satz 1 InsO) Insolvenzforderung (§ 38 InsO) darstellende Forderung des Vertragspartners in eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, Alt. 1 InsO) verwandelt hätte, die als solche, wie ein Gegenschluss aus § 217 InsO zeigt, nicht plangestaltbar wäre.7 Mit den noch im RegE StaRUG vorgesehenen Vorschriften über die gerichtliche Beendigung beiderseits noch nicht vollständig erfüllter gegenseitiger Verträge wären somit nach einzelfallbezogener gerichtlicher Prüfung tiefe Eingriffe in Teile des vertraglichen Leistungsprogramms möglich gewesen, die durch § 3 Abs. 2 StaRUG der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan entzogen werden.8 Ohne die Vorschrift des § 3 Abs. 2 StaRUG wäre die Rechtslage die gleiche wie im Insolvenzrecht: Ebenso wie die InsO auf gegenseitigen Verträgen beruhende Insolvenzforderungen nicht der Gestaltung durch einen Insolvenzplan entzieht, soweit die dem Gläubiger obliegende Gegenleistung noch nicht erbracht ist, wären auf gegenseitigen Vertragen beruhende Restrukturierungsforderungen der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan selbst dann zugänglich, wenn der Gläubiger mit der Erbringung der ihm obliegenden Gegenleistung noch nicht einmal begonnen hat.9 Aufgrund des § 3 Abs. 2 StaRUG und infolge der Streichung der §§ 31 Abs. 2 Nr. 3, 51 ff. RegE StaRUG erreicht das StaRUG gegenüber Ansprüchen aus beiderseits nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen somit nicht annähernd die Gestaltungskraft eines Insolvenzplans.10
5 6 7 8 9 10
BGBl. I 2020 S. 3256 (Nr. 66). Ausführlich hierzu Marotzke, ZInsO 2021, 21, 22, 33. Marotzke, ZInsO 2021, 353, 353 m.w.N. Marotzke, ZInsO 2021, 21, 35. Marotzke, ZInsO 2021, 21, 39. Marotzke, ZInsO 2021, 353, 353 m.w.N.
946 | Dahl
I. Grundlagen | Rz. 9 § 11
Außerdem ist dem § 4 Nr. 1 StaRUG eine insolvenzrechtsanaloge Einschränkung der Planresistenz nach dem Denkmuster des § 108 Abs. 3 InsO fremd.11 Danach kann der andere Teil Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (also auch Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen). Insoweit sind sie durch einen Insolvenzplan gestaltbar. Im Unterschied hierzu werden „Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung“ der Gestaltungswirkung eines Restrukturierungsplans durch § 4 Nr. 1 StaRUG (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 RegE StaRUG) ausnahmslos entzogen.12 Der Grundgedanke hinter dieser Regelung ist, dass, wenn ein Unternehmen schon nicht mehr in der Lage ist, die gegenüber den Arbeitnehmern bestehenden Forderungen zu begleichen, in aller Regel eine derart vertiefte Krise vorliegt, die sich mit den teilkollektiven Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht angemessen bewältigen lässt.13 Die Stabilisierungsanordnung hat folgende vertragsrechtliche Wirkungen: Ein Gläubiger kann nicht allein wegen der rückständigen Leistung eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung verweigern oder Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte geltend machen. Unberührt bleibt aber das Recht des Gläubigers, die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt (§ 55 Abs. 1 StaRUG). Eine Ausnahme gilt, falls das Unternehmen auf die Leistungen des Gläubigers für die Fortführung des Unternehmens nicht angewiesen ist (§ 55 Abs. 2 StaRUG). Unberührt bleibt hingegen das Recht eines vorleistungspflichtigen Gläubigers eine Sicherheitsleistung zu verlangen oder nur Zug um Zug zu leisten sowie das Kündigungsrecht des Darlehensgebers nach § 490 BGB, der das Darlehen noch nicht ausgezahlt hat (§ 55 Abs. 3 StaRUG). Die Gläubiger sollen auch nach Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme weiterhin die Möglichkeit haben, sich vor einer weiteren Vergrößerung ihres wirtschaftlichen Risikos zu schützen.14 § 56 Abs. 2 StaRUG ordnet an, dass von der Stabilisierungsanordnung und ihren Wirkungen Geschäfte, die den Gegenstand einer Vereinbarung über das Liquidationsnetting im Sinne von § 104 Abs. 3 und 4 InsO bilden können, sowie Vereinbarungen über das Liquidationsnetting unberührt bleiben. Die aus dem Liquidationsnetting resultierende Forderung kann einer Vollstreckungssperre und, im Rahmen des nach § 56 Abs. 1 StaRUG Zulässigen, auch einer Verwertungssperre unterworfen werden. Durch einen Restrukturierungsplan können auch nur solche Rechtspositionen gestaltet werden, die im Fall eines Insolvenzverfahrens als plangestaltbare Insolvenzforderungen (§§ 38 f., 217 Abs. 1 Satz 1 InsO), als plangestaltbare Absonderungsrechte (§§ 49 ff., 217 Abs. 1 Satz 1, 217 Abs. 2 InsO) oder als plangestaltbare Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (§ 217 Abs. 1 Satz 2 InsO) zu qualifizieren wären, woraus im Gegenschluss folgt, dass Forderungen, die in einem Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO), als Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) oder als Ersatzaussonderungsrechte (§ 48 InsO) gelten würden oder die in einem Insolvenzverfahren aufgrund einer Vormerkung oder einer bedingten Rechtsübertragung durch § 106 bzw. § 107 Abs. 1 InsO geschützt wären, der Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan entzogen sind.15 Im vorliegenden Kapitel werden die Vorschriften der §§ 103–112 InsO, §§ 115–117 InsO und § 119 InsO sowie Art. 102b EGInsO näher erläutert, während die in den § 113 InsO und §§ 120–128 InsO enthaltenen arbeitsrechtlichen Regelungen in § 15 (Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz) behandelt werden.
11 12 13 14 15
Marotzke, ZInsO 2021, 21, 31. Marotzke, ZInsO 2021, 21, 31. BR-Drs. 619/20, 128; Gehrlein, BB 2021, 66, 68. Gehrlein, BB 2021, 66, 74; Marotzke, ZInsO 2021, 21, 25. Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1099 m.w.N.
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§ 11 Rz. 10 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 10
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verlieren Ansprüche und Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Durchsetzbarkeit16 (vgl. hierzu Rz. 52, 54). Der Vertrag als solcher bleibt in seinem Bestand unberührt,17 kann im eröffneten Verfahren aber nur insolvenzmäßig abgewickelt werden.18 Nach § 103 InsO kann der Insolvenzverwalter entweder die Durchsetzbarkeit durch die Wahl der Erfüllung des Vertrags wiederaufleben oder mit der Wahl der Nichterfüllung endgültig scheitern lassen.
11
§ 103 InsO dient dazu, einen Ausgleich der Interessen der Vertragspartner bei beiderseits nicht erfüllten Verträgen herbeizuführen und dabei einen doppelten Zweck zu erreichen.19 Während einerseits dem Vertragspartner der Schutz des funktionalen Synallagmas auch in der Insolvenz erhalten bleibt und er nur zur Leistung verpflichtet sein soll, wenn der Insolvenzverwalter ihm im Gegenzug eine vollwertige Gegenleistung anbieten kann, soll andererseits dem Verwalter die Möglichkeit eingeräumt werden, im Interesse der Insolvenzmasse beiderseits nicht erfüllte Verträge zu erfüllen und den entsprechenden Gegenwert für die Masse zu realisieren.
12
Nach überkommener Rechtsprechung des BGH20 erloschen mit Insolvenzeröffnung die gegenseitigen Erfüllungsansprüche und konnten nur durch die Erklärung des Insolvenzverwalters, er wähle gemäß § 103 InsO die Erfüllung, wieder entstehen (Erlöschenstheorie, vgl. hierzu Rz. 28, 61).
13
Nach neuerer Rechtsprechung des BGH21 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind (Suspensivtheorie).
16 Ausführlich zu den dogmatischen Grundlagen: MünchKomm/InsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 1 ff. 17 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, EWIR 2003, 819 m. Anm. Gundlach/Schmidt = MDR 2003, 1136 = ZIP 2003, 1208 = NZI 2003, 491; BGH v. 23.11.2006 – II R 38/05, EWIR 2007, 695 m. Anm. Dahl = ZIP 2007, 976; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 18, 20. 18 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, ZIP 2003, 1208 = ZIP 2003, 1208 = EWIR 2003, 819 m. Anm. Gundlach/Schmidt = MDR 2003, 1136 = NZI 2003, 491; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103, Rz. 13; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 157. 19 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 3 m.w.N.; dazu ausführlich Stamm, KTS 2011, 421 ff. 20 BGH v. 11.2.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250, 252 = EWIR 1988, 285 = MDR 1988, 491 = NJW 1988, 1790; BGH v. 20.12.1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236, 242 = EWIR 1989, 283 = MDR 1989, 446 = ZIP 1988, 322 = NJW 1989, 1282; BGH v. 21.11.1991 – IX ZR 290/90, BGHZ 116, 156, 158 = EWIR 1992, 71 = MDR 1992, 150 = NJW 1992, 507; BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336, 338 = EWIR 1995, 691 = MDR 1996, 161 = ZIP 1995, 926 = NJW 1995, 1966; BGH v. 27.2.1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25,26 = EWIR 1997, 517 = MDR 1997, 671 = ZIP 1997, 688 dazu Kreft = ZIP 1997, 865; BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, EWIR 2003, 819 m. Anm. Gundlach/Schmidt = MDR 2003, 1136 = NJW 2003, 2744. 21 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; seither ständige Rspr., BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, MDR 2006, 711 = ZIP 2006, 87 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74, ZInsO 2006, 35; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Huber, NZI 2004, 57; Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. Jüngst BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, MDR 2013, 1134 = ZIP 2013, 526 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot = NZI 2013, 296; s. dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631.
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II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 16 § 11
Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der Masse einerseits und gegen die Masse andererseits. Hierbei sind die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen nach Auffassung des BGH22 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Der BGH schlägt daher für einen Werkvertrag vor, die vor und nach Eröffnung des Verfahrens erfolgten Leistungen der Schuldnerin gesondert abzurechnen, wobei dieselben Maßstäbe anzuwenden sind, wie wenn der Bauvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus wichtigem Grund gekündigt worden wäre.23
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2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Gegenseitiger Vertrag aa) Begriff der Gegenseitigkeit Der in § 103 Abs. 1 InsO enthaltene Begriff „gegenseitiger Vertrag“24 wird in demselben Sinne wie bei §§ 320 ff. BGB verwendet. Gemeint ist damit ein Vertrag, bei dem die Verpflichtungen der Vertragsparteien synallagmatisch verknüpft sind, also im gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen und die eine somit um der anderen willen erbracht wird (Austauschvertrag: „do, ut des“).25 Eine darüber hinausgehende objektive Gleichwertigkeit der sich gegenüberstehenden Leistungen ist nicht erforderlich,26 da insofern in den Grenzen des § 138 BGB allein der Parteiwille maßgeblich ist.27
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bb) Von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht Als unter § 103 InsO fallend können beispielhaft folgende Vertragstypen aufgezählt werden:28 – Bauverträge als Werkverträge i.S.d. § 631 BGB sowie als Werklieferungsverträge nach § 650 BGB, auf die Kaufvertragsrecht Anwendung findet;29 – auf Bauträgerverträge ist § 103 InsO dann anwendbar, wenn der Bauträger auf seinem Grundstück für eigene Rechnung baut; – Darlehensverträge (§§ 488 ff. BGB), soweit es sich um verzinsliche Darlehen handelt und die Darlehensauszahlung bei Verfahrenseröffnung noch nicht oder jedenfalls nicht vollständig erfolgt ist; – Energielieferungsverträge;
22 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = ZIP 2002, 1093 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. 23 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = ZIP 2002, 1093 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; Meyer, NZI 2014, 679. 24 Vgl. hierzu auch Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 5 ff. 25 RG v. 5.4.1935 – II 327/34, RGZ 147, 340, 342; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 25. 26 RG v. 17.2.1913 – IV 556/12, RGZ 81, 364, 365; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 25. 27 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 55; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 25. 28 Vgl. dazu auch MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 67 ff.; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 7. 29 Zu den besonderen Problemen bei Bauverträgen in der Insolvenz vgl. Kreft in FS Uhlenbruck, 2000, S. 387 ff.; Heidland in FS Uhlenbruck, 2000, S. 423 ff.; C. Schmitz, ZIP 2001, 765 ff.
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§ 11 Rz. 16 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen – beim Factoring gilt § 103 InsO in der Insolvenz des Factors sowie bei Insolvenz des Anschlusskunden nur für bereits vereinbarte Foderungsankäufe, soweit die Forderungen nicht bereits abgetreten und vom Factor bezahlt sind;30 – Frachtverträge in der Insolvenz des Frachtführers. Bei Insolvenz des Geschäftsherrn findet wegen des Geschäftsbesorgungscharakters § 116 InsO Anwendung; – Kaufverträge (§ 433 BGB) einschließlich des Handelskaufs (§§ 373 ff. HGB) und der Tauschverträge (§ 480 BGB); – bei Kommissionsverträgen (§§ 383 ff. HGB) gilt § 103 InsO in der Insolvenz des Kommissionärs; bei Insolvenz des Kommittenten findet grundsätzlich § 116 InsO Anwendung; – Leasingverträge über bewegliche Sachen, soweit nicht in der Insolvenz des Leasinggebers § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO vorrangig ist. Für das Immobilarleasing gilt § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO; – Lizenzverträge, insbesondere für Patente, Filme oder Software;31 – Maklervertrag bei Verpflichtung des Maklers, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen und dafür einzustehen; sonst gilt § 116 InsO; – Miet- und Pachtverträge über bewegliche Sachen und Rechte. Für unbewegliche Sachen oder Räume gelten die in den §§ 108 ff. InsO enthaltenen Sondervorschriften; – Reiseverträge; – Sicherungsverträge, in denen sich der Darlehensnehmer zur Bestellung von Sicherheiten für den gewährten Kredit verpflichtet; – Smart Contracts,32 d.h. in der analogen Welt geschlossene Verträge, die in einem Programmcode (Smart Contract) umgesetzt sind sowie Verträge, bei denen die Parteien den Programmcode bereits für das Zustandekommen des Vertrages nutzen;33 – Speditionsverträge (§§ 453 ff. HGB) in der Insolvenz des Spediteurs; in der Insolvenz des Versenders gilt demgegenüber § 116 InsO; – Vergleiche grundsätzlich dann, wenn die von den Parteien übernommenen Verpflichtungen gegenseitig voneinander abhängen;34
30 Sinz in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 100 ff. 31 BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, MDR 2016, 221 = ZIP 2016, 40 = IPRB 2016, 29; LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, EWIR 2004, 767 m. Anm. Beyerlein = CR 2004, 811 m. Anm. Grützmacher = ITRB 2005, 131 = ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; vgl. dazu auch Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79; McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int 2006, 682; Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677; Berger, NZI 2006, 380; Huber/Riewe, ZInsO 2006, 290; Hombrecher, WRP 2006, 219; Bausch, NZI 2005, 289; Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 743; 830; Abel, NZI 2003, 121 ff.; Wallner, ZIP 2004, 2073; Wallner, NZI 2002, 70 ff.; Brandt, NZI 2001, 337; Paulus, ZIP 1996, 2 ff.; v. Frentz/Marrder, ZUM 2003, 94 ff.; Stickelbrock, WM 2004, 549, 555 ff.; allgemein zu Immaterialgüterrechten in der Insolvenz Hoffmann, ZInsO 2003, 732 ff.; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021; § 103 Rz. 7; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 76. 32 Kupka, ZIP 2021, 837 ff. 33 Ausführlich hierzu Kupka, ZIP 2021, 837 ff. 34 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191 = EWIR 1992, 255 = MDR 1992, 252 = NJW 1992, 967, 970; die Gerichtskosten eines Vergleichs sind grundsätzlich Insolvenzforderung, OLG Köln v. 10.9.2004 – 17 W 150/04, ZIP 2004, 2247 = ZInsO 2004, 1317 = NZI 2004, 665; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 82; Nerlich/Römermann/Balthasar, Insolvenzordnung, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 16.
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II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 18 § 11
– Versicherungsverträge, die vom Schuldner als Versicherungsnehmer abgeschlossen wurden (siehe auch Rz. 19) Der BGH35 hat jedoch entschieden, dass bei privaten Krankenversicherungsverträgen § 103 InsO nicht anwendbar sei. Es handele sich bei diesen Ansprüchen um unpfändbare Ansprüche i.S.d. § 850b ZPO. Unpfändbare Ansprüche gehörten gemäß § 36 InsO nicht zur Insolvenzmasse. § 850b ZPO sei zwar in den nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO anzuwenden Vorschriften nicht aufgeführt, Sinn und Zweck des § 850b ZPO gebiete es aber, die Vorschrift im Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden; – die entgeltliche Verwahrung (§§ 688, 689 BGB) sowie das Lagergeschäft (§§ 467 ff. HGB); – Werk- und Werklieferungsverträge nach §§ 631, 650 BGB, soweit ihnen kein Geschäftsbesorgungscharakter zukommt, der die Anwendbarkeit des § 116 InsO begründen würde; – schließlich findet § 103 InsO zumindest analog Anwendung auf so genannte Rückabwicklungsschuldverhältnisse, beispielsweise bei Ausübung des vertraglichen oder gesetzlichen Rücktrittrechts;36 – vertragliche Wettbewerbsabreden, wenn das Dienst-/Arbeitsverhältnis erst vom Insolvenzverwalter gekündigt wird.37 cc) Nicht von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht Nicht in den Anwendungsbereich der Grund- und Auffangnorm des § 103 InsO fallen zunächst die Schuldverhältnisse, deren Regelung eigens dafür geschaffenen Sondervorschriften vorbehalten ist, z.B.:
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– Fixgeschäfte- und Finanzleistungen, § 104 InsO, Art. 102b EGInsO; – Verträge über teilbare Leistungen, § 105 InsO; – Vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO; – Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO; – Miet- und Pacht sowie ähnliche Schuldverhältnisse, §§ 108–112 InsO; – Dienstverhältnisse, §§ 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 113, 114, 120–128 InsO; – Auftrag und Geschäftsbesorgungsverträge, §§ 115, 116 InsO; – Vollmachten, § 117 InsO; – Auflösung von Gesellschaften, § 118 InsO; – Darlehensverträge in der Insolvenz des Darlehensgebers, § 108 Abs. 2 InsO. § 119 InsO bestimmt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103–118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam sind.
35 BGH v. 19.2.2014 – IV ZR 163/13, FamRZ 2014, 752 = EWIR 2014, 355 m. Anm. Wittmann = VersR 2014, 452 = MDR 2014, 470 = ZIP 2014, 688 = NZI 2014, 369. 36 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 103 Rz. 33; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 15; s. dazu auch Häsemeyer, KTS 2002, 603 ff.; jedoch offen gelassen von BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 66/07, EWIR 2009, 417 m. Anm. Dahl = MDR 2009, 527 = NotBZ 2009, 175 m. Anm. Heckschen = ZIP 2009, 428 = NZI 2009, 235. 37 BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 61/06, GmbHR 2009, 1332 = MDR 2010, 109 = ZIP 2009, 2204 = GmbHStB 2009, 327 = NZI 2009, 984; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 84 m.w.N.
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§ 11 Rz. 19 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 19
Unabhängig davon findet § 103 InsO keine Anwendung bei: – schon vor Insolvenzeröffnung beiderseits oder einseitig voll erfüllten gegenseitigen Verträgen;38 – lediglich einseitig verpflichtenden Verträgen wie Schenkung (§ 516 BGB), Schenkungsversprechen (§ 518 BGB), Auslobung (§ 657 BGB); Bürgschaftsvertrag (§ 765 BGB), sofern nicht der Bürgschaftsgläubiger ausnahmsweise eine Gegenleistung übernimmt; – unvollkommen zweiseitigen Verträgen, bei denen nur eine Partei die vertragstypische Leistung erbringen muss, wie unverzinsliche Darlehen (§ 607 BGB), Leihe (§ 598 BGB) und unentgeltliche Verwahrung (§ 688 BGB) mit Ausnahme des Auftrags, für den § 115 InsO gilt; – unvollkommenen Verbindlichkeiten, die keine erzwingbaren Verbindlichkeiten begründen, wie Spiel/Wette (§ 763 BGB) und Heiratsvermittlung (§ 656 BGB); – einem Grundstückserwerb in der Zwangsversteigerung; – Erbbaurechtsverträge;39 – der Übernahme der Aktien durch die Gründer einer Aktiengesellschaft (§§ 23 ff. AktG) oder der Zeichnung neuer Aktien bzw. dem Verlangen neuer Aktien bei Kapitalerhöhung gegen Einlage (§§ 182 ff. AktG); – Tarifverträgen; – Vereinsmitgliedschaften im Hinblick auf die Beitragspflichten des Mitglieds; – Gesellschaftsverträgen, weil nach vorherrschender Ansicht die Leistungspflichten der Gesellschafter nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander stehen;40 – Versicherungsverhältnissen in der Insolvenz des Versicherers41: Lebens-, Unfall-, private Pflegeund Krankenversicherungen erlöschen gemäß § 16 Abs. 2 VVG i.V.m. §§ 77b VAG mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens; gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherungen sowie die Pflichtversicherungen i.S.v. § 113 Abs. 1 PflVG erlöschen mit Ablauf eines Monats, nachdem der Versicherer die Verfahrenseröffnung der zuständigen Stelle angezeigt hat, § 117 Abs. 6 VVG; in allen anderen Fällen endet das Vertragsverhältnis mit dem Ablauf eines Monats seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 16 Abs. 1 VVG).42 §§ 16 Abs. 2 VVG, 77b VAG gehen insoweit den §§ 103 ff. InsO vor. In der Insolvenz des Versicherungsnehmers bleibt § 103 InsO jedoch anwendbar. § 16 VVG behandelt anders als noch § 14 VVG a.F. ausschließlich die Insolvenz des Versicherers. Für ein Sonderkündigungsrecht des Versicherers in der der Insolvenz des Versicherungsnehmers besteht schon kein Bedürfnis.43 – Verlagsverträgen in der Insolvenz des Verfassers, es sei denn das Urheberrecht fällt in die Insolvenzmasse, wofür gemäß § 113 UrhG die Einwilligung des insolventen Verfassers, bei bloßer Miturheberschaft überdies die Einwilligung aller übriger Urheber notwendig ist; in der Insolvenz des
38 S. dazu bereits oben Rz. 3 ff. und unten Rz. 20 ff. 39 BGH v. 20.10.2005 – XI ZR 145/04, ZIP 2005, 2267 = NZI 2006, 97; hierzu Tintelnot, EWiR 2006, 313. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 32. 40 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 22 m.w.N.; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 114 ff. m.w.N. 41 MünchKommVVG/Fausten, 2. Aufl. 2016, § 16 Rz. 1 ff.; Römer/Langheid/Rixecker, Versicherungsgesetz, 6. Aufl. 2019, § 16, Rz. 1 ff. 42 Zum Sonderkündigungsrecht des Versicherungsnehmers bei drohender Insolvenz des Versicherers MünchKommVVG/Fausten, 2. Aufl. 2016, § 16 Rz. 33 ff. 43 MünchKommVVG/Fausten, 2. Aufl. 2016, § 16 Rz. 10 f.; Römer/Langheid/Rixecker, Versicherungsgesetz, 6. Aufl. 2019, § 16 Rz. 4.
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II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 22 § 11
Verlegers kann der Verfasser nach § 36 Abs. 3 VerlG vom Vertrag zurücktreten, wenn mit der Vervielfältigung des Werks noch nicht begonnen wurde, ansonsten gilt § 103 InsO; – Schiedsabreden, die der Schuldner getroffen hat.44 Grundsätzlich ist der Insolvenzverwalter an vorinsolvenzliche Schiedsabreden gebunden. Nach einer Entscheidung des BGH45 besteht aber keine Bindungswirkung an eine vom Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen Schiedsabrede, sofern sie das Wahlrecht des § 103 InsO an sich erfasst und der Insolvenzverwalter die Erfüllung ablehnt. Dies stellt eine konsequente Ausweitung der bisher ergangenen BGHRechtsprechung dar. Bereits im Jahr 1956 hat der BGH eine Bindungswirkung von Schiedsabreden ausgeschlossen, wenn diese Ansprüche die Insolvenzanfechtung betreffen.46 Schließlich ergebe sich der Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung nicht aus dem anfechtbar geschlossenen Vertrag, sondern aus einem selbstständigen, der Verfügungsgewalt des Schuldners entzogenen Recht des Insolvenzverwalters. Auch bei dem Wahlrecht aus § 103 InsO handelt es sich um ein insolvenzspezifisches Recht, das erst mit Insolvenzeröffnung entsteht und über das nur der Insolvenzverwalter verfügen kann. Folgerichtig ist es daher grundsätzlich von einer vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Schiedsabrede nicht erfasst. Wählt der Insolvenzverwalter hingegen die Vertragserfüllung, ist er auch an die ursprüngliche Schiedsabrede gebunden. Sobald der Insolvenzverwalter die Erfüllung wählt, entscheidet er sich für den Vertrag als Ganzes inklusive aller Nebenabreden und einer vor Insolvenz geschlossenen Schiedsabrede.47
b) Beiderseits nicht vollständige Erfüllung Das Schuldverhältnis darf von keiner Seite bei Eröffnung des Verfahrens vollständig erfüllt sein, wobei für die Erfüllung maßgeblich ist, ob der vertraglich geschuldete Leistungserfolg eingetreten ist, weshalb die bloße Vornahme aller für die Herbeiführung des Erfolges erforderlichen Leistungshandlungen allein nicht ausreichend ist.48 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Vollständigkeit der Erfüllung ist derjenige der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
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Ob Erfüllung i.S.d. § 103 InsO danach eingetreten ist, ist allgemeiner Ansicht49 nach am Erfüllungsbegriff des § 362 Abs. 1 BGB zu messen, wobei die vom BGB anerkannten Erfüllungssurrogate wie insbesondere die Aufrechnung (§ 389 BGB), die Annahme an Erfüllung statt (§ 364 Abs. 1 BGB) und die schuldbefreiende Hinterlegung (§ 378) der Erfüllung ebenso gleichstehen wie der Erwerb im Wege der Zwangsvollstreckung und der Erlass (§ 397 BGB). Die Leistung erfüllungshalber, wie etwa bei Hingabe von Schecks oder Wechseln, schließt das Wahlrecht demgegenüber nicht aus. Die Erfüllung muss zudem vollständig sein, bei bloßen Teilleistungen bleibt § 103 InsO, ggf. i.V.m. § 105 InsO, anwendbar.
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Nach überkommener Rechtsprechung war der Anwendungsbereich des § 103 InsO schon beim Ausbleiben einer nicht völlig unbedeutenden Nebenleistung eröffnet.50 Nach neuer Rechtsprechung des
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44 BGH v. 20.11.2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88; s. dazu auch Kück, ZInsO 2006, 11; Schulte-Frohlinde/Wilts, ZInsO 2006, 196. 45 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, CR 2012, 298 = ZIP 2011, 1477 = EWIR 2011, 545 m. Anm. Prütting = MDR 2011, 1002 = NZI 2011, 634; BGH v. 27.7.2017 – I ZB 93/16, NZI 2018, 106 ff. 46 BGH v. 28.2.1957 – VII ZR 204/56, NJW 1957, 791. 47 Vgl. dazu Dahl/Thomas, GWR 2011, 368; Dahl/Thomas, NZI 2012, 534; Prütting, EWiR 2011, 545. 48 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 59; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 122 m.w.N. 49 OLG Naumburg v. 20.2.2002 – 5 U 153/01, ZInsO 2002, 677; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 122 f. m.w.N.; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: 86. EL Dezember 2020, § 103 Rz. 147; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 103 Rz. 20; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 27 ff. 50 BGH v. 17.3.1972 – V ZR 53/70, BGHZ 58, 246; BGH v. 15.12.2016 – IX ZR 117/16, MDR 2017, 240 = ZIP 2017, 89 = EWIR 2017, 49 m. Anm. Marotzke = WM 2017,55; so auch MünchKommInsO/Huber,
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§ 11 Rz. 22 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen BGH51 kann der Anwendungsbereich des § 103 InsO nur dann eröffnet sein, wenn auf beiden Seiten synallagmatische Hauptleistungspflichten noch nicht vollständig erfüllt sind. Haupt- und Nebenleistungspflichten, die mit den Vertragspflichten der anderen Vertragspartei nicht synallagmatisch verbunden sind, reichen nicht.52 23
Beim Versendungskauf nach § 447 BGB tritt Erfüllung nicht schon bei Versendung der Ware, sondern erst bei Eigentumserwerb des Käufers ein.53 Bei einem durchgeführten Werkvertrag hat der Unternehmer durch Herstellung des mangelfreien Werkes oder nach Beseitigung sämtlicher Mängel seine Verpflichtung erfüllt, wobei die Erfüllungswirkung in der Regel erst mit Abnahme eintritt,54 sofern Letztere nicht durch die Beschaffenheit des Werkes ausgeschlossen ist.55 Ein Lizenzvertrag ist im Falle eines Lizenzkaufs regelmäßig beiderseits vollständig erfüllt, wenn die gegenseitigen Hauptleistungen erbracht sind, also der Lizenzgeber die Lizenz erteilt und der Lizenznehmer den Kaufpreis gezahlt hat.56
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Bei einer Grundstücksveräußerung ist entscheidend, dass nach Auflassung auch die tatsächliche Eintragung des Erwerbers im Grundbuch erfolgt ist.57 Ist der Anspruch des Käufers auf Übertragung des Eigentums hingegen durch eine Vormerkung gesichert, gilt § 106 InsO. Auch dann, wenn die Vertragsparteien vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verkäufers die Auflassung erklärt und beide einen Eintragungsantrag gestellt haben, hat der Käufer ein unentziehbares Anwartschaftsrecht erlangt, so dass § 103 InsO nicht mehr anwendbar ist.58
25
Nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Verkäufer beim Kaufvertrag dem Käufer die Sache frei von Rechtsmängeln zu verschaffen. § 103 greift daher immer auch dann ein, wenn der Schuldner vorinsolvenzlich eine mangelhafte Sache ge- oder verkauft hat und der Kaufpreis im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig entrichtet ist.
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Für den Insolvenzverwalter bedeutet dies einen größeren Handlungsspielraum bei der Abwicklung von in den Anwendungsbereich des § 103 InsO fallender Verträge. Hat etwa der Schuldner eine mangelhafte Sache gekauft und wählt der Verwalter Erfüllung, kann er nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB die von ihm gewünschte Form der Nacherfüllung verlangen, muss dann aber den Restkaufpreis Zug um Zug gegen die Nacherfüllung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO aus der Masse entrichten und bei Verlangen der Nachlieferung nach §§ 439 Abs. 5, 346 ff. BGB die mangelhafte Sache zurückgeben.59 Wählt
51 52 53 54
55 56 57 58 59
4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 123; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 33. BGH v. 16.5.2019 – IX ZR 44/18, ECLI:DE:BGH:2019:160519UIXZR44.18.0, EWIR 2019, 433 m. Anm. Jacoby = MDR 2019, 890 = ZIP 2019, 1233, 1933 = IPRB 2019, 172; vgl. hierzu auch Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 10. Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 103 Rz. 18. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 27. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 63; a.A. OLG Düsseldorf v. 28.1.2005 – I-23 U 150/04, EWIR 2005, 523 m. Anm. Vogel = BauRB 2005, 163 = ZIP 2005, 668, 669, das trotz noch erforderlicher Nachbesserung aufgrund erfolgter Abnahme das Wahlrecht nach § 103 InsO ausschließt. MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 134. BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 = MDR 2016, 221 = IPRB 2016, 29 = GRUR 2016, 201 ff.; Zur Problematik bei Lizenzverträgen Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032, 1033 f. MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 132; vgl. auch BGH v. 7.2.2013, NZI 2013, 296, dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631. MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 132 m.w.N.; a.A. Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 103 Rz. 20. Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 13; Scherer, NZI 2002, 356, 361; s. auch Ringstmeier/Homann, ZIP 2002, 505, 507; Thomas B. Schmidt, ZInsO 2002, 103 ff.; ausführlich hierzu Wegener, Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters unter dem Einfluss des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Rz. 477.
954 | Dahl
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 32 § 11
der Verwalter hingegen Nichterfüllung, ist der Verkäufer mit seiner Forderung wegen Nichterfüllung gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO Insolvenzgläubiger und die in der Masse verbleibende mangelhafte Sache und der an ihn bereits bezahlte Kaufpreisteil sind Rechnungsposten bei der Berechnung seiner Schadensersatzforderung. Nur dann, wenn der vom Schuldner gezahlte Kaufpreis den dem Verkäufer durch die Erfüllungsverweigerung entstandenen Schaden übersteigt, kann der Verwalter – gegen Rückgabe der Kaufsache – den Kaufpreis zur Masse zurückverlangen.60 Wählt der Verwalter in der entgegengesetzten Konstellation der Verkäuferinsolvenz die Nichterfüllung, muss er zwar nicht nacherfüllen, kann aber auch den Restkaufpreis nicht zur Masse ziehen. Die mangelhafte Sache verbleibt beim Käufer und ihr Wert ist lediglich ein Rechnungsposten bei der Berechnung seines Schadensersatzes wegen Nichterfüllung.61 Wählt er hingegen Erfüllung, muss er ordnungsgemäß in der vom Käufer beanspruchten Alternative nacherfüllen und kann dafür den Restkaufpreis zur Masse ziehen und im Falle der Nachlieferung einer mangelfreien Sache die mangelhafte Sache gemäß §§ 439 Abs. 5, 346 ff. BGB wieder zur Masse zurückverlangen.62
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3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters Nach der Rechtsprechung des BGH63 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit (vgl. hierzu Rz. 52, 54), soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind.64
28
Dem Insolvenzverwalter kommt danach ein Wahlrecht nur insoweit zu, als er sich entweder dafür entscheiden kann, den Vertrag anstelle des Schuldners zu erfüllen und gleichzeitig die Erfüllung vom Vertragspartner zu verlangen oder ob er es bei der mit der Eröffnung des Verfahrens eintretenden Wirkung belassen will. Ob der Verwalter Erfüllung wählt oder nicht, liegt in seinem Ermessen. Er wird sich hierbei davon leiten lassen, ob die Erfüllungswahl im Interesse der Gesamtgläubigerschaft wirtschaftlich zu einer Massemehrung führen wird.65
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Auch bei bereits weitgehender Vertragserfüllung ist der Insolvenzverwalter in seiner Entscheidung über die Erfüllungswahl frei; die in §§ 38, 55 Abs. 1 InsO vorgegebene Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten unterliegt nicht der Korrektur durch § 242 BGB.66
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Das Wahlrecht steht ausschließlich dem Insolvenzverwalter selbst zu und kann nicht auf Dritte delegiert werden. Hierbei kann das Wahlrecht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 103 Abs. 1 Satz 1 InsO erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht etwa bereits durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren ausgeübt werden.67
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Erteilt der vorläufige Insolvenzverwalter auf Anfrage des Vertragspartners des Schuldners seine Zustimmung zur Fortsetzung des Schuldverhältnisses, so beinhaltet das gleichwohl kein rechtlich ver-
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60 61 62 63
64 65 66 67
Scherer, NZI 2002, 356, 361 m.w.N. Scherer, NZI 2002, 356, 358. Scherer, NZI 2002, 356, 358. BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, MDR 2013, 1134 = ZIP 2013, 526 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot = NZI 2013, 296 = NJW 2013, 1245; siehe dazu Dahl/D. Schmitz = NZI 2013, 631; BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = ZIP 2006, 87 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74 = NZI 2006, 229 = NJW 2006, 915. Bärenz, NZI 2006, 72. OLG Greifswald v. 28.4.2004 – 9 K 17/03, ZInsO 2004, 1152 f. OLG Dresden v. 24.1.2002 – 13 U 2215/01, EWIR 2002, 441 m. Anm. Tintelnot = ZIP 2002, 815. BGH v. 8.11.2007 – IX ZR 53/04, VersR 2008, 542 = ZIP 2007, 2322 = MDR 2008, 289 = NZI 2008, 36; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 99 m.w.N.
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§ 11 Rz. 32 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen bindliches Erfüllungsverlangen nach § 103 InsO, so dass dem endgültigen Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren sowohl die Rechte aus §§ 103 ff. InsO als auch die Anfechtungsrechte nach den §§ 129 ff. InsO (vgl. § 13 Rz. 37 ff.) erhalten bleiben. 33
Der Vertragspartner handelt daher auf eigenes Risiko, wenn er sich dennoch auf die Fortsetzung des Vertrages einlässt. Um entsprechende Risiken zu vermeiden, sollte der Vertragspartner des Schuldners daher im Eröffnungsverfahren das Vertragsverhältnis nur gegen Vorkasse fortführen, jedenfalls aber darauf achten, dass die Voraussetzungen eines Bargeschäfts i.S.d. § 142 InsO erfüllt sind (zu diesen Voraussetzungen vgl. § 13 Rz. 283 ff.). Einen weiteren Weg zur Sicherung des Vertragspartners hat der BGH in seiner Entscheidung vom 18.7.2002 aufgezeigt: Das Insolvenzgericht kann dem –ansonsten „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter eine beschränkte Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Einzelfall erteilen.68 Macht der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter von dieser Ermächtigung Gebrauch, sind die Ansprüche aus solchen Verträgen im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen. Unsicher, weil umstritten, ist demgegenüber der in der Praxis häufig anzutreffende Versuch des vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters, die Gläubiger des Schuldners durch die Einrichtung eines Treuhandkontos zu sichern.69 Hierbei setzt der Insolvenzverwalter einen Treuhänder ein, an den er etwa die für die Lieferanten benötigten Beträge mit der Anweisung zahlt, diese nach Leistungserbringung und Rechnungsstellung zur Befriedigung der Lieferanten auszukehren (ausführlich hierzu § 16 Rz. 84 ff.).
33a
Sofern ein verfügungsbefugter „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden sein sollte, können mit diesem auch eigenständige Verträge – etwa über eine entsprechende Weiterbelieferung – abgeschlossen werden. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO ordnet insoweit unmissverständlich an, dass Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Verwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten (vgl. § 16 Rz. 11 ff.).
34
Sondervorschriften bestehen bei der Eigenverwaltung, in der kein Insolvenzverwalter bestellt wird. Da der Schuldner gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen unter Aufsicht eines Sachwalters behält, sind nach § 279 Satz 1 InsO die Vorschriften über die in §§ 103 ff. InsO geregelte Erfüllung der Rechtsgeschäfte mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner tritt und das Wahlrecht ausübt (zur Eigenverwaltung ausführlich vgl. § 3 Rz. 517 ff.).
a) Erklärung des Insolvenzverwalters 35
Der Insolvenzverwalter übt das Wahlrecht durch eine einseitige, empfangsbedürftige, bedingungsfeindliche und unwiderrufliche Willenserklärung aus, die er selbst dann formlos abgeben kann, wenn der unerfüllte Vertrag gemäß § 313 BGB formbedürftig ist.70 Verbindet der Insolvenzverwalter das Erfüllungsverlangen mit einem Vorbehalt oder verlangt er Erfüllung zu veränderten Bedingungen, so ist dies als Ablehnung auszulegen.71 Eine Anfechtung der Erklärung wegen Irrtums ist möglich, falls der Verwalter einen unrichtigen Stand der Verfahrensabwicklung angenommen hat, nicht da-
68 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, EWIR 2002, 919 m. Anm. Spliedt = MDR 2002, 1454 = NZI 2002, 543 = ZIP 2001, 1422 = ZIP 2002, 1625; s. dazu auch Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845; Heidrich/Prager, NZI 2002, 653; Pape, NZM 2004, 401, 403 f.; Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608 und Smid, DZWIR 2002, 444. 69 Ablehnend etwa AG Hamburg v. 16.12.2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153 = ZIP 2003, 43; befürwortend demgegenüber Bork, ZIP 2003, 1421, 1423 ff. 70 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 39; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 18. 71 BGH v. 11.2.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 = EWIR 1988, 285 = MDR 1988, 491 = ZIP 1988, 322 = NJW 1988, 1790.
956 | Dahl
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 39 § 11
gegen bei bloßer Unkenntnis der Sachlage oder bei einem bloßen Irrtum über die Rechtsfolgen seines Handelns.72 Da das Gesetz keine konkrete Form vorschreibt, kann der Insolvenzverwalter seine Erklärung auch konkludent abgeben. Für die Auslegung eines solchen Verhaltens ist allgemein maßgebend, welche Bedeutung ihm der Vertragspartner nach der Verkehrssitte und den Gesamtumständen beimessen musste.73 Ein Verhalten des Insolvenzverwalters löst deshalb die Rechtswirkungen des § 103 InsO nur aus, wenn der Vertragspartner hieraus entnehmen konnte und musste, dass der Verwalter die Erfüllung wählen wollte.74 Das konkludente Verhalten muss klar und eindeutig sein.75 Nicht entscheidend ist, ob dem Insolvenzverwalter bewusst ist, dass er eine derartige Erklärung abgibt.76
36
Nicht zuletzt wegen der Empfangsbedürftigkeit der Erklärung liegt ein konkludentes Erfüllungsverlangen indes nicht bei einer bloßen Weiterveräußerung oder Verarbeitung von Vorbehaltsware vor,77 es sei denn, der Verkäufer hat zuvor Herausgabe der Vorbehaltsware verlangt.78 Anzunehmen ist eine konkludente Erfüllungswahl aber dann, wenn der Verwalter vom Werkunternehmer Nachbesserung verlangt oder eine Frist zur Mängelbeseitigung setzt, sowie dann, wenn er in Absprache mit dem Besteller das vom Schuldner angefangene Werk beenden lässt.79 Leistet der Insolvenzverwalter selbst auf einen von dem Gesamtschuldner geschlossenen Leasingvertrag zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt der Leasingraten, so soll er konkludent die Erfüllung des Leasingvertrages i.S.d. § 103 InsO gewählt haben.80
37
Eine Zahlungsaufforderung durch den Insolvenzverwalter ist nur dann als konkludente Erfüllungswahl auszulegen, wenn sie klar und eindeutig erkennen lässt, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrags begehrt.81 Lässt die Zahlungsaufforderung hingegen erkennen, dass der Insolvenzverwalter von bereits vollständiger Vertragserfüllung durch den Insolvenzschuldner ausgeht und nur noch die fällige Gegenleistung des Drittschuldners abfordern will, liegt keine konkludente Erfüllungswahl vor.82
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Ein konkludentes Erfüllungsverlangen aufgrund eines bloßen Weiterbezugs von Strom, Gas, Wasser oder Fernwärme ist schließlich im Hinblick auf die Regelung des § 105 Satz 1 InsO abzulehnen.83 So reichen Zahlungen des Insolvenzverwalters auf Rechnungen eines Energieversorgers, denen keine entsprechenden Energielieferungen zu Grunde liegen, allein nicht aus. Vielmehr müssen noch weitere Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass der Insolvenzverwalter das Vertragsverhältnis fortsetzen wollte.84
39
72 Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 27 m.w.N. 73 BGH v. 14.3.1963 – VII ZR 257/61, NJW 1963, 1248; OLG Düsseldorf v. 24.1.2003 –16 U 112/02, NZI 2003, 379, 380 = ZIP 2003, 1306, 1307. 74 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 115. 75 Bdb. OLG v. 16.4.2008 – 7 U 143/07, MDR 2008, 1423 = NZI 2009, 117. 76 OLG Naumburg v. 4.2.2004 – 5 U 129/03, ZInsO 2004, 1145 ff. 77 BGH v. 8.1.1998 – IX ZR 131/97, NJW 1998, 992= ZIP 1998, 298; OLG Düsseldorf v. 24.1.2003 – 16 U 112/02, NZI 2003, 379, 380 = ZIP 2003, 1306, 1307; zu Konsignationsverträgen vgl. BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, MDR 2014, 685 = ZIP 2014, 27, 736 = EWIR 2014, 389 m. Anm. Dahl/Schmitz = StBW 2014, 318 = NZI 2014, 667. 78 OLG Celle v. 28.10.1987 – 3 U 11/87, EWIR 1988, 177 = ZIP 1988, 384. 79 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 42 m.w.N. 80 AG Zweibrücken v. 27.8.2004 – 1 C 385/04; BAG v. 1.12.2004 – 4 AZR 50/04, EWIR 2005, 487 m. Anm. Laskawy/Lomb = MDR 2005, 817 = ArbRB 2005, 136 = ZIP 2005, 679. 81 OLG Dresden v. 24.1.2002 – 13 U 2215/01, EWIR 2002, 441 m. Anm. Tintelnot = ZIP 2002, 815. 82 OLG Dresden v. 24.1.2002 – 13 U 2215/01, EWIR 2002, 441 m. Anm. Tintelnot = ZIP 2002, 815; OLG Stuttgart v. 22.2.2005 – 10 U 242/04, ZIP 2005, 588, 589. 83 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 119 m.w.N. 84 Bdb. OLG v. 16.4.2008 – 7 U 143/07, MDR 2008, 1423 = NZI 2009, 117.
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§ 11 Rz. 39a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 39a
Endlich tritt der Insolvenzverwalter auch nicht dadurch automatisch in das Veräußerungsgeschäft im Übrigen ein, wenn er der Übereignung einer Immobilie zustimmt, die durch Eintragung einer Vormerkung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO gesichert war.85
b) Aufforderung zur Wahlrechtsausübung 40
Der Insolvenzverwalter ist bei der Ausübung des Wahlrechts grundsätzlich an keine Frist gebunden, so dass er von dem Wahlrecht auch noch lange nach Verfahrenseröffnung Gebrauch machen kann, ohne dabei zu riskieren, wegen Verspätung seiner Erklärung Rechte der Insolvenzmasse zu verlieren und sich schadensersatzpflichtig zu machen.86
41
Zwecks Beseitigung der hieraus resultierenden Rechtsunsicherheit gibt § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Vertragspartner des Schuldners das Recht, den Verwalter zur Ausübung seines Wahlrechts mit der Folge aufzufordern, dass dieser sich unverzüglich (= ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu erklären hat, wenn er nicht seines Rechts, Erfüllung zu verlangen, verlustig gehen will. An die Aufforderungserklärung werden teilweise keine hohen Anforderungen gestellt, so dass beispielsweise in dem an den Insolvenzverwalter gerichteten Mängelbeseitungsverlangen eine Aufforderung an den Insolvenzverwalter zu sehen sein soll, sein Wahlrecht nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO auszuüben.87 Übt der Verwalter sein Wahlrecht nicht oder nicht unverzüglich aus, kann er gemäß § 103 Abs. 2 Satz 3 InsO auf die Erfüllung nicht bestehen, so dass es bei der Nichterfüllung des Vertrages bleibt. Es ergeben sich die gleichen Rechtsfolgen wie bei einer ausdrücklich erfolgten Erfüllungsablehnung.
42
Lediglich für den Sonderfall des § 107 Abs. 2 InsO ist ausdrücklich geregelt, wie lange der Verwalter mit der Abgabe seiner Erklärung nach entsprechender Aufforderung durch den Vertragspartner warten darf. Nach dieser Regelung ist es dem Verwalter erlaubt, die Erklärung erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben, es sei denn der Gläubiger hat den Verwalter darauf hingewiesen, dass bis zum Berichtstermin eine erhebliche Verminderung des Wertes der Sache zu erwarten ist. Zweck der Regelung ist es dort, dem Verwalter bis zur Entscheidung der Gläubiger im Berichtstermin über Zerschlagung oder Fortführung die Möglichkeit zu gewähren, das Unternehmen zu erhalten.88
43
Der Begründung zu § 107 Abs. 2 InsO kommt generelle Bedeutung auch für die meisten übrigen Wahlrechtsfälle zu. Zumindest bei Verträgen, deren Fortbestand für eine Fortführung des Unternehmens notwendig ist, ist eine entsprechende Ausdehnung der Überlegungsfrist des Verwalters in analoger Anwendung des § 107 Abs. 2 InsO geboten.89
44
In allen übrigen Fällen muss dem Verwalter eine angemessene Überlegungsfrist eingeräumt werden, also diejenige Zeitspanne, die im Einzelfall objektiv benötigt wird, um Klarheit über die Maßstäbe der Wahlrechtsausübung und deren Bewertung zu erlangen.90 Der Insolvenzverwalter ist insbesondere bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gemäß § 160 InsO schon gesetzlich gehalten, vor Abgabe seiner Erklärung die Zustimmung des zuständigen Gläubigerorgans, etwa des Gläubigerausschusses,
85 BayObLG v. 3.9.2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143, 1144. 86 FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 103, Rz. 89; Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 28; für ein gesetzliches normiertes Recht des Gläubigers stets eine unverzügliche Entscheidung des Insolvenzverwalters über die Verwertung der Vertragsrechte des Schuldners zu erzwingen, von Wilmowsky, KTS 2011, 453, 478. 87 AG Bremen v. 13.3.2009 – 6 C 59/08, NZI 2009, 776. 88 Begr. zu § 107 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 146. 89 Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 30; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 45; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 26; ähnlich Tintelnot, ZIP 1995, 616, 617; im Ergebnis ebenso: OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = EWIR 2003, 715 m. Anm. Runkel = ZIP 2003, 543. 90 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 46.
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II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 47 § 11
einzuholen.91 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Wahlrechtsausübung die Masse mit nicht unerheblichen Masseverbindlichkeiten belastet. Dem Vertragspartner ist es demgegenüber nicht möglich, die angemessene Frist einseitig durch Vorgabe einer Erklärungsfrist in seiner Aufforderung zu bestimmen, da ihm die maßgeblichen Umstände der Entscheidungsfindung des Verwalters regelmäßig nicht bekannt sind.92 Der Vertragspartner kann die Überlegungsfrist auch nicht dadurch verkürzen, dass er den Verwalter bereits in dessen Funktion als vorläufiger Verwalter zur Ausübung des Wahlrechts „für den Fall der Verfahrenseröffnung“ auffordert.93
45
Der Schwebestand bleibt bestehen, wenn beide Parteien untätig bleiben.94 Sofern sich der Vertragspartner am Insolvenzverfahren beteiligt, bleibt er Insolvenzgläubiger und kann nur Erfüllung in Höhe der Quote verlangen. Beteiligt er sich nicht am Verfahren, lebt sein Erfüllungsanspruch nach dessen Beendigung im Rahmen des § 201 InsO wieder auf.95 Die fehlende Umgestaltung führt daher dazu, dass nach Beendigung des Insolvenzverfahrens der Vertrag grundsätzlich so abgewickelt werden kann, als ob es nie zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen wäre.96
45a
Klagt der Verwalter die Gegenleistung ein, so obliegt dem Vertragspartner die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Erklärung des Insolvenzverwalters verspätet war.97
46
4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens Wählt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages, so hat er gemäß § 103 Abs. 1 InsO den Vertrag anstelle des Schuldners zu erfüllen und kann auch vom anderen Teil Erfüllung verlangen. Die Verbindlichkeiten des Schuldners werden, sofern keine teilbare Leistung gemäß § 105 InsO vorliegt, gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO Masseverbindlichkeiten (hierzu vgl. § 9 Rz. 225, 231 ff.). Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Vertragspartner für Leistungen, die er nach Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse erbringt, einen vollwertigen Gegenanspruch erhält.98 Zur Vermeidung einer persönlichen Haftung gemäß § 61 InsO hat der Insolvenzverwalter überdies vor Ausübung des Wahlrechts zu prüfen, ob er die Ansprüche des Vertragspartners aus der Masse erfüllen kann (zur Haftung nach § 61 InsO vgl. § 9 Rz. 242, 257, § 22 Rz. 228). Für die Haftung des Insolvenzverwalters aus § 61 Satz 1 InsO kommt es nicht darauf an, ob die Forderung des Massegläubigers am Ende des Insolvenzverfahrens aus der Masse beglichen werden kann. Sie tritt bereits dann ein, wenn eine Erfüllung bei Fälligkeit nicht möglich ist.99 Dabei ist die Haftung des Insolvenzverwalters auf das negative Interesse begrenzt.100
91 92 93 94 95 96 97 98 99
100
MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 173. OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, EWIR 2003, 715 m. Anm. Runkel, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543. BGH v. 8.11.2007 – IX ZR 53/04, VersR 2008, 542 = ZIP 2007, 2322 = MDR 2008, 289 = NZI 2008, 36. BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, MDR 2013, 1134 = ZIP 2013, 526 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot = NZI 2013, 296, dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 103 Rz. 51; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 103 Rz. 117. Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2021; § 103 Rz. 51; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 159. BGH v. 8.12.2009 – XI ZR 181/08, MDR 2010, 319 = EWIR 2010, 181 m. Anm. Grziwotz = ZIP 2010, 264 = NJW 2010, 1284. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 47. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 51. OLG Hamm v. 16.1.2003 – 27 U 45/02, NZI 2003, 263; OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 = EWIR 2003, 1093 m. Anm. Pape = ZIP 2003, 1165; offen gelassen im BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, VersR 2004, 1609 = EWIR 2004, 765 m. Anm. Vallender = BRAK 2004, 158 m. Anm. Jungk = MDR 2004, 1321 = ZIP 2004, 1107. BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZInsO 2004, 609; BGH v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZInsO 2005, 205; BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 600/04; Hamburger Kommentar zur InsO/Weitzmann, 8. Aufl. 2021, § 61 Rz. 12.
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47
§ 11 Rz. 47 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen Wird eine vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingegangene Verbindlichkeit erst durch ein Erfüllungsverlangen nach § 103 Abs. 1 InsO zu einer Masseverbindlichkeit, so ist dies der für eine Entlastung nach § 61 Satz 2 InsO maßgebliche Zeitpunkt der Begründung der Masseverbindlichkeit.101 48
Die Erfüllungswahl führt weder inhaltlich noch sonst zu einer Veränderung des Vertrages,102 so dass nicht nur die Haupt-, sondern auch die Nebenpflichten grundsätzlich zu Masseverbindlichkeiten werden.103 Dies betrifft zunächst Gewährleistungsansprüche,104 selbst wenn sie aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung herrühren. Stundungen und die Vereinbarung von Lieferterminen durch den Schuldner sind auch gegenüber dem Insolvenzverwalter wirksam,105 während Schadensersatzansprüche und Rückgewähransprüche wegen zu vertretender Pflichtverletzung nur dann Masseansprüche nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO darstellen, wenn der Insolvenzverwalter sie zu vertreten hat.106 Eine frühere Vertragsuntreue des Schuldners braucht sich der Insolvenzverwalter nicht zurechnen zu lassen.107
48a
Leistungsverweigerungsrechte des Vertragspartners, bspw. die sog. Corona-Einreden gem. Art. 240 §§ 1–3 EGBGB, muss der Insolvenzverwalter hinnehmen.108 Für den Insolvenzverwalter selbst ist die Corona-Einrede nur sinnvoll, wenn er den Vertrag nach den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie fortführen will.109 Dann muss er allerdings nachweisen können, dass das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann bzw. konnte oder dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre (vgl. Art. 240 § 1 Abs. 2 EGBGB). Zu beachten ist aber, dass die Corona-Einrede nur die Durchsetzbarkeit bis zum Ablauf des Moratoriums hemmt und im Anschluss die Vertragspflichten wieder zu erfüllen sind.110 Es handelt sich somit lediglich um eine Liquiditätshilfe.111 Ein Verbraucher hatte somit nach Art. 240 § 1 Abs. 1 EGBGB lediglich das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag stand, der ein Dauerschuldverhältnis war und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn dem Verbraucher infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen waren, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich gewesen wäre. Das Leistungsverweigerungsrecht bestand in Bezug auf alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse sind solche, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind. Ähnliches galt nach Art. 240 § 1 Abs. 2 EGBGB für Kleinstunternehmer in Bezug auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung ihres Erwerbsbetriebs erforderlich sind.
101 OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, EWIR 2003, 1093 m. Anm. Pape = ZIP 2003, 1165 = NZI 2003, 150. 102 Zu den Folgen einer möglichen Konditionenanpassung vgl. Brugugnone, NZI 2012, 638 ff. 103 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 139. 104 Ausführlich zum neuen Kaufgewährleistungsrecht und § 103 InsO: Scherer, NZI 2002, 356 ff.; Schmidt, ZInsO 2002, 103 ff.; Ringstmeier/Homann, ZIP 2002, 505 ff.; s. auch Kreft, ZInsO 2003, 1120 ff. 105 OLG Düsseldorf v. 28.6.2011 – I-10 U 60/11, BeckRS 2011, 21945. 106 Kuhn/Uhlenbruck, Kommentar zur KO, 11. Aufl. 1994, § 17 Rz. 23c. 107 OLG Rostock v. 26.6.2006 – 3 U 237/03, ZIP 2006, 1882. 108 Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 30; Liebscher/Zeyer/Steinbrück, ZIP 2020, 852 ff. 109 Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 30. 110 Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 30; Liebscher/Zeyer/Steinbrück, ZIP 2020, 852, 853; Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1105. 111 Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 30.
960 | Dahl
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 51 § 11
Art. 240 § 2 EGBGG (Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen in Zeiten der Corona-Pandemie) bewirkt keine Stundung des Mietzinses.112 Der Gesetzgeber hat ausdrücklich in dem Gesetzesentwurf113 ausgeführt, dass die Verpflichtung der Mieter zur Zahlung der Miete im Grundsatz bestehen bleibt. Statt eines gänzlichen Ausschlusses der Mietzahlungsverpflichtung oder einer Stundung wurde im Ergebnis nach Abwägung der wechselseitigen Interessen der für den Vermieter weniger intensive Eingriff des Ausschlusses des Kündigungsrechts nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen nicht gezahlter Mieten für die Monate April, Mai und Juni 2020 gewählt.114 Für Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, galt nach Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB, dass Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten gestundet wurden, wenn der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hatte, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar war. Eine dem Schuldner vor Verfahrenseröffnung gesetzte Nachfrist nach §§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB läuft, wenn sie im Zeitpunkt der Eröffnung noch nicht abgelaufen war, gegenüber dem Verwalter weiter, ist jedoch mit Rücksicht auf die durch die Insolvenzeröffnung veränderten Umstände angemessen zu verlängern.115 Ansprüche auf Vertragsstrafe oder nicht rechtzeitige Erfüllung durch den Insolvenzverwalter sind ebenfalls als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren,116 nicht jedoch bereits vor Verfahrenseröffnung entstandene Verzugsschäden und Vertragsstrafen.117
49
Ist der Vertragspartner des Schuldners Gläubiger einer Insolvenzforderung, kann er gegen eine Zahlungsverpflichtung, die aus der Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters resultiert, gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht aufrechnen,118 da die Aufrechnungslage vor dem Erfüllungsverlangen des Verwalters nicht werthaltig war und eine entsprechende Aufrechnungsberechtigung dem Vertragspartner infolgedessen eine ihm nicht gebührende Besserstellung gegenüber anderen Insolvenzgläubigern verschaffen würde119 (hierzu § 10 Rz. 519 f.). Gleichzeitig würden dadurch für die Masse sinnvolle Vertragsfortführungen vereitelt,120 da nicht anzunehmen ist, dass sich ein Insolvenzverwalter für eine Vertragserfüllung entscheidet, wenn bereits vorher sicher feststeht, dass aufgrund der Aufrechnungslage nicht mit einem Massezufluss zu rechnen ist.121
50
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Schuldner vor Verfahrenseröffnung bereits teilweise vorgeleistet hat, weil der dieser Teilleistung entsprechende Anspruch auf die Gegenleistung von der Verfahrenseröffnung nicht berührt wird,122 so dass dem Vertragspartner entsprechend der auch in § 105 InsO enthaltenen gesetzlichen Wertung ein Aufrechnungsanspruch nicht versagt werden kann.
51
112 113 114 115 116 117 118
119 120 121 122
Schl.-Holst. OLG v. 16.6.2021 – 12 U 148/20, BeckRs 2021, 18921. BT-Drs. 19/18110. Vgl. Schl.-Holst. OLG v. 16.6.2021 – 12 U 148/20, BeckRs 2021, 18921. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 52. a.A. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Auflage 2019, § 103 Rz. 142. Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 103 Rz. 271; Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 36; a.A. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 52. BGH v. 11.2.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 = EWIR 1988, 285 = MDR 1988, 491 = ZIP 1988, 322 = NJW 1988, 1790; BGH v. 23.2.1989 – IX ZR 143/88, EWIR 1989, 495 = MDR 1989, 632 = ZIP 1989, 453 = NJW 1989, 1353; BGH v. 21.11.1991 – IX ZR 290/90, BGHZ 116, 156 = EWIR 1992, 71 = MDR 1992, 150 = ZIP 1992, 486 = NJW 1992, 507; s. dazu auch Wieser, JZ 2003, 231. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 56. Kreft, ZIP 1997, 865, 868. Hamburger Kommentar zur InsO/Jacoby, 8. Aufl. 2021, § 95 Rz. 38. BGH v. 27.2.1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25, 26 = EWIR 1997, 517 = MDR 1997, 671 = ZIP 1997, 688; s. dazu auch Kreft, ZIP 1997, 865.
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§ 11 Rz. 52 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 52
Nach der Rechtsprechung des BGH123 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, dass die noch offenen Ansprüche aus von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen ihre Durchsetzbarkeit verlieren, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind. Das weitere Schicksal der Ansprüche ist daher allein davon abhängig, ob der Verwalter Vertragserfüllung wählt. Dementsprechend verlieren mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners auch Zessionen von Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Wirkung und können wegen § 91 Abs. 1 InsO nach Eröffnung nicht wirksam neu erworben werden.124
53
Soweit der Insolvenzschuldner jedoch bei einem gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung Vorleistungen erbracht hat, bleiben Abtretungen, Verpfändungen und Anweisungen entsprechend den zur Aufrechnung entwickelten Grundsätzen bestehen.125 Im Hinblick auf die auch in § 105 InsO enthaltene gesetzliche Wertung ist es angezeigt, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters verbundenen Rechtsfolgen auf den Teil der Gegenleistung zu beschränken, der auf die bei Verfahrenseröffnung noch ausstehende Erfüllungsleistung der Masse entfällt. Bei teilweise erbrachten Leistungen des Gemeinschuldners wird mithin die auf diesen Teil entfallende Gegenleistung weder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch das Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters berührt, so dass der Anspruch auf die der erbrachten Teilleistung entsprechende Gegenleistung ebenso bestehen bleibt wie etwa daran begründete Drittrechte.126
5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung 54
Als Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlieren die noch offenen Ansprüche aus von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen ihre Durchsetzbarkeit.127 Die Erklärung des Insolvenzverwalters, dass er die Erfühlung des Vertrags ablehnt, zieht keine weiteren materiell-rechtlichen Rechtsfolgen nach sich .128 Ihr kommt daher lediglich deklaratorische Bedeutung dahin gehend zu, dass es bei den mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Folgen bleiben soll.129 Es bedarf daher eines Umgestaltungsakts, der die gegenseitigen Erfüllungsansprüche zum Erlöschen bringt. Die Umgestaltung des Vertrags in ein Abrechnungsverhältnis vollzieht sich erst, wenn der Vertragspartner aktiv den Vertrag beendet, etwa durch Anmeldung seines Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung zur Insolvenztabelle gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO oder durch ein Aussonde123 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 124 BGH v. 20.12.1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 = EWIR 1989, 283 = MDR 1989, 446 = ZIP 1989, 171 = NJW 1989, 1282; BGH v. 14.12.1989 – IX ZR 283/88, EWIR 1990, 173 = MDR 1990, 432 = ZIP 1990, 180 = CR 1990, 274 = NJW 1990, 1113. 125 BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 = ZIP 1995, 926 = EWIR 1995, 691 = MDR 1996, 161 = NJW 1995, 1966. 126 BGH v. 27.2.1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25 = EWIR 1997, 517 = MDR 1997, 671 = ZIP 1997, 688; Kreft, ZIP 1997, 865, 870; a.A. Kübler/Prütting/Bork/ Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 103 Rz. 281 ff. 127 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 128 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, EWIR 2003, 819 m. Anm. Gundlach/Schmidt = MDR 2003, 1136 = NZI 2003, 491 = ZIP 2003, 1208; BGH v. 23.11.2006 – II R 38/05, EWIR 2007, 695 m. Anm. Dahl = ZIP 2007, 976; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 157; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 18, 20 mit Bezug zu den Motiven der KO. 129 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, ZIP 2003, 1208 = EWIR 2003, 819 m. Anm. Gundlach/Schmidt = MDR 2003, 1136 = ZIP 2003, 1208 = NZI 2003, 491; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 20 m.w.N.
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II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 56a § 11
rungsbegehren gemäß § 47 InsO.130 In der Handlung des Vertragspartners muss sich sein Wille manifestieren, an der Erfüllung des Vertrags endgültig kein Interesse mehr zu haben.131 Unabhängig davon, dass der Vertrag lediglich undurchsetzbar ist, soll ein Bürge für die nicht untergegangenen Erfüllungsansprüche akzessorisch im Umfang der bestehenden Hauptschuld bereits während des Insolvenzverfahrens einstehen.132 Auf eine fehlende Durchsetzbarkeit der Hauptschuld gemäß § 103 InsO infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 768 Abs. 1 BGB könne er sich nicht berufen. Der Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß §§ 768 Abs. 1, 320 BGB stehe in diesem Fall § 242 BGB entgegen.133 Im Ergebnis mag dies richtig sein. Eines Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf es jedoch nicht, wenn man in Fortsetzung der Rechtsprechung des BGH134 in der Inanspruchnahme des Bürgen einen Umgestaltungsakt erblicken will.
54a
Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, kann von keiner Partei mehr Erfüllung verlangt werden. Stattdessen gewährt § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO dem Vertragspartner einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, den er als Insolvenzgläubiger zur Tabelle anmelden muss und der im Verfahren in Höhe der Quote bedient wird.135 Die Erfüllungsablehnung führt hingegen nicht dazu, dass dem Vertragspartner ein Rücktritts- und Rückforderungsrecht zusteht.136
55
Die wechselseitigen Erfüllungsansprüche werden bei Erfüllungsablehnung durch ein Abrechnungsverhältnis ersetzt.137 In dieses Abrechnungsverhältnis werden sämtliche Ansprüche beider Vertragsparteien inklusive Gewährleistungsansprüchen und Folgeschäden aus bereits erbrachten Teilleistungen als unselbständige Rechnungsposten eingestellt.138 Ergibt sich ein Überschuss zu Gunsten des Vertragspartners, kann er diesen als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden, ein Saldo zu Gunsten der Masse ist vom Insolvenzverwalter einzuziehen.139
56
Nicht in das Abrechnungsverhältnis einzustellen ist nach vorherrschender Auffassung der entgangene Gewinn des Vertragspartners.140 Auch steht diesem bei einem Bauvertrag ein Zurückbehaltungsrecht in dreifacher Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten gegenüber dem Insolvenzverwal-
56a
130 BGH v. 23.11.2006 – II R 38/05, EWIR 2007, 695 m. Anm. Dahl = ZIP 2007, 976; jüngst BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, MDR 2013, 1134 = ZIP 2013, 526 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot, NZI 2013, 296, dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 161, 187. 131 Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631, 632. 132 LG Düsseldorf v. 24.8.2010 – 11 O 75/10, NJOZ 2010, 2555. 133 LG Düsseldorf v. 24.8.2010 – 11 O 75/10, NJOZ 2010, 2555. 134 BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, MDR 2013, 1134 = ZIP 2013, 526 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot = NZI 2013, 296, dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631. 135 OLG Düsseldorf v. 7.4.2005 – I-10 U 161/04, ZInsO 2005, 820 ff. 136 BAG v. 29.9.2010 – 3 AZR 107/08, ZIP 2011, 347 = EWIR 2011, 235 m. Anm. Büdenbender = NZI 2011, 152, 155; für die Normierung eines Rücktrittsrechts von Wilmowsky, KTS 2011, 453, 479. 137 BGH v. 5.5.1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345; BGH v. 29.1.1987 – IX ZR 205/85, EWIR 1987, 267 = MDR 1987, 579 = ZIP 1987, 304 =NJW 1987, 1702; BGH v. 11.3.1997 – X ZR 146/94, EWIR 1997, 739 = MDR 1997, 10074, NJW 1997, 3434; BGH v. 16.12.1999 – IX ZR 197/9, EWIR 2001, 29 m. Anm. Mohrbutter = MDR 2000, 351 = VersR 2001, 7359 = NZI 2000, 115 = ZIP 2000, 237; BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/1, MDR 2013, 1134 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot1 = NZI 2013, 296; dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631. 138 BGH v. 16.12.1999 – IX ZR 197/99, EWIR 2001, 29 m. Anm. Mohrbutter = MDR 2000, 351 = VersR 2001, 735 = ZIP 2000, 237 = NZI 2000, 115; Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631, 632. 139 BGH v. 29.1.1987 – IX ZR 205/85, EWIR 1987, 267 = MDR 1987, 579 = ZIP 1987, 304 = NJW 1987, 1702; BGH v. 7.6.1991 – V ZR 17/9, EWIR 1991, 907 = MDR 1991, 1059 = ZIP 1991, 9450, NJW 1991, 2897; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 41; für eine Verrechnung der Ansprüche, van Wilmowsky, KTS 2011, 453, 478. 140 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 167 m.w.N.; a.A. MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 190 m.w.N.
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§ 11 Rz. 56a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen ter, der die Nachbesserung aus einem Werkvertrag abgelehnt hat, nicht zu; vielmehr ist er darauf beschränkt, den einfachen Abzug der festgestellten Beseitigungskosten geltend machen zu können.141 57
Haben die Vertragspartner teilweise erfüllt, so stellen die erbrachten Teilleistungen Rechnungsposten bei der Ermittlung des dem Vertragspartner zustehenden Schadensersatzanspruchs dar.142
58
Die Verjährung für die Forderung wegen Nichterfüllung beginnt mit der Erfüllungsablehnung des Verwalters neu und richtet sich nach der für den ursprünglichen vertraglichen Hauptleistungsanspruch geltenden Verjährungsfrist.143
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In der Literatur ist umstritten, ob die Aufrechnung eines Vertragspartners mit einer aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO resultierenden Forderung wegen Nichterfüllung zulässig ist.144 Im Ergebnis wird eine Aufrechnung als zulässig anzusehen sein, da der Anspruch schon vor Verfahrenseröffnung aufschiebend bedingt entstanden war, so dass das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht gegeben ist145 (zu diesem siehe § 10 Rz. 516 ff.).
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Da mit der Erfüllungsablehnung ein Recht zum Besitz wegfällt, hat der Insolvenzverwalter im Wege der Aussonderung dasjenige herauszugeben, was der Vertragspartner in die Insolvenzmasse eingebracht hat, ohne dass es dem Schuldner bereits übereignet worden ist.146 So ist der Insolvenzverwalter in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters einer beweglichen Sache von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an zur Herausgabe an den Vermieter verpflichtet, wenn er nicht die Erfüllung des Mietvertrages wählt. Der Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Rückgabe der Mietsache ist grundsätzlich eine Insolvenzforderung. Hat der Verwalter die Mietsache nach der Verfahrenseröffnung genutzt, ohne die Erfüllung des Mietvertrages zu verlangen, stellt der Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung eine Masseforderung dar.147
60a
Auch hinsichtlich sonstiger Teilleistungen ist rückabzuwickeln, wenn der Rechtsgrund durch die Erfüllungsablehnung entfallen ist. So muss der Verwalter dem Vertragspartner etwa eine Löschungsbewilligung erteilen, wenn dem Schuldner für den erloschenen Übereignungsanspruch eine Vormerkung erteilt worden ist.148
61
Hat der Schuldner vor Verfahrenseröffnung an seinen Vertragspartner vorgeleistet und übersteigt der Wert dieser Vorleistung dessen Nichterfüllungsanspruch, so hat ein Ausgleich stattzufinden, da die Nichterfüllung nicht zu einer Vermögensmehrung beim Vertragspartner führen darf, auf die er auch 141 142 143 144
145 146 147 148
AG Witten v. 9.4.2003 – 15 C 284/02, ZInsO 2003, 479. BGH v. 5.5.1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 176. Vgl. dazu ausführlich Wolf in FS Görg, 2010, S. 597; für eine Aufrechnung: Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 103 Rz. 57; Berliner Kommentar zur InsO/Goetsch, Stand: Dezember 2020, § 103 Rz. 112; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 65; differenzierend Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 180; Uhlenbruck/Sinz, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 95 Rz. 36; MünchKommInsO/Lohmann/Reichelt, 4. Aufl. 2019, § 95 Rz. 24; Kübler/Prütting/Bork/Lüke, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 95 Rz. 30; differenzierend Berliner Kommentar zur InsO/Blersch/v. Olshausen, Stand: Dezember 2020, § 95 Rz. 5; gegen eine Aufrechnung: Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 43; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 23; Adam, WM 1998, 801, 806; Hamburger Kommentar zur InsO/Jacoby, 8. Aufl. 2021, § 95 Rz. 34. Tintelnot, KTS 2004, 339, 345; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 65. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 183. BGH v. 1.3.2007 – IX ZR 81/05, MDR 2007, 910 = EWIR 2007, 727 m. Anm. Tintelnot = ZIP 2007, 778 ff. Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 35.
964 | Dahl
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 61b § 11
im Falle der Erfüllung keinen Anspruch hätte. Schwierigkeiten bereitet bei Vorleistungen des Insolvenzschuldners, dass es nach der Suspensivtheorie eines Umgestaltungsakts durch den Vertragspartner des Insolvenzschuldners bedarf (siehe Rz. 54), damit überhaupt ein Rückgewähranspruch zugunsten der Insolvenzmasse ausgelöst wird.149 Dieser hat es damit in der Hand zu entscheiden, ob er sich einem Rückgewähranspruch aussetzen oder aber die Aufhebung des Verfahrens mit der wahrscheinlichen Folge abwarten will, nicht in Anspruch genommen zu werden oder aber einen für sich günstigen Anspruch endgültig durchzusetzen. Die Entstehung des Rückgewähranspruchs ist damit in gewisser Weise vom Zufall abhängig. Nach der überkommenen Erlöschenstheorie wären demgegenüber die gegenseitigen Erfüllungsansprüche schon mit Verfahrenseröffnung erloschen, sodass sich der Anspruch des Vertragspartners bereits zu diesem Zeitpunkt in eine Insolvenzforderung in Form einer Schadensersatzforderung wegen Nichterfüllung verwandelt hätte. Es ist nicht abschließend höchstrichterlich geklärt, auf welche Anspruchsgrundlage der Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters gestützt werden soll. In seiner jüngsten Entscheidung150 hat sich der BGH lediglich auf die einschlägigen Stellungnahmen von Ganter und Huber berufen.151 Man wird daher annehmen dürfen, dass er den Anspruch aus §§ 346 ff. BGB herleiten will. Der gegenteiligen Auffassung, die insoweit die Anwendung von § 812 BGB befürwortet,152 wird damit zu Recht eine Absage erteilt. Ist die vom Insolvenzschuldner erbrachte Leistung bei seinem Vertragspartner und Rückgewährschuldner nicht mehr vorhanden, bestünde jedenfalls für den Bereicherungsschuldner die Möglichkeit des Einwands der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB.
61a
Bei teilbaren (Vor-)Leistungen hat sich der BGH zwecks Abmilderung der mit der Suspensivtheorie verbundenen Folgen damit beholfen, der Insolvenzmasse im Falle der Erfüllungsablehnung unabhängig von einem Umgestaltungsakt des Vertragspartners einen Anspruch auf eine der Vorleistung entsprechende Gegenleistung zuzusprechen,153 d.h., der Vertragspartner darf die Vorleistung des nachmaligen Insolvenzschuldners grundsätzlich behalten, muss aber die dem Wert der Vorleistung entsprechende vertraglich vereinbarte Gegenleistung erbringen. Liegt die Vorleistung des Schuldners etwa in der Lieferung von Ware, muss dessen Vertragspartner die darauf noch ausstehende (Teil-)Zahlung leisten.154 Hat der Schuldner demgegenüber Ware gekauft und hierauf eine Anzahlung geleistet, darf der Vertragspartner die Anzahlung grundsätzlich behalten, muss aber eine deren Wert entsprechende Leistung an die Insolvenzmasse (= Lieferung von Ware) erbringen.155 Der Masse ist hiermit aber nur scheinbar gedient. Gerade in Fällen, in denen es nicht zu einer Betriebsfortführung kommt, bleibt dem Insolvenzverwalter nichts anderes übrig, als die erhaltene Leistung (Ware) durch Weiterverkauf zu verwerten. Unabhängig von dem damit verbundenen – oftmals Kosten auslösenden – Aufwand, lässt sich ein solcher Abverkauf schon der Natur der Sache nach meist nur mit Abschlägen realisieren, die den tatsächlichen Wert des Rückgewähranspruchs für die Insolvenzmasse weiter schmälern. Der BGH nimmt daher an, dass der Insolvenzmasse ausnahmsweise ein Anspruch auf Geld zusteht, wenn das Interesse des Verwalters an der noch ausstehenden Leistung des Vertragspartners entfallen ist.156
61b
149 Vgl. zuletzt BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, MDR 2013, 1134 = ZIP 2013, 526 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot, NZI 2013, 296. 150 BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, MDR 2013, 1134 = ZIP 2013, 526 = EWIR 2013, 351 m. Anm. Tintelnot, NZI 2013, 296. 151 MünchKommInsO/Ganter, 4. Aufl. 2019, § 47 Rz. 72; Huber, NZI 2004, 57, 62. 152 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 186 f.; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 103 Rz. 69 m.w.N. 153 BGH v. 17.12.2009 – IX ZR 214/08, EWIR 2010, 187 m. Anm. Plagemann = MDR 2010, 466 = ZIP 2010, 238, NZI 2010, 180; ausführlich zum Ganzen: Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 206 ff. 154 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 32. 155 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 34; Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 209. 156 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, ZIP 2003, 1208 = EWIR 2003, 819 m. Anm. Gundlach/Schmidt = MDR 2003, 1136 = NZI 2003, 491; in diesem Sinne wohl auch: MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 34, kritisch insoweit Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 204 ff.; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 186 ff.
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§ 11 Rz. 61c | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 61c
Diese für teilbare Leistungen entwickelte Rechtsprechung lässt sich auf den Fall einer unteilbaren Gegenleistung des Vertragspartners nicht unmittelbar übertragen. Bork spricht sich mit Blick auf die Unmöglichkeit einer nur teilweisen Gegenleistung durch den Vertragspartner des Schuldners dafür aus, in diesem Fall der Insolvenzmasse ausnahmsweise einen Anspruch auf Rückgewähr der Vorleistung in Geld gemäß § 326 Abs. 4 BGB zuzubilligen.157 Das ist zweifellos interessengerecht. Nahezu ohne Bedeutung dürfte in diesem Fall auch sein, dass der Erfüllungsanspruch des Vertragspartners des Insolvenzschuldners ohne von diesem veranlassten Umgestaltungsakt gleichwohl nach Verfahrensaufhebung seine Durchsetzbarkeit wiedererlangt und wieder gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden kann. Berücksichtigt man, dass juristische Personen ebenso wie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit regelmäßig mit Eintritt der Insolvenz aufgelöst werden, dürfte es in der Praxis kaum wahrscheinlich sein, dass es nach Beendigung des Verfahrens noch zu einem Leistungsaustausch kommt. Bei einem Insolvenzplanverfahren oder wenn der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt hat, gilt ohnehin anderes.158 Die Wirkungen des Insolvenzplanverfahrens und des Restschuldbefreiungsverfahrens erstrecken sich auch auf Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben (§§ 254b, 301 InsO). Soweit die Forderungen als erlassen gelten, sind sie zwar nicht erloschen, bestehen indes nur noch als natürliche, unvollkommene Verbindlichkeiten fort, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann.159
62
Eine Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO gegenüber dem Rechtsschutzversicherer, die weitere Erfüllung des Vertrages abzulehnen, lässt dessen Gefahrtragungspflicht für vergangene Versicherungsperioden nicht entfallen, wenn für den zurückliegenden Zeitraum die Versicherungsprämien geleistet worden sind.160
63
Wegen der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens enthält die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags gleichzeitig auch den Widerruf des Bezugsrechts.161 Eine Klausel in den AVB Warenkreditversicherung, wonach der Anspruch auf eine Mindestprämie bei einer Vertragsbeendigung unberührt bleibt, verstößt im Falle der Kündigung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 103 Abs. 1 InsO gegen § 119 InsO und ist daher unwirksam.162
63a
Im Gegensatz zur KO sieht die InsO den Fortbestand von Miete und Pacht nur noch vor, soweit diese unbewegliche Gegenstände oder Räume betreffen. Die Entscheidung über die Fortführung des Lizenzvertrages liegt damit in der Hand des Insolvenzverwalters.163 Der Lizenznehmer hat jedoch ein erhebliches Interesse daran, sich das eingeräumte Nutzungsrecht auch in der Insolvenz seines Vertragspartners zu erhalten und die vereinbarten Nutzungen weiterhin vornehmen zu können.164 In der Insolvenz des Lizenznehmers gilt folgendes: Im Eröffnungsverfahren ist § 112 InsO zu beachten.165 Nach Insolvenzeröffnung gilt § 103 InsO. Wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages wählt, kann er das Nutzungsrecht zugunsten der Masse verwerten, andernfalls entfällt es mit der Folge der Rückgabepflicht an den Lizenzgeber.166
157 Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 208. 158 Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Auflage 2020, § 34 Rz. 44. 159 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271 = MDR 2011, 1074 = NZI 2011, 538; HK-InsO/Waltenberger, 9. Aufl. 2018, § 301 Rz. 1. 160 OLG Karlsruhe v. 7.3.2002 – 12 U 290/01, VersR 2002, 1143 = NZI 2002, 316. 161 OLG Köln v. 20.12.2000 – 5 U 116/00, VersR 2002, 299 = ZInsO 2002, 534. 162 AG Hamburg v. 19.10.2004 – 316 C 252/04, ZInsO 2005, 502. 163 Vgl. Groh, ZInsO 2019, 925, 925; Huber/Riewe, ZInsO 2006, 290, 291. 164 Ausführlich hierzu Groh, ZInsO 2019, 925, 925; Huber/Riewe, ZInsO 2006, 290, 291. 165 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 76. 166 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 76.
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II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 63a § 11
In der Insolvenz des Lizenzgebers gilt folgendes: Im Falle der Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter wird der Vertrag fortgesetzt und der andere Teil hat einen Erfüllungsanspruch gegen die Masse.167 Ein Wahlrecht hat der Insolvenzverwalter nur, wenn der Lizenzvertrag noch nicht vollständig erfüllt ist. Ob Erfüllung vorliegt, ist anhand der Art des Lizenzvertrages und seiner Rechtsnatur zu beurteilen.168 Der gesetzlich nicht geregelte Lizenzvertrag wird von der Rechtsprechung169 und Literatur170 grundsätzlich entsprechend der Rechtspacht (§ 581 BGB) als Dauernutzungsvertrag i.S.d. §§ 108, 112 InsO eingeordnet. Da kein unbewegliches Vermögen betroffen ist, eröffnen derartige Nutzungsverträge für den Insolvenzverwalter einer jeden Vertragspartei jedoch ein Wahlrecht nach § 103 InsO, falls sie im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung beiderseits noch nicht vollständig erfüllt waren.171 Bei einem Lizenzvertrag in Form der Rechtspacht, bei dem der Lizenzgeber in der Regel für einen bestimmten Zeitraum Nutzungsgewährung und der Lizenznehmer periodische Zahlungen schuldet, werden daher – solange die Vertragslaufzeit nicht abgelaufen ist – diese wechselseitigen Pflichten nicht vollständig erfüllt sein.172 Etwas anderes kann aber gelten, wenn der Lizenzvertrag als Rechtskauf i.S.v. § 453 BGB einzuordnen ist und die wechselseitig geschuldeten Leistungen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits abschließend ausgetauscht sind (vgl. Rz. 63h).173 Im Falle des Lizenzkaufs ist der Lizenzvertrag i.S.v. § 103 InsO in der Regel beiderseits vollständig erfüllt, wenn die gegenseitigen Hauptleistungspflichten ausgetauscht sind, also der Lizenzgeber die Lizenz erteilt und der Lizenznehmer den Kaufpreis gezahlt hat.174 Die Problematik in der Insolvenz des Lizenzgebers besteht, wenn der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung des Lizenzvertrages wählt bzw. sich gar nicht erklärt. In diesem Falle sind die gegenseitigen Erfüllungsansprüche suspendiert und der Lizenznehmer kann sich am Insolvenzverfahren grundsätzlich nur durch Anmeldung seiner Nichterfüllungsforderung beteiligen.175 Wählt der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung eines Lizenzvertrages,176 wird zum Teil vertreten, dass damit – analog § 9 VerlG – die ausschließliche Lizenz erlischt.177 Dies wird u.a. mit der vergleichbaren Interessenlage im Urheber- und Verlagsrecht begründet.178 Ferner soll der über das Vermögen
167 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 76. 168 Groh, ZInsO 2019, 925, 927 m.w.N. 169 BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 = MDR 2016, 221 = IPRB 2016, 29 = GRUR 2016, 201 ff.; BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/0, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 744, NJW 2006, 915 ff. 170 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 76; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rz. 38; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 103 Rz. 24. 171 BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 = MDR 2016, 221 = IPRB 2016, 29 = GRUR 2016, 201 ff. 172 Vgl. hierzu Groh, ZInsO 2019, 925, 927 m.w.N. 173 Vgl. hierzu Groh, ZInsO 2019, 925, 927 m.w.N. 174 BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 = MDR 2016, 221 = IPRB 2016, 29 = GRUR 2016, 201 ff. m.w.N. 175 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 76; Groh, ZInsO 2019, 925, 925. 176 Zum Schicksal der Insolvenz der Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers jüngst Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 878 ff.; Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 ff.; Fischer, WM 2013, 821; von Wilmowsky, NZI 2013, 377 ff.; Berger, GRUR 2013, 321 ff.; Brinkmann, NZI 2012, 735 ff.; Bullinger/Hermes, NZI 2012, 492; Marotzke, ZInsO 2012, 1737 ff.; McGuire, GRUR 2012, 657 ff.; Pleister/Wündisch, ZIP 2012, 1792 ff.; Wimmer, ZIP 2012, 545, 551 ff. 177 LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, EWIR 2004, 767 m. Anm. Beyerlein = CR 2004, 811 m. Anm. Grützmacher = ITRB 2005, 131 = ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; v. Frentz/Marrder, ZUM 2003, 94, 101; a.A. Wallner, NZI 2002, 70, 74; Abel, NZI 2003, 111, 126; Stickelbrock, WM 2004, 549, 559. 178 LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, EWIR 2004, 767 m. Anm. Beyerlein = CR 2004, 811 m. Anm. Grützmacher = ITRB 2005, 131 = ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479.
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§ 11 Rz. 63a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen einer Lizenzgeberin bestellte Insolvenzverwalter wegen der Vorschrift des § 119 InsO die Erfüllung des Lizenzvertrags selbst dann ablehnen können, wenn die Vertragsparteien zuvor vereinbart hatten, dass die ausschließliche Lizenz als Sacheinlage der Lizenznehmerin „durch den Einbringenden bzw. Eigentumsnachfolger nicht wieder entzogen“ werden kann.179 63b
Dagegen spricht schon, dass die Erfüllungsablehnung nur die Undurchsetzbarkeit für die Dauer des Insolvenzverfahrens manifestiert. Entgegen dem Wortlaut von § 9 VerlG erlischt der Lizenzvertrag nicht. Infolge der Undurchsetzbarkeit besteht das Nutzungsrecht aber nicht mehr, da die Lizenz nur aus einem durchsetzbaren Lizenzvertrag abgeleitet werden kann: Die Nutzung der Lizenz erfolgt „nur aufgrund des dazugehörigen und mit den Lizenzen untrennbar verbundenen schuldrechtlichen Vertrages“.180 Dem Vertragspartner der Insolvenzschuldnerin steht in der Folge allein der zur Insolvenztabelle anzumeldende Schadensersatzanspruch nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO zu.
63c
Wegen dieser Folge stellt sich die Frage, ob für einen Lizenznehmer die Möglichkeit besteht, eine insolvenzfeste Lizenz zu erhalten.181 Zum Teil wird in der Literatur vertreten § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO sei auf Lizenzverträge analog anwendbar.182 Der BGH hat aber schon in einer Entscheidung Ende 2005 eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO mit der kurzen Begründung abgelehnt, Gegenstand von Lizenzverträgen sei kein unbewegliches Vermögen.183
63d
Der Gesetzgeber stuft die ungünstige Stellung des Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers insoweit zwar als problematisch ein. Demnach drohen gesamtwirtschaftliche Nachteile.184 Eine Gesetzesänderung konnte aber bisher nicht durchgesetzt werden. Am 29.6.2007 hatte das BMJV in einer Pressemitteilung angekündigt, einen Regelungsvorschlag zum besseren Schutz der berechtigten Interessen des Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers vorzulegen. Es lag sogar ein Regierungsentwurf185 zur Einführung eines neuen § 108a InsO vor. Dieser sah eine sog. Fortbestandslösung vor, d.h. der Lizenzvertrag über ein Recht am geistigen Eigentum hätte mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestanden.186 Das Vorhaben ist jedoch im Entwurfsstadium stecken geblieben. In 2012 hat der Gesetzgeber einen erneuten Vorstoß gewagt. Entgegen dem Regierungsentwurf 2007 wollte der Gesetzgeber das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht beschränken, sondern den Lizenzvertrag diesem weiterhin unterstellen und dem Lizenznehmer einen Anspruch auf einen Neuabschluss des Lizenzvertrags gewähren (sog. Neuverhandlungslösung). Aber auch dieser Gesetzesentwurf wurde nicht umgesetzt.
63e
Die Rechtsprechung hatte sich in den letzten Jahren mit teils sehr speziellen Fallkonstellationen auseinanderzusetzen. In folgenden Fällen ist die Rechtsprechung von insolvenzfesten Lizenzen ausgegangen: In seinem Urteil zum Softwarenutzungsrecht187 hatte der BGH über folgenden Fall zu entscheiden: Die Parteien hatten eine aufschiebend bedingte Übertragung sämtlicher Nutzungsrechte an einer Soft179 LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, EWIR 2004, 767 m. Anm. Beyerlein = CR 2004, 811 m. Anm. Grützmacher = ITRB 2005, 131 = ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479. 180 KG v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, ZIP 2012, 990, NZI 2012, 759. 181 Vgl. OLG München v. 25.7.2013 – 6 U 541/12, EWIR 2013, 585 m. Anm. Bensinger = ZIP 2013, 1734 = NZI 2013, 899; dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 878. 182 Fezer, WRP 2004, 793, 803; Koehler/Ludwig, WRP 2006, 1342; Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79, 82; a.A. Abel, NZI 2003, 121, 127; McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682, 692; Brinkmann, NZI 2012, 735, 739. 183 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74, NZI 2006, 229, 230. 184 Begr. RefE v. 7.12.2011, S. 39. 185 RegE eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen. 186 Zum § 108a InsO-E 2007 vgl. Dahl in der 2. Aufl. dieses Buchs; Slopek, GRUR 2009, 128, 130 ff.; McGuire, GRUR 2009, 13, 18 f. 187 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74 = NJW 2006, 915 ff.
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II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 63f § 11
ware für den Fall vereinbart, dass der Lizenznehmer den Lizenzvertrag wegen Unzumutbarkeit fristlos kündigt. Im Gegenzug sollte der Lizenznehmer an den Lizenzgeber eine einmalige Vergütung in Höhe der Umsätze der letzten 6 Monate vor Ausspruch der Kündigung zahlen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Lizenzgebers erklärte dessen Insolvenzverwalter den Nichteintritt in den Lizenzvertrag gemäß § 103 InsO, woraufhin der Lizenznehmer den Lizenzvertrag kündigte und Übertragung der Software an sich verlangte. Der BGH entschied, dass die Nutzungsrechte nicht in die Insolvenzmasse fielen, da sie bereits vor der Insolvenzeröffnung aufschiebend bedingt an den Lizenznehmer übertragen worden seien.188 Im Ergebnis hatte der Lizenznehmer auf diesem Wege also eine insolvenzfeste Lizenz an der Software erhalten.189 Der BGH hat hier für einen Softwarelizenzvertrag, mit dem eine ausschließliche Lizenz vergeben wurde, eine – etwas umständlich anmutende – Konstruktion vor § 119 InsO bestehen lassen.190 Dieses Urteil wurde teilweise als ein „wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen“191 angesehen. In seinen Entscheidungen „Reifen Progressiv“,192 „Take Five“193 und „M2Trade“194 hatte sich der BGH mit dem Schicksal von urheberrechtlichen Unterlizenzen beim Wegfall der Hauptlizenz zu beschäftigen. In allen drei Entscheidungen führte der BGH aus, dass das Erlöschen der Hauptlizenz grundsätzlich über die Fälle des § 41 UrhG hinaus auch bei Kündigung und Aufhebung der Hauptlizenz nicht zum Erlöschen der Unterlizenzen führe.195 Die Entscheidungen des I. Zivilsenats des BGH196 betrafen ausschließlich Kettenlizenzen und hatten nur am Rande einen insolvenzrechtlichen Bezug. Nach Ansicht des BGH schlägt das Erlöschen der Hauptlizenz nicht auf die davon abhängige Unterlizenz durch. Daraus wird zum Teil abgeleitet, Unterlizenzverträge seien insolvenzfest.197 Gegen diese Ansicht bestehen aber grundlegende Bedenken. Zunächst behandelt keine der drei Entscheidungen die Folgen der Undurchsetzbarkeit des Lizenzvertrags infolge der Nichterfüllungswahl des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO. Überdies sind die Entscheidungen im Kern zum Urheberrecht ergangen. Die gefundenen Ergebnisse und die Argumentation lassen sich nicht ins Insolvenzrecht übertragen.198
188 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74 = NJW 2006, 915 ff. 189 Ausführlich hierzu Groh, ZInsO 2019, 925, 929. 190 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74 = NZI 2006, 229; vgl. hierzu Bärenz, EWiR 2006, 119; Huber, ZInsO 2006, 290 ff.; kritisch Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79, 80. 191 So Berger, NZI 2006, 380, 383. 192 BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, MDR 2009, 1291 = CR 2009, 767 = ITRB 2010, 4 = ZUM 2009, 852 ff. 193 BGH v. 19.7.2012 − I ZR 24/11, CR 2012, 575 = EWIR 2012, 639 m. Anm. Lutz = ZIP 2012, 1671 = MDR 2012, 1111 = ITRB 2012, 194 = NJW-RR 2012, 1127 ff. 194 BGH v. 19.7.2012 − I ZR 70/10, CR 2012, 572 = EWIR 2012, 637 m. Anm. Vosberg/Klawa = ZIP 2012, 1561 = MDR 2012, 1111 = ITRB 2012, 196 = IPRB 2012, 200 = GRUR 2012, 916 ff. 195 Ausführlich hierzu Groh, ZInsO 2019, 925, 929. 196 BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, MDR 2009, 1291 = CR 2009, 767 = ITRB 2010, 4 = NJW-RR 2010, 186 (Reifen Progressiv); BGH v. 19.7.2012 – I ZR 70/1, CR 2012, 572 = EWIR 2012, 637 m. Anm. Vosberg/Klawa = M, CR 2012, 575 = EWIR 2012, 639 m. Anm. Lutz = MDR 2012, 1111 = ITRB 2012, 194 = DR 2012, 1111 = ITRB 2012, 196 = IPRB 2012, 2000 = ZIP 2012, 1561 (M2Trade); BGH v. 19.7.2012 – I ZR 24/11, ZIP 2012, 1671 (Take Five); dazu ausführlich Marotzke, ZInsO 2012, 1737; Meyer-van Raay, NJW 2012, 3691 ff. 197 Unter Verweis auf den vom BGH zur Begründung herangezogenen Sukzessionschutz Frentz/Masch, ZUM 2012, 886; Klawitter, GRUR-Prax 2012, 427 f.; Malitz/Coumont, InsVZ 2010, 83, 86. 198 Ausführlich Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032, 1035 f.; Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Vosberg/Klawa, EWiR 2012, 637, 638.
Dahl | 969
63f
§ 11 Rz. 63g | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 63g
Die Entscheidungen des KG,199 des LG München I200 sowie des OLG München201 betrafen Kreuzlizenzverträge. Dies sind Verträge, bei denen sich zwei oder mehr Parteien gegenseitig Lizenzen einräumen.202 Die Gerichte sind in beiden Entscheidungen zu dem Schluss gekommen, dass § 103 InsO grundsätzlich auf Lizenzverträge Anwendung findet, aber unter Umständen tatbestandlich ausgeschlossen sein kann. Bei Kreuzlizenzverträgen kann durch die gegenseitige, dauerhafte und unwiderrufliche Lizenzgewährung frühzeitig Erfüllung eintreten, so dass § 103 InsO nicht mehr anwendbar ist.
63h
In seiner Entscheidung „Ecosoil“203 aus dem Jahr 2015 führte der BGH aus, dass ein Lizenzvertrag im Falle eines Lizenzkaufs regelmäßig vollständig erfüllt (§ 103 Abs. 1 InsO) und damit insolvenzfest ist, wenn die gegenseitigen Hauptleistungen erbracht sind, also der Lizenzgeber die Lizenz erteilt und der Lizenznehmer den Kaufpreis gezahlt hat. Gegenstand dieser Entscheidung war – anders als bei den zuvor genannten BGH-Urteilen – ein gewerbliches Schutzrecht (Marke), sodass die Frage, ob die urheberrechtliche Rechtsprechung aufgrund der Besonderheiten im Urheberrecht auf gewerbliche Schutzrechte übertragen werden kann, sich nicht stellte.204 Jedoch bildet auch diese Entscheidung nur einen sehr speziellen Einzelfall ab, nämlich die eher seltene Konstellation des Lizenzkaufs. Auch aus dieser Entscheidung lassen sich somit keine Aussagen dazu entnehmen, wie sich die Lizenz des Lizenzgebers bei auf Dauer angelegten Lizenzverträgen auswirkt.205
63i
Wider Erwarten ist der § 108a InsO-E mit dem Regierungsentwurf vom 12.7.2012 aus dem Novellierungsvorhaben herausgenommen worden. Es ist anzunehmen, dass das Bundeskabinett vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des I. Senat des BGH zu Lizenzen, insbesondere der Entscheidung in Sachen „M2Trade“, von der Einführung des § 108a InsO-E Abstand genommen hat. Dementsprechend hat es am 28.7.2012 nur den verkürzten „Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ beschlossen. Die neuere Rechtsprechung des BGH und der Instanzgerichte hat wohl nach Ansicht des Gesetzgebers – fälschlicherweise206 – eine gesetzliche Novellierung überflüssig gemacht207:
63j
Aus den vorgenannten Entscheidungen können keine absoluten Grundsätze für das Schicksal der Lizenz in der Insolvenz abgeleitet werden. Der Entwurf zeigt, dass der Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass Lizenzverträge insolvenzfest sind.208 De lege lata muss im Einzelfall209 geprüft werden, ob die Voraussetzungen von § 103 InsO vorliegen oder beispielsweise bereits Erfüllung eingetreten ist. Entgegen der zum Teil vertretenen Ansicht210 gibt die (ausschließliche) Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers auch kein Aussonderungsrecht211 (zur Aussonderungskraft von Lizenzen und sonstigen Rechten vgl. § 10 Rz. 44c). 199 KG v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, ZIP 2012, 990 = NZI 2012, 759. 200 LG München I v. 9.2.2012 – 7 O 1906/11, ZIP 2012, 1770 = GRUR-RR 2012, 142. 201 OLG München v. 25.7.2013 – 6 U 541/12, EWIR 2013, 585 m. Anm. Bensinger = ZIP 2013, 1734 = GRUR 2013, 1125. 202 Ganter, NZI 2011, 833, 840; Brinkmann, NZI 2012, 735, 740. 203 BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 = MDR 2016, 221 = IPRB 2016, 29 = GRUR 2016, 201 ff. 204 Groh, ZInsO 2019, 925, 930. 205 Groh, ZInsO 2019, 925, 930. 206 Ausführlich Freier, NZI 2016, 857 ff. 207 Ausführlich Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 ff. 208 McGuire, GRUR 2012, 657, 661. 209 Zu den verschiedenen Lizenzarten Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032, 1033 ff. 210 Bausch, NZI 2005, 289; Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79, 82; Hirte/Knopf, JZ 2011, 889; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 76. 211 Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032, 1038; ausführlich McGuire, GRUR 2012, 657, 659 m.w.N; Groh, ZInsO 2019, 925, 926.
970 | Dahl
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO | Rz. 63l § 11
Insofern kann die Insolvenzfestigkeit von Lizenzen allenfalls durch Vertragsgestaltung erreicht werden. Dabei ist jedoch stets die Vorschrift des § 119 InsO zu beachten. Das dem Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO zustehende Wahlrecht darf weder ausdrücklich noch faktisch ausgeschlossen werden.
63k
Einen möglichen Weg hat der BGH in der Entscheidung Softwarenutzungsrecht212 aufgezeigt (siehe Rz. 63e). Problematisch ist hierbei jedoch, dass dieses Modell den Lizenznehmer dazu zwingt, den Preis für die Nutzung der Lizenz mit Ausübung der Kündigung vorab und nicht über den Nutzungszeitraum verteilt zu leisten.213 Dies wird für den Lizenznehmer in der Praxis regelmäßig kaum möglich sein. Zudem wird auch kaum ein Lizenzgeber – allenfalls in Konzernstrukturen – bereits bei Vertragsschluss bereit sein, sein Schutzrecht aufschiebend auf den Lizenzgeber zu übertragen.214 Außerdem bestehen bei diesem Vertrags-Modell trotz der ausdrücklichen Verneinung des BGH215 nicht unerhebliche Bedenken in Bezug auf den Umgehungstatbestand des § 119 InsO.216 Denkbar ist auch die Insolvenzfestigkeit der Lizenz durch Lizenzketten herbeizuführen.217 Denn in seinen Entscheidungen „Reifen Progressiv“,218 „Take Five“219 und „M2Trade“220 ist der BGH jeweils zu dem Ergebnis gelangt, dass das Erlöschen der Hauptlizenz grundsätzlich über die Fälle des § 41 UrhG hinaus auch bei Kündigung und Aufhebung der Hauptlizenz nicht zum Erlöschen der Unterlizenzen führe221 (siehe Rz. 63f). Allerdings hat der BGH die Insolvenzfestigkeit der Unterlizenz in den vorgenannten Entscheidungen nicht uneingeschränkt angenommen, sondern hat sie von einer Interessenabwägung abhängig gemacht.222 Dient die Bildung der Lizenzkette allein der Ausschaltung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO, könnte die Rechtsprechung die Interessenabwägung auch zugunsten des Insolvenzverwalters durchführen.223 Außerdem lässt sich die urheberrechtliche Rechtsprechung nicht ohne Weiteres auf die gewerblichen Schutzrechte übertragen.224 Einige Stimmen in der Literatur sehen einen sinnvollen Ausweg für den Lizenznehmer auch darin, dass dieser sich Sicherheiten an dem lizenzierten Schutzrecht einräumen lässt. Diskutiert225 werden beispielsweise ein Pfandrecht zur Sicherung des Schadensersatzanspruchs aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO bzw. eine Sicherungsabtretung226 sowie ein Sicherungsnießbrauch.227 Gegen die Zulässigkeit derartige Vereinbarungen bestehen jedoch wegen § 119 InsO erhebliche Bedenken.228 Insbesondere dürfte die Einräumung einer Sicherheit für den Schadensersatzanspruch aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO gegen 212 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74 = NJW 2006, 915 ff. 213 Groh, ZInsO 2019, 925, 930; Freier, NZI 2016, 857, 858; Seegel/Remmertz/Kast, ZInsO 2015, 1993, 1994. 214 Groh, ZInsO 2019, 925, 930; Seegel/Remmertz/Kast, ZInsO 2015, 1993, 1994. 215 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74 = NJW 2006, 915 ff. 216 Groh, ZInsO 2019, 925, 930; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 119 Rz. 26. 217 Freier, NZI 2016, 857, 858. 218 BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, MDR 2009, 1291 = CR 2009, 767 = ITRB 2010, 4 = ZUM 2009, 852 ff. 219 BGH v. 19.7.2012 − I ZR 24/11, CR 2012, 575 = EWIR 2012, 639 m. Anm. Lutz = ZIP 2012, 1671 = MDR 2012, 1111 = ITRB 2012, 194 = NJW-RR 2012, 1127 ff. 220 BGH v. 19.7.2012 − I ZR 70/10, CR 2012, 572 = EWIR 2012, 637 m. Anm. Vosberg/Klawa = ZIP 2012, 1561 = MDR 2012, 1111 = ITRB 2012, 196 = IPRB 2012, 200 = GRUR 2012, 916 ff. 221 Ausführlich hierzu Groh, ZInsO 2019, 925, 929. 222 Groh, ZInsO 2019, 925, 931 m.w.N. 223 Groh, ZInsO 2019, 925, 931 m.w.N. 224 Groh, ZInsO 2019, 925, 931 m.w.N. 225 Überblick bei Dahl/J. Schmitz, NZI 2007, 626, 627 f. 226 Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 830, 831 f. 227 Berger, GRUR 2004, 20. 228 Groh, ZInsO 2019, 925, 931.
Dahl | 971
63l
§ 11 Rz. 63l | Beratung bei gegenseitigen Verträgen § 119 InsO verstoßen. Ebenso ist die Gefahr der Anfechtbarkeit zu beachten. Darüber hinaus ist der praktische Nutzen der genannten Sicherheiten im Insolvenzfall fraglich.229 Nicht zuletzt muss bezweifelt werden, ob sich ein Lizenzgeber überhaupt auf solche Sicherungsvereinbarungen einlässt,230 insbesondere bei nicht ausschließlichen Lizenzen. Es bleibt damit festzuhalten, dass die Frage der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen nach wie vor nicht vollständig gelöst ist und einer gesetzlichen Regelung bedarf.
6. Praxistipp/Musterschreiben 64
Bevor der Insolvenzverwalter eine Entscheidung darüber trifft, ob er Vertragserfüllung wählt oder die Erfüllung ablehnt, ist er gehalten, die Auswirkungen seiner Entscheidung eingehend im Hinblick auf die Vorteilhaftigkeit für die Insolvenzmasse zu prüfen, wobei er auch die steuerlichen Folgen bedenken muss.231 Gerade bei umfangreichen Vertragsverhältnissen kann dies schwierig und entsprechend zeitaufwendig sein. Wahlrechtsausübungen, die offenkundig und für den Vertragspartner erkennbar den Interessen der Insolvenzgläubiger zuwiderlaufen, sind wegen evidenter Insolvenzzweckwidrigkeit unwirksam.232
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Ist der Vertragspartner demgegenüber daran interessiert, möglichst zügig Klarheit über den weiteren Verlauf des Vertragsverhältnisses zu erhalten, sollte er die ihm in § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO eingeräumte Möglichkeit nutzen und den Verwalter unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auffordern, sich unverzüglich darüber zu erklären, ob er die Erfüllung verlangen will.
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M 11 Musterschreiben für den Insolvenzverwalter bei Erfüllungswahl Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00.00.00 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XYZ eröffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Nach den mir vorliegenden Geschäftsunterlagen besteht zwischen der Schuldnerin und Ihnen der anliegend beigefügte Vertrag über die Lieferung von (Vertragsgegenstand bezeichnen). Gemäß §§ 103, 105 InsO verlange ich für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Erfüllung des bestehenden Vertrages. Ich mache darauf aufmerksam, dass Ansprüche auf die Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können und zur Insolvenztabelle anzumelden sind. Mit freundlichen Grüßen
229 Vgl. Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677, 680 f.; McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682, 695; Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 830, 832 f. 230 Vgl. Bausch, NZI 2005, 289; Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677, 681. 231 Vgl. dazu BFH v. 22.10.2009 – V R 14/08, UR 2010, 268 = EWIR 2010, 227 m. Anm. Kahlert = ZIP 2010, 383 = StBW 2010, 209 = UStB 2010, 102 = NZI 2010, 272. 232 BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 66/07, EWIR 2009, 417 m. Anm. Dahl = MDR 2009, 527 = NotBZ 2009, 175 m. Anm. Heckschen = ZIP 2009, 428 = NZI 2009, 235, 236 f.; BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884 = NotBZ 2008, 234 = EWIR 2008, 471 m. Anm. Schulz = MDR 2008, 824 = NZI 2008, 265.
972 | Dahl
III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO | Rz. 69 § 11
M 12 Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO
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Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantschaft besteht der ebenfalls anliegende Vertrag über die Lieferung von (Bezeichnung des Vertragsgegenstandes). Die Ware wurde dem Schuldner bereits teilweise von meiner Mandantschaft am 00.00.00 geliefert und von diesem auch bereits teilweise bezahlt. Im Hinblick auf die noch ausstehende weitere Vertragsabwicklung fordert meine Mandantschaft Sie gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO auf, sich in Ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter unverzüglich darüber zu erklären, ob Erfüllung verlangt wird. Mit freundlichen Grüßen
III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO 1. Allgemeines/Normzweck § 104 InsO ist eine Ausnahmeregelung (lex specialis) zu § 103 InsO. Der Insolvenzverwalter hat kein Wahlrecht, sondern die gegenseitigen Erfüllungsansprüche wandeln sich mit Eröffnung in Abrechnungspositionen um (sog. Liquidationsnetting oder close-out-netting).233 Die Norm wurde durch das „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung“ vom 22.12.2016234 geändert und mit ihm trat die neue Fassung von § 104 InsO am 29.12.2016 in Kraft.235 Die Neufassung des § 104 InsO gilt für Insolvenzverfahren, deren Eröffnung am oder nach dem 29.12.2016 beantragt wurde.236
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Nach Art. 105a Abs. 1 EGInsO ist auf Insolvenzverfahren, die vor dem 10.6.2016 beantragt worden sind, ist § 104 InsO in der bis dahin geltenden Fassung anzuwenden. Nach Art. 105a Abs. 2 EGInsO ist auf Insolvenzverfahren, die nach dem 10.6.2016 und vor dem 29.12.2016 beantragt worden sind, ist § 104 InsO in der bis dahin geltenden Fassung anzuwenden. Anlass für die Änderung des § 104 InsO war das Urteil des BGH vom 9.6.2016,237 nach dem Vereinbarungen zur Abwicklung von Finanzmarktkontrakten unwirksam sind, soweit sie für den Fall der Insolvenz einer Vertragspartei Rechtsfolgen vorsehen, die von § 104 InsO a.F. abweichen. Von dem Urteil sind die im Finanzmarkt üblichen Rahmenvertragsmuster für die Zusammenfassung und Ab233 Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 104 Rz. 1; BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 1. 234 Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 22.12.2016 – Bundesgesetzblatt Teil I 2016 Nr. 65, 28.12.2016, S. 3147. 235 Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 22.12.2016 – Bundesgesetzblatt Teil I 2016 Nr. 65, 28.12.2016, S. 3147; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 41. 236 Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 22.12.2016 – Bundesgesetzblatt Teil I 2016 Nr. 65, 28.12.2016, S. 3147; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 41. 237 BGH v. 9.6.2016 – IX ZR 314/14, EWIR 2016, 535 m. Anm. Hartmann = ZIP 2016, 1226 m. Anm. Paulus = AG 2016, 538 = MDR 2016, 911 = ZinsO 2016, 1299.
Dahl | 973
69
§ 11 Rz. 69 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen wicklung von Finanzmarktkontrakten und damit nahezu alle derzeit bestehenden Finanzmarktkontrakte betroffen, auf die im Insolvenzfall deutsches Insolvenzrecht anwendbar wäre.238 Um die Rechtsunsicherheit infolge dieses Urteils zu korrigieren, ist § 104 InsO „klargestellt und präzisiert“ worden, um die vom Gesetzgeber beabsichtigte bankaufsichtsrechtliche Anerkennung marktüblicher Rahmenverträge für die Abwicklung von Finanzmarktkontrakten in der Insolvenz einer Vertragspartei sicherzustellen.239 70
Als wesentliche Änderung zur bisherigen Rechtslage erlaubt es § 104 Abs. 4 InsO den Parteien nunmehr, durch vertragliche Vereinbarungen (Liquidationsnettingvereinbarungen) von den Regelungen des § 104 Abs. 1 und 2 InsO abzuweichen, solange sie innerhalb des Grundgedankens der Regelung bleiben.240 Geschützt wird nicht die Insolvenzmasse, sondern vornehmlich der Vertragspartner des Schuldners vor Unwägbarkeiten, die mit einem Wahlrecht des Insolvenzverwalters verbunden wären. Nachgeordnet geschützt ist auch die Insolvenzmasse vor Unsicherheiten über den Geschäftsverlauf und Kursspekulationen des Insolvenzverwalters.241
2. Fixgeschäfte a) Tatbestandsvoraussetzungen 71
§ 104 Abs. 1 InsO setzt einen Liefervertrag voraus, der bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllt ist. Liegt es anders, so gelten die allgemeinen Regeln: Hat der Vertragspartner bereits vollständig geleistet, so kann er seinen Anspruch auf die Gegenleistung zur Insolvenztabelle anmelden; hat der Schuldner seine Leistung bereits vollständig erbracht, so hat der Vertragspartner seine Gegenleistung in die Insolvenzmasse zu erbringen.
72
Gegenstand des Liefervertrages müssen Waren sein. Der Begriff der Waren, der früher in § 1 Abs. 2 Nr. 1 HGB gesetzlich definiert war, umfasst bewegliche Sachen und körperliche Gegenstände, nicht aber Forderungen und Rechte.242
73
Die Waren müssen einen Markt- oder Börsenpreis haben, es muss sich also um vertretbare Sachen i.S. des § 91 BGB handeln. Der Begriff des Marktpreises ist weit auszulegen, wobei es genügt, wenn sich der Preis durch Durchschnittsberechnungen oder Sachverständigengutachten ermitteln lässt.243 Erforderlich ist allerdings, dass die Ware zu diesem Preis tatsächlich in nennenswertem Umfang gehandelt wird, weil nur dann gewährleistet ist, dass sich die Vertragspartner tatsächlich am Markt zu einem objektiv feststellbaren Preis neu eindecken können.244
238 Begr. RegE § 104 Abs. 4 InsO-E BT-Drs. 18/9983. 239 BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 1; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 104 Rz. 2; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 5 ff. 240 Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 104 Rz. 1; ausführlich hierzu BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 1a ff.; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 4, 34. 241 Begr. RegE § 104 Abs. 4 InsO-E BT-Drs. 18/9983; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104, Rz. 5 ff.; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 1; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104, Rz. 43 ff. 242 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 3; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 104 Rz. 6; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 100; Uhlenbruck/ Knof, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 33. 243 Bosch, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, S. 1009, 1023; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 36; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 106 f. 244 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 104 Rz. 15 m.w.N.
974 | Dahl
III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO | Rz. 79 § 11
Schließlich muss es sich um ein Fixgeschäft i.S.d. §§ 323 Abs. 2 Ziff. 2 BGB, 376 HGB handeln. Wesensmerkmal solcher Fixgeschäfte ist die Vereinbarung einer Lieferung „genau“ zu einer „fest“ bestimmten Zeit oder innerhalb einer „fest“ bestimmten Frist. Die Bestimmung des Liefertermins oder der Lieferfrist muss nach dem Willen der Parteien also so wesentlich sein, dass der Vertrag mit der Einhaltung oder Versäumung des Termins bzw. der Frist steht oder fällt.245
74
b) Rechtsfolgen Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt ein i.S.d. § 104 Abs. 1 InsO von beiden Seiten noch nicht vollständig erfülltes Fixgeschäft von Gesetzes wegen und die beiderseitigen Erfüllungsansprüche gehen unter.
75
Statt des Erfüllungsanspruchs entsteht eine Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Geschäfts, der nach § 104 Abs. 2 InsO berechnet wird und sowohl vom Vertragspartner als auch vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann.246 Die hierdurch herbeigeführte Umwandlung bleibt auch dann bestehen, wenn das Verfahren später wieder aufgehoben wird, weil nur auf diese Weise dem Bedürfnis des Vertragspartners nach Rechtssicherheit hinreichend Rechnung getragen wird.247
76
Gemäß § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt sich die Forderung wegen Nichterfüllung nach dem Marktoder Börsenwert des Geschäfts. Als Markt- oder Börsenwert gilt nach Nr. 1 der Markt- oder Börsenpreis für ein Ersatzgeschäft, das unverzüglich, spätestens jedoch am fünften Werktag nach der Eröffnung des Verfahrens abgeschlossen wird, oder nach Nr. 2, falls kein Ersatzgeschäft nach Nr. 1 abgeschlossen wird, der Markt- oder Börsenpreis für ein Ersatzgeschäft, das am zweiten Werktag nach der Verfahrenseröffnung hätte abgeschlossen werden können (sog. hypothetisches Ersatzgeschäft).248
77
Sofern das Marktgeschehen den Abschluss eines Ersatzgeschäfts nach § 104 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 oder 2 InsO nicht zulässt, ist nach § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO der Markt- und Börsenwert nach Methoden und Verfahren zu bestimmen, die Gewähr für eine angemessene Bewertung des Geschäfts bieten. Nach Auffassung des Gesetzgebers249 ist diese Voraussetzung insbesondere dann gegeben, wenn die relevanten Märkte inaktiv sind oder wenn die sich auf ihnen bildenden Preise die unter marktüblichen Bedingungen sich gewöhnlich bildenden Preise nicht angemessen repräsentieren.250
78
Zu den hiernach zulässigen Verfahren und Methoden gehört nach Maßgabe des Regierungsentwurfs251 in erster Linie die Ableitung des Preises aus dem Markt- oder Börsenwert anderer Geschäfte, auf die sich das fragliche Geschäft finanzmathematisch zurückführen lässt (sog. „synthetische Marktpreise“).252
79
245 BGH v. 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, BGHZ 110, 88, 96 = EWIR 1990, 1041 = MDR 1990, 537 = ZIP 1990, 237 = CR 1990, 718 = NJW 1990, 2065. 246 FK-InsO/Wimmer, 9. Aufl. 2019, § 104 Rz. 82 ff.; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 72; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 8 ff.; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 108 ff. 247 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 104 Rz. 18; Kübler/Prütting/Bork/von Wilmowsky, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 104 Rz. 16; Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Auflage 2020, § 38 Rz. 9. 248 Näher zur Berechnung FK-InsO/Ahrendt, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 5. 249 RegE BT-Drs. 18/9983, S. 16. 250 Vgl. hierzu auch MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 191; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 88 ff. 251 RegE BT-Drs 18/9983, S. 16. 252 Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 81; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 191; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 90 ff.
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§ 11 Rz. 80 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen
3. Finanzleistungen a) Tatbestandsvoraussetzungen 80
In § 104 Abs. 1 Satz 2 InsO werden sog. Finanzleistungen dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters entzogen.
81
§ 104 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt zunächst allgemein, dass dann, wenn für Finanzleistungen, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte Frist vereinbart war und die Zeit oder der Ablauf der Frist erst nach Verfahrenseröffnung eintritt, Erfüllung nicht verlangt werden kann.
82
Finanzleistungen i.S.d. § 104 Abs. 1 Satz 2 InsO sind Finanztermingeschäfte, bei denen erst zu einem hinausgeschobenen Zeitpunkt geliefert und bezahlt werden muss.253 Die Bezeichnung „Finanzleistungen“, die auch schon in § 104 aF verwendet wurde, ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Derivate- und anderen strukturierten Finanzgeschäften.254 Eine abschließende Definition des Begriffs der Finanzleistung existiert nicht und würde der dynamischen Entwicklung des Finanzmarktes und seiner Produkte nicht gerecht werden.255 Durch das Wort „insbesondere“ in § 104 Abs. 1 Satz 3 InsO wird gewährleistet, dass künftigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Finanzgeschäfte Rechnung getragen werden kann. Aus den aufgelisteten Finanzleistungen lassen sich aber bestimmte Geschäftstypen ablesen, nämlich Termingeschäfte/Futures, Optionsgeschäfte und Swaps.256
83
Finanzleistungen i.S.v. § 104 Abs. 1 Satz 2 InsO müssen, ebenso wie Warenfixgeschäfte, einen Marktoder Börsenpreis haben. Gesetzgeberischer Hintergrund ist, dass in diesen Fällen die solvente Partei dem Risiko von Preisschwankungen ausgesetzt ist und aus Sicht des Gesetzgebers die Möglichkeit haben soll, Markpreisrisiken zu steuern.257 Markt- und Börsenpreise müssen zugleich „echte“ Preise sein, zu denen eine Ersatzbeschaffung prinzipiell auch möglich wäre. Alternativ müssen sie von solchen Geschäften zumindest ableitbar sein.258
84
Im Gegensatz zu § 104 Abs. 1 Satz 1 InsO müssen bei den Finanzleistungen i.S.d. § 104 Abs. 1 Satz 2 InsO Lieferzeit und -frist nicht „genau“ und „festbestimmt“, sondern nur „bestimmt“ sein, was als Abgrenzung zu Geschäften ohne Fristbestimmung zu verstehen ist, nicht jedoch eine Beschränkung auf Fixgeschäfte darstellt.259
85
Der Katalog des § 104 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1–6 InsO dient lediglich der Klarstellung, ist jedoch nicht abschließend, um künftigen Entwicklungen Rechnung tragen zu können.260 Für Finanzdienstleistungen der § 104 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 2 und 4 InsO, die einen Bezug zu Finanzinstrumenten haben, wird in § 104 Abs. 1 Satz 4 InsO auf die dort aufgeführten Finanzmarktrichtlinien der EU abgestellt.
253 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 5. 254 MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 113. 255 Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 42; Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 104 Rz. 8; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 49. 256 Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 42. 257 MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 117. 258 MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 118; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 47. 259 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 6; Hamburger Kommentar zur InsO/ Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 104 Rz. 10; BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 29 f.; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 48. 260 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 5; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 50.
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III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO | Rz. 86 § 11
Regelbeispiele für Finanzleistungen i.S.d. § 104 Abs. 1 Satz 3 InsO sind: – Lieferung von Edelmetallen (Nr. 1). Der Begriff des Edelmetalls erfasst, wie bisher, Gold, Silber, Platin und Palladium, aber auch andere Platinmetalle wie beispielsweise Osmium, Iridium, Rhodium oder Ruthenium. Andere sehr hochwertige Rohstoffe, die ebenfalls Gegenstand von Terminoder sonstigen Derivategeschäften sein können (z.B. „seltene Erden“, Uran oder Plutonium), fallen nach derzeitigem Marktverständnis unter den Warenbegriff des § 104 Abs. 1 Satz 1 InsO und müssen daher Fixgeschäfte sein, um von § 104 InsO erfasst zu sein.261 – Lieferung von Finanzinstrumenten oder vergleichbaren Rechten (Nr. 2), soweit nicht der Erwerb einer Beteiligung an einem Unternehmen zur Herstellung einer dauernden Verbindung beabsichtigt ist,262 – Geldleistungen (Nr. 3), die in ausländischer Währung oder in einer Rechnungseinheit zu erbringen sind oder deren Höhe unmittelbar oder mittelbar durch den Kurs einer ausländischen Währung oder einer Rechnungseinheit, durch den Zinssatz von Forderungen oder durch den Preis anderer Güter oder Leistungen bestimmt wird. § 104 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 lit. a) InsO entspricht in der alten Fassung des § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 InsO.263 § 104 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 lit. b) InsO entspricht in der alten Fassung des § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 InsO,264 – von Nummer 2 nicht ausgeschlossene Lieferungen und Geldleistungen aus derivativen Finanzinstrumenten (Nr. 4). Dieses Finanzleistungs-Beispiel stellt auf die Lieferung und Geldleistung aus „derivativen Finanzinstrumenten“ ab. Ausweislich der Gesetzesbegründung decken diese ausschließlich diejenigen derivativen MiFID-Finanzinstrumente ab, die in Nr. 4 bis 10 MiFID II-Anhang genannt werden,265 – Optionen und andere Rechte (Nr. 5) auf Lieferungen nach Satz 1 oder auf Lieferungen, Geldleistungen, Optionen und Rechte im Sinne der Nummern 1 bis 5. Zu den Finanzleistungen gehören schließlich auch Optionen und optionsähnliche Geschäfte, die „andere Rechte auf Lieferungen oder Geldleistungen“ i.S.d. § 104 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 InsO gewähren. Die Regelung soll nur das Geschäft erfassen, durch welches die Option erworben wird. Für das Geschäft, das durch die Ausübung der Option zustande kommt, sind die Voraussetzungen des § 104 InsO gesondert zu prüfen,266 – Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes (Nr. 6).267 Die Aufzählung des § 104 Abs. 1 Satz 3 InsO ist nicht abschließend (insbesondere). Deshalb fallen auch weitere, nicht genannte Geschäftstypen in den Kreis der Finanzleistungsverträge. Die Identifizierung solcher unbenannter Geschäftstypen hat sich an dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu orien-
261 MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 124; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 51; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 56 f. 262 Ausführlich hierzu MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 126 ff.; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 52 ff.; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 58 ff. 263 Ausführlich hierzu Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 57 f.; FK-InsO/ Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 72. 264 Ausführlich hierzu Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104, Rz. 59 f.; FK-InsO/ Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104, Rz. 73. 265 MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 136; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 74. 266 Ausführlich hierzu Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 62; FK-InsO/ Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 75 ff. 267 Ausführlich hierzu Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 63; FK-InsO/ Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 78 f.
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86
§ 11 Rz. 86 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen tieren, wonach die Fähigkeit des Vertragspartners geschützt werden soll, die mit dem Geschäft verbundenen Finanzmarktrisiken auch in der Insolvenz des Schuldners effektiv steuern zu können.268
b) Rechtsfolgen 87
Die Rechtsfolgen betreffend Waren und Finanzleistungen sind identisch (§ 104 Abs. 1 Satz 1und Satz 2 InsO). Die Verfahrenseröffnung beendet die Geschäfte und wandelt sie in ein Abwicklungsverhältnis um.269 Die gegenseitigen Erfüllungsansprüche erlöschen automatisch. Einer Gestaltungserklärung o.ä. bedarf es nicht und ist auch nicht möglich. Es kann keine Erfüllung mehr verlangt werden. Das Wahlrecht nach § 103 InsO ist ausgeschlossen. Geltend gemacht werden kann lediglich noch eine Forderung wegen Nichterfüllung.270 Will eine Vertragspartei die gewünschten Finanzleistungen weiterhin am vereinbarten Stichtag erhalten oder weiterhin am vereinbarten Stichtag zur Lieferung verpflichtet sein, muss sie ein Ersatzgeschäft abschließen.271 Gemäß § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt sich die Forderung wegen Nichterfüllung nach dem Marktoder Börsenwert des Geschäfts (siehe hierzu unter Rz. 77 ff.)
88
Die Zusammenfassung von Geschäften durch einen Rahmenvertrag mit einheitlicher Beendigungsklausel in § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO aF übernimmt die im Wesentlichen gleichlautende Bestimmung in § 104 Abs. 3 InsO n.F. § 104 Abs. 3 InsO sieht vor, dass in einem Rahmenvertrag oder in einem Regelwerk einer zentralen Gegenpartei i.S.d. § 1 Abs. 31 KWG zusammengefassten Geschäfte gem. § 104 Abs. 1 InsO insolvenzrechtlich nur einheitlich abgewickelt werden können, wenn dort deren einheitliche Beendigung im Insolvenzfall vorgesehen ist. Eine derartige Gesamtbeendigungsklausel fasst die Einzelgeschäfte insolvenzrechtlich als fingierte Vertragseinheit wirksam zu einem Geschäft i.S.d. §§ 103, 104 InsO zusammen, um ein gesamthaftes „Close-Out-Netting“ sicherzustellen.272 Voraussetzung dieser Gesamtsaldierung ist die Zusammenfassung einer Vielzahl von Einzelverträgen in einem Regelwerk einer zentralen Gegenpartei i.S.d. § 1 Abs. 31 KWG oder in einem einheitlichen Rahmenvertrag mit Gesamtbeendigungsklausel.273
89
Durch diese Fiktion wird sichergestellt, dass trotz vollständiger Erfüllung nur eines einzelnen Geschäfts auf Seiten einer Vertragspartei insgesamt noch keine, die Anwendbarkeit ausschließende Erfüllung vorliegt, und alle einbezogenen Verträge der Gesamt-Saldierung, dem Netting, unterworfen werden, also für alle einbezogenen Geschäfte nur eine Nichterfüllungsforderung ermittelt wird. Damit wird verhindert, dass vom Insolvenzverwalter die Erfüllung eines einzelnen vorteilhaften Geschäfts gewählt wird, während aus einem anderen Geschäft für den Vertragspartner ohne Saldierungsmöglichkeit nur die Befriedigung aus einer Insolvenzforderung verbleibt.274
90
Nach § 104 Abs. 3 Satz 2 InsO ist es zudem unschädlich, wenn zugleich andere Geschäfte in den Rahmenvertrag einbezogen werden, also unterschiedliche Vertragstypen zusammengefasst werden und im Ergebnis nach § 104 Abs. 4 InsO ein typengemischter Einheitsvertrag fingiert wird. Für die Geschäfte, die nicht in den Anwendungsbereich des § 104 InsO fallen, gilt dann allerdings trotz der Einbeziehung in den Rahmenvertrag nicht § 104 InsO, sondern die allgemeinen Regeln wie § 103 InsO (vgl.
268 FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 80; zu weiteren Einzelfällen siehe Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 6f ff. 269 Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 69. BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 38. 270 Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 69; BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 38. 271 Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 69. 272 BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 31; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 13. 273 BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 104 Rz. 32. 274 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 13.
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III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO | Rz. 90a § 11
§ 104 Abs. 3 Satz 2 HS. 2 InsO). In einem Rahmenvertrag können also nur Warenfixgeschäfte nach § 104 Abs. 1 Satz 1 InsO und Finanzleistungsgeschäfte nach § 104 Abs. 1 Satz 2 InsO einbezogen werden. Andere Geschäfte können zwar nach dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung einbezogen werden und damit zivilrechtlich den rahmenvertraglichen Regelungen einschließlich der einheitlichen Beendigungsklausel unterworfen werden, an welche § 104 Abs. 3 Satz 1 InsO anknüpft. Insolvenzrechtlich wird aber allein die Einbeziehung von Warenfixgeschäften und Finanzleistungsgeschäften anerkannt.275 Denn die Einbeziehung von Geschäften, deren Erfüllungsansprüche nicht nach § 104 Abs. 1 InsO in einer Nichterfüllungsforderung aufgehoben werden, liefe in der Regel auf eine Umgehung des Insolvenzverwalterwahlrechts und damit auf einen Verstoß gegen das daraus folgende Verbot insolvenzabhängiger Lösungsklauseln hinaus.276 Nach § 104 Abs. 4 InsO können die Vertragsparteien abweichende Bestimmungen treffen, sofern diese mit den wesentlichen Grundgedanken der jeweiligen gesetzlichen Regelung vereinbar sind, von der abgewichen wird. Sie können insbesondere vereinbaren, – dass die Wirkungen nach § 104 Abs. 1 InsO auch vor der Verfahrenseröffnung eintreten, insbesondere bei Stellung des Antrags einer Vertragspartei auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das eigene Vermögen oder bei Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (vertragliche Beendigung) (Nr. 1). Die Vertragsparteien können demnach nicht nur oder erst nach Stellung eines Eigenantrags des Vertragspartners, sondern auch schon vorher, etwa bei Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (§§ 17, 18, 19 InsO), durch entsprechende (Rahmen-) Vereinbarung das Liquidationsnetting auslösen,277 – dass einer vertraglichen Beendigung auch solche Geschäfte nach § 104 Abs. 1 InsO unterliegen, bei denen die Ansprüche auf die Lieferung der Ware oder die Erbringung der Finanzleistung vor der Verfahrenseröffnung, aber nach dem für die vertragliche Beendigung vorgesehenen Zeitpunkt fällig werden (Nr. 2). Während § 104 Abs. 1 InsO für die gesetzliche Kontraktbeendigung und -abrechnung mit Verfahrenseröffnung die Vereinbarung einer Liefer-/Leistungszeit oder -frist fordert, die erst nach Verfahrenseröffnung eintreten oder ablaufen darf, befreit § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 InsO für die auf einer Vertragsbasis beruhende Kontraktbeendigung somit schon vor Verfahrenseröffnung von diesem Erfordernis: Alle Geschäfte, die eine Vereinbarung über eine Leistungszeit oder -frist enthalten, die nach dem für die vertragliche Beendigung vorgesehenen Zeitpunkt liegt oder abläuft, werden nach den vertraglichen Vorgaben abgerechnet,278 – dass zwecks Bestimmung des Markt- oder Börsenwerts des Geschäfts (Nr. 3), der Zeitpunkt der vertraglichen Beendigung an die Stelle der Verfahrenseröffnung tritt (lit. a), die Vornahme des Ersatzgeschäfts nach § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 InsO bis zum Ablauf des 20. Werktags nach der vertraglichen Beendigung erfolgen kann, soweit dies für eine wertschonende Abwicklung erforderlich ist (lit. b), anstelle des in § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO genannten Zeitpunkts ein Zeitpunkt oder Zeitraum zwischen der vertraglichen Beendigung und dem Ablauf des fünften darauffolgenden Werktags maßgeblich ist (lit. c). Nach § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 InsO können die Vertragsparteien zur Bestimmung des Markt- oder Börsenwertes des Geschäfts, damit auch der Forderung wegen Nichterfüllung von den Vorgaben des § 104 Abs. 2 InsO – Zeitpunkt, Zeitraum, Ersatzgeschäftsvornahme –, abweichen.279
275 FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 95; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 104 Rz. 86; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 14; MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 256 f. 276 FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl. 2018, § 104 Rz. 95. 277 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 16. 278 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 17. 279 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 104 Rz. 18.
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90a
§ 11 Rz. 90a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen Der Regelbeispielkatalog des § 104 Abs. 4 Satz 2 InsO ist insoweit nicht abschließend. Der Gesetzgeber hat diese Vorgaben ausdrücklich als Beispiele gekennzeichnet, um den Parteien Spielräume für die Vereinbarung weiterer praktikabler Verfahren einzuräumen.280 90b
Gemäß § 104 Abs. 5 InsO kann der andere Teil die Forderung wegen Nichterfüllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Die Formulierung „nur“ ist nicht in dem Sinne auszulegen, dass eine Aufrechnungsmöglichkeit nach §§ 94 ff. InsO unzulässig wäre. Mit der Neuregelung sollte gerade eine Saldierungsmöglichkeit (Netting) geschaffen werden, um im internationalen Geschäftsverkehr konkurrenzfähig zu bleiben. Die Einschränkung stellt lediglich klar, dass die Ausgleichsforderung nicht als Masseschuld nach § 55 InsO anzusehen ist.281
90c
Problematisch war die Anwendung des § 104 InsO a.F. bei sogenannten multipolaren Geschäften, die mit einer Vielzahl von Teilnehmern vollzogen werden: Es tritt eine zentrale Vertragspartei (zentraler Kontrahent, vgl. § 1 Abs. 31 KWG) als Käufer für jeden Verkäufer und als Verkäufer für jeden Käufer auf. Es kommt kein Vertrag zwischen dem Käufer und Verkäufer zustande, sondern beide kontrahieren jeweils mit dem zentralen Kontrahenten.282 Im Rahmen der Abwicklung von Geschäften über einen zentralen Kontrahenten finden in der Regel Verrechnungen statt. Dadurch wird das Risiko des jeweiligen Kontrahenten, des Käufers und des Verkäufers gesenkt. Überdies können Käufer und Verkäufer geringere Sicherheiten stellen, als sie von den Auftraggebern für die Vornahme der Geschäfte erhalten, so dass ihnen mehr nutzbares Kapital zur Verfügung steht.283
90d
Im Zuge der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Käufers oder des Verkäufers, werden nach § 41 Abs. 1 InsO nicht fällige Forderungen fällig und ein Aufrechnungsverbot nach § 96 InsO entsteht. Des Weiteren könnte der Insolvenzverwalter von seinem Wahlrecht nach § 103 InsO Gebrauch machen: Der Insolvenzverwalter könnte z.B. die Erfüllung des einen Geschäfts wählen und das Gegengeschäft ablehnen.284 Überdies begründen die Verrechnungen ein Anfechtungsrisiko nach §§ 130 ff. InsO.285
90e
Der Gesetzgeber hatte erkannt, dass § 104 InsO a.F. nicht weiter hilft,286 da er auf bilaterale Geschäfte zugeschnitten ist und nicht die Abwicklung multipolarer Geschäfte erfasst. Überdies sind gemäß § 104 InsO sämtliche offenen Geschäfte sofort fällig.287 Es war im „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) daher der Erlass eines § 104a InsO-E vorgesehen.288
90f
Der § 104a InsO-E ist aufgrund fortbestehenden Klärungsbedarfs im Hinblick auf die Nachteilsausgleichsregelung in § 104a Abs. 3 Satz 4 InsO-E aus dem ESUG gestrichen worden. Sein Regelungsgehalt wurde im Ausführungsgesetz zur „European Market Infrastructure Regulation“ (EMIR-VO) zur Umsetzung von § 48 der EMIR-Verordnung wieder aufgegriffen.289 Dazu wurde gemäß Art. 9 des EMIR-Ausführungsgesetzes im EGInsO folgender Art. 102b eingefügt:
280 281 282 283 284 285 286 287
Vgl. RegE BT-Drs. 18/9983, S. 9 f. MünchKommInsO/Fried, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 266. BT-Drucks. 17/5712, 27; Holzer, BKR 2011, 366 ff. BT-Drucks. 17/5712, 27. BT-Drucks. 17/5712, 27. Ehricke in FS Lüer, 2008, S. 363, 367. Zu den Folgen der Insolvenz Jaskulla, BKR 2012, 441, 445 f. Zu den wirtschaftlichen Folgen vgl. Stellungnahme der Gruppe Deutsche Börse im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie“ (Drucks. 17/1720), Stand: Juni 2010, S. 3. 288 BT-Drucks. 17/5712, 8; ausführlich Holzer, BKR 2011, 366 ff.; Holzer, DB 2013, 43 ff. 289 Zum Ganzen ausführlich Jaskulla, BKR 2012, 441, 447 f. m.w.N.; Holzer, DB 2013, 443 ff.
980 | Dahl
IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO | Rz. 92 § 11
§ 1 Ausfallbestimmungen von zentralen Gegenparteien (1) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindert nicht 1. die Durchführung der nach Artikel 48 Absatz 2, 4, 5 Satz 3 und Absatz 6 Satz 3 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (ABl. L 201 vom 27.7.2012, Satz 1) gebotenen Maßnahmen zur Verwaltung, Glattstellung und sonstigen Abwicklung von Kundenpositionen und Eigenhandelspositionen des Clearingmitglieds, 2. die Durchführung der nach Artikel 48 Absatz 4 bis 6 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 gebotenen Maßnahmen der Übertragung von Kundenpositionen sowie 3. die nach Artikel 48 Absatz 7 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 gebotene Verwendung und Rückgewähr von Kundensicherheiten. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 der Insolvenzordnung. § 2 Unanfechtbarkeit Die nach § 1 zulässigen Maßnahmen unterliegen nicht der Insolvenzanfechtung. Das EMIR-Ausführungsgesetz trat am 16.2.2013 in Kraft.290 Art. 102b EGInsO soll sicherstellen, dass die zentrale Vertragspartei i.S.v. § 48 EWIR-VO ihre Forderungen bei einem Ausfall durchsetzen kann. Dazu gehört auch, Eigenhandelspositionen des insolventen Marktteilnehmers übertragen (§ 48 Abs. 5 EWIR-VO) oder abwickeln (§ 48 Abs. 6 EWIR-VO) zu können. Dem Grunde nach begrenzt Art. 102b EGInsO die Wirkungen der Insolvenz eines Marktteilnehmers, indem wesentliche Maßnahmen nach § 48 EWIR-VO durchführbar bleiben.291 Entgegen dem Entwurf trat Art. 102b EGInsO ohne den ursprünglich in § 2 Abs. 2 vorgesehenen Nachteilsausgleich in Kraft. Ansonsten sind die Unterschiede zwischen Art. 102b EGInsO und § 104a InsO-E marginal.292
90g
IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO 1. Allgemeines/Normzweck § 105 Satz 1 InsO dient dem Schutz der Masse und gewährleistet, dass der Verwalter bei teilbaren Leistungen nur in der Höhe zu Leistungen aus der Masse verpflichtet ist, wie der Masse aus der noch unerfüllten Leistungsbeziehung nach Verfahrenseröffnung Gegenleistungen zufließen.293
91
Der Insolvenzverwalter kann daher die Erfüllung von Verträgen über teilbare Leistungen verlangen ohne hierbei Gefahr zu laufen, damit gleichzeitig auch die rückständige Gegenleistung für bereits vor Eröffnung erbrachte Teilleistungen des Vertragspartners erbringen zu müssen. Dem Gesetzeszweck entsprechend wird hiermit dem Insolvenzverwalter die Fortführung des Unternehmens erleichtert, freilich nicht ohne dem Vertragspartner des Schuldners das Ausfallrisiko dafür aufzubürden, dem Schuldner durch das Erbringen der Vorleistung gewissermaßen Kredit gewährt zu haben.294
92
290 291 292 293
BGBl. I S. 174. Holzer, DB 2013, 443, 444 f. Ausführlich Holzer, DB 2013, 443 ff. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 105 Rz. 4; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 105 Rz. 5; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 105 Rz. 1. 294 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 105 Rz. 4; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 105 Rz. 5.
Dahl | 981
§ 11 Rz. 93 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 93
§ 105 Satz 2 InsO nimmt dem Vertragspartner überdies die Möglichkeit, die Beschränkung seiner Rechtsstellung als einfacher Insolvenzgläubiger durch Rückgabeverlangen hinsichtlich der bereits erbrachten Teilleistungen zu kompensieren (vgl. Rz. 107 ff.).295
94
Auch die neue dogmatische Einordnung zum Insolvenzvertragsrecht in der Rechtsprechung des BGH296 nimmt unmittelbar Bezug auf den Begriff der Teilbarkeit. So bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind.
2. Anwendungsbereich a) Teilbare Leistungen 95
Die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen sind nach der Rechtsprechung des BGH297 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Bereits zuvor hatte der BGH angenommen, dass dies fast immer so ist.298 Im Einklang hiermit ist daher von dem denkbar weitesten Teilbarkeitsbegriff auszugehen.
96
Besonders häufig liegen teilbare Leistungen bei den nachfolgend aufgezählten Vertragstypen vor: – Leistungen aus einem Kaufvertrag, wenn mehrere Sachen geschuldet werden, unabhängig davon, ob diese Sachen gleichartig oder ungleichartig sind; – Leistungen aus einem Werkvertrag,299 insbesondere auch bei Bauleistungen;300 – Leistungen aus Miet- und Pachtverträgen und Dienstleistungen (beachte hierzu aber die in den §§ 108 ff. InsO geregelten Sondervorschriften); – Leistungen aufgrund sonstiger Dauerschuldverhältnisse, etwa bei Lizenzverträgen und selbst bei entgeltlichen Kreditverträgen, wenn der Darlehensgeber vor Eröffnung erst teilweise valutiert hatte und der Verwalter des Darlehensnehmers ausnahmsweise Erfüllung verlangt, um die Restvalutierung zu erhalten; – Leistungen aus Sukzessivlieferungsverträgen über Energie- und andere Versorgungsleistungen sowie Warenlieferungen. Teilbar sind auch Honoraransprüche für Beratungsleistungen, die ein vom Betriebsrat beauftragter Berater erbringt, auch wenn die Tätigkeit des Beraters nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch fortgesetzt wird.301
295 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 105 Rz. 2. 296 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 297 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; vgl. auch Kreft in FS Uhlenbruck, 2000, 387, 396 m.w.N. 298 BGH v. 21.10.1976 – VII ZR 335/75, BGHZ 67, 242, 249. 299 Ausführlich dazu: Meyer, NZI 2014, 679. 300 Heidland in FS Uhlenbruck, 2000, S. 423 ff.; Kreft in FS Uhlenbruck, 2000, S. 387 ff.; C. Schmitz, ZIP 2001, 765 ff. 301 BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, ZIP 2010, 588 = MDR 2010, 659 = EWIR 2010, 543 m. Anm. Tintelnot/Graj = ArbRB 2010, 143 = NZA 2010, 461.
982 | Dahl
IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO | Rz. 102 § 11
Demgegenüber kann von unteilbaren Leistungen302 nur ausnahmsweise ausgegangen werden, etwa bei höchstpersönlichen Leistungen303 sowie bei der Lieferung von mehrteiligen Unikaten.304 Ein Kaufpreisanspruch ist nicht in den rechtsmangelhaften und rechtsmangelfreien Teil zu unterteilen.305
97
b) Vorleistung des Vertragspartners Eine teilweise Leistung des anderen Teils i.S.d. § 105 Satz 1 InsO setzt voraus, dass der Vertragspartner bereits eine Vorleistung erbracht hat, der Schuldner hingegen entweder noch nichts oder aber erst in geringerem Umfang geleistet hat.
98
3. Rechtsfolgen Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der Masse und gegen die Masse. Hierbei sind die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen nach Auffassung des BGH306 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Der BGH schlägt daher für einen Werkvertrag vor, die vor und nach Eröffnung des Verfahrens erfolgten Leistungen der Schuldnerin gesondert abzurechnen, wobei dieselben Maßstäbe anzuwenden sind, wie wenn der Bauvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus wichtigem Grund gekündigt worden wäre.307
99
Der Vertragspartner bleibt daher bei Teilbarkeit mit seinem Anspruch auf die Gegenleistung für bereits erbrachte Vorleistungen stets Insolvenzgläubiger. Demgegenüber begründen die bei Erfüllungswahl vom Vertragspartner noch in die Masse zu erbringenden Leistungen Masseforderungen gemäß § 103 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
100
Die Rechtsfolgen bei teilbaren Leistungen haben über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus auch Auswirkungen auf etwa bestehende Sicherungsrechte. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verlieren Zessionen von Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Wirkung.
101
Der BGH308 hat dabei im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Sicherungsrechten seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Er309 hatte bereits zu § 17 KO (jetzt § 103 InsO) entschieden, dass dann, wenn man den die Masse schützenden Zweck des § 17 KO konsequent auf den Gedanken zurückführt, dass der Masse für die von ihr erbrachte Leistung auch die Gegenleistung zustehen soll, dies in dem Fall, dass zur Zeit der Verfahrenseröffnung ein gegenseitiger Vertrag vom Gemeinschuldner bereits teilweise erfüllt ist, nur für den Teil der (teilbaren) Gegenleistung gelten kann, der auf die noch ausstehende und mit Mitteln der Masse zu leistende Vertragserfüllung entfällt. Nur insoweit hat die Masse Aufwendungen zu erbringen und nur insoweit würde der Sinn des § 17 KO in sein Gegenteil verkehrt, wenn der Anspruch auf die Gegenleistung infolge einer bereits vor Verfahrenseröffnung vereinbarten Abtretung dem Zessionar zufiele.
102
302 303 304 305 306
Ausführlich dazu: MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 105 Rz. 21. MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 105 Rz. 22. MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 105 Rz. 23. BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 55/04, ZIP 2006, 859 = MDR 2006, 1313 = NZI 2006, 350, 351. BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. 307 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. 308 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, EWIR 2003, 125 m. Anm. Tintelnot = MDR 2002, 1270 = NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. 309 BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336, 338 = ZIP 1995, 926 = EWIR 1995, 691 = MDR 1996, 161 = NJW 1995, 1966.
Dahl | 983
§ 11 Rz. 103 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 103
Soweit der Gemeinschuldner jedoch einen gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung erfüllt hat, greift der erwähnte Rechtsgedanke nicht ein. Insoweit hat die Masse keine Leistungen mehr zu erbringen, so dass es nicht geboten und nicht gerechtfertigt ist, die Masse vor einer Abtretung des Teils der Gegenleistung, die auf die vom Gemeinschuldner erbrachten Leistungen entfällt, zu schützen.
104
Vielmehr ist es angezeigt, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters verbundenen Rechtsfolgen auf den Teil der Gegenleistung zu beschränken, der auf die bei Verfahrenseröffnung noch ausstehende Erfüllungsleistung der Masse entfällt. Bei teilweise erbrachten Leistungen des Gemeinschuldners wird mithin die auf diesen Teil entfallende Gegenleistung weder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch das Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters berührt, so dass der Anspruch auf die der erbrachten Teilleistung entsprechende Gegenleistung bestehen bleibt.310
105
Unberührt hiervon bleibt aber, dass der Insolvenzverwalter in allen Fällen der Sicherungszession nach § 166 Abs. 2 InsO zur Einziehung der Forderung befugt bleibt.311 Der Insolvenzverwalter hat daher Anspruch auf die in § 171 InsO festgelegte Verwertungskostenpauschale.
106
Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, gilt die allgemeine Regelung des § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO, die den Vertragspartner auf die Insolvenzquote verweist.
4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO 107
§ 105 Satz 2 InsO bestimmt, dass der andere Teil, also der Vertragspartner des Gemeinschuldners, nicht berechtigt ist, wegen der Nichterfüllung seines Anspruchs auf die Gegenleistung die Rückgabe einer vor der Eröffnung des Verfahrens in das Vermögen des Schuldners übergegangenen Teilleistung aus der Insolvenzmasse zu verlangen.
108
Trotz ihrer systematischen Stellung bezieht sich die Norm nicht nur auf teilbare Leistungen, sondern schließt allgemein jede Rückforderung von Teilleistungen wegen einer auf der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhenden Nichterfüllung aus; unerheblich ist hierbei, ob die geschuldete Leistung teilbar ist oder nicht.312
109
Gleichzeitig ist der Rückgabeanspruch unabhängig davon ausgeschlossen, ob der Insolvenzverwalter nach bereits vor Verfahrenseröffnung erbrachter teilweiser Vorleistung des Vertragspartners die Erfüllung ablehnt oder aber Erfüllung wählt und der Vertragspartner seinen Anspruch auf die anteilige Gegenleistung für die vor Verfahrenseröffnung erbrachte Vorleistung trotz des Erfüllungsverlangens nur als Insolvenzforderung geltend machen und zur Tabelle anmelden kann.
110
Voraussetzung des § 105 Satz 2 InsO ist, dass die Teilleistung in das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Die Norm schließt daher weder die Aussonderung (§§ 47, 48 InsO) einer noch nicht an den Schuldner übereigneten Sache noch die Rechtsfolgen einer nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften (§§ 119, 123, 142 Abs. 1 BGB) mit ex tunc-Wirkung erfolgreich durchgeführten Anfechtung aus.313
310 BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336, 338 = ZIP 1995, 926 = EWIR 1995, 691 = MDR 1996, 161 = NJW 1995, 1966. 311 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 103 Rz. 281 ff. 312 MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 105 Rz. 38; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 105 Rz. 22; Kübler/Prütting/Bork/ Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 105 Rz. 13; Nerlich/ Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 105 Rz. 11. 313 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 105 Rz. 12.
984 | Dahl
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO | Rz. 114 § 11
5. Praxistipp Die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters kann insbesondere bei VOB-Bauverträgen zu erheblichen steuerlichen Konsequenzen führen.314 So scheint es für den Insolvenzverwalter auf den ersten Blick verlockend, gerade dann Vertragserfüllung zu wählen, wenn der Schuldner seine Leistungen weitgehend erbracht hat, so dass mit Ausführung der Restarbeiten der Anspruch auf die Gegenleistung vollständig zur Masse gezogen werden kann.
111
Bei der Vollendung des Gewerks durch den Schuldner handelt es sich nach § 3 Abs. 3 UStG umsatzsteuerlich um eine Lieferung, mit deren vollständiger Erfüllung nach Verfahrenseröffnung auch bei teilbaren Leistungen die Umsatzsteuerpflicht insgesamt als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entsteht. Je nach Sachlage kann daher die als Masseverbindlichkeit zu betrachtende Umsatzsteuer den durch die Erfüllungswahl realisierten Zahlungsanspruch übersteigen und im Ergebnis zu einer Masseverkürzung führen.
112
Um dieses für den Insolvenzverwalter ungünstige und nach der Regelung des § 105 InsO unverständliche Ergebnis zu vermeiden, wird vorgeschlagen, die Erfüllung des Vertrages abzulehnen, um im Anschluss daran über die ausstehende Teilleistung einen neuen eigenständigen Vertrag mit dem Vertragspartner mit der Folge abzuschließen, dass die bis Verfahrenseröffnung begründeten Steuerverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen werden und lediglich die mit dem neuen Vertragsschluss verbundenen Steuerverpflichtungen als Masseverbindlichkeiten anzusehen sind.315 Ob damit tatsächlich eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 42 AO vermieden werden kann, scheint indes äußerst zweifelhaft. Das FG Schleswig-Holstein316 hat allerdings einen Rechtsmissbrauch i.S.d. § 42 AO verneint, wenn das Verhalten des Insolvenzverwalters auch durch außersteuerliche Gründe, wie die Vermeidung von Gewährleistungsansprüchen gegen die Insolvenzmasse, getragen wird.
113
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO 1. Allgemeines/Normzweck Die Regelung des § 106 InsO bezweckt, die Sicherungsfunktion der Vormerkung auch im Insolvenzverfahren zu wahren. Der Vormerkungsberechtigte kann damit seinen Anspruch so durchsetzen, wie es ihm unter Wahrung seines Ranges möglich gewesen wäre, wenn über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre. Er erhält damit eine Sonderstellung vor den einfachen Insolvenzgläubigern, die vergleichbar ist mit der Stellung der in § 47 InsO geregelten aussonderungsberechtigten Gläubiger. Der Vormerkungsschutz des § 106 Abs. 1 InsO gilt nach der Rechtsprechung des BGH317 selbst bei einem unentgeltlichen Grundgeschäft uneingeschränkt.318
314 315 316 317
Ausführlich Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 105 Rz. 14 ff. Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 105 Rz. 16 ff. FG Schleswig-Holstein v. 2.9.2010 – 4 K 115/06, BeckRS 2010, 26030169. BGH v. 25.3.2021 – IX ZR 70/20, ECLI:DE:BGH:2021:250321UIXZR70.20.0, ZIP 2021, 967 = EWIR 2021, 434 (Huber) = MDR 2021, 769 = BeckRS 2021, 8286 ff. 318 Wenn der Schuldner dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung früher als vier Jahre vor der Anfechtung bzw. vor Insolvenzantragstellung gewährt hat, kann diese aber der Vorsatzanfechtung nach § 3 Abs. 1, 2 AnfG bzw. § 133 Abs. 1, 2 InsO unterliegen, wenn der Schuldner das Grundgeschäft mit dem dem anderen Teil bekannten Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, vgl. BGH v. 25.3.2021 – IX ZR 70/20, ECLI:DE:BGH:2021:250321UIXZR70.20.0, ZIP 2021, 967 = EWIR 2021, 434 (Huber) = MDR 2021, 769 = BeckRS 2021, 8286 ff.
Dahl | 985
114
§ 11 Rz. 115 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen
2. Vormerkung 115
Die Vormerkung i.S.d. §§ 883 BGB, 16 Abs. 1, 77, 81a SchiffsRG, 10, 98 Abs. 3 LuftfzRG ist ein dem dinglichen Recht ähnliches Sicherungsrecht eigener Art und dient dazu, schuldrechtliche Ansprüche auf eine dingliche Rechtsänderung abzusichern. Nach § 883 Abs. 2 BGB sind Verfügungen, die nach Eintragung der Vormerkung getroffen werden, insoweit unwirksam, als sie den schuldrechtlichen Anspruch beeinträchtigen oder vereiteln würden. Folglich verursacht die Vormerkung eine gesicherte Rechtsposition, indem § 883 Abs. 2 BGB vormerkungswidrige Verfügungen über das Grundstück oder das Recht dem Vormerkungsberechtigten gegenüber für (relativ) unwirksam erklärt.
116
§ 106 InsO setzt zunächst voraus, dass der Anspruch sich auf ein eintragungsfähiges Recht bezieht. Das sind alle rechtswirksamen privatrechtlichen Ansprüche auf eine dingliche Rechtsänderung an einem Grundstück oder Grundstücksrecht, Schiff oder Luftfahrzeug.319 Beispielhaft angeführt seien in diesem Zusammenhang der Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück und der Anspruch auf Eintragung von Grundpfandrechten wie Grundschuld, Nießbrauch und Hypothek. Ferner fällt auch der gesetzliche Löschungsanspruch gemäß § 1179a BGB in den Anwendungsbereich des § 106 InsO.320 Dessen Gleichbehandlung mit der eingetragenen Vormerkung ergibt sich aus § 1179a Abs. 1 Satz 3 BGB.321 Die Insolvenzfestigkeit dieses Löschungsanspruchs hat der BGH indes für den Fall abgelehnt, dass eine vorrangige Sicherungsgrundschuld zwar zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr valutierte, das Eigentum an dem Grundstück und die Grundschuld jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht zusammengefallen waren.322
117
Nicht erfasst werden dagegen Ansprüche gegen staatliche Organe auf Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen, denen keine Verpflichtung des Schuldners entspricht, eine solche Rechtsänderung herbeizuführen, weshalb Rechtsänderungen im Wege der Zwangsvollstreckung nicht durch eine Vormerkung gesichert werden können.323 So hat der BGH bereits mehrfach festgestellt, dass Vormerkungen, die in Vollziehung einer einstweiligen Verfügung eingetragen worden sind, in der Gesamtvollstreckung ihre Wirksamkeit verlieren und generell keinen Bestand haben.324
118
Aus der Akzessorietät der Vormerkung folgt, dass der durch sie gesicherte Anspruch tatsächlich bestehen muss. Erlischt der Anspruch oder besteht er zu Unrecht, hat der Insolvenzverwalter das Recht, die Löschung der Vormerkung oder die Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch zu verlangen.325
119
Fordert der Insolvenzverwalter die Löschung einer Auflassungsvormerkung, die vor Verfahrenseröffnung über das Vermögen des Grundstückseigentümers auf Grund eines formnichtigen Kaufvertrags zugunsten des Käufers eingetragen wurde, kann dieser wegen der von ihm vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den verkaufenden Eigentümer erbrachten Kaufpreiszahlungen dem Verlangen kein Zurückbehaltungsrecht entgegensetzen.326
319 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 106 Rz. 4 m.w.N. 320 Hans. OLG Hamburg v. 2.4.2009 – 11 U 200/06, NZG 2009, 1196. 321 OLG Köln v. 22.12.2004 – 2 U 103/04, ZIP 2005, 1038 ff. = ZInsO 2005, 268 mit krit. Anm. Kesseler, ZIP 2005, 1041 ff. 322 BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 11/05, EWIR 2006, 457 m. Anm. Kesseler = NotBZ 2006, 395 m. Anm. Krause = MDR 2006, 1312 = ZIP 2006, 1141 = ZInsO 2006, 599 = NZI 2006, 395; vgl. hierzu auch LG Hamburg v. 19.7.2006 – 332 O 37/05, ZInsO 2006, 837. 323 MünchKommInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 106 Rz. 4 m.w.N. 324 BGH v. 6.4.2000 – V ZB 56/99, EWIR 2000, 771 m. Anm. Messner = MDR 2000, 904 m. Anm. Holzer = NZI 2000, 311 = ZIP 2000, 931; BGH v. 15.7.1999 – IX ZR 239/98, EWIR 2000, 81 m. Anm. Gerhardt = MDR 1999, 1283 = NZI 1999, 407 = ZIP 1999, 1490. 325 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 106 Rz. 3. 326 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, MDR 2002, 907 = ZIP 2002, 858.
986 | Dahl
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO | Rz. 127 § 11
Gemäß § 883 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Eintragung einer Vormerkung auch zur Sicherung eines künftigen oder eines bedingten Anspruchs zulässig. Demgemäß fallen auch Vormerkungen zur Sicherung von künftigen Ansprüchen in den Anwendungsbereich des § 106 InsO. Voraussetzung dafür ist aber, dass für die Entstehung des Anspruchs bereits eine feste, die Gestaltung des Anspruchs bestimmende Grundlage, nicht nur eine mehr oder weniger aussichtsreiche tatsächliche Möglichkeit besteht.327
120
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH können künftige Ansprüche Vormerkungsschutz jedenfalls dann genießen, wenn bereits der Rechtsboden für ihre Entstehung durch ein rechtsverbindliches Angebot soweit vorbereitet ist, dass die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des künftigen Berechtigten abhängt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ein unwiderrufliches formgültiges Verkaufsangebot abgegeben wurde.328
121
In der Literatur wird demgegenüber zu Recht gefordert, dass es für die Vormerkbarkeit von künftigen Ansprüchen genügen muss, wenn sich der Schuldner nicht mehr einseitig von der bereits eingetretenen Bindung lösen kann.329
122
Ist das Grundstück des Schuldners mit einem dinglichen Vorkaufsrecht belastet, so hat dies gemäß § 1098 Abs. 2 BGB Dritten gegenüber die Wirkung einer Vormerkung zur Sicherung des durch die Ausübung des Rechts entstehenden Anspruchs auf Übertragung des Eigentums. § 1098 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt darüber hinaus, dass das Vorkaufsrecht auch dann ausgeübt werden kann, wenn das Grundstück vom Insolvenzverwalter aus freier Hand verkauft wird.
123
War das Grundstück vom Schuldner bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert worden, kommt es darauf an, ob das Vorkaufsrecht bereits ausgeübt wurde.330 Im Falle der bereits erfolgten Ausübung des Vorkaufsrechts bleibt es bei der Vormerkungswirkung und dem Schutz des § 106 InsO.
124
Umgekehrt steht dann, wenn das Vorkaufsrecht noch nicht ausgeübt wurde, dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO zu, es sei denn, der Schuldner hatte den Kaufvertrag bereits vor Eröffnung erfüllt. Wählt der Verwalter Erfüllung, bleibt auch das Vorkaufsrecht erhalten, lehnt er die Erfüllung gegenüber dem Erwerber hingegen ab, geht auch das Vorkaufsrecht unter. Freilich kann der Dritte dann wegen § 1098 Abs. 1 Satz 2 BGB sein Vorkaufsrecht wieder ausüben, wenn der Insolvenzverwalter das infolge der Erfüllungsablehnung wieder zur Insolvenzmasse gehörende Grundstück danach freihändig verkauft.331
125
Das schuldrechtliche Vorkaufsrecht kann demgegenüber gemäß § 471 BGB in der Insolvenz nicht ausgeübt und durchgesetzt werden.
126
3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung Damit sich eine – rechtsgeschäftlich begründete – Vormerkung in der Insolvenz durchsetzen kann, ist es grundsätzlich erforderlich, dass sie vor der Eröffnung des Verfahrens sowie gegebenenfalls vor Erlass eines etwa im Insolvenzeröffnungsverfahren verhängten vorläufigen richterlichen Veräußerungs- und Verfügungsverbots im Grundbuch eingetragen worden ist.
327 BGH v. 5.12.1996 – V ZB 27/96, BGHZ 134, 182, 185 = ZIP 1997, 420 = MDR 1997, 338 = NJW 1997, 861, 862. 328 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, MDR 2002, 110 = NZI 2002, 30, 31 m.w.N. = ZIP 2001, 2008. 329 Assmann, ZfIR 2002, 11, 12 m.w.N. 330 S. dazu Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 106 Rz. 6 f. 331 Zum dinglichen Vorkaufsrecht vgl. Hamburger Kommentar zur InsO/Ahrendt, 8. Aufl. 2021, § 106 Rz. 10 ff.
Dahl | 987
127
§ 11 Rz. 128 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 128
Wie sich aus den auf die Vormerkung entsprechend anwendbaren §§ 878 BGB, 3 Abs. 3 SchiffsRG, 5 Abs. 3 LuftfzRG ergibt, genießt eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetragene Vormerkung nur dann den Schutz des § 106 InsO, wenn die Eintragung vor der Eröffnung bewilligt und der Antrag auf Eintragung beim Grundbuchamt bzw. Registergericht eingegangen ist.332 Eine Auflassung muss daher noch nicht erfolgt sein, sofern die Bewilligungserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden und der vorgemerkte Anspruch entstanden ist.333
129
Bezüglich der Vormerkung für künftige Ansprüche stellt sich die Frage, ob eine Vormerkung im Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung oder erst im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs entsteht.
130
Nach einer Grundsatzentscheidung des BGH334 steht der Insolvenzfestigkeit nicht entgegen, dass der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch auf Eigentumsverschaffung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Angebotsannahme entstanden ist, weil ansonsten der vom Gesetzgeber zugelassene Vormerkungsschutz für künftige Ansprüche – wie er etwa in § 883 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelt ist – sinnentleert würde, wenn man ihn erst von dem Zeitpunkt an eintreten lassen wollte, in dem die gesicherten Ansprüche entstehen.
131
Der BGH stellt fest, dass der Gemeinschuldner im Insolvenzverfahren trotz der Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO seine Verpflichtungsfähigkeit nicht verliert, so dass ein von ihm gemachtes Kaufangebot auch noch nach Verfahrenseröffnung angenommen werden kann.335
132
Zwar können die vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens eingegangenen Verpflichtungen nicht zu einer Verkürzung der Masse führen. Da die Wirkungen der Auflassungsvormerkung trotz des Insolvenzverfahrens erhalten bleiben und mit rückwirkender Kraft auf den Zeitpunkt der Eintragung geltend gemacht werden können, zählt die betroffene Vermögensposition aber von Anfang an nicht zu den Bestandteilen der Masse.336
133
Aus diesen Überlegungen folgt, dass ein vormerkungsgesicherter künftiger Auflassungsanspruch Insolvenzfestigkeit erlangt und auch nach seinem Entstehen erst während des Insolvenzverfahrens ungehindert von der Vorschrift des § 103 InsO vom Insolvenzverwalter zu erfüllen ist.337 Sobald die Vormerkung also zur Sicherung des künftigen Auflassungsanspruchs wirksam entstanden ist, erlaubt die gesetzliche Regelung auch im Falle der Insolvenz des Schuldners keine Ausnahme von dem in § 106 InsO angeordneten Vormerkungsschutz.
134
Verzichten die Beteiligten demgegenüber im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages auf die Eintragung einer Auflassungsvormerkung, so besteht nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes kein Anspruch des Erwerbers auf Eigentumsumschreibung, weil der einfache Grundstückserwerb mangels Eintragung einer Auflassungsvormerkung nicht insolvenzfest ist und der noch nicht
332 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 242/97, BGHZ 138, 179, 187 = VersR 1999, 52 = MDR 1998, 682 = NJW 1998, 2134, 2136 = ZIP 1998, 836; BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 100/03, NotBZ 2005, 182 = MDR 2005, 892 = ZIP 2005, 627, 628; OLG Frankfurt v. 21.11.2005 – 20 W 462/04, ZInsO 2006, 269 ff. 333 BGH v. 25.3.2021 – IX ZR 70/20, ECLI:DE:BGH:2021:250321UIXZR70.20.0, ZIP 2021, 967 = EWIR 2021, 434 (Huber) = MDR 2021, 769, BeckRS 2021, 8286 ff.; BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 203/06, EWIR 2010, 309 m. Anm. Kesseler = ZIP 2010, 339 = MDR 2010, 466 = NotBZ 2011, 219 = NZI 2010, 190. 334 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, MDR 2002, 110 = NZI 2002, 30 = ZIP 2001, 2008; vgl. dazu auch Assmann, ZfIR 2002, 11 und Fritsche, DZWIR 2002, 92; BGH v. 25.3.2021 – IX ZR 70/20, ECLI:DE: BGH:2021:250321UIXZR70.20.0, EWIR 2021, 434 (Huber) = MDR 2021, 769 = BeckRS 2021, 8286 ff. 335 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, MDR 2002, 110 = NZI 2002, 30, 31 = ZIP 2001, 2008. 336 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, MDR 2002, 110 = NZI 2002, 30, 31 = ZIP 2001, 2008. 337 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, MDR 2002, 110 = NZI 2002, 30 = ZIP 2001, 2008; vgl. dazu auch Assmann, ZfIR 2002, 11 und Fritsche, DZWIR 2002, 92.
988 | Dahl
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO | Rz. 139 § 11
vollständig erfüllte Vertrag dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters unterliegt.338 Die bindende Bewilligung der Eigentumsumschreibung ist keine mit dem Eigentumserwerb vergleichbare insolvenzfeste Rechtsposition, sie wird dies vielmehr frühestens durch eine entsprechende Antragstellung beim zuständigen Grundbuchamt.339 Gleichzeitig sind im Hinblick auf die Wirksamkeit der Vormerkung sowohl die Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO (vgl. § 10) als auch die Rückschlagsperre nach § 88 InsO zu beachten. So wird eine innerhalb des letzten Monats vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Grundbuch eingetragene Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek mit Verfahrenseröffnung absolut unwirksam340 (zur Rückschlagsperre vgl. auch § 9 Rz. 160). Hierbei ist allein auf den Zeitpunkt der Eintragung ins Grundbuch abzustellen und nicht etwa auf den Zeitpunkt der Antragstellung, wobei § 140 Abs. 2 InsO keine Anwendung finden soll341 (zu § 140 Abs. 2 InsO s. § 13 Rz. 272 ff.).
135
4. Rechtsfolgen Als Rechtsfolge bestimmt § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass der Vormerkungsberechtigte vom Verwalter Erfüllung in derselben Art und Weise verlangen kann, wie er sie außerhalb des Insolvenzverfahrens vom Schuldner hätte beanspruchen können.342 Der Insolvenzverwalter hat alle Handlungen vorzunehmen, die zum Eintritt der geschuldeten Rechtsänderung erforderlich sind, bei einer Eigentumsvormerkung also die Auflassung zu erklären und die Eintragung zu bewilligen. Der Insolvenzverwalter tritt hierdurch aber nicht automatisch in das Veräußerungsgeschäft im Übrigen ein, so dass für eine gleichzeitig mit der Eigentumsumschreibung vorgenommene Löschung von Grundpfandrechten keine Kostenschuld zu Lasten der Insolvenzmasse ausgelöst wird.343
136
Hat der Insolvenzverwalter trotz der Vormerkung über den von ihr betroffenen Gegenstand verfügt, so ist das gemäß § 883 Abs. 2 BGB dem Vormerkungsberechtigten gegenüber unwirksam und der Verwalter ist weiterhin zur Auflassung an diesen verpflichtet und kann dazu gegebenenfalls im Klagewege angehalten werden.344
137
Der Insolvenzverwalter kann andererseits dem vorgemerkten Anspruch alle Einwendungen und Einreden entgegenhalten, die dem Schuldner außerhalb der Insolvenz zugestanden hätten, gegebenenfalls kann er auch die Beseitigung der Vormerkung nach § 886 BGB verlangen, wenn gegenüber dem vorgemerkten Anspruch eine dauerhafte Einrede gegeben ist.345 Tritt der durch eine Vormerkung gesicherte Käufer nach Zahlung des Kaufpreises wegen eines Rechtsmangels von dem Grundstückskaufvertrag zurück, kann der Insolvenzverwalter von dem Käufer die Bewilligung zur Löschung der Vormerkung verlangen, ohne den Kaufpreis aus der Masse erstatten zu müssen.346 Unterlässt der Insolvenzverwalter die Geltendmachung dieser Rechte, macht er sich schadensersatzpflichtig nach § 60 InsO (Haftung des Insolvenzverwalters s. § 22 Rz. 213 ff.).
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Wird hingegen über das Vermögen des Auflassungsempfängers, zu dessen Gunsten die Eintragung einer Auflassungsvormerkung im Range nach einer Finanzierungsgrundschuld bewilligt ist, das Insolvenzverfahren eröffnet und beantragt der Urkundsnotar danach die Eintragung der Vormerkung, so
139
338 339 340 341 342 343 344 345 346
LG Aachen v. 6.8.2002 – 1 O 67/02, ZInsO 2002, 937. LG Aachen v. 6.8.2002 – 1 O 67/02, ZInsO 2002, 937. LG Meiningen v. 10.2.2000 – 4 T 277/99, EWIR 2000, 831 m. Anm. Runkel = ZIP 2000, 416. LG Berlin v. 25.9.2001 – 86 T 574, 581, 582/01, ZIP 2001, 2293. Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 38 Rz. 17. BayObLG v. 3.9.2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143, 1144. Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 38 Rz. 17. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 106 Rz. 16 m.w.N. BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 66/07, EWIR 2009, 417 m. Anm. Dahl = MDR 2009, 527 = NotBZ 2009, 175 m. Anm. Heckschen = ZIP 2009, 428 = NZI 2009, 235.
Dahl | 989
§ 11 Rz. 139 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen erwirbt der Insolvenzverwalter die Vormerkung nicht unbelastet von einer Vormerkung zugunsten des Grundpfandgläubigers, wenn diesem das Grundpfandrecht im Range vor der Auflassungsvormerkung und eine den Anspruch auf Einräumung des Grundpfandrechts – auch – vom noch eingetragenen Eigentümer des Grundstücks bewilligt worden ist.347 140
Daran ändert der Wegfall der Verfügungsbefugnis des Auflassungsempfängers nichts, weil diejenige des eingetragenen Veräußerers fortbesteht; gleichzeitig ist unerheblich, ob der Antrag des Grundpfandgläubigers auf Eintragung des Grundpfandrechts bzw. der Vormerkung später beim Grundbuchamt eingeht als der Antrag auf Eintragung der Auflassungsvormerkung.348
5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO 141
§ 106 Abs. 1 Satz 2 InsO stellt klar, dass der Vormerkungsschutz auch bei Übernahme weiterer, noch nicht vollständig erfüllter Pflichten eingreift,349 schließt aber bezüglich dieser Pflichten § 103 InsO nicht aus.350
6. Praxistipp/Musterschreiben 142
Bereits der vorläufige Insolvenzverwalter sollte bestehende Rechtspositionen Dritter durch entsprechende Einsichtnahme in die Grundbücher feststellen und gemäß §§ 32 Abs. 1, 23 Abs. 3 InsO auf die Eintragung des Insolvenzvermerks hinwirken.
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M 13 Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter zur Geltendmachung eines Anspruchs nach § 106 Abs. 1 InsO Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Gemäß anliegend beigefügtem notariellen Kaufvertrag vom 00.00.00 hat mein Mandant von der Schuldnerin das im Grundbuch von … eingetragene Grundstück (genaue Bezeichnung), Blatt Nr. …, Flur Nr. … zu einem Kaufpreis von … erworben. Zur Sicherung des Anspruchs meines Mandanten auf Einräumung des Eigentums ist im Grundbuch eine Vormerkung eingetragen worden. Einen aktuellen Grundbuchauszug füge ich anliegend bei. Mein Mandant macht hiermit von den ihm in § 106 Abs. 1 InsO eingeräumten Rechten Gebrauch und verlangt Befriedigung aus der Insolvenzmasse. Mit freundlichen Grüßen
347 348 349 350
Bdb. OLG v. 17.10.2001 – 8 Wx 7/01, InVo 2002, 251. Bdb. OLG v. 17.10.2001 – 8 Wx 7/01, InVo 2002, 251. OLG Stuttgart v. 18.8.2003 – 5 U 62/03, ZInsO 2004, 1087, 1089. Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 106 Rz. 6.
990 | Dahl
VI. Besonderheiten bei Kaufverträgen unter Eigentumsvorbehalt | Rz. 148 § 11
VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO 1. Allgemeines/Normzweck Die wegen § 119 InsO unabdingbare Regelung des § 107 InsO dient dem Zweck, die insolvenzrechtliche Behandlung von Kaufverträgen mit dem Schuldner zu regeln, bei denen der Kaufgegenstand vor Verfahrenseröffnung unter Eigentumsvorbehalt veräußert worden ist351 (Allgemeines zum Eigentumsvorbehalt vgl. § 10 Rz. 29). Es werden somit Rechtspositionen (Anwartschaftsrechte) geschützt, die der Eigentumsvorbehaltskäufer vor dem Insolvenzverfahren bereits erlangt hatte.352 Die Vorschrift erfasst neben den reinen Kaufverträgen i.S.d. § 433 BGB, bei denen der Eigentumsvorbehalt in § 449 BGB geregelt ist, auch Werklieferungsverträge, auf die gemäß § 651 BGB Kaufrecht anzuwenden ist.353
144
Die Vorschrift des § 107 Abs. 1 InsO betrifft dabei den Fall, dass der Schuldner als Verkäufer den Kaufgegenstand vor Insolvenzeröffnung unter Eigentumsvorbehalt an seinen Vertragspartner verkauft und diesem bereits den Besitz an der Sache übertragen hat. Die Norm dient dem Schutz des Käufers in der Insolvenz des Verkäufers und stellt klar, dass das Anwartschaftsrecht des Käufers eine dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters entzogene insolvenzfeste Rechtsposition ist, die dem Käufer bei Vertragstreue die Möglichkeit des Vollrechtserwerbs erhält.
145
In § 107 Abs. 2 InsO ist demgegenüber die Rechtslage für den Fall geregelt, dass der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Käufer einen unter Eigentumsvorbehalt stehenden Gegenstand erworben und den Besitz an diesem bereits übertragen bekommen hat. Hierbei dient die Vorschrift im Interesse einer wünschenswerten Unternehmensfortführung und Sanierung dem Zweck, zu verhindern, dass es in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers bereits unmittelbar nach Verfahrenseröffnung zu einer Aussonderung des Vorbehaltsguts kommt.
146
Dem Insolvenzverwalter wird eine Überlegungsfrist verschafft und er ist berechtigt, die Vorbehaltsware bis zum Berichtstermin, der gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO etwa zwischen sechs Wochen und drei Monaten nach Insolvenzeröffnung stattfindet, zu behalten. Er muss sich auf Aufforderung erst unverzüglich nach dem Berichtstermin dazu erklären, ob er die Erfüllung des Vertrages verlangt (zum Berichtstermin vgl. § 9 Rz. 417 ff., 436).
147
2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO § 107 Abs. 1 InsO setzt zunächst den Verkauf einer beweglichen Sache durch den Schuldner unter Eigentumsvorbehalt voraus, d.h. neben dem Vorliegen eines entsprechenden Kaufvertrags ist erforderlich, dass der Schuldner die Sache unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung bereits an den Käufer übereignet hat.354 Unter den Eigentumsvorbehaltsbegriff i.S.d. Norm fallen sowohl der einfache als auch der verlängerte Eigentumsvorbehalt.355
351 Ausführlich dazu: Kupka, InVo 2003, 213 ff.; Klose, ZInsO 2009, 1793 ff.; OLG Düsseldorf v. 16.1.2013 – I 3 U 1/12, ZIP 2013, 327 = NZI 2013, 303. 352 von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 992. 353 Zum Mietkaufvertrag: Hackenberg, ZInsO 2014, 1698. 354 Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 36 Rz. 13. 355 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 4; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 107 Rz. 5; MünchKommInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 107 Rz. 8.
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§ 11 Rz. 149 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 149
Sachenrechtlich setzt § 107 Abs. 1 InsO die Übertragung des Besitzes voraus. Hierbei bleibt offen, ob unmittelbarer Besitz erforderlich ist oder mittelbarer Besitz genügt.356 Da es Zweck der Regelung des § 107 Abs. 1 InsO ist, eine erworbene Rechtsposition, nicht aber die Verfügungsgewalt zu schützen, ist jede Form der Besitzverschaffung ausreichend.357
150
Als Rechtsfolge stellt § 107 Abs. 1 InsO – wie auch bereits § 106 Abs. 1 InsO – eine Durchbrechung des Grundsatzes dar, dass die Hauptleistungspflichten aus bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen nicht mehr durchsetzbar sind und bis zur Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter nur noch Abwicklungsansprüche in Betracht kommen. Das bei Vorliegen der oben näher erläuterten Voraussetzungen gegebene Anwartschaftsrecht des Käufers beinhaltet eine insolvenzfeste Rechtsposition, die dem Wahlrecht des Verwalters entzogen ist und dem Käufer die Möglichkeit einräumt, durch vertragstreues Verhalten (= vollständige Kaufpreiszahlung) den Eigentumsübergang herbeizuführen.358 Wie und in welchem Umfang die bei Verfahrenseröffnung noch ausstehenden (Vermögens-)Ansprüche des Eigentumsvorbehaltskäufers (etwa auf Nacherfüllung oder auf sonstige über die Übereignung hinausgehende Leistungen) im Insolvenzverfahren befriedigt werden, hängt jedoch von der Entscheidung ab, die der Insolvenzverwalter des Eigentumsvorbehaltsverkäufers über die Verwertung des Eigentumsvorbehaltskaufvertrages trifft (Geltendmachung des (Rest-)Kaufpreisanspruches oder Nichtgeltendmachung).359 Orientiert sich die Insolvenzverwaltung am Ziel der bestmöglichen Verwertung, wird sie den Anspruch des Eigentumsvorbehaltsverkäufers auf den (Rest-)Kaufpreis nur geltend machen, wenn der (Rest-)Kaufpreis höher ist als der Aufwand der Nacherfüllung.360 Die Geltendmachungsentscheidung verleiht dem Anspruch des Eigentumsvorbehaltskäufers auf Nacherfüllung Massestatus (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO). Dadurch bestimmen sich die Rechte des Eigentumsvorbehaltskäufers wegen eines Mangels der Kaufsache wie außerhalb der Insolvenz.361 Entscheidet die Insolvenzverwaltung, den Anspruch auf den (Rest-)Kaufpreis nicht geltend zu machen, da dieser kleiner ist als der Aufwand der Nacherfüllung, kann von dem Eigentumsvorbehaltskäufer nicht die Herausgabe der Kaufsache verlangt werden, da dessen Recht zum Besitz und sein Anwartschaftsrecht fortbestehen.362 Welche Auswirkungen die Nichtgeltendmachungsentscheidung für den Anspruch des Eigentumsvorbehaltskäufers auf Nacherfüllung wegen eines Mangels der Kaufsache hat, ist umstritten. Unstreitig kann der Eigentumsvorbehaltskäufer bei Erfüllungsablehnung keine Gewährleistungsrechte geltend machen, da die Pflicht zur Gewährleistung nicht durch § 107 Abs. 1 InsO in den Rang einer Masseverbindlichkeit erhoben wird.363 Teilweise wird daher eine automatische Minderung des Kaufpreises angenommen, da der Eigentumsvorbehaltsverkäufer wegen der Mangel-
356 Nach OLG Düsseldorf v. 16.1.2013 – I 3 U 1/12, ZIP 2013, 327 = NZI 2013, 303 ist mittelbarer Besitz durch eine mit dem Verkäufer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen getroffene (konkludente) Vereinbarung eines verwahrähnlichen Verhältnisses ausreichend. 357 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 107 Rz. 8; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 107 Rz. 20; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 107 Rz. 6. 358 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 107 Rz. 9; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 107 Rz. 8; Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 48. 359 von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 992. 360 Vgl. von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 994. 361 Vgl. von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 994. 362 Vgl. von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 995. 363 BeckOK InsO/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 107 Rz. 28; K. Schmidt InsO/Ringstmeier, 19. Aufl. 2016, InsO § 107 Rz. 16; von Wilmowsky, ZIP 2021, 989 ff.
992 | Dahl
VI. Besonderheiten bei Kaufverträgen unter Eigentumsvorbehalt | Rz. 151 § 11
haftigkeit der Kaufsache nur teilweise erfüllt habe.364 Dies wird auf eine Spaltung des Eigentumsvorbehaltskaufvertrages (in einen Teil der Kaufsache in mangelhaftem Zustand betreffend und einen zweiten Teil die Nacherfüllung betreffend) zurückgeführt.365 Nach anderer Ansicht kann der Eigentumsvorbehaltskäufer wählen zwischen der Befriedigung seines Nacherfüllungsanspruchs nach dem gesetzlichen Verrechnungsstatus (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO) und dem Erhalt der Insolvenzquote auf seinen Nacherfüllungsanspruch gegen Zahlung des noch ausstehenden Kaufpreises.366 Die Verrechnungslösung hat den Vorteil, dass der Eigentumsvorbehaltskäufer nur für den Teil, um den der Wert seines Nacherfüllungsanspruchs den Anspruch des Insolvenzschuldners auf den (Rest-)Kaufpreis übersteigt, auf die Insolvenzquote verwiesen ist und er gleichzeitig Eigentümer der (mangelbehafteten) Eigentumsvorbehaltskaufsache wird.367 Die Verrechnungslösung führt gleichzeitig dazu, dass der Mangel der Kaufsache zu einer Verringerung des Kaufpreises führt,368 da durch die Verrechnung der Eigentumsvorbehaltsverkäufer den Wert seines (Rest-)Kaufpreisanspruchs in der Form erhält, dass er in dieser Höhe von seiner Pflicht zur Nacherfüllung frei wird.369 Der (Rest-)Kaufpreis wird dadurch in seinem vollen Wert erbracht mit der Folge, dass die Bedingung eintritt und der Eigentumsvorbehaltskäufer Eigentümer der (mangelhaften) Kaufsache wird.370 Die Option „Quote gegen Leistung“ ist hingegen nur dann, wenn die Insolvenzquote 100 % beträgt von gleichem Wert wie die Verrechnung der Anspruchswerte gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO.371 Zu folgen ist der letztgenannten Auffassung. Um das Anwartschaftsrecht des Eigentumsvorbehaltsverkäufers zu schützen, ist eine Aufspaltung des Eigentumsvorbehaltskaufvertrages weder geeignet noch geboten.372 Die Spaltung des Eigentumsvorbehaltskaufvertrages bewirkt nur, dass die Insolvenzverwaltung eine zusätzliche Option erhält, da sie dann nicht nur hinsichtlich des gesamten (Rest-)Kaufpreises, sondern auch nur beschränkt auf den zweiten Teilkaufpreisanspruch die Nacherfüllung betreffend auf Nichtgeltendmachung entscheiden kann.373 Dies kann sich zum Nachteil des Eigentumsvorbehaltskäufers auswirken, insbesondere wenn der Wert des (Rest-)Kaufpreisanspruches höher ist als der Aufwand der Nacherfüllung.374 § 107 Abs. 1 Satz 2 InsO ordnet überdies an, dass die Insolvenzfestigkeit des Anwartschaftsrechts auch dann bestehen bleibt, wenn der Schuldner dem Käufer gegenüber weitere Verpflichtungen übernommen hat und diese nicht oder nicht vollständig erfüllt sind. Zwar kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages hinsichtlich der weiteren Verpflichtung mit der Folge ablehnen, dass insoweit ein Anspruch des Erwerbers wegen Nichterfüllung entsteht. Dem Käufer bleibt es aber unbenommen, den Eigentumsübergang durch Zahlung des Kaufpreises, den er im Übrigen um den Wert der ausstehenden Leistungen des Schuldners kürzen darf, herbeizuführen.375
364 BeckOK InsO/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 107 Rz. 28; K. Schmidt InsO/Ringstmeier, 19. Aufl. 2016, InsO § 107 Rz. 16; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 107 Rz. 10. 365 BeckOK InsO/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 107 Rz. 26; K. Schmidt InsO/Ringstmeier, 19. Aufl. 2016, InsO § 107 Rz. 16. 366 Vgl. von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 995 ff. 367 Ausführlich hierzu von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 996. 368 Ausführlich hierzu von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 997. 369 von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 996. 370 von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 996. 371 von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 998. 372 von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 999. 373 Ausführlich hierzu mit Fallbeispielen von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 1000. 374 Ausführlich hierzu mit Fallbeispielen von Wilmowsky, ZIP 2021, 989, 1000. 375 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 107 Rz. 10; HKInsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 8, 10; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 107 Rz. 25 ff.; Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 107 Rz. 9.
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151
§ 11 Rz. 152 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen
3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO 152
Gläubiger, die Sachen unter einfachem Eigentumsvorbehalt geliefert haben, können im nachfolgenden Insolvenzverfahren des Vorbehaltskäufers ein Aussonderungsrecht nach §§ 47 InsO, 985 BGB geltend machen, soweit dem Verwalter nach § 986 BGB kein Recht zum Besitz zusteht. Die Regelung des § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet ein sonstiges Recht zum Besitz i.S.d. § 986 Abs. 1 BGB376 (zur Aussonderungsberechtigung des Vorbehaltsverkäufers s. § 10 Rz. 29 ff.).
153
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH entfällt das Besitzrecht des Verwalters mit der Verfahrenseröffnung automatisch,377 bleibt ihm jedoch dann erhalten, wenn er die Vertragserfüllung nach §§ 107 Abs. 2, 103 Abs. 1 Satz 1 InsO wählt.
154
Hat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldner eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft und vom Verkäufer Besitz an der Sache erlangt, so braucht gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO der Insolvenzverwalter, den der Verkäufer zur Ausübung seines Wahlrechtes aufgefordert hat, die Erklärung nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben. Bis zum gleichen Zeitpunkt besteht überdies kein Auskunftsanspruch des Eigentumsvorbehaltsverkäufers gegenüber dem Insolvenzverwalter.378
155
Das bedeutet indes nicht, dass der Verwalter seine Entscheidung sofort nach dem Berichtstermin zu treffen hat. Ebenso wie bei § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO ist ihm eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, innerhalb derer er zu prüfen hat, ob er das Vorbehaltsgut benötigt, um das von der Gläubigerversammlung vorgegebene Verfahrensziel zu erreichen.379
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Schon dem eindeutigen Wortlaut nach kann mithin auch der Vorbehaltsverkäufer die Sache vom Insolvenzverwalter nicht bereits unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens aus dem schuldnerischen Unternehmen herausverlangen, sondern ist im Hinblick auf die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die dem Verwalter einzuräumende Überlegungsfrist faktisch bis zu drei Monate an der Ausübung des Aussonderungsrechts gehindert.
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Die Regelung des § 107 Abs. 2 InsO wird den Besonderheiten des reformierten Insolvenzrechts insoweit gerecht, als auch und gerade die Fortführung des Unternehmens ermöglicht werden soll, was aber dann ad absurdum geführt würde, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter bereits in der Eröffnungsphase die Aussonderungsansprüche zu befriedigen und daher z.B. Eigentumsvorbehaltsware herauszugeben hätte, die er als vorläufiger und endgültiger Verwalter für die Betriebsfortführung benötigt.380
158
Das Interesse des Vorbehaltslieferanten kann auch für das Eröffnungsverfahren nicht über den die Fortführung insolventer Unternehmen fördernden Grundsatz des § 107 Abs. 2 InsO hinausgehen, soll durch die Anordnung der vorläufigen Verwaltung schließlich nicht ein Einfallstor zur Umgehung der §§ 103 ff. InsO geöffnet werden.
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Insoweit besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO erst nach Eröffnung des Verfahrens gegen den Verwalter geltend gemacht werden kann, es sei denn, dass gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO eine erhebliche Minderung des Wertes der Sache zu erwarten ist und der Gläubiger den vorläufigen Verwalter auf diesen Umstand hingewiesen hat.381 Hierbei geht der Ge-
376 Uhlenbruck/Knof, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 107 Rz. 16, durch die Erfüllungsablehnung entfällt das Besitzrecht des Käufers/Verwalters nicht. 377 BGH v. 22.12.1995 – V ZR 52/95, EWIR 1996, 343 = MDR 1996, 1004 = ZIP 1996, 426, 427. 378 AG Düsseldorf v. 11.5.2000 – 27 C 18 049/99, DZWIR 2000, 347. 379 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 107 Rz. 15. 380 MünchKommInsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 2 Rz. 49. 381 MünchKommInsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 22 Rz. 49.
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VI. Besonderheiten bei Kaufverträgen unter Eigentumsvorbehalt | Rz. 166 § 11
setzgeber davon aus, dass eine unzumutbare Wertminderung vor allem bei leicht verderblicher Ware und Saisonartikeln in Betracht kommt.382 Die vorgenannten Regelungen für das eröffnete Verfahren haben mithin für das Eröffnungsverfahren zur Folge, dass der vorläufige Insolvenzverwalter sich weder zur Vertragserfüllung zu erklären braucht noch der Verkäufer berechtigt ist, sein vorbehaltenes Eigentum bei dem Schuldner herauszuholen.383 Macht der aussonderungsberechtigte Gläubiger trotz der Regelung in § 107 Abs. 2 InsO seinen Herausgabeanspruch geltend, so kann auf Anregung des Verwalters das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO die Herausgabe des Gegenstandes untersagen.384
160
Die Möglichkeit der Erfüllungswahl hat der Insolvenzverwalter – der den Vertrag so hinnehmen muss, wie er bei Verfahrenseröffnung zwischen den Vertragsparteien bestand – nicht immer.
161
War der Käufer schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Zahlungsverzug und der Vorbehaltsverkäufer deswegen vom Kaufvertrag zurückgetreten, kann der Insolvenzverwalter nicht mehr Erfüllung wählen.385 Wegen eines nach dem Antrag auf Verfahrenseröffnung eingetretenen Verzuges darf der Vorbehaltsverkäufer aber vor Verfahrenseröffnung nicht zurücktreten.386
162
Ob er es nach Verfahrenseröffnung darf, wenn der Verzug schon vorher eingetreten war, ist umstritten. Unter der Geltung des § 17 KO wurde die Auffassung vertreten, die Ausübung eines vor Verfahrenseröffnung entstandenen Rücktrittsrechts werde durch das Wahlrecht des Verwalters nicht ausgeschlossen.387 Ob das für § 103 InsO ebenso gilt, mag zunächst dahinstehen.
163
Auch nach der Schuldrechtsmodernisierung 2002 wird die Ansicht vertreten, der Vorbehaltsverkäufer könne vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn der Vorbehaltskäufer nach Zahlung mehrerer Raten, aber vor vollständiger Tilgung des Restkaufpreises insolvent wird.388 Hierbei soll das Erfordernis einer Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich sein, weil bereits feststeht, dass diese Fristsetzung sinnlos ist. Der Vorbehaltsverkäufer soll vielmehr unmittelbar nach Verfahrenseröffnung gemäß § 323 Abs. 4 BGB zurücktreten können, weil spätestens dann offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden, selbst wenn weitere Zahlungen noch nicht fällig sind.
164
Für den Bereich der Unternehmensinsolvenz können die vorstehend beschriebenen Überlegungen keine Anerkennung finden. Jedenfalls für das Verhältnis zwischen dem Vorbehaltsverkäufer und dem insolventen Vorbehaltskäufer dürfen die Wertungen der §§ 107 Abs. 2, 112 InsO nicht außer Acht gelassen werden.
165
Insbesondere kommt nach vorherrschender Auffassung eine analoge Anwendung des § 112 Nr. 1 InsO in Betracht.389 § 112 Nr. 1 InsO bestimmt sinngemäß, dass nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Schuldverhältnis nicht mehr wegen eines Verzuges, der in der Zeit vor dem
166
382 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 107 Rz. 17. 383 MünchKommInsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 22 Rz. 49; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 6 Rz. 30. 384 Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 6 Rz. 30. 385 MünchKommInsO/Ganter, 4. Auflage 2019, § 47 Rz. 66; Henckel, Aktuelle Probleme der Warenlieferanten im Konkurs, 1984, 25. 386 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 66; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 31, 32. 387 RG v. 20.2.1915 – V 389/14, RGZ 86, 247, 250. 388 Ausführlich zu dem Thema: Marotzke, KTS 2002, 1 ff.; Mossler, ZIP 2002, 1831 ff.; Huber, NZI 2004, 57 ff. 389 AG Düsseldorf v. 11.5.2000 – 27 C 18049/99, DZWIR 2000, 347, 348; MünchKommInsO/Ganter, 4. Aufl. 2019, § 47 Rz. 66; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 31; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 112 Rz. 55; a.A. Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 112 Rz. 16; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 476; Huber, NZI 2004, 57, 60.
Dahl | 995
§ 11 Rz. 166 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen Eröffnungsantrag eingetreten ist, gekündigt werden kann. Eine andere Ansicht entnimmt § 112 Nr. 2 InsO einen verallgemeinerungswürdigen Rechtsgedanken, wonach eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist.390 167
Sowohl die Vorschrift des § 112 InsO als auch die Regelung des § 107 InsO beruhen auf dem Gedanken, „dass die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinander gerissen werden darf“.391 Hieraus darf geschlossen werden, dass eine „Rücktrittssperre“ für den Vorbehaltsverkäufer zumutbar ist, weil sie ihm außer einer zeitlichen Verzögerung keine Nachteile bringt: Er kann aussondern, sobald sich der Verwalter für die Nichterfüllung entschieden hat; hat dieser die Erfüllung gewählt, bekommt der Vorbehaltsverkäufer den (Rest-)Kaufpreis aus der Masse.392 Ließe man demgegenüber ein unbeschränktes Rücktrittsrecht des Vorbehaltsverkäufers zu, würde die Regelung des § 107 Abs. 2 InsO insgesamt leer laufen.393
168
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat ein aus dem Vorbehaltskaufvertrag abgeleitetes vertragliches Nutzungsrecht, und zwar auch dann, wenn dem Schuldner vertraglich verboten wurde, die Sache an Dritte weiterzugeben,394 oder wenn generell der Wegfall des Nutzungsrechts durch den Vermögensverfall des Schuldners oder die Antragstellung vereinbart wurde.
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Befindet sich das Vorbehaltsgut noch unverändert im schuldnerischen Vermögen, so richtet sich die Befugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters nach der vertraglichen Abrede.395 Regelmäßig wird die Verarbeitungsbefugnis nach dem ausdrücklich erklärten oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelten Willen der Parteien mit Stellung des Antrags erlöschen.396 Der vorläufige Insolvenzverwalter ist damit auf zusätzliche Vereinbarungen mit den Vorbehaltseigentümern angewiesen, wenn er unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Waren verarbeiten will.397
170
Die Vorschrift des § 172 Abs. 2 InsO, wonach der Insolvenzverwalter eine Sache verbinden, vermischen und verarbeiten darf, soweit dadurch die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers nicht beeinträchtigt wird, ist auf Sachen, die der Schuldner unter Eigentumsvorbehalt erworben und noch nicht vollständig bezahlt hatte, weder unmittelbar noch analog anwendbar.398 Anders liegen die Dinge jedoch beim „erweiterten“ Eigentumsvorbehalt399 nach Eintritt des Erweiterungsfalls, da der Verkäufer dann nicht mehr aus-, sondern nur noch absonderungsberechtigt ist.400
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Erleidet der Eigentumsvorbehaltsgläubiger durch eine Bearbeitung gemäß §§ 946 ff. BGB einen Rechtsverlust, kann von demjenigen, zu dessen Gunsten die Rechtsänderung eintritt, Vergütung in Geld gemäß §§ 812 ff. BGB verlangt werden. Ferner bleiben die Verpflichtung zum Schadensersatz nach §§ 823 ff. BGB sowie die Vorschriften über den Ersatz von Verwendungen und über das Recht zur Wegnahme einer Einrichtung unberührt. Dementsprechend hat der Eigentumsvorbehaltsverkäu-
390 391 392 393 394 395 396 397
Ausführlich HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 32 u. § 112 Rz. 17 ff. Vgl. zu § 126 RegE BT-Drucks. 12/2443, S. 148. MünchKommInsO/Ganter, 4. Aufl. 2019, § 47 Rz. 66. HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 32. HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 33. HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 35. Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 451 f. Ausführlich zur Veräußerung schuldnerfremder (unter Eigentumsvorbehalt stehender) beweglicher Gegenstände vor und in der Insolvenz des Eigentumsvorbehaltskäufers Saenger/Scholz, NZI 2021, 561 ff. 398 MünchKommInsO/Ganter, 4. Aufl. 2019, § 47, Rz. 65; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 107 Rz. 35; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 455. 399 Gegen die Anwendung des erweiterten Eigentumsvorbehalts, weil damit das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 ausgehebelt werde, Seger/Tetzlaff, ZInsO 2012, 427 ff. 400 BGH v. 27.3.2008 – IX ZR 220/05, ZIP 2008, 842 = EWIR 2008, 439 m. Anm. Mitlehner = MDR 2008, 821 = NJW 2008, 1803.
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VI. Besonderheiten bei Kaufverträgen unter Eigentumsvorbehalt | Rz. 173 § 11
fer, dessen Eigentumsvorbehaltsgut mit der Folge des Eigentumsverlusts verbunden, vermischt oder verarbeitet wird, gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO i.V.m. § 951 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen die Masse wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Überdies ist der Insolvenzverwalter im Rahmen des § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er Ansprüche von Aussonderungsberechtigten vereitelt (zur Haftung des Verwalters gegenüber Aussonderungsberechtigten vgl. § 10 Rz. 109a, § 22 Rz. 224).
4. Praxistipp/Musterschreiben M 14 Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 107 Abs. 1 InsO bei Insolvenz des Eigentumsvorbehaltsverkäufers
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Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Kaufvertrag über (Bezeichnung des Gegenstandes), in dem Ratenzahlung vereinbart wurde. Der (Gegenstand) wurde meiner Mandantin am 00.00.00 übergeben und wird seither von ihr genutzt. Die Schuldnerin hat sich laut Ziffer … ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Eigentum an dem (Gegenstand) bis zur vollständigen Bezahlung vorbehalten. Meine Mandantin macht hiermit von dem ihr in § 107 Abs. 1 InsO zustehenden Rechten Gebrauch und verlangt Erfüllung des Kaufvertrages. Mit freundlichen Grüßen
M 15 Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO bei Insolvenz des Eigentumsvorbehaltskäufers
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Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Kaufvertrag über die Lieferung verschiedener Obstsorten. Die Ware wurde dem Schuldner von meiner Mandantin am 00.00.00 übergeben und befindet sich seither in den Lagerräumen der Schuldnerin. Meine Mandantin hat sich gemäß Ziffer … ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Eigentum an dem gelieferten Obst bis zur vollständigen Bezahlung vorbehalten und fordert Sie auf, sich in Ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter unverzüglich über die Ausübung des gesetzlich bestehenden Wahlrechts zu erklären. Gleichzeitig weist meine Mandantin gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich darauf hin, dass mit der Ausübung des Wahlrechts nicht bis zum Berichtstermin zugewartet werden kann, da bis dahin wegen der Verderblichkeit der Ware mit einer erheblichen Verminderung des Wertes zu rechnen ist. Mit freundlichen Grüßen
Dahl | 997
§ 11 Rz. 174 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen
VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 174
Die wegen § 119 InsO unabdingbaren §§ 108–112 InsO enthalten Sonderbestimmungen betreffend die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen in der Insolvenz.
175
§ 108 InsO ordnet generell das Fortbestehen einiger bestimmter Dauerschuldverhältnisse (Mietund Pachtverhältnisse von Immobilien und Räumen, Dienstverhältnisse und Leasing) mit Wirkung für die Insolvenzmasse an und entzieht diese damit als lex specialis dem aus § 103 InsO resultierenden Wahlrecht des Insolvenzverwalters (hierzu oben Rz. 10 ff.).401
176
§ 109 InsO enthält Regelungen für den Fall, dass der Schuldner ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume als Mieter oder Pächter eingegangen war. Das insbesondere dem Insolvenzverwalter in dieser Norm eingeräumte vorzeitige Kündigungsrecht soll im Interesse der Gläubiger die Masse davor schützen, mit Miet- und Pachtzinsansprüchen belastet zu werden, obgleich eine wirtschaftlich angemessene Nutzung des Mietobjekts in Anbetracht der Insolvenz nicht mehr möglich ist.
177
Die §§ 110, 111 InsO behandeln demgegenüber die Rechtslage bei Vermieterstellung des Schuldners. Hierbei ist es Zweck des § 110 InsO, der Masse die Erträge aus der Vermietung und Verpachtung von massezugehörigen Immobilien und Räumen zu sichern. § 111 InsO zielt darauf ab, dem Insolvenzverwalter eine Veräußerung unbeweglicher Miet- und Pachtobjekte aus der Insolvenzmasse zu erleichtern, indem die Beendigung bestehender Vertragsverhältnisse dadurch vereinfacht wird, dass der Bestandsschutz des Miet- und Pachtverhältnisses auf die gesetzliche Kündigungsfrist beschränkt wird.
178
In § 112 InsO finden sich schließlich Aussagen über die Kündigungssperre bei bestehenden Mietund Pachtverhältnissen des Schuldners. Um die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinanderzureißen, soll es dem Insolvenzverwalter ermöglicht werden, das Unternehmen so lange fortzuführen, bis eine Entscheidung über das Verfahrensziel getroffen werden kann. § 112 InsO dient daher dem Zweck, zu verhindern, dass dem schuldnerischen Unternehmen durch dessen Vermieter oder Verpächter betriebsnotwendige Pacht- und Mietgegenstände entzogen werden (zur Kündigungssperre ausführlich vgl. Rz. 250 ff.).
179
Mietverträge, die der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung abschließt, fallen ebenso wenig in den Anwendungsbereich der §§ 108 ff. InsO wie Verträge, die der vorläufige Insolvenzverwalter nach Beantragung des Insolvenzverfahrens abschließt (zur Rechtsstellung der Geschäftspartner des [vorläufigen] Insolvenzverwalters vgl. § 16 dieses Buches). Im Unterschied dazu ist ein Mietverhältnis, das der Schuldner nach Beantragung des Insolvenzverfahrens mit Zustimmung des so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis abschließt, ausschließlich der Handlungssphäre des Schuldners zuzuordnen und wird von den §§ 108 ff. InsO erfasst.
180
Vor Verfahrenseröffnung beendete Miet- und Pachtverhältnisse werden ebenfalls von den §§ 108 ff. InsO nicht erfasst. Maßgeblich ist insofern der Termin, zu dem das Mietverhältnis durch Zeitablauf endet oder zu dem eine Kündigung wirksam wird.
401 OLG Frankfurt v. 16.11.2004 –2 W 39/04, ZInsO 2005, 378 f.
998 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 185 § 11
2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO a) Miete und Pacht von Immobilien und Räumen Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Die Regelung betrifft Mietund Pachtverhältnisse, ohne nach Vermieter- oder Mieterinsolvenz zu unterscheiden.
181
Entgegen der bislang ganz h.M. in der Literatur402 soll nach der Rechtsprechung § 108 InsO nur einschlägig sein, wenn dem Mieter die Mietsache vor Verfahrenseröffnung bereits überlassen war.403 Danach steht dem Insolvenzverwalter, wenn die Mietsache noch nicht überlassen wurde, das Wahlrecht aus § 103 InsO zu. Unbewegliche Gegenstände sind nach der Legaldefinition des § 49 InsO alle Gegenstände, die den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen unterliegen. Hierunter fallen sowohl Grundstücke als auch Schiffe und Flugzeuge (§§ 864 Abs. 1, 870a ZPO, 47, 99 LuftfzG). Der Begriff der Räume ist entsprechend der mietrechtlichen Vorschriften des BGB zu bestimmen. Gemeint sind sowohl Wohn- und Geschäftsräume als auch sonstige Räume. Auch nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtete Baulichkeiten sind unabhängig von ihrer Bauweise hierunter zu fassen, solange nur der Wille des Errichtenden auf die vorübergehende Nutzung geht.404
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Unerheblich ist, ob es sich bei dem Miet- oder Pachtvertrag um einen Haupt- oder Untermietvertrag handelt, da es auf die eigene Nutzung nicht ankommt und § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nach Wortlaut und Sinn alle Miet- und Pachtverhältnisse erfasst.405
183
Bei Mischverträgen, die sowohl Mobilien als auch Immobilien zum Gegenstand haben oder aber miet- oder pachtfremde Leistungen enthalten, ist maßgeblich, welche Leistung dem Vertrag sein typisches Gepräge gibt.406
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Wesensmerkmal des Mietvertrages/Pachtvertrages ist die entgeltliche Gebrauchsüberlassung.407 Der Pachtvertrag gewährt dem Pächter neben dem Gebrauch oder stattdessen den Fruchtgenuss des Pachtgegenstandes.408
185
402 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 108 Rz. 9; MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 108 Rz. 12, 66; Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, Kap. 6 Rz. 175; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 108 Rz. 8; a.A. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rz. 11; Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 37 Rz. 24, 42; Cymutta, VIA 2021, 25, 25. 403 Zuletzt BGH v. 11.12.2014 – IX ZR 87/14, ZIP 2015, 135 = MDR 2015, 365 = EWIR 2015, 117 m. Anm. Marotzke = MietRB 2015, 108 = NZI 2015, 123 m. krit. Anm. Dahl/Linnenbrink; so auch bereits BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, ZIP 2007, 2087 = EWIR 2007, 729 m. Anm. Eckert = MDR 2008, 109 = MietRB 2008, 8 = NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/J. Schmitz; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 108 Rz. 8. 404 FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 108 Rz. 16; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 108 Rz. 10. 405 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 108 Rz. 39. 406 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 30; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 108 Rz. 8; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 108 Rz. 60; MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 108 Rz. 50. 407 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rz. 13; MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 108 Rz. 46; Hamburger Kommentar zur InsO/Pohlmann-Weide, 8. Aufl. 2021, § 108 Rz. 3. 408 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rz. 13.
Dahl | 999
§ 11 Rz. 186 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 186
Im Hinblick auf vorrangige dienst- oder werkvertragliche Elemente sind insbesondere der Heimpflegevertrag, der Internatsvertrag und der Tankstellenvertrag als zwischen Mineralölunternehmen und Betreiber geschlossener Stationärvertrag nicht als Miet- oder Pachtverhältnis zu behandeln. Zum Teil wird eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Lizenzverträge befürwortet.409 Dies ist jedoch aufgrund des Ausnahmecharakters des § 108 InsO abzulehnen.410 Auch der BGH411 hat eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO verneint, da bei Lizenzverträgen kein unbewegliches Vermögen betroffen ist. Zu den Einzelheiten und der gescheiterten Novellierung eines § 108a InsO siehe Rz. 63d ff.
186a
Seit März 2020 sind (mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen) viele Betreiber von Geschäften und sonstigen Einrichtungen dazu verpflichtet, ihren Betrieb zum Schutz vor Corona-Infektionen zu schließen. Die finanziellen Verpflichtungen der Betriebe laufen jedoch weiter. Dies betrifft nicht nur Arbeitnehmerentgelte und Sozialleistungen, sondern auch Miet- und Pachtzahlungen.412 Gerade in Innenstadtlagen und Einkaufszentren gehören die Geschäftsraummieten zu einem wesentlichen Teil der Ausgaben, die ohne laufende Umsätze kaum erwirtschaftet werden können.413
186b
Fraglich ist daher, wie sich die behördlich angeordneten Schließungen der Betriebe auf die Zahlungspflichten auswirken, insbesondere welche Auswirkung die am 31.12.2020 in Kraft getretene Regelung in Art. 240 § 7 EGBGB auf Gewerbemietverhältnisse hat. Die Regelung, die auch in der Insolvenz von Mieter oder Vermieter gilt, lautet: (1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. (2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden. Art. 240 § 7 EGBGB setzt voraus, dass die vermieteten Grundstücke oder vermieteten Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.
186c
Es sind somit verschiedene Fallgruppen414 zu unterscheiden, bei denen sich unterschiedliche Auswirkungen der Pandemie zeigen: Fall 1: Ein Ladengeschäft, das zu einem bestimmten Zweck vermietet wurde (z.B. als Schuhgeschäft oder Restaurant), wird von einem behördlichen Betriebsverbot erfasst und muss deshalb schließen.415 In diesen Fällen liegen die Voraussetzungen des Art. 240 § 7 EGBGB zweifelsfrei vor. Fall 2: Ein Geschäft (z.B. eine Bäckerei oder ein Drogeriemarkt) oder Büro wird von dem behördlichen Betriebsverbot nicht erfasst. Es kann daher weiterhin geöffnet bleiben. Es bleiben jedoch sehr viele Kunden aus, weil die Exekutive entsprechende Empfehlungen/Gebote oder Kontaktverbote erlassen hat. Daher brechen auch hier beim Mieter die Umsätze ein.416 409 Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79, 82. 410 McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682, 692 m.w.N; BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/ Göpfert/ Berberich, Stand: 15.1.2021, § 108 Rz. 72 m.w.N. 411 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = MDR 2006, 711 = EWIR 2006, 119 m. Anm. Bärenz = CR 2006, 151 m. Anm. Plath/Scherenberg = ITRB 2006, 74 = NZI 2006, 229. 412 Ausführlich hierzu Weidt/Schiewek, NJOZ 2020, 481, 481. 413 Ausführlich hierzu Weidt/Schiewek, NJOZ 2020, 481, 481. 414 Ausführlich hierzu Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 483; Streyl, NZM 2020, 817, 824. 415 Ausführlich hierzu Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 483. 416 Ausführlich hierzu Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 483.
1000 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 186e § 11
In Fällen der sog. mittelbaren Betroffenheit ist die Anwendbarkeit des Art. 240 § 7 EGBGB umstritten.417 Die Schwierigkeit besteht hier schon darin, diejenigen Fälle zu identifizieren, die auf einer Entscheidung zur Vermeidung des Risikos einer Ansteckung beruhen, und sie von einem allgemeinen Rückgang der Nachfrage abzugrenzen.418 Insoweit ist festzuhalten, dass Art. 240 § 7 EGBGB ausdrücklich die Lösung des Problems der Auswirkungen der Betriebsschließungen und Nutzungsbeschränkungen adressiert, nicht jedoch die Auswirkungen, die die Corona-Pandemie infolge eines veränderten Kundenverhaltens hat.419 Fall 3: Ein Geschäft oder Büro wird von dem behördlichen Betriebsverbot nicht erfasst, jedoch können mehrere Mitarbeiter des Unternehmens aufgrund einer COVID-19-Erkrankung oder der behördlichen Pflicht, sich in Quarantäne zu begeben, ihrer Tätigkeit nicht nachgehen, was zu Umsatzeinbrüchen oder gar zur Schließung führt.420 Erkrankt der Mieter, verwirklicht sich das vom Mieter zu tragende allgemeine Lebensrisiko.421 Ähnlich muss es sich bei Erkrankung oder Quarantäne von Mitarbeitern des Mieters verhalten, da die Vertragsbezogenheit erst dann greift, wenn auf Vermieterseite die Gebrauchsgewährungsmöglichkeit und auf Mieterseite die Nutzungsmöglichkeit objektiv eingeschränkt wird.422 Fall 4: Bloße (zusätzliche) Umsatzeinbußen. Wenn Mieter keinen krisenbedingten Einschränkungen unterliegen, sondern erhebliche Umsatzeinbußen erleiden, weil ihre Leistungen wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit oder schon eingetretener wirtschaftlicher Schwierigkeiten von den Kunden in geringerem Umfang nachgefragt werden, handelt es sich nur um mittelbare Folgen der Corona-Krise, nämlich um die Folgen einer allgemeinen wirtschaftlichen Notlage.423 Eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB kommt hier nicht in Betracht.424 Liegen die Voraussetzungen des Art. 240 § 7 EGBGB vor, stellt die Norm lediglich klar, dass die Corona-Pandemie grundsätzlich eine Störung der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 BGB für ein Mietverhältnis bedeutet. Nicht geregelt wird hingegen, dass nun Gewerbemieter, deren Geschäftsbetrieb staatlichen Beschränkungen ausgesetzt ist, automatisch einen Anspruch auf Mietminderung haben und damit ganz oder teilweise keine Miete mehr bezahlen müssten.425
186d
Nach Art. 240 § 7 EGBGB wird lediglich (tatsächlich) vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.426 Die weitere Tatbestandsvoraussetzungen des § 313 BGB, insbesondere die Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag (normatives Element) und das Merkmal, dass die Parteien bei Kenntnis einer derart schwerwiegenden Veränderung der Umstände auch tatsächlich eine Regelung getroffen hätten (hypothetisches Element), werden von Art. 240 § 7 EGBGB ebenso wenig erfasst wie die Rechtsfolge (etwa Stundung oder vorübergehende / dauerhafte Anpassung der Miete) und sind durch die Partei, die sich darauf beruft, im Streitfall darzulegen und gegebe-
186e
417 Dagegen LG München II v. 28.1.2021 – 1 O 2773/20, BeckRS 2021, 2996 ff.; Streyl, NZM 2020, 817, 824; BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 25; dafür Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 492; BeckOK MietR/M. Schultz, Stand: 1.2.2021, Art. 240 § 7 Rz. 5; Nerlich/Römermann/Römermann, Kommentar zum EGBGB, Stand: 42. EL Februar 2021, Art. 240 § 7 Rz. 170; wohl auch LG München I v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, MietRB 2021, 140 (Mettler), BeckRS 2021, 1762 ff. 418 LG München I v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, MietRB 2021, 140 (Mettler) = BeckRS 2021, 1762 ff. 419 LG München I v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, MietRB 2021, 140 (Mettler) = BeckRS 2021, 1762 ff.; BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 25. 420 Ausführlich hierzu Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 483. 421 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 23. 422 Streyl, NZM 2020, 817, 824; BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 23. 423 Streyl, NZM 2020, 817, 824; BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 25. 424 Streyl, NZM 2020, 817, 824; BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 25. 425 Ausführlich hierzu Römermann, NJW 2021, 265 ff.; Lindner-Figura/Reuter, NJW 2021, 1061 ff. 426 Ausführlich hierzu Martens, ZIP 2021, 1521 ff.
Dahl | 1001
§ 11 Rz. 186e | Beratung bei gegenseitigen Verträgen nenfalls zu beweisen.427 Teils wird deshalb vertreten, Art. 240 § 7 EGBGB sei ein legislativer Griff ins Leere.428 186f
§ 313 BGB kann nur dann eingreifen, wenn das Risiko, das sich verwirklicht hat, nach der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung keiner Partei zugewiesen ist.429 Bei einem Mietvertrag trägt der Mieter das Risiko, dass sich Gewinne erzielen lassen (Verwendungsrisiko)430 und der Vermieter trägt grundsätzlich das Risiko fehlender Fähigkeit zur Gebrauchsüberlassung.431 Der Vermieter trägt damit das Risiko dafür, dass sich die Mietsache aufgrund ihrer Beschaffenheit, Lage oder Beziehungen zur Umwelt für den Vertragszweck eignet. Darum geht es jedoch nicht, wenn der Geschäftsbetrieb einer gesamten Branche zur Bekämpfung einer Pandemie behördlich untersagt oder anderweitig durch die Pandemiefolgen beeinträchtigt wird, namentlich durch das geänderte Kundenverhalten.432 Denn der Mieter stünde schließlich vor dem gleichen Problem, wenn er ein anderes Objekt gemietet hätte, sogar dann, wenn sich dieses an einem anderen Ort befände.433 Das Risiko der Pandemie wird man aber auch nicht allein dem Mieter auferlegen können, da sich die Parteien zum einen auf die vom Mieter geplante Verwendung eingelassen haben und zum anderen die Miethöhe in der Vergangenheit nur deswegen erzielt werden konnte, weil die branchenübergreifende Nachfrage nach den Räumen entsprechend hoch war.434 Derartige, nach vernünftigen Maßstäben unvorhersehbare Risiken wie die Corona-Pandemie und die mit ihr einhergehenden staatlichen Maßnahmen können nicht allein der ein oder anderen Seite aufgebürdet werden. Auch darauf erstreckte sich erkennbar der Wille des Gesetzgebers des Art. 240 § 7 EGBGB. Es würde nämlich keinen Sinn ergeben, wenn er beim realen Element eine Klarstellung beisteuerte, um zu Neujustierungen zwischen den Mietvertragsparteien aufzufordern, und beim normativen Element jede Veränderung blockierte.435
186g
Die Geschäftsgrundlage wird gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, beim Vertragsschluss aber zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragsteils oder durch die gemeinsamen Vorstellungen beider Teile vom Vorhandensein oder der Fortdauer bestimmter Umstände, die objektiv erforderlich sind, damit der Vertrag noch als eine sinnvolle Regelung bestehen kann.436 Unter der „großen Geschäftsgrundlage“ versteht man die Erwartung, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern, dass die Sozialexistenz nicht erschüttert werde.437 Als „große“ Geschäftsgrundlage wird in diesem Zusammenhang daher die gemeinsame Vorstellung der Parteien anzuerkennen sein, dass es während der Vertragslaufzeit nicht zu einer Pandemie kommen wird, die sich ganz erheblich und weltweit auf den Handel und die sonstige Geschäftstätigkeit auswirkt, d.h. die Parteien gingen überstimmend davon aus, dass ein geregelter Geschäftsbetrieb überhaupt möglich ist.438
427 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 27. 428 Brinkmann/Thüsing, NZM 2021, 5, 12. 429 OLG München v. 17.2.2021 – 32 U 6358/20, NJW 2021, 948 ff. m.w.N; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 487. 430 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rz. 73. 431 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rz. 73. 432 Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 487. 433 Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 487. 434 Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 487. 435 So auch Römermann, NJW 2021, 265 ff. 436 BGH v. 1.2.2012 − VIII ZR 307/10, MDR 2012, 390 = NJW 2012, 1718 ff.; Palandt/Grüneberg, Kommentar zum BGB, 80. Aufl. 2021, § 313 Rz. 4; BeckOK BGB/Lorenz, Stand: 1.2.2021, § 313 Rz. 4. 437 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rz. 17; Streyl, NZM 2020, 817, 821. 438 Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 487; Streyl, NZM 2020, 817, 821.
1002 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 187 § 11
Bei einem Vertragsschluss nach Krisenbeginn kommt eine Vertragsanpassung nach Art. 240 § 7 EGBGB, § 313 BGB somit nicht in Betracht, da den Parteien das Risiko pandemiebedingter Nutzungseinschränkungen bekannt war bzw. bekannt sein musste.439 In diesen Fällen liegt eine Wiederlegung der von Art. 240 § 7 EGBGB aufgestellten Vermutung vor.440
186h
Das OLG Karlsruhe hat in seinem Urteil vom 24.2.2021441 zu Recht ausgeführt, dass die coronabedingte Schließungsanordnung eines Geschäfts weder einen Sachmangel der Mietsache noch eine Unmöglichkeit der Leistungserbringung des Vermieters begründet. Die Annahme der Unzumutbarkeit der Mietzahlung im Rahmen von § 313 BGB setze eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls voraus, bei der der Rückgang der Umsätze, mögliche Kompensation durch online-Handel, öffentliche Leistungen, ersparte Aufwendungen, z.B. durch Kurzarbeit, oder Vermögenswerte durch nicht verkaufte und noch verkaufbare Ware zu berücksichtigen seien. Das OLG Karlsruhe hat kein „schlechthin nicht mehr hinnehmbares Ergebnis“ erkennen können, welches sich als existenzgefährdend darstelle. Demgegenüber kann nach Auffassung des KG Berlin442 bei einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung wegen der Corona-Pandemie die Gewerbemiete wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf die Hälfte herabzusetzen sein, ohne dass im Einzelfall eine Existenzbedrohung des Mieters festgestellt werden muss.
186i
In der Rechtsfolge kommt – da die gesetzliche Vermutung an Tatsachen, nämlich an staatliche Maßnahmen seit Beginn der Covid-19-Pandemie, und nicht an die Rechtslage anknüpft – auch eine rückwirkende Anwendung des Art. 240 § 7 EGBGB in Betracht. Der Moment der Veränderung ist damit die relevante, den konkreten Mietraum betreffende Maßnahme. Die Miete steht damit für den gesamten Zeitraum seit Beginn der Pandemie im März 2020 infrage, so dass noch nachträglich eine Anpassung verlangt werden kann; dabei schließen sich bereicherungsrechtlich zu lösende Fragen an.443 In der Insolvenz des Mieters wird der Verwalter diesen potentiellen Anspruch zwecks Massemehrung im Auge zu behalten haben, während in der Insolvenz des Vermieters der Vertragspartner für die Vergangenheit gegebenenfalls nur eine Insolvenzforderung hat.
186j
b) Dienstverträge Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters ist ferner auch bei Dienstverträgen ausgeschlossen, die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO ebenfalls mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen.444 Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Dienstvertrag eine Geschäftsbesorgung für den Schuldner zum Inhalt hat und demzufolge § 116 InsO Anwendung findet.
439 Streyl, NZM 2020, 817, 826; BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 31. 440 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 31. 441 OLG Karlsruhe v. 24.2.2021 – 7 U 109/20, MDR 2021, 479 = GmbHR 2021, 548 = MietRB 2021, 137 (Burbulla) = NJW 2021, 945 ff.; ebenso OLG München v. 17.2.2021 – 32 U 6358/20, NJW 2021, 948 ff.; wohingegen das OLG Dresden mit Hinweisbeschluss v. 15.2.2021 – 5 U 1782/20, NJW 2021, 953 ff. eine Vertragsanpassung über § 313 BGB nach dem Risikoverteilungsprinzip bejaht hat; das OLG Nürnberg hat mit Beschluss v. 19.10.2020 – 13 U 3078/20, BeckRS 2020, 29175 ff. dagegen ausgeführt, dass die Mangelhaftigkeit der Mietsache aufgrund der Beschränkungen im Rahmen der Covid-19 Pandemie „in der rechtlichen Diskussion mit beachtlichen Gründen vertreten“ werde; einen Mietmangel i.S.v. § 536 BGB bejahen auch LG München I v. 22.9.2020 – 3 O 4495/20, BeckRS 2020, 28189 ff.; LG Kempten v. 7.12.2020 – 23 O 753/20, BeckRS 2020, 37736 ff.; AG Pinneberg v. 17.11.2020 – 81 C 18/20, BeckRS 2020, 33730 ff. und gelangen so im Ergebnis zu einem Anspruch auf Mietminderung. 442 KG Berlin v. 1.4.2021 – 8 U 1099/20, BeckRS 2021, 8005. 443 Ausführlich hierzu Nerlich/Römermann/Römermann, Kommentar zum EGBGB, Stand: 42. EL Februar 2021, Art. 240 § 7 Rz. 47 ff.; Römermann, NJW 2021, 265 ff. 444 Vgl. hierzu Wente, ZIP 2005, 335 ff.
Dahl | 1003
187
§ 11 Rz. 188 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 188
Unerheblich ist, ob der Schuldner aus dem Vertrag zur Erbringung von Diensten verpflichtet oder zu deren Empfang berechtigt ist, da die Norm anders als § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht danach differenziert, ob der Schuldner berechtigt oder verpflichtet ist.445 Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob der Dienstvertrag vom Verpflichteten bereits angetreten wurde, zumal ansonsten bei Erfüllungsablehnung jeglicher Kündigungsschutz entfiele.446
c) Finanzierte Mobilienmiet- und Pachtverträge (Leasing) 189
§ 108 Abs. 1 Satz 2 InsO erweitert den Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Mietund Pachtverhältnisse, die der Schuldner als Vermieter oder Verpächter eingegangen war und die sonstige Gegenstände betreffen, die einem Dritten, der ihre Anschaffung oder Herstellung finanziert hat, zur Sicherheit übertragen wurden. Die Regelung betrifft daher so genannte finanzierte Miet- und Pachtverträge über Mobilien und bezieht sich vorrangig auf Leasingverträge.447
190
Gegenstand des Miet- oder Pachtverhältnisses muss ein sonstiger Gegenstand sein. Der Begriff ist weit zu verstehen und umfasst sowohl Sachen als auch Rechte und Forderungen, so dass namentlich auch das Softwareleasing in den Anwendungsbereich fällt.448
191
Die Anschaffung oder Herstellung des Leasinggutes muss von einem Dritten finanziert und diesem dann zur Sicherheit übertragen, also übereignet oder abgetreten worden sein. Eine Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung liegt nur dann vor, wenn zwischen Finanzierungsgeschäft und Herstellung oder Anschaffung eine kausale Beziehung besteht, so dass es nicht genügt, wenn die Finanzierung aus einem allgemeinen Betriebsmittelkredit ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem konkreten Leasinggut erfolgt.449
192
Nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift soll mangels Zusammenhangs zwischen Sicherungsübertragung und Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung auch die erst nachträglich oder aufgrund späterer Umfinanzierung erfolgte Sicherungsübertragung fallen.450 Richtiger Ansicht nach ist allein maßgeblich, dass das Leasinggut als Sicherheit für die Finanzierung seiner Anschaffung oder Herstellung dient, so dass es dann, wenn diese kausale Beziehung hergestellt ist, auf die zeitliche Abfolge nicht ankommen kann.451
d) Sale-and-lease-back-Verfahren 192a
Beim Sale-and-lease-back-Verfahren erwirbt der Leasinggeber das Leasingobjekt nicht von einem Dritten, sondern vom (späteren) Leasingnehmer und überlässt es ihm anschließend auf Grundlage eines Leasingvertrages zur Nutzung. Zur Durchführung eines solchen Geschäfts sind somit zwei Rechtsgeschäfte, ein Kaufvertrag und ein Leasingvertrag, erforderlich. Für den Leasingnehmer ist diese Variante des Leasings insoweit vorteilhaft, als er die Möglichkeit zur Nutzung des Objekts behält und gleichzeitig durch dessen Verkauf Kapital freisetzt, das er anderweitig einsetzen kann. 445 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 108 Rz. 10; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 108 Rz. 13. 446 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rz. 50; vgl. aber BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, BGHZ 173, 116 = ZIP 2007, 2087 = EWIR 2007, 729 m. Anm. Eckert = MDR 2008, 109 = MietRB 2008, 8 und BGH v. 11.12.2014 – IX ZR 87/14, ZIP 2015, 135 = MDR 2015, 365 = EWIR 2015, 117 m. Anm. Marotzke = MietRB 2015, 108 = NZI 2015, 123 bei Mietverhältnissen. 447 Ausführlich dazu: Uhlenbruck/Sinz, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rz. 65 ff.; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 1 ff.; Fehl, DZWIR 1999, 89. 448 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 108 Rz. 164 m.w.N; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 108 Rz. 17. 449 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 108 Rz. 13. 450 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020 § 108 Rz. 16. 451 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 108 Rz. 14.
1004 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 192e § 11
Die Behandlung eines Sale-and-lease-back-Vertrages in der Insolvenz einer der beiden Vertragsparteien bereitet insbesondere dann Schwierigkeiten, wenn der Kaufvertrag bei Verfahrenseröffnung von beiden Teilen noch nicht vollständig erfüllt war, stellt sich doch dann die Frage, ob insolvenzrechtlich an den nach § 103 InsO zu behandelnden Kaufvertrag oder aber an die vor allem Miet- und Pachtverhältnisse betreffenden §§ 108 ff. InsO anzuknüpfen ist, und ob mit Blick auf die anzuwendenden Vorschriften zwischen der Insolvenz des Leasingnehmers und der des Leasinggebers weiter zu differenzieren ist.452
192b
Der BGH hat sich – in einem anders gelagerten Fall – für die Anwendbarkeit der §§ 108 ff. InsO mit dem zutreffenden Hinweis entschieden, dass das streitgegenständliche Schuldverhältnis jedenfalls auf den Gebrauch eines unbeweglichen Gegenstands gegen Entgelt gerichtet war.453 Unabhängig von vertragstypologischen Einordnungen ist für die insolvenzrechtliche Behandlung danach maßgeblich, dass das erstrebte Vertragsziel und das Schwergewicht des Vertrages in einer entgeltlichen Gebrauchsüberlassung auf Zeit liegt.454 Zu der Bedeutung der Entscheidung mit Hinblick auf § 110 InsO siehe Rz. 228a.
192c
e) Darlehensverträge Durch das „Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens“ vom 13.4.2007 wurde § 108 InsO ein neuer Abs. 2 eingefügt.455 Seitdem enthält § 108 InsO also auch Vorschriften über Darlehensverhältnisse.456 Im Schrifttum bestand Uneinigkeit darüber, ob § 103 InsO auf Darlehensverträge anwendbar ist, wenn der Darlehensgeber die Darlehensvaluta vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausbezahlt hat.457 Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert zu dieser Frage nicht.458 Mit Einfügung des Abs. 2 wurde die Rechtsunsicherheit beseitigt. Auf diese Weise sollen Risikoaufschläge am Kapitalmarkt verhindert und damit unnötige Finanzierungskosten in Deutschland vermieden werden. Ist der Schuldner als Darlehensgeber ein entgeltliches Darlehensverhältnis eingegangen, so wird durch den Abs. 2 klargestellt, dass dieses mit Wirkung für die Masse fortbesteht, soweit dem Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde. Der Gesetzgeber geht damit davon aus, dass der Darlehensgeber mit der Auszahlung der Darlehensvaluta seine Hauptleistungspflicht erfüllt hat und § 103 InsO damit nicht anwendbar ist.459 Im Falle einer Insolvenz eines Kreditinstitutes hat die Regelung den Vorteil, dass durch den Insolvenzverwalter nicht zahlreiche Darlehensverträge beendet werden können, mit der Folge, dass einige Darlehensnehmer selbst in Zahlungsschwierigkeiten geraten, wenn sie nach der Beendigung nicht kurzfristig eine Umschuldung erreichen können. Daneben wird sichergestellt, dass vorinsolvenzliche Zessionen an Zweckgesellschaften im Falle der Insolvenz von Refinanzierungsunternehmen insolvenzfest sind.460 Die Neuregelung des § 108 Abs. 2 InsO lässt die Anwendbarkeit des § 116 InsO auf Kontokorrentkredite unberührt.461
192d
Die Nichtanwendung des § 103 InsO hat zur Folge, dass kein Rückerstattungsanspruch besteht, sondern dass der Insolvenzverwalter an einen von dem Schuldner vereinbarten Darlehensvertrag gebun-
192e
452 Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, 2003, Rz. 28, 303 ff. 453 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, MDR 2013, 813 = EWIR 2013, 417 m. Anm. Marotzke = NZI 2013, 586 mit Anm. von Dahl; Vorinstanz Bdb. OLG v. 8.2.2012 – 3 U 111/11, MietRB 2012, 102 = ZIP 2012, 1523. 454 Vgl. Uhlenbruck/Sinz, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019 § 108 Rz. 65. 455 Zu den Hintergründen vgl. BT-Drucks. 16/3227, S. 19. 456 Zum Insolvenzvereinfachungsgesetz vgl. Marotzke, ZInsO 2004, 1273 ff., 1276; Pannen/Riedemann, NZI 2006, 193. 457 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 103 Rz. 84 f.; Lind, ZInsO 2004, 580; Laudenklos/Sester, ZIP 2004, 1757. 458 Offen gelassen BGH v. 5.10.1989 – III ZR 34/88, MDR 1990, 416 = NJW 1990, 1356. 459 BeckOK InsO/Berberich, Stand: 15.1.2021, § 108 Rn. 32.1. 460 Marotzke, ZInsO 2006, 300, 302. 461 Begründung, RegE BR-Drucks. 549/06, S. 36.
Dahl | 1005
§ 11 Rz. 192e | Beratung bei gegenseitigen Verträgen den ist.462 In Betracht kommt jedoch ein außerordentliches Kündigungsrecht für Darlehensverträge aus § 490, §§ 313, 314 BGB.463
3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) 193
§ 108 Abs. 3 InsO bestimmt, dass der Vertragspartner des Schuldners Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur als Insolvenzgläubiger geltend machen kann. Zum Teil wird hieraus geschlossen, dass die Vorschrift des § 108 Abs. 3 InsO der Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen im Eröffnungsverfahren generell entgegensteht, also auch dann, wenn zur Sicherung der Masse ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird.
194
Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten demgegenüber Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ordnet darüber hinaus an, dass Gleiches für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis gilt, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (hierzu und auch zu der nachstehenden Problematik s. § 16 Rz. 14, 40a ff.).
195
Herrschender Auffassung nach werden durch den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet. Bereits die obergerichtliche Rechtsprechung hat § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO für nicht anwendbar erklärt, so dass durch den vorläufigen Verwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet werden.464 Dem wird von den Instanzgerichten insbesondere in den zum „Bast-Bau-Verfahren“ ergangenen Entscheidungen, die sämtlich gleichgelagerte Sachverhaltskonstellationen (bloße Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts) zum Inhalt haben, durchweg gefolgt.465 Auch in der Literatur herrscht die Ansicht vor, dass durch den vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet werden.466
196
Nur für den Fall, dass das Insolvenzgericht dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter eine Einzelermächtigung erteilt, kann dieser einzelne Masseverbindlichkeiten in begrenztem Umfang begründen.467
197
Schließlich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass bei Bestellung eines vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters die speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO im Eröffnungsverfahren Anwendung
462 Gehrlein, ZInsO 2012, 101, 102. 463 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 103, Rz. 29; MünchKommInsO/Huber, 4. Aufl. 2019, § 103 Rz. 69. 464 OLG Köln v. 29.6.2001 – 19 U 199/00, EWIR 2001, 1011 m. Anm. Eckert = NZI 2001, 554 = ZIP 2001, 1422; OLG Frankfurt/M. v. 29.1.2002 – 5 U 170/00, ZIP 2002, 2185. 465 LG Leipzig v. 30.8.2001 – 11 O 2044/01, EWIR 2001, 1061 m. Anm. Wienberg = ZIP 2001, 1778; AG Leipzig v. 4.9.2001 – 08 C 2818/01, ZIP 2001, 1780; AG Wuppertal v. 13.6.2001 – 96 C 96/01, MDR 2001, 1317 = EWIR 2002, 113 m. Anm. Ringstmeier = ZIP 2001, 1335; a.A. LG Essen v. 10.1.2001 – 16 O 534/ 00, NZI 2001, 217, das die Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt analog anwendet. 466 MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rz. 221; vgl. auch Beck/Depré/Ringstmeier, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 12 Rz. 22 ff. 467 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 258/12, MDR 2015, 734 = ZIP 2015, 434 = EWIR 2015, 355 m. Anm. Smid = NZI 2015, 273; BeckOK InsO, Fridgen/Geiwitz/Göpfert/Erdmann, Stand: 15.1.2021, § 55 Rz. 63; Uhlenbruck/Sinz, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 55 Rz. 93; K. Schmidt/Thole, Kommentar zur InsO, 19. Aufl. 2016, § 55 Rz. 41.
1006 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 201 § 11
findet und auch § 108 Abs. 2 InsO insofern der Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen nicht entgegensteht.468 Letzterer Auffassung hat sich auch der BGH zu Recht angeschlossen und entschieden, dass Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen i.S.d. § 108 InsO unter der Voraussetzung des § 55 Abs. 2 InsO schon für die Zeit des Eröffnungsverfahrens zu Masseverbindlichkeiten werden.469 Hierbei verweist der BGH darauf, dass es sich bei § 55 Abs. 2 InsO um eine speziell im Eröffnungsverfahren geltende Vorschrift handelt, deren Satz 2 inhaltlich gegenstandslos wäre, wenn § 108 Abs. 3 InsO dafür ausnahmslos Abweichendes anordnen würde.
198
Ergänzend stellt der BGH klar, dass insbesondere § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO weder unmittelbar noch entsprechend auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters anzuwenden ist, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergegangen ist.470 Nur auf Grund des Erlasses eines allgemeinen Verfügungsverbots kann der vorläufige Insolvenzverwalter umfassend für den Schuldner handeln, während er bei Anordnung eines bloßen Zustimmungsvorbehalts rechtlich nicht in der Lage ist, den Schuldner gegen dessen Willen zu bestimmten Handlungen anzuhalten, insbesondere kann er ihn ohne ergänzende gerichtliche Anordnung nicht an der tatsächlichen Nutzung gemieteter Räume hindern.
199
Schließlich erklärt der BGH die Praxis einiger Insolvenzgerichte, im Eröffnungsverfahren zwar kein allgemeines Verfügungsverbot anzuordnen, den vorläufigen Verwalter aber zu ermächtigen, „mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln“, gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO für unzulässig und gibt den Insolvenzgerichten auf, entsprechende Befugnisse des Verwalters für den Einzelfall genau festzulegen.471
200
Als Fazit bleibt daher festzuhalten:
201
– Der Vertragspartner des Schuldners kann Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen, die aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens resultieren, grundsätzlich nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. – Nur dann, wenn im Insolvenzeröffnungsverfahren durch das Insolvenzgericht ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergeht, kann der Vertragspartner seine aus einem Dauerschuldverhältnis herrührenden Ansprüche ausnahmsweise als Massegläubiger geltend machen. Für den Fall, dass das Insolvenzgericht dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter eine Einzelermächtigung erteilt, kann dieser einzelne Masseverbindlichkeiten in begrenztem Umfang begründen.
468 LAG Köln v. 25.2.2000 – 12 Sa 1512/99, EWIR 2000, 735 m. Anm. Jaffé, NZI 2000, 288 = ZIP 2000, 805; LG Essen v. 10.1.2001 – 16 O 534/00, NZI 2001, 217; MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019; § 108 Rz. 157; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 108 Rz. 54 f.; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 108 Rz. 31; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 108 Rz. 15; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 108 Rz. 38; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 8, 11. 469 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, EWIR 2002, 919 m. Anm. Spliedt = MDR 2002, 1454 = NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; s. dazu auch Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845, Heidrich/Prager, NZI 2002, 653, Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608 und Smid, DZWIR 2002, 444. 470 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, EWIR 2002, 919 m. Anm. Spliedt = MDR 2002, 1454 = NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625. 471 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = EWIR 2002, 919 m. Anm. Spliedt = MDR 2002, 1454 = ZIP 2002, 1625; so nunmehr auch OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 = EWIR 2003, 1093 m. Anm. Pape = ZIP 2003, 1165; s. auch AG Duisburg v. 28.7.2002 – 62 IN 167/02, NZI 2002, 614 = ZIP 2002, 1700.
Dahl | 1007
§ 11 Rz. 202 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 202
Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Dienstverhältnissen, die nach Verfahrenseröffnung entstehen, werden dagegen immer zu Masseverbindlichkeiten.472 § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO ordnet insoweit ausdrücklich an, dass Masseverbindlichkeiten insbesondere auch die Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen sind, deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Ist hingegen in der Insolvenz des Mieters das Mietverhältnis bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst, kommt dem Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung für die Zeit ab Insolvenzeröffnung grundsätzlich nicht der Rang einer Masseverbindlichkeit zu.473 Für Nebenkosten kommt es nicht auf die nachinsolvenzliche Erstellung der Abrechnung an.474 Nebenkostennachforderungen sind daher Insolvenzforderungen und nicht Masseverbindlichkeiten, wenn die Nebenkosten im vorinsolvenzlichen Zeitraum angefallen sind.
202a
Sofern Gegenstände, die dem Vermieterpfandrecht unterliegen, verwertet werden, ist der Insolvenzverwalter berechtigt bei der Auskehr des Verwertungserlöses nach § 166 Abs. 1 BGB zu bestimmen, dass zunächst die Mietzinsforderungen des Vermieters getilgt werden sollen, die als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen sind und sodann erst offene Mietzinsinsolvenzforderungen.475
202b
Besonderheiten ergeben sich, wenn der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO angezeigt hat. Die – anteilige – Befriedigung der Massegläubiger erfolgt dann nach Maßgabe der in § 209 Abs. 1 InsO angeordneten Rangfolge, d.h. zunächst werden die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO), des Weiteren die Neumasseverbindlichkeiten und schließlich die Altmasseverbindlichkeiten berichtigt. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist der maßgebliche Zeitpunkt in Hinblick auf die Unterscheidung von Alt- und Neumasseverbindlichkeiten.476 Als Neumasseverbindlichen gelten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. Die übrigen Masseverbindlichkeiten sind Altmasseverbindlichkeiten, § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Hat der Insolvenzverwalter den Rechtsgrund für das Schuldverhältnis erst nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelegt, so handelt es sich um eine Verbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, während die pflichtwidrig nicht verhinderte Nutzung eine Verbindlichkeit nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO begründet.477 Wegen Altmasseverbindlichkeiten kann nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr in die Insolvenzmasse vollstreckt werden, § 210 InsO, dem Gläubiger bleibt nur die Möglichkeit, auf Feststellung seiner Forderung zu klagen.478 Die mit der Anzeige verbundenen Folgen treten unabhängig davon ein, ob die Voraussetzungen einer solchen Anzeige nach § 208 InsO tatsächlich vorgelegen haben.479 Eine Prüfung der Richtigkeit der Anzeige durch das Insolvenzgericht oder andere Verfahrensbeteiligte sieht das Gesetz nicht vor.480 Gläubigern steht nur der Weg offen,
472 BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 152/20, ZIP 2021, 863 = MDR 2021, 707; BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/ 13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff, Rz. 33; Berliner Kommentar zur InsO/Goetsch, Stand: Dezember 2020, § 108 Rz. 33. 473 BGH v. 21.12.2006 – IX ZR 66/05, MDR 2007, 914 = EWIR 2007, 339 m. Anm. Holzer = MietRB 2007, 110, NZI 2007, 287 = ZIP 2007, 340. 474 BGH v. 13.4.2011 – VIII ZR 295/10, EWIR 2011, 393 m. Anm. Eckert = MDR 2011, 650 = ZIP 2011, 924 = MietRB 2011, 202 = NZI 2011, 404. 475 OLG Dresden v. 19.10.2011 – 13 U 1179/10, ZIP 2011, 2266 = EWIR 2011, 819 m. Anm. Mitlehner = MietRB 2012, 12, NZI 2011, 995. 476 MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 209 Rz. 3. 477 BGH v. 29.4.2004 – IX ZR 141/03, ZIP 2004, 1277 = EWIR 2004, 871 m. Anm. Eckert = ZInsO 2004, 674. 478 OLG Koblenz v. 11.5.2007 – 8 U 1776/05, ZMR 2007, 786. 479 MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 209 Rz. 20. 480 S. dazu Hamburger Kommentar zur InsO/Weitzmann, 8. Aufl. 2021, § 208 Rz. 12.
1008 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 202e § 11
zum Ausgleich von Schäden wegen einer fehlerhaften – zu frühen oder zu späten – Anzeige einen individuellen Haftungsprozess gegen den Insolvenzverwalter einzuleiten.481 Die Vorschrift des § 208 InsO erfasst hierbei nicht nur den Fall, dass sich die Masseunzulänglichkeit erst im Laufe des Verfahrens herausstellt. Vielfach wird schon bei Verfahrenseröffnung klar sein, dass außer den für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens notwendigen, aber auch hinreichenden Kosten des Insolvenzverfahrens (§§ 26 Abs. 1, 54 InsO) nicht alle sonstigen Masseverbindlichkeiten gedeckt werden können. In diesem Fall wird es eine der ersten Amtshandlungen des Verwalters sein, dem Gericht die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, weil er damit erreichen kann, dass die Ansprüche aus fortbestehenden Dauerschuldverhältnissen für die Zeit nach dieser Anzeige bis zur Wirksamkeit einer sofort ausgesprochenen Kündigung nur anteilig als „Altmasseverbindlichkeiten“ i.S.d. §§ 209 Abs. 1 Nr. 3, 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu befriedigen sind.482
202c
Der Insolvenzverwalter ist gehalten, das Dauerschuldverhältnis nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit zum frühest-möglichen Zeitpunkt zu kündigen. Versäumt er dies, stellen die Ansprüche des Vertragspartners für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit hätte kündigen können, nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorrangig zu bedienende „Neumasseverbindlichkeiten“ unabhängig davon dar, ob der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch nimmt oder nicht.483 Dies gilt auch für solche Dauerschuldverhältnisse, die der Verwalter erst nach Verfahrenseröffnung begründet hat. Hier soll zwar kein Sonderkündigungsrecht bestehen, weil die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht zur Begründung eines neuen außerordentlichen Kündigungsrechts führt.484 Der Verwalter muss aber gleichwohl mit der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen, will er die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten vermeiden.485 Unterlässt der Verwalter eine solche Kündigung, obwohl er das Vertragsverhältnis für die Masse nicht mehr benötigt, kann er sich schadensersatzpflichtig machen.486
202d
Nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO vorrangig zu bedienende „Neumasseverbindlichkeiten“ bestehen ebenfalls dann, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die aus einem Dauerschuldverhältnis geschuldete Gegenleistung des Vertragspartners für die Insolvenzmasse in Anspruch nimmt. Ob das Vertragsverhältnis gekündigt wurde, ist hierbei ohne Belang.487 Der Insolvenzverwalter nimmt die Gegenleistung aus einem Dauerschuldverhältnis dann in Anspruch, wenn er die Leistung nutzt, obwohl er das pflichtgemäß hätte verhindern können.488 Die bloße Entgegennahme einer im Voraus fälligen Mietzinszahlung kann aber nicht schon als Nutzung für den gesamten Vorauszahlungszeitraum angesehen werden. Der Insolvenzverwalter hat daher den Vermieter von seiner Leistungspflicht freizustellen und seine eigene Verfügungsmacht über den Mietgegenstand aufzugeben, um das Entstehen von Neumasseverbindlichkeiten zu vermeiden. Durch die Freigabeerklärung werden die zu bezeichnenden Gegenstände wieder der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterstellt.489
202e
481 Vgl. LG Hamburg v. 23.11.2005 – 306 C 362/04, ZInsO 2005, 1279; MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 209 Rz. 20. 482 HK-InsO/Landfermann, 9. Aufl. 2018, § 208 Rz. 10; MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 209 Rz. 31; Uhlenbruck/Ries, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 209 Rz. 22 f. 483 Pfälz. OLG v. 10.4.2019 – 1 U 101/17, ZIP 2019, 1943 = ZIP 2019, 1243 = ZinsO 2019, 1073 ff.; MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 209 Rz. 32; Uhlenbruck/Ries, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 209 Rz. 22 f. 484 Nerlich/Römermann/Westphal, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 209 Rz. 8. 485 Uhlenbruck/Ries, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 209 Rz. 22. 486 FK-InsO/Boochs, 9. Aufl. 2018, § 209 Rz. 37. 487 Uhlenbruck/Ries, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 209 Rz. 25. 488 BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, EWIR 2003, 651 m. Anm. Tetzlaff = MDR 2003, 1015 = NZI 2003, 369 = ZIP 2003, 914. 489 MünchKommInsO/Peters, 4. Aufl. 2019, § 35 Rz. 72, 98 ff.
Dahl | 1009
§ 11 Rz. 202f | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 202f
Streitig war, wie nach der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO Forderungen aus von dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung begründeten und im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit fortgesetzten Dauerschuldverhältnissen behandelt werden. Erklärt der Insolvenzverwalter bei einem selbständig tätigen Schuldner die Freigabe, gehört das Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse und Ansprüche aus dieser Tätigkeit können nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Der BGH hat entschieden, dass infolge der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen nur noch gegen den Schuldner und nicht mehr gegen die Masse durchgesetzt werden können. Dies gilt demgemäß auch für Mietverträge.490
202g
Die Freigabeerklärung ist gegenüber dem Schuldner abzugeben, hat aber für den Vermieter als Gläubiger insoweit Bedeutung, als freigegebene Gegenstände nun wieder der Einzelvollstreckung unterliegen und insbesondere der Vermieter die Verwertung seinem Pfandrecht unterliegender Gegenstände betreiben kann. Durch eine Freigabe wird allerdings die Masse nicht von der Entrichtung der Hausgelder (d.h. Vorschüssen auf den Wirtschaftsplan, Abrechnungssalden der Jahresabrechnungen und Sonderumlagen) entlassen. Diese sind, sofern sie nach der Freigabe fällig werden, als Masseschulden zu berichtigten.491
4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO a) Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters 203
Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 109 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter ein Sonderkündigungsrecht.
203a
Das Sonderkündigungsrecht des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO steht nur dem Insolvenzverwalter, nicht aber dem vorläufigen Insolvenzverwalter zu. Dies ergibt sich schon aus der Stellung der Norm im Dritten Teil der InsO, der auf Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bezug nimmt. Auch der sog. „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, der gerichtlich mit einer allgemeinen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet wurde, kann das Sonderkündigungsrecht des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht ausüben, da erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Dauerschuldverhältnisse der Modifikation gemäß §§ 103 ff. InsO unterliegen und nach diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über Weiterführung oder Abwicklung dieser Vertragsverhältnisse getroffen wird.492
204
Im Gegensatz zu § 111 InsO ist das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters nicht auf den ersten zulässigen Kündigungstermin beschränkt, sondern kann vom Verwalter jederzeit – ohne dass er sich treuwidrig verhielte – wenn es ihm sachdienlich erscheint493 während des Insolvenzverfahrens unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen ausgeübt werden.494 Als maßgebliche Vorschrift ist in diesem Zusammenhang insbesondere § 580a BGB anzusehen. § 580a Abs. 4 BGB bestimmt hierbei insbesondere, wann ein Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt
490 BGH v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533 = MDR 2012, 676 = EWIR 2012, 287 m. Anm. Henkel = NJW 2012, 1361; LG Krefeld v. 24.2.2010 – 2 O 346/09, NZI 2010, 485; AG Mannheim v. 4.6.2010 – 4 C 25/10, NZI 2010, 689. 491 AG Mannheim v. 4.6.2010 – 4 C 25/10, NZI 2010, 689. 492 MünchKommInsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 22 Rz. 59; Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 3; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 44; a.A. Eckert, ZIP 1996, 897, 899 f. 493 Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 3; Minuth/Wolf, NZM 1999, 289, 291. 494 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 109 Rz. 25 f.; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 4; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 56 f.; Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 37 Rz. 34.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 210b § 11
werden kann. Hierunter fällt allgemeiner Ansicht nach auch das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 InsO.495 (weggefallen)
205–210
Für Insolvenzverfahren, die nach dem 1.7.2007 eröffnet wurden,496 ordnet § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Frist von drei Monaten zum Monatsende an, wenn nicht ohnehin eine kürzere Frist maßgeblich ist. Schon die ursprüngliche Regelung des § 109 Abs. 1 InsO a.F. diente dem Ziel, die Masse nicht mit Mietansprüchen zu belasten, wenn eine wirtschaftliche Nutzung des Objekts nicht mehr möglich ist. Dieser Anspruch wurde aber nur unvollkommen eingelöst, da sich z.B. die Kündigungsfrist für gewerblichen Mietraum nach § 580a Abs. 2, 4 BGB von bis zu fast neun Monaten maßgebend sein konnte. Hierin erkannte der Gesetzeber eine Aushöhlung der Masse und eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung insbesondere von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis nach § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO mit einer Kündigungsfrist von höchstens drei Monaten beendet werden kann.497 Die Verkürzung der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 InsO auf drei Monate wirkt sich insbesondere auf Pachtverhältnisse erheblich aus.
210a
Unberührt bleiben die Vorschriften zur fristlosen Kündigung, im Mietrecht also beispielsweise die §§ 543, 569 BGB. Ansprüche aus einem gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nach Insolvenzeröffnung fortbestehenden Mietverhältnis sind Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO), wenn ihre Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss und ist demgemäß zeitanteilig aufzuteilen.498 Grundsätzlich endet die Pflicht der Masse zur Mietzahlung damit erst mit dem Ablauf der Kündigungsfrist nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO.499 Anfang 2020 erreichte die Covid-19 Pandemie die Bundesrepublik Deutschland und stürzte die Bevölkerung und Wirtschaft in eine außergewöhnliche Krise. Es folgte ein erster öffentlich angeordneter Lockdown, der umfassende Schließungsanordnungen für zahlreiche Geschäftsbetriebe beinhaltete.500 Zahlreiche große Unternehmen kündigten daher im März 2020 an, Mietzahlungen einzustellen. Diese Entscheidungen revidierten sie aber teilweise aufgrund massiver öffentlicher Kritik wieder.501 Zum Schutz der Mieter reagierte der Gesetzgeber und führte zunächst die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit nach Art. 240 § 2 EGBGB ein. Fraglich ist, welche Auswirkung die am 31.12.2020 in Kraft getretene Regelung in Art. 240 § 7 EGBGB auf Gewerbemietverhältnisse im Falle der Insolvenz des Mieters oder Pächters hat. Aufgrund der Schließungsanordnungen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie und der teils kontroversen Rechtsprechung hierzu (vgl. Rz. 186a), könnte künftig abzuwägen sein, ob laufende Mietzinsen vom Mieter angepasst502 oder bereits gezahlte Mieten während einer angeordneten Be495 Vgl. nur Palandt/Weidenkaff, Kommentar zum BGB, 80. Aufl. 2021, § 580a Rz. 4. 496 Vgl. Art. 103c EGInsO; § 108 Abs. 3 InsO wurde durch das „Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens“ v. 13.4.2007 geändert. 497 Begründung, RegE BR-Drucks. 549/06, S. 37. 498 BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 152/20, ZIP 2021, 863 = MDR 2021, 707; BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/ 13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff Rz. 33; Berliner Kommentar zur InsO/Goetsch, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 19. 499 Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 6. 500 Ausführlich hierzu Rieger, NJOZ 2021, 193, 193. 501 Ausführlich hierzu Rieger, NJOZ 2021, 193, 193. 502 Vgl. LG Mönchengladbach v. 2.11.2020 – 12 O 154/20, BeckRS 2020, 30731 ff., das einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB in Höhe der Hälfte der Miete bejahte; LG München I v. 22.9.2020 – 3 O 4495/20; BeckRS 2020, 28189 ff., das einen Mietmangel und daher im April 2020 einen
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210b
§ 11 Rz. 210b | Beratung bei gegenseitigen Verträgen triebsschließung vom Insolvenzverwalter – unabhängig von der insolvenzrechtlichen Anfechtung (§§ 129 ff. InsO) – zurückgefordert503 werden können. Auch ist eine außerordentliche Kündigung gemäß §§ 581 Abs. 2, 543 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB aufgrund pandemiebedingter Untersagung eines Gaststättenbetriebes in Betracht zu ziehen.504 Überwiegend lehnten die Gerichte bei öffentlichen Schließungsanordnungen das Vorliegen eines Mangels im Sinne des § 536 BGB jedoch bereits ab und entschieden zugunsten der Vermieter, so dass die säumigen Mieter rückständige Mieten zahlen müssen.505 Zur Begründung wird überwiegend ausgeführt, dass die hoheitlichen Maßnahmen nicht an die konkrete Beschaffenheit der Mietsache selbst anknüpfen, sondern allgemein an die Nutzungsart sowie den Umstand, dass in den betroffenen Flächen Publikumsverkehr stattfindet und dadurch Infektionen begünstigt werden.506 Berücksichtigung finden können die neuen äußeren Umstände aufgrund der Corona-19 Pandemie jedoch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 313 BGB. Die Regelung des Art. 240 § 7 EGBGB schafft Klarheit im Hinblick auf die zuvor geführte Diskussion, ob der im Frühjahr 2020 in Kraft getretene Art. 240 § 2 Abs. 1 EGBGB, der eine Kündigung durch den Vermieter ausschließt, wenn der Mieter im Zeitraum vom 1.4.2020 bis 30.6.2020 die Miete aufgrund der Covid-19 Pandemie nicht zahlen kann, jedwede Mietminderung oder Vertragsanpassung gleichsam konkludent ausschließe.507 Der Norm kommt somit vor allem eine Klarstellungsfunktion zu. Vermutet wird nach Art. 240 § 7 EGBGB die schwerwiegende Änderung eines zur Geschäftsgrundlage gehörenden Umstands (vgl. hierzu Rz. 186a). Ist von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB auszugehen, berechtigt dies jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr muss nach der Rechtsprechung als weitere Voraussetzung hinzukommen, dass dem betroffenen Vertragspartner „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann“.508 Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung oder eine Kündigung (§ 313 Abs. 3
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Anspruch auf Mietminderung von 80 %, im Mai 2020 aufgrund der Teilöffnung von 50 % und im Juni 2020 aufgrund des Abstandsgebotes von 15 % bejahte; LG Kempten v. 7.12.2020 – 23 O 753/20, BeckRS 2020, 37736 ff., das die Voraussetzungen der §§ 536, 313 BGB und einen Anspruch auf Minderung des Mietzinses um 50 Prozent bejahte. Vgl. AG Pinneberg v. 17.11.2020 – 81 C 18/20, BeckRS 2020, 33730 ff., das aufgrund eines Mietmangels einen Rückzahlungsanspruch des Mieters gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB bejahte. Vgl. LG Kaiserslautern v. 13.4.2021 – 4 O 284/20, MietRB 2021, 173 (Burbulla) = BeckRS 2021, 7514 ff. Vgl. nur OLG Karlsruhe v. 24.2.2021 – 7 U 109/20, MDR 2021, 479 = GmbHR 2021, 548 = MietRB 2021, 137 (Burbulla) = NJW 2021, 945 ff.; OLG München v. 17.2.2021 – 32 U 6358/20, NJW 2021, 948 ff.; LG München I v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, BeckRS 2021, 1762 ff.; LG München II v. 22.9.2020 – 13 O 1657/20, BeckRS 2020, 34250 ff.; LG Wiesbaden v. 5.11.2020 – 9 O 852/20, BeckRS 2020, 32449 ff.; LG Münster v. 19.2.2021 – 23 O 18/20, BeckRS 2021, 2997 ff.; LG Heidelberg v. 30.7.2020 – 5 O 66/20, BeckRS 2020, 19165 ff.; LG Zweibrücken v. 11.9.2020 – HK O 17/20, BeckRS 2020, 24356 ff.; LG Frankfurt am Main v. 2.10.2020 – 2 - 15 O 23/20, NJOZ 2021, 266 ff.; AG Köln v. 4.11.2020 – 206 C 76/20, BeckRS 2020, 32288 ff.; AG Düsseldorf v. 10.11.2020 – 45 C 245/20, NJOZ 2021, 112 ff.; LG Stuttgart v. 19.11.2020 – 11 O 215/20, BeckRS 2020, 32275 ff. Vgl. nur LG Stuttgart v. 19.11.2020 – 11 O 215/20, BeckRS 2020, 32275 ff.; LG Heidelberg v. 30.7.2020 – 5 O 66/20, MietRB 2020, 301 (Mettler) = BeckRS 2020, 19165 ff.; LG Zweibrücken v. 11.9.2020 – HK O 17/20, BeckRS 2020, 24356 ff. Volkmann/Semmelmayer, DB 2021, 499, 500. BGH v. 1.2.2012 − VIII ZR 307/10, MDR 2012, 390 = NJW 2012, 1718 ff.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 210b § 11
BGB) rechtfertigt. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt.509 Es bedarf daher einer Abwägung der Risikobereiche und der jeweiligen Interessen. Das Gesetz weist weder dem Vermieter noch dem Mieter das Risiko der Pandemie zu. Die Parteien tragen dieses Risiko im Zweifel hälftig.510 Der Mieter kann nicht oder nur sehr eingeschränkt Gewinn erzielen, der Vermieter wird die Mietsache kaum zum vertraglich vereinbarten Mietpreis an jemand anderes vermieten können.511 Das Hauptproblem des Mieters liegt im Nachweis der Auswirkungen der staatlichen Maßnahmen auf die Verwendbarkeit der Mietsache für seinen Betrieb.512 Die Berufung auf eine Grundlagenstörung ist nur dann zulässig, wenn ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt, mithin unzumutbar ist.513 Im Rahmen der Zumutbarkeit ist zu prüfen, wie erheblich die Umsätze zurückgegangen sind514 und auch, ob der Mieter öffentliche oder sonstige Zuschüsse erhalten hat, mit denen er die Umsatzausfälle infolge staatlicher Beschränkung jedenfalls kompensieren kann, und ob er Aufwendungen erspart hat (z.B. wegen Kurzarbeitergeld oder weggefallenen Wareneinkaufs).515 Ähnlich wie bei der Berücksichtigung von Unterstützungsleistungen ist es bei der Berücksichtigung von Umsätzen aufgrund kurzfristiger Umstrukturierungen des Betriebes, etwa die Außer-Haus-Lieferung von Speisen durch einen Gastronomiebetrieb. Solche Umstrukturierungen haben Vorrang vor einer Vertragsanpassung: Wer sich selbst anpassen kann, kann keine Vertragsanpassung verlangen.516 Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. § 313 BGB gewährt keine Überkompensation.517 Ein Abstellen auf den konkreten Fall bedeutet nicht nur, dass die tatsächlichen oder möglichen Hilfeleistungen für den Mieter in eine feststehende Formel eingefügt werden. Vielmehr erfordert eine Betrachtung aller konkreten Umstände des Einzelfalles auch gerade die Betrachtung der wirtschaftlichen Situation des Mieters und auch des Vermieters.518 Dabei kann es eine Rolle spielen, wie viele Jahre der Mietvertrag schon besteht und wie der Umsatz und Gewinn der letzten Jahre waren, sodass eine Möglichkeit bestand, Rücklagen zu bilden.519 Ebenfalls in die Interessenabwägung einzustellen ist, dass der Vermieter weiterhin vollständig für Erhaltungsmaßnahmen einzustehen hat, selbst wenn er keine Mieteinnahmen erhält. Dies liefe auf eine einseitige Verlagerung des Nutzungsrisikos zuungunsten der Vermieterseite hinaus.520 In diesem Zusammenhang ist auch die gesetzgeberische Wertung des Art. 240 § 7 EGBGB zu bedenken. Gemäß Art. 240 § 1 Abs. 4 EGBGB sind Miet- und Pachtverträge ausdrücklich vom Leistungsverweigerungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen im Moratoriumszeitraum aus509 BGH v. 1.2.2012 − VIII ZR 307/10, MDR 2012, 390 = NJW 2012, 1718 ff. 510 LG München I v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, BeckRS 2021, 1762 ff.; LG Kempten v. 7.12.2020 – 23 = 753/20, BeckRS 2020, 37736; AG Oberhausen v. 6.10.2020 – 37 C 863/20, BeckRS 2020, 35507; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 492; Zehelein, NZM 2020, 390, 399. 511 LG München I v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, MietRB 2021, 140 (Mettler) = BeckRS 2021, 1762 ff.; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 487 f. 512 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 29. 513 LG München I v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, MietRB 2021, 140 (Mettler) = BeckRS 2021, 1762 ff.; Ausführlich hierzu Martens, ZIP 2021, 1521 ff. 514 Häublein/Müller, NZI 2020, 481, 488; Streyl, NZM 2020, 817, 825 die ein Festhalten des Mieters am unveränderten Vertrag annehmen, wenn es pandemiebedingt zu Umsatzeinbußen von 50 % und mehr kommt. 515 OLG Karlsruhe v. 24.2.2021 – 7 U 109/20, ECLI:DE:OLGKARL:2021:0224.7U109.20.00, MDR 2021, 479 = GmbHR 2021, 548 = MietRB 2021, 137 (Burbulla) = NJW 2021, 954 ff. 516 Streyl, NZM 2020, 817, 825. 517 OLG Karlsruhe v. 24.2.2021 – 7 U 109/20, ECLI:DE:OLGKARL:2021:0224.7U109.20.00, MDR 2021, 479 = GmbHR 2021, 548 = MietRB 2021, 137 (Burbulla) = NJW 2021, 954 ff. 518 OLG München v. 17.2.2021 – 32 U 6358/20, NJW 2021, 948 ff. 519 OLG München v. 17.2.2021 – 32 U 6358/20, NJW 2021, 948 ff. 520 LG Lüneburg v. 17.11.2020 – 5 O 158/20, BeckRS 2020, 32664.
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§ 11 Rz. 210b | Beratung bei gegenseitigen Verträgen genommen, obwohl dem Gesetzgeber die Problematik der Auswirkung finanzieller Einbußen auf Mietverhältnisse bekannt war, was der Regelungsinhalt des Art. 240 § 2 EGBGB belegt.521 Eine hinreichend schwerwiegende Beeinträchtigung der Verwendung durch den Mieter wird regelmäßig bei einem Umsatzrückgang, der mehr als das doppelte üblicher saisonaler Schwankungen beträgt, indiziert sein.522 Dem Mieter obliegt die volle Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens einer Existenzgefährdung oder einer vergleichbaren, zur Unzumutbarkeit führenden, wirtschaftlichen Beeinträchtigung. In der Praxis dürfte es daher angezeigt sein, einen konkreten und existenzgefährdenden Umsatzeinbruch zu dokumentieren und darzulegen, welcher auf der Schließung des Ladengeschäfts beruht.523 Hierbei sind staatliche Hilfen, vorhandene Warenvorräte und Vermögenswerte sowie anderweitige Absatzmöglichkeiten in die Betrachtung dieser konkreten Existenzgefährdung mindernd miteinzubeziehen.524 Liegen die Voraussetzungen des § 313 BGB vor, so führt dies nur ausnahmsweise zur Aufhebung des Vertragsverhältnisses. Aus Gründen der Vertragstreue und der Verkehrssicherheit ist der Vertrag nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen und dem Willen beider Partner Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen.525 Maßgebliches Kriterium für Inhalt und Umfang der Vertragsanpassung ist die Zumutbarkeit, die damit sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenseite bedeutsam ist.526 Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles.527 Der Vertrag muss so angepasst werden, dass diejenige Partei, die bei unverändertem Vertrag ein ihr nicht zugewiesenes Risiko trüge, von eben diesem Risiko befreit wird. Der Eingriff darf aber nicht weiter gehen, als zur Risikobefreiung erforderlich. Die Vertragsanpassung darf vor allem nicht dazu führen, dass nunmehr der andere Teil die Folgen des sich realisiert habenden Risikos trägt.528 Grundsätzlich sollte daher eine Lösung angestrebt werden, die auf eine hälftige Teilung des Risikos hinausläuft.529 Ob neben der Vertragsanpassung auch eine gesonderte, neben die Anpassung der Miethöhe tretende Stundung der Miete in Betracht kommt, wird unterschiedlich beurteilt.530 Zu berücksichtigen ist, dass Art. 240 § 2 EGBGB eine solche Stundung der Miete gerade nicht vorsieht, sondern nur eine Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit regelt, würde das Risiko zu sehr auf die Seite des Vermieters verschoben: Er würde durch die Anpassung nicht nur einen Teil der Miete verlieren, sondern bei einer Stundung zeitweise auch vollständig die mit der Mietzahlung verbundene Liquidität.531 Zudem vergrößert sich dieses Risiko des endgültigen Zahlungsausfalls, wenn der Mieter in Insolvenz fällt,532 erhält der Vermieter dann doch nur eine Insolvenzforderung. Dies gilt im Übrigen auch für die Mietforderungen aus den Monaten April bis Juni 2020(Art. 240 § 2 Abs. 2 EGBGB). Gerät der Mieter vorher in Insolvenz, kann der Vermieter diese Forderungen gemäß § 42 Abs. 1 InsO in dessen Insolvenz sofort geltend machen.
521 LG Lüneburg v. 17.11.2020 – 5 O 158/20, BeckRS 2020, 32664. 522 BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 249; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 488; Streyl, NZM 2020, 817,825. 523 Volkmann/Semmelmayer, DB 2021, 499,500; Rieger, NJOZ 2021, 193,198. 524 Volkmann/Semmelmayer, DB 2021, 499, 500; Rieger, NJOZ 2021, 193, 198. 525 BeckOK BGB/Lorenz, Stand: 1.2.2021, § 313 Rz. 82. 526 MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rz. 92. 527 BeckOK BGB/Lorenz, Stand: 1.2.2021, § 313 Rz. 86. 528 Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 489 f. 529 BGH v. 23.11.1989 – VII ZR 60/89, EWIR 1990, 243 = MDR 1990, 329 = NJW 1990, 572 ff.; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rz. 94; BeckOK BGB/Lorenz, Stand: 1.2.2021, § 313 Rz. 87; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 490. 530 Dafür Häublein/Müller, NZI 2020, 481, 490; dagegen Streyl, NZM 2020, 817, 825. 531 Streyl, NZM 2020, 817,825. 532 Streyl, NZM 2020, 817, 825.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 213 § 11
Gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB führt die Unzumutbarkeit einer Vertragsanpassung zu einem Kündigungsrecht. In bestimmten Fällen wird man bei einer Vertragsanpassung der Gegenpartei auch die Lösung vom Vertrag zur Wahl stellen müssen.533 Dieser Grundsatz gilt auch in der pandemiebedingten Situation für beide Vertragspartner. Für den Vermieter kann es unzumutbar sein, auf die Hälfte der Mieteinnahmen zu verzichten, ebenso wie der Mieter vom Generieren von Einnahmen durch Ausübung des Vertragszwecks in den vom „shutdown“-betroffenen Räumen ausgeschlossen sein mag.534 Grundsätzlich ist die Kündigung formfrei möglich. Formzwänge können sich aber einerseits aufgrund vertraglicher Regelungen ergeben, denen auch der Insolvenzverwalter unterworfen ist.535 Andererseits kann die Beachtung einer Form auch aufgrund gesetzlicher Vorschriften erforderlich sein, so etwa gemäß § 568 Abs. 1 BGB (Wohnraummiete), Land- oder Kleingartenpacht (§ 594f BGB, § 7 BundeskleingartenG). Im Übrigen ist die Schriftform schon aus Beweiszwecken nahe liegend und empfehlenswert. Der Vermieter sollte bereits in seinem Kündigungsschreiben aus Gründen der Vorsicht ausdrücklich einer Verlängerung des Mietverhältnisses gemäß § 545 BGB widersprechen.
210c
Sind an dem Mietverhältnis neben dem Schuldner noch weitere Personen als Mieter beteiligt, stellt sich für die Kündigung die Frage der Gesamtwirkung. Einer Ansicht nach ist bei Kündigung des Insolvenzverwalters danach zu unterscheiden, ob der oder die anderen Mieter oder Pächter nur sicherungshalber mitverpflichtet wurden oder ein gleichrangiges Nutzungsrecht erhalten sollten. Im ersten Fall soll Gesamtwirkung, im zweiten hingegen lediglich Einzelwirkung gegeben sein.536
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Demgegenüber muss richtiger Ansicht nach für das Kündigungsrecht eine Befugnis des Verwalters bejaht werden, sich mit Wirkung für alle übrigen Mitmieter von dem Vertrag zu lösen.537 Die Kündigungserklärung kann sich schon ihrer Natur nach nur auf das gesamte Rechtsverhältnis beziehen. Aus diesem Grunde sind auch Teilkündigungen grundsätzlich unzulässig.538 Überdies muss sich der Vermieter auf eine ihm gegenüber erklärte Kündigung verlassen können. Es kann ihm als in der Regel juristischem Laien nicht zugemutet werden, die Wirkungen einer Kündigungserklärung im Hinblick auf ein bestehendes Insolvenzverfahren des Mieters differenziert beurteilen zu müssen. Das gebietet schon die Eindeutigkeit und Sicherheit des Rechtsverkehrs. Oftmals wird der Vermieter zudem von einem solchen Verfahren eines seiner Mieter keine Kenntnis haben.
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Schließlich hat das Interesse des oder der nicht insolventen Mitmieter an der Vertragsfortführung hinter den Schutz der Masse zurückzutreten. Diese würde aber schon allein dadurch laufend belastet, weil Mietzinsforderungen aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung gemäß §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO Masseverbindlichkeiten sind.539 Im Übrigen können sich sowohl die Mitmieter des
213
533 BeckOK/Lorenz, BGB, Stand: 1.2.2021, § 313 Rz. 86; MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rz. 92. 534 Zehelein, NZM 2020, 390, 400. 535 OLG Naumburg, ZMR 1999, 708; MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 109 Rz. 21; Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 5. 536 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 79; MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 109 Rz. 36 ff. 537 BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, MDR 2013, 642 = EWIR 2013, 353 m. Anm. Eckert = ZIP 2013, 835 = MietRB 2013, 173, NZI 2013, 414; OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73 NJW 1974, 2012; Hans. OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673; Hamburger Kommentar zur InsO/Pohlmann-Weide, 8. Aufl. 2021, § 109 Rz. 19; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 109 Rz. 3. 538 H.M.; vgl. nur Palandt/Weidenkaff, Kommentar zum BGB, 80. Aufl. 2021, § 542 Rz. 16. 539 Im Ergebnis ebenso: BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, MDR 2013, 642 = EWIR 2013, 353 m. Anm. Eckert = ZIP 2013, 835 = MietRB 2013, 173, NZI 2013, 414; OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73, NJW 1974, 2012; Hans. OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 109 Rz. 27; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 10; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 22; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246, 247.
Dahl | 1015
§ 11 Rz. 213 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen Schuldners als auch der Vermieter gegen diese Rechtsfolge durch eine mietvertragliche Vereinbarung schützen, die vorsieht, dass im Falle einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter das Vertragsverhältnis mit den übrigen Mietern fortgesetzt wird.540 Mithin bewirkt die Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters die Beendigung des gesamten Vertragsverhältnisses.541 213a
Ein anderes gilt nur bei Jagdpachtverhältnissen. Hier bleibt gemäß § 13a BJagdG das Vertragsverhältnis mit den übrigen Pächtern bestehen, die aber für den Fall der Unzumutbarkeit kündigen können.542
b) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO 214
§ 109 Abs. 1 Satz 3 InsO verhilft dem Vermieter im Falle der Kündigung durch den Insolvenzverwalter und der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses zu einem Schadensersatzanspruch, den er als Insolvenzgläubiger geltend machen kann (zur Geltendmachung einer Insolvenzforderung § 9 Rz. 268 ff.). Allerdings ist zwischen Schadensersatzansprüchen wegen der vorzeitigen Beendigung und solchen aus dem Abwicklungsverhältnis zu differenzieren: aa) Vorzeitige Beendigung
214a
Der vom Vermieter zu beweisende und ihm zu ersetzende Schaden besteht in dem Mietzins, der dem Vermieter durch die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses entgeht. Abgesehen von bereits eingetretenen Beschädigungen der Mietsache selbst kann der Vermieter daher grundsätzlich als Schaden nur die Mietforderungen geltend machen, die bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietdauer entstanden wären.
215
Gleichwohl ist der Vermieter im Rahmen seiner aus § 254 BGB resultierenden Schadensminderungspflicht gehalten, sich um eine anderweitige Vermietung der Mietsache zu bemühen.543 Gleichfalls muss er sich schadensmindernd die Aufwendungen entgegenhalten lassen, die er durch die unterbliebene Gebrauchsüberlassung oder die eigene Nutzung der Mietsache erspart hat. § 119 InsO steht im Übrigen einer für den Fall der vorzeitigen Vertragskündigung vom Vermieter ausbedungenen Vertragsstrafe entgegen.
215a
Soweit der Insolvenzmasse noch ein Auszahlungsanspruch aus Guthaben der Nebenkostenabrechnung zusteht, ist für eine Aufrechnung des Vermieters hiermit nicht mehr der Abschluss des Mietvertrages die maßgebliche Rechtshandlung i.S.d. §§ 95, 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO.544 Diese Rechtsprechung hat der BGH mit Urteil vom 17.9.2009 ausdrücklich aufgegeben.545 Danach entstehen Mietforderungen nicht aufschiebend bedingt bereits mit Vertragsschluss, sondern erst in dem Zeitraum, in dem das Mietobjekt genutzt wird, regelmäßig also jeweils zum Monatsanfang.546 540 OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73, NJW 1974, 2012. 541 Im Ergebnis ebenso: BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, MDR 2013, 642 = EWIR 2013, 353 m. Anm. Eckert = ZIP 2013, 835 = MietRB 2013, 173 = NZI 2013, 414; OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73, NJW 1974, 2012; Hans. OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 109 Rz. 27; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 10; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 22; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246, 247. 542 FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 23. 543 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 12. 544 So aber noch BGH v. 11.11.2004 – IX ZR 237/03, ZIP 2005, 181 = MDR 2005, 596 = MietRB 2005, 148 = NZI 2005, 164 f. 545 BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, NotBZ 2010, 343 = EWIR 2010, 191 m. Anm. Eckardt = MDR 2010, 290 = ZIP 2010, 38 = MietRB 2010, 72 = NZI 2010, 58. 546 So auch jüngst BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, MDR 2013, 813 = EWIR 2013, 417 m. Anm. Marotzke = ZIP 2013, 1082 = NZI 2013, 586 mit Anm. von Dahl.
1016 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 216a § 11
Der Vermieter wird seine Forderungen meist mit dem Kautionsrückzahlungsanspruch des Schuldners verrechnen können. Mit der Kaution kann der Vermieter aber nur solche Forderungen verrechnen, die aus dem jeweiligen Mietverhältnis stammen. Die Aufrechnung mit anderen (mietfremden) Forderungen gegen den Mieter ist ihm verwehrt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist dem Treuhandcharakter der Mietkaution ein stillschweigendes Aufrechnungsverbot für Forderungen zu entnehmen, die nicht durch das Mietverhältnis begründet werden.547
215b
Aufgrund der regelmäßig sechsmonatigen Überlegungs- und Abrechnungsfrist wird der Anspruch des Vermieters vor dem Kautionsrückzahlungsanspruch fällig.548 Der Aufrechnung mit Mietforderungen, die innerhalb des kritischen Zeitraums des § 130 InsO aufgelaufen sind, kann allerdings nach der neuen Rechtsprechung des BGH549 § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegenstehen. Gleiches gilt für Betriebskostennachforderungen, die sich auf den anfechtungsrechtlich relevanten Zeitraum beziehen.
215c
Der Vermieter oder Verpächter kann schließlich sein ihm zustehendes Vermieter- oder Verpächterpfandrecht gemäß §§ 581 Abs. 2, 562 BGB gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO nur wegen rückständiger Miet- und Pachtzinsen für das letzte Jahr vor Verfahrenseröffnung ausüben, nicht jedoch hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs, der aus der Kündigung des Insolvenzverwalters resultiert550 (zum Vermieter- und Verpächterpfandrecht als Absonderungsrecht s. § 10 Rz. 163, 165). Das Vermieter- oder Verpächterpfandrecht ist bereits frühzeitig auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter gegenüber anzuzeigen. Anderenfalls soll ein Vermieterpfandrecht nämlich auch dann gemäß § 562a BGB erlöschen können, wenn der über das Vermögen des Mieters bestellte vorläufige Insolvenzverwalter die Entfernung der Sachen von dem vermieteten Grundstück verfügt.551
216
bb) Abwicklungsverhältnis Der Mieter ist gemäß §§ 546 Abs. 1, 985 BGB verpflichtet, die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses zurückzugeben. In der Insolvenz des Mieters verschafft diese Vorschrift dem Vermieter einen Aussonderungsanspruch gemäß § 47 InsO, der auf die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes an der Mietsache gerichtet ist.552 Davon ist die mietvertragliche Räumungspflicht553 zu unterscheiden. Diese Pflicht, deren Erfüllung neben der Besitzverschaffung zur Rückgabe von Mietgrundstücken gehört, wird allein unter den Voraussetzungen des § 55 InsO zur Masseverbindlichkeit.554 Soweit die Voraussetzungen des § 55 InsO nicht erfüllt sind, stellt der Räumungsanspruch des Vermieters eine Insolvenzforderung i.S.v. § 38 InsO dar, die gemäß § 87 InsO nur nach den Vorschriften des Insolvenzverfahrens verfolgt werden kann.555 Endet der Mietvertrag nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, hat wegen des Räumungsanspruchs des Vermieters die Abgrenzung zwischen Masseverbind547 BGH v. 11.7.2012 – VIII ZR 36/12, MDR 2012, 954 = MietRB 2012, 286 = NZM 2012, 678. 548 Dahl in FS Görg, 2010, S. 119, 132. 549 BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, NotBZ 2010, 343 = EWIR 2010, 191 m. Anm. Eckardt = MDR 2010, 290 = ZIP 2010, 38 = MietRB 2010, 72 = NZI 2010, 58. 550 Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 67; vgl. auch LG Mönchengladbach v. 28.2.2003 – 2 O 111/ 02, EWIR 2003, 771 m. Anm. Blank = ZIP 2003, 1311. 551 LG Mannheim v. 30.10.2003 – 10 S 38/03, EWIR 2003, 1257 m. Anm. Schmidt = ZIP 2003, 2374. 552 BGH v. 11.4.2019 – IX ZR 79/18, EWIR 2019, 339 m. Anm. Eckardt = MDR 2019, 764 = ZIP 2019, 1024 = MietRB 2019, 234 = NJW 2019, 1877. 553 Der Räumungsanspruch des Vermieters entsteht – aufschiebend bedingt durch die Vertragsbeendigung – mit Abschluss des Mietvertrages, mithin vor Insolvenzeröffnung und ist daher grundsätzlich Insolvenzforderung gemäß §§ 38, 108 Abs. 3 InsO zu qualifizieren, KG v. 25.2.2019 – 8 U 6/18, EWIR 2019, 437 m. Anm. Stefani = ZIP 2019, 875; Ausführlich hierzu Vuia, ZInsO 2020, 1957 ff. 554 A.A.: KG v. 25.2.2019 – 8 U 6/18, NZI 2019, 379 mit krit. Anm. von Primozic; Ausführlich hierzu Vuia, ZInsO 2020, 1957 ff. 555 BGH v. 11.4.2019 – IX ZR 79/18, NJW 2019, 1877 = ZIP 2019, 1024.
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216a
§ 11 Rz. 216a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen lichkeit und Insolvenzforderung grundsätzlich danach zu erfolgen, wann das Räumungsgut auf das Mietgrundstück verbracht worden ist. Soweit die zu räumenden Gegenstände und Einrichtungen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf dem Mietgrundstück vorhanden waren, begründet der Räumungsanspruch eine Insolvenzforderung.556 Denn der Räumungsanspruch des Vermieters entsteht aufschiebend bedingt bereits mit Abschluss des Mietvertrages.557 Ein betagter Anspruchauf Nutzungsentschädigung558 aus einem bereits beendeten Mietverhältnis wird auch nicht dadurch zur Masseverbindlichkeit, dass der nicht besitzende Insolvenzverwalter auf das Herausgabeverlangen des Vermieters nicht eingeht.559 Die bloße Räumung im Rahmen der Abwicklung stellt indes keine solche Verwalterhandlung dar.560 § 55 InsO bezweckt nämlich, dass, wer etwas zur Masse beisteuert, auch die vereinbarte Gegenleistung dafür erhalten soll. Die bloße Abwicklung stellt aber keinen Beitrag zur Masse dar.561 Wie der Räumungsanspruch ist auch der Anspruch auf Erfüllung etwaiger Rückbauverpflichtungen zu behandeln.562 Ein Herausgabeanspruch des Vermieters gegen den Insolvenzverwalter besteht allerdings nur, wenn der Insolvenzverwalter die Wohnung in Besitz genommen oder daran für die Masse ein Recht beansprucht hat.563 216b
Im Falle der Nutzung der Mietsache ergibt sich indes eine andere Betrachtungsweise. Um eine Nutzung handelt es sich, wenn der Insolvenzverwalter einen Gegenstand nutzt, obwohl er dies pflichtgemäß verhindern konnte.564 Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Insolvenzverwalter nicht zum frühesten gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO zulässigen Zeitpunkt das Mietverhältnis kündigt.565 Auch die (fortgesetzte) Lagerung von Rohstoffen/Halbfertigprodukten bedeutet Nutzung.566 Dementsprechend schuldet der Insolvenzverwalter dem Vermieter auch dann eine Nutzungsentschädigung, wenn er bei Mietvertragsende das Mietobjekt nicht räumt, sondern es als Lager für an Gegenständen des Schuldners interessierte Dritte benutzt.567 Hat der Insolvenzverwalter den Gegenstand noch nach Verfahrenseröffnung weiter genutzt und sind durch die schuldnerische Mieterin Schönheitsreparaturen durchzuführen, so ist der Anspruch zeitanteilig Insolvenz- bzw. Masseforderung.568 Entsprechend werden vorzunehmende Rückbauverpflichtungen behandelt. Soweit Veränderungen während des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter vorgenommen werden, stellt der Anspruch auf Wiederherstellung des vertraglichen Zustands eine Masseforderung dar.569 556 BGH v. 17.9.2020 – IX ZR 62/19, ZIP 2020, 2025 = NJW 2021, 626; BGH v. 11.4.2019 – IX ZR 79/18, NJW 2019, 1877 = ZIP 2019, 1024; Ausführlich hierzu Vuia, ZInsO 2020, 1957 ff. 557 BGH v. 17.9.2020 – IX ZR 62/19, NJW 2021, 626 = ZIP 2020, 2025. 558 Hierzu BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, MDR 2002, 54 = EWIR 2002, 395 m. Anm. Flitsch/Herbst = ZIP 2001, 1469, NZI 2001, 531 ff.; Pape, NZM 2004, 401, 406. 559 BGH v. 21.12.2006 – IX ZR 66/05, MDR 2007, 914 = EWIR 2007, 339 m. Anm. Holzer = MietRB 2007, 110 = ZIP 2007, 340. 560 BGH v. 24.11.1993 – VIII ZR 240/92, EWIR 1994, 77 = MDR 1994, 272 = ZIP 1993, 1874, 1875; MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 108 Rz. 111. 561 BGH v. 6.11.1978 – VIII ZR 179/77, BGHZ 72, 263, 266 = MDR 1979, 310; Gottwald/Haas/Huber, 6. Aufl. 2020, Insolvenzrechts-Handbuch, § 37 Rz. 37. 562 OLG Celle v. 20.7.2007 – 2 U 85/07, MietRB 2007, 287 = ZIP 2007, 1914. 563 BGH v. 19.6.2008 – IX ZR 84/07, EWIR 2009, 313 m. Anm. Dörrscheidt = ZIP 2008, 1736 = MDR 2008, 1240 = MietRB 2008, 299, NZI 2008, 554. 564 Pape, NZM 2004, 154 f.; zum Meinungsstand Eckert, NZM 2003, 42, 47 ff. 565 MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rz. 155 f.; OLG Stuttgart v. 13.6.2007 – 5 W 11/07, EWIR 2007, 503 m. Anm. Eckert = ZIP 2007, 1616. 566 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, MDR 2002, 54 = EWIR 2002, 395 m. Anm. Flitsch/Herbst = ZIP 2001, 1469 = ZInsO 2001, 751, 752. 567 OLG Düsseldorf v. 9.5.2006 – I-24 U 180/05, InVo 2006, 429. 568 Kübler, ZIP 1981, 755, 756; MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rz. 157 f.; für Fälle nur kurzfristiger Nutzung durch den Insolvenzverwalter vgl. aber BGH v. 10.3.1994 – IX ZR 236/93, EWIR 1994, 717 = MDR 1994, 794 = ZIP 1994, 715 ff.; KG v. 26.3.1981 – 8 U 2438/80, ZIP 1981, 753. 569 MünchKommInsO/Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rz. 159; OLG Celle v. 20.7.2007 – 2 U 85/07, MietRB 2007, 287 = ZIP 2007, 1914.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 219 § 11
Im Fall eines Masseanspruchs nach § 55 InsO kann sich der Insolvenzverwalter auch nicht durch die Freigabe von einem titulierten Räumungsanspruch als Masseverpflichtung lösen.570 Die Freigabe kann sich nämlich nur auf Aktiva beziehen, nicht aber eine Befreiungen von Verpflichtungen/Passiva bewirken.571 Auch wenn der Verwalter durch die Freigabe die Verfügungsmacht über die zu räumenden Gegenstände verliert, bleibt er doch Schuldner des Räumungsanspruchs aus dem Mietverhältnis.572
216c
Wie die Räumung sind auch andere Ansprüche aus dem Abwicklungsverhältnis zu behandeln, nämlich insbesondere Schönheitsreparaturen durch den Mieter, Rückbauverpflichtungen und Verschlechterungen der Mietsache, die vor Verfahrenseröffnung eingetreten sind.573 Der Grundsatz, dass der Mieter während und nach der Mietzeit bis zum Zeitpunkt der Abrechnungsreife und der daraus folgenden Fälligkeit des Rückgewährsanspruchs nicht über die Mietsicherheit verfügen und damit auch nicht aus eigenem Recht bestimmen kann, wie und wann sie zu verwenden ist, wird durch §§ 108 Abs. 1, 109 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht berührt. Damit ist eine Verrechnung mit einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistete Mietsicherheit mit Mietzinsforderungen nach Insolvenzeröffnung nicht möglich, wenn der Vermieter widerspricht.574
216d
c) Wohnraummiete des Schuldners Wiederholt war in der Praxis vorwiegend im Rahmen von Verbraucherinsolvenzverfahren zu beobachten, dass Insolvenzverwalter oder Treuhänder das Mietverhältnis über die Wohnung des Schuldners kündigen, um einerseits die Insolvenzmasse von künftigen Mietzinsforderungen freizustellen und andererseits die Mietkaution für die Insolvenzmasse zu vereinnahmen.575 Auch in diesen Fällen ist es den schuldnerischen Mietern nicht möglich, sich auf die Schutzvorschriften der §§ 573, 574–574c BGB zu berufen, da diese Vorschriften nur unmittelbar im Verhältnis der Mietvertragsparteien gelten576 (zu den Besonderheiten eines Verbraucherinsolvenzverfahrens im Übrigen vgl. § 18).
217
Diese Verfahrensweise wurde bereits deshalb allgemein als misslich empfunden, weil es nicht Sinn eines auf Restschuldbefreiung angelegten Verbraucherinsolvenzverfahrens sein kann, den zumeist mittellosen Schuldner zugunsten der beteiligten Gläubiger der öffentlichen Fürsorge anheim zu geben und den vielbeschworenen „Neuanfang“, der den überschuldeten Privathaushalten auf diese Weise ermöglicht werden sollte, nahezu unmöglich zu machen.
218
Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sieht § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nunmehr vor, dass dann, wenn die Wohnung des Schuldners Gegenstand des Mietvertrags ist, der Insolvenzverwalter – statt zu kündigen – berechtigt ist zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Damit wird einerseits die Massezugehörigkeit des Wohnungsmietverhältnisses klargestellt, andererseits eine beschränkte Freigabe des Mietverhältnisses ohne Zustimmung des Vermieters anerkannt.577 Die Erklärung des Verwal-
219
570 BGH v. 2.2.2006 – IX ZR 46/05, MDR 2006, 1190 = EWIR 2006, 311 m. Anm. Henkel = ZIP 2006, 583 ff. = ZInsO 2006, 326; hierzu Henkel, EWiR 2006, 311; a.A. OLG Stuttgart v. 10.2.2005 – 13 U 167/04, ZInsO 2005, 498 ff. 571 Henkel, ZInsO 2005, 1311, 1313. 572 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, MDR 2002, 54 = EWIR 2002, 395 m. Anm. Flitsch/Herbst, ZInsO 2001, 751, 752 = ZIP 2001, 1469; früher schon BGH v. 5.10.1994 – XII ZR 53/93, EWIR 1994, 1117 = MDR 1995, 687 = ZIP 1994, 1700, 1704. 573 Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 37 Rz. 37. 574 Hans. OLG Hamburg v. 24.4.2008 – 4 U 152/07, EWIR 2008, 567 m. Anm. Schoppe, BeckRS 2009, 08977. 575 Vgl. dazu Vallender/Dahl, NZI 2000, 246 ff. 576 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 10 ff.; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 3. 577 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 87 ff.
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§ 11 Rz. 219 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen ters, die an den Vermieter zu richten ist, unterliegt der Schriftform des § 568 Abs. 1 BGB und hat entsprechend §§ 573d Abs. 2, 575a Abs. 3 BGB den mit dem Ablauf der Kündigungsfrist identischen Zeitpunkt anzugeben, ab dem die Ansprüche aus dem Mietverhältnis nicht mehr als Masseverbindlichkeiten geltend gemacht werden können.578 Schwierigkeiten können bei sog. gemischten Mietverhältnissen entstehen, etwa wenn der Schuldner aus seiner Privatwohnung heraus zugleich ein Kleingewerbe betreibt (vgl. Rz. 220a).579 219a
Hinsichtlich der Reichweite der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der BGH entschieden, dass bei einer Weiterveräußerung des vom Mieter genutzten Grundstücks die Erklärung des Insolvenzverwalters/Treuhänders, für Ansprüche aus dem Wohnraummietverhältnis des Schuldners nach Ablauf der dreimonatigen gesetzlichen Kündigungsfrist nicht mehr mit der Insolvenzmasse aufzukommen, auch gegenüber dem Erwerber wirkt, wenn sie in Unkenntnis des Eigentumsübergangs gegenüber dem alten Eigentümer abgegeben wurde.580
219b
Des Weiteren soll § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO die Mietkaution schützen. Der Kautionsrückzahlungsanspruch ist aufschiebend bedingt, solange das Mietverhältnis besteht. Der Anspruch steht zwar der Masse zu, weil er vor Insolvenzeröffnung entstanden ist, er kann jedoch erst nach Beendigung des Mietverhältnisses eingefordert werden.581
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Die gesetzliche Freigabe des Wohnraummietverhältnisses soll die Insolvenzmasse nicht voll enthaften, denn der Vermieter kann nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO wegen der Folgen der Erklärung als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen. Nach Sinn und Zweck der Regelung kann der Schaden nur die Ansprüche erfassen, die dem Vermieter zustehen würden, wenn der Verwalter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO das Mietverhältnis hätte kündigen können. Abgesehen von bereits eingetretenen Beschädigungen der Mietsache selbst kann der Vermieter daher grundsätzlich als Schaden nur die Mietforderungen geltend machen, die bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietdauer entstanden wären, während Ansprüche, die aus der darüber hinausgehenden Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem Schuldner oder aus nach der Freigabeerklärung zu Schadensersatzansprüchen führenden Handlungen des Schuldners resultieren, nicht berücksichtigt werden können, da sie ihren Rechtsgrund nicht mehr in der Erklärung des Insolvenzverwalters haben.582
220a
Der Begriff des Wohnraums bezeichnet jeden zum Wohnen bestimmten Raum, insbesondere solche zum Schlafen, Essen und Kochen, darüber hinaus aber auch Nebenräume. Dabei erscheint eine Einschränkung dahingehend zweckgerecht, dass nur der Lebensmittelpunkt des Schuldners als Wohnraum anzusehen ist; Nebenwohnsitze, Ferienwohnungen etc. bedürfen hingegen nicht des durch diese Regelung bezweckten Schutzes.583 Der Wohnraum muss nicht zwingend wesentlicher Bestandteil des Grundstücks sein. Erfasst werden auch transportable Baracken,584 nicht aber bewegliche Räume wie beispielsweise Wohnwagen. Der Raum muss zu Wohnzwecken vermietet sein.585 Überwiegt die Wohn-
578 579 580 581
582 583 584 585
Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 109 Rz. 17 ff. Ausführlich hierzu Weber, InsbürO 2021, 154 ff. BGH v. 23.2.2012 –IX ZR 29/11, NZI 2012, 406 = ZIP 2012, 784. Dahl in FS Görg, 2010, S. 119, 133; vgl. hierzu auch BGH v. 21.2.2019 – IX ZB 7/17, MDR 2019, 635, wonach allein der Umstand, dass der Mieter ein Mietkautionsguthaben zur Rückzahlung eines Darlehens benötigt, das ihm zur Finanzierung der Mietsicherheit für ein neues Mietverhältnis gewährt worden ist, keine sittenwidrige Härte des Insolvenzbeschlags begründet. Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 109 Rz. 20 f. Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 36, ferner zum Sonderproblem der Zweitwohnung getrenntlebender Ehepartner, Rz. 15. Palandt/Weidenkaff, Kommentar zum BGB, 80. Aufl. 2021, Einf. v. § 535 Rz. 89; a.A. MünchKommBGB/Bieber, 8. Aufl. 2020, § 549 Rz. 3. MünchKommBGB/Bieber, 8. Aufl. 2020, § 549 Rz. 5.
1020 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 221b § 11
nutzung gegenüber der gewerblichen Nutzung, so findet § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO Anwendung.586 Die Untermiete von Wohnraum ist daher Wohnraummietverhältnis, die Zwischenmiete (also Vermietung zum Zweck der gewerblichen Weitervermietung) von Wohnraum ist hingegen nur im (End-)Mietverhältnis mit dem zu Wohnzwecken nutzenden Mieter ein Wohnraummietverhältnis.587 Ist der Schuldner nicht in der Lage, künftig den Mietzins aus seinem pfändungsfreien Einkommen zu bezahlen, so ist der Vermieter berechtigt, wegen eines nach Ablauf der Erklärungsfrist des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO fortbestehenden Zahlungsverzuges nach Maßgabe des § 569 Abs. 3 BGB zu kündigen,588 wobei dem Schuldner das Widerspruchsrecht bei sozialer Härte gemäß §§ 574–574c BGB zusteht.
221
Bewohnt der Schuldner ein zur Insolvenzmasse gehörendes Haus selbst, so hat er an die Masse eine Nutzungsentschädigung zu leisten. Seine Angehörigen trifft diese Pflicht nur, wenn sie unterhaltspflichtig sind und eine Leistung gesondert vereinbart ist.589
221a
Ist der Insolvenzschuldner Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft, wird er durch § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausreichend geschützt. Die Vorschrift bietet zwar dahingehend Gewähr, dass der Insolvenzverwalter den Mietvertrag590 mit der Genossenschaft nicht kündigen kann. Er konnte aber die Mitgliedschaft in der Wohnungsgenossenschaft gemäß § 66 Abs. 1 GenG kündigen, um das Auseinandersetzungsguthaben zur Masse zu ziehen. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO findet nach Ansicht des BGH auf die Kündigung der Mitgliedschaft keine Anwendung.591 Infolge des Verlusts der Mitgliedschaft durch die Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters kann die Genossenschaft den Mietvertrag ordentlich kündigen. Mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte ist das GenG ergänzt worden.592 Zunächst wird in § 66a GenG das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters konstatiert. Ergänzend schließt § 67c GenG die Kündigung aus, wenn die Mitgliedschaft in der Genossenschaft Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung ist und das Geschäftsguthaben des insolventen Mitglieds eine Obergrenze von vier Nettokaltmieten oder den absoluten Betrag von EUR 2000 nicht übersteigt. Mit der Novellierung im GenG hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen die vom Bundesrat favorisierte Ergänzung des Kündigungsverbots des § 109 Abs. 1 InsO entschlossen.593
221b
586 Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 11; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 39. 587 BGH v. 13.2.1985 – VIII ZR 36/84, BGHZ 94, 11, 14 = MDR 1986, 46; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 7; Palandt/Weidenkaff, Kommentar zum BGB, 80. Aufl. 2021, § 549 Rz. 5. 588 Vgl. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 109 Rz. 30 m.w.N.: Der Vermieter kann den Mietvertrag über die Wohnung des Schuldners mithin erst dann kündigen, wenn der Schuldner nach der Enthaftung der Masse im Umfang des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Zahlungsverzug geraten ist. Allein die Abgabe der Enthaftungserklärung oder die später eintretende Enthaftung der Masse berechtigen den Vermieter nicht zur Kündigung des Mietvertrages gemäß §§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 1 BGB. 589 OLG Nürnberg v. 24.6.2005 – 5 U 215/05, MDR 2005, 1315 = NZI 2006, 44. 590 BGH v. 10.9.2003 – VIII ZR 22/03, MDR 2003, 1347 = FamRZ 2003, 2643 = MietRB 2004, 3 = NZM 2004, 25; BGH v. 9.5.2012 – VIII ZR 327/11, MDR 2012, 753 = MietRB 2012, 223 = NZI 2012, 770. 591 BGH v. 19.3.2009 – IX ZR 58/08, MDR 2009, 830 = EWIR 2009, 621 m. Anm. Weiß = ZIP 2009, 875 = MietRB 2009, 197 = NZI 2009, 374 (mit Anm. von Dahl); BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 63/09, NZM 2010, 359. 592 Das Gesetz ist am 17.5.2013 verabschiedet worden, vgl. BT-Drucks. 17/13535. Die Änderungen im GenG sind am 19.7.2013 in Kraft getreten. Zu den Hintergründen siehe den Regierungsentwurf vom 12. Juli 2012, BT-Drucks. 17/11268, 11, 38, 46, 50. Der Regierungsentwurf ist bis auf eine sprachliche Klarstellung unverändert übernommen worden. 593 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen, BT-Drucks. 16/7416, 54 f.
Dahl | 1021
§ 11 Rz. 221c | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 221c
Ansprüche auf Auskehr von Nebenkostenguthaben stehen, auch wenn die Vorauszahlungen aus dem unpfändbaren Vermögen des Schuldners stammen, der Masse zu. Sie sind allerdings, wenn sie erst nach der Erklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO fällig werden, nicht mehr massezugehörig. Dies gilt auch, wenn sie aus Zahlungen vor Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO stammen.594
d) Rücktrittsrechte 222
Nach § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO sind sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Vermieter berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten, wenn dem Schuldner der unbewegliche Gegenstand oder die Räume bei Verfahrenseröffnung noch nicht überlassen waren. Auf den Rücktritt finden die Vorschriften der §§ 346 ff. BGB uneingeschränkt Anwendung. Die Ausübung des Rücktrittsrechts hat daher gemäß § 349 BGB durch eine eindeutige, unwiderrufliche und bedingungsfeindliche Erklärung zu erfolgen.595 Die Rücktrittserklärung wird gemäß § 130 BGB mit Zugang wirksam.
223
Dem Rücktritt steht nicht entgegen, dass der Schuldner an den Vermieter ganz oder teilweise vorgeleistet oder der Vermieter seinerseits Nebenleistungen bereits erbracht hatte; im Rahmen der Rückgewähr ist die Haftung des Vermieters gemäß § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 BGB auf die verbliebene Bereicherung beschränkt.596 Aus § 572 Abs. 1 BGB ist zu schließen, dass Wohnraumkündigungsschutz vor Überlassung des Mietobjekts nicht besteht.
224
Sind an dem Mietverhältnis neben dem Schuldner noch weitere Personen als Mieter beteiligt, stellt sich für den Rücktritt die Frage der Gesamtwirkung. Wie oben (Rz. 211 ff.) bereits ausführlich erörtert, muss richtiger Ansicht nach für das Rücktrittsrecht eine Befugnis des Verwalters bejaht werden, sich mit Wirkung für alle übrigen Mitmieter von dem Vertrag zu lösen.597 Dagegen kann sich der Vermieter oder Verpächter, wenn sich nur einer von mehreren Mitmietern oder Mitpächtern in der Insolvenz befindet, wegen der fortbestehenden gesamtschuldnerischen Haftung der Mitmieter oder Mitpächter gemäß § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO durch Rücktritt vom Vertrag nicht lösen.598
225
Gänzlich ausgeschlossen ist das Rücktrittsrecht des Vermieters dann, wenn er die gesetzliche Voraussetzung, dass das Miet- oder Pachtobjekt zur Zeit der Verfahrenseröffnung noch nicht überlassen war, in einer den Tatbestand des Verzuges begründenden Weise selbst herbeigeführt hat und die Inanspruchnahme der ihm gesetzlich eingeräumten Wohltat des Rücktrittsrechts als unzulässige Rechtsausübung gewertet werden muss.599
e) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO 226
§ 109 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, dass der Vermieter wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen kann, wenn der Insolvenzverwalter vom Vertrag zurücktritt. Übt hingegen der Vermieter oder Verpächter das Rücktrittsrecht aus, so steht weder ihm noch dem Insolvenzverwalter ein Schadensersatzanspruch zu. 594 AG Göttingen v. 18.6.2009 – 21 C 33/09, ZIP 2009, 1973 = NZI 2009, 607. 595 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 15. 596 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 113; Nerlich/ Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 15. 597 BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, MDR 2013, 642 = EWIR 2013, 353 m. Anm. Eckert = ZIP 2013, 835 = MietRB 2013, 173 = NZI 2013, 414; Hans. OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673. 598 Uhlenbruck/Wegener, 15. Aufl. 2019, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 36; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 16; a.A. FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 35. 599 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 109 Rz. 69; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 41; a.A. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 109 Rz. 35, wonach kein Raum für unzulässige Rechtsausübung besteht.
1022 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 227a § 11
In der Höhe entspricht der Schadensersatzanspruch zunächst dem Mietausfall, der im Zeitraum ab Rücktrittserklärung des Insolvenzverwalters bis zum frühesten Wirksamwerden einer möglichen Kündigung des Mieters600 oder einer vorgenommenen Kündigung des Vermieters entstanden wäre.601 Der Vermieter ist so zu stellen, als wäre das Mietverhältnis durch den Insolvenzschuldner nach dessen Kündigung zum erstmöglichen Zeitpunkt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden.602 Ferner sind Folgeschäden ersatzfähig, beispielsweise der ohne Anlage der erhofften Miete entstandene Gewinnausfall.603 Ersparte Aufwendungen (z.B. Nebenkosten) sind indes anzurechnen, vgl. § 537 Abs. 1 Satz 2 BGB.604 Eine Vertragsstrafe wegen der vorzeitigen Vertragskündigung ist nicht ersatzfähig, sie steht im Widerspruch zu § 119 InsO.605
226a
f) Erklärungsverlangen Nach § 109 Abs. 2 Satz 3 InsO kann jede Seite den Vertragspartner zur Ausübung des Rücktrittsrechts auffordern. Gleichwohl existiert eine Pflicht zur Ausübung des Rücktrittsrechts innerhalb einer bestimmten Frist nach Verfahrenseröffnung weder für den Insolvenzverwalter noch für den Vermieter. Erfolgt jedoch die Aufforderung zur Erklärung über das Rücktrittsrecht, ist der jeweils andere Teil gehalten, sich innerhalb von zwei Wochen zu erklären, wenn er seines Rechts nicht verlustig gehen will. Wird die Frist versäumt, folgt daraus die Invollzugsetzung des Vertrages mit der Wirkung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO. Freilich bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, sich durch Kündigung nach § 109 Abs. 1 InsO von dem Vertragsverhältnis zu lösen,606 wobei die dreimonatige Kündigungsfrist einzuhalten ist.
227
Die in § 109 InsO vorgesehenen Gestaltungsrechte sind auf das StaRUG-Verfahren nicht übertragbar. Eine analoge Anwendung zugunsten der im StaRUG-Verfahren stehenden Vertragspartei kommt nicht in Betracht.607 Zwar sahen die §§ 51 ff. RegE StaRUG in Bezug auf Rechtsverhältnisse, auf die im Falle eines Insolvenzverfahrens entweder § 103 InsO oder § 109 Abs. 1 InsO anwendbar gewesen wären, die Möglichkeit einer gerichtlichen Vertragsbeendigung vor.608 Das Instrument der gerichtlichen Vertragsbeendigung wurde jedoch vom Gesetzgeber als zu weitgehend empfunden und deshalb weder ganz noch teilweise in die endgültige Gesetzesfassung übernommen. Erst recht wurde an die Stelle der im RegE vorgesehenen gerichtlichen Vertragsbeendigung kein auf Vertragsauflösung gerichtetes Gestaltungsrecht des Schuldners gesetzt.609 Mit dieser Entscheidung des Gesetzgebers wäre es unverein-
227a
600 BGH, ZMR 1955, 105. 601 Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 7, 19; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 112. 602 Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 7, 19; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 11 ff., 17. 603 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 109 Rz. 28 ff., 66, wobei die Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Vermieter beachtlich sein kann; Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 109 Rz. 7, 19. 604 OLG Frankfurt/M. v. 8.6.1979 – 5 U 211/78, DB 1979, 2125, 2126. 605 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 13. 606 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 109 Rz. 20; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 38; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 109 Rz. 117; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 109 Rz. 25; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 109 Rz. 39; Eckert, ZIP 1996, 897, 901; a.A. HKInsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 109 Rz. 45. 607 Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1114. 608 Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1107, ZInsO 2021, 21, 33 ff.; zu der Frage, ob die im Recht anderer Mitgliedstaaten enthaltene Regelung, Dauerschuldverhältnisse im Restrukturierungsplan beenden zu können, zu einem Forum Shopping führt, siehe Hoos/Schwartz/Schlander, ZIP 2021, 2214 609 Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1107.
Dahl | 1023
§ 11 Rz. 227a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen bar, den § 109 InsO im StaRUG-Verfahren einfach analog anzuwenden mit der Konsequenz, dass der Schuldner selbst zur Ausübung der in § 109 InsO vorgesehenen Gestaltungsrechte befähigt würde.610
5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO a) Verfügungsverbote 228
Hatte der Schuldner als Vermieter oder Verpächter eines unbeweglichen Gegenstands oder von Räumen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Miet- oder Pachtforderung für die spätere Zeit verfügt, so bestimmt § 110 Abs. 1 InsO, dass diese Verfügung nur wirksam ist, soweit sie sich auf die Miete oder Pacht für den zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht. Ist die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats erfolgt, so ist die Verfügung auch für den folgenden Kalendermonat wirksam. Dies bedeutet lediglich, dass ab dann die Miete/Pacht nicht mehr dem Schuldner oder einem Pfand- oder Abtretungsgläubiger zusteht, sondern der Masse.611 Hat der Mieter/Pächter aufgrund der unwirksamen Verfügung an den Dritten oder im Voraus an den Schuldner gezahlt, kann der Insolvenzverwalter noch einmal Zahlung verlangen.612
228a
Anerkannt ist, dass die Vorschrift des § 110 Abs. 1 InsO in ihrem Anwendungsbereich § 91 Abs. 1 InsO, wonach Rechte an Gegenständen der Insolvenzmasse nach Verfahrenseröffnung nicht mehr wirksam erworben werden können, verdrängt.613 Ausgehend davon, dass die genannten Vorschriften in ihren zeitlichen Grenzen die Wirksamkeit der Vorausabtretung begründen, hält der BGH in der vorgenannten Entscheidung daran fest, dass für eine Anwendung des § 110 InsO dann kein Raum ist, wenn die Vorausverfügung für die Zeit nach Verfahrenseröffnung schon nicht nach den §§ 81, 91 InsO unwirksam ist. Das ist insofern misslich, als der Gegenansicht einzuräumen ist, dass es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift keinen Unterschied machen kann, ob der Masse eine befristete oder eine betagte Forderung vorenthalten wird.614 Betagte Forderungen, die im Unterschied zu befristeten Forderungen nicht in ihrem Bestehen, sondern nur hinsichtlich ihrer Fälligkeit vom Ablauf eine Frist abhängig sind, werden von § 91 Abs. 1 InsO aber nicht erfasst. Hieran wird deutlich, dass § 110 Abs. 1 InsO selbst eine Unwirksamkeitsanordnung enthält und nicht nur zeitliche Modifikation der Unwirksamkeitsfolge des § 91 Abs. 1 InsO ist.
228b
Eine Vorauszahlung ist aber gegenüber der Masse wirksam, wenn sie vertraglich vereinbart ist.615 Freilich bleibt hierbei die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung der Vorausverfügung ebenso unberührt wie deren Unwirksamkeit nach § 138 BGB.616
228c
§ 110 Abs. 1 InsO erfasst nur Verfügungen des Schuldners, nicht dagegen Verfügungen des Insolvenzverwalters oder des verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters. Sie sind nicht der Handlungssphäre des Schuldners zuzurechnen. Anderenfalls wären Mieter wohl auch kaum bereit, der Masse durch Mietvorauszahlungen Kredit zu gewähren.617 Auch Vorausver-
610 Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1107. 611 Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 110 Rz. 4. 612 Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 110 Rz. 4; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 16. 613 Vgl. BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, MDR 2013, 813 = EWIR 2013, 417 m. Anm. Marotzke = ZIP 2013, 1082 = NZI 2013, 586 mit Anm. Dahl; BGH v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254 = GesR 2006, 418 = MDR 2007, 112 = NZI 2006, 457. 614 Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Flöther/Wehner, Insolvenzrecht Kommentar, 4. Aufl. 2020, § 110 Rz. 2. 615 Z.B. bei Einmal-Zahlung zu Vertragsbeginn, BGH v. 5.11.1997 – VIII ZR 55/97, MDR 1998, 209 = NZM 1998, 105. 616 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 5; Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 110 Rz. 4. 617 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 110 Rz. 21.
1024 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 230a § 11
fügungen des Schuldners mit Zustimmung des nicht verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters sollen § 110 Abs. 1 InsO nicht unterfallen.618 Hiergegen spricht aber der Wortlaut der Norm. Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 110 InsO ist notwendige Folge des in § 108 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse angeordneten Fortbestehens von Miet- und Pachtverhältnissen und schützt die Masse vor Nachteilen, die zweifellos entstehen würden, wenn bei Vorausverfügungen des Schuldners über die Miet- und Pachtforderungen der Gegenstand vom Vertragspartner genutzt werden dürfte, ohne dass der Masse eine entsprechende Gegenleistung zufließen würde.619 Im Ergebnis erfährt die Insolvenzmasse damit denselben Schutz, den Hypothekengläubiger gemäß §§ 1124, 1125 BGB genießen.
229
Die Rechtsprechung, wonach § 108 InsO nur bei bereits überlassenen Miet- oder Pachtobjekten Anwendung findet,620 führt konsequenterweise dazu, dass es auch für die Anwendbarkeit des § 110 InsO auf die Frage der Überlassung ankommt. Hingegen begründet der Anspruch des Mieters auf Herstellung eines zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustands der Mietsache bei fortdauerndem Mietverhältnis unabhängig davon eine Masseschuld, ob der mangelhafte Zustand vor oder nach Eröffnung des Verfahrens entstanden ist.621 Dieser Verpflichtung kann sich der Insolvenzverwalter richtiger Ansicht nach allenfalls noch durch Freigabe des Miet- oder Pachtobjektes an den Schuldner entziehen, wenn der Gegenstand die Insolvenzmasse nur belastet.622
230
Fraglich ist, welche Auswirkung die am 31.12.2020 in Kraft getretene Regelung in Art. 240 § 7 EGBGB auf Gewerbemietverhältnisse im Falle der Insolvenz des Vermieters oder Verpächters hat.
230a
Liegen die Voraussetzungen des Art. 240 § 7 EGBGB vor, so wird (widerleglich) gesetzlich vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat623 (vgl. hierzu Rz. 186a, 210b). Der Gegner, zu dessen Nachteil die Vermutung (Störung der Geschäftsgrundlage) wirkt, kann (und muss) den Vollbeweis des Gegenteils führen, wenn er die Vermutungswirkung beseitigen will.624 In der Insolvenz des Vermieters oder Verpächters der Gewerberäumlichkeiten kommt diese Aufgabe dem Insolvenzverwalter zu. Widerlegen lässt sich die von Art. 240 § 7 EGBGB aufgestellte Vermutung z.B. in den Fällen, in denen der Mietvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem die Covid-19 Pandemie in der breiten Öffentlichkeit bereits absehbar war.625 Die erforderliche Kausalität („infolge“) zwischen den staatlichen Maßnahmen und der aufgehobenen bzw. eingeschränkten Verwendbarkeit der Mietsache fehlt, wenn bei einem Betrieb mit Publikumsverkehr die Kundschaft allein wegen sinkender Konsumbereitschaft oder -müdigkeit ausbleibt
618 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 110 Rz. 21. 619 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 110 Rz. 2; Braun/ Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 110 Rz. 2. 620 Zuletzt BGH v. 11.12.2014 – IX ZR 87/14, ZIP 2015, 135 = MDR 2015, 365 = EWIR 2015, 117 m. Anm. Marotzke = MietRB 2015, 108 = NZI 2015, 123 m. krit. Anm. Dahl/Linnenbrink; BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, ZIP 2007, 2087 = EWIR 2007, 729 m. Anm. Eckert = MDR 2008, 109 = MietRB 2008, 8 = NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/J. Schmitz. 621 BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 163/02, EWIR 2003, 641 m. Anm. Eckert = MDR 2003, 1015 = MietRB 2003, 29 = ZIP 2003, 854. 622 FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 108, Rz. 39; a.A. mit Blick auf die Aufrechterhaltung der Energieversorgung LG Dortmund v. 12.5.2005 – 11 S 34/05, ZInsO 2005, 724 mit Besprechung Mork/Hess, ZInsO 2005, 1206 ff.; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 108, Rz. 114. 623 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 27. 624 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 28. 625 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 31.
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§ 11 Rz. 230a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen bzw. dann, wenn es ohne unmittelbare staatliche Maßnahmen zu Umsatzeinbußen kommt.626 Die Vermutungsregel des Art. 240 § 7 EGBGB greift dann nicht.627 § 313 BGB kommt auch dann nicht zum Zug, wenn die Vertragsparteien eine abschließende Risikozuweisung getroffen haben.628 Eine Vertragsanpassung kommt bei Gewerbemietverträgen auch allgemein nur dann und insoweit in Betracht, wenn die Auswirkungen auf das jeweilige Mietverhältnis so schwerwiegend sind, dass ein Festhalten am unveränderten Vertrag einer oder beiden Vertragsparteien nicht zugemutet werden kann.629 Eine hinreichend schwerwiegende Beeinträchtigung der Verwendung durch den Mieter ist bei einem Umsatzrückgang indiziert, der mehr als das doppelte üblicher saisonaler Schwankungen beträgt.630 Es obliegt dann dem Vermieter/Verpächter bzw. dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass dieser Umsatzrückgang auf andere Umstände als die Covid-19 Pandemie zurückzuführen ist.631 Dem Mieter/Pächter hingegen obliegt es, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um seinen Geschäftsbetrieb auch während der Covid-19 Pandemie soweit wie möglich aufrecht zu erhalten bzw. durch zumutbare Anpassungen seines Geschäftsmodells drohende Verluste abzuwenden.632 Sofern ein Gewerbemieter nicht hinreichend einfallsreich war, zeigt sich ein mangelndes unternehmerisches Talent, dessen Risiko nicht auf die Covid-19 Pandemie zurückzuführen und deshalb von ihm zu tragen ist.633 Soweit die Parteien einen umsatzabhängigen Mietzins vereinbart haben, ist der Mieter/Pächter vom Risiko seines Geschäftsausfalles während der Pandemie entlastet, so dass ein Festhalten am unveränderten Vertrag für ihn zumutbar ist.634 Umgekehrt kann allerdings so eine Vereinbarung für den Vermieter/Verpächter unzumutbar sein, da der Mietzins vollständig entfiele, die Parteien aber das Risiko der Covid-19 Pandemie und ihrer Folgen nicht bedacht haben und die Klausel nicht für diesen Fall gedacht war, so dass der Vertrag auch hier entsprechend anzupassen wäre.635 Hat der Mieter im Zeitraum von April bis Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete unter den Voraussetzungen des Art. 240 § 2 Abs. 1 EGBGB nicht geleistet, so fällt dieser Anspruch in die Insolvenzmasse und ist vom Insolvenzverwalter geltend zu machen. 231
§ 110 Abs. 1 InsO bezieht sich seinem Wortlaut nach auf Mietverhältnisse über unbewegliche Gegenstände und Räume. Gleichermaßen werden aber auch Pacht und Leasing (von Immobilien)636 insolvenzrechtlich als Miete behandelt.637 Anwendung findet § 110 Abs. 1 InsO ferner auf sog. Sale-andlease-back-Verträge.638 Vom Verfügungsverbot erfasst werden alle Miet- und Pachtzinsforderungen,
626 627 628 629 630 631 632 633 634 635 636 637 638
BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 25. BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 25. Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 488. BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 249. BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 249; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 488; Streyl, NZM 2020, 817, 825. BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 249. BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 249. BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 249. BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 251; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 489. BeckOGK/Martens, BGB, Stand: 1.4.2021, § 313 Rz. 251. Zum Sale-and-lease-back-Vertrag BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, NZI 2013, 586 = ZIP 2012, 1523 = ZIP 2013, 1082 mit Anm. von Dahl; Vorinstanz Bdb. OLG v. 8.2.2012 – 3 U 111/11, ZInsO 2012, 1946; ausführlich zur Rechtslage: Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, Köln 2003. Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 110 Rz. 16; weiterführend HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 8. Zuletzt BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, MDR 2013, 813 = EWIR 2013, 417 m. Anm. Marotzke = ZIP 2013, 1082 = NZI 2013, 586 mit Anm. Dahl.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 232a § 11
also nicht nur Geldforderungen, sondern auch sämtliche sonstigen Forderungen, die aus der Überlassung der Miet- oder Pachtsache resultieren, unabhängig davon, ob sie regelmäßig oder einmal anfallen.639 Vorausverfügungen i.S.d. Vorschrift sind zunächst alle Rechtsgeschäfte, durch die der Anspruch des Schuldners auf Miet- oder Pachtzins aufgehoben, übertragen, belastet oder verändert wird.640 § 110 InsO erstreckt sich auf alle Verfügungen. Verfügungen sind diejenigen Rechtsgeschäfte, die den Bestand der Leistung oder die Berechtigung des Vermieters hierauf beeinträchtigen.641 Vom Begriff der Vorausverfügung werden daher erfasst:
232
– Abtretung642 (§ 398 BGB), bei Mietzinsforderungen gilt dies auch für die Abtretung an Grundpfandgläubiger;643 – Nießbrauchsbestellung (§ 1074 BGB); – Verpfändung (§ 1279 BGB); – Erlass (§ 397 BGB); – Stundung oder sonstige Zahlungserleichterung, soweit sie sich auf den Miet- oder Pachtzins für einen späteren Zeitraum als den Eröffnungsmonat oder den Folgemonat beziehen;644 – Einziehung der Miete oder Pacht sowie Miet- und Pachtvorauszahlungen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 InsO); der Vertragspartner trägt das Risiko dafür, dass er sich zu einer Kreditierung des Schuldners bereit gefunden hat. Damit unterfallen sämtliche Vorleistungen des Mieters oder Pächters an den Schuldner für künftige Miet- oder Pachtperioden dem Verfügungsverbot;645 nur dann, wenn ausnahmsweise der Miet- oder Pachtzins nicht nach wiederkehrenden Zeitabschnitten bemessen, sondern vertragsgemäß als Einmalbetrag zu zahlen war, wird die Vorauszahlung in Anlehnung an § 566 BGB unbeschränkt anerkannt;646 – Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in künftige Miet- oder Pachtforderungen (§ 110 Abs. 2 Satz 2 InsO), wobei sämtliche in den §§ 704–795 ZPO geregelten Maßnahmen, also auch Arreste und einstweilige Verfügungen, erfasst werden.647 Neben dem Hauptfall periodischer Leistungen des Miet- bzw. Pachtzinses unterliegen gleichermaßen einmalige Zahlungen der Unwirksamkeit der Verfügung. In beiden Fällen ist allein entscheidend, dass der Anspruch eine Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung darstellt.648 Zu diesen Ansprüchen wegen Gebrauchsgewährung zählt auch die vom Mieter übernommene Schönheitsreparatur, wenn der Vermieter hierauf verzichtet.649
639 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 110 Rz. 7. 640 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 110 Rz. 8. 641 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 11; Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 110 Rz. 3. 642 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, MDR 2013, 813 = EWIR 2013, 417 m. Anm. Marotzke = ZIP 2013, 1082 = NZI 2013, 586 mit Anm. von Dahl. 643 Bdb. OLG v. 8.2.2012 – 3 U 111/11, ZIP 2012, 1523 = MietRB 2012, 102 = ZInsO 2012, 1946. 644 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 110 Rz. 8; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 110 Rz. 8. 645 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 110 Rz. 9; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 110 Rz. 10. 646 BGH v. 5.11.1997 – VIII ZR 55/97, MDR 1998, 209 = NJW 1998, 595. 647 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 110 Rz. 11. 648 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 110 Rz. 15. 649 BGH v. 25.6.1980 – VIII ZR 260/79, BGHZ 77, 301 = MDR 1981, 45 = NJW 1980, 2347; BGH v. 6.7.1988 – VIII ARZ 1/88, BGHZ 105, 71, 79 = EWIR 1988, 971 = MDR 1988, 1051 = NJW 1988, 2790, 2793.
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232a
§ 11 Rz. 232b | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 232b
Keine Anwendung soll § 110 InsO entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 110 Abs. 2 InsO entfalten, wenn die Vollstreckung von einem Grundpfandgläubiger ausgeht.650 Demgegenüber hat der BGH klargestellt, dass der Grundpfandgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann einen Zugriff auf die im hypothekarischen Haftungsverband stehenden Mieten und Pachten hat, wenn er den in § 49 InsO vorgesehenen Weg der Zwangsverwaltung wählt.651 Ansonsten stehen die Einnahmen der Insolvenzmasse zu, die – wie der BGH ausführt – durch die öffentlichen Lasten des Grundeigentums und die laufenden Kosten der Gebäudeinstandhaltung als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen sind.
232c
§ 110 InsO findet auch dann keine Anwendung, wenn ein Dritter an Stelle des Schuldners zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet ist. Eine solche Vorausverfügung führt nicht zur Beeinträchtigung des Regelungszwecks des § 110 InsO. Der Masse kommt also weiterhin der ungeschmälerte Mietzins der Vorausverfügungen als berechtigter Ausgleich zu, sofern gemäß § 108 InsO eine Pflicht zur Gebrauchsüberlassung besteht. Ein Insolvenzverwalter kann den Mieter dann aber nicht auf Räumung oder Zahlung in Anspruch nehmen, wenn zumindest der mittelbare Besitz an einem vermieteten Grundstück vor Insolvenzeröffnung auf einen Dritten übertragen wurde. Der Dritte hat unabhängig von der Abtretung etwaiger Mietzinsansprüche das Recht zur Fruchtziehung gemäß § 99 BGB.652
232d
Änderungen hat die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung653 erfahren. Das durch das MoMiG654 außer Kraft gesetzte Eigenkapitalersatzrecht (§ 32a Abs. 3 GmbHG a.F.) gewährte dem Insolvenzverwalter einer Gesellschaft im Falle einer kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung nach Verfahrenseröffnung ein Recht auf unentgeltliche Nutzung gegen den Gesellschafter.655 Ebenso wie eine Darlehensgewährung konnte eine Nutzungsüberlassung von Grundstücken oder anderen Wirtschaftsgütern der insolvenzreifen Gesellschaft ermöglichen, ihren Geschäftsbetrieb fortzusetzen, weil ein außenstehender Dritter ihr weder die Nutzung des Wirtschaftsguts noch einen Kredit zu dessen Ankauf zur Verfügung stellen würde.656 In einem solchen Fall verhinderte der Gesellschafter durch die Gebrauchsüberlassung des benötigten Wirtschaftsguts die andernfalls nicht abzuwendende Liquidation der Gesellschaft ebenso wirkungsvoll, wie wenn er dieser durch die darlehensweise Überlassung der erforderlichen Zahlungsmittel ermöglicht hätte, die Investition selbst durchzuführen. Daher war von der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit von Darlehens- und Gebrauchsüberlassung i.S.d. § 32a Abs. 3 GmbHG a.F. auszugehen. Gegenstand des Eigenkapitalersatzes war das der Gesellschaft eingeräumte
650 Die gilt auch für Mietzinsansprüche, die vor Begründung des Grundpfandrechtes abgetreten wurden, BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 160/04, EWIR 2005, 879 m. Anm. Weber/Madaus = MDR 2005, 1280 = MietRB 2006, 40; BGH v. 9.6.2005 – XI ZR 160/04, ZIP 2005, 1452. 651 BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 873 = EWIR 2007, 281 m. Anm. Freudenberg = MDR 2007, 300 = NotBZ 2007, 22 = MietRB 2006, 326 = ZIP 2006, 1554 = NZI 2006, 577; so bereits LG Stendal v. 7.2.2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800 f. = ZInsO 2005, 614 f.; AG Hamburg v. 16.9.2005 – 68a IK 196/04, EWIR 2006, 209 m. Anm. Gundlach/Frenzel = ZIP 2005, 1801 ff.; AG Hamburg v. 16.9.2005 – 617b M 680/05, ZInsO 2005, 1058; a.A. LG Münster v. 24.1.2005 – 5 T 1294/04, ZIP 2005, 2331; ausführlich dazu: HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 13. 652 Hans. OLG Hamburg v. 30.12.2009 – 4 U 59/08, EWIR 2010, 299 m. Anm. Eckert = ZIP 2010, 744 = BeckRS 2010, 02875. 653 Ausführlich hierzu Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 110 Rz. 27. 654 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026. 655 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 35. 656 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 36.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 232d § 11
Nutzungsrecht.657 Als Rechtsfolge der kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung durfte der vermietende Gesellschafter, der die Gesellschaft weder liquidiert noch ihr neues haftendes Kapital zugeführt, sondern durch die fortdauernde Gebrauchsüberlassung das Überleben der Gesellschaft ermöglicht hat, von der Mieterin die vereinbarte Miete so lange nicht fordern, wie diese nicht aus ungebundenem Vermögen der Gesellschaft bezahlt werden konnte.658 Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)659 konnten Nutzungsentgelte, die im Zustand der Krise gezahlt worden waren, nicht nur im Wege der Anfechtung (§ 135 Abs. 1 InsO), sondern auch über das Konstrukt der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Krise an die Gesellschaft zurückverlangt werden, §§ 30, 31, 32a, 32b GmbHG analog.660 Mit Wirkung zum 1.11.2008 ist durch das MoMiG661 der herkömmliche Eigenkapitalersatz abgeschafft worden. Nach § 135 Abs. 3 InsO steht dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft daher kein unentgeltliches Nutzungsrecht zu, sondern er hat, befristet auf ein Jahr ab Insolvenzeröffnung, während dessen der Gesellschafter die Aussonderung nicht verlangen darf, nur in der Höhe Miete an den Gesellschafter zu zahlen, wie diese im Jahr vor Insolvenzeröffnung gezahlt worden ist.662 Der BGH hat sich am 29.1.2015663 im Rahmen einer Grundsatzentscheidung zu der Problematik der Nutzungsüberlassung durch Gesellschafter nach neuem Recht geäußert und wesentliche Streitfragen bezüglich des Verhältnisses zwischen § 135 Abs. 3 InsO und den Regelungen der §§ 103 ff. InsO geklärt.664 So ist der Anwendungsbereich des § 135 Abs. 3 InsO nur eröffnet, wenn ein Aussonderungsrecht des Gesellschafters vorliegt.665 Ist dies nicht der Fall, weil gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO zwischen Gesellschafter und Gesellschaft auch nach Verfahrenseröffnung ein vertragliches Nutzungsrecht fortbesteht, kann der Gesellschafter weiterhin einen Anspruch auf Begleichung des vollen 657 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 36. 658 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = MDR 2015, 611 = ZIP 2015, 589 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 37; BGH v. 16.10.1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55, 6 = EWIR 1990, 371 = GmbHR 1990, 118 = MDR 1990, 2246 = ZIP 1989, 1542 = NJW 1990, 516; BGH v. 11.7.1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 = GmbHR 1994, 612 = EWIR 1994, 1201 = MDR 1994, 10987 = NJW 1994, 2349; BGH v. 11.7.1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17, 2 = GmbHR 1994, 691 = EWIR 1994, 1107 = MDR 1994, 11001 = NJW 1994, 2760; BGH v. 16.6.1997 – II ZR 154/9, GmbHR 1997, 793 = EWIR 1997, 753 = GmbH-StB 1997, 2086, NJW 1997, 3026 = ZIP 1997, 1375; BGH v. 15.6.1998 – II ZR 17/9, GmbHR 1998, 936 = GmbH-StB 1998, 2527, BGH v. 14.7.1998 – XI ZR 272/ 97, MDR 1998, 1301 m. Anm. Graf von Westphalen = NJW 1998, 3200 = ZIP 1998, 1352. 659 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026. 660 Ausführlich hierzu K. Schmidt/K. Schmidt, Kommentar zur InsO, 19. Aufl. 2016, § 135 Rz. 30; K. Schmidt, NJW 2015, 1057 ff., 1057. 661 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026. 662 Ausführlich hierzu Dahl/J. Schmitz, NZG 2009, 325, 328 ff.; MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 206 f. 663 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. 664 Ausführlich hierzu MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 197. 665 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 57; MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 197.
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§ 11 Rz. 232d | Beratung bei gegenseitigen Verträgen vertraglich vereinbarten Nutzungsentgelts als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO geltend machen.666 Der Insolvenzverwalter kann das Ende des Nutzungsrechts aber durch Ausübung seines Sonderkündigungsrechts nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO herbeiführen und so ab Beendigung des Schuldverhältnisses den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 3 InsO eröffnen.667 § 135 Abs. 3 InsO verdrängt die §§ 103 ff. InsO somit nicht, sondern modifiziert die Rechtsfolgen für den Fall, dass kein wirksamer Nutzungsvertrag (mehr) besteht.668 Der Insolvenzverwalter der Gesellschaft hat keinen Anspruch auf unentgeltliche Nutzungsüberlassung gegen den Gesellschafter.669 Nicht von § 135 Abs. 3 InsO geregelt ist das Schicksal der Entgeltforderungen für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung. Abwegig ist die teilweise vertretene Auffassung, dass Miet- oder Pachtzinsleistungen der Gesellschaft im Rahmen von Nutzungsüberlassungen stets binnen der Jahresfrist anfechtbar seien.670 Der Gesetzgeber hat die Rechtsfigur der kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung abgeschafft. Von § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfasst sein können daher nur Zahlungen auf Forderungen, die Kreditcharakter haben.671 Der ausdrücklichen Regelung in Bezug auf den Zeitraum nach Eröffnung lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass die im Regierungsentwurf anklingende Auffassung revidiert werden sollte, die Stundung von Mietforderungen könne als eine Rechtshandlung angesehen werden, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich entspricht.672 Wurden also Mietforderungen vor Verfahrenseröffnung gestundet und stehen noch offen, so sind diese als nachrangig gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO anzusehen.673 Werden zuvor gestundete Mietforderungen im letzten Jahr vor Antragstellung beglichen und scheidet infolge der Stundung auch ein Bargeschäft (§ 142 InsO) aus, besteht auch eine Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO.674 Wenn nun im letzten Jahr vor der Insolvenzeröffnung gezahlte Mieten im Wege der Insolvenzanfechtung zurückerstattet werden müssen, kann dies nach der Wertung des Gesetzgebers auch nicht ohne Folgen auf den Vergütungsanspruch nach § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO sein. Soweit also die vor Insolvenzeröffnung gezahlten Mieten der Anfechtung675 unterliegen, müssen diese auch bei der Bemessung des Vergütungsanspruchs nach § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO außer Betracht bleiben.676
666 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 58; MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 197. 667 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = ZIP 2015, 589 = MDR 2015, 611 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 61; MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 197. 668 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 197. 669 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 197. 670 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NotBZ 2015, 260 m. Anm. Suppliet = MDR 2015, 611 = ZIP 2014, 186 = ZIP 2015, 21, 589 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann = EWIR 2015, 453 m. Anm. Spliedt = MietRB 2015, 140 = GmbH-StB 2015, 132 = NJW 2015, 1109 ff. Rz. 68 f.; MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 198; so aber Hölzle, ZIP 2009, 1939, 1947; Henkel, ZIinsO 2010, 2209, 2211 ff.; Haas in FS-Ganter, 2010, S. 189, 192 ff.; Marotzke, ZinsO 2009, 2073, 2075. 671 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 198. 672 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 198a; so auch Spliedt, ZIP 2009, 149, 156. 673 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 198a m.w.N. 674 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 198a m.w.N. 675 Zur Anfechtung von Mietzahlungen nach anderen Vorschriften siehe MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 202 ff. m.w.N; MünchKommInsO/Gehrlein, 4. Aufl. 2019, § 135 Rz. 49. 676 Ausführlich hierzu MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 199 m.w.N, MünchKommInsO/Gehrlein, 4. Aufl. 2019, § 135 Rz. 49.
1030 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 233 § 11
Zum alten Recht hatte der BGH entschieden, dass die Wirkung einer eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung mit dem Wirksamwerden des im Wege der Zwangsverwaltung erlassenen Beschlagnahmebeschlusses endete und der Grundpfandgläubiger zumindest von diesem Zeitpunkt an Zahlung des Miet- und Pachtzinses verlangen konnte.677 Gleiches galt für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des vermietenden Gesellschafters.678 Bei einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsverwaltung hatte der Gesellschafter der Insolvenzmasse die gezahlten Miet- und Pachtzinsen gemäß §§ 30, 31, 32a, 32b GmbHG a.F. analog zu erstatten.679
232e
Auch nach der Neukonzeption durch das MoMiG wird man § 135 Abs. 3 InsO nicht zulasten des Grundpfandgläubigers oder des insolventen Gesellschafters anwenden können.680 Es bleibt dabei, dass der Beschlagnahmebeschluss oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters eine Zäsur darstellt, die bewirkt, dass die Interessen der Insolvenzmasse der Gesellschaft hinter den Interessen des Grundpfandgläubigers bzw. der Gläubigergesamtheit des Gesellschafters zurücktreten müssen.681 Zudem ist nicht ersichtlich, warum die insolvente Gesellschaft, die gemäß § 135 Abs. 3 InsO anders als nach bisherigem Recht gerade nicht unentgeltlich nutzungsberechtigt, sondern vielmehr grundsätzlich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet ist, im Fall der Zwangsverwaltung oder der Gesellschafterinsolvenz demgegenüber bessergestellt werden soll.682 Schließlich lässt sich auch aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber sich mit diesen Sonderfällen nicht befasst hat, nicht herleiten, dass er die Diskussion zum alten Recht kannte, § 135 Abs. 3 InsO aber ausnahmslos Anwendung finden lassen wollte.683 Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Problematik schlichtweg nicht bedacht hat.684 Ist also der Insolvenzverwalter in beiden Konstellationen gemäß § 108 InsO zur Zahlung der vollen Miete verpflichtet, kann er sich dem nur durch Ausübung des ihm in § 109 InsO eingeräumten Sonderkündigungsrechts entziehen.685 Im Unterschied zum früheren Recht ist eine Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch gegen den Gesellschafter allerdings nicht mehr ersichtlich.686 Zu den durch § 110 InsO in ihrer Wirksamkeit begrenzten Verfügungen zählen lediglich Vorausverfügungen, die über die gesetzlich festgelegte zeitliche Grenze hinauswirken und sich auf künftige Ansprüche beziehen.687 Verfügungen über bestehende Ansprüche mögen indes einer Anfechtung unter-
677 BGH v. 7.12.1998 – II ZR 382/96, ZIP 1999, 65 = EWIR 2000, 31 m. Anm. v. Gerkan = MDR 1999, 304 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 1999, 175 = GmbH-StB 1999, 35 = NZG 1999, 305. 678 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 207/06, EWIR 2008, 555 m. Anm. Burg/Blasche = GmbHR 2008, 761 m. Anm. Henkel = ZIP 2006, 1582 = ZIP 2008, 1176 = MDR 2008, 927 = NotBZ 2008, 339 m. Anm. Vossius = GmbH-StB 2008, 231 = MietRB 2008, 267 = NZG 2008, 551. 679 BGH v. 31.1.2005 – II ZR 240/02, EWIR 2005, 355 m. Anm. Herbst/Flitsch = ZIP 2005, 484 = GmbHR 2005, 534 m. Anm. Blöse = GmbH-StB 2005, 133 = NZG 2005, 346. 680 Uhlenbruck/Hirte, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 135 Rz. 22; MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 212; Dahl/J. Schmitz, NZG 2009, 325, 331; Fischer/Knees, ZInsO 2009, 745, 748 ff.; a.A. Göcke/Henkel, ZInsO 2009, 170 ff. 681 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 212. 682 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 212; so auch Fischer/Knees, ZInsO 2009, 745, 749. 683 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 212; so aber Göcke/Henkel, ZInsO 2009, 170, 173. 684 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 212. 685 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 212. 686 MHLS/Dahl/Linnenbrink, Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 6, Rz. 212; Dahl/ J. Schmitz, NZG 2009, 325, 331. 687 Zur Wirksamkeit eines Vermieterpfandrechts auch zur Sicherung künftig entstehender Forderungen vgl. BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, EWIR 2007, 185 m. Anm. Gundlach/Frenzel = MDR 2007, 610 = MietRB 2007, 115 = ZIP 2007, 191 = NZI 2007, 158 = ZInsO 2007, 91 mit zust. Anm. Neuenhahn, NZI 2007, 160.
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233
§ 11 Rz. 233 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen liegen688 (zur Anfechtbarkeit von Vorausverfügungen vgl. Rz. 234a). Keine Verfügungen über Mietoder Pachtzinsforderungen liegen insbesondere vor: – wenn die Laufzeit oder die Miethöhe für einen nach Verfahrenseröffnung liegenden Zeitraum abgeändert oder die dingliche Rechtslage am Grundstück verändert wird; können diese Verfügungen nicht nach den §§ 129 ff. InsO angefochten werden, dann ist die daraus resultierende Kürzung der Miet- und Pachtzinsforderung auch in der Insolvenz bindend;689 – bei einem verlorenen Baukostenzuschuss, wenn die Ausbauarbeiten eine Wertsteigerung des Grundstücks oder Gebäudes bewirkt haben, so dass eine Verrechnung mit späteren Mietzahlungen zulässig ist;690 dagegen ist der abwohnbare Baukostenzuschuss als vorausbezahlter Miet- oder Pachtzins zu behandeln;691 – bei Hinterlegung der Mietkaution (§ 551 BGB), die keine Vorauszahlung des Mietzinses und daher keine Vorausverfügung i.S.d. § 110 InsO darstellt.692 Die Kaution ist hingegen keine Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung, eine diesbezügliche Verfügung wirkt daher gegen die Masse.693 234
Als Folge des Verfügungsverbots ist der Mieter oder Pächter gehalten, die Gegenleistung für die in der betroffenen Zeitspanne erfolgten Nutzung des Objekts noch einmal zur Masse zu erbringen. Gleichwohl steht ihm für den an einen Dritten oder den Schuldner vorgeleisteten Betrag ein Bereicherungsanspruch zu, der bei Entrichtung an den späteren Insolvenzschuldner als Insolvenzforderung geltend zu machen und zur Insolvenztabelle anzumelden ist.694
234a
Gegenüber den Vorschriften über die Insolvenzanfechtung ist § 110 InsO insoweit eine Spezialvorschrift, als dort die Wirksamkeit einer Vorausabtretung geregelt ist. Damit greifen die Bestimmungen über die Insolvenzanfechtung nur insoweit ein, als sie nicht auf den in § 110 InsO geregelten Besonderheiten beruhen.695 Maßgeblicher Zeitpunkt für die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Vorausverfügungen durch den Schuldner zugunsten eines Dritten ist nach Auffassung des OLG Hamm696 der Beginn des Monats, auf den sich die Mietzahlung bezieht, nicht hingegen der Zeitpunkt der Vorausabtretung. Aufgrund dieser zeitlichen Streckung stelle die Vorausabtretung als Gewährung einer Sicherheit auch kein (unmittelbares) Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO dar. Schließlich erkennt das OLG Hamm in der Vorausabtretung eine Gläubigerbenachteiligung unbeschadet einer sonst der Vorausabtretung entsprechenden Hypothekenhaftung, da sich Letztere nur auf noch offene Mietforderungen erstreckt. Der BGH ist einer solchermaßen durch das OLG Hamm vertretenen Anfechtbarkeit entgegengetreten. Seiner Auffassung nach liegt bereits eine für alle insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestände notwendige Gläubigerbenachteiligung nicht vor, wenn der Grundschuldgläubiger, dem der Schuldner die Mietzinsforderungen abgetreten hat, bis zur Insolvenzeröffnung eingehende Mietzah-
688 Zur Anfechtbarkeit von Mietzahlungen generell OLG Stuttgart v. 23.1.2006 – 5 U 144/05, MietRB 2006, 268, ZInsO 2006, 274 ff. 689 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 110 Rz. 8; ähnlich Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 110 Rz. 29. 690 OLG Frankfurt a. M. v. 5.12.2018 – 4 U 17/18; BGH v. 15.2.2012 – VIII ZR 166/10, MDR 2012, 393 = MietRB 2012, 97; MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 110 Rz. 19; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 110 Rz. 5; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 9; a.A.: Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 110 Rz. 34; Nerlich/ Römermann/Balthasar Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 110 Rz. 9; Dötsch, NZI 2012, 296, 300. 691 FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 9; krit.: Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 110 Rz. 34. 692 FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 10. 693 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 110 Rz. 15. 694 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 110 Rz. 9. 695 KG v. 15.1.2008 – 7 U 110/07, ZIP 2008, 1934 = NZI 2008, 440. 696 OLG Hamm v. 14.6.2005 – 27 U 85/04, ZIP 2006, 433, 434 = ZInsO 2006, 776.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 237a § 11
lungen mit einer Forderung gegen den Schuldner verrechnet, und der Grundschuldgläubiger das Absonderungsrecht zuvor unanfechtbar erworben hat.697 Die Entscheidung sieht sich dahingehend Kritik ausgesetzt, dass die Hypothekenhaftung nur aufschiebend bedingt ab dem Zeitpunkt der Beschlagnahme wirke und die relevanten Forderungen vor diesem Zeitpunkt zur Befriedigung aller Gläubigerr bestimmt sei.698
b) Aufrechnung Mit Gegenforderungen kann der Mieter oder Pächter gemäß § 110 Abs. 3 InsO gegenüber den Mietund Pachtzinsforderungen der Insolvenzmasse für den Zeitraum nach Verfahrenseröffnung nur innerhalb der beiden Zeitgrenzen des § 110 Abs. 1 InsO aufrechnen. Dabei ist es unerheblich, woraus die Gegenforderung resultiert.
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Der Mieter oder der Pächter kann nach § 110 Abs. 3 Satz 1 InsO gegen die Miet- oder Pachtforderung für den in § 110 Abs. 1 InsO bezeichneten Zeitraum mit einer Forderung aufrechnen, die ihm gegen den Schuldner zusteht. Unberührt hiervon bleiben die §§ 95 und 96 Nr. 2–4 InsO. Die Vorschrift beschränkt nicht die Möglichkeit der Aufrechnung nach § 95 InsO, sondern schließt lediglich die Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO für den dort bezeichneten Zeitraum aus. Sie gewährt ein besonderes zusätzliches Aufrechnungsrecht und erweitert damit die Aufrechnungsmöglichkeiten. Infolgedessen kann der Mieter zu seinen Gunsten bestehende Nebenkostenguthaben aus der Zeit vor Insolvenz des Vermieters gegen Mietzinsansprüche der Masse für danach liegende Zeiträume aufrechnen.699
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Unberührt davon bleiben aber die in § 95 InsO beschriebenen allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen sowie die sonstigen Aufrechnungsverbote des § 96 InsO, die weiterhin Anwendung finden. Vertraglich vorgesehene Aufrechnungsverbote verlieren mit Verfahrenseröffnung ihre Wirkung und stehen § 110 Abs. 3 InsO nicht entgegen700 (zu den Besonderheiten einer Aufrechnung in der Insolvenz und den insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverboten vgl. § 10 Rz. 507 ff.).
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Gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 und 3 BGB ist der Vermieter verpflichtet, die ihm vom Mieter überlassene Kaution bei einem Kreditinstitut von seinem Vermögen getrennt anzulegen. Dazu hat er ein offen ausgewiesenes Sonderkonto (Mietkautionskonto) einzurichten,701 auf welches der Mieter die drei Kautionsraten unmittelbar einzahlen darf.702 Durch diese Behandlung des Kautionsguthabens als Treuhandvermögen wird es vor dem Zugriff der Gläubiger des Vermieters und insbesondere auch vor dem Pfandrecht des Kreditinstituts (Nr. 14 Abs. 1 AGB-Banken, Nr. 21 Abs. 1 AGB-Sparkassen) geschützt.703 Legt der Vermieter die Kaution auf einem Treuhandkonto an, so steht dem Mieter in der Insolvenz des Vermieters ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO zu.704 In der Einzelzwangsvollstreckung kann er seine Rechte im Wege der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO geltend machen.705
237a
697 BGH v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, EWIR 2007, 83 m. Anm. Neußner = MDR 2007, 616 = NotBZ 2007, 17 = MietRB 2007, 67 = ZIP 2007, 35 mit Anm. Neußer, EWiR 2007, 83; Wazlawik, NZI 2007, 320; MünchKommInsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, § 129 Rz. 158; Uhlenbruck/Borries/Hirte, Kommentar zur InsO, 15. Auflage 2019, § 129 Rz. 211. 698 Mitlehner, ZIP 2007, 804, 806. 699 BGH v. 21.12.2006 – IX ZR 7/06, MDR 2007, 680 = EWIR 2007, 381 m. Anm. Beutler/Bierbach = ZIP 2007, 239 = NZI 2007, 164 mit Anm. Gundlach; kritisch FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 110 Rz. 18. 700 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 110 Rz. 49. 701 BGH v. 9.6.2015 – VIII ZR 324/14, NJW-RR 2015, 1289; Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723, 723. 702 BGH v. 13.10.2010 – VIII ZR 98/10, NZM 2011, 28; Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723, 723, ZIP 2011, 89 (Ls.). 703 Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723, 723. 704 BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, NJW 2008, 1152 = ZIP 2008, 469; Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723, 723. 705 BGH v. 17.3.2016 – IX ZR 303/14, NJW 2016, 1451; Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723, 723.
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§ 11 Rz. 237a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen Der Mieter kann daher ggf. auch mit seinem Kautionsrückzahlungsanspruch aufrechnen. Sofern der Vermieter die Kaution nicht getrennt angelegt hat, wird dem Mieter in der Regel eine Aufrechnung verwehrt sein. Eine Aufrechnung mit dem Anspruch des Mieters auf getrennte Anlage der Kaution wird bereits an der fehlenden Gleichartigkeit scheitern.706 Einer Aufrechnung des Mieters mit dem Rückzahlungsanspruch wird in der Regel § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO entgegenstehen. Nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ist eine Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Der Kautionsrückzahlungsanspruch wird aufgrund einer angemessenen Überlegungs- und Abrechnungsfrist des Vermieters – die regelmäßig 6 Monate beträgt – meist erst nach sämtlichen Vermieterforderungen fällig.707 237b
Nach der Rechtsprechung des IX. Senats des BGH708 steht dem Mieter bei vertragswidrig nicht insolvenzfest angelegter Kaution in der Insolvenz des Vermieters gegen vor Insolvenzeröffnung fällig gewordene Mieten auch kein Zurückbehaltungsrecht zu. Denn bei dem Anspruch des Mieters auf vertragsgemäße Anlage der Mietsicherheit handelt es sich um eine einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Gleiches gilt in diesem Falle für den Anspruch auf Rückgewähr der Kaution. Im Falle der Zwangsverwaltung ist der bestehende Mietvertrag gemäß § 152 Abs. 2 ZVG „auch dem Verwalter gegenüber wirksam“. Der Zwangsverwalter soll nach der Rechtsprechung des VIII. Senats des BGH709 „in allen Fällen, in denen Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis berührt sind, wie ein Vermieter behandelt“ werden. Danach soll er nicht nur zur Herausgabe des Kautionsguthabens nach Beendigung des Mietvertrages,710 sondern auch zur erneuten Anlage einer (beim Vermieter nicht mehr vorhandenen) Kaution während des laufenden Mietverhältnisses verpflichtet sein.711 Die vorgenannten Entscheidungen des VIII. Senats des BGH führen sowohl zu einem Wertungswiderspruch zu den §§ 392, 1124 Abs. 2, 1125 BGB und damit zu einer nicht gerechtfertigten Bevorzugung des Mieters gegenüber den die Zwangsverwaltung betreibenden Grundpfandrechtsgläubigern als auch zum Widerspruch im Vergleich zur Behandlung in der Insolvenz (dort nur einfache Insolvenzforderung)712 Denn nach der Rechtsprechung des VIII. Senats des BGH713 steht dem Mieter gegenüber dem an Stelle des insolventen Vermieters getretenen Zwangsverwalter ein Zurückbehaltungsrecht an der laufenden Miete bis zu einem Betrag in Höhe der gezahlten Mietkaution nebst Zinsen zu. Dies gelte auch dann, wenn der Verwalter die Kaution vom Vermieter nicht erhalten hat. Dies sei im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermieters auch nicht anders zu beurteilen, weil dem Mieter gegenüber dem Zwangsverwalter keine weitergehenden Rechte als gegenüber dem ursprünglichen Vermieter zustehen könnten. Es komme auch nicht darauf an, ob der Mieter, dessen Mietverhältnis gemäß § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehe, im Rahmen des Insolvenzverfahrens wegen seiner Ansprüche aus der Kaution nach § 108 Abs. 3, § 87 InsO auf eine einfache Insolvenzforderung verwiesen sei. Denn es gehe nicht um die Rechtsstellung des Mieters in der Insolvenz seines Vermieters, sondern um die Pflichten des Zwangsverwalters gegenüber einem Mieter, dem die Immobilie schon vor der Beschlagnahme überlassen war. Der Zwangsverwalter trete in diesem Fall nach § 152 Abs. 2 ZVG in die Rechte und Pflichten des Vermieters ein und habe deshalb auch die aus der Kaution folgenden Pflichten des Vermieters zu erfüllen. Darauf, dass der Vermieter selbst dazu während des laufenden Insolvenzverfahrens nicht mehr in der Lage sei, komme es nicht an. Die Bevorzugung des Mieters gegenüber den Gläubigern in der Zwangsverwaltung hinsichtlich der
706 707 708 709 710 711 712 713
BGH v. 13.12.2012 – IX ZR 9/12, NZM 2013, 145 = ZIP 2013, 179. BGH v. 13.12.2012 – IX ZR 9/12, NZM 2013, 145 = ZIP 2013, 179; Dahl, FS Görg, 2010, S. 119, 125. BGH v. 13.12.2012 – IX ZR 9/12, NZM 2013, 145 = ZIP 2013, 179. BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 330/03, NJW-RR 2005, 1029. BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 330/03, NJW-RR 2005, 1029. BGH v. 11.3.2009 – VIII ZR 184/08, NJW 2009, 1673. Guhling/Günter/Hintzen, Gewerberaummiete, 2. Aufl. 2019, § 152 ZVG Rz. 68. BGH v. 23.9.2009 – VIII ZR 336/08, NZM 2009, 815.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 241 § 11
Kaution sei wegen des einer Treuhand ähnlichen Verhältnisses gerechtfertigt und vom Gesetzgeber gewollt. Sie werde deshalb nicht davon berührt, dass neben der Zwangsverwaltung über das Mietobjekt auch ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners anhängig sei. Im Ergebnis führt die Rechtsprechung des VIII. Senats des BGH dazu, dass, wenn in der Vermieterinsolvenz auf Betreiben eines absonderungsberechtigten Grundpfandgläubigers (§ 49 InsO) oder des Insolvenzverwalters (§ 172 ZVG) zusätzlich die Zwangsverwaltung über die massebefangene Immobilie angeordnet wird, der Mieter in der Vermieterinsolvenz bei angeordneter Zwangsverwaltung besser dasteht als ohne eine solche.714 Um die aufgezeigten Wertungswidersprüche auszuräumen, wird daher vorgeschlagen, die Vorschrift des § 152 Abs. 2 ZVG in der Vermieterinsolvenz so auszulegen, dass sie sich auf die Pflichten des – an die Stelle des Vermieters gerückten – Insolvenzverwalters bezieht.715 Der Zwangsverwalter hätte dann gemäß §§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 108 Abs. 1 Satz 1 InsO ausschließlich für die Masseverbindlichkeiten einzustehen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Mietverhältnis resultieren.716
6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO a) Tatbestandsvoraussetzungen Der Insolvenzverwalter kann eine Immobilie entweder dadurch verwerten, dass er gemäß §§ 172 ff. ZVG, 165 InsO die Zwangsversteigerung beantragt oder aber das Grundstück mit Zustimmung der Gläubigerversammlung freihändig veräußert. Bei der Zwangsversteigerung können die an dem Grundstück haftenden Miet- und Pachtverhältnisse nach § 57a ZVG mit gesetzlicher Frist gekündigt werden. Diese Regelung schafft einen Anreiz für potentielle Erwerber, entsprechend hohe Gebote abzugeben. Um eine möglichst günstige freihändige Verwertung von Immobilien durch den Insolvenzverwalter zu ermöglichen, übernimmt die wegen § 119 InsO unabdingbare Regelung des § 111 InsO die Vorschrift des § 57a ZVG für den freihändigen Verkauf im Insolvenzverfahren (zur Verwertung unbeweglichen Vermögens s. § 10 Rz. 244 ff.).
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Erfasst werden nur Miet- und Pachtverhältnisse, die der Schuldner als Alleineigentümer eingegangen war. War der Schuldner Miteigentümer und veräußert der Insolvenzverwalter den Gegenstand mit Zustimmung der weiteren Eigentümer, steht dem Erwerber ebenso wie bei der Zwangsvollstreckung nach § 183 ZVG ein Sonderkündigungsrecht nicht zu.717
239
§ 111 InsO setzt die Veräußerung eines unbeweglichen Miet- oder Pachtobjekts durch den Insolvenzverwalter sowie den Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis anstelle des Schuldners voraus. Der Gleichstellung des Leasings mit der Miete entsprechend fällt auch das Immobilienleasing in der Insolvenz des Leasinggebers in den Anwendungsbereich des § 111 InsO.718 Über § 49 InsO werden außerdem Schiffs- und Luftfahrzeuge von der erleichterten Kündigungsmöglichkeit des § 111 InsO erfasst.
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Der Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis erfolgt hierbei kraft Gesetzes wie in § 566 BGB vorgesehen. Eine Veräußerung liegt daher entsprechend § 566 BGB nicht schon mit Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts, sondern erst mit Vollendung des Eigentumserwerbs durch Auflas-
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714 715 716 717
Ausführlich hierzu Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723 ff. Jacoby, ZMR 2015, 1, 4; Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723, 729. Jacoby, ZMR 2015, 1, 4; Hinz/Lützenkirchen, MDR 2021, 723, 729. FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 111 Rz. 3; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 111 Rz. 12; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 111 Rz. 4. 718 Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14, Rz. 50, 90; ausführlich zum Immobilienleasing Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, Köln 2003.
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§ 11 Rz. 241 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen sung und Grundbucheintragung vor.719 Die Vermietung muss durch den Schuldner selbst vor Verfahrenseröffnung erfolgt sein. Hat der Insolvenzverwalter selbst den Mietvertrag abgeschlossen, findet § 111 InsO mit Rücksicht auf den Mieter oder Pächter, der in diesem Fall Massegläubiger nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, keine Anwendung.720 Vielmehr bleibt es dann bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften der §§ 566 ff., 578 BGB. Der Insolvenzverwalter muss sich daher bewusst sein, dass sein Bestreben, die Masse durch Neuverträge und entsprechende Mieteinnahmen anzureichern, möglicherweise Verwertungshindernisse begründet. 242
Streitig ist, wann die Überlassung des Miet- oder Pachtobjekts an den Mieter oder Pächter erfolgt sein muss. Die Vorschrift verlangt ihrem Wortlaut nach nicht, dass das Objekt dem Mieter oder Pächter schon bei Verfahrenseröffnung überlassen war.721 Unabhängig von der Rspr. des BGH722 ist aber im Rahmen von § 111 InsO auf jeden Fall erforderlich, dass die Miet- oder Pachtsache im Zeitpunkt der Veräußerung dem Mieter oder Pächter überlassen war, da die Rechtsfolge des § 566 BGB, also der Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis, sonst nicht gegeben ist (vgl. auch Rz. 243a).723
242a
Wurde die Kaution vom schuldnerischen Vermögen getrennt angelegt, so kann der Mieter nur die Weiterleitung an den Erwerber verlangen, soweit nicht Ansprüche der Masse gegen den Mieter bestehen. Da das Mietverhältnis übergegangen ist, kann er aber nicht die Rückerstattung an sich selbst begehren oder gemäß § 95 InsO mit Ansprüchen gegen die Masse aufrechnen.724 Der Erwerber des Mietraums kann vom Mieter die Zahlung der Kaution verlangen, soweit diese noch nicht an den Voreigentümer geleistet wurde.725 Vor einer doppelten Inanspruchnahme wird der Mieter durch die Einrede gemäß § 362 BGB geschützt. In einer Erwerbskette haftet der letzte Erwerber dem Mieter nach § 566a BGB, unabhängig davon, ob die Kaution in der Kette der vorangegangen Vermieter an ihn weitergeleitet worden ist; eine ununterbrochene Kautionskette ist nicht notwendig.726 Nach der Rechtsprechung haftet der Erwerber dem Mieter für die entrichtete Kaution auch dann, wenn der insolvent gewordene Voreigentümer die Kaution nicht getrennt von seinem sonstigen Vermögen angelegt hatte.727 Hiergegen wird in der Literatur eine teleologische Reduktion des § 566a BGB in solchen Fällen befürwortet, um eine umfangreiche Erwerberhaftung für vor Insolvenzeröffnung begründete Verbindlichkeiten und damit eine erschwerte Verwertung der Insolvenzmasse zu vermeiden.728 Eine umfangreiche Erwerberhaftung für vor Insolvenzeröffnung begründete Verbindlichkeiten würde nämlich die Möglichkeit eines Verkaufs des Handelsgeschäfts oder Betriebs aus der Insolvenzmasse stark erschweren bzw. zumindest den Kaufpreis erheblich mindern. Hier kann eine Parallele zur Haftung des Erwerbers eines Handelsgeschäfts nach § 25 Abs. 1 HGB bzw. eines Betriebsübernehmers nach § 163a BGB
719 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 111 Rz. 4. 720 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 111 Rz. 6; Kübler/ Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 111 Rz. 9. 721 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 111 Rz. 5. 722 BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, ZIP 2007, 2087 = EWIR 2007, 729 m. Anm. Eckert = MDR 2008, 109 = MietRB 2008, 8 = NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/J. Schmitz. 723 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 111 Rz. 7; Kübler/ Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 111 Rz. 13; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 111 Rz. 7. 724 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 11. 725 BGH v. 25.7.2012 – XII ZR 22/11, MDR 2012, 1082 = MietRB 2012, 288 = NJW 2012, 3032; LG Kiel v. 28.8.2012 – 1 S 174/11, NZM 2013, 231 m.w.N. 726 BGH v. 1.6.2011 – VIII ZR 304/10, MDR 2011, 910 = NotBZ 2011, 329 m. Anm. Krauß = MietRB 2011, 239 = NZM 2012, 81. 727 BGH v. 7.3.2012 – XII ZR 13/10, MDR 2012, 573 = NotBZ 2012, 213 m. Anm. Krause = MietRB 2012, 232 = NZI 2012, 383. 728 So auch Vorinstanz LG Braunschweig 7.1.2010 – 31 Wx 154/09, FamRZ 2010, 838 = NotBZ 2010, 384 = NJW-RR 2010, 1593; ausführlich Dahl in FS Görg, 2010, S. 119, 126 ff.; MünchKommInsO/Eckert/ J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 11; K. Schmidt/Ringstmeier, Kommentar zur InsO, 19. Aufl. 2016, § 111 Rz. 17 f.; a.A. MünchKommBGB/Häublein, 8. Aufl. 2020, § 566a Rz. 15.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 243a § 11
gezogen werden. Dort ist eine teleologische Reduktion aus diesen Gründen anerkannt. Eine Anwendung des § 566a BGB würde darüber hinaus die Mieter unberechtigterweise privilegieren. So erwächst der Kautionsrückzahlungsanspruch, der bei nicht getrennter Anlage durch den Vermieter in dessen Insolvenz lediglich eine Insolvenzforderung darstellt, durch den Verkauf der Immobilie wieder zu einer vollwertigen Forderung gegen den (solventen) Erwerber. Dagegen kann auch nicht die Rechtsprechung zur Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung729 angeführt werden (siehe hierzu Rz. 237b). Diese Entscheidung betrifft die Einzelzwangsvollstreckung und nicht die Gesamtvollstreckung. Während bei der Einzelzwangsvollstreckung unmittelbar nur der betreibenden Grundpfandgläubiger von der Minderung der gezogenen Nutzungen aufgrund der Haftung des Zwangsverwalters für die Rückzahlung der Kaution, betroffen ist, benachteiligt eine Minderung des Erlöses bei Verkauf des Grundstücks infolge der Erwerberhaftung gemäß § 566a BGB die Gesamtheit der Gläubiger.730
242b
Vorausverfügungen des Verwalters unterliegen den Regelungen der §§ 566b, 566c BGB; der Erwerber muss sie gegen sich gelten lassen. Dies gilt auch für Vorausverfügungen des Schuldners. Die Unwirksamkeitsfolge für den Eröffnungs- bzw. Folgemonat gemäß § 110 InsO schützt nur die Masse.731 Der Erwerber kann sich daher nicht auf § 566b BGB berufen, da nicht der Vermieter, sondern der Verwalter das Objekt veräußert und dieser nicht über die Miete im Voraus verfügt hat.
242c
Ist – wie im Falle einer gewerblichen Vermietung möglich – der Übergang des Mietverhältnisses wirksam abbedungen und besteht dieses infolgedessen zwischen dem Mieter und der Masse fort, so ist der Erwerber dem Mieter gegenüber nicht zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet. Die Masse haftet für diesen Rechtsmangel. Dieser wurde nämlich durch ein Verwalterhandeln gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO hervorgerufen. Der Ausschluss des Vertragsübergangs enthält im Zweifel keinen Verzicht auf die Rechtsmängelhaftung des Vermieters.732
242d
b) Sonderkündigungsrecht des Erwerbers Nach § 111 Satz 1 InsO ist der Erwerber berechtigt, das Miet- oder Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zu kündigen. Dem Mieter oder Pächter ist es daher verwehrt, sich auf die vertragsmäßig vereinbarte verlängerte Kündigungsfrist oder eine die ordentliche Kündigung ausschließende Vertragsbefristung zu berufen. War in dem mit dem Schuldner abgeschlossenen Vertrag hingegen wirksam eine kürzere als die gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist vereinbart, so gilt diese auch für den Erwerber. Das Kündigungsrecht nach § 111 InsO wird durch den zeitlich befristeten Kündigungsausschluss aufgrund der Corona-Pandemie gemäß Art. 240 § 2 EGBGB nicht ausgeschlossen, da nach Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 3 EGBGB sonstige Kündigungsgründe unberührt bleiben.733
243
Das Kündigungsrecht steht dem Erwerber nicht zu, wenn der Mietgegenstand dem Mieter noch nicht im Zeitpunkt seines Erwerbs überlassen war.734 In dem Erwerbszusammenhang kommt dem Erwerber nämlich ein Wahlrecht zu, ob er in das Mietverhältnis eintreten möchte. Seine Situation ist mithin eine andere als die des Insolvenzverwalters. Hat er sich dazu einmal entschieden, so bedarf es eines Sonderkündigungsrechts nicht.735 Im Unterschied zur Kündigungsmöglichkeit durch den Insolvenz-
243a
729 BGH v. 23.9.2009 – VIII ZR 336/08, MDR 2009, 1382 = MietRB 2009, 351 = NZI 2010, 78; im Anschluss an BGH v. 11.3.2009 – VIII ZR 184/08, MDR 2009, 620 = MietRB 2009, 170 = NZI 2009, 622. 730 Dahl, FS Görg, 2010, S. 119, 126 ff.; MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 11; K. Schmidt/Ringstmeier, Kommentar zur InsO, 19. Aufl. 2016, § 111 Rz. 18. 731 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 12. 732 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 30. 733 Hamburger Kommentar zur InsO/Pohlmann-Weide, 8. Aufl. 2021, § 111 Rz. 6. 734 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 111 Rz. 13; MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 8. 735 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 8.
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§ 11 Rz. 243a | Beratung bei gegenseitigen Verträgen verwalter ist die Kündigungsmöglichkeit des Erwerbers ausdrücklich durch § 111 Satz 2 InsO auf den ersten möglichen Kündigungstermin beschränkt.736 Dies ist insofern problematisch, als der Erwerber erst zur Kündigung berechtigt ist, wenn das Eigentum übertragen, also etwa der Eigentumsübergang in das Grundbuch eingetragen wurde. Darauf kann der Erwerber aber nicht Einfluss nehmen, sondern er wird erst nach einigen Tagen von Amts wegen informiert. Es erscheint daher sachgerecht, dem Erwerber eine fristwahrende Kündigung zum nächstmöglichen Termin zu gestatten, wenn er zumutbare Anstrengungen zur Kenntnisnahme unternimmt.737 244
Für Wohnraummietverträge bleiben die aus den allgemeinen Bestimmungen der §§ 573 bis 575a BGB resultierenden Kündigungsbeschränkungen anwendbar. Tritt eine Kündigungsvoraussetzung des § 573 Abs. 2 BGB – beispielsweise Eigenbedarf – erst nach Erwerb ein, so würde nach dem Wortlaut des § 111 InsO der spätere Eintritt der Kündigungsvoraussetzung für den ersten Kündigungstermin maßgeblich sein. Der Erwerber konnte sich aber bereits vor Eigentumserwerb auf die Kündigungsvoraussetzungen und seine Nutzungsmöglichkeiten einstellen. Es wird daher als interessengerecht angesehen, nicht auf den Eintritt der Kündigungsvoraussetzungen, sondern auf den Erwerbsvorgang abzustellen.738
245
Als weitere den Erwerber bindende Kündigungsschutzvorschriften sind die Sonderregelungen für die Wohnungsumwandlung (§ 577a BGB), für öffentlich geförderte Wohnungen – die Befreiung des § 17 WoBindG bei Zwangsversteigerung gilt nicht bei freihändigem Verkauf durch den Insolvenzverwalter – sowie für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke (§§ 585, 595 BGB) zu nennen.
c) Rechtsfolgen 246
Macht der Erwerber von dem ihm in § 111 InsO eingeräumten Sonderkündigungsrecht Gebrauch, so kann der Mieter oder Pächter in entsprechender Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO wegen der vorzeitigen Vertragsbeendigung Schadensersatzanspüche geltend machen, die als einfache Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden sind739 (zur Anmeldung einer Insolvenzforderung zur Tabelle s. § 9 Rz. 269 ff., § 9 Rz. 258 ff.).
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Inhaltlich ist der Anspruch entsprechend § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO auf den bloßen Differenzschaden, also den Unterschied zwischen dem vertraglich geschuldeten Mietzins und dem Marktwert der Mietsache beschränkt, was regelmäßig dem Mehraufwand für ein anderes gleichwertiges Objekt entspricht; Folgeschäden, wie insbesondere Umzugskosten, sind dagegen nicht zu ersetzen, da auch sonstige Insolvenzgläubiger keine Folgeschäden verlangen können.740
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Ein Ersatzanspruch, der sich demgegenüber gemäß § 566 Abs. 2 BGB darauf stützt, dass der in das Miet- und Pachtverhältnis eingetretene Erwerber seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt hat, ist ein Masseanspruch i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da er in einem Geschäft des Insolvenzverwalters
736 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 111 Rz. 10; einschränkend Andres/Leithaus/Andres, Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2018, § 111 Rz. 7, der eine angemessene Zeit zur Prüfung der Sach- und Rechtslage zubilligen will. 737 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 17; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 111 Rz. 10. 738 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 19 f. 739 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 111 Rz. 9; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 111 Rz. 11; Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 37 Rz. 44; Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 111 Rz. 15; a.A. Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 111 Rz. 13; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 111 Rz. 12. 740 Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 111 Rz. 38; Nerlich/ Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 111 Rz. 15.
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VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 250 § 11
seinen Grund hat.741 Diese Haftung ist aber auf den Zeitraum bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit durch den Mieter beschränkt, wenn der Vermieter den Mieter auf den Eigentumsübergang hingewiesen hat, § 566 Abs. 2 Satz 2 BGB.742 Gegenüber Forderungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung kann der Mieter oder Pächter mit seiner Schadensersatzforderung aufrechnen, da diese nach der insoweit fortgeltenden Rechtsprechung des BGH743 bereits vor Insolvenzeröffnung aufschiebend bedingt entstanden sind.744
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Gegen den nach § 111 InsO kündigenden Erwerber kann weder ein einmaliges, noch ein zeitlich unbegrenztes, für eine unbestimmte Vielzahl von Vormietfällen vereinbartes Vormietrecht ausgeübt werden. So besteht der Zweck des § 111 InsO nicht nur darin, dem Erwerber eine baldige Eigennutzung, sondern auch allgemein die Beendigung bestehender Mietverhältnisse zu ermöglichen. Schließlich kann sich dies als Veräußerungshindernis oder zumindest wertmindernder Faktor darstellen.745
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7. Kündigungssperre, § 112 InsO a) Reichweite des Kündigungsverbots Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 112 InsO bezweckt, die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinander zu reißen746 und dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit zu geben, ein Unternehmen unter Nutzung der wesentlichen Betriebsmittel so lange fortzuführen, bis in der Gläubigerversammlung eine Entscheidung über das Verfahrensziel getroffen werden kann. Die Norm korrespondiert dabei insbesondere mit der Vorschrift des § 107 Abs. 2 InsO, die den Insolvenzverwalter berechtigt, sein ihm nach § 103 InsO zustehendes Wahlrecht auch bei Lieferung von Eigentumsvorbehaltsware und bestehendem Aussonderungsrecht des Lieferanten nach dem Berichtstermin auszuüben. In ähnlicher Weise verhindert § 112 InsO, dass dem schuldnerischen Unternehmen durch dessen Vermieter oder Verpächter betriebsnotwendige Pacht- oder Mietgegenstände entzogen werden. Die Kündigungssperre wirkt, bei einem mit mehreren Mietern vertraglich begründeten Mietverhältnis, nicht nur gegenüber dem insolventen Mitmieter, der sich in Zahlungsverzug befindet, sondern auch gegenüber dem nicht Insolventen, wenn sich dieser ebenfalls in Zahlungsverzug befindet. Dies ist auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kündigung zurückzuführen.747 Entsprechendes gilt auch bei mehreren Leasingnehmern. Auch hier muss die Kündigung gegenüber jedem einzelnen Leasingnehmer erklärt werden.748 Die Kündigungssperre des § 112 InsO lässt sonstige Kündigungsgründe außerhalb der konkret genannten unberührt.749
741 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 111 Rz. 12; Uhlenbruck/Kuhn, Kommentar zur KO, 11. Aufl. 1994, § 21 Rz. 16; MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 9. 742 MünchKommInsO/Eckert/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 111 Rz. 9; Palandt/Weidenkaff, Kommentar zum BGB, 80. Aufl. 2021, § 566 Rz. 25. 743 BGH v. 5.5.1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345, 1346. 744 Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 111 Rz. 13. 745 KG Berlin v. 23.9.2010 – 8 W 46/10, MDR 2011, 218 = NotBZ 2011, 99 = MietRB 2011, 110 = BeckRS 2010, 24375 ff. 746 Hierzu kritisch von Wilmowsky, ZInsO 2004, 882, 883. 747 AG Köln v. 11.9.2009 – 205 C 158/09, NZI 2010, 306 ff. 748 OLG Düsseldorf v. 8.9.2008 – 24 U 40/08, GWR 2009, 20 ff. 749 Schl.-Holst. OLG v. 17.11.2009 – 3 U 89/09, BeckRS 2010, 30682 ff.; BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 394/ 03, ZIP 2005, 1085 = MDR 2005, 1043 = MietRB 2005, 254 = NZI 2005, 450 ff.
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§ 11 Rz. 250 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen Nach der Rechtsprechung des BGH750 gilt die Kündigungssperre des § 112 InsO nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO weder im Insolvenzverfahren noch in dem sich daran anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren (§ 286 ff. InsO). Nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO sind rückständige Mieten, mit deren Zahlung der Mieter bereits vor Insolvenzantragstellung in Verzug geraten war, bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer (auch) hierauf gestützten fristlosen Kündigung des Vermieters nach § 543 Abs. 2 Nr. 3b) BGB zu berücksichtigen. aa) Miet- und Pachtverträge 251
Der Anwendungsbereich der Norm erstreckt sich nicht nur auf Immobilien,751 sondern auch auf bewegliche Gegenstände. Umstritten ist, ob die insolvenzrechtliche Kündigungssperre des § 112 InsO auf Leasingverträge anwendbar ist. Das OLG Braunschweig hat das in einem Kfz-Händler- und Servicepartnervertrag dem Hersteller eingeräumte Recht zur außerordentlichen Kündigung, für den Fall, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vertragshändlers gestellt wird, als wirksam anerkannt. Es stünde nicht in Widerspruch zu § 112 InsO, denn es handle sich nicht um einen Miet- oder Pachtvertrag i.S.d. § 112 InsO.752 Das OLG Düsseldorf hat sich hingegen in zwei Entscheidungen für eine Anwendung des § 112 InsO ausgesprochen.753
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Ob auch Verträge mit gemischtem Inhalt in den Anwendungsbereich fallen, hängt von dem den Vertragsinhalt prägenden Leistungselement sowie davon ab, ob ihrem Sinn und Zweck nach die Anwendung auf das fragliche Dauerschuldverhältnis geboten ist.754 Angenommen werden darf, dass jedenfalls Lizenzverträge, die die Nutzung und wirtschaftliche Verwertung der geistigen, technischen oder künstlerischen Schöpfung eines Dritten beinhalten, ebenso von § 112 InsO erfasst werden755 wie Know-how-Verträge756 und Softwarenutzungsverträge.757
253
Streitig ist, ob § 112 InsO auch dann anwendbar ist, wenn die Miet- oder Pachtsache dem Schuldner noch nicht überlassen war. Daraus, dass § 112 InsO anders als § 109 Abs. 2 InsO seinem Wortlaut nach nicht darauf abstellt, ob dem Schuldner als Mieter oder Pächter das Miet- oder Pachtobjekt bereits überlassen war und insoweit lediglich die Kündigung eines vom Schuldner eingegangenen Mietoder Pachtverhältnisses verbietet, wird gefolgert, dass auch nicht vollzogene Miet-, Pacht- und Leasingverträge der Kündigungssperre des § 112 InsO unterliegen.758
750 BGH v. 17.6.2015 – VIII ZR 19/14, MDR 2015, 876 = ZIP 2015, 1496 = EWIR 2015, 673 m. Anm. Tintelnot = MietRB 2015, 291 = MietRB 2015, 294 = NJW 2015, 3087 ff. 751 Für das Wohnraummietverhältnis des Schuldners AG Hamburg v. 18.3.2009 – 68c IK 207/08, ZIP 2009, 2073 = NZI 2009, 331 ff.; AG Hamburg-Wandsbek v. 18.1.2010 – 713 D C 369/09, NZI 2010, 311 ff.; AG Köln v. 11.9.2009 – 205 C 158/09, NZI 2010, 306. 752 OLG Braunschweig v. 6.3.2009 – 2 U 29/09, MDR 2009, 1266 = ZIP 2009, 1336 = NZI 2009, 387; krit. Anm. Brosette, OVG Berlin-Bdb. v. 11.8.2008 – 3 M 52/08, NJW 2009, 388. 753 OLG Düsseldorf v. 8.9.2008 – 24 U 40/08, GWR 2009, 20; OLG Düsseldorf v. 10.6.2008 – 24 U 86/07, MDR 2008, 1267 = NJOZ 2009, 99. 754 MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 112 Rz. 16. 755 FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 112, InsO, Rz. 5; Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 37 Rz. 4; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 112 Rz. 24. 756 BGH v. 3.6.1981 – VIII ZR 153/90, NJW 1981, 2684; MünchKommInsO/Eckert, § 112 Rz. 7 m.w.N. 757 BGH v. 4.11.1987 – VIII ZR 314/86, EWIR 1987, 1171 = MDR 1988, 223 = ZIP 1987, 1567 = CR 1988, 124 = CR 1988, 994 m. Anm. Ruppelt = NJW 1988, 406. 758 Eckert, ZIP 1996, 897, 899; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 10; von Wilmowsky, ZInsO 2004, 882, 884; Braun/Kroth, Kommentar zur InsO, 8. Aufl. 2020, § 112 Rz. 4; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 112 Rz. 5.
1040 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 256b § 11
Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. So spricht schon die Gesetzesbegründung eindeutig davon, die wirtschaftliche Einheit „im Besitz“ des Schuldners zu erhalten.759 Daraus ergibt sich, dass in die Vermögensgegenstände des Vermieters oder Verpächters nur dann eingegriffen werden soll, wenn dieser den Besitz bereits aufgegeben hatte. Die Vorschrift bezweckt, die wirtschaftlich sinnvolle Vermögensallokationen zu erhalten (Begr. zu § 125 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 148) und dem Insolvenzverwalter die Fortführung zu ermöglichen. Abgesehen davon wäre die Anwendung des § 112 InsO auf Miet- oder Pachtverträge vor Überlassung zumindest bei Immobilien und Räumen systemwidrig, weil § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO dem Vermieter für den Fall des Nichtvollzuges ausdrücklich ein Rücktrittsrecht einräumt. Schließlich ist im Insolvenzeröffnungsverfahren eine Vorleistung durch Übergabe dem Vermieter jedenfalls bei einem „schwachen“ vorläufigen Verwalter nicht zuzumuten.760
254
Nach der hier vertretenen Ansicht ist der Vermieter oder Verpächter vor Überlassung des Miet- oder Pachtobjektes daher berechtigt, das Vertragsverhältnis insolvenzbedingt zu kündigen.761 Lediglich für den Fall, dass der Vermieter sich mit der Überlassung der Mietsache in Verzug befindet, findet die Kündigungssperre ausnahmsweise Anwendung, da es nicht angehen kann, dass sich der Vermieter durch vertragswidriges Verhalten die Wohltat der Nichtanwendung der Kündigungssperre eigenmächtig verschaffen kann.762
255
bb) Ausgeschlossene Kündigungsgründe § 112 InsO schränkt die Rechte von Vermietern oder Verpächtern in der Weise ein, dass eine Kündigung wegen vor dem Eröffnungsantrag eingetretenen Zahlungsverzugs oder Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist.
256
Liegen die Voraussetzungen des Art. 240 § 7 EGBGB vor, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 des BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat (vgl. hierzu ausführlich Rz. 186a).
256a
§ 313 Abs. 1 BGB ist grundsätzlich als Anspruch auf Vertragsanpassung ausgestaltet.763 Eine Vertragsanpassung kann aber nur in angemessenem Umfang begehrt werden. Die schutzwürdigen Interessen beider Vertragsteile sind angemessen zu berücksichtigen.764 Gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB führt die Unzumutbarkeit einer Vertragsanpassung zu einem Kündigungsrecht. Das Kündigungsrecht nach Art. 240 § 7 EGBGB i.V.m. § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB wird somit durch § 112 InsO nicht berührt. Sollte der im StaRUG-Verfahren stehenden Vertragspartei nach bürgerlichem Recht ein Kündigungsrecht zustehen, kann sie dieses Recht auch weiterhin ausüben, da das StaRUG keine dem § 112 InsO entsprechende Vorschrift enthält.765 Je nach Lage des Falles können sich jedoch spezielle Kündigungshindernisse aus § 44 Abs. 1 und 2 StaRUG oder aus § 55 Abs. 1 StaRUG ergeben.766
759 Begr. zu § 125 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 148. 760 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 112 Rz. 5, 12; MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 112 Rz. 18; a.A. Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 112 Rz. 20; Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 112 Rz. 5. 761 Wie hier: Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 112 Rz. 10 f.; FK-InsO/Wegener, 9. Aufl. 2018, § 112 InsO Rz. 3. 762 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 112 Rz. 5 f.; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 398. 763 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 36. 764 BeckOGK/Siegmund, EGBGB, Stand: 15.3.2021, Art. 240 § 7 Rz. 37. 765 Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1108. 766 Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1114 f.
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256b
§ 11 Rz. 257 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 257
Erfasst wird damit jede auf Miet- oder Pachtrückstand gestützte fristlose Kündigung i.S.d. §§ 543 Abs. 2, 581 Abs. 2, 569 Abs. 3 BGB.767 Im Hinblick auf den Kündigungsgrund der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse knüpft die Vorschrift unmittelbar an die aus § 119 InsO zu entnehmende Unwirksamkeit vertraglicher Lösungsklauseln an und erfasst jedes individuell ausgehandelte768 oder in vorformulierten Vertragsklauseln769 enthaltene Kündigungsrecht bei Anzeichen eines Vermögensverfalls,770 wobei es nicht darauf ankommt, ob die Vertragspartner das Recht zur einseitigen Vertragsaufhebung als Kündigung oder Rücktritt bezeichnen.771 Um Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen, ist die Regelung des § 112 Nr. 2 InsO weit auszulegen.772
257a
§ 112 InsO wirkt ebenfalls, wenn die schriftliche Kündigung des „Mietkaufs“ vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgesandt worden ist, aber dem Leasingnehmer erst nach dem Eingang des Antrags bei Gericht zugeht.773
b) Rechtsfolgen 258
Eine Kündigung des Vermieters oder Verpächters, die entgegen dem gesetzlichen Kündigungsverbot des § 112 InsO nach Antragstellung erfolgt, ist rechtsunwirksam.774 Eine vom Insolvenzverwalter auf diese Kündigung erklärte „Bestätigung“ führt nach der Rechtsprechung des OLG Hamm775 nicht ohne Weiteres zur Beendigung des Mietverhältnisses ex nunc oder gar rückwirkend auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung, sondern nur dann, wenn diese Bestätigung als Angebot an den Vermieter auf Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung anzusehen und wenn diese durch den Vermieter angenommen worden ist.
259
Eine vor Antragstellung zugegangene begründete Kündigung des Mietverhältnisses bleibt demgegenüber wirksam, auch wenn der vorläufige Verwalter umgehend für den Ausgleich des Zahlungsrückstandes sorgt. Bei der Wohnraummiete gilt allerdings die Vorschrift des § 569 Abs. 3 BGB, wonach die fristlose Kündigung durch nachträgliche Tilgung des Rückstandes hinfällig wird.
260
Vermieter und Verpächter müssen daher zwar mit einem weiteren Ausfall der Nutzungsentschädigung rechnen; diese ist jedoch längstens auf zwei Monate begrenzt, weil die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdenden Raten aus dem Schuldnervermögen wieder vertragsgerecht gezahlt werden müssen, wenn die Nutzungsmöglichkeit für die Insolvenzmasse erhalten bleiben soll. Sind von der Aufrechterhaltung des Miet- und Pachtverhältnisses mehr Vor- als Nachteile für die Insolvenzmasse zu erwarten, so ist auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter ohne begleitendes Verfügungsverbot berechtigt, die dazu nötigen Ausgaben zu erbringen.776
261
Gleichwohl muss die Zahlung des Mietzinses möglichst zeitnah erfolgen, da dem Vermieter oder Verpächter ansonsten die Gefahr droht, den erhaltenen Betrag bei einer nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erhobenen Anfechtung, zu der er grundsätzlich dann berechtigt ist, wenn er
767 Gottwald/Haas/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 37 Rz. 16; Eckert, ZIP 1996, 897,898; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 470. 768 Vgl. dazu LG Stendal v. 18.7.2000 – 31 O 28/00, ZInsO 2001, 524 = DZWIR 2001, 166. 769 Vgl. dazu OLG Rostock v. 6.10.1998 – 3 U 146/98, DZWIR 1999, 294. 770 MünchKommInsO/J. F. Hoffmann, 4. Aufl. 2019, § 112 Rz. 19; Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 112 Rz. 24. 771 Uhlenbruck/Wegener, Kommentar zur InsO, 15. Aufl. 2019, § 112 Rz. 13. 772 Nerlich/Römermann/Balthasar, Kommentar zur InsO, Stand: 42. EL Februar 2021, § 112 Rz. 14. 773 OLG Düsseldorf v. 17.11.2008 – 24 U 51/08, ZIP 2009, 877 = BeckRS 2009, 13870. 774 Hierzu kritisch Pape, NZM 2004, 401, 402 f. 775 OLG Hamm v. 25.11.2019 – 18 U 19/19, NZI 2020, 322 mit krit. Anm. Neumann. 776 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, EWIR 2002, 919 m. Anm. Spliedt = MDR 2002, 1454 = NZI 2002, 543, 547 = ZIP 2002, 1625.
1042 | Dahl
VII. Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miete und Pacht, §§ 108 – 112 InsO | Rz. 264 § 11
im Eröffnungsverfahren bloßer „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter war,777 wieder an die Insolvenzmasse herausgeben zu müssen, sofern nicht ein nach § 142 InsO unanfechtbares Bargeschäft vorliegt (zu den Voraussetzungen eines solchen Geschäfts s. § 13 Rz. 286 ff., § 13 Rz. 283 ff.). Unterliegen die Zahlungen der Anfechtung, wird man dem Vermieter oder Verpächter aber die Berechtigung nicht versagen können, die mit diesem Mangel behafteten Zahlungen als nicht vertragsgemäß zurückzuweisen, um dann wenigstens kündigen zu dürfen.778 Wird hingegen die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdende Miete oder Pacht nicht vertragsgemäß gezahlt, etwa weil sich der vorläufige Insolvenzverwalter aus Zweckmäßigkeitserwägungen gegen eine Fortsetzung des Nutzungsvertrages entscheidet, steht § 112 InsO einer Kündigung des Vertragsverhältnisses gemäß den allgemeinen Regeln nicht entgegen.779 Eine Kündigung ist aber unter den Voraussetzungen des Art. 240 § 2 EGBGB trotz Rückstandes aus der Zeit nach Antragstellung unwirksam, wenn die Nichtzahlung auf den Auswirkungen der Covid-19 Pandemie beruht.780 Der Herausgabeanspruch des Vermieters begründet dann im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters ein Aussonderungsrecht i.S.d. § 47 InsO781 (vgl. § 10 Rz. 17 ff.).
262
Ein Verzug des vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. §§ 543 Abs. 2 Nr. 3, 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 BGB wird hierbei insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass regelmäßig erst der für das eröffnete Verfahren bestellte endgültige Insolvenzverwalter nach den §§ 103 ff. InsO über das rechtliche Schicksal von Verträgen in der Insolvenz entscheidet.782 Der vorläufige Insolvenzverwalter hat mit Bezug auf die Dauerschuldverhältnisse im Eröffnungsverfahren lediglich zu entscheiden, ob er sich die Option für eine Fortdauer des Vertragsverhältnisses für ein zu eröffnendes Verfahren offenhält, indem er das laufende Entgelt zahlt.783
263
Ist ein vorläufiger starker Insolvenzverwalter mit entsprechender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bestellt worden, so unterfallen Forderungen aus der weiteren Nutzung des Miet- und Pachtgegenstandes im Übrigen ohnehin § 25 Abs. 2 Satz 2 InsO und nach Verfahrenseröffnung § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO, so dass der Vermieter oder Verpächter regelmäßig einen werthaltigen Masseanspruch für die durch § 112 InsO bedingte Überlassung des Miet- oder Pachtgegenstandes erhält (zum vorläufigen starken Insolvenzverwalter vgl. § 16 Rz. 11 ff.). Wird hingegen kein vorläufiger Verwalter bestellt oder nutzt dieser den Miet- oder Pachtgegenstand nicht, so ist der Miet- oder Pachtzins bis zur Verfahrenseröffnung gemäß § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) bloße Insolvenzforderung. Gleiches gilt für Räumungskosten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind; von der Masse zu tragen sind demgegenüber nur zusätzliche nach Verfahrenseröffnung durch Handlungen des Insolvenzverwalters verursachte Kosten.784
264
777 OLG Stuttgart v. 24.7.2002 – 3 U 14/02, ZIP 2002, 1900. 778 HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 112, Rz. 8. 779 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, EWIR 2002, 919 m. Anm. Spliedt = MDR 2002, 1454 = NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = EWIR 2003, 715 m. Anm. Runkel = ZIP 2003, 543; OLG Celle v. 24.6.2003 – 2 W 73/03, ZInsO 2004, 207; LG Karlsruhe v. 13.2.2003 – 5 S 149/02, EWIR 2003, 337 m. Anm. Eckert = ZIP 2003, 677. 780 Hamburger Kommentar zur InsO/Pohlmann-Weide, 8. Aufl. 2021, § 112 Rz. 10; Morgen/Fritzsche, ZIP 2020, 1001 ff. 781 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, MDR 2002, 54 = EWIR 2002, 395 m. Anm. Flitsch/Herbst = NZI 2001, 531 = ZIP 2001, 1469; OLG Celle v. 6.10.2003 – 2 W 107/03, ZInsO 2003, 948; LG Stendal v. 4.12.2002 – 23 O 1/02, ZInsO 2003, 813. 782 A.A. wohl Kübler/Prütting/Bork/Tintelnot, Kommentar zur InsO, Stand: Dezember 2020, § 112 Rz. 40. 783 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, EWIR 2002, 919 m. Anm. Spliedt = MDR 2002, 1454 = NZI 2002, 543, 547 = ZIP 2002, 1625; OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = EWIR 2003, 715 m. Anm. Runkel = ZIP 2003, 543. 784 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, MDR 2002, 54 = EWIR 2002, 395 m. Anm. Flitsch/Herbst = NZI 2001, 531 = ZIP 2001, 1469; LG Stendal v. 4.12.2002 – 23 O 1/02, ZInsO 2003, 813.
Dahl | 1043
§ 11 Rz. 265 | Beratung bei gegenseitigen Verträgen 265
Gesetzlich geschützt bleiben Vermieter oder Verpächter im Hinblick auf ihren Forderungsausfall durch das Vermieter- oder Verpächterpfandrecht gemäß §§ 562, 578 BGB, das nach § 50 InsO auch im Insolvenzfall erhalten bleibt (zur Rechtsstellung eines solchen Absonderungsberechtigten s. § 10 Rz. 163 ff.). Zur Absicherung weiterer Risiken werden dem Mieter oder Pächter regelmäßig entsprechende Kautionen abverlangt, die auch im Falle einer insolvenzbedingten Auflösung des Vertragsverhältnisses nach den allgemeinen Grundsätzen vom Vermieter abgerechnet werden dürfen.
265a
Wurde die Kaution entsprechend den mietvertraglichen Vorschriften (§ 551 Abs. 3 BGB) insolvenzfest, d.h. getrennt vom Vermögen des Vermieters treuhänderisch angelegt und ist sie noch bei Insolvenzeröffnung vorhanden, steht dem Mieter bei Vertragsende hinsichtlich der nicht verbrauchten Kaution ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO zu (vgl. ausführlich Rz. 237a f.).785 Hat dagegen der Vermieter die gemäß § 551 Abs. 3 Satz 3 BGB vorgeschriebene Trennung der Kaution von seinem übrigen Vermögen unterlassen, handelt es sich bei dem Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters nicht um eine Masseverbindlichkeit, sondern um eine Insolvenzforderung,786 die gemäß § 174 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden ist. In der Insolvenz des Vermieters steht dem Mieter gegen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Mieten ein Zurückbehaltungsrecht wegen der vertragswidrig nicht insolvenzfest angelegten Barkaution nicht zu.787
265b
Da es sich bei § 551 Abs. 3 BGB um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handelt, können bei einer vermietenden Gesellschaft bei Verstoß gegen das Gebot zur getrennten Anlage deren Organe persönlich haften.788 Darüber hinaus kommt ein strafrechtliches Vorgehen – etwa wegen Untreue nach § 266 StGB oder Betrug nach § 263 BGB – in Betracht.789 Bei diesen Schadensersatzansprüchen handelt es sich nicht um Gesamtschäden, die gemäß § 92 InsO vom Insolvenzverwalter geltend zu machen sind, sondern um Individualschäden, die von den Mietern selbst eingeklagt werden können.790
265c
Nach Ansicht des BGH soll das Erlöschen einer Dienstbarkeit, welche das aus dem Mietvertrag resultierende Nutzungsrecht an dem belasteten Grundstück sichert und unter der auflösenden Bedingung steht, dass über das Vermögen des Berechtigten ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, durch § 112 InsO nicht gehindert werden, wenn die Bedingung vor dem Sicherungsfall eintritt.791 Die