120 87 17MB
German Pages 2400 Year 2008
Runkel (Hrsg.) Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht
.
Anwalts-Handbuch
Insolvenzrecht herausgegeben von
RA Hans P. Runkel bearbeitet von
RA Michael Dahl Riinl.G Dr: Vera Drees RA Robert Riegner RA Ach im Frank RA Dr. Ulrich Graf RA Dr. Thomas Hoffmann RA Friedrich lrschlinger RiAG a.D. Manfred Ley RA Dr. Klaus Pannen WP StB Dr. Andreas Pink RA Dr. Andreas Ringstmeier RA Hans P. Runkel RA Dr. Jens M. Schmidt RA Dr. Jürgen D. Spliedt RA Dr. Sven-Holger Undritz RAin Dr. lrene Wunsch 2. völlig neu bearbeitete Auflage
2008
oUs~Sdinkft
Zitierempfehluog: Bembeiter in Runkel (Hrsg.), AHB Insolvenzrecht, 2. Aufl., § ... Rz ....
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek veiZeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-.Ql, Fax 02 21/9 37 38-943 info®otto-schmidt.de www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-18053-9
©2008 by Verlag Dr. Otto Sclunidt KG, Köln
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Vorwort Nichts ist so gut, dass es nicht noch verbessert werden könnte. Von diesem Gedanken getragen, haben sich die Autoren bereits zwei Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage getroffen und überlegt, wie die zweite Auflage aussehen sollte. Es bestand schnell Einigkeit, dass sich das Grundkonzept – Abstellen auf die unterschiedlichen Beratungssituationen – bewährt hat, dass aber einige Themen vertieft und andere dadurch besonders hervorgehoben werden sollten, dass hierfür eigene Kapitel geschaffen werden, so die Gesellschafterberatung und die Besonderheiten einer Freiberuflerinsolvenz. Für eine Neuauflage sprachen aber auch die Flut neuer Gerichtsentscheidungen, einige Gesetzesänderungen (beispielsweise das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens) und die zum Teil leidenschaftlich geführte Diskussion über geplante Gesetzesänderungen, die in Teilbereichen als Neukodifikation anzusehen sind, so der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, der – sozusagen vorausschauend – in der Neuauflage schon erläutert wird (Kapitel 16). – Neue und erweiterte Aufgaben ließen es schließlich auch angezeigt erscheinen, den Autorenkreis zu vergrößern. Die bisherigen und die neuen Autoren, als Praktiker durch ihre insolvenzrechtliche Tätigkeit alle stark ausgelastet, haben in bewundernswerter Weise allen Terminwünschen entsprochen und sogar noch bis sozusagen in die letzte Minute jüngste Entscheidungen, wie die Zitate mit der Jahreszahl 2008 zeigen, eingearbeitet. Hierfür sage ich herzlichen Dank. Besonderer Dank gebührt aber auch dem Lektor, Herrn Rüdiger Donnerbauer, der auch diese Auflage wiederum professionell begleitet hat, sowie meinem Kollegen, Dr. Jens M. Schmidt, der – obwohl inzwischen ebenfalls Mitautor – mich bei meiner Tätigkeit als Herausgeber intensiv unterstützt hat. Wuppertal, im Juni 2008
Hans Peter Runkel
Vorwort zur 1. Auflage Das Insolvenzrecht hat in den zurückliegenden Jahrzehnten eine Bedeutung bekommen, die kaum vorauszusehen war. Die Entwicklung war von verschiedenen Faktoren geprägt. Während in der ersten Nachkriegszeit ein Insolvenzfall im Wirtschafts- und Rechtsleben eine seltene Ausnahme war, kam es auf Grund der sog. Ölkrise in den 70er Jahren zu einer ersten regelrechten „Pleitewelle“, die mit den damaligen unzulänglichen Gesetzen in Gestalt der Konkursordnung und der Vergleichsordnung nur schwer zu beherrschen, d. h. kaum in wirtschaftlich vernünftige Bahnen zu lenken war. Der Ruf nach einem modernen Insolvenzrecht wurde laut. In langer Diskussions- und Entwurfsarbeit entwickelte sich ein völlig neues Insolvenzrecht, das in einem umfangreichen Paragraphenwerk seinen Niederschlag fand und den nicht spezialisierten Juristen schon beim ersten Anblick verschreckte. V
Vorwort
Gleichzeitig stieg nicht nur die Zahl der Insolvenzen, sondern auch die Zahl der Anwälte sprunghaft an. Vor allem die jungen Anwälte konnten es sich nicht erlauben, die Mandanten, die mit insolvenzrechtlichen Fragestellungen konfrontiert waren, zu spezialisierten Kollegen zu schicken, z. B. wenn im Laufe eines arbeitsrechtlichen Mandats der Gegner plötzlich insolvent wurde. Deshalb wurden landauf-landab insolvenzrechtliche Seminare, teilweise speziell auf Berufsanfänger ausgerichtet, angeboten. Während und vor allem am Ende derartiger Seminare stellte sich den Teilnehmern die Frage, wo sie anschließend weitere Hilfe im Alltag finden konnten. Mit einem Hinweis auf die zahlreichen neuen Spezialzeitschriften und die Flut anderer Veröffentlichungen, insbesondere die Kommentare zur Insolvenzordnung, wurde ihnen Steine statt Brot gegeben. Die Zeit rief regelrecht nach einem speziellen „Anwaltshandbuch“. Die Autoren dieses Buches haben in mehreren Diskussionsrunden nach einem optimalen Lösungskonzept gesucht. Hierbei entwickelte sich der Gedanke, bei Aufbau und Inhalt des Handbuchs auf die jeweilige Beratungssituation abzustellen, also – um nur einige Beispiele anzuführen – zu fragen, was für einen Anwalt wichtig ist, zu dem ein ungesicherter Gläubiger kommt, oder ein Mandant, der mit arbeitsrechtlichen, vielleicht auch steuerrechtlichen Problemen in der Insolvenz konfrontiert wird oder bei dem es um Fragen der Restschuldbefreiung natürlicher Personen geht; genauso wichtig erschien es auch, an den Mandanten zu denken, der den Anwalt wegen internationalrechtlicher Insolvenzfragen aufsucht, der fürchtet, sich strafbar gemacht zu haben, der anfechtungsrechtliche Probleme auf sich zukommen sieht usw. Insgesamt haben die Autoren alle insolvenzrechtlich denkbaren Beratungssituationen angesprochen. Dass es hierbei Überschneidungen geben kann, ist nicht nur in Kauf genommen worden, sondern sogar gewollt gewesen, genauso wie gelegentlich unterschiedliche Autorenmeinungen, die – so hoffe ich – zur Lebendigkeit des Werkes beitragen. Deshalb waren natürlich viele Querverweisungen notwendig und vor allem ein umfangreiches Stichwortverzeichnis, das immerhin mehr als 1600 insolvenzrechtlich relevante Begriffe enthält. Alle Autoren sind Insolvenzpraktiker. Der hierdurch bedingte Vorteil der Lebensnähe war allerdings auch Bürde: Insolvenzpraktiker waren in der jüngsten Zeit bekanntlich arbeitsmäßig besonders eingespannt. Sie mussten für die Erstellung der Beiträge ihre knapp bemessene Freizeit einsetzen. Hierfür möchte ich an dieser Stelle allen Autoren mein besonderes „Dankeschön“ aussprechen. Zu danken habe ich aber auch dem Lektor, Herrn Rüdiger Donnerbauer, der immer ein kompetenter Ansprechpartner war. Mein besonderer Dank gilt schließlich Herrn Jens Schmidt, der – parallel zu seiner Arbeit an einer wichtigen insolvenzrechtlichen Dissertation – das Buch in vielfältiger Weise sowohl redaktionell als auch fachlich betreut hat. Wuppertal, im November 2004
VI
Hans Peter Runkel
Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIX
Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLI
§ 1 Schuldnerberatung (Spliedt) Rz.
Seite
I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2
1. Tatsächliche Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2
2. Honorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
3
3. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
10
II. Insolvenzeröffnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
22
1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
22
2. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
24
3. Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
99
45
4. Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
47
III. Beseitigung der Insolvenzgründe . . . . . . . . . . . . . . .
183
72
1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . .
184
72
2. Beseitigung der Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . .
203
78
I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
94
II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
94
III. Anzeigepflicht gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG . . . . . . . . .
7
97
IV. Sanierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
97
V. Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
98
1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
98
§ 2 Geschäftsführerberatung (Spliedt)
2. Erfüllung der Antragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
100
3. Konsequenzen der Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
101 VII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag . . . . . . . . .
22
102
1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . .
22
102
2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsführers . . . . . . .
36
106
VII. Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG . . . . .
41
108
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
108
2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 Abs. 1 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
109
3. Innenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 Abs. 2 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
118
4. Haftungsmodelle der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . .
88
128
5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
132
6. Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
134
7. „MoMiG“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
137
8. Gesamtverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
138
9. Faktischer Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119
138
10. Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren . . . . . . .
122
140
11. Weisung, Verzicht, Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
142
12. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
143
13. Haftung ohne Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . .
133
144
VIII. Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht . . . . . . . . . .
134
144
IX. Haftung für Kostenvorschuss gemäß § 26 Abs. 3 InsO . . .
139
146
X. Haftung wegen Betruges, Untreue, Baugeldern, Alterssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
147
XI. Haftung für Sozialabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
150
1. Strafrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
150
2. Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152
151
XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung . . . . . . . . . .
162
154
XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . .
164
155
XIV. Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO . . . . . . . . . .
168
157
1. Grundsatz der anteiligen Tilgung . . . . . . . . . . . . . . .
169
158
2. Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
160
3. Abzugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181
162
4. Vorsteuerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182
162
5. Geschäftsführerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
163
6. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
163
VIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
XV. Haftung bei anderen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . .
186
164
XVI. Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften .
189
165
I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
170
II. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung .
3
170
1. Gründung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
171
2. Kapitalerhöhung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
183
3. Kapitalerhaltung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
189
III. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung . . . . . .
64
196
1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung . . . . .
64
196
2. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
199
§ 3 Gesellschafterberatung (Spliedt)
IV. „MoMiG“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
202
1. Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
202
2. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
203
3. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
203
V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG . . . . . .
82
204
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
204
2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte . . .
84
204
3. Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
206
4. Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
207
VI. Haftung des Personengesellschafters . . . . . . . . . . . . .
93
208
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
208
2. Unbeschränkte Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
210
3. Kommanditistenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
218
VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren . . . .
154
233
1. Beteiligtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
154
233
2. Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155
233
3. Bilanzerstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
235
4. Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter . . . . . . .
160
236
5. Unternehmensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
244
6. Steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193
249
IX
Inhaltsübersicht
§ 4 Eigenkapitalersatzrecht (Undritz) Rz.
Seite
I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
258
1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
258
2. Rechtsprechungs- und Novellenregeln . . . . . . . . . . . .
6
259
3. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
262
4. Vorüberlegung für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . .
19
265
II. Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts . . . . . . . . . . .
36
271
1. Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
272
2. Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
281
III. Eigenkapitalersetzende Leistungen . . . . . . . . . . . . . .
119
306
1. An die Gesellschaft erbrachte Leistungen . . . . . . . . . .
120
307
2. Der Gesellschaft versprochene Leistungen . . . . . . . . . .
216
351
3. Leistungen während des Insolvenzverfahrens . . . . . . . .
234
356
IV. Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung . . . . .
236
357
1. Beginn der Eigenkapitalersatzbindung . . . . . . . . . . . .
237
357
2. Ende der Eigenkapitalersatzbindung („Entsperrung“) . . . .
268
373
3. Umfang der Eigenkapitalersatzbindung . . . . . . . . . . .
272
377
V. Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes . . . . . . . . . . . .
275
378
1. Rechtsprechungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276
378
2. Novellenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
286
381
3. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301
385
4. Checkliste: Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302
385
VI. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . .
303
386
1. Krise der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
304
387
2. Möglichkeit der Kenntnis der Krise . . . . . . . . . . . . . .
312
389
3. Unterbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313
389
4. Gesellschafterähnliche Stellung des Dritten . . . . . . . . .
314
390
5. Privilegierungstatbestände (§ 32a Abs. 3 GmbHG) . . . . .
315
391
VII. Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318
391
1. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
319
392
2. Funktionelle Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320
392
3. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
321
392
4. Gemeinschaftsrechtlicher Bezug . . . . . . . . . . . . . . .
327
394
VIII. Mustervereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
328
395
1. Vereinbarung über die Abgeltung einer Restnutzungsdauer .
328
395
X
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
2. Rangrücktrittsvereinbarung für ein eigenkapitalersetzendes Gesellschaftsdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329
398
3. Freistellungsvereinbarung für eine Gesellschaftersicherheit
330
399
IX. Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331
400
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331
400
2. Kurzdarstellung und Bewertung der wichtigsten Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
404
3. Praxisrelevante Änderungen und Auswirkung in der Praxis
374
410
4. Mögliche Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren .
392
415
5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
402
417
6. Anhang: Synopse der neuen und alten Regelungen . . . . .
404
418
§ 5 Insolvenzstrafrecht (Ringstmeier) I. Die Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren beteiligten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
433
1. Vertretung des Schuldners/Schuldnervertreters . . . . . . .
4
434
2. Vertretung des Schuldnerberaters . . . . . . . . . . . . . . .
53
449
3. Vertretung des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
452
4. Vertretung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters . . . . . .
62
452
II. Überblick über die einzelnen Straftaten . . . . . . . . . . .
80
456
1. Allgemeine Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
457
2. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne . . . . . . . . . . . .
90
460
3. Allgemeines Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
485
4. Straftatbestände außerhalb des StGB . . . . . . . . . . . . .
211
495
III. Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
499
1
507
§ 6 Beratung des ungesicherten Gläubigers (Runkel) I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
507
2. Gläubigerarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
507
3. Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
508
II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz . . .
5
508 XI
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
1. Allgemeines – Krisenerkennung und typisches Schuldnerverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
508
2. Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
509
III. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren . .
27
517
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
517
2. Insolvenzfähigkeit des Schuldners . . . . . . . . . . . . . .
30
518
3. Antragsberechtigung des Gläubigers . . . . . . . . . . . . .
34
520
4. Inhalt und Form des Insolvenzantrages . . . . . . . . . . . .
48
525
5. Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
529
6. Zulassung des Antrages und Folgen . . . . . . . . . . . . . .
66
533
7. Maßnahmen des Insolvenzgerichts . . . . . . . . . . . . . .
69
534
8. Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
553
9. Auskunftsrechte der Beteiligten, insbesondere des antragstellenden Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
556
10. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
556
11. Haftung bei unberechtigtem Gläubigerantrag . . . . . . . .
120
558
12. Vor- und Nachteile eines Insolvenzantragsverfahrens für den antragstellenden Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . .
121
558
13. Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den ungesicherten Gläubiger . . . . . . .
124
559
IV. Beratung im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . .
142
567
1. Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
567
2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . .
147
570
3. Bestellung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . .
156
576
4. Bestellung eines Gläubigerausschusses . . . . . . . . . . . .
222
608
5. Gläubigerversammlungen und Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
249
619
6. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren . . . . . . .
263
625
V. Beratung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . .
340
655
1. Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
341
656
2. Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
362
664
VI. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung . . . . . .
379
671
1. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
380
671
2. Natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
383
672
XII
Inhaltsübersicht
§ 7 Beratung des gesicherten Gläubigers (Drees/J. Schmidt/Hoffmann) Rz.
Seite
I. Allgemeines (Drees/J. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . .
1
676
1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
676
2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform . . . .
8
679
3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick . . . . . . . . .
11
679
4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO . . . . . . .
15
681
5. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
682
II. Aussonderungsfragen (Drees/J. Schmidt) . . . . . . . . . . .
17
683
1. Die Aussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
683
2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) . . . . . . . . . . . . . . .
21
684
3. Realisierung der Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . .
89
709
III. Absonderungsfragen (Drees/J. Schmidt) . . . . . . . . . . .
135
725
1. Die Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
725
2. Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) . . . . . . . . . . . . .
138
726
3. Realisierung der Absonderungsrechte . . . . . . . . . . . .
203
756
IV. Sicherheitenpool (Drees/J. Schmidt) . . . . . . . . . . . . .
414
841
V. Personalsicherheiten (Drees/J. Schmidt) . . . . . . . . . . .
419
845
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419
845
2. Realisierung der Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . .
420
845
VI. (Dritt-)Sachsicherheiten (Hoffmann) . . . . . . . . . . . . .
487c
868
VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht (Hoffmann) . . .
488
868
1. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen der §§ 94 ff. InsO
488a
868
2. Die Sicherung bestehender und künftiger Aufrechnungslagen nach §§ 94 f. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
495
870
3. Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
506
873
4. Aufrechnungverbote, insbesondere § 96 InsO . . . . . . . .
510
873
5. Rechtsfolgen der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . .
525
877
6. Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz . . . . . . . . . .
530
879
1
882
§ 8 Beratung bei gegenseitigen Verträgen (Dahl) I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
882
2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO . . . . . . . . . . .
7
884 XIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO .
10
884
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
884
2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
886
3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . .
28
892
4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens . . . . . . . . . . . .
47
896
5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung . . . . . . . . . . . .
54
899
6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
905
III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
906
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
906
2. Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
907
3. Finanzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
908
IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
911
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
911
2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
912
3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
913
4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO . .
107
914
5. Praxistipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
915
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
916
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
916
2. Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
916
3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung . . . . . . . . .
127
918
4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
920
5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO . . . .
141
921
6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
921
VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO . . . . . . . . . .
144
922
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
922
2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO . .
148
922
3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO . . . .
152
923
4. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172
927
VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174
929
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174
929
XIV
Inhaltsübersicht
2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
181
930
3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193
934
4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO . . . . . .
203
938
5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO . .
228
948
6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO . . .
238
954
7. Kündigungssperre, § 112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
958
8. Zwischenvermietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268b
964
9. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
966
VIII. Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, §§ 115, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
968
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
968
2. Tatbestandsvoraussetzungen, §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO
275
968
3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
280
971
4. Notgeschäftsführung, §§ 115 Abs. 2, 116 InsO . . . . . . .
285
972
5. Unverschuldete Unkenntnis der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
288
973
6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . .
289
973
IX. Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO . . . . . . . . . . .
292
974
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292
974
2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
294
974
3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299
975
4. Notgeschäftsführung und Insolvenzunkenntnis . . . . . . .
302
976
X. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO
308
977
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
308
977
2. Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309
978
1
984
§ 9 Beratung von Banken (Hoffmann) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kreditgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
984
1. Kreditgeschäft in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
985 996
2. Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . .
40
3. Kreditgeschäft im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . .
60 1001
III. Sicherheitenbestellung in der Krise . . . . . . . . . . . . . .
62 1002
1. Nachbesicherung bestehender Kredite . . . . . . . . . . . .
63 1002 XV
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
2. Besicherung neu ausgereichter Kredite . . . . . . . . . . . .
73 1005
IV. Sicherheiten in der Krise und Insolvenz . . . . . . . . . . .
76 1006
1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 1006
2. Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82 1009
3. Globalzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87 1010
4. Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 1012
5. Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97 1013
6. Vertragliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 1013
7. Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 1014
8. Atypische Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104 1015
9. Sicherheiten-Poolverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111 1016
V. Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz . . . . . .
114 1018
1. Geschäftsbeziehung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . .
115 1018
2. Girovertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118 1018
3. Kontokorrentvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 1019
4. Sonderkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126 1021
VI. Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 1024
1. Überweisungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139 1024
2. Lastschriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158 1028
§ 10 Insolvenzanfechtung (Graf/Wunsch) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1036
1. Zweck der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1036
2. Rechtsnatur der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . .
2 1037
3. Anwendungsbereich, Abgrenzung und Konkurrenzen zu anderen Arten der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . .
11 1040
4. Übersicht über die Anfechtungstatbestände . . . . . . . . .
18 1042
5. Gegenstand der Insolvenzanfechtung: die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . .
25 1043
6. Typische Beratungskonstellationen für den Rechtsanwalt .
48 1052
II. Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers (kongruente oder inkongruente Deckung, §§ 130, 131 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 1054
1. Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers . . .
50 1054
2. Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 1056
XVI
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
3. Anfechtung einer kongruenten Deckung, § 130 InsO . . . .
80 1064
4. Anfechtung einer inkongruenten Deckung, § 131 InsO . .
118 1074
5. Sonderproblem: Anfechtung einer Aufrechnung nach §§ 130, 131 InsO, insbesondere bei Verrechnung durch Banken . . .
127 1076
III. Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte des Schuldners, § 132 InsO . . . . . . . . .
144 1081
1. Anwendungsbereich und Überblick über die Tatbestandsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 1081
2. Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, § 132 Abs. 1 InsO . . . . . . .
146 1082
3. Andere Rechtshandlungen des Schuldners im Sinne des § 132 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156 1084
4. Anfechtungszeiträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162 1086
IV. Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167 1087
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167 1087
2. Rechtshandlungen des Schuldners bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 Abs. 1 InsO . . . . . . . .
169 1087
3. Entgeltliche Verträge mit nahe stehenden Personen bei unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung, § 133 Abs. 2 InsO .
185 1094
V. Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 1095
1. Unentgeltliche Leistung des Schuldners, § 134 Abs. 1 InsO
192 1095
2. Ausnahme: gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts, § 134 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205 1099
3. Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 1100
VI. Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen, §§ 135 InsO, 32b GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 1101
1. Überblick über das Eigenkapitalersatzrecht . . . . . . . . .
212 1101
2. Die Begriffe des „kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens“ und der „gleichgestellten Forderung“ im Sinne des § 135 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
219 1103
3. Anfechtung von Rechtshandlungen, die dem Gläubiger der aus einer kapitalersetzenden Leistung resultierenden Forderung Sicherheit gewähren, § 135 Nr. 1 InsO . . . . . .
244 1112
4. Anfechtung von Rechtshandlungen, die dem Gläubiger der aus einer kapitalersetzenden Leistung resultierenden Forderung Befriedigung gewähren, § 135 Nr. 2 InsO . . . .
249 1113
5. Anfechtung bei der Rückgewähr gesellschafterbesicherter Drittdarlehen, § 32b GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . .
251 1113 XVII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
6. Checkliste „Eigenkapitalersatz in der Insolvenz“ . . . . . .
258 1114
VII. Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr und des Erlasses eines Verlustanteils, § 136 InsO . . . . . .
259 1115
1. Anwendungsbereich: Stille Gesellschaft, Abgrenzung . . .
259 1115
2. Anfechtbare Rechtshandlungen: Einlagenrückgewähr und Erlass eines Verlustanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264 1116
3. Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272 1118
4. Ausschluss der Anfechtung nach § 136 Abs. 2 InsO . . . .
274 1119
VIII. Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt, § 140 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276 1119
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276 1119
2. Die Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO: Maßgeblichkeit des Eintretens der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . .
278 1120
3. Eintragungsbedürftige mehraktige Rechtsgeschäfte, § 140 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
284 1122
4. Bedingte und befristete Rechtshandlungen, § 140 Abs. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
290 1123
IX. Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO . . . . . .
293 1124
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293 1124
2. Der Begriff des Bargeschäfts im Sinne des § 142 InsO . . . .
297 1125
X. Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . .
321 1131
1. Rückgewähranspruch der Masse, §§ 143, 145, 146 InsO . .
321 1131
2. Gegenansprüche des Anfechtungsgegners, § 144 InsO . . .
370 1141
§ 11 Steuerrechtliche Beratung (Pink) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1147
II. Die steuerrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . .
6 1148
1. Verlust des Verwaltungs- und Verfügungsrechts . . . . . .
6 1148
2. Die steuerliche Rechtsstellung des Schuldners . . . . . . .
10 1149
3. Steuerliche Pflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . .
14 1150
III. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen und des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . .
19 1151
1. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . .
19 1151
2. Steuerrechtliche Stellung des Sachwalters bei Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 1153
XVIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
3. Steuerrechtliche Stellung des Treuhänders im Verbraucherinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 1153
4. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 1154
5. Steuerabführungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 1165
6. Steuerrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters . . . . .
80 1166
IV. Eingruppierung der Steuerforderung in das System der Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 1167
1. Die Steuerforderung als Insolvenzforderung . . . . . . . . .
92 1168
2. Die Steuerforderung als Masseverbindlichkeit . . . . . . .
105 1171
3. Steuerforderungen/Masseverbindlichkeiten bei Neuerwerb .
113a 1172
4. Aufrechnung mit Steuerforderungen . . . . . . . . . . . . .
114 1173
5. Steuerforderungen im Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . .
124 1175
6. Steuerforderungen bei Restschuldbefreiung . . . . . . . . .
132 1177
V. Besondere Steuerarten in der Insolvenz . . . . . . . . . . .
138 1178
1. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 1178
2. Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 1183
3. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 1186
4. Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185 1188
5. Bauabzugssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202 1191
6. Zinsabschlagsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 1194
7. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 1195
VI. Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten . . . . .
285 1215
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285 1215
2. Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichts durch einen fremden Dritten und Sanierungserlass . . . . . . . . . . . .
288 1216
3. Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichts durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302 1219
4. Forderungsverzicht mit Besserungsschein . . . . . . . . . .
329 1225
§ 12 Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren (Irschlinger) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1229
1. Wirkungen des Insolvenzantrages und der Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1229
2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 1230
II. Das vorläufige Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . .
4a 1231 XIX
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
1. Der Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . .
5 1231
2. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO) . . . . . . . . . . .
47 1241
III. Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren – Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . .
58 1245
1. Kündigungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58 1245
2. Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . .
65 1247
3. Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 1249
4. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 1262
5. Beschlussverfahren nach § 126 InsO . . . . . . . . . . . . .
121 1265
6. Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159 1273
IV. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) . . . . . .
230 1294
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230 1294
2. Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231 1295
3. Widerrufsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235 1296
V. Kündigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . .
250 1299
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250 1299
2. Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . .
251 1299
3. Schadensersatz (§ 113 Satz 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . .
324 1319
4. Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
327 1319
VI. Massenentlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332 1321
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332 1321
2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340 1322
3. Unwirksamkeit der Entlassungen . . . . . . . . . . . . . . .
343 1323
4. Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347 1324
5. Freifrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349 1325
6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350 1326
VII. Klagefrist (§ 4 Satz 1 KSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . .
351 1326
1. § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351 1326
2. Nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG . . . .
361 1328
VIII. Vergütungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374 1330
1. Zeiten nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . .
374 1330
2. Freistellung von der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . .
375 1331
3. Arbeitsentgeltansprüche bei Masseunzulänglichkeit . . . .
380 1332
4. Zeiten vor der Insolvenzeröffnung (Insolvenzgeld) . . . . .
387 1335
XX
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
5. Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
581a 1382
IX. Der Betriebsübergang in der Insolvenz . . . . . . . . . . . .
582 1387
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
582 1387
2. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses
599 1393
3. Haftung des Betriebserwerbers . . . . . . . . . . . . . . . .
605 1395
4. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . .
609 1397
5. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
616 1398
6. § 128 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
617 1399
7. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
625 1401
§ 13 Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (Frank) I. Beratung bei Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1406
1. Das Grundverständnis des Insolvenzplans . . . . . . . . . .
1 1406
2. Allgemeine strategische Überlegungen zum Planverfahren
21 1413
3. Der Schuldner/Insolvenzverwalter als Planersteller . . . .
61 1428
4. Der Gläubiger als Planbetroffener . . . . . . . . . . . . . . .
185 1489
5. Das Insolvenzgericht in der Notarfunktion . . . . . . . . .
197 1492
6. Antragsgebundener Rechtsschutz der Planbeteiligten . . .
272 1517
7. Folgen des rechtskräftigen Insolvenzplans . . . . . . . . . .
300 1524
8. Haftungsfragen im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . .
346 1540
9. Zeitlicher Ablauf des Insolvenzplanverfahrens . . . . . . .
352 1542
II. Beratung bei Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .
354 1545
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
354 1545
2. Das Verhältnis der Eigenverwaltung zum Insolvenzplan-, Verbraucher- und Restschuldbefreiungs- sowie den sonstigen besonderen Arten des Insolvenzverfahrens . . . . . .
360 1548
3. Anwendbare Vorschriften im Eigenverwaltungsverfahren .
365 1549
4. Das Antragsrecht des Schuldners und seine Stellung im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
377 1553
5. Die Gläubiger im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . .
412 1568
6. Die Entscheidungen des Gerichts zur Eigenverwaltung . .
446 1576
7. Die Mitwirkung des Sachwalters . . . . . . . . . . . . . . .
469 1583
8. Rechtsschutz der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . .
502 1592
9. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
509 1594
10. Zeitlicher Ablauf der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . .
513 1595 XXI
Inhaltsübersicht
§ 14 „Unechte“ und „echte“ Masseverbindlichkeiten (Pannen) Rz.
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite
1 1600
II. Vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . .
8 1601
1. „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . .
11 1602
2. „Schwacher“ vorläufiger Verwalter . . . . . . . . . . . . . .
36 1611
3. Sonderproblem: Erfüllung von Altverbindlichkeiten – „Erpressungsfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 1632
III. Begründung von Verbindlichkeiten durch Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92 1634
1. Ermessen des Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 1635
2. Entstehen der Verbindlichkeit nach Verfahrenseröffnung .
100 1635
3. Keine reine Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 1636
4. Unwirksame Handlungen des Insolvenzverwalters . . . . .
106 1636
5. Problem: Haftet die Masse auch für Sekundäransprüche . .
111 1637
6. Fehlerhafte Behandlung von Masseverbindlichkeiten . . .
113 1637
7. Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . .
116 1638
8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 1638
§ 15 Unternehmenskauf in der Insolvenz (Undritz) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1640
1. Der Sanierungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 1642
2. Definition des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 1644
3. Übertragungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 1645
4. Besondere Formen der Unternehmensübernahme . . . . . .
27 1647
II. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 1648
1. Haftung des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 1648
2. Haftung des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 1656
III. Typischer Ablauf eines Unternehmenskaufes . . . . . . . .
105 1671
1. Motivermittlung und Strategieentwicklung . . . . . . . . .
105 1671
2. Suche nach geeigneten Zielobjekten bzw. Erwerbern . . . .
179 1686
3. Bewertung/Kaufpreisfindung . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 1688
4. Ermittlung der Zustimmungspflichten . . . . . . . . . . . .
204 1692
5. Informationsgewinnung (Due Diligence) . . . . . . . . . . .
259 1703
XXII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
6. Signing/Closing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
311 1716
IV. Vertragsgestaltung (Vertragsmuster mit Kommentierung) .
326 1721
§ 16 Insolvenz und Entschuldung der natürlichen Person (Ley) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1737
II. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 1739
1. Gesetzliche Grundlage und Nebengesetze . . . . . . . . . .
5 1739
2. Ziele des Verbraucherinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . .
28 1751
3. Die Insolvenz der natürlichen Person – Verfahrensvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 1752
4. Die Verfahrensgrundsätze des Insolvenzverfahrens der natürlichen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 1759
5. Verfahrensbeteiligte und Antragsberechtigte . . . . . . . .
58 1759
III. Insolvenzantrag und Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . .
66 1761
1. Antragsrecht und Antragspflicht . . . . . . . . . . . . . . .
66 1761
2. Wahl der Verfahrensart durch den Schuldner . . . . . . . .
71 1762
3. Antrag des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87 1765
4. Antrag des Schuldners – natürliche Person – im Regelinsolvenzverfahren und Antrag auf Restschuldbefreiung . .
99 1768
5. Der Verbraucherinsolvenzantrag mit Antrag auf Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108 1771
6. Vorhandensein eines Eröffnungsgrunds . . . . . . . . . . .
112 1772
7. Entgegennahme des Antrags und Sachbehandlung durch das Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 1773
8. Prüfung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 1775
9. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131 1777
IV. Sicherungsmaßnahmen (§§ 304 Abs. 1 Satz 1, 21 InsO) . .
152 1783
V. Verfahrensablauf des Verbraucherinsolvenzverfahrens seit 1. 1. 1999 (§§ 304 ff. InsO). Die drei Stufen des Verbraucherinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161 1784
1. Stufe 1: Der außergerichtliche Einigungsversuch . . . . . .
162 1786
2. Stufe 2: Das Schuldenbereinigungsplanverfahren . . . . . .
197 1798
3. Stufe 3: Das vereinfachte Insolvenzverfahren (§§ 311 ff. InsO) mit Restschuldbefreiung . . . . . . . . . .
381 1850
VI. Die Restschuldbefreiung der natürlichen Person . . . . . .
441 1869
1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
441 1869 XXIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
2. Änderungen der Vorschriften zur Restschuldbefreiung nach dem InsO-RegE-2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
496 1885
VII. Das Insolvenz- und Entschuldungsverfahren der natürlichen Person nach dem InsO-RegE-2007 . . . . . . .
509 1890
1. Neukonzeption des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . .
509 1890
2. Verfahrensvoraussetzungen für das Verbraucherinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
510 1892
3. Die Verfahrensgrundsätze des Verbraucherinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
514 1893
4. Verfahrensbeteiligte und Antragsberechtigte . . . . . . . .
518 1894
5. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
522 1895
6. Die Umgestaltung der ersten und zweiten Stufe . . . . . . .
560 1902
7. Die Eröffnung des Verfahrens oder Ablehnung mangels Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
604 1921
VIII. Das Entschuldungsverfahren nach dem Entwurf v. 22. 8. 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
608 1922
1. Konzeption des Entschuldungsverfahrens für völlig mittellose Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
608 1922
2. Änderungen und Ergänzungen der InsO (§§ 289a, 289b und 289c InsO-RegE-2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
610 1924
3. Verfahrensvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
611 1926
4. Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
621 1929
5. Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
625 1930
6. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
626 1930
7. Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
635 1933
8. Bestellung eines Treuhänders (§ 291 InsO-RegE-2007) . . .
666 1941
9. Rechtsstellung und Aufgaben des Treuhänders (§§ 292, 292a InsO-RegE-2007) . . . . . . . . . . . . . . . .
667 1941
10. Versagungsanträge, Widerrufsanträge . . . . . . . . . . . . .
668 1942
11. Entscheidung über die Restschuldbefreiung (§ 300 InsO-RegE-2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
679 1945
12. Wirkung der Entschuldung (§ 301 InsO-RegE-2007) . . . .
681 1945
13. Kosten, Gebühren, Auslagen und Vergütung . . . . . . . .
682 1946
IX. Verfahrenskostenstundung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
687 1947
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
687 1947
2. Die Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
693 1949
3. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . .
704 1952
4. Die Wirkungen der Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . .
711 1953
5. Der Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
712 1954
XXIV
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
6. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
716 1956
7. Die Rückzahlung und Anpassung . . . . . . . . . . . . . . .
719 1956
8. Die Aufhebung der Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . .
723 1958
X. Gebühren, Kosten und Vergütungen . . . . . . . . . . . . .
725 1958
1. Gebührenstreitwert, Wertberechnung, Rechtsanwaltsgebühren ab 1. 7. 2004/2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
725 1958
2. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
743 1965
3. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
747 1966
XI. Mitteilungen, Zustellungen, Bekanntmachungen . . . . .
758 1971
XII. Rechtsmittel (§ 6 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
778 1979
1. Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
778 1979
2. Entscheidungen des Amtsgerichts und Beschwerdegerichts nach Einlegung der sofortigen Beschwerde . . . . . . . . . .
823 1986
3. Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
825 1986
4. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, gegen die nach der Insolvenzordnung ein Rechtsmittel vorgesehen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
830 1987
5. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, gegen die nach der Insolvenzordnung kein Rechtsmittel vorgesehen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
831 1988
6. Einwendungen und Erinnerungen gem. § 766 ZPO . . . . .
833 1988
7. Antrag auf richterliche Entscheidung zur Feststellung des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
836 1989
8. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . .
837 1990
XIII. Akteneinsicht und Auskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . .
838 1990
§ 17 Beratung in der Freiberuflerinsolvenz (Runkel) I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1995
II. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 1997
III. Erhalt oder Wegfall der Berufszulassung . . . . . . . . . . .
9 1998
1. Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 1999
2. Psychotherapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 2000
3. Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 2000
4. Patentanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 2001
5. Notare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 2001
6. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater . . . . . . . . . . . . .
20 2002 XXV
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
7. Architekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 2002
8. Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 2002
9. Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 2003
IV. Verwertungsrecht des Verwalters . . . . . . . . . . . . . . .
26 2003
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 2003
2. Verwertung beweglicher Gegenstände . . . . . . . . . . . .
30 2004
3. Forderungsverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 2007
V. Praktische Ausgestaltung der „Betriebsfortführung“ bei einem Freiberufler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 2012
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 2012
2. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 2012
3. Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64 2012
VI. Rechtliche Stellung der Neugläubiger . . . . . . . . . . . .
73 2014
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 2014
2. Gesetzeswortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 2016
3. Lösungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79 2016
VII. Verfahrensabkürzung durch Insolvenzplan . . . . . . . . .
95 2020
VIII. Der Selbständige in der Wohlverhaltensperiode . . . . . . .
100 2021
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100 2021
2. Konsequenzen für den weiterhin tätigen Selbständigen . .
102 2021
IX. Zeitraum zwischen Schlussrechnungslegung und Beginn der Wohlverhaltensperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108 2023
§ 18 Internationales Insolvenzrecht (Pannen) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2027
II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 2029
1. Rechtsquellen des internationalen Insolvenzrechts . . . . .
7 2029
2. Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66 2046
III. Ausländisches Insolvenzverfahren im Inland: EuInsVO und deutsche Ausführungsbestimmungen, Art. 102 EGInsO n.F.
68 2048
1. Regelungsbereich der EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . .
70 2049
2. Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140 2076
3. Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149 2077
4. Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170 2081
XXVI
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
5. Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194 2086
6. Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . .
263 2096
7. Erfüllung von laufenden Verträgen im Inland . . . . . . . .
285 2100
8. Verfahrensbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302 2103
IV. Ausländisches Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der §§ 335 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305 2104
1. Grundsätzliche Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens und anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . .
310 2104
2. Voraussetzungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . .
318 2105
3. Eröffnungsverfahren, öffentliche Bekanntmachung und Grundbucheintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350 2111
4. Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
364 2112
5. Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
375 2114
6. Rechte des ausländischen Insolvenzverwalters . . . . . . .
400 2117
7. Wirkungen der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . .
418 2120
8. Gegenseitige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
438 2123
9. Beendigung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . .
449 2125
V. Auslandswirkung eines inländischen Insolvenzverfahrens
453 2125
1. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463 2127
2. EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
468 2128
3. Auslandswirkung eines inländischen Insolvenzverfahrens im Verhältnis zu Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . .
516 2135
VI. Territorialinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
585 2146
1. Partikularinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
596 2148
2. Sekundärinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
622 2152
VII. Wortlaut der EuInsVO (mit den Anhängen A, B und C) . .
679 2160
§ 19 Beratung bei Nachlassinsolvenz (Fliegner) I. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2192
II. Erbenhaftung und Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . .
5 2193
1. Grundlagen der Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 2193
2. Nachlasssonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 2194
3. Mittel erbrechtlicher Haftungsbeschränkung . . . . . . . .
7 2194
4. Exkurs: Inventar und Aufgebot . . . . . . . . . . . . . . . .
36 2201
5. Kumulatives Hinzutreten weiterer Haftungstatbestände . .
45 2203 XXVII
Inhaltsübersicht Rz.
Seite
III. Prüfung von Insolvenzgründen . . . . . . . . . . . . . . . .
51 2205
1. Ziel: Finden der bestmöglichen Handlungsoption . . . . . .
51 2205
2. Ermittlung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 2206
3. Prüfung von Zahlungsunfähigkeit und drohender Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 2208
4. Nachlassspezifische Überschuldungsprüfung . . . . . . . .
63 2208
5. Antragspflicht bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes . . . .
104 2219
IV. Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 2219
1. Verfahrenszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106 2219
2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 2220
3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 2222
4. Haftungsbeschränkende Einrede nach Verfahrensbeendigung (§ 1989 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 2223
5. Exkurs: Zusammentreffen von Nachlass- und Erbeninsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122 2224
6. Exkurs: Der Tod des Schuldners in Insolvenz- und Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 2224
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXVIII
2227
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abgedr. Abh. Abk. abl. ABlEG Abs. Abschn. abw. AcP a.E. a.F. AFG AFRG Ag AG AGB AID AktG allg. Alt. a.M. amtl. ÄndG Anf. AnfG Anh. Anm. AnwBl. AO AP ArbG ArbGG ArbuR ArplSchG Art. Auff. Aufl. AÜG
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort abgedruckt Abhandlungen Abkommen ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abschnitt abweichend Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Reformgesetz Antragsgegner/in Amtsgericht, Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Arbeitskreis der Insolvenzverwalter Deutschlands Aktiengesetz allgemein Alternative andere/r Meinung amtlich Änderungsgesetz Anfechtung AnfechtungsG Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeit und Recht (Zeitschrift) Arbeitsplatzschutzgesetz Artikel Auffassung Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz XXIX
Abkürzungsverzeichnis
ausf. Az.
ausführlich Aktenzeichen
BAFöG BAG BAGE BAnz Bay., bay. BayObLG BayObLGZ(St)
Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanzeiger Bayern, bayerisch/e Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungssammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen (Strafsachen) Betriebsberater Brandenburg, brandenburgisch (e) Berufsbildungsgesetz Band bearbeitet Bearbeiter, Bearbeitung Begründung Bekanntmachung Bundeserziehungsgeldgesetz besonders Beschluss Beschwerde Beschwerdegericht Besprechung bestritten betreffend/betrifft Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge Betriebsverfassungsgesetz Bezirksgericht Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Sammlung der Entscheidungen des BFH Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Strafsachen) Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Justiz
BB Bbg., bbg. BBiG Bd. bearb. Bearb. Begr. Bek. BErzGG bes. Beschl. Beschw. BeschwGer Bespr. bestr. betr. BetrAVG BetrVG BezG BfA BFH BFH/NV BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ (St) BilMoG BKR BMJ XXX
Abkürzungsverzeichnis
BörsG BPatG BR BR-Drucks. BR-Prot. BRAGO BRAK-Mitt. Braun/Bearbeiter BRD BReg BSG BSGE BSHG BStBl. BT-Drucks. BT-Prot. BTag BtPrax BuB BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW, bw. bzgl. bzw.
Börsengesetz Bundespatentgericht Bundesrat Bundesratsdrucksache Ständige Berichte des Bundesrates Bundesrechtsanwalts-Gebührenordnung Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung Bundesrepublik Deutschland Bundesregierung Bundessozialgericht Entscheidungen des BSG Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Ständige Berichte des Bundestages Bundestag Betreuungsrechtliche Praxis (Zeitschrift) Bankrecht und Bankpraxis, herausgegeben von Hellner/Steuer, Loseblatt Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des BVerwG Baden-Württemberg, baden-württembergisch(e) bezüglich beziehungsweise
ca. COMI
circa Center of Main Interest (i.S.d. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO)
DB ders. DGVZ d.h. dies. DiskE Diss. DJ DJT DJZ DNotZ
Der Betrieb derselbe/dieselbe Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt dieselbe Diskussionsentwurf Disseration Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Notar-Zeitschrift XXXI
Abkürzungsverzeichnis
DÖV DRiZ DRZ DStr dt. DtZ DVBl. DVO DZWIR
Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richter-Zeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Strafrechts-Zeitung deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
E-InsVV
Entwurf der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone) Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einigungsvertrag Einleitung einschließlich einschränkend Europäische Menschenrechtskonvention Entscheidung entsprechend Verordnung über das Erbbaurecht ergänzend Ergänzung; Ergebnis Erläuterung Sammlung der Entscheidungen des hessischen und des baden-württembergischen VGH European State Aid Law (Zeitschrift) Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren
EDV EFG EFTA EG EGBGB EGInsO EGMR Einf. EinigungsV Einl. einschl. einschr. EMRK Entsch. entspr. ErbbauVO erg. Erg. Erl. ESVGH EStAL EStG etc. EU EuGH EuGHE EuGVV
EuInsVO XXXII
Abkürzungsverzeichnis
europ. EuZW eV evtl. EWIV EWiR EzA
europäisch(e) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein eventuell Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
f. FamG FamR FamRZ ff. FK-InsO Fn. FS
folgende Familiengericht Familienrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Festschrift
G GA GBA GBO GBl. GbR GebrMG gem. GenG GeschmMG GeschO GesO ggf. GK-ArbGG
Gericht; Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundbuchamt Grundbuchordnung Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz gemäß Genossenschaftsgesetz Geschmacksmustergesetz Geschäftsordnung Gesamtvollstreckungsordnung gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz Gerichtskostengesetz Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Compagnie GmbH-Rundschau Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichte des Bundes grundlegend; Grundlage grundsätzlich Großer Senat Großer Senat in Zivilsachen (Strafsachen)
GKG GmbHG GmbH & Co GmbHR GMBl. GmSOGB grdl.; Grdl. grds. GS GSZ (St)
XXXIII
Abkürzungsverzeichnis
GV GVBl. GVG GVGA
Gerichtsvollzieher Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsvollziehergesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher
h.A. HAG Hbg.; hbg. Hdb. HdwO Hess.; hess. HGB HK-InsO HK-KSchG
herrschende Ansicht Heimarbeitsgesetz Hamburg; hamburgisch Handbuch Handwerksordnung Hessen; hessisch(e) Handelsgesetzbuch Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung Heidelberger Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz (Dorndorf/Weller/Hauck Hrsg.) herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz
h.L. h.M. Hrsg. Hs. i.d.F. i.d.R. i.E. i.e.S. i.F. IGH insb. InsO InsOÄndG INSOL InsR InsVV int. InVo IPR IPRax IPRspr i.R.d. i.R.v. i.S. i.S.d. XXXIV
in der Fassung in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne im Fall Internationaler Gerichtshof insbesondere Insolvenzordnung Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze International insolvency review: journal of the International Association of Insolvency Practioners Insolvenzrecht Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung international Insolvenz und Vollstreckung (Praktikerzeitschrift) Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des
Abkürzungsverzeichnis
i.S.v. i.Ü. i.V.m. IWF i.w.S.
im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Internationaler Währungsfond im weiteren Sinne
JA Jb. JFG
Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch Jahrbuch für Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Justizministerialblatt Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Juristische Schulung Die Justiz Justizverwaltungsblatt Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
JMBl. JR Jura JurBüro JuS Justiz JVBl. JW JZ KAGG Kap. KG KGaA KO Komm. KR KreisG krit. KSchG KTS KWG LAG Lfg. LG lit. Lit. LM LOI LöschG
Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung Kommentar KR Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz (Hrsg: Becker/Etzel) Kreisgericht kritisch Kündigungsschutzgesetz Konkurs, Treuhand, Sanierung – Zeitschrift für Insolvenzrecht Gesetz über das Kreditwesen Landesarbeitsgericht; Lastenausgleichsgesetz Lieferung Landgericht Buchstabe Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier, Möhring u.a. Letter of Intend Gesetz über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften XXXV
Abkürzungsverzeichnis
LReg LS LT-Drucks. LuftfRG LVerf LZ
Landesregierung Leitsatz Landtagsdrucksache Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Landesverfassung Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
m. MarkenG
MuSchG m.w.N. m.W.v.
mit Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Materialien mit anderen Worten Management Buy In Ministerialblatt Management Buy Out Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens möglicherweise Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Allgemeine Verfügung über Mitteilungen in Zivilsachen Münchener Kommentar mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Mißbräuchen Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom
n.F. NJ NJW NJW-CoR NJW-RR Nr. NRW NStE NStZ n.v. NVwZ NVwZ-RR NWB NZA
neue Fassung Neue Justiz Neue juristische Wochenschrift NJW-Computerreport NJW-Rechtsprechungsreport Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechung-Report Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht
Mat. m.a.W. MBI MBl. MBO MDR m.E. mglw. MitRhNotK Mizi MK m.N. MoMiG MünchKommBGB
XXXVI
Abkürzungsverzeichnis
NZG NZI
Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung
ö. o.a. o.Ä. ÖBA OFD OFH o.g. oHG OLG OLG-Report OLGE OLGZ (St)
österreichisch(e/er) oben angegeben(e) oder Ähnlich(e) Österreichisches Bankarchiv (Jahr, Seite) Oberfinanzdirektion Oberster Finanzhof oben genannte(n) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht OLG-Report (getrennt für jedes OLG) Entscheidungen der Oberlandesgerichte Rechtsprechung der OLG in Zivilsachen (Strafsachen) Oberverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen der OVG Lüneburg und Münster
OVG OVGE
PartGG PatG PKH PKW Prot. PSV PSVaG
Gesetz über die Partnerschaftsgesellschaft Patentgesetz Prozesskostenhilfe Personenkraftwagen Protokoll Pensions-Sicherungsverein Pensions-Sicherungsverein auf Gegenseitigkeit
RA RabelsZ
Rechtsanwalt Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgericht Reichsgesetzblatt Kommentar zum BGB, hrsg. von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern Amtliche Sammlung der Entscheidungen des RG in Zivilsachen (Strafsachen) Rheinland-Pfalz; rheinland-pfälzisch(e) Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts
RAG RefE RegE RG RGBl. RGRK RGZ (St) RhPf.; rhpf. RIW Rn. ROHG
XXXVII
Abkürzungsverzeichnis
Rpfleger RPflG RRG Rspr. RT-Drucks. RVG Rz.
Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rentenreformgesetz Rechtsprechung Reichtagsdrucksache Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randzeichen
S.; s. SachenRBerG SchiffsregO SchuRModG SeuffArch SG SGB s.o. sog. SprAG
Seite, Satz (bei Rechtsnormen); siehe Sachenrechtsbereinigungsgesetz Schiffsregisterordnung Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts Seufferts Archiv Sozialgericht Sozialgesetzbuch siehe oben so genannte Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft Der Steuerberater, Zeitschrift für Beruf und Praxis Steuerberatungsgesetz Staatsgerichtshof streitig ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsgesetz siehe unten Sachverständiger Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht
StA StB StBerG StGH str. st.Rspr. StVG s.u. SV SZIER
TV tw.
Tarifvertrag teilweise
u.a. u.Ä. u.a.m. überw. umstr. UN UNCITRAL
unter anderem; und andere und Ähnliches und anderes mehr überwiegend umstritten Vereinte Nationen (United Nations) United Nations Commission on International Trade Law unstreitig Urheberrechtsgesetz Urteil
unstr. UrhG Urt. XXXVIII
Abkürzungsverzeichnis
usw. u.U. UVG UVR v. VAG Var. VbrInsVV VerbrKG Verf. VerfGH VerglO vern. VG VGH vgl. VJSchrStFr VO Vorb. vorl. VormG VVG
und so weiter unter Umständen Unfallversicherungsgesetz Umsatzsteuer- und Verkehrsteuerrecht (Zeitschrift) von; vom Versicherungsaufsichtsgesetz Variante Verbraucherinsolvenzvordrucksverordnung Verbraucherkreditgesetz Verfahren; Verfasser; Verfassung Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung verneinend Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht Verordnung Vorbemerkung vorläufig Vormundschaftsgericht Versicherungsvertragsgesetz
WEG wiss. wistra WM WPK-Mitt. WPg WRV WuB
Wohnungseigentumsgesetz wissenschaftlich Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen Mitteilungen der Wirtschaftsprüferkammer Die Wirtschaftsprüfung Weimarer Reichsverfassung Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht
ZAkDR z.B. ZDG ZEV ZflR ZGR
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zivildienstgesetz Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Insolvenzrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert
ZHR ZInsO ZIP zit.
XXXIX
Abkürzungsverzeichnis
ZMR ZPO ZPO-RG ZRP ZS ZSEG ZStW z.T. ZUM zust. ZustRG zutr. ZVG ZVI zw. zz. ZZP ZZPInt
XL
Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Zivilprozessreformgesetz Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswirtschaft zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zustimmend Zustellungsreformgesetz zutreffend Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Verbraucher- und Privatinsolvenzrecht zweifelhaft zurzeit Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
Literaturverzeichnis
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LXXXVIII
§ 1 Schuldnerberatung Rz.
Rz.
I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . .
1
1. Tatsächliche Umstände . . . . . . 2. Honorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlungsmodalitäten . . . . . . c) Praxisempfehlung . . . . . . . . . 3. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragliche Haftung . . . . . . aa) Vertrag zugunsten und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter . . . . . . bb) Drittschadensliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auskunftsvertrag . . . . . . dd) Haftung als Sachwalter oder Verhandlungsgehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Praxishinweise . . . . . . . . b) Deliktische Haftung . . . . . . .
1 5 5 10 21 22 22
f) Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung . . . . . . . 83 g) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Verfahren . . . . . . . . . . . . . 85 bb) Einzelheiten . . . . . . . . . . 90 (1) Zahlungsmittelbestand . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Auszahlungen . . . . . . . . . 91 (3) Zahlungsprognose . . . . . 93 cc) Muster . . . . . . . . . . . . . . . 95 h) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . 97 3. Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Praktische Relevanz . . . . . . . 99 b) Maßgebender Betrachtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . 104 4. Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Überblick, praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Mögliche Bewertungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Bilanzwerte . . . . . . . . . . . 108 bb) Einzel- vs. Gesamtbewertung . . . . . . . . . . . . 109 (1) Liquidationswerte . . . . . 109 (2) Fortführungswerte . . . . . 110 cc) Mehrstufiges Bewertungsverfahren . . . . . . . . 116 (1) Überblick . . . . . . . . . . . . . 116 (2) Modifizierte zweistufige Methode . . . . . . . 118 c) Fortführungsprognose . . . . . . 122 aa) Prognosegegenstand . . . . 122 bb) Prognosemethode . . . . . . 125 cc) Prognosezeitraum . . . . . 131 dd) Widerspruchsfreiheit zum Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 ee) Fortführungswille . . . . . 133 ff) Abhängigkeit von Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Unternehmenswert bei Fortführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Gesamtbewertung einschließlich Firmenwert . 135 bb) Zukunftserfolgswert . . . 138
25 29 30
31 34 36
II. Insolvenzeröffnungsgründe . . . 40 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . a) Überblick, praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Verhältnisse . . . . . c) Zahlungspflichten . . . . . . . . . aa) Keine anderen Leistungspflichten . . . . . . . . . bb) Vorläufig titulierte Verbindlichkeiten . . . . . . . . . d) Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Zwangskredite“ der Lieferanten . . . . . . . . . . . . bb) Behördliche Schonfristen . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kontoüberziehung . . . . . dd) Nachrangige Verbindlichkeiten (Eigenkapitalersatz) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Geringfügigkeitsausnahmen aa) Zeitliche Geringfügigkeit (Zahlungsstockung) bb) Quantitative Geringfügigkeit . . . . . . . . . . . . . . cc) Qualitative Geringfügigkeit . . . . . . . . . . . . . .
40 49 49 53 54 54 55 63 64 67 68
70 73 75 76 78
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1
§1
Rz. 1
Schuldnerberatung Rz.
Rz.
e) Einzelheiten zum Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . 142 aa) Prüfungsreihenfolge . . . . 142 bb) Stichtagsprinzip . . . . . . . 143 (1) Insolvenzbedingte Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Bewertungsbedingte Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (3) Geplante Kosten . . . . . . . 149 cc) Einzelne Aktiva . . . . . . . 152 (1) Forderungen gegen Gesellschafter/ Geschäftsführer . . . . . . . 153 (2) Ansprüche gemäß §§ 92, 93 InsO . . . . . . . . . 155 (3) Keine Ausnahme für GmbH & Co. . . . . . . . . . . 158 (4) Immaterielle Vermögensgegenstände . . . . . . . 160 (5) Schwebende Geschäfte . 161 (6) Derivativer Firmenwert 164 (7) Wert der Firma . . . . . . . . 165 (8) Sicherungs- und aufrechnungsbelastete Vermögensgegenstände . . . . 166 (9) Insolvenzanfechtung . . . 167 dd) Einzelne Passiva . . . . . . . 168 (1) Eigenkapitalersetzende Leistungen . . . . . . . . . . . . 169 (2) Rückstellungen . . . . . . . . 176 f) Dokumentation, Sachverständigengutachten . . . . . . . . 182
bb) Sittenwidrigkeit . . . . . . . 191 c) Gesellschafterfinanzierung . . 196 d) Verkauf von Aktiva, Anzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Beseitigung der Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Maßnahmen Aktiva . . . . . . . 203 aa) Verkauf von Aktiva . . . . 203 bb) Wertgarantie . . . . . . . . . . 204 cc) Erhöhung des Stammkapitals (Registerpublizität) . . . . . . . . . . . . . . . . 205 dd) Kapitalerhöhung ohne Registerpublizität . . . . . . 206 b) Maßnahmen Passiva . . . . . . . 208 aa) Besserungsschein, Rangrücktrittsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (1) Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (2) Auswirkungen auf Sicherheiten . . . . . . . . . . 210 (3) Auswirkungen auf die (Steuer-)Bilanz, Umsatzsteuer . . . . . . . . . 213 (4) Auswirkungen auf den Überschuldungsstatus . . 217 (5) Formulierungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . 218 (6) Muster . . . . . . . . . . . . . . . 220 (a) Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (b) Rangrücktrittsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Forderungsbeschränkungsvertrag . . . . . . . . . . 223 cc) Gleichbehandlung bei außergerichtlicher Sanierung? . . . . . . . . . . . . 224 c) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . 227
III. Beseitigung der Insolvenzgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Kreditaufnahme . . . . . . . . . . . 186 aa) Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . 187
I. Mandatssituation 1. Tatsächliche Umstände 1
Mit der Insolvenzordnung hat der Gesetzgeber die drohende Zahlungsunfähigkeit eingeführt, um dem Schuldner einen frühzeitigen Insolvenzantrag zu ermöglichen. Er wollte damit die Chancen einer Sanierung verbessern – und nie2
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Mandatssituation
Rz. 6
§1
mand nutzt sie. Die typische Beratungssituation ist wie zu Zeiten der Konkursordnung dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner erst zum Anwalt kommt, wenn längst Zahlungsunfähigkeit und erst recht Überschuldung eingetreten sind. Das kann für den Anwalt gefährlich sein. Ein Honorarverlust ist noch der geringste Schaden. Viel brisanter ist eine Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung, zu einem Bankrottdelikt oder gar zum Betrug gegenüber künftigen Gläubigern. Der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (siehe dazu § 5 Rz. 23 und Rz. 53) folgt die zivilrechtliche Haftung auf dem Fuße. Der beratende Anwalt sollte deshalb stets die besonderen Rahmenbedingungen der Krisenberatung vor Augen haben. Wirtschaftlich geht es um die Existenz des Mandanten, der psychologisch „von Hause aus“ Optimist ist, sonst wäre er nicht Unternehmer geworden. Er neigt dazu, Risiken zu bagatellisieren. Das gilt jedenfalls für den Gesellschafter-Geschäftsführer oder den Inhaber einer Einzelfirma. Aber auch der angestellte Manager ist an einer Erhaltung seiner Position interessiert und stellt die Verhältnisse lieber positiv als wahrheitsgemäß dar. Die Verdrängung unerwünschter Informationen ist ein alltägliches Phänomen, das umso massiver auftritt, je nachteiliger die Informationen sind. Der Mandant ist kein bewusster Lügner, sondern ein unbewusster „Verdränger“. Das ist für den Anwalt gefährlich. Geht es später einmal um Haftungsansprüche, wird der Mandant zwischen seinem Wissen und dessen Verdrängung nicht mehr unterscheiden. Plötzlich ist es der Anwalt, der alles gekannt und schlecht beraten haben soll.
2
Aber auch der Anwalt ist von einem Konflikt nicht frei. Den Mandanten nach einer kurzen Beratung zum Insolvenzgericht zu schicken, ist wenig lukrativ. Was also liegt näher, als auf dessen Optimismus einzuschwenken.
3
In der Krise ist äußerste Eile geboten. Will der Anwalt Erfolg haben, muss er sich die erforderlichen Informationen schnellstens beschaffen. Dazu sollte er neutrale Personen einbeziehen. Das kann im Unternehmen die „zweite Reihe“ sein, aber auch ein kompetenter Sachbearbeiter oder der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer.
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2. Honorar a) Bemessung Nach § 34 RVG soll der Rechtsanwalt für eine Beratung oder ein Gutachten auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit in Teil 2 Abschnitt 1 VV keine Gebühren bestimmt sind. Wird keine Vereinbarung getroffen, soll der Anwalt Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts erhalten.
5
Die Tätigkeit des Anwalts geht bei Insolvenzmandanten meist weit über die rechtliche Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts hinaus und umfasst deren Ermittlung und Gestaltung sowie Verhandlungen mit Lieferanten und Kunden. Das RVG enthält ebenso wenig wie die frühere BRAGO Honorarvorschriften zur Krisenberatung. Soweit es die Mitwirkung an dem Insolvenzantrag auf der Grundlage eines feststehenden Sachverhalts betrifft, ist die Beratung über die Insolvenzgründe und die damit zusammenhängende Insolvenz-
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§1
Rz. 7
Schuldnerberatung
verschleppungshaftung mit der Gebühr der Nr. 3313 RVG-Vergütungsverzeichnis abgegolten. Insbesondere bei der Überschuldung ist der Sachverhalt aber häufig erst mit anwaltlicher Hilfe zu ermitteln. Das kann weit über eine Vorbereitungstätigkeit i.S.v. § 19 RVG hinausgehen und ist gesondert zu vergüten. Einen Gebührentatbestand sucht man dafür im RVG bzw. im zugehörigen Vergütungsverzeichnis vergebens. Das gilt erst recht für die Planung von Sanierungsmaßnahmen und die Beteiligung an Sanierungsverhandlungen. Auch zum Gegenstandswert gibt es im RVG keine spezielle Vorschrift. § 28 Abs. 1 RVG bestimmt zwar i.V.m. § 58 GKG den Wert der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage, gilt aber nur für die dort genannten Tätigkeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem gerichtlichen Insolvenzverfahren stehen, nicht jedoch für die außergerichtliche Sanierung. § 28 Abs. 3 RVG verweist auf die allgemeine Wertvorschrift in § 23 Abs. 3 RVG und gilt damit ebenfalls nur für die Tätigkeiten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens1 einschließlich Eröffnungsverfahren. Die außergerichtlichen Verhandlungen mit Gläubigern wird man schwerlich mit den Gebühren der Nrn. 2000 und 2400 des RVG-Vergütungsverzeichnisses für jeden einzelnen Gläubiger nach der jeweiligen Nominalforderung abrechnen dürfen; denn dessen Forderung ist nicht streitbefangen. Vielmehr geht es um Stundung oder Erlass, so dass gemäß § 23 Abs. 3 RVG höchstens der begehrte Erlassbetrag zugrunde gelegt werden darf. Die positiv-rechtlichen Vergütungsbestimmungen sind also unbefriedigend. 7
Wenn ausnahmsweise die Vergleichsverhandlungen in einer Versammlung aller Gläubiger zusammenfassend geführt werden, liegt eine Analogie zu den Vorschriften über die Vertretung des Schuldners im Insolvenzverfahren nahe, Nrn. 3313 ff. RVG-Vergütungsverzeichnis. Wegen der Konzentration aller Beteiligter auf ein Verfahren gibt es dort auch nur eine – gegebenenfalls erhöhte – Gebühr, die unabhängig von der Anzahl der Gläubiger ist. Sie berechnet sich teilweise nach der Insolvenzmasse, z.B. Nr. 3317 RVG-Vergütungsverzeichnis i.V.m. § 28 Abs. 1 RVG, teilweise nach billigem Ermessen, §§ 28 Abs. 3, 23 Abs. 2 RVG. Das gilt insbesondere für die Vertretung des Schuldners im Insolvenzplanverfahren, Nr. 3319 RVG-Vergütungsverzeichnis. Da der Schuldner durch den Plan gemäß § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO aber keinen „wirtschaftlichen Wert“ erhalten darf, will er nicht die Ablehnung des Plans riskieren, bleibt die Bestimmung des Gegenstandswertes auch für die ein Insolvenzplanverfahren vorbereitende Tätigkeit schwierig.
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Eine Analogie zur insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung scheitert an § 1 Abs. 2 RVG. Zwar kann der Sanierungsberater schnell in die Rolle des Sanierungsmanagers schlüpfen müssen. Damit verlässt er jedoch den Bereich der anwaltlichen Berufstätigkeit (§ 1 Abs. 1 RVG), so dass er nicht mehr die taxmäßige Vergütung des RVG abrechnen darf, sondern auf die übliche rekurrieren muss, § 612 Abs. 2 BGB. Dann allerdings kommt je nach dem Umfang des Auftrages eine entsprechende Anwendung der insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung durchaus in Betracht. Das gilt insbesondere für den Liquidator2. 1 Hartung/Römermann, RVG, 2. Aufl. 2006, § 28 Rz. 27 f. 2 Vgl. Hartung/Römermann, RVG, 2. Aufl. 2006, Anhang zu § 1, unter „Abwickler“ und „Liquidator“.
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Mandatssituation
Rz. 12
§1
Wegen der erheblichen Unsicherheiten über die Höhe der gesetzlichen Gebühren ist eine Honorarvereinbarung unbedingt zu empfehlen. § 4 RVG nennt Pauschal- und Zeitvergütungen. Eine Pauschalvergütung ist schwer zu kalkulieren. Der Arbeitsaufwand hängt wesentlich vom Vorbereitungsstand des Mandanten und dem „Verärgerungsstand“ der Gläubiger ab, wenn nicht nur über den Insolvenzantrag beraten, sondern auch der Insolvenzgrund beseitigt werden soll. Das ist zwar auch in anderen Beratungsangelegenheiten der Fall, potenziert sich hier jedoch, weil die Krisenberatung das gesamte Unternehmen umfasst. Eine Zeitvergütung ist deshalb vorzuziehen.
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b) Zahlungsmodalitäten Der Anwalt muss jederzeit einen Insolvenzantrag gegen seinen Mandanten befürchten, wird doch das Ersuchen der Gläubiger um eine Stundung oder einen Forderungsverzicht häufig mit dem Hinweis verbunden, anderenfalls zahlungsunfähig bzw. überschuldet zu bleiben. Einfacher als durch eine solche Aussage kann der Weg für einen Gläubiger nicht bereitet werden, den Eröffnungsgrund bei einem Insolvenzantrag glaubhaft zu machen, § 14 Abs. 1 InsO1. Deshalb sollte zu Beginn einer Krisenberatung immer ein Honorarvorschuss gezahlt werden. Zwar ist eine Vergütung theoretisch auch noch nach dem Insolvenzantrag zulässig, sofern sich die Zahlung noch als Bargeschäft darstellt2. Häufig ordnet das Gericht jedoch alsbald Sicherungsmaßnahmen der in § 21 InsO bestimmten Art an, so dass der Schuldner nicht mehr allein verfügungsbefugt ist.
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Allerdings kann die Honorarzahlung der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterliegen. Zu unterscheiden ist die erleichtert anfechtbare inkongruente von der nur unter besonderen subjektiver Voraussetzungen anfechtbaren kongruenten Deckung (vgl. § 10 Rz. 60 ff.). Eine inkongruente Deckung liegt vor, wenn der Anwalt eine Leistung erhält, „die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“, § 131 Abs. 1 InsO. Das ist insbesondere der Fall bei Erfüllungssurrogaten wie der Übergabe von Kundenschecks oder der Abtretung von Forderungen des Mandanten, es sei denn, dies wird von vornherein bei Begründung des Mandatsverhältnisses konkret so vereinbart. Besser ist, konkrete Forderungen oder Vermögensgegenstände als Sicherheit zu bestellen. Werden diese Sicherheiten später durch eine inkongruente Leistung abgelöst, fehlt es im Ablösezeitpunkt an einer Gläubigerbenachteiligung, die Voraussetzung jeder Anfechtung ist, § 129 InsO. Deshalb empfiehlt es sich, derartige Sicherheiten bei einer vermutlich länger dauernden Beratung sofort und nicht erst später, wenn Leistungen bereits erbracht sind, hereinzunehmen.
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Inkongruent ist auch eine Honorarzahlung, die vom RVG nicht gedeckt ist, soweit es sich um anwaltliche Tätigkeiten i.S.v. § 1 Abs. 1 RVG handelt und nicht um eine reine betriebswirtschaftliche Beratung. Dabei ist der Anwendungsbereich für die Anwaltstätigkeit recht weit zu fassen, ist der Rechtsanwalt gemäß § 3 Abs. 1 BRAO doch der „berufene unabhängige Berater … in
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1 BGH v. 4. 10. 2001 – IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097; v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; LG Berlin v. 3. 5. 2004 – 86 T 385/04, ZInsO 2004, 875; HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 14 Rz. 18. 2 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 480/00, DZWIR 2003, 31 = KTS 2003, 134.
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§1
Rz. 13
Schuldnerberatung
allen Rechtsangelegenheiten.“ Nicht vom RVG gedeckt ist es, wenn noch ein Vorschuss verlangt wird (§ 9 RVG), obwohl die Angelegenheit beendet und deshalb die Vergütung gemäß § 8 RVG fällig ist. Allein der Umstand, dass die nach § 10 RVG erforderliche Abrechnung bei einem umfangreichen Mandat noch geraume Zeit in Anspruch nimmt, gibt dem Anwalt nicht das Recht auf einen (weiteren) Vorschuss, wenn der Auftrag rechtlich beendet ist. Wird er gleichwohl vom Mandanten entrichtet, erhält der Anwalt etwas, worauf er keinen Anspruch hat, was die Tatbestandsmerkmale der inkongruenten Deckung erfüllt1. Das gilt auch dann, wenn der „Auftrag“ mehrere „Angelegenheiten“ betrifft, da die endgültige Vergütung laut § 8 Abs. 1 RVG für jede Angelegenheit gesondert fällig wird, sobald sie abgeschlossen ist. Inkongruent ist auch eine Honorarzahlung, wenn die Vergütungsvereinbarung nicht den formellen Anforderungen des § 4 RVG entspricht. Zwar muss der Anwalt den Betrag schuldrechtlich nicht erstatten, § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG. Er hatte darauf aber keinen durchsetzbaren Anspruch, so dass die Voraussetzungen des § 131 InsO erfüllt sind2. 13
All das zeigt: Bei Mandatserteilung getroffene formwirksame Vereinbarungen über Höhe, Fälligkeit und Besicherung des Honorars reduzieren das Anfechtungsrisiko. Sie beseitigen es aber nicht. So liegt es auf der Hand, dass das Schuldnervermögen unter dem Deckmantel der anwaltlichen Beratung nicht gemindert werden darf, wenn dem keine adäquate Leistung gegenüber steht. Unmittelbar nachteilige Rechtsgeschäfte sind gemäß § 132 InsO anfechtbar und die daraufhin erbrachten Honorarzahlungen zu erstatten. Unmittelbar nachteilig ist eine unangemessen hohe Honorarvereinbarung, wobei der „richtige“ Stundensatz eine große Bandbreite aufweist3. Außerdem haben die Parteien analog § 315 Abs. 3 BGB einen erheblichen Beurteilungsspielraum; denn was bei einseitiger Leistungsbestimmung nach dieser Vorschrift rechtmäßig ist, kann auch anfechtungsrechtlich nicht unmittelbar benachteiligend sein. Das gilt insbesondere auch für ein Pauschalhonorar, selbst wenn sich nachträglich herausstellt, dass sich der Auftrag früher erledigt als ursprünglich geplant, in dem beispielsweise kurzfristig ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Es ist das Wesen des Pauschalhonorars, dass es sich sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Mandanten auswirken kann. Allerdings darf es nicht unvertretbar hoch sein, also eine Größenordnung nicht wesentlich überschreiten, die üblicherweise bei Mandaten der beauftragten Art anfallen. Ist eine Vergütung unangemessen hoch, kann sie schuldrechtlich gemäß § 4 Abs. 4 RVG auf den angemessenen Teil reduziert werden. Ob das auch für die insolvenzrechtliche 1 BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, NJW 2006, 2701, wobei der BGH nicht erörtert, ob es an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen könnte, wenn der derselbe Betrag statt als Vorschuss auch als Schlusszahlung hätte beansprucht werden können. Zwar sind hypothetische Kausalverläufe i. d. R. nicht zu berücksichtigen. Nach BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 kommt es jedoch nicht nur auf die Kausalität an, sondern es ist im Rahmen wertender Betrachtungsweise auch noch die Zurechenbarkeit zu prüfen, die im Urteilsfall aus 2006 hätte verneint werden können. 2 Vgl. HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 8. 3 BGH v. 27. 1. 2005 – IX ZR 273/05, NJW 2005, 2142 hat unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit – nicht der Anfechtbarkeit – ausgesprochen, dass eine Überschreitung der gesetzlichen Gebühren – die es, wie dargelegt, für eine umfassende Insolvenz- und Sanierungsberatung nicht gibt – als das Fünffache für regelmäßig unangemessen.
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Mandatssituation
Rz. 16
§1
Anfechtung in dem Sinne gilt, dass nur der den angemessenen Teil überschreitende Betrag zur Insolvenzmasse erstattet werden muss, ist eine Frage der Teilanfechtung. Grundsätzlich ist eine einheitliche Rechtshandlung nur im Ganzen anfechtbar1, wobei es auch höchstrichterliche Entscheidungen gibt, die bei wirtschaftlicher Teilbarkeit die Rückgewähr auf den überschießenden Teil beschränken2. Nach einem älteren Urteil des früher für das Konkursrecht zuständigen VIII. Zivilsenats gilt das auch für ein überhöhtes Anwaltshonorar3. Ein anderes Anfechtungsrisiko kann sich daraus ergeben, dass der Mandant von vornherein seine Zahlungsunfähigkeit einräumt oder der Anwalt die Zahlungsunfähigkeit sofort erkennt und erst anschließend sein Honorar erhält. Dann sind die Voraussetzungen der Anfechtung wegen kongruenter Deckung erfüllt. Helfen kann ihm nur noch das Bargeschäftsprivileg gemäß § 142 InsO (vgl. § 10 Rz. 293 ff.).
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Nach dem Wortlaut des § 142 InsO liegt ein Bargeschäft vor, wenn in das Vermögen des Schuldners unmittelbar eine seiner Zahlung gleichwertige Gegenleistung gelangt. Daran bestehen bei Beratungstätigkeiten Zweifel, weil sie nicht „in sein Vermögen“ gelangen, die verteilungsfähige Masse also nicht im Umfang der Honorarzahlungen erhöhen. Trotzdem akzeptiert die Rechtsprechung grundsätzlich das Bargeschäftprivileg mit der Begründung, dass die Unterstützung bei einer Sanierung oder einem ordnungsgemäßen Insolvenzantrag auch den Gläubigern diene4.
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Diese Überlegung beschränkt zugleich den Anwendungsbereich des Bargeschäfts in zeitlicher und wertmäßiger Hinsicht: Darf ein Schuldner seinen Insolvenzantrag nicht mehr verzögern, ist zunächst nur die Beratung über die Antragsvoraussetzungen (vgl. § 28 RVG i.V.m. Nr. 3313 Vergütungsverzeichnis) anfechtungsresistent – aber nur, soweit der Antrag nicht auch alleine von dem Schuldner hätte gestellt werden können5. Während der Verschleppungsphase erbrachte Leistungen sind hingegen rechtlich nicht als im Interesse der Gläubiger liegend geschützt6. Damit ist der Mandant nicht beistandslos. Ist ein Antrag gestellt, dürfen Sanierungsmaßnahmen sowie Gläubigerverhandlungen mit Hilfe des Anwalts fortgesetzt und – solange keine Verfügungsbeschränkungen angeordnet sind – zeitnah bezahlt werden. Vor wie nach dem Antrag gilt jedoch, dass diese Maßnahmen nicht von vornherein aussichtslos sein dürfen7 und die vom Anwalt erbrachten Tätigkeiten sachgerecht sind8.
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BGH v. 13. 7. 1995 – IX ZR 81/94, ZIP 1995, 1364 Vgl. HK-InsO/Kreft, InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 77 f. BGH v. 11. 6. 1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962. BGH v. 11. 6. 1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1963; Hölzle, DStR 2003, 2075, 2077 für den Steuerberater. BGH v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. Vgl. BGH v. 26. 10. 2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33; 11. 6. 1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962. Vgl. OLG Brdbg. v. 21. 3. 2002 – 8 U 71/01, ZIP 2002, 1902, 1907 zur Besicherung eines aussichtslosen Sanierungskredits. BGH v. 26. 10. 2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33, 35; BGH v. 17. 11. 1958 – II ZR 224/57, BGHZ 28, 344 ff.
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§1
Rz. 17
Schuldnerberatung
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Die bargeschäftliche Gleichwertigkeit des Leistungsaustausches liegt bei sachgerechten Tätigkeiten immer vor, wenn nach den gesetzlichen Gebühren abgerechnet wird oder das Zeit- bzw. Pauschalhonorarhonorar vertretbar ist. Dafür gilt das oben zur Gläubigerbenachteiligung Gesagte entsprechend.
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Für die bargeschäftliche Unmittelbarkeit ist zu berücksichtigen, dass die Vergütung erst „nach der Leistung der Dienste zu entrichten“ ist, § 614 BGB. Deshalb hat der BGH eine Zahlung für wirksam gehalten, die sogar erst nach dem Insolvenzantrag erfolgte1. Allerdings muss der zeitliche Zusammenhang gewahrt bleiben, der für jedes Bargeschäfts gefordert wird. Ein Abstand von drei Wochen2 ist noch zulässig, zwei Monate hingegen sind zu lang3. Schien die Frist in den früheren Entscheidungen wegen § 614 BGB noch mit der Fälligkeit des Honoraranspruchs zu beginnen, stellt der BGH nunmehr auf eine wirtschftliche Betrachtungsweise ab. Es komme nicht auf die formaljuristische Fälligkeit an, sondern auf die tatsächliche Leistungserbringung. Wenn zwischen dem Beginn der anwaltlichen Tätigkeit und der Vergütungszahlung mehr als 30 Tage liegen, sei der Bargeschäftszusammenhang nicht mehr gewahrt. Diese Grenze entnimmt der BGH dem Rechtsgedanken des § 286 Abs. 3 BGB. Gleiches soll auch für den umgekehrten Fall eines Vorschusses gelten: Übersteigt er die wertäquivalente Vergütung für die nächsten 30 Tage, fehlt es ebenfalls an den Voraussetzungen des Bargeschäfts4.
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Unabhängig von der Anfechtbarkeit muss bei den Zahlungsterminen auch die Organhaftung berücksichtigt werden5. Nach Eintritt des Insolvenzgrundes getätigte Zahlungen sind in sämtlichen beschränkt haftenden Gesellschaften von den Organen auszugleichen, es sei denn, dass sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind (unten § 2 Rz. 82 ff.). Diese Sorgfalt ist insolvenzbezogen zu interpretieren. Mit ihr stehen nur diejenigen Zahlungen im Einklang, die die spätere Insolvenzmasse wertmäßig zu erhalten helfen. Darunter wird man zwar mit denselben Überlegungen wie beim Bargeschäft auch Beratungsleistungen subsumieren dürfen – aber nur, soweit sich die Zahlung nicht als Befriedigung einer schon bestehenden Verbindlichkeit darstellt. Ebenso wie bei der Anfechtung ist auch hier die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend. Die formaljuristische Fälligkeit des Honorars spielt keine Rolle. Vielmehr kommt es darauf an, ob bereits erbrachte oder neue Leistungen bezahlt werden sollen. Ob auch bei § 64 Abs. 2 GmbHG der bargeschäftliche Zusammenhang gilt, so dass eine vor dem Eintritt des Insolvenzgrundes entstande Verbindlichkeit noch zeitnah bezahlt werden darf, ist zwar zweifelhaft6. Andererseits würde der bisherige Anwalt mangels Zahlung seine Tätigkeit einstellen und die Mandatierung eines neuen Büros Verzögerungen und Mehrkosten mit sich bringen. Deshalb ist bei einer längeren Beratung nicht jede Zahlung haftungsschädlich, die kalkulatorisch auf Tätigkeiten 1 2 3 4
BGH v. 11. 6. 1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962, 1963. BGH v. 17. 11. 1958 – II ZR 224/57, BGHZ 28, 347. BGH v. 18. 7. 2002 – IX 480/00, ZIP 2002, 1540 f. BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261; v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. 5 Siehe ausführlich § 2 Rz. 41 ff. 6 Vgl. BGH v. 31. 3. 2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005.
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Mandatssituation
Rz. 20
§1
vor Eintritt des Insolvenzgrundes entfällt. Bleibt der Altanteil unter den Mehrkosten einer hypothetischen Neubeauftragung, ist die Zahlung noch von der geschäftsmännischen Sorgfalt des § 64 Abs. 2 GmbHG gedeckt. Auf die nach Eintritt des Insolvenzgrundes erbrachten Leistungen wird man hingegen den Bargeschäftsgedanken analog anwenden können, so dass hinsichtlich der Geschäftsführerhaftung das oben bei Rz. 11 f. zur Anfechtung Gesagte auch hier geht. Ob ein Honorarvorschuss auch die Beratung des Schuldners nach dem Insolvenzantrag gegenüber einem vorläufigen Insolvenzverwalter (anfechtungsfrei) abgelten darf, ist fraglich. Da durch die Beratungstätigkeit die Insolvenzmasse nicht erhöht wird, kann die von § 142 InsO verlangte Vermögensneutralität nur normativ verstanden werden als eine Beratung im Interesse aller (künftigen) Verfahrensbeteiligten. Die Beratung gegenüber dem Verwalter gehört nicht dazu. Sie dient regelmäßig nur noch dem Schuldner- bzw. Geschäftsführerinteresse. Zwar hat ein Schuldner Anspruch auf einen Anwalt, so dass angemessene Zahlungen an ihn nicht etwa ein Bankrottdelikt begründen1. Das durchbricht jedoch nicht die insolvenzrechtlichen Masseerhaltungs- und Verteilungsvorschriften. Ist der Schuldner eine natürliche Person, sind die Kosten aus dem gemäß § 100 InsO zu bewilligenden Unterhalt aufzubringen, also aus dem, was ohnehin nicht in der Masse verbleibt. Ist der Schuldner hingegen eine Gesellschaft, gibt es keinen Anspruch auf „Unterhalt“ der Geschäftsführung. Ihre Ansprüche richten sich allein nach der insolvenzrechtlichen Behandlung des Dienstvertrages einschließlich der (Beratungs-)Auslagen. Hinsichtlich der GmbH als der Insolvenzschuldnerin obliegt es nunmehr dem vorläufigen Verwalter, die Masse im Interesse der Gläubiger zu sichern. Für eine weitere ebenfalls im Interesse der Gläubiger durchgeführte Beratungstätigkeit eines Schuldner-Anwalts ist daneben kein Raum, es sei denn, dass dies in Abstimmung mit dem vorläufigen Verwalter geschieht. Das gilt sogar für die Ausarbeitung eines Insolvenzplans, weil der Schuldner keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf professionelle Beratung hat2. Hat das Insolvenzgericht überdies eine Verfügungsbeschränkung als vorläufige Sicherungsmaßnahme angeordnet, unterliegt dem auch der im Vorschusswege erworbene Leistungsanspruch. Er kann nicht mehr durch Leistung an den Schuldner erfüllt werden, §§ 24, 82 InsO. Der Anwaltsvertrag endet außerdem gemäß §§ 115, 116 InsO (vgl. § 8 Rz. 273 ff.) spätestens mit dem Tage der Insolvenzeröffnung und ist analog § 628 Abs. 1 BGB abzurechnen. § 628 Abs. 2 BGB (Schadensersatz wegen Kündigung bei vertragswidrigem Verhalten) findet keine Anwendung3, da man §§ 115 f. InsO (Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen) nicht nur auf den Auftrag, sondern auch auf den zugrunde liegenden Dienstvertrag erstreckt4 und dies keine vertragswidrige Kündigung ist.
1 2 3 4
BGH v. 29. 9. 1988 – 1 StR 332/88, NJW 1989, 1167, 1168. BGH v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. Uhlenbruck/Berscheid, InsO, 12. Aufl., §§ 115, 116 Rz. 13. BGH v. 18. 1. 2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543; v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781.
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20
§1
Rz. 21
Schuldnerberatung
c) Praxisempfehlung 21
Zusammenfassend kann für die Praxis nur dringend empfohlen werden, –
eine möglichst zeitbezogene Honorarvereinbarung zu treffen
–
mit kurzen Abrechnungsintervallen (maximal 30 Tage)
–
gegen Vorschuss zumindest in Höhe der für das nächste Abrechnungsintervall erwarteten Vergütung
–
sowie Besicherung des anschließend vorraussichtlich anfallenden Vergütungsanspruchs
–
und Einholung der Zustimmung eines vorläufigen Verwalters für den Verbrauch eines Vorschusses nach Insolvenzantrag
3. Haftung1 a) Vertragliche Haftung 22
Der Mandant, der einen Rechtsanwalt in der wirtschaftlichen Krise aufsucht, erwartet eine umfassende Aufklärung über die Handlungsmöglichkeiten und Haftungsrisiken2. Der Auftrag mag sich in einem einzigen Beratungsgespräch erschöpfen, in dem regelmäßig nur allgemeine Wenn-Dann-Aussagen getroffen werden können. Häufig ist es aber so, dass die rechtsrelevanten Informationen erst beschafft werden müssen. Eine Überschuldung beispielsweise ergibt sich nicht unmittelbar aus der handelsrechtlichen Buchführung. Vielmehr sind die Verkehrswerte zu ermitteln. Das kann bei komplexen Verhältnissen geraume Zeit in Anspruch nehmen. Parallel werden dann meist schon Verhandlungen mit den Geschäftspartnern des Mandanten begonnen, um sie für eine Beteiligung an der Sanierung zu gewinnen. Während der Dauer seiner Tätigkeit ist der Anwalt verpflichtet, ständig auf die Auswirkungen neuer Erkenntnisse über die Vermögens- und Finanzlage des Schuldners hinzuweisen.
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Die Insolvenz- und Sanierungsberatung ist im Dienstvertrag (§ 611 BGB), auf den gemäß § 675 BGB die Vorschriften über die Geschäftsbesorgung ergänzend Anwendung finden, wenn sich die Tätigkeit nicht nur auf das interne Beratungsgespräch beschränkt, sondern der Anwalt Aufgaben wahrnimmt, deren Erfüllung dem Mandanten bzw. dem Geschäftsführer obliegt3. Ein bestimmter Erfolg wie beispielsweise die Beseitigung des Insolvenzgrundes ist nicht geschuldet, wohl aber kann ein bestimmtes Arbeitsergebnis wie z.B. ein Gutachten über das Bestehen eines Insolvenzgrundes geschuldet sein. Dann tritt an Stelle des Dienstvertrages das Werkvertragsrecht, §§ 675, 631 BGB.
1 Überblick bei: Ganter, Die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH zur Anwaltshaftung seit 1984, WM 2001, Sonderbeilage 6; zur vertraglichen Haftung des Steuerberaters gegenüber Dritten: Zugehör, DStR 2007, 723 ff. Für den Anwalt gilt das entsprechend. 2 Zu den Anforderungen an die Krisenberatung vgl. Frege, NZI 2006, 545, 547 ff. 3 BGH v. 25. 10. 1988 – XI ZR 3/88, NJW 1989, 1216.
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Mandatssituation
§1
Rz. 26
Verletzt der Anwalt seine Beratungspflicht, schuldet er Schadensersatz, § 280 Abs. 1 BGB. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 281 Abs. 2 BGB ist entbehrlich, weil der Schaden gerade durch die nicht rechtzeitige Aufklärung über die mit den jeweiligen Entwicklungen verbundenen Risiken eintritt1. Allerdings mindert die unterlassene Aufklärung über Haftungsrisiken nicht das Vermögen des Schuldners. Vielmehr sind es die Geschäftsführer und Vertragspartner, die den Anwalt später für Nachteile verantwortlich machen. Bei der Krisenberatung steht deshalb die Frage nach der Haftung gegenüber Dritten im Vordergrund. Außer der noch zu erörternden deliktischen Haftung kommt in Betracht ein Vertrag unmittelbar zugunsten Dritter oder mittelbar mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, eine Drittschadensliquidation, ein Auskunftsvertrag sowie schließlich die Sachwalter- bzw. Vertrauenshaftung des Verhandlungsgehilfen, die in § 311 Abs. 3 BGB angesprochen wird.
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aa) Vertrag zugunsten und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Bei einem Vertrag zugunsten Dritter hat der Dritte ein eigenes Forderungsrecht auf die primäre Leistung, während er beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nur einen eigenen (sekundären) Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung der primären Leistungspflicht herleiten kann. Verträge zugunsten Dritter sind bei der Sanierung keine Seltenheit. So kommt es vor, dass der Schuldner als vertrauensbildende Maßnahme sein Vermögen ganz oder zur Abwicklung bestimmter Aufträge teilweise einem Treuhänder überträgt, der es im Interesse der Gläubiger verwenden soll2. Dem Treuhänder können daraus unmittelbar Erfüllungspflichten gegenüber dem Dritten erwachsen3. Aber auch jenseits solcher Treuhandvereinbarungen empfiehlt es sich, bei Mandanten, deren Bearbeitung auch im Interesse Dritter liegt, den Begünstigten, den Tätigkeitsumfang und die Haftung im Vertrag genau zu regeln. Ohne eine gesonderte Vereinbarung erhält der begünstigte Dritte nicht mehr Rechte als der Auftraggeber4, so dass der Anwalt ihm die Einwände aus dem Vertragsverhältnis entgegenhalten kann, § 334 BGB.
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Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter begründet zwar kein eigenes Forderungsrecht, aber ähnliche Schutzpflichten wie ein Vertrag zugunsten Dritter. Grundlage ist auch hier die Vereinbarung mit dem Auftraggeber. Findet sich in ihm keine Regelung, ist durch Auslegung5 zu klären, in welchem Umfang die Beratungstätigkeit des Anwalts im Interesse des Dritten erbracht
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1 Anders mag es liegen, wenn der Anwalt z.B. einen Überschuldungsstatus erstellen soll und dies nicht mit der Unverzüglichkeit erledigt, die der Geschäftsführer in der Krise beachten muss. 2 Zur Kollision mit Bankrottdelikten – z.B. §§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 283c StGB für den Schuldner, § 283d StGB für den Treuhänder – siehe § 5 Rz. 171 ff. 3 Vgl. BGH v. 12. 10. 1989 – IX ZR 184/88, ZIP 1989, 1466, 1468 zum sog. Treuhandkontenmodell bei der Fertigstellung eines Bauvorhabens durch einen insolventen Schuldner, sowie BGH v. 10. 7. 1997 – IX ZR 234/96, ZIP 1997, 1551, 1553; v. 24. 1. 2002 – IX ZR 180/99, ZIP 2002, 535. 4 BGH v. 15. 6. 1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 272. 5 BGH v. 15. 6. 1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 273; BGH v. 2. 11. 1983 – IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 356.
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§1
Rz. 27
Schuldnerberatung
werden soll. Voraussetzung dafür ist, dass dem Anwalt ein berechtigtes Interesse des Mandanten an der Einbeziehung des Dritten erkennbar ist1. Das ist der Fall, wenn die anwaltliche Leistung typischerweise auch Rechtsgüter des Dritten berührt. Er muss ein Schutzbedürfnis haben, weil er den Gefahren einer Leistungsstörung ebenso intensiv ausgesetzt ist wie der Vertragspartner2. Daran fehlt es beispielsweise, wenn der Dritte einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch gegen einen anderen Berater hat3. 27
Die Voraussetzungen einer Schutzwirkung sind regelmäßig erfüllt bei einem Anwaltsvertrag mit einer GmbH im Hinblick auf den Schutz ihres Geschäftsführers. Die Mandatierung in der Krise, die naturgemäß durch die vertretungsberechtigten Personen erfolgt, dient regelmäßig sogar vorrangig der Vermeidung ihrer persönlichen Haftung4. Ebenso können die Gesellschafter in den Schutzbereich einbezogen werden5 wie umgekehrt die GmbH im Schutzbereich eines mit dem Gesellschafter geschlossenen Vertrages stehen kann6. Entwirft der Anwalt zur Verbesserung der Liquidität beispielsweise einen saleand-lease-back-Vertrag zwischen der GmbH und ihrer Konzernmutter, ohne über das Risiko der Anfechtung eines Unter-Preis-Verkaufs oder die kapitalersetzende Nutzungsüberlassung aufzuklären, wird er auch gegenüber dem Gesellschafter haften müssen. Bei Satzungsänderungen und insbesondere bei Kapitalmaßnahmen anlässlich einer Sanierung besteht für den Anwalt immer das Risiko der Schutzbereichsausweitung auf Gesellschaft, Gesellschafter und Geschäftsführer. Allerdings darf das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, nicht durch eine großzügige Anerkennung drittschützender Pflichten unterlaufen werden. Besteht zwischen Mandant und Vertragspartner (= Drittem) ein Interessengegensatz, fehlt es jenem an der berechtigten Schutzerwartung7. Deshalb gehören Vertragsgegner8 oder Insolvenzgläubiger9 regelmäßig nicht zu dem privilegierten Personenkreis.
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Unter dem Schlagwort Expertenhaftung wird der Sonderfall behandelt, dass der Berater über besondere Kenntnisse verfügt und das Ergebnis seiner Tätigkeit erkennbar (auch) für Dritte bestimmt ist. Paradigma ist das Gutachten eines Sachverständigen10. In der Beratungspraxis kommt es häufig vor, dass die we1 BGH v. 2. 7. 1996 – X ZR 104/94, NJW 1996, 2927, 2928; BGH v. 17. 9. 2002 – X ZR 237/01, DStR 2003, 170. 2 Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl. 2005, Rz. 322. 3 BGH v. 2. 7. 1996 – X ZR 104/94, NJW 1996, 2927, 2929. 4 Ein Vertrag zugunsten Dritter mit eigenem Forderungsrecht der Geschäftsführer wird jedenfalls dann nicht anzunehmen sein, wenn die Geschäftsführer auch Gesellschafter sind und in der Krise die Bezahlung von Leistungen für die Gesellschafter eine unzulässige Einlagenrückgewähr darstellen kann, §§ 30 f. GmbHG. 5 BGH v. 2. 12. 1999 – IX ZR 415/98, NJW 2000, 725 für einen Vertrag mit der GmbH zugunsten der Gesellschafter bei verdeckter Sacheinlage. BGH v. 10. 10. 1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581, 582. 6 BGH v. 10. 10. 1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581, 582. 7 BGH v. 17. 5. 1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 32, 33. 8 BGH v. 17. 5. 1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 32, 33. 9 BGH v. 18. 2. 1987 – IVa ZR 230/85, VersR 1988, 178, 179. 10 BGH v. 19. 12. 1996 – IX ZR 327/95, NJW 1997, 1235; BGH v. 17. 10. 2000 – X ZR 169/99, NJW 2001, 514; BGH v. 2. 4. 1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257.
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Spliedt
Mandatssituation
§1
Rz. 30
sentlichen Gläubiger ihr Verhalten in der Krise des Schuldners von einer Prüfung der Sanierungsaussichten durch einen Sachverständigen abhängig machen. Er wird im allseitigen Einvernehmen benannt, aber allein von dem Schuldner beauftragt und – teilweise aus einem zweckbestimmten Kredit – bezahlt. Stellt sich später heraus, dass sein Gutachten nicht mit der berufsüblichen Sorgfalt erstellt wurde, kann der Sachverständige gegenüber denjenigen haften, die ihre Entscheidungen von dem Ergebnis seines Gutachtens abhängig gemacht haben. Umstritten ist zwar, ob er Haftungsgrund in § 311 Abs. 3 BGB oder im Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter liegt1. Einigkeit besteht aber darüber, dass der Experte nicht als Interessenvertreter des Schuldners, sondern als neutraler Gutachter tätig werden muss, was beim Wirtschaftsprüfer näher liegt2 als beim Anwalt. Für ihn gilt auch als „Experte“ der obige Grundsatz, dass Vertragsgegner wegen der vorrangigen Pflicht, die Mandanteninteresssen zu wahren, ohne besondere Anhaltspunkte keine berechtigte Schutzerwartung haben dürfen. bb) Drittschadensliquidation Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hat der Geschädigte einen eigenen vertraglichen Haftungsanspruch. Demgegenüber wird bei der Drittschadensliquidation der Schaden eines Dritten geltend gemacht. Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird die vertragliche Anspruchsgrundlage zum Schaden und bei der Drittschadensliquidation der Schaden zur vertraglichen Anspruchsgrundlage gezogen. In der insolvenzrechtlichen Beratung spielt die Drittschadensliquidation keine Rolle. Es fehlt regelmäßig an dem Auseinanderfallen von Vertragspartner und Inhaber des nach dem Vertragszweck geschützten Rechtsgutes3. Bezieht der Anwaltsvertrag von vornherein Dritte als Begünstigte ein, sind die soeben unter (aa) dargestellten Ansprüche vorrangig.
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cc) Auskunftsvertrag Bei Sanierungsverhandlungen kommt es häufig darauf an, wie die Gläubiger mit und ohne Insolvenzverfahren stünden, namentlich, ob ein außergerichtlicher Erlassvergleich vorteilhafter ist als eine spätere Insolvenzquote. Natürlich kann wegen des dringenden Handlungsbedarfs nicht jeder Gesprächspartner eigene Untersuchungen der wirtschaftlichen Verhältnisse seines Schuldners anstellen. Vielmehr ist er auf dessen Informationen angewiesen. Sie werden häufig vom Anwalt erteilt. Erweisen sie sich später als falsch, wird schnell an seine Haftung aus einem konkludent geschlossenen Auskunftsvertrag gedacht. In der Praxis spielt ein solcher Vertrag vor allem bei Bankauskünften eine Rolle. Natürlich kann er auch in allen anderen Geschäftsbeziehungen relevant werden4. Er wird angenommen, wenn eine Information für den Emp1 Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 311 Rz. 60. 2 WP-Hdb. II, 2002, 331; vgl. § 43 Abs. 1 WPO. 3 Vgl. die Fallgruppen bei Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, Vorb. v. § 249 Rz. 115 ff. 4 Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 675 Rz. 29 ff.
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30
§1
Rz. 31
Schuldnerberatung
fänger von erkennbar wesentlicher Bedeutung ist, weil er Vermögensdispositionen darauf stützen will1. Weiterhin ist erforderlich, dass der Auskunftsgeber entweder besonders sachkundig ist – insofern gibt es Überschneidungen zur Expertenhaftung – oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt2. Die Entscheidungsrelevanz der den Gesprächspartnern bei Sanierungsverhandlungen übermittelten Daten wird regelmäßig bestehen, ist doch gerade Ziel der Verhandlungen, Rechte aufzugeben und/oder künftige Geschäfte einzugehen. Auch wird man die besondere Sachkunde bei einem Sanierungsberater voraussetzen können. Hinzu kommen muss jedoch, dass er auch zu erkennen gibt, die Informationen eigenverantwortlich überprüft zu haben und nicht nur auf die vom Mandanten bereitgestellten Daten zurückzugreifen. Das wird dem Rechtsberater des Schuldners nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden können. Im Übrigen gilt wie bei den Verträgen im Drittinteresse, dass der Anwalt allein die Belange seines Mandanten wahrnehmen muss und Dritte regelmäßig keinen Schutz erwarten dürfen3. Wird den Verhandlungspartnern allerdings auf konkrete Fragen eine bewusst falsche Auskunft oder eine Auskunft ins Blaue erteilt, kommt eine deliktische Haftung auch des Anwalts unter dem Gesichtspunkt des § 263 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht (zur Betrugsstrafbarkeit des Schuldnerbetraters vgl. § 5 Rz. 57, 197 ff.). dd) Haftung als Sachwalter oder Verhandlungsgehilfe 31
Sanierungsverhandlungen stoßen regelmäßig auf großes Misstrauen der Gesprächspartner. Die Versuchung ist groß, für den Mandanten eine „Ehrenerklärung“ abzugeben. Sie reicht von subjektiven Aussagen zur persönlichen Integrität der Geschäftsführer über Erklärungen zu den tatsächlichen Verhältnissen bis hin zu der Versicherung, man habe die Sanierungschancen positiv geprüft, worauf sich die Gesprächspartner verlassen könnten. Scheitert die Sanierung, suchen die Gläubiger ihr „Glück“ in der Haftung des Beraters, der ihr Vertrauen enttäuscht hat.
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Soweit es unzutreffende Auskünfte anbetrifft, wurde soeben schon aufgezeigt, dass eine Haftung aus einem konkludent geschlossenen Auskunftsvertrag nur mit großer Zurückhaltung angenommen werden darf. Nicht anders verhält es sich mit der Haftung als Verhandlungsgehilfe. Zwar scheint einem enttäuschten Gläubiger § 311 Abs. 3 BGB auf dem ersten Blick Recht zu geben. Danach kommt ein Schuldverhältnis mit einem Verhandlungsgehilfen schon dann zustande, wenn er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch den Vertragsschluss gefördert hat. Dieses Vertrauen muss jedoch ein „besonderes“ sein. Es wird dem Anwalt des Schuldners regelmäßig nicht entgegen gebracht. Er ist Parteivertreter. Seine Aufgabe ist es nicht, die Interessen der Gegenseite zu wahren. Allein die Übernahme der Verhandlungs1 BGH v. 8. 12. 1998 – XI ZR 50/98, ZIP 1999, 275; BGH v. 13. 1. 2004 – XI ZR 355/02, ZIP 2004, 452. 2 BGH v. 13. 2. 1992 – III ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2082; BGH v. 15. 6. 1993 – XI ZR 111/92, NJW 1993, 3073, 3075. 3 Vgl. BGH v. 24. 1. 1978 – VI ZR 105/76, WM 1978, 576; BGH v. 13. 2. 1992 – III ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2083 zur Bonitätsauskunft des Anwalts im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen.
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Mandatssituation
§1
Rz. 33
führung, die stets einer gewissen Vertrauensbasis bedarf, genügt dafür ebenso wenig1 wie der Hinweis auf die eigene Sachkunde2. Ihrer bedarf es schon zur ordnungsgemäßen Auftragserledigung gegenüber dem eigenen Mandanten. Hinzu kommen muss deshalb ein Verhalten, das als Ausdruck der Übernahme persönlicher Gewähr für die Seriosität des Mandanten3 oder die ordnungsgemäße Durchführung der Sanierung4 gewertet werden darf. Die Haftung eines Unternehmenssanierers hat der BGH bisher nur einmal unter dem Gesichtspunkt der Sachwalterhaftung bejaht5. Auch in dieser Entscheidung aus dem Jahr 1990 betont der BGH jedoch, dass der Hinweis auf die besondere Sachkunde allein keine Haftung begründet. Der Urteilsfall wies jedoch die Besonderheit auf, dass der Sanierer die laufenden Geschäfte führte. Zudem hatte er durch Hinweise auf seine Sanierungserfolge besonderes Vertrauen in Anspruch genommen, obwohl er Zeugnisse darüber gefälscht hatte, wegen Betruges verurteilt worden war und die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Zu Recht hat der BGH gemeint, dass Derartiges nicht hätte verschwiegen werden dürfen. Dieses Urteil wird für die Anwaltshaftung wohl kaum relevant sein. Selbst für den Geschäftsführer hat der BGH 1994 die Haftungsvoraussetzungen erheblich eingeengt6. Danach reicht es nicht aus, dass er auf seine Sachkenntnis hinweist und am Erfolg der Sanierung großes (mittelbares) wirtschaftliches Interesse hat, etwa weil er der Gesellschaft Darlehen gegeben oder für deren Verbindlichkeiten gebürgt hat. Das Urteil erging zwar lange vor der Schuldrechtsreform. Nach der Begründung zum Entwurf des § 311 Abs. 3 BGB soll sich an den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen jedoch nichts ändern7. Auch wenn der Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB insbesondere auf die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens und die Beeinflussung von Vertragsverhandlungen abstellt, wird von der Rechtsprechung zusätzlich gefordert, dass der Verhandlungsführer ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse am Ergebnis haben muss8. Ein mittelbares Interesse wie z.B. die Vermeidung einer Bürgenhaftung reicht nicht aus, namentlich genügt es nicht, wenn der Anwalt nur sein eigenes Honorar retten will. Vielmehr müssen die Verhältnisse so liegen, dass der Vertreter gleichsam in eigener Sache handelt, die Gesellschaft also nur vorgeschoben wird. Bei einem Beratungsmandat sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Zurückhaltung bei der Annahme einer persönlichen Haftung des Sachwalters wird durch ein Obiter dictum des BGH in einem Urteil zur Insolvenzverwalterhaftung bestätigt. Allein die Aussage, die Zahlung aller Lieferungen und 1 2 3 4
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BGH v. 7. 12. 1992 – II ZR 179/91, ZIP 1993, 363. BGH v. 17. 10. 1989 – XI ZR 173/88, NJW 1990, 506. BGH v. 6. 2. 2003 – IX ZR 77/02, NJW RR 2003, 1064. Vgl. BGH v. 26. 9. 2000 – X ZR 94/98, NJW 2001, 360 zur Einstandspflicht für die ordnungsgemäße Abwicklung eines Vertrages; zur Haftung des Rechtsanwalts bei zusätzlicher Gewährsübernahme siehe auch BGH v. 9. 11. 1992 – II ZR 141/91, NJW 1993, 199; des Wirtschaftsprüfers BGH v. 26. 9. 2000 – X ZR 94/98, NJW 2001, 360; Henssler/ Dedek, WPK-Mitt. 2002, 278, 281. BGH v. 3. 4. 1990 – XI ZR 206/88, NJW 1990, 1907. BGH v. 6. 6. 1994 – ZR 292/91, BGHZ 126, 181. Vgl. Canaris, JZ 2001, 499 ff. Siehe Beispiele bei Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 311 Rz. 61.
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§1
Rz. 34
Schuldnerberatung
Leistungen sei gesichert, reiche noch nicht aus, um eine persönliche Haftung des Verwalters zu begründen. Vielmehr müsse er klar zum Ausdruck bringen, dass er eine über die gesetzliche Haftung hinausgehende Einstandspflicht übernehmen wolle1. Was für den Insolvenzverwalter gilt, muss erst recht für den Anwalt gelten, der vorrangig die Interessen seines Mandanten und nicht die des Verhandlungsgegners zu vertreten hat. ee) Praxishinweise 34
Wegen der Komplexität des Sachverhalts ist eine Krisenberatung haftungsträchtiger als ein Prozessmandat. Die Praxis zeigt, dass neben einer falschen Interpretation der Insolvenzgründe insbesondere Haftungstatbestände aus dem Gesellschafts-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht leicht übersehen werden. Aber auch die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Vermögensverfügungen und Verträgen kann sich anders darstellen, wenn ein Insolvenzverwalter den vom Berater gestalteten Sachverhalt später in Ruhe mit den ex post gewonnenen Erkenntnissen in einer Ausführlichkeit untersucht, die vorher bei der kurzfristig in der Drei-Wochen-Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG aufzustellenden Sanierungsplanung kaum möglich ist. Deshalb ist die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung sinnvoll2. Ferner sollte sowohl gegenüber dem Mandanten als auch den Verhandlungspartnern die Aufgabenverteilung klargestellt werden. Das gilt insbesondere, wenn der Anwalt nicht mit der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beauftragt ist, sondern seine Beratung auf die Angaben des Mandanten zu den tatsächlichen Verhältnissen stützt. Über die typischen Risiken kann der Mandant mit folgendem Zehn-PunkteMerkblatt aufgeklärt werden, dessen Aushändigung dokumentiert wird:
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Pflichten des GmbH-Geschäftsführers in der Krise 1. Ein Geschäftsführer ist verpflichtet, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Versäumt er die Frist, haftet er gegenüber den sogenannten Neugläubigern, die durch Lieferungen oder Leistungen nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist einen Schaden erleiden. 2. Zahlungsunfähigkeit ist eingetreten, wenn 10 % oder mehr der fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt werden können. Sie müssen noch nicht angemahnt oder gar vollstreckt worden sein. Nur die mit aller Sorgfalt gebildete und durch Fakten unterlegte Überzeugung, dass eine Zahlungsunfähigkeit innerhalb von drei Wochen seit ihrem Beginn beseitigt wird, ist eine die Antragspflicht nicht auslösende Zahlungsstockung. 3. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die Verbindlichkeiten nicht deckt. Dabei müssen auch die nicht fälligen Schulden und die Rückstellungen einbezogen werden. Sowohl für die Aktiva als auch für die Passiva 1 BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107, 1113. 2 Zu den Anforderungen s. Zugehör/Sieg, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. 2006, Rz. 424 ff.; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, § 51a; Ganter, WM 2001, Sonderbeilage 6, 28.
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Spliedt
Mandatssituation
§1
Rz. 35
sind nicht die handelsrechtlichen Buch-, sondern die tatsächlichen Verkehrswerte maßgebend. Abzustellen ist auf die jeweiligen Veräußerungserlöse (Liquidationswerte) der einzelnen Vermögensgegenstände. Fortführungswerte dürfen nur angesetzt werden, wenn die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist, insbesondere also auch die Zahlungsfähigkeit gewährleistet ist. Das ist in einem späteren Haftungsprozess vom Geschäftsführer zu beweisen. 4. Ein Geschäftsführer ist bei Anzeichen einer Krise zur ständigen Prüfung des Insolvenzgrundes verpflichtet. Prüfungsdurchführung und -ergebnis sollten dokumentiert und erläutert werden. Es wird empfohlen, bei komplexeren Verhältnissen Sachverständige heranzuziehen, die über sämtliche erheblichen Umstände informiert werden müssen. Selbst dann bleibt der Geschäftsführer zu einer Plausibiliätskontrolle verpflichtet. 5. Ab Eintritt des Insolvenzgrundes – nicht erst nach Ablauf der in Ziff. 1 genannten Antragsfrist – müssen die Geschäftsführer sämtliche Zahlungen und Verfügungen über Vermögensgegenstände unterlassen, die nicht unbedingt erforderlich sind, um das Aktivvermögen bzw. das Unternehmen zu erhalten. Dabei kommt es auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Vermögensminderung und dem Vermögensvorteil an. Insbesondere die Bezahlung von Verbindlichkeiten für bereits erfolgte Lieferungen oder Leistungen ist unzulässig, soweit nicht werthaltige Sicherungsrechte abgelöst werden. Die Zahlung darf auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Krise verheimlicht werden soll, um die Geschäftstätigkeit nicht zu erschweren. Zulässig ist beispielsweise der Einkauf von Rohstoffen zur Aufrechterhaltung einer – auch verkäuflichen – Produktion Die unter Verstoß gegen dieses Verbot geleisteten Zahlungen hat der Geschäftsführer persönlich zu erstatten, soweit sie nicht zur Vermeidung einer persönlichen Haftung für Sozialabgaben und Steuern gemäß der nachfolgenden Ziff. 6 und 7 getätigt werden. 6. Der Geschäftsführer haftet gegenüber dem Sozialversicherungsträger für die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung mit Ausnahme derjenigen, die während der in Ziff. 1 genannten Insolvenzantragsfrist fällig werden. Für die Haftung kommt es nicht darauf an, ob Löhne und Gehälter gezahlt werden. Es reicht aus, dass die Arbeitsleistung erbracht wird. 7. Gegenüber dem Fiskus trifft den Geschäftsführer eine persönliche Haftung, soweit er die fälligen Steuerschulden nicht im selben Umfang zahlt wie andere Verbindlichkeiten (Beispiel: Die fälligen Verbindlichkeiten betragen 100 000 Euro, an nützliche Gläubiger werden die „letzten“ 20 000 Euro gezahlt. Statt dessen hätte auch das Finanzamt mit ca. 20 % berücksichtigt werden müssen.). Für die Lohnsteuer haftet der Geschäftsführer in voller Höhe, soweit sie rechnerisch auf den ausbezahlten Lohn entfällt. Sind nicht genügend Mittel vorhanden, vermeidet er die Haftung nur, indem er Nettolohn- sowie Lohnsteuer um denselben Prozentsatz kürzt und die Steuer an das Finanzamt abführt. Gleiches gilt für andere Auszahlungen, von denen eine Steuer einzubehalten und abzuführen ist. Spliedt
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§1
Rz. 36
Schuldnerberatung
8. Eine Gesellschafterversammlung ist bereits dann einzuberufen, wenn das Reinvermögen der Gesellschaft die Hälfte des Stammkapitals unterschreitet. Maßgebend dafür sind – im Gegensatz zum Überschuldungsstatus – die handelsrechtlichen Buchwerte. Über danach eintretende wesentliche Entwicklungen müssen die Gesellschafter informiert werden. Die Geschäftsführer haben ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Auszahlungen an Gesellschafter sind i. d. R. auch schon vor Eintritt eines Insolvenzgrundes unzulässig. Das gilt auch für Zahlungen auf Darlehens- oder Nutzungsverträge, weil sie einen eigenkapitalersetzenden Charakter gewonnen haben können. Haben Gesellschafter Verbindlichkeiten der Gesellschaft durch Bürgschaft oder auf andere Weise besichert, sind die Gesellschafter vorsorglich aufzufordern, die Gesellschaft von diesen Verbindlichkeiten unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes zu befreien. 9. Die vorgenannten Verantwortlichkeiten treffen auch den ressortfremden Geschäftsführer. Jeder muss sich ständig vergewissern, ob die Gesellschaft ihren grundliegenden Pflichten nachkommt. Werden ihm Informationen vorenthalten, muss er zur Vermeidung der Haftung sein Amt niederlegen, falls die Gesellschafter in angemessen kurzer Frist keine Abhilfe schaffen. Besteht ein Insolvenzgrund, muss jeder Geschäftsführer auch ohne Mitwirkung der anderen einen Insolvenzantrag stellen. 10. Neben die zivilrechtliche Haftung tritt die strafrechtliche. Verstöße gegen die Pflicht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung bei Verlust des halben Stammkapitals oder zur fristgerechten Einreichung eines Insolvenzantrages sind strafbar. Die Inanspruchnahme eines Geld- oder Lieferantenkredits in Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit ist Betrug. Kapitalrückzahlungen an Gesellschafter können eine Untreue darstellen. Die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist regelmäßig strafbar. Vermögensgegenstände dürfen nicht verheimlicht und Gläubiger nicht begünstigt werden. Die Buchführungspflichten müssen eingehalten werden, es sei denn, dass die Hilfe externer Fachleute erforderlich ist und nicht mehr bezahlt werden kann. Diese Hinweise bieten nur eine erste Orientierung, die die Beratung im konkreten Einzelfall nicht ersetzt. Die Einzelheiten werden in den Rz. 30 ff. und in § 2 Rz. 18 ff. eingehend erläutert. b) Deliktische Haftung 36
In der Krise neigen einige Mandanten zur Handlungsunfähigkeit, so dass der Anwalt leicht in die Rolle des Entscheiders bis hin zum faktischen Geschäftsführer gedrängt wird. In dieser Situation kann er als unmittelbarer Täter sämtliche Straftatbestände erfüllen, die unter § 5 Rz. 7 ff. für den Schuldner bzw. dessen Geschäftsführer erläutert werden. Dem folgt die zivilrechtliche Haftung. Die schleichende Übernahme von Geschäftsführungsaufgaben ist für den Anwalt jedoch die Ausnahme. Berufstypisch relevant ist eher die Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB durch die Beteiligung an 18
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Mandatssituation
§1
Rz. 37
einer fremden Tat des Mandanten1. Im Vordergrund steht die Beihilfe zur Insolvenzverschleppung. Die Insolvenzantragspflicht des § 64 GmbHG bzw. entsprechender Vorschriften für die Organe anderer Gesellschaften ist strafbewehrt, § 84 GmbHG, und zugleich ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB2 (vgl. § 5 Rz. 211 ff.). Nach allgemeinen Grundsätzen reicht sowohl für die strafrechtliche3 als auch für die zivilrechtliche4 Haftung bereits eine psychische Beihilfe aus. Die zuständigen Staatsanwaltschaften prüfen in einem sprunghaft gestiegenen Umfang unter diesem Gesichtspunkt auch die Rolle der Anwälte. Zu einer Haftung kann nicht erst die Empfehlung führen, den Insolvenzantrag zu verzögern5, sondern schon die Unterstützung der Geschäftsführung beispielsweise in Sanierungsverhandlungen während dieses Zeitraumes. Ein Hinweis darauf, dass eine Überschreitung der Insolvenzantragsfrist allein im Risikobereich des Mandanten liegt, reicht nicht aus, wenn das mit dem Optimismus des vermeintlich erfolgreichen Anwalts verknüpft wird, man „kriege eine Sanierung trotzdem hin“. Andererseits muss dem Mandanten in dieser Phase nicht jede Unterstützung versagt werden. Hat er pflichtwidrig keinen Antrag gestellt und ergibt sich doch noch die Möglichkeit zu Verhandlungen mit den Gläubigern, muss der Anwalt seine Beteiligung nicht gänzlich ablehnen. Der BGH stellt an den Beihilfevorsatz strenge Anforderungen6. Die Abgrenzung zwischen psychischer Beihilfe zur Tat des anderen und der erlaubten Wahrnehmung eigener Beratungspflichten bleibt jedoch mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit7 verbunden. Dieses Risiko der strafrechtlichen Haftung strahlt auf das der zivilrechtlichen Haftung wegen der Beteiligung an einer Verletzung des § 64 Abs. 1 GmbHG als Schutzgesetz zugunsten derjenigen Gläubiger aus, die während des Verschleppungszeitraums neue Verluste erlitten haben. Strafrechtlich enden Anschuldigungen meist mit einem Strafbefehl, der de facto eine Präjudizwirkung für die zivilrechtliche Haftung entfaltet. Ein anderes typisches Haftungsrisiko ist die Teilnahme an einem Bankrottdelikt, namentlich im Zusammenhang mit Vermögensverlagerungen. Geschieht dies ohne Verschleierung und zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger in Form einer treuhänderischen Vermögensübernahme, ist das unbedenklich8. Zivilrechtlich fehlt es bereits an einem Schaden. Strafrechtlich fehlt es an einem Beiseiteschaffen i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 1, 288 Abs. 1 StGB9. Die Übertragung des Vermögens auf eine Auffanggesellschaft ist zwar ebenfalls nicht unbedingt ein Beiseiteschaffen. In der Praxis liegt ihr Zweck jedoch gerade darin, unbelastet von den alten Gläubigeransprüchen weiterzumachen, die übertragenen Vermögensgegenstände also dem Gläubigerzugriff zu entzie1 2 3 4 5 6 7
Überblick zu den strafrechtlichen Risiken bei Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff. Siehe unten § 2 Rz. 43 ff. BGH v. 24. 10. 2001 – 3 StR 257/01, NStZ 2002, 139. BGH v. 29. 10. 1974 – VI ZR 182/73, NJW 1975, 49. BGH v. 26. 6. 1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134. BGH v. 20. 9. 1999 – 5 StR 729/89, NStZ 2000, 34. Zur vermeintlichen Privilegierung „neutraler“ Beihilfehandlungen am Beispiel der Bankenhaftung vgl. Smid, ZIP 2006, 1973, 1974 ff. 8 OLG München v. 29. 8. 2000 – Ws 991/00, ZIP 2000, 1841. 9 Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283 Rz. 4: Beiseiteschaffen nur bei nicht ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung.
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§1
Rz. 38
Schuldnerberatung
hen. Fließt dafür unmittelbar ein gleichwertiger Kaufpreis in das Vermögen des Schuldners, ist das anfechtungs-, straf- und haftungsrechtlich unbedenklich, solange der Verkauf nicht deshalb erfolgt, um das Geld leichter den Gläubigern zu entziehen. Häufig ist jedoch schon die Gegenleistung weder äquivalent noch präsent. Statt dessen erhalten die Gläubiger des Schuldners nur einen „Hoffnungswert“ in Form des Kaufpreisanspruches gegen die Auffanggesellschaft, oder es werden in Anrechnung auf den Kaufpreis Verbindlichkeiten besonders nützlicher oder der dem Schuldner nahestehender Personen übernommen. In diesen Fällen steht nicht mehr nur ein Bankrottdelikt in Rede. Wenn z.B. der Auffanggesellschaft Vorteile ohne angemessene Vergütung eingeräumt werden, kann es sich bei personellen Verflechtungen um einen Verstoß gegen § 30 GmbHG in der übertragenden Gesellschaft handeln, weil solche Vorteile den Gesellschaftern zugerechnet werden. Da die Gesellschafter im Schutzbereich des § 30 GmbHG nicht über das Gesellschaftsvermögen disponieren dürfen, ist seine Verletzung zugleich eine Untreue i.S.d. § 266 StGB1 (s. § 5 Rz. 198). Selbst die Bilanzneutralität der Maßnahme, wenn der Schuldnerin ein Kaufpreisanspruch in angemessener Höhe gegen die Auffanggesellschaft eingeräumt wird, beseitigt den Verstoß gegen § 30 GmbHG nicht; denn eine Forderung gegen einen Gesellschafter bedeutet oft nur „funny money“. Ihre Realisierung hängt von der Bonität der Auffanggesellschaft ab. Ihre anderen Gläubiger können ebenfalls auf die übertragenen Vermögensgegenstände zugreifen. Plötzlich konkurrieren also die Gläubiger der schuldnerischen Gesellschaft indirekt mit denen der Auffanggesellschaft. Das soll durch § 30 GmbHG vermieden werden2. Etwas anderes könnte möglicherweise3 gelten, wenn der Kaufpreisanspruch im Vermögen der Auffanggesellschaft oder durch Dritte vollständig besichert ist. Das ist jedoch die Ausnahme. 38
Die Haftungsrisiken bei Vermögensverlagerungen sind nicht auf den bei der Schuldnerin eintretenden Verlust begrenzt. Mit dem „Bremer Vulkan“-Urteil4 hat der BGH die analoge Anwendung der aktienrechtlichen Konzernvorschriften auf die Haftung des GmbH-Gesellschafters endgültig aufgegeben und dies durch die Haftung für einen existenzvernichtenden Eingriff ersetzt. Relevant wurde das zuerst im „KBV“-Urteil5. Dort hatten die Gesellschafter Vermögensgegenstände auf eine ihnen (teilweise) gehörende Auffanggesellschaft übertragen, die als Gegenleistung einen Teil der Schulden übernahm. Zwischen dem Wert des Vermögens und der Schulden klaffte eine Lücke von 380 000 DM. Ein
1 „Bremer Vulkan“: BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. 2 BGH v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, DStR 2004, 427 zur Kreditgewährung an Gesellschafter; dazu Helmreich, GmbHR 2004, 457 ff.; Schilmar, DB 2004, 1411 ff.; Saenger/ Saenger, NZG 2004, 271 ff. 3 Ausdrücklich offen gelassen von BGH v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, DStR 2004, 427, 429; dazu Wessels, ZIP 2004, 793 ff. 4 BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. 5 BGH v. 24. 6. 2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024 = ZIP 2002, 1578.
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Mandatssituation
§1
Rz. 39
wenig später gestellter Insolvenzantrag wurde mangels Masse abgewiesen1. Nach Auffassung des BGH müssen die Gesellschafter nicht nur diese Lücke ausgleichen, sondern den Gläubigern unbeschränkt haften; denn der Gesellschaft sei unter Umgehung der Liquidationsvorschriften Vermögen entzogen und dadurch ihre Fähigkeit zur Erfüllung der Verbindlichkeiten gröblich beeinträchtigt worden. Die genauen Haftungsvoraussetzungen nach dieser Rechtsprechung sind umstritten2. Sie betrifft insbesondere die „kalte Liquidation“, also der Vermögensübertragung auf eine Auffanggesellschaft unter Hinterlassung einer insolventen Gesellschaftshülle. Die schlagwortartige Bezeichnung als Existenzvernichtungshaftung darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich nicht um eine Haftung für die Vernichtung der häufig längst schon gescheiterten Existenz der GmbH handelt, sondern um eine solche für Vermögensverlagerung (s. ergänzend § 2 Rz. 164 ff.). Die Haftung der Gesellschafter folgte beim existenzvernichtenden Eingriff bisher aus einer teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbH und wird nunmehr unter Beibehaltung der Haftungsvoraussetzungen auf § 826 BGB gestützt. Sie verlieren das Recht, sich auf das Privileg der Haftungsbegrenzung zu berufen. Zugleich kann in derartigen Vorgängen aber auch eine Untreue zu Lasten der Gesellschaft und eine sittenwidrige Schädigung der Gläubiger liegen3. Der Anwalt haftet dann für seine Beteiligung an derartigen Vorgängen gegenüber den Gläubigern gemäß §§ 826, 830, 840 BGB. Zwar muss der Gläubiger zur Kausalität zwischen Beratung, Vermögensentzug und Schaden vortragen. Zu berücksichtigen ist jedoch die sekundäre Behauptungslast der „Insider“ wie Geschäftsführer, Gesellschafter und Berater4. Gibt es für eine sittenwidrige Schädigung genügend Anhaltspunkte, ist es an dem beklagten Anwalt, dies substantiiert zu entkräften. Kann er den Schadensumfang nicht begrenzen, ist künftig zu befürchten, dass den Berater eine Schadensersatzpflicht in Höhe des vollen Gläubigeranspruchs trifft.
1 Das ist häufig auch das Ziel derartiger Maßnahmen, das in der Praxis aber selten eintritt. Bei „KBV“ war die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit evident. Es fehlte nicht nur an der Äquivalenz, sondern auch an der Unmittelbarkeit des Vermögenszuflusses für ein der Anfechtung entzogenes Bargeschäft. Eine die Verfahrenskosten deckende Masse wäre vorhanden gewesen, falls die Anfechtungsansprüche zumindest teilweise werthaltig gewesen wären. Zwar mag in diesem Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung die Liquidität gefehlt haben. Das aber steht einer Massekostendeckung nicht unbedingt entgegen, vgl. AG Hamburg v. 2. 2. 2000 – 67 c IN 157/99, NZI 2000, 140. 2 Siehe unten § 2 Rz. 164 ff. 3 BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803 lehnte im konkreten Fall § 826 BGB unter denselben Voraussetzungen wie die Existenzvernichtungshaftung ab, was auf die Identität der Tatbestandsvoraussetzungen hindeutet. 4 Vgl. hinsichtlich der Gesellschafter die nach wie vor noch gültigen Ausführungen des BGH im „TBB“-Fall, dem letzten Konzernhaftungsurteil, BGH v. 29. 3. 1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200.
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§1
Rz. 40
Schuldnerberatung
II. Insolvenzeröffnungsgründe 1. Bedeutung 40
Das Gesetz kennt die drei Insolvenz(eröffnungs)gründe der –
Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO,
–
drohenden Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO,
–
Überschuldung, § 19 InsO.
41
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist nur zulässig, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt, § 16 InsO. Zunächst einmal dient das dem Schutz des Schuldners; denn die Eröffnung stellt einen schweren Eingriff in seine Grundrechte dar. Er verliert die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein bestehendes und künftiges Vermögen, §§ 35, 80, 148 InsO. Ihn treffen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten1, §§ 97 ff. InsO. Sogar eine Postsperre kann in begründeten Fällen angeordnet werden.
42
Die abschließende Aufzählung der Insolvenzgründe dient des Weiteren dem Schutz vor gesellschaftsrechtlichen Sonderinteressen. So darf die Liquidation der Gesellschaft ohne Insolvenzgrund nur nach den dafür maßgebenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften durchgeführt werden, nicht aber durch einen eilig unter Umgehung der Gesellschafterversammlung gestellten Insolvenzantrag. Deshalb muss über einen Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit im Innenverhältnis analog § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG die Gesellschafterversammlung entscheiden (siehe unten Rz. 99 ff.). Und deshalb können ihn – anders als den Antrag wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – nur die in der erforderlichen Anzahl vertretungsberechtigten Personen stellen, § 18 Abs. 3 InsO.
43
Schließlich dient die Begrenzung der Insolvenzgründe dem Schutz der Gläubiger. Sie verlieren ihre Durchsetzungsbefugnis für die Forderungen, §§ 38, 87, 174 InsO (vgl. § 6 Rz. 278 ff.), und ihr Recht zur Verwertung von Sicherheiten, §§ 166 ff. InsO (vgl. § 7 Rz. 29 ff.). Außerdem sehen sich sich bei schwebenden Verträgen mannigfachen Gestaltungsrechten des späteren Verwalters ausgesetzt, §§ 103 ff. InsO (vgl. § 8 Rz. 10 ff.). All das gilt es, durch den Insolvenzgrund als Voraussetzung für die Verfahrenseinleitung zu vermeiden. Zwar eröffnet die drohende Zahlungsunfähigkeit dem Schuldner einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Aber zumindest konkurrierende Gläubiger werden davon abgehalten, über einen unberechtigten Insolvenzantrag die Rechtsverfolgung anderer zu erschweren.
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Die bei einem Insolvenzverfahren stattfindenden Eingriffe in die Rechtspositionen sowohl des Schuldners und seiner Gesellschafter als auch der Gläubiger dürfen mithin nur zulässig sein, wenn sie durch einen besonderen Grund legitimiert werden. Er liegt vor, falls eine Befriedigung sämtlicher Gläubiger entweder nicht zum geschuldeten Termin (Zahlungsunfähigkeit) oder voraus1 LG Potsdam v. 30. 5. 2002 – 5 T 124/02, ZInsO 2002, 885; BGH v. 18. 9. 2003 – IX ZB 75/03, NZI 2004, 21.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 47
sichtlich nicht in der geschuldeten Höhe (Überschuldung) erfolgen kann. Die Überschuldung kommt allerdings nur bei einer beschränkten Haftung in Betracht1, während die Zahlungsunfähigkeit der für alle Schuldner geltende Eröffnungsgrund ist. Wesentlich für das Verständnis der Insolvenzgründe ist, dass sie im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen müssen. Deshalb wird bei der Zahlungsunfähigkeit zu erörtern sein, ob ein nur vorübergehender Liquiditätsengpass oder eine Säumnis bei nur einem kleinen Teil der Verbindlichkeiten ausreicht. Ebenso ist diese Verhältnismäßigkeit bei der Überschuldung zu berücksichtigen. Zwar gibt es keine Insolvenzausnahme für nur ein „bisschen überschuldete“ Gesellschaften. Der Schwere des Eingriffs ist jedoch bei dem Verfahren zur Feststellung der Überschuldung Rechnung zu tragen. Eine Bewertung des Vermögens, bspw. das aus Vereinfachungsgründen bei den Buchwerten ansetzt oder die künftige Entwicklung unberücksichtigt lässt, wird der Bedeutung des Insolvenzgrundes als Legitimationsgrundlage für den Entzug der Verfügungsbefugnis nicht gerecht.
45
Eine Zwitterstellung hat der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Er verlangt keine akute Gläubigerbeeinträchtigung. Deshalb vermag er auch keine Insolvenzeröffnung gegen den Willen des Schuldners zu rechtfertigen. Hier steht der Sanierungsgedanke im Vordergrund, den der Gesetzgeber in § 1 InsO als ein Verfahrensziel festgeschrieben hat. Immerhin ist aber erforderlich, dass der Schuldner „voraussichtlich“ (§ 18 Abs. 2 InsO) nicht in der Lage sein wird, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
46
Das formaljuristische Verhältnis der drei Insolvenzgründe zueinander ist so, dass die Zahlungsunfähigkeit „allgemeiner Eröffnungsgrund“ (§ 17 Abs. 1 InsO) ist, der einen Gläubigerantrag gegen sowohl natürliche als auch juristische Personen zulässt. Die Überschuldung ist hingegen nur dort relevant, wo die Haftung auf ein Sondervermögen beschränkt ist (§§ 19 Abs. 1 und 3, 320 InsO). Das ist de facto zwar auch bei natürlichen Personen der Fall. Der Anwendung dieses Insolvenzgrundes nur auf juristisch beschränkt haftende Vermögensmassen liegt ein überkommener statischer Vermögensbegriff zugrunde. Die Überschuldung hielt man bei natürlichen Personen u.a. deshalb für kein Insolvenzkriterium, weil sie mit ihrer Arbeitskraft über die Quelle künftiger Wertschöpfung verfügen, die sie in die Lage versetzen könnte, ihre Verbindlichkeiten irgendwann einmal auszugleichen. Demgegenüber wurde die Ertragskraft eines Unternehmens als ein Kriterium der Vermögensbewertung über viele Jahrzehnte nicht akzeptiert. Bis vor ungefähr 25 Jahren war der so genannte Substanzwert in Rechtsprechung und Literatur der herrschende Bewertungsansatz2. Noch heute beeinflusst er die Überschuldungsdiskussion wesentlich.
47
1 Die Begrenzung dieses Insolvenzgrundes ist bei einer ökonomischen Betrachtung nicht nachvollziehbar; denn auch bei unbeschränkt haftenden Personen (Gesellschaften) gibt es eine Vermögensinsuffizienz, die es angezeigt erscheinen lässt, den Wettlauf einzelner Gläubiger um die beste Position im Wege der Einzelzwangsvollstreckung durch einen concursus creditorum unter dem Gebot der Gleichbehandlung zu ersetzen, vgl. K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, S. 57 ff. 2 Temme, Die Eröffnungsgründe der Insolvenzordnung, 1997, S. 129 ff.; Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1846 f.
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§1 48
Rz. 48
Schuldnerberatung
Die drohende Zahlungsunfähigkeit berechtigt nur den Schuldner, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Sie hat eine Brückenfunktion zwischen dem allgemeinen Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit und dem besonderen der Überschuldung. Jede Überschuldung impliziert eine (mindestens) drohende Zahlungsunfähigkeit, so dass auf diese Weise auch natürliche Personen mittelbar wegen Überschuldung das Verfahren einleiten können.
2. Zahlungsunfähigkeit a) Überblick, praktische Relevanz 49
„Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“, § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. Der Wortlaut ist auf den ersten Blick eindeutig. Für Irritation sorgt allenfalls Satz 2: „Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.“ Die Zahlungseinstellung ist mithin eine Indiztatsache („in der Regel“) für die Zahlungsunfähigkeit. Was aber ist der Unterschied, bedeutet doch schon die Zahlungsunfähigkeit nach Satz 1, dass der Schuldner zwangsläufig einige Zahlungen nicht leisten kann, also einstellen muss? Er liegt in der Außenwirkung. Die Zahlungsunfähigkeit ist ein schuldnerinternes Phänomen1, dessen Eintritt sich nur anhand der Geschäftsunterlagen ermitteln lässt. Demgegenüber ist die Zahlungseinstellung die nach außen hervorgetretene Zahlungsunfähigkeit2. Dafür genügt es nicht, dass der eine oder andere Gläubiger kein Geld erhält, solange es sich um keine wesentliche Verbindlichkeit handelt. Das ist die typische Situation der Einzelzwangsvollstreckung. Gesamtvollstreckungsrechtlich wird das erst relevant, wenn aus der Anzahl oder der Bedeutung der Verbindlichkeiten für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar ist, dass die Nichtzahlung keine Einzel-, sondern eine Gesamtwirkung hat3. Dann kann auch schon die Nichtzahlung einer einzigen Schuld, die für das Unternehmen oder die Geschäftsführer wegen der persönlichen Haftung insbesondere gegenüber Sozialversiche-rungsträgern oder dem Finanzamt von wesentlicher Bedeutung ist, eine Zahlungseinstellung bedeuten4.
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Rundschreiben an Gläubiger, in denen der Schuldner um Stundung und/oder teilweisen Erlass seiner Verbindlichkeiten bittet mit der Begründung, sie nicht zeitgerecht bzw. vollständig erfüllen zu können, sind eine deutliche Dokumentation der Zahlungsunfähigkeit5 bzw. gar der Zahlungseinstellung6. Der An1 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, EL April 2002, § 17 Rz. 8. 2 BGH vom 25. 1. 2001 – IX ZR 6/00, NZI 2001, 247, 248; Braun/Kind, InsO, 2. Aufl. 2004, § 17 Rz. 27 m.w.N.; OLG Hamburg v. 29. 12. 2003 – 11 W 90/03, GmbHR 2004, 798 f. 3 BGH v. 20.11. 2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2007, 87; v. 17. 4. 2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056; v. 12.10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; HK-InsO/Kirchhof, InsO, 4. Aufl. 2006, § 17 Rz. 26 ff. 4 BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056; v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 5 LG Berlin v. 3. 5. 2004 – 86 T 385/04, ZInsO 2004, 875. 6 BGH v. 12.10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; KG Berlin v. 26. 1. 2007 – 7 U 132/06, NZI 2007, 247.
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Spliedt
Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 54
walt hat den Schuldner darüber aufzuklären, dass jeder Gläubiger daraufhin problemlos einen Insolvenzantrag stellen kann. Die Bedeutung der Zahlungseinstellung als Manifestation der Zahlungsunfähigkeit liegt darin, dass sie zugunsten des Gläubigers eine Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes, zu seinen Lasten aber auch die insolvenzrechtliche Anfechtung des späteren Insolvenzverwalters (siehe § 10 Rz. 87 ff.) erleichtert. Für die Beratung des Schuldners ist sie ohne Bedeutung, wenn es um die Prüfung des Insolvenzgrundes geht; denn die Zahlungsunfähigkeit ist nicht nur wesentlich früher als die Zahlungseinstellung gegeben, sondern der Berater hat auch Einblick in die Geschäftsunterlagen. Die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung benötigt er deshalb nicht. Sie ist nur für außen stehende Gläubiger relevant, denen ein Einblick in die internen Verhältnisse regelmäßig verwehrt ist.
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Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn
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–
objektiv
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Zahlungspflichten
–
bei Fälligkeit nicht erfüllt werden können
–
und, so der ungeschriebene Zusatz, deshalb die Eröffnung des Insolvenzverfahrens angemessen ist.
b) Objektive Verhältnisse Das Merkmal der Objektivität bedeutet, dass es weder auf die Kenntnis noch auf den Willen des Schuldners ankommt1. Zahlungsunfähig ist auch derjenige, der es noch nicht weiß, derjenige hingegen nicht, der nur zahlungsunwillig ist, etwa weil er meint, dass er sich gegen eine Inanspruchnahme erfolgreich wehren kann.
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c) Zahlungspflichten aa) Keine anderen Leistungspflichten Das Merkmal der Zahlungspflicht schließt die nicht durch Zahlung zu erfüllenden Schulden aus2. Verbindlichkeiten auf Lieferungen oder Leistungen einschließlich Gewährleistungen bleiben unberücksichtigt. Ein Bauunternehmen beispielsweise kann noch zahlungsfähig sein, auch wenn es fällige Mängelbeseitigungen schon längst nicht mehr durchführen kann. Solange diese Verbindlichkeiten nicht in Zahlungspflichten übergegangen sind, mögen sie eine Überschuldung begründen, nicht jedoch eine Zahlungsunfähigkeit.
1 S. Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. 2 HK-InsO Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 17 Rz. 6.
Spliedt
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§1
Rz. 55
Schuldnerberatung
bb) Vorläufig titulierte Verbindlichkeiten 55
Nach einer verlorenen Instanz stellt sich häufig die Frage, ob die Zahlungsunfähigkeit allein daraus folgt, dass der Schuldner nach entsprechender Sicherheitsleistung des Gläubigers einen vorläufig vollstreckbaren Zahlungstitel nicht bedienen kann, auch wenn er – vermeintlich – zu Unrecht verurteilt wurde. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kommt es nur auf die „Zahlungspflicht“ an. Sie besteht unabhängig davon, ob ein Titel materiell-rechtlich zutreffend ist.
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Deshalb wurde in der Vorauflage die Auffassung vertreten, dass auch vorläufig vollstreckbare Zahlungstitel die Zahlungsunfähigkeit begründen können, sobald die Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sind, insbesondere also eine etwa erforderliche Sicherheitsleistung erbracht ist. Demgegenüber will Uhlenbruck1 zwischen materiell-rechlicher und vollstreckungsrechtlicher Fälligkeit unterscheiden. Auch wenn das vorläufig vollstreckbare Urteil dem Kläger einen Anspruch zubillige, stehe damit materiell-rechtlich keinswegs fest, dass dieser Anspruch auch tatsächlich existiere. Es werde lediglich eine vollstreckungsrechtlich formelle Fälligkeit fingiert. Daraus folge aber nicht, dass eine materiell fällige Verbindlichkeit existiere.
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Für eine Stellungnahme kommt es zunächst darauf an, ob aus der Vollstreckbarkeit überhaupt eine Zahlungspflicht folgt; denn gemäß § 803 Abs. 1 ZPO findet die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen durch Pfändung, also durch Belastung (Verstrickung) von Vermögensgegenständen statt, die anschließend verwertet werden, § 814 ZPO. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass ein vollstreckbarer Titel genauso wenig eine fällige Zahlungspflicht begründet wie eine Verbindlichkeit, die zur Erbringung einer Lieferung oder Leistung verpflichtet. Andererseits spricht auch Uhlenbruck von einer „formellen Fälligkeit“. Sehr plastisch hat das Landgericht Dresden den Vergleich zur Erbenhaftung gezogen. Zwar sei der Erbe persönlicher Schuldner, seine Haftung beschränke sich jedoch auf eine Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass, §§ 19, 75 BGB, 780 ZPO. Gleichwohl sei die Zahlungsunfähigkeit für den Nachlass ein Insolvenzgrund, § 320 InsO2. Also müsse ein Zahlungstitel auch dann die Zahlungsunfähigkeit beiführen können, wenn aus ihm nur die Zwangsvollstreckung in Vermögensgegenstände betrieben werden dürfe3.
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Allerdings ist diese Begründung nicht zwingend. Eine Zahlungspflicht des Erben als Schuldner ist trotz der auf den Nachlass beschränkten Haftung denkbar, so dass die Frage bleibt, ob diese Zahlungspflicht schon durch einen vorläufig vollstreckbaren oder erst durch einen rechtskräftigen Titel begründet wird. Die Antwort könnte dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO zu entnehmen sein. Danach kommt es für die Beurteilung der Liquidität nur auf die Zahlungspflichten an. Die von Uhlenbruck vertretene Differenzierung zwischen formeller und materieller Fälligkeit nimmt das Gesetz nicht vor. Nach dem Wortlaut 1 Uhlenbruck, ZinsO 2006, 338, 341. 2 Vgl. zur Antragspflicht § 1980 BGB. 3 LG Dresden v. 7. 3. 2005 – 5 T 889/04, ZIP 2005, 955, 957.
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Spliedt
Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 61
kommt es nur darauf an, ob gezahlt werden muss, egal aus welchem Grund. Die Zahlungspflicht aber wird durch das Urteil festgestellt, wenn auch nur vorläufig. Maßgebend sind die Fälligkeiten und nicht die Fälligkeitsgründe, was aus dem umgekehrten Fall deutlich wird, dass ein Aktivprozess vorläufig verloren geht. Auch dann fehlt es dem Gläubiger an den eingeklagten Zahlungsmitteln, was ihn zu einem Insolvenzantrag zwingen könnte. Gleichwohl ist Uhlenbruck unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Auffassung zu folgen. Das ergibt sich aus einem Vergleich mit der Situation beim Überschuldungsstatus1. Dort kommt es nämlich auf die Verkehrswerte der einzelnen Vermögensgegenstände an (vgl. Rz. 106 ff.). Rechtlich definierte Werte wie insbesondere die Bilanzansätze spielen keine Rolle. Dem entsprechend darf auch allein die Vollstreckbarkeit eines Titels die Höhe der Verbindlichkeit nicht definieren. Stets kommt es auf den wahren Wert an. Er ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 GmbHG) zu schätzen. Daraus folgt für die Zahlungsunfähgikeit: Käme es auf die Verkehrswertbetrachtung nur beim Überschuldungs- an, nicht hingegen beim Liquiditätsstatus, könnte es passieren, dass eine vorläufig vollstreckbar titulierte Verbindlichkeit zwar in dem einen nicht passiviert wird, gleichwohl in dem anderen aber zur Zahlungsunfähigkeit führt – ein nicht akzeptabler Wertungswiderspruch. Deshalb ist entscheidend, ob eine Zahlungspflicht unabhängig von dem noch nicht rechtskräftigen Titel besteht.
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Für diese Betrachtungsweise spricht schließlich auch die Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Gläubigerantrages. Es ist nicht der Sinn eines Insolvenzverfahrens, den Streit über eine Verbindlichkeit des Schuldners de facto durch die Verfahrenseröffnung zu entscheiden, wenn der Insolvenzgrund allein von dieser streitigen Verbindlichkeit abhängt. Vielmehr muss dann die Forderung vom antragstellenden Gläubiger bewiesen und nicht nur i.S.v. § 14 InsO glaubhaft gemacht werden2.
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Gegen eine Berücksichtigung streitiger Verbindlichkeiten im Liquiditätsplan mit dem Schätzwert lässt sich allerdings einführen, dass dadurch einer Insolvenzverschleppung Tür und Tor geöffnet wird. Um den subjektiven Entscheidungsspielraum zu reduzieren, schlagen Schmidt/Roth3 vor, streitige Verbindlichkeiten voll zu passivieren, wenn das schuldnerische Unternehmen ohnehin liquidiert werden müsse. Dann gebühre im Insolvenzverfahren der Vorzug vor dem außergerichtlichen Liquidationsverfahren, weil Manipulationen vermieden werden. Sei hingegen die Fortführung möglich, würde die volle Passivierung der streitigen Verbindlichkeit einen unangemessenen Vergleichsdruck auf den Schuldner ausüben, falls nur durch eine Vergleichszahlung die Insolvenz vermieden werden könne. Deshalb schlagen sie bei einer positiven Fortführungsprognose bestimmte Bewertungspauschalen je nach Prozessstand vor. Dem ist nicht zu folgen. Der Vorrang der Insolvenz vor der außergerichtlichen Liquidation ergibt sich weder aus dem Gesetz noch entspricht er dem grundrechtlichen Eigentumsschutz sowohl für Schuldner als auch für Gläubiger, de-
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1 Zu Rückstellungen für Prozessrisiken: Osterloh-Konrad, DStR 2003, 1631 ff., 1675 ff. 2 BGH v. 14. 12. 2005 – IX ZR 207/04, ZIP 2006, 247. 3 Schmidt/Roth, ZInsO, 2006, 236.
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§1
Rz. 62
Schuldnerberatung
ren Vollstreckungsmöglichkeiten beschnitten werden. Voraussetzung dafür ist ein Insolvenzgrund. Er darf nicht umgekehrt von der gewünschten Verfahrensart (Fortführung insolvenzfrei, Liquidation insolvenzgebunden) abhängig gemacht werden. Auch darf die sorgfältige Einschätzung der Prozessaussichten nicht durch Pauschalen ersetzt werden. Sie muss zwar auch das Prozessstadium berücksichtigen, z.B. weil ein neuer Vortrag in der nächsten Instanz ausgeschlossen sein kann. Das ist aber nur ein Kriterium neben anderen. Eine streitige Verbindlichkeit nur deshalb mit 10 % zu passivieren, weil es noch keinen Prozess gibt, macht keinen Sinn, wenn die Risiken gering sind. Das gilt selbst bei einer verlorenen I. Instanz. Also kann auch pauschal von vornherein verzichtet werden. Es bleibt bei der Einschätzung mit der auch für den Überschuldungsstatus maßgebenden Sorgfalt. 62
Somit ist eine Verbindlichkeit mit derselben Quote, mit der sie im Überschuldungsstatus angesetzt wird, auch bei den Auszahlungen im Liquiditätsplan zu berücksichtigen1. Existiert ein vorläufig vollstreckbarer Titel, kann die Bewertungsunsicherheit schnell verschwinden: Hat nämlich der Gläubiger so viel Vertrauen in dessen Bestand, dass er trotz der Haftungsgefahr aus § 717 Abs. 2 ZPO die Zwangsvollstreckung betreibt und auf diese Weise z.B. die Konten pfändet, kann als Folge die Zahlungsunfähigkeit eintreten. Jetzt ist es für den Schuldner nicht mehr zulässig einzuwenden, dass der Titel zu Unrecht ergangen sei und die Vollstreckungsmaßnahmen später aufgehoben werden würden; denn die Zahlungsunfähigkeit ist ein Factum, auch wenn sie zu Unrecht herbeigeführt wurde, sei es durch Zahlungsverweigerung eines Kunden, sei es durch Vollstreckung eines Gläubigers aus einem später aufgehobenen Titel. d) Fälligkeit
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Das Merkmal der Fälligkeit entsprach nach bisher überwiegender Ansicht in der Literatur demjenigen der §§ 271, 286 BGB2. Bei Schuldnern herrscht demgegenüber immer noch die Meinung vor, der Eröffnungsgrund erfordere eine finanzielle Notlage – und eine Not sei erst gegeben, wenn die Gläubiger drängen würden. Das war zwar lange Zeit konkursrechtliches Gemeingut, hat sich aber mit der InsO geändert. Eines ernsthaften Einforderns durch die Gläubiger bedarf es nicht3.
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Allerdings ist der BGH auch nicht den Stimmen gefolgt, die eine bloße Fälligkeit im zivilrechtlichen Sinn ausreichen lassen. Vielmehr fordert er zusätzlich den Willen des Gläubigers, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen4. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, dass der Gläubiger – wie unter der Konkursordnung – neben der Fälligkeit noch einmal ausdrücklich auf die Zahlungspflicht hin1 A.A., soweit es um einen nur quotalen Ansatz geht, Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338, 341 f. 2 HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 17 Rz. 9; Eilenberger in MünchKommInsO, 2001, § 17 Rz. 7. 3 BGH v. 25. 1. 2001 – IX ZR 6/00, ZIP 2001, 524; HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 17 Rz. 12. 4 BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 m. zust. Anm. von Erdmann, NZI 2007, 695; Tetzlaff, ZinsO 2007, 133.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 63c
weisen muss. Die Übersendung einer Rechnung beispielsweise genügt. Der BGH zieht die Grenze eher negativ: Nur der Gläubiger, „der in eine spätere oder nachrangige Befriedigung eingewilligt hat, darf … nicht berücksichtigt werden, auch wenn keine rechtlich bindende Vereinbarung getroffen worden ist …“1. Die zivilrechtliche Fälligkeit, die insbesondere für den Verzug und den Verjährungsbeginn erforderlich ist, bleibt von dieser insolvenzrechtlichen Betrachtung unberührt. Eine solche „insolvenzrechtliche Stundung“ kann sich auch aus den Umständen ergeben, z.B. aus einer ständigen Übung dahingehend, dass die zivilrechtliche Fälligkeit stets überschritten wird. Ist die Forderung aber fällig, bedarf es zur Vermeidung der insolvenzrechtlichen Fälligkeit eindeutiger Abreden, wie z.B. eines Stillhalteabkommens, auch wenn das keine zivilrechtliche Stundung sein muss, sondern der – noch nicht einmal bindende2 – Verzicht auf die zwangsweise Durchsetzung ausreicht3.
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Diese Rechtsprechung birgt für die Praxis erhebliche Gefahren4, zu groß ist die Versuchung bei Schuldnern, einen nachrangigen Willen des Gläubigers zu unterstellen. Als Ausnahme vom gesetzlichen Normalfall trägt der Schuldner dafür jedoch die Beweislast. Auch ist unklar, welche Qualitäten diese „insolvenzrechtliche Stundung“ haben muss. Im Ausgangsfall5 war der Insolvenzgrund dauerhaft – jedenfalls bis zum Ende des Verfahrens beim BGH – beseitigt worden. Haftungs- und anfechtungsrelevant wird das erst, wenn die Zahlungsunfähigkeit alsbald (wieder) eintritt. Nach ständiger Rechtsprechung wird die einmal gegebene Zahlungsunfähigkeit nur beseitigt, wenn der Schuldner die Zahlung im Allgemeinen wieder aufnimmt6. In quantitativer Hinsicht gehört dazu, dass die Liquidität ausreicht zur Befriedigung aller anderen Gläubiger, die keine „insolvenzrechtliche Stundung“ gewährt haben. Sie muss darüber hinaus auch tatsächlich zur Befriedigung dieser Gläubiger und nicht etwa des Stundungsgläubigers verwendet werden. Ob die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlung auch in zeitlicher Hinsicht nachhaltig sein muss, wie der 11. Zivilsenat für die Beseitigung einer Finanzierungskrise i.R.d. Eigenkapitalersatzrechts verlangt7, ist unklar. Da der BGH noch nicht einmal eine rechtliche Bindung verlangt, kann es erst recht nicht auf eine Mindestlaufzeit der „insolvenzrechtlichen Stundung“ ankommen. Nach der unten zur Zeitpunktilliquidität noch darzustellenden Entscheidung des BGH vom 24.5.2005 liegt eine insolvenzrechtlich unbeachtliche Zahlungsstockung vor, wenn eine Zahlungslücke spätestens innerhalb von drei Wochen beseitigt wird8. Dieser Zeitraum sollte bei einer wertenden Betrachtungsweise auch für die Beseitigung der Zahlungs-
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BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 Rz. 18. BGH v. 7.2.2008 – IX ZR 47/06. BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420. Tetzlaff, ZInsO 2007, 133. BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 166. BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, ZIP 2001, 2235; v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87; v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04. 7 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 229/03, ZIP 2005, 2016 zur Beseitigung der Unterbilanz. 8 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426; v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222.
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§1
Rz. 64
Schuldnerberatung
unfähigkeit durch eine „insolvenzrechtliche Stundung“ herangezogen werden. Tritt sie danach wieder ein, weil der Aufschub nur befristet ist, handelt es sich bis dahin um eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit. aa) „Zwangskredite“ der Lieferanten 64
Für die Praxis hat das enorme Auswirkungen. In einigen Branchen gehört es zum sozialadäquaten Verhalten, Zwangskredite der Lieferanten in Anspruch zu nehmen. Im Baugewerbe wird selten bei Fälligkeit gezahlt. Der Auftraggeber lässt seinen Auftragnehmer warten, der Auftragnehmer seinen Subunternehmer und dieser seine Lieferanten etc. Das geht häufig über Jahre gut, und erst ein über diese Zwangskreditlinie hinausgehender Liquiditätsbedarf wird als Zahlungsunfähigkeit interpretiert. Ob sich der Mandant trotz dieses sozialadäquaten Verhaltens später sagen lassen muss, dass er schon seit mehreren Jahren zahlungsunfähig ist und sich einer Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat, wurde höchstrichterlich noch nicht entschieden.
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Als einen Handelsbrauch im Sinne von § 346 HGB wird die Zwangskreditierung wohl nicht anzusehen sein; denn gemäß § 353 HGB werden vom Tage der Fälligkeit an Zinsen geschuldet, auf die ein Verzicht über die Fiktion der hinausgeschobenen Fälligkeit nicht unterstellt werden darf. Das gilt erst recht in Anbetracht der verzugsbegründenden Bedeutung der Fälligkeit gemäß § 286 Abs. 3 BGB.
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Dennoch sollte man auch unterhalb eines Handelsbrauchs für die Verhältnisse des Schuldners in langjähriger Übung unbeanstandete Zahlungsfristen akzeptieren1; denn das Insolvenzverfahren soll die Befriedigung der Gläubiger verbessern. Solange die Gläubiger aber de facto – trotz formaljuristisch eingetretenen Verzugs – noch keine Befriedigung erwarten, macht es keinen Sinn, das Verfahren durch eine enge Interpretation des Insolvenzgrundes aufzulösen2 in seinen grundlegenden Entscheidungen vom 24. 5. 20053 und 12. 10. 20064 will der BGH in Übernahme der konkursrechtlichen Handhabung nur die fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten berücksichtigen, ohne diese über den Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO hinausgehende Ergänzung zu erläutern. Ein Indiz gegen die Einforderung ist die Ausführung weiterer Lieferungen und Leistungen trotz fälliger Forderungen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt kann die sogleich noch darzustellende qualitative Geringfügigkeitsausnahme sein. Bis zu einer Entscheidung des BGH gilt für die Praxis jedoch vorsorglich, dass allein eine Stundung die Fälligkeit beseitigt5. Dabei ist gegenüber konkludenten Vereinbarungen Zurückhaltung geboten. Meist ist es nur die fehlende Mahnung, die der Mandant als konkludente Stundung missversteht.
1 HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 17 Rz. 9, 13, 41. 2 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, vor § 64 Rz. 13. So jetzt ausdrücklich BGH v. 19. 7. 2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666; v. 20. 12. 2007 – IX ZR 93/06, ZIP 2008. 3 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 4 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 5 HK-InsO-Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 17 Rz. 9 stellt auf die Verkehrsüblichkeit ab; IDW PS 800, S. 5.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 69
bb) Behördliche Schonfristen Behördliche Schonfristen wie bspw. im Steuerrecht diejenige gemäß § 240 Abs. 3 AO suspendieren die Fälligkeit nicht1. Sehr gefährlich ist die „technische Stundung“ des Finanzamtes. Ganz im Sinne des Wortes handelt es sich hierbei um eine Dateneingabe in den Computer, so dass keine automatischen Mahnungen an den Schuldner verschickt werden. Eine formelle Stundung gemäß § 222 AO stellt dies nicht dar2. Sie wäre ein Verwaltungsakt, der wegen verwaltungsinterner Zustimmungsvorbehalte bis – bei sehr hohen Forderungen – hin zum Finanzministerium von den Beteiligten gerne vermieden wird. Die „technische Stundung“ wird regelmäßig nur kurzfristig gewährt, insbesondere dann, wenn in den nächsten Tagen eine Steuererklärung eingehen soll, aus der sich eine Verrechnungsmöglichkeit mit Steuerschulden ergibt. Gelegentlich wird die „technische Stundung“ aber auch über Monate aufrechterhalten. Insbesondere bei politisch bedeutsamen Unternehmenskrisen kommen langfristige informelle „technische“ Umsatzsteuerstundungen schon einmal vor. Die technische Dauerstundung beseitigt die Fälligkeit nicht, weil nur auf das ernsthafte Einfordern (Mahnung), verzichtet wird.
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cc) Kontoüberziehung Eine typisches Problem bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung ist der überzogene Kontokorrentkredit. Für ihn ist die Abgrenzung zur konkludenten Kreditgewährung schwieriger als bei Forderungen der Lieferanten, denen regelmäßig kein Stundungswille unterstellt werden darf (oben Rz. 64). Die Bank kann jederzeit den Ausgleich einer Überziehung verlangen. Deshalb hat der BGH unter dem Gesichtspunkt der insolvenzrechtlichen Anfechtung auch keinen Zweifel daran gelassen, dass zur Rückführung der Überziehung an die Bank geleistete Zahlungen kongruente, dem fälligen Anspruch entsprechende Deckungen darstellen3 (siehe unten § 10 Rz. 60 ff. und 127 ff.).
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Noch nicht entschieden hat er bisher, wann eine geduldete Überziehung zu einer konkludenten Kreditvereinbarung wird. Konkret geht es darum, ab wann das Verhalten der Bank den Schluss zulässt, dass für die Rückführung des Überziehungskredits eine vorherige Kündigung erforderlich ist. Zwar ist in Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken bzw. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen keine Kündigungsfrist vorgesehen, wenn es an einer Laufzeitvereinbarung fehlt. Diese Regelung wird auch AGB-rechtlich trotz der – dispositiven – Dreimonatsfrist des § 489 Abs. 2 BGB für zulässig gehalten, weil die jeweiligen Vorschriften als Korrektiv ausdrücklich bestimmen, dass auf die Belange des Kunden Rücksicht zu nehmen ist4. Entscheidend für die Zahlungsunfähigkeit ist aber nicht die Länge der Kündigungsfrist, sondern allein die Tatsache, dass eine konkludente Erhöhung des Kreditrahmens erst nach einer Kündigung zurückgeführt werden muss und
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1 Umkehrschluss aus § 240 Abs. 1 AO, s. auch Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl. 2006, § 240 Rz. 27. 2 Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl. 2006, § 222 Rz. 39. 3 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812, 814. 4 Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, 19 AGB-Banken, Rz. 2; OLG Köln v. 22. 1. 1999 – 6 U 70/98, WM 1999, 1004.
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§1
Rz. 70
Schuldnerberatung
bis dahin keine fällige Zahlungspflicht besteht. Ein Kriterium für die Erhöhung der Kreditlinie ist die Dauer der Überziehung. Wer sie nur gelgegentlich und kurzfristig in Anspruch nimmt, sieht sie nicht als dauerhafte Kreditgewährung an. Umgekehrt ist es für die Bank überflüssig, jeweils eine Kündigung auszusprechen. Voraussetzung einer konkludenten Kreditvereinbarung ist also die regelmäßige Inanspruchnahme der höheren Linie über einen Zeitraum, der beim Kunden die berechtigte Erwartung weckt, erst nach einer Kündigung zur Rückzahlung verpflichtet zu sein1. Angesichts der Kürze der Kündigungsfrist kommt es für die Auslegung des Verhaltens der Bank darauf an, ab wann sie bei der Rückforderung auf die besonderen Belange des Kunden i.S.d. oben genannten Banken- bzw. Sparkassen-AGB Rücksicht nehmen muss. Dies wird man schon bei einer nachhaltigen Überziehung für die Dauer von 60 Tagen annehmen müssen2. Der Zeitraum könnte sogar kürzer sein, wenn die Bank nicht nur die Überziehung unbeanstandet lässt, sondern sogar noch weitere Verfügungen gestattet („Überziehung der Überziehung“). Natürlich ist ein entgegenstehender Wille der Bank zu berücksichtigen. Er muss aber ausdrücklich erklärt werden. Äußerungen des Kundenbetreuers wie „darüber müssen wir einmal reden“ reichen bei einer dauerhaft geduldeten Überziehung wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens nicht aus. Den zuständigen Bearbeitern des Kreditinstituts werden Überziehungen täglich gemeldet. Sie unterliegen standardisierten Handlungsanweisungen. Wird die Rückführung der Überziehung nicht deutlich verlangt, muss die Differenz zwischen der durchschnittlich nachhaltig in Anspruch genommenen und der ausdrücklich vereinbarten Linie nicht in die fälligen Zahlungen einbezogen werden. Im umgekehrten Fall der ausdrücklichen Kündigung des Kredites rechtfertigt es die Zulassung weiterer Verfügungen dagegen nicht, darin die Zurücknahme der Kündigung oder die Stundung der Rückzahlungspflicht zu sehen3. dd) Nachrangige Verbindlichkeiten (Eigenkapitalersatz) 70
Zu den zahlungspflichtigen Verbindlichkeiten gehören auch diejenigen, die im Insolvenzfall gemäß § 39 InsO einen Nachrang haben, es sei denn, dass ein Leistungsverweigerungsrecht besteht4. Ein solches Recht existiert bei eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen, für die analog §§ 30 f. GmbHG eine Rückzahlungssperre eingreift. Eine Rangrücktrittserklärung, die zur Vermeidung der Überschuldung erforderlich ist (siehe unten Rz. 208 ff.), ist nicht notwendig, um diese Verbindlichkeiten bei einer Betrachtung der Zahlungsfähigkeit auszuscheiden. Die unterschiedliche Behandlung im Vergleich zur Überschuldungsprüfung resultiert daraus, dass die Zahlungspflichten auf die formelle Fälligkeit abstellen. Sie ist im Schutzbereich der §§ 30 f. GmbHG nicht gegeben, während die Verbindlichkeit als solche nicht beseitigt wird5. Gesellschafterleistungen hingegen, die nur den Eigenkapitalersatzvorschriften 1 2 3 4 5
Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1144. Lwowski, FS Uhlenbruck, 2000, S. 229, 314. BGH v. 25. 1. 2001 – IX ZR 6/00, NZI 2001, 247, 248. Eilenberger in MünchKommInsO, 2001, § 17 Rz. 7. BGH v. 8. 1. 2001 – ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 237.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 72
der §§ 32a f. GmbHG unterfallen (siehe dazu Rz. 196 ff. und § 4 Rz. 119 ff.), müssen einbezogen werden; denn für sie gilt keine Durchsetzungssperre. Allerdings ist die unterschiedliche Behandlung in der Krise sehr selten. Zwar ist es denkbar, dass eine Gesellschaft zahlungsunfähig ist, während sie noch ein das Stammkapital übersteigendes Vermögen hat. Dann finden §§ 30 f. GmbHG (Rechtssprechungsregeln) keine Anwendung, sondern allenfalls die §§ 32a f. GmbHG (Novellenregeln). Regelmäßig ist es jedoch so, dass die Liquiditätsunterdeckung mit einer Unterbilanz (Reinvermögen zu Buchwerten < Nominalkapital), meist sogar mit einer Überschuldung (Reinvermögen zu Verkehrswerten < Verbindlichkeiten) korrespondiert. In beiden Konstellationen greifen die §§ 30 f. GmbHG analog ein: Die Gesellschafterdarlehen sind in derjenigen Höhe nicht zur Rückzahlung fällig, in der sie zur „Auffüllung“ des Vermögens bis zur Höhe des Nominalkapitals benötigt werden. Gleiches gilt für andere Gesellschafterleistungen wie insbesondere die Nutzungsüberlassung oder Lieferungen auf Kredit (siehe dazu § 4 Rz. 142 ff.). Voraussetzung ist allerdings stets, dass sie eigenkapitalersetzend sind. Das ist insbesondere bei kurzfristig abzuwickelnden Verkehrsgeschäften – der BGH1 nennt drei Wochen – nicht immer gegeben, wird aber bei seit längerem bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern und ihnen gleichgestellten Dritten2 in der Krise meist der Fall sein. Rangrücktrittserklärungen enthalten regelmäßig nur die Formulierung, dass die zurückgetretene Forderung aus einem die anderen Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögen im Rang nach § 39 Abs. 2 InsO zu bedienen ist. Sie zielen auf die Vermögens- und nicht die Liquiditätsverhältnisse ab. Sollte es ausnahmsweise einmal so sein, dass ein freies Vermögen vorhanden ist, aus dem die im Rang zurückgetretene Verbindlichkeit bedient werden muss, durch diese Zahlung aber eine Illiquidität eintreten würde, wird man die im Rang zurückgetretenen Verbindlichkeiten ausklammern dürfen; denn der Zweck der Rangrücktrittserklärung ist die Vermeidung der Insolvenz, die nicht über die „Hintertür“ der bei der Formulierung übersehenen Zahlungsunfähigkeit eingeführt werden soll.
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Das Eigenkapitalersatzrecht soll durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) neu gestaltet werden. Der Regierungsentwurf3 wurde am 23. 5. 2007 beschlossen. Danach soll § 30 GmbHG nicht mehr anzuwenden sein „auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Leistungen auf Forderungen von Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen.“ Ein die Fälligkeit beseitigendes Leistungsverweigerungsrecht kann auf die sogenannten Rechtsprechungsregeln, die auf eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen die Rückzahlungssperre des § 30 Abs. 1 GmbHG analog anwendet, nicht mehr gestützt werden. Andererseits soll dem jetzigen § 64 Abs. 2 GmbHG4, der die Masseerhaltungspflicht des Geschäftsführers nach Eintritt
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BGH v. 17. 7. 2006 – II ZR 106/05, ZIP 2006, 2130. Vgl. § 32a Abs. 2 GmbHG. Abrufbar im Internet unter www.bmjbund.de/files/-/2109/RegE %20MoMiG.pdf. Der dann als einziger Absatz verbleibt, weil die Insolvenzantragspflicht des jetzigen Abs. 1 in der InsO geregelt werden soll.
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§1
Rz. 73
Schuldnerberatung
eines Insolvenzgrundes regelt, um einen Satz 3 ergänzt werden. Er ordnet eine Erstattungshaftung des Geschäftsführers auch für den Fall an, dass durch Zahlungen an die Gesellschafter der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt wird. Durch diese „Hintertür“ wird das Leistungsverweigerungsrecht im Ergebnis wohl doch wieder eingeführt; denn dem Geschäftsführer kann keine Haftung zugemutet werden, wenn er sich ihr nicht entziehen kann. Diese Beurteilung wird gestützt durch § 19 Abs. 2 InsO der Entwurfsfassung. Danach sollen Gesellschafterdarlehen und dem gleichstehende Leistungen im Überschuldungsstatus nicht passiviert werden müssen, um ein Insolvenzverfahren nicht allein wegen der nachrangigen Gesellschaftergläubiger auszulösen. Das muss dann auch auf die Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzauslöser ausstrahlen. e) Geringfügigkeitsausnahmen 73
Das Merkmal der Geringfügigkeit ist dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO nicht zu entnehmen. Andererseits spricht das Gesetz auch nicht davon, dass der Schuldner „jede“ seiner fälligen Zahlungspflichten „sofort“ erfüllen können muss, um nicht als illiquide zu gelten. Dementsprechend heißt es in der Regierungsbegründung zur zeitlichen Komponente: „Dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründet, braucht im Gesetzestext nicht besonders zum Ausdruck gebracht zu werden; es versteht sich von selbst, dass ein Schuldner, dem in einem Zeitpunkt liquide Mittel fehlen – etwa, weil eine erwartete Zahlung nicht eingegangen ist –, der sich die Liquidität aber kurzfristig wieder beschaffen kann, im Sinne der Vorschrift ‚in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen’“1. Zur quantitativen Komponente, also zur Höhe der Unterdeckung, wird ausgeführt, auch hier sei es „selbstverständlich, dass ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“ 2.
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Das führt zu der Überlegung, ob der Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO durch Verhältnismäßigkeitserwägungen (oben Rz. 73 f.) einschränkend ausgelegt werden muss. Dafür kann zwischen zeitlicher, quantitativer und qualitativer Geringfügigkeit unterschieden werden. aa) Zeitliche Geringfügigkeit (Zahlungsstockung)
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Über die Ausfüllung dieser Kriterien gab es eine erhebliche Unsicherheit3 bis zum richtungsweisenden Urteil des BGH am 24. 5. 20054, an dem sich die Rechtsprechung seither orientiert5: Bei der zeitlichen Geringfügigkeit hält der 1 2 3 4 5
Begr. RegE, RWS Dok 18, 171. Begr. RegE, RWS Dok 18, 171. Vgl. die Nachweise in § 1 Rz. 52 ff. der Voraufl. BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZB 151/05, www.bundesgerichtshof.de/entscheidungen; v. 13. 6. 2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457; v. 27. 7. 2006 – IX ZB 204/04, ZIP 2006, 1957; v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; v. 21. 6. 2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469; BGH v. 23. 5. 2007 – 1 StR 88/07, juris; v. 19. 4. 2007 – 5 StR 505/06, juris; OLG Rostock v. 10. 7. 2006 – 3 U 158/05, ZinsO 2006, 1109; OLG Brdbg. v. 19. 7. 2006 – 7 U 90/05.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 77
BGH drei Wochen für ausreichend. Kann eine Zahlungsunfähigkeit während dieses Zeitraumes beseitigt werden, liegt eine bloße Zahlungsstockung vor, die keinen Insolvenzgrund darstellt. Wirtschaftlich rechtfertigt der Senat die Länge der Frist damit, dass sie ausreiche, um bei bestehender Bonität eine Liquiditätslücke durch eine (Bank-)Kreditaufnahme zu schließen. Die Praxis bestätigt diese Einschätzung zwar nicht. Der BGH war jedoch in der Zwickmühle, weil der Gesetzgeber mit der InsO den bisher für eine unbeachtliche Zahlungsstockung angesetzten Zeitraum verkürzen wollte. Unter Geltung der Konkursordnung wurde ein Monat noch als unschädlich angesehen. Mehr notgedrungen als inhaltlich überzeugend musste der BGH diesen Zeitraum auf drei Wochen reduzieren. Diese Frist entlehnt er aus der Insolvenzantragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG. bb) Quantitative Geringfügigkeit Aber nicht nur bei der wirtschaftlichen Geringfügigkeit befand sich der BGH in der Zwickmühle, sondern auch bei der Festlegung der quantitativen und qualitativen Geringfügigkeit; denn in der Regierungsbegründung1 wird ein starrer Prozentsatz ausdrücklich abgelehnt. Andererseits dient er der Rechtsicherheit, die gerade bei so wesentlichen Einschnitten wie der Insolvenzeröffnung dringend geboten ist. Der BGH behilft sich mit einer flexiblen Vermutungsregel, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles ergänzend berücksichtigt werden. Der zweite Leitsatz des Urteils vom 24. 5. 2005 lautet: „Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % bei fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.“ Zum umgekehrten Fall heißt es im dritten Leitsatz: „Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist“2.
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Das bedeutet:
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–
Eine Liquiditätsunterdeckung, gleich welcher Höhe, über einen Zeitraum von weniger als drei Wochen ist irrelevant.
–
Bei einer Unterdeckung von länger als drei Wochen ist der Schwellenwert von 10 % entscheidend.
–
Sind es weniger als 10 %, besteht Zahlungfähigkeit, falls keine Vergrößerung der Lücke „absehbar“ ist.
–
Sind es 10 % oder mehr, muss die Lücke „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ fast vollständig – also nicht nur bis auf 10 % – ge-
1 Begr.RegE., BT-Drucks. 12/2443, S. 114. 2 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426; Hervorh. d. d. Verf.
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§1
Rz. 78
Schuldnerberatung
schlossen werden können und den Gläubigern ein Abwarten zumutbar sein. Sonst besteht Zahlungsunfähigkeit. Jedes der vorgenannten Szenarien erfordert eine Prognose: Zunächst muss prognostiziert werden, ob eine Unterdeckung überhaupt länger als drei Wochen dauert. Wird das bejaht, muss geprüft werden, ob es nach Ablauf der drei Wochen mehr als 10 % sind. Wird auch das bejaht, bedarf es einer Prognose darüber, ob diese Lücke während eines den Gläubigern zumutbaren Zeitraums geschlossen wird. Dabei werden an die Prognosesicherheit hohe Anforderungen gestellt: Sie muss sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfüllen. Erfüllt sie sich nicht, wird ein Geschäftsführer Schwierigkeiten haben, die Prognosesicherheit später nachzuweisen. Da er sich auf eine Ausnahme von der Vermutung beruft, dass bei mehr als 10 % Zahlungsunfähigkeit gegeben ist, trifft ihn, so der BGH, die Beweislast. Sind es hingegen weniger als 10 %, ist es nicht der Geschäftsführer, der sich zur Absehbarkeit einer Vergrößerung der Lücke äußern muss, sondern derjenige, der sich auf die Zahlungsunfähigkeit beruft. cc) Qualitative Geringfügigkeit 78
Bei einer Liquiditätslücke ab 10 % ist, wie dargelegt, eine Zahlungsunfähigkeit auch dann zu verneinen, wenn sie sich erst nach mehr als drei Wochen schließt, falls den Gläubigern ein Abwarten zumutbar ist. Gemeint ist damit, dass in bestimmten Branchen wie z.B. der Bauwirtschaft, dem Fremdenverkehr oder bei Herstellern typischer Saisonartikel (Bademoden, Wintersportartikel) saisonnale Flauten von teilweise mehreren Monaten überbrückt werden müssen. Wer sich dort betätige, müsse, so der BGH, immer wieder mit Liquiditätsengpässen rechnen. Ob auch individuelle Umstände jedes einzelnen Gläubigers bei der Zumutbarkeit berücksichtigt werden müssen, erörtert der BGH nicht. Denkbar wäre z.B., dass der Gläubiger die Saisonabhängigkeit des Geschäftsbetriebes kennt, oder dass er selbst durch das Abwarten nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Eine solche Einzelfallbetrachtung ist für die Auslösung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens, bei dem die Gläubiger eine Solidargemeinschaft bilden, jedoch ungeeignet. Ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Zahlungsunfähigkeit vollständig wiederhergestellt wird, ist jedem Gläubiger ein Abwarten nur dann unzumutbar, wenn die Befriedigung im Insolvenzverfahren schneller erfolgen würde1. Mit einer Verteilung kann erst nach dem allgemeinen Prüfungstermin begonnen werden, § 187 InsO, der regelmäßig mit oder nach dem Berichtstermin stattfindet, § 29, Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 1 InsO. Vor dem Ablauf von drei Monaten ist eine (Abschlags-)Verteilung in der Praxis außerordentlich selten. Deshalb liegt es nahe, die Zumutbarkeit des Abwartens an diesen drei Monaten zu orientieren, und zwar für alle Gläubiger einheitlich. Voraussetzung ist nur, dass eine Beseitigung der Lücke – und zwar vollständig – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. In der Praxis wird das äußerst selten sein. 1 Vgl. BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426, unter III. 3. b) bb) der Entscheidungsgründe.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 82
Bei einer Unterdeckung von weniger als 10 % ist eine absehbare Vergrößerung dieser Lücke nur einer von mehreren „besonderen Umständen“, die es rechtfertigen, trotzdem eine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Da der BGH die Vermutungsregel gerade nicht als starre Grenze verstehen will, gibt es auch Raum für andere „besondere Umstände“. Als einen solchen hat es das OLG Rostock es angesehen, wenn über eine Zeitspanne von eineinhalb Jahren Sozialversicherungsbeiträge jeweils verspätet gezahlt werden, so dass stets ein Rückstandssaldo bleibt, auch wenn das Defizit bei sämtlichen Verbindlichkeiten der Schuldnerin kleiner als 10 % ist. Ein Unternehmen, dass dauerhaft eine geringfügige Liquiditätslücke aufweise, erscheine nicht erhaltungswürdig1. Ob das allerdings mit dem Grundsatzurteil des BGH im Einklang steht, ist zweifelhaft, weil der BGH eine unter 10 % bleibende Liquiditätslücke auch bei mehr als drei Wochen für akzeptabel hält. Warum ein Unternehmen dann nicht erhaltenswürdig sein soll, begründet das OLG Rostock nicht.
79
Eine vollständige Schließung der Lücke verlangt der BGH hingegen, wenn sie im Beurteilungszeitraum bereits den Schwellenwert von 10 % überschritten hatte. Warum es nicht ausreicht, dass der Schwellenwert wieder unterschritten wird, begründet der BGH nicht. Wahrscheinlich ist das auf die Rechtsprechung zurückzuführen, wonach eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit erst wieder beseitigt ist, wenn die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden2.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der BGH den Schwellenwert ausdrücklich nur als eine Vermutungsregel versteht. „Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist“ 3.
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In der Literatur wird diskutiert, ob die Zahlungsunfähigkeit eine Zeit- oder eine Zeitraumliquidität ist4. Da eine Prognose über die Liquiditätsentwicklung anzustellen ist, ist sie einerseits Zeitraumliquidität. Andererseits bedarf es der Prognose aber gerade deshalb, weil nicht erst in Ruhe abgewartet werden darf, wie sich die Verhältnisse tatsächlich entwickeln, sondern weil die Erwartungen auf den Zeitpunkt projeziert werden müssen, für den die Zahlungsfähigkeit ermittelt werden muss (Stichtag). Maßgebend ist allein dieser Zeitpunkt. Die Zahlungsunfähigkeit ist mithin eine stichtagsbezogene (prognostische) Zeitraumindiquidität. Auswirkungen hat das, wenn sich die Prognose später als unzutreffend erweist. Dann ist der Schuldner nicht etwa rückwirkend seit dem Stichtag im Rechtssinne zahlungsunfähig – vorausgesetzt natürlich, dass die Prognose mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt wurde – , sondern er ist es erst
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1 OLG Rostock v. 10. 7. 2006 – 3 U 158/05, ZinsO 2006, 1109. 2 BGH v. 25. 10. 2001 – IX ZR 17/01, ZIP 2001, 2235; v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87. 3 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 4 Häsemeier, InsR, 3. Aufl. 2003, 137 f.; Scholz/K.Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 63 Rz. 7; K.Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl. 2003, Rz. 819 m.w.N.
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§1
Rz. 83
Schuldnerberatung
ab dem Zeitpunkt, in dem sich der Irrtum herausstellt. Wird dann erwartet, dass sich die Lücke innerhalb von weiteren drei Wochen schließen lässt, wird das an der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit wohl nichts mehr ändern, weil man sonst die Insolvenzantragspflicht leicht umgehen könnte. Immerhin aber beginnt erst jetzt die dreiwöchige Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG bzw. die Masseerhaltungspflicht des § 64 Abs. 2 GmbHG. Diese von der Rechtsprechung bisher nicht abgesegnete Addition von Prognose- und Antragszeitraum von jeweils drei Wochen ist sinnvoll, weil bei positiver Prognose noch kein Insolvenzgrund und ohne Insolvenzgrund kein Anlass für Sanierungsmaßnahmen besteht. f) Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung 83
Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, wird die Zahlungsunfähigkeit vermutet, § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Eine Zahlungseinstellung liegt vor, wenn nach außen erkennbar wird, dass er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann1. Für die Beratung des Schuldners ist die Zahlungseinstellung ohne Bedeutung, weil Zugriff auf die internen Informationen über die Finanzlage besteht, so dass es keiner Vermutungsregel bedarf. Im Außenverhältnis erleichtert sie hingegen dem Gläubiger die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes. Außerdem hat die Zahlungseinstellung Bedeutung für die Kenntnis des Gläubigers bei der insolvenzrechtlichen Anfechtung, wobei es die Sonderregelung über die Umstandskenntnis in § 130 Abs. 2 InsO gibt. Sie geht über die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung hinaus, weil sie alle Umstände erfasst, die auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, ohne dass die Zahlungen bereits eingestellt worden sein müssen.
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In der Praxis kommt es kaum vor, dass ein Schuldner vor dem Eröffnungsantrag überhaupt keine Zahlungen mehr tätigt. Die Vermutungswirkung wäre überflüssig, wenn allein der totale Zahlungsstopp Voraussetzung für die Zahlungseinstellung wäre2. Vielmehr greift sie schon dann ein, wenn quantitativ3 oder qualitativ wesentliche Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllt werden4. Ein Gläubiger kann sich auf die Vermutungswirkung berufen, wenn auch nur eine einzige, für die Verhältnisse des Schuldners hohe oder wesentliche Verbindlichkeit nicht bezahlt wird5 (quantitativer Aspekt). Das OLG Celle6 hat diese Vermutungswirkung auch einer eidesstattlichen Versicherung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beigemessen. Gleiches gilt für erfolglose Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Kündigt, um ein anderes Beispiel zu nennen, die einzige Hausbank den Kredit, verlangt sodann von dem Schuldner die unverzügliche Tilgung und lässt keine Verfügungen mehr zu, wird sie regelmäßig wissen,
1 S. bereits Rz. 49. 2 Siehe dazu das Urteil des BGH v. 17. 5. 2001 – IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155 ff., allerdings noch zur KO, und BGH v. 20. 1. 2001 – IX ZR 487/01, ZInsO 2001 29 ff. 3 Vgl. BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 4 Begr. RegE, BT-Drucks, 12/2443, S. 114; darauf gestützt der BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 487/01, ZInsO 2002, 29 ff. 5 BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87. 6 OLG Celle v. 29. 10. 2001 – 2 W 114/01, ZInsO 2001, 1106.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 88
dass der Schuldner keine wesentlichen Zahlungen mehr tätigen kann1. Der qualitative Aspekt stellt auf die Bedeutung der unterlassenen Zahlungen ab2. Sie basiert auf der Überlegung, dass ein Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit nach außen i.S. einer Zahlungseinstellung dokumentiert, wenn er die zur Vermeidung einer persönlichen Haftung oder zur Aufrechterhaltung des Betriebes wesentlichen Verbindlichkeiten nicht bedient3. Ist er z.B. einem Einkaufsverband angeschlossen, der sein größter Lieferant ist, liegt eine Zahlungseinstellung vor, wenn er rückständige Schulden zur Abwendung eines Lieferstopps nicht begleichen kann. Ein anderes Beispiel ist die Nichtzahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, für die ein Geschäftsführer persönlich haftet, § 266a StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB4. Gleiches gilt für die persönliche Haftung bei Steuerverbindlichkeiten nach §§ 69, 380 AO, 26 a UStG. g) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit aa) Verfahren Die Zahlungsunfähigkeit ist, wie dargelegt, eine zeitpunktbezogene Zeitraumliquidität. Der Zahlungsmittelbestand im Beurteilungszeitraum ist um die prognostizierten Einzahlungen der nächsten drei Wochen zu ergänzen und zu den fälligen sowie während dieses Zeitraums erwarteten Auszahlungen ins Verhältnis zu setzen: Zahlungsmittelbestand þ Einzahlungen 21 Tage $ 100 > 90%? fallige ¨ und fallig ¨ werdende Auszahlungen 21 Tage
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Der BGH5 will zwar dem Wortlaut seines Urteils vom 24. 5. 2005 nach nur die am Stichtag „fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten“ berücksichtigen. Dann würden im Zähler neben dem Mittelbestand am Stichtag auch noch der Mittelzufluss im Prognosezeitraum erscheinen, im Nenner aber nicht die während dieses Zeitraumes hinzukommenden Verbindlichkeiten. Wegen des stets größeren Zählers würde das die Zahlungsfähigkeit stets zu gut abbilden. Zähler und Nenner müssen jedoch vergleichbar bleiben. Wird „oben“ der Zeitraum angesetzt, muss er es auch „unten“.
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Für die insolvenzrechtliche Liquidätsbestimmung können die Liquiditätsgrade in der betriebswirtschaftlichen Bilanzanalyse6 nicht verwendet werden. Die größte Übereinstimmung gibt es zwischen der insolvenzrechtlichen zeitpunktbezogenen Liquiditätskennziffer und der betriebswirtschaftlichen Liquidität
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1 BGH v. 27. 4. 1995 – IX ZR 147/94, ZIP 1995, 929, 930 f.; BGH v. 17. 1. 2002 – IX ZR 170/00, ZInsO 2002, 200: Das bloße „Einfrieren“ einer Kreditlinie reicht dagegen nicht aus. 2 Beispiele bei BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056, v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 3 BGH v. 17. 2. 2004 – IX ZR 318/01, ZIP 2004, 669, 671. 4 BGH v. 13. 6. 2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457; v. 10. 7. 2003 – IX ZR 89/02, ZIP 2003, 1666, 1669. 5 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426 unter II. 1. c); v. 12.10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 unter III. 1. a). 6 Überblick bei: Wöhe, Einf. in die Allg. Betriebswirtschaftslehre, 21. Aufl. 2002, 673, 1065 ff.
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§1
Rz. 89
Schuldnerberatung
1. Grades, die die Zahlungsmittel ins Verhältnis zu den kurzfristigen – nicht unbedingt schon fälligen – Verbindlichkeiten setzt. Die bilanzanalytische Liquidität 2. Grades ergänzt die Zahlungsmittel um die kurzfristigen Forderungen, die Liquidität 3. Grades zusätzlich auch noch um die Vorräte, während sich an den kurzfristigen Verbindlichkeiten als der jeweiligen Bezugsgröße nichts ändert. 89
Juristisch handelt es sich bei den in der Bilanzanalyse berücksichtigten Umständen um Indiztatsachen: Von bilanziellen Bestandsgrößen wird auf die Liquidität geschlossen, basierend auf der Annahme, dass die in einer Bilanz oder Summen- und Saldenliste ausgewiesenen kurzfristigen Forderungen auch realisierbar und Vorräte kurzfristig liquidierbar sind. Diese Prämisse ist in der Krise jedoch selten gerechtfertigt. Außerdem lassen die bilanzorientierten Liquiditätskennziffern die Wertschöpfung aus der laufenden Geschäftstätigkeit ebenso außer Betracht wie andere Möglichkeiten der Finanzmittelbeschaffung. Das fängt bei einer noch nicht ausgenutzten Kreditlinie an, geht weiter zur Veräußerung von Anlagevermögen (sale-and-lease-back) bis hin zur Außenfinanzierung durch Stundungen, Kredite, Gesellschafterdarlehen oder Kapitalerhöhung. All das kann nur in einem kurzfristigen Finanzplan abgebildet werden. Die Liquiditätskennziffern, die in den monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen wiedergegeben werden, bieten nur erste Anhaltspunkte. Auf sie mag in einem späteren Prozess über die insolvenzrechtliche Anfechtung oder Haftung wegen Insolvenzverschleppung als Indiz zurückgegriffen werden, wenn weitere Unterlagen der Schuldnerin verloren gegangen sind. Für die Krisenberatung mit einem Zugriff auf das Rechnungswesen und weitere Informationsquellen sind sie hingegen ungeeignet1. bb) Einzelheiten (1) Zahlungsmittelbestand
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Der am Stichtag vorhandene Zahlungsmittelbestand setzt sich aus allem zusammen, was nach der Verkehrsauffassung wie Bargeld behandelt wird. Dazu gehören Kassenbestand und Schecks ebenso wie Bankguthaben, Festgeld mit täglicher Kündigung und der noch nicht ausgeschöpfte Teil einer Kreditlinie2. Man spricht hier von Forderungen aus dem reinen Finanzbereich3. Zweckgebundene Mittel dürfen nur zur Bedienung der (künftigen) Verbindlichkeiten herangezogen werden, für die sie vorgesehen sind4. Damit darf keine Liquiditätslücke überbrückt werden. (2) Auszahlungen
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Für die Auszahlungen gilt Entsprechendes. Außer den fälligen Geldverbindlichkeiten jeder Art sind auch die fälligen Zahlungssurrogate einzubeziehen. Dazu gehören insbesondere unterwegs befindliche Schecks und Überweisun1 Zur Vorgehensweise bei der Liquiditätsprüfung der Finanzverwaltung: Maus, ZInsO 2004, 837 ff. 2 Harz, ZInsO 2001, 193, 196; Reck, ZInsO 2003, 929; Weber, ZInsO 2004, 66, 67 ff. 3 Eilenberger in MünchKommInsO, 2001, § 17 Rz. 13. 4 BGH v. 19. 4. 2007 – 5 StR 505/06, juris.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 94
gen, falls die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten schon als erfüllt gebucht wurden. Schulden, die nicht in Geld, sondern als Lieferung oder Leistung zu erfüllen sind, werden bei der zeitpunktbezogenen Liquiditätsprüfung nicht angesetzt. Vielmehr sind die für ihre Erfüllung erforderlichen Zahlungen erst bei der Zeitraumbetrachtung zu berücksichtigen. Ist beispielsweise bei den Zahlungseingängen der Verkaufspreis für eine Warenauslieferung enthalten, muss bei den Zahlungsausgängen der Einkaufspreis berücksichtigt werden, falls die Ware nicht im Lager ist. Ferner sind auch alle neuen, während 30 Tagen entstehenden oder fällig werdenden Auszahlungen einzubeziehen. Die hierfür relevanten Zahlungspflichten und Fälligkeiten wurden oben erläutert. Diejenigen Verbindlichkeiten, die nach ständiger und unbeanstandeter Geschäftspraxis erst nach der formellen Fälligkeit beglichen werden, sind mit der üblichen Frist anzusetzen. Allerdings ist auf eine Prognosekontinuität zu achten. Auszahlungen unter Hinweis auf die Üblichkeit nach hinten zu verschieben, das Gleiche aber bei den erwarteten Einzahlungen zu unterlassen, führt zu Ermittlungsfehlern.
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(3) Zahlungsprognose Die für die Folgezeit erwarteten Ein- und Auszahlungen beruhen naturgemäß auf einer subjektiven Schätzung. Sie muss nachprüfbar sein, um die Feststellung des Insolvenzgrundes nicht der Willkür preiszugeben1. Zwar führen konkrete Prozentsätze für die Eintrittswahrscheinlichkeit leicht zu einer Scheingenauigkeit. Der Ausnahmecharakter einer Zahlungsstockung verlangt aber zumindest, dass die erwarteten Zahlungseingänge voraussichtlich stattfinden2. Zum Streit kommt es erst im Nachhinein, wenn die Insolvenz nicht vermieden werden konnte. Dann stellt sich die Frage, ob der Schuldner in vertretbarer Weise einen letztlich doch ausgebliebenen Zahlungseingang für überwiegend wahrscheinlich halten durfte. Theoretisch richtig wäre es zwar, mit mehrwertigen Prognosen zu arbeiten, weil die Entwicklung von vielen sich in unterschiedlicher Weise gegenseitig beeinflussenden Faktoren abhängt3. In der Krisenberatung drängt jedoch die Zeit. Jede zusätzliche Prüfungshandlung schadet durch die damit verbundene Verzögerung mehr, als dass sie nutzt. Deshalb reicht eine zweiwertige Prognose über die überwiegend wahrscheinliche und die nicht überwiegend wahrscheinliche Entwicklung aus4.
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Somit sind bei den Zahlungsmitteln anzusetzen:
94
–
Forderungen des Finanzbereichs,
–
Forderungen aus schwebenden Geschäften,
–
sonstige liquidierbare Aktiva,
–
erwartete Einnahmen aus Neugeschäften, sofern sie innerhalb von 21 Tagen mit überwie-gender Wahrscheinlichkeit zu Einzahlungen führen.
1 2 3 4
Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 111 ff.; Bork, ZIP 2000, 1709, 1712. Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 111 ff. („hinreichende Sicherheit“). Groß/Amen, Wpg 2002, 433; Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56, 60. Harz, ZInsO 2001, 193, 198 f.
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§1
Rz. 95
Schuldnerberatung
cc) Muster 95
Die Ermittlung der Zahlungsfähigkeit vollzieht sich in drei Stufen1. Die erste Stufe ist die Erstellung eines Finanzstatus, in dem die gesamte Liquidität einschließlich der nicht ausgeschöpften Kreditlinien zu einem bestimmten Stichtag erfasst wird. Um die Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsstockung abzugrenzen, muss in einem zweiten Schritt die weitere Entwicklung dieser Anfangsliquidität betrachtet werden. Das geschieht mit Hilfe des Finanzplanes. Die Basis des Finanzplanes ist ein Unternehmenskonzept, in dem die wirtschaftliche und technische Ausrichtung des Unternehmens definiert wird2. Dazu gehören z.B. Umsatz- und Kapazitätsplanungen, Deckungsbeitragsrechnungen, Investitionspläne etc. Das Unternehmenskonzept und die Finanzplanung stehen im Wechselverhältnis zueinander. Das eine muss jeweils an das andere angepasst werden; denn es hat keinen Sinn, ein Szenario zu entwickeln, das nicht finanzierbar ist, wie umgekehrt die durch die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit bedingten Restriktionen das Unternehmenskonzept verändern. Insofern ist das Unternehmenskonzept eine verbale und rechnerische Darstellung der Prämissen, auf denen die letztlich getroffene Aussage über die Zahlungsfähigkeit beruht.
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In Ergänzung zum IDW Prüfungsstandard „Empfehlungen zur Prüfung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen“3 (vgl. auch § 4 Rz. 244) kann die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach folgendem Muster erfolgen: Anfangsbestand
Wochen
Summen
1|2|3|4 I. Anfangsbestände 1. Zahlungsmittel 1.1 Kasse 1.2 Bankguthaben 1.3 Eingangsschecks 2. Sofort liquidierbare Vermögensgegenstände (z.B. Anleihen) 3. Offene Kreditlinien 3.1 Bank A 3.2 Bank B 4. Summe Anfangsbestände
1 Ein anderes Beispiel bei Drukarczyk in MünchKommInsO, 2001, § 18 Rz. 20 ff. 2 Bork, ZIP 2000, 1709, 1711. 3 IDW PS 800 v. 22. 1. 1999, Wpg 1999, 250 ff.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 96
Anfangsbestand
Wochen
Summen
1|2|3|4 II. Einzahlungen 1. aus Forderungsinkasso 2. aus laufendem Geschäftsbetrieb 2.1 Barverkäufe 2.2 Leistungen auf Ziel 2.3 Anzahlungen 3. aus Desinvestitionen 3.1 Anlagenverkäufe 3.2 Auflösung von Finanzinvestitionen 4. aus Finanzerträgen 4.1 Zinserträge 4.2 Beteiligungserträge 5. Summe Einzahlungen III. Auszahlungen 1. für den laufenden Geschäftsbetrieb 1.1 Gehälter/Löhne 1.2 Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe 1.3 Steuern/Abgaben 2. für Investitionen 2.1 Sachinvestitionen Ankäufe Vorauszahlungen Restzahlungen 2.2 Finanzinvestitionen 3. im Rahmen des Finanzverkehrs 3.1 Kredittilgung 3.2 Akzepteinlösung 3.3 Eigenkapitalminderungen (z.B. Privatentnahmen) 3.4 Zinsen 4. Summe Auszahlungen IV. Ermittlung der Überbzw. Unterdeckung durch I + II ./. III
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§1
Rz. 97
Schuldnerberatung
Anfangsbestand
Wochen
Summen
1|2|3|4 V. Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen 1. Bei Unterdeckung (Einzahlungen) 1.1 Kreditaufnahme 1.2 Eigenkapitalerhöhung 1.3 Rückführung gewährter Darlehen 1.4 zusätzliche Desinvestitionen 2. Bei Überdeckung (Auszahlungen) 2.1 Kreditrückführung 2.2 Anlage in liquiden Mitteln VI. Zahlungsmittelbestand am Periodenende unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen Das Finanzplanmuster des IDW Prüfungsstandards sieht ergänzend eine tageund eine monatsweise Erfassung vor. Eine tageweise Planung führt zu Scheingenauigkeiten, weil ein Unternehmen in der Krise regelmäßig keinen eigenen Liquiditätsspielraum mehr hat, sondern von dem Einzahlungsverhalten Dritter abhängig ist, das nicht taggenau prognostiziert werden kann. Eine Erfassung der Monatszeiträume ist nur von Bedeutung für die Ermittlung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als dem fakultativen Insolvenzgrund. h) Praxishinweise 97
Für größere Unternehmen empfiehlt sich die Verwendung eines Unternehmensplanungsprogramms, bei dem nicht nur die Daten des Liquiditätsplanes miteinander verknüpft sind, sondern auch eine automatische Querverbindung zur Plan-GuV sowie Plan-Bilanz gezogen wird.
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Die Erfahrung zeigt, dass der Mandant eine Zahlungsunfähigkeit frühestens annimmt, wenn er massiv eingeforderte Verbindlichkeiten nicht bezahlen kann. Dann ist es in der Regel zu spät. Jede anwaltliche Beratung führt zu einer Verzögerung des Insolvenzantrages und – für Organe juristischer Personen – meist auch zur persönlichen Haftung bis hin zur strafrechtlichen Verantwortung. Der Mandant sollte nachweisbar über die restriktive Handhabung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit informiert werden (s. Merkblatt Rz. 35). 44
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 102
3. Drohende Zahlungsunfähigkeit a) Praktische Relevanz Ein „Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen“, § 18 Abs. 2 InsO. Dieser Eröffnungsgrund ist im Zusammenhang mit dem Ziel des Gesetzgebers der InsO zu sehen, die Rahmenbedingungen für ein insolvenzrechtliches Reorganisationsverfahren zu schaffen (vgl. § 1 Satz 1 a.E. InsO), dessen möglichst frühzeitige Einleitung die Erfolgschancen einer Sanierung erhöht.
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b) Maßgebender Betrachtungszeitraum Über die Tatbestandsvoraussetzungen herrscht Unsicherheit. Höchstrichterliche Entscheidungen gibt es noch nicht, weil niemand von dem Antragsrecht wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Gebrauch macht – und wenn, würde das kaum zum Streit führen. Man ist sich zwar einig, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit natürlich eine Zeitraumilliquidität ist1. Aber schon bei der Länge des Zeitraumes und den berücksichtigungsfähigen Zahlungspflichten scheiden sich die Geister. Die Ursache ist der Gesetzeswortlaut, der auf die „bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit“2 abstellt. Daraus wird geschlussfolgert, der Prognosezeitraum erstrecke sich bis zu dem Datum, an dem die zuletzt fällig werdende Verbindlichkeit bezahlt werden müsse3. Dies können mehrere Jahre sein. Das ist zu lang: Der Zahlungsmittelbestand ist ein Saldo, der von der Entwicklung sämtlicher Aktiva genauso abhängt ist wie von derjenigen sämtlicher Passiva. Maßgebend für den Prognosezeitraum kann deshalb nur die Überlegung sein, bis zu welchem Termin sich die Entwicklung sämtlicher Aktiva und Passiva noch voraussehen lässt. Die Laufzeit nur einer einzigen langfristigen Verbindlichkeit ist kein geeignetes Kriterium für die Länge des Prognosezeitraumes.
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Ebenfalls auf den Gesetzeswortlaut gestützt wird die Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Schulden auf die schon begründeten Verbindlichkeiten4. Auch dem kann nicht gefolgt werden. Ein Insolvenzverfahren betrifft den Rechtsträger mit all seinen bei der Eröffnung vorhandenen Aktiva und Passiva. Wenn die Liquidität künftig nicht ausreicht, spielt es keine Rolle, ob das an den schon am Prognosestichtag bestehenden oder an den künftig (zwangsläufig) hinzukommenden Schulden liegt.
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Daraus folgt: Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist anhand der unternehmensinternen Liquiditätsplanung zu ermitteln. Die einzige insolvenzrechtliche Anforderung ist, dass sie „voraussichtlich“ eintreten wird, also mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 %. Betriebswirtschaftlich erstreckt sich die kurz-
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1 Harz, ZInsO 2001, 193. 2 Hervorhebung d. Verf. 3 Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, Stand 2006, § 18 Rz. 11; Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 164 ff. 4 Burger/Schellberg, BB 1995, 261, 264; Burger/Schellberg, KTS 1995, 563, 567 f.; Jäger, DB 1986, 1441, 1446.
Spliedt
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45
§1
Rz. 103
Schuldnerberatung
fristige Finanzplanung üblicherweise auf einen Zeitraum von etwa einem Jahr1. 103
Zwar kann sich eine Krisenentwicklung schon Jahre vor dem Eintritt eines Insolvenzgrundes abzeichnen2. Dem wird man jedoch durch eine außergerichtliche Sanierung begegnen3. Die Hilfe des Insolvenzrechts werden die Schuldner frühestens dann in Anspruch nehmen, wenn sich konkret abzeichnet, dass die außergerichtliche Sanierung zu scheitern droht. In der Praxis werden das, außer bei Saisonbetrieben, Prognosezeiträume von höchstens sechs Monaten sein. Wer innerhalb eines noch längeren Zeitraumes nicht in der Lage ist, seine Vermögenswerte in dringend benötigte Liquidität umzusetzen, um der drohenden Zahlungsunfähigkeit frühzeitig entgegenzuwirken, ist meist schon vorher überschuldet. c) Praxishinweise
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Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist zwar regelmäßig nur ein vorgeschobener Insolvenzgrund; denn kein Schuldner möchte sich mit der Angabe einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit in die Nähe der Insolvenzverschleppung rücken. Mittlerweile nehmen aber die Reorganisationsverfahren in der Kombination von Insolvenzplan und Eigenverwaltung zu (zu dem dann bestehenden Beratungsbedarf vgl. § 13). Hierfür kann sich die drohende Zahlungsunfähigkeit als ein wichtiger Eröffnungsgrund erweisen, wie umgekehrt die Insolvenzverschleppung wegen der in § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO erwähnten Nachteilsbesorgnis ein Hinderungsgrund für die Eigenverwaltung ist. Angesichts großer Haftungsgefahren (§ 2 Rz. 41 ff.) und Anfechtungsrisiken (§ 10 Rz. 118 ff.) für Maßnahmen in der Krise außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist immer zu prüfen, ob ein frühzeitiger Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit sinnvoll ist.
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Er ist ein durchaus geeignetes taktisches Kalkül, um dissentierende Gläubiger in eine Sanierung einzubinden. Das gilt bei einem bestandsgefährdenden Gerichtsprozess, der bereits in einer Instanz verloren wurde oder zu verloren werden droht4, genauso wie bei bestandsgefährdenden Dauerschuldverhältnissen, die dem Erfüllungswahl- oder Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegen. Zwar hat die Nichterfüllung Schadensersatzpflichten zur Folge. Diesbezüglich ist der Vertragspartner jedoch nicht mehr Neugläubiger, sondern (alter) Insolvenzgläubiger und als solcher mit allen anderen gleich zu behandeln. Das erleichtert eine Verständigung erheblich5.
1 Wöhe, Einf. in die Allg. Betriebswirtschaftslehre, 21. Aufl. 2002, 672. 2 Wirtschaftsprüfer-Handbuch Bd. II, 11. Aufl. 1998, Abschn. F Rz. 30. 3 Aus diesem Grund und wegen der Weite des Überschuldungsbegriffs (dazu unter Rz. 106 ff.) sehen K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, S. 45, und Schüppen, DB 1994, 197, 200, keine große praktische Relevanz der drohenden Zahlungsunfähigkeit. 4 Uhlenbruck, ZinsO 2006, 338, 342. 5 Zur außergerichtlichen versus gerichtlichen Sanierung aus Sicht von Schuldner, Berater und Gläubigern: Ehlers, ZinsO 2005, 169, 170 ff.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 108
4. Überschuldung a) Überblick, praktische Relevanz Während die Zahlungsunfähigkeit der allgemeine Eröffnungsgrund für alle Schuldner ist, kommt die Überschuldung nur bei juristischen Personen zur Anwendung, § 19 Abs. 1 InsO. „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt“, § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO. Ein solcher Aktiva-Passiva-Vergleich ist aus der Handelsbilanz geläufig: Hier wie dort stellen sich die Fragen nach den berücksichtigungspflichtigen Vermögensgegenständen (Mengengerüst) und – vor allem – nach ihrer Bewertung. Zu ihr heißt es in § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO: „Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.“
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In der Praxis ist die Überschuldung meist offenkundig. Regelmäßig ist es erst der Druck von außen, der den Schuldner veranlasst, anwaltlichen Rat einzuholen. Dann sind längst Verbindlichkeiten in einer das Vermögen übersteigenden Höhe aufgelaufen. Insbesondere aber bei der rechtzeitigen Beratung großer Unternehmen kann die Überschuldungsprüfung kompliziert sein. Ansonsten werden die nachfolgend dargestellten Einzelheiten erst relevant, wenn nach der Eröffnung des Verfahrens Ansprüche gegen die Organe wegen Insolvenzverschleppung oder gegen die Gesellschafter wegen der Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen geltend gemacht werden. Dann ist ein reichhaltiger „Argumentationshaushalt“ der in Anspruch Genommenen sehr wichtig.
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b) Mögliche Bewertungsmethoden aa) Bilanzwerte Der von jedem Kaufmann regelmäßig erstellte Vermögensvergleich ist die Handelsbilanz. Sie ist zwar nach wie vor als Krisensignal wichtig. Insbesondere kann sie einer der Anlässe sein, die Überschuldung eingehend zu prüfen. Auf sie kommt es auch an, wenn es um die Anzeige geht, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist, § 49 Abs. 3 GmbHG. Ansonsten besteht Einigkeit, dass sie wegen der Standardisierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung eine gesonderte Überschuldungsbilanz nicht ersetzt1. Insolvenzrechtlich geht es um die Prüfung, ob die Gläubiger aus dem Vermögen des Schuldners befriedigt werden können. Dafür kommt es auf die Verkehrs-, nicht auf die Buchwerte an. Die Überschuldungsbilanz kann jedoch aus der Handelsbilanz entwickelt werden2.
1 BGH v. 18. 12. 2000 – II ZR 191/99, ZIP 2001, 242, 243 m.w.N. zur st. Rspr.; BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 ff. mit Anm. Altmeppen; Braun/Kind, InsO, 2002, § 19 Rz. 10; Drukarczyk/Schüler in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 134 ff., Rz. 114; Gottwald/Uhlenbruck, InsHdb, 3. Aufl. 2006, § 6 Rz. 270. 2 BGH v. 5. 11. 2007 – II ZR 262/06, ZInsO 2007, 1349; v. 15. 10. 2007 – II ZR 236/06, ZIP 2008, 267; v. 2. 4. 2001 – II ZR 261/99, ZIP 2001, 839; OLG Celle v. 1. 2. 2006 – 9 und 147/05, ZinsO 2006, 440.
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108
§1
Rz. 109
Schuldnerberatung
bb) Einzel- vs. Gesamtbewertung (1) Liquidationswerte 109
Bei den Verkehrswerten wird unterschieden zwischen den Liquidations- und den Fortführungswerten. Ein Rechenzentrum beispielsweise besteht aus zahlreichen Einzelgeräten verschiedener Hersteller, Software und speziell mit Klimatisierung sowie Sicherheitsanlagen eingerichteten Räumen. Der Wert dieses Rechenzentrums ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel der Komponenten. Die Veräußerung einzelner Gegenstände der Hardware wird nur geringe Erlöse bringen, und die Einbauten werden überhaupt nicht vergütet, falls sich nicht zufällig jemand findet, der dort ein anderes Rechenzentrum betreiben will. Anders ist es, wenn das Rechenzentrum als betriebswirtschaftlich-technische Einheit fortgeführt werden kann. Die Fortführung ist das Szenario für die Ermittlung der Fortführungswerte, die Veräußerung hingegen das Szenario für die Ermittlung der Liquidationswerte. Dabei bedeutet Veräußerung nicht zwingend den Verkauf jedes einzelnen Gerätes. Es können auch Gerätegruppen sein oder gar alle Gegenstände zusammen mit der Software. Von der so genannten Zerschlagungsintensität hängt es ab, in welchem Umfang Einzelwerte oder (teilweise) Gesamtwerte anzusetzen sind1. In der Praxis werden regelmäßig die Einzelwerte zugrunde gelegt, wenn nicht ausnahmsweise die betriebswirtschaftliche Einheit insgesamt an einen Erwerber übertragen werden kann. (2) Fortführungswerte
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Auch bei den Fortführungswerten soll es nach verbreiteter Auffassung auf die Einzelwerte ankommen2. So verlangt § 151 Abs. 2 InsO, dass der Insolvenzverwalter neben dem Liquidationswert den Fortführungswert bei „jedem Gegenstand“ angibt, wenn die Bewertung davon abhängt, ob das Unternehmen fortgeführt oder stillgelegt wird.
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Der Fortführungseinzelwert ist vergleichbar mit dem steuerlichen Teilwert gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Er „ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebes im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde.“ Das ist freilich reine Fiktion; denn wenn erst einmal der erwähnte Gesamtkaufpreis feststeht, spielen die Einzelwerte für die Höhe des Gesamtvermögens insolvenzrechtlich keine Rolle3. So „läuft“ im Beispiel des Rechenzentrums die Hardware nicht ohne die Software. Für eine Einzelbewertung könnte man deshalb unterstellen, dass die Hardware mit einem Einzelwert anzusetzen ist und die Software mit der Differenz zum Gesamtwert, weil sie der eigentlich wesentliche Vermögensgegenstand ist, der das Rechenzentrum erst zum „Rechnen“ bringt. Was aber ist, wenn die Software nur auf der speziellen Architektur der Hardware „läuft“?
1 Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1846 f.; IDW PS 270, 9/2003, S. 2. 2 Füchsl/Weishäuptl in MünchKommInsO, 2001, § 151 Rz. 9. 3 Dazu Kallmeyer, GmbHR 1999, 16, 17; Steffan, ZInsO 2003, 106, 109.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 114
Denkbar wäre, auf die Wiederbeschaffungskosten der einzelnen Vermögensgegenstände abzustellen1. Was aber ist, wenn es gerade die Entwicklungskosten der Software waren, die die Schuldnerin in die Krise getrieben haben. Niemand würde diese Entwicklungskosten vergüten – wie übrigens umgekehrt jeder mehr als die Entwicklungskosten zahlen würde, wenn bei der Software mit wenig Aufwand ein „Volltreffer“ erzielt wurde2. All das zeigt, dass der einzelne Vermögensgegenstand keien eigenen Fortführungswert hat3.
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Käufer und Verkäufer ist es völlig egal, wie sich ein Gesamtwert auf einzelne Vermögensgegenstände verteilt. Wird der eine Bestandteil teurer, muss der andere eben billiger werden. Allein die Summe ist entscheidend. Deshalb gibt es entgegen der herrschenden Praxis nur einen Fortführungsgesamtwert. Obwohl dies dem Juristen beispielsweise aus dem Kaufrecht bekannt ist – die vertragswidrige Beule im Kotflügel begründet eine Minderung im Verhältnis zum Gesamtwert, aber nicht in Höhe der Wiederbeschaffungskosten des einzelnen Kotflügels –, wird für die Überschuldungsbilanz auch unter Fortführungsgesichtspunkten üblicherweise auf Wiederbeschaffungswerte abgestellt4. Soweit es sich um Standardwirtschaftsgüter wie z.B. Pkw handelt, hat das kaum Auswirkungen. Anders ist es bei Spezialwirtschaftsgütern. Die selbst entwickelte Software ist ein Beispiel, die Spezialmaschine ein anderes. Sie mag zu teuer eingekauft, aber dennoch für den Produktionsablauf wichtig sein. Dann interessiert nur, ob sich für die Maschinengruppe oder gar für das ganze Unternehmen ein Gesamtpreis erzielen lässt. Erst wenn das nicht möglich ist, kommt es zum Einzelverkauf, so dass die Liquidations-Einzelwerte zum Tragen kommen.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es Liquidations- und Fortführungswerte gibt, wobei ein Liquidationswert – abhängig von der Zerschlagungsintensität – in der Regel den einzelnen Vermögensgegenstand betrifft, während der Fortführungswert nur als Gesamtwert denkbar ist. In der Praxis erfolgt hingegen auch eine Bewertung unter Fortführungsgesichtspunkten regelmäßig für die einzelnen Wirtschaftsgüter; denn der Gesamtwert einer betriebswirtschaftlichen bzw. technischen Einheit ist genauso schwer zu bestimmen wie der Wert eines ganzen Unternehmens (s.u. Rz. 135). Wiederbeschaffungswerte sind hingegen leichter zu ermitteln. Deshalb nimmt man zugunsten der geringeren Fehleranfälligkeit (Objektivierung) des Bewertungsverfahrens die Ungeeignetheit der Bewertungsaussagen in Kauf. Besser – bezogen auf das Vermögen als Bewertungsziel – ein falscher Wert, der unangreifbar ermittelt wurde, als ein richtiger, der angreifbar ist, so der dahinterstehende und durchaus nachvollziehbare Gedanke.
114
1 Als Ausfluss der Substanzwertmethode; Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1847 m.w.N. und der Kritik; ebenfalls kritisch: Reck, ZInsO 2004, 661, 664. 2 Teller/Steffan, Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 3. Aufl. 2003, Rz. 113 ff. 3 Teller/Steffan, Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 3. Aufl. 2003, Rz. 113 ff. 4 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799, 1807, Rz. 20; Harz, ZInsO 2001, 193, 199.
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§1 115
Rz. 115
Schuldnerberatung
Selten verhält es sich so, dass sämtliche Vermögensgegenstände für eine Fortführung benötigt werden. Soweit das nicht der Fall ist, können die nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände verkauft werden. Damit sind für einen Teil Fortführungs-, für einen anderen Teil Liquidationswerte anzusetzen. cc) Mehrstufiges Bewertungsverfahren (1) Überblick
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Überwiegend1 wird von einer zweistufigen Überschuldungsprüfung gesprochen, wobei nicht immer deutlich gemacht wird, worin die erste und worin die zweite Stufe bestehen soll. Einige sehen das Stufenverhältnis zwischen Liquidations- und Fortführungswert. Das ist jedoch falsch; denn beide schließen sich gegenseitig aus. Sie stehen noch nicht einmal der Höhe nach stets in einem Stufenverhältnis dergestalt, dass der Fortführungs- den Liquidationswert übersteigt. Man denke nur an das Produktionsgrundstück in innerstädtischer Lage, dessen Veräußerung mehr Geld bringen kann als dessen weitere Nutzung zu Produktionszwecken.
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Als zweistufig sind deshalb nicht die Werte, sondern das Prüfungsverfahren zu bezeichnen: Im ersten Schritt ist die Fortführungsprognose anzustellen als eine reine Liquiditätsprognose2. Sie beantwortet die Frage, ob die Zahlungsfähigkeit während des Prognosezeitraumes gewährleistet ist3. Im zweiten Schritt ist die eigentliche Bewertung vorzunehmen. Fällt die Liquiditätsprognose negativ aus, sind die Liquidationswerte anzusehen, ist sie positiv, dürfen die Fortführungswerte herangezogen werden, § 19 Abs. 2 InsO. Genau genommen kann dem noch eine dritte Stufe folgen. Ist nämlich trotz der Fortführungswerte eine Überschuldung gegeben, muss kontrolliert werden, ob eine Liquidation ausnahmsweise zu höheren Werten führen würde. (2) Modifizierte zweistufige Methode
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Insbesondere K. Schmidt4 hat die modifizierte zweistufige Methode5 entwickelt, die der BGH6 seit der Dornier-Entscheidung 1992 anwendete. Die erste Stufe ist die Prüfung der Überschuldung zu Liquidationswerten (rechnerische Überschuldung), die zweite die Prüfung der künftigen Zahlungsfähigkeit (Fortführungsprognose). Nur wenn beides negativ ausfällt, ist auch die rechtliche Überschuldung eingetreten. Besteht hingegen nur eine Überschuldung zu Liquidationswerten bei positiver Zahlungsfähigkeitsprognose, liegt keine Überschuldung vor. Dahinter steht die Überlegung, dass es (angeblich) unsinnig ist, 1 Drukarczyk/Schüler in MünchKommInsO, InsO, 2001, § 19 Rz. 42 ff.; BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, NZG 2004, 619, 620; Reck, ZInsO 2004, 661, 662 f.; Fromm, GmbHR 2004, 940, 943 f. 2 Bork, ZIP 2000, 1709, 1710. 3 Maßgebend sind dafür nicht die Verhältnisse des gesamten Unternehmensträgers, sondern diejenigen der jeweiligen Vermögensgesamtheit, die der Bewertung unterzogen wird, s.u. Rz. 93. 4 Erstmals AG 1978, 337 ff.; GesR, § 11 VI. 3.a). 5 Rechnerische Überschuldung und negative Fortbestehensprognose. 6 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, ZIP 1992, 1382.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 121
ein Insolvenzverfahren durchzuführen, wenn die Zahlungsfähigkeit gewährleistet ist, die Schuldnerin also ihren Verbindlichkeiten pünktlich nachkommen kann. Eine Bewertung findet auf dieser zweiten Stufe nicht statt, sondern nur eine Liquiditätsbetrachtung – deshalb auch „modifizierte“ zweistufige Methode. Als Prognosezeitraum werden meist bis zu zwei Jahre genannt1. Die Konsequenzen der modifizierten zweistufigen Methode soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:
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Eine Gesellschaft passiviert hohe Pensionsrückstellungen. Sie ist deshalb rechnerisch überschuldet. Die begünstigten Mitarbeiter sind jedoch noch drei Jahre vom Pensionsalter entfernt, so dass kurzfristig keine Auszahlungen anstehen. Die für andere Verbindlichkeiten benötigte Liquidität ist vorhanden, die Zahlungsfähigkeit also bis zum Beginn der Pensionszahlungen gewährleistet. Nach der modifizierten Methode könnte das Unternehmen ohne einen Cent Eigenkapital fortgeführt werden. Sobald die ersten Mitarbeiter „in Rente“ gehen, tritt die Zahlungsunfähigkeit ein. Dann ist plötzlich auch die rechtliche Überschuldung gegeben. Bis dahin wird das Unternehmen mit dem Kapital der Pensionsgläubiger fortgeführt. Geht es gut, können sie bedient werden, während die Gewinne an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, geht es daneben, verlieren die Gesellschafter kein weiteres Geld – denn bei richtiger Bewertung war es längst verloren –, sondern nur die Pensionsgläubiger. Das Beispiel zeigt, dass die modifizierte zweistufige Methode nicht akzeptabel ist2. Ihr Fehler besteht darin, dass bei gegebener Zahlungsfähigkeit auf eine Bewertung verzichtet wird. Würde man stattdessen, wie es § 19 Abs. 2 InsO jetzt fordert, die positive Fortführungsprognose nur als eine Prämisse der Wertermittlung ansehen, würden die Pensionsrückstellung auch bei einer positiven Fortführungsprognose eine rechtliche Überschuldung begründen. Das Schuldnervermögen würde dann sofort denen überantwortet werden, die es finanzieren: den Gläubigern.
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Deshalb hat der BGH den (modifizierten) zweistufigen Überschuldungsbegriff kürzlich aufgegeben, allerdings wohl nur für die Fälle, in denen es auf die Überschuldung seit Inkrafttreten der InsO ankommt; denn erst mit ihr sei die Grundlage für diese zum früheren Recht vertretene Auffassung entfallen. Eine positive Fortführungsprognose könne für sich allein eine Insolvenzreife des Schuldners nicht mehr ausräumen, sondern lediglich für die Bewertung seines Vermögens nach Fortführungs- oder Liquidationswerten von Bedeutung sein3.
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1 H.M., HK-InsO/Kirchhof, InsO, 4. Aufl. 2006, § 19 Rz. 11; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 63 Rz. 37; Pape in Kübler/Prütting, InsO, 1. Lfg. 1998, § 19 Rz. 16; Kuhn/ Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 102 Rz. 5h. 2 A.A. Teller/Steffan, Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 3. Aufl. 2003, Rz. 138 f., allerdings im Widerspruch zu der von ihnen bei Rz. 135 ff. abgelehnten Ertragsbewertung. 3 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 sowie schon BGH v. 9.10. 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171 i.V.m. KG Berlin v. 1. 11. 2005 – 7 U 49/05, GmbHR 2006, 374, das allein auf eine Überschuldungsbilanz abgestellt hatte. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der BGH zurück; OLG Celle v. 1. 2. 2006 – 9 U 147/05, ZinsO 2006, 440.
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§1
Rz. 122
Schuldnerberatung
c) Fortführungsprognose aa) Prognosegegenstand 122
Zunächst stellt sich die Frage, ob es reicht, dass die Fortführung des Unternehmens1 oder auch die der Schuldnerin, also der Unternehmensträgergesellschaft, überwiegend wahrscheinlich sein muss. Es ist durchaus denkbar, dass das Kerngeschäft Zahlungsüberschüsse erwirtschaftet, die Unternehmensträgergesellschaft hingegen nicht, weil sie z.B. die aus einer mangelhaften Produktserie resultierenden Gewährleistungsverbindlichkeiten nicht zahlen oder weil sie einen für eine gescheiterte Expansion aufgenommenen Bankkredit nicht tilgen kann.
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Das Gesetz stellt in § 19 Abs. 2 InsO auf den Schuldner ab. Kann er seinen gesamten Zahlungspflichten nicht nachkommen, müssen die Liquidationswerte angesetzt werden, auch wenn das Kerngeschäft rentabel läuft. Die Liquidationswerte sind aber nicht identisch mit den Einzelzerschlagungswerten. Vielmehr wird ein rentables Kerngeschäft als Ganzes verkauft werden können. Ein Erwerber wird dafür den in seiner Hand bestehenden Fortführungswert vergüten. Der kann sogar höher als beim Schuldner sein, wenn er bessere Synergieeffekte erzielt, von denen er freilich nur dann einen Teil an den Schuldner über den Kaufpreis „abgeben“ wird, wenn auch noch andere Erwerbsinteressenten solche Synergieeffekte zu zahlen bereit wären. Voraussetzung ist aber die Übertragungsfähigkeit des Unternehmens. An ihr kann es fehlen, wenn die Geschäftstätigkeit von nicht fungiblen Genehmigungen oder Verträgen abhängt. Häufig sind das in der Praxis Abbaurechte, Miet- oder Lizenzverträge. Die Übertragungsfähigkeit kann schon daran scheitern, dass Mitarbeiter in Schlüsselpositionen den gut bezahlten Wechsel zum Wettbewerber einem Betriebsübergang vorziehen. Solche Gegebenheiten sind Anlass für einen Insolvenzplan, ändern aber nichts daran, dass bei der Prüfung, ob ein Insolvenzverfahren einzuleiten ist, von der fehlenden Übertragungsfähigkeit ausgegangen werden muss.
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Als Ergebnis ist festzuhalten: –
Gegenstand der Fortführungsprognose ist die Zahlungsfähigkeit der gesamten Unternehmensträgergesellschaft.
–
Fällt die Prognose negativ aus, müssen Liquidationswerte angesetzt werden.
–
Liquidationswerte sind nicht identisch mit Einzelveräußerungswerten (Zerschlagungs-werten).
–
Ist eine betriebswirtschaftliche Einheit selbständig fortführungsfähig, kann für sie der Fortführungswert angesetzt werden, wenn sie übertragbar ist.
–
Die selbständige betriebswirtschaftliche Einheit ist somit ein weiterer Gegenstand der Fortführungsprognose.
1 So die Formulierung in BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 128
bb) Prognosemethode Ist somit die Zahlungsfähigkeit der Unternehmensträgergesellschaft als primärer Prognosegegenstand identifiziert, stellt sich als nächstes die Frage nach der Prognosemethode. Die Fortführungsprognose ist eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose. Sie ist keine In-sich-Rechnung, bei der die Fortführungsfähigkeit davon abhängt, dass sich auch zu Fortführungswerten keine Überschuldung ergibt1. Ist die Zahlungsunfähigkeit im Prognosezeitraum gewährleistet, dürfen Fortführungswerte angesetzt werden. Ergibt sich gleichwohl eine Überschuldung, ist die Prüfung beendet und muss ein Insolvenzantrag gestellt werden, es sei denn, dass es ausnahmsweise Anhaltspunkte für höhere Liquidationswerte gibt.
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Jede Einschätzung künftiger Ereignisse ist naturgemäß subjektiv2. Eine objektive Wahrscheinlichkeit gibt es nur bei dem, was als das „Gesetz der großen Zahl“ bezeichnet wird. Das sind Ereignisse, die sich in vergleichbarer Form häufig wiederholen. Werden auf einer Hauptverkehrsstraße während einer Woche jeden Morgen durchschnittlich 1 000 Autos gezählt, von denen 70 % eine dunkle Farbe haben, wird das auch in der folgenden Woche so sein. Eine andere Erwartung wäre objektiv falsch. Entwicklungen hingegen, die nicht auf einer solchen Wiederholung standardisierter Vorgänge beruhen, können nur subjektiv erwartet werden3. Erst hinterher steht objektiv fest, ob die tatsächlichen Verhältnisse den prognostizierten entsprachen. Sollte dem nicht so sein, muss die Prognose nicht fehlerhaft gewesen sein. Eine objektive Prognose von künftigen Ereignissen gibt es nicht4. Es kann immer nur darum gehen, ob sie subjektiv mit der gebotenen Sorgfalt angestellt wurde. Da es zum Streit erst kommt, wenn sich die Erwartungen nicht erfüllt haben, jeder Haftungskläger und jedes Gericht im Nachhinein also „schlauer“ sind, muss die Erstellung der Prognose genau dokumentiert werden. Nur dann lässt sich später die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt darlegen.
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Grundlage ist ein Finanzplan für das Unternehmen, wie es steht und liegt5. Künftige Strukturänderungen dürfen berücksichtigt werden, wenn es dafür konkrete Ansätze gibt.
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Die Fortführung muss gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO „überwiegend wahrscheinlich“ sein, also zu mehr als 50 % erwartet werden dürfen6. Um das zu belegen, bedarf es der Darstellung von (mindestens) zwei Szenarien, nämlich
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1 A.A. Teller/Steffan, Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 3. Aufl. 2003, Rz. 149 ff. 2 Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., DB 2003, 105, 106; Schüppen, DB 1994, 197, 199, spricht von der Gefahr des Selbstbetrugs. 3 Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56, 60. 4 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 19 Rz. 34. 5 Kallmeyer, GmbHR 1999, 16, 17 m.w.N.; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799, 1805 Rz. 16, der auf die Zweiteilung in künftige Zahlungsfähigkeit und positive Ertragsentwicklung verweist; a.A., nur auf allgemeine Aussage zur Unternehmenszukunft abstellend, Burger/Schellberg, KTS 1995, 563, 571 f. 6 Drukarczyk/Schüler in MünchKommInsO, 2001, § 19 Rz. 76; OLG Naumburg v. 20. 8. 2000 – 5 U 67/03, GmbHR 2004, 361.
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§1
Rz. 129
Schuldnerberatung
der überwiegend und der nicht überwiegend wahrscheinlichen Entwicklung1. Zwar steht der Gesetzeswortlaut einer einwertigen Prognose nicht entgegen. Dann müssen aber die weniger wahrscheinlichen Entwicklungen verbal erläutert werden. Ohne die Zusammenstellung der Liquiditätsauswirkungen in einem Zahlenwerk wird man im Nachhinein, wenn es wider Erwarten doch zur Insolvenz gekommen ist, kaum die Sorgfältigkeit der positiven Prognose belegen können. 129
Zukünftige Entwicklungen können in so zahlreichen Varianten eintreten, dass schon die nur zweiwertige Prognose eine sehr grobe Vereinfachung ist. Bei großen Unternehmen und einem entsprechend ausgestatteten Sanierungsteam sollten mehr als nur die wahrscheinliche und die weniger wahrscheinliche Alternative aufgezeigt werden2. Scheitert die Fortführung, ist der Vorwurf, bestimmte Entwicklungen bei einer nur zweiwertigen Prognose fahrlässig nicht bedacht zu haben, schnell bei der Hand. Im Regelfall besteht aber weder genügend Zeit noch genügend Geld für die Anwendung einer ausgefeilten Prognosetechnik. Da sich dem Gesetzeswortlaut nichts Gegenteiliges entnehmen lässt, kann man sich mit einem zweiwertigen Verfahren begnügen. Jeder denkbaren Entwicklung ist dabei eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit zuzuordnen.
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Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit ist eine Ja-Nein-Aussage, für die es nicht darauf ankommt, in welcher Höhe Unter- und Überdeckung ausfallen könnten. Das soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Im Szenario 1 ergibt sich eine Liquiditätsüberdeckung von 20 Euro, deren Eintritt die Geschäftsführung eine Wahrscheinlichkeit von 60 % beimisst. Im Szenario 2 wird eine Unterdeckung von 40 Euro erwartet. Dies hält die Geschäftsführung zu 40 % für wahrscheinlich. Daraus sind zwei Schlussfolgerungen denkbar: Entweder werden die + 20 Euro zugrunde gelegt, weil dieses Szenario überwiegend wahrscheinlich ist, oder es wird das arithmetische Mittel beider Erwartungswerte angesetzt: (+ 20 × 60 %) – (40 × 40 %) = s 4. Bei der zweiten Methode wäre die Aufrechterhaltung der Liquidität nicht überwiegend wahrscheinlich. Der Grund liegt darin, dass die hohe Unterdeckung im worst case die geringere Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts kompensiert. Eine solche Betrachtung räumt also den Konsequenzen – die 40 Euro sind im worst case wesentlich gravierender als die nur + 20 Euro im best case – dieselbe Bedeutung ein wie der Eintrittswahrscheinlichkeit. Das widerspricht dem Gesetz, dessen Wortlaut nur auf die Eintrittswahrscheinlichkeit abstellt. Das arithmetische Mittel aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Eintrittsfolgen ist deshalb nicht zu bilden3, so dass im Beispiel die Fortführung mit 60 % überwiegend wahrscheinlich ist und im Überschuldungsstatus Fortführungswerte angesetzt werden dürfen.
1 Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1844; Nonnenmacher, Sanierung, Insolvenz und Bilanz, in: FS für Moxter, 1994, S. 1313 ff., S. 1316 f. und insbes. 1326 f. 2 Groß/Amen, Wpg 2002, 225 ff.; Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56 ff.; Groß/Amen, Wpg 2003, 67 ff. 3 A.A.: Drukarczyk in MünchKommInsO, 2001, § 19 Rz. 66 ff.
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Spliedt
Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 133
cc) Prognosezeitraum Als Prognosezeitraum wird das laufende und das folgende Geschäftsjahr für erforderlich gehalten1. Das würde für eine im Dezember angestellte Prognose ein, für eine im Januar angestellte hingegen zwei Jahre bedeuten, vorausgesetzt, dass das Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr identisch ist. Da sich die betrieblichen Abläufe nicht an Abschlussstichtagen orientieren, sollten zwölf Monate unabhängig vom Beginn oder Ende des Geschäftsjahres ausreichen2. Ein längerer Zeitraum ist kaum mit einer justiziablen Verlässlichkeit zu beurteilen. Dabei ist zu bedenken, dass ein Unternehmen nur in der Krise Veranlassung hat, eine Fortführungsprognose zu erstellen. Dann hat es schon alle Reserven verbraucht, um Prognosereserven aufzufangen. Es muss deshalb sehr genau gerechnet werden. Das ist nur für einen gut überschaubaren Zeitraum möglich3. Wenn allerdings Ereignisse, die die Liquidität wesentlich beeinflussen, erst danach eintreten werden, dürfen ihre Auswirkungen nicht durch die Wahl des Prognosezeitraums künstlich abgeschnitten werden. Dazu gehört beispielsweise der Ablauf einer wichtigen Lizenz oder einer Betriebsgenehmigung, der Umzug wegen Beendigung des Mietvertrages für das Betriebsgrundstück oder vermehrte Liquiditätsbelastungen durch Pensionszahlungen. Ebenso sind Absatzzyklen zu berücksichtigen. So hat es für einen Eisproduzenten keinen Sinn, die Liquidität vom Juli des ersten bis zum Juli des zweiten Jahres zu planen.
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dd) Widerspruchsfreiheit zum Überschuldungsstatus Fortführungsprognose und Überschuldungsstatus müssen auf denselben Prämissen beruhen. Hat man sich in der Erwartung, dass die Zahlungsfähigkeit gewährleistet ist, für den Ansatz von Fortführungswerten entschieden, dürfen nicht gleichzeitig Beträge aktiviert werden, die nur bei einem Verkauf realisierbar sind – es sei denn, dass die damit verbundenen Kosten im Liquiditätsplan ihren Niederschlag finden. Lässt sich beispielsweise durch den Verkauf des innerstädtischen Produktionsgrundstücks ein hoher Preis erzielen, müssen die mit der Produktionsverlagerung verbundenen Kosten einschließlich derjenigen für die Anschaffung/Anmietung eines neuen Grundstücks in die Fortführungsprognose einfließen.
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ee) Fortführungswille In Haftungsprozessen sind Geschäftsführer naturgemäß bemüht, die Aktiva im Nachhinein „rosig“ darzustellen. Auf die Fortführungswerte kommte es jedoch nicht mehr an, wenn sie durch ihr eigenes Verhalten dokumentieren, dass sie die Einstellung der Geschäftstätigkeit vorbereiten4. Neben der finanzwirt1 H.M., HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 19 Rz. 11; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 63 Rz. 37; Pape in Kübler/Prütting, InsO, 1998, § 19 Rz. 16; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 102 Rz. 5h; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799, 1805 Rz. 17. 2 Empfehlungen zur Überschuldungsprüfung bei Unternehmen, FAR 1/1996, S. 21. 3 OLG Naumburg v. 20. 8. 2003 – 5 U 67/03, GmbHR 2004, 361, 362. 4 Vgl. den Fall von KG Berlin v. 1. 11. 2005 – 7 U 49/05, GmbHR 2006, 374.
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§1
Rz. 134
Schuldnerberatung
schaftlichen Überlebensfähigkeit des Schuldners setzt eine günstige Fortführungsprognose auch einen Fortführungswillen voraus1. ff) Abhängigkeit von Dritten 134
Eine Sanierung aus eigener Kraft ist selten. Eine positive Fortführungsprognose basiert häufig darauf, dass Gläubiger auf Forderungen verzichten, Kunden einen bestimmten Auftrag erteilen, eine bestimmte Lizenz eingeräumt wird oder mit einem Hersteller z.B. ein Vertragshändlervertrag geschlossen wird. Die gewöhnliche Geschäfstätigkeit basiert zwar auch darauf, dass in Zukunft eine Vielzahl neuer Ein- und Verkaufsverträge geschlossen werden, was Gegenstand der Prognose ist. Eine verlässliche Prognose von wichtigen Einzelvereinbarungen, mit denen die weitere Geschäftstätigkeit steht und fällt, bedarf hingegen großer Zurückhaltung. Sie dürfen der Planung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn es konkrete Indizien dafür gibt, dass eine Beteiligung des Dritten als überwiegend wahrscheinlich i.S.v. § 19 Abs. 2 InsO ist2. Anderenfalls bleiben nur die drei Wochen des § 64 Abs. 1 GmbHG, um die Fortführungsvoraussetzungen herzustellen. d) Unternehmenswert bei Fortführung aa) Gesamtbewertung einschließlich Firmenwert
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Der Fortführungswert eines Unternehmens ist, wie oben erläutert, ein Gesamtwert für den Inbegriff aller (betriebsnotwendigen) Vermögensgegenstände. Der daraus abgeleitete Teilwert einzelner Wirtschaftsgüter ist reine Fiktion (siehe oben Rz. 109). Dennoch hält die überwiegende Meinung an den Teilwerten fest3. Dahinter steht die Auffassung, dass sich die Kosten für einen Nachbau des Unternehmens durch Wiederbeschaffung der einzelnen Vermögensgegenstände mit weniger Willkür ermitteln lassen als der Wert des gesamten Unternehmens. Die Differenz zwischen der Summe der Einzelwerte und dem Gesamtwert ist der Firmenwert oder good will4. Da aber der Gesamtwert nach dieser überwiegenden Meinung risikobehaftet ist, soll der Firmenwert im Überschuldungsstatus nur aktiviert werden dürfen, wenn es einen konkreten Käufer für das Unternehmen gibt5.
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Dem ist nicht zu folgen. Verlangt man für seine Aktivierung, dass ein konkreter Kaufinteressent vorhanden ist, muss das Unternehmen erst auf dem Markt angeboten werden. Aufgabe der Überschuldungsprüfung aber ist es gerade zu klären, ob die Schuldnerin unverändert fortbestehen kann. Niemand wird sein Unternehmen feilbieten und dabei ausgerechnet diejenigen Geschäftsgeheimnisse offenbaren, die einen den Substanzwert übersteigenden Wert begründen, den er mit dieser Offenbarung zugleich gefährdet, nur um zu dokumentieren,
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BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171. BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049. Zu den verschiedenen Ansätzen Kallmeyer, GmbHR 1999, 16, 17. Kallmeyer, GmbHR 1999, 16, 17. Bork, ZInsO 2001, 145, 147 f. m.w.N. in Fn. 20.
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§1
Rz. 138
dass er doch nicht verkaufen muss, sobald er einen Käufer gefunden hat, weil dann keine Überschuldung besteht. Die Einzelbewertung sowohl der körperlichen Vermögensgegenstände als auch des Firmenwertes entspricht einem überholten Substanzwertdenken, das bis vor etwa 25 Jahren für andere Bewertungsanlässe wie Abfindungen ausscheidender Gesellschafter oder Verschmelzungswertrelationen weit verbreitet war1. Mit dem Hinweis auf die Bewertungssicherheit „gewinnt“ die herrschende Meinung nur sichere Bewertungsfehler. Selbst bei der Sacheinlage2 oder der Vorbelastungshaftung3 der Gesellschafter wegen Verlusten bis zur Eintragung einer neu gegründeten Gesellschaft in das Handelsregister kommt die Gesamtbewertung zur Anwendung. Was im Gründungsstadium gilt, kann für den Eintritt in das Liquidationsstadium durch Insolvenzeröffnung (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) nicht anders sein4. Allein die Erkenntnis, dass eine Prognose immer mit Risiken behaftet ist, gestattet es nicht, sie juristisch zu negieren, sondern erfordert es vielmehr, darauf mit geeigneten Rechtsfolgen insbesondere hinsichtlich einer persönlichen Haftung der Organe – und ihrer Berater – bei sorgfaltswidriger Vorgehensweise zu reagieren5.
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bb) Zukunftserfolgswert Der Fortführungswert ist nach einer anerkannten Unternehmensbewertungsmethode zu bestimmen. Für die Einzelheiten sei auf die betriebswirtschaftliche Literatur6 und insbesondere auf den Berufsstandard der Wirtschaftsprüfer7 verwiesen. Allen Methoden ist gemein, dass sie an künftige Zahlungsströme anknüpfen; denn niemand bietet für ein Unternehmen mehr, als er aus ihm einschließlich einer risikoadäquaten Verzinsung wieder herausbekommt. Grundlage für die Ermittlung des „Herausholbaren“ ist die Finanzplanung. Obwohl somit die Vermögensbewertung auf einer Liquiditätsbetrachtung beruht, wird der von den Verfassern der InsO abgelehnte modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff (oben Rz. 118 ff.) nicht „durch die Hintertür“ wieder eingeführt. Der Unterschied zwischen dem Zukunftserfolgswert und der modifizierten zweistufigen Methode liegt darin, dass dem Erstgenannten eine Bewertung zugrunde liegt. Wirtschaftlich schlägt sich das – vereinfacht aus-
1 Übersicht bei Drukarczyk, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2001, S. 126; weitere Beispiele bei Schultze, Unternehmensbewertung, 2001, II.B.2., S. 16 f. 2 K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 20 II.3.a). 3 BGH v. 16. 1. 2006 – II ZR 65/04, ZIP 2006, 668; v. 9. 11. 1998 – II ZR 190/97, NJW 1999, 283; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 20 III.4.a). 4 Expliziter Verweis bei K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 20 III.3.a). 5 Spindler, AG 2006, 677. 6 Drukarczyk, Unternehmensbewertung, 3. Aufl. 2001; Kraus-Grünewald, BB 1995, 1839 ff.; Möhlmann, DStR 1998, 1843 ff.; Schultze, Methoden der Unternehmensbewertung, 2001; Behringer, Unternehmensbewertung der Mittel- und Kleinbetriebe, 2. Aufl. 2002; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002. Zur Unternehmensbewertung als Grundlage einer Sanierungsentscheidung: Frieß, DStR 2004, 654 ff. 7 IDW S 1: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, WPg 2005, 1303.
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gedrückt – in der Risikoprämie nieder, die in die Bewertung einfließt1. Werden beispielsweise für sämtliche Aktiva Einzahlungen von 100 Euro erwartet, denen Auszahlungen für sämtliche Passiva von ebenfalls 100 Euro gegenüber stehen, ist die Fortführungsprognose positiv. Damit liegt nach der modifizierten zweistufigen Methode keine rechtliche Überschuldung vor. Bei der Bewertung hingegen haben Einzahlungen von 100 Euro nicht denselben Wert wie Auszahlungen in dieser Höhe; denn die Auszahlungen sind „sicher“, die Einzahlungen aber nicht. Keiner würde bestehende oder gar erst künftige Forderungen zum Nominalwert erwerben, sondern u.a. Abschläge für das Ausfallrisiko vornehmen. Die künftig erwarteten 100 Euro haben also keinen Wert von 100 Euro. Demgegenüber müssen die erwarteten Auszahlungen natürlich mit dem Nominalwert angesetzt werden2. Nur wenn die Finanzplanung um den Schritt der Bewertung ergänzt wird, wird vermieden, dass ein Unternehmen auf Risiko der Gläubiger geführt wird. 139
Hinzu kommt die unterschiedliche Länge des Prognosezeitraumes. Während sich die Prüfung der Fortführungsfähigkeit auf die nächsten ein bis zwei Jahre erstreckt, betrifft die Ermittlung des Zukunftserfolges die gesamte Lebensdauer des Unternehmens. Natürlich wird das mit zunehmender Entfernung vom Bewertungsstichtag ungenau. Das gleicht allerdings die Diskontierung künftiger Zahlungen teilweise aus. Der Unterschied zwischen 1 Euro und 2 Euro in zehn Jahren sind – je nach dem Abzinsungsfaktor – nur z.B. 50 Cent am Stichtag. Außerdem können nur durch eine langfristige Betrachtung erst später fällige, gleichwohl aber bedeutsame Verbindlichkeiten wie bspw. Pensionszahlungen, berücksichtigt werden. Die Prognoseunsicherheit spricht somit nicht gegen die Betrachtung der Lebensdauer. Im Gegenteil ist nichts ungenauer als überhaupt keine Prognose anzustellen und die Planung nach ein oder zwei Jahren abrupt enden zu lassen, wie es bei der Fortführungsprognose der Fall ist, die nur als Bewertungsprämisse für Fortführungs- versus Liquidationswerte erforderlich ist. Sind Fortführungswerte maßgebend, sind sie auch mit der nunmehr für sie geltenden verkehrsüblichen Sorgfalt zu ermitteln. Und das heißt nun einmal, vor erkennbaren Entwicklungen nach den ersten ein bis zwei Jahren nicht die Augen zu verschließen.
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In der Praxis wird eine Unternehmensbewertung wegen des Zeit- und Kostenaufwandes selten durchgeführt. Stattdessen wird auch bei der Fortführung eine Einzelbewertung vorgenommen, wie sie die herrschende Meinung ohnehin für die einzig richtige Methode hält. Am einfachsten geht das für das Umlaufvermögen. Zeitnah umsetzbare Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe werden mit den Wiederbeschaffungskosten angesetzt, fertige und unfertige Erzeugnisse mit den kontrahierten oder zeitnah erwarteten Verkaufspreisen abzüglich restlicher Fertigstellungskosten. Das übrige Umlaufvermögen wird zu Liquidationswerten aktiviert, wobei im Falle der Fortführung von den Forderungen ein ge1 Zur Berechnung Möhlmann, DStR 1998, 1843, 1845; die Risikoprämie ist Bestandteil der Gewinn-und-Verlust-Rechnung, die ihrerseits die Ertragskraft des Unternehmens bestimmt, Nonnenmacher, Sanierung, Insolvenz und Bilanz, in: FS für Moxter, 1994, S. 1313 ff., 1323. 2 Für das Beispiel bleibt eine Diskontierung zum Ausgleich von Fälligkeitsdifferenzen außer Betracht, weil sie sowohl Ein- als auch Auszahlungen betreffen würde.
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Rz. 143
ringerer Abschlag genügen mag als bei der Liquidation, weil Einwänden der Drittschuldner leichter abgeholfen werden kann. Im Anlagevermögen nimmt die Unsicherheit jedoch ihren Lauf. Ein Lkw, der vor einem Jahr für 30 000 Euro angeschafft wurde, wird in der Praxis mit dem Buchwert angesetzt, selbst wenn er auf dem Gebrauchtfahrzeugmarkt für weniger zu erwerben wäre. Ein Bürogebäude gar, das in vergleichbarer Lage und Ausstattung für 5 Mio. Euro veräußert werden könnte, schlägt sich mit 10 Mio. Euro nieder, weil dies die Anschaffungskosten abzüglich Abschreibungen sind. Solche Differenzen sind nicht nachvollziehbar. Der überteuerte Einkauf in der Vergangenheit ist für den Verkehrswert in der Gegenwart ohne Bedeutung. In der Begründung zum Regierungsentwurf des § 19 InsO heißt es ausdrücklich, es sei „realistisch zu bewerten“1. Als Vereinfachungsregel gilt deshalb für das Anlagevermögen, die Wiederbeschaffungswerte anzusetzen, maximal jedoch einen Betrag, bei dem die erwarteten Überschüsse aus der Fortführung des Unternehmens einer branchenüblichen Verzinsung des angesetzten Wertes entsprechen.
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e) Einzelheiten zum Überschuldungsstatus aa) Prüfungsreihenfolge Nach § 19 Abs. 2 InsO sind die Fortführungswerte „jedoch“ zugrunde zu legen, wenn die Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist. Dem könnte zu entnehmen sein, dass zuerst die Liquidationswerte – gleichsam zur Absicherung – und danach die Fortführungswerte bestimmt werden müssten. Schon oben wurde darauf hingewiesen, dass Liquidations- und Fortführungswerte nicht im Stufen-, sondern im Alternativverhältnis stehen. Zu beginnen ist deshalb mit der Fortführungsprognose. Je nach ihrem Ergebnis sind die einen oder die anderen Werte zu ermitteln. Fällt die Prognose positiv aus, steht es dem Schuldner frei zu überprüfen, ob die Liquidationswerte wegen Sondersituationen eventuell sogar höher als die Fortführungswerte sind.
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bb) Stichtagsprinzip Jede Vermögensermittlung ist stichtagsgebunden. Das gilt für die Handelsbilanz genauso wie für die Bewertung eines Unternehmens zum Zwecke der Einbringung als Sacheinlage2 oder der Abfindung ausscheidender Gesellschafter3 – und das gilt natürlich auch für den Überschuldungsstatus4. Verschlechterungen, die nach dem Stichtag eintreten, begründen allenfalls eine neue Überschuldungssituation, wirken aber nicht zurück. Dennoch ist jede Bewertung zukunftsbezogen. Für das Umlaufvermögen wird untersucht, in welcher Höhe eine Forderung zeitnah realisiert werden kann, ob sich gegebenenfalls Einwände beseitigen lassen, wie hoch bei unfertigen Erzeugnissen der restliche 1 2 3 4
Begr. RegE, RWS Dok. 18, 174. Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 5 Rz. 36. Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 34 Rz. 74. Smid in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 19 Rz. 20; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, 1998, § 19 Rz. 15.
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Rz. 144
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Fertigstellungsaufwand ist, welche Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für den laufenden Geschäftsbetrieb voraussichtlich noch benötigt werden und welche einen überhöhten Bestand darstellen, der nur noch unter den Einkaufspreisen losgeschlagen werden kann, etc. Beim Anlagevermögen wird überlegt, welche Maschinen nach Maßgabe der Produktions- und Absatzplanung noch betriebsnotwendig sind, ob und in welcher Höhe sich stille Reserven durch den Verkauf einzelner Gegenstände/Grundstücke realisieren lassen, was häufig mit einer Planung neuer Betriebsabläufe in der Zukunft einhergeht. Ein Autohändler beispielsweise, dessen Ausstellungs- und Werkstattgebäude an einer Hauptverkehrsstraße liegt, muss bereits heute bei der Bewertung berücksichtigen, dass in drei Jahren die von der Gemeinde geplante Ortsumgehung fertig gestellt und die vorbeiführende Straße nunmehr eine verkehrsberuhigte Zone wird. 144
Hieraus wird deutlich, dass sich künftige Ereignisse stets im stichtagsbezogenen Verkehrswert abbilden. Deshalb sind auch die von der herrschenden Meinung bevorzugten Einzelwerte prognoseabhängig, nur mit dem Unterschied, dass die Prognose nicht so komplex ist wie bei einer (Unternehmens-)Bewertung. Eine für die Überschuldungsprüfung zentrale Frage lautet, welche nach dem Stichtag erwarteten Aufwendungen berücksichtigt werden müssen. Hierbei sollte zwischen den insolvenzbedingten, den bewertungsbedingten sowie den geplanten Kosten unterschieden werden. (1) Insolvenzbedingte Kosten
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Die Überschuldungsbilanz dient der Prüfung, ob der Eröffnungsgrund vorliegt. Deshalb müssen alle Verbindlichkeiten, die vom Ergebnis dieser Prüfung abhängen, unberücksichtigt bleiben1. Das gilt insbesondere für die Verfahrenskosten, Sozialplanabfindungen oder Leerkosten, die infolge einer Insolvenzeröffnung anfallen. Ein anderes Beispiel ist die Vorsteuerkorrektur gemäß § 17 Abs. 1 UStG (vgl. § 11 Rz. 222 ff.), die eingreift, wenn die Schuldnerin insolvenzbedingt ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann, für die sie Vorsteuer in Anspruch genommen hatte. (2) Bewertungsbedingte Kosten
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Von den insolvenzbedingten Kosten sind die bewertungsbedingten Kosten zu unterscheiden. Das sind diejenigen Aufwendungen, die getätigt werden müssen, um den im Überschuldungsstatus angesetzten Wert zu realisieren. Wird für das innerstädtische Produktionsgelände der Veräußerungserlös zugrunde gelegt, ist das nur realistisch2, wenn zugleich die Kosten für die Verlagerung der Produktion berücksichtigt werden. Diese Konsequenz indes wird kaum gezogen, weil die dem zugrundeliegenden Verbindlichkeiten erst mit der konkreten Verlagerungsentscheidung begründet werden. Die Frage lautet simpel: Darf bis zur Entstehung der entsprechenden Verbindlichkeit – z.B. bis zur Vereinbarung eines Sozialplans bei Stilllegung der Produktionsstätte – gewartet werden, oder müssen die künftigen Aufwendungen bereits am Stichtag im Über1 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2003, § 19 Rz. 55. 2 Laut Begr. RegE ist „realistisch“ zu bewerten, RWS Dok. 18, 174.
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§1
Rz. 149
schuldungsstatus als Rückstellung passiviert werden? Das ist zu bejahen, soweit es sich um Kosten handelt, die mit dem Wertungsansatz verbunden sind. Nur dann ist die Bewertung widerspruchsfrei. Es gibt keinen Grund, mit dem Insolvenzantrag so lange zu warten, bis die Liquidationskosten als Verbindlichkeit rechtlich entstanden oder gar fällig geworden sind. In der allgemeinen Begründung zum Regierungsentwurf der InsO heißt es, es werde „allgemein als wünschenswert angesehen, dass insolvente Schuldner früher als heute in das Insolvenzverfahren gelangen“1. Sich auf der einen Seite durch die Realisierung stiller Reserven „reich zu rechnen“ und auf der anderen Seite die mit der Realisierung des Reichtums verbundenen Aufwendungen nicht zu berücksichtigen, wäre ein grober Fehler. Letztlich ist die Realisierung stiller Reserven nichts anderes als die Prognose des Gewinns aus einem künftigen Geschäft. Für die normale Umsatztätigkeit ist es aber völlig selbstverständlich, dass die Überschüsse aus künftigen Geschäften nur nach Abzug sämtlicher mit ihnen verbundener Aufwendungen ermittelt werden dürfen. Diese Aufwendungen sind, da rechtlich noch nicht entstanden, im Überschuldungsstatus als Rückstellung anzusetzen. Der Passivierung eines solchen Aufwandes kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass derartige Rückstellungen nicht vom enumerativen Katalog des § 249 HGB erfasst sind. Der Überschuldungsstatus richtet sich nach den Verkehrswerten. Handelsrechtliche Ansatz- und Bewertungsvorschriften spielen keine Rolle. Das gilt sowohl zugunsten – z.B. beim Ansatz immaterieller Vermögensgegenstände – als auch zuungunsten des Schuldners. Stille Reserven sind genauso zu berücksichtigen wie stille Lasten.
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Allerdings wird sich derjenige, der dies unterlässt, auf die Kommentarliteratur berufen dürfen, die Aufwandsrückstellungen nur im Rahmen des § 249 HGB für erforderlich hält2. Bis zu einer gegenteiligen höchstrichterlichen Entscheidung wird man eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung am Verschulden scheitern lassen können, wenn diese Kosten nicht vermögensmindernd berücksichtigt wurden.
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(3) Geplante Kosten Von den insolvenz- und den bewertungsbedingten Kosten unterscheiden sich die geplanten Kosten dadurch, dass sie unabhängig vom Insolvenzereignis und auch unabhängig von einer Verwertungsplanung anfallen, die dem Überschuldungsstatus zugrunde liegt. Sie sollen am Beispiel des „Sowieso-Sozialplans“ erläutert werden. Überwiegend3 wird eine Passivierung des Sozialplanaufwandes erst verlangt, wenn die Stilllegungsentscheidung endgültig gefasst wurde. Diese Ansicht beruht auf der Überlegung, dass der Aufwand frühestens anzusetzen ist, wenn er sich durch eine Unternehmerentscheidung konkretisiert hat. Diese Sichtweise entspricht § 249 Abs. 2 HGB, der Rückstellungen „für ihrer Eigenart nach genau umschriebene“ Aufwendungen zulässt. Die handels1 Begr. RegE, RWS Dok. 18, 97. 2 A.A. Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff., Rz. 34 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rz. 18. 3 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2003, § 19 Rz. 55.
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Rz. 150
Schuldnerberatung
rechtlichen Bilanzierungsvorschriften sind für den Überschuldungsstatus jedoch nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verkehrswert. Auch die Passiva müssen so angesetzt werden, wie es ein Dritter tun würde, der dem Schuldner das Vermögen einschließlich künftiger Verbindlichkeiten abkaufen würde. Für ihn käme es auf die Unausweichlichkeit des Aufwands an. Seine Erfassung im Überschuldungsstatus kann nicht davon abhängen, ob die Geschäftsleitung den Stilllegungsbeschluss über den Bewertungsstichtag hinaus verzögert. Was also im Unternehmenskonzept, an dem sich die Zahlungsfähigkeitsprognose ausrichtet, als Maßnahme geplant ist, muss im Überschuldungsstatus auch als Rückstellung für die damit verbundenen (Sanierungs-)Kosten erfasst werden. 150
Die Konsequenz könnte sogar lauten, dass per Rückstellung die gesamte Unterdeckung zu erfassen ist, die sich bei einer Stilllegung ergibt. Eine solche Rückstellung für den allgemeinen Abwicklungsverlust wird fast1 einhellig abgelehnt2. Relevant wird dies nur, wenn die Fortführungsprognose negativ ausfällt und die Liquidationswerte angesetzt werden müssen. Meist wird dann ohnehin schon Überschuldung vorliegen. Denkbar ist aber auch, dass die Liquidationswerte die Passiva übersteigen. Wenn die mit der Liquidation planmäßig verbundenen Abwicklungskosten nicht passiviert werden, weiß der Schuldner zwar genau, dass er Pleite geht, müsste aber noch keinen Antrag stellen. Nimmt man die Absicht des Gesetzgebers ernst, eine frühzeitige Verfahrenseröffnung zu fördern, ist nicht recht verständlich, warum der Insolvenzgrund erst eintreten soll, wenn der geplante Aufwand zu einer unbezahlten Verbindlichkeit wird. Zumindest muss der Aufwand passiviert werden, der mit konkreten Maßnahmen verbunden ist. Dazu gehören die oben behandelten bewertungsbedingten Kosten, weil sie zwangsläufige Folge einer bestimmten Bewertungsprämisse für einen konkreten Vermögensgegenstand sind. Dazu gehören aber auch die Kosten, die konkreten Rechtsverhältnissen zuzuordnen sind, beispielsweise diejenigen des Sozialplans für die Beendigung der Arbeitsverträge, unabhängig davon, ob der förmliche Stilllegungsbeschluss noch aussteht. Die tatsächliche Notwendigkeit genügt.
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Wurden die Fortführungswerte angesetzt, muss der mit Sanierungsmaßnahmen verbundene Aufwand nach dem Vorgesagten sowohl im Finanzplan als auch per Rückstellung im Überschuldungsstatus erfasst werden. cc) Einzelne Aktiva
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In der Literatur3 finden sich umfangreiche Hinweise zur Bewertung einzelner Positionen. Für die Fortführungswerte spielt das keine Rolle, wenn man der hier vorgeschlagenen Gesamtbewertung folgt. Anders verhält es sich bei den Liquidationswerten. Soweit betriebswirtschaftliche Einheiten nicht insgesamt veräußert werden, ist für jeden einzelnen Vermögensgegenstand der Veräußerungserlös bzw. bei Forderungen der voraussichtlich realisierbare Betrag zu 1 A.A. Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff., Rz. 34 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rz. 18. 2 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2003, § 19 Rz. 55 m.w.N. 3 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff., 1809 ff.; Reck, ZInsO 2004, 728, 729 f.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 154
schätzen. Hängt die Verwertung des Umlaufvermögens davon ab, ob noch wertverbessernde Maßnahmen unternommen werden – das betrifft insbesondere die Vollendung unfertiger Erzeugnisse und die Mängelbeseitigung zur Durchsetzung einredebehafteter Forderungen –, ist der Aufwand von dem dann erzielbaren Erlös in Abzug zu bringen. Das sind die oben erwähnten bewertungsbedingten Kosten. (1) Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer sind unabhängig davon zu aktivieren, ob sie bisher in der Handelsbilanz berücksichtigt wurden. Das gilt insbesondere für Ansprüche im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Gebote der Kapitalaufbringung und -erhaltung, vor allem im Zusammenhang mit eigenkapitalersetzenden Leistungen. Beim Eigenkapitalersatz ist zu berücksichtigen, dass Erstattungsansprüche der Gesellschaft außerhalb des Insolvenzverfahrens nur bestehen, soweit eigenkapitalersetzende Leistungen unter die so genannten „Rechtsprechungsregeln“ in analoger Anwendung der §§ 30 f. GmbHG fallen1 (vgl. § 4 Rz. 7 ff., 276 ff.). Die in §§ 32a f. GmbHG kodifizierten „Novellenregeln“ sehen hingegen in §§ 32b GmbHG, 135 InsO eine Erstattung nur im Rahmen des Insolvenzverfahrens vor (vgl. § 4 Rz. 10 f., 286 ff.). Insoweit darf der Betrag nicht im Überschuldungsstatus aktiviert werden, der erst darüber Auskunft geben soll, ob das Verfahren eingeleitet werden muss. Außerdem ist auch hier der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit zu berücksichtigen. Wird eine Erstattungsforderung angesetzt – wobei dies nur bei ausreichender Bonität des Gesellschafters geschehen darf -, korrespondiert das mit einer entsprechenden Verbindlichkeit, z.B. aus dem wieder begründeten Darlehen. Sie entfällt nur, falls der Gesellschafter eine Rangrücktrittserklärung abgibt (s. Rz. 208 ff.).
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Nach dem am 23. 5. 2007 beschlossenen Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) sollen die Rechtsprechungsregeln über eine analoge Anwendung der Rückzahlungssperre gemäß §§ 30 f. GmbHG auf eigenkapitalersetzende Leistungen entfallen, § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHGE. Das soll kompensiert werden durch eine vorverlagerte Geschäftsführerhaftung, falls Zahlungen an Gesellschafter „zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten“, § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHGE. Fraglich ist, ob neben der Geschäftsführerhaftung auch eine Erstattungspflicht der Gesellschafter tritt. Das wird man jedenfalls dann bejahen können, wenn der Gesellschafter an der Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit bewusst mitgewirkt hat. Die Konsequenz lautet, dass eine anderenfalls eintretende Zahlungsunfähigkeit durch solche Ersattungsansprüche vermieden werden kann. In der Praxis relevant ist dies aber nur selten, da die Gesellschafter das Geld gerade vor einer Insolvenz „retten“ wollen und zur Rückgewähr nicht bereit sind. Erst einen Prozess führen zu müsen, würde die Zahlungsunfähigkeit nicht schnell genug beseitigen.
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1 S. unten Rz. 196 f.
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§1
Rz. 155
Schuldnerberatung
(2) Ansprüche gemäß §§ 92, 93 InsO 155
§ 93 InsO verpflichtet den Insolvenzverwalter, für die Dauer des Verfahrens die persönliche Haftung eines Gesellschafters geltend zu machen. Das gilt dem Wortlaut nach nur für Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Bei ihnen ist die Überschuldung nur dann ein Insolvenzgrund, wenn keine natürliche Person zu den persönlich haftenden Gesellschaftern gehört, §§ 130a, 177a HGB. Bei Kapitalgesellschaften könnte § 93 InsO in Fällen der so genannten Existenzvernichtungshaftung relevant werden (s.u. § 2 Rz. 164 ff.). Nach dieser erstmals im „Bremer Vulkan“-Urteil1 formulierten, seither präzisierten2 und jüngst teilweise wieder aufgegebenen3 Rechtsprechung dürfen sich die Gesellschafter einer GmbH nicht auf das Haftungsprivileg des § 13 Abs. 2 GmbHG berufen, wenn sie die Schuldendeckungsfähigkeit der GmbH unter grober Außerachtlassung der gebotenen Rücksichtnahme auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens erheblich beeinträchtigt haben. Diese Haftung ist während des Insolvenzverfahrens analog § 93 InsO vom Insolvenzverwalter durchzusetzen4.
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Die auf § 93 InsO gestützten Ansprüche sind im Überschuldungsstatus nicht zu aktivieren, weil es sich um Forderungen der Gläubiger handelt, die der Verwalter als eine Art Prozessstandschafter geltend macht5. Sie gehören nicht zum Gesellschaftsvermögen. Überdies greift § 93 InsO erst mit Verfahrenseröffnung ein, kann also die Frage, ob das Verfahren wegen Überschuldung eröffnet werden soll, nicht beantworten.
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Die unter § 92 InsO fallenden Ansprüche auf Ausgleich so genannter Gesamtgläubigerschäden im Überschuldungsstatus dürfen ebenfalls nicht aktiviert werden, weil es sich nicht um Ansprüche des Schuldners, sondern der Gläubiger handelt, die der Verwalter ebenfalls nur Kraft besonderer Ermächtigung geltend macht. (3) Keine Ausnahme für GmbH & Co.
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Nach §§ 130a, 177a HGB ist für eine Personengesellschaft des Handelsrechts6 auch bei Eintritt der Überschuldung ein Insolvenzverfahren zu beantragen, falls kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist7. Dem Wortlaut nach kommt es für die Auslösung der Antragspflicht einzig und allein auf die Vermögensverhältnisse der Personengesellschaft an. Die Bonität der beschränkt haftenden Gesellschafter ist unbeachtlich. Es ist demnach kein konsolidierter Status zu erstellen, der ihre Vermögensverhältnisse ein1 2 3 4 5 6 7
BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. Überblick bei Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 13 Rz. 98 ff. BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04. BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2003, § 19 Rz. 45. Für die BGB-Gesellschaft gilt das nicht. Für den Gläubigerantrag ist die Überschuldung hingegen nicht ausreichend, da der allgemeine Eröffnungsgrund in § 19 InsO nur für juristische Personen gilt. Antragspflicht und Antragsrecht divergieren bei der Personengesellschaft mit beschränkt haftenden Gesellschaftern.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 161
bezieht1. Als Konsequenz wird die Antragspflicht mit der in § 130a Abs. 2 und 3 HGB verbundenen Verschleppungshaftung auch dann ausgelöst, wenn die Gläubiger über die Komplementärhaftung noch vollständig befriedigt werden können. In diesem Punkt besteht eine Ungleichbehandlung mit denjenigen Personengesellschaften, für die es wegen der unbeschränkten Haftung von natürlichen Personen bei Eintritt der Überschuldung keine Antragspflicht gibt. Obwohl auch das Vermögen natürlicher Personen „endlich“ ist und eine GmbH als Komplementärin durchaus leistungsfähiger als eine natürliche Person sein kann, dürfen wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts die Haftungsansprüche nicht aktiviert werden, obwohl sie gemäß § 93 InsO im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Masse erhöhen2. Sollte die Komplementär-GmbH für eine Unterdeckung eintreten können und wollen, ist mit ihr eine entsprechende Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft (Einlage, Darlehen mit Rangrücktritt o.Ä.) zu vereinbaren.
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(4) Immaterielle Vermögensgegenstände Immaterielle Vermögensgegenstände dürfen in der Handelsbilanz nicht angesetzt werden, wenn sie selbst geschaffen wurden, § 248 Abs. 2 HGB. Das gilt auch dann, wenn eigene Entwicklungsergebnisse durch Patente oder Geschmacksmusterrechte etc. geschützt sind. Für den Überschuldungsstatus greift dieses Ansatzverbot hingegen nicht ein. Kann der Vermögensgegenstand selbständig veräußert werden, ist der mutmaßliche Erlös einzustellen. Werden Fortführungswerte angesetzt, geht der immaterielle Vermögensgegenstand regelmäßig im Fortführungsgesamtwert auf, weil das Entwicklungsergebnis beispielsweise einen Konkurrenzschutz oder eine besonders effiziente Fertigung ermöglicht. Damit schlägt er sich im Zukunftserfolgswert nieder. Denkbar ist aber auch, Lizenzen zu erteilen oder einen nicht betriebsnotwendigen immateriellen Vermögensgegenstand zu veräußern. Dann ist der jeweilige Einzelerlös anzusetzen.
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(5) Schwebende Geschäfte Für die Handelsbilanz gilt das Realisationsprinzip, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Gewinne aus schwebenden Geschäften dürfen erst berücksichtigt werden, wenn das Geschäft vom Schuldner ausgeführt wurde. Auch das findet auf den Überschuldungsstatus keine Anwendung. Der Wert unfertiger Erzeugnisse entspricht dem Vertragspreis für das fertige Erzeugnis abzüglich der restlichen Fertigstellungskosten (retrograde Bewertung). Nichts anderes gilt, wenn mit der Ausführung des Geschäfts noch nicht begonnen wurde. Dann sind die gesamten Fertigstellungskosten vom Kontraktpreis abzuziehen, und zwar nicht nur die variablen, sondern sämtliche Kosten einschließlich der anteiligen Gemeinkosten; denn ein Vertrag, der keinen die noch aufzuwendenden Vollkosten 1 Vgl. dazu Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, vor § 64 Rz. 99. 2 Wobei hier nicht erörtert werden kann, ob diese Masse auch für Masseschulden verwendet werden darf.
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§1
Rz. 162
Schuldnerberatung
übersteigenden Erlös bringt, hat keinen Wert, wie umgekehrt ein „guter“ Vertrag mit dem voraussichtlichen Gewinn aktiviert werden kann. Voraussetzung ist, dass die Vollendung unfertiger Erzeugnisse oder die Erfüllung eines Vertrages noch finanziert werden kann. Kann die Geschäftstätigkeit hingegen nicht fortgesetzt werden, lässt sich ein „guter“ Vertrag allenfalls noch verkaufen. Das bedarf der Zustimmung des Auftraggebers. Auch wird ein Übernehmer nicht den Gewinn vergüten, den er eventuell nach erfolgreicher Vertragserfüllung später einmal realisieren wird. Deshalb sind vom kalkulierten Überschuss Abschläge vorzunehmen. 162
Beim Ansatz von Fortführungswerten wird der Überschuss einzelner Aufträge in den Zukunftserfolgswert einfließen. Er ist, wie erläutert, eigentlich ein Gesamtwert. Allerdings führt man in der Praxis häufig eine Einzelbewertung durch, weil die Gesamtbewertung zu aufwendig ist.
163
Ähnlich wie mit schwebenden Verträgen, die auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sind, verhält es sich mit den Dauerschuldverhältnissen. Günstige Einkaufsverträge, lukrative Abnahmevereinbarungen oder attraktive Mietverträge haben einen „Wert“, wenn sie übertragbar sind. Ist nichts anderes vereinbart, bedarf es dafür der Zustimmung des Vertragspartners, der dies bei für ihn ungünstigen Vereinbarungen von Nachbesserungen abhängig machen wird, so dass der Vorteil für den Schuldner schwindet. Auch hier gilt im Übrigen für die Fortführung, dass die günstigen Verträge in den Zukunftserfolgswert einfließen. (6) Derivativer Firmenwert
164
Als derivativer Firmenwert wird regelmäßig die Differenz zwischen dem von dem Schuldner für den Erwerb eines Unternehmens gezahlten Kaufpreis und dem Wert der einzelnen Vermögensgegenstände bezeichnet, vgl. § 255 Abs. 4 HGB. Dieser Betrag wird von später notleidenden Käufern in der Handelsbilanz gerne möglichst lange als Firmenwert vorgetragen, indem nicht die relativ kurze Regelabschreibung des § 255 Abs. 4 HGB vorgenommen wird, sondern eine wesentlich längere nach der vermeintlich längeren Nutzungsdauer. In Wahrheit hat sich das erworbene Unternehmen als nicht so lukrativ erwiesen, wie es der Schuldner beim Erwerb eingeschätzt hatte. Sonst wäre die Krise nicht eingetreten. Aber selbst wenn die Krisenursache in anderen Umständen liegen sollte, ist der Firmenwert nicht isoliert veräußerbar. (7) Wert der Firma
165
Vom Firmenwert zu unterscheiden ist der Wert der Firma (§ 17 Abs. 1 HGB), die häufig auch noch als Marke geschützt ist. Sowohl die Firma (vgl. §§ 32 f. HGB) als auch die Marke (vgl. § 27 MarkenG) können übertragen werden, die Firma allerdings nur zusammen mit dem Handelsgeschäft, was bei einer Liquidation jedoch kein Hindernis ist1. 1 Siehe § 23 HGB; zur Problematik der Firmenfortführung bei Ausscheiden des namensgebenden Gesellschafters siehe Weßling, GmbHR 2004, 487 ff.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 169
(8) Sicherungs- und aufrechnungsbelastete Vermögensgegenstände Die Aktiva sind unabhängig davon anzusetzen, ob sie mit Sicherungs- oder Aufrechnungsrechten belastet sind. Anderenfalls müssten die Passiva um denselben Verkehrswert reduziert werden, mit dem die Aktiva unberücksichtigt blieben. Das verstößt gegen das Gebot der Vollständigkeit eines Überschuldungsstatus (vgl. § 246 HGB für die Handelsbilanz). Bei der Ermittlung einer aus dem Überschuldungsstatus abgeleiteten außergerichtlichen Vergleichsquote ist zu beachten, dass die Gläubiger nicht mit einer Quote auch für denjenigen Teil ihrer Forderungen einverstanden sein werden, für den sie durch Aufrechnung oder Sicherheitenverwertung eine volle Befriedigung erwarten können.
166
(9) Insolvenzanfechtung Insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche dürfen nicht aktiviert werden, weil sie außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht zur Schuldendeckung beitragen. Außerdem dienen sie der Gläubigergleichbehandlung mit der Konsequenz, dass der Anfechtungsgegner im Gegenzug eine Forderung gegen den Schuldner erhält, § 144 InsO. Das Reinvermögen wird durch die Anfechtung nicht verändert.
167
dd) Einzelne Passiva Auf der Passivseite des Überschuldungsstatus müssen sämtliche Schulden angesetzt werden, die aus dem Aktivvermögen zu befriedigen sind, unabhängig davon, ob sie fällig sind, vgl. § 41 InsO.
168
(1) Eigenkapitalersetzende Leistungen Eigenkapitalersetzende Forderungen der Gesellschafter und ihnen gleichgestellter Dritter sind im Insolvenzverfahren nur mit Nachrang zu berücksichtigen, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Daraus wurde geschlussfolgert, dass diese Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus nicht passiviert werden müssen1. Dem hat der BGH eine Absage erteilt. Er hält eine ausdrückliche qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarung (siehe unten Rz. 208 ff.) für erforderlich, um eigenkapitalersetzende Forderungen nicht in den Überschuldungsstatus aufzunehmen2; denn sie würden ihren Charakter als Verbindlichkeiten der Gesellschaft beibehalten. Außerdem seien die Geschäftsführer vor haftungs- und strafrechtlichen Risiken einer Falschbeurteilung des Eigenkapitalersatzes zu schützen. Das gelinge nur, wenn sie den Gesellschaftern eine Rangrücktrittserklärung abverlangen dürften. Eines Forderungsverzichts hingegen, wie er u.a. in der Regierungsbegründung zu § 19 InsO erwähnt wird, bedürfe es nicht3. 1 OLG München v. 8. 7. 1994 – 3 Ws 87/94, NJW 1994, 2112; Fleischer, ZIP 1996, 773, 777 ff.; Lutter, ZIP 1999, 641, 645 f.; zur KO Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1998, § 63 Rz. 46a; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rz. 17 ff. 2 BGH v. 8. 1. 2001 – IX ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 236 ff. 3 Begr. RegE, BT-Drucks, 12/2443, S. 115.
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169
§1
Rz. 170
Schuldnerberatung
170
Die Konsequenzen können fatal sein. Denkt der Geschäftsführer rechtzeitig an die Rangrücktrittsvereinbarung, hat der Minderheitsgesellschafter ein Druckmittel in der Hand, um sich sein wertloses Darlehen samt Geschäftsanteil von der Mehrheit abkaufen zu lassen. Die Mehrheit wird an einer Insolvenzvermeidung regelmäßig wesentlich interessierter sein als die Minderheit, weil sie die höheren Verluste tragen würde und bei einer Fortsetzung zudem den Vorteil hätte, die durch den Rangrücktritt weiterlebende Gesellschaft zu beeinflussen. Das Verbot sittenwidriger Schädigung bzw. das Gebot der Treuepflicht1 wird wegen des Zeitdrucks nur eine stumpfe Waffe sein.
171
Häufig sind sich die Organe gar nicht dessen bewusst, dass die Gesellschafterfinanzierung eine Überschuldung begründen kann. Intuitiv haben die Gesellschafter in der Vergangenheit genau die Finanzierungsverantwortung übernommen, mit der die Rechtsprechung die Eigenkapitalersatzbindung begründet. Geht es später um die Insolvenzverschleppungshaftung, müssen sie plötzlich erfahren, dass dieselbe Finanzierungsverantwortung zur Überschuldung und in der Folge zur Insolvenzverschleppung führte. Im Haftungsprozess stellt sich die Frage, ob der schleunigst nachgeholte Abschluss von Rangrücktrittsvereinbarungen es gestattet, die Gesellschafterdarlehen ex tunc unberücksichtigt zu lassen. Das ist namentlich dann von Bedeutung, wenn der nachgeholte Rangrücktritt die inzwischen vertiefte Überschuldung nicht mehr beseitigen kann, so dass dem Geschäftsführer mit einer ex nunc-Wirkung nicht gedient ist. Die Gesellschaft wäre, würde man die Rückwirkung ablehnen, bereits zu einem Zeitpunkt überschuldet gewesen, zu dem bei einer ex tunc-Wirkung die Überschuldung noch hätte vermieden werden können. Da der Rangrücktritt Verfügungscharakter hat (Rz. 208), dürfte ihm jedoch nur eine ex nunc-Wirkung zukommen. Bei der Haftung wegen Insolvenzverschleppung könnte allenfalls damit „geholfen“ werden, dass es am Verschulden fehlt, wenn der Insolvenzgrund durch einen erwarteten Rangrücktritt hätte vermieden werden können, der später tatsächlich nachgeholt wird. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist hierzu jedoch nicht ergangen.
172
Haben die Gesellschafter, statt Darlehen auszureichen, eigenkapitalersetzende Sicherheiten für Forderungen Dritter bestellt, müssen diese Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus passiviert werden2. § 32a Abs. 2 GmbHG (vgl. hierzu § 4 Rz. 179 ff.) verweist den Gläubiger zwar auf eine vorrangige Verwertung der Sicherheit. Der Vorrang betrifft aber nur das insolvenzrechtliche Verteilungsverfahren. Außerhalb des Verfahrens haftet das Vermögen des Schuldners für die gesamte Verbindlichkeit, die somit auch vollständig auszuweisen ist.
173
Neben den in §§ 32a f. GmbHG kodifizierten „Novellenregeln“ kommen die „Rechtsprechungsregeln“ in Betracht. Sie finden auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens Anwendung, allerdings der Höhe nach begrenzt auf den Teil der Gesellschaftersicherheit, der verlorenes Stammkapital (= Differenz zwischen bilanziellem Eigenkapital und Stammkapital) ersetzt. In dieser Höhe ist der Gesellschafter verpflichtet, die Gesellschaft von der durch ihn besicherten 1 Vgl. BGH v. 20. 3. 1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819 ff. („Girmes“) zur Treuepflicht der Aktionäre. 2 Meyer-Löwy, ZIP 2003, 1920, 1923 ff.
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 176
Schuld freizuhalten1. Dieser Anspruch ist im Überschuldungsstatus zu aktivieren. Häufig ist allerdings zweifelhaft, ob nennenswerte Beträge realisiert werden können, weil die Gesellschafter mit einer Insolvenz eventuell ihre einzige Einkunftsquelle verlieren und – jedenfalls bei einer personalistisch strukturierten Gesellschaft – weitere Haftungsverbindlichkeiten fällig werden. Unabhängig davon ist Voraussetzung für die Aktivierung, dass der Gesellschafter für seine Rückgriffsansprüche gegen die Schuldnerin (z.B. aus §§ 670, 774 BGB) den qualifizierten Rangrücktritt erklärt. Insofern gilt dasselbe wie für eigenkapitalersetzende Leistungen, die der Gesellschaft direkt gewährt wurden. Durch das „MoMiG“ wird die Erstattungspflicht der Gesellschafter, die innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag durch eine Leistung der Gesellschaft von einer persönlichen oder dinglichen Haftung frei wurden, komplett in das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht verlagert, §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsOE. Eine Aktivierung im Überschuldungsstatus kommt nicht in Betracht, weil die Ansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens kein Vermögen zur Gläubigerbefriedigung darstellen2.
174
Patronatserklärungen der Gesellschafter können zu den eigenkapitalersetzenden Leistungen gehören, wenn sie so verbindlich sind, dass sie eine Haftung des Gesellschafters begründen. Im Überschuldungsstatus sind sie wie eine Bürgschaft zu behandeln, also ein Rückgriffsanspruch in Höhe des werthaltigen Teils zu aktivieren, soweit die „Rechtsprechungsregeln“ in Analogie zu §§ 30 f. GmbHG anwendbar sind. Dann ist eine Rangrücktrittserklärung des Gesellschafters ist erforderlich, um die mit der Aktivierung als verbundene Verbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter auf Erstattung des Aufwandes nicht zu passivieren.
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(2) Rückstellungen Die in einer Handelsbilanz gebotenen Rückstellungen müssen regelmäßig auch in der Überschuldungsbilanz angesetzt werden3. Das gilt namentlich für Verluste aus schwebenden Geschäften4. Dazu gehören nicht nur die Geschäfte, die bei Erfüllung durch die Schuldnerin einen Verlust bringen, sondern auch diejenigen, die bei einer negativen Fortführungsprognose nicht mehr erfüllt werden können. Für sie sind entsprechende Schadensersatzansprüche zurückzustellen5.
1 BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05. 2 Anders könnte es sein, wenn künftig eine Erstattungspflicht zur Insolvenzabwendung aus der beabsichtigten Geschäftsführerhaftung abgeleitet wird. Jene soll nämlich gemäß § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHGE auch für Zahlungen an Gesellschafter eingreifen, die zur Zahlungsunfähigkeit führen. Daraus könnte folgen, dass die Haftung der Geschäftsführer auch die Abwendung der Zahlungsunfähigkeit zur Vermeidung eines Insolvenzantrages erfasst und damit sogar eine Rückzahlungspflicht der empfangenden Gesellschafter einhergeht. 3 BGH v. 22. 9. 2003 – II ZR 229/02, ZIP 2003, 2068. 4 Zum Meinungsstand über die Passivierung, Haas/Scholl, ZInsO 2002, 645, 646. 5 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2003, § 19 Rz. 53.
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176
§1
Rz. 177
Schuldnerberatung
177
Bei Krisenunternehmen häufig sind langfristige Verpflichtungen aus Dauerschuldverhältnissen, denen kein Vorteil für das Unternehmen gegenübersteht. Das ist z.B. der Fall bei nicht mehr genutzten Mieträumen und -gegenständen. Hier kann es zu Abgrenzungsproblemen im Verhältnis zu dem oben behandelten allgemeinen Abwicklungsaufwand kommen. Wird eine geleaste Maschine überhaupt nicht mehr benötigt, sind die noch geschuldeten Leasingraten zurückzustellen, ist sie hingegen nur überdimensioniert, behandelt die herrschenden Meinung das nach den obigen Ausführungen als nicht berücksichtigungspflichtige allgemeine Abwicklungsverluste.
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Das gilt aber nur für die allgemeinen Abwicklungsverluste. Sobald es um die Bewertung eines einzelnen Vermögensgegenstandes geht, muss der Schuldner die Chancen (stillen Reserven) und Risiken (stillen Lasten) berücksichtigen. Zu den Vermögensgegenständen gehören sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten, und zwar auch diejenigen, die in der Handelsbilanz nicht ausgewiesen werden, insbesondere Vor- und Nachteile aus bereits geschlossenen, aber noch schwebenden Geschäften. Da auf der Aktivseite für ein „gutes Geschäft“, das bei einer Fortführung oder einem Verkauf des Vertrages abgewickelt werden kann, der Erfolgsüberschuss angesetzt wird, muss auf der Passivseite der Verpflichtungsüberschuss berücksichtigt werden, sofern aus der Abwicklung Verluste entstehen.
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Allerdings sind die Verpflichtungsüberschüsse in der Finanzplanung enthalten, die zur Ermittlung der Fortführungsfähigkeit erstellt wird. Die Argumentation könnte deshalb lauten, dass bei einer positiven Fortführungsprognose nicht auch noch etwas passiviert werden muss, was aus der laufenden Geschäftsfortführung bezahlt werden kann. Ein solcher Einwand vermengt jedoch Liquidität und Vermögen. Nach § 19 InsO müssen die gesamten Aktiva den gesamten Passiva gegenübergestellt werden. Allein die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit über einen gewissen Zeitraum kann seit dem Inkrafttreten der InsO entgegen dem früheren (modifizierten) zweistufigen Überschuldungsbegriff nichts daran ändern, dass bei fehlender Vermögensdeckung ein Insolvenzgrund vorliegt, sofern die Haftung beschränkt ist. Liquiditätsplanung und Vermögensstatus sind deshalb parallel zu erstellen.
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Falls das Unternehmen bei gegebener Fortführungsfähigkeit nach der hier vom Verfasser vertretenen Auffassung als Ganzes bewertet wird, werden die Überund Unterdeckungen aus schwebenden Geschäften in den Zahlungsflüssen berücksichtigt, aus denen der im Status anzusetzende Unternehmenswert folgt. Auch wenn hierbei die Liquidität untersucht wird, handelt es sich trotzdem um eine Bewertung, weil die Zahlungszu- und -abflüsse nicht einfach addiert, sondern unter Berücksichtigung des Risikos auf den Stichtag diskontiert werden. Diese Abzinsung ist der eigentliche Bewertungsvorgang. Ein weiterer Unterschied zwischen der Fortführungsprognose und der Bewertung im Überschuldungsstatus ist der Prognosezeitraum. Während für die Fortführungsprognose ungefähr ein bis zwei Jahre angesetzt werden, können die Drohverluste z.B. aufgrund eines langfristigen nicht nutzbaren Miet- oder Leasingvertrages wesentlich länger anfallen. Sie dürfen durch eine Verkürzung des Prognosezeitraums genauso wenig unberücksichtigt gelassen werden wie beispielsweise 70
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Insolvenzeröffnungsgründe
§1
Rz. 182
eine erst in ferner Zukunft auszahlungswirksam werdende Pensionsverpflichtung1. Für die Bewertung unsicherer Verbindlichkeiten empfehlen Schmidt/Roth2 ein objektiviertes System, um das subjektive Bewerterermessen zu reduzieren. Bei einer negativen Fortführungsprognose sollen streitige Verbindlichkeiten voll passiviert werden, um früher ein Insolvenzverfahren auszulösen, dass aus Gründen des Gläubigerschutzes Vorrang gegenüber einem außergerichtlichen Liquidationsverfahren haben soll. Bei einer prinzipiell gegebenen Fortführungsfähigkeit müsse hingegen eine vorschnelle Zerschlagung des Unternehmens vermieden werden. Deshalb sollen die von Gläubigern behaupteten Verbindlichkeiten zwischen 0 % bei evidentem Rechtsmissbrauch der Gläubigerforderung über 2 bis 5 % bei Lästigkeit des Gläubigers und ca. 15 % bei Beginn eines Rechtsstreits bis hin zu 50 % bei Verlust der I. Instanz angesetzt werden. Dem ist nicht zu folgen. Für einen Vorrang des Insolvenz- vor dem Liquidationsverfahren gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte. Lästigkeitsprämien von 2 bis 5 % sind Scheingenauigkeiten und ein Prozessverlust ersetzt keine konkrete Risikobeurteilung, so dass auf die Pauschalen von vornherein verzichtet werden kann. Es kommt allein darauf an, den Verpflichtungsüberschuss oder die drohende bzw. streitige Verbindlichkeit mit einer quotalen Eintrittswahrscheinlich zu versehen, die entgegen § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB nicht mit Vorsicht, sondern gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG mit geschäftsmännischer Sorgfalt geschätzt werden muss.
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f) Dokumentation, Sachverständigengutachten Bewertung ist immer Prognose, weil es darum geht abzuschätzen, was für einen einzelnen oder einen Inbegriff von Vermögensgegenständen erzielt werden kann. Nur die Prognoserisiken sind bei den einzelnen Vermögensgegenständen und Bewertungsverfahren unterschiedlich. Wer ein gängiges Kfz verkaufen will, muss sich im Internet nur die Preise ansehen. Schwieriger ist es hingegen schon bei einer Spezialmaschine. Die größten Risiken bestehen wegen des langen Zeitraums bei der Unternehmensbewertung, auch wenn der Barwert von den erst in ferner Zukunft erwarteten Zahlungsströme weit geringer als der Nominalwert ist. Wegen dieser Unsicherheiten lehnt die herrschende Meinung eine Unternehmensbewertung bei der Überschuldungsprüfung ab. Das ein zwar unsicherer, aber entscheidungserheblicher und damit richtiger Wert sinnvoller ist als ein sicherer falscher, wurde bereits oben dargelegt. Andererseits darf das subjektive Ermessen nicht zum Einfallstor für eine Insolvenzverschleppung werden. Das Gesetz trägt dem dadurch Rechung, dass laut § 19 Abs. 2 InsO die Fortführungswerte die Ausnahme sind, die nach allgemeinen Grundsätzen derjenige darzulegen und zu beweisen hat, der sich darauf beruft3. Für die Beratung folgt daraus, dass die Gründe für die jeweiligen Zahlungserwartungen genau dokumentiert werden müssen. Das ist schwierig, weil eine lineare Trendextrapolation der Vergangenheit in die Zukunft weder zulässig 1 Zurückhaltend hingegen Haas/Scholl, ZInsO 2002, 645, 647. 2 Schmidt/Roth, ZInsO 2006, 236. 3 BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171.
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182
§1
Rz. 183
Schuldnerberatung
noch erfolgversprechend wäre; denn in der Vergangenheit ist der Schuldner ja schließlich in die Krise geraten. Er muss also genau darlegen, warum sich die Verhältnisse in der Zukunft bessern sollen. Dazu müssen die Auftragswahrscheinlichkeiten konkret begründet werden, z.B. durch den Wegfall eines Wettbewerbers, durch im einzelnen dargestellte Auftragsverhandlungen, durch Beseitigung von Lieferengpässen etc. Hierfür sollten die beim Schuldner dafür zuständigen Sachbearbeiter schriftliche und begründete Erklärungen über die Erwartungen abgeben. Hilfreich sind selbstverständlich auch Sachverständigengutachten zur Fortführungsprognose und zum Unternehmenswert. In der Praxis sind Gefälligkeitsgutachten des Hausberaters keine Seltenheit. Einer Haftung entzieht er sich dadurch, dass seine Stellungnahme auf den vom Schuldner gelieferten Zahlen beruht. Notgedrungen kann das Resultat nur eine self fullfilling prophecy sein, die den Schuldner nicht entlastet, wenn er durch die Art des Hinweises erkennen konnte, dass der Berater nichts anderes macht, als die vom Schuldner gelieferten Daten nur neu zu „verpacken“. Anderenfalls kommt eine Haftung des Beraters in Betracht. Sogar eine gemeinsame Haftung ist denkbar, wenn der Berater mit dem Siegel seines Gutachtens eine psychische Beihilfe zur Insolvenzverschleppung begangen hat. Um den Geschäftsführer zu entlasten, muss der Sachverständige sorgfältig und umfassend informiert werden. Außerdem hat der Schuldner das Gutachten auf Plausibilität zu prüfen1.
III. Beseitigung der Insolvenzgründe 183
Eine Sanierung des Schuldners erfordert sowohl absatz- und leistungswirtschaftliche als auch finanzwirtschaftliche Maßnahmen. Der leistungswirtschaftliche Bereich ist regelmäßig die Insolvenzursache. Er ist nur langfristig zu ändern und gehört nicht zur Domäne des Anwalts. Seine Aufgabe beschränkt sich meist darauf, bei der Beseitigung der Insolvenzgründe durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen mitzuwirken. Nur um sie geht es nachfolgend.
1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit 184
Die Zahlungsunfähigkeit ist beseitigt, wenn die fälligen Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wieder nachhaltig aufgenommen werden2. Das ist möglich entweder durch eine Zunahme der Zahlungsmittel oder durch eine Abnahme der Zahlungspflichten. a) Stundung
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Eine Stundungsvereinbarung ist das am geringsten in die Gläubigerposition eingreifende Mittel. Bei Geldkrediten gehören Prolongationsverhandlungen 1 BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265. 2 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; v. 25. 10. 2002 – IX ZR 17/01, NZI 2002, 88; BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, NZI 2002, 91.
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Spliedt
Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 187
zum Tagesgeschäft der Banken. Stundungsersuchen gegenüber den Lieferanten sind hingegen mit Vorsicht zu behandeln. Sie vermuten dahinter regelmäßig größere Schwierigkeiten, weil die Bank offenbar nicht mehr bereit ist, eine kurzfristige Zwischenfinanzierung zu gewähren. Die Konsequenz ist, dass zwar eine Stundung bewilligt, dafür aber neue Lieferungen nur Zug-um-Zug abgewickelt werden, was den beabsichtigten Liquiditätseffekt konterkariert. Außerdem sind Überschreitungen der Zahlungsziele ab einer gewissen Dauer den Kreditversicherern zu melden, was zu einem Domino-Effekt führt. Für die Praxis gilt deshalb: Wenn schon eine Verunsicherung der Gläubiger, dann in einem Umfang, dass später nicht „nachgelegt“ werden muss. Die ihnen abverlangten Sanierungsbeiträge müssen auch bei einer schlechter als erwartet eintretenden Entwicklung ausreichen, um eine Insolvenz zu vermeiden; denn die einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit wird nur dann beseitigt, wenn der Schuldner seine Zahlungen allgemein – und damit auch nachhaltig – wieder aufnimmt1. b) Kreditaufnahme Bevor sich ein Schuldner an die Geschäftspartner wendet, wird er sich um neue Darlehen bemühen. Banken sind jedoch bei der Vergabe von Sanierungskrediten – das sind Finanzierungen zur Vermeidung oder Beseitigung eines Insolvenzgrundes – äußerst zurückhaltend. Die Gründe sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern beruhen insbesondere bei kleinen Häusern auf einer Unsicherheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen2.
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aa) Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit Eine Besicherung von Neukrediten stellt ein Bargeschäft dar, bei dem gemäß § 142 InsO die Anfechtung eingeschränkt ist3 (vgl. § 10 Rz. 293 ff.). Anders verhält es sich mit der Besicherung von Altkrediten. Sie ist eine inkongruente Deckung4, die gemäß § 131 InsO der Anfechtung unterliegt (vgl. § 10 Rz. 127 ff.). Der in den AGB der Banken und Sparkassen vorgesehene Nachbesicherungsanspruch bezieht sich nicht auf einen konkreten Gegenstand und vermag deshalb keine Kongruenz zu begründen5. Allerdings setzt jede insolvenzrechtliche Anfechtung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus. Sollte es dazu kommen, steht die Bank auch nicht schlechter da als ohne die zusätzliche Besicherung des Altkredits. Deshalb werden Neukreditvergaben gelegentlich mit der Nachbesicherung auch des Altkredits verbunden. Damit kann ein Insolvenzantrag verzögert werden, so dass die inkongruente Deckung hinsichtlich des Altkredits aus der Drei-Monats-Frist des § 131 Abs. 1 InsO herausfällt. 1 BGH v. 21. 6. 2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469. 2 Überblick bei Kiethe, KTS 2005, 179; Schäffler, BB 2006, 56; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553; zum strafrechtlichen Risiko siehe Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, 103 ff. zum Haftungsrisiko der organschaftlichen Vertreter der Bank bei der Vergabe von Sanierungskrediten: Witte/Hrubesch, BB 2004, 725, 729 ff. 3 BGH v. 7. 3. 2001 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812, 814. 4 BGH v. 3. 12. 1998 – IX ZR 313/97, WM 1999, 12, 14 = ZIP 1999, 76. 5 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812, BGH v. 3. 12. 1998 – IX ZR 313/97, WM 1999, 12, 14 = ZIP 1999, 76; Feuerborn, ZIP 2002, 290, 293.
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187
§1
Rz. 188
Schuldnerberatung
Eine unentgeltliche Leistung gemäß § 134 InsO (vgl. § 10 Rz. 192 ff.), die auch außerhalb dieser Frist angegriffen werden kann, liegt nicht vor; denn die Stellung von Sicherheiten ist ein Minus gegenüber einer (Rück-)Zahlung, darf also nicht unter leichteren Voraussetzungen angefochten werden als eine Befriedigung1. Das gilt jedenfalls bei einer nachträglichen Besicherung eigener Schuld, während der BGH bei einer Besicherung fremder Schuld selbst bei einem Eigeninteresse des Sicherungsgebers Unentgeldlichkeit annimmt, wenn die Forderung des nachträglich besicherten Gläubigers nicht mehr durchsetzbar ist2. 188
Daneben besteht – außer einem eventuellen Verdikt der Sittenwidrigkeit (s.u.) – für die Besicherung sowohl des Neu- als auch und erst recht des Altkredits die Gefahr der Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO (vgl. § 10 Rz. 167 ff.). Wird nur der Neukredit besichert, wird es regelmäßig an einem Nachteil für die Gläubiger fehlen; denn die Vermögensbelastung geht mit einer Vermögenserhöhung in Form der Kreditauszahlung einher. Ausgeschlossen ist die Anfechtung zwar auch dann nicht. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, dass der Schuldner bzw. Geschäftsführer von vornherein die Absicht hat, die Kreditmittel für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden. Das geht mit Geld leichter als mit den zur Sicherheit hingegebenen Vermögensgegenständen, so dass „unterm Strich“ eine Gläubigerbenachteiligung eintreten kann. Der Bank wird so etwas allerdings verschlossen bleiben. Ihr fehlt dann die für § 133 Abs. 1 InsO erforderliche Kenntnis von der Benachteiligungsabsicht, so dass die Anfechtung in der Praxis nur relevant werden kann, wenn – zumindest zusätzlich – ein Altkredit besichert wird.
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Ist sich der Schuldner der Krise bewusst – was ex definitione der Anlass für einen Sanierungskredit ist -, fehlt es ihm am Benachteiligungsvorsatz nur, wenn er subjektiv davon überzeugt sein durfte, dass die Zahlungsunfähigkeit nachhaltig beseitigt werden kann3. Dafür reicht eine aus dem Blauen geschöpfte Hoffnung nicht aus, vielmehr bedarf es konkreter Anhaltspunkte, wobei die Rechtsprechung die pflichtgemäße Einschätzung eines objektiven Dritten erwähnt4. Der Dritte kann auch der Steuerberater oder Anwalt des Schuldners sein. Da die Kenntnis der Bank vom Benachteiligungsvorsatz vermutet wird, wenn sie von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste, § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO, wird sie ein unabhängiges Sachverständigengutachten verlangen.
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Für den Sachverständigen gilt jedoch ebenso wie für den Schuldner, dass es nur subjektive Prognosen gibt. Hinzu kommt, dass es ihm in der bei Sanierungen gebotenen Eile häufig nicht möglich sein wird, sich in den Stand der Technik und die Marktverhältnisse einzuarbeiten, um die Wettbewerbssituation zu klären. Auch wird er kurzfristig keine eigene Produkt- bzw. Auftragskalkulation erstellen können. Sein Urteil muss deshalb auf den subjektiven Einschätzungen der jeweiligen Ressortleiter beruhen, auf die er seine eigene subjektive 1 Hirte in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 142 Rz. 10. 2 BGH v. 1. 6. 2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362. 3 Hirte in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 133 Rz. 22; BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276. 4 BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (zum Sanierungsprivileg des § 32a Abs. 3 GmbHG; BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276, 280.
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Spliedt
Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 192
Plausibilitätskontrolle stützt. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des prognostizierten Erfolges erhöht sich dadurch kaum. Die Einschaltung eines Sachverständigen ist deshalb nicht mehr als eine „Versicherung“ dagegen, dass das Verfahren bei Erstellung der Prognose geschäftsmännischer Sorgfalt im Sinne des § 43 Abs. 1 GmbHG widerspricht. Juristisch erforderlich ist das aber nicht. Zu Recht hat der BGH auch andere Indizien gegen den Benachteiligungsvorsatz akzeptiert. Insbesondere ließ er es zum Nachweis des Vertrauens in den Sanierungserfolg ausreichen, dass die Gesellschafter ihr finanzielles Engagement im erheblichen Umfang erhöhten1. bb) Sittenwidrigkeit Eine weitere Gefahr droht dem Sanierungskredit unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit. Die Rechtsfolgen sind – außer der Unwirksamkeit des Kreditvertrages – sowohl die Nichtigkeit der Sicherheitenbestellung, § 138 BGB2, als auch die Haftung wegen sittenwidriger Schädigung Dritter, § 826 BGB3. In Form der Übersicherung kommt sie de facto nicht vor, weil der Schuldner in der Krise selten die Kreditforderung übersteigende Sicherheiten aufbringen kann. Auch die Knebelung des Schuldners als eine Fallgruppe der Sittenwidrigkeit ist bei der Vergabe von Sanierungskrediten kaum anzutreffen. Allein die Tatsache, dass die Bank anlässlich einer Nachfinanzierung auch noch das letzte bis dahin freie Vermögen erhält, reicht selbst dann nicht für eine Knebelung aus, wenn sie die einzige Bank ist und nunmehr sämtliche Vermögensgegenstände zur Sicherung innehat; denn für eine Knebelung muss zur Vermögensübertragung die Verfügungsbeschränkung hinzukommen. Erst wenn der Schuldner seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit verliert, wird der Verbotsbereich berührt4. Daran werden die Banken kein Interesse haben, müssen sie doch sonst sämtliche Einzelverfügungen genehmigen und damit eine Art faktischer Geschäftsinhaberschaft durch personelle Kompetenzen und Weisungsrechte dokumentieren. Solange der Schuldner berechtigt bleibt, im ordnungsgemäßen Geschäftsgang über die Sicherungsgüter zu verfügen, liegt keine Knebelung vor.
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Ein anderer Fall der sittenwidrigen Kreditvergabe besteht darin, dass die Bank in der Krise ihre Stellung rücksichtslos und eigennützig auf Kosten anderer Gläubiger zu verbessern sucht. Ein Beispiel ist das am Umlaufvermögen gesicherte Kreditinstitut, das den Schuldner durch Neukredite „über Wasser“ hält, um die Verwertung unfertiger Erzeugnisse zu ermöglichen und den Erlös in voller Höhe zu vereinnahmen, während die neuen Lieferanten oder auch Gewährleistungsgläubiger von eiligst und deshalb mangelhaft durchgeführten Leistungen ausfallen5. Das stellt zugleich eine deliktische Beteiligung an einer Insolvenzverschleppung dar, wenn es sich bei der Schuldnerin um eine juristische Person handelt.
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BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248, 252. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 138 Rz. 86, 97. Palandt/Thomas, BGB, 66. Aufl. 2007, § 826 Rz. 13, 35 ff. Siehe Überblick bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, 915 ff. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, 737 f., 740 f.
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§1
Rz. 193
Schuldnerberatung
193
Um einer Haftung wegen Sittenwidrigkeit zu entgehen, wird ebenso wie zur Vermeidung einer Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung behauptet, dass erst eine genaue Sanierungsprüfung durch einen Sachverständigen erforderlich sei, bevor ein Neukredit vergeben werden dürfe1. Das ist jedoch überzogen. Zwar verlangt die Sittenwidrigkeit keine Schädigungsabsicht, die billigende Inkaufnahme der Schädigung anderer Gläubiger reicht aus2. Die Bank ist aber nicht Hüter der Interessen dieser Gläubiger. Nur eine besonders grobe Nachlässigkeit, bei der die Augen vor der Schädigung Dritter verschlossen werden, rechtfertigt einen solchen Vorwurf3. Eine Kreditvergabe „ins Blaue“ kommt in der Praxis aber kaum vor. Vielmehr erstellt der Schuldner für die Kreditgespräche ein eigenes Konzept. Dann reicht es aus, wenn die Bank es auf Sorgfalt und Plausibilität prüft. Die Ausführungen zur Bedeutung des Sachverständigengutachtens im Zusammenhang mit der Anfechtbarkeit vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligungen gelten hier erst recht, verlangt die Sittenwidrigkeit doch ein über die Gläubigerbenachteiligung hinausgehendes Unwerturteil4.
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Es gibt Situationen, in denen ein kurzfristiger Kreditbedarf eintritt und noch nicht einmal das Sanierungskonzept des Schuldners vorliegt. Dann kann die Bank für die Dauer der Sanierungsprüfung einen Überbrückungskredit gewähren, ohne sich dem Vorwurf der Sittenwidrigkeit auszusetzen5.
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Eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung der sittenwidrigen Schädigung ist neben der Schädigungsabsicht der Eigennutz. An ihr wird es regelmäßig fehlen, wenn die Bank kein über die Neukreditvergabe hinausgehendes Interesse verfolgt, was insbesondere der Fall ist, wenn der Sanierungskredit bei einer neuen Bank aufgenommen wird. In der Krise wird eine neue Bank Darlehen aber nur dann ausreichen, wenn sie gesellschafterseitig besichert wird. Geschieht dies gar ohne parallel von der Schuldnerin gestellte Sicherheiten, bedarf es für die Neukreditvergabe keiner weiteren Prüfung. Insofern gilt nichts anderes als für die unmittelbare Gesellschafterfinanzierung. Die Gesellschafter sind frei, die Krise durch eine Kapitalerhöhung oder (eigenkapitalersetzende) Darlehen zu überwinden, mögen diese Maßnahmen auch von leichtfertiger Hoffnung getragen sein. Ein Sittenverstoß wird ihnen nicht angelastet werden dürfen. c) Gesellschafterfinanzierung
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In der Krise von den „Alt-“Gesellschaftern ausgereichte Darlehen haben eigenkapitalersetzenden Charakter, sofern das Kleingesellschafterprivileg des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG nicht eingreift. Für die umgekehrte Konstellation, dass nicht ein Alt-Gesellschafter neue Darlehen, sondern ein Darlehensgeber NeuGesellschafter wird, enthält § 32a Abs. 3 a.E. GmbHG das so genannte Sanie1 So der BGH ursprünglich (BGH v. 9. 7. 1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228) und neuerdings wieder ähnlich (BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248). 2 Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 138 Rz. 8. 3 Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 138 Rz. 40; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, S. 742 ff. spricht von Plausibilitätskontrolle. 4 Koller, JZ 1985, 1013; Palandt/Thomas, BGB, 66. Aufl. 2007, § 826 Rz. 36. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, 748 f.
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Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 199
rungsprivileg (vgl. § 4 Rz. 78 ff.). Es wird auf die Krisenfinanzierung der Alt-Gesellschafter selbst dann nicht analog angewendet, wenn ein Gesellschafter von anderen die Mehrheit zusammenkauft und in diesem Zusammenhang ein neues Sanierungsdarlehen ausreicht (siehe § 4 Rz. 83). Mit der Gesellschafterfinanzierung wird eine Zahlungsunfähigkeit beseitigt, eine Überschuldung jedoch nur, wenn zugleich der Rangrücktritt vereinbart wird. Im Übrigen unterliegt die Kreditvergabe nicht der Gefahr einer Haftung wegen sittenwidriger Schädigung (siehe § 2 Rz. 164 ff.).
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Eine andere Möglichkeit, die Kreditausweitung bei Banken oder Lieferanten zu erleichtern, besteht in der Unterstützung der Gesellschaft durch Abgabe einer Patronatserklärung1 seitens der Gesellschafter. In der Regel handelt es sich hierbei um eine Erklärung gegenüber einem oder mehreren Gläubigern der Gesellschaft. Mit einer Bürgschaft hat sie gemein, dass sie dem Schutz des Gläubigers dient. Von ihr unterscheidet sie sich, indem der Patron nicht unmittelbar eine Zahlung an ihn verspricht, sondern erklärt, dass die schuldnerische Gesellschaft jederzeit ihren Verpflichtungen nachkommen kann. Die „weiche“ Patronatserklärung ist nur eine good-will-Erklärung („wir stehen hinter unserer Gesellschaft, die auch weiterhin in den Konzern eingebunden bleiben wird“). Sie allein führt nicht zur Haftung. Bei einer „harten“ Patronatserklärung begründet der Patron hingegen eine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger, so dass er im Falle der Insolvenz von diesem oder vom Insolvenzverwalter2 aus einem Garantievertrag in Anspruch genommen werden kann3.
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Die Patronatserklärung ist regelmäßig ein Vertrag zwischen Gesellschafter und Gläubiger, der üblicherweise über die schuldnerische Gesellschaft vermittelt wird. Nicht selten erklärt der Gesellschafter auch nur ihr gegenüber, sie in die Lage zu versetzen, stets ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Der Sache nach ist das eine unbegrenzte Nachschusspflicht. Da sie keine satzungsrechtliche, sondern eine individualvertragliche Grundlage hat, ist trotz der Ähnlichkeit zu §§ 26 f. GmbHG eine Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag mit der Folge einer Beurkundungsbedürftigkeit nicht erforderlich4. Auch handelt es sich wegen der beabsichtigten Werterhaltung der Gesellschaftsbeteiligung nicht um ein beurkundungsbedürftiges Schenkungsversprechen5 Handelt es sich bei der Abrede um eine „harte“ Einstandspflicht, insbesondere mit dem Zweck, ein Insolvenzverfahren zu vermeiden, können werthaltige Ansprüche auf Ausgleich der Überschuldung aktiviert werden6. Dann bedarf es aber einer Rangrücktrittsvereinbarung des Gesellschafters, weil sonst die Aktivmehrung mit einer Passivmehrung korrespondieren würde.
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1 Überblick bei v. Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641 ff. 2 Zur Aktivlegitimation s. Kiethe, ZIP 2005, 646; Wolf, ZIP 2006, 1885. 3 BGH v. 30. 1. 1992 – IX ZR 112/91, BGHZ 117, 127, 130 ff.; BGH v. 8. 5. 2003 – IX ZR 334/01, BB 2003, 1300, 1302. 4 Scholz/Emmerich, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 3 Rz. 61, 72 f., § 26 Rz. 7. 5 BGH v. 8. 5. 2006 – II ZR 94/05, ZIP 2006, 1199. 6 Diese Ansprüche sind entgegen LG München II v. 25. 2. 2004 – 5 O 6088/02, ZInsO 2004, 626, 628, selbstverständlich auch im Insolvenzverfahren durchsetzbar, Marotzke, ZInsO 2004, 601 f.
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§1 200
Rz. 200
Schuldnerberatung
Für die Praxis ist zu berücksichtigen, dass die Figur der „harten“ Patronatserklärung eigentlich überflüssig ist; denn im Verhältnis zu den Gläubigern entspricht sie einer Bürgschaft und im Verhältnis zur Gesellschaft einer Verlustausgleichsvereinbarung. Trotzdem bevorzugen viele Mandanten eine Patronatserklärung, weil sie meinen, daraus nicht so leicht wie aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen zu werden. Deshalb ist in der Krise in jedem Fall eine Klarstellung der Haftung erforderlich. d) Verkauf von Aktiva, Anzahlungen
201
Andere Möglichkeiten der Liquiditätsverbesserung sind Objektfinanzierungen, insbesondere in Form des sale and lease back-Verfahrens. Dabei werden Vermögensgegenstände an eine Leasinggesellschaft verkauft und langfristig zurückgeleast. Hierbei handelt es sich um ein unanfechtbares Bargeschäft, wenn der Kaufpreis dem Verkehrswert des Gegenstandes entspricht, § 142 InsO (zum Ausnahmefall der Absichtsanfechtung s. § 10 Rz. 167 ff., 299 ff.).
202
In Betracht kommt des Weiteren eine Liquiditätsschöpfung aus dem Umlaufvermögen. Darunter fällt zunächst der Forderungsverkauf, der jedoch regelmäßig daran scheitert, dass die Forderungen bereits einer Bank zur Sicherheit abgetreten wurden. Bei einer Abhängigkeit des Kunden von dem notleidenden Schuldner ist auch dessen Einbindung in die Sanierung beispielsweise durch vorgezogene Anzahlungen möglich. Der Vorratsabbau ist ebenso wie die Reduzierung der Forderungslaufzeiten ein Weg, der regelmäßig schon beschritten wurde, bevor externe Beratung in Anspruch genommen wird. Der Anwalt stellt dann meist fest, dass das Vorratsvermögen als Kleid für das so genannte „window dressing“ herhalten musste. Das sind schmückende Vorräte und Forderungen, die längst hätten wertberichtigt worden sein müssen. Zur Vorbereitung von Sanierungsverhandlungen sollte darauf besonderes Augenmerk gelegt und die Werthaltigkeit mit Personen aus dem schuldnerischen Unternehmen besprochen werden, die ohne gesteigertes Eigeninteresse Hinweise geben können.
2. Beseitigung der Überschuldung a) Maßnahmen Aktiva aa) Verkauf von Aktiva 203
Beseitigung der Überschuldung heißt Vermögensmehrung oder Schuldenminderung. Für die Vermögensmehrung reicht es nicht aus, dass stille Reserven aufgedeckt werden; denn das ist im Überschuldungsstatus schon geschehen. Dort werden die Verkehrswerte angesetzt, ohne dass es eines Verkaufs bedarf. Bei einem Stützungskauf von Vermögensgegenständen durch Gesellschafter können jedoch höhere Beträge zustande kommen. Sie wollen damit allerdings häufig „zwei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen: Der Vermögensgegenstand, bspw. ein Grundstück, dient der finanzierenden Bank als Sicherheit für einen Kredit, den die Gesellschafter verbürgt haben. Für sie ist es ein wirtschaftlich neutrales Geschäft, wenn sie die Immobilie statt z.B. für einen Verkehrswert 78
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Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 205
von 800,00 Euro für 1 000,00 Euro erwerben, den Kaufpreis an die Bank zahlen und in dieser Höhe von ihrer Bürgenhaftung frei werden. Dabei wird jedoch regelmäßig übersehen, dass die Bürgschaft längst eigenkapitalersetzenden Charakter gewonnen hat. Sollte es später zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen, wird der Verwalter den Gesellschafter gemäß § 32b GmbHG auf Erstattung des an die Bank geflossenen Kaufpreises in Anspruch nehmen. Das ist zwar nur möglich, wenn der Eröffnungsantrag innerhalb eines Jahres gestellt wird. Ersetzt die Gesellschafterleistung aber sogar – wie meist – verlorenes Stammkapital, greift die Erstattungspflicht analog §§ 30 f. GmbHG ein, für die eine Verjährung von fünf Jahren gilt. Eine Erstattungspflicht besteht auch dann, wenn das Eigenkapitalersatzrecht durch das MoMiG modifiziert werden sollte, nur dass die Rückabwicklung jetzt allein im Wege der insolvenzrechtlichen Anfechtung durchgesetzt werden soll und sich auf Vorgänge im letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag beschränkt, § 135 InsOE (zu den Einzelheiten siehe § 4 Rz. 331 ff., 365). bb) Wertgarantie Statt eines Verkaufs von Aktiva kommt auch die Garantie eines über dem mutmaßlichen Verkehrswert liegenden Betrages in Betracht, um die Überschuldung zu beseitigen. Außerdem ist eine Garantie sinnvoll, wenn zweifelhaft ist, ob bestimmte Vermögensgegenstände (z.B. Forderungen oder Erlöse aus noch fertig zu stellenden Arbeiten) den in der Überschuldungsbilanz angegebenen Wert haben. Dann kann sich ein Dritter oder ein Gesellschafter verpflichten, eine etwaige Differenz zum Realisationswert an die Schuldnerin auszugleichen.
204
cc) Erhöhung des Stammkapitals (Registerpublizität) Die Kapitalerhöhung schlägt sich buchhalterisch auf der Passivseite nieder, bewirkt aber im Überschuldungsstatus eine Erhöhung des Reinvermögens. Als Erstes kommt die Stammkapitalerhöhung in Betracht. Zwar lassen sich Gesellschafterversammlungen relativ kurzfristig einberufen (§ 51 Abs. 1 GmbHG: eine Woche; § 123 AktG: ein Monat). Ein akuter Liquiditätsbedarf wird aber von maßgebend beteiligten Gesellschaftern gelegentlich schon vor einer Beschlussfassung befriedigt. Dann stellt sich die Frage, ob die Einlage wirksam erbracht ist, weil bis zur beurkundeten Beschlussfassung noch nicht einmal im Innenverhältnis der Gesellschafter untereinander ein Rechtsgrund für die Einlageleistung besteht. Häufig zeichnen die Gesellschafter nur deshalb eine Kapitalerhöhung, weil bestimmte, ihnen nahestehende oder für ihren eigenen, außerhalb der Gesellschaft bestehenden Geschäftsbetrieb wichtige Gläubiger daraus befriedigt werden sollen. Solche Verwendungsabsprachen können insbesondere bei Direktzahlungen an die Gläubiger dazu führen, dass die erhöhte Einlage nicht geleistet wurde. Eine Kapitalerhöhung wird in der Krise regelmäßig mit einer Kapitalherabsetzung verbunden, wenn neue Gesellschafter hinzutreten. Damit soll erreicht werden, dass die Altgesellschafter, deren Beteiligungen durch die Verluste der Gesellschaft unterhalb der Nominalwerte liegen, dieselben Mitgliedschaftsrechte repräsentieren wie die durch den EinSpliedt
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205
§1
Rz. 206
Schuldnerberatung
satz von „fresh money“ erworbenen Neu-Anteile. Hierfür bietet sich die vereinfachte Kapitalherabsetzung gemäß § 58a GmbHG an. Fehler bei Kapitalveränderungen können auch bei einem mit der Gesellschaft geschlossenen Beratungsvertrag die Haftung des Anwalts gegenüber den Gesellschaftern begründen (vgl. Rz. 22 ff.), aber auch gegenüber dem Geschäftsführer, wenn der Geschäftsführer es unterlässt, eine fehlerhaft geleistete Einlage ein zweites Mal einzufordern. Für die Einzelheiten wird auf § 3 zur „Gesellschafterberatung“ verwiesen. dd) Kapitalerhöhung ohne Registerpublizität 206
Die vorgenannten Risiken resultieren allein aus der Formstrenge der Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsvorschriften, die an das im Handelsregister publizierte Kapital anknüpfen.
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Solange die Publizität nicht berührt wird, ist jede Form der Vermögenszuführung zulässig, insbesondere auch ein „Debt-Equity-Swap“. Dabei werden Verbindlichkeiten in die Rücklagen umgegliedert, so dass sich das Eigenkapital erhöht. Der Gläubiger kann, wenn er nicht ohnehin schon Gesellschafter ist, einen bestehenden oder geringen neuen Anteil im Wege der Barkapitalerhöhung erwerben, meist kombiniert mit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung. Im Gesellschaftsvertrag können ihm darüber hinaus besondere Mitsprache- und Vermögensrechte als Gegenleistung dafür eingeräumt werden, dass er auf Forderungen verzichtet oder der Gesellschaft Vermögensgegenstände überträgt. In der GmbH sind weder Mehrstimm- noch Mehrgewinnrechte verboten. Bei der AG scheitert das zwar am Gleichbehandlungsgebot der §§ 53, 134 Abs. 2 AktG. Aber auch hier sind Ausweichlösungen denkbar wie beispielsweise die Umwandlung von Schulden in Genussrechte, vgl. § 241 Abs. 4 AktG. Die Überschuldung wird dadurch allerdings nur beseitigt, wenn sich die Genussrechte auf einen Anspruch auf künftige Gewinne oder einen Liquidationsüberschuss erstrecken1. Ansonsten kommen stille Beteiligungen oder partiarische Darlehen in Betracht. Bei ihnen ist darauf zu achten, dass die Rückzahlungsforderungen wie bei einem Besserungsschein nur aus einem Vermögenszuwachs befriedigt werden dürfen2. Sonst muss die Passivierung im Überschuldungsstatus beibehalten werden, was sich für stille Beteiligungen aus § 236 Abs. 1 HGB und für partiarische Darlehen aus dem Charakter als normale Verbindlichkeit ergibt. b) Maßnahmen Passiva aa) Besserungsschein, Rangrücktrittsvereinbarung
208
Im Unterschied zum „Debt-Equity-Swap“ gewährt ein „Besserungsschein“ keine Beteiligung an einem nach der Sanierung wieder steigenden Unternehmenswert, sondern im günstigen Fall nur die Tilgung der Nominalforderung, evtl. zzgl. Zinsen. Denkbar ist allerdings, beides in Form eines besserungsbedingten partialischen Darlehens zu kombinieren. 1 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 42. 2 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 43.
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Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 210
(1) Gestaltungsmöglichkeiten Der Besserungsschein kommt in zwei Varianten vor: als Forderungsverzicht oder als Rangrücktrittserklärung. Der Forderungsverzicht ist ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) unter der auflösenden Bedingung, dass die Forderung nach Maßgabe der Besserungsabrede (= Besserung der Vermögensverhältnisse) wieder auflebt. Die Rangrücktrittsvereinbarung ist eine (verfügende)1 Änderung des Schuldverhältnisses2 mit dem Inhalt, dass der Gläubiger die Forderung im Insolvenzverfahren nur mit Nachrang und außerhalb des Insolvenzverfahrens nur aus einem künftigen Vermögenszuwachs geltend machen darf. Um den Gesellschaftern einen Anreiz für die Stärkung des Eigenkapitals zu bieten, wird der Vermögenszuwachs durch Kapitalerhöhungen meist nicht als Besserung angesehen, die eine Fälligkeit der zurückgetretenen Schuld herbeiführen soll. Allerdings kann die Beschränkung auf Gewinne zu einem steuerpflichtigen Sanierungsgewinn führen (s.u.). Die Vereinbarung über ein „Wieder-Vortreten“ der Verbindlichkeit ist wirtschaftlich dem Bedingungseintritt beim Forderungsverzicht gegen Besserungsschein gleichwertig. Beide Gestaltungsmittel sind zur Beseitigung der Überschuldung nach Maßgabe der im Folgenden erläuterten Besonderheiten weitgehend austauschbar. Unterschiede gibt es vor allem in den steuerlichen Konsequenzen und bei den Sicherheiten.
209
(2) Auswirkungen auf Sicherheiten Die Auswirkungen auf die Sicherheiten sind konträr: Beim Forderungsverzicht erlöschen die akzessorischen Sicherheiten (z.B. Mobiliarpfandrecht, Hypothek, Bürgschaft) und sind die nicht akzessorischen zurückzugeben3, es sei denn, dass etwas anderes vereinbart wird. So kann die nicht akzessorische Sicherheit durchaus bestehen bleiben, um für die später evtl. wieder auflebende Forderung zu haften. Für eine Sanierung ist das in der Regel jedoch nicht hilfreich. 1 K. Schmidt, FS Raupach, 2006, 405; ders., in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32 b Rz. 105, der selbst in einem qualifizierten Rangrücktritt nur ein pactum de non petendo sieht, während die herrschende Meinung jedenfalls den vom BGH verlangten qualifizierten Rangrücktritt als Inhaltsänderung der Forderung und damit als Verfügung über dieses Recht ansieht. Dem ist zuzustimmen, Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 42 Rz. 49 f. wäre es keine Inhaltsänderung, müsste ein selbstständiges Leistungsverweigerungsrecht konstruiert werden, damit der Schuldner auch bei einer Abtretung der Forderung dem neuen Gläubiger den Rangrücktritt entgegenhalten kann, § 404 BGB. Um die Verfügung kommt man somit nicht umhin. Wesentlich ist der Verfügungscharakter in den Fällen, in denen nachträglich ein Rangrücktritt vereinbart wird, z.B. um eine spätere Inanspruchnahme wegen Insolvenzverschleppung zu vermeiden. Da dingliche Rechtsänderungen immer nur ex tunc wirken und eine Rückwirkung allein im Innenverhältnis zwischen den beteiligten Parteien möglich ist, arg. E § 159 BGB, kann auf diese Weise der Schutz der Rangrücktrittsvereinbarung unbeteiligten Gläubiger nicht umgangen werden. 2 Knobbe-Keuk, ZIP 1983, 127, 140; wohl auch Lutter/Hommelhoff/Timm, BB 1980, 737, 740; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, S. 270 f.; Priester, DB 1991, 1917, 1920. 3 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 41; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, S. 274; Bsp. Grundschuld: aus Sicherungsabrede oder §§ 875, 1183, 1192 BGB.
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210
§1
Rz. 211
Schuldnerberatung
211
Umgekehrt beseitigt der Rangrücktritt (vgl. auch § 4 Rz. 248 ff.) nur die Durchsetzbarkeit der Forderung, so dass keine Verwertungsreife eintritt. Zurückzuübertragen sind die Sicherheiten erst mit Insolvenzeröffnung, weil dann eine Verwertungsreife endgültig ausscheidet1.
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Für die Praxis empfiehlt sich eine genaue Regelung der Sicherheiten. In beiden Fällen ist es ungünstig, einerseits die Durchsetzbarkeit der Forderung von einem Sanierungserfolg abhängig zu machen, ihn andererseits aber dadurch zu erschweren, dass die alten – beim Forderungsverzicht nur die nicht akzessorischen – Sicherheiten für neue Kredite blockiert bleiben. Bestehen auch externe, insbesondere von den Gesellschaftern gestellte Sicherheiten, sind Gläubiger regelmäßig nicht gewillt, mithaftende Dritte aus dem Obligo zu entlassen. Ihre Position sollte gemeinsam und ausdrücklich geregelt werden. Das gilt sowohl für den Forderungsverzicht gegen Besserungsschein, weil z.B. Gesellschafterbürgschaften sonst entfallen, als auch für die Rangrücktrittsvereinbarung, die zur Durchsetzungssperre (§ 768 BGB), u.U. sogar zum Verlust der Bürgenhaftung (vgl. §§ 767 Abs. 1 Satz 3, 776 BGB) führen kann. (3) Auswirkungen auf die (Steuer-)Bilanz, Umsatzsteuer
213
In der Handels- und in der Steuerbilanz führt ein Forderungsverzicht dazu, dass die Passivierung entfällt2. Die Tatsache, dass die Verbindlichkeit bei späteren Gewinnen wieder entsteht, ist nicht wie ein rückstellungspflichtiges schwebendes Geschäft zu behandeln. Für das Steuerrecht ist das in § 5 Abs. 2a EStG ausdrücklich erwähnt. Die Konsequenz ist, dass sich aus dem Forderungsverzicht ein Sanierungsgewinn ergibt, der mit Verlustvorträgen – im Rahmen der dafür geltenden Begrenzung („Mindestbesteuerung“) – verrechnet werden kann.
214
Eine Sonderrolle spielt der Forderungsverzicht des Gesellschafters. Der Verzicht kommt der Leistung einer – außerhalb einer förmlichen Stammkapitalerhöhung erbrachten – Einlage gleich, aber nur insoweit, als die Forderung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch einlagefähig ist. Sie ist es nur in Höhe ihres werthaltigen Anteils. Der darauf entfallende Verzicht ist als Einlageleistung nicht ertragswirksam. Im Übrigen bleibt es bei der gewinnerhöhenden Wirkung, wie sie auch dem Forderungsverzicht eines „normalen“ Gläubigers zukommt3.
215
Verbleibt nach der Verrechnung mit Verlustvorträgen ein Sanierungsgewinn, ist er steuerpflichtig, wobei die darauf entfallende Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer aus Billigkeitsgründen erlassen werden kann. Die Einzelheiten regelt der Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. 3. 2003 zur ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen, Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 222, 227 AO)4. Zur Be1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, S. 271 Fn. 1; 274 f. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, S. 271. 3 BFH v. 9. 6. 1997 – GrS 1/94, BB 1997, 1735. Zur Anwendung durch die Finanzverwaltung BMF-Schreiben v. 2. 12. 2003 – IV A 2 – S 2743 – 5/03, DStR 2004, 34 f.; dazu Hoffmann, DStR 2004, 293 ff.; Harle/Kulemann, GmbHR 2004, 733 ff. 4 BMF – IV A 6 – S 2140 – 8/03, ZIP 2003, 690 ff. Dazu Janssen, BB 2005, 1026.
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Spliedt
Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 217
rechnung der Steuer hat das Bayerische Landesamt für Steuern in Abstimmung mit den Landesfinanzbehörden am 23. 10. 2006 eine Verfügung erlassen1. Demgegenüber lässt die Rangrücktrittsvereinbarung die handelsrechtliche Passivierung der Verbindlichkeit unberührt2. Gleiches gilt für die Steuerbilanz3, es sei denn, dass die Verbindlichkeit nur aus künftigem Gewinn, nicht aber auch aus sonstigem freien Vermögen bedient werden soll. Nur dann entfällt die Schuld in der Steuerbilanz mit der Folge, dass ein Sanierungsgewinn entsteht. Bei einem qualifizierten Rangrücktritt i.S.d. BGH-Urteils vom 8. 1. 20014 soll das jedoch nach dem BMF-Schreiben vom 8. 9. 20065 nicht der Fall sein. Will man für die Gesellschafter einen Anreiz zur Kapitalerhöhung schaffen, die nicht sofort durch den Eintritt der Besserungsbedingung zu Gunsten der zurückgetretenen fremden Gläubiger verpufft, ist das möglich, solange die Besserungsbedingung nicht allein an künftige Gewinne anknüpft6.
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Ein in der Praxis meist übersehenes Problem stellt die Umsatzsteuer dar. Wird eine Lieferantenforderung uneinbringlich, muss die daraus von der Schuldnerin gezogene Vorsteuer korrigiert und dem Finanzamt wieder erstattet werden, § 17 UStG. Der Uneinbringlichkeit steht ein Forderungsverzicht des Gläubigers oder sogar eine Vereinbarung gleich, mit der er für unbestimmte Dauer auf die Durchsetzung seiner Forderungen verzichtet7. Deshalb wird man eine Vorsteuerkorrektur auch bei einem Rangrücktritt annehmen müssen. Auswirkungen hat das sowohl auf die Zahlungsunfähigkeit als auch auf die Überschuldung, weil mit der Umsatzsteuerkorrektur eine sofort fällige Verbindlichkeit entsteht. Dies kann dadurch vermieden werden, dass mit dem Lieferanten erfüllungshalber vereinbart wird, den Zahlungsanspruch in ein Darlehen umzuwandeln (Novation). Dann wird er so behandelt, als hätte er den Betrag erhalten und an die Schuldnerin als Kredit ausgereicht8. Dazu wird der Gläubiger allerdings nur schwer bereit sein, weil die Vorsteuerkorrektur beim Schuldner mit einem Erstattungsanspruch bei ihm korrespondiert, der Gläubiger bei einer solchen Novation mithin auf diesen Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt verzichtet.
216a
(4) Auswirkungen auf den Überschuldungsstatus Im Überschuldungsstatus entfällt sowohl die erlassene als auch die nur zurückgetretene Verbindlichkeit. Zwar ging die Regierungsbegründung zu § 39 InsO noch davon aus, dass insolvenzrechtlich zur Beseitigung der Überschuldung ein Verzicht erforderlich sei9. Der BGH hält das jedoch nicht für erforder1 NZI 2007, 94; Erläuterung bei Crezelius, NZI 2007, 91, 92. 2 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 ff. m. Anm. Altmeppen; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, S. 272 m.w.N.; OLG Frankfurt v. 20. 2. 2003 – 3 U 37/99, GmbHR 2004, 53 m. Anm. Blöse. 3 BFH v. 10. 11. 2005 – IV R 13/04, ZIP 2006, 249. 4 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 175. 5 BMF-Schreiben v. 8. 9. 2006, ZIP 2006, 2236. 6 Zu den steuerlichen Auswirkungen verschiedener Gestaltungen: Kammeter/Geißelmeier, NZI 2007, 214; Heerma/Heerma, ZIP 2006, 2202. 7 BFH v. 10.3.1983 – V B 46/80, BStBl. II 1983, 389; Lippross, UStG, 22. Aufl. 2008, 750 f. 8 Vgl. FG Münster v. 5.9.1995 – 15 K 4867/92, EFG 1996, 295. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 115.
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§1
Rz. 218
Schuldnerberatung
lich, um die Interessen der außen stehenden Gläubiger zu wahren1. Die dazu ergangene Entscheidung betraf den Rangrücktritt eines Gesellschafters mit eigenkapitalersetzenden Forderungen. Ihre Passivierung im Überschuldungsstatus sei entbehrlich, wenn sie „nicht vor, sondern nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen seiner Mitgesellschafter berücksichtigt, also so behandelt werden, als handle es sich bei seiner Gesellschafterleistung um statutarisches Kapital“2. Danach würde – auch für normale, nicht eigenkapitalersetzende Forderungen – eine Vereinbarung dahin gehend, dass die Forderungen den Rang von § 39 Abs. 2 InsO haben sollen, nicht genügen; denn dieser Rang wird noch vor dem Eigenkapital bedient, § 199 InsO. Eine Begründung gibt der BGH für seine Auffassung nicht3. Die Frage war auch nicht entscheidungserheblich, weil es an jeglicher Rangrücktrittserklärung fehlte. Ein außenstehender Gläubiger wird im Allgemeinen nicht bereit sein, sich mit den Gesellschaftern auf dieselbe Stufe zu stellen. Eine Stufe vor den Einlagenrückgewähransprüchen ist diejenige des § 39 Abs. 2 InsO. Damit bleiben alle anderen, nicht im Rang zurückgetretene Gläubiger geschützt, so dass diese Reihenfolge zur Beseitigung der insolvenzrechtlichen Überschuldung genügen sollte4. In Kenntnis der Diskussion hat der BGH jedoch bis in jüngste Zeit ausdrücklich an „den dortigen Anforderungen“5, die er im Urteil vom 8. 1. 2001 auch formuliert hat, für die Rangrücktrittserklärung festgehalten, sie ist deshalb bei der Formulierung in der Praxis zu berücksichtigen. (5) Formulierungshinweise 218
Ein Gläubiger wird kaum bereit sein, in den Rang des § 199 InsO zu treten und sich bei der Verteilung eines etwaigen Überschusses am Ende eines Insolvenzverfahrens gleichrangig neben die Gesellschafter zu stellen. Den Anforderungen des BGH ist genügt, wenn die zurückgetretenen Gläubiger nach allen anderen, aber vor den Gesellschaftern befriedigt werden. Damit entsteht ein Rang zwischen dem des § 199 InsO und dem des § 39 Abs. 2 InsO. Zwingende insolvenz- oder gesellschaftsrechtliche Gesichtspunkte gegen einen durch Parteivereinbarung geschaffenen Zwischenrang gibt es nicht, da weder andere Gläubiger benachteiligt werden noch es eines gesellschaftsrechtlichen Minderheitenschutzes bedarf; denn die Gläubigerforderung wäre auch ohne Rangrücktritt vorrangig.
219
Zur Vermeidung eines Passivausweises im Überschuldungsstatus kann deshalb vereinbart werden, dass die Forderung in den Rang nach § 39 Abs. 2 InsO und vor § 199 InsO zurücktritt. Außerdem müssen die Bedingungen formuliert 1 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/89, ZIP 2001, 235, 237. 2 Der an der Entscheidung beteiligte Richter am BGH Goette bezeichnet dies als „qualifizierten“ Rangrücktritt, DStR 2001, 179. 3 Gegen diese Auffassung wenden sich Altmeppen, ZIP 2001, 240, und Niesert, ZInsO 2001, 356, 358. 4 So auch Niesert, ZInsO 2001, 356, 358; vorsichtiger Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, S. 274; weitergehend hält er Haas, NZI 2002, 457, 463, Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b GmbHG sogar den Rücktritt in den Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für ausreichend. 5 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676.
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Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 220
werden, unter denen der Gläubiger bei einer Erholung des Schuldners wieder bedient wird. Im Allgemeinen wird das – bei einer beabsichtigten Stilllegung des Geschäftsbetriebs – an den Liquidationsüberschuss oder – bei Fortsetzung – an den handelsrechtlichen Bilanzgewinn geknüpft. Damit bleiben der Gesellschaft allerdings handelsrechtliche Bilanzierungswahlrechte, mit denen sie die Besserungsbedingung steuern kann. Auch kann sie den Gewinn durch Verrechnungspreise mit nahe stehenden Unternehmen beeinflussen. Treu und Glauben gemäß § 242 BGB werden diese Gestaltungsmöglichkeiten erst begrenzen, wenn sie (evident) missbräuchlich ausgenutzt werden. Deshalb wird häufig eine Zinsregelung getroffen, so dass der Schuldner an einer Verzögerung des Eintritts der Besserungsbedingung kein Interesse hat. Bei einer Rangrücktrittserklärung laufen die vereinbarten Zinsen ohnehin weiter, falls sie nicht ausdrücklich von dem Rangrücktritt erfasst werden. Fälligkeits- oder Verzugszinsen entstehen hingegen nicht (mehr). Bei einem Forderungsverzicht entfallen die Zinsen im Zweifel mit der Hauptforderung. (6) Muster (a) Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen zwischen der
220
…-Bank – im Folgenden „Bank“ genannt – und der Firma … – im Folgenden „Kreditnehmer“ genannt – 1. Erlöschen von Forderungen Bank und Kreditnehmer sind sich darüber einig, dass aus ihren Krediten, die sich per … (Abrechnungstag) auf … Euro zuzüglich Zinsen von … Euro belaufen, Forderungen in Höhe von … Euro zuzüglich sämtlicher Zinsen erlöschen. (Oder: Die Forderungen einschließlich Zinsen von insgesamt … Euro erlöschen in Höhe von … Euro.) 2. Sicherheiten Die für diese Kredite bestellten Sicherheiten wird die Bank dem Kreditnehmer in gesonderten Vereinbarungen zurückübertragen, soweit sie nicht ohnehin Kraft Gesetzes erlöschen oder aufgrund vertraglicher Vereinbarung an ihn zurückfallen oder nicht erloschene Forderungen sichern. Für die nicht erloschenen Forderungen bleiben folgende Sicherheiten bestehen: …
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§1
Rz. 220
Schuldnerberatung
3. Wiederaufleben von Forderungen Die nach Nr. 1 erloschenen Forderungen werden wieder aufleben, sobald und soweit ihre Erfüllung dem Kreditnehmer aus einem Vermögenszuwachs möglich ist. Maßgebend ist der im Jahresabschluss ausgewiesene Bilanzgewinn i.S.v. § 268 Abs. 1 HGB, jedoch vor Dotierung von Rücklagen, vor Gewinnausschüttungen und vor Passivierung der auflebenden Forderungen. Wird die Gesellschaft liquidiert, tritt an die Stelle des Bilanzgewinns ein die sonstigen Schulden übersteigender Liquidationserlös. Damit ist der Forderungsverzicht auflösend bedingt. Die erloschenen Zinsansprüche leben nicht wieder auf. Zinsen werden erst berechnet, wenn und soweit die Forderungen wieder entstehen. Der Zinslauf beginnt am Ende des Geschäftsjahres, in dem die Voraussetzungen für das Wiederaufleben der Forderungen eingetreten sind. Die wieder entstandenen Forderungen sind drei Wochen nach Feststellung des Jahresabschlusses, spätestens jedoch zum 1. Oktober des Folgejahres fällig. Oder: Auf die erloschene Forderung werden kalkulatorisch X % p.a. ab Unterzeichnung dieser Vereinbarung berechnet. Sie sind unter denselben Voraussetzungen wie die wiederauflebende Forderung zur Zahlung fällig, wobei zunächst die kalkulatorischen Zinsansprüche und erst danach die Hauptforderung wieder entstehen. Dem Kreditnehmer bleibt der Nachweis vorbehalten, dass trotz eines handelsrechtlichen Bilanzgewinns, der zum Wiederaufleben der Forderung führt, am Bilanzstichtag eine insolvenzrechtliche Überschuldung bestand. Soweit und solange dies der Fall ist, kann er von der Bank verlangen, sich nicht auf den Eintritt der Besserungsbedingungen zu berufen. Das Gleiche gilt, soweit und solange die wiederauflebenden Forderungen zu einer Zahlungsunfähigkeit führen. 4. Verhältnis zu anderen Gläubigern/Gesellschaftern Mehrere in gleicher Form verzichtende Gläubiger sind anteilig im Verhältnis ihrer Forderungen zu behandeln. Diese Vereinbarung steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass alle Gesellschafter auf sämtliche Forderungen, die ihnen am Abrechnungstag zustanden, verzichten bzw., soweit seither Zahlungen erfolgt sind, diese der Gesellschaft erstatten und aus einer Besserungsvereinbarung erst bedient werden, nachdem sämtliche von diesem Verzicht erfasste Forderungen der Bank beglichen worden sein werden. 5. Unterrichtungspflichten Der Kreditnehmer verpflichtet sich, der Bank jeweils spätestens sechs Monate nach seinem Bilanzstichtag einen Jahresabschluss vorzulegen, der von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater testiert ist. Unabhängig davon hat die Bank das Recht, jederzeit die Vorlage von Bilanzen und zusätzlichen Unterlagen zu verlangen und Einsicht in die Geschäftsbücher des Kreditnehmers zu nehmen. Ort, Datum … …
…
Unterschrift Bank
Unterschrift Kreditnehmer
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Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 222
Die Besserungsbedingung knüpft im Formulierungsvorschlag an den Bilanzgewinn an. Das ist aus zwei Gründen problematisch. Der Bilanzgewinn ist ein Gewinn nach Saldierung mit sämtlichen Verlustvorträgen, betrifft also auch die Verrechnung mit dem Eigenkapitalverlust. Es kann deshalb passieren, dass die Besserungsbedingung erst eintritt, nachdem ein hohes Eigenkapital wieder erwirtschaftet wurde. Das lässt sich vermeiden, indem man den „Bilanzgewinn abzüglich eines Betrags X“ als Bemessungsgrundlage vereinbart. Der Gefahr der „Übersanierung“ durch die vorrangige Beseitigung des Verlustvortrages einerseits steht das Risiko der „Untersanierung“ andererseits gegenüber: Anlass für den Forderungsverzicht ist die Überschuldung. Sie bemisst sich nach den Verkehrs-, nicht aber nach den Bilanzwerten. Wenn die Besserungsbedingung aus Vereinfachungsgründen an den Bilanzwerten festgemacht wird, muss dem Kreditnehmer der Nachweis offen gehalten werden, dass ein im insolvenzrechtlichen Sinn die Schulden übersteigendes Vermögen noch nicht erwirtschaftet wurde.
221
(b) Rangrücktrittsvereinbarung1 Rangrücktrittsvereinbarung zwischen …
222
– im Folgenden „Gläubiger“ genannt – der Firma … – im Folgenden „Schuldnerin“ genannt – und den Gesellschaftern der Firma … [Forderungsfeststellung wie bei der Verzichtsvereinbarung gemäß Rz. 220 oben] 1. Rangrücktritt Zur Vermeidung der Überschuldung tritt der Gläubiger mit seinen Ansprüchen auf Rückzahlung und Verzinsung2 seines vorbezeichneten Darlehens im Rang hinter die Forderungen aller bestehenden und künftigen Gläubiger der Gesellschaft zurück, so dass er die Erfüllung dieser Ansprüche nur verlangen kann, soweit ein Liquidationsüberschuss oder ein die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigendes Vermögen (eventuell: zuzüglich eines Eigenkapitals in Höhe von …) der Gesellschaft zur Verfügung steht. Im Falle eines Insolvenzverfahrens hat die Forderung den Rang nach § 39 Abs. 2 InsO, aber vor § 193 Satz 2 InsO. 2. Anpassungsverlangen Die Rangrücktrittsvereinbarung ist auf Verlangen des Gläubigers aufzuheben oder auf einen Teilbetrag seiner rangrücktrittbehafteten Forderung zu beschränken, wenn durch die Aufhebung keine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit entsteht oder zu entstehen droht. 1 Vgl. Kussmaul, DB 2002, 2258, 2259 f. 2 Die Zinsen können von dem Rangrücktritt ausgenommen werden.
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§1
Rz. 223
Schuldnerberatung
3. Gesellschafteransprüche Am Abrechnungsstichtag bestehende Ansprüche der Gesellschafter dürfen erst befriedigt werden, nachdem sämtliche Ansprüche des Gläubigers befriedigt worden sind, mit denen er in dieser Vereinbarung zurückgetreten ist. Ort, Datum … …
…
Unterschrift Gläubiger
Unterschrift Schuldnerin
Statt des Anpassungsverlangens kann auch vereinbart werden, dass die Rangverbesserung wie beim Muster für den Forderungsverzicht automatisch i.S. einer Bedingung eintritt. bb) Forderungsbeschränkungsvertrag 223
Sanierungsverhandlungen scheitern leicht an unterschiedlichen Auffassungen der gesicherten Gläubigers über den Wert der Sicherheiten und damit über die Angemessenheit eines Forderungsverzichts. Bei dem Ringen um Erlassquoten rechtfertigt jeder seine geringere Verzichtsbereitschaft damit, dass er bei einer Sicherheitenverwertung im Insolvenzverfahren besser stünde. Zur Streitvermeidung kann eine Forderungsbeschränkungsvereinbarung hilfreich sein, die bewirkt, dass der gesicherte Gläubiger nur aus dem Verwertungserlös seiner Sicherheiten befriedigt wird, während der Rest (= Ausfall) das Schicksal der ungesicherten Forderungen teilt, insbesondere also nur mit einer Quote befriedigt wird. Für den Überschuldungsstatus folgt daraus, dass eine Erhöhung oder Verringerung des Wertes der Sicherheit auf der Aktivseite mit einer entsprechenden Veränderung der gesicherten Verbindlichkeit korrespondiert. Wie bei einer Wertgarantie (Rz. 204) werden also Bewertungsrisiken reduziert und eine Gleichbehandlung der Gläubiger erleichtert. In der Vereinbarung sind die Verwertungskosten der Schuldnerin zu berücksichtigen. Das umfasst insbesondere die Kosten der Verarbeitung von Vorräten. cc) Gleichbehandlung bei außergerichtlicher Sanierung?
224
Bei jeder außergerichtlichen Sanierung gibt es „Akkordstörer“. Sie hoffen darauf, dass genügend andere Gläubiger verzichten, um das Unternehmen zu retten, und sie dann in voller Höhe befriedigt werden; denn kein Schuldner will nach weitgehend gelungener Sanierung ein Insolvenzverfahren nur wegen eines nicht verzichtenden Restes an Gläubigern einleiten. Ein solches „Trittbrettfahren“ ist nicht rechtsmissbräuchlich1. Eine Zustimmungspflicht kraft Treuebindung, wie sie für Gesellschafter bei Sanierungsmaßnahmen besteht2, 1 BGH v. 12. 12. 1991 – IX ZR 178/91, NJW 1992, 967, 969 f. 2 BGH v. 1. 2. 1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 für Mehrheitsaktionär; BGH v. 20. 3. 1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 für Minderheitsaktionär; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 20 IV.2.c).
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Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 227
gibt es zwischen den Gläubigern nicht. Ihr Votum kann nur im Insolvenzplanverfahren „überstimmt“ (§§ 243 f. InsO) oder ersetzt (§ 245 InsO) werden (vgl. § 13 Rz. 40 ff., 275 ff.). Bei der außergerichtlichen Sanierung gibt es kein Gleichbehandlungsgebot1. Jeder Gläubiger kann sich mit einer geringeren Quote zufrieden geben als ein anderer2. Kaum ein Gläubiger wird jedoch auf Forderungen verzichten, wenn andere voll befriedigt werden. Das ist so lange ein unbeachtlicher Motivirrtum, solange der Schuldner nicht ausdrücklich oder konkludent erklärt, dass er sämtliche Gläubiger gleich behandelt. Verstößt er dagegen und erfährt der Gläubiger von seiner Benachteiligung, wird er den erlassenen Teil unter Berufung auf eine arglistige Täuschung oder Vertragsverletzung wieder fordern3. Nach Auffassung des KG4 soll dann sogar der gesamte Vergleich mit allen Gläubigern unwirksam sein. Ein solches Ergebnis ist zwar fraglich. In der einen wie der anderen Konstellation wäre die Überschuldung jedoch nicht endgültig beseitigt worden, wenn später ein oder mehrere Gläubiger erhebliche Nachforderungen stellen können. Kommt es schließlich doch noch zum Insolvenzverfahren, laufen die Geschäftsführer Gefahr, eine Insolvenzverschleppung begangen zu haben, weil sie diese Nachforderungen von vornherein im Überschuldungsstatus per Rückstellung hätten passivieren müssen.
225
Um das zu vermeiden, werden Forderungen „hartnäckiger“ Gläubiger gelegentlich von einem nahe stehenden Unternehmen aufgekauft, das sich anschließend mit der Quote am Sanierungsvergleich beteiligt. Derartige „Zuschüsse“ von außen für bestimmte Gläubiger sind zulässig, wobei die von einem Gesellschafter erworbene Forderung regelmäßig eigenkapitalersetzenden Charakter gewinnt, also nicht mit der Vergleichsquote bedient werden darf, solange die Krise nicht nachhaltig überwunden ist. Hier liegt ein Gestaltungsvorteil gegenüber der Insolvenzplansanierung, bei der der BGH Forderungskäufe zur Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses für unlauter i.S.v. § 250 Nr. 2 InsO hält5.
226
c) Praxishinweise Jede Sanierung ist zuerst ein Planungs- und dann ein Kommunikationsproblem. Es hat überhaupt keinen Sinn, mit Außenstehenden in Verhandlungen zu treten, ohne vorher ein stimmiges Konzept erarbeitet zu haben. Anderenfalls wird das Gegenteil erreicht: Banken kündigen ihre Kredite, Lieferanten die Zahlungsziele, Kunden die Bestellungen und die qualifiziertesten Arbeit1 A.A.: Uhlenbruck in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, 3. Aufl. 2003 Rz. 437. 2 Zum Gleichbehandlungsgebot bei der Ablehnung eines Insolvenzantrages mangels Masse BGH v. 11. 9. 2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 f.; Bespr. K. Schmidt, GmbHR 2000, 1225, 1228; siehe auch Wimmer/Scholl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 2002, 9. Kap. Rz. 123: Gläubiger können sich Titel verschaffen und mittels Einzelpfändung pfänden. 3 RG v. 23. 2 1937 – VII 222/36, RGZ 153, 395, 397; KG v. 28. 4. 1980 – 20 U 310/80, ZIP 1980, 963, 965. 4 KG v. 26. 4. 2000 – 23 U 9752/97, ZInsO 2001, 79. 5 BGH v. 3. 3. 2005 – IX ZB 153/04, ZIP 2005, 719.
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227
§1
Rz. 228
Schuldnerberatung
nehmer ihren Arbeitsvertrag. Jede noch so gute Absicht scheitert, wenn es nicht gelingt, die Nachricht von der Krise mit Vertrauen in die Fortführung zu verbinden. 228
Die Kommunikation der Krisenmaßnahmen wird nicht durch Rundschreiben ersetzt. Mit den wichtigsten Geschäftspartnern müssen persönliche Verhandlungen geführt werden. Die Reihenfolge kann sich an der Fristigkeit der Kapitalüberlassung orientieren: Zunächst sind es die – wegen § 49 Abs. 3 GmbHG ohnehin zu informierenden – Gesellschafter, dann die stillen Gesellschafter, danach die Banken und schließlich die wesentlichen Lieferanten oder auch Kunden, mit denen das Konzept abgestimmt wird. Eine wichtige Rolle spielen die Arbeitnehmer, die erfahrungsgemäß zu Sanierungsbeiträgen bereit sind, wenn deutlich gemacht wird, dass sie der Unternehmenserhaltung und nicht der Umverteilung zu Gunsten der Gesellschafter dienen. Nur der Pensionssicherungsverein hat sich in dieser Kette als ungeeignet erwiesen, weil er zunächst die Reaktion anderer Gläubiger abwarten muss1. Das Gleiche gilt für Gläubigergruppen, die aus tatsächlichen Gründen kurzfristig nicht handlungsfähig sind, bspw. die Inhaber von börsennotierten Anleihen.
229
Ab der ersten Verhandlung mit einem Lieferanten sind unbedingt sämtliche Kreditversicherer über die Sanierungsmaßnahmen zu informieren. Erfahren sie von dritter Seite, dass der Schuldner seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann, kündigen sie die Linien ihrer Versicherungsnehmer. Das führt sofort zu Lieferverzögerungen mit der Folge von Leerkosten etc., Erschwernisse, die in der Krise erst recht nicht verkraftet werden können.
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Allerdings ist es unmöglich, derartige Zusatzkosten völlig zu vermeiden. Jede betriebswirtschaftliche Krise, die sich bis zum Insolvenzeröffnungsgrund vertieft hat, kostet immer (wesentlich) mehr als Maßnahmen in einem Zeitpunkt, zu dem die Geschäftsführung noch keinem insolvenzrechtlichen Handlungszwang unterliegt. Diese Kosten sind im Sanierungskonzept unbedingt zu berücksichtigen.
231
Genauso wichtig wie Konzept und Kommunikation ist die persönliche Kompetenz der Unternehmensleitung. Einem Berater wird es kaum gelingen, Banken von den Zukunftsaussichten des Unternehmens zu überzeugen, wenn die Geschäftsführung ihren persönlichen „Kredit“ verspielt hat. Die Anamnese früherer Sanierungsversuche muss für den Anwalt wesentlicher Bestandteil der Vorbereitung von Gläubigergesprächen sein.
232
In manchen Regionen gibt es so genannte „runde Tische“, an denen Vertreter der Landesregierung, der örtlichen Handelskammer und der beteiligten Banken mit dem Schuldner sowie seinen Beratern Sanierungsgespräche führen. Eine solche Runde löst das Kommunikationsproblem – wenn sie rechtzeitig zusammentritt, was selten der Fall ist. Die erste Unterredung endet häufig mit der Beauftragung eines Gutachtens, dessen Finanzierung gelegentlich mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird. Die Geschäftsführer der Schuldnerin meinen 1 Da er kein Insolvenzantragsrecht besitzt, nimmt er erst im eröffneten Verfahren, und zwar im Planverfahren, als Gläubigergruppe teil; Gottwald/Uhlenbruck, InsRHdb, 2. Aufl. 2001, § 8 Rz. 20; Gottwald/Braun, InsRHdb, 2. Aufl. 2001, § 67 Rz. 52.
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Beseitigung der Insolvenzgründe
§1
Rz. 232
dann, dass ein Abwarten des Ergebnisses nichts Unrechtes sein könne, wenn diese Phase „offiziell“ begleitet werde. Stattdessen läuft jedoch die Insolvenzantragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG. Darauf muss der beratende Anwalt nicht nur hinweisen, sondern hat gegebenenfalls auch seine weitere Unterstützung zu versagen, wenn sie als Beihilfe zur Insolvenzverschleppung gewertet werden könnte (Rz. 1 ff.; § 5 Rz. 22 f.).
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§ 2 Geschäftsführerberatung Rz.
I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag . . . . . . . . .
2
III. Anzeigepflicht gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . .
7
IV. Sanierungspflicht . . . . . . . . . . .
9
V. Insolvenzantragspflicht . . . . . . 11 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Erfüllung der Antragspflicht . . 16 3. Konsequenzen der Säumnis . . 21 VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . 22 1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . 36
aa) Haftungszweck . . . . . . . bb) Verfügung vs. Verpflichtung . . . . . . . . . . . . cc) Verwendung zweckbestimmter Mittel . . . . c) Sorgfaltsausnahme . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Pflichtenkollision . . . . .
68 69 77 82 82 86
4. Haftungsmodelle der Literatur 88 a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 92 aa) Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG . . 92 bb) Schutzbereich des § 64 Abs. 2 GmbHG . . 97 cc) Verhältnis zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 64 GmbHG . . . . . . . . . 101
43
5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . 102 6. Zurückbehaltungsrechte . . . . . 108 7. „MoMiG“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 8. Gesamtverantwortung . . . . . . . 118 9. Faktischer Geschäftsführer . . 119 10. Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . 122 11. Weisung, Verzicht, Vergleich . 130 12. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 13. Haftung ohne Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
46 49
VIII. Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . 134
VII. Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG . . . . . . . . 41 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 Abs. 1 GmbHG . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . b) Schaden vertraglicher Neugläubiger . . . . . . . . . . . . c) Schutzbereich der Norm . . d) Schaden gesetzlicher Neugläubiger . . . . . . . . . . . . e) Schaden der Altgläubiger . . f) Schaden der Insolvenzmasse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Haftung gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG nach Antragstellung? . . . . . . . . . . . . . . . . h) Gläubiger mit und nach Verfahrenseröffnung . . . . . . 3. Innenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 Abs. 2 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftungsbeginn . . . . . . . . . . b) Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
41
43
52 56 59
65 66
67 67 68
IX. Haftung für Kostenvorschuss gemäß § 26 Abs. 3 InsO . . . . . 139 X. Haftung wegen Betruges, Untreue, Baugeldern, Alterssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 XI. Haftung für Sozialabgaben . . . 148 1. Strafrechtliche Haftung . . . . . . 148 2. Zivilrechtliche Haftung . . . . . 152 XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Spliedt
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§2
Rz. 1
Geschäftsführerberatung Rz.
Rz.
XIV. Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO . . . . . . . . . . . . . 168
3. Abzugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. Vorsteuerkorrektur . . . . . . . . . . 182 5. Geschäftsführerwechsel . . . . . 183 6. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
1. Grundsatz der anteiligen Tilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Kollision mit § 64 Abs. 2 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
XV. Haftung bei anderen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . 186 XVI. Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften 189
I. Überblick 1
Die Krise einer Gesellschaft ist für ihre Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglieder außerordentlich haftungsträchtig. Die Gesellschafter suchen einen Schuldigen für den Verlust ihres Beteiligungswertes und die Gläubiger für den Verlust ihrer Forderungen. Nachfolgend soll zwar allein von den Rechten und Pflichten des Vertretungsorgans ab Eintritt eines Insolvenzgrundes die Rede sein. Die Insolvenz ist aber nicht nur der Prüfstand für das Verhalten in der Krise, sondern auch für zurückliegende Vorgänge wie Missmanagement, eine etwaige Einlagenrückgewähr einschließlich Rückgewähr eigenkapitalersetzender Leistungen und die ordnungsmäßige Kapitalaufbringung. Hierzu wird auf die gesonderten Abschnitte dieses Buches verwiesen. Gesetzliche Anknüpfungspunkte für die Haftung in der Krise sind §§ 43, 49 und vor allem 64 GmbHG1. Für den Vorstand einer Aktiengesellschaft gibt es entsprechende Pflichten in §§ 92, 93 AktG. Die folgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf den GmbH-Geschäftsführer. Sie sind auf den Vorstand einer AG übertragbar, soweit Besonderheiten nicht ausdrücklich genannt werden.
II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag 2
Bei den Rechten des Geschäftsführers ist zu unterscheiden zwischen der zivilrechtlichen Anstellung und der gesellschaftsrechtlichen Organstellung. Aus dem Anstellungsverhältnis können dem Geschäftsführer die üblichen schuldrechtlichen Zurückbehaltungs- und Kündigungsrechte wegen Zahlungsverzuges erwachsen. Dabei muss er beachten, dass jedes Zurückbehaltungsrecht nur im Rahmen von Treu und Glauben ausgeübt werden darf2. Zwar ist keiner 1 Streng davon zu unterscheiden ist die Durchgriffshaftung, die nur für Geschäftsführer, die gleichzeitig Gesellschafter sind, in Frage kommt, BGH v. 13. 4. 1994 – II ZR 16/93, ZIP 1994, 867, 868. Gleiches gilt für den existenzvernichtenden Eingriff, der zwar ohne ein Geschäftsführerhandeln nicht denkbar ist, aber vorrangig die Gesellschafterhaftung betrifft, s. Überblick bei Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 13 Rz. 98 ff. 2 Palandt/Heinrich, BGB, 66. Aufl. 2007, § 273 Rz. 18; speziell zur Einschränkung durch Insolvenzgeldsicherung: Blank, ZInsO 2007, 426.
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§2
Dienstvertragliche u. organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag Rz. 3
– erst recht kein Fremdgeschäftsführer – verpflichtet, unentgeltlich tätig zu werden. Der Anpassungsvorbehalt in § 87 Abs. 2 AktG zeigt jedoch, dass dem Organmitglied eine größere Rücksichtnahme zugemutet wird als einem Arbeitnehmer. Diese Vorschrift gilt für den Geschäftsführer einer GmbH analog, unabhängig davon, ob er gleichzeitig Gesellschafter ist1. Anders als für das Vorstandsmitglied einer AG greift zugunsten des Geschäftsführers die Insolvenzgeldsicherung gemäß §§ 183 SGB III ein. Voraussetzung ist, dass der Geschäftsführer keinen bestimmenden Einfluss als Gesellschafter ausüben kann2. Das Insolvenzgeld ist steuerfrei. Es sichert nur den Nettogehaltsanspruch während der letzten drei Monate, in denen das Arbeitsverhältnis vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand. Deshalb erleidet der Geschäftsführer einen Nachteil, soweit er durch die Verrechnung mit Verlusten aus anderen Einkunftsquellen bei der Jahresveranlagung eine Lohnsteuererstattung erhalten würde. Hinzu kommt, dass die Berechnungsgrundlage für das Insolvenzgeld seit 1. 1. 2004 durch die Beitragsbemessungsgrenze des § 341 Abs. 4 SGB III gedeckelt ist. Aus diesem Grund wird man ihm trotz des Insolvenzgeldschutzes ein Zurückbehaltungs- und ein Kündigungsrecht zusprechen dürfen, wenn die Vergütungsrückstände erheblich sind. Macht der Geschäftsführer von einem Zurückbehaltungsrecht aus dem Anstellungsvertrag Gebrauch, suspendiert das nicht die unverzichtbaren Pflichten, die ihn als Organ treffen3. Ihnen entgeht der Geschäftsführer nur mit der Amtsniederlegung (vgl. auch § 5 Rz. 16 f.). Sie ist stets zulässig. Im Innenverhältnis muss er den Gesellschaftern zwar Gelegenheit geben, für eine andere Vertretung Sorge tragen zu können4. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine Amtsniederlegung jedoch unabhängig von etwaigen Vertragsverletzungen im Innenverhältnis auch in der Krise – nach allerdings umstrittener Auffassung5 – wirksam6. Der Zugang der Erklärung über die Niederlegung bei nur einem Gesellschafter reicht in der GmbH7 ebenso aus wie in der AG der Zugang bei nur einem Aufsichtsratsmitglied8. Einschränkungen werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung9 allerdings für einen Alleingesellschafter-Geschäftsführer gemacht. Seine Niederlegung soll wegen des Rechtsmissbrauchs unwirk1 BGH v. 15. 6. 1992 – II ZR 88/91, NJW 1992, 2894; zum Alleingesellschafter-Geschäftsführer: OLG Karlsruhe v. 23. 7. 2003 – 6 U 203/01, ZIP 2003, 2082 ff. 2 BSG v. 8. 8. 1990 – 11 RAr 77/89, GmbHR 1991, 461; BSG v. 18. 4. 1991 – 7 RAr 32/90, GmbHR 1992, 172; a.A.. Henssler in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1283, 1288 f.; zur Arbeitnehmereigenschaft eines Geschäftsführers BSG v. 18. 12. 2001 – B 12 KR 10/01 R, NZG 2002, 431 ff.; BGH v. 23. 1. 2003 – IX ZR 39/02, ZIP 2003, 485. 3 Das ergibt sich aus der grundsätzlichen Trennung von Anstellungs- und Organverhältnis. 4 OLG Düsseldorf v. 6. 12. 2000 – 3 Wx 393/00, ZIP 2001, 25 f.; LG Frankenthal v. 23. 4. 1996 – 1 HKT 1/96, GmbHR 1996, 939, 940; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 38 Rz. 38c. 5 Nachweise bei Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 38 Rz. 75 ff. 6 BGH v. 30. 7. 2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; v. 8. 2. 1993 – II ZR 58/92, NJW 1993, 119; BGH v. 26. 6. 1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639. 7 BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. 8 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 112 Rz. 4. 9 OLG Zweibrücken v. 15. 2. 2006 – 3 W 209/05, ZIP 2006, 950 m.w.N.; BayObLG v. 15. 6. 1999 – 3Z BR 35/99, DB 1999, 1748.
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3
§2
Rz. 4
Geschäftsführerberatung
sam sein, wenn kein wichtiger Grund vorliegt oder er keinen neuen Geschäftsführer bestellt. Jedenfalls unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Einschränkung nicht zwingend; denn insolvenzrechtlich bestehen zwar Auskunfts- und Mitwirkungspflichten, §§ 97 ff. InsO (s. Rz. 22 ff.), nicht aber die Pflicht, eine Organstellung beizubehalten. 4
Die Amtsniederlegung ist außer bei Gehaltsrückstand insbesondere zulässig, wenn dem ressortfremden Geschäftsführer Informationen vorenthalten werden, die er zur Beurteilung der Insolvenzantragspflicht und anderer Haftungstatbestände wie bspw. der Entrichtung von Sozialabgaben1 benötigt2. Es ist nicht selten, dass ein dominanter Gesellschafter-Geschäftsführer seine Mitgeschäftsführer über die wahren Verhältnisse im Unklaren lässt und auch Nachfragen nicht vollständig beantwortet. Die Amtsniederlegung führt nicht zum Verlust von Vergütungsansprüchen aus dem Dienstverhältnis3, falls sie die einzige Möglichkeit der Haftungsvermeidung darstellt. Dann ist eine ordnungsmäßige Geschäftsführung aus wichtigen Gründen nicht möglich, die der Gesellschaft zuzurechnen sind. Beruht das auf einer Obstruktion von Mitgeschäftsführern, muss der Geschäftsführer den Gesellschaftern vorher eine Frist für Abhilfemaßnahmen setzen. Zu den Vergütungsansprüchen, die dem Geschäftsführer erhalten bleiben, gehört auch ein vertraglich vereinbarter Abfindungsanspruch. Er stellt jedoch in der Insolvenz nur eine Insolvenzforderung dar, auch wenn der Dienstvertrag erst nach Verfahrenseröffnung endet4.
5
Ob von dem Recht zur Amtsniederlegung Gebrauch gemacht wird, ist eine taktische Frage. Wenn sich die Krise schon so verschärft hat, dass dem Geschäftsführer kein Gehalt mehr gezahlt werden kann, ist es bis zur Insolvenzverschleppung nicht mehr weit. Die Amtsniederlegung heilt keine bereits versäumte Insolvenzantragspflicht. Im Gegenteil läuft der ausgeschiedene Geschäftsführer Gefahr, für künftige Gläubigerschäden zu haften, die bei rechtzeitiger Antragstellung vermieden worden wären5. Insofern ist es häufig besser, die Entwicklung „unter Kontrolle“ zu behalten, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen und mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter eine Vergütung aus der Masse zu vereinbaren, wenn er den Geschäftsführer für die Abwicklung noch benötigt.
6
Gelegentlich versuchen die Gesellschafter, einen vom Geschäftsführer beabsichtigten Insolvenzantrag durch die sofortige Abberufung zuvorzukommen. Hinsichtlich der Organstellung ist das wirksam, wenn der Gesellschaftsvertrag keine Einschränkungen enthält, § 38 GmbHG. Eine fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages setzt aber einen wichtigen Grund voraus. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein angekündigter Insolvenzantrag unberechtigt gewesen wäre, liegt bei der Gesellschaft6. 1 BGH v. 21. 1. 1997 – VI ZR 338/95, DStR 1997, 546; v. 20. 2. 1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560. 2 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 43 Rz. 69 m.w.N. 3 BGH v. 26. 6. 1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639. 4 BAG v. 27. 4. 2006 – 6 AZR 364/05, ZIP 2006, 1962; OLG Frankfurt v. 16. 9. 2004 – 3 U 205/03, ZIP 2005, 409. 5 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 23. 6 BGH v. 12. 2. 2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 374.
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Sanierungspflicht
§2
Rz. 10
III. Anzeigepflicht gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG Die Geschäftsführer müssen nach dem Verlust des halben Stammkapitals eine Gesellschafterversammlung einberufen, § 49 Abs. 3 GmbHG. Maßgebend sind die Buch- und nicht, wie beim Überschuldungsstatus, die Verkehrswerte. Bis zur Aufstellung des Jahresabschlusses darf nicht gewartet werden. Vielmehr unterliegen die Geschäftsführer in der Krise einer ständigen Selbstprüfungspflicht1. Auch unterjährige Verluste sind zu berücksichtigen. Es ist eine Zwischenbilanz zu erstellen, falls es Anhaltspunkte für den Kapitalverlust gibt.
7
Zweck der Einberufung ist es, den Gesellschaftern die Entscheidung über Sanierungsmaßnahmen zu ermöglichen2. Dafür sind die Buchwerte eigentlich ein ungeeignetes Kriterium. Dennoch hält der Gesetzgeber die Pflicht für so wichtig, dass er ihre Verletzung nach wie vor unter Strafe stellt, § 84 Abs. 1 GmbHG. Wesentlich wichtiger als diese Information über bereits eingetretene Verluste ist ein Frühwarnsystem, zu dessen Installation nach dem Gesetz nur der Vorstand einer Aktiengesellschaft gemäß §§ 90 Abs. 1 Nr. 1, 91 Abs. 2 AktG verpflichtet ist. Eine analoge Anwendung auf die Geschäftsführer einer GmbH ist nach der Gesetzesbegründung zwar möglich3. Voraussetzung ist aber eine entsprechende betriebswirtschaftliche Organisation, die der Geschäftsführer zu schaffen erst ab einer Unternehmensgröße verpflichtet sein kann, die bei einer GmbH üblicher Weise nicht besteht.
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IV. Sanierungspflicht Die Geschäftsführer haben gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Dazu gehört die Vermeidung bestandsgefährdender Entwicklungen ebenso wie ihre Beseitigung4. Ein Sanierungserfolg wird natürlich nicht geschuldet, wohl aber die unverzügliche und sorgfaltsgemäße Durchführung von Sanierungsmaßnahmen5 einschließlich Einberufung der dafür erforderlichen Gesellschafterversammlung6.
9
Die Vermeidung bestandsgefährdender Entwicklungen verlangt, der Beseitigung eines Insolvenzgrundes oberste Priorität einzuräumen. Jetzt kommt es darauf an, die Unternehmensziele auf die besondere Situation anzupassen. War
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1 BGH v. 20. 2. 1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (zu § 49 GmbHG); BGH v. 29.11. 1999 – II ZR 273/99, ZIP 2000, 184 (zu § 64 GmbHG); K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.4.a), II.5. wegen Schadensersatzpflicht gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 64 Abs. 1 GmbHG und c.i.c. 2 K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 III.3.a). 3 Scholz/Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 52 Rz. 1 ff., 59; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.4.a) einschränkend. 4 Goette, ZInsO 2001, 529, 531; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rz. 6, 12; nicht dagegen der Entzug von Vermögen, das zur Deckung des Stammkapitals nicht benötigt wird, BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817, bzgl. § 42 Abs. 2 GmbHG. 5 K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl. 2003, Rz. 1863. 6 LG München v. 31. 5. 2007 – 5 HK 11977/06; Beck RS 2007, 11876.
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§2
Rz. 11
Geschäftsführerberatung
es früher erklärte Absicht der Gesellschaft, neue Marktpositionen aufzubauen und dadurch Verluste zu akzeptieren, muss nunmehr die damit verbundene Liquiditätsbelastung sofort beendet werden. Die langfristige Planung wird überlagert von einer kurzfristigen zur Vermeidung der Insolvenzgründe. Das kann dazu führen, dass z.B. unfertige Erzeugnisse in einem verlustträchtigen Betriebsteil oder Anschaffungskosten für Lizenzen wertberichtigt werden müssen. In gleicher Weise können neue Aufwendungen – z.B. aufgrund eines Sozialplans – anfallen. All das ist in die Fortführungsprognose und den darauf aufbauenden Überschuldungsstatus einzubeziehen.
V. Insolvenzantragspflicht 1. Zeitpunkt 11
„Wird eine Gesellschaft zahlungsunfähig, so haben die Geschäftsführer ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Das gilt sinngemäß, wenn sich eine Überschuldung der Gesellschaft ergibt“, § 64 Abs. 1 GmbHG.
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Die den Geschäftsführern eingeräumte Frist von längstens drei Wochen dient der Vorbereitung eines Insolvenzantrages und der Beseitigung des Insolvenzgrundes. Das setzt naturgemäß dessen Kenntnis voraus. Eine positive Kenntnis zu verlangen, würde bedeuten, einen Verstoß gegen die Antragspflicht nur bei vorsätzlichem Handeln zu sanktionieren. Die Haftung würde regelmäßig an der Beweisnot eines Gläubigers oder Insolvenzverwalters scheitern. Gleiches würde für die Fälle des § 64 Abs. 2 GmbHG gelten, der die Geschäftsführer zur Erstattung sämtlicher Zahlungen verpflichtet, die nach „Feststellung“ der Überschuldung geleistet werden, wenn hierfür positive Kenntnis erforderlich wäre.
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Für den Fristbeginn ausreichend ist deshalb bereits die bei Anwendung geschäftsmännischer Sorgfalt (§ 43 Abs. 1 GmbHG) gegebene Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes1, wobei den Geschäftsführer eine ständige Überprüfungspflicht trifft2. Die Erkennbarkeit wird vermutet, wenn der Insolvenzgrund objektiv eingetreten ist3. Der Geschäftsführer hat die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen4. Das gilt jedenfalls für die GmbH. Bei der AG knüpft eine verbreitete Auffassung an die positive Kenntnis des Insolvenzgrundes an5. Ein Unterschied zum Beginn der Antragspflicht des GmbH-Geschäftsführers 1 BGH v. 1. 3. 1994 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891, 892. 2 BGH v. 1. 3. 1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891; Goette, ZInsO 2001, 529 f.; Gottwald/ Haas, InsHdb, 2. Aufl. 2001, § 92 Rz. 93. 3 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676, v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184; BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, NZG 2004, 619, 621; OLG München v. 28. 11. 2007 – 7 U 5444/05, GmbHG 2008, 320, Revision beim BGH – II ZR 5/08. 4 BGH v. 11. 9. 2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896. 5 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823, 1827; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 92 Rz. 9 m.w.N.
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Insolvenzantragspflicht
§2
Rz. 15
ist jedoch nicht angezeigt, so dass der Berater vorsorglich auch bei der AG auf den Zeitpunkt der Erkennbarkeit abstellen sollte1. Allerdings bedeutet ein Abstellen auf die Erkennbarkeit, dass die Drei-Wochen-Frist de facto leer läuft, weil in der Praxis die positive Kenntnis fast immer erst erlangt wird, wenn der Insolvenzgrund rückblickend längst erkennbar gewesen wäre und die Frist bereits verstrichen ist. Deshalb wird die Auffassung vertreten, dass das Dauerdelikt „Insolvenzverschleppung“ für die Zeit der Prüfung und/oder Durchführung von erfolgversprechenden Sanierungsmaßnahmen, längstens jedoch für drei Wochen ab positiver Kenntnis unterbrochen ist2. Der BGH stellt in seinem Grundsatzurteil aus 1994, in dem er die Haftung des Geschäftsführers gegenüber Neugläubigern anerkannte, auf die für die Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes und damit für den Haftungsbeginn auf die „damalige Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters“ ab3. Die Unterbrechung der einmal begonnenen Insolvenzverschleppung zum Zwecke der Prüfung und Sanierung hat der Gesellschaftsrechtssenat im Gegensatz zum 5. Strafsenat nach 1994 nicht anerkannt. Der BFH allerdings tendiert dazu, dem Geschäftsführer für drei Wochen ab Kenntnis einen Handlungsfreiraum zu gewähren4. Das ist jedoch kaum praktikabel; denn ein Geschäftsführer würde gegenüber jedem Gläubiger einwenden, ausgerechnet die in Rede stehende Verbindlichkeit sei während der drei Wochen begründet worden, während der er geprüft und zu sanieren versucht hätte. Da die Gläubiger untereinander nicht von Haftungsprozessen erfahren müssen, gibt es eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Deshalb ist eine solche Unterbrechung abzulehnen5.
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Nach der Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes muss der Eröffnungsantrag spätestens innerhalb von drei Wochen gestellt werden. Der Wortlaut des § 64 Abs. 1 GmbHG lässt keinen Zweifel daran, dass die drei Wochen eine Höchstfrist sind, die nur ausgenutzt werden darf, wenn es sich nicht als schuldhaftes Zögern darstellt. Dafür wiederum ist Voraussetzung, dass ernsthafte Sanierungsversuche unternommen werden, die geeignet sein müssen, innerhalb der drei Wochen die Insolvenzgründe zu beseitigen6! Selbst die aussichtsreichsten Sanierungsmaßnahmen gestatten dann keine Verzögerung, wenn entweder von vornherein nicht mit einem Erfolgseintritt innerhalb der drei Wochen zu rechnen ist oder wenn – bei ursprünglicher Erfolgsaussicht – diese drei Wochen ohne positives Ergebnis verstrichen sind, mag man den Erfolg in weiteren zwei Wochen auch für noch so sicher halten7. Ob das spätere Scheitern der Sanierung die von Anbeginn fehlende Erfolgsaussicht indiziert, ist höchstrichterlich
15
1 So auch BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265. 2 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823 (für die AG); BGH v. 30. 7. 2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; bestätigt durch BGH v. 9. 8. 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 64 Rz. 47, 56, allerdings zu Unrecht unter Berufung auf den BGH in Rz. 47. 3 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103. 4 BFH v. 4. 12. 2007 – VII R 18/06; v. 19. 9. 2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; v. 4. 7. 2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059; v. 27. 2. 2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604. 5 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2007, § 64 Rz. 16, 18. 6 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 112 = NJW 1979, 1823, 1827 f., für AG, auf GmbH zu übertragen; BGH v. 2. 10. 2000 – II ZR 164/99, DStR 2001, 1537, 1538. 7 BGH v. 12. 2. 2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 674.
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§2
Rz. 16
Geschäftsführerberatung
bisher nicht entschieden worden. Zumindest wird den Geschäftsführer eine sekundäre Behauptungslast1 treffen. Für die Einhaltung der Sorgfalt hat es der BGH im Herstatt-Fall ausreichen lassen, dass die Sanierungsverhandlungen nicht von vornherein aussichtslos waren. Zwar wurde das mit den Besonderheiten einer Bankeninsolvenz wegen der einschneidenden Konsequenzen für die Allgemeinheit begründet2. Geringe Anforderungen an die Sanierungsaussichten nur bei „großen“ Schuldnern zu stellen, wäre aber verfehlt; denn im Gegenzug reduziert sich bei „kleinen“ Schuldnern das Schädigungspotential. Deshalb sollte man es für sämtliche Schuldner genügen lassen, dass eine Sanierung nicht von vornherein aussichtslos ist, um die Drei-Wochen-Frist ausschöpfen zu dürfen. In der Praxis steht ohnehin der Streit um den Zeitpunkt im Vordergrund, zu dem der Insolvenzgrund eingetreten ist. Das ist häufig lange, bevor sich die Geschäftsführer dessen bewusst sind. Verglichen damit fallen die drei Wochen, um die ein Antrag eventuell zu Unrecht verzögert werden könnte, meist nicht ins Gewicht.
2. Erfüllung der Antragspflicht 16
Natürliche Personen sind nicht gehalten, bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Anders ist es wegen der beschränkten Haftung bei juristischen Personen. § 64 Abs. 1 GmbHG verpflichtet „die Geschäftsführer“, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Gleiches gilt für die Mitglieder der Vertretungsorgane sämtlicher anderer juristischer Personen. Adressat ist jedes einzelne Mitglied des Vertretungsorgans, unabhängig von einer Aufgabenverteilung untereinander3. Ob ein bereits vorliegender Gläubigerantrag von der Antragspflicht entbindet, ist umstritten. Für das Strafrecht wird das verneint4, für das Gesellschaftsrecht teilweise ebenfalls5, teilweise aber auch bejaht6. Der ablehnenden Auffassung ist zuzustimmen, denn ein Insolvenzantrag allein eines Gläubigers bedarf der Glaubhaftmachung und der Anhörung des Schuldners, § 14 InsO, verzögert also die Verfahrenseröffnung oder die Anordnung vorläufiger Maßnahmen gemäß §§ 21 f. InsO. Demgegenüber ist eine Glaubhaftmachung nicht erforderlich, wenn alle Geschäftsführer pflichtgemäß gemeinsam den Antrag stellen, § 15 Abs. 2 InsO.
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Andererseits reicht es aus, dass nur einer von mehreren Geschäftsführern den Antrag stellt7. Das Gesetz verlangt nicht, dass er für die zwingenden Antragsgründe der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einzelvertretungsberech1 2 3 4
Siehe dazu BGH v. 11. 6. 1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151. BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 112. BGH v. 1. 3. 1993 – II ZR 81/94, II ZR 61/92, ZIP 1994, 891. BGH v. 6. 10. 1987 – I StR 475/87, GmbHR 1988, 195; OLG Dresden v. 16. 4. 1998 – 1 Ws 100/97. 5 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1998, § 64 Rz. 30; Marsch-Barner/Diekmann in MüHdbGesR, Bd. 3, 2. Aufl. 2003, § 45 Rz. 72; a.A. Scholz/Tiedemann, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 84 Rz. 91. 6 Schulze-Osterloh/Noack in Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64 Rz. 45; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 19. 7 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 19.
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Spliedt
Insolvenzantragspflicht
Rz. 21
§2
tigt ist. Allerdings ist dann der Insolvenzgrund glaubhaft zu machen, wenn der Antrag nicht von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans eingereicht wird, § 15 Abs. 2 InsO. Ist das geschehen, befreit das auch die übrigen Geschäftsführer von der Antragspflicht. Der faktische Geschäftsführer1 unterliegt nach Auffassung des BGH ebenfalls der Antragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG2. Dasselbe gilt für den „Zölibatsgeschäftsführer“, der als Senior noch die Würde des Amtes genießen möchte, sich aber jeder Tätigkeit enthalten will.
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Der Insolvenzantrag ist bei dem für die Verfahrenseröffnung zuständigen Gericht einzureichen. Ist der Schuldner selbstständig bzw. unternehmerisch tätig, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Bezirk, in dem der wirtschaftliche Mittelpunkt dieser Tätigkeit liegt, ansonsten nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, §§ 3, 4 InsO, 13 ZPO (vgl. § 6 Rz. 56 ff.). Hat der Schuldner ausländische Aktivitäten im Geltungsbereich der EG-Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO), verdrängt deren Zuständigkeitsregelung die inländischen Vorschriften, Art. 102 § 1 EGInsO. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bestimmt die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates als zuständig, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (vgl. § 18 Rz. 91 ff.). Zwar gilt die Vermutung, dass dieser Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Sie ist jedoch widerlegbar. Geschieht dies, ist für eine in Deutschland eingetragene Gesellschaft die Zuständigkeit eines ausländischen Insolvenzgerichts begründet. Sie ist de facto eine ausschließliche, weil die Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 4a EuInsVO (keine Zuständigkeit, wenn ein Verfahrens im Staat der hauptsächlichen Interessen unzulässig sein sollte) bei einem Eigenantrag nicht relevant wird. Es gibt keinen Staat im Anwendungsbereich der EuInsVO, in dem die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über juristische Personen deutschen Rechts nicht möglich ist.
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Mit dem beim zuständigen ausländischen Gericht eingereichten Insolvenzantrag erfüllt ein Geschäftsführer oder Vorstand seine Antragspflicht aus § 64 Abs. 1 GmbHG3 bzw. § 92 Abs. 2 AktG. Würde man – ggf. zusätzlich – einen in Deutschland eingereichten Antrag verlangen, würde man den Geschäftsführer zu einem verfahrensmäßig rechtswidrigen Verhalten zwingen, was weder dem Gebot einer widerspruchsfreien Rechtsanwendung noch der gerade in Insolvenzsachen notwendigen Verfahrensbeschleunigung diente.
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3. Konsequenzen der Säumnis Die Nichterfüllung der Antragspflicht führt im Außenverhältnis zu Schadensersatzansprüchen sowohl der während der Verschleppung hinzukommenden Neugläubiger („Kontrahierungsschaden“) als auch der schon vorhandenen Altgläubiger, wenn deren Befriedigungsaussichten durch weitere Verluste ge1 Zu den Voraussetzungen: BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 2 BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848. 3 AG Köln v. 10. 8. 2005 – 71 IN 416/05, ZIP 2005, 1566; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 833 ff.; Wagner, ZIP 2006, 1934.
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§2
Rz. 22
Geschäftsführerberatung
schmälert werden („Quotenschaden“). Im Innenverhältnis muss der Geschäftsführer vor allem masseschmälernde Zahlungen gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG ersetzen, wobei diese Haftung schon mit der Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes und nicht erst mit einer Verletzung der Antragspflicht beginnt. Auf die Einzelheiten wird nachfolgend eingegangen. Außerdem ist die Antragssäumnis auch eine grobe Verletzung der nach § 43 Abs. 1 GmbHG geschuldeten Sorgfalt, die einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung bildet. Sie kann auch später noch vom Insolvenzverwalter erklärt werden. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt nicht vor Ende des pflichtwidrigen Verhaltens1.
VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag 1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners 22
Die Pflichten des Schuldners nach dem Eröffnungsantrag ergeben sich aus den §§ 20 ff., 80 ff., 97 f., 101 f. InsO.
23
Der gravierendste Einschnitt erfolgt, sobald das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen der in §§ 21 f. InsO genannten Art beschließt (vgl. § 6 Rz. 69 ff.). Regelmäßig geht dies mit einer Beschränkung der alleinigen Verfügungsbefugnis einher, sei es, dass Verfügungen nur noch mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zulässig sind, § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO, sei es, dass auf den vorläufigen Verwalter die alleinige Verfügungsbefugnis übergeht, § 22 Abs. 1 InsO. Ebenso wie nach Insolvenzeröffnung verliert der Schuldner in diesen Fällen bereits vorher die Möglichkeit, (allein) über Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen bzw. Leistungen entgegenzunehmen, §§ 24, 81 f. InsO. Soweit ein Geschäftsbetrieb vorhanden ist, wird der (vorläufige) Verwalter aber regelmäßig den Geschäftsführer – falls er geeignet ist, sonst Mitarbeiter aus der „zweiten Reihe“ – im konkret definierten Umfang bevollmächtigen, die Erklärungen abzugeben. Häufig läuft der Betrieb „erst einmal so weiter“. Hierbei ist dringend anzuraten, dass die Kompetenz genau festgelegt wird, damit neue Gläubiger nicht auf die Eigenhaftung des Geschäftsführers als falsus procurator gemäß § 179 Abs. 1 BGB zurückgreifen können.
24
Zu der in § 20 Abs. 1 InsO genannten Auskunftspflicht ist umstritten, ob sie auch eine Mitwirkungspflicht umfasst. Dies wird teilweise wegen des Verweises in § 20 Abs. 1 Satz 2 InsO auf § 97 Abs. 1 InsO bejaht2, teilweise aber mit der Begründung verneint, dass in § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO nur von Auskünften die Rede sei und § 97 Abs. 1 InsO vor der Verfahrenseröffnung nur eine entsprechende Anwendung finde3. In der praktischen Konsequenz spielen die Differenzierungen keine Rolle, weil selbst diejenigen, die ohne die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung nur eine Auskunftsverpflichtung anneh1 BGH v. 15. 10. 2007 – II ZR 236/06, ZIP 2008, 267; v. 20. 6. 2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365. 2 BGH v. 17. 2. 2005 – IX ZB 62/04, NZI 2005, 722; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 20 Rz. 18; Uhlenbruck, Workshop zum 1. Deutschen Insolvenzrechtstag 2004, S. 7; Hamburger Kommentar/Schröder, InsO, 2006, § 20 Rz. 20. 3 Vallender, FS Uhlenbruck, 2000, 135, 140.
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Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag
Rz. 27
§2
men, dies nicht auf das präsente Wissen beschränken, sondern den Schuldner auch bei der Suche und Zusammenstellung von Unterlagen in der Pflicht sehen. Er darf die Auskunft nicht etwa verweigern mit der Begründung, die Unterlagen befänden sich bei seinem Steuerberater1. Nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung greift die Mitwirkungspflicht nach herrschender Meinung2 ohnehin ein, weil die Verweisung in § 22 Abs. 3 InsO auf § 97 InsO umfassend ist. Die Mitwirkungspflicht besteht dann nicht nur gegenüber dem Insolvenzgericht, sondern insbesondere auch gegenüber dem vorläufigen Verwalter. Die Informationspflicht gilt sowohl gegenüber dem Insolvenzgericht als auch gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter. Gegenüber dem Gutachter, den das Gericht im Rahmen des § 5 InsO zur Ermittlung des Insolvenzgrundes und der Verfahrenskostendeckung einschaltet, besteht diese Verpflichtung hingegen nicht. Seine Befugnisse gehen über die eines jeden Sachverständigen nicht hinaus, § 4 InsO, §§ 402 ff. ZPO3. Eine Delegation der Auskunftsberechtigung an den Gutachter ist vom Wortlaut des § 20 InsO nicht gedeckt. Bei renitenten Schuldnern führt das in der Praxis allerdings unverzüglich zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, so dass ab dann die Auskunftsberechtigung des § 22 Abs. 3 InsO eingreift, so dass eine Verweigerungshaltung etwa aus der Überlegung heraus, man werde eine Insolvenzeröffnung noch vermeiden können, sinnlos ist.
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Der Schuldner bzw. Geschäftsführer hat weder einen Anspruch auf Vergütung noch auf Ersatz seiner Aufwendungen4; denn der Verpflichtete hat – auch wenn er nur angestellter Geschäftsführer ist – die Stellung als Partei, nicht als Zeuge, auf den das JVEG anwendbar wäre.
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Zur Durchsetzung der Obliegenheiten kann das Insolvenzgericht den Schuldner bzw. Geschäftsführer zwangsweise vorführen und – nach Anhörung – in Haft nehmen lassen, § 98 Abs. 2 ZPO. Diese Maßnahmen stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, das dabei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten muss5. In der Praxis bleibt es regelmäßig bei der zwangsweisen Vorführung zur Anhörung, so dass nur präsentes Wissen und Informationen aus mitgebrachten Unterlagen erfragt werden können. Eine Beugehaft mit dem Ziel, dass der Geschäftsführer Unterlagen zusammenstellen soll, ist außerordentlich selten. Meist lässt er sich dahingehend ein, dass Belege verschwunden seien oder ihm für die Ermittlung die erforderliche Sachkunde fehle, die begehrte Auskunft also auch nicht durch Druckmittel erhältlich sei. Zwar sind zu Lasten des Schuldners bzw. seiner Organe strenge Maßstäbe anzulegen6. Von ihnen darf jedoch nichts Unmögliches verlangt werden. Angesichts des mit einer Haft verbundenen Eingriffs in Grundrechte ist es verständlich, dass manche Insolvenzgerichte zurückhaltend sind.
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Schmahl in MünchKommInsO, 2001, § 20 Rz. 36. HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 22 Rz. 68 f. BGH v. 4. 3. 2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915 f. Eickmann/Eickmann, InsO, 3. Aufl. 2003, § 97 Rz. 22. Zu den Voraussetzungen s. BGH v. 17. 2. 2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722. Schmahl in MünchKommInsO, 2001, § 20 Rz. 50.
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§2
Rz. 28
Geschäftsführerberatung
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Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Erteilung von Vollmachten an einen vorläufigen Insolvenzverwalter; soweit dies zur Erreichung des vorläufigen Verfahrenszweckes erforderlich ist1. Eine allgemeine Mitarbeit bis hin zur Fortsetzung der Geschäftsführertätigkeit wird indes nicht geschuldet. Für natürliche Personen mag die Unterlassung allenfalls Konsequenzen im Rahmen der Restschuldfreiung haben, vgl. § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Insbesondere aber für Mitglieder von Gesellschaftsorganen gibt es keine Tätigkeitspflicht. Ggf. müssen Mitarbeiter zu Lasten der Masse neu eingestellt werden. Die Grenze ist fließend. Vereinfachend formuliert erstreckt sich die geschuldete unentgeltliche Mitwirkung auf Vorbereitungsmaßnahmen, also auf die Beschaffung und Zusammenstellung von Informationen über bisherige Entwicklungen, soweit sie als höchstpersönliche Tätigkeit zumutbar sind. Demgegenüber umfasst die Verwaltung neben allen künftigen Gestaltungsmaßnahmen auch die Beschaffung des „Organisationswissens“, mithin derjenigen Informationen, die höchstpersönlich zu ermitteln einem Geschäftsführer nicht mehr zumutbar ist.
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Die Auskunftspflicht trifft auch ehemalige Mitglieder der Vertretungs- und Aufsichtsorgane, die nicht früher als zwei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschieden sind, § 101 Abs. 1, 2 InsO. Das gilt naturgemäß nicht für die Verpflichtung zur aktiven Verfahrensunterstützung gemäß § 97 Abs. 2 InsO. Sie kann nur von den gegenwärtigen Organmitgliedern erfüllt werden, § 101 Abs. 1 Satz 3 InsO.
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Ein Zeugnisverweigerungsrecht steht den Organmitgliedern nicht zu, § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO. Belastende Tatsachen dürfen jedoch für ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren nur mit Zustimmung des Schuldners bzw. Schuldnervertreters verwendet werden. Es handelt sich hierbei nicht bloß um ein Verwertungsverbot, sondern auch um ein Verbot, auf die offenbarten Tatsachen weitere Ermittlungen zu stützen.
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Zum Kreis der Auskunftspflichtigen gehören ferner die gegenwärtigen und innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Antrag ausgeschiedenen Angestellten des Schuldners, § 101 Abs. 2 InsO, wobei ihnen allerdings das Zeugnisverweigerungsrecht bleibt.
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Die Pflichten haben die Betroffenen persönlich zu erfüllen. Zwar ist es teilweise sogar sachlich geboten, dass ihnen gewisse Zeit zur Vorbereitung eingeräumt wird. Der anwaltliche Rat insbesondere an den Schuldner, nur schriftlich über den verfahrensbevollmächtigten Anwalt Anfragen des Gerichts oder des vorläufigen Verwalters zu beantworten, findet im Gesetz keine Grundlage. Das ist auch sachgerecht; denn häufig ergeben sich aus einer Auskunft Anschlussfragen, so dass ein schriftliches Verfahren zu Verzögerungen führt, die 1 So BGH v. 18. 9. 2003 – IX ZB 75/03, ZIP 2003, 2123, zur Reichweite des § 97 InsO nach Verfahrenseröffnung mit der Begründung, der Schuldner hätte damit das Verwaltungsund Verfügungsrecht über sein Vermögen verloren. Ähnlich wird im Eröffnungsverfahren argumentiert werden können, soweit der Schuldner wegen angeordneter Sicherungsmaßnahmen nicht mehr allein verfügen darf. Generell für eine Mitwirkungspflicht: Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, Rz. 18; a.A. Vallender, FS Uhlenbruck 2000, S. 135, 140.
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Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag
Rz. 34
§2
mit dem Charakter des vorläufigen Insolvenzverfahrens als eines Eilverfahrens nicht im Einklang stehen. Allerdings ist die Sanktion von Verstößen nur schwach; denn auch die Vorladung zur gerichtlichen Anhörung braucht Zeit, die kaum kürzer als die für den Schriftverkehr benötigte ist. Eine Haftanordnung wird in aller Regel unterbleiben, wenn der Schuldner zusagt, alsbald umfassend schriftlich Stellung zu nehmen. Neben den aktiven Mitwirkungspflichten trifft den Schuldner bzw. seine Organe auch eine passive Unterstützungspflicht. So haben sie dem vorläufigen Verwalter1 Zutritt zu den Geschäftsräumen sowie Einsicht in die Bücher und Schriften zu gewähren, § 22 Abs. 3 InsO. Außerdem haben sie sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu halten, um ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen, § 97 Abs. 3 InsO.
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Der Schuldner hat nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. So kann er gegen Anordnungen des Gerichts in den Fällen vorgehen, in denen die InsO die sofortige Beschwerde ausdrücklich vorsieht, § 6 Abs. 1 InsO (vgl. § 6 Rz. 134 und § 16 Rz. 778 ff.). Das gilt namentlich für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, § 21 Abs. 1 InsO, die Verfahrenseröffnung, § 34 Abs. 1 und 2 InsO, sowie – hinsichtlich der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten – für die Anordnung der Haft, § 98 Abs. 3 InsO. Besonders wichtig sind für kooperationswillige Schuldner die Informationsrechte. Einen allgemeinen Auskunftsanspruch gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter sieht das Gesetz nicht vor, sondern gibt ihm als Verfahrensbeteiligten nur ein Recht auf Akteneinsicht, § 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO. Das reicht nicht immer aus. Der Schuldner darf einen Insolvenzplan vorlegen, § 218 Abs. 1 InsO. Außerdem wird er vor einer Verfahrenseröffnung häufig noch bemüht sein, den Insolvenzgrund zu beseitigen. All das gelingt nur im laufenden Informationsaustausch, an dem einem (vorläufigen) Verwalter in der Praxis immer gelegen ist, muss er anderenfalls doch befürchten, dass Entscheidungen ohne Informationsaustausch mit dem Schuldner die Befriedigungsaussichten für die Gläubiger schmälern und deshalb zur Haftung führen. Verhält es sich einmal anders, bleibt nur die Anrufung des Insolvenzgerichts, das im Rahmen der Aufsicht gemäß § 58 InsO den Verwalter insbesondere zur Unterstützung des Schuldners anhalten wird, soweit dies, wie im Falle eines beabsichtigten Insolvenzplanes, dem Verfahrenszweck dienen kann. Teilweise wird vertreten2, dass den Verwalter die Informationspflichten des § 51a GmbHG gegenüber den Gesellschaftern treffen. Dann dürfte auch die Informationspflicht des Verwalters gegenüber dem Geschäftsführer nicht geringer sein. Beides ist jedoch abzulehnen, ohne dass es auf den Theorienstreit ankommt, ob der Verwalter als Organ der Schuldnerin oder als Amtsträger anzusehen ist3; denn § 51a GmbHG dient dem mitgliedschaftlichen Eigeninteresse eines jeden Gesellschafters, um insbesondere die Ausübung des Stimmrechts vorzubereiten4. Demgegenüber sind ab Anordnung der
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1 Nicht dem Nur-Gutachter: BGH v. 4. 3. 2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915 f. 2 OLG Hamm v. 25. 10. 2001 – 15 W 118/01, ZInsO 2002, 77; LG Wuppertal v. 10. 12. 2002 – 11 O 121/00, NJW-RR 2003, 332; zustimmend K. Schmidt, RWS-Forum 24, InsR 2003, S. 1928. 3 Zum Theorienstreit: Häsemeyer, InsR, 3. Aufl. 2003, Kapitel 15. 4 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 51a Rz. 1.
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§2
Rz. 35
Geschäftsführerberatung
vorläufigen Insolvenzverwaltung Grundlagenentscheidungen mit dem Insolvenzgericht bzw. den Gläubigern abzustimmen, §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 158 ff. InsO. Im Übrigen ist der Verwalter unabhängig, § 56 Abs. 1 InsO, und nur gegenüber den Beteiligten an die Pflichten gebunden, die sich aus der InsO ergeben, nicht aber – anders als ein Geschäftsführer, § 45 Abs. 1 GmbHG – an den Willen der Gesellschafter. Da es mithin an der Entscheidungskompetenz der Gesellschafter fehlt, bedarf es auch keines Auskunftsanspruchs direkt gegenüber dem Verwalter. Vielmehr müssen sie sich die Informationen beim Geschäftsführer beschaffen. 35
Neben den Beschwerde- und Informationsrechten gibt es noch zahlreiche in der InsO verstreut geregelten Teilhaberechte, von denen die bedeutsamsten das Widerspruchsrecht des Schuldners gegen angemeldete Forderungen (§§ 178, 201 Abs. 2 InsO), der Antrag auf vorläufige Untersagung von Verwaltermaßnahmen (§ 161 InsO) sowie einer Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 Abs. 1 InsO) und schließlich der Antrag auf Einstellung des Verfahrens (§ 212 InsO) sind. Daneben gibt es noch die Möglichkeit, bei der Erstellung des Vermögensverzeichnisses mitzuwirken (§ 151 Abs. 1 InsO) und in der Gläubigerversammlung zum Bericht des Verwalters Stellung zu nehmen (§ 156 Abs. 2 InsO), Befugnisse, von denen in der Regel kein Gebrauch gemacht wird, zumal der fortführungswillige Schuldner ohnehin ein eigenes Initiativrecht zur Vorlage eines Insolvenzplans hat (§ 218 Abs. 1 InsO), in dem die Vermögensverhältnisse und die Geschäftsentwicklung darzustellen sind (§ 220 InsO).
2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsführers 36
An der organschaftlichen Stellung des Geschäftsführers ändert sich mit dem Insolvenzantrag oder der Verfahrenseröffnung nichts. Natürlich muss er wie ein Schuldner die Verfügungsbeschränkung beachten und den Auskunfts- bzw. Mitwirkungspflichten nachkommen (s. Rz. 22 ff.). An der Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO bestehen nach der Eröffnung keine Befugnisse mehr, so dass auch Weisungsrechte der Gesellschafterversammlung diesbezüglich leer laufen. Soweit es aber die oben dargestellten Verfahrensrechte anbetrifft, hat der Geschäftsführer nach wie vor nur „geliehene Macht“, ist also der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung unterworfen. Praktisch relevant ist dies vor allem bei der Ausübung der Beschwerdebefugnis und im Insolvenzplanverfahren. An sich sind auch die im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Versammlungen einzuberufen, was in der Praxis selten geschieht, obwohl bspw. die Feststellungskompetenz für den Jahresabschluss gemäß § 46 Nr. 1 GmbHG weiterhin bei der Gesellschafterversammlung liegt, während den Verwalter nach § 155 Abs. 1 InsO nur die Erstellungspflicht trifft – aber auch nur „in Bezug auf die Insolvenzmasse“. Diese Passivität der Gesellschafter liegt zum einen daran, dass schlichtweg kein Geld mehr vorhanden ist, um Einladungen zu verschicken und Versammlungen abzuhalten, zum anderen daran, dass auch die Finanzverwaltung in der Praxis für die Steuerveranlagung keine festgestellten Beschlüsse verlangt.
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Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag
Rz. 40
§2
Die Ansprüche des Schuldners aus dem Geschäftsführeranstellungsvertrag gehören nach Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse, § 35 InsO. Deshalb steht die Kündigungsbefugnis auch nicht mehr den Gesellschaftern1, sondern gemäß § 80 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Die gesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung wird ferner durchbrochen bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer. Auch sie gehören zur Insolvenzmasse, so dass der Verwalter bei ihrer Realisierung nicht von einem Beschluss der Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG abhängig ist.
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Anders verhält es sich hingegen mit der Organstellung. Sie unterliegt nicht dem Verfügungsrecht des Verwalters. Deshalb ist es weiterhin Sache der Gesellschafter, über die Abberufung zu entscheiden – falls der Geschäftsführer mangels Vergütung sein Amt nicht längst selbst niedergelegt hat.
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Besonders virulent wird der Konflikt zwischen der gesellschafts- und der insolvenzrechtlichen Kompetenzzuweisung bei der Eigenverwaltung. Laut § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO ist Voraussetzung ihrer Anordnung, dass nach den Umständen keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Dieses Urteil wird maßgebend auf die handelnden Personen gestützt. In den bisher bekannt gewordenen „großen“ Eigenverwaltungsfällen wurden die entscheidenden Organmitglieder extra zu diesem Zweck berufen2. Daraus wird gefolgert, die Befugnisse der Gesellschafterversammlung zur Abberufung von Organmitgliedern müssten beschnitten werden, damit den Entscheidungen des Insolvenzgerichts bzw. der Gläubigerversammlung nicht nachträglich durch eine Nichtgläubiger-Entscheidung der Gesellschafter der Boden entzogen wird3. Wollte man dem folgen, wäre dies wohl das Paradies für Fremdgeschäftsführer: Wirksame Sanktionen oder Weisungen durch das Organ, das sie berufen hat, finden nicht mehr statt, und die Aufhebung der Eigenverwaltung ist nur noch unter den engen Voraussetzungen des § 272 InsO möglich. In diesem weit gesteckten Rahmen könnte das Management nach eigenem Gutdünken über u.U. erhebliches fremdes Vermögen schalten und walten.
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Dass dies nicht angängig ist, liegt auf der Hand. Eigenverwalter ist der Schuldner, nicht das Vertretungsorgan4. Die Willensbildung muss sich nach wie vor in der für den Schuldner geltenden Kompetenzordnung vollziehen. Natürlich geht dies nur im Rahmen zwingenden Rechts, zu dem auch die Insolvenzordnung gehört. Dazu zählen insbesondere die ausdrücklich in der InsO formulierten Mitwirkungs- und Zustimmungsvorbehalte des Sachwalters bzw. der Gläubigerversammlung, §§ 275 ff. InsO. Die Entscheidungen und Weisungen der Gesellschafter haben sich innerhalb dieser Grenzen zu halten. Sie müssen sich überdies an dem in § 1 InsO niedergelegten Verfahrenszweck ausrichten, die Gläubiger gleichmäßig und optimal zu befriedigen5. Ebenso wie dem Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO steht dabei auch den Gesellschaftern ein Ermes-
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So außerhalb der Insolvenz: Roth/Altmeppen, GmbHG, 4. Aufl. 2003, § 46 Rz. 27. Vgl. AG Duisburg v. 1. 9. 2002 – 62 IN 167/02, ZInsO 2002, 1046. Vgl. Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777 ff. Uhlenbruck, FS Metzeler, 2003, 83, 99. Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406 ff.; Uhlenbruck, FS Kirchhof, 2003, S. 479 ff.; hinsichtlich Grundlagenentscheidungen: Noack, ZIP 2002, 1873 ff.
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§2
Rz. 41
Geschäftsführerberatung
sensspielraum zu. Diejenigen Beschlüsse aber, die diese Grenzen überschreiten, sind nichtig. Vorsorglich sollten Geschäftsführer dagegen Nichtigkeitsklage erheben, auch wenn deren Ergebnis für das Insolvenzverfahren als ein Eilverfahren regelmäßig zu spät kommt. Die Personalkompetenz bleibt jedoch allein bei den dafür zuständigen Gesellschaftsorganen. Ihr Beurteilungsspielraum darf nicht unter Berufung auf die Unabhängigkeit eines Insolvenzverwalters oder der allein dem Gericht bzw. den Gläubigern zustehenden Überwachungs- und Abberufungskompetenz beschnitten werden. Das Gericht kann nur darüber befinden, ob die personelle Zusammensetzung des Vertretungsorgans im Rahmen der Eigenverwaltung zum Nachteil für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO) oder sie sich der Schuldner unter Umgehung der gerichtlichen Verwalterauswahl unangemessene Vorteile verschaffen will1.
VII. Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG 1. Überblick 41
Abs. 1 des § 64 GmbHG verpflichtet die Geschäftsführer, nach Eintritt des Insolvenzgrundes unverzüglich den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, Abs. 2 verbietet sämtliche Zahlungen, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Umstritten ist das Verhältnis beider Absätze zueinander für den Fall, dass sowohl gegen die Antragspflicht als auch gegen das Auszahlungsverbot verstoßen wird. Nach Auffassung des BGH sind beide Absätze selbstständig anzuwenden2. Ein Verstoß gegen die Antragspflicht des Abs. 1 begründe eigenständige Rechtsfolgen sowohl im Außen- als auch im Innenverhältnis. Sie seien unabhängig von der in Abs. 2 angeordneten Erstattungspflicht des Geschäftsführers, die nur im Innenverhältnis wirke.
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Dieser „Trennungstheorie“ der (neueren)3 Rechtsprechung und herrschenden Meinung steht die in der Literatur teilweise vertretene „Einheitstheorie“ gegenüber. Danach verpflichten die Abs. 1 und 2 die Geschäftsführer zu einem einheitlichen Innenausgleich, während eine zusätzliche Haftung im Außenverhältnis gegenüber Neugläubigern entweder ebenfalls aus Abs. 1 oder aus einer daneben bestehenden culpa in contrahendo folgen könne. Neugläubiger sind diejenigen, die ihre Forderungen nach Eintritt des Insolvenzgrundes erworben haben. Die engagiertesten Verfechter dieser Auffassung sind K. Schmidt4 sowie Altmeppen5, die in den Einzelheiten jedoch deutlich dissentieren. Da ihre „Einheitstheorie“ trotz gegenteiliger Entscheidungen des BGH nach wie vor die Diskussion beeinflusst, soll sie unter Rz. 89 ff. gesondert dargestellt werden. 1 AG Köln v. 22. 8. 2005 – 71 IN 426/05, ZInsO 2005, 1006, 1008. 2 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235. 3 Anders noch BGH v. 16. 12. 1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100 und evtl. BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103. 4 K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.4.-6.; ders., ZIP 2005, 2177. 5 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 64 Rz. 94 ff.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 45
§2
2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 Abs. 1 GmbHG a) Entwicklung der Rechtsprechung Nach Ansicht des Reichsgerichts stellte die Antragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB für die Gläubiger dar. Andernfalls wäre die Haftung des Abs. 2 für die nach Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteten Zahlungen überflüssig1. Im Gegensatz dazu sah der BGH in Abs. 2 hingegen keine abschließende Regelung, weil ihm die Außenwirkung fehle2. Sie folge allein aus § 64 Abs. 1 GmbHG3. Dessen Schutzzweck sei aber, so seine ständige Rechtsprechung bis 1994, nicht darauf gerichtet, Gläubiger vor einer Geschäftsbeziehung zur insolventen Gesellschaft zu bewahren, sondern eine weitere Schmälerung der Konkursmasse durch die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit zu verhindern. Die Gläubiger hätten deshalb nur Anspruch auf den Ausgleich ihres sog. Quotenschadens. Das ist die Differenz zwischen der Quote, die sie erhalten hätten, wenn der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt worden wäre, und der Quote, die nunmehr tatsächlich an sie ausgeschüttet wird.
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Ein über den Quotenschaden hinausgehendes Vertrauen in die Bonität der Gesellschaft sah der BGH allein nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo als geschützt an. Danach müsse ein Geschäftsführer haften, der aus wirtschaftlichem Eigeninteresse die Geschäftstätigkeit der insolventen Gesellschaft aufrechterhalte. Das Eigeninteresse wurde zunächst aus der maßgeblichen Beteiligung an der GmbH gefolgert4. Später wurde verlangt, dass der Geschäftsführer sich zusätzlich auch noch finanziell – meist in eigenkapitaler-setzender Form – engagierte5. Damit ging der Gläubiger beim Fremdgeschäftsführer oder Geschäftsführer ohne zusätzliches Engagement leer aus, falls nicht ausnahmsweise ein besonderer Vertrauenstatbestand und ein Eigeninteresse aus anderen Gründen vorlagen.
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Die Wende kam 19946. Der BGH reduzierte die Vertrauenshaftung auf garantieähnliche Zusagen und erweiterte im Gegenzug den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG, indem er § 64 Abs. 1 GmbHG jetzt doch einen Vertrauensschutz und nicht nur einen Quotenschutz beimaß. Dem Neugläubiger sei der Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstehe, dass er in Rechtsbeziehung zu einer insolventen Gesellschaft getreten sei. Der Höhe nach entspreche das seinem negativen Interesse7. 1998 hat der BGH ergänzt, dass dieser Schaden nur
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1 RG v. 4. 2. 1910 – II ZR 255/09, RGZ 73, 30, 35. Mit derselben Begründung wird noch heute der Schutzgesetzcharakter des § 30 GmbHG abgelehnt, weil die Erstattungspflicht nach § 31 GmbHG abschließend sei, BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. 2 U.E. eine petitio principii. 3 BGH v. 21. 10. 1991 – II ZR 204/90, BGHZ 116, 7. 4 BGH v. 27. 10. 1982 – VIII ZR 187/81, ZIP 1983, 428. 5 BGH v. 8. 10. 1987 – IX ZR 143/86, WM 1987, 1431, 1432; BGH v. 2. 3. 1988 – VIII ZR 380/86, ZIP 1988, 505, 507. 6 Nach dem Vorlagebeschluss des BGH v. 20. 9. 1993 – II ZR 292/91, ZIP 1993, 1543, 1546. 7 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103, 1109 f.; OLG Celle v. 5. 12. 2001 – 9 U 204/01, NZG 2002, 730, 733; Uhlenbruck, ZIP 1994, 1153 ff.
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§2
Rz. 46
Geschäftsführerberatung
durch die Neugläubiger und nicht durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden dürfe1. Damit steht zugleich fest, dass die Belastung mit NeuVerbindlichkeiten nach Auffassung des BGH und entgegen der teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht (s. Rz. 89) nicht unter den Begriff der „Zahlung“ im Sinne des § 64 Abs. 2 GmbHG fällt2; denn die Ansprüche des Abs. 2 gehören in die Masse (s.u. Rz. 97), wären also zumindest auf dieser Grundlage vom Verwalter durchsetzbar. b) Schaden vertraglicher Neugläubiger 46
Vertragliche Neugläubiger – das sind diejenigen, die ihren Anspruch nach Ablauf der Antragsfrist erworben haben – dürfen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG nach dem Vorgenannten die Erstattung ihres negativen Interesses verlangen3. Das negative Interesse ist nicht identisch mit dem positiven, das dem Forderungsausfall entspricht4. Die Forderung enthält Deckungsbeiträge, die der Gläubiger ohne den Vertrag mit dem Schuldner nicht erwirtschaftet hätte. Vereinfacht wird das als Kontrahierungsschaden bezeichnet, obwohl es nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, sondern auf den der ungesicherten Vorleistung des Gläubigers5. Gelingt den Neugläubigern der Nachweis, dass sie wegen der Lieferung an den Schuldner dasselbe Geschäft mit einem Dritten unterlassen haben, entspricht das positive Interesse dem negativen Interesse6. Da sie als Gläubiger am Insolvenzverfahren teilnehmen, kann der Geschäftsführer die Abtretung ihres Anspruches analog § 255 BGB verlangen7. Zur Durchsetzung der Forderung ist nach Auffassung des BGH nur der einzelne Neugläubiger, nicht aber der Insolvenzverwalter befugt8. Das gilt nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe auch dann, wenn sämtliche Verbindlichkeiten erst während der Insolvenzverschleppungsphase entstanden sind, am Verfahren also nur Neugläubiger beteiligt sind9.
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Für Dauerschuldverhältnisse gelten im Vergleich zu Austauschverträgen keine Besonderheiten. Maßgebend ist nicht, ob der Vertragsschluss nach dem Ablauf der Insolvenzantragsfrist stattfand, sondern ob der Gläubiger danach seine Vor1 BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776, 778. 2 Bestätigt durch BGH v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184; v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 3 BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734, v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.5.b); zu nutzlos aufgewendeten Rechtsverfolgungskosten OLG Jena v. 28. 11. 2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631, 632; OLG Köln v. 19. 12. 2000 – 22 U 144/00, NZG 2001, 411. 4 BGH v. 8. 3. 1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967. 5 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; OLG Celle v. 5. 12. 2001 – 9 U 204/01, NZG 2002, 730. 6 OLG Celle v. 5. 12. 2001 – 9 U 204/01, NZG 2002, 730. 7 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; für volle Anrechnung der Quote bei dem vergleichbaren Fall einer Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 61 InsO: BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107, 1113. 8 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/01, NJW 1994, 2220; BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, NJW 1998, 2667, 2668; kritisch: Poertzgen, DZWIR 2007, 101. 9 BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713 m. Anm. K. Schmidt; OLG Karlsruhe v. 20. 6. 2002 – 19 U 150/01, ZIP 2002, 2001 f.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 49
§2
leistung erbrachte. Schwierigkeiten bereitet jedoch häufig der Nachweis der Kausalität. Allein die von der GmbH gezogene Nutzung einer Mietsache1 oder die in Anspruch genommene Arbeitskraft2 des Mitarbeiters stellen noch keinen ersatzfähigen Vermögenswert dar. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass die Mietsache während des Verschleppungszeitraumes anderweit vermietet3 oder der Arbeitnehmer anderweit beschäftigt4 worden wäre. Es besteht keine die Vermutung des § 252 Satz 2 BGH auslösende Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmer einer insolvent gewordenen GmbH sofort eine Beschäftigung bei einem anderen Unternehmen hätten finden können5. Es dürfte ausgesprochen selten sein, dass Vermieter oder Arbeitnehmer Konkurrenzangebote vorlegen können. In der Regel wird nur die Möglichkeit einer Schadensschätzung gem. § 287 ZPO bleiben. Einen wesentlichen Anhaltspunkt wird die Dauer bieten, die später für die Neuvermietung oder Arbeitsplatzsuche konkret aufgewendet wurde, wobei saisonale Besonderheiten (z.B. Baubranche im Winter) berücksichtigt werden müssen. An den Kausalitätsnachweis dürfen keine Anforderungen gestellt werden, die den Schadensersatzanspruch de facto leer laufen lassen6 und damit zu einer unbilligen Entlastung7 des Geschäftsführers führen würden. Die Neugläubiger unterliegen nach allgemeinem Schadensersatzrecht der Schadensminderungspflicht nicht nur bei der Schadensentwicklung, sondern schon bei der Schadensentstehung. Musste ihnen bei Abschluss des Vertrages die Einbringlichkeit der Forderung gefährdet erscheinen, mindert sich ihr Schadensersatzanspruch gemäß § 254 BGB aufgrund eines Mitverschuldens8.
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c) Schutzbereich der Norm Einschränkungen des Schadensersatzes gibt es durch den Schutzbereich der Norm9. Von ihm hängt es ab, ob auch diejenigen Schäden ersetzt werden sollen, die ohne Insolvenzverschleppung ebenfalls entstanden wären10. Das wird man verneinen müssen. Deshalb wird sich der Geschäftführer darauf berufen dürfen, dass z.B. Gewährleistungsanprüche wegen eines während der Verschlep1 Vgl. OLG Celle v. 13. 7. 2004 – 16 U 11/04, ZInsO 2004, 1030 zur ähnlich gelagerten Haftung des Insolvenzverwalters. 2 BGH v. 17. 1. 1995 – VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023; vgl. BAG v. 19. 1. 2006 – 6 AZR 600/04, ZIP 2006, 1058 zu § 61 InsO. 3 OLG Celle v. 13. 7. 2004 – 16 U 11/04, ZinO 2004, 1030 zu der gleichfalls auf das negative Interesse gerichteten Insolvenzverwalterhaftung gem. § 61 InsO. 4 LAG Köln v. 26. 7. 2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199; zur vergleichbaren Situation der Insolvenzverwalterhaftung: BAG v. 19. 1. 2006 – 6 AZR 600/04, ZIP 2006, 1058. 5 BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713; LAG Köln v. 26. 7. 2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199. 6 Eine Beweiserleichterung hingegen ablehnen: LAG Köln v. 26. 7. 2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199. 7 Zu diesem Kriterium: BGH v. 12. 3. 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060. 8 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103; OLG Köln v. 27. 1. 2006 – 1 U 45/05, WM 2006, 2006, Revision beim BGH unter Az. II ZR 55/06. 9 Dazu BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. 10 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2205, nennt als Beispiel giftiges Tierfutter, durch das die gesamte Herde des Neugläubigers vernichtet wird.
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§2
Rz. 50
Geschäftsführerberatung
pungsphase abgewickelten Werkvertrages von der GmbH auch dann nicht hätten befriedigt werden können, wenn bei Zahlung des Aufraggebers noch kein Insolvenzgrund vorgelegen hätte bzw. wegen versteckter Mängel erkennbar gewesen wäre. Die Haftung soll nicht die vom Insolvenzgrund unabhängige Bonität der Gesellschaft verbessern. Ebensowenig müssen Geschäftsführer für das betrügerische Verhalten eines Geschäftsführers einstehen, das nur gelegentlich der Insolvenzverschleppung begangen wurde, genauso aber auch ohne Verschleppung hätte auftreten können1. 50
Umgekehrt wird der Schadensersatzanspruch des Gläubigers nicht dadurch gemindert, dass während der Insolvenzverschleppungsphase Zahlungen auf seine Altforderungen geleistet wurden, die er bei rechtzeitiger Antragstellung nicht erhalten hätte. Eine Saldoermittlung würde, so der BGH, bei wertender Betrachtungsweise „zu einer unbilligen, dem Zweck der Ersatzpflicht widersprechenden Entlastung der Schädiger“ führen2.
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Nach dem Schutzbereich der Norm zu beantworten ist schließlich auch die Frage, ob eine einmal unternommene Insolvenzverschleppung den Geschäftsführer auf immer und ewig für neue Kontrahierungsschäden haften lässt, die eintreten, nachdem sich die Gesellschaft zwischenzeitlich erholt hatte, dann aber wieder in die Krise gerät. Bei einer reinen Kausalitätsbetrachtung wäre eine Haftung zu bejahen. Wäre nämlich der Antrag in der ersten Insolvenzsituation gestellt worden, wäre die Gesellschaft längst vom Markt verschwunden, der spätere Schaden hätte nicht mehr eintreten können. Der BGH hat einer solch ausufernden Haftung jedoch eine Absage erteilt. Der Geschäftsführer müsse in eigener Person sämtliche Pflichtverletzungen für die konkret in Rede stehende Insolvenzverschleppung erfüllen3, so dass insbesondere ein zu diesem Zeitpunkt schon ausgeschiedener Geschäftsführer nicht allein deshalb hafte, weil es unter seiner Verantwortung schon früher einmal eine Verschleppung gegeben habe. d) Schaden gesetzlicher Neugläubiger
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In der weichenstellenden Entscheidung aus 1994 hatte der BGH ausdrücklich dahinstehen lassen, ob deliktische Gläubiger in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG einbezogen sind4. Er hat sich seither in zwei Urteilen mit der Haftung für die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung befasst (zur Haftung für die Arbeitnehmeranteile siehe unten Rz. 148 ff.). Auch hier blieb offen, ob die auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis beruhenden Forderungen der Sozialversicherungsträger vom Schutzzweck des § 64 Abs. 1 GmbHG erfasst sind. Die Haftung scheiterte nach Ansicht des BGH schon an dem Schadensnachweis5. In einem Urteil aus 2005 hat er hingegen ausgesprochen, dass der eine (faktische) Geschäftsführer nicht allein deshalb für das betrügerische und ge1 2 3 4 5
BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. BGH v. 12. 3. 2007 – II ZR 315, 05, ZIP 2007, 1060, Hervorh. v. Verf. BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103, 1107. BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713; BGH v. 8. 3. 1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967; zur Problematik siehe Kiethe, ZIP 2003, 1957 ff.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 54
§2
mäß § 31 BGB der GmbH zuzurechnende Verhalten des anderen Gechäftsführer hafte, weil ein Insolvenzantrag versäumt wurde1; denn der Schutzbereich de § 64 Abs. 1 GmbHG betreffe allein das Vertrauen in die Solvenz der GmbH, nicht aber die allgemeine Erwartung, der Geschäftsführer werde sich nicht strafbar verhalten. In gleicher Weise lehnt der Insolvenzrechtssenat für die ebenfalls auf den Ersatz des Vertrauensschadens gerichtete Insolvenzverwalterhaftung2 eine Einstandpflicht für gesetzliche Schuld der Prozesskostenerstattung ab3. Damit gilt generell, dass für den Geschäftsführer eine Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten (Delikt, Bereicherungsrecht, Steuerschuldverhältnis etc.) der GmbH, die während der Inolvenzverschleppung entstanden sind, unter dem Gesichtspunkt des § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht kommt. Folgt man dem, könnte die Gefahr einer Schutzlücke für gesetzliche Gläubiger bestehen4: Einerseits darf der Insolvenzverwalter ihren Schaden nicht geltend machen, weil sie Neugläubiger sind. Andererseits liegt er nicht im Schutzbereich der Norm, weil der Anspruch auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis basiert. Gleichwohl müssen sie nicht leer ausgehen; denn auch die Neugläubiger haben entgegen der apodiktischen Ablehnung im BGH-Urteil vom 30. 3. 19985 einen Quotenschaden6 (s. sogleich Rz. 56). Sie sind als Insolvenzgläubiger am Verfahren beteiligt, § 38 InsO (zur Rechtsstellung eines Insolvenzgläubigers vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Falls sie infolge einer (weiteren) Insolvenzverschleppung eine geringere Quote erhalten, als sie bei rechtzeitiger Antragstellung bezogen hätten, können sie die Differenz als Schadensersatz bei den Geschäftsführern gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG liquidieren. Dass ihnen dies de facto wenig hilft, weil sie den Quotenschaden kaum werden berechnen können, wurde schon der früheren Rechtsprechung entgegengehalten, begründet aber nur eine tatsächliche, keine rechtliche Schutzlücke.
53
Einen Sonderfall bildet die Vernichtung von Aus- und Absonderungsrechten (vgl. § 7 Rz. 17 ff., 135 ff.) während der Insolvenzverschleppungsphase. Eine dafür eingreifende Haftung hatte der BGH früher zwar abgelehnt7. Damals hatte er jedoch noch die Quotenverschlechterung als einzige Schadensposition im Auge. Die Konsequenz der neuen Rechtsprechung zu § 64 GmbHG müsste hingegen lauten, einen während der Verschleppung eintretenden Sicherungsverlust des Altgläubigers ebenso zu behandeln wie den Rechtsverlust des Neugläubigers. Anderenfalls würde eine Schutzlücke auftreten; denn das Aus- und Absonderungsgut ist nicht Bestandteil der Soll-Masse, deren Verwertungserlös später an alle Gläubiger gleichmäßig verteilt wird. Sie sind deshalb bei der Berechnung des Quotenschadens auch nicht zu berücksichtigen8 (s. sogleich).
54
1 BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 2019. 2 BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107 zieht ausdrücklich eine Parallele zu § 64 Abs. 1 GmbHG. 3 BGH v. 2. 12. 2004 – IX ZR 142/03, ZIP 2005, 131. 4 So K. Schmidt, ZIP 2003, 1715 f. 5 BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776, 777. 6 Fritsche/Lieder, DZWIR 2004, 93, 101 f.; K. Schmidt, ZIP 2003, 1715 f. 7 BGH v. 3. 2. 1987 – VI ZR 268/85, ZIP 1987, 509. 8 BGH v. 28. 4. 1997 – II ZR 20/96, ZIP 1997, 1542.
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§2
Rz. 55
Geschäftsführerberatung
Um aber den Verlust von Aus- und Absonderungsrechten nicht sanktionslos zu stellen, bleibt nur die Möglichkeit, den Neugläubigerschaden ähnlich wie den Schaden des Gläubiger aus einem Dauerschuldverhältnis zu berechnen: Hätte der Geschäftsführer früher einen Insolvenzantrag gestellt, hätte der Gläubiger z.B. bei einer Forderungsabtretung die Einziehungbefugnis oder z.B. bei einem Eigentumvorbehalt die Weiterveräußerungsermächtigung widerrufen. Im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft hat er dies unterlassen. Sein Schadensersatzanspruch ist deshalb auch keiner, der auf Eigentumsverletzung gestützt wird, sondern auf enttäuschtes Vertrauen. 55
Von der Frage, ob der Verlust von Aus- und Absonderungsrechten überhaupt einen Schadensersatzanspruch gewähren kann, zu unterscheiden ist die Kausalität; denn häufig wäre der Rechtsverlust insbesondere beim Forderungsinkasso auch bei einem früheren Insolvenzantrag eingetreten, weil die Drittschuldner ihre Zahlungsweise nicht schnell genug umstellen. Deshalb wird man darauf stellen müssen, wann sich ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit den Umständen hätte vertraut machen und das Sicherungsgut für die Aus- und Absonderungsgläubiger hätte verwalten können. Auf das umstrittene Baustoff-Urteil des VI. Zivilsenats1 kommt es nur noch für die Zeit vor Beginn einer Insolvenzverschleppung an. Dort war ein Geschäftsführer zum Schadensersatz verurteilt worden, weil er organisatorische Maßnahmen zu treffen versäumt hatte, um verlängerte Eigentumsvorbehaltsrechte eines Lieferanten zu schützen2. Umstritten3 ist das Urteil deshalb, weil dem Geschäftsführer Organisationspflichten an sich nur im Innenverhältnis obliegen. Ihre Verletzung führt wegen des internen Charakters regelmäßig zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft, nicht aber auch außenstehender Dritter. Im „Kirch“-Fall hat der BGH allerdings jüngst den deliktischen Schutzcharakter interner Organisationspflichten bestätigt4. e) Schaden der Altgläubiger
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Altgläubiger sind diejenigen, die schon zu Beginn der Insolvenzverschleppung persönliche Forderungen gegen den Schuldner hatten. Sie haben auch nach der Rechtsprechungsänderung nur einen Anspruch auf einen einheitlichen Quotenschaden als Differenz zwischen der Soll-Quote bei rechtzeitigem Antrag und der Ist-Quote5. Er ist – bezogen auf die Gruppe der Altgläubiger – ein Gesamtgläubigerschaden, den der Insolvenzverwalter gemäß § 92 InsO für die 1 BGH v. 3. 2. 1987 – VI ZR 268/85, ZIP 1987, 509. 2 Ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten wird, ist angesichts skeptischer Äußerungen des nunmehr zuständigen II. Zivilsenats ohnehin fraglich, vgl. BGH v. 13. 4. 1994 – II ZR 16/93, DStR 1994, 1272 m. Anm. Goette. 3 Für eine Ausdehnung der Haftung Reiff/Arnold, ZIP 1998, 1893, 1898 f.; Kübler, ZGR 1995, 481, 486; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 43 Rz. 41; Schüppen, DB 1994, 197, 203; a.A. Altmeppen, ZIP 1997, 1173, 1179; Haas, Geschäftsführerhaftung, 1997, S. 234 ff.; Lutter, ZIP 1997, 329, 333; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, 2003, § 64 Rz. 16. 4 BGH v. 24. 1. 2006 – IX ZR 384/03, ZIP 2006, 317. 5 BGH v. 16. 12. 1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 102 ff.; BGH v. 1. 3. 1993 – II ZR 292/91, ZIP 1993, 763, 766.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 59
§2
Altgläubiger geltend macht. Da es sich um massefremde Rechte handelt, bilden nach allerdings umstrittener Ansicht1 die Erstattungsleistungen der Geschäftsführer eine Sondermasse, die nur zur Verteilung an die Altgläubiger verwendet werden darf. Bei der Berechnung des Altgläubigerschadens muss eine hypothetische IstMasse (§ 35 InsO) bei rechtzeitigem Antrag ermittelt werden, die sodann um Soll-Aus- und Soll-Absonderungsrechte (abzüglich Kostenbeiträgen gemäß § 171 InsO) sowie um hypothetische Kosten und Masseverbindlichkeiten des Soll-Verfahrens gemäß §§ 54 f. InsO gekürzt und um hypothetische Haftungs-2 und Anfechtungsrechte des Soll-Verfahrens erhöht wird. Maßgebend sind jeweils die Realisationswerte, Forderungen also nur, soweit sie werthaltig sind. Die auf diese Weise ermittelte Teilungsmasse ist in Relation zu den damaligen Gesamtverbindlichkeiten zu setzen. Das Ergebnis ist die Quote des Soll-Verfahrens, die mit der mutmaßlichen Quote des Ist-Verfahrens verglichen wird.
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Die skizzierten Schritte zeigen, dass der Quotenschaden in der Praxis – wie bisher – keine Rolle spielen wird. Selbst wenn ein Gericht großzügig von der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO Gebrauch machen sollte3, bleiben Vorbereitungsaufwand und Prozessrisiken erheblich. Hinzu kommt, dass eine Insolvenzverschleppung vor allem von denjenigen begangen wird, die sich davon Vorteile versprechen. Das sind die Gesellschafter-Geschäftsführer, die meist auch noch gebürgt haben. Deren finanzielle Leistungsfähigkeit wird durch die Insolvenz ohnehin reduziert. Mit dem Quotenschaden für Altgläubiger konkurriert der Kontrahierungsschaden der Neugläubiger und der Ersatz von „Zahlungen“ im Sinne des § 64 Abs. 2 GmbHG. In der Regel wird es den Geschäftsführern unmöglich sein, sämtliche Ansprüche zu befriedigen. Also werden sich Neugläubiger und Insolvenzverwalter auf diejenigen Ansprüche konzentrieren, die am leichtesten durchzusetzen sind. Der Quotenschaden wird dann zurückgestellt.
58
f) Schaden der Insolvenzmasse? Es gibt Masseminderungen, die nicht unter den Terminus der „Zahlung“ des § 64 Abs. 2 GmbHG fallen. Dazu zählen insbesondere die erst mit der Verfahrenseröffnung entstehenden Anfechtungsansprüche. Ihre Tatbestandsvoraussetzungen hängen u.a. davon ab, ob die fragliche Rechtshandlung innerhalb bestimmter Fristen vor dem Eröffnungsantrag erfolgte4 (vgl. § 10 Rz. 83, 118 f., 162 f., 184, 208, 272 zu den Anfechtungszeiträumen). Führt eine Insolvenzverschleppung dazu, dass Anfechtungsansprüche nicht mehr durchgesetzt werden 1 Häsemeyer, InsR, 3. Aufl. 2003, Rz. 31.17; Hirte in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 92 Rz. 15 f.; Brandes in MünchKommInsO, 2001, § 92 Rz. 11; die Regierungsbegründung spricht nur allgemein davon, dass der Anspruch zur „Insolvenzmasse“ gehöre, ohne auf die Frage nach einer Sondermasse einzugehen, RWS-Dok. 18, S. 271. 2 Offen gelassen für Haftungsansprüche gegen den Geschäftführer wegen Insolvenzverschleppung: BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776, 778. 3 BGH v. 24. 5. 1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101, 2103; Musielak/Foerste, ZPO, § 287, 2. Aufl. 2000, Rz. 1, 4 f. 4 Z.B. §§ 130 f., 135 InsO i.V.m. § 32b GmbHG.
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§2
Rz. 60
Geschäftsführerberatung
können, benachteiligt das nicht nur die Altgläubiger, sondern sämtliche Gläubiger. Beispielsweise ist die Tilgung eigenkapitalersetzender Darlehen nur anfechtbar, wenn sie innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag stattfand, § 135 Nr. 2 InsO1 (vgl. § 10 Rz. 219 ff.). Verstreicht der Anfechtungszeitraum durch die Insolvenzverschleppung, stellt sich die Frage, ob dies ein Gesamtgläubigerschaden ist, den der Insolvenzverwalter gemäß § 92 InsO geltend machen darf. 60
Der BGH hat bisher offen gelassen, ob auch die Insolvenzmasse durch § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB geschützt ist2. Das zu bejahen, könnte bedeuten, die Konturen zwischen Alt- und Neugläubigerschaden zu verwischen; denn die nicht durch eine „Zahlung“ i.S.d. Abs. 2 verursachte Masseschmälerung während der Insolvenzverschleppung wird über § 64 Abs. 1 GmbHG als Quotenschaden der Altgläubiger liquidiert. Ein daneben bestehender Schutz der Insolvenzmasse könnte überflüssig sein.
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Zur Insolvenzanfechtung hat es der BGH abgelehnt, die Verzögerung des Insolvenzantrages als eine Rechtshandlung anzusehen, deren Anfechtung den Gläubiger so stellt, als sei die ihm Befriedigung gewährende Rechtshandlung noch innerhalb der Anfechtungsfrist erfolgt. Es gibt keine vorgelagerte Anfechtung des Ablaufs der Anfechtungsfrist3. Dies beruhte nicht etwa auf einer Verneinung der Gläubigerbenachteiligung, sondern nur darauf, dass aus Gründen der Rechtssicherheit für die Fristberechnung allein auf § 139 InsO (Eingang des Insolvenzantrages) abgestellt werden müsse. Deshalb ist es durchaus denkbar, im Rahmen von § 64 Abs. 1 GmbHG das Verstreichen der Anfechtungsfristen als eigenen Schaden anzuerkennen.
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Gleichwohl ist Zurückhaltung geboten. Die Inolvenzmasse ist kein Rechtssubjekt. Die Haftung des Geschäftsführers für eine massemindernde Auszahlung gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG zeigt zwar, dass die Masse geschützt wird, obwohl der Rechtsträger – die GmbH – keinen Schaden erleidet; denn die Zahlung z.B. einer Verbindlichkeit schmälert das Reinvermögen der GmbH nicht. Die Haftung allein für den Verlust von Anfechtungsrechten würde jedoch eine Ausweitung des § 64 Abs. 2 GmbHG um Vorgänge bedeuten, die sich nicht mehr unter den Begriff der Auszahlung subsumieren lassen. An dem Wortlaut hat der BGH z.B. auch die Begründung neuer Verbindlichkeiten als i.S.v. § 64 Abs. 2 GmbHG ersatzpflichtig scheitern lassen4.
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Kommt somit § 64 Abs. 2 GmbHG nicht zur Anwendung, bleibt nur, den Masseschaden über § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Ab. 2 BGB zu liquidieren. Für die Schadensberechnung sind die allgemeinen Vorschriften einschlägig. Erforderlich ist ein Saldenvergleich mit und ohne schädigendes Ereignis. Einzelne Vermögensgegenstände wie z.B. verlorene Anfechtungsmöglichkeiten dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Die Vorgehensweise entspricht derjenigen bei der Ermittlung des Quotenschadens für die Altgläubiger. Wenn stattdessen der 1 Das gilt nur für die Darlehen gemäß § 32a GmbHG, nicht für die Darlehen, deren Rückzahlung analog §§ 30 f. GmbHG unzulässig ist. 2 BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776, 780. 3 BGH v. 10. 2. 2005 – IX ZR 211/02, ZIP 2005, 494. 4 BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 66
§2
Masseschaden betrachtet wird, so steht dahinter die Überlegung, dass auch die Neu- und vor allem die Massegläubiger an der durch Schadensersatzansprüche angereicherten Masse partizipieren sollen. Für die Neugläubiger besteht durchaus neben dem Anspruch auf Ersatz des Kontrahierungsschadens ein Schutzbedarf, weil sie nur durch eine Anreicherung der Masse eine Zahlung auf die Deckungsbeiträge (entgangene Gewinne) erhalten, die der Geschäftsführer bei einer Insolvenzverschleppungshaftung nicht ersetzen muss. Darüber hinaus kann auch den Massegläubigern an einer Erhöhung der Masse durch die Haftung für verschleppungsbedingten Rechtsverlust gelegen sein. Zu denken ist beispielsweise an Arbeitnehmer oder Vermieter, deren Ansprüche für die Zeit nach Insolvenzeröffnung bis zum Ablauf der Kündigungsfristen Masseschulden darstellen, auf die wegen Masseunzulänglichkeit häufig keine Zahlung zu erwarten ist. Solange der BGH jedoch an der strikten Trennung zwischen Kontrahierungsschaden für die Neugläubiger einerseits und Quotenschaden für die Altgläubiger andererseits festhält, ist es für die Praxis nicht von Vorteil, eine zusätzliche Schadenskategorie einzuführen.
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g) Haftung gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG nach Antragstellung? Mit dem wirksamen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Geschäftsführer seine Pflicht erfüllt. Bis zur Entscheidung des Gerichts über die Verfahrenseröffnung oder die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vergeht jedoch geraume Zeit. In dieser Phase eintretende Neugläubiger sind nicht mehr durch § 64 Abs. 1 GmbHG geschützt. Ab einem wirksamen Antrag liegt ihr Schutz in der Hand des Insolvenzgerichtes. Daneben trifft die Geschäftsführer nur noch die „normale“ deliktische Haftung insbesondere im Zusammenhang mit einem Eingehungsbetrug. Nach einem Insolvenzantrag kann der Geschäftsführer sich gegenüber einem auf Kredit leistenden Lieferanten nicht mehr damit entschuldigen, er hätte darauf vertraut, dass neu eingegangene Verbindlichkeiten bezahlt werden.
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h) Gläubiger mit und nach Verfahrenseröffnung Massegläubiger sowie Insolvenzgläubiger, die ihren Anspruch erst mit (vgl. § 103 Abs. 2 InsO) oder nach der Verfahrenseröffnung erwerben, sind unmittelbar nicht geschützt1, weil ihre Rechtsposition nicht auf einer Verzögerung des Insolvenzantrages beruht (zu den Neumasseverbindlichkeiten vgl. § 14). Das gilt u.a. für die Bundesanstalt für Arbeit, auf die die Ansprüche der Arbeitnehmer durch die Zahlung des Insolvenzgeldes übergehen2. In Betracht kommt hier aber eine Haftung gemäß § 826 BGB3.
1 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 361. 2 BGH v. 26. 6. 1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 136. 3 BGH v. 18. 12. 2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361.
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§2
Rz. 67
Geschäftsführerberatung
3. Innenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 Abs. 2 GmbHG a) Haftungsbeginn 67
Während die Insolvenzverschleppungshaftung des § 64 Abs. 1 GmbHG erst beginnt, wenn nicht unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes der Eröffnungsantrag gestellt wird, greift das Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 GmbHG sofort ein1. Der Wortlaut verlangt für die Überschuldung zwar deren „Feststellung“ und lässt nur für die Zahlungsunfähigkeit den „Eintritt“ ausreichen. Das eine ist jedoch zu spät und das andere zu früh. Weder darf gewartet werden bis zu einer positiven Feststellung des Insolvenzgrundes, noch kann gehaftet werden, wenn ein Insolvenzgrund zwar objektiv eingetreten ist, aber noch nicht bekannt sein konnte (z.B. Zahlungsausfall wegen noch nicht bekannter Insolvenz eines Großkunden). Das Bindeglied zwischen beiden Zeitpunkten ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der den Geschäftsführern obliegenden „Pflicht zur ständigen Selbstprüfung“ in der Krise2. Maßgebend für die Antragspflicht und das Zahlungsverbot ist nach allerdings sehr umstrittener Auffassung3 (Rz. 83) die Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes. Auf die darin einfließenden subjektiven Merkmale wird im Rahmen des Verschuldens noch eingegangen werden (Rz. 102 ff.). Zunächst sollen die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen und anschließend die Kriterien für die Sorgfaltsausnahme laut Satz 2 des § 64 Abs. 2 GmbHG erläutert werden: b) Zahlung aa) Haftungszweck
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§ 64 Abs. 2 GmbHG verpflichtet die Geschäftsführer zum Ersatz aller Zahlungen, die sie nach dem erkennbaren Eintritt der materiellen Insolvenz vorgenommen haben und die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Die Vorschrift soll eine Masseminderung verhindern4 und dadurch mittelbar die Gläubiger schützen. Bei dem Ersatzanspruch handelt es sich „der Sache nach um eine Haftung gegenüber der Gläubigergesamtheit, die bei verspäteter Konkursanmeldung durch eine Verminderung der Konkursmasse in Folge zwischenzeitlicher Befriedigung einzelner Gläubiger benachteiligt ist, wogegen die Gesellschaft selbst keinen Schaden hat, weil lediglich ihre Schulden bezahlt werden“5. Das buchhalterische Reinvermögen als Saldo von Aktiva und Passiva bleibt durch die Schuldentilgung unverändert. Deshalb sei, so der BGH, die Vorschrift auch „keine Schadensersatznorm, sondern enthält einen Ersatzanspruch eigener Art. Er ist seiner Natur 1 BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64 Rz. 80. 2 Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 64 Rz. 33. 3 Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64, Rz. 83; andererseits aber ders. bei Rz. 50 zum Beginn der Antragspflicht; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 64, Rz. 45 ff.: Beginn mit Erkennbarkeit, aber Unterbrechung für drei Wochen, wenn ab Kenntnis Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden. 4 OLG Brdbg. v. 10. 4. 2002 – 7 U 147/01, GmbHR 2002, 910. 5 BGH v. 18. 3. 1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 69
§2
nach darauf gerichtet, das Gesellschaftsvermögen wieder aufzufüllen, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht“1. Dies ähnelt einer Drittschadensliquidation mit der Besonderheit, dass nur kalkulatorisch der Schaden der im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Gläubiger ausgeglichen wird, was sich daran zeigt, dass die Erstattungsbeträge für (neue) Masseverbindlichkeiten verwendet werden dürfen. Je nach Höhe dieser neuen Verbindlichkeiten kann es also sein, dass der Geschäftsführer „Millionen“ erstattet, der Insolvenzgläubiger aber gleichwohl keine Quote erhält2. Der „Dritte“ wird vielmehr normativ definiert als die künftige Insolvenzmasse im Sinne des § 80 Abs. 1 InsO. Geschützt wird dadurch letztlich ab Beginn der materiellen Insolvenz der Vorrang der insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln3 vor der individuellen Verteilungsentscheidung des Geschäftsführers. bb) Verfügung vs. Verpflichtung Diesem Zweck entsprechend ist der Terminus „Zahlung“ weit auszulegen4. Darunter fällt jede Verfügung über Aktiva, und zwar nicht nur durch Geld- und Geldersatzleistungen (z.B. Schecks), sondern auch durch die Weggabe sämtlicher Vermögensgegenstände, die im Insolvenzverfahren die Masse gemehrt hätten5. Dazu gehören insbesondere auch Lieferungen aus dem Vermögen der Gesellschaft. Keine „Zahlung“ ist die Eingehung von Verbindlichkeiten6, weil das die künftige Insolvenzmasse nicht berührt. Das hat insbesondere Konsequenzen für die Zahlung alter Schulden aus dem Kontokorrentkredit. Während die Gläubigerbefriedigung einen Verstoß gegen § 64 Abs. 2 GmbHG darstellt, wenn sie aus dem Vermögen der GmbH erfolgt, soll es haftungsunschädlich, wenn derselbe Vorgang unter Inanspruchnahme eines Kredits stattfindet. Vielmehr handelt es sich um einen bloßen Gläubigeraustausch, was nach Auffassung des Gesellschaftsrechtssenats des BGH nur zur Haftung dem neuen Gläubiger gegenüber (s.o. Rz. 43 ff.) führen kann, nicht aber zur Innenhaftung gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG, es sei denn, dass die neue Verbindlichkeit am Ver-
1 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 239, Hervorh. d. d. Verf.; s. statt vieler: Haas, NZG 2004, 737, 738 f. 2 Unzutreffend ist deshalb die von K. Schmidt z.B. in K. Schmidt/Uhlenbruck, GmbH in der Krise, 3. Aufl. 2003, Rz. 1885 vertretene Auffassung, § 64 Abs. 2 GmbHG sei der Urvater des § 92 InsO; denn im Rahmen des § 92 InsO macht der Verwalter ein fremdes Recht geltend, muss den Betrag also über die Bildung einer Sondermasse an den Berechtigten auskehren und darf ihn nicht für Masseverbindlichkeiten verwenden. 3 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235; v. 18. 4. 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; Goette, DStR 2003, 887, 893. 4 BGH v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184, 185; Schulze-Osterloh, FS Bezzenberger, 2000, S. 415, 426, mit ausführlicher Begründung der Ablehnung der noch weiter gefassten Auffassung von Altmeppen und Wilhelm. Zum Begriff der Zahlung siehe auch Bitter, WM 2001, 666 ff. 5 Wird die Masse nicht geschmälert, liegt auch kein Verstoß gegen § 64 Abs. 2 GmbHG vor, vgl. LG Berlin v. 24. 10. 2001 – 26 O 285/01, ZInsO 2002, 242. 6 BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776.
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§2
Rz. 70
Geschäftsführerberatung
mögen der GmbH besichert ist1. Dann ist der Vorgang so zu behandeln wie eine Befriedigung des Altgläubigers mit Hilfe dieser neu belasteten Vermögensgegenstände. 70
Demgegenüber bejaht der Insolvenzrechtssenat des BGH bei der Insolvenzanfechtung eine Gläubigerbenachteiligung auch dann, wenn die angefochtene Zahlung unter Inanspruchnahme eines vereinbarten Festbetrags- oder Kontokorrentkredits erfolgt2. Anders soll es sich nur bei einer Überziehung des Kontokorrentkredits verhalten3. Dahinter steht die Überlegung, dass die Ansprüche des Schuldners aus einer ihm von der Bank eingeräumten Kreditlinie pfändbar sind. Zwar sei die Entscheidung über die Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits höchst persönlich. Sie unterliege nicht der Pfändung und könne somit nicht vom Gläubiger getroffen werden. Sobald aber der Schuldner diese Entscheidung durch Einreichung eines Überweisungsauftrages getroffen habe, werde der dadurch entstehende Auszahlungsanspruch von der zuvor ausgebrachten Pfändung erfasst. Nur wenn es – wie bei der geduldeten Überziehung – im Pfändungszeitpunkt noch keine gesicherte Rechtsposition des Schuldners auf Kreditgewährung gäbe, sondern dies erst von einer Duldung der Bank abhänge, fehle es an einer Pfändbarkeit und damit auch an einer Gläubigerbenachteiligung; denn unpfändbare Ansprüche gehören gemäß § 36 Abs. 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse, könnten also auch nicht zugunsten aller Gläubiger verwertet werden.
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An dieser Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung wird deutlich, dass Auszahlungsansprüche insolvenzrechtlich selbst dann als „Masse“ anzusehen sind, wenn dadurch eine (Kredit-)verbindlichkeit entsteht. Voraussetzung ist nur, dass der Schuldner bspw. die Leistung des Gläubigers – also die Entstehung der Verbindlichkeit ihm gegenüber – verlangen kann. Das ist auch angemessen; denn einen Kontokorrentkredit kann der Schuldner für masseerhaltende Vorgänge (z.B. Kauf von Vorräten zur Aufrechterhaltung der Produktion) in Anspruch nehmen. Verwendet er ihn stattdessen zur Zahlung einer Altforderung, ist es ein Verstoß gegen die insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln, die von § 64 Abs. 2 GmbHG geschützt wird. Insofern hätte es nahegelegen, wie bei der Insolvenzanfechtung auch die Zahlung unter Inanspruchnahme eines der GmbH zugesagten Kreditrahmens als haftungsrelevant gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG anzusehen. Ebenso wie die Anfechtung dient auch diese Haftung der Gläubigergleichbehandlung4. Der Gesellschaftsrechtssenat setzt sich nicht mit der Rechtsprechung des Insolvenzrechtssenats auseinander, so dass unklar bleibt, warum beide ein unterschiedliches Verständnis von dem Begriff der „Masse“ haben, deren gleichmäßige Verwendung zum Wohle aller Gläubiger sowohl gesellschafts- als auch anfechtsrechtlich gesichert werden soll.
1 BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006; v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184; offen gelassen hingegen bei BGH v. 11. 9. 2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896. 2 BGH v. 7. 2. 2002 – IX ZR 115/99, ZIP 2002, 489; v. 17. 6. 1999 – IX ZR 62/98, ZIP 1999, 1271. 3 BGH v. 11. 1. 2007 – IX ZR 31/05, NZI 2007, 225 m. Anm. Spliedt. 4 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 10.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 74
§2
Statt die (Wieder-)Inanspruchnahme einer Kreditlinie als Zahlung i.S.v. § 64 Abs. 2 GmbHG anzusehen, stellt der Gesellschaftsrechtssenat auf den Geldeingang ab. Er behandelt die Eingänge auf einem debitorisch geführten Konto als Zahlungen gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG, weil dadurch der Saldo reduziert, die Forderung der Bank aus dem Kontokorrentkreditverhältnis mithin zurückgeführt wird1. Das gilt sowohl für Überweisungseingänge – vorausgesetzt natürlich, dass der Geschäftsführer sie hätte verhindern können – als auch für die Einreichung von Kundenschecks2 zur Gutschrift auf diesem Konto. Die Behandlung der Zahlungseingänge steht ebenfalls im Gegensatz zur Auffassung des IX. Zivilsenats bei der Anfechtung. Er behandelt die Saldorückführung als unanfechtbares Bargeschäft, wenn die Bank weiterhin Verfügungen zulässt und sich dadurch Masseminderung sowie Masseerhöhung ausgleichen3.
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Die Konsequenz der unterschiedlichen Senatsauffassungen ist, dass der Geschäftsführer im Innenverhältnis für die Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Konto nach § 64 Abs. 2 GmbHG haftet, ohne dass der Schaden wie im „Normalfall“ der Bezahlung von Altforderungen durch eine anfechtungsrechtliche Erstattungspflicht – das Vorliegen der sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen einmal unterstellt – der Bank beseitigt werden kann. Umgekehrt haftet der Geschäftsführer nach § 64 Abs. 2 GmbHG nicht für die Auszahlung zur Befriedigung eines Altgläubigers, weil es sich um einen bloßen Gläubigeraustausch handelt. Dem begünstigten Gläubiger gegenüber aber greift wiederum die Anfechtung ein. Parallel trifft den Geschäftsführer im Außenverhältnis die Haftung gegenüber der Bank als (wieder) neue Gläubigerin, weil ihre Forderung wieder erhöht wurde. Denkbar wäre zwar, nunmehr wie bei der Insolvenzanfechtung, die vorangegangene Überweisung etc. als einen Ausgleich – anfechtungsrechtlich also als Bargeschäft – für die folgende Kreditinanspruchnahme anzusehen; denn immerhin verändert sich der Saldo nur um die Differenz zwischen Ein- und Auszahlung. Nur in dieser Höhe erleidet die Bank bei einer Gesamtbetrachtung einen Schaden. Diesen Einwand zu erheben, versagt der Gesellschaftsrechtssenat aber dem Geschäftsführer mit Blick auf den Schutzbereich der Norm4.
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Damit ist die Parallelität von Geschäftsführerhaftung und Insolvenzanfechtung für den wichtigen Fall der Zahlungsabwicklung über ein Konto gestört5. Diese Parallelität führte zwar nicht rechtlich zwingend, aber immerhin de facto dazu, dass die Masseminderung via Anfechtung letztlich von dem eigentlich begünstigten Gläubiger ausgeglichen wurde. Ohne eine solche Schadens-
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1 BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 2 BGH v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184. 3 BGH v. 17. 6. 2004 – IX ZR 2/01, ZIP 2004, 1464; v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/93, ZIP 2002, 2182; v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812. 4 BGH v. 12. 3. 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060; kritisch: Geißler, NZG 2007, 645 ff. 5 Marotzke, ZInsO 2007, 897, 904 rechtfertigt das damit, dass ein Anfechtungsgegner auch bei der Zahlung durch Inanspruchnahme eines Kredits etwas erlangt und deshalb auch etwas zurückführen muss. Demgegenüber soll die Haftung des Geschäftsführers geringer sein, weil er persönlich nichts erlangt. Marotzke verkennt jedoch, dass sich per saldo die Haftung erhöht, weil so die Auszahlung keine Kompensation der Einzahlung ist und der Geschäftsführer im Außenverhältnis u.U. auch noch gegenüber dem Anfechtungsgegner für den Verlust einzustehen hat.
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§2
Rz. 75
Geschäftsführerberatung
kompensation ist die Haftung des Geschäftsführers wesentlich umfangreicher geworden. Aber nicht nur das. Da der Geschäftsführer für Vorgänge haftet, die nicht der Anfechtung unterliegen, während die Anfechtung bei Vorgängen möglich ist, für die der Geschäftsführer nicht haftet, führt die Kumulation der Ansprüche zu einer Erhöhung der Masse im Vergleich dazu, wenn gar nichts geschehen wäre. Ein befremdliches Ergebnis. Allerdings sind die Forderungen meist an die Bank abgetreten, so dass der Zahlungseingang gegen Verrechnung mit der Kreditverbindlichkeit zu keiner neuen Masseschmälerung führt. Dann haftet der Geschäftsführer nicht. Ebenso scheitert eine Insolvenzanfechtung an der Gläubigerbenachteiligung1. Veranlasst der Geschäftsführer anschließend eine Zahlung an einen Altgläubiger, haftet er gegenüber der GmbH (= Insolvenzmasse), falls der dadurch wieder erhöhte Kontokorrentkredit ausreichend besichert ist. Gegenüber dem Zahlungsempfänger ist zugleich die Insolvenzanfechtung gegeben. In dieser Konstellation laufen Haftung und Anfechtung wieder parallel. 75
Für die Praxis ist festzuhalten, dass der Geschäftsführer einer Innenhaftung für die Einzahlung und einer Außenhaftung für die Auszahlung nur entgeht, wenn entweder das Konto ab Eintritt der Krise auf Guthabenbasis geführt oder ein neues Konto2 eröffnet wird. Das neue Konto muss bei einer anderen Bank unterhalten werden, damit die bisherige Bank für den alten Saldo kein Pfandrecht gemäß Nr. 14 Abs. 1 AGB-Banken am neuen Guthaben geltend macht. Allerdings ist ein Bankenwechsel schwierig, weil die Kunden die alte Verbindung in ihrer EDV verlinkt haben und eine Änderung für Misstrauen sorgt.
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Wie soeben erwähnt, entfällt eine Haftung des Geschäftsführers für den Ausgleich des debitorischen Kontos, soweit die der Bank gestellten Sicherheiten werthaltig sind. Die Befriedigung von Aus- und Absonderungsrechten fällt allgemein nicht unter § 64 Abs. 2 GmbHG, weil sie nicht Bestandteil der freien Masse sind3. Dazu steht es nicht im Widerspruch, dass auch absonderungsbelastete Gegenstände anfechtungsrechtlich einen im Kern zugunsten des Schuldners geschützten Vermögenswert darstellen4. Das liegt an der Verwertungsbefugnis des Verwalters gemäß § 166 Abs. 1 InsO und nicht daran, dass der belastete Gegenstand zur verteilungsfähigen Masse gehört, und zwar auch nicht im Hinblick auf die Kostenbeiträge des § 171 InsO. Sie sollen nur den tatächlichen Aufwand pauschal ausgleichen, nicht aber die Masse bereichern5. cc) Verwendung zweckbestimmter Mittel
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Im Rahmen von Sanierungmaßnahmen stellen Gesellschafter ihre GmbH häufig direkt oder über eine von ihnen verbürgte Bank neue Mittel zur Verfügung, 1 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182; v. 2. 6. 2005 – IX ZR 181/03, ZIP 2005, 1651. 2 BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 3 BGH v. 30. 3. 1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776. 4 BGH v. 17. 6. 2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509; v. 9. 10. 2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370; v. 5. 4. 2001 – IX ZR 216/98, ZIP 2001, 885. 5 BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632; v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 = NZI 2004, 137 m. Anm. Leithaus.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 79
§2
die zur Begleichung bestimmter Verbindlichkeiten verwendet werden sollen. Hat die Gesellschaft das Geld erhalten, ist es Bestandteil ihres Aktiv-Vermögens geworden. Der Geschäftsführer darf es nur noch masseerhaltend verwenden. Tut er es nicht, ist die Zahlung gegenüber dem Empfänger sowohl insolvenzrechtlich anfechtbar1 als auch gesellschaftsrechtlich haftungsbegründend2. Das gilt nach dem Vorgesagten für die Inanspruchnahme eines gesell-schafterverbürgten Kredits allerdings nur dann, wenn die Valuta vorher auf ein Guthaben-konto gebucht wurde, die Zahlung also nicht durch Erhöhung der Bankverbindlichkeit erfolgte. Anders ist es, wenn ein Guthaben von der GmbH treuhänderisch verwaltet wird (Rz. 145). Dafür reicht jedoch keine simple Zweckvereinbarung aus, sondern es müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, die den Treugeber zur Aussonderung berechtigen. Nur in diesem Fall fehlt es bei der absprachegemäßen Verwendung für die Anfechtung an einer Gläubigerbenachteiligung und für die Geschäftsführerhaftung an einer Masseminderung. Dann herrscht wieder Gleichlauf zwischen Anfechtung und Haftung. Bei Subventionen ist allerdings § 264 StGB zu beachten, der in Abs. 1 Nr. 2 die zweckwidrige Verwendung unter Strafe stellt. In der krise läuft diese Bestimmung meist leer, weil die dort erwähnten Geldleistungen selten auf einem separaten Konto gutgeschrieben werden, sondern im allgemeinen Kontokorrent untergehen. Eine dann gleichwohl noch zweckgemäße Verwendung erfolgt dann aus dem allgemeinen Haftungsfonds der GmbH und kann nicht mehr mit der Vermeidung einer Strafbarkeit gerechtfertigt werden.
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Die haftungsrechtliche Beurteilung einer Verfügung über zweckbestimmte Guthaben kann insbesondere im Konzern bei personenidentischen Geschäftsführern fatale Auswirkungen haben; denn häufig beschränkt sich der Insolvenzgrund nicht auf eine einzelne Konzerngesellschaft, sondern hat auch Auswirkungen auf verbundene Unternehmen. Besteht nicht nur eine gesellschaftsrechtliche, sondern auch eine leistungswirtschaftliche Verflechtung, müssen bei einer Sanierung häufig Zahlungen auf Altverbindlichkeiten gegenüber Schwestergesellschaften getätigt werden, um den betriebswirtschaftlich einheitlichen und nur gesellschaftsrechtlich geteilten Verband zu erhalten. Liefert bspw. die eine Gesellschaft Vorprodukte an die andere, kann ein Dominoeffekt entstehen, wenn alte Forderungen von den konzerninternen Kunden nicht gezahlt, deshalb ein überzogener Kredit von der konzerninternen Lieferantin nicht zurückgeführt und dadurch die Vorproduktion eingestellt wird. Deshalb wird die eine Konzerngesellschaft Altforderungen der anderen und diese wiederum Altforderungen ihrer Gläubiger begleichen. Das kann zur Doppelhaftung ein und derselben Person einmal als Geschäftsführer der ersten Konzerngesellschaft für die Zahlung an das verbundene Unternehmen und einmal als Geschäftsführer der zweiten Konzerngesellschaft für die Weiterleitung an de-
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1 BGH v. 7. 6. 2001 – IX ZR 195/00, NZI 2001, 539 m. Anm. Spliedt, NZI 2001, 524. Allein eine Zweckvereinbarung hindert trotz § 851 Abs. 1 ZPO (Unpfändbarkeit bei Inhaltsänderung) nicht die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung, weil der Betrag bei wertender Betrachtungsweise haftungsrechtlich der Masse zugewiesen ist. 2 BGH v. 31. 3. 2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005.
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§2
Rz. 80
Geschäftsführerberatung
ren Gläubiger führen1. Zwar hätte die zweite GmbH das Geld ohne die erste GmbH gar nicht erhalten. Bei einer Gesamtwürdigung des de facto einheitlichen Vorganges wurde die Masse der zweiten GmbH also per Saldo nicht geschmälert. Eine teleologische Reduktion2 lehnt der BGH jedoch ab3. Das ist für den Geschäftsführer eine harte Konsequenz, hat andererseits aber für den Insolvenzverwalter den Vorteil einer einfachen Rechtsverfolgung, weil für jede Gesellschaft nur die Auszahlungen betrachtet werden können. Zur Durchsetzung der Haftung muss er nicht prüfen, ob es korrespondierende Einzahlungen gab. Dem Geschäftsführer bleibt zwar der Einwand, dass eine Auszahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar war. Das aber ist von ihm darzulegen und zu beweisn. Allein der Hinweis auf die zuvor erfolgten Einzahlung reicht dafür nicht aus. 80
Für die Praxis folgt daraus, dass Zahlungen im Konzern direkt von derjenigen Gesellschaft als Dritte vorgenommen werden sollten, die die Mittel letztlich aufwendet. Damit wird bei einem Scheitern der Sanierung zumindest eine doppelte Haftung vermieden.
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Ähnlich liegt das Problem bei einem zentralen Cash-Management. Grob unterteilt gibt es das in den beiden Varianten mit und ohne Übergang der Verfügungsbefugnis an der Valuta auf die Management-Gesellschaft, die regelmäßig die Muttergesellschaft ist4. In der zweiten Alternative werden nur die Schulden und Guthaben zum Zwecke des Zinsausgleichs bei der Bank kalkulatorisch konsolidiert. Wird hingegen das Guthaben umgebucht, verliert die abgebende Gesellschaft den Anspruch gegen die Bank. Stattdessen erhält sie eine Gutschrift auf dem Konzernverrechnungskonto5. Benötigt sie wieder die zuvor verlorene Liquidität, kann die Mutter ihr den Betrag nur unter Verstoß gegen § 64 Abs. 2 GmbHG zur Verfügung stellen. Verwendet die Tochter ihn dann auch noch für eine nicht privilegierte Zahlung, droht ein zweiter Haftungsfall. Hinzu kommt, dass bereits die Anlage der Gelder auf einem Konto der Muttergesellschaft eine verbotene Einlagenrückgewähr darstellen6 und zur Haftung des Geschäftsführers der Tochtergesellschaft7 führen kann.
1 Lt. Goette, Anm. zu BGH v. 31. 3. 2003 – II ZR 150/02, DStR 2003, 1133 (= ZIP 2003, 1005) ist genau das vom BGH beabsichtigt. 2 So das Petitum insbesondere von K. Schmidt z.B. in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl. 2003, Rz. 1885; Altmeppen z.B. in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 64 Rz. 95 f. 3 Zuletzt BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 4 Hentzen, DStR 2006, 948. 5 Zu den damit verbundenen Haftungsgefahren für die am Cash-Management beteiligten Gesellschaften siehe das „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622; OLG München v. 24. 11. 2005 – 23 U 3480/05, ZIP 2006, 25 m. Anm. Pentz, ZIP 2006, 781; Schilmar, DStR 2006, 568; Blöse, GmbHR 2006, 146. 6 BGH v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, ZIP 2004, 263. 7 OLG München v. 24. 11. 2005 – 23 U 3480/05, ZIP 2006, 25.
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Spliedt
Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 83
§2
c) Sorgfaltsausnahme aa) Allgemeines Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind, sind gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG nicht zu erstatten. Eine häufige Rechtfertigung der Geschäftsführer lautet, ohne sie wären die Gläubiger misstrauisch geworden und eine Sanierung von vornherein aussichtslos gewesen. Die Reaktionsfrist des Abs. 1 von maximal drei Wochen verstehen sie als Karenzfrist, innerhalb der es noch keine Restriktionen gibt. Dies ist jedoch falsch. Nach dem Wortlaut des § 64 Abs. 2 GmbHG ist bereits ab dem „Eintritt“ der Zahlungsunfähigkeit das Vermögen für ein etwaiges Insolvenzverfahren „aufzubewahren“. Entsprechendes gilt ab „Feststellung“ der Überschuldung, wobei es nach herrschender Meinung in beiden Fällen auf die Erkennbarkeit1 ankommt, auch wenn das Gesetz im ersten Fall von „Eintritt“ und im zweiten Fall von „Feststellung“ spricht (s.o. Rz. 67).
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Zulässig sind unternehmenserhaltende Leistungen, die auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter im Rahmen von § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO vornehmen würde2. Diese Faustregel entspricht der ratio legis des § 64 Abs. 2 GmbHG, die insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze zu schützen. Maßgebend ist, dass größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden3. Erlaubt sind somit sämtliche Leistungen, die durch Gegenleistungen kompensiert werden, wobei es wie bei einem Bargeschäft gemäß § 142 InsO (vgl. § 10 Rz. 293 ff.) auf den zeitlichen Zusammenhang und nicht darauf ankommt, welche Partei zuerst geleistet hat4. Keine Kompensation stellt es nach den obigen Erläuterungen dar, wenn ein Kontokorrentkredit wieder in Anspruch genommen wird, nachdem die Haftung des § 64 Abs. 2 GmbHG zuvor durch die Rückführung begründet wurde5. Zulässig ist die Begleichung rückständiger Verbindlichkeiten, wenn das zur Beseitigung von Leistungsverweigerungsrechten erforderlich ist, um die weitere Versorgung des Unternehmens sicherzustellen, falls es keine Ausweichmöglichkeit gibt. Dasselbe gilt für Zahlungen von Altschulden, um die Kündigung wichtiger Dauerschuldverhältnisse zu vermeiden6. Hierzu werden in der Praxis auch die Personalkosten gerechnet, obwohl die Mitarbeiter bei einem Scheitern der Sanierungsbemühungen durch das Insolvenzgeld gesichert sind7. Kosten für (Sanierungs-)Berater dürfen nur aufgewendet werden, wenn sich der Geschäftsführer zuvor über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft Klarheit verschafft hat und aufgrund dessen die Beauftragung sinnvoll ist8, es sich namentlich nicht um Tätigkeiten handelt, die er im Interesse der
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1 BGH v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184. 2 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 27; OLG Celle v. 23. 12. 2003 – 9 U 176/03, ZInsO 2004, 446. 3 BGH v. 5. 11. 2007 – II ZR 262/06, ZInsO 2007, 1349. 4 Gottwald/Huber, InsRHdb, 2. Aufl. 2001, § 46 Rz. 56. 5 BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 6 Der Schutz des § 112 InsO bezieht sich nur auf eine bis zum Eröffnungsantrag noch nicht ausgesprochene Kündigung. 7 § 183 SGB III. 8 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501.
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§2
Rz. 84
Geschäftsführerberatung
Gläubiger selbst erledigen müsste.1 Bei all dem darf mit Blick auf die Gefahr eines späteren Haftungsprozesses nicht verkannt werden, dass es sich um „Zahlungen“ im Sinne des objektiven Tatbestandes2 handelt, die erst über die Exkulpation aus dem Haftungsrahmen herausfallen können, womit die Darlegungs- und Beweislast beim Geschäftsführer liegt. 84
Die Zahlungen können u.U. später vom Verwalter angefochten werden3. Wegen der Sorgfaltsausnahme unterscheiden sich Insolvenzanfechtung und Masseerhaltung bei derartigen Konstellationen: Die Zahlung zur Abwendung einer Kündigung oder eines Zurückbehaltungsrechts kann haftungsfrei, aber trotzdem anfechtbar sein. Die Konsequenz einer Anfechtung der Befriedigung von Altschulden ist, dass der Lieferant wegen der daraufhin ausgeführten Neulieferung per Saldo einen Ausfall erleidet. Den Schaden wird er als Neugläubigerschaden beim Geschäftsführer geltend machen, falls, wie in der Praxis häufig, die Insolvenzantragsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war. Die Haftungsgefahr besteht seit einem kürzlich verkündeten Urteil sogar ohne Anfechtung, da der BGH beim Schaden isoliert auf die Neulieferung abstellt und die Bezahlung der Altlieferung nicht als Vorteilsausgleich wertet4. Deshalb ist für die Praxis dringend anzuraten, dass Zahlungen nur mit der ausdrücklichen Bestimmung für neue Leistungen vorgenommen werden.
85
Nur ausnahmsweise können Zahlungen zur allgemeinen „Vertrauenswerbung“ zulässig sein, um die Sanierungsbemühungen nicht zu konterkarieren. Im Herstatt-Fall hatte der BGH sowohl Geldein- als auch Geldauszahlungen in Millionenhöhe als sorgfältig angesehen, weil anderenfalls Bemühungen um die Unterstützung der Herstatt-Bank von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wären5. Die Besonderheit lag darin, dass die Auszahlungen zwar unmittelbar massemindernd, mittelbar aber für die Unternehmenserhaltung – und damit wiederum auch für die Masseerhaltung – zwingend erforderlich waren. Das darf jedoch nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragen werden. Im Herstatt-Fall hätten die Kunden bei einer einzigen Zahlungsverweigerung „die Bank gestürmt“. Bei anderen Unternehmen hat der BGH eine allgemeine Vertrauenswerbung bisher nicht als Rechtfertigungsgrund für die Zahlung angesehen. Würde der Zweck des § 64 Abs. 2 GmbHG, Masseverkürzungen durch Befriedigung einzelner Gläubiger zu vermeiden, durch den allgemeinen Hinweis auf damit verbundene Sanierungserschwernisse unterlaufen werden dürfen, wäre der Anwendungs-bereich dieser Vorschrift arg eingeschränkt. Selbst wenn dies einmal eine ausreichende Rechtfertigung sein sollte, gilt sie nur bis zum Ablauf der Frist des Abs. 1. Danach fortgesetzte Bemühungen sind nicht mehr erlaubt und dürfen auch nicht mehr im Rahmen des Abs. 2 zur Rechtfertigung von Zahlungen herangezogen werden.
1 BGH v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. 2 Zur gläubigerbenachteiligenden Wirkung s. BGH v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, NZI 2003, 315, 316. 3 Vgl. BGH v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, NZI 2003, 315 (Zahlung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter). 4 BGH v. 12. 3. 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060. 5 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 97, 109 f.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 87
§2
bb) Pflichtenkollision Unklar war bis vor kurzem, welche Rolle die Sorgfaltsausnahme bei einer Pflichtenkollision spielt, wenn der Geschäftsführer kraft anderer Gesetze für Verbindlichkeiten persönlich haftet, deren Begleichung gegen § 64 Abs. 2 GmbHG verstoßen würde. Der für die Gesellschafterhaftung zuständige II. Zivilsenat des BGH vertrat die Auffassung, dass das Bestreben des Geschäftsführers, sich durch die Zahlung einer persönlichen Haftung zu entziehen, kein im Rahmen des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG beachtlicher Umstand ist1. Dagegen meint der für das Deliktsrecht zuständige VI. Zivilsenat, dass der Geschäftsführer die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung auch nach Eintritt der materiellen Insolvenz zu entrichten habe, weil die in § 266a StGB strafbewehrte Verpflichtung Vorrang genießen würden2. Der 5. Strafsenat3 hat für die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung den aus der Strafbewehrung folgenden Vorrang im Wesentlichen bestätigt. Im Urteil vom 14. 5. 2007 hat der Gesellschaftsrechtssenat „im Hinblick auf die inzwischen gefertigte Rechtsprechung des 5. Strafsenats“ seine Ansicht aufgegeben. „Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung kann es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht nach §§ 92 Abs. 2 AktG , 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt“4. Deshalb sei die Zahlung auch im Rahmen der genannten Vorschriften pflichtgemäß5.
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Auf die Einzelheiten wird unten noch gesondert bei der Haftung für die Sozialabgaben und Steuern eingegangen. Die Rechtsprechungsänderung hat aber nicht nur für sie Bedeutung, sondern ist auf alle strafbewehrten Verbindlichkeiten zu übertragen. Eine in der Praxis wichtige Fallgruppe bilden Subventionen, deren zweckwidrige Verwendung gemäß § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Strafe steht. Daraus folgt aber nicht, dass der Geschäftsführer restliche Fördermittel vor einer Insolvenzeröffnung noch schnell verwenden oder zurückzahlen muss, weil die Subventionsbindung für den Verwalter nicht gilt; denn ihre Verletzung begründet nur eine Insolvenzforderung. Das Aufbewahren der Mittel für die Masse ist keine zweckwidrige Verwendung und deshalb auch nicht strafbar. Deshalb fehlt es an einer Pflichtenkollision wie bei den Sozialabgaben.
87
1 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 238; BGH v. 18. 4. 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026. 2 BGH v. 16. 5. 2000 – VI ZR 90/99, DB 2000, 1703, 1705. 3 BGH v. 30. 7. 2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; a.A. Gross/Schenk, NZI 2004, 358, 360. 4 BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 m. Anm. Runkel/Schmidt, NZI 2007, 479. 5 Ebenso schon OLG Hamm v. 17. 10. 2002 – 3 Ss 744/02, ZInsO 2003, 35.
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§2
Rz. 88
Geschäftsführerberatung
4. Haftungsmodelle der Literatur a) Inhalt 88
Die Krisenberatung muss sich selbstverständlich am Haftungsmodell der Rechtsprechung und herrschenden Meinung orientieren. Es hat aber noch nicht sämtliche Fragen beantwortet. Kommt es zum Haftungsprozess, wird der Anwalt auch mit Literaturmeinungen konfrontiert, die vom Rechtsprechungsmodell abweichen und deshalb kurz erörtert werden sollen.
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Die „Trennungstheorie“ des BGH unterscheidet bei § 64 GmbHG zwischen der über § 823 Abs. 2 BGB vermittelten Außenhaftung des Abs. 1 gegenüber Neugläubigern und der Innenhaftung des Abs. 2 gegenüber der Gesellschaft. Dies kann – jedenfalls, soweit es das objektive Tatbestandsmerkmal der „Zahlung“ anbetrifft – zu einer die Masseminderung übersteigenden Haftung führen, was an dem simplen Vorgang der Zahlung einer Altverbindlichkeit im Interesse einer Neulieferung deutlich wird: Da die einer Altverbindlichkeit zugrundeliegende Gegenleistung bereits erbracht wurde, führt deren Bezahlung nicht mehr zu einer Masseerhöhung, während die Neulieferung – unmittelbar – keine Gegenleistung für die „Altzahlung“ ist. Muss der Geschäftsführer die „Altzahlung“ gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG erstatten, wird die Masse erhöht, obwohl sie auch noch durch die Neulieferung angereichert wurde1. Besonders deutlich wird das, wenn sowohl Alt- als auch Neulieferung bei einer späteren Insolvenzeröffnung noch beim Schuldner vorhanden sind. Darüber hinaus kann der Geschäftsführer neben der Innenhaftung auch noch im Außenverhältnis von Neugläubigern wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommen werden2. Das wird als unangemessen empfunden und deshalb in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, § 64 GmbHG solle einheitlich eine Schmälerung der Quote durch die Minderung des Gesamtvermögens ab Eintritt des Insolvenzgrundes verhindern3, nicht aber den Neugläubiger vor Geschäften mit der insolventen Gesellschaft schützen. Eine Haftung bestehe nur intern gegenüber der Gesellschaft („Einheitstheorie“). So spreche die Parallelvorschrift des § 130a Abs. 3 HGB richtigerweise nicht nur von Zahlung, sondern vom Ersatz des Schadens der Gesellschaft4. Er resultiere aus einer Minderung der Aktiva und/oder einer Mehrung der Passiva. Als Konsequenz sei der Begriff der „Zahlung“ in Abs. 2 einerseits zu begrenzen auf Auszahlungen, die nicht mit einer Gegenleistung korrespondieren, andererseits aber auch zu erweitern um die Eingehung neuer Verbindlichkeiten.
1 Geißler, NZG 2007, 654 zur erneuten Inanspruchnahme des zurückgeführten Kontokorrentkredits. 2 Lt. BGH v. 12. 3. 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 werden die auf Altforderungen an den Gläubiger geleisteten Zahlungen auf den Schadensersatz wegen neuer Lieferungen nicht angerechnet. 3 Überblick über den Meinungsstand: Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff. 4 Demgegenüber misst der BGH dieser Vorschrift denselben Inhalt bei wie § 64 Abs. 2 GmbHG: BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 91
§2
Die engagiertesten Vertreter des Innenhaftungsmodells sind K. Schmidt1 und Altmeppen2. Altmeppen spricht § 64 GmbHG den Schutzgesetzcharakter gänzlich ab. Die Gesamtvermögensminderung will er im Rahmen des Abs. 2 ausgleichen3. Unter dem Terminus „Zahlung“ falle nicht jede einzelne Verfügung, sondern nur deren Saldo unter Verrechnung mit Vermögensmehrungen. Die Zahlung an Altgläubiger als „Todsünde“4 sei zusätzlich erstattungspflichtig. K. Schmidt akzeptiert demgegenüber den Schutzgesetzcharakter des Abs. 15, will jedoch nicht die einzelnen Insolvenzgläubiger, sondern nur die Masse vor einer weiteren Verminderung und einer weiteren Belastung mit Verbindlichkeiten schützen6. Trotz der Differenz in der dogmatischen Begründung kommen beide Auffassungen hinsichtlich des Innenausgleichs zum selben Ergebnis: Der Geschäftsführer haftet für den Verlust (= Minderung des Reinvermögens, nicht nur der Aktiva) ab Eintritt des Insolvenzgrundes, soweit er nicht unter Anwendung geschäftsmännischer Sorgfalt vermeidbar war, wobei nach Altmeppen der Ausgleich von Altverbindlichkeiten die Haftung erhöht7.
90
Für die Haftung im Außenverhältnis sind sich K. Schmidt und Altmeppen darüber einig, dass Neugläubiger wie Altgläubiger durch diese Vorschrift gleichermaßen nur in Höhe der insgesamt seit Beginn der materiellen Insolvenz eingetretenen Vermögensminderung geschützt sind8. Da die Geschäftsführer bei ihrem Haftungsmodell nur im Innenverhältnis die Gesamtvermögensminderung ausgleichen müssen, gibt es auch nur einen einheitlichen Schaden, der für alle Gläubiger vom Insolvenzverwalter zu verfolgen9 ist. Ein individueller Schadensersatzanspruch des Neugläubigers könne hingegen nicht auf § 64 Abs. 1 GmbHG gestützt werden, sondern – außerhalb sonstiger deliktischer Vorschriften wie insbesondere des Betrugs – allenfalls noch auf culpa in contrahendo. Über deren Reichweite herrscht jedoch Dissens. Während dieses Institut nach Altmeppen nur dann zum Zuge kommt, wenn der Geschäftsführer eine besondere persönliche Beziehung zum Kreditgeber oder garantieähnliche Erklärungen abgegeben hat10, soll es nach K. Schmidt bereits genügen, dass er nicht über die Insolvenz der Gesellschaft aufgeklärt hat11.
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1 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 35, 40; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.5.c); ders., ZIP 2005, 2177. 2 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2204 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 64 Rz. 94 ff. 3 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2206, 2208. 4 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2207. 5 K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.5.b). 6 K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.5.b)aa). 7 Allerdings bleibt unklar, wie das bei der Schadensersatzpflicht wegen der Gesamtvermögensminderung berücksichtigt wird. 8 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2211; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II.5. b) aa). 9 Poertzgen, DZWIR 2007, 101. 10 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2210. 11 K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 36 II. 5.c).
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§2
Rz. 92
Geschäftsführerberatung
b) Stellungnahme aa) Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG 92
Für eine Stellungnahme ist zwischen dem jeweiligen Schutzbereich der beiden Absätze des § 64 GmbHG einerseits und deren Verhältnis zueinander andererseits zu differenzieren.
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Leistet ein Neugläubiger an eine insolvenzreife GmbH auf Kredit, erleidet er sofort mit dieser Leistung einen Schaden, weil seine Gegenforderung nicht vollwertig ist. Selbst wenn der Geschäftsführer während des Verschleppungszeitraumes das Vermögen mehrt, ändert sich daran nichts, wenn schon vorher eine Überschuldung bestand. Dieser Restschaden kann denknotwendig nicht im Wege des Innenausgleichs kompensiert werden.
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Hinzu kommt folgende Überlegung: Zu Recht meint Altmeppen, die Organe würden während des Verschleppungszeitraums die Geschäfte gleichsam auf eigenes Risiko führen1. Dieser Gedanke greift nicht nur für die Innenhaftung durch, auf die Altmeppen ihn münzt, sondern auch für die Außenhaftung: Die Führung der Geschäfte auf eigenes Risiko bedeutet auch, sie zu finanzieren. Würde man die Haftung auf den Ausgleich einer Masseminderung im Innenverhältnis beschränken, würde man dem Gläubiger einen Zwangskredit bis zur Ausschüttung der Insolvenzquote abverlangen. Stattdessen ist es angemessen, den Geschäftsführer in die Rolle des Kreditgebers schlüpfen zu lassen, indem er ihm das negative Interesse erstattet und er im Gegenzug analog § 255 BGB2 die Insolvenzforderung erhält.
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K. Schmidt will ein solches Ergebnis nicht über den Schutzgesetzcharakter des § 64 Abs. 1 GmbHG erreichen, sondern über die Figur der culpa in contrahendo. Nach § 311 Abs. 3 BGB ist dazu jedoch ein „besonderes“ Vertrauen erforderlich, das der Gläubiger in den Geschäftsführer gesetzt haben muss. Je größer die Gesellschaft, umso weniger wird der Person als vielmehr der Organisation vertraut. Kaum jemand tätigte Lieferungen an die Holzmann AG vor deren Insolvenz auf Kredit, weil er den Vorstand kannte. Wenn trotzdem eine Haftung auf enttäuschtes Vertrauen gestützt werden soll, würde man von individuellen Voraussetzungen absehen und das enttäuschte Vertrauen abstrakt-generell allein damit begründen, dass die Geschäftstätigkeit der insolventen Gesellschaft fortgesetzt wurde. Genau das aber rekurriert auf das Verhaltensgebot des § 64 Abs. 1 GmbHG. Eine davon abstrahierende Solvenzhaftung ist überflüssig3.
96
Im Ergebnis ist somit der vom BGH mit Hilfe des § 64 Abs. 1 GmbHG begründeten Außenhaftung gegenüber den Neugläubigern zuzustimmen ist.
1 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2207. 2 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. 3 Deshalb zutreffend die Ablehnung der „Repräsentantenhaftung“ durch BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 293/91, ZIP 1994, 1103, 1106.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 100
§2
bb) Schutzbereich des § 64 Abs. 2 GmbHG In der Literatur wird gefordert, den Abs. 2 als einen Verlustausgleichsanspruch anzusehen, also nicht die „Zahlungen“ zu erstatten, sondern den Saldo von Aktivmehrungen und -minderungen. Dem kann nicht zugestimmt werden.
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Verlust ist das Ergebnis sämtlicher positiver und negativer Vermögensänderungen. So kann ein in der buchhalterischen GuV zum Verlust führender Aufwand durch planmäßige oder außerplanmäßige Wertminderungen der vorhandenen Vermögensgegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens entstehen. Er kann aber auch mit einer Erhöhung der Verbindlichkeiten korrespondieren, wenn beispielsweise Löhne nicht beglichen werden. Das eine wie das andere wird von dem Begriff der „Zahlung“ im Sinne des § 64 Abs. 2 GmbHG nicht erfasst, darf also gegen den Wortlaut auch nicht zu einer Haftung führen. K. Schmidt und Altmeppen wollen deshalb Abs. 1 in einen einheitlichen Haftungstatbestand integrieren. Im Gegenzug wird man dann aber die Verluste eliminieren müssen, die durch die Insolvenzverschleppung nicht verursacht wurden. Der Werteverfall des Vermögens kann genauso wenig durch einen Insolvenzantrag gestoppt werden wie der Aufwand durch fortlaufende Personalkosten. Es gibt zahlreiche andere sprungfixe Kosten, die sich an eine gesunkene Auslastung nicht flexibel anpassen lassen. Dafür die Geschäftsführer haften zu lassen, wäre unangemessen. Werden diese Kosten herausgenommen, würde die Verlustdeckungshaftung wegen derartiger Hilfsrechnungen dasselbe Schattendasein führen wie die Haftung für den Quotenschaden. Schlimmer noch: Das Zahlungsverbot des Abs. 2 setzt sofort mit Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes ein. Bereits von da ab dürfen die insolvenzrechtlichen Verteilungsvorschriften nicht durch die Schaffung vollendeter Tatsachen umgangen werden (oben Rz. 67, 83). Die Insolvenzverschleppungshaftung des Abs. 1 beginnt hingegen erst nach dem Ablauf der Antragsfrist. Bis dahin darf nur nach Abs. 2 „abgerechnet“ werden, der Vermögensminderungen, die nicht auf Verfügungen beruhen, eindeutig nicht erfasst. Es müsste also, wenn man § 64 GmbHG als einheitlichen Haftungstatbestand verstehen würde, nach Ablauf der Antragsfrist einen Methodenwechsel geben, was die Verlustermittlung weiter erschwert.
98
Das Anliegen der Vertreter einer Verlustdeckungshaftung besteht allerdings weniger in einer Berücksichtigung der „sowieso“-Aufwendungen als vielmehr in einer haftungsmindernden Erfassung der Erträge zugunsten des Geschäftsführers. Wird beispielsweise eine Altforderung des Lieferanten A bezahlt, der daraufhin eine neue Bestellung auf Kredit ausführt, bleibt der Saldo von Altzahlung und Neulieferung wertmäßig unverändert. Gleichwohl droht dem Geschäftsführer nach der Rechtsprechung die Haftung wegen der „Zahlung“. Am deutlichsten wird die Problematik bei der Verwendung von zweckbestimmten Drittmitteln, die der BGH unter den objektiven Haftungstatbestand subsumiert, ohne dass der Mittelzufluss haftungsmindernd berücksichtigt wird (oben Rz. 54).
99
In solchen Fällen ist den Literaturmeinungen zuzustimmen, die eine Haftung für unangebracht halten. Müssten die Geschäftsführer die Auszahlungen jeweils erstatten, wäre das bei einer Betrachtung des wirtschaftlichen Zusammenhanges von Ein- und Auszahlungen keine Kompensation, sondern eine
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§2
Rz. 101
Geschäftsführerberatung
Massemehrung. Die Frage ist nur, ob das Korrektiv am objektiven Tatbestand durch eine teleologische Reduktion des Begriffs „Zahlung“ oder bei der Sorgfaltsausnahme angesiedelt wird. Letztlich geht es um die Darlegungs- und Beweislast. Während eine „Zahlung“ leicht vom Insolvenzverwalter nachgewiesen werden kann, sollte der schwierige Nachweis der Ausnahmevoraussetzungen dem Geschäftsführer obliegen. Die meisten Insolvenzanträge werden zurückgewiesen, weil es an der die Verfahrenskosten deckenden liquiden Masse fehlt. Wäre der Verwalter für einen schlüssigen Vortrag im Haftungsprozess gehalten, eine Gewinn- und Verlustrechnung ab dem Eintritt des Insolvenzgrundes zu erstellen, für die es keine Inventur der Anfangs- und Endbestände gibt, würde eine Realisierung der Haftungsansprüche kaum möglich sein. Deshalb ist die gesetzliche Anknüpfung an dem relativ einfach nachzuweisenden Tatbestand der „Zahlung“ (= Vermögensverfügung) vernünftig. Es ist dann Sache des Geschäftsführers darzulegen, dass die Verfügung durch einen Vorteil kompensiert wurde, um sie als sorgfaltsgemäß anzusehen. Dafür braucht der Zusammenhang von Masseminderung und -mehrung kein unmittelbarer zu sein. Im Herstatt-Fall hatte der BGH1 – allerdings beschränkt auf den Drei-Wochen-Zeitraum des § 92 Abs. 2 AktG – sogar Kontoauszahlungen akzeptiert, weil sie der Unternehmenserhaltung dienten. Anderenfalls wäre ein sofortiger Zusammenbruch der Bank unvermeidbar gewesen. Obwohl die Entscheidung von der Besonderheit einer Bankinsolvenz geprägt ist (Rz. 85), zeigt sie, dass der mit der Zahlung verfolgte Vorteil recht weit gefasst werden darf. Damit kann den Bedenken der Literaturmeinungen Rechnung getragen werden. cc) Verhältnis zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 64 GmbHG 101
Im Ergebnis gewährleisten die Absätze 1 und 2 des § 64 GmbHG einen komplementären, widerspruchsfreien und vor allem handhabbaren Schutz: Abs. 1 schützt im Außenverhältnis über § 823 Abs. 2 BGB den vertraglichen Rechtsverkehr (= Geschäftsverkehr2) und im Innenverhältnis diejenigen Masseminderungen, die von Abs. 2 nicht erfasst werden. Dieser wiederum erstreckt sich nur auf Vermögensverfügungen, weil und soweit damit gegen insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze verstoßen wird. Dem Haftungsmodell der Rechtsprechung ist deshalb zuzustimmen.
5. Verschulden 102
Eine Haftung sowohl für Neugläubigerschäden gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB als auch für die Zahlungen gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG kommt nur bei Verschulden in Betracht. Fahrlässigkeit reicht aus, wobei die verkehrsübliche Sorgfalt des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB durch die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes in § 43 Abs. 1 bzw. durch die Sorgfalt zur Masseerhaltung in § 64 Abs. 2 GmbHG konkretisiert wird. Maßgebend für die Beurteilung des Verschuldens ist der Zeitraum der Gläubiger3- bzw. Masseschädigung. Lange zurückliegende Gegebenheiten spielen keine Rolle. 1 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 114. 2 Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 92 Rz. 90. 3 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 105
§2
Subjektive Voraussetzungen sind bei § 64 GmbHG gleich mehrfach relevant. Das fängt mit der Feststellung des Insolvenzgrundes an. Sein Eintritt ist zwar eigentlich eine objektive Tatbestandsvoraussetzung der Haftungsansprüche. Maßgebend ist aber die Erkennbarkeit1. Dafür ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer bei Krisenanzeichen zur ständigen Selbstprüfung verpflichtet ist2. In der praktischen Konsequenz entsteht dadurch eine Vermutungswirkung3: Liegt ein Insolvenzgrund vor, wird er regelmäßig auch erkennbar sein. Das Gegenteil darzulegen ist Sache des Geschäftsführers analog § 93 Abs. 2 AktG4. Bei der Erkennbarkeit wiederum muss unterschieden werden zwischen der Informationsbeschaffung einerseits und der Informationsverarbeitung andererseits. Für die Informationsbeschaffung mag der technische Geschäftsführer erst später eine Veranlassung sehen als der kaufmännische, der ohne Absprache mit seinen Kollegen beginnt, Kreditoren zu „schieben“. Liegen die Informationen vor, bleibt immer noch ein subjektiver Beurteilungsspielraum bei der Auswertung.
103
Das gilt für die Beurteilung sowohl der Zahlungsunfähigkeit als auch der Überschuldung. Bei der Zahlungsunfähigkeit ist zu prognostizieren, ob nur eine vorübergehende Zahlungsstockung vorliegt, die sich innerhalb von längten drei Wochen beheben lässt, oder ob sich gar eine 10% übersteigende Liquiditätslücke – bei Saisonbeterieben – demnächst reduzieren wird (s. § 1 Rz. 73 ff.). Noch größer ist die Prognoseunsicherheit bei der Überschuldungsprüfung. Im ersten Schritt muss eine Fortführungsprognose erstellt werden (§ 1 Rz. 122 ff.). Sie ist immer subjektiv beeinflusst5 (§ 1 Rz. 122 ff.). Anschließend sind die Fortführungs- oder Wiederbeschaffungswerte zu taxieren. Auch das ist subjektiv.
104
Der Beurteilungsmaßstab für die Erfüllung der subjektiven Anforderungen ist bei den Tatbestandsvoraussetzungen des § 64 GmbHG die geschäftsmännische Sorgfalt gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG mit der Beweislastumkehr analog § 93 Abs. 2 AktG6 bzw. – hinsichtlich des Ansatzes von Fortführungswerten – der Beweislastumkehr des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO („jedoch“)7. Für die Einzelheiten kann bei komplexen Vorgängen auf die vom Institut der Wirtschaftsprüfer aufgestellten Grundsätze zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit8 und Überschuldung9 zurückgegriffen werden.
105
1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184, 185. BGH v. 1. 3. 1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891. BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. BGH v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, DB 2000, 269. Groß/Amen, Wpg 2002, 225 ff.; Groß/Amen, Wpg 2002, 433 ff.; Groß/Amen, Wpg 2003, 67, 76 ff.; Groß/Amen, Wpg 2002, 225 ff.; Drukarczyk/Schüler, InsO, § 19 Rz. 67; Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56, 60. Michalski/Haas, GmbHG, 2002, § 43 Rz. 248. BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171; Bork, ZIP 2000, 1709, 1711 f. IDW Prüfungsstandard 800 v. 22. 1. 1999, WPg 1999, 250. Zur Fortführungsprognose: IDW Prüfungsstandard 270 v. 8. 5. 2003, WPg 2003, 775; zur Unternehmensbewertung: IDW Standard 1 v. 18. 10. 2005, WPg 2005, 1303; zur Überschuldungsprüfung vgl. auch IDW-Fachausschuss Recht, FAR 1/1996, WPg 1997, 22.
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§2
Rz. 106
Geschäftsführerberatung
106
Wenn es im nächsten Schritt um die Frage geht, ob Zahlungen im Sinne des § 64 Abs. 2 GmbHG zulässig waren, „springt“ der Beurteilungsmaßstab von der allgemeinen geschäftsmännischen Sorgfalt des § 43 Abs. 2 GmbHG in die insolvenzspezifische des § 64 GmbHG. Auch hier bleibt es bei der Darlegungsund Beweislast des Geschäftsführers, da § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG eine Ausnahmeregelung darstellt („Dies gilt nicht …“).
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Auf einer dritten Stufe folgt schließlich das deliktische Verschulden. Während es vorher um jeweils verkehrsübliche, also intersubjektiv gültige Sorgfaltspflichten ging, können nunmehr auch höchst persönliche Umstände berücksichtigt werden, wie z.B. eine schwere Erkrankung, die den Geschäftsführer an der Erfüllung seiner in der Krise eingreifenden Pflichten selbst durch die Einschaltung von Hilfspersonen unmöglich macht.
6. Zurückbehaltungsrechte 108
Für die Außenhaftung des Geschäftsführers auf Ersatz des Neugläubigerschadens gilt § 255 BGB entsprechend. Er kann die Abtretung der Forderung gegen den Schuldner verlangen und ist auf eine entsprechende Einrede nur Zug-umZug zu verurteilen1, § 274 BGB. Allerdings hat er nur einen Anspruch auf Abtretung bis zur Höhe seiner Erstattungspflicht. Sie beschränkt sich auf das negative Interesse des Neugläubigers. Mit der Differenz, die dem Gewinn aus dem Geschäft entspricht, bleibt der Geschädigte als Insolvenzgläubiger am Verfahren beteiligt (zu dessen Rechtsstellung vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Eine Ausschüttung ist jedoch vorrangig an den Geschäftsführer zu richten2; denn der Gläubiger wollte mit der Inanspruchnahme des Geschäftsführers so gestellt werden, wie wenn er mit der Gesellschaft gar nicht erst kontrahiert hätte. Dazu darf er sich nicht in Widerspruch setzen, indem er zusätzlich zum Schadensausgleich gleichrangig mit dem Geschäftsführer eine Insolvenzquote auf die Differenz des Kontrahierungsschadens zum Nichterfüllungsschaden erhält.
109
Bei der Innenhaftung können wegen derselben Vorgänge Ansprüche gegen den Geschäftsführer mit Ansprüchen gegen den Zahlungsempfänger wegen insolvenzrechtlicher Anfechtung (vgl. § 10 dieses Buches) konkurrieren. Es stellt sich die Frage, ob der Geschäftsführer den Insolvenzverwalter darauf verweisen darf, zunächst den Zahlungsempfänger in Anspruch zu nehmen. Ein solches Verlangen wäre jedoch treuwidrig; denn der Geschäftsführer sollte eine Masseschmälerung vermeiden. Hat er das nicht getan, kann es nicht Sache des Insolvenzverwalters sein, nachträglich die Aufgaben des Geschäftsführers wahrzunehmen und die Zahlungen wieder „einzusammeln“, bevor er sich an den Geschäftsführer halten darf. Zu Recht hat der BGH deshalb ein auf die Anfechtbarkeit der Zahlung gestütztes Zurückbehaltungsrecht verneint3. Statt1 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 239; Gottwald/Haas, InsHdb, 2. Aufl. 2001, § 92 Rz. 75 f. 2 Altmeppen, ZIP 1997, 1173, 1182, mit der Folgerung, dass ein über das negative Interesse hinausgehender Betrag an den Neugläubiger auszukehren sei (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB). Vgl. zur Insolvenzverwalterhaftung BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107, 1113. 3 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 ff. = ZIP 2001, 235 ff.; OLG Celle v. 23. 4. 1997 – 9 U 189/96, GmbHR 1997, 901, 903.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
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§2
dessen sind Erstattungsansprüche gegen Dritte Zug um Zug gegen Ausgleich der Masseschmälerung an den Geschäftsführer abzutreten1, was im Prozess auf seine Einrede zu berücksichtigen ist. (Diese Abtretung ist nicht zu verwechseln mit dem Vorbehalt, nach der Zahlung an die Stelle des befriedigten Gläubigers zu treten.) Allerdings dient die Anfechtung der Gläubigergleichbehandlung und muss deshalb der Masse zugute kommen. Das wäre nach der Abtretung nicht mehr der Fall, so dass eine Zession wegen Inhaltsänderung gemäß § 399 BGB unzulässig sein könnte. In Übereinstimmung mit einer in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung2 wird man die Abtretung bejahen müssen. Eine Zweckverfehlung droht nicht, weil der Masse mit der Zahlung des Geschäftsführers der Gegenwert zufließt. Allerdings verjährt die insolvenzrechtliche Anfechtung in drei Jahren, §§ 146 Abs. 1 InsO, 195 BGB (vgl. § 10 Rz. 362 ff.), beginnend mit der Verfahrenseröffnung und Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Verwalters von den anspruchsbegründenden Tatsachen. Dem gegenüber gilt für den Haftungsanspruch eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, § 43 Abs. 4 GmbHG3. Bis ein solcher Prozess entschieden ist, wird die Anfechtungsverjährung längst eingetreten sein. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Insolvenzverwalter wenigstens um eine Verjährungsunterbrechung bemühen muss. Der BGH hatte eine Anfechtungspflicht des Verwalters u.a. mit der Begründung abgelehnt4, dass der Geschäftsführer nicht anders dastehe als ein Bürge, der für die Hauptverbindlichkeit des Gemeinschuldners nur deshalb in Anspruch genommen werde, weil der Verwalter die Masse durch Untätigkeit verkürzt hätte. Dem Bürgen gegenüber existiere keine insolvenzspezifische Pflicht, die Masse anzureichern. Eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Geschäftsführerhaftung übersieht allerdings, dass § 64 Abs. 2 GmbHG im Gegensatz zur Bürgenhaftung ein Ersatzanspruch eigener Art ist, auf den § 254 BGB analog anwendbar sein dürfte. Danach muss es sich der Verwalter entgegenhalten lassen, wenn er es schuldhaft versäumt hat, den Schaden zu mindern, § 254 Abs. 2 BGB. Die insolvenzrechtliche Anfechtung und die Haftung des § 64 Abs. 2 GmbHG dienen beide dem Schutz insolvenzrechtlicher Verteilungsgrundsätze. Der Verwalter ist verpflichtet, sämtliche Anfechtungsansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen. Da er aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nie sicher sein kann, dass Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer realisiert werden, muss er die Anfechtbarkeit unabhängig davon untersuchen, ob er zusätzlich beim Geschäftsführer Regress nehmen will. Der Verwalter darf im Lichte des § 254 Abs. 2 BGB nicht seinen eigenen Pflichtenkreis verletzen, um sich lange nach Ablauf der Anfechtungsfrist beim Geschäftsführer schadlos zu halten.
1 OLG Jena v. 11. 12. 2001 – 8 U 741/01, ZIP 2002, 986, 987; Gottwald/Haas, InsRHdb, 2. Aufl. 2001, § 92 Rz. 99 m.w.N. 2 MünchKommInsO/Kirchhof, 2001, § 129 Rz. 214 ff.; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 87 f. 3 Zu den unterschiedlichen Verjährungsfristen im Innen- und Außenverhältnis siehe OLG Schleswig v. 6. 11. 2000 – 16 U 67/00, DZWIR 2001, 330. 4 BGH v. 18. 12. 1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420, 421.
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Geschäftsführerberatung
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Der Verwalter wird jedoch nicht auf eigenes Risiko einen Anfechtungsprozess führen müssen, um die vom Empfänger geleistete Rückzahlung sodann dem Geschäftsführer gutzubringen. Ähnlich der Hinweisobliegenheit eines Geschädigten auf die Möglichkeit der Schadensminderung1 ist auch ein Verwalter gehalten, den Geschäftsführer rechtzeitig auf Anfechtungsansprüche hinzuweisen, die durch dieselben Handlungen begründet wurden, auf die der Haftungsanspruch gestützt wird. Damit ist aber noch nicht viel gewonnen; denn die Verjährung des Anfechtungsanspruchs kann nur der Gläubiger hemmen, zu dem der Geschäftsführer erst mit der Abtretung wird. Das wird nur gegen Zahlung geschehen. Sie kann sich hinziehen, sei es, dass die Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbHG rechtlich streitig ist, sei es, dass der Geschäftsführer wirtschaftlich (vorübergehend) unvermögend ist. Bis dahin wird man dem Geschäftsführer aber zubilligen müssen, vom Verwalter eine Inanspruchnahme des Anfechtungsgegners zu verlangen, wenn er den Verwalter von sämtlichen Kostenrisiken in werthaltiger Form – z.B. Vorschuss, Absicherung – freihält.
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Die Anfechtungsgegner dürfen sich nicht darauf berufen, dass es wegen der Haftung bzw. Ausgleichszahlung des Geschäftsführers an einer Gläubigerbenachteiligung fehle; denn seine Haftung setzt nur deshalb ein, weil die Anfechtungsgegner rechtswidrig bevorzugt wurden. Sie sind im Vergleich zum Geschäftsführer nicht schutzwürdig.
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Muss der Zahlungsempfänger den Haftungsbetrag nicht zurückführen, weil z.B. die Anfechtungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind oder Verjährung eingetreten ist, ist durch seine Befriedigung die Anzahl der Gläubiger endgültig geringer geworden. Leistet der Geschäftsführer Ersatz, ist die Masse so hoch wie ohne die unzulässige Zahlung, braucht aber nur an weniger Gläubiger verteilt zu werden. Um eine Besserstellung der verbliebenen Gläubiger zu vermeiden, ist dem Geschäftsführer im Urteil vorzubehalten, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen2. Dabei handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit mit dem Rang einer Insolvenzforderung, da sie inhaltlich dem entspricht, was der begünstigte Gläubiger im Verteilungsverfahren erhalten hätte, wäre die Zahlung an ihn unterblieben. Eine formelle Insolvenzforderung ist dieser Anspruch deshalb nicht, weil sie im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht (mehr) bestand.
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Für die Praxis ist darauf zu achten, dass die Abtretung des Anfechtungsanspruchs und dieser Vorbehalt nebeneinander geltend gemacht3 werden, solange unsicher ist, ob der (abgetretene) Anfechtungsanspruch durchdringt.
1 Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 254 Rz. 32 ff. 2 BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 239; OLG Schleswig v. 10. 4. 2003 – 5 U 62/02, ZIP 2004, 47. 3 Wenngleich der Vorbehalt in ein Urteil von Amts wegen aufzunehmen ist, BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 117
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7. „MoMiG“ Der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ vom 23. Mai 20071 will § 64 Abs. 2 GmbHG – der künftig als einziger Absatz verbleibt, weil die Insolvenzantragspflicht in der InsO geregelt werden soll – um einen Satz 3 ergänzen. Er soll lauten: „Die gleiche Verpflichtung trifft die Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in Satz 2 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar.“ Diese Haftungserweiterung will in erster Linie Zahlungen erfassen, die an Gesellschafter auf Forderungen geleistet werden, die nach heutiger Rechtslage einen eigenkapitalersetzenden Charakter haben; denn die Rechtsfigur des Eigenkapitalersatzes soll mit dem Entwurf abgeschafft werden. Die Durchsetzungssperre für Gesellschafterdarlehen etc. soll künftig entfallen. Dafür soll die vorverlagerte Geschäftsführerhaftung eine Kompensation bieten. Im Gegensatz zum Rückgewährverbot für eigenkapitalersetzende Leistungen analog § 30 GmbHG nach den sogenannten Rechtsprechungsregeln soll es für die Geschäftsführerhaftung nach dem „MoMiG“ nicht mehr auf eine Vermögensbilanz zu handelsrechtlichen Buchwerten an, sondern nur noch auf die Zahlungsfähigkeit ankommen. Das ist der Gedanke aus dem anglo-amerikanischen solvency test2, wobei die Haftungsvoraussetzungen im Gesetzesentwurf sehr eng sind. Würde man eine reine Kausalitätsbetrachtung ausreichen lassen, wäre jede Auszahlung, wann immer sie getätigt wurde, Ursache einer späteren Zahlungsunfähigkeit. Wäre die Auszahlung nämlich unterlassen worden, wäre ihr Eintritt zumindest verzögert worden. Nach dem Regierungsentwurf begründen hingegen nur diejenigen Zahlungen eine Haftung, die die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen „mussten“. Erforderlich ist also eine Zwangsläufigkeit, die sowohl ex ante das Prognoserisiko des Geschäftsführers reduziert als auch ex post, wenn es um die Verwirklichung einer etwaigen Haftung geht, die Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalter erhöht. Die Anforderungen sind wesentlich stärker als diejenigen für die drohende Zahlungsunfähigkeit bei § 18 InsO oder die Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsbewertung bei § 19 InsO. Hier ist nur die voraussichtliche oder überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (s. § 1 Rz. 93, 122 ff.).
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Die präventive Wirkung der Geschäftsführerhaftung zur Vermeidung eines schädigenden Kapitalentzugs muss wegen dieser strengen Voraussetzung bezweifelt werden; denn er befindet sich in der Zwickmühle zwischen der Haftung gemäß § 64 Satz 3 GmbHGE einerseits und derjenigen gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG andererseits, wenn er fällige Verbindlichkeiten gegenüber dem Gesellschafter nicht bezahlt. Je enger die Haftungsvoraussetzungen für das erste sind, umso schwieriger ist es für ihn, dem Zahlungsverlangen der Gesellschafter entgegenzutreten.
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Über Zahlungen auf Gesellschafterfinanzierungen hinaus erfasst § 64 Satz 3 GmbHGE auch sämtliche anderen Zahlungen einschließlich Gewinnausschüt-
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1 www.bmj.de/files/-/2109/RegE% 20 MoMiG.pdf. 2 Dazu Marx, DZWiR 2006, 401.
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tungen oder Verfügungen im Zusammenhang mit einem sogenannten existenzvernichtenden Eingriff (s. u. Rz. 164 ff.).
8. Gesamtverantwortung 118
Der ressortfremde Geschäftsführer kann sich einer Haftung nicht entziehen1. § 64 GmbHG verpflichtet ausdrücklich „die Geschäftsführer“ zur Antragstellung und zum Ersatz unzulässiger Zahlungen. Damit ist ebenso wie bei § 43 Abs. 2 GmbHG die solidarische Haftung gemeint. Allerdings darf eine Aufgabenverteilung nicht negiert werden, vorausgesetzt, dass sie klar und eindeutig ist2. „Interne Zuständigkeitregelungen lassen ebenso wie die Delegation die Eigenverantwortlichkeit nicht erlöschen. Es bleiben stets Überwachungspflichten, die Veranlassung zum Eingreifen geben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung von der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den (intern) zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet sind.“3 Umgekehrt formuliert heißt das, dass Fehler dem Geschäftführer bei einer Ressortaufteilung oder gar bei einer Delegation an Mitarbeiter im eigenen Ressort so lange nicht zuzurechnen sind, solange keine Veranlassung zum Eingreifen besteht. Die Überwachungspflichten werden durch die zu § 831 BGB ergangene Rechtsprechung konkretisiert werden können. Bei der gesunden Gesellschaft reicht es aus, wenn sich z.B. der technische Geschäftsführer in regelmäßigen Abständen über die Situation vom kaufmännischen Geschäftsführer informieren lässt. Eine Initiativlast zur eigenen Selbstprüfung fällt ihm erst zu, wenn er – mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes – Anhaltspunkte für eine insolvenzrechtlich relevante Krise haben müsste. Erhält er dann keine Information, muss er nach kurzer Fristsetzung mit Nachricht an die Gesellschafter sofort sein Amt niederlegen, will er einer Haftung entgehen4. In vielen mittelständischen Unternehmen ist eine Haftung vor allem für den „Zölibatsgeschäftsführer“ gefährlich, der als Senior meist nur noch aus steuerlichen oder Repräsentationsgründen weiterhin den „Titel“ trägt, sich ansonsten aber jeder aktiven Einflussnahme enthält5.
9. Faktischer Geschäftsführer 119
Das Gegenstück zum „Zölibatsgeschäftsführer“ ist der faktische Geschäftsführer (vgl. § 5 Rz. 96 ff. zu dessen strafrechtlicher Verantwortlichkeit). Er ist besonders häufig in Krisenunternehmen anzutreffen. Seinen Namen will er nicht mit einem etwaigen Insolvenzverfahren in Verbindung bringen, gleich1 BGH v. 1. 3. 1994 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891, 892. 2 BFH v. 31. 10. 2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274, wobei die für die steuerliche Entlastung geforderte Schriftform für die Entlastung bei der gesellschaftsrechtlichen Krisenhaftung u.E. nicht notwendig sein dürfte. 3 BGH v. 9. 1. 2001 – VI ZR 407/99, ZIP 422, 424. 4 BFH v. 31. 10. 2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274. 5 BFH v. 11. 3. 2004 – VII R 52/02, GmbHR 2004, 833, FG Münster v. 16. 11. 2006 – 8 K 2601/04.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 121
§2
wohl die Fäden in der Hand halten. Eine andere Form ist der Krisenmanager, der formal die Stellung eines Beraters innehat, aber wie ein Geschäftsführer agiert. Faktischer Geschäftsführer ist derjenige, der wie ein Geschäftsführer agiert und bei dem nur der Bestellungsakt fehlerhaft ist1. Umgekehrt ist der Gesellschafter, der die Unternehmenspolitik mitbestimmt und an Sanierungskonzepten mitwirkt, nicht schon wegen solcher Aktivitäten faktischer Geschäftsführer2; denn die Gesellschafter dürfen auf die Geschäftsführung einwirken, §§ 37 Abs. 1, 45 Abs. 1 GmbHG. Hinzukommen muss „ein nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln“3. Erforderlich ist, dass „der Betreffende nach dem Gesamterscheinungbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis … maßgeblich in die Hand genommen hat“4. Das kann auch neben ordnungsgemäß berufenen Geschäftsführern stattfinden5. Allerdings muss dies mit Wissen und Wollen der Gesellschafter geschehen6. Der faktische Geschäftsführer muss dafür nicht alle Geschäftsführungsmaßnahmen wahrnehmen7. Es reicht aus, dass er sich im Schutzbereich des § 64 GmbHG wie ein Geschäftsführer geriert8. Dazu gehört insbesondere, aus eigener „Machtvollkommenheit“ zu entscheiden, welche Gläubiger vorrangig bedient werden, oder eine Alleinverfügungsbefugnis über das wesentliche Bankkonto zu haben oder alleine Verhandlungen mit der Bank zu führen und dabei auch Entscheidungen zu treffen. Maßgebend ist das Gesamtgepräge nach Außen bei der Wahrnehmung von Kernaufgaben der Geschäftsführung. Ebenso wie bei einer mehrköpfigen Geschäftsführung müssen nicht sämtliche Geschäftsführungsangelegenheiten von dem faktischen Geschäftsführer allein wahrgenommen werden.
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Der faktische Geschäftsführer ist wie der ordnungsgemäß bestellte insolvenzantragspflichtig. Ihn trifft dieselbe Haftung sowohl gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG als auch gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG9.
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1 Gottwald/Haas, InsRHdb, 2. Aufl. 2001, § 92 Rz. 42 m.w.N. 2 BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848, 851; K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 14 III.4.a), IV.1. 3 BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848. 4 BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 5 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 105 f.; BGH v. 21. 3. 1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 47; BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848, 851; OLG Jena v. 28. 11. 2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631, 632. 6 BGH v. 11. 12. 1997 – 4 StR 323/97, NJW 1998, 767, 769; BayObLG v. 20. 2. 1997 – 5 StR RR 159/96, NJW 1997, 1936. 7 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 105 f.; BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803, 1805 m.w.N. zu Rspr. und Lit. 8 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 7. 9 BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550.
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§2
Rz. 122
Geschäftsführerberatung
10. Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren 122
Den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung muss der Gläubiger des Haftungsanspruchs darlegen und beweisen, also der Liquidator, Insolvenzverwalter oder Neugläubiger1. Soweit es die Zahlungsunfähigkeit anbetrifft, gelingt das – allerdings auch nur für „Insider“ – anhand der Buchhaltung und der im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen relativ leicht. Wurden Verbindlichkeiten bis zur Verfahrenseröffnung nicht beglichen, ist regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit ab ihrer Fälligkeit auszugehen2. Macht der Geschäftsführer geltend, dass Forderungen entgegen § 271 BGB nicht fällig gewesen seien, muss er diese Ausnahme darlegen3. Dazu gehört der Vortrag zu Stundungsvereinbarungen. Dazu gehört ferner, dass eine Zahlungsunfähigkeit, die länger als drei Wochen andauert, ursprünglich noch als kurzfristig überwindbar und damit als für einen Insolvenzgrund unbeachtliche Zahlungsstockung angesehen werden durfte4.
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Schwieriger ist die Feststellung der Überschuldung. Allein die Unterlassung der ständigen Selbstprüfung in der Krise begründet noch keine Verpflichtung des Geschäftsführers, den „Nichteintritt“ der Überschuldung zu verschiedenen Zeitpunkten darzulegen5. Es bleibt also bei der Beweislast des Anspruchstellers. Allerdings verfügt der Verwalter/Gläubiger häufig noch nicht einmal über aktuelle Jahresabschlüsse, geschweige denn über Zwischenabschlüsse zu unterjährigen Stichtagen, an denen der Insolvenzgrund eingetreten seine könnte. Sie müssen erst aus der handelsrechtlichen Buchführung entwickelt werden. Hält der daraufhin in Anspruch genommene Geschäftsführer bereits die Buchhaltung für falsch, muss er der dazu substantiiert Stellung nehmen6, weil er dann seine – in der Krise gemäß §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 ff., 283b StGB strafbewehrte – Buchführungspflicht aus § 41 GmbHG verletzt hätte.
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Ein großes Problem besteht in der Bewertung der unfertigen Erzeugnisse, weil es für unterjährige Stichtage meist keine Inventur gibt und gerade bei langfristiger Fertigung der Leistungsstand selten ausreichend dokumentiert ist. Das Informationsdefizit kann mit Schätzungen auf Basis der vorhandenen Buchhaltungsunterlagen überwunden werden7. Dem Insolvenzverwalter obliegt es, die Ordnungsmäßigkeit des Schätzverfahrens darzulegen. Dagegen ist es Sache des Geschäftsführers, Schätzungsfehler vorzutragen. Ob die Rechtsgrundlage materiellrechtlich in seiner versäumten Abrechnungsverpflichtung gemäß § 666
1 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103, 1110. 2 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 3 BGH v. 19. 7. 2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666; v. 14. 7. 2003 – II ZR 335/00, DStR 2004, 324. 4 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426; v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 5 A.A. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2209. 6 OLG München v. 16. 12. 1998 – 7 U 4071/98, NZG 1999, 775, 776 zur Unterbilanz. 7 Pape in Kübler/Prütting, InsO, 1998, § 19 Rz. 10.
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Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 126
§2
BGB1 oder prozessrechtlich in einer analogen Anwendung von § 287 ZPO2 oder einer sekundären Behauptungslast des Geschäftsführers3 liegt, ist für die Praxis ohne große Relevanz. Allerdings bedarf es des Vortrages von Anknüpfungstatsachen. Fehlen sie, gibt es eine Darlegungslast des Geschäftsführers selbst dann nicht, wenn er seine Buchführungspflicht verletzt hat4. Jedenfalls gegenüber einem außenstehenden Gläubiger bestehen keine Dokumentationspflichten zur Abwehr einer möglichen Haftung5. Anhand der Buchhaltung der Gesellschaft kann nur eine handelsrechtliche Zwischenbilanz – und das auch nur eingeschränkt, weil es meist an einer unterjährigen Bestandsaufnahme insbesondere der unfertigen Erzeugnisse fehlt – erstellt werden, aber keine Überschuldungsbilanz. Für sie kommt es auf die Verkehrswerte an. Die Bedeutung der Handelsbilanz für die Feststellung der Überschuldung ist in der Rechtsprechung unklar. Einige Oberlandesgerichte lassen die Buchwerte ausreichen6. Der Vortrag über höhere Verkehrswerte sei Aufgabe des Geschäftsführers. Der BGH hat demgegenüber ausgesprochen, die Handelsbilanz sei „grundsätzlich“ nicht maßgebend7. Andererseits hat er die Handelsbilanz immerhin als ein Indiz akzeptiert und es – in einem Eigenkapitalersatzprozess – den Gesellschaftern überantwortet, greifbare Anhaltspunkte für stille Reserven darzulegen8. Was für die Gesellschafter gilt, gilt für den mit den wirtschaftlichen Verhältnissen weit besser vertrauten Geschäftsführer erst recht. Die Konsequenz müsste sein, dass die Handelsbilanzwerte mit den Werten für die Überschuldungsbilanz gleichgesetzt werden dürfen, solange der Geschäftsführer keinen substantiierten Gegenvortrag bringt. Tut er es, ist es Aufgabe des Insolvenzverwalters bzw. des Neugläubigers, diesen Vortrag zu entkräften, dann allerdings auch Beweis dafür zu erbringen9. Will hingegen der Gläubiger/Insolvenzverwalter von den Buchwerten nach unten abweichen, hat er die Gründe darzulegen.
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Ein Einwand des Geschäftsführers wird sein, dass statt der Liquidationswerte die Fortführungswerte anzusetzen sind. Nach dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO („jedoch“, „überwiegend“) haben die Fortführungswerte Ausnahmecharakter, so dass die Darlegungslast beim Geschäftsführer angesiedelt ist10.
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1 Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2209. 2 BGH v. 10. 2. 1992 – II ZR 23/91, GmbHR 1992, 303; OLG Düsseldorf v. 17. 12. 1998 – 6 U 187/97, NZG 1999, 668, 670; OLG Frankfurt/Main v. 25. 10. 2000 – 17 U 63/99, NZG 2001, 173, 174; ähnlich OLG München v. 19. 1. 1999 – 25 U 2550/98, NZG 1999, 603, 604 zu § 31 GmbHG. 3 BGH v. 13. 4. 1994 – II ZR 16/93, ZJW 1994, 1801. 4 OLG Brandenburg v. 31. 3. 2005 – 11 U 103/04, ZIP 2005, 1073. 5 BGH v. 18. 4. 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026. 6 OLG Düsseldorf v. 17. 12. 1998 – 6 U 187/97, NZG 1999, 668, 670; OLG Frankfurt/ Main v. 25. 10. 2000 – 17 U 63/99, NZG 2001, 173, 174. 7 BGH v. 5. 11. 2007 – II ZR 262/06, ZInsO 2007, 1349; v. 15. 10. 2007 – II ZR 236/06, ZIP 2008, 267; v. 18. 12. 2000 – II ZR 191/99, ZIP 2001, 242. 8 BGH v. 11. 12. 1995 – II ZR 128/94, ZIP 1996, 273, 274; BGH v. 2. 6. 1997 – II ZR 211/95, ZIP 1997, 1648, 1650; BGH v. 17. 11. 1997 – II ZR 224/96, ZIP 1998, 243, 245; BGH v. 12. 7. 1999 – II ZR 87/98, ZIP 1999, 1524, 1526. 9 BGH v. 2. 6. 1997 – II ZR 211/95, ZIP 1997, 1648, 1650; BGH v. 17. 11. 1997 – II ZR 224/96, ZIP 1998, 243, 245. 10 BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171.
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§2
Rz. 127
Geschäftsführerberatung
Schon zum früheren für Haftungsfälle seit Inkrafttreten der InsO überholten zweistufigen Überschuldungsbegriff hat der BGH1 es dem Geschäftsführers auferlegt darzustellen, dass eine zu Liquidationswerten überschuldete Gesellschaft hätte fortgeführt werden dürfen. 127
Steht hiernach der Insolvenzgrund fest, wird die Erkennbarkeit widerlegbar vermutet2. Ebenso wird vermutet, dass Auszahlungen gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprechen. Dagegen steht dem Geschäftsführer der Nachweis offen, dass die Zahlung um der Unternehmenserhaltung oder anderer Vorteile Willen erfolgte und deshalb sorgfaltsgemäß war3.
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Gesellschaftsverträge enthalten häufig Schiedsabreden, die den Geschäftsführer zumindest dann betreffen können, wenn er nicht nur als Gesellschafter, sondern ausdrücklich auch in der Eigenschaft als Geschäftsführer einbezogen wird. Ansonsten bedarf es einer Schiedsvereinbarung im Zusammenhang mit dem Anstellungsvertrag.
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Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer sind unverzichtbar, soweit ihre Durchsetzung zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist, §§ 43 Abs. 2, 9b Abs. 1 GmbHG. Daraus wurde zum alten, inzwischen allerdings geänderten Schiedsverfahrensrecht gefolgert, dass die Ansprüche auch nicht Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können. Das BGH ist dem schon zum alten Recht nicht gefolgt. Zum Einlageanspruch hat er entschieden, dass die Unverzichtbarkeit des § 19 Abs. 2 GmbHG nicht dem Zweck diene, bei Streitigkeiten ein Entscheidungsmonopol staatlicher Gerichte zu sichern4. Wenn danach sogar Auseinandersetzungen über Einlageleistungen schiedsfähig sind, muss das auch für Ansprüche gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG gelten. Nach dem seit 1997 geltenden Schiedsverfahrensrecht ist die Vergleichsfähigkeit bei vermögensrechtlichen Ansprüchen ohnehin keine Voraussetzung mehr für die Wirksamkeit der Schiedsabrede ist. Eine wirksame Schiedsvereinbarung bindet auch den Insolvenzverwalter, soweit die Ansprüche unter die Abrede fallen5, was z.B. nicht für insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche gilt. In der Praxis wird ein Schiedsvertrag meist übersehen.
11. Weisung, Verzicht, Vergleich 130
Nach § 64 Abs. 2 a.E. GmbHG findet § 43 Abs. 3 GmbHG entsprechende Anwendung. Dort ist bestimmt, dass die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen ist, wenn der Geschäftsführer in Ausführung eines Gesellschafterbeschlusses handelt, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Dieses Erfordernis ist bei den hier in Rede stehenden Erstattungsansprüchen immer erfüllt. Problematisch ist die Weiterverweisung in § 43 Abs. 3 GmbHG auf 1 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103, 1110. 2 BGH v. 29. 11. 1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184, 185; BGH v. 11. 9. 2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896. 3 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 238. 4 BGH v. 19. 7. 2004 – II ZR 65/03, ZIP 2004, 1616. 5 BGH v. 19. 7. 2004 – II ZR 65/03, ZIP 2004, 1616.
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Spliedt
Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG
Rz. 132
§2
§ 9b Abs. 1 GmbHG. Danach ist ein Verzicht auf bzw. ein Vergleich über die Ersatzansprüche nur zulässig, wenn der Geschäftsführer seinerseits zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens oder in einem Insolvenzplan mit seinen Gläubigern vergleicht. Daraus wird von einigen geschlussfolgert, dass sich der Insolvenzverwalter ebenso wie die Gesellschafter nur unter diesen Voraussetzungen vergleichen dürfe1. Dass das Vergleichsverbot die Gesellschafter vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens trifft, ist selbstverständlich. Es aber auf den Insolvenzverwalter ebenfalls anzuwenden, ist zweifelhaft2. § 64 Abs. 2 GmbHG dient genauso der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger wie die sonstige Masseverwertung, bei der es kein Vergleichsverbot gibt. Es macht wenig Sinn, sich mit dem Empfänger einer Zahlung im Anfechtungsstreit vergleichen zu dürfen, wegen derselben Zahlung mit dem Geschäftsführer aber einen Haftungsprozess bis zur Rechtskraft führen zu müssen. Deshalb sollte ein Vergleich zulässig sein, solange er nicht erkennbar insolvenzzweckwidrig ist3, mit dem Abschluss also insbesondere nicht gegen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters i.S.d. § 60 InsO verstoßen wird. Die Frage eines Vergleichs über die Innenhaftung gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG muss genauso entschieden werden, wie die über die Einlageverpflichtung gemäß § 19 GmbHG. Auch hier sind gütliche Regelungen im Interesse der Gläubigergemeinschaft zulässig4. Da die Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer in der Praxis häufig einen Umfang haben, der bei vollständiger Durchsetzung zu seiner Zahlungsunfähigkeit führen würde, sollte deren Abwendung vorsorglich als eine Vergleichsgrundlage ausdrücklich genannt werden, damit nicht später die Unwirksamkeit geltend gemacht wird, nachdem der Verwalter die Vergleichszahlung vereinnahmt hat.
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12. Verjährung Die Verjährungsfrist der auf § 64 Abs. 2 GmbHG gestützten Ansprüche beträgt entsprechend der Verweisung auf § 43 Abs. 4 GmbHG fünf Jahre, beginnend mit der Entstehung des Anspruchs, also der verbotswidrigen Auszahlung. Auf die Kenntnis kommt es nicht an, da § 199 Abs. 1 BGB nur für die Regelverjährung gilt. Die Ansprüche auf Ersatz des Neugläubigerschadens und des Quotenschadens für die Altgläubiger gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG verjähren hingegen in drei Jahren ab Kenntnis, spätestens in zehn Jahren seit der Entstehung, §§ 195, 199 Abs. 1, 3 BGB5. 1 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 51. 2 Ablehnend z.B. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 43 Rz. 41, der jedoch die Zulässigkeit im Insolvenzplan bejaht. 3 RG v. 8. 5. 1911 – Rep. VI 245/10, RGZ 76, 250; K. Schmidt, KTS 2001, 373, 378 ff.; allgemein zur Insolvenzzweckwidrigkeit: Lüke in Kübler/Prütting, InsO, EL 8/2001, § 80 Rz. 28 ff. 4 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 19 Rz. 49 ff. 5 Zur alten Rechtslage: OLG Saarbrücken v. 22. 9. 1999 – 1 U 3/99-1, DB 1999, 2205: 5 Jahre gemäß §§ 64 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. 43 Abs. 4 GmbHG; a.A. OLG Stuttgart v. 29. 6. 2000 – 13 U 185/99, DZWIR 2001, 255, für den Fall, dass daneben weitere Schutzgesetze verletzt wurden: 3 Jahre gemäß § 852 Abs. 1 BGB; zum Verjährungsbeginn: BGH v. 22. 4. 2004 – IX ZR 128/03, ZInsO 2004, 676, 677.
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143
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§2
Rz. 133
Geschäftsführerberatung
13. Haftung ohne Insolvenzverfahren 133
Die über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG eingreifende Außenhaftung ist nicht von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abhängig. Die Verletzung der Antragspflicht ist nach dem eindeutigen Wortlaut ausreichend. Anders könnte man für die Innenhaftung des § 64 Abs. 2 GmbHG geneigt sein zu entscheiden; denn hier geht es um die Vermeidung einer Verkürzung der Insolvenzmasse. Wird sie mangels Verfahrenseröffnung nicht gebildet, können insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze nicht zum Zuge kommen. Eine solche Argumentation bedeutet jedoch, dass gerade die krassen Fälle haftungsfrei blieben, in denen das Vermögen völlig aufgezehrt und der Eröffnungsantrag mangels Verfahrenskostendeckung abgewiesen werden würde. Um das zu vermeiden, hat der BGH nicht nur den Fortbestand der Ansprüche bei der Ablehnung eines Insolvenzantrages akzeptiert, so dass die Haftung vom Liquidator geltend gemacht werden muss, sondern auch ihre Pfändbarkeit im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zugelassen1; denn der Wortlaut von § 64 Abs. 2 GmbHG knüpfe ebenso wie der des Abs. 1 nur an das Vorliegen eines Insolvenzgrundes an.
VIII. Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht 134
In der Entwicklung der Rechtsprechung zur Außenhaftung des Geschäftsführers haben sich die Tatbestände des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG einerseits und der culpa in contrahendo andererseits zueinander wie kommunizierende Röhren verhalten. Während der BGH den Gläubigern aufgrund von § 64 Abs. 1 GmbHG zunächst nur den geringen Schutz des Quotenschadens zubilligte, war er beim Schadensersatz wegen culpa in contrahendo großzügig und ließ anfänglich eine maßgebende Beteiligung an der Gesellschaft ausreichen2. Später verlangte er ein zusätzliches Engagement des Geschäftsführers3 z.B. durch Darlehen, um ein wirtschaftliches Eigeninteresse zu begründen, das eine Aufklärungspflicht über die Insolvenzsituation rechtfertigte. Im Jahre 1994 lehnte er schließlich eine Verhandlungshaftung ab, soweit der Geschäftsführer bei dem Vertragspartner kein „zusätzliches, von ihm selbst ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen hervorgerufen hat“, die sich „im Vorfeld einer Garantiezusage“ bewegen4. Seitdem ist dieser Haftungstatbestand gegenüber Neugläubigern nahezu bedeutungslos5. Im Gegenzug erstarkte § 64 Abs. 1 GmbHG zum Schutzgesetz für die Neugläubiger, so dass die culpa in contrahendo allenfalls noch relevant sein konnte für die Zeit zwischen dem Eintritt eines Insolvenzgrundes und 1 BGH v. 11. 9. 2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1898. 2 BGH v. 23. 2. 1983 – VIII ZR 325/81, BGHZ 87, 27, 33 f.; BGH v. 27. 10. 1982 – VIII ZR 187/81, ZIP 1982, 1435. 3 BGH v. 23. 10. 1985 – VIII ZR 210/84, ZIP 1986, 26, 29. 4 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103, 1106; Hervorh. d. Verf.; Bsp. für ein selbständiges Garantieversprechen BGH v. 18. 6. 2001 – II ZR 148/99, DStR 2001, 1671, 1672. 5 Ein Bsp. für eine Haftung aus c.i.c. bietet BGH v. 18. 2. 2002 – II ZR 358/99, DStR 2002, 923 f.
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Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht
Rz. 137
§2
dem Ende der Antragsfrist; denn der Schutz des § 64 Abs. 1 GmbHG greift erst in der Verschleppungsphase. Vor dem Ende der Antragsfrist gelten jedoch wohl erst recht die Erwägungen, mit denen der BGH die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens abgelehnt hat. Dagegen hat insbesondere K. Schmidt eingewandt, dem Geschäftsführer werde ein auf die GmbH bezogenes Solvenzvertrauen entgegengebracht1. Die Konsequenzen sind weitgehend identisch mit der durch § 64 Abs. 1 GmbHG begründeten Außenhaftung des Geschäftsführers. Der Unterschied wird nur in zwei Fällen relevant. Der erste ist, dass die Haftung wegen c.i.c. nach dieser Auffassung keine Insolvenzverschleppung voraussetzt und schon vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist eingreift. Der zweite Unterschied liegt in der Zurechnung des Fehlverhaltens von Mitarbeitern. Wenn nämlich in den Geschäftsführer ein Solvenzvertrauen gesetzt wird, müsste er dafür Sorge tragen, dass auch die Mitarbeiter die eigentlich ihm obliegenden Informationen erteilen. Erteilen sie falsche Auskünfte, kann es konsequenterweise nicht gemäß § 166 Abs. 1 BGB auf ihr Wissen ankommen, selbst wenn die Mitarbeiter beispielsweise als Prokuristen eigenverantwortlich Verträge schließen. Vielmehr müsste § 278 BGB eingreifen, weil der Geschäftsführer die Mitarbeiter zur Erfüllung der Pflicht einschaltet2, die sich aus dem (angeblich) in seine Person gesetzten Vertrauen ergibt.
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Einer solchen Haftungsausweitung ist nicht zuzustimmen. Das einer großen Gesellschaft als Organisation entgegengebrachte Solvenzvertrauen kann nicht personifiziert werden3. Der Schritt wäre dann nicht mehr weit, um dies auf sämtliche Verkehrssicherungspflichten wie bspw. die Produkthaftung auszudehnen. Auch in diesem Bereich geht der Geschäftspartner nur davon aus, die GmbH sei so organisiert, dass ihre Geschäftstätigkeit keinen schädigt. Eine unmittelbare persönliche Haftung steht nicht im Einklang mit §§ 311 Abs. 3, 280, 282 BGB, der kein allgemeines Verkehrsvertrauen, sondern ein „im besonderen Maße“ in Anspruch genommenes Vertrauen voraussetzt4.
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Unabhängig von dem hier abgelehnten typisierten Vertrauen kann es natürlich zu einer Haftung gemäß § 311 Abs. 3 BGB führen, wenn besondere Erklärungen abgegeben werden. Das ist kein Spezifikum der Krisenhaftung, sondern begründet eine Haftungsgefahr bei jeder Form der Vertretung, sei sie nun organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Natur. Allerdings ist die Krise häufig Anlass für eine besondere Vertrauenswerbung. Dem Geschäftsführer und nicht der Organisation wird ein besonderes Vertrauen aber erst entgegengebracht, wenn er die Rolle des Vertreters deutlich verlässt und ein auf sich bezogenes Vertrauen in Anspruch nimmt5, das sich im Vorfeld einer Garantiezusage bewegt. Der Hinweis auf die eigene Kompetenz reicht nicht aus, besagt er doch nur, dass die Verpflichtungen als Organ besonders gewissenhaft erfüllt werden. Ein Verstoß führt allenfalls zur Innenhaftung. Geringere Anforderungen gelten
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Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 68. Wäre es anders, würde die Haftung mit zunehmender Organisationsgröße abnehmen. Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2210. S. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 163. Michalski/Haas, GmbHG, 2002, § 43 Rz. 312.
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§2
Rz. 138
Geschäftsführerberatung
allerdings, wenn der Gläubiger erkennbar mit Rücksicht auf das freund- oder verwandtschaftliche Verhältnis zum Geschäftsführer einen (Waren-)Kredit ausreicht. Oder wenn ein Geschäft gleichsam für Rechnung des Vertreters geführt wird1. Dafür reicht ein mittelbarer Vorteil kraft Beteiligung an der GmbH und/ oder als Kreditgeber der Gesellschaft nicht aus. Liegen hingegen die Ausnahmen vor, ist der Geschäftsführer verpflichtet, von sich aus über den Insolvenzgrund aufzuklären. 138
Außer aus culpa in contrahendo könnte sich eine persönliche Haftung auch aus § 242 BGB wegen eines Aufklärungverschuldens ergeben. Aufklärungspflichten bestehen immer dann, wenn nur einem Vertragsteil Umstände bekannt sind, die für die Erreichung des Vertragszwecks von wesentlicher Bedeutung sind und deren Mitteilung der andere Vertragsteil deshalb nach Treu und Glauben verlangen darf2. Dazu gehört auch die Aufklärung über eine Zahlungsunfähigkeit, wenn die Erfüllung einer nicht Zug-um-Zug abzuwickelnden Verbindlichkeit ernsthaft gefährdet ist. Die Aufklärungspflicht betrifft jedoch in erster Linie die GmbH als Verhandlungspartei, den Geschäftsführer nur unter den Voraussetzungen der c.i.c., so dass hieraus keine zusätzliche Haftung resultiert. Der Gläubiger wäre im übrigen auch nicht stärker geschützt als bei einem Eingehungsbetrug, dessen Straftatbestand ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist.
IX. Haftung für Kostenvorschuss gemäß § 26 Abs. 3 InsO 139
Das Insolvenzgericht weist einen Eröffnungsantrag ab, wenn die Kosten des Verfahrens nicht gedeckt sind, §§ 26 Abs. 1, 54 InsO (vgl. § 6 Rz. 130 ff.). Die Abweisung unterbleibt, wenn ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird (vgl. § 6 Rz. 126). Diesen Vorschuss muss jeder Geschäftsführer erstatten, der den Insolvenzantrag nicht rechtzeitig gestellt hat, § 26 Abs. 3 InsO3. Es kommt nicht darauf an, ob während des Verzögerungszeitraumes eine Masseschmälerung eingetreten ist. Ist streitig, ob der Geschäftsführer pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt hat, legt das Gesetz ihm die Beweislast auf. Zugunsten des vorschussleistenden Gläubigers wird also vermutet, dass der Antrag verspätet eingereicht wurde. In der Praxis kommt es vor, dass vorläufige Insolvenzverwalter den Gläubiger zu einem Massekostenvorschuss bewegen, der über die reine Verfahrenskostendeckung hinausgeht, um damit auch Abwicklungsarbeiten zu finanzieren. Auf diesen überschießenden Teil erstreckt sich die Haftung des Geschäftsführers nicht4.
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Michalski/Haas, GmbHG, 2002, § 43 Rz. 310. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 123 Rz. 5 f. OLG Hamm v. 10. 4. 2002 – 11 U 180/01, NZI 2002, 437 f. OLG Brdbg. v. 17. 1. 2002 – 8 U 53/01, ZIP 2003, 451.
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Haftung wegen Betruges, Untreue, Baugeldern, Alterssicherung
Rz. 143
§2
X. Haftung wegen Betruges, Untreue, Baugeldern, Alterssicherung Bei einer aktiven Täuschung des Geschäftspartners steht die straf- und damit auch zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers außer Frage. Für § 263 StGB (Betrug) reicht es aus, dass der Vermögensvorteil bei der Gesellschaft eintreten soll. Strafrechtlich beurteilt die Rechtsprechung eine Geschäftsfortführung auf Kredit bei erkannter Zahlungsunfähigkeit als Betrug, für den bedingter Vorsatz genügt1 (zur Betrugsstrafbarkeit des Geschäftsführers vgl. § 5 Rz. 24 f., 197 ff.). Je größer das Unternehmen jedoch ist, umso weniger ist der Geschäftsführer persönlich in den Abschluss von Verträgen eingebunden. Der Vorwurf kann dann nur noch in der Unterlassung organisatorischer Anweisungen bestehen, in der Krise keine neuen Verträge abzuschließen2. Ein Organisationverschulden hat der BGH im Baustoff-Urteil ausreichen lassen, um mit einer Garantenstellung die persönliche Haftung des Geschäftsführers für den Verlust von Eigentumsvorbehaltsware zu begründen3. Der Geschäftsführer müsse die Abläufe so organisieren, dass nicht gegen Verarbeitungs- bzw. Veräußerungsauflagen verstoßen und dadurch das Eigentum als abolutes Recht verletzt werde. Dieses Urteil ist auf erhebliche Kritik gestoßen, weil die Organisationpflichten den Geschäftsführer nur gegenüber der GmbH im Innenverhältni obliegen, nicht aber auch gegenüber dem einzelnen Gläubiger4.
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Im „Kirch“-Urteil hat der BGH diesen Schutzcharakter der Organisationspflicht wieder reaktiviert, allerdings mit der Besonderheit, dass es im Gegensatz zum Baustoffurteil um eine eigene Handlung des Vorstandsvorsitzenden ging, mit dem der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von Herrn Kirch, dessen Schutz der Deutchen Bank AG als Vertragspartnerin oblag, verletzt wurde5.
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Voraussetzung nach beiden Urteilen ist aber die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter, so dass eine deliktische Haftung wegen Betruges für Verträge, an deren Abschluss der Geschäftsführer nicht persönlich beteiligt war, nicht auf ein Organisationsverschulden gestützt werden kann. Ausreichend könnte aber die Überleitungsvorschrift des § 14 StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung zur Zurechnung des Handelns von Mitarbeitern der juristischen Person sein.
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Zivilrechtliches soll die Geschäftsleitung nach dem Herstatt-Urteil6 vor Ablauf der Antragsfrist nur unter besonderen Umständen verpflichtet sein, Geschäftspartner ungefragt auf die bedrohliche Lage hinzuweisen. Sie sei, heißt es dort,
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1 BGH v. 11. 12. 1997 – 4 StR 323/97, NJW 1998, 767, 769; OLG Düsseldorf v. 31. 3. 1999 – 12 U 176/97, NZG 1999, 944, 945. 2 Für eine Einordnung des Verhaltens als positives Tun: Schulze-Osterloh, FS für Lutter, 2000, S. 707, 713; zum Betrug durch Unterlassen: Nack in Müller-Gugenberg/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 47 Rz. 20 ff. 3 BGH v. 5. 12. 1989 – VI ZR 335/88, NJW 1990, 976. 4 Statt vieler: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2007, 1089; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, 211 ff. 5 BGH v. 24. 1. 2006 – XI ZR 384/03, ZIP 2006, 317 unter Rz. 125 ff. 6 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96.
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§2
Rz. 144
Geschäftsführerberatung
berechtigt, Sanierungschancen wahrzunehmen, selbst wenn dies mit der Gefahr einer Gläubigerschädigung verbunden ist. Dem wird man nur mit großer Zurückhaltung folgen können. Die Zulässigkeit von Sanierungsmaßnahmen während der Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG besagt nicht, dass dies auf Kosten der Gläubiger geschehen darf. Die Grenzen zum Eingehungsbetrug mit bedingtem Vorsatz sind schnell überschritten. 144
Ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB ist auch der Treuebruchtatbestand des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB1. Danach wird bestraft, wer die ihm obliegende Pflicht verletzt, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Ein Treueverhältnis besteht in erster Linie zur GmbH, wobei es Sache der Gesellschafter ist, die Grenzen festzulegen. Erfolgt ein Vermögensentzug im Einvernehmen mit oder gar auf Weisung von allen Gesellschafters, liegt keine Untreue vor2, soweit die Gesellschafter dispositionsbefugt sind. Ihre Dispositionsbefugnis wird jedoch durch die Kapitalerhaltungsgrundsätze3 und das Verbot eines existenzvernichtenden Eingriffs4 beschränkt. Damit ist ein schuldhafter Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot zugleich eine Untreue zulasten der Gesellschaft.
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Ein Treueverhältnis kann ausnahmsweise auch zu Dritten bestehen. Das kommt namentlich in den oben (Rz. 78 ff.) erörterten Fällen der Einräumung zweckgebundener Mittel in Betracht. Voraussetzung ist, dass die zweckentsprechende Verwendung wesentlicher Gegenstand des Vertrages ist, dem Geldgeber also in besonderem Maße daran gelegen ist5. Das kann sowohl bei öffentlichen Subventionen der Fall sein als auch bei privaten Darlehensgewährungen, die für die Begleichung konkret bezeichneter Schulden erfolgen. Eine Zweckvereinbarung allein führt jedoch noch nicht zu einer Untreue. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass der Geschäftsführer gerade die Vermögensinteressen des anderen zu betreuen hat6. Das mag z.B. bei einer Vermögensverwaltung der Fall sein, nicht aber bei der Vereinbarung eines Verwendungszwecks, die die Gesellschaft nicht nur im Interesse des Geldgebers trifft, sondern mit der sie vorrangig eigene Ziele verfolgt. Eine Untreue i.S.v. § 266 StGB, die über § 823 Abs. 2 BGB einen Schadensersatzanspruch des Geldgebers eröffnet, liegt nur vor, wenn die Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. Treubruchstatbestands bei § 266 StGB eine das Vertragsverhältnis zumindest mitbestimmende Hauptpflicht ist7. In der Regel ist das nicht der Fall, insbesondere auch nicht bei Subventionen, wenn nicht ausnahmsweise über den Subventionszweck hinausgehende Vermögensinteressen des Subventionsgebers zu beachten sind8. An1 2 3 4 5 6 7 8
BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817; dazu § 5 Rz. 198 ff. BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817, 2818. BGH v. 30. 6. 1958 – II ZR 213/56, BGHZ 28, 77, 78. BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874, 1875; BGH v. 13. 5. 2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200. BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874, 1879 f. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006, § 266 Rz. 23. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 266 Rz. 29. BGH v. 13. 5. 2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200 „Bremer Vulkan“. Dort auch zu den strafrechtlichen Aspekten des existenzvernichtenden Eingriffs; Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006, § 266 Rz. 26.
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Haftung wegen Betruges, Untreue, Baugeldern, Alterssicherung
Rz. 147
§2
ders verhält es sich, wenn von Dritten zur Verfügung gestellte Gelder als echtes1 Treugut behandelt wurden oder zumindest – wie bei einer Mietkaution2 – hätten behandelt werden müssen. Für Subventionen enthält das StGB in § 264 StGB eine Spezialnorm, die entgegen der Überschrift „Subventionsbetrug“ nicht nur die Beschaffung, sondern in Abs. 1 Nr. 2 auch die Verwendung betrifft. Sie kann jedoch nicht mehr eingreifen, wenn die Subventionsgelder schon in den Geldkreislauf des Unternehmens geflossen sind3. Vielmehr ist auf den Zeitpunkt der Überweisung des Subventionsgebers abzustellen4. Für Sozialabgaben (Arbeitnehmeranteil)5 fehlt es an einer solchen Eigenschaft als Treugut ebenso wie für die Lohnsteuer6, obwohl beides vom Lohn einbehalten wird. Das Gleiche gilt für ein Wertguthaben bei einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis7. Auch stellen weder § 7d Abs. 1 SGB IV8 (Verpflichtung zur Vereinbarung einer Insolvenzsicherung von Wertguthaben) noch tarifvertragliche Bestimmungen Schutzgesetze9 i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Arbeitnehmers dar. Für § 7d Abs. 1 SGB IV stützt das BAG seine Auffassung allerdings nur darauf, dass auch der Arbeitnehmer an Schutzmaßnahmen mitwirken muss, ein Umstand, der sich de lege lata schnell ändern könnte. Die Schutzlosigkeit des Arbeitnehmers scheint dem BAG auch nicht so recht zu behagen. Jedenfalls hat der 6. Senat, von dem sämtliche der hier erwähnten Entscheidungen stammen, seinem vorerst letzten Urteil zu dieser Problematik die Leitsätze vorangestellt, dass ein Geschäftsführer nach § 311 Abs. 3 BGB wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens oder wegen Betruges haftet, wenn er bei den Arbeitnehmern den Eindruck erweckt hat, er hätte Maßnahmen zur Absicherung des Insolvenzrisikos getroffen10. Ein Unbehagen des Gerichts drücken die Leitsätze insofern aus, als der Senat im konkreten Fall das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen ablehnte, und es ihm wohl eher um den Hinweis ging, künftig in den Tatsacheninstanzen dazu konkret vorzutragen. Das BAG scheint geneigt zu sein, eine als solche empfundene Haftungslücke durch c.i.c. bzw. durch eine deliktische Haftung wegen Betrugs zu schließen.
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Eine besondere Fallgruppe der Zweckbindung stellen die Baugelder gemäß § 1 des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen (GSB) dar. Das sind „Geldbeträge, die zum Zweck der Bestreitung der Kosten eines Baues in der Weise gewährt werden, dass zur Sicherung der Ansprüche des Geldgebers eine Hypothek oder Grundschuld an dem zu bebauenden Grundstück dient11 oder die
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1 Zu den Anforderungen: BGH v. 24. 6. 2006 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613. 2 LG München I v. 21. 9. 1990 – 3 Qs 8/90, NStZ 1991, 134. 3 Im „Bremer Vulkan“-Urteil waren DM 585 Mio. in das Cash-Pool-System des Konzerns eingeflossen, BGH v. 13. 5. 2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200. 4 Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 264 Rz. 26. 5 BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243. 6 BGH v. 22. 1. 2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513. 7 BAG v. 16. 8. 2005 – 9 AZR 470/04, ZIP 2006, 344 mit Bspr. von Baldringer, ZInsO 2006, 690 ff.; BAG v. 21. 11. 2006 – 9 AZR 206/06, ZIP 2007, 692. 8 BAG v. 13. 2. 2007 – IX AZR 106/06, DB 2007, 1690. 9 BAG v. 21. 11. 2006 – IX AZR 206/06, ZIP 2007, 692. 10 BAG v. 13. 2. 2007 – IX AZR 106/06, DB 2007, 1690. 11 Später beabsichtigte Eintragung der Grundschuld reicht: OLG Dresden v. 13. 9. 2001 – 19 U 346/01, BauR 2002, 486.
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§2
Rz. 148
Geschäftsführerberatung
Übertragung des Eigentums an dem Grundstück erst nach gänzlicher oder teilweiser Herstellung des Baus erfolgen soll“, § 1 Abs. 3 GSB. Werden die Mittel, wie es in der Krise beim „Löcher stopfen“ leicht passieren kann, nicht zur Befriedigung „solcher Personen, die an der Herstellung des Baues aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Lieferungsvertrages beteiligt sind“ (§ 1 Abs. 1 GSB), verwendet, ist das strafbar, § 5 GSB. Wegen dieser Sanktion wird § 1 Abs. 1 GSB als Schutzgesetz angesehen, und zwar zugunsten der Baubeteiligten1, obwohl die Zweckbindung nicht mit ihnen, sondern mit dem Kreditgeber vereinbart wurde. Zum Nachweis der Verwendung muss ein Baubuch geführt werden. Eine diesbezügliche Unterlassung ist ebenfalls strafbar, § 6 GSB. Zivilrechtliche Konsequenz ist, dass die Darlegungs- und Beweislast beim Geschäftsführer für die ordnungsgemäße Verwendung der Baugelder liegt2. Allerdings müssen die Beträge nicht gleichmäßig verteilt werden. Die einseitige Begünstigung eines Baubeteiligten begründet keine Haftung, solange das Geld überhaupt für Baubeteiligte verwendet wurde.
XI. Haftung für Sozialabgaben 1. Strafrechtliche Haftung 148
Die Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist gemäß §§ 266a, 14 Abs. 1 StGB strafbar (siehe § 5 Rz. 34 ff., 201 ff.). Der Tatbestand ist nach dem neu gefassten Wortlaut auch dann erfüllt, wenn keine Löhne oder Gehälter gezahlt werden3. Anders als für die Lohnsteuer ist nicht der Zufluss (§ 11 EStG) maßgebend, sondern ausreichend, dass der Arbeitnehmer beschäftigt wurde.
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Eine Strafbarkeit entfällt bei tatsächlicher Unmöglichkeit, wenn die Mittel zur Erfüllung der Verpflichtung gänzlich fehlen4 oder der Geschäftsführer über sie wegen einer vom Insolvenzgericht angeordneten Verfügungsbeschränkung nicht mehr disponieren darf5 (zu dieser Problematik vgl. ausführlich § 5 Rz. 37). Allerdings kommt es für die tatsächliche Unmöglichkeit nach der Rechtsprechung nicht nur auf den Zeitpunkt der Fälligkeit an. Eine Strafbarkeit soll laut BGH auch eingreifen, wenn bei einer sich abzeichnenden Liquiditätskrise nicht schon früher Vorsorge getroffen wurde, damit die Abgaben bei Fälligkeit bezahlt werden können.
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Soweit es das Verhältnis zur Massesicherungspflicht des § 64 Abs. 2 GmbHG betrifft, hält der 5. Strafsenat6 die Zahlungspflicht hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung wegen der Strafbewehrung für vorrangig. 1 BGH v. 24. 11. 1981 – VI ZR 47/80, BauR 1982, 193. 2 BGH v. 21. 3. 1994 – II ZR 260/92, ZIP 1994, 872; OLG Celle v. 29. 11. 2001 – 13 U 138/01, OLGR 2002, 95. 3 So schon bis zur Neufassung die Rechtsprechung: BGH v. 16. 5. 2000 – VI ZR 90/99, DB 2000, 1703, 1704 f. (sog. Lohnpflichttheorie): Gross/Schork, NZI 2004, 358 f. 4 BGH v. 18. 1. 2007 – IX ZR 176/05, ZIP 2007, 541. 5 Zur Beweislastverteilung BGH v. 11. 12. 2001 – VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 526. 6 BGH v. 9. 8. 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678; v. 30. 7. 2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; a.A. statt vieler: Gross/Schenk, NZI 2004, 358, 360.
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Haftung für Sozialabgaben
Rz. 152
§2
Daran ändere auch eine etwaige insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit nichts; denn strafbar mache sich auch derjenige, der während der Insolvenzverschleppung die Arbeitnehmeranteile nicht abführe, obwohl die Einzugsstelle die Zahlungsunfähigkeit kenne und deshalb die vereinnahmten Gelder nach Verfahrenseröffnung im Wege der Insolvenzanfechtung wieder auskehren müsse. Anders sei es nur während der Drei-Wochen-Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG; denn die Zulässigkeit der mit der geschäftsmännischen Sorgfalt übereinstimmenden Zahlungen gemäß Abs. 2 habe den Zweck, aussichtsreiche Sanierungsversuche zu privilegieren. Sie dürften aber nur innerhalb der maximal drei Wochen unternommen werden. Danach entfalle das Sorgfaltsprivileg. Im Umkehrschluss folgert der Strafsenat daraus, dass das Verbot der nicht für die Sanierung erforderlichen Zahlungen in diesen drei Wochen Vorrang habe. Während dieser Zeit sei die strafbewehrte Abführungspflicht für die Arbeitnehmeranteile unterbrochen. Anschließend sei dieser Verpflichtung wegen der Strafbewehrung jedoch wieder der Vorrang einzuräumen1. Der 5. Strafsenat geht mit dieser Entscheidung seinen eigenen Weg bei der Interpretation des § 64 GmbHG. Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass die beiden Absätze des § 64 GmbHG nach Auffassung des II. Zivilsenats selbständige Haftungstatbestände darstellen. Die Drei-Wochen-Frist ist nur in Abs. 1 zu lesen, während das Zahlungsverbot bereits mit Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes beginnt und über die Antragsfrist hinaus gilt. Stattdessen führt der Strafsenat aus: „Die aus § 64 Abs. 2 GmbHG hergeleitete Rechtfertigung knüpft nämlich nicht an die Insolvenzreife des Unternehmens an sich an, sondern privilegiert lediglich die noch aussichtsreichen Sanierungsversuche nach Eintritt der Krise“2. Mit dem Wortlaut der Vorschrift stimmt das nicht überein. Er knüpft eindeutig an die Insolvenzreife an, nicht aber an Sanierungsbemühungen. Das wird bei einer aussichtslosen Sanierung deutlich: Auch wenn die Geschäftsführer nur noch einen Insolvenzantrag – bspw. mit einem gleichzeitig eingereichten Insolvenzplan – vorbereiten wollen, sind masseerhaltende Zahlungen zulässig wie umgekehrt alle anderen Verfügungen untersagt. Dieses Verbot ist keineswegs auf drei Wochen begrenzt, sondern dauert fort, sogar über einen tatsächlich gestellten Insolvenzantrag hinaus, falls das Gericht nicht ohnehin Sicherungsmaßnahmen angeordnet hat.
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2. Zivilrechtliche Haftung Nach Auffassung des für das Haftungsrecht zuständigen VI. Zivilsenats3 trifft den Geschäftsführer eine Haftung selbst dann, wenn er mit der Abführung ge1 Ähnlich Michalski/Haas, GmbHG, 2002, § 43 Rz. 392. 2 BGH v. 30. 7. 2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213 ff., Beschlussgründe II1a cc); siehe dazu Rönnau, NJW 2004, 976 ff. 3 BGH v. 15. 10. 1996 – VI ZR 327/95, ZIP 1996, 1989, 1990; derselbe Konflikt stellt sich beim Subventionsbetrug in Form der zweckwidrigen Verwendung, § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB. In Konsequenz der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats müsste der Geschäftsführer verpflichtet sein, eine wegen der Krise nicht mehr zweckentsprechend einzusetzende Subvention zurückzuzahlen. Das ist jedoch trotz der vergleichbaren Problematik in der Praxis bisher zu Recht nicht relevant geworden.
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§2
Rz. 153
Geschäftsführerberatung
gen das Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 GmbHG verstoßen würde. Sie sei nicht wegen rechtlicher Unmöglichkeit ausgeschlossen, weil die strafrechtlich sanktionierte Abführungspflicht gegenüber dem gesellschaftsrechtlichen Masseerhaltungsgebot vorrangig sei. Etwas anderes gelte nur, soweit eine Zahlung im Wege der insolvenzrechtlichen Anfechtung wieder zurückgeholt werden könne1. 153
Demgegenüber hatte der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat in eigentlich gefestigter Rechtsprechung entschieden, ein deliktisches Verschulden „müsse“ verneint werden, wenn eine Zahlung gegen § 64 Abs. 2 GmbHG verstoße2. Nach Eintritt eines Insolvenzgrundes entspreche die Zahlung von Arbeitnehmeranteilen nicht mehr der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes i.S.d. § 64 Abs. 2 GmbHG, so dass der Geschäftsführer erstattungspflichtig sei. § 266a StGB begründet keinen Vorrang zugunsten der Sozialkasse3. Wertungsparallel räumt der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat den Sozialabgaben keine Sonderstellung bei der Insolvenzanfechtung ein4.
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Der Gesellschaftsrechtssenat hat seine Auffassung jedoch soeben aufgeben5. Er begründet das ausdrücklich nur mit der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des 5. Strafsenats. Zwar würden, wie der Vorsitzende des Gesellschaftsrechtssenats in einer Anmerkung ergänzt, nach wie vor „gute zivilrechtliche Gründe für seine Gesetzesinterpretation“ sprechen. Der Senat sei nur mit Rücksicht auf die durch eine Strafandrohung stark belasteten Organmitglieder umgeschwenkt6.
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Das vom GVG vorgesehene Prozedere hätte hingegen darin bestanden, an der besseren Rechtserkenntnis festzuhalten und den Vereinigten Großen Senat anzurufen, § 132 Abs. 3 GVG. Offenbar befürchtete man aber, dass die Mehrheit seiner Mitglieder wegen der dahingehenden Entscheidungspraxis nicht nur des 5. Strafsenats, sondern auch des VI. Zivilsenats den Schutz der Sozialversicherungsträger in den Vordergrund stellen würde.
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Die Konsequenz lautet nunmehr, dass Sozialabgaben gezahlt werden dürfen, ohne eine Haftung nach §§ 64 Abs. 2 GmbHG, 92 Abs. 3 GmbHG auszulösen – allerdings nur die Arbeitnehmeranteile. Für die Arbeitgeberanteile gilt das nicht, weil sie von § 266a StGB nicht erfasst werden.
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Durch die Änderung der Rechtsprechung des Gesellschaftsrechtssenats gibt es eine weitere in der Praxis wichtige Fallgruppe, bei der Geschäftsführerhaftung und Insolvenzanfechtung voneinander abweichen, obwohl beide denselben 1 BGH v. 14. 11. 2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80, 82; BGH v. 25. 10. 2001 – IX ZR 17/01, DStR 2002, 366, 367; v. 18. 4. 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; a.A.: OLG Stuttgart v. 11. 11. 2003 – 12 U 125/03, ZIP 2004, 129. 2 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 238. 3 BGH v. 18. 4. 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; OLG Zweibrücken v. 8. 6. 2005 – 8 U 159/04, OLGR 2005, 799. 4 BGH v. 8. 12. 2005 – IX ZR 182/01, ZIP 2006, 290; v. 3. 11. 2005 – IX ZR 35/05, ZIP 2005, 2217. 5 BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265. 6 Goette, DStR 2007, 1176, 1177.
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Haftung für Sozialabgaben
Rz. 161
§2
Zweck verfolgen. Vorsorglich sollten die Sozialversicherungsträger vor der Zahlung über den eingetretenen Insolvenzgrund informiert werden. Wegen der Kenntnis ist die Anfechtung relativ leicht durchsetzbar, so dass sich für den Geschäftsführer die Gefahr reduziert, für den Massekostenvorschuss eines Gläubigers gemäß § 26 Abs. 3 InsO zu haften. Außerdem reduziert die Anfechtung seine etwaige Haftung wegen eines Quotenschadens. Stehen erst im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr genügend Mittel zur Verfügung, hindert das die zivilrechtliche Haftung genausowenig wie die strafrechtliche, soweit die GmbH noch am Ende des Bemessungszeitraumes leistungsfähig war; denn er müsse eine realistische Liquiditätsplanung Vorsorge treffen und dürfe sich durch die Befriedigung anderer Gläubiger nicht selbst in die Situation der Unmöglichkeit versetzen1.
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Soweit Zahlungen getätigt werden, sollten die Arbeitnehmeranteile ausdrücklich als Verwendungszweck angegeben werden. Sonst werden sie gemäß § 4 BVV hälftig auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile verrechnet2. Für die unterlassene Zahlung der Arbeitgeberanteile besteht keine Haftung3, nach jetzigem Stand der Rechtsprechung auch nicht bei einer Insolvenzverschleppung über den Schutzgesetzcharakter des § 64 Abs. 1 GmbHG, weil die Sozialabgaben nicht in den Schutzbereich der Norm fallen (Rz. 49 ff.).
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Fraglich ist, ob bei einem Geschäftsführerwechsel der neue Geschäftsführer haftungsrechtlich für die bei Amtsbeginn schon fällig gewesenen Arbeitnehmeranteile verantwortlich ist. Das wurde abgelehnt für den Fall, dass der Nachfolger über keine Mittel verfügt, aus denen er die Rückstände begleichen kann4. Anders wird man nach der Auffassung des VI. Zivilsenats wohl entscheiden müssen, wenn er Mittel hat, die er dann vorrangig zur Bedienung der Arbeitnehmeranteile einsetzen muss5.
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Häufig bitten Geschäftsführer die Einzugsstelle unter Hinweis auf einen vorübergehenden Liquiditätsengpass, von Zwangsmaßnahmen abzusehen. Dieses Stillhalten werten sie dann als Stundung. Das ist ein Irrtum. Die Stundung bedarf einer ausdrücklichen Bewilligung, § 76 Abs. 2 SGB IV. Ohne sie ist der objektive Tatbestand des § 266a StGB weiterhin erfüllt. Ein Verbotsirrtum wird dem Geschäftsführer kaum zugebilligt werden können.
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1 BGH v. 9. 1. 2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 424; v. 25. 9. 2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127. 2 BGH v. 9. 1. 2001 – VI ZR 119/00, GmbHR 2001, 238, 239 m.w.N.; eine konkludente Tilgungsbestimmung reicht nur aus, wenn sie nach außen greifbar in Erscheinung tritt: BGH v. 26. 6. 2001 – VII ZR 111/00, GmbHR 2001, 721, 723. 3 Groß, ZIP 2001, 945, 948; zusammenfassend mit Nachw. in Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 96 Rz. 69; Bauer, ZInsO 2004, 645, 646. 4 BGH v. 11. 12. 2001 – VI ZR 123/00, GmbHR 2002, 208, 209 f. 5 So BFH v. 6. 9. 2004 – VII B 179/04, BFH/NV 2005, 227.
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§2
Rz. 162
Geschäftsführerberatung
XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung 162
Nach § 826 BGB muss der vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zugefügte Schaden ersetzt werden. Die Schwierigkeit mit Geschäften ab Eintritt des Insolvenzgrundes besteht darin, dass bedingter Vorsatz, also die billigende Inkaufnahme des Schadens, genügt1. Zwar reicht allein das Wissen um die Möglichkeit des Schadenseintritts (bewusste Fahrlässigkeit) nicht aus. Die Grenze zwischen dem bloßen Wissen und dem zusätzlichen Inkaufnehmen ist jedoch schwer zu ziehen. Wenn erst einmal der Insolvenzgrund eingetreten ist, scheitern die Sanierungen häufiger, als dass sie gelingen. Vor dieser Konsequenz kann keiner die Augen verschließen. Er muss sie also notgedrungen in Kauf nehmen. Die entscheidende Frage lautet, ob der Geschäftsführer das auch „billigend“ tut. Solange er in Anwendung kaufmännischer Sorgfalt noch mit einem Sanierungserfolg rechnen durfte, scheidet eine Haftung wegen § 826 BGB aus2. In der Herstatt-Entscheidung hatte der BGH sie mit folgender Begründung verneint: „Ein Verhalten, das nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG3 für einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter erlaubt oder sogar geboten ist, kann nicht gleichzeitig gegen die guten Sitten verstoßen“4. In dieser dem § 64 Abs. 1 GmbHG entsprechenden Vorschrift sieht der BGH ein Privileg für Sanierungsmaßnahmen. Erst wenn, so der BGH in der Herstatt-Entscheidung, ernste Zweifel an dem Gelingen eines Sanierungsversuchs bestehen, kann der Vorwurf sittenwidrigen Handelns erhoben werden, falls dies zugleich auf eigensüchtigen Beweggründen beruht5. Nach Ablauf der Sanierungsfrist entfällt aber jede Rechtfertigung, zumal „jede Sekunde“ ein Antrag gestellt werden muss, also gar keine Zeit mehr für die Erfüllung eines Kreditgeschäftes bleibt.
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Gesetzliche Gläubiger sind vom Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB nicht erfasst (s.o. Rz. 49 ff.). Die Lücke könnte durch eine Anwendung vom § 826 BGB geschlossen werden6. Hierbei darf aber nicht übersehen werden, dass die Folgen einer Insolvenzverschleppung speziell aus § 64 GmbHG i.V.m. 823 Abs. 2 BGB ergeben. Falls keine über die Tatsache des unterlassenen Insolvenzantrages hinausgehenden Umstände vorliegen, darf nicht auf den Auffangtatbestand des § 826 BGB zurückgegriffen werden7. § 826 BGB ist deshalb vor allem von Bedeutung für die Haftung von Personen, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 64 GmbHG fallen, so z.B. von Teilneh1 BGH v. 26. 6. 1989 – II ZR 289/99, NJW 1989, 3277, 3279; BGH v. 16. 3. 1992 – II ZR 152/91, ZIP 1992, 694; OLG Frankfurt v. 16. 2. 1999 – 24 U 112/97, NZG 1999, 947, 948. 2 BGH v. 18. 12. 2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361. 3 Entsprechend § 64 Abs. 1 GmbHG. 4 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 114. 5 Ähnlich Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rz. 63. 6 Vgl. BGH v. 26. 6. 1989 – II ZR 289/88, NJW 1989, 3277 zur Haftung für Insolvenzgeld. Da das Urteil vor der Rechtsprechungsänderung zum Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG 1994 ergangen ist, sind die Gründe nicht mehr ohne Weiteres auf die heutige Situation übertragbar, wenngleich dem Ergebnis nach wie vor zuzustimmen ist. 7 So zutreffend ArbG Offenbach v. 18. 10. 2001 – 1 Ca 387/00, ZIP 2002, 997; a.A. OLG Saarbrücken v. 21. 11. 2006 – 4 U 49/06 – 16, ZIP 2007, 328.
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Haftung wegen Existenzvernichtung
Rz. 164
§2
mern an einer Insolvenzverschleppung1 oder von Gesellschaftern2. Eine auf § 826 BGB gestützte Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Bundesagentur für Arbeit ist abzulehnen3, weil auch bei einem früheren Insolvenzantrag – wenngleich für einen anderen Zeitraum – Insolvenzgeld hätte gezahlt werden müssen, es sei denn, die Bundesagentur würde darlegen, dass z.B. bei Saisonkräften die Arbeitsverhältnisse schneller hätten beendet werden können4.
XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung Mit dem „Autokran“-Urteil aus dem Jahre 19855 hatte der BGH begonnen, Vorschriften des Aktienrechts über die Konzernhaftung auch auf den unternehmerisch tätigen beherrschenden GmbH-Gesellschafter analog anzuwenden. Nach unterschiedlichen Ausprägungen durch Folgeurteile hat er diese Rechtsprechung in der „Bremer Vulkan“-Entscheidung vom 17. 9. 20016 endgültig aufgegeben und durch eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs ersetzt. Die Anspruchsvoraussetzungen hat er seither in weiteren Urteilen präzisiert7. Relevant wurde die Haftung bisher kaum8. Kennzeichnend für die Existenzvernichtungshaftung war, dass es sich – wie schon bei der Haftung nach den überholten Grundsätzen des qualifiziert faktischen Konzerns – um eine unmittelbare Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber dem Gläubiger handelte. Mit Urteil vom 16. 7. 2007 hat der Gesellschaftsrechtssenat das Konzept einer eigenständigen Haftungsfigur wieder aufgegeben und die Haftung für eine missbräuchliche Schädigung des Gesellschaftsvermögens allein an § 826 BGB angeknüpft und als reine Innenhaftung ausgestaltet9. Sie steht in Anspruchskonkurrenz zur Haftung nach §§ 30 f. GmbHG und soll die Vermögensnachteile kompensieren, die von diesen beiden Vorschriften nicht genügend erfasst werden („Kollateralschaden“). Voraussetzung ist ein gezielter, betriebsfremden Zwecken dienender Entzug von Vermögenswerten, die die GmbH zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten benötigt, wobei die Konstellationen dieselben sind, die die Rechtsprechung bisher unter einer denkbaren Existenzvernichtungshaftung subsumierte. Deshalb behält der BGH den Terminus auch bei, aber eben nicht mehr als eigenständige Haftungsfigur, sondern als Fallgruppe des § 826 BGB. Für den subjektiven Tatbestand reicht dolus eventualis.
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BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. BGH v. 20. 9. 2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138. Sehmülling, ZIP 2007, 1095. BGH v. 18. 12 2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361; ebenso schon OLG Stuttgart v. 21. 11. 2006 – 4 U 49/06, ZIP 2007, 328. BGH v. 16. 9. 1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188 = BGHZ 95, 330. BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. Insbesondere BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250; BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848, Überblick bei Bork, KTS 2006, 39; Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 13 Rz. 98 ff. „KBV“-Urteil, BGH v. 24. 6. 2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578. BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802; Vorinstanz: OLG Rostock v. 10. 12. 2003 – 6 U 56/03, ZIP 2004, 118.
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164
§2
Rz. 165
Geschäftsführerberatung
165
Der Begriff der Existenzvernichtungshaftung steht für eine Verhaltenshaftung der Gesellschafter, wenn durch offene oder verdeckte Entnahmen die Schuldendeckungsfähigkeit der GmbH erheblich beeinträchtigt wurde. Die verdeckten Entnahmen können bspw. die Abwerbung von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen, interessanten Kundenverbindungen oder die Ausnutzung von Know-how der Gesellschaft sein1. All das sind Maßnahmen, die nicht unbedingt einer Mitwirkung des Geschäftsführers bedürfen2. In der Regel ist er an dem Vorgang jedoch beteiligt. Das gilt für die meisten bilanzneutralen (verdeckten) Entnahmen wie beispielsweise die Übertragung von lukrativen Verträgen auf die Gesellschafter, insbesondere aber für die offenen Entnahmen; denn die dafür erforderlichen Vermögensverfügungen können nur durch das Vertretungsorgan vorgenommen werden. Fast jede Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter geht also mit einer Geschäftsführerhaftung einher; denn dass er die Gesellschaft ebenfalls nicht vernichten darf, liegt auf der Hand.
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Für den Geschäftsführer löst ein existenzvernichtender Eingriff in der Regel neben der Haftung des § 43 Abs. 3 GmbHG insbesondere die Haftung des § 64 GmbHG aus3. Der Eingriff erfolgt – sonst wäre er kaum existenzvernichtend – zumindest an der Schwelle des Insolvenzgrundes. In der Regel wird der existenzvernichtende Eingriff die rechtliche Lebensfähigkeit der Gesellschaft sofort beenden, falls ein Insolvenzgrund nicht ohnehin schon längst vorliegt. Nicht umsonst ist die Haftung höchstrichterlich vor allem relevant geworden in einem Fall, in dem die Gesellschafter der GmbH während eines kurzen Zeitraumes das gesamte Vermögen entzogen hatten, so dass ein Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt werden musste. Die Beendigung der Gesellschaft habe, so der BGH, „in einem geordneten Verfahren zu erfolgen, in dem die Vermögenswerte der Gesellschaft zunächst zur Befriedigung ihrer Gläubiger zu verwenden sind“4. Die „kalte Liquidation“5, also die Auskehrung des Vermögens einer nicht mehr überlebensfähigen GmbH an die Gesellschafter zum Nachteil der Gläubiger, bleibt der typische Anwendungsbereich der Existenzvernichtungshaftung auch nach ihrer Einordnung in § 826 BGB. Im Zeitpunkt des Vermögensentzuges wird regelmäßig feststehen, dass die fälligen und/oder die künftig fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen werden können. Das eine ist die Zahlungsunfähigkeit, das andere die Überschuldung. In dieser Situation haftet der Geschäftsführer gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG auf den Ausgleich des Verfügungsnachteils und nach § 64 Abs. 1 GmbHG auf den Ausgleich eines darüber hinausgehenden Quotenschadens. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Insolvenzgrund erst eine „juristische Sekunde“ nach der Vermögensverfügung eintrete und sogar erst nach einer zwei1 Vgl. den – allerdings unter § 826 BGB subsumierten – Sachverhalt bei BGH v. 20. 9. 2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138 sowie die Beispiele bei Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 93 f. 2 Wobei höchst fraglich ist, ob es für eine solche Schädigung der Existenzvernichtungshaftung bedarf. Zu Recht wird in der Literatur auf die Treuepflicht hingewiesen, Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 410. 3 Nassall, ZIP 2003, 969 ff. 4 BGH v. 24. 6. 2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578, 1580. 5 Röhricht, RWS-Forum 25, Gesellschaftsrecht 2003, 1, 3.
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Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO
Rz. 168
§2
ten „juristischen Sekunde“ die Insolvenzantragspflicht beginne. Der durch § 64 Abs. 2 GmbH bezweckte Schutz der insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze erfasst auch den Fall, dass durch eine Maßnahme der Insolvenzgrund herbeigeführt wird; denn dem Vermögensentzug geht eine Vereinbarung mit den Gesellschaftern voraus, sei es in Form eines Vertrages, sei es in Form einer Verteilungsabrede. Ab diesem Zeitpunkt weiß der Geschäftsführer, dass die Gesellschaft nicht mehr fortführungsfähig ist. Er muss also unverzüglich einen Inolvenzantrag stellen und darf nicht unter Verstoß gegen den insolvenzrechtlichen Verteilungsmodus durch den Vollzug der Vereinbarung zunächst vollendete Tatsachen schaffen und erst dann zum Insolvenzgericht gehen. Die Anknüpfung der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters nach der neuen Rechtsprechung allein an § 826 BGB bedeutet für den Geschäftsführer, auf den § 826 BGB neben § 64 GmbHG anwendbar ist, nur einen u.U. späteren Verjährungseintritt. Zwar beträgt die BGB-Frist drei Jahre, § 195 BGB. Sie beginnt aber erst nach Kenntnis des Anspruchsinhabers, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, während die fünf Jahre der §§ 64 Abs. 2, 43 Abs. 4 GmbHG unabhängig von der Kenntnis laufen. Deutlicher soll die Haftung künftig in einem neuen Satz 3 des § 64 Abs. 2 GmbHG zum Ausdruck kommen, der durch das „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ in der Fassung des Regierungsentwurfs vom 23. 5. 2007 angefügt werden soll. Danach haftet der Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, die die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen mussten. Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Ergänzung überflüssig, soweit der Insolvenzgrund mit der Vermögensverlagerung auf die Gesellschafter eintritt. Nur in den Fällen, in denen ein Insolvenzgrund erst mit Verzögerung auftritt, und das auch noch die nahezu zwingende Konsequenz („herbeiführen musste“) der Vermögensverlagerung ist, kommt der Ergänzung in den Existenzvernichtungsfällen eine eigenständige Bedeutung zu. Das wird in der Praxis sehr selten sein. Deshalb liegt die Bedeutung des Satzes 3 in der MoMiG-Fassung auch eher bei der Tilgung von Gesellschafterdarlehen, die künftig nicht mehr der Eigenkapitalersatzbindung unterliegen sollen.
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XIV. Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO Der Geschäftsführer haftet gemäß §§ 69, 34 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) –
infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung
–
nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt
–
oder erfüllt werden
–
bzw. Steuervergütungen oder -erstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
Nach § 34 AO hat der Geschäftsführer als Vermögensverwalter sämtliche Pflichten der GmbH zu erfüllen. Insbesondere die Steuererklärungs- und die Spliedt
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§2
Rz. 169
Geschäftsführerberatung
Steuerentrichtungspflichten gehören dazu, § 34 Abs. 1 Satz 2 AO. Allerdings wird der Geschäftsführer dadurch nicht zum Steuerschuldner. Soweit der Gesellschaft die Entrichtung der Steuern nicht möglich ist, weil ihr die Mittel fehlen1 oder sie wegen der Insolvenz darüber nicht mehr verfügen darf2, trifft den Geschäftsführer keine Ausfallhaftung. Dasselbe gilt für die Steuererklärungspflicht, soweit zu ihrer Erfüllung die Hilfe Dritter erforderlich ist, die die Gesellschaft bei rechtzeitiger Auftragserteilung nicht mehr zu vergüten in der Lage war. Anders ist es bei einfachen Sachverhalten, deren Erledigung von einem ordentlichen Geschäftsführer ohne Hilfe Dritter verlangt werden kann3.
1. Grundsatz der anteiligen Tilgung a) Bedeutung 169
Die besondere Haftungsgefahr liegt darin, dass die Gesellschaft finanziell nur selten gänzlich außerstande ist, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Bis dahin gilt nach vorherrschender Ansicht der Grundsatz der anteiligen Tilgung4. Der Anteil richtet sich nach dem Verhältnis der tatsächlich verwendeten Zahlungsmittel – also nicht des gesamten verwendbaren Mittelbestandes – zu den fälligen Gesamtverbindlichkeiten. Es gibt keine „Meistbegünstigungsklausel“ dahin gehend, dass der Geschäftsführer die Steuerschulden in derselben Höhe zu erfüllen hat, in der er andere Gläubiger befriedigt. Belaufen sich beispielsweise die Verbindlichkeiten auf 10 Mio. Euro und wurden Zahlungen von 0,5 Mio. Euro geleistet, kann der Fiskus nach diesem Grundsatz ebenfalls 5% beanspruchen5. Dabei muss die Liquidität nicht aus dem eigenen Vermögen der GmbH stammen. Vielmehr reicht es aus, dass sie von Dritten – z.B. Bank, Gesellschafter – zur Verfügung gestellt wird6.
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Der Grundsatz der anteiligen Tilgung stammt aus der Zeit der Konkursordnung, als die Zahlungsunfähigkeit erst eintrat, wenn die ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Wesentlichen nicht mehr bedient werden konnten7. Damit bildete nicht schon jede Unterdeckung einen Insolvenzgrund. Demgegenüber verzichtet § 17 InsO auf die Merkmale des ernsthaften Einforderns und der Wesentlichkeit. Vielmehr reicht jenseits einer Bagatellgrenze von 10% jede Unterdeckung aus (s. § 1 Rz. 73 ff.). Damit sind die Voraussetzungen, unter denen das Gebot der anteiligen Tilgung eingreift, meist identisch mit denen der Zahlungsunfähigkeit, es sei denn, dass es sich um einen vorübergehenden Liquiditätsengpass in Form der Zahlungsstockung handelt. Solange das der Fall
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BFH v. 16. 9. 1987 – X R 3/81, GmbHR 1988, 278. BFH v. 17. 11. 1992 – VII R 13/92, GmbHR 1993, 681. BFH v. 12. 5. 1992 – VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785, 786. BFH v. 18. 8. 1999 – VII B 106/99, GmbHR 2000, 392, 394; BFH v. 28. 3. 2001 – VII B 213/00, GmbHR 2001, 786, 789; v. 28. 6. 2006 – VII B 267/05, GmbHR 2006, 1062. 5 BFH v. 12. 6. 1986 – VII R 192/83, GmbHR 1987, 283, 284; BFH v. 16. 9. 1987 – X R 3/81, GmbHR 1988, 278, 279; BFH v. 14. 7. 1987 – VII R 188/82, GmbHR 1987, 445, 446. 6 BFH v. 28. 6. 2006 – VII B 267/05, GmbHR 2006, 1062. 7 Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 102 Anm. 2a.
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Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO
Rz. 173
§2
ist, wird die Haftung aber ohnehin nicht relevant; denn die Steuern können nach Beseitigung des Liquiditätsengpasses bezahlt werden. b) Kollision mit § 64 Abs. 2 GmbHG Im Regelfall kollidiert der Grundsatz der anteiligen Tilgung also stets mit dem Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 GmbHG. Trotzdem hat nach Auffassung des BFH der objektive Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 AO Vorrang. Die Pflichtenkollision könne allenfalls beim Verschulden berücksichtigt werden1, das der BFH aber nur während der drei Wochen des § 64 Abs. 1 GmbHG ab Kenntnis des Insolvenzgrundes zu verneinen bereit ist2, wobei dann allerdings wieder zu prüfen ist, ob der Geschäftsführer schon vorsorgend hätte tätig werden müssen3 (s. u. zur Vorsorge bei tatsächlicher Unmöglichkeit). Umgekehrt ließ der II. Zivilsenat des BGH bis zu einer Änderung seiner Rechtsprechung im Mai 2007 die gesellschaftsrechtliche Haftung ebenfalls nicht entfallen. Selbst die Sorgfaltsausnahme des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG sollte nicht eingreifen, wenn die Zahlung erforderlich sei, um sich einer persönlichen Haftung zu entziehen4 (Rz. 86).
171
Damit befand sich der Geschäftsführer in einem ähnlichen Dilemma wie bei den Sozialabgaben (Rz. 86). Haas u.a.5 wollen den Vorrang ähnlich der Auffassung des 5. Strafsenats zu den Sozialabgaben (Rz. 86) auf die Zeit bis zum Ablauf der Insolvenzantragsfrist beschränken; denn anschließend hätte sich der Geschäftsführer durch eigenes pflichtwidriges Verhalten in den zwischen § 69 Satz 1 AO und § 64 Abs. 2 GmbHG bestehenden Zielkonflikt gebracht, so dass die steuerliche Haftung gerechtfertigt sei. Dem ist nicht zu folgen. Die angebotene Begründung ist eine petitio principii, besagt sie doch nur, dass der Geschäftsführer rechtswidrig weiterhin sowohl gegen gesellschafts- als auch steuerrechtliche Vorschriften verstößt. Für das Verhältnis der beiden Haftungstatbestände folgt daraus nichts. Vor wie nach der Insolvenzverschleppung gilt § 64 GmbHG, dessen Abs. 2 jegliche „Zahlungen“ verbietet.
172
In dem oben (Rz. 86) für die Sozialabgaben erwähnten Urteil hat der Gesellschaftsrechtssenat des BGH seine bis dahin als gefestigt angesehene Rechtsprechung vom Vorrang der Massesicherungspflicht des § 64 Abs. 2 GmbHG aufgegeben. Dem organschaftlichen Vertreter könne es nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht zu erfüllen „und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. Sein die entsprechenden sozial- und steuerrechtlichen Vorschriften befolgendes Verhalten muss deswegen … als mit den
173
1 BFH v. 20. 4. 1993 – VII R 67/92, NV 1994, 142, 144. 2 BFH v. 27. 2. 2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604; v. 4. 7. 2007 – VII B 268/06; v. 19. 9. 2007 – VII R 39/07, BFH/NV 2008, 18. 3 BFH v. 4. 12. 2007 – VII R 18/06. 4 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235, 238; siehe dazu Sontheimer, DStR 2004, 1005 ff. 5 Michalski/Haas, GmbHG, 2002, § 43 Rz. 369; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, 191 f.; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl. 2006, § 69 Anm. 59.
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§2
Rz. 174
Geschäftsführerberatung
Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar angesehen werden“1. 174
Über die Tragweite des Urteils für Zahlungen an den Fiskus herrscht noch Unklarheit; denn die vom Senat angeführte Begründung deckt nicht das Ergebnis. Das Urteil bezieht sich ausdrücklich auf die Haftung gemäß §§ 69, 34 AO. Sie ist jedoch kein Straftatbestand. Einen mit den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, deren Abführung an § 266a StGB strafbewehrt ist, vergleichbaren Konflikt gibt es somit bei den Steuerschulden nicht.
175
Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers besteht nur, soweit die GmbH unter Berücksichtigung des Gebots zur anteiligen Tilgung tatsächlich noch zahlungsfähig war. Eine in dem gebotenen Umfang erfolgende Zahlung ist keine Verletzung des § 64 Abs. 2 GmbHG. Eine bereits eingetretene Haftung darf aber wohl nicht durch spätere Zahlungen aus dem restlichen Mittelbestand wieder beseitigt werden. Natürlich wird der Geschäftsführer nicht mit jeder Überweisung an einen Gläubiger auch einen bestimmten Prozentsatz an den Fiskus abführen. Das geschieht vielmehr mit Verzögerung. Ob es sich noch um eine nach der geänderten Auffassung des II. Zivilsenats erlaubte Vermeidung der Haftung oder um die Beseitigung der schon eingetretenen Haftung handelt, ist nur durch eine wertende Betrachtung festzustellen. Ein Indiz könnte der zeitliche Zusammenhang sein, der anfechtungsrechtlich noch für ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO ausreicht.
176
So können beispielsweise verspätete oder falsche Steuererklärungen eine persönliche Haftung begründen, wenn die Gesellschaft bei gewöhnlichem Verlauf der Bearbeitung die Steuer noch hätte entrichten können2. Die verdeckte Gewinnausschüttung, die ein Fremdgeschäftsführer in der Vergangenheit seinem Mehrheitsgesellschafter zugutekommen ließ, um die nächste Vertragsverlängerung zu erhalten, wird plötzlich zur steuerlichen Haftungsfalle, wenn die dadurch bei richtiger Steuererklärung ausgelöste Körperschaftsteuer von der GmbH noch hätte bezahlt werden können. Entscheidet sich der Geschäftsführer nach Eintritt des Insolvenzgrundes, diese Haftung durch eine Zahlung an das Finanzamt noch schnell zu beseitigen, ist das ohne Verstoß gegen die Masseerhaltungspflicht nicht mehr zulässig.
2. Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht 177
Die Unmöglichkeit der Erfüllung durch die Gesellschaft ist eine Ausnahme von § 69 AO. Deshalb ist es Aufgabe des Geschäftsführers darzulegen, dass keine oder nur quotale Zahlungen möglich waren3. Ihn treffen gemäß §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 AO Mitwirkungs- und Auskunftspflichten, bei deren Verletzung das Finanzamt die Haftsumme schätzen kann4. Im Gegensatz dazu hat der BGH bei der Haftung für Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung dem Sozialversicherungsträger die Darlegungs- und Beweislast für die Möglichkei1 2 3 4
BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, Hervorh. v. Verf. BFH v. 29. 11. 2006 – I R 103/05, juris. BFH v. 18. 8. 1999 – VII B 106/99, GmbHR 2000, 392, 394. BFH v. 6. 9. 2004 – VI B 179/04, BFH/NV 2005, 227.
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Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO
Rz. 180
§2
ten normgemäßen Verhalts auferlegt, während dem Geschäftsführer nur eine sekundäre Darlegungslast treffen soll1. Da eine Haftung nach § 69 AO nur besteht, soweit im maßgebenden Zeitpunkt die GmbH zur Zahlung in der Lage gewesen wäre, stellt sich die Frage, ob der Geschäftsführer wenigstens gehalten ist, auf die Interessen des Fiskus Rücksicht nehmen, indem er neue Steuerschulden möglichst gering hält. In diesem Sinne verlangte der BFH früher, Verträge so zu gestalten, dass die daraus resultierenden Steuern bezahlt werden können2. Relevant war das vor allem bei umsatzsteuerlichen Wahlrechten, wenn beispielsweise bei Grundstücksgeschäften gemäß §§ 9, 4 Nr. 9a, 12 UStG zur Umsatzsteuer optiert wurde, ohne dass die Entrichtung der daraus resultierenden Steuer sichergestellt war. Von einer solchen Rücksichtnahmepflicht hat der BFH inzwischen Abstand genommen3. In der Entscheidung ging es um die Haftung eines Insolvenzverwalters, der die aus der Optionsausübung resultierende Steuer nicht entrichten konnte, weil der gesamte Kaufpreis an die Grundpfandrechtsgläubigerin floss. Wegen Masseunzulänglichkeit konnte die Steuer auch aus dem sonstigen Vermögen nicht aufgebracht werden. Allein die Wahl der Umsatzbesteuerung begründete keine Haftung des Verwalters. Er hätte aber, so der BFH, mit der Gläubigerin eine Vereinbarung über die Pfandfreigabe des auf die Umsatzsteuer entfallenden Erlöses verhandeln müssen. Das hätte er pflichtwidrig unterlassen. Deshalb sei die maßgebliche Haftungsnorm § 61 InsO und nicht §§ 69, 34 AO.
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Auf die Geschäftsführerhaftung wird sich diese Verhandlungspflicht nur auswirken, soweit es um die tatsächliche Unmöglichkeit geht. Ob auch bei ihm unterstellt werden kann, dass der Grundpfandrechtsgläubiger den Steuerbetrag freigegeben hätte, ist äußerst fraglich. Jedenfalls bei der Gestaltung des Kaufvertrages (Ausübung der Option) muss der Geschäftsführer auf fiskalische Interessen genauso wenig Rücksicht4 nehmen wie im Urteilsfall der Insolvenzverwalter.
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Ist die Steuer noch nicht fällig, soll der Geschäftsführer nach der Rechtsprechung dafür Sorge tragen, dass im Fälligkeitszeitpunkt ausreichend Mittel vorhanden sind5. Damit wird die Haftung auf den Zeitpunkt vorverlagert, zu dem der Geschäftsführer die Verbindlichkeit kennt. Dieselbe Verpflichtung soll für Sozialabgaben eingreifen6 (Rz. 149).
180
1 BGH v. 8. 4. 2004 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026. 2 BFH v. 5. 2. 1985 – VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2, 4 ff.; BFH v. 9. 1. 1997 – VII R 51/96, DStRE 1997, 523. 3 BFH v. 28. 11. 2002 – VII R 41/01, ZIP 2003, 582. 4 BFH v. 7. 9. 2007 – VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl. 2006, § 69 Rz. 55. 5 BFH v. 4. 12. 2007 – VII R 18/06; v. 19. 9. 2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; v. 5. 6. 2007 – VII R 19/06, BFH/NV 2007, 2225; v. 7. 9. 2007 – VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16; v. 3. 5. 1990 – VII R 108/88, BStBl. II 1990, 767; BFH v. 26. 4. 1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776, 777. 6 BGH v. 25. 9. 2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127.
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§2
Rz. 181
Geschäftsführerberatung
3. Abzugsteuer 181
Eine Besonderheit gilt nach herrschender Auffassung für die Lohnsteuer (zu dieser ausführlich § 11 Rz. 185 ff.). Hier sind der Nettolohn und die Lohnsteuer mit derselben Quote zu bedienen1. Die „bloße Erwartung“2 einer Liquiditätsverbesserung hindert die Haftung nicht. Der Grund für diese Sonderbehandlung ist am ehesten darin zu sehen, dass sich die Höhe der Lohnsteuer nach dem Zufluss beim Arbeitnehmer bemisst, § 11 EStG, es mithin nicht nur um die anteilige Befriedigung einer bestehenden Steuerschuld, sondern um die mit der Lohnzahlung unmittelbar verbundenen Begründung der Steuerschuld geht. Andere Abzugsteuern wird man ebenso behandeln müssen. Das gilt bspw. für die Kapitalertragsteuer (§ 43 ff. EStG), die Bauabzugsteuer (§ 48 EStG) (vgl. § 11 Rz. 202 ff.) oder den Steuerabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50a EStG). Zur Begründung wird häufig auf den angeblichen Treuhandcharakter der Abzugsteuer verwiesen3. Ein dinglich wirkendes Treugut stellt sie jedoch nicht dar4 (oben Rz. 147), da es sich um eine rein steuerschuldrechtliche Verpflichtung handelt. Allerdings hat der Geschäftsführer es in der Hand, den Abzugstatbestand zu begründen. Leistet er keine Zahlung an den Gläubiger, entsteht auch keine Quellensteuer. Wird hingegen Zahlung geleistet, darf sich der Geschäftsführer nicht darauf berufen, dass insgesamt nur dieser Betrag zur Verfügung gestanden hätte und bei einer anteiligen Berechnung z.B. auch die Lohnsteuer geringer gewesen wäre5.
4. Vorsteuerkorrektur 182
Eine besondere Haftungsgefahr in der Krise ergibt sich aus § 17 Abs. 2 UStG (vgl. § 11 Rz. 222 ff.). Danach sind u.a. in Anspruch genommene Vorsteuern zu erstatten, soweit die vorsteuerbelastete Verbindlichkeit nicht bezahlt werden kann. Das ist mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Fall. In der Umsatzsteuervoranmeldung ist die Vorsteuerkorrektur zu berücksichtigen (zur Umsatzsteuer vgl. § 11 Rz. 214 ff.). Geschieht das nicht und wird deshalb eine Vorsteuer ohne Verrechnung mit dem eigentlich gebotenen Korrekturbetrag erstattet, kommt eine Haftung des Geschäftsführers für die fehlerhafte Umsatzsteuervoranmeldung in Betracht.
1 BGH v. 26. 7. 1988 – VII R 83/87, GmbHR 1989, 94, 95; BFH v. 23. 6. 1998 – VII R 4/98, DStR 1998, 1423, 1424; BFH v. 9. 1. 1996 – VII B 189/95, GmbHR 1997, 139. 2 BFH v. 9. 12. 2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610. 3 BFH v. 20. 4. 1982 – VII R 96/79, BStBl. II 1982, 521, 522; Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl. 2003, § 69 Rz. 28. 4 Vgl. allgemein zum insolvenzrechtlichen Treuhandcharakter von abführungspflichtigen Geldern: BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613, 1614 ff.; BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1404 f.; BAG v. 24. 9. 2003 – 10 AZR 640/02, ZIP 2004, 124, 127 f. 5 BFH v. 19. 9. 2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18.
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Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO
Rz. 185
§2
5. Geschäftsführerwechsel Bei einem Geschäftsführerwechsel muss der neue Geschäftsführer die von seinem Vorgänger noch nicht erledigten Pflichten erfüllen. Die beim Amtsantritt vorgefundenen Steuerschulden müssen alsbald getilgt werden. Reichen die Mittel nicht aus, greift der Grundsatz der anteiligen Tilgung und bei der Lohnsteuer möglicherweise – insofern ist das nachgenannte Urteil missverständlich – auch die der anteiliegenden Kürzung unter Berücksichtigung der Lohnsteuerrückstände, die bereits in der Amtszeit des Vorgängers angefallen sind1. Außerdem ist der neue Geschäftsführer gemäß §§ 153, 34 AO verpflichtet, falsche Steuererklärungen seines Vorgängers zu korrigieren, wenn ihm die Fehler innerhalb der Festsetzungsfrist bekannt werden. Tut er das nicht und gerät die Gesellschaft später in die Krise, haftet er für den Betrag, der bei rechtzeitiger Korrektur von der GmbH noch hätte gezahlt werden können.
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Für die Haftung aus dem Steuerschuldverhältnis gilt ebenso wie bei den vergleichbaren Haftungstatbeständen in der Krise die Gesamtverantwortung des Vorstandes, wobei eine klare und eindeutige Ressortzuweisung2 solange einer Haftung entgegensteht, solange es keine Veranlassung gibt, an der Ordnungsmäßigkeit der Ressortgeschäftsführung zu zweifeln. Bis dahin werden dem Geschäftsführer Fehler der anderen Ressortleiter nicht zugerechnet. Gleiches gilt auch für Mitarbeiter im eigenen Ressort des für die steuerlichen Angelegenheiten zuständigen Geschäftsführers, sofern er die Mitarbeiter hinreichend überwacht3.
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6. Kausalität In all den Fällen ist Voraussetzung für eine persönliche Haftung stets die Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Steuerausfall. So wie es bei den Sozialabgaben nach Auffassung der Zivlsenate – a.A. die Strafsenate – des BGH an der Kausalität fehlt, wenn ein Insolvenzverwalter die Zahlungen anfechten könnte, fehlte es nach der ursprünglichen Rechtsprechung des BFH auch bei der steuerlichen Haftung an der Kausalität; denn der Steuerausfall wäre auch bei pflichtgemäßen Verhalten nicht vermieden worden4. Eine bloß theoretische Anfechtbarkeit reichte jedoch nicht aus. Vielmehr mussten die Tatbestandsvoraussetzungen konkret vorliegen, wozu bei der Deckungsanfechtung gemäß § 130 InsO insbesondere die Kenntnis des Finanzamtes von der Zahlungsunfähigkeit bzw. den sie begründenden Umständen gehört5. Davon hat der BFH nunmehr in einer Kette von Entscheidungen aus 2007 Abstand genommen. Der Schutzzweck des § 69 AO verbiete die Berücksichtigung einer 1 BFH v. 9. 12. 2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610. 2 BFH v. 31. 10. 2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274. 3 BFH v. 7. 11. 2006 – VII B 29/06, BFH/NV 2007, 399; v. 30. 5. 2005 – VII S 27/04, BFH/NV 2005, 1487; FG Münster v. 16. 11. 2006 – 8 K 2598/04 u. v. 16. 11. 2006 – 8 K 2601/04. 4 BFH v. 10. 5. 2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610; v. 9. 12. 2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610; FG Berlin v. 27. 2. 2006 – 9 K 9114/05, ZIP 2006, 1444; a.A. FG Münster v. 16. 12. 2006 – 8 K 2598/04. 5 BFH v. 10. 5. 2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610.
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§2
Rz. 186
Geschäftsführerberatung
hypothetischen Anfechtbarkeit, weil das Finanzamt die Anfechtungsvoraussetzungen nur schwer prüfen könne und deshalb die Effizienz der Haftungsvorschrift gefährdet sei1. Bei der Lohnsteuer kommt hinzu, dass der BFH sie möglicherweise als Arbeitslohn und damit als Leistung an den Arbeitnehmer ansieht, so dass sie bei püntklicher Zahlung wegen des Bargeschäftscharakters nicht anfechtbar ist. Eine endgültige Entscheidung dieser Rechtsfrage hat er bisher offen gelassen2. Da der Insolvenzrechtssenat des BGH ein Bargeschäft verneint3, müsste die Sache erst dem gemeinsamen Senat vorgelegt werden. Für die Beratungspraxis ist jedoch zu empfehlen, das Finanzamt über den Insolvenzgrund vor der Fälligkeit zu informieren, so dass eine Haftung an der Kausalität scheitert.
XV. Haftung bei anderen Gesellschaftsformen 186
Die für die GmbH dargestellte Haftung trifft im Wesentlichen auch auf die Vertretungsorgane anderer beschränkt haftender Gesellschaften zu. Zwar stellt z.B. § 93 Abs. 1 AktG für die Verlustanzeige und in der Folge auch für die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung darauf ab, dass sich der Verlust bei der Aufstellung eines Jahresabschlusses oder einer Zwischenbilanz ergibt. Daraus folgert die bisher herrschende Meinung unter Bezugnahme auf das „Herstatt“-Urteil des BGH4, dass es für den Beginn der Insolvenzantragspflicht bei der AG auf die positive Kenntnis und nicht, wie bei der GmbH, auf die Erkennbarkeit ankommt5. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Drei-Wochen-Frist des § 92 Abs. 2 AktG eine Sanierungsfrist sei, die erst nach Kenntnis des Insolvenzgrundes genutzt werden könne. Das ist bei der GmbH jedoch nicht anders. Ein Unterschied zwischen der AG und der GmbH ist nicht gerechtfertigt6, wovon jüngst auch der BGH ausgegangen ist, ohne die unterschiedlichen Gesetzesformulierungen zu problematisieren7.
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Eine weitere Formulierungsabweichung gegenüber § 64 Abs. 2 GmbHG enthält § 130a Abs. 3 HGB, der auf Personengesellschaften ohne beschränkt haftende Gesellschafter Anwendung findet. Danach ist der Geschäftsführer nicht zum Ersatz der seit Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteten Zahlungen verpflichtet, sondern nur zum Ersatz des aus den geleisteten Zahlungen resultierenden Verlustes. Diese Formulierung hat die oben (Rz. 88) dargestellte Literaturmeinung als Beleg dafür herangezogen, dass die von ihr vertretene Saldotheorie dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Der BGH hat jedoch kürzlich
1 BFH v. 5. 6. 2007 – VII R 65/05, ZIP 2007, 1856; v. 5. 6. 2007 – VII R 30/06, BFH/NV 2008, 1; v. 19. 9. 2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; v. 4. 12. 2007 – VII R 18/06. 2 BFH v. 9. 12. 2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610; v. 10. 5. 2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610. 3 BGH v. 22. 1. 2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513. 4 BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823. 5 OLG Frankfurt v. 18. 8. 2004 – 23 U 170/03, NZG 2004, 1157; OLG Koblenz v. 5. 11. 2004 – 5 U 875/04, ZIP 2005, 211. 6 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 92 Rz. 9. 7 BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265.
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Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften
Rz. 190
§2
klargestellt, dass der Ersatzanspruch laut § 130a Abs. 3 HGB dem des § 64 Abs. 2 GmbHG entspricht1. Anders verhält es sich für den Idealverein. § 42 Abs. BGB räumt den Neugläubigern nur einen Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse und den Altgläubigern einen solchen auf die Quotenverminderung ein. Von der Erstattung sämtlicher seit dem Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteter Zahlungen ist dort keine Rede. Das ist für einen Idealverein auch angemessen, weil die Auszahlungen meist nur aus laufenden Mitgliedsbeiträgen stammen, die im Insolvenzverfahren nicht eingezogen werden können, weil die Mitglieder wegen der Nichterreichbarkeit des Vereinszwecks fristlos den Austritt erklären würden.
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XVI. Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften Juristische Personen erlangen ihre Rechtsfähigkeit, wenn sie unter Beachtung der für sie jeweils geltenden Normativbestimmungen gegründet und in das zuständige Register eingetragen werden, vgl. z.B. §§ 9c, 11 Abs. 1 GmbHG. Anderenfalls sind die Gesellschaften weder rechtsfähig noch beschränkt sich die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen. Das galt bisher selbst dann, wenn die Gründung nach dem Recht eines anderen Staates wirksam erfolgte, die Gesellschaft aber ihren tatsächlichen Sitz nach Deutschland verlegt hatte, sogenannte „Sitztheorie“ im Gegensatz zur „Gründungstheorie“2 (zu dieser Rechtsprechung vgl. auch § 4 Rz. 15).
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Natürlich harrte dieser Rechtsverlust beim Grenzverkehr für den Bereich der EG einer Überprüfung durch den EuGH, der darin insbesondere in drei Entscheidungen einen Verstoß gegen die in Art. 43, 48 EG garantierte Niederlassungsfreiheit sah. Im „Überseering“-Urteil bejahte er die Rechts- und Parteifähigkeit einer niederländischen BV, die ihren Sitz nach Deutschland verlegt hatte3, in den beiden anderen Urteilen („Centros“ und „Inspire-Art“) hielt er Dänemark bzw. Holland für verpflichtet, für eine englische Ltd. in das Handelsregister jeweils Zweitniederlassungen4 einzutragen5, in denen der gesamte Geschäftsbetrieb geführt wurde. Unter dem Blickwinkel der Niederlassungsfreiheit sei es ohne Bedeutung, dass die Gesellschaft im Gründungsstaat nur als Briefkastengesellschaft errichtet wurde, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften als in dem Zweitstaat zu gelangen, in dem die ausschließ-
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1 BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 2 Siehe Überblick bei Michalski/Leible, GmbHG, 2002, Syst. Darst. 2 Rz. 3 ff.; Borges, ZIP 2004, 733, 739 ff. 3 „Überseering“: EuGH v. 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00, GmbHR 2002, 1137. 4 Die in den deutschsprachigen Fassungen der Urteile genannte Zweitniederlassung ist wirtschaftlich die Hauptniederlassung, juristisch aber (wohl) identisch mit der Zweigniederlassung i.S.d. §§ 13 ff. HGB, so dass ihre Eintragung durch Zwangsgeld erzwungen werden kann, § 14 HGB. 5 „Centros“: EuGH v. 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97, NJW 1999, 2027; „Inspire Art“: EuGH v. 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01, ZIP 2003, 1885; dazu Hirsch, NZG 2003, 1100 ff.; Kindler, NZG 2003, 1086 ff.; Horn, NJW 2004, 893 ff.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 ff.; Riegger, ZGR 2004, 510, 512 ff.
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§2
Rz. 191
Geschäftsführerberatung
liche Tätigkeit beabsichtigt werde. Erkenne der Zweitstaat die Rechtsfähigkeit zwar an, erlasse aber besondere Vorschriften, die diese Gesellschaften verpflichten würden, die nationalen für vergleichbare Gesellschaften geltenden Anforderungen an das Stammkapital und die Haftung zu beachten, stelle das gleichfalls einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dar. Diese Freiheit dürfe nur ausnahmsweise aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls eingeschränkt werden, die der EuGH in den genannten Entscheidungen jeweils verneinte. 191
Die Anerkennung des ausländischen Organisationsrechts entbindet die Gesellschaft natürlich nicht von einer Beachtung des inländischen Verkehrsrechts. Um das an einem profanen Beispiel zu verdeutlichen: Dem Eigentümer eines links gelenkten englischen Pkw darf in Deutschland zwar nicht die Straßenverkehrszulassung versagt werden. Dennoch muss er sich an das Rechtsfahrgebot halten. Das Verkehrsrecht ist, vereinfacht ausgedrückt, dadurch gekennzeichnet, dass es für jedermann gilt, unabhängig davon, ob der Pkw links oder rechts gelenkt wird. Dasselbe gilt für jede juristische oder natürliche Person, soweit sie sich in Deutschland betätigt. Konsequent bestimmt deshalb auch Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, dass auf Schuldner mit Auslandsbezug das Insolvenzrecht desjenigen Mitgliedstaats anwendbar ist, in dem das Verfahren eröffnet wird. Dafür wiederum kommt es gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an, der bei ausländischen Briefkastengesellschaften im Staat der tatsächlichen Betätigung liegt.
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Seit dem „Inspire Art“-Urteil wird intensiv über die Frage diskutiert, nach welchem Recht sich der Pflichtenkreis richtet, dem die Organe ab Eintritt eines Insolvenzgrundes unterliegen. Die Antwort wird an dem Gegensatzpaar Organisations- versus Verkehrsrecht1 aufgehängt. Während die einen2 darauf abstellen, dass die Pflichten in den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften angesiedelt und deshalb Bestandteil des nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilenden Organisationsrechts sind, meinen andere3, dass es sich materiell um Insolvenz- und damit Verkehrsrecht des Zweitstaates handelt4.
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Ober- oder gar höchstrichterliche Entscheidungen existieren bisher nicht. Da die Diskussion noch im Fluss ist, kann auf die Fülle der Literaturmeinungen nicht im Einzelnen eingegangen werden. Hier sei nur angemerkt, dass prima vista schon die systematischen Überlegungen dafür sprechen, dass – jedenfalls für die Innenhaftung – das Recht des Gründungsstaates maßgebend ist5; denn der Pflichtenkreis ist nun einmal in den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften verankert. Ein Vergleich zwischen § 42 Abs. 2 BGB und § 64 Abs. 2 GmbHG verdeutlicht, dass die Innenhaftung ab Eintritt des Insolvenzgrundes sogar im nationalen Recht für die einzelnen juristischen Personen sehr unterschiedlich sein kann. Beim Idealverein ist der „Schaden“ zu ersetzen, bei 1 Ulmer, KTS 2004, 291 ff.; Just, ZIP 2006, 1251; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1086 ff. verbinden dies mit dem Gerichtsstand. 2 Z.B. Altmeppen, NJW 2004, 97 ff.; Goette, ZIP 2006, 541. 3 LG Kiel v. 20. 4. 2006 – 10 S 44/05, ZIP 2006, 1248 m. Anm. Schilling, EWiR 2006, 429; z.B. Ulmer, NJW 2004, 1201 ff. 4 Überblick über den Meinungsstand bei Hase, BB 2006, 2141, 2445 ff. 5 Schumann, DB 2004, 743, 746.
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Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften
Rz. 195
§2
der GmbH hingegen schon jede „Zahlung“, die nicht mit der insolvenzspezifischen Sorgfalt vereinbar ist. Dass „Schaden“ und „Zahlung“ im objektiven Tatbestand voneinander abweichen, wurde oben dargestellt (Rz. 46 ff.). Das macht es schwer, einen allgemeinen Pflichtenkreis für juristische Personen zu bestimmen. Eine andere Frage ist es, ob der Gesetzgeber berechtigt ist, einen allgemeinen Pflichtenkreis z.B. im Zusammenhang mit den §§ 17 ff. InsO in der Insolvenzordnung zu definieren. Das hat er bisher nicht getan. Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, dass Gläubiger nicht durch den Geschäftskontakt zu einer insolventen Gesellschaft geschädigt werden dürfen. Die Haftung wird für den Bereich der GmbH durch den Schutzgesetzcharakter des § 64 GmbHG definiert. Als einer der wenigen abstrahiert K. Schmidt von der gesellschaftsrechtlichen Bestimmung und spricht von einem „Solvenzvertrauen“ in die Geschäftsführung. Damit wird die Außenhaftung für die Insolvenzverschleppung außerhalb des Organisationsrechts manifestiert. Ein solches „Solvenzvertrauen“ ist als reine Fiktion zwar abzulehnen (oben Rz. 92 ff.). Denkbar ist hingegen eine Art „Verkehrssicherungspflicht“ dahingehend, die Geschäftstätigkeit so einzurichten, dass niemand nach Insolvenzeintritt zu Schaden kommt. Die Rechtsfolgen einer Verletzung könnten sich aus § 826 BGB ergeben1. Auch kommen die jeweiligen ausländischen Verhaltenspflichten als Schutzgesetze in Betracht2. Das gilt insbesondere für das im englischen Recht bestehende Institut des „wrongful trading“. Aus ihm ergeben sich im Übrigen schon unmittelbar erhebliche Haftungsgefahren3, so dass von keiner Schutzlücke gesprochen werden darf, die ohne Anwendung des § 64 GmbHG entstünde.
194
All das zeigt, dass für die Insolvenzantragspflicht und die Innenhaftung wohl das Recht des Gründungsstaates maßgebend sind, während für die Außenhaftung die deliktischen Bestimmungen im Vordergrund stehen, die von ausländischen Gesellschaften genauso wie von jedem anderen beachtet werden müssen.
195
1 Riegger, ZGR 2004, 510, 525. 2 Schumann, DB 2004, 743, 748; Riegger, ZGR 2004, 510, 523 f.; Fleischer, ZGR 2004, 435 ff. mit einer Darstellung der Regelungen einiger europäischer Länder und der USA; Micheler, ZGR 2004, 324 ff., Schall, DStR 2006, 1229 für die englische Ltd. 3 Siehe die Darstellung bei Habersack/Verse, ZHR 2004, 174 ff.; Happ/Holler, DStR 2004, 730, 733 f.
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167
§ 3 Gesellschafterberatung Rz.
Rz.
I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . .
1
II. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung . . .
VI. Haftung des Personengesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
3
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Unbeschränkte Haftung . . . . . . 98 a) Vor Insolvenzeröffnung . . . . 98 b) Nach Insolvenzeröffnung: § 93 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) Konkurrierende Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Betroffene Gläubiger . . . 102 cc) Dauer, Teilzahlungen während des Verfahrens 103 dd) Haftungsumfang . . . . . . . 104 ee) Doppel- vs. Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 ff) Sondermasse . . . . . . . . . . 116 gg) Verhältnis zur Einlageforderung . . . . . . . . . . 118 hh) Insolvenzplan . . . . . . . . . 119 3. Kommanditistenhaftung . . . . . . 120 a) Verhältnis von Einlage und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Außenverhältnis („Hafteinlage“ = Haftsumme) . 120 bb) Innenverhältnis („Pflichteinlage“) . . . . . . 127 cc) Sacheinlage . . . . . . . . . . . 134 dd) Einlagenrückgewähr . . . 137 b) Haftung vor Eintragung . . . . 142 c) Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten . . . . . . 143 d) Besonderheiten der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Einlageleistung und Haftungsbefreiung . . . . . . . . 145 bb) Kapitalerhaltung . . . . . . . 149
1. Gründung der GmbH . . . . . . . . . a) Bargründung . . . . . . . . . . . . . . aa) Verschleierte Sachgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Hin- und Herzahlen . . . . cc) Aufrechnung . . . . . . . . . . dd) Ausnahmen für bestimmte Geschäfte? . . . . b) Sachgründung . . . . . . . . . . . . . c) Verlustdeckungshaftung, Unterbilanzhaftung . . . . . . . d) Verwendung von Vorratsund Mantelgesellschaften . . 2. Kapitalerhöhung der GmbH . . . a) Aufgabe des Gebots der wertgleichen Deckung . . . . . b) Darlegungs- und Beweislast c) Stecken gebliebene Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalerhaltung der GmbH . . . a) Buchwertbetrachtung . . . . . . b) Haftungssicherung . . . . . . . . c) Drittbeteiligung . . . . . . . . . . . d) Beurteilungszeitpunkt . . . . .
4 4 4 6 10 13 15 19 28 31 32 37 38 43 45 57 60 63
III. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . 64 1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . 64 2. Unternehmensbestattung . . . . . 72 IV. „MoMiG“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . 77 2. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . 80 3. Unternehmensbestattung . . . . . 81 V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG . . . . . . . . . 82 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte . . . . . . . 3. Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . 4. Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . .
82 84 90 91
VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . 154 1. Beteiligtenstellung . . . . . . . . . . . 154 2. Informationsrechte . . . . . . . . . . . 155 3. Bilanzerstellungsanspruch . . . . 158 4. Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . . 160 a) Fortbestehen trotz Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . 160
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§3
Rz. 1
Gesellschafterberatung Rz.
Rz.
b) Verwalteraufgaben vs. Gesellschaftsaufgaben . . . . . 163 c) Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . 166 d) Keine Besonderheit bei Eigenverwaltung . . . . . . . . . . 169
e) Zustimmungspflicht zu Sanierungsmaßnahmen . . . . 175 f) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5. Unternehmensvertrag . . . . . . . . 183 6. Steuerrechtliche Stellung . . . . . 193 a) Kapitalgesellschaft . . . . . . . . 193 b) Personengesellschaft . . . . . . 200
I. Mandatssituation 1
Der Anwalt wird in der Regel zwar von der Gesellschaft beauftragt, aber von den Gesellschaftern ausgewählt. In der Krise wollen sie über ihre Risiken informiert werden und wissen, wie die Gesellschaft, und wenn nicht sie, so zumindest das Gesellschaftsvermögen für sie zu retten ist. Ist das Insolvenzverfahren schon beantragt, geht es ihnen um die daraus für sie folgenden Konsequenzen in haftungsrechtlicher, steuerrechtlicher und verfahrens-rechtlicher Hinsicht, Letzteres insbesondere dann, wenn ein Insolvenzplan vorgelegt werden soll.
2
Die größten Unklarheiten bestehen bei den Mandanten über das Eigenkapitalersatzrecht, weil sie irrig der Auffassung sind, dass Gesellschafter mit ihren Forderungen sogar in der Krise wie normale Gläubiger behandelt werden müssen. Dieser Bereich wird in einem gesonderten Abschnitt behandelt (§ 4). Risiken liegen aber auch in einer nicht ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung und in der Verletzung des Gebots der Kapitalerhaltung. Was in guten Zeiten als „nicht so schlimm“ angesehen wird, weil man sich über eine verschleierte Sacheinlage oder über Entnahmen einig war, wird in der Insolvenz zur Haftungsfalle. Von den Haftungsrisiken hängt es ab, ob die Gesellschafter besser die Insolvenz durch Bereitstellung neuer Mittel vermeiden. Hier kommt es zu Fragen über die Form der Neufinanzierung und über den Umgang mit dissentierenden Gesellschaftern, die an Sanierungsmaßnahmen nicht mitwirken wollen. Sie werden nachfolgend im Zusammenhang mit den Gestaltungsmaßnahmen im eröffneten Insolvenzverfahren erörtert. Die Ausführungen gelten aber ebenso für Maßnahmen zur Vermeidung der Insolvenzeröffnung (s. ergänzend § 1 Rz. 183 ff.).
II. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung 3
Die Kapitalaufbringung ist aus Gründen des Gläubigerschutzes weitgehend formalisiert. Natürlich hat die kautelarjuristische Praxis in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Versuche unternommen, die Vorschriften möglich günstig für die Gesellschafter zu nutzen. Dementsprechend vielfältig sind die Rechtsprechungsfälle. Nachfolgend sollen die Grundzüge am Beispiel der GmbH dargestellt und einige Hinweise zu besonders häufigen Fehlern gegeben werden. Anschließend wird auf Besonderheiten der AG eingegangen, für die ansonsten dieselben Grundsätze wie für die GmbH gelten. 170
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 5
§3
1. Gründung der GmbH a) Bargründung aa) Verschleierte Sachgründung Bei der Kapitalaufbringung wird unterschieden zwischen der Bar- und der Sachgründung. Schon allein aus dieser Unterscheidung wird deutlich, dass es nicht ausreicht, der Gesellschaft ein Vermögen in Höhe der übernommenen Stammeinlage zuzuführen. Vielmehr muss das auch genau in der aus dem Handelsregister ersichtlichen Form geschehen. § 19 Abs. 5 GmbHG bestimmt, dass die Einlage nur dann nicht in Geld erbracht werden muss, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Sachgründung vereinbart wurde. Da die Sachgründung umständlicher als eine Bargründung ist, verfiel die Gestaltungspraxis auf die Idee, die Gegenstände nicht direkt in Anrechnung auf die Stammeinlage einzubringen (Sacheinlage), sondern sie nach der Eintragung der GmbH an die Gesellschaft zu verkaufen. Der Kaufpreis wurde aus der zuvor geleisteten Bareinlage gezahlt (Sachübernahme). Diese mit dem Schlagwort der „verschleierten Sachgründung“1 – genauer: der aus dem Gesellschaftsvertrag nicht ersichtlichen Sachübernahme – bezeichnete Vorgehensweise behandelt die Rechtsprechung als eine unzulässige Umgehung des § 19 Abs. 5 GmbHG mit der Folge, dass der Gesellschafter trotz zuvor erfolgter Barzahlung von der Einlageverpflichtung nicht befreit wurde2. Bis zu einer Rechtsprechungsänderung lief der Gesellschafter sogar Gefahr, nicht nur erneut zahlen zu müssen, sondern auch noch das Eigentum an den verkauften Gegenständen verloren zu haben. In 2003 entschied der BGH jedoch, dass sowohl der schuldrechtliche Kaufvertrag als auch die zu seiner Ausführung geschlossenen dinglichen Verfügungsgeschäfte analog § 27 Abs. 3 AktG nichtig sind3. Der gesamte Vorgang ist deshalb schuldrechtlich nach Bereicherungsrecht und dinglich nach den Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses rückabzuwickeln4. Soweit es das schuldrechtliche Geschäft betrifft, hilft dem Gesellschafter das wenig, weil seine Ansprüche aus der Rückabwicklung Insolvenzforderungen sind, § 38 InsO. Seiner Aufrechnung des Anspruchs aus der Rückabwicklung gegen die nach wie vor nicht erloschene Einlageverpflichtung steht § 19 Abs. 5 GmbHG entgegen. Hinsichtlich des dinglichen Geschäfts kann er zwar gemäß § 47 InsO die Aussonderung der Kaufgegenstände verlangen, da er sein Eigentum nicht verloren hat. Auch dieser Anspruch läuft jedoch häufig leer, weil die Gegenstände nicht mehr vorhanden sind. Die Voraussetzungen einer Ersatzaussonderung gemäß § 48 InsO werden im Allgemeinen nicht erfüllt sein. Erkennt der Anwalt die verschleierte Sachgründung, sollter er aber vorsorglich die Geschäftsführung bösgläubig machen, falls die verschleiert eingelegten Kaufobjekte noch vorhanden sind.
4
Der BGH hat in dem Urteil, in dem er die Nichtigkeit der Ausführungsgeschäfte ausgesprochen hat, den Weg zu einer Heilung der verschleierten
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1 2 3 4
Dazu umfassend am Beispiel der AG: Traugott/Groß, BB 2003, 481. BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 235/01, ZIP 2003, 1540. BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 235/01, ZIP 2003, 1540. BGH v. 9. 7. 2007 – II ZR 62/06, ZIP 2007, 1751 (zur AG).
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§3
Rz. 6
Gesellschafterberatung
Sacheinlage gewiesen. Der Gesellschaftsvertrag kann dahingehend geändert werden, das statt einer Bareinlage der erworbene Gegenstand geleistet wird. Eine Offenlegung ist auch für den Teil des an einen Gesellschafter gezahlten Kaufpreises erforderlich, der seine eigene Einlage übersteigt (Kombination von Sacheinlage und Sachübernahme = gemischte Sacheinlage)1. In der Krise oder gar nach der Insolvenzeröffnung ist es dafür jedoch zu spät, weil der einmal durch die Bargründung entstandene Zahlungsanspruch nicht mehr anfechtungsfrei (§§ 132 f. InsO) beseitigt werden kann. Nach Insolvenzeröffnung scheitert eine Heilung daran, dass der Zahlungsanspruch zur Masse gehört, auf die durch eine Änderung der Gesellschaftsvertrages keine Einwirkung mehr möglich ist, §§ 91 InsO. bb) Hin- und Herzahlen 6
Der andere typische Fehler in der Praxis wird unter dem Schlagwort „Hin- und Herzahlen“ behandelt. Das kam insbesondere bei sogenannten Vorratsgesellschaften vor; denn gemäß § 8 Abs. 2 GmbH muss in der Anmeldung zum Handelsregister versichert werden, dass die Mindesteinlagen des § 7 Abs. 2 GmbHG zur freien Verfügung der Geschäftsführung geleistet wurden. Da die Anbieter solche Vorratsgesellschaften eine Vielzahl von Gründungen vornehmen, für die sie nicht jedes Mal die Mindesteinlage aufbringen konnten, ließen sie sich den Betrag sofort nach der Anmeldung wieder als Darlehen auskehren, um ihn sodann für die nächste Anmeldung zu verwenden. Die Rechtsprechung war sich zwar schnell darin einig, dass dieses Hin- und Herzahlen nicht als wirksame Einlageleistung anzuerkennen ist, weil es de facto entgegen der Versicherung an der freien Verfügbarkeit fehlte. Unklar blieben jedoch die Konsequenzen. Insbesondere das OLG Schleswig verfocht die Auffassung, dass mit der Rückreichung als Darlehen eine zweite Forderung gegen den Inferenten (einlegenden Gesellschafter) entstanden sei, einmal aus der weiterhin offenen Einlageverpflichtung und ein zweites Mal aus dem Darlehensvertrag. Da die Gründer von einer wirksamen Einlageleistung ausgingen, gaben sie bei der Rückzahlung als Verwendungszweck nur die „Darlehenstilgung“ an. Damit jedoch erlosch nach Ansicht des OLG Schleswig nicht auch die Einlageverpflichtung. Zwar habe der Gesellschafter nach der Darlehenstilgung noch einen Bereicherungsanspruch gegen die GmbH, weil seine als Einlageleistung beabsichtigte erste Zahlung den Zweck verfehlte. Mit diesem Bereicherungsanspruch dürfe er aber gemäß § 19 Abs. 2 GmbH nicht aufrechnen. Er müsse deshalb ein weiteres Mal zahlen2. Solange es der Gesellschaft gut geht, kann der Bereicherungsanspruch später durch Zahlung erfüllt werden, vorausgesetzt, dass dies wegen des zeitlichen Zusammenhangs nicht erneut als ein unzulässiges Hinund Herzahlen angesehen werden muss. In der Insolvenz blieb es jedoch bei der Doppelbelastung, weil der Bereicherungsanspruch wertlos war. Der BGH ist der Auffassung des OLG Schleswig nicht gefolgt. Ebenso wie bei der verschleierten Sacheinlage das Kaufgeschäft unwirksam ist, ist beim Hin- und Her1 BGH v. 20. 11. 2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178. 2 OLG Schleswig v. 20. 7. 2000 – 5 U 2/00, ZIP 2000, 1833; v. 7. 4. 2003 – 5 U 168/01, GmbHR 2003, 1058; v. 27. 5. 2004 – 5 U 132/03, ZIP 2004, 1358, v. 27. 1. 2005 – 5 U 22/04, ZIP 2005, 1827.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 8
§3
zahlen das Darlehensgeschäft nichtig. Mit der Zahlung auf die vermeintliche Darlehensschuld erfülle der Gesellschafter deshalb die als einzig wirksame Verbindlichkeit bestehende Einlageschuld1. Der formaljuristische Anknüpfungspunkt für die Unzulässigkeit des Hin- und Herzahlens war ursprünglich, wie erwähnt, die nach § 8 Abs. 2 GmbHG für die Handelsregisteranmeldung erforderliche freie Verfügbarkeit. Obwohl sie sich nur auf die Mindesteinlage des § 7 Abs. 2 GmbHG bezieht, differenziert die Rechtsprechung nicht zwischen Mindest- und Resteinlage2. Vielmehr wird von der Unzulässigkeit eines Hin- und Herzahlens die gesamte Einlage erfasst. Zur Begründung wird auf eine Gesamtschau der Kapitalaufbringungsvorschriften abgestellt, die u.a. in § 19 Abs. 2 GmbHG eine Befreiung von der Einlageverpflichtung verbieten. Das Befreiungsverbot darf über eine Rückzahlung mit Ersetzung des Einlageanspruchs durch einen Darlehensanspruch nicht umgangen werden.
7
Ein unzulässiges Hin- und Herzahlen liegt nicht nur vor, wenn der Betrag direkt an den Inferenten zurückfließt, sondern auch dann, wenn das an eine von ihm beherrschte Gesellschaft geschieht, so z.B. bei einer Ausreichung als Darlehen an eine oHG, in der dieselben Gesellschafter wie an der GmbH beteiligt sind3. In der Praxis häufig sind die Fälle, dass eine GmbH, deren Gesellschaftszweck sich in der Übernahme der Komplementärfunktion bei einer KG erschöpft, die Einlage unmittelbar nach der Einzahlung an die KG weiterreicht, an der (weitgehend) dieselben Gesellschafter beteiligt sind. Im Gegensatz zu dem erwähnten oHG-Fall halten das die OLG Köln4 und Jena5 für unschädlich; denn anders als bei der oHG bleibe der Betrag dem Haftungsverband der GmbH & Co. KG erhalten. Da zu Lasten selbst der an der GmbH noch nicht einmal beteiligten Kommanditisten das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30 f. GmbHG eingreife6 (s.u. Rz. 43 ff.), müsse die Zahlung innerhalb des Haftungsverbandes auch zu ihren Gunsten wirken; denn Gläubiger-belange seien nicht gefährdet. Demgegenüber lehnt das OLG Hamm7 eine Sonderbehandlung der GmbH & Co. KG ab. Der BGH hat das Urteil des OLG Jena aufgehoben8. KG und Komplementär-GmbH seien eigenständige Gesellschaften mit eigenständigen Kapitalschutzsystemen. Die Erstreckung der Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG auf den Nur-Kommanditisten stehe dem nicht entgegen; denn auf die Kapitalerhaltung komme es erst an, wenn die Kapitalaufbereitung abgeschlossen sei9. Dem ist zuzustimmen, weil der weitergeleitete Betrag in
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1 BGH v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211; v. 21. 11. 2005 – II ZR 140/04, ZIP 2005, 2203, v. 9. 1. 2006 – II ZR 72/05, ZIP 2006, 331; OLG Hamburg v. 19. 11. 2004 – 11 U 45/04, ZIP 2004, 2431. 2 Krolop, NZG 2007, 577 zur verdeckten gemischten Sacheinlage. 3 BGH v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 4 OLG Köln v. 5. 2. 2002 – 18 U 183/01, GmbHR 2002, 968. 5 OLG Jena v. 28. 6. 2006 – 6 U 717/05, ZIP 2006, 1534. 6 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, GmbHR 1990, 980; v. 27. 3. 1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736. 7 OLG Hamm v. 31. 10. 2006 – 27 U 81/06, ZIP 2007, 226. 8 BGH v. 10. 12. 2007 – II ZR 180/06, ZIP 2008, 174 m. krit. Bspr. v. K. Schmidt, ZIP 2008, 481. 9 BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997.
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173
§3
Rz. 9
Gesellschafterberatung
der KG nicht mehr denselben Verwendungsbeschränkungen durch das unzulässige Hin- und Herzahlen bzw. die verschleierte Sachgründung unterliegt wie in der GmbH. Wäre die Weiterleitung an die KG zulässig, könnte die Einlage von dort ohne Kollision mit den strengen Kapitalaufbringungsvorschriften des GmbH-Rechts z.B. an dessen Kommanditisten als Darlehen ausgereicht werden. Außerdem gibt es dort keine Ausfallhaftung der Mitgesellschafter wie bei § 24 GmbHG. Anders wäre es nur, wenn man hinsichtlich des weitergeleiteten Betrages das Kapitalaufbringungsrecht der GmbH auch bei der KG anwenden würde, was aber für die Nur-Kommanditisten eine problematische Haftungserweiterung bedeuten würde. 9
Eine andere Ausprägung des Hin- und Herzahlens sind die sogenannten CashPool-Fälle, bei denen die Einlage von der GmbH kurzfristig auf das Zentralkonto einer Konzerngesellschaft geleitet wird. Relevant wird das zwar meist nur bei Kapitalerhöhungen, weil die Gesellschaft dann schon in ein Cash-PoolSystem integriert ist, aber auch bei Neugründungen kann das vorkommen. Der BGH lehnt ein Sonderrecht für Cash-Pool-Systeme ab1 und behandelt diese Form der Mittelverwendung wie jedes Hin- und Herzahlen. Nach einem neueren Urteil wird man aber für erforderlich halten müssen, dass das Cash-PoolKonto entweder direkt bei der Gesellschafterin oder einer von ihr unmittelbar beherrschten Tochtergesellschaft geführt wird. So hat der BGH im Februar 2007 zu einer Kapitalerhöhung entschieden, dass die Weiterleitung der Einlage an eine Konzerngesellschaft zur Bezahlung des von ihr gleichzeitig erworbenen Unternehmens unschädlich ist. Die Anteile an der die Zahlung empfangenden Verkäufergesellschaft wurden nicht direkt von der Inferentin gehalten, sondern von ihrer Muttergesellschaft. Die Geldempfängerin war nur eine „Schwester“ der Inferentin. Die über die gemeinsame alleinbeteiligte Mutter vermittelte Beziehung zwischen der Inferrentin und der Geldempfängerin hielt der BGH nicht für ausreichend, um eine verschleierte Sachgründung bzw. – eng damit verwandt – ein unzulässiges Hin- und Herzahlen anzunehmen2. Diese Auffassung begegnet erheblichen Bedenken, deren Berechtigung bereits der Urteilsfall unterstreicht; die Inferentin war nämlich später auf die Muttergesellschaft verschmolzen worden. Hätte die Mutter von vornherein die Kapitalerhöhung unmittelbar gezeichnet, hätte die Inferentin (Mutter) die geldempfangende Schwestergesellschaft beherrscht. Wie in dem oben genannten oHG-Fall, bei dem die Einlage als Darlehen an eine beteiligungsidentische oHG rückgereicht wurde, was der BGH nicht als ordnungsgemäße Kapitalaufbringung ansah, wäre auch in dieser Variante – unmittelbare Beteiligung der Inferentin an der das Unternehmen verkaufenden Gesellschaft – eine wirksame Aufbringung zu verneinen. Da die Rechtsprechung zum Hin- und Herzahlen bzw. zur verschleierten Sacheinlage auf das Umgehungsverbot zurückgeht, für das eine wertende Betrachtungsweise maßgebend ist, sollte die Zwischenschaltung einer Tochtergesellschaft als Inferentin eigentlich keinen Unterschied im Vergleich zu einer direkten Beteiligung der Mutter an der kapitalerhöhenden und an der die Weiterleitung empfangenden Gesellschaft machen. Für die Praxis ist 1 BGH v. 6. 1. 2006 – II ZR 76/04, ZIP 2006, 665; bestätigt durch BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 307/05 gem. Bericht Goette, DStR 2007, 773. 2 BGH v. 12. 2. 2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528.
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Spliedt
Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 11
§3
hingegen davon auszugehen, dass diese „doppelte Umgehung“ einer wirksamen Einlageleistung nicht entgegensteht. cc) Aufrechnung Zur Aufrechnung gibt das Gesetz die Rechtslage, wie sie durch die Spruchpraxis des BGH geprägt ist, nur unvollständig wieder. In beiderseitiges Aufrechnungsverbot enthält § 19 Abs. 5 GmbHG nur für die verschleierte Sachübernahme. Sie behandelt der BGH auch dann als eine nichtige Umgehung der Sachgründungsvorschriften, wenn Geld gezahlt und nicht nur aufgerechnet wird. Außer für die verschleierte Sachübernahme enthält § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG ein Aufrechnungsverbot nur für den Gesellschafter („gegen den Anspruch der Gesellschaft …“). Dahinter steht der Gedanke, dass die Gesellschaft ein mit dem Gläubigerschutz parallel laufendes eigenes Interesse daran hat, den Haftungsfonds wie versprochen aufzufüllen. Angesichts des Gesellschaftereinflusses ist das jedoch eine Fehleinschätzung. Außerdem steht § 19 Abs. 2 GmbHG im Konflikt mit § 19 Abs. 5 GmbHG; denn die Aufrechnung mit einer Schuld der Gesellschaft ist auch immer eine verschleierte Sacheinlage: statt Geld wird die Forderung eingebracht, die dem Inferenten gegen die GmbH zusteht, bei der sie dann durch Konfusion erlischt. Deshalb hält der BGH den Abs. 5 zurecht immer dann für vorrangig, wenn die der Aufrechnung zugängige Forderung als Sacheinlage hätte eingebracht werden können1 mit der Konsequenz, dass auch der Gesellschaft eine Aufrechnung verwehrt ist. Das ist bei Forderungen, die im Zeitpunkt der Begründung2 der Einlageverpflichtung schon existieren, stets der Fall. Bei später entstehenden Neuforderungen hingegen nur, wenn die Aufrechnung vorher abgesprochen war3. Eine solche Absprache wird bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Kapitalerhöhung und Aufrechenbarkeit vermutet4. Wo die Grenze für den zeitlichen Zuasammenhang verläuft, hat der BGH bisher nicht entschieden. Acht Monate sollen jedenfalls zu lang sein5. In der Literatur werden sechs Monate als Orientierungspunkt genannt6, wobei der vom BGH zusätzlich geforderte sachliche Zusammenhang durch den zeitlichen indiziert werden soll7. Demgegenüber wird man für den sachlichen Zusammenhang wohl verlangen müssen, dass die Entstehung der künftigen Forderungen erwartet wird, ohne dass bereits die rechtliche Grundlage bestehen muss.
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Soweit eine Verrechnung zulässig ist, weil die Sacheinlagefähigkeit oder der enge sachliche und zeitliche Zusammenhang fehlen, muss die Sachleistung vollwertig sein, was durch den Inferenten analog § 5 Abs. 4 GmbHG darzule-
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1 BGH v. 4. 3. 1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595. 2 Demgegenüber wird in der Literatur teilweise auch auf den Zeitpunkt der Einzahlung abgestellt, vgl. Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 19 Rz. 114. 3 BGH v. 4. 3. 1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595. 4 BGH v. 4. 3. 1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595; v. 13. 5. 1996 – II ZR 275/94, ZIP 1996, 1248; v. 16. 9. 2002 – II ZR 1/00, ZIP 2002, 2045; v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 5 BGH v. 16. 9. 2002 – II ZR 1/00, NJW 2002, 3774. 6 Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 19 Rz. 39. 7 Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl., § 19 Abs. 115.
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175
§3
Rz. 12
Gesellschafterberatung
gen ist1. Die Forderung des Gesellschafters muss im Zeitpunkt der Auf- bzw. einvernehmlichen Verrechnung auch noch vollwertig, fällig und liquide sein2. In der Krise und erst recht dann, wenn die Forderung durch Stehenlassen eigenkapitalersetzenden Charakter erhalten hat, ist das nicht der Fall. Die Behauptungs- und Beweislast für die vollwertige Liquidität der Forderung liegt ebenfalls beim Inferenten3. 12
Greift das Aufrechnungsverbot ein, hilft entgegen dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 GmbHG auch eine Aufrechnungserklärung der Gesellschaft nicht, weil § 19 Abs. 5 GmbHG vorrangig ist. Nur ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn die Aufbringung der Einlage gefährdet ist4. dd) Ausnahmen für bestimmte Geschäfte?
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Fraglich ist, ob für bestimmte Arten von Geschäften Ausnahmen gemacht werden müssen. Der in der Praxis häufigste Fall ist die Verrechnung mit der Einlageleistung mit Bezügen des Gesellschafter-Geschäftsführers. Ob seine Vergütung verrechnet oder zunächst aus- und anschließend von ihm wieder einbezahlt wird5, ändert an der Gefahr für den Gläubigerschutz nichts. Die Verpflichtung zur Dienstleistung ist jedoch nach dem auf die GmbH analog anwendbaren § 27 Abs. 2 AktG nicht sacheinlagefähig6. Der Gesellschafter hat keine Möglichkeit, die Sacheinlagevorschriften einzuhalten. Entgegen einem BGH-Urteil aus 19787 sollte deshalb eine Verrechnung oder ein Hin- und Herzahlen zulässig sein8. Als Alternative bliebe sonst nur, dass der Geschäftsführer zunächst unentgeltlich arbeiten müsste, was realitätsfremd und vom Gläubigerschutz nicht gedeckt ist.
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Eine andere typische Konstellation ist die Einbindung der neugegründeten Gesellschaft in den konzerninternen Leistungsverkehr. Soweit Zahlungen für bezogene Waren an Schwestergesellschaften geleistet werden, an denen die Inferentin nicht beteiligt ist, kommt nach dem erwähnten Urteil vom 12. 2. 20079 eine verschleierte Sacheinlage und demgemäß auch eine Umgehung des Auf1 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 19 Rz. 61. 2 BGH v. 13. 10. 1954 – II ZR 182/53 BGHZ 15, 52; v. 7. 7. 1997 – II ZR 221/96, DStR 1997, 1257; v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 3 BGH v. 15. 6. 1992 – II ZR 229/91, NJW 1992, 229; v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 4 BGH v. 13. 10. 1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52; v. 21. 9. 1978 – II ZR 214/77, NJW 1979, 216; denn es wäre äußerst misslich, falls die Gesellschaft die Forderung des Gesellschafters begleichen müsste, von ihm aber wegen dessen Insolvenz keine Zahlung erhielte. 5 Auf die Reihenfolge von Hin und Her oder Her und Hin kommt es nicht an: BGH v. 4. 3. 1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595; v. 17. 9. 2001 – II ZR 275/99, NJW 2001, 3781; v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, NJW 2003, 825; v. 12. 6. 2006 – II ZR 334/04, DStR 2006, 1709. 6 Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 5 Rz. 52. 7 BGH v. 21. 9. 1978 – II ZR 214/77, NJW 1979, 216. 8 KG v. 23. 4. 2007 – 23 U 75/06, juris behandelt dies als eine laufende Geschäftsbeziehung (vgl. § 52 Abs. 9 AktG), für die die Sacheinlagevorschriften nicht gelten, wenn eine Wertkontrolle durch die Gesellschaft stattfindet. 9 BGH v. 12. 2. 2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 15
§3
rechnungsverbots in § 19 Abs. 5 GmbHG nicht in Betracht. Soweit hingegen eine Beteiligung der Inferentin an der die Zahlung empfangenden Gesellschaft vorliegt, stellt sich die Frage, ob normale Umsatzgeschäfte privilegiert werden sollen. Dies wird teilweise unter Berufung auf § 52 Abs. 9 AktG angenommen1. Dort heißt es, dass der Erwerb von Vermögensgegenständen in der AG „im Rahmen der laufenden Geschäfte“ von den Nachgründungsbeschränkungen freigestellt ist. Der BGH hatte zunächst offen gelassen, ob das auch für die Kapitalaufbringung gilt; denn allein die Befreiung von der Nachgründungskontrolle besage noch nichts über die erstmalige Aufbringungskontrolle2. Nunmehr hat er eine vollständige Ausklammerung gewöhnlicher Umsatzgeschäfte aus dem Anwendungsbereich der verdeckten Sacheinlage jedenfalls bei der Neugründung abgelehnt3. Ob es Ausnahmen insbesondere für die Kapitalerhöhung gibt, ließ der BGH offen. Die Lösung liegt m.E. in den Erfordernissen der Vorabsprache und der Sacheinlagefähigkeit. Frischfleisch bspw. ist wegen der kurzfristigen Verfallzeit kaum sacheinlagefähig. Zumindest würde eine formelle Sacheinlage dem Gläubigerschutz nicht dienen, da es als Haftungsmasse nicht verwertbar wäre. Gleiches gilt für Artikel, die nach Bedarf bestellt werden. Sie können nicht von vornherein im Einbringungsvertrag spezifiziert werden. Insofern wird es also regelmäßig an einer Vorabsprache fehlen. Demgegenüber ist die Grundausstattung einer KfZ-Werkstatt bspw. durchaus geeignet4. Auf diese Weise wird ein window dressing verhindert, bei dem Ladenhüter, die kurzfristig nicht verwendbar sind, an eine neugegründete Gesellschaft verkauft werden, um Abschreibungen bei der kriselnden Inferrentin zu vermeiden. b) Sachgründung Gegenstand einer Sacheinlage können alle übertragbaren und hinreichend sicher bewertbaren Vermögensgegenstände sein5. Dazu gehören obligatorische Nutzungsrechte mit einer festbestimmten Mindestdauer6 sowie sonstige immaterielle und natürlich erst recht körperliche Vermögensgegenstände. Sie müssen zweifelsfrei im Einbringungsvertrag bestimmt werden. Ist das nicht der Fall, fehlt es an einer wirksamen Sachgründung, so dass die Stammeinlage in bar geschuldet wird7. Außerdem müssen für den dinglichen Vollzug die sachenrechtlichen Anforderungen eingehalten werden, namentlich die Bestimmbarkeit bei der Abtretung von Forderungen8 und Bestimmtheit bei der Übereig-
1 OLG Hamm v. 17. 8. 2004 – 27 U 189/03, ZIP 2005, 1138; Traugott/Groß, BB 2003, 481, vgl. auch KG Berlin v. 23. 4. 2007 – 23 U 75/06, juris; ablehnend: Krolop, NZG 2007, 577. 2 BGH v. 4. 3. 1996 – II ZB 8/95, ZIP 1996, 668. 3 BGH v. 20. 11. 2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178. 4 Zur Abgrenzung zwischen gewöhnlichen Umsatzgeschäften und verdeckter Einlage vgl. OLG München v. 6. 10. 2005 – 23 U 2381/05, DB 2005, 2462. 5 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, Rz. 38. 6 BGH v. 15. 5. 2000 – II ZR 359/98, ZIP 2000, 1162; v. 14. 6. 2004 – II ZR 121/02, NZG 2004, 910 = DStR 2004, 1662. 7 BGH v. 24. 7. 2000 – II ZR 202/98, DStR 2000, 2002. 8 Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl. 2007, § 398 Rz. 14 ff.
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§3
Rz. 16
Gesellschafterberatung
nung von Sachen1. Bei der Einbringung eines Unternehmens kommt es hier schnell zu Fehlern, die vermieden werden, wenn nach dem UmwG vorgegangen wird, weil dann die Universalsukzession gilt. 16
Die Formalien der Sacheinlage ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz: –
Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, § 5 Abs. 4 GmbHG;
–
Offenlegung bei der Anmeldung und Eintragung, § 8 Abs. 1 Nr. 4, 5, 10 Abs. 3 GmbHG;
–
Sachgründungsbericht (Bewertungsbericht), § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG;
–
Vollständige Leistung vor der Eintragung (Einbringungsvertrag), § 7 Abs. 3 GmbHG;
–
Registerprüfung, § 9c GmbHG.
Entspricht der Wert der Einlagegegensände nicht dem Nominalbetrag der übernommenen Stammeinlage, hat der Gesellschafter die Differenz zu erstatten, § 9 Abs. 1 GmbHG. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Anmeldung, nicht der der Eintragung, was allerdings eine unabhängig davon bestehende2 Vorbelastungshaftung (s.u. Rz. 19 ff.) z.B. durch die verlustreiche Fortsetzung eines eingebrachten Unternehmens bis zur Eintragung nicht hindert. Das Verhältnis der Differenzhaftung im Zeitpunkt der Anmeldung zur Vorbelastungshaftung im Zeitpunkt der Eintragung ist so, dass Wertminderungen des Einlagegegenstandes, die unabhängig von einer vorzeitigen Aufnahme des Geschäftsbetriebes anfallen, nicht ausgeglichen werden müssen, während betriebsbedingte Verluste unter die Vorbelastungshaftung fallen3. 17
Die Differenzhaftung des Inferenten wird abgesichert durch die Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter gemäß § 24 GmbHG. Daneben ordnet § 9a GmbHG eine Haftung für falsche Angaben bei der Anmeldung an. Sie trifft sowohl den Nichtgesellschafter-Geschäftsführer, der die Anmeldung unterzeichnet, als auch die Gesellschafter, die kein Sacheinlage erbringen, weil gemäß § 5 Abs. 4 GmbHG alle den Sachgründungsbericht erstellen müssen4.
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Nach den Vorschriften über die Sacheinlage ist auch die Sachübernahme („verschleierte Sacheinlage“) zu behandeln, bei der der Vermögensgegenstand nicht eingebracht, sondern an die Gesellschaft verkauft und die Einlage durch Verrechnung mit dem Kaufpreisanspruch erbracht werden soll (s.o. Rz. 10).
1 BGH v. 21. 10. 2002 – II ZR 118/02, ZIP 2003, 30; Palandt/Bassenge, BGB, 66. Aufl. 2007, § 930 Rz. 2. 2 Scholz/Winter/Veil, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 9 Rz. 25. 3 Dabei ist allerdings eine Doppelrechnung zu vermeiden, die bspw. bei der Bewertung eines eingebrachten Unternehmens nach dem Ertragswert droht, wenn geplante Verluste schon im Unternehmenswert berücksichtigt sind. 4 Scholz/Winter/Westermann, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 5 Rz. 99; Scholz/Winter/Veil, a.a.O. § 9 ARZ 17.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 20
§3
c) Verlustdeckungshaftung, Unterbilanzhaftung Eine Gesellschaft durchläuft verschiedene „Geburtsstadien“, bevor sie mit der Eintragung als „fertige“ GmbH entsteht. Zunächst verabreden sich die Gründer, eine GmbH zu errichten. I.d.R. beschränkt sich ihre Zusammenarbeit auf interne Planungen. Wird hingegen schon im Außenverhältnis aufgetreten und gemeinschaftliches Vermögen gebildet, entsteht eine Vorgründungsgesellschaft, die eine Personengesellschaft ist und mit Abschluss des notariellen GmbH-Vertrages durch Zweckerreichung endet. Übersehen wird dabei meist, dass die einzelnen Vermögensgegenstände auf die mit der notariellen Beurkundung entstehende Vorgesellschaft (= Gründungsgesellschaft) gesondert übertragen werden müssen, was allerdings nach dem Vorgesagten nur durch eine förmliche Sacheinlage zulässig ist. Die Vorgesellschaft ist ein Personenzusammenschluss eigener Art, auf den das GmbH-Recht angewendet wird, soweit dies nicht die Eintragung in das Handelsregister voraussetzt1. Sie ist passiv und aktiv parteifähig, damit also insbesondere auch konto- und grundbuchfähig2. Sie kann bereits die Komplementärstellung in einer GmbH und Co. KG übernehmen3. Zweck der Vorgesellschaft ist eigentlich nur die Herbeiführung der Eintragung. Die Gründer können aber vereinbaren, dass sie bereits geschäftlich aktiv wird. Da dies von dem eigentlichen Zweck abweicht, ist hier für Einstimmigkeit erforderlich4. Mit Eintragung der GmbH ist der Errichtungsvorgang abgeschlossen. Die fertige GmbH übernimmt alle aktiven und passiven Vermögensgegenstände der Vorgesellschaft (Gründungsgesellschaft) im Wege der Universalsukzession. Anders als im Verhältnis zwischen Vorgründungsgesellschaft und Gründungsgesellschaft ist eine gesonderte Übertragung nicht erforderlich.
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Vorgründungsgesellschaft und Gründungsgesellschaft unterscheiden sich auch hinsichtlich der Haftung. Für die eine gilt das Haftungsrecht der Personengesellschaften, für die andere bestimmt hingegen § 11 Abs. 2 GmbHG, dass die Handelnden persönlich und solidarisch haften. Die Vorschrift beruht auf dem früher von der ganz herrschenden Meinung vertretenen sogenannten Vorbelastungsverbot, wonach die Gesellschaft bei ihrer Eintragung mit keinen Verbindlichkeiten belastet sein darf5. Wenn gleichwohl Verbindlichkeiten eingegangen wurden, blieben die Handelnden als einzige Schuldner übrig. Diese Vorstellung des historischen Gesetzgebers wurde durch die wirtschaftlichen Bedürfnisse überholt. Es kam zunehmend vor, dass die GmbH schon vor ihrer Eintragung geschäftlich aktiv werden musste, insbesondere, wenn ein Unternehmen als Sacheinlage eingebracht wurde. Deshalb ersetzte der BGH 1981 die Handelndenhaftung durch eine Differenz- oder Unterbilanzhaftung mit dem Inhalt, dass die Gesellschafter anteilig – mit der Rechtsnachfolgerhaftung des § 16 Abs. 3 GmbHG und Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gemäß § 24 GmbHG6 – für eine etwaige Differenz zwischen Reinvermögen und Stamm-
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BGH v. 24. 10. 1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 31. BGH v. 28. 11. 1997 – V ZR 178/96, NJW 1998, 1079. BGH v. 16. 3. 1992 – II ZB 17/91, NJW 1992, 1824. BGH v. 9. 3. 1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129. BGH v. 16. 6. 1955 – II ZR 900/53, BGHZ 17, 385. BGH v. 9. 3. 1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129.
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§3
Rz. 21
Gesellschafterberatung
kapital einzustehen haben. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist der Tag der Eintragung1. Die Differenz ist durch eine Vorbelastungsbilanz zu ermitteln, bei der regelmäßig die Fortführungswerte2 anzusetzen sind, es sei denn, dass sich bei der Eintragung bereits die mangelnde Überlebensfähigkeit abzeichnet. Dann kommt es auf die Liquidationswerte an3. Hat sich durch die Geschäftstätigkeit während der Gründungsphase schon eine feste organisatorische Einheit herausgebildet, die als Unternehmen am Markt veräußert werden könnte, kann es auch als Ganzes nach dem Ertragswertverfahren bewertet werden4. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung bei Unternehmenswerten im Überschuldungsstatus (s. § 1 Rz. 180 ff.) ist es für die Vorbelastungshaftung aber wohl nicht erforderlich, dass konkrete Kaufangebote vorliegen. 21
In die Vorbelastungsbilanz sind sämtliche werthaltigen Forderungen und Verbindlichkeiten aufzunehmen. Das gilt insbesondere auch für Ansprüche gegen Gesellschafter wegen überbewerteter Sacheinlagen. Nur der Gründungsaufwand führt nicht zur Haftung, wenn er analog § 26 Abs. 2 AktG in der Satzung festgelegt und angemessen ist5.
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Die Geschäftsführer sind verpflichtet, die Unterbilanzhaftung geltend zu machen. Tun sie es nicht, sind sie schadensersatzpflichtig mit der Konsequenz, dass sie auch dann noch haften, wenn Ansprüche gegen die Gesellschafter längst verjährt sind. Die für die Gesellschafter geltende Frist bemisst der BGH analog § 9 Abs. 2 GmbHG6 mit jetzt zehn Jahren. Lässt der Geschäftsführer die Ansprüche verjähren, haftet er ab Verjährungseintritt (= Schadenseintritt) weitere fünf Jahre gemäß § 43 Abs. 4 GmbHG.
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Das Gefährliche an der Unterbilanzhaftung ist, dass sie zunächst unbemerkt bleibt, weil auf den Eintragungsstichtag regelmäßig keine Bilanz erstellt und ein irgendwann einmal in Höhe des Stammkapitals (wieder) ausgewiesenes Eigenkapital als „Entwarnung“ angesehen wird. Der Haftungsanspruch kann jedoch nur durch Leistung erfüllt werden. Er steht nicht etwa unter einer auflösenden Bedingung der Wertaufholung des Gesellschaftsvermögens. Deshalb erlischt er auch nicht von selbst durch in der GmbH erwirtschaftete Gewinne7. Anderenfalls könnte der Anspruch nicht wirksam verfolgt oder verwertet werden. Wegen der Einlageähnlichkeit der Vorbelastungshaftung unterliegt der Haftungsanspruch überdies dem Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 4 GmbHG.
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Wurde keine Vorbelastungsbilanz erstellt und sind auch keine Geschäftsaufzeichnungen vorhanden, aus denen sie nachträglich angefertigt werden kann, bestehen aber hinreichende Anhaltspunkte für eine Unterdeckung im Zeit-
1 BGH v. 9. 3. 1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129; v. 24. 10. 1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300. 2 BGH v. 6. 12. 1993 – II ZR 102/93, ZIP 1994, 295. 3 BGH v. 29. 9. 1997 – II ZR 245/96, ZIP 1997, 2008. 4 BGH v. 18. 3. 2002 – II ZR 11/01, DStR 2002, 1538; v. 16. 1. 2006 – II ZR 65/04, ZIP 2006, 668. 5 Scholz/Winter/Westermann, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 5 Rz. 111 ff. 6 BGH v. 24. 10. 1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300. 7 BGH v. 16. 1. 2006 – II ZR 65/04, ZIP 2006, 668.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 26
§3
punkt der Eintragung, haben die Gesellschafter darzulegen, dass das Stammkapital nicht schon im Gründungsstadium angegriffen wurde1. Oben wurde erwähnt, dass der Zweck der Gründungsgesellschaft die Herbeiführung der Eintragung ist. Deshalb greift die Gesellschafterhaftung auch nur dann ein, wenn alle Mitglieder mit der Geschäftstätigkeit einverstanden waren. Waren sie es nicht, konnten die Geschäftsführer die Gründungsgesellschaft nicht wirksam vertreten. Dann bleibt es bei der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG2. An das Einverständnis dürfen allerdings keine hohen formellen Anforderungen gestellt werden. Konkludentes Handeln reicht aus3. Unklar ist, ob neben den Geschäftsführern auch diejenigen haften, die der vorzeitigen Geschäftsaufnahme zugestimmt haben. Das wird im Ergebnis zu bejahen sein; denn es wäre unangemessen, sie zu Lasten der Geschäftsführer von jeglicher Haftung nur deshalb zu befreien, weil bspw. ein einziger gering beteiligter Gesellschafter widersprochen hat. Der BGH fasst den Handelndenbegriff jedoch recht eng. Entgegen früherer Auffassung gehören dazu nicht die Gesellschafter als Auftraggeber, sondern nur die Geschäftsführer und die wie ein Geschäftsführer nach außen tätig gewordenen Personen4. In Betracht kommt dann nur ein Aufwendungsersatzanspruch der Handelnden im Innenverhältnis zu denjenigen Gesellschaftern, die eine Geschäftsaufnahme beschlossen und ihn – wenn auch gesellschaftsrechtlich unwirksam – entsprechend beauftragt haben. Sinnvoller wäre es, einen zumindest qualifizierten Mehrheitsbeschluss ebenso wie bei einer Änderung des Gesellschaftsvertrages analog § 57 Abs. 2 GmbHG ausreichen zu lassen und die dissentierenden Gesellschafter dadurch zu schützen, dass nur die der Geschäftsaufnahme zustimmende Mehrheit der Vorbelastungshaftung unterliegt.
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Die Unterbilanzhaftung greift nur ein, wenn die GmbH auch tatsächlich eingetragen wird. Kommt es dazu nicht, bedarf es keiner Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des – dann auch nicht publizierten – Stammkapitals, sondern nur bis zur ausgeglichenen Bilanz ohne Eigenkapitalausweis. Dann sind alle Verbindlichkeiten gedeckt. An die Stelle der Unterbilanzhaftung tritt bei der stecken gebliebenen Gründung die Verlustdeckungshaftung. Beide sind eine Innenhaftung, die von den Gesellschaftern – mit der Ausfallhaftung des § 24 GmbHG entsprechend der Beteiligungshöhe – zu erfüllen ist. Beide sind der Höhe nach unbegrenzt bis zum Ausgleich der Überschuldung (bei stecken gebliebener Eintragung) bzw. des Stammkapitals (Unterbilanzhaftung)5. Ein Unterschied besteht bei der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG. Sie wird durch die Unterbilanzhaftung nur ersetzt, wenn es tatsächlich zur Eintragung kommt. Ist das nicht der Fall, bestehen die Handelndenhaf-
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1 BGH v. 17. 2. 2003 – II ZR 281/00, ZIP 2003, 625. 2 BGH v. 9. 3. 1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129; v. 4. 3. 1997 – II ZR 123/94, ZIP 1997, 679. 3 BGH v. 15. 6. 1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45. 4 BGH v. 9. 3. 1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129; BGH v. 26. 1. 1967 – II ZR 122/64, BGHZ 47, 25; zum faktischen Geschäftsführer: BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 5 BGH v. 27. 1. 1997 – II ZR 123/94, ZIP 1997, 679, v. 24. 10. 2005 – II ZR 129/04, ZIP 2005, 2257.
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§3
Rz. 27
Gesellschafterberatung
tung des Geschäftsführers und die Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter nebeneinander. 27
Wird die Geschäftstätigkeit der Gründungsgesellschaft fortgesetzt, obwohl die Eintragung nicht mehr verfolgt wird, „haben die Gründer für sämtliche Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft, auch für die bis zum Scheitern entstandenen, nach personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen einzustehen“1. Damit wandelt sich die pro-rata-Haftung in eine unbegrenzte gesamtschuldnerische Haftung. d) Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften2
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Wegen der großen Haftungsgefahren einer Geschäftstätigkeit vor der Eintragung werden häufig bestehende Gesellschaften verwendet. Von einer „Vorratsgesellschaft“ wird gesprochen, wenn sie von vornherein auf Vorrat für eine spätere Geschäftstätigkeit durch andere als die Gründer errichtet wurde, von einer „Mantelgesellschaft“, wenn sie schon aktiv tätig war, den Betrieb aber eingestellt und ihr Vermögen versilbert hat, so dass nur noch der rechtliche „Mantel“ übrig bleibt. Die Gründung von Vorratsgesellschaften ist zulässig3. Voraussetzung ist nur, dass der Geschäftszweck – z.B. „Verwaltung eigenen Vermögens“ – offen ausgewiesen wird. Sonst ist die Gründung gemäß § 75 GmbHG – wenn auch heilbar – nichtig.
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Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist die Gründung einer Vorratsgesellschaft erst dann richtig abgeschlossen, wenn sie auch tatsächlich für Geschäftstätigkeiten verwendet wird, die über den Selbstzweck der Verwaltung eigenen Vermögens hinausgehen. Ähnlich spricht man bei der Wiederaktivierung einer Mantelgesellschaft von einer wirtschaftlichen Neugründung. In beiden Fällen kommt deshalb das Gründungsrecht insofern zum Zuge, als die Geschäftsführer die erstmalige oder erneute Verwendung beim Handelsregister anzeigen müssen. Entsprechend § 8 Abs. 2 GmbHG haben sie zu versichern, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG bezeichneten Leistungen bewirkt und weiterhin zu ihrer freien Verfügung stehen4. Erst dann ist der (Neu-) Gründungsvorgang abgeschlossen. Auf den Zeitpunkt der Anzeige ist auch für die Unterbilanzhaftung abzustellen5. Die Gesellschafter laufen also wie bei der Vorgesellschaft erhebliche Haftungsgefahren, wenn sie mit der Geschäftstätigkeit ohne eine Offenlegung gegenüber dem Handelsregister beginnen. Auch hier gilt im Übrigen, dass sämtliche Gesellschafter mit der Geschäftstätigkeit einverstanden sein müssen, was meist allein aus ihrer Beteiligung am Vorratsoder Mantelerwerb folgt. Sind sie es nicht, unterliegen die Geschäftsführer der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG, obwohl sie als Vertreter einer
1 BGH v. 4. 11. 2002 – II ZR 204/00, ZIP 2002, 2309. 2 Umfassend: Goette, DStR 2004, 461 ff. 3 BGH v. 9. 12. 2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251; v. 7. 7. 2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698. 4 BGH v. 9. 12. 2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251. 5 BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 4/02, ZIP 2003, 1698; OLG Celle v. 11. 5. 2005 – 9 U 218/04, GmbHR 2005, 1496.
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Spliedt
Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 32
§3
förmlich eingetragenen GmbH auftreten1. In der Praxis wird immer noch übersehen, dass allein die im Zusammenhang mit der Anmeldung eines Geschäftsführerwechsels abgegebene Versicherung, dass die (Mindest-)Einlagen (wieder) zur freien Verfügung stehen, nicht ausreicht. Die Offenlegung der (Wieder-)Aktivierung ist nach dem BGH-Beschluss vom 7. 7. 2003 zusätzlich erforderlich. Die Haftungsvoraussetzungen bei der Mantelverwendung sind nicht identisch mit den Voraussetzungen für eine Änderung der wirtschaftlichen Identität bei § 8 Abs. 4 KStG, die zum Wegfall der steuerlichen Verlustvorträge führt. Solange ein wesentlicher Geschäftsbetrieb „in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise“2 besteht, liegt nur eine Umorganisation vor, die nicht zur Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Gründungsvorschriften führt.
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2. Kapitalerhöhung der GmbH Für die Kapitalerhöhung verweisen die §§ 55 Abs. 4, 56 ff. GmbHG auf die Vorschriften zur Kapitalaufbringung bei der Gründung, so dass hier nur auf die bei der Erhöhung spezifischen Probleme eingegangen wird.
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a) Aufgabe des Gebots der wertgleichen Deckung Eine Unterbilanzhaftung auf den Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister kommt nicht in Betracht, weil die Gesellschaft vor der Kapitalerhöhung üblicherweise bereits tätig ist. Wenn deshalb nicht auf den Wert des gesamten Gesellschaftsvermögens abgestellt werden kann, wäre es immerhin denkbar, isoliert den Wert der neuen Einlage zu betrachten, und zwar nicht bei Eintragung, sondern im Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister. Das tat die Rechtsprechung anfänglich auch, allerdings nicht mit der Forderung nach einer bei einem laufenden Geschäftsbetrieb ungeeigneten Unterbilanzhaftung3, sondern mit dem sogenannten Gebot der wertgleichen Deckung. Bei der Anmeldung müsse die Einlage aus der Kapitalerhöhung zwar nicht identisch, wohl aber dem Wert nach in Vermögensgegenständen der Gesellschaft noch vorhanden sein4. Zwar verfuhr der BGH mit der wertgleichen Deckung zunehmend großzügiger. So reichte es aus, dass die Einlage auf ein debitorisch geführtes Konto gezahlt wurde, wenn die Bank wieder Verfügungen in gleicher Höhe zuließ5. Hingegen sollte es an einer wertgleichen Deckung fehlen, wenn die aus der Erhöhung stammenden Mittel zum Ausgleich von Verbindlichkeiten6 oder für Aufwendungen des laufenden Geschäftsbetriebes verbraucht wurden. Diese Differenzierung erwies sich jedoch für den Gläubigerschutz als ungeeignet, weil es bei einer tätigen Gesellschaft keine Rolle spielt, ob die aus der Erhöhung stammenden Mittel vor oder nach der Anmel1 BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 4/02, ZIP 2003, 1698; problematisierend allerdings der Vorsitzende des II. Zivilsenats Goette, DStR 2004, 461, 464. 2 BGH v. 7. 7. 2003 – II ZR 4/02, ZIP 2003, 1698. 3 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 263/91, NJW 1992, 3300. 4 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 263/91, NJW 1992, 3300. 5 BGH v. 10. 6. 1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466. 6 BGH v. 10. 6. 1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466.
Spliedt
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§3
Rz. 33
Gesellschafterberatung
dung zur Schuldentilgung verwendet werden. Deshalb hat der BGH den Vorbehalt der wertgleichen Deckung schließlich aufgegeben. Die Versicherung des Geschäftsführers muss jetzt nur noch lauten, dass der Betrag zur freien Verfügung eingezahlt wurde und in der Folge nicht an den Inferenten zurückfloss1. 33
Damit ist auch eine Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger aus den Einlagemitteln zulässig2. Der Inferent darf sogar direkt an die Gesellschaftsgläubiger zahlen3. Dessen Forderung muss jedoch vollwertig, fällig und liquide sein. Daran fehlt es, wenn eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch die Kapitalerhöhung nicht beseitigt wird. Soweit es die Mindesteinlage gemäß §§ 57 Abs. 2, 7 Abs. 2 GmbHG betrifft, muss jedoch weiterhin zusätzlich beachtet werden, dass sie auch im Rahmen der Kapitalerhöhung zur freien Verfügung des Geschäftsführers stehen muss. Insofern führt eine Direktzahlung selbst auf Weisung des Geschäftsführers nicht zum Erlöschen der Einlageverpflichtung4. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Mindesteinlage, wenn der Gesellschafter auf ein debitorisch geführtes Konto zahlt, falls nicht – auch nicht von einem anderen Konto bei derselben Bank5 – wieder verfügt werden darf6. Anders ist es hingegen nach Aufgabe der Rechtsprechung zur wertgleichen Deckung, wenn es der Geschäftsführer selbst ist, der nach Zahlung auf ein Konto, über dessen Guthaben er frei verfügen kann, den Bankkredit endgültig zurückführt, weil die Einlagemittel dann kurzfristig zu seiner freien Verfügung standen. Ob er mit der Zahlung an die Bank den Kreditspielraum wieder erhöht, spielt keine Rolle mehr. Am Kriterium der freien Verfügbarkeit sind nunmehr auch Verwendungsabsprachen zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern zu messen. Sind die Geschäftsführer noch in der Lage, eine – wenn auch abredewidrige – andere Verwendungsentscheidung zu treffen, ist die Einlageverpflichtung trotz der Verwendungsabsprache auch hinsichtlich der Mindesteinlage erfüllt7. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage bei der Kapitalerhöhung von derjenigen bei der Gründung8. Nur an den Inferenten zurückfließen darf der Einlagebetrag nicht9. Dann handelt es sich um das oben gesprochene Hin- und Herzahlen, das keine wirksame Einlageleistung darstellt.
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Kapitalerhöhungen werden häufig bei dringendem Geldbedarf geschlossen. Im Vertrauen darauf, dass der formelle Gesellschafterbeschluss alsbald nachgeholt wird, stellen einflussreiche Gesellschafter schon vorher einen Betrag in Anrechnung auf die künftige Einlageschuld zur Verfügung. Genau genommen 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH v. 18. 3. 2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. BGH v. 29. 1. 2001 – II ZR 183/00, ZIP 2001, 513. BGH v. 18. 3. 2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. BGH v. 25. 11. 1985 – II ZR 48/85, NJW 1986, 989; ebenso für die AG: BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 263/91, NJW 1992, 3300. BGH v. 18. 3. 2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993. BGH v. 8. 11. 2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121; v. 10. 6. 1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466; v. 18. 3. 2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993. BGH v. 18. 3. 2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545; v. 18. 3. 2002 – II ZR 363/00, ZIP 2002, 799; v. 29.1. 2001 – II ZR 183/00, ZIP 2001, 513; vgl. schon vor Aufgabe der wertgleichen Deckung, BGH v. 24. 9. 1990 – II ZR 203/89, NJW 1991, 226. Dazu BGH v. 25. 11. 1985 – II ZR 48/85, ZIP 1986, 161; v. 13. 7. 1992 – II ZR 263/91, ZIP 1992, 1387 (zur AG). BGH v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 35
§3
wird dann später, wenn diese Schuld durch den beurkundeten Erhöhungsbeschluss formwirksam entstanden ist, nicht mehr der Geldbetrag eingelegt, sondern die – sei es auch auflösend bedingte – Forderung gegen die GmbH aus der Voreinzahlung. Trotzdem hat der BGH keine Bedenken gegen das Erlöschen der Einlageverpflichtung, wenn der vorzeitig zur Verfügung gestellte Betrag noch unverbraucht bei der GmbH vorhanden ist. Das ist wörtlich zu nehmen. Selbst die Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Konto, die sogar nach der inzwischen aufgegebenen strengen Rechtsprechung zum Vorbehalt der wertgleichen Deckung als Einlageleistung nach dem Erhöhungsbeschluss ausreichte, wenn die Bank Verfügungen in entsprechender Höhe wieder zuließ, wird bei der Voreinzahlung nicht anerkannt1. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage vor und nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss. Ausnahmsweise können Voreinzahlungen als wirksame Erfüllung der Einlageschuld auch dann anerkannt werden, wenn sie nicht mehr unverbraucht vorhanden sind. Voraussetzung ist, dass der Erhöhungsbeschluss mit der gebotenen Eile nachgeholt wird, ein akuter Sanierungsfall vorliegt und andere Maßnahmen zur Rettung der sanierungsbedürftigen Gesellschaft nicht in Betracht kommen2. In der Praxis werden diese Voraussetzungen bei einer GmbH mit einem i.d.R. überschaubaren Mitgliederkreis kaum erfüllt sein. Anders mag es wegen der Ladungsformalitäten bei einer AG mit zahlreichen Aktionären sein. Das oben (Rz. 6 ff.) dargestellte Hin- und Herzahlen kommt bei der Kapitalerhöhung häufiger vor als bei der Kapitalaufbringung in der Gründungsphase, weil sich inzwischen ein Geschäftsverkehr auch mit den Gesellschaftern entwickelt haben kann. Für die Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob erst der Gesellschafter zahlt und die Gesellschaft damit anschließend einer im Zeitpunkt der Einlageleistung schon bestehende (alte) Gesellschafterforderung befriedigt oder ob es umgekehrt verläuft3. Beide Varianten sind unzulässig, falls es nicht ausnahmsweise an einer (vermuteten) Vorabsprache fehlt. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Betrag auf einem zentralen Konzernkonto (cash-Pool) angelegt wird4 und damit entweder Konzernkreditschulden aus der Vergangenheit befriedigt werden oder ein Konzerndarlehen gewährt wird. Nach dem Urteil vom 12. 2. 20075 muss das Konto aber von der Inferentin oder einer Gesellschaft geführt werden, an der die Inferentin direkt beteiligt ist. Ist eine andere Konzerngesellschaft Kontoinhaberin, an der die Inferentin nicht direkt beteiligt ist, steht das – jedenfalls in Überragung der Grundsätze des zum Kaufvertrag ergangenen Urteils – einer wirksamen Kapitalaufbringung auch dann nicht entgegen, wenn die (mittelbare) Gesellschafterin durch die Kontogutschrift von einer (Konzern-)bürgschaft gegenüber der kontoführenden Bank befreit wird. Kapitalaufbringung und Bürgenhaftung sind voneinander zu trennen. So mag die GmbH – z.B. unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes – zwar einen Anspruch gegen den Gesellschafter auf Erstattung oder Wiedereinräumung der Bürgschaftsverpflichtung haben, wenn er durch die Ver1 2 3 4 5
BGH v. 15. BGH v. 26. BGH v. 26. BGH v. 16. BGH v. 12.
3. 2004 – II ZR 210/01, ZIP 2004, 849. 6. 2006 – II ZR 43/05, ZIP 2006, 2214. 5. 1997 – II ZR 69/96, ZIP 1997, 1337. 1. 2006 – II ZR 76/04, ZIP 2006, 665. 2. 2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528.
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35
§3
Rz. 36
Gesellschafterberatung
wendung seiner Einlage von einer Bürgenhaftung befreit wurde. Ist die Einlageleistung jedoch für sich genommen wirksam, ändert die dadurch untergegangene Bürgenhaftung daran nichts1. 36
Ein unzulässiges Hin- und Herzahlen liegt nicht vor, wenn die Auszahlung der Gesellschaft auf einer Neuforderung des Gesellschafters beruht und dies nicht vorabgesprochen ist, was allerdings bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang vermutet wird2. So handelt es sich bei dem Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren, bei der die Kapitalerhöhung aus Gewinnen der Gesellschaft gespeist wird, zwar regelmäßig um ein unzulässiges Hin- und Herzahlen bzw., was dem gleichkommt, um eine verschleierte Sacheinlage, weil der Gewinnanspruch eingebracht wird. Ist die Aufbringung der Einlage durch Gewinnansprüche von vornherein beabsichtigt, handelt es sich der Sache nach um eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, für die die §§ 57c ff. GmbHG zu beachten sind3. Dafür kann die letzte Jahresbilanz zugrunde gelegt werden, wenn sie geprüft und nicht älter als acht Monate ist, § 57e Abs. 1 GmbHG. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist aber der Gewinnverwendungsbeschluss schon gefasst worden, kann der Auszahlungsanspruch im Wege der Sacheinlage eingebracht werden4. Handelt es sich hingegen um Gewinnansprüche, die erst in noch nicht bekannter Höhe nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss entstehen, mithin um Neuforderungen, verstößt eine einvernehmliche Verrechnung nicht gemäß § 19 Abs. 5 GmbHG, falls es an der Vorabsprache und der Indizwirkung des sachlichen und zeitlichen Zusammenhanges fehlt. Voraussetzung ist dann aber, dass die Forderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft im Verrechnungszeitpunkt vollwertig, fällig und liquide ist5. b) Darlegungs- und Beweislast
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Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gesellschafter seine Einlageverpflichtung ordnungsgemäß nachgekommen ist, trifft ihn selbst dann, wenn die Vorgänge sehr lange zurückliegen6. Soweit es die Umgehungsgefahren (z.B. keine freie Verfügbarkeit, Hin- und Herzahlen, verschleierte Sacheinlage) betrifft, ist von der Erfüllung der Einlageschuld auszugehen, wenn die Einzahlung auf ein Gesellschaftskonto nachgewiesen wird. Dann ist es Sache des Insolvenzverwalters, Anhaltspunkte vorzutragen, die für die Umgehung sprechen7. Geschieht dies, ist es wieder an dem Gesellschafter, die Erfüllung zu beweisen. Das gilt insbesondere bei einer Verrechnung der Einlageschuld für die Vollwer-
1 BGH v. 18. 3. 2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. 2 BGH v. 13. 5. 1996 – II ZR 275/95, ZIP 1996, 1248; OLG Hamburg v. 28. 4. 2006 – 11 U 291/05, GmbHR 2006, 934. 3 BGH v. 26. 5. 1997 – II ZR 69/96, ZIP 1997, 1397. 4 Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 29 Rz. 63. 5 BGH v. 16. 9. 2002 – II ZR 1/00, ZIP 2002, 2045. 6 OLG Brandenburg v. 5. 4. 2006 – 4 U 156/05, ZIP 2006, 1343; OLG Frankfurt v. 18. 7. 2005 – 1 U 109/05, NZG 2005, 898. 7 BGH v. 13. 9. 2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28; v. 8. 11. 2004 – II ZR 202/03, DStR 2005, 297.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 40
§3
tigkeit1. Für die Ausfallhaftung der Mitgesellschafter nach Kaduzierung des Anteils vom säumigen Gesellschafter entfaltet ein rechtskräftiges Urteil, das die Nichtzahlung des ausgeschiedenen Gesellschafters festgestellt hat, keine Bindungswirkung2. c) Stecken gebliebene Kapitalerhöhung Gelegentlich kommt es vor, dass die Gesellschafter eine Kapitalerhöhung beschließen, die bis zur Insolvenz nicht in das Handelsregister eingetragen wird, sei es, dass es Eintragungshindernise gibt, sei es, dass noch nicht sämtliche Gesellschafter ihre Einlage zur freien Verfügung des Geschäftsführers gezahlt haben. Dann ergibt sich die Frage, ob die Eintragung noch erfolgen kann, wer dafür zuständig ist und ob sich die Gesellschafter von der Einlageverpflichtung lösen können3.
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Voraussetzung für einen wirksamen Erhöhungsbeschluss ist die notarielle Beurkundung. Formunwirksame Beschlüsse können nicht umgedeutet werden in eine andere Finanzierungszusage z.B. durch Darlehen, weil der Beschluss auf die Zuführung von Eigenkapital mit einer Änderung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse (z.B. bei der Gewinnverteilung, falls einige Gesellschafter an der Kapitalerhöhung nicht teilnehmen) gerichtet ist.
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Ist die notarielle Beurkundung erfolgt, wird der Kapitalerhöhungsbeschluss gleichwohl erst mit der Eintragung wirksam, § 54 Abs. 3 GmbHG. Für die Anmeldung sind die Geschäftsführer zuständig, §§ 57, 8 GmbHG. Die Zuständigkeit geht mit der Insolvenzeröffnung nicht auf den Verwalter gemäß § 80 InsO über4; denn Statusänderungen bei der Schuldnerin gehören genauso wie z.B. die Geschäftsführerbestellung zum insolvenzfreien Bereich. § 80 InsO betrifft das Vermögen des Schuldners, nicht dessen interne Organisation. Auf den Theorienstreit über die Rechtsstellung des Verwalters5 kommt es hierfür nicht an. Selbst wenn in Abweichung von der herrschenden Meinung der Insolvenzverwalter als Organ der Gesellschaft angesehen werden würde, würden seine Befugnisse nicht über den aus der InsO ersichtlichen Bereich hinausgehen6. Bleibt somit die Verpflichtung zur alsbaldigen Anmeldung der Kapitalerhöhung beim Geschäftsführer, können die Gesellschafter ihn anweisen, die Anmeldung
40
1 BGH v. 15. 6. 1992 – II ZR 229/91, NJW 1992, 229; v. 2. 12. 2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 2 BGH v. 8. 11. 2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121. 3 Das ist nicht zu verwechseln mit einer eingetragenen Kapitalerhöhung, bei der nur noch der Einzahlungsbeschluss der Gesellschafter gem. § 46 Nr. 2 GmbHG fehlt. Seiner bedarf es für die Einforderung durch den Insolvenzverwalter nicht mehr, BGH v. 15. 10. 2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416. 4 BayObLG v. 17. 3. 2004 – 3z BR 46/04, ZIP 2004, 1426; a.A. Gundlach/Frenzel/ Schmidt, NZI 2007, 692 ff., die zwar einerseits konzedieren, dass der Beschluss bis zur Eintragung nicht wirksam ist, gleichwohl aber eine Einlageforderung annehmen, auf die sich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Verwalters erstrecke, und der deshalb zur Anmeldung berechtigt sei. 5 Dazu Kübler/Pütting/Lüke, InsO, 10. Lfg. 2001, § 80 Rz. 32 ff. 6 BGH v. 5. 7. 2001 – IX ZR 327/99, ZIP 2001, 1469.
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§3
Rz. 41
Gesellschafterberatung
nicht einzureichen oder gar zuückzunehmen1. Deshalb gebietet es die haftungsbewehrte Sorgfaltspflicht des § 43 Abs. 1 GmbHG, dass der Geschäftsführer wegen der durch das Insolvenzereignis veränderten Umstände eine Gesellschafterentscheidung einholt; denn nach Auffassung des BGH kann der Erhöhungsbeschluss zwar nach Insolvenzeröffnung noch eingetragen werden mit der Folge, dass die Einlageforderung als Neuerwerb i.S.v. § 35 InsO in die Masse fällt2. Die Gesellschafter haben aber die Möglichkeit, den Beschluss bis zur Eintragung aufzuheben3. Darüber zu entscheiden, muss der Geschäftsführer den Gesellschaftern durch Einberufung einer Gesellschafterversammlung Gelegenheit geben. 41
Im Interesse der Minderheit soll es nach verbreiteter Meinung in der Literatur noch nicht einmal erforderlich sein, dass die Satzungsänderung durch einen förmlichen Beschluss, den die Minderheit eventuell nicht durchsetzen könnte, wieder aufgehoben wird. Vielmehr wird angenommen, dass der Erhöhungsbeschluss von vornherein auflösend bedingt durch das Insolvenzereignis gefasst wurde4. Ebenso soll die Bindungswirkung aus dem gemäß § 55 Abs. 3 GmbHG gesondert zu beurkundenden Übernahmevertrag mit der Insolvenz entfallen5. Dem ist zuzustimmen; denn Geschäftsgrundlage der Kapitalerhöhung ist, dass der Gesellschaftszweck noch erreicht werden kann. Mit der Insolvenzeröffnung wird die Gesellschaft jedoch aufgelöst, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, so dass sich der ursprüngliche Zweck in den Liquidationszweck umgestaltet, vgl. § 70 GmbHG. Das geschieht zwar erst durch den förmlichen Eröffnungsbeschluss. Aber schon der Insolvenzantrag oder sogar der zuvor eingetretene Insolvenzgrund lassen Zweifel an der Zweckerreichung aufkommen, so dass der Übernehmer bis zur endgültigen Klärung einen Anspruch auf Verhinderung der Eintragung und auf Zurückbehaltung der Zahlung hat. Anders verhält es sich, wenn er säumig ist und bei rechtzeitiger Leistung keine Verweigerungsmöglichkeit gehabt hätte. Es kann nicht sein, dass die vertragstreuen Gesellschafter ihre Einlage erbringen, ihr Geld durch die Insolvenz verlieren und der vertragsuntreue Gesellschafter von der Leistung befreit wird. Ein Lösungsrecht besteht auch dann nicht, wenn die Kapitalerhöhung in Kenntnis der Krise beschlossen wurde. Dann muss jeder mit einem Scheitern der Sanierung rechnen, so dass er nicht im Nachhinein behaupten kann, der Sanierungserfolg hätte die Geschäftsgrundlage gebildet. Parallele Wertung gibt es zur Kündbarkeit eines von dritter Seite zugesagten Sanierungskredits (§ 4 Rz. 78) oder eines von Gesellschaftern zugesagten Finanzplankredits ( § 4 Rz. 217 ff.).
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Falls eine beschlossene Kapitalerhöhung nicht vollzogen wird, können die von einigen Gesellschaftern bereits geleisteten (Mindest-)Einlagen gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB zurückgefordert werden. Es handelt sich jedoch nur um eine Insolvenzforderung, § 38 InsO. Zwar werden die Zahlungen zur freien Verfügung des Geschäftsführers geleistet, aber eben nicht an ihn als Privatperson. Die Mittel gehören somit zum Vermögen der Schuldnerin. Anders wäre es, 1 2 3 4 5
Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 54 Rz. 4. Kuntz, DStR 2006, 519. BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28. Baumbach/Hueck/Zöllner, 18. Aufl. 2006, § 55 Rz. 5. Baumbach/Hueck/Zöllner, 18. Aufl. 2006, § 55 Rz. 37.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 45
§3
wenn der Betrag auf ein offen ausgewiesenes Treuhandkonto entrichtet wird, das auf den Namen des Geschäftsführers persönlich oder auf den Namen der GmbH lautet. Fließen darauf nur die Einlagezahlungen mit der Vereinbarung, darüber erst zu verfügen, unmittelbar bevor1 die Kapitalerhöhung angemeldet wird, hätten die Gesellschafter in der Insolvenz ein Aussonderungsrecht, falls die Anmeldereife bis dahin nicht eingetreten ist. Statt dessen können die Mittel auch auf das Anderkonto eines Notars gezahlt werden, der sie erst mit der Anmeldung freigibt2. In Sanierungsfällen sind solche Sicherungsmaßnahmen wichig, weil die Einzahlung aller Einlagen aus der Kapitalerhöhung häufig Voraussetzung für das Gelingen der Sanierung ist, Einzahlungen nur einiger Geellschafter die Insolvenz hingegen nicht vermeiden können und deshalb verloren sind.
3. Kapitalerhaltung der GmbH Viele Mandanten begegnen dem Grundsatz der Kapitalerhaltung mit Unverständnis. Sie meinen, dass die Einlagen als Haftungsfonds separiert werden müssen, gelegentlich sogar, dass keine Verluste erwirtschaftet werden dürfen. Es geht jedoch allein um das Verbot der Einlagenrückgewähr an die Gesellschafter und ihnen zuzurechnende Dritte.
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Gesetzlich sind das Verbot in § 30 GmbHG und die Rechtsfolge in § 31 GmbHG geregelt. Das ist abschließend mit der Konsequenz, dass § 30 GmbHG kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB ist. Vielmehr ist eine Einlagenrückgewähr dinglich wirksam und löst nur die Erstattungspflichten des § 31 GmbHG aus3. Das kollidiert mit dem Hin- und Herzahlen bei der Kapitalaufbringung, bei der die Ausführungsgeschäfte analog § 27 Abs. 3 AktG sowohl schuldrechtlich als auch dinglich unwirksam sind (s.o. Rz. 6 ff.). Die Kollision löst der BGH dadurch, dass er die §§ 30 f. GmbHG erst eingreifen lässt, wenn die Kapitalaufbringung abgeschlossen ist4, wenn also ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Einlageleistung nicht mehr besteht.
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a) Buchwertbetrachtung § 30 GmbHG verbietet nicht jede Einlagenrückgewähr, sondern nur diejenige, die das Eigenkapital unter dem Stammkapital senkt oder eine schon bestehende Lücke noch vergrößert. Maßgebend sind die nach § 42 GmbHG ermittelten Buchwerte im Zeitpunkt der Entnahme5, und zwar auch dann, wenn Buchverluste auf ausschließlich steuerlich motivierten Sonderabschreibungen beruhen6. Liegt das bilanzielle Eigenkapital unter dem Stammkapital, spricht man von einer Unterbilanz, besteht sogar ein durch Eigenkapital nicht gedeckter Fehlbetrag, von einer bilanziellen Überschuldung. Sie ist nicht identisch mit 1 2 3 4 5
Vgl. § 188 Abs. 2 AktG. Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 188 Rz. 10. BGH v. 23. 6. 1997 – II ZR 220/95, ZIP 1997, 1450. BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997. BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109; v. 22. 10. 1990 – II ZR 238/99, NJW 1991, 1057; v. 3. 12. 1990 – II ZR 215/89, NJW 1991, 1294. 6 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109.
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§3
Rz. 46
Gesellschafterberatung
der insolvenzrechlichen Überschuldung, für die es nicht auf die Buch-, sondern auf die Verkehrswerte ankommt, § 19 InsO. 46
Daraus ergeben sich mehrere Konsequenzen: Die Erste laute, dass eine Einlagenrückgewähr unschädlich ist, soweit genügend freies Vermögen (Rücklagen) besteht. Die aus dem Steuerrecht bekannte verdeckte Gewinnausschüttung ist gesellschaftsrechtlich bis zu dieser Grenze irrelevant. Natürlich müssen sich die Gesellschafter einig sein. Anderenfalls haftet der einen einzigen Gesellschafter begünstigende Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG und der begünstigte Gesellschafter nach Bereicherungsrecht, weil die zu seinen Gunsten erfolgte Verfügung wegen kollusiven Zusammenwirkens nichtig ist. Außerdem haftet er wegen Verletzung des Gesellschaftsvertrages1.
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Die zweite Konsequenz könnte lauten, dass bei den Haftungsvoraussetzungen buchwertneutrale Geschäfte nicht von § 30 GmbHG erfasst werden. Hat der an den Geschäftsführer übertragene Vermögensgegenstand keinen Buchwert – z.B. Übertragung nicht aktivierungsfähiger schwebender Geschäfte oder selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände, §§ 248 Abs. 2, 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB – oder erbringt der Gesellschafter eine Gegenleistung in Höhe des Buchwertes, läge dann keine Einlagenrückgewähr vor. Daraus ergäbe sich automatisch die dritte Konsequenz, dass auch auf der Rechtsfolgeseite die Buchwertbetrachtung maßgebend sein müsste, der Gesellschafter also bei einer Einlagenrückgewähr gemäß § 31 GmbHG nur den Buchwert zu erstatten hätte.
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Über die erste Konsequenz – kein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsgrundsätze im Bereich des freien Buchwert-Vermögens – besteht Einigkeit. Auch die zweite und dritte Konsequenz, wonach die Buchwertbetrachtung sowohl auf der Tatbestandsseite des § 30 GmbHG als auch auf der Rechtsfolgeseite des § 31 GmbHG maßgebend sein soll, entspricht der wohl herrschenden Meinung und insbesondere der Auffassung des BGH; denn er will die dadurch entstehenden Schutzlücken durch den Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs schließen, die nach einer Änderung der Rechtsprechung2 nunmehr als eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung angesehen wird und in Anspruchskonkurrenz zu den für diese Fallgruppe vermeintlich unzureichenden §§ 30 f. GmbHG steht. Diese Schutzlücken sollen insbesondere – wenn auch nicht nur – daher rühren, dass zwischen Buchwert und Verkehrswert erheblich Differenzen bestehen können3. Die Quellcodes einer selbstentwickelten Software beispielsweise dürfen nicht aktiviert werden, § 248 Abs. 3 HGB, auch wenn die Entwicklung Millionenen gekostet hat. Ihre Übertragung an einen Gesellschafter ist bilanzneutral, so dass keine Einlagenrückgewähr bei einer Buchwertbetrachtung vorläge. Ebenso verhält es sich z.B. mit einem Grundstück samt Gebäude, dass einen Verkehrswert von 1 000 TEuro aber nur einen Buchwert von 600 TEuro hat. Die Differenz von 400 TEuro wäre im Hinblick auf die Eigenkapitalerhaltung bei einer reinen Buchwertbetrachtung haftungsunschädlich, wenn ein Gesellschafter das Grundstück für 600 TEuro erwerben würde. 1 Vgl. § 29 GmbHG. 2 BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. 3 BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 3 Rz. 18; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, 2000, 83, 93 ff., 105 ff.; ders., RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, 1 ff.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 50
§3
Eine solche Sichtweise wird dem Zweck des § 30 GmbHG nicht gerecht, die Gläubiger vor einem Entzug des Haftungsvermögens zu Gunsten der Gesellschafter zu schützen. Der Gläubigerbefriedigung dient auch auch die Differenz zwischen Buch- und Verkehrswert (= stille Reserven), auf die es erst recht ankommt, wenn die Befriedigung gefährdet ist, was durch eine Unterbilanz indiziert wird. Nach dem Wortlaut des § 30 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche „Vermögen“ nicht ausgezahlt werden, wobei der Begriff „Zahlung“ wie auch bei § 64 Abs. 2 GmbHG sämtliche Leistungen erfasst1. Diese Zahlungen, so heißt es in § 31 Abs. 1 GmbHG, müssen erstattet werden. Das Empfangene2 ist zurückzugewähren, nicht nur dessen Buchwert. Gelingt dies nicht, schuldet der Gesellschafter Schadensersatz, § 281 BGB. Dessen Höhe aber richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, wird also durch den Verkehrswert des Gegenstandes bestimmt, §§ 249 ff. BGB3. Daraus folgt, dass die Erstattungspflicht auch die im Buchwert nicht zum Ausdruck kommenden stillen Reserven umfasst4.
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Die Buchwertbetrachtung bildet somit nur den Haftungsrahmen5: Wird durch eine Leistung das bilanzielle Eigenkapital nicht unter das Stammkapital gemindert, besteht keine Veranlassung für eine Haftung, mögen die dem Gesellschafter übertragenen stillen Reserven auch noch so groß sein. Die Gläubiger können immer noch auf den Haftungsfonds zurückgreifen, der ihnen durch Verlautbarung im Handelsregister versprochen wurde – zu Buchwerten zwar, genau das aber ist der Sinn der Einschränkung des subjektiven Bewertungsermessens, der mit den Standardisierungen der handelsrechtlichen Bewertung gerade auch im Hinblick auf den Gläubigerschutz bezweckt wird. Sinkt das Eigenkapital infolge der Leistung unter die Stammkapitalziffer oder lag es schon vorher darunter, muss der Gesellschafter das Empfangene in Natura und ansonsten den Verkehrswert erstatten6, maximal jedoch den Betrag, der zum Ausgleich der Unterbilanz erforderlich ist7.
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1 BGH v. 14. 12. 1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258. 2 BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; z.B. bei Verrechnung einer Forderung ist nicht Zahlung, sondern Wiederbegründung der Forderung geschuldet. 3 Zum selben Ergebnis kommt eine Anwendung der Rückabwicklungsvorschrift des § 346 Abs. 2 BGB. 4 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109 zur Einlagenrückgewähr an den Kommanditisten, für die er die Ähnlichkeit zum Recht der Kapitalgesellschaften betont. 5 Ungenau, die Formulierung bei Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rz. 12, wonach die bilanzielle Betrachtung nur zu Gunsten der Gesellschaft, nicht aber zu Gunsten des Gesellschafters gelten soll, liegt nämlich das buchmäßige Eigenkapital nicht unter dem Stammkapital, können auch noch so hohe stille Reserven keine Haftung des Gesellschafters begründen. 6 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109 zur Einlagenrückgewähr an den Kommanditisten, für die er die Ähnlichkeit zum Recht der Kapitalgesellschaften betont. 7 Ob der Gesellschafter berechtigt ist, bei einer teilweisen Unterschreitung des Stammkapitals beispielsweise die Differenz zu zahlen und ansonsten den günstig übernommenen Gegenstand zu behalten, ist keine Frage der Haftung, sondern der Vertragsanspassung. Zum Recht des Gesellschafters auf Vertragsanpassung vgl. Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., § 30 Rz. 83 ff.
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§3
Rz. 51
Gesellschafterberatung
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Wenn die Buchwertbetrachtung im Haftungsrahmen der Unterbilanz oder Überschuldung für die Bewertung der an den Gesellschafter erbrachten Leistungen nach der hier vertretenen Auffassung nicht maßgebend ist, ist die Schutzlücke, die die §§ 30 f. GmbHG angeblich lassen und mit der die Existenzvernichtungshaftung u.a. begründet wurde, wesentlich kleiner als vielfach behauptet. Die Existenzvernichtungshaftung – nunmehr als eine Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung – kommt dann nur noch für „Kollateralschäden“ in Betracht. Selbst wenn z.B. für einen nicht aktivierten Quellcode der selbst geschaffenen Software als Kaufpreis der Verkehrswert gezahlt wird, können bei der Gesellschaft Nachteile verbleiben, bspw. Leerkosten bei Löhnen und Gehältern, weil Entwicklungsaufträge nicht mehr bearbeitet werden können. Hierfür bedarf es einer anderen Anspruchsgrundlage als der Kapitalerhaltungsvorschriften.
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Nur die hier vertretene Auffassung steht auch im Einklang mit dem Motiv für den Ansatz der Buchwerte bei § 30 GmbHG. Obwohl sich die Buchwertbetrachtung dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen lässt, wird sie damit gerechtfertigt, dass Unsicherheiten und Unwägbarkeiten im Interesse des Gläubigerschutzes vermieden werden sollen1. Dem widerspricht es, wenn sich die Buchwertbetrachtung als eine Beschränkung der Ausgleichsverpflichtung des Gesellschafters gegen den Gläubiger wendet.
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Einige Entscheidungen des BGH zeigen Ansätze zur Relativierung der Buchwertbetrachtung. So hat er schon 1986 ausdrücklich offen gelassen, ob der Verzicht auf einen möglichen Gewinn zu Gunsten des Gesellschafters eine Einlagenrückgewähr darstellt. Nach den Urteilsformulierungen könnte er geneigt sein, die Frage zu bejahen2. Ein nicht realisierter Gewinn ist nun aber das Synonym für stille Reserven, nur mit dem Unterschied, dass es an jeglichem und nicht nur an einem zu geringen Bilanzausweis fehlt. Die Verkehrswerte für die Quellcodes oder das Grundstück lassen sich problemlos unter § 30 GmbHG subsumieren, wenn man den Verzicht auf die Realisierung eines Gewinns, den die Gesellschaft durch Verkauf dieser Vermögensgegenstände zum Verkehrswert erzielt hätte, als „Zahlung“ im Sinne dieser Vorschrift erfasst.
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Das bekannteste Beispiel für die Aufgabe der Buchwertbetrachtung sind die Darlehen an Gesellschafter. Hierbei wird der Aktivposten „Guthaben bei Kreditinstituten“ gegen den Aktivposten „Forderungen gegen verbundene Unternehmen“ getauscht. Gleichwohl hat der BGH darin eine „Zahlung“ gesehen; denn die Gläubiger der Gesellschaft, die auf den Tilgungsanspruch gegen den Gesellschafter im Rahmen eines Insolvenzverfahrens oder im Wege der Pfändung zugreifen wollen, konkurrieren nunmehr mit den anderen Gläubigern dieses Gesellschafters. Diese Risikoerhöhung sei es, die es nach Auffassung des BGH bei wertender Betrachtungsweise gebiete, die Darlehensvergabe als Einlagenrückgewähr zu erfassen, falls der Tilgungsanspruch nicht ausnahmsweise vollwertig besichert sei oder aus anderen Gründen keine Risiken bestünden3. Schon lange vor diesem Urteil hatte der BGH die Stundung des Kaufprei1 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109. 2 BGH v. 1. 12. 1986 – II ZR 306/85, NJW 1987, 1194. 3 BGH v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, ZIP 2004, 263.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 58
§3
ses – also ein Kaufgelddarlehen – für den Verkauf eines Grundstücks an einen Gesellschafter als Einlagenrückgewähr angesehen1. Unklar ist, ob die Behandlung der Darlehensvergabe als Einlagenrückgewähr nur dann gilt, wenn schon vor der Auszahlung eine Unterbilanz ausgewiesen wird, oder ob es ausreicht, dass die Unterbilanz – natürlich ohne Aktivierung des Tilgungsanspruchs – durch die Auszahlung zumindest teilweise entsteht. Bei der hier vertretenen Auffassung, wonach die bilanzielle Betrachtungsweise nur den Haftungsrahmen bildet, reicht die Entstehung der Unterbilanz aus. Die Haftung beschränkt sich allerdings auf den Darlehensteil, mit dem das Eigenkapital ohne Akivierung des Tilgungsanspruchs unter das Stammkapital sinkt. Das Urteil zur Darlehensvergabe hat herbe Kritik erfahren, weil es angeblich das Aus für die von Konzernen praktizierten Cash-Pool-Systeme bedeutet. Warum allerdings die finanzwirtschaftliche Einheit stützenswert sein soll, wenn die haftungsrechtliche Trennung durch die Aufteilung in verschiedene Konzerngesellschaften angestrebt wird, begründen die Kritiker nicht. Natürlich ist ein Cash-Pooling vorteilhaft. Wer aber die Trennung will, muss auch den Haftungsfonds unangetastet lassen. Für das darüber hinausgehende Vermögen ist ein Cash-Pool ohne Weiteres zulässig.
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Bei der Bewertung der an den Gesellschafter erbrachten Leistungen wird regelmäßig übersehen, dass die Einlagenrückgewähr steuerrechtlich eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellt. Das bringt zusätzlich steuerliche Belastungen mit sich, die den bei der Gesellschaft durch die Rückgewähr eintretenden Vermögensnachteil erhöhen. Zwar hat der Gesellschafter davon keinen Vorteil, nachdem eine Anrechnung bei seiner Einkommensteuer nicht mehr in Betracht kommt. Dennoch handelt es sich um einen mit der Einlagenrückgewähr verbundenen Aufwand, der ebenso wie z.B. von der Gesellschaft getragene Beurkundungskosten oder Grunderwerbsteuer bei der Übertragung von Grundbesitz im Interesse des Gesellschafters getrieben wird. Die Körperschaftsteuer ist deshalb zusätzlich zu berücksichtigen. Damit ist die Schwelle zur Unterschreitung des Stammkapitals wesentlich schneller erreicht als bei einer Nettobetrachtung. Gleichwohl ist keine höchstrichterliche Entscheidung bekannt, bei der die Steuerbelastung haftungserhöhend angesetzt wurde.
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b) Haftungssicherung Die Haftung gemäß §§ 30 f. GmbHG hätte in den Darlehensfällen neben der ohnehin bestehenden Verpflichtung des Gesellschafters zur Tilgung außer bei der Verjährung keine Bedeutung, wenn sie nicht durch flankierende Vorschriften besonders gesichert wäre.
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Dazu gehört das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 2 GmbHG, das nach Ansicht des BGH neben das Erlassverbot des § 31 Abs. 4 GmbHG tritt2. Wie bei der Vorbelastungshaftung erlischt auch bei der Einlagenrückgewähr ein einmal entstandener Anspruch nicht automatisch, wenn das Eigenkapital durch Ge-
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1 BGH v. 21. 9. 1981 – II ZR 104/80, NJW 1982, 383. 2 BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 83/00, ZIP 2001, 157.
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§3
Rz. 59
Gesellschafterberatung
winne wieder die Höhe des Stammkapitals erreicht1. Wird also ein Vermögensgegenstand unterhalb des Verkehrswertes – oder, nach der wohl herrschenden Meinung, unterhalb des Buchwertes – an den Gesellschafter übertragen, muss er ihn auch dann erstatten bzw. beim Untergang des Vermögensgegenstandes Ersatz leisten, wenn die Gläubigergefährdung anschließend beseitigt wird. Relevant wird dies immer erst in der Insolvenz, wenn sich später die Vermögensverhältnisse wieder verschlechtern. Bei dem Gesellschafterdarlehen konkurrieren somit der Anspruch aufgrund von § 31 GmbHG mit dem darlehensvertraglichen Anspruch. Wie beim Hin- und Herzahlen im Rahmen der Kapitalaufbringung, wenn die Einlage sofort als Darlehen an den Inferenten wieder ausgereicht wird, wird man auch hier annehmen müssen, dass eine Zahlung an die Gesellschaft mit der Zweckbestimmung „Darlehenstilgung“ zugleich die Haftungsverbindlichkeit erlöschen lässt (Allerdings hatte der BGH dies beim Hin- und Herzahlen mit der Nichtigkeit der Darlehensverbindlichkeit begründet, s.o. Rz. 11 ff., und sich nicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, dass mit einer Leistung zwei nebeneinander bestehende Verbindlichkeiten getilgt werden.). 59
Die Haftung wegen einer Einlagenrückgewähr wird schließlich durch eine subsidiäre Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gesichert. Sie ist auf die Stammkapitalziffer beschränkt2. Anderenfalls müssten die Gesellschafter unüberschaubare Risiken tragen; denn eine Einlagenrückgewähr liegt auch dann vor, wenn eine bilanzielle Überschuldung eingetreten ist3. Müssten die Gesellschafter bei einem Ausfall des primär Erstattungspflichtigen die gesamte Differenz zum Stammkapital ausgleichen, müssten sie u.U. wesentlich mehr zahlen, als sie ursprünglich als Risikobeitrag mit ihrer Beteiligung zu leisten bereit waren. Deshalb ist die Haftung neben der absoluten Beschränkung auf die Stammkapitalziffer auch noch proratarisch in Höhe der jeweiligen Beteiligung ausgestaltet4, wobei es allerdings wieder eine „Ausfallhaftung für den Ausfall“ gibt, wenn ein anderer Gesellschafter seiner subsidiären Haftung nicht nachkommen kann, § 31 Abs. 3 GmbHG. Ein gegen den Gesellschafter, an den die Rückgewähr erfolgte, rechtskräftig ergangenes Urteil wirkt nicht gegen die Mitgesellschafter5. c) Drittbeteiligung
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Der Haftung gemäß §§ 30 f. GmbHG wird in der Praxis häufig versucht zu entgehen, indem Leistungen nicht an den Gesellschafter, sondern an einen möglichst „unverdächtigen“ Dritten gewährt werden. Geschieht dies auf Veranlassung des Gesellschafters, ist die Dreiecksbeziehung Gesellschafter – Gesellschaft – Dritter wie im Schuldrecht bei einer „abgekürzten“ Lieferung zu behandeln. Es liegt eine Einlagenrückgewähr an den Gesellschafter vor6. Glei1 BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 118/98, ZIP 2000, 1251. 2 BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848. 3 BGH v. 17. 3. 1980 – II ZR 11/79, BGHZ 76, 326; v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; v. 5. 2. 1990 – II ZR 114/89, NJW 1990, 1730. 4 BGH v. 22. 9. 2003 – II ZR 229/02, ZIP 2003, 2068. 5 BGH v. 8. 11. 2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121. 6 BGH v. 29. 3. 1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 63
§3
ches gilt für Leistungen an den Treugeber des formellen Gesellschafters1 und an den mittelbar über eine Tochtergesellschaft beteiligten Gesellschafter2, weil in beiden Fällen der Geschäftsanteil für die Rechnung des „Hintermanns“ gehalten wird. Gleiches gilt aber auch für Leistungen an Schwestergesellschaften, an denen der Gesellschafter maßgeblich3, also i.d.R. zu mehr als 50%4 beteiligt ist. Von der Frage, ob Leistungen an Dritte dem Gesellschafter zuzurechnen und deshalb als Einlagenrückgewähr zu behandeln sind, ist die Frage zu unterscheiden, ob der Gesellschafter und/oder der Dritte haftet. Der Gesellschafter haftet in jedem Fall5, der Dritte hingegen nur, wenn er wie ein Gesellschafter zu behandeln ist. Dem ist so bei der schuldrechtlich (Treuhand) oder gesellschaftsrechtlich (über Tochtergesellschaft) vermittelten Beteiligung6. Ansonsten sind Dritte nicht Adressat des Kapitalerhaltungsgebots. Sie müssen die ihnen gewährten Leistungen nicht gemäß §§ 30 f. GmbHG erstatten, selbst wenn sie den Verstoß kennen. Dann allerdings kommt eine Unwirksamkeit der Verfügung wegen kollusiven Zusammenwirkens zwischen Empfänger und Geschäftsführer in Betracht7. Relevant wird das bei einer Insolvenz des Gesellschafters, wenn dann direkt auf den Dritten zugegriffen werden soll. Ein typischer Fall in der Praxis ist die Stellung von Sicherheiten aus dem Vermögen der Gesellschaft für Verbindlichkeiten des Gesellschafters. Das Verbot der Einlagenrückgewähr kann der sicherungsnehmenden Bank nicht entgegengehalten werden8.
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Für den aktienrechtlichen Vertragskonzern bestimmt § 291 Abs. 3 AktG, dass Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages nicht als Verstoß gegen das aktienrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr gelten. Eine verbreitete Meinung in der Literatur will das auch auf die GmbH anwenden9. Dem stimmt der BGH für die unmittelbare Anwendung der §§ 30 f. GmbHG zu und schränkt dies nur für die analoge Anwendung auf die Rückgewähr eigenkapitalersetzender Leistungen ein10.
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d) Beurteilungszeitpunkt Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen ist unterschiedlich. Geht es um die Frage, ob durch die Einlagenrückgewähr eine Unterbilanz entsteht oder vertieft wird, kommt es auf den Zeitpunkt der Zahlung
1 BGH v. 16. 12. 1991 – II ZR 294/90, NJW 1992, 1167. 2 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rz. 32 ff., 60 ff. 3 BGH v. 22. 10. 1990 – II ZR 238/89, NJW 1991, 1057; v. 13. 11. 1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68. 4 BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1340. 5 BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 für die analoge Anwendung der §§ 30 f. GmbHG auf die Rückgewähr bei Eigenkapitalersatz. 6 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rz. 32 ff., 60 ff. 7 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rz. 42 ff. 8 BGH v. 19. 3. 1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793. 9 Überblick bei Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rz. 54 ff. 10 BGH v. 10. 7. 2006 – II ZR 238/04, ZIP 2006, 1488.
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§3
Rz. 64
Gesellschafterberatung
an1. Für die Gesellschaftereigenschaft des Empfängers ist hingegen der (frühere) Zeitpunkt der Vereinbarung maßgebend2. Diese unterschiedlichen Stichtage werden deshalb zugrunde gelegt, weil ein Leistungsaustausch, der einem Drittvergleich – Übertragung zum Verkehrswert – nicht standhält, nur wegen des gesellschaftsrechtlichen Einflusses des Empfängers zustande kommt, wofür die Gesellschafterstellung im Zeitpunkt der Vereinbarung maßgebend ist. Eine Gläubiger-gefährdung tritt hingegen nur ein, wenn im Zeitpunkt der Auszahlung die bilanziellen Verhältnisse angespannt sind, also eine Unterbilanz existiert oder herbeigeführt wird. Weil sich auch dann erst die Gläubigergefahr konkretisiert, ist bei der Ausfallhaftung der Mitgesellschafter ebenfalls auf den Auszahlungszeitpunkt für die Prüfung der Mitgesellschaftereigenschaft abzustellen3. Nicht ganz wertungsparallel mit diesen Erwägungen zieht der BGH für die Frage, ob der Empfänger dem Gesellschafter zuzurechnen ist, ebenfalls die Verhältnisse im Zeitpunkt der Auszahlung heran4. Konsistent wäre es demgegenüber, auch hier an dem (früheren) Zeitpunkt anzusetzen, in dem die Leistungsfrist begründet wird. Nur so können Umgehungen vermieden werden.
III. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung 1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung 64
Die Grundlagen für die Existenzvernichtungshaftung legte der BGH 2001 im Bremer Vulkan-Urteil5. Wenig später konkretisierte er die Voraussetzungen insbesondere im KBV-Urteil dahingehend, dass die Gesellschafter sich nicht auf die Haftungsbeschränkungen des § 13 Abs. 2 GmbHG berufen dürfen, wenn sie das Prinzip der Trennung zwischen Gesellschafter- und Gesellschaftsvermögen und damit einhergehend die vorrangige Bindung des Gesellschaftsvermögens an die Gläubigerbefriedigung missachten6. „Die unbegrenzte Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs setzt weiter voraus, dass die der Gesellschaft zugefügten Nachteile nicht nach den Regeln der §§ 30 f. GmbHG ausgeglichen werden können und der Gesellschafter nicht nachweisen kann, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögenslage bei einem redlichen Verhalten nur ein begrenzter – und dann in diesem Umfang auszugleichender – Nachteil entstanden ist“7.
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Die Existenzvernichtungshaftung war somit eine eigenständige, durch die vermeintlichen Schutzlücken der §§ 30 f. GmbHG legitimierte Rechtsfigur, die eine unmittelbare sowie unbegrenzte Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber dem Gläubiger bedeutete, aber wiederum von der Außen- in die Innenhaf1 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109, v. 22. 10. 1990 – II ZR 238/99, NJW 1991, 1057. 2 BGH v. 24. 3. 1954 – II ZR 23/53, BGHZ 13, 49; v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252. 3 BGH v. 13. 5. 1996 – II ZR 275/95, ZIP 1996, 1248. 4 BGH v. 13. 11. 1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68. 5 BGH v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874. 6 BGH v. 24. 6. 2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578 („KBV“). 7 Leitsatz BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117.
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Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung
Rz. 67
§3
tung „zurückkippen“ konnte, wenn der Gesellschafter nachwies, dass der Gesellschaft nur ein begrenzter Nachteil entstanden war. Diese Gemengelage von Außen- und Innenhaftung, unbegrenzter und begrenzter Einstandspflicht sowie Beweislast des Gläubigers und Beweislast des Gesellschafters hat der BGH schließlich als unglücklich angesehen. Mit Urteil vom 16. 7. 20071 gab er die Existenzvernichtungshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut auf und integrierte sie in § 826 BGB, jedoch nicht als Außen-, sondern als Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft; denn die Verletzung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens, die Voraussetzung für die bisherige Haftung war und nunmehr auch im Rahmen von § 826 BGB bleibt, richtet sich gegen sie, nicht gegen den Gläubiger. Die Rechtsfolgen sind mit denen der §§ 30 f. GmbHG identisch, soweit es um die Rückgewähr des Erlangten bis zum Ausgleich der Unterbilanz geht. Außer für die Einbeziehung der an dem Eingriff mitwirkenden Gesellschafter (§ 830 BGB), die nichts empfangen haben und die deshalb nur die begrenzte Ausfallhaftung des § 31 Abs. 3 GmbHG treffen würde, wird die nunmehr als Fallgruppe innerhalb § 826 BGB angesiedelte Existenzvernichtungshaftung für erforderlich gehalten, um Schädigungen der Gesellschaft zu erfassen, die wegen des Buchwertprinzips nicht unter §§ 30 f. GmbH fallen. Oben bei den Kapitalerhaltungsgrundsätzen wurde gezeigt, dass die §§ 30 f. GmbHG nach der hier vertretenen Auffassung auch die Entnahme stiller Reserven abdecken. Von diesen Vorschriften nicht erfasst werden nur noch Folgeschäden, die dadurch entstehen, dass der Gesellschaft einige oder alle für die Fortsetzung ihrer Tätigkeit wesentliche Betriebsgrundlagen entzogen werden und deshalb Leerkosten anfallen. Es handelt sich gleichsam um eine Haftung für die „kalte“, also nicht den §§ 70 ff. GmbHG entsprechende Liquidation2. Deshalb konkurriert die Gesellschafterhaftung auch regelmäßig mit der Geschäftsführerhaftung des § 64 GmbHG (s. § 2 Rz. 41 ff.). Während die Geschäftsführerhaftung jedoch für jedwede Vermögensverfügung nach Eintritt des Insolvenzgrundes eingreift – wobei nach der hier vertretenen Auffassung sogar die dadurch erfolgte Herbeiführung ausreicht – , werden die Gesellschafter erst einbezogen, wenn sie einen gezielten, betriebsfremden Eingriff3 vornehmen. Dem Gesellschafter stehen mittelbar beteiligte Gesellschafter gleich, falls sie den unmittelbar beteiligten Gesellschafter beherrschen4. Managementfehler hingegen, mögen sie auch noch so ruinös sein oder auf einer Gesellschafterweisung beruhen, begründen keine Haftung5. Daran hat sich durch die Verortung der Existenzvernichtungshaftung bei § 826 BGB nichts geändert.
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Wegen der erforderlichen Zielgerichtetheit lag schon bisher zugleich eine sittenwidrige Schädigung der Gläubiger durch die Verminderung des Haftungsfonds vor6. Aufgrund dieser Parallelität wurde in der Literatur deshalb bereits vor der Rechtsprechungsänderung vorgeschlagen, die Existenzvernichtungshaf-
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1 2 3 4
BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 13 Rz. 102. BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117; v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. 5 BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. 6 BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117.
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§3
Rz. 68
Gesellschafterberatung
tung im Rahmen des § 826 BGB zu behandeln1. Diese Vorschrift hatte der BGH schon als Anknüpfungspunkt für eine Haftung Dritter herangezogen, wenn der Eingriff zu seinen Gunsten erfolgte2. Deshalb ist es nur konsequent, dass er nunmehr den existenzvernichtenden Eingriff als eigenständige Haftungsfigur aufgegeben hat. § 826 BGB greift nur bei vorsätzlichem Handeln ein. Wie für den sonstigen Anwendungsbereich dieser Deliktsnorm3 genügt auch hier dolus eventualis4. 68
Unabhängig davon hat die strafgerichtliche Rechtsprechung schon lange vor der Judikatur zur Existenzvernichtungshaftung anerkannt, dass ein gegen § 30 GmbHG verstoßender Entzug von Gesellschaftsvermögen eine strafbare Untreue gemäß § 266 StGB darstellt. Ein Einverständnis aller Gesellschafter ändert daran nichts, da sie über die Kapitalerhaltungspflicht nicht disponieren dürfen5. Inzwischen hat der 5. Strafsenat die Übereinstimmung der Voraussetzungen für die Existenzvernichtungshaftung mit denen für die strafbare Untreue ausdrücklich bestätigt6. § 266 StGB ist ein Schutzgesetz zugunsten der GmbH. Damit erhält die Gesellschaft sowohl gegen den Geschäftsführer als auch – gemäß § 830 BGB als dessen Teilnehmer – gegen den Gesellschafter einen weiteren deliktischen Haftungsanspruch, der vom Gläubiger gepfändet werden kann.
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Anders als nach der früheren Rechtsprechung zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern muss es sich bei dem Gesellschafter nicht mehr um einen Unternehmer handeln. Jetzt ist nicht einmal mehr erforderlich, dass er Mehrheitsgesellschafter ist. Stattdessen reicht es aus, dass der Gesellschafter an dem Eingriff mit dolus eventualis beteiligt ist. Entgegen der Aussage in einem Urteil zur bisher eigenständigen Existenzvernichtungshaftung7 genügt es wohl nicht, dass der Mitgesellschafter den Eingriff pflichtwidrig nicht verhindert hat. Ansonsten bilden neben den Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung weiterhin die früheren zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern8 Sachverhalte ab, in denen die Haftung auch jetzt eingreifen dürfte.
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Häufig taucht die Frage auf, ob Umstrukturierungen im Konzern eine Existenzvernichtungshaftung begründen, wenn dadurch die Insolvenz ausgelöst wird. Das ist zu verneinen, falls die betroffene Konzerngesellschaft nicht selbstständig lebensfähig ist; denn kein Gesellschafter ist verpflichtet, die andere mit Aufträgen zu alimentieren. Eine Fortführungspflicht gibt es „grundsätzlich“9 nicht. Die Herausnahme von Vermögensgegenständen muss aber dem Drittvergleich standhalten und die Liquidations- bzw. Insolvenzantragsvorschriften müssen beachtet werden. In der Regel entstehen durch den Auftragsentzug 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 ff. BGH v. 20. 9. 2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138. Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 826 Rz. 9. BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. BGH v. 24. 8. 1988 – 3 StR 232/88, NJW 1989, 112; v. 10. 7. 1996 – 3 StR 50/96, NJW 1997, 66. BGH v. 13. 5. 2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200 („Bremer Vulkan“). BGH v. 24. 6. 2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578. Beispiele bei Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, Rz. 111 ff. BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117.
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Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung
Rz. 72
§3
oder die Herausnahme Leerkosten, weil Mitarbeiter nicht mehr beschäftigt werden können. Sie sind in dem Moment, in dem die Umstrukturierungsentscheidung getroffen wurde, im Überschuldungsstatus als Rückstellung zu erfassen, so dass regelmäßig schon vor Vollzug der Umstrukturierung ein Insolvenzgrund eintritt. Die Geschäftsführer sind dann verpflichtet, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Die drei-Wochen-Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG dürfen sie nicht ausnutzen, weil eine Beseitigung des Insolvenzgrundes aus eigener Kraft in diesen Konstellationen regelmäßig unmöglich ist. Wenn sie gleichwohl vor dem Antrag noch schnell vollendete Tatsachen schaffen, trifft sie gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG die Beweislast, dass dies nicht zum Nachteil der künftigen Masse geschah. Eine gesonderte Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung im Rahmen des § 826 BGB zu bilden, hat nur Sinn, wenn die künftige Rechtsprechung dem Gläubiger eine wesentliche Beweiserleichterung zubilligt1; denn für ihn sind die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft eine „black box“. Gilt das schon für die „normale“ Gesellschaft, so gilt das erst recht für die Gesellschaft, die die Gesellschafter zum eigenen Vorteil entleeren, um sie anschließend in die masselose Insolvenz zu schicken. Dann wird alles getan, um die Vorgänge zu verdunkeln. Effizient wäre die Existenzvernichtungshaftung deshalb nur, falls man sie auch als eine Intransparenzhaftung ansehen würde, also eine Haftung für Vermögensvermischung2 und Waschkorbanlagen3. Zwar reicht auch dann ein Missmanagement in Form einer schlampigen Buchhaltung nicht aus. Es sollte aber genügen nachzuweisen, dass die Gesellschafter auf das Vermögen zugegriffen und die Intransparenz veranlasst haben. Die existenzvernichtenden Konsequenzen müssten dann nicht auch noch zusätzlich dargelegt werden, wozu der Gläubiger kaum in der Lage wäre. Vielmehr wäre es an dem Gesellschafter vorzutragen, dass nur ein begrenzter Nachteil entstanden ist. Insofern sollten die Erwägungen in den zur bisherigen Existenzvernichtungshaftung ergangenen Urteilen4 auch jetzt noch Berücksichtigung finden. Die Zuständigkeit des Insolvenzverwalters zur Durchsetzung der Haftung erhöht die Effizienz. Der BGH sieht sie auch im Rahmen des § 826 BGB als reine Innenhaftung an, so dass sich die Aktivlegitimation des Verwalters aus § 80 InsO ergibt, ohne dass es des bisherigen Rückgriffs auf § 93 InsO bedarf.
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2. Unternehmensbestattung5 Ein existenzvernichtender Eingriff wird häufig kombiniert mit einer Unternehmensbestattung. Dafür werden die Geschäftsanteile an einen Gesellschafter übertragen, der sogleich bestätigt, sämtliche Unterlagen erhalten zu haben, um 1 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 13 Rz. 89 ff.; Scholz/Emmrich, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 13 Rz. 129 ff. 2 BGH v. 14. 11. 2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 467; Altmeppen, ZIP 2002, 1553; ders., ZIP 2005, 119. 3 Haas, NZI, Heft 3, editorial. 4 Insbesondere BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117 und v. 14. 11. 2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 476. 5 Überblick bei Hirte, ZinsO 2003, 833.
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Rz. 73
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alsbald wieder Geschäftsanteile, Geschäftsführung und Unterlagen an den Nächsten weiterzureichen. Einige Gerichte halten die Anteilsabtretungen und Geschäftsführerwechsel wegen des sittenwidrigen Gesamtplans für nichtig1. Daran bestehen jedoch erhebliche Zweifel; denn für sich genommen sind die Maßnahmen wertneutral2, so dass wegen der Rechtssicherheit von einer Wirksamkeit ausgegangen werden sollte, weil für den Außenstehenden der sittenwidrige Gesamtplan nicht erkennbar ist. 73
Meist stellt der erste neue Geschäftsführer vor einer Weiterübertragung an den zweiten neuen Geschäftsführer noch schnell einen Insolvenzantrag. Wenn es später um die Aufklärung der Vermögensverhältnisse geht, kann der erste keine Informationen erteilen, weil er die Unterlagen schon weitergereicht hat – und der zweite ist ohne Telefonnummer im Ausland ansässig, wo sich auch die Unterlagen befinden sollen. Haftungstatbestände interessieren die beiden „Beerdigungs-Geschäftsführer“ weniger, weil der erste mittel- und der zweite heimatlos ist. Hier hilft nur, gemäß §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 2 InsO die vor Beginn der Beerdigung amtierenden Geschäftsführer zu befragen. Aus ihren Aussagen und einem Einblick in den Kontoverkehr, über den die Banken Unterlagen zur Verfügung stellen3, lassen sich häufig erste Anhaltspunkte für eine Haftung der letzten aktiven Geschäftsführer gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG gewinnen4. Erleichtert wird das durch die Rechnungslegungspflicht der Geschäftsführer, die zur Vermeidung einer persönlichen Haftung darlegen müssen, wie sie die in ihren Besitz gelangten Vermögensgegenstände verwendet haben5. Die Anhaltspunkte für eine Erstattungspflicht der Geschäftsführer reichen entweder für eine Verfahrenskostendeckung schon aus, so dass aus den nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingehenden Forderungsanmeldungen Rückschlüsse auf die geschäftlichen Aktivitäten vor der „Beerdigung“ gezogen werden können, oder aber die Geschäftsführer beginnen im Angesicht der eigenen Haftung zu erzählen, welche Vorteile die Gesellschafter erhalten haben. Selbst aber wenn die Geschäftsführer – häufig zugleich im Rahmen der „Beerdigung“ begünstigte Gesellschafter – alles „vergessen“ haben sollten, können sie sich zumindest an Namen von wesentlichen Mitarbeitern erinnern, die vom Insolvenzgericht gemäß § 5 Abs. 1 InsO als Zeugen vernommen werden können.
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Das Problem der Unternehmensbestattung ist kein Problem der materiellen Haftungslücke, sondern ein Problem der formellen Beweislast; denn formaljuristische Haftungsgründe für die „kalte“ Liquidation gibt es genug. Neben 1 AG Memmingen v. 2. 12. 2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952; LG Potsdam v. 17. 9. 2004 – 25 Qs 11/04; LG Berlin v. 6. 3. 2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865. 2 OLG Karlsruhe v. 30. 5. 2005 – 15 AR 8/05, ZIP 2005, 1475; Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513. 3 Das erfordert vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens allerdings die Erklärung des Geschäftsführers, dass die Bank von der Verschwiegenheitspflicht befreit ist. Zwar ist der Geschäftsführer hierzu mitwirkungspflichtig. De facto ist die Erklärung bei einem ausländischen Wohnsitz jedoch schwer zu erlangen. 4 Zu dem Einwand, haftungsträchtige Auszahlungen seien nur treuhänderisch für die GmbH von dem Empfänger entgegengenommen worden, vgl. LG Berlin v. 6. 3. 2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865. 5 OLG Stuttgart v. 30. 5. 2000 – 20 W 1/00, GmbHR 2000, 1048.
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Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung
Rz. 76
§3
die soeben dargestellte Existenzvernichtungshaftung gesellen sich die Schadensersatzansprüche wegen der Teilnahme an strafbaren Handelungen des Geschäftsführers. Eine andere, in der Diskussion über die Existenzvernichtungshaftung meist übersehene Anspruchsgrundlage ist die absolute Ausschüttungssperre des § 73 GmbHG. Sie ist zwar im 5. Abschnitt des GmbHG verortet, der u.a. die Liquidation betrifft. Deshalb setzt seine Anwendung aber genauso wenig wie die des § 64 GmbHG die formell beschlossene Liquidation voraus. Ausreichend sollte vielmehr schon die de facto zwischen den Gesellschaftern abgestimmte Liquidation sein. Anspruchsberechtigt ist nach herrschender Meinung die Gesellschaft. Ihre Ansprüche kann der Gläubiger pfänden, falls ihm mit einer Mindermeinung nicht ohnehin schon ein direktes Verfolgungsrecht zugestanden werden soll1. Im eröffneten Insolvenzverfahren ist für die Durchsetzung wegen der Sperrwirkung der §§ 92 f. InsO allein der Verwalter zuständig. Neben die gesellschafts- und deliktsrechtliche Haftung treten Ansprüche nach dem Gläubiger- bzw. Insolvenzanfechtungsrecht. Geschäftsführende oder mit mehr als 25% beteiligte Gesellschafter sind gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO nahestehende Personen der GmbH. Das Gleiche gilt für deren Angehörige, § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ihnen gegenüber ist die Insolvenzanfechtung tatbestandlich erweitert (§ 133 Abs. 2 InsO) und hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen erleichtert (§§ 130 Abs. 1, 131 Abs. 2, 132 Abs. 3 InsO). Für die Gläubigerbenachteiligung außerhalb des Insolvenzverfahrens sah es der BGH als eine vorsätzliche Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AnfG an, wenn ein Anspruch – dort unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes – gegen den Gesellschafter nicht geltend gemacht und dies durch eine Verlagerung der Geschäftsführung ins Ausland verdunkelt wird2.
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Zur Beweislast wird auf die Ausführungen zur Existenzvernichtungshaftung als Unterfall des § 826 BGB verwiesen. Der Vortrag über eine Verlagerung des Vermögens auf die Gesellschafter oder ihnen nahestehende Personen sowie über die Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse sollten genügen, um die Darlegungs- und Beweislast für eine Begrenzung der Haftung den Gesellschaftern aufzubürden. Natürlich muss die Verlagerung eine gewisse Erheblichkeit haben. Die private Bewirtung des Gesellschafters auf Kosten der Gesellschaft reicht nicht aus. Umgekehrt ist aber auch nicht erforderlich, dass eine Existenzvernichtung im konkreten Fall nachgewiesen wird. Sie muss nach dem Eindruck des Gläubigers von der Geschäftstätigkeit der GmbH nur als möglich erscheinen. Außerdem ist eine gewisse zeitliche Nähe zum Beerdigungsvorgang erforderlich, die in der Praxis regelmäßig gegeben ist. Schließlich bedarf es des Nachweises der Gesellschafterveranlassung, der aber regelmäßig durch die eigene Begünstigung indiziert wird. Wo die Rechtsprechung die Grenze zwischen Beweislast des Gläubigers bzw. Insolvenzverwalters einerseits und aufgrund von Anknüpfungstatsachen indizierter sekundärer Behauptungslast der Gesellschafter ziehen wird, werden erst die Einzelfallentschei-
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1 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 73 Rz. 29, § 43 Rz. 62 ff. 2 BGH v. 22. 12. 2005 – IX ZR 190/02, ZIP 2006, 243 m. Erläuterung Cierniak, DB 2006, 1997 sowie Anm. Spliedt, DZWIR 2006, 209.
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§3
Rz. 77
Gesellschafterberatung
dungen der Zukunft zeigen. Die Beratungspraxis jedenfalls sollte sich darauf einstellen, dass die „Entsorgung“ einer Gesellschaft mit hohen Haftungsgefahren für Geschäftsführer und Gesellschafter sowohl zivil- als auch strafrechtlicher Art verbunden ist. Aber auch für den Anwalt ist es riskant. Er schuldet die Aufklärung über die Insolvenzantragspflicht1. Wirkt er beratend an den Bestattungsmaßnahmen mit, kann er sich einer Beihilfe zur Insolvenzverschleppung und zur Untreue schuldig machen mit der Folge, dass er gemäß §§ 823 Abs. 2, 830 BGB in den Kreis der Haftungsschuldner einbezogen wird2. Seinen Beerdigungslohn, dessen Zahlung zu Lasten der Gesellschaft meist als eine der letzten Geldverwendungen am leichtesten erkennbar ist, muss er ohnehin erstatten3.
IV. „MoMiG“4 1. Kapitalaufbringung 77
Zahlreiche Probleme der Kapitalaufbringung im Gründungsstadium werden künftig nicht mehr auftreten, weil das Eintragungsverfahren wesentlich beschleunigt wurde. Selbst in großen Gerichtsbezirken reichen drei Tage ab Anmeldung aus, wenn es keine Eintragungshindernisse insbesondere wegen der Firmierung oder wegen ausstehender Genehmigungen gibt.
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Weitere Erleichterungen sollen durch das „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ geschaffen werden, dessen Regierungsentwurf am 23. 5. 2007 verabschiedet wurde. Der Eintragungsvorgang soll beschleunigt werden, indem die Streichung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG beabsichtigt ist, der bei einem genehmigungsbedürftigen Unternehmensgegenstand die Einreichung der Genehmigung mit der Anmeldung vorschreibt. Das Mindeststammkapital wird auf 10 000 Euro herabgesetzt (§ 5 GmbHGE). Selbst dieser Betrag kann in einer sogenannten „Unternehmergesellschaft“, die als solche kenntlich zu machen ist, unterschritten werden (§ 5a GmbHGE). Verschleierte Sacheinlagen sollen künftig gemäß § 19 Abs. 4 GmbHGE zulässig sein. Voraussetzung ist nur die Werthaltigkeit. Ansonsten greift die Differenzhaftung des § 9 GmbHG. Deshalb ist es konsequent, dass auch ein von vornherein vereinbartes Hin- und Herzahlen die Einlageschuld erfüllen kann, § 8 Abs. 2 Satz 2 GmbHGE. Im Zusammenhang damit soll § 30 GmbHG ergänzt werden, der das Verbot der Einlagenrückgewähr enthält. Als eine solche Rückgewähr wird es künftig nicht mehr angesehen, wenn die Auszahlung der soeben erst geleisteten Einlage an den Gesellschafter durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch (Anspruch auf Darlehenstilgung) gedeckt ist, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHGE. Damit sollen die „Cash-Pool-Systeme“ erfasst werden. Misslich daran ist, dass eine spätere Bonitätsverschlechterung keine sinnvolle Reaktion zulässt; denn die Rückzahlung könnte entweder in1 2 3 4
BGH v. 26. 10. 2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33. Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513. LG Berlin v. 6. 3. 2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865 i.V.m. d. Geschäftsführerhaftung. Überblick zu den beabsichtigten Gesetzesänderungen bei Heckschen, DStR 2007, 1442.
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IV. „MoMiG“
Rz. 81
§3
solvenzrechtlich anfechtbar sein, zumindest aber unter das Verbot des § 64 Abs. 2 GmbHG bei der darlehensnehmenden Gesellschaft fallen. Die Minderung der Vollwertigkeit geht häufig mit dem Eintritt eines Insolvenzgrundes einher. Insgesamt reduziert der Regierungsentwurf die Haftungsgefahren für die Gesellschafter erheblich. Der Gläubigerschutz bei der Kapitalaufbringung wird auf den bei einer Kommanditgesellschaft (siehe Rz. 120 ff.) zurückgestuft – nur mit dem Unterschied, dass es zur Kompensaion keine unbeschränkte Haftung eines Komplementärs gibt. Sie ist de facto zwar auch bei der KG nicht mehr gegeben, weil die Komplementärstellung von einer GmbH eingenommen wird. Der Vergleich zeigt aber, dass der Gesetzgeber einen Laien Kapitalschutz nur wegen der unbeschränkten Haftung für vertretbar hielt. Das Ziel, das Haftungsrecht zu vereinfachen und die Rechtsverfolgungskosten zu minimieren, wird sicherlich erreicht – wenn auch mit dem einfachen Trick, dass der Gläubigerschutz im selben Umfang beschränkt wird. Wo kein Schutz, da keine Klage.
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2. Kapitalerhaltung Durch das „MoMiG“ soll § 30 Abs. 1 GmbHG dahingehend ergänzt werden, dass eine Einlagenrückgewähr nicht vorliegt, wenn die Auszahlung durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt ist. Darlehensgewährungen oder Verkäufe an Gesellschafter mit Kaufpreisstundungen würden dann nicht mehr unter § 30 GmbHG fallen, falls eine bankübliche Bonität besteht. Mehr eine Klarstellung als eine Neuerung ist der außerdem beabsichtigte Zusatz in § 30 Abs. 1, dass Leistungen aufgrund eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrages ebenfalls nicht eine Einlagenrückgewähr darstellen. § 291 Abs. 3 AktG, der eben dies für die AG bestimmt, wird, wie oben erläutert, bereits heute für analog anwendbar gehalten.
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3. Unternehmensbestattung Der Unternehmensbestattung schließlich will das „MoMiG“ dadurch entgegenwirken, dass es die Antragspflicht für sämtliche juristischen Personen nunmehr in einem neuen § 15a InsOE regelt. Während de lege late ein Gesellschafter weder zur Prüfung des Insolvenzgrundes noch zur Veranlassung eines Insolvenzantrages gehalten ist1, verpflichtet dessen Abs. 3 jeden Gesellschafter, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn es keinen Geschäftsführer mehr gibt, es sei denn, dass der Gesellschafter von dem Insolvenzgrund und der Führungslosigkeit keine Kenntnis hat. Diese Ergänzung der Antragspflicht trifft allerdings nicht die tatsächliche Erscheinungsform der Unternehmensbestattung, bei der die Gesellschafter wechseln und bis dahin ein Geschäftsführer besteht. Die Personen also, die für eine Haftung gerade interessant sind, werden nicht erfasst.
1 BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734.
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§3
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V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG 1. Überblick 82
Für die Kapitalaufbringung bei der AG gelten im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie bei der GmbH. Auch bei der AG wird zwischen Bar- und Sachgründung (§§ 27, 54 Abs. 2 AktG) sowie zwischen Mindest- und Resteinlage (§ 36a Abs. 1 AktG) unterschieden. Ein Aufrechnungs- und Erlassverbot (§ 66 AktG) ist ebenso vorhanden wie das Erfordernis einer freien Verfügbarkeit des Vorstands über die Anlageleistung (§§ 36 Abs. 2, 54 Abs. 3 AktG). Die Kapitalaufbringung ist durch eine Ausfallhaftung gesichert (§ 65 AktG) und die Kapitalerhaltung durch ein Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG). Auch die Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 AktG), die mit der Eintragung der AG im Handelsregister durch die Unterbilanzhaftung ersetzt wird1, ist mit dem GmbH-Recht vergleichbar. Für die Einzahlungen bei Kapitalerhöhungen gelten die Ausführungen zur GmbH ebenfalls entsprechend2.
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Unterschiede zur GmbH gibt es nur, soweit es der Zweck der AG erfordert, eine „Kapitalsammelstelle“ für untereinander meist nicht verbundene Investoren zu sein. Daraus folgt die Reduzierung der Ausfallhaftung von Aktionären für Verstöße anderer bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung sowie – gleichsam als Kompensation – eine größere Formstrenge zur Gewährleistung des Kapitalschutzes3 und eine Erweiterung des geschützten Eigenkapitals.
2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte 84
Die Reduzierung der Ausfallhaftung schlägt sich schon bei der Gründung nieder. Zwar gibt es ebenfalls eine Kaduzierung der Aktien von säumigen Aktionären (§ 64 AktG). Die Haftung für rückständige Einlagen trifft jedoch nur die Vormänner (§ 65 AktG), nicht auch die Mitaktionäre. Es ist sogar ein gutgläubiger Erwerb mit Enthaftungsfolge möglich, wenn trotz unvollständiger Einzahlungen entgegen § 10 AktG keine Namensaktien oder Zwischenscheine, sondern Inhaberaktien ausgegeben werden4.
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Einen besonderen Schutz vor der verschleierten Sachgründung soll die Nachgründungsvorschrift bewirken. Gemäß § 52 AktG bedürfen Verträge mit Gründern oder zu mehr als 10% beteiligten Aktionären einer Zustimmung der Hauptversammlung und der Eintragung des Beschlusses, wenn in den ersten zwei Jahren seit Entstehung der AG Vermögensgegenstände zum Preis von mehr als 10% des Grundkapitals erworben werden. Außerdem ist ein Nachgründungsbericht und eine Nachgründungsprüfung vorzunehmen (§ 52 Abs. 2, 3 AktG). Fehlt die Zustimmung der Hauptversammlung oder die Handelsregistereintragung, sind sowohl der schuldrechtliche Vertrag als auch die dinglichen 1 Vgl. Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 41 Rz. 2, 8 ff. 2 Vgl. Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 188 Rz. 5 ff. 3 Z.B. Gründungsprüfung und -Bericht, §§ 33 f. AktG, unabhängige Sacheinlagenprüfung, §§ 33 Abs. 2 Nr. 4, 183 Abs. 3 AktG, Einzahlungsbestätigung der Bank, § 37 Abs. 1 AktG. 4 Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 10 Rz. 6.
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Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG
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Vollzugsgeschäfte unwirksam. Ein Verstoß gegen § 52 AktG ist wie eine verdeckte Sacheinlage zu behandeln mit der Folge, dass die Einlage als nicht geleistet gilt. Hat die Gesellschaft über den Einlagebetrag hinausgehende Zahlungen für Leistungen des Aktionärs vorgenommen (gemischte Sacheinlage), sind die beiderseitigen Ansprüche nach Bereicherungsrecht zu saldieren, soweit keine dinglichen Ansprüche des Inferenten eingreifen. § 62 AktG findet entgegen verbreiteter Auffassung1 auf die Nachgründung ebensowenig Anwendung wie auf die verschleierte Sacheinlage bei der Neugründung. Selbst in der Insolvenz ist die Saldierung noch zulässig, weil es sich um keine Aufrechnung gemäß § 94 InsO handelt2. Der Vorstand haftet gemäß § 93 Abs. 3 AktG. Keine Nachgründung liegt vor bei gewöhnlichen Umsatzgeschäften, § 52 Abs. 9 AktG. Die Nachgründungsvorschriften sind zusätzlich zu berücksichtigen, wenn innerhalb von zwei Jahren eine Sachkapitalerhöhung von den Altaktionären gezeichnet wird. Die harte Konsequenz der Nachgründungsvorschrift wird dadurch etwas entschärft, dass der Vorstand den Vertrag nach Ablauf der zwei Jahre ohne Einhaltung der genannten Voraussetzungen neu schließen darf3, was allerdings voraussetzt, dass die damals vereinbarten Leistungen noch wertgleich erbracht werden können.
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Zu einer besonderen Form der Sacheinlage berechtigen Wandelschuldverschreibungen und Wandelgenussrechte. Sie berechtigen den Inhaber, statt einer Rückzahlung des Kapitals am Ende oder schon während der Laufzeit die Lieferung einer bestimmten Anzahl von Aktien zu verlangen, § 221 Abs. 1, 3 AktG. Um die Wandlung durchführen zu können, wird bei der AG i.d.R. eine bedingte Kapitalerhöhung beschlossen, § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG4. Die Wandlung vollzieht sich dann als Bezugserklärung gemäß § 198 AktG. Die für die Gewährung der Aktie geschuldete Einlage wird durch den „Umtausch“ (§ 221 Abs. 1 AktG) der Schuldverschreibung bzw. des Genussscheines erbracht. § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG befreit ihre „Hingabe“ ausdrücklich von den Sacheinlagevorschriften. Die Vollwertigkeitskontrolle findet vielmehr durch die Ausgabekonditionen für die Schuldverschreibung statt, § 199 Abs. 2 AktG. Das gilt allerdings nur, soweit – wie regelmäßig – der Gegenwert der Schuldverschreibung in bar zu entrichten ist. Sind ausnahmsweise Sachleistungen zu erbringen, gilt das Privileg des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht5. Neben den Wandelschuldverschreibungen und -genussrechten hat die Praxis insbesondere für börsennotierte Aktiengesellschaften eine Vielzahl von Derivaten entwickelt, für die das Vorstehende entsprechend gilt, solange die als Einlage eingebrachten Forderungen nicht gewinn- oder verlustabhängig sind6 (z.B. Genussrecht mit Verlustbeteiligung, Gewinnanteile bei Gewinnschuldverschreibung).
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1 2 3 4
Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 52 Rz. 62. BGH v. 9. 7. 2007 – II ZR 62/06, ZIP 2007, 1751; Habersack, ZGR 2008, 48 ff. Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 52 Rz. 7. Denkbar ist auch, die Wandlungsrechte aus einer regulären oder genehmigten Kapitalerhöhung zu bedienen, was zu einem anderen Ablauf der Wandlung mit Zeichnung der neuen Aktien in der Form des § 185 AktG führt. 5 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 194 Abs. 4. 6 Münch.Hdb.AG/Krieger, 3. Aufl. 2007, § 57 Abs. 24.
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Dann finden auf den erfolgsabhängigen Teil die Sacheinlagevorschriften Anwendung. Das Gleiche gilt, wenn für schon bestehende Anleihen nachträglich ein Wandlungsrecht eingeräumt wird. Auch dann richtet sich die Wandlung nach den Sacheinlagevorschriften. 88
Dem Umfang nach erstrecken sich die Kapitalaufbringungsvorschriften bei der AG im Gegensatz zur GmbH nicht nur auf das im Handelsregister eingetragene Grundkapital, sondern auch auf das über den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG) hinaus angesetzte Aufgeld, §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG.
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Das Aufgeld i.S.d. § 9 Abs. 2 AktG ist zu unterscheiden von dem Mehrbetrag, der aufgrund einer schuldrechtlichen Zusatzvereinbarung1 zu entrichten ist. Sie ist die in der Praxis übliche Form, wenn Aktien aus einer Kapitalerhöhung durch ein Emissionshaus übernommen werden, um sie bei alten und neuen Aktionären zu plazieren (vgl. § 186 Abs. 5 AktG). Der wirtschaftliche Hintergrund ist, dass bei dieser Gestaltung nur ein Viertel des geringsten Ausgabebetrages (§§ 9 Abs. 1, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG) gezahlt werden muss, um die Anmeldung der Kapitalerhöhung vornehmen zu dürfen. Die Restzahlung einschließlich Aufgeld wird bei der anschließenden Plazierung von der Emissionsbank „eingesammelt“ und (abzüglich ihrer Provision) an die AG abgeführt. Der formaljuristische Unterschied zwischen Agio gemäß § 9 Abs. 2 AktG und schuldrechtlicher Zusatzvereinbarung besteht in dem korporativen Charakter des Agio, das – anders als die schuldrechtliche Vereinbarung – auch den nachfolgenden Aktionär verpflichtet2. Wird das Agio nicht gezahlt, wird der Rechtsnachfolger vor seiner Haftung dadurch gewarnt, dass bis zur vollständigen Zahlung nur Namensaktien mit entsprechendem Vermerk oder Zwischenscheine ausgegeben werden dürfen, § 10 AktG. Wegen des korporativen Charakters wird überwiegend angenommen, dass sich eine Differenzhaftung bei einer überbewerteten Sacheinlage auch auf den zur Deckung des Aufgeldes erforderlichen Betrag3. Bei der schuldrechtlichen Zusatzvereinbarung besteht hingegen eine Haftung nur der Emissionsbank aus der anlässlich der Zeichnung (§ 185 AktG) mit der Gesellschaft getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarung. Die strengen Kapitalaufbringungsvorschriften finden auf die Zuzahlung keine Anwendung4.
3. Einlagenrückgewähr 90
Eine besonders starke Ausweitung des Vermögensschutzes im Vergleich zur GmbH sieht das Aktienrecht bei der Einlagenrückgewähr vor. Gemeinsam ist beiden zwar die Definition der Einlagenrückgewähr als jede vermögenswerte Zuwendung der Gesellschaft für Rechnung ihres Mitglieds, die einem Drittver1 Dazu Hüffer, 7. Aufl. 2006, § 36a Rz. 2a, § 547 f. 2 Vgl. zur gleichen Unterscheidung bei der GmbH: BGH v. 15. 10. 2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416. 3 OLG Jena v. 12. 10. 2006 – W 452/06, ZIP 2006, 1989 ff. a.E.; GroßKommAktG/Röhricht, 4. Aufl. 2004, § 27 Rz. 105. 4 BGH v. 15. 10. 2007 – II ZR 249/06, DB 2008, 50.
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gleich nicht standhält und deshalb als causa societatis angesehen werden muss. Ebenfalls gilt für beide Gesellschaftsformen die Buchwertbetrachtung. Während aber in der GmbH nur das bilanzielle Reinvermögen bis zur Höhe der Stammkapitalziffer geschützt ist, bezieht sich der Schutz bei der AG auf das gesamte bilanzierte Vermögen, § 57 AktG. Selbst bei einem stillschweigendem Einvernehmen sämtlicher Aktionäre ist jede Zuwendung verboten, die nicht in Form einer ordnungsgemäßen Verteilung des Bilanzgewinns oder einer Abschlagszahlung hierauf (§ 59 AktG) stattfindet. Anders als der ähnlich lautende § 30 GmbHG1 hält die herrschende Meinung2 § 57 AktG für ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. Damit sind sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft nichtig mit der Konsequenz, dass gegen den bevorteilten Aktionär dingliche Herausgabeansprüche bestehen, soweit das Erlangte bei ihm noch vorhanden ist. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn er insolvent wird. Die daneben bestehenden schuldrechtlichen Bereicherungsansprüche werden durch die Spezialregelung des § 62 AktG verdrängt3.
4. Ausfallhaftung Mit der Situation bei der GmbH4 wiederum identisch ist die Haftung des Rechtsnachfolgers. Nach herrschender Meinung5 erfasst die Ersatttungspflicht nicht auch den Einzelrechtsnachfolger des Aktionärs, weil sie den Empfänger persönlich trifft und nicht an der Mitgliedschaftet hängt6. Jedenfalls für die AG ist dem zu folgen, weil der Rechtsnachfolger nicht in der Form des § 10 AktG (bei fehlender Volleinzahlung Ausgabe nur von Namensaktien oder Zwischenscheinen) gewarnt wird7.
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Das AktG kennt mit Ausnahme der durch die Warnfunktion des § 10 AktG gemilderten „Vormännerhaftung“ des § 65 AktG nach Eintragung der AG keine allein aufgrund der Mitgliedschaft eingreifende Ausfallhaftung der Aktionäre für die Kapitalaufbringung oder die Kapitalerhaltung. Für die Einlagenrückgewähr haftet nach § 62 AktG nur der Empfänger, nicht auch – anders als nach § 31 Abs. 3 GmbHG – der Mitaktionär. Es gibt nur eine Verhaltenshaftung. So haften die Gründer für falsche oder unvollständige Angaben zum Zwecke der Gründung (§ 46 AktG). Selbst die Unterbilanzhaftung entsteht – wie bei der GmbH – nicht allein aufgrund der Mitgliedschaft, weil das Einverständnis jedes Aktionärs mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebes vor Eintragung der AG
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1 Dazu BGH v. 23. 6. 1997 – II ZR 220/95, ZIP 1997, 1450; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rz. 79. 2 GroßKommAktG/Henze, 4. Aufl. 2000, § 57 Rz. 200; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 57 Rz. 23. 3 KG Berlin v. 24. 7. 1998 – 14 U 2121/97, NZG 1999, 161; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 57 Rz. 25. 4 Dazu: Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 31 Rz. 8. 5 GroßKommAktG/Henze, 4. Aufl. 2000, § 62 Rz. 38; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 62 Rz. 4. 6 In der GmbH haftet der Rechtsnachfolger jedoch als Ausfallschuldner, Baumbach/ Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 31 Rz. 8; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 31 Rz. 2, 18. 7 A.A. Münch. Hdb. AG/Wiesner, 3. Aufl. 2007, 174.
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hinzukommen muss. Darüber hinaus haftet jeder Aktionär für eine schädigende Einflussnahme auf die Organe, § 117 AktG. Das gilt nicht nur für die Einlagenrückgewähr, sondern betrifft auch die Existenzvernichtungshaftung. Im Gegensatz zur GmbH gab es bei der AG für die Gesellschafterhaftung keine Odyssee, die mit unterschiedlichen Ausprägungen des qualifiziert faktischen Konzerns begann und über die Existenzvernichtungshaftung kürzlich wieder durch das Urteil vom 16. 7. 20071 auf § 826 BGB zurückgeführt wurde. Die im Rahmen des § 826 BGB relevanten Verhaltensweisen werden bei der AG genauso wie bei der GmbH eine Haftung begründen. Allerdings ist die Regelungsdichte im Aktienrecht wesentlich größer als bei der GmbH, was z.B. § 117 AktG und die Vorschriften zur Verantwortlichkeit eines herrschenden Unternehmens bei Fehlen eines Beherrschungsvertrages in §§ 311 ff. AktG zeigen, so dass jeweils der spezialgesetzliche Vorrang geprüft werden muss.
VI. Haftung des Personengesellschafters 1. Überblick 93
Das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts – soweit es die nach außen auftretende Außengesellschaft und nicht nur die Innengesellschaft betrifft – unterscheidet sich grundlegend von dem des Kapitalgesellschaftsrechts. Für die Kapitalgesellschaft gilt selbst dann, wenn sie nicht zur Eintragung gelangt, die Innenhaftung2. Demgegenüber gilt für die Personengesellschaft die unmittelbare Außenhaftung, § 128 HGB. Die im Kapitalgesellschaftsrecht erörterten Probleme bei der Kapitaufbringung stellen sich nur für den Kommanditisten, der seine unmittelbare Außenhaftung durch die Leistung der Einlage im Innenverhältnis ablösen kann. Vorschriften über die Kapitalaufbringung und die Anforderungen an eine Sacheinlage – z.B. freie Verfügbarkeit, Verbot der verschleierten Sacheinlage, Aufrechnungsverbot – fehlen bei Personengesellschaften. Hier kommt es in erster Linie auf die Vermögenszuführung dem Werte nach an. Ansonsten herrscht Gestaltungsfreiheit, § 163 HGB. Die Formstrenge wird durch das Vollwertigkeitsprinzip ersetzt, wie es der „MoMiG“-Entwurf der Bundesregierung vom 23. 5. 2007 in § 19 Abs. 4 GmbHGE künftig sogar für die GmbH vorsieht. Auch die Konsequenzen der Einlagenrückgewähr, die für den unbeschränkt haftenden Gesellschafter ohnehin keine Rolle spielt, sind für den Kommanditisten einfacher gestaltet. Im Personengesellschaftsrecht gibt es keine Kapitalerhaltungsgarantie zu Gunsten der Gläubiger. Stattdessen ordnet § 172 Abs. 4 HGB schlicht an, dass die Einlage bei einer Rückgewähr als nicht geleistet gilt, was simpel und einfach zu der summenmäßig beschränkten Haftung des § 171 Abs. 1 HGB zurückführt. Sie wieder zu beseitigen, richtet sich erneut nach dem Innenverhältnis unter Berücksichtigung des Vollwertigkeits1 BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. 2 Es sei denn, dass die Gründungsgesellschafter nach Aufgabe der Eintragungsabsicht eine schon begonnene Geschäftstätigkeit fortsetzen. Dann greift ex tunc. Das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts und die ursprüngliche Innenhaftung schlägt auch für die bis dahin schon begründeten Verbindlichkeiten in eine Außenhaftung um.
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Haftung des Personengesellschafters
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prinzips. Die Reglementierungen, die im Rahmen von § 31 GmbHG bei der Einlagenrückgewähr ähnlich wie bei der Kapitalaufbringung bestehen, oder eine Ausfallhaftung der Mit-Kommanditisten fehlen; denn bei einer gesetzestypischen Ausgestaltung der KG sind die Gläubiger, so die Idee des historischen Gesetzgebers, durch die unbeschränkte persönliche Haftung des Komplementärs ausreichend geschützt. Eine Ergänzung durch Rechtsprechungsrecht bedurfte es nur für die GmbH & Co. KG, weil es hier wegen § 13 Abs. 2 GmbHG materiell an einer unbeschränkten Haftung fehlt. Deshalb werden die §§ 30 f. GmbHG in gewissem Umfang auch auf den Nur-Kommanditisen, der an der Komplementär-GmbH nicht beteiligt ist, analog angewendet. Auf den ersten Blick ist das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts somit relativ einfach. Schwierig wird erst das Nebeneinander verschiedener Anspruchsgrundlagen. Im Außenverhältnis hat jeder Gläubiger einen Haftungsanspruch gegen den Gesellschafter, und zwar auch gegen den summenmäßig beschränkt haftenden Kommanditisten, §§ 171 Abs. 1, 161 Abs. 2, 128 HGB. Dieser Anspruch ist im Bestand und Umfang zwar von der gegen die Gesellschaft bestehenden Forderung abhängig, § 129 HGB. Er bildet gleichwohl aber eine eigenständige Haftungsgrundlage.
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Parallel hat die Gesellschaft gegen den Gesellschafter einen Anspruch auf Leistung der Einlage, §§ 105 Abs. 3 HGB, 706 BGB. Das ist zwar nicht zwingend, weil es auch Gesellschafter ohne Vermögensbeteiligung bzw. Einlage gibt. Bei einer Arbeits- und Haftungsgemeinschaft ist es nicht einmal selten, dass nur einige Gesellschafter eine Einlage, also einen der Gläubigerbefriedigung zugänglichen Vermögenswert einbringen, während andere Gesellschafter Beiträge wie insbesondere ihre – ohne gesonderte Vereinbarung (§ 733 Abs. 2 Satz 2 BGB) unentgeltliche1 – Arbeitsleistung erbringen, die den Haftungsfonds nicht erhöhen (vgl. § 27 Abs. 2 Hs. 2 AktG). Auch andere Beitragsleistungen wie die Nutzungsüberlassung von Gegenständen oder eine Geldleihe (Darlehen) bzw. Bonitätsleihe (Bürgschaft) sind geeignete Beiträge zur Förderung des Gesellschaftszwecks. Zur Ablösung der Außenhatung des Kommanditisten i.S.d. § 171 Abs. 1 Hs. 2 HGB taugt jedoch nur die den Haftungsfonds erhöhende Einlage.
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Beitragsverpflichtung im Innenverhältnis und Haftungsverpflichtung im Außenverhältnis müssen also nicht parallel laufen. So kann die im Handelsregister eingetragene Haftsumme höher oder niedriger sein als der im Innenverhältnis geschuldete Wert. Selbst bei Wertidentität kann im Innenverhältnis eine Sacheinlage bedungen sein, während die Außenhaftung regelmäßig – wenn auch nicht zwingend – auf Zahlung gerichtet ist. Noch komplizierter wird es, wenn eine dritte Anspruchsgrundlage hinzutritt, weil im Außenverhältnis neben die Haftung des § 128 HGB noch eine vertragliche Haftung z.B. aus Garantie oder Bürgschaft tritt. Für den Kommanditisten stellt sich dann die Frage, ob er mit einer einzigen Zahlung „drei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen kann, nämlich sowohl die Bürgenhaftung als auch – und das mit Wirkung gegenüber
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1 Anders ist es mit der Aufrechnung einer für Dienstleistungen ausdrücklich vereinbarten Vergütung.
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Gesellschafterberatung
allen anderen Gläubigern – die Kommanditistenhaftung und schließlich auch noch die Einlageverpflichtung zum Erlöschen bringen kann. 97
Im Einzelnen:
2. Unbeschränkte Haftung a) Vor Insolvenzeröffnung 98
BGB- und oHG-Gesellschafter sowie die Komplementäre einer KG haften gegenüber den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens können sie von den Gläubigern jederzeit neben der Gesellschaft in Anspruch genommen werden, und zwar nicht nur auf Zahlung, sondern auf Erfüllung derjenigen Forderung, die den Gläubigern gegen die Gesellschaft zusteht, also auch auf die Lieferung einer Sache oder die Vornahme vertretbarer Handlungen1. Ist der Gesellschafter dazu nicht in der Lage, kann sich der Anspruch unter den im BGB genannten Voraussetzungen in einen Zahlungsanspruch umwandeln. Die Haftungsschuld ist zwar mit der Gesellschaftsschuld verbunden (akzessorisch); denn der Gesellschafter darf einer Inanspruchnahme die Einwendungen entgegenhalten, die von der Gesellschaft (noch) erhoben werden können, § 129 HGB. Dazu gehört auch die Anfechtung und Aufrechnung. Gleichwohl handelt es sich trotz der üblichen Bezeichnung als „Haftung“ um eine primäre Schuld und nicht, wie z.B. bei der Bürgschaft (vgl. § 771 BGB) um ein Einstehen für fremde Schuld2. b) Nach Insolvenzeröffnung: § 93 InsO
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Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft darf nur noch der Insolvenzverwalter die Haftungsansprüche geltend machen, § 93 InsO. Damit soll ein Wettlauf der Gläubiger um den Zugriff auf das persönliche Vermögen der Gesellschafter vermieden und der Grundsatz der par conditio creditorum, der das gesamte Insolvenzverfahren beherrscht, auch für die Haftungsrealisierung auf der Gesellschafterebene verwirklicht werden3. § 93 InsO entfaltet eine Sperrwirkung für die Gläubiger und eine Ermächtigungswirkung4 für den Verwalter5.
1 BGH v. 11. 12. 1978 – II ZR 235/77, NJW 1979, 1361. 2 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 128 Rz. 1. 3 Deshalb wird ein Haftungsprozess auch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaf analog § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG unterbrochen: BGH v. 14. 11. 2002 – IX ZR 236/99, ZIP 2003, 39. 4 BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 193/05, ZIP 2007, 79. 5 Dasselbe gilt für die Durchgriffhaftung bei der GmbH: BGH v. 14. 11. 2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 467.
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Haftung des Personengesellschafters
Rz. 103
§3
aa) Konkurrierende Ansprüche Die Sperr- und Ermächtigungsfunktion erfasst nicht die konkurrierenden Ansprüche der Gläubiger aufgrund vertraglicher1 (z.B. Bürgschaft), deliktischer2 (z.B. Sozialabgaben) oder gesetzlicher3 (z.B. Steuerschulden) Verpflichtungen des Gesellschafters. De facto führt das zu einer Durchbrechung des mit § 93 InsO verfolgten Zwecks4 insbesondere zugunsten derjenigen Gläubiger, die aufgrund ihrer Marktmacht gesonderte Haftungsvereinbarungen durchsetzen können. Bei der Bürgschaft handelt es sich nicht etwa um eine (unwirksame) Verbürgung eigener Schuld. Da die Gesellschafts- und die Gesellschafterschuld, wie dargelegt, nebeneinander bestehen, kann der Gesellschafter ohne Weiteres eine Schuld der Gesellschaft durch Bürgschaft sichern. Nur wirtschaftlich führen Bürgen- und Gesellschafterhaftung regelmäßig zum selben Ergebnis.
100
Bei dinglichen Sicherheiten, die die Gesellschafter an Gegenständen ihres Privatvermögens zugunsten von Gläubigern bestellen, besteht keine Verwertungsbefugnis des Verwalters. Der diesbezügliche § 166 Abs. 1 InsO betrifft nur die Sicherungsgegenstände des Gesellschaftsvermögens.
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bb) Betroffene Gläubiger In persönlicher Hinsicht erfasst die Sperrwirkung des § 93 InsO sämtliche Gläubiger, unabhängig davon, ob sie am Insolvenzverfahren der Gesellschaft teilnehmen5, die Ermächtigungswirkung hingegen nur die angemeldeten Ansprüche der teilnehmenden Gläubiger, weil nur an sie die eingezogenen Beträge im Rahmen der Gesellschaftsinsolvenz verteilt werden können6.
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cc) Dauer, Teilzahlungen während des Verfahrens In zeitlicher Hinsicht gilt § 93 InsO dem Wortlaut nach nur für die Dauer des Verfahrens. Das „Insolvenzeröffnungsverfahren“ gehört nicht dazu. Die Zeit zwischen Insolvenzantrag und -eröffnung ist nur umgangssprachlich ein Verfahren. Rechtlich handelt es sich jedoch nur um Maßnahmen während der und zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Eröffnung. Die systemeatische Einordnung von § 93 InsO in den Dritten Teil der InsO „Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ ist eindeutig7. Nach dessen Aufhebung ist der Gläubiger wieder befugt, die Haftungsrealisierung selbst in die Hand zu nehmen. Die Verjährung ist bis dahin gehemmt, soweit seine gegen die Gesellschaft gerichteten Ansprüche im Verfahren angemeldet wurden, §§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB, 129 HGB. Das führt zu der Frage, wie Teilzahlungen, die der Ge1 BGH v. 4. 7. 2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2. 11. 2001 – 7 B 155/01, ZIP 2002, 179. 2 BGH v. 4. 7. 2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2. 11. 2001 – 7 B 155/01, ZIP 2002, 179. 3 BGH v. 4. 7. 2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2. 11. 2001 – 7 B 155/01, ZIP 2002, 179. 4 Bork, NZI 2002, 362. 5 Hamb-Komm/Pohlmann, 2. Aufl. 2007, § 93 Rz. 27. 6 Hamb-Komm/Pohlmann, 2. Aufl. 2007, § 93 Rz. 33. 7 H.M., vgl. Hmb.-Komm/Pohlmann, 2. Aufl. 2007, § 93 Rz. 39 f.
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103
§3
Rz. 104
Gesellschafterberatung
sellschafter an den Verwalter während des Verfahrens erbracht hat, nach Verfahrenseröffnung zu behandeln sind. Denkbar wäre, sie proratarisch nur denjenigen Forderungen zuzuordnen, die der Insolvenzverwalter zur Haftungsberechnung herangezogen hat, so dass bspw. die Haftung für nachgemeldete Forderungen später in vollem Umfang durchgesetzt werden könnte. Dagegen spricht, dass die Zahlungen des Gesellschafters an sämtliche teilnehmenden Gläubiger – soweit materiell-rechlich eine Haftung besteht, siehe unten Rz. 116 – verteilt werden müssen, also auch an diejenigen Gläubiger, deren Forderungen der Verwalter kalkulatorisch bei der Haftungsdurchsetzung noch nicht berücksichtigt hat. Deshalb kann der Gesellschafter einem Gläubiger nach Verfahrensbeendigung nur diejenige Quote entgegenhalten, die sich aus seiner Zahlung im Vergleich zu sämtlichen haftungsgesicherten Gläubigern ergibt. Sie kann durchaus wesentlich geringer sein als die quotale Ausschüttung auf die angemeldeten Forderungen, wenn der Haftungsbetrag z.B. auch für Verfahrenskosten oder Masseschulden verwendet werden darf. Darauf ist unten noch einzugehen. Für die Gesellschafterberatung ist zu empfehlen, Zahlungen an den Insolvenzverwalter möglichst mit einem Erlassvergleich für sämtliche weiteren Ansprüche zu verbinden. Die Vergleichsbefugnis ist von der Ermächtigungswirkung gedeckt1, so dass der Vergleich jedem Gläubiger später entgegengehalten werden kann. dd) Haftungsumfang 104
Die Gesellschafterhaftung ist, wie oben erläutert, eine primäre Erfüllungshaftung und nicht nur eine Geldersatzhaftung. Im Insolvenzverfahren ist das nicht praktikabel, so dass die herrschende Meinung eine automatische Umrechnung von Sach- in Geldforderungen entsprechend § 45 InsO verlangt2.
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Dem Umfang nach betrifft die Haftung sämtliche Verbindlichkeiten, für die auch ein ausgeschiedener Gesellschafter gemäß § 160 HGB haften würde. Nach herrschender3, aber nachfolgend einzuschränkender Meinung ist § 128 HGB teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die vom Verwalter begründeten Neuverbindlichkeiten nicht mehr von der Haftung umfasst werden. Die Begründung lautet, dass der Gesellschafter nach dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter keinen Einfluss mehr auf die Begründung von Verbindlichkeiten hat. Diese Haftungseinschränkung darf nicht verwechselt werden mit einem Haftungsausschluss für nach Insolvenzeröffnung entstehende Verluste. Soweit die Verluste auf Verbindlichkeiten beruhen, die vor Insolvenzeröffnung veranlasst wurden – z.B. Arbeitsund Mietverträge, Bestellungen von Lieferungen – hätte dafür auch ein tatsächlich ausgeschiedener und nicht nur für die insolvenzrechtliche Beurteilung dem gleich gestellter Gesellschafter einzustehen, selbst wenn der Insolvenzverwalter mit diesen Ressourcen „schlecht wirtschaftet“. Insolvenzrechtlich 1 Krüger, NZI 2002, 367. 2 Münch-KommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 128, Rz. 86; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl. 2003, § 93 Rz. 39. 3 OLG Brandenburg v. 23. 5. 2007 – 7 U 173/06, ZIP 2007, 1756, Revision beim BGH – II ZR 138/07; MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, Rz. 81.
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Haftung des Personengesellschafters
Rz. 107
§3
allerdings sind diejenigen Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die auf die Zeit nach der ersten Kündigungsmöglichkeit entfallen, den vom Verwalter begründeten Neuverbindlichkeiten gleichgestellt, § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ob dies auch auf die Haftungsbegrenzung des Gesellschafters übertragen werden muss, wird in der Literatur nicht diskutiert. Für die Nachhaftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters wird eine Begrenzung durch die Kündigungsmöglichkeit außerhalb der Insolvenz überwiegend abgelehnt1. Überträgt man dies auf die Insolvenz, wird der Gesellschafter ebenfalls nicht durch diesen Zeitablauf frei. Das steht in keinem Widerspruch zu § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Er betrifft das Rangverhältnis der Gläubiger untereinander. Mit der Gesellschafterhaftung hat das nichts zu tun. Was für die Neumasseschulden aus Dauerschuldverhältnissen gilt, muss entsprechend auch für die Neumasseschulden bei (anderen) schwebenden Geschäften gelten, deren Erfüllung der Verwalter gemäß § 103 InsO wählt2. Auch für sie greift die Gesellschafterhaftung. Dafür spricht insbesondere die neue Sichtweise des BGH, wonach schwebende Geschäfte durch die Insolvenzeröffnung schuldrechtlich nicht berührt werden, sondern unverändert fortbestehen, und die Erfüllungswahl des Verwalters nur bedeutet, dass die Verbindlichkeit auf die Stufe von Masseschulden „gehoben“ wird3. Dafür spricht ferner, dass bei Anordnung der vorläufigen „starken“ Verwaltung, bei der die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 InsO auf den Verwalter übergeht, weder außerordentliche Kündigungs- noch Erfüllungswahlrechte bestehen. Bei der im Hinblick auf das Insolvenzverfahren vorgenommen teleologischen Reduktion des § 128 HGB wäre es aber nicht einzusehen, warum eine Haftung für die während der vorläufigen „starken“ Insolvenzverwaltung gemäß § 55 Abs. 2 entstehenden Masseschulden anders zu behandeln sein soll als für die vergleichbaren nach Insolvenzeröffnung entstehenden Masseschulden. Hier wie dort ist für seine Haftung analog § 160 HGB nicht auf die Masseschuldqualität der Verbindlichkeit, sondern darauf abzustellen, ob die Verbindlichkeit schuldrechtlich noch zu der Zeit begründet wurde, als die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht bei dem Verwalter lag. Das gilt für schwebende Austauschverträge genauso wie für Dauerschuldverhältnisse.
106
Eine Haftung für die Massekosten des § 54 InsO wird aus ähnlichen Überlegungen wie die Haftung für Masseschulden abgelehnt4. Das ist jedoch zweifelhaft, was sich ebenfalls aus einem Vergleich mit einem ausgeschiedenen Gesellschafter ergibt. Er ist gemäß § 738 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wenn die Gesellschaft bei seinem Ausscheiden aufgelöst worden wäre, was namentlich bedeutet, dass er auch die Abwicklungskosten tragen müsste. Sie entsprechen
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1 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, Rz. 5 ff. 2 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 158 Anh. Rz. 47. 3 Seit BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093; umfassend: HK-InsO/Marotzke, 4. Aufl. 2006, § 103 Rz. 2 f., 40 ff. 4 OLG Brandenburg v. 23. 5. 2007 – 7 U 173/06, ZIP 2007, 1756; Marotzke, ZInsO 2008, 57 ff.; Hamb-Komm/Pohlmann, 2. Aufl. 2007, § 93, Rz. 18; MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 128, Rz. 81.
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§3
Rz. 108
Gesellschafterberatung
bei der insolvenzrechtlichen Abwicklung den Verfahrenskosten1. Zwar betrifft § 738 Abs. 1 BGB nur das Innenverhältnis, nicht die Außenhaftung. Wenn aber § 128 BGB prinzipiell anwendbar sein soll und nur teleologisch reduziert wird – denn ein Ausscheiden liegt ja gar nicht vor, der Gesellschafter wird nur behandelt als ob –, kann bei dieser teleologischen Reduktion auch der Gedanke des § 738 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. 108
Der Vergleich mit § 738 Abs. 1 BGB bestätigt im Übrigen das zuvor Gesagte, dass nämlich nicht nur die Verfahrenskosten des § 54 InsO von der Haftung umfasst sein müssen2, sondern sämtliche Abwicklungskosten, die auf der bisherigen Geschäftstätigkeit beruhen. Das muss sogar für Verbindlichkeiten gelten, die nach Verfahrenseröffnung vollständig neu begründet werden3. Beauftragt der Insolvenzverwalter z.B. im Rahmen seiner Verpflichtung gemäß § 155 InsO einen Steuerberater mit der Erstellung der Buchhaltung und Steuererklärung, handelt es sich – entgegen der herrschenden Meinung – um Kosten, für die der Gesellschafter einzustehen hat.
109
Somit ist festzuhalten, dass der Gesellschafter aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 128 HGB nur für diejenigen Masseschulden nicht haftet, für die er auch dann nicht einzustehen gehabt hätte, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung aufgelöst worden wäre. Ob das auch bei der Eigenverwaltung gilt, ist umstritten4. Das ist jedoch zu bejahen, weil es sich um ein „richtiges“ Insolvenzverfahren handelt (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), bei dem der Insolvenzzweck den Gesellschaftszweck überlagert und die Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter eingeschränkt werden (siehe § 13 Rz. 380 ff.), vgl. §§ 275 ff. InsO.
110
Von der im Rahmen des § 93 InsO durchzusetzenden Außenhaftung für Masseschulden zu unterscheiden ist die Frage, ob der Gesellschafter gemäß § 110 HGB einen Aufwendungsersatzanspruch ebenfalls als Masseforderung hat, wenn er seiner Haftung z.B. für Verbindlichkeiten aus einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis nachkommt. Sie ist positiv zu beantworten. Allerdings kann das nicht auf einen Forderungsübergang gestützt werden, der von der herrschenden Meinung5 abgelehnt wird. Der Gesellschafter „rutscht“ zivilrechtlich nicht an die Stelle des Massegläubigers. Gleichwohl sollte man den Aufwendungsersatz als sonstige Verbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 InsO im Zusammenhang mit der Verwaltung der Insolvenzmasse ansehen. Sonst könnte es passieren, dass der Verwalter über Jahre munter weiterwirt1 A.A. Marotzke, ZInsO 2008, 57, 60f.: Es handele sich um Koordinationskosten im Interesse und damit auch zu Lasten der Gläubiger, die die Gesellschafter ja auch ohne Insolvenzverfahren direkt hätten in Anspruch nehmen können. M.E. überzeugt das nicht; denn die Gesellschafter haben pflichtwidrig nicht gezahlt, nicht etwa die Gläubiger pflichtwidrig eine andere Rechtsverfolgung unterlassen. 2 Im Ergebnis ebenso: Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 77. 3 A.A.: Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 76; MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 128 Rz. 81. 4 Bejahend: MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 158 Anh. Rz. 44; verneinend: Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 89 Rz. 27. 5 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; a.A. Münchkomm.HGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 128 Rz. 31 m.w.N. in Fn. 100 ff.
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Spliedt
Haftung des Personengesellschafters
Rz. 112
§3
schaftet und via Gesellschafterhaftung aus den Masseschulden für Personalkosten (nachrangige?) Insolvenzforderungen macht. In der Praxis relevant wird das, wenn es um die Konkurrenz zwischen dem Aufwendungsersatzanspruch und der Forderung eines Neugläubigers geht, dem gegenüber der Gesellschafter nicht mehr einstehen muss, weil es sich nicht um eine Abwicklungsverbindlichkeit handelt. Relevant wird das außerdem, wenn es um die Haftung des Insolvenzverwalters für Fehler bei der Unternehmensfortführung geht, die die Einstandspflicht des Gesellschafters erhöhen. Anders stellt sich die Situation zu den vor Insolvenzeröffnung ausgeschiedenen Gesellschafter dar, auf dessen Innenregress die herrschende Meinung nicht mehr § 110 HGB, sondern § 670 BGB und eine cessio legis analog § 426 Abs. 2 BGB oder § 774 BGB annimmt. Zahlt der ehemalige Gesellschafter z.B. die Löhne und Gehälter, für die der gemäß § 160 HGB forthaftet, kann er den Erstattungsanspruch als Masseschuld geltend machen. Daraus könnte die Beratungsempfehlung abgeleitet werden, noch möglichst schnell vor einer Insolvenzeröffnung aus wichtigem Grund fristlos auszuscheiden, falls der Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel enthält. Das wird aber kaum zum Erfolg führen; denn der wichtige Grund trifft alle Gesellschafter gleichermaßen, so dass die Folge nicht der Austritt eines einzelnen, sondern die Auflösung wäre. Vor allem aber würde der Verwalter einer Masseforderung entgegenhalten, dass es sich um Abwicklungskosten gemäß §§ 738 f. BGB handelt, für die der Gesellschafter auch im Innenverhältnis haftet.
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Ist die Forderung des Gläubigers am Gesellschaftsvermögen besichert, stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter zuerst das Sicherungsgut verwerten und beim Gesellschafter nur den Ausfall geltend machen darf, oder ob er die gesamte Forderung ohne Rücksicht auf den erwarteten Verwertungserlös beim Gesellschafter durchsetzen kann. Damit würde das Sicherungsgut frei werden und dessen Verwertungserlös für Masseverbindlichkeiten verwendet werden können, für die der Gesellschafter nicht haftet. Bedeutsam ist das vor allem, wenn man der herrschenden Meinung folgt, die die Haftung für Masseschulden stark einschränkt. Aus der Primärhaftung des Gesellschafters folgt jedoch, dass es einen solchen Vorrang für die Sicherheitenverwertung nicht gibt. Das bestätigt ein Vergleich mit der Doppelinsolvenz von Gesellschafter und Gesellschaft. Der Gläubiger darf gegen einen Gesellschafter außerhalb eines Insolvenzverfahrens jederzeit ohne vorherige Sicherheitenverwertung vorgehen. Dann kann sich durch § 93 InsO nichts dadurch ändern, dass die Gesellschaft insolvent wurde. Der Verwalter darf also den vollen Betrag vom Gesellschafter verlangen und mit dem Erlös aus der damit freiwerdenden Sicherheit andere Verbindlichkeiten bedienen, es sei denn, man folgt einer Mindermeinung, die auch für den nicht ausgeschiedenen Gesellschafter analog § 426 Abs. 2 BGB oder § 774 Abs. 1 BGB für einen Übergang der Forderung des gesicherten Gläubigers und damit auch der akzessorischen Sicherheiten1 – eventuell sogar einer
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1 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 128 Rz. 31. Selbst wenn man dieser Auffassung folgen würde, kann der Forderungsübergang bei Teilzahlungen nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden. § 774 Abs. 1 Satz 2 BGB, Palandt/ Grüneberg, BGB, 66. Aufl. 2007, § 426 Rz. 13a. Er ist aus den Sicherheiten bis zur vollständigen Befriedigung vorrangig zu bedienen.
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§3
Rz. 113
Gesellschafterberatung
Übertragungspflicht der nicht akzessorischen – plädiert. Diese Auffassung hat jedoch keine Stütze im Gesetz. Ein Vergleich mit der Doppelinsolvenz von Gesellschafter und Gesellschaft bestätigt, dass der Verwalter nicht verpflichtet ist, vorrangig die von der Gesellschaft gestellte Sicherheit zu verwerten. Würde sich nämlich der Gesellschafter ebenfalls in einem (persönlichen) Insolvenzverfahren befinden, könnte der Gläubiger dort die gesamte Forderung geltend machen, § 43 InsO. Das Ausfallprinzip des § 52 InsO gilt im Dreiecksverhältnis Gläubiger-Gesellschafter-Gesellschafter nicht. Es beschränkt den Gläubiger nur im Verhältnis zur Gesellschaft, die die Sicherheit gestellt hat. 113
Ist der Verwalter somit im Verhältnis zum Gesellschafter berechtigt, aus der Sicherheit Masseschulden zu bedienen, gilt das nicht nur so lange, solange der Gegenstand oder die Forderung noch nicht verwertet wurden. Ausreichend für die fortbestehende Gesellschafterhaftung ist allein, dass der Gläubiger aus dem Sicherheitenerlös noch nicht befriedigt wurde, mag sich der Verwertungsbetrag auch schon bei dem Insolvenzverwalter befinden. Die größten Gläubiger sind regelmäßig am Gesellschaftsvermögen besichert. Die Gesellschafterhaftung kann somit zum Freiwerden von Sicherheiten und ihrer Verwendung für Masseschulden führen, für die der Gesellschafter nach herrschender Meinung nicht einzustehen haben. Die teleologische Reduktion des § 128 HGB ist de facto deshalb nur von eingeschränkter Bedeutung. Für den Berater des Gesellschafters folgt daraus, dass er auf die besicherten Gläubiger einwirken sollte, die Rechte der §§ 169, 172 InsO geltend zu machen, damit der Verwalter möglichst schnell die Sicherheiten verwertet und den Erlös auskehrt, bevor es zu einer Inanspruchnahme des Gesellschafters kommt. Ist nämlich der Gläubiger befriedigt, entfällt auch die Haftung.
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Für die Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters gelten diese Überlegungen nicht. Während die herrschende Meinung für den weiterhin beteiligten Gesellschafter eine cessio legis verneint, weil sich der Innenregress allein nach § 110 HGB richte, bejaht sie sie für den ausgeschiedenen1. Damit gehen zumindest akzessorische Sicherheiten auf den ehemaligen Gesellschafter über, soweit der Gläubiger aufgrund seiner Haftungszahlung befriedigt wird. ee) Doppel- vs. Ausfallhaftung
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Auf das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen kommt es auch noch für die Frage an, ob der Verwalter die Quote, die allein aufgrund des Gesellschaftsvermögens an die haftungsbegünstigten Gläubiger ausgekehrt werden wird, von vornherein von der Gesellschafterhaftung abziehen muss. Im Prozess würde das einen genauen Vortrag zu der Quote und bei einer Fehlkalkulation etwaige Nachforderungen zur Folge haben. Letztgenanntes wird insbesondere von K. Schmidt gefordert, der die Haftung des Gesellschafters auf den Ausfall beschränken will2, während die herrschende Meinung nichts daran ändern will, dass der Gläubiger einen selbstständigen Anspruch hat, der zwar im Umfang gemäß § 129 HGB von seiner Forderung gegen die Ge1 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 128 Rz. 61. 2 Münch-KommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 128 Rz. 86.
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Spliedt
Haftung des Personengesellschafters
Rz. 116
§3
sellschaft abhängt, aber durchaus ohne gleichzeitige Inanspruchnahme der Gesellschaft eingeklagt werden kann (Doppelberücksichtigung). Die Grenze sieht sie nur im Rechtsmissbrauch. Beträge, die zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich sind und später an den Gesellschafter gemäß § 199 Satz 2 InsO wieder ausgekehrt werden müssten, darf der Verwalter nicht einfordern1. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Gesellschafter, während dem Verwalter eine sekundäre Behauptungslast obliegt2. Die Richtigkeit der herrschenden Meinung ergibt sich schon daraus, dass die Haftungsverbindlichkeit sofort fällig ist, während die Verwertung des Gesellschaftsvermögens hinausgeschoben werden kann, §§ 157, 159 InsO. Das obliegt zwar einer Entscheidung der Gesellschafter, die deshalb aber nicht dazu führt, dass eine Berufung auf die sofortige Fälligkeit der Haftung dem Gesellschafter gegenüber rechtsmissbräuchlich ist. Es ist durchaus angemessen, das die Gläubiger bis zu ihrer vollen Befriedigung anstelle der Gesellschafter über den Gang der Geschäfte und die optimale Verwertung des Gesellschaftsvermögens entscheiden, ohne dafür Abstriche bei ihren Haftungsansprüchen hinnehmen zu müssen. Deshalb wird der Einwand einer Überdeckung nicht nur mit dem Saldo am Ende des Insolvenzverfahrens begründet werden dürfen3, sondern maßgebend ist vielmehr die Liquidität und die Liquidationsgeschwindigkeit beim Gesellschaftsvermögen. ff) Sondermasse Die Verwendung der durch die Haftungsinsanspruchnahme realisierten Gelder ist umstritten. Haas hält es für zulässig, damit auch die Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten zu bedienen4, obwohl er dafür eine Haftung der Gesellschafter ablehnt5. Begründet wird die Verwendung auch für nicht haftungsgesicherte Gläubiger mit dem Ziel des InsO-Gesetzgebers, die Verfahrenseröffnung zu fördern. Außerdem wird eine Parallele zur Insolvenzanfechtung gezogen, die ebenfalls zulässig ist, wenn die Gläubiger, deren Benachteiligung ausgeglichen werden soll, an einem Anfechtungserfolg wegen vorrangiger Massekosten und -schulden nicht partizipieren6. Zwingend ist dieser Vergleich jedoch nicht, weil die Insolvenzanfechtung keine Individualrechte geltend macht, also nicht den Nachteil eines einzelnen Gläubigers liquidiert, sondern die insolvenzrechtliche Verteilungsanordnung auf die Zeit vor Verfahrenseröffnung vorverlagert, indem eine Gläubigerbevorzugung rückgängig gemacht wird. Eine Ausnahme macht Haas für die vor Verfahrenseröffnung ausgeschiedenen Gesellschafter, die nur für die bis dahin begründeten Verbindlichkeiten einstehen müssen, § 160 HGB. Ihre Haftungsbeiträge seien einer Sondermasse zuzuführen, die nur an die Altgläubiger verwendet werden dürfe7.
1 Bitter in K. Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1083; Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 86. 2 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. 3 So aber die Rechtsprechung, z.B. BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. 4 Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 35, 83, 99. 5 Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 76. 6 Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 35, § 92 Rz. 228. 7 Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 83, 109.
Spliedt
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116
§3 117
Rz. 117
Gesellschafterberatung
Mit der Ermächtigungswirkung des § 93 InsO ist es nicht vereinbar, dass die daraufhin gezahlten Beträge für andere Gläubiger verwendet werden als für diejenigen, für die zu handeln der Insolvenzverwalter ermächtigt ist1. Die Unterscheidung zwischen bestehenden und ehemaligen Gesellschaftern ist nicht gerechtfertigt. In beiden Fällen macht der Verwalter fremde Haftungsansprüche im eigenen Namen geltend. Die Verfahrenseröffnung wird durch die Bildung einer Sondermasse nicht erschwert, wenn nach der hier vertretenen Auffassung der Gesellschafter ohnehin für die Verfahrenskosten haftet. gg) Verhältnis zur Einlageforderung
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All die Probleme um Durchsetzung, Berechnung und Verwendung der Haftungsbeträge spielen keine Rolle, wenn es um die noch nicht erfüllte Einlageforderung geht, die der Gesellschafter im Innenverhältnis gemäß §§ 705 f. BGB, 105 Abs. 3 HGB schuldet. Sie gehört zum Gesellschaftsvermögen, § 718 Abs. 1 BGB, und dient damit sowohl einer Befriedigung derjenigen Gläubiger, denen gegenüber der Gesellschafter im Außenverhältnis gemäß § 128 BGB haftet, als auch zur Abdeckung aller sonstigen Kosten. Das Rangverhältnis richtet sich allein nach §§ 53 ff. InsO. hh) Insolvenzplan
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Mit der Bestätigung eines Insolvenzplans werden auch die Gesellschafter von ihrer persönlichen Haftung befreit, wenn nichts anderes bestimmt ist, § 227 InsO. Das gilt aber nur für die Haftung gemäß § 128 BGB, nicht für die Haftung aufgrund zusätzlichen Schuldbeitritts oder einer Bürgschaft, § 254 Abs. 2 InsO, wobei dem Gesellschafter sogar der Innenregress verwehrt ist, wenn die Gesellschaft durch den Plan entschuldet wurde.
3. Kommanditistenhaftung a) Verhältnis von Einlage und Haftung aa) Außenverhältnis („Hafteinlage“ = Haftsumme) 120
Der Kommanditist haftet wie der oHG-Gesellschafter, nur mit dem Unterschied, dass seine Haftung summenmäßig beschränkt ist. Die Haftung wird während der Dauer des Insolvenzverfahrens vom Verwalter geltend gemacht, was § 171 Abs. 2 HGB schon lange vor dem erst mit der Insolvenzrechtsreform geschaffenen § 93 InsO bestimmte. Beide Vorschriften haben dieselbe Zielsetzung. Für die Haftungsdurchsetzung gegenüber dem Kommanditisten gilt das Vorgesagte entsprechend.
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Anders als bei der oHG kann der Kommanditist seine Haftung jedoch durch die Leistung der im Innenverhältnis geschuldeten Einlage ablösen, soweit beides wertidentisch ist, § 171 Abs. 2 HS 2 AGB. Nur wenn die im Handelsregister 1 Marotzke, ZInsO 2008, 57, 62, der aber einen Massekostenbeitrag analog §§ 170 f. InsO vorschlägt; Hamb-Komm/Pohlmann, InsO, 2. Aufl. 2007, § 93 Rz. 75; MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2006/2007, § 128 Rz. 28, §§ 171, 172 Rz. 112.
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Haftung des Personengesellschafters
Rz. 123
§3
eingetragene Haftsumme im Außenverhältnis höher als die im Innenverhältnis geschuldete Einlage ist, ist das Zusammenspiel von Einlage und Haftung durchbrochen. Ansonsten stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter vorrangig die Außen- oder die Innenhaftung geltend machen muss. Die Einlage darf, wie soeben für den oHG-Gesellschafter dargelegt, für sämtliche Verbindlichkeiten verwendet werden, also auch für diejenigen, für die die Außenhaftung des Gesellschafters nicht besteht. Da ein Gläubiger ohne Insolvenz gegenüber dem Kommanditisten keinen Anspruch darauf hat, dass der Kommanditist seine Haftungsverbindlichkeit gerade ihm gegenüber erfüllt und nicht an einen anderen oder an die Gesellschaft zahlt, besteht auch innerhalb der Insolvenz kein Vorrang für den Haftungsanspruch. Im Gegenteil dient es einer Gleichbehandlung aller am Verfahren teilnehmenden Gläubiger, also nicht nur der haftungsgeschützten Insolvenzgläubiger, wenn vorrangig die Einlageforderung durchgesetzt wird1. Ein entsprechendes Vorgehen des Insolvenzverwalters wird man also konkludent dahingehend verstehen müssen, dass er die Einlage verlangt. Für den Gläubiger folgt daraus, dass er seinen Haftungsschuldner durch Einlageleistung verliert, auch wenn er bei der Verteilung keine Quote erhält, weil die Einlage zwar zum Erlöschen der Haftung führt, aber zur Deckung von Masseschulden verwendet wird. Das führt zu der Frage, ob der Anwalt dem Mandanten raten muss, noch schnell vor der Verfahrenseröffnung einem Gläubiger auf direktem Weg eine bessere Quote, aber weniger als seine Einlageschuld anzubieten, wenn der Gläubiger dafür auf den Rest verzichtet. Damit wird die „Passivseite“ der Gesellschaft um die Nominalforderung entlastet, was der Kommanditist einer späteren Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters eventuell auch in Höhe des Betrages entgegenhalten könnte, der nicht auf der Zahlung, sondern auf dem Restverzicht beruht. Wäre das zulässig, würden sowohl der Kommanditist als auch der Gläubiger davon profitieren: Der eine zahlt weniger, und der andere erhält mehr als bei einer Abwicklung im Insolvenzverfahren.
122
Die Zulässigkeit dieser Gestaltung hängt von dem Verhältnis zwischen der Einlagehaftung im Innenverhältnis und der Kommanditistenhaftung im Außenverhältnis ab. Zur Erläuterung sei auf den Grundfall zurückgegriffen, in dem der Kommanditist an den Gläubiger eine Zahlung in voller Höhe der Haftsumme tätigt. Das darf er noch nach dem Insolvenzantrag, sogar bei Anordnung der vorläufigen „starken“ Verwaltung2; denn erst mit der Insolvenzeröffnung geht die Inkassobefugnis gemäß §§ 171 Abs. 2 HGB, 93 InsO auf den Verwalter über3. Durch die Zahlung wird der Kommanditist von seiner summenmäßig beschränkten Außenhaftung frei, und zwar gegenüber allen Gläubigern und nicht nur gegenüber demjenigen, an den die Zahlung adressiert wurde. Die Restriktionen, die es im Kapitalgesellschaftsrecht für die Einlageleistung durch Direktzahlungen an Gläubiger der Gesellschaft gibt, gibt es hier nicht, weil bei der Kapitalgesellschaft das Innenhaftungsmodell gilt, hier jedoch das Außenhaftungsmodell.
123
1 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 100 m. Nachw. für die Gegenansicht in Fn. 322. 2 Hamb-Komm/Pohlmann, 2. Aufl. 2007, § 93 Rz. 39. 3 Hamb-Komm/Pohlmann, 2. Aufl. 2007, § 93 Rz. 39 f.
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219
§3
Rz. 124
Gesellschafterberatung
124
Zahlt der Kommanditist wie im Ausgangsbeispiel nur einen Teil der Haftsumme und verzichtet der Gläubiger auf den Rest, wird die Kommanditgesellschaft von einer Verbindlichkeit in Höhe des Nominalwerts der Forderungen entlastet. Die ältere Rechtsprechung1 hielt das für ausreichend (Nominalwertprinzip). Dafür spricht, dass bei einer unmittelbaren Zahlung die Vollwertigkeit der Forderung des Gläubigers keine Rolle spielt. Der Kommanditist wird von der Haftung in Höhe des gezahlten Nominalbetrages frei. Was der Gläubiger mit dem Geld „anstellt“, spielt keine Rolle. Er könnte auch „aus Dankbarkeit“ dem zahlenden Kommanditisten wieder einen Teil „schenken“. Eine haftungsauflebende Einlagenrückgewähr i.S.v. § 172 Abs. 4 HGB wäre das nicht, weil die Schenkung aus dem Vermögen des Gläubigers, nicht aus dem der Gesellschaft stammt. Gegen die Konstruktion spricht, dass der Kommanditist in Höhe des Verzichts tatsächlich keine Leistung erbringt. Der Verzicht des Gläubigers ist nichts anderes als eine Sachleistung, die ein Dritter – der Gläubiger – für Rechnung des Kommanditisten erbringt. Bei Sachleistungen aber ist unbestritten, dass sie (auch) im Außenverhältnis nur haftungsbefreiend wirken, wenn sie vollwertig sind2, was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Statt einen Erlassvertrag zu schließen, könnte der Gläubiger die Forderung auch an den Kommanditisten gegen Zahlung eines bestimmten Kaufpreises abtreten. Die anschließend in der Hand des Kommanditisten zulässige Aufrechnung gegen seine Einlageverpflichtung (Näheres dazu unten Rz. 127) befreit ihn nach neuerer Rechtsprechung nur in Höhe des tatsächlichen Wertes der Forderung im Zeitpunkt der Aufrechnung3 (Vollwertigkeitsprinzip), letztlich also nur in Höhe der Quote, die auf die Forderung im Insolvenzverfahren entfallen würde. Der Kommanditist könnte einer späteren Inanspruchnahme durch den Verwalter noch nich einmal den gezahlten Kaufpreis entgegenhalten, da dessen causa nicht die Haftung gegenüber dem Gläubiger, sondern der Forderungskauf ist.
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Für das Beispiel ist festzuhalten, dass die Entlastung der Gesellschaft von einer Verbindlichkeit durch den Kommanditisten unterschiedlich behandelt wird: Erfolgt die Entlastung durch Zahlung an den Gläubiger, führt das in Höhe des gezahlten Betrages zur Enthaftung, obwohl die Forderung des Gläubigers gegen die Gesellschaft nicht mehr vollwertig ist. Zugleich führt dies, worauf noch zurückzukommen sein wird, zur Erfüllung der Einlageverpflichtung. Erfolgt die Entlastung hingegen im Wege der Abtretung der Gläubigerforderung und anschließenden Aufrechnung, führt dies zur Haftungsbefreiung nur in Höhe des objektiven Wertes der Verbindlichkeit. Diese Ungleichbehandlung muss der Kommanditist, so der BGH, aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung hinnehmen4.
126
Trotzdem eröffnet die vor Verfahrenseröffnung noch schnell geleistete Zahlung Umgehungsmöglichkeiten, weil eine teilweise Rückgewähr an den Kommanditisten kaum bekannt werden dürfte. Der Gläubiger trägt jedoch das Risiko ei1 Z.B. BGH v. 3. 3. 1969 – II ZR 222/67, NJW 1969, 1210. 2 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. 3 BGH v. 10. 11. 1975 – II ZR 202/74, WM 1976, 107; v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947. 4 BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947.
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Haftung des Personengesellschafters
Rz. 127
§3
ner Insolvenzanfechtung. Zwar wird er nicht aus dem Gesellschaftsvermögen befriedigt. Eine Rechtshandlung der Gesellschaft ist aber auch nicht erforderlich. Vielmehr stellt § 129 InsO nur auf irgendeine Rechtshandlung ab, so dass die des Kommanditisten ausreicht. Die des Weiteren erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist jedenfalls dann unzweifelhaft eingetreten, wenn die Zahlung an einen einzelnen Gläubiger im Wege der Aufrechnung zum Wegfall der Einlageforderung führt. Zweifelhaft ist die Gläubigerbenachteiligung nur, wenn die Haftsumme höher als die Einlageverpflichtung ist. Dann wirkt sich die Zahlung nicht nachteilig auf die Aktivmasse aus und begünstigt sogar die Schuldenmasse1 der Gesellschaft. Da § 93 InsO aber auch bei der Haftungsdurchsetzung die Gläubigergleichbehandlung gewährleisten soll, wird man die einseitige Bevorzugung durch eine schnell noch vorgenommene haftungsbefreiende Zahlung des Kommanditisten als im Sinne des § 129 InsO gläubigerbenachteiligend ansehen müssen. bb) Innenverhältnis („Pflichteinlage“) Von der Außenhaftung zu trennen ist die Innenhaftung. Eingangs wurde schon darauf hingewiesen, dass die interne Einlageverpflichtung und die externe Haftung unabhängig voneinander bestehen. Das eine beruht auf dem Gesellschaftsvertrag, das andere auf §§ 128, 171 Abs. 1 HGB. Zahlt der Kommanditist an einen Gläubiger, kann der „Bogen“ zur Einlageverpflichtung nur im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch der §§ 161 Abs. 2, 110 HGB gezogen werden. Im Kapitalgesellschaftsrecht resultieren zahlreiche Probleme daraus, dass z.B. § 19 Abs. 2 GmbHG die Aufrechnung des Gesellschafters ausdrücklich verbieten und es sich sogar, wenn die Gegenforderung im zeitlichen Zusammenhang mit der Einlageforderung entsteht, um eine verschleierte Sacheinlage handelt, weil de facto keine Zahlung geleistet, sondern die Forderung eingelegt wird. Demgegenüber gibt es bei der KG zwar keine formelle Kapitalaufbringungsgarantie, aber immerhin ein Vollwertigkeitsgebot2. Insofern bestehen Bedenken gegen die Aufrechnung mit einem Aufwendungsersatzanspruch aufgrund der Befriedigung eines Gläubigers in der Krise; denn der Aufwendungsersatzanspruch ist genausowenig werthaltig wie die bezahlte Gläubigerforderung. Trotzdem gilt für die Haftungsbefreiung hier ausnahmesweise das Nominalwertprinzip3. Das folgt aus dem System der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB4: der Kommanditist kann sich durch die Einlageleistung von der Außenhaftung befreien. Leistet er stattdessen auf die Haftung, darf dieser Vorgang unter Hinweis auf die fehlende Vollwertigkeit der Gläubigerforderung nicht zu einer Erhöhung seiner Gesamtverpflichtung führen. Deshalb kann der Kommanditist sogar noch nach Insolvenzeröffnung gegen eine Inanspruchnahme vom Verwalter in Höhe des Nominalwertes aufrechnen. Erforderlich ist nur, dass er vor der Eröffnung an den Gläubiger ge1 Zu diesem Kriterium bei der Gläubigerbenachteiligung: HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 36. 2 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 59 f. 3 BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947 unter Ziff. IV; OLG Dresden v. 24. 6. 2004 – 7 W 554/04, ZIP 2004, 2140; Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 171 Rz. 7. 4 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 1575.
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127
§3
Rz. 128
Gesellschafterberatung
zahlt hat1. Die Aufrechnung scheitert auch nicht an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil die Herstellung der Aufrechnungslage nicht auf einer anfechtbaren Rechtshandlung beruht. Das gilt allerdings nur hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Kommanditisten und der Gesellschaft, nicht, wie soeben dargelegt, hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem befriedigten Gläubiger und der Gesellschaft. 128
Da der Kommanditist durch die Befriedigung eines Gläubigers von seiner Haftung befreit wird, gilt für die Einlageleistung nicht wie im GmbH-Recht das Gebot der freien Verfügbarkeit. Der Kommanditist wird namentlich auch dann frei, wenn er auf ein debitorisches Konto zahlt, ohne dass die Geschäftsführung über die Gutschrift disponieren kann. Zugleich erlischt im Innenverhältnis die Einlagepflicht im Wege der Aufrechnung2.
129
Schuldet der Kommanditist im Innenverhältnis eine Sacheinlage, hilft ihm die Aufrechnung nicht, sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht. Insolvenzfest wäre es jedoch nur, wenn es ein handelsrechtliches Zurückbehaltungsrecht wäre, § 51 Nr. 3 InsO. Das wird man für die Zurückbehaltung des Kommanditisten nicht annehmen können. Gleichwohl wäre es wegen der Parallelität von Innen- und Außenhaftung unangemessen, wenn der Insolvenzverwalter den Kommanditisten auf Leistung der Sacheinlage in Anspruch nehmen dürfte. In der Insolvenz verfehlt die Sacheinlage ihren Zweck. Deshalb ist sie analog § 45 InsO wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in eine Geldforderung umzurechnen, so dass aus dem Zurückbehaltungs- das vorbezeichnete insolvenzfeste Aufrechnungsrecht wird. Höchstrichterlich „abgesegnet“ ist das jedoch nicht. Für die Beratungspraxis gilt vorsorglich, dem Kommanditisten in der Krise zu empfehlen, die Sacheinlage zur Vermeidung einer Außenhaftung unverzüglich zu erbringen.
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Insbesondere bei steuerorientierten Kapitalanlagen kommt es vor, dass im Handelsregister eine die Pflichteinlage übersteigende Haftsumme eingetragen wird, um höhere steuerliche Verluste geltend machen zu können, § 15a EStG. Neben der Einlage hat der Kommanditist gelegentlich ein verzinsliches Darlehen zu erbringen. Damit wird ihm ein vermeintlich geringeres Risiko als bei einer Einlage suggeriert. Tritt die Insolvenz ein, ist das Darlehen verloren, und es stellt sich die Frage, ob der Kommanditist auf die über die förmliche Einlage hinausgehende Außenhaftung das Darlehen anrechnen darf. Der BGH hat das bejaht; denn beides seien gesellschaftsrechtliche Beiträge, die nur begrifflich in Einlage und Darlehen aufgespalten worden seien, materiell aber eine einheitliche haftungsbefreiende Einlageleistung darstellen würden3 Deshalb spricht man auch von einer „gesplitteten Einlage“.
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Eine Variante ist, dass das Darlehen von der Gesellschaft aufgenommen und vom Kommanditisten (nur) verbürgt wird. Beides ist ein Finanzierungsbeitrag des Kommanditisten, das Darlehen in Form der Geldleihe und die Bürgschaft 1 Statt an den Gläubiger zu zahlen, kann der Kommanditist auch mit einer eigenen Forderung gegen den Gläubiger aufrechnen, wobei die Abgabe der Aufrechnungserklärung der maßgebende Zeitpunkt ist, BGH v. 17. 9. 1964 – II ZR 162/62, NJW 1964, 2407. 2 OLG Dresden v. 24. 6. 2004 – 7 W 554/04, ZIP 2004, 2140. 3 BGH v. 17. 5. 1982 – II ZR 16/81, NJW 1982, 2253.
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Haftung des Personengesellschafters
Rz. 133
§3
in Form der Bonitätsleihe. Führt die Darlehenshingabe zum Erlöschen der Außenhaftung, müsste dies auch gelten, wenn der Kommanditist seine Bürgschaft einlöst. Das haben der BGH1 für einen Schuldbeitritt und das OLG Hamm2 für eine Bürgschaft bestätigt, indem sie die Aufrechnung des Aufwendungsersatzanspruches, der durch die Einlösung der Bürgschaft etc entstand, in Höhe des Nominalwertes als Einlageleistung auch im Innenverhältnis ansahen. Damit erlischt zugleich die Außenhaftung gegenüber allen anderen Gläubigern, soweit die Haftsumme den gezahlten Betrag nicht übersteigt, § 171 Abs. 1 HGB. Die Selbstständigkeit der Rechtsgründe – Einlageverpflichtung, Geschäftsführerhaftung, Bürgenhaftung – wird erst relevant, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, weil der Kommanditist seine Haftungsschuld dann nicht mehr durch Zahlung an den Gläubiger, sondern nur noch durch Zahlung an den Verwalter erfüllen kann, während er dem Gläubiger aufgrund der Bürgschaft weiterhin direkt verhaftet bleibt3. Das hat einschneidende Konsequenzen für den Kommanditisten. Nur wenn er noch vor der Verfahrenseröffnung an den Gläubiger zahlt, bewirkt das neben einem Erlöschen der Bürgenschuld auch seine Enthaftung sowohl im Außenverhältnis aufgrund der §§ 171 Abs. 1, 161 Abs. 2, 128 HGB als auch im Innenverhältnis aufgrund der im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Einlage, § 706 BGB. Nach Verfahrenseröffnung muss er hingegen aufgrund der Bürgenhaftung an den Gläubiger und aufgrund der Außenhaftung an den Insolvenzverwalter zahlen4. Anders wäre es, wenn §§ 171 Abs. 2 HGB, 93 InsO die Durchsetzung konkurrierender Haftungsansprüche der Gläubiger z.B. wegen einer Bürgschaft ebenfalls dem Insolvenzverwalter überantworten würden. Das indes lehnt die höchstrichterliche Rechtsprechung ab5. Anders wäre es auch, wenn mit der Zahlung auf eine Bürgschaft oder einen Schuldbeitritt nicht zugleich auch die gegenüber allen Gläubigern bestehende Außenhaftung erlöschen würde6. Das steht in der gesetzestypischen KG mit einer natürlichen Person als Komplementär ebenfalls nicht mit der Rechtsprechung im Einklang. Eine Ausnahme gibt es bei der KG ohne natürliche Person als Komplementär (siehe unten Rz. 145 ff.). Für die Beratungspraxis folgt daraus, dass in den Fällen, in denen die Außenhaftung noch nicht durch Einlageleistung erloschen ist, die von einem Kommanditisten einzelnen Gläubigern gestellten Sicherheiten vor Insolvenzeröffnung eingelöst werden müssen, damit sowohl die aufgrund § 171 Abs. 1 HGB bestehende Außenhaftung erlischt als auch die Innenhaftung im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch.
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Die auf einem selbstständigen Verpflichtungsgrund – z.B. Bürgschaft, Schuldbeitritt, Grundschuld – beruhende Haftung gegenüber einzelnen Gläubigern
133
1 BGH v. 9. 12. 1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. 2 OLG Hamm v. 5. 1. 1994 – VIII U 11/93, NJW-RR 1995, 489; Revision v. BGH durch Beschl. v. 12. 12. 1994 – II ZR 13/94 nicht angenommen. 3 Vgl. auch die unterschiedlichen Ansprüche im vorgenannten Urteilsfall des OLG Hamm. 4 BGH v. 9. 12. 1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. 5 BGH v. 4. 7. 2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2. 11. 2001 – VII B 155/01, ZIP 2002, 179. 6 Dahingehend tendierend: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 1575.
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§3
Rz. 134
Gesellschafterberatung
übersteigt gerade bei inhabergeführten Kommanditgesellschaften nicht selten die Haftsumme. Dann ist bei einer Inanspruchnahme nach Insolvenzeröffnung zu differenzieren: § 171 Abs. 2 HGB entfaltet eine Ermächtigungswirkung nur bis zur Höhe der noch bestehenden Außenhaftung. Wird der Kommanditist darüber hinaus von einem Gläubiger aus Bürgschaft etc. in Anspruch genommen, ist er mit seinem Aufwendungsersatzanspruch nach Auffassung des BGH wie ein normaler Gläubiger zu behandeln, der befugt ist, sich auf eine vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zu berufen. Sie soll laut BGH daraus resultieren, dass der Aufwendungsersatzanspruch bereits aufschiebend bedingt existierte. Deshalb ist er in Höhe des Mehrbetrages zur Aufrechnung befugt. Zur Erläuterung ein Beispiel: Beträgt die Haftsumme 50 TEuro und hat der Kommanditist nach Insolvenzeröffnung 50 TEuro gezahlt, darf er nicht aufrechnen. Der im Wege der Prozessstandschaft vom Verwalter geltend gemachte Anspruch auf die Hafteinlage, die im Urteilsfall identisch war mit der noch offenen Pflichteinlage, ist nicht erloschen. Muss der Kommanditist an den Gläubiger aber sogar 60 TEuro zahlen, darf er mit den 10 TEuro aufrechnen1. Dieses Urteil erging zur KO. Unter der InsO bestehen dagegen schon deshalb Bedenken, weil die Pflichteinlage spätestens mit Verfahrenseröffnung fällig wurde, der Erstattungsanspruch aber erst danach, so dass eine Aufrechnung an § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO scheitert. cc) Sacheinlage 134
Anders als im Recht der Kapitalgesellschaften gibt es kein Verbot der verschleierten Sacheinlage. Vielmehr kommt es nur darauf an, dass die Leistung des Kommanditisten dem objektiven Werte nach der Haftsumme entspricht. Überhöhte Wertvereinbarungen der Gesellschafter untereinander sind für die Haftung im Außenverhältnis nicht maßgebend. Daraus hat der BGH in einem allerdings älteren Urteil die Konsequenz gezogen, bei Sachlieferungen in der Krise sei zu berücksichtigen, dass ihre Verwertung einen geringeren Erlös bringen könne, so dass der Versilberungswert maßgebend sei2.
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Eine Einlageverpflichtung erfüllt der Kommanditist aber nur dann durch Sachleistungen oder Vergütungsansprüche für Dienstleistungen, wenn dies zwischen den Gesellschaftern auch so vereinbart war. Das kann auch nachträglich geschehen. Dann kommt es auf den objektiven Wert im Zeitpunkt der Vertragsänderung an. Bei einer Aufrechnung bedarf es zwar keines Einvernehmens aller Gesellschafter, weil sie auch einseitig vom Kommanditisten erklärt werden kann. Er hat seine Einlageverpflichtung trotz der Rückwirkung laut § 389 BGB dann aber erst mit der Aufrechnung erfüllt. Die Konsequenz ist, dass es auf den Wert seiner Forderung bei Abgabe der Aufrechnungserklärung ankommt3. Demgegenüber stellte die ältere, inzwischen jedoch überholte Rechtsprechung auf den Zeitpunkt der Leistung des Kommanditisten ab4. Eine Aus1 2 3 4
BGH v. 9. 12. 1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319 unter III. 1. b). MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 60. Vgl. zum Nominalwertprinzip bei der Aufrechnung: BGH v. 3. 3. 1969 – II ZR 222/67, NJW 1969, 1210.
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Spliedt
Haftung des Personengesellschafters
Rz. 137
§3
nahme gilt nur, wenn die Aufrechnungsforderung aus einer Gläubigerbefriedigung resultiert (siehe oben Rz. 127). Die Maßgeblichkeit des objektiven Wertes einer Einlage und die Unbeachtlichkeit von Wertvereinbarungen gilt zu Lasten des Kommanditisten, nicht auch zu seinen Gunsten. Ist der Wert seiner Leistung höher als der dafür vereinbarte Betrag, wird das auf die Haftsumme nur in Höhe der Vereinbarungssumme angerechnet1; denn nur die „Einlage“ wird laut § 171 Abs. 1 HGB auf die Haftsumme angerechnet – und Einlage ist nur das, was auch als solche vereinbart ist, im Interesse des Gläubigerschutzes begrenzt durch den objektiven Wert.
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dd) Einlagenrückgewähr Die durch Leistung der Einlage erloschene Haftung lebt wieder auf, wenn die Einlage zurückgwährt wird, § 172 Abs. 4 HGB. Wie bei §§ 30 f. GmbHG ist Einlagenrückgewähr jede Zuwendung2 an den Gesellschafter, die – unter Berücksichtigung eines mit kaufmännischer Sorgfalt auszufüllenden Beurteilungsspielraumes – nicht dem Drittvergleich standhält, sondern als causa societatis angesehen werden muss. Die Einlagenrückgewähr muss selbstverständlich nicht als solche bezeichnet sein. Haftungsschädlich sind nur diejenigen Zuwendungen, die das Kapitalkonto unter die Haftsumme sinken lassen. Für die Ermittlung des Kapitalkontos sind die Buchwerte maßgebend3, für die Höhe des zurückgewährten Betrages allerdings im Unterschied zur herrschenden Meinung bei der Einlagenrückgewähr in der GmbH die Verkehrswerte4. Für die Kommanditistenhaftung hat diese Unterscheidung anders als bei der GmbH jedoch keine Bedeutung; denn soweit das Kapitalkonto noch positiv bleibt, ist der Kommanditist von der Außenhaftung befreit. Die Diskussion um die Bewertung der Zuwendung mit dem Buch- oder dem Verkehrswert wird bei der GmbH nur deshalb geführt, weil der Empfänger dort auch über seine Stammeinlage hinaus haftet, wenn die Einlagenrückgewähr höher war. Demgegenüber ist die Außenhaftung des Kommanditisten auf die im Handelsregister eingetragene Haftsumme beschränkt, selbst wenn die Einlagenrückgewähr weit darüber hinaus geht5. Denkbar ist allerdings eine Haftung des Kommanditisten wegen Verletzung des Gesellschaftsvertrages; denn gemäß § 169 HGB steht ihm nur ein Entnahmerecht auf Gewinne zu. Zwar kann das jederzeit abgeändert werden. Dazu bedarf es aber des Einvernehmens aller Gesellschafter. Es scheitert nicht an § 172 Abs. 3 HGB, wonach eine Vereinbarung, durch die dem Kommanditisten die Einlage erlassen wird, den Gläubigern gegenüber un1 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 48; missverständlich: BGH v. 1. 6. 1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184, dessen Ausführungen am Ende von S. 3185 aber wohl so zu verstehen sind, dass sie sich auf den im Einverständnis aller Gesellschafter festgelegten Wert beziehen. 2 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319 unter IV 1. a). 3 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. Anders ist es bei der Einlageleistung mit Buchwertfortführung. Hier kommt es auf den objektiven Wert an, wenn die Gesellschafter ihn einvernehmlich über dem Buchwert ansetzen: BGH v. 1. 6. 1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. 4 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. 5 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725.
Spliedt
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137
§3
Rz. 138
Gesellschafterberatung
wirkam ist. Diese Vorschrift hat nur Bedeutung für die Außenhaftung. Anders als bei der GmbH, bei der eine Einlagenrückgewähr im Rahmen der Unterbilanz auch dann unzulässig ist, wenn sich sämtliche Gesellschafter einig sind, kann bei der KG das Eigenkapital (Einlagen) jederzeit mit Wirkung für das Innenverhältnis geändert werden1. Es sind sogar Auszahlungen zulässig, die zu einem negativen Eigenkapital führen. Sie gehen zu Lasten des Komplementärs. Erst wenn keine natürliche Person unbeschränkt haftet, gibt es Restriktionen. 138
Ein weiterer Unterschied zur GmbH besteht darin, dass die Voraussetzungen für die Einlagenrückgewähr individuell für den empfangenden Kommanditisten ermittelt werden müssen. Maßgebend ist allein sein Kapitalkonto, nicht hingegen das gesamte Eigenkapital im Vergleich zum Haftkapital. Eine Einlagenrückgewähr liegt also auch dann vor, wenn die Kapitalkonten anderer Gesellschafter deren jeweilige Haftsumme weit übersteigen. Allerdings kann ihr Kapitalkonto zugunsten des entnahmebegünstigten Kommanditisten umgebucht werden mit der Folge, dass seine Außenhaftung wieder erlischt. Maßgebend hierfür ist nach dem Vollwertprinzip nicht der Buchwert, sondern der Verkehrswert einschließlich der dem Kapitalkonto kalkulatorisch zuzuordnenden stillen Reserven2. Außerdem ist das Einverständnis aller übrigen Gesellschafter erforderlich, wenn dem Kapitalkonto des begünstigten Kommanditisten wegen der stillen Reserven ein höherer Betrag gutgeschrieben wird als der Buchwert, um den sich das Kapitalkonto des belasteten Gesellschafters reduziert; denn dadurch erhält der begünstigte Kommanditist vorab einen Anteil an den kalkulatorisch nur für ihn aufgedeckten stillen Reserven. Mit dem dadurch erhöhten Kapitalanteil partizipiert er ein zweites Mal an den stillen Reserven, wenn sie z.B. durch den Verkauf eines Grundstücks im Gesellschaftsvermögen effektiv aufgedeckt werden3. Das vom BGH im Urteil vom 1. 6. 1987 betonte Einverständnis aller Gesellschafter ist eigentlich kein Spezifikum der Umbuchung, sondern gilt bei jeder Einlageleistung mit Buchwertfortführung, falls der Kommanditist dadurch eine im Nominalbetrag über dem Buchwert liegende Pflichteinlage erbringen darf; denn haftungsbefreiend wirkt maximal der Wert, auf den sich die Gesellschafter im Innenverhältnis verständigt haben, bei einer simplen Umbuchung ohne Einverständnis aller also nur der auf festgestellten Bilanzen beruhende Buchwert, selbst wenn der tatsächliche Wert höher liegt (siehe oben Rz. 50).
139
Wird aber die Zuwendung auf einem unabhängig von dem Kapitalkonto geführten Verrechnungskonto gebucht und damit ein Anspruch gegen den Kommanditisten ausgewiesen, lebt seine Außenhaftung nicht auf4. Das ist eine Kreditgewährung aus dem Gesellschaftsvermögen. Sie ist zulässig. In der GmbH behandelt der BGH Kreditgewährungen, die zulasten des gebundenen Vermögens
1 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 39. 2 BGH v. 1. 6. 1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. 3 BGH v. 1. 6. 1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. Anders ist es nur, wenn im Zusammenhang mit der Umbuchung eine Gewinnverteilungsabrede dahingehend getroffen wird, dass der von der Umbuchung begünstigte Kommanditist am Gewinn, der später durch die Aufdeckung bestimmter stiller Reserven entsteht, nicht partizipiert. 4 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 69.
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Spliedt
Haftung des Personengesellschafters
Rz. 142
§3
an Gesellschafter erfolgen, demgegenüber als Einlagenrückgewähr1. Für die KG wäre mit einer solchen Beurteilung nichts gewonnen, weil es – anders als bei § 31 Abs. 3 GmbHG – keine Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gibt und für die Erstattung nur das Vollwertigkeitsgebot eingreift, nicht aber die formellen Aufrechnungsverbote des GmbH-Rechts. Sogar das Wiederauffüllen des Kapitalkontos durch stehengelassene Gewinne reicht im Gegensatz zur GmbH2 aus. Ähnlich wie § 32 GmbHG enthält § 172 Abs. 5 HGB einen Gutglaubenschutz für Gewinnauszahlungen. Allerdings verlangt die HGB-Vorschrift nicht nur einen guten Glauben der Kommanditisten, sondern – anders als bei der GmbH – auch noch einen guten Glauben der Bilanzersteller3, was gerade bei Kapitalanlagen mit einem fraudolosen Hintergrund nicht gegeben ist. Die von ihnen wider besseres Wissen ausgewiesenen Scheingewinne führen zum Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung4. Ob dies für Publikumskommanditgesellschaft einzuschränken ist, ist umstritten5.
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Kürzlich hat der BGH die früher als selbstständige Haftungsfigur angesehene Existenzvernichtungshaftung als eine bloße Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet6. Danach haften die Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft für einen mit mindestens dolus eventualis vorgenommenen gezielten Entzug von Vermögenswerten zu betriebsfremden Zwecken. Begründet wird diese „durch richterlichen Gestaltungsakt“7 aufrechterhaltene Fallgruppe mit Lücken im Kapitalschutzsystem der GmbH. Sie fehlen bei der gesetzestypischen KG mit einer natürlichen Person als unbeschränkt haftendendem Komplementär. Die Vermögensverlagerung in Kenntnis einer unzulänglichen Leistungsfähigkeit des Komplementärs ist nur nach den Anfechtungsvorschriften der InsO bzw. des AnfG revidierbar. Anders ist es bei der GmbH & Co. KG, bei der auch für den Vermögenseingriff des Kommanditisten dieselben Schutzüberlegungen gelten.
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b) Haftung vor Eintragung § 176 HGB bestimmt, dass sich der Kommanditist auf die Haftungsbeschränkung gegenüber denjenigen Verbindlichkeiten nicht berufen darf, die vorher eingegangen wurden, wenn er dem Geschäftsbeginn zugestimmt hat bzw. sein Eintritt in ein bereits tätiges Handelsgeschäft vor seiner Eintragung als Kommanditist wirksam wurde. Allerdings gilt dies trotz der Ähnlichkeit mit der Außenhaftung des oHG-Gesellschafters nicht für die von § 130 HGB erfassten Verbindlichkeiten, die vor seinem Beitritt entstanden sind8; denn § 176 Abs. 2 HGB bezieht sich ausdrücklich nur auf die in der Zeit zwischen seinem Eintritt 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, ZIP 2004, 263. BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 347/97, ZIP 2000, 1256. BGH v. 1. 6. 1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. BGH v. 12. 7. 1982 – II ZR 201/81, NJW 1982, 2500. MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 87. BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802, 1804. MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, § 176 Rz. 34.
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§3
Rz. 143
Gesellschafterberatung
und seiner Eintragung begründeten Verbindlichkeiten. Anders als bei der ebenfalls unbeschränkten – wenngleich als Innenhaftung ausgestalteten – Unterbilanzhaftung für die vor der Eintragung angefallenen Verluste im GmbHRecht hilft dem Kommanditisten ein „Bösglaubenschutz“: War dem Gläubiger bekannt, dass der Gesellschafter nur als Kommanditist beschränkt haften wollte, greift diese Beschränkung schon vor der Eintragung ein. Eine solche Kenntnis liegt zumindest dann vor, wenn die Gesellschaft als GmbH & Co. firmiert1. Kennt der Gläubiger hingegen noch nicht einmal die Beteiligung des später eingetragenen Kommanditisten, hindert das dessen unbeschränkte Haftung nicht2. c) Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten 143
Die Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten lebt gemäß § 172 Abs. 4 HGB wieder auf, wenn er eine Abfindung (§§ 738 ff. BGB) erhält. Sie ist eine Einlagenrückgewähr. Wird die Abfindung jedoch nicht ausbezahlt, sondern als Darlehen stehen gelassen, ist das Gesellschaftsvermögen zwar bilanziell, aber noch nicht materiell gemindert, so dass es bei der durch die ursprüngliche Einlageleistung bewirkten Haftungsbefreiung bleibt3. Das deckt sich mit derjenigen Rechtsprechung, nach der eine Haftungsbefreiung auch dann eintritt, wenn die Einlage durch ein Darlehen wirkt4 (siehe oben Rz. 131), könnte andererseits aber im Widerspruch zum Vollwertigkeitsgebot bei einer Sacheinlage stehen. Rechnet der Kommanditist nämlich mit einer Forderung gegen die Gesellschaft erst in einem Zeitpunkt auf, in dem die Forderung nicht mehr vollwertig ist, wird er nur in Höhe des Teilwerts von seiner Außenhaftung befreit. Es wird nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in dem Zeitpunkt abgestellt, in dem seine Forderung begründet wurde. Maßgebend sind vielmehr trotz der Rückwirkung des § 389 BGB diejenigen im Zeitpunkt der Aufrechnung5 (siehe oben Rz. 124). Übertragen auf das Stehenlassen des Abfindungsanspruchs könnte daraus folgen, dass es nicht auf die Vollwertigkeit bei der Einbuchung, sondern bei der Haftungsinanspruchnahme ankäme. Gleichwohl ist die Auffassung des BGH zutreffend, weil ein Stehenlassen des Abfindungsanspruchs ebenso wie die Erfüllung der Einlageverpflichtung durch Darlehen causa societatis erfolgt und nicht aus einem Drittgeschäft resultiert, wie es den Aufrechnungsfällen zugrunde liegt. Das Ergebnis ist auch angemessen; denn die Gesellschaftsverträge enthalten regelmäßig Ratenzahlungsvereinbarungen für die Abfindung. Ausgeschiedene Kommanditisten haben gesellschaftsrechtlich also noch gar keinen fälligen Abfindungs(= Einlageerstattungs)anspruch. Der ehemalige Gesellschafter würde dem Gläubiger allein aufgrund des Ausscheidens haften, ohne dass er u.U. auch nur einen einzigen Euro von der KG erhalten hätte. Die fortdauernde Haftungsbefreiung durch Stehenlassen der Abfindungsforderung sollte man nicht davon abhängig machen, ob die Verbind1 BGH v. 21. 3. 1983 – II ZR 113/82, NJW 1983, 2258; OLG Frankfurt v. 9. 5. 2007 – 13 U 195/06, NZG 2007, 625. 2 BGH v. 28. 10. 1981 – II ZR 129/80, NJW 1982, 883. 3 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319. 4 BGH v. 17. 5. 1982 – II ZR 16/81, NJW 1982, 2253. 5 BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947.
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Rz. 145
§3
lichkeit als Abfindungs- oder als Darlehensschuld bezeichnet wird1. Die interne buchhalterische Behandlung bei der Gesellschaft hat hinter der wertenden Betrachtungsweise zurückzustehen, die es gebietet, erst bei einem Kapitalentzug eine Erhöhung des Gläubigerrisikos anzunehmen. Für das Innenverhältnis wurde oben (Rz. 127 ff.) beim ausgeschiedenen unbeschränkt haftenden Gesellschafter dargelegt, dass er nach herrschender Meinung durch die Einlösung seiner Haftungsschuld an die Stelle des von ihm befriedigten Gläubigers tritt. Das gilt auch für den ausgeschiedenen Kommanditisten2. Für das Außenverhältnis kommt bei ihm jedoch als Gestaltungsalternative hinzu, dass er sich von seiner Haftung befreien kann, indem er, statt an den Gläubiger zu zahlen, der Gesellschaft eine Einlagenrückgewähr wieder erstattet. Hier macht die Insolvenzeröffnung eine eigentümliche Zäsur: zieht der Verwalter die Haftsumme ein, darf sie nur zur Befriedigung derjenigen Gläubiger verwendet werden, denen gegenüber der ausgeschiedene Kommanditist gemäß § 160 HGB noch haftet3. Zahlt er hingegen vor Verfahrenseröffnung an die Gesellschaft, wird er gemäß § 171 Abs. 1 HGB ebenfalls von seiner Haftung gegenüber diesen Gläubigern frei, nur dass der Betrag jetzt nicht mehr allein zur Befriedigung der Altgläubiger, sondern sämtlicher Gläubiger einschließlich laufender Kosten verwendet werden darf4. Das kann eine außergerichtliche Sanierung bei nennenswerten Beträgen ausgeschiedener Kommanditisten erleichtern, weil dann sämtliche in der Krise vorhandenen Gläubiger gleich behandelt werden. Selbst wenn es trotzdem zu einem Insolvenzverfahren kommt, kann die vorherige Zahlung an die Gesellschaft wegen der nicht beschränkten Mittelverwendung die Unternehmensfortführung erleichtern mit der Chance auf einen späteren Insolvenzplan. Die Beratungsempfehlung lautet deshalb, den Betrag vor Verfahrenseröffnung in das Gesellschaftsvermögen (wieder) einzulegen.
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d) Besonderheiten der GmbH & Co. KG aa) Einlageleistung und Haftungsbefreiung Für die Kommanditisten einer GmbH & Co. KG gibt es ergänzende Haftungsvorschriften, von denen sich nur zwei im HGB befinden: Die eine ist § 172 Abs. 6 HGB. Danach gilt die Kommanditeinlage als nicht geleistet, soweit sie in Anteilen an der Komplementär-GmbH bewirkt wird. Die andere Vorschrift ist § 172a HGB, wonach die sogenannten Novellenregeln zum Eigenkapitalersatzrecht auch für Kommanditisten einer GmbH & Co. KG gelten. Aus dem Gesetz nicht ersichtlich ist, dass daneben auch die auf eine Analogie zu § 30 f.
1 S. aber MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 73 m.N. in Fn. 257, 259. 2 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319. 3 BGH v. 10. 5. 1978 – VIII ZR 32/77, NJW 1978, 1525; Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, § 94 Rz. 83, 109. 4 BGH v. 9. 5. 1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; a.A. MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 43 unter irrtümlichem Verweis auf die Fundstellen in Fn. 111, die das Inkasso durch den Verwalter betreffen.
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§3
Rz. 146
Gesellschafterberatung
GmbHG gestützten Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatzrecht für die KG gelten1. 146
Das hat sowohl Auswirkungen auf die haftungsbefreiende Einlagleistung als auch auf die haftungsauflebende Einlagerückgewähr. Oben wurde bereits dargelegt, dass die vor Insolvenzeröffnung erfolgte Zahlung auf eine Bürgschaft sowohl die Außenhaftung als auch im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch die Innenhaftung tilgt. Eine Aufrechnung mit der Einlageverpflichtung ist jedoch nicht mehr möglich, wenn die Bürgschaft eigenkapitalersetzend geworden ist, weil es an der Fälligkeit des Aufwendungsersatzanspruches als Voraussetzung für diese Aufrechnung fehlt2. Anders könnte es sein, wenn es nicht um eine Aufrechnung geht, sondern der Kommanditist von vornherein als Beitrag nur die Übernahme der Bürgschaft schuldete. Dann hat er im Innenverhältnis alles getan, was er zu leisten versprochen hat:
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Die Übernahme der Bürgschaft ist nicht nur ein Beitrag, der den Haftungsfonds der KG unberührt lässt, sondern nach der Zahlung auch eine Einlage3. Ebenso verhält es sich mit dem oben (Rz. 131) erwähnten Beispiel eines Darlehens: Gewährt der Kommanditist der Gesellschaft ein Darlehen, weil das von vornherein so als sein Beitrag vereinbart war, ist auch dies trotz der Bezeichnung als Darlehen und Passivierung als Schuld in der Handelsbilanz der KG eine Einlageleistung, die den Kommanditisten in Höhe des Nominalwertes von der Außenhaftung befreit, § 171 Abs. 1 HGB. Anders ist es, wenn der Kommanditist neben seiner offenen Einlageschuld ein Darlehen gewährt oder eine Bürgschaft übernimmt. Der Kommanditist darf der Gesellschaft nicht einseitig eine andere als die ursprünglich als Einlage geschuldete Leistung aufdrängen. Dazu bedarf es vielmehr der Vereinbarung („Vertragstheorie“4). Als einseitige Maßnahme kann er nur die Aufrechnung erklären. Das aber erfordert die Vollwertigkeit und die Fälligkeit, § 387 BGB. Schon an der Fälligkeit fehlt es, soweit die Gesellschafterleistung den Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz unterliegt. Eine Rückzahlung des Darlehens oder eine Befeiung von gestellten Sicherheiten darf dann analg § 30 GmbHG auch vom Nur-Kommanditisten einer GmbH & Co. KG nicht geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt, wenn sich die Gesellschafter nachträglich über eine Anrechnung auf die Einlageverpflichtung einig sind. Im Innenverhältnis ist das zwar zulässig, § 163 HGB. Für das Außenverhältnis kommt es aber auf die Vollwertigkeit an. Dafür ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem diese Abrede nachträglich getroffen wird5. § 30 GmbHG analog ist nicht dispositiv – und ein Anspruch, der nicht durchsetzbar ist, ist schon deshalb nicht vollwertig. Daraus folgt: Wird nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages zwischen allen Gesellschaften – nicht nur mit der Geschäftsführung – vereinbart, dass die Einlage durch ein Darlehen 1 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. 2 Im Ergebnis ebenso, wobei der BGH die Lösung auf eine nach § 31 GmbHG geschuldete Rückgewähr der erloschenen Einlageschuld stützt: BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; OLG Hamm v. 5. 1. 1994 – 8 U 11/93, NJW 1995, 489. 3 BGH v. 9. 12. 1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. 4 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172, Rz. 46 ff. 5 MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172, Rz. 59 f.
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Haftung des Personengesellschafters
Rz. 149
§3
oder eine Bürgschaft etc. erbracht wird, ist die Vollwertigkeit gegeben, wenn die Leistungen erst anschließend erfolgen werden, mögen sie zusätzlich auch noch eigenkapitalersetzenden Charakter haben. Sowohl die Innen- als auch die Außenhaftung ist erloschen1, bei der Bürgschaft natürlich nur unter der Bedingung, dass auch tatsächlich Zahlung erfolgt. Wird die Einlagevereinbarung hingegen erst geändert, nachdem der Kommanditist Darlehen oder Sicherheiten schon gewährt hat, kommt es auf den Zeitpunkt der Änderung an. Liegt dann bereits Eigenkapitalersatz vor, ist die Abrede zwar für das Innenverhältnis wirksam – § 172 Abs. 3 HGB gilt nur im Verhältnis zu den Gläubigern –, nicht aber für das Außenverhältnis im Hinblick auf die Haftsumme. Soweit das Eigenkapitalersatzrecht nicht auf die Einlageleistung ausstrahlt, finden die Kapitalaufbringungsvorschriften des GmbH-Rechts keine analoge Anwendung auf die Leistung der Pflichteinlage, und zwar auch nicht insoweit, soweit gleichzeitig die Außenhaftung erlöschen soll2.
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bb) Kapitalerhaltung Was für die Einlageleistung gilt, gilt auch für die Kapitalerhaltung, für die bei der GmbH & Co. KG neben §§ 171 f. HGB die §§ 30 f. GmbHG analog eingreifen3. Voraussetzung ist, dass Zahlungen an die Kommanditisten das Eigenkapital der KG so stark mindern, dass ein Rückgriffsanspruch der Komplementärin, den sie gegen die KG gemäß § 110 HGB aufgrund ihrer persönlichen Haftung hat, nicht mehr vollwertig ist. Diese Voraussetzung ist erst erfüllt, wenn die KG durch die Einlagenrückgewähr in die Überschuldung gerät; denn bis zu dieser Grenze kann sie einen Rückgriffsanspruch der GmbH noch im vollen Umfang befriedigen. Soweit es die Eigenkapitalverhältnisse der KG betrifft, ist also nicht etwa eine „Unterbilanz“ im Vergleich zu den im Handelsregister eingetragenen Haftsummen maßgebend. In einem zweiten Schritt ist sodann das Eigenkapital der GmbH zu prüfen. Hat sie genügend freies, die Stammkapitalziffer übersteigendes Reinvermögen, gibt es keine Veranlassung für einen Kapitalschutz. Somit greift eine doppelte Eigenkapitalbetrachtung ein: Bei der KG muss durch die Einlagenrückgewähr eine Überschuldung entstehen oder vertieft werden und bei der Komplementärin eine Unterbilanz entstehen. Für diese Unterbilanz der GmbH werden gedanklich die Haftungsansprüche, die die Komplementärin nach § 128 HGB treffen, in vollen Umfang passiviert und die Aufwendungsersatzansprüche, die sie gemäß § 110 HGB gegen die KG geltend machen könnte, in Höhe des Realisationswertes aktiviert. Erst wenn die KG überschuldet ist, ist die kalkulatorisch passivierte Haftung größer als die kalkulatorisch aktivierte Erstattung4.
1 Vgl. zur Einlageleistung durch Darlehen an die KG mit natürlicher Person als Komplementär: BGH v. 17. 5. 1982 – II ZR 16/81, NJW 1982, 2253. 2 BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; OLG Dresden v. 24. 6. 2004 – 7 W 554/04, ZIP 2004, 2140. 3 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725; v. 27. 3. 1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736. 4 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725.
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Gesellschafterberatung
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Fraglich ist, ob für die Eigenkapitalverhältnisse sowohl der GmbH als auch der KG die Buchwerte maßgebend sind. Für die KG könnte man insofern daran zweifeln, als die analoge Anwendung der §§ 30 f. GmbHG mit einer Entwertung des Regressanspruchs der GmbH begründet wird, wenn eine Überschuldung der KG durch die Entnahme herbeigeführt oder vertieft wird. Die Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruchs aber hängt von den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen und nicht von den Buchwerten ab. Das gilt bspw. auch für die Vollwertigkeit einer Forderung, mit der der Kommanditist zum Zwecke der Einlageleistung aufrechnet. Für die jeweils isoliert betrachtete Einlagenrückgewähr sowohl in der GmbH1 als auch in der KG2 hat sich der BGH für eine Buchwertbetrachtung entschieden. Der Effizienz des Gläubigerschutzes wird der Vorrang einer unsicheren und subjektiven Verkehrswertermittlung eingeräumt. Deshalb sind auch für die Überschuldung der KG, die im ersten Schritt zu prüfen ist, um daraus auf eine Beeinträchtigung des Stammkapitals der GmbH zu schließen, die Buchwerte maßgebend und nicht – wie bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung gemäß § 19 InsO – die Verkehrswerte. Stille Reserven dürfen also nicht haftungsentlastend berücksichtigt werden.
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Systematisch geht es dem BGH zwar um einen Kapitalschutz der GmbH, aber über das Vermögen der KG. Die Konsequenz dieses „Umweges“ ist, dass eine Erstattung in das Vermögen der KG zu richten ist, nicht in das Vermögen der GmbH.
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Die Auswirkungen der Kapitalschutzvorschriften zugunsten der GmbH treffen auch den Nur-Kommanditisten, der an der Komplementärin nicht beteiligt ist3. Der BGH begründet dies damit, dass die Kommanditisten, die als Komplementärin eine beschränkt haftende GmbH bestellen, verpflichtet seien, innerhalb der KG deren Kapital zu schützen4. Dadurch wird die Kommanditistenhaftung gegenüber dem gesetzlichen Modell erheblich verändert: geht es bei § 171 Abs. 1 HGB nur um die Außenhaftung, die auf die Höhe der eingetragenen Haftsumme begrenzt ist, auch wenn mehr an den Kommanditisten zurückgewährt wird, besteht nunmehr daneben eine unbegrenzte Innenhaftung. Ob auch die Mitkommanditisten eine Ausfallhaftung analog § 31 Abs. 3 GmbHG trifft, hat der BGH für den Nur-Kommanditisten noch nicht entschieden, sondern in einem Urteil aus 1995 nur darauf abgestellt, dass die Mit-Kommanditisten nach § 31 Abs. 1 GmbHG haften, wenn sie an der unzulässigen Auszahlung pflichtwidrig mitwirken5. Diese Rechsprechung hat er inzwischen für die GmbH allerdings aufgegeben6. Eine von dem Verhalten unabhängige Ausfallhaftung des Nur-Kommanditisten ist abzulehnen7, weil sie sich dem Kapitalschutzsystem der KG unterworfen haben und – anders als der begünstigte Kommanditist – die Einlagenrückgewähr auch nicht beeinflussen können. Es bleibt 1 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rz. 10 ff. 2 BGH v. 11. 12. 1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. 3 BGH v. 27. 3. 1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736; v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. 4 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. 5 BGH v. 27. 3. 1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736. 6 BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 47/98, ZIP 1999, 1352. 7 A.A. wohl MünchKommHGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 Rz. 128.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 155
§3
aber eine Haftung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH für die Begünstigung des Kommanditisten1. Die Erwägungen des BGH zur Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters im Rahmen von § 826 BGB2 gelten auch für den Nur-Kommanditisten einer GmbH & Co. KG entsprechend.
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VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren 1. Beteiligtenstellung Ist der Gesellschafter Gläubiger der schuldnerischen Gesellschaft, ergibt sich seine Beteiligtenstellung aus dieser Eigenschaft, hinsichtlich eigenkapitalersetzender Forderungen allerdings nur, soweit nachrangige Forderungen nach gesonderter Aufforderung am Verfahren teilnehmen. §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 174 Abs. 3 InsO. Von der Gläubigerstellung zu unterscheiden ist die reine Gesellschafterposition. Zwar sind die Gesellschafter nicht Träger der Schuldnerrolle. Das ist nur die Gesellschaft, und zwar auch bei der Insolvenz über das (Sonder-)Vermögen einer Personengesellschaft. Aber § 199 Satz 2 InsO zeigt, dass der Insolvenzverwalter auch den Gesellschaftern gegenüber Pflichten haben kann. Zwar ist die dort angesprochene Verteilung eines Überschusses äußerst selten. Dass die Gesellschafter aber Beteiligte jedenfalls sein können, geht daraus deutlich hervor. Für den Personengesellschafter kommt hinzu, dass er z.B. auch für Dauerschuldverhältnisse haftet, die gemäß § 108 InsO nach Verfahrenseröffnung fortbestehen, so dass der Verwalter sie auch im Interesse des Gesellschafters, mag es auch nachrangig sein, möglichst masse- und damit haftungsschonend abwickeln muss. Die Frage lautet deshalb auch nicht, ob sie überhaupt Beteiligte sein können, sondern welche insolvenzspezifischen Rechte sie haben, deren Verletzung eine Haftung des Verwalters gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO begründet. Im wesentlichen beschränken sich ihre Rechte auf die gesellschaftsinternen Mitwirkungsbefugnisse. Fehler des Verwalters betreffen das Schuldnervermögen. Selbst wenn einmal ein Schaden den Betrag übersteigt, der zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, tritt der Nachteil bei der Gesellschaft als Schuldnerin ein. Die Gesellschafter erleiden nur einen Reflexschaden. Ihn können sie im eigenen Namen nicht geltend machen, es sei denn, dass ausnahmsweise dieselben besonderen Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Reflexschaden außerhalb der Insolvenz direkt durchgesetzt werden darf3.
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2. Informationsrechte Sowohl in den Personengesellschaften (§§ 716 BGB, 118, 166 HGB) als auch in den juristischen Personen (z.B. § 51a GmbHG) stehen den an der Geschäftsführung nicht beteiligten Gesellschaftern unterschiedlich stark ausgeprägte Aus1 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. 2 BGH v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. 3 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, Rz. 124 ff.
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§3
Rz. 156
Gesellschafterberatung
kunftsansprüche zu. Bei juristischen Personen mit typischer Weise einer Vielzahl von Gesellschaftern sind sie mediatisiert. So sind die Rechte z.B. in der AG beim Aufsichtsrat gebündelt, §§ 90, 111 AktG, während der Aktionär auf sein Fragerecht in der Hauptversammlung beschränkt ist, § 131 AktG. 156
Die Geschäftsführer sind während des Insolvenzverfahrens nicht in der Lage, die angeforderten Informationen zu erteilen, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ab der Eröffnung dem Verwalter zusteht, § 80 Abs. 1 InsO. In seinem Besitz befinden sich auch die Geschäftsbücher über die Vorgänge vor Eröffnung, §§ 36 Abs. 2 Nr. 1, 148 Abs. 1 InsO. Deshalb wird die Auffassung vertreten, die Auskunfts- und Einsichtsrechte des Gesellschafters würden sich gegen den Insolvenzverwalter richten1. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Sonst hätte jeder einzelne Gesellschafter mehr Rechte als ein einzelner Gläubiger, dem das Insolvenzverfahren in erster Linie dient (§ 1 InsO). Jener aber kann sich über die Verhältnisse des Schuldners nur im Rahmen der Gläubigerversammlung erkundigen, §§ 79, 156 ff. InsO. Auch formaljuristisch ist es verfehlt, dem Gesellschafter einen Direktanspruch zu gewähren; denn der Auskunftsanspruch richtet sich außerhalb der Insolvenz gegen die Gesellschaft2. Der Anspruch ist also vor der Insolvenzeröffnung begründet und wird mit der Insolvenzeröffnung zur Insolvenzforderung, § 38 InsO. Eine vom Insolvenzverwalter zu erfüllende Masseverbindlichkeit wäre er nur, wenn er unter § 55 Abs. 1 InsO fallen würde. Dazu gehören zwar auch Auskunftsansprüche, aber nur als Nebenrechte im Zusammenhang mit Aus- und Absonderungsrechten. Einen allgemeinen Informationsanspruch z.B. über das Ergebnis einer Unternehmensfortführung oder von Vertragsverhandlungen haben Gläubiger nicht. Genauso wenig wie der Insolvenzverwalter die Rechenschaftspflicht des § 666 BGB aufgrund eines vom Schuldner übernommenen Geschäftsbesorgungsauftrages erfüllen muss, wenn er nicht die Erfüllung des Auftrages gemäß § 103 InsO wählt3, muss er dem Gesellschafter gegenüber Auskünfte erteilen4. Vielmehr muss sich der Gesellschafter an den Geschäftsführer halten, der ihm die Informationen vermitteln muss, die er als Vertreter der Schuldnerin bekommen kann. Relevant ist das insbesondere, wenn ein Insolvenzplan beabsichtigt ist. Ihn vorzulegen, ist gemäß § 218 InsO auch der Schuldner berechtigt, so dass der Verwalter ihm die Informationen erteilen und Einsicht in Unterlagen gewähren muss, die für den Planinhalt nach §§ 220 ff., 229 f. InsO erforderlich sind.
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Unabhängig davon ergibt sich eine Abrechnungsverpflichtung des Verwalters gegenüber dem Gesellschafter aufgrund von § 199 InsO. Voraussetzung ist, dass ein verteilungsfähiger Überschuss existiert oder zumindest dargetan wird, dass eine solche Verteilung bei ordnungsmäßiger Verwaltung möglich gewesen 1 OLG Zweibrücken v. 7. 9. 2006 – 3 W 122/06, ZIP 2006, 2407 (für die KG); OLG Hamm v. 25. 10. 2001 – 15 W 118/01, NZG 2002, 178 (für die GmbH); Baumbach/ Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64 Rz. 61. 2 BGH v. 6. 3. 1997 – II ZB 4/96, ZIP 1997, 978; BGH v. 23. 2. 1992 – II ZR 128/91, NJW 1992, 1891; BayObLG v. 18. 3. 2003 – 3 Z BR 246/02, NZG, 2004, 99. 3 Hamburger Kommentar/Kuleisa, 2. Aufl. 2007, § 80 Rz. 20. 4 BayObLG v. 8. 4. 2005 – 3Z BR 246/04, ZIP 2005, 1087; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl. 2003, § 11 Rz. 137.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 159
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wäre. Ist der Anwendungsbereich des § 199 InsO hingegen nicht tangiert, bleibt es bei der Auskunftspflicht gegenüber Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss und Insolvenzgericht. Da der Geschäftsführer als Vertreter der Schuldnerrolle Akteneinsichtsrecht beim Gericht hat, über deren Ergebnis er die Gesellschafter informieren kann, werden ihre Auskunftsansprüche auch nicht unangemessen beschränkt.
3. Bilanzerstellungsanspruch Wesentliche Informationen können der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung entnommen werden. Sie ist für den Gesellschafter außerdem wichtig, wenn es darum geht, einen Verlust gemäß § 15 EStG bei Personengesellschaften bzw. § 17 EStG bei Kapitalgesellschaften insbesondere auch i.V.m. eigenkapitalersetzenden Leistungen in ihrer persönlichen Steuererklärung geltend zu machen. Laut § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO ist ab Verfahrenseröffnung der Insolvenzverwalter für die Erfüllung der handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und Rechnungslegung zuständig, und zwar auch für die noch nicht erledigte Zeit vor Verfahrenseröffnung. Sogar eine nach § 316 HGB erforderliche Pflichtprüfung muss erfolgen. Die Befreiungsmöglichkeit des § 71 Abs. 3 GmbHG gilt für die Zeit vor Insolvenzeröffnung nicht1. Satz 2 des § 155 Abs. 1 InsO begrenzt die Zuständigkeit „in Bezug auf die Insolvenzmasse“. Damit wird die schon zur Konkursordnung geltende Rechtsprechung bestätigt, dass sich die Steuererklärungspflichten nicht auf die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter bezieht. Insbesondere hat der Verwalter für die Personengesellschaft keine Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinn- und Verlustfeststellung gemäß § 179 AO abzugeben2.
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Geht es aber nur um die Pflichten in Bezug auf die Masse, dann können aus der Verletzung außer Individualschäden des Fiskus nur Schäden der Gesamtgläubigerschaft geltend gemacht werden, in dem z.B. vom Finanzamt zu Lasten der Masse erhobene Säumnis- und Verspätungszuschläge erstattet werden müssen. Individualansprüche der Gesellschafter – nicht in der Gesellschaft, also des Gesamthandsvermögens, für das durchaus ein Anspruch in Betracht kommt3 – fallen hingegen nicht in den Schutzbereich der Verpflichtung, so dass sie daraus auch keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 60 InsO geltend machen können4. Immerhin haben die Gesellschafter die Möglichkeit, das Insolvenzgericht zu informieren, damit es die Aufsichtsmaßnahmend der §§ 58 f. InsO ergreift.
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OLG München v. 10. 8. 2005 – 31 Wx 61/05, ZIP 2005, 2068. BFH v. 23. 8. 1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969. BGH v. 29. 5. 1979 – VI ZR 104/78, ZIP 1980, 25. A.A. Klasmeyer/Kübler, BB 1978, 396 ff., allerdings vor dem BFH-Urteil, dass der Verwalter zur Erklärung nach § 179 AO verpflichtet ist.
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§3
Rz. 160
Gesellschafterberatung
4. Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter a) Fortbestehen trotz Insolvenzeröffnung 160
Die Verfahrenseröffnung berührt nicht die Existenz der Kapitalgesellschaft. Zwar wird sie dadurch aufgelöst, §§ 61 Abs. 1 Nr. GmbHG, 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Das heißt aber nur, dass sich der bis dahin werbende Zweck in einen Abwicklungszweck wandelt, die Gesellschaft ansonsten aber unverändert fortbesteht, §§ 69 GmbHG, 264 Abs. 3 AktG, soweit sich aus den Liquidationsvorschriften nichts anderes ergibt. Nach der Lehre vom Doppeltatbestand erlischt die Gesellschaft erst, wenn sie kein Vermögen mehr hat und im Handelsregister gelöscht wird1. Bis dahin können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft für den Fall beschließen, dass das Insolvenzverfahren beendet wird, §§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 274 Abs. 2 Nr. 3 AktG. Zusätzliche Voraussetzung ist nur, dass noch nicht das gesamte Vermögen verteilt ist.
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Was für die Kapitalgesellschaft gilt, gilt auch für die Personengesellschaft. Die Insolvenzeröffnung bedeutet für sie ebenfalls nur die Auflösung als eine Form der Zweckänderung, §§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB, 131 Nr. 3 HGB, mit der Möglichkeit, die Fortsetzung zu beschließen, §§ 728 Abs. 1 Satz 2 BGB, 144 HGB.
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Damit bleiben die Vertretungsorgane im Amt, wenngleich nunmehr als Liquidatoren, was in der Personengesellschaft den geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Personenkreis erweitern kann, §§ 730 Abs. 2 BGB, 146 Abs. 1 HGB, während die Liquidatoren in der Kapitalgesellschaft regelmäßig von den bisherigen Geschäftsführern gestellt werden, §§ 65 Abs. 1 GmbHG, 265 Abs. 1 AktG. b) Verwalteraufgaben vs. Gesellschaftsaufgaben
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Mit der Verfahrenseröffnung werden die Abwicklungsbefugnisse der Liquidatoren verdrängt, soweit das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 80 Abs. 1 InsO reicht. Man spricht deshalb auch plastisch vom Verdrängungsbereich, in den die Geschäftsführer (nachfolgend weiterhin als solche bezeichnet, obwohl es sich terminologisch um Liquidatoren handelt) nicht eingreifen dürfen. Im Gegensatz dazu steht der insolvenzfreie Bereich. Zwischen beiden kann es Überschneidungen geben, den sogenannten Mischbereich.
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Der gesellschaftsinterne Bereich gehört weitgehend zum insolvenzfreien Bereich. Das betrifft die Anteilsübertragung, die Erteilung der Zustimmung zum Gesellschafterwechsel, die Einforderung von Nachschüssen – die dann allerdings als Neuerwerb in die Masse gelangen – und die Änderung des Gesellschaftsvertrages2. Die Änderung des Gesellschaftsvertrages kann auch zum Mischbereich gehören, wenn sie sich mit den Befugnissen des Verwalters überschneidet. Das ist insbesondere der Fall bei einer Änderung der Firma, die Be1 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 65 Rz. 16 ff.; a.A. Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 262 Rz. 4, § 273 Rz. 7 f., 13. 2 Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64 Rz. 60; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, vor § 64 Rz. 65.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 167
§3
standteil der Masse ist1. Die Massezugehörigkeit galt ursprünglich nur für die Kapitalgesellschaft, wird nunmehr aber auch für die Personengesellschaft vertreten2, nachdem durch die Neuordnung des Firmenrechts nicht mehr der Name eines persönlich haftenden Gesellschafters in die Firma aufgenommen werden muss. Geschieht dies trotzdem oder wird eine solche Firma beibehalten, begibt sich dieser Gesellschafter seines Persönlichkeitsrechts. Angesichts des § 24 Abs. 2 HGB, der bei einem Ausscheiden des Gesellschafters die Fortführung der seinen Namen enthaltenden Firma von seiner ausdrücklichen Einwilligung abhängig macht, ist das jedoch bedenklich3. Soweit danach die Firma zur Masse gehört, bedarf die Änderung des Gesellschaftsvertrages einer Zustimmung des Verwalters4. Hat er die Firma mit dem Handelsgeschäft veräußert, können die Gesellschafter auch ohne ihn eine neue Firma beschließen. Tun sie es nicht, ist der Verwalter alleine befugt, eine Ersatzfirma für die restliche Dauer des Verfahrens zu bilden, damit eine Verwechslungsgefahr zwischen der Insolvenzgesellschaft und der Erwerbergesellschaft vermieden wird5.
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c) Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte In der GmbH besteht außerhalb eines Insolvenzverfahrens die Allkompetenz der Gesellschafter. Die Geschäftsführer sind gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG im Innenverhältnis verpflichtet, bei der Vertretung der Gesellschaft die Beschränkungen einzuhalten, die ihnen durch Gesellschaftsvertrag und Beschlüsse der Gesellschafter gesetzt werden. Daraus folgt eine umfassende Weisungsbefugnis der Gesellschafter6. Anders verhält es sich in der AG, die der Vorstand in eigener Verantwortung leitet, § 76 Abs. 1 AktG. Zwar kann er an eine Geschäftsordnung gebunden werden, § 77 Abs. 2 AktG. Insofern unterliegt der Vorstand einer Überwachung und gegebenenfalls auch einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates (§ 111 Abs. 1, 4 AktG), dem er über wesentliche Entwicklungen berichten muss (§ 90 AktG). Maßnahmen der Geschäftsführung dürfen dem Aufsichtsrat zwar nicht übertragen werden (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Gleichwohl hat er schon aufgrund der Personalkompetenz des § 84 AktG und aufgrund der Zustimmungsvorbehalte bei wichtigen Entscheidungen einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführung. Da die Mitglieder des Aufsichtsrates von der Hauptversammlung bestellt und – anders als die Vorstandsmitglieder – jederzeit auch ohne wichtigen Grund abberufen werden können, §§ 101, 103 AktG, liegt die „Macht“ letztlich bei den Aktionären.
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In der GmbH und, wenn auch mediatisiert und eingeschränkt, in der AG haben die Gesellschafter außerhalb der Insolvenz somit wesentliche Befugnisse. Nicht anders liegt es bei der Personengesellschaft, bei der sogar jeder einzelne persönlich haftende Gesellschafter einer Maßnahme widersprechen kann,
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BGH v. 14. 12. 1989 – I ZR 17/88, NJW 1990, 1605. K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 12 I 3 c.; Uhlenbruck, ZIP 2004, 401. HK-InsO/Eickmann, 4. Aufl. 2006, § 35 Rz. 27. OLG Karlsruhe v. 8. 1. 1993 – 4 W 28/92, ZIP 1993, 133. Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64 Rz. 63. Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 37 Rz. 13 ff.
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§3
Rz. 168
Gesellschafterberatung
§§ 711 BGB, 115 Abs. 1 HGB, wenn nicht, wie in der Praxis üblich, nur einige Gesellschafter zu Geschäftsführern bestellt werden, die dann aber regelmäßig ebenfalls einer umfassenden Weisung und Kontrollen unterliegen. 168
Innerhalb der Insolvenz endet der Einfluss der Gesellschafter bzw. Aktionäre und des Aufsichtsrates dort, wo die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters beginnt, so dass Geschäftsführer bzw. Vorstand nicht mehr in der Lage sind, Beschlüsse der Gesellschafter auszuführen. Unabhängig davon, ob es eine Kollision mit den Befugnissen des Verwalters gibt, gilt für das Weisungsrecht stets – innerhalb wie außerhalb der Insolvenz –, dass zwingende Gemeinwohl- und Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigt werden dürfen1. Im vorliegenden Zusammenhang gehört dazu namentlich die Aufforderung, den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten der §§ 97, 101 InsO nicht nachzukommen oder gar Vermögensgegenstände zu verheimlichen. Derartige Weisungen sind für die Geschäftsführer unbeachtlich. Anders ist es bei verfahrensrechtlichen Befugnissen, wenn es z.B. darum geht, gegen Beschlüsse des Insolvenzgerichts Rechtsmittel einzulegen, einer Betriebsstilllegung zu widersprechen (§ 158 Abs. 2 InsO) oder einen Insolvenzplan einzureichen (§ 218 InsO). d) Keine Besonderheit bei Eigenverwaltung
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In der Eigenverwaltung gilt prinzipiell dasselbe. Allerdings scheitert die Ausführung von Weisungen nicht schon an der tatsächlichen Hürde der Verfügungsbefugnis eines fremden Insolvenzverwalters. Deshalb wollen einige eine besondere rechtliche Hürde errichten, indem Weisungen nur insoweit verbindlich sein sollen, soweit auch ein Insolvenzverwalter an Maßnahmen gehindert wäre2. Mitwirkungsbefugnisse anderer Organe als der eigenverwaltenden Geschäftsführung bzw. des Vorstandes seien abzulehnen, wenn es um die Vermögensinteressen der Gesellschafter gehe. Ihre Befugnisse würden durch die Entscheidung der Gläubigerversammlung und des Gläubigerausschusses verdrängt werden3.
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Gesetzlicher Ansatzpunkt für diese Auflassung ist § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach bei der Eigenverwaltung grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens gelten. Die Eigenverwaltung ist nach Auffassung des BGH zwar keine selbständige Verfahrensart4, was auch daran deutlich wird, dass die Vermögenseröffnung sogar eine Prozessunterbrechung gemäß § 240 ZPO bewirkt5. Sie bleibt jedoch eine Verwaltung durch den Schuldner. So wie eine natürliche Person durch ihre Eigenheiten geprägt ist, ist es eine juristische durch ihre gesellschaftsrechtliche Organisationsverfassung. Eine Änderung dieser Verfassung wäre eine Änderung des Schuldners, wofür das Gesetz nicht 1 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 37 Rz. 37. 2 Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, InsO, 2007, § 270 Rz. 25. 3 Noack, ZIP 2002, 1873. 4 BGH v. 11. 1. 2007 – IX ZR 85/05, ZIP 2007, 394; v. 11. 1. 2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448. 5 BGH v. 7. 12. 2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 171
§3
die geringste Handhabe bietet. Die gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung bleibt deshalb unverändert bestehen1. Droht ein Konflikt mit Gläubigerinteressen, ist die Lösung in der InsO weitgehend selbst angelegt. So regeln die §§ 275 ff. InsO Mitwirkungs- und Zustimmungsvorbehalte für Gläubigerausschuss und Sachwalter. Nach §§ 157 ff. InsO obliegt es auch in der Eigenverwaltung der Gläubigerversammlung, über den Fortgang des Verfahrens und grundlegende Maßnahmen zu entscheiden. Dem widersprechende Weisungen des Gesellschafters sind wegen Verstoßes gegen zwingende gläubigerschützende Bestimmungen unwirksam, mag die Maßnahme im Außenverhältnis davon auch unberührt bleiben, §§ 164 InsO, 37 Abs. 2 GmbH. Jenseits dieser Vorschriften bleibt aber ein großer Ermessensbereich für die zur Mitwirkung befugten Organe. Wie beim Insolvenzverwalter oder einer natürlichen Person als Eigenverwalter kann die Ausübung des Ermessens nur durch die Insolvenzzweckwidrigkeit begrenzt werden. Erteilt die Gesellschafterversammlung beispielsweise den Geschäftsführern gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG Entlastung und verzichtet damit auf bereits entstandene Ersatzansprüche, ist das bei der Fremdverwaltung ohne Wirkung, weil gemäß § 80 Abs. 1 InsO allein der Verwalter über Forderungen verfügen darf. Nicht anders ist es bei der Eigenverwaltung. Zwar gilt das Verzichtsverbot des § 43 Abs. 3, 9 b Abs. 1 GmbHG nur im Bereich der Kapitalerhaltung2. Selbst wenn man § 93 Abs. 5 AktG, der aus Gründen des Gläubigerschutzes einen Verzicht auf Ersatzansprüche einschränkt, nicht analog auf die GmbH anwenden sollte3, folgt die Unwirksamkeit eines Entlastungsbeschlusses doch eindeutig aus der Insolvenzzweckwidrigkeit, falls eine werthaltige Forderung ohne Gegenleistung aufgegeben wird. Wäre hingegen ein Insolvenzverwalter zu einem (teilweisen) Verzicht berechtigt, weil er sich das Know-How des Geschäftsführers bei der Betriebsfortführung sichern will, oder weil er einen Vergleich über nicht risikobehaftete Ansprüche schließt, darf das auch bei der Eigenverwaltung geschehen. Besonders kontrovers wird die Einschränkung der Organisationsverfassung bei der Personalkompetenz diskutiert. Der Hintergrund ist, dass insbesondere bei Großverfahren sons als Insolvenzverwalter tätige Personen in die Geschäftsführung berufen werden, um wegen § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO gegenüber dem Gericht zu dokumentieren, dass mit der Eigenverwaltung keine Nachteile verbunden sind. Dadurch würde, so lautet der Vorwurf der Kritiker, die Kompetenz des Gerichts zur Auswahl einer im Sinne von § 56 InsO unabhängigen Person als Insolvenzverwalter umgangen werden4. Diese Auffassung verkennt, dass es eine solche Auswahlkompetenz bei der Eigenverwaltung nicht gibt5. Liegen die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 InsO vor, ist die Eigenverwaltung zwingend anzuordnen. Sie darf nicht etwa modifiziert werden in eine verkappte Fremdverwaltung durch eine weitgehend weisungsunabhängige Geschäftsführung. Sonst entstünde eine empfindliche Haftungslücke zu Lasten 1 Köchling, ZinsO 2003, 53; Ringstmeyer/Homann, NZI 2006, 406. 2 BGH v. 7. 4. 2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945; v. 16. 9. 2002 – II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128. 3 Zum Meinungsstand: Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 43 Rz. 92 ff., 97 ff. 4 AG Duisburg v. 1. 9. 2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636 m. An. Kluth, ZInsO 2002, 1001; Frind, ZInsO 2002, 745. 5 AG Köln v. 22. 8. 2005 – 71 IN 426/05, ZIP 2005, 1975.
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171
§3
Rz. 172
Gesellschafterberatung
der Gläubiger1; denn die Geschäftsführung unterliegt nicht der Aufsicht des Insolvenzgerichts gemäß § 57 InsO. Sie haftet auch nicht persönlich nach §§ 60 f. InsO. Eine solche Haftung enthalten die Vorschriften über die Eigenverwaltung nur für den Sachwalter, §§ 274 Abs. 1, 277 Abs. 1 InsO. Würde man dann auch noch die Personalkompetenz der Gesellschafter bzw. des Aufsichtsrats einschränken, würde die Geschäftsführung weitgehend ohne Kontrolle tätig sein können. Sie könnte herrschen, ohne gegenüber den Gläubigern zu haften. Und sie könnte herrschen, ohne eine Abberufung fürchten zu müssen. Zwar bleibt es bei ihrer internen Haftung gemäß §§ 71 Abs. 4, 43 Abs. 2 GmbH, 268 Abs. 2, 93 Abs. 2 AktG. Das ist aber nur eine im Verhältnis zur Direkthaftung gegenüber Gläubigern und zur jederzeitigen Abberufbarkeit schwache Kompensation. 172
Dass die Eigenverwaltung eine von der gesellschaftsrechtlichen Binnenverfassung abhängige Organverwaltung der schuldnerischen Gesellschaft ist, wird beim Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer bzw. Vorstand deutlich. In der GmbH wird die Schuldnerin gegenüber den Geschäftsführern durch die Gesellschafterversammlung vertreten2. Gleiches gilt in der Personengesellschaft3. In der AG ist der Aufsichtsrat zuständig, § 112 AktG. Diese Organe sind nicht etwa Dritte, die keine Masseverbindlichkeiten begründen dürfen4, sondern im Umfang ihrer Vertretungsbefugnis „der Schuldner“ gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO sind. Die von ihnen abgeschlossenen Verträge stellen deshalb Masseschulden dar, es sei denn, dass sie z.B. durch völlig unangemessene Vergütungsabreden evident insolvenzzweckwidrig handeln5. Die Überwachungsund Mitwirkungsbefugnisse des Sachwalters bieten eine zusätzliche Richtigkeitsgewähr, §§ 274 Abs. 2, 275 InsO.
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Außerhalb der Eigenverwaltung können die Gesellschafter bzw. der Aufsichtsrat zwar auch Verträge mit den Geschäftsführern/Vorstandsmitgliedern schließen. Sie haben aber keine Wirkung gegenüber der Masse.
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Unterschiede zwischen der Eigen- und der Regelverwaltung gibt es auch bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführer. Bei der Eigenverwaltung bleibt es bei der Entscheidungs- und Vertretungskompetenz der Gesellschafter (§ 46 Nr. 5 GmbHG) bzw. des Aufsichtsrats, § 112 AktG, während im Regelinsolvenzverfahren der Verwalter über die Durchsetzung Kraft der auf ihn übergegangenen Verfügungsbefugnis allein entscheidet6. Gibt er die Ersatzansprüche hingegen aus der Masse frei, greift wieder die gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung ein.
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Noack, ZIP 2002, 1873. Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 46 Rz. 36. Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006 § 110 Rz. 19 f. So aber Hess/Ruppe, NZI 2002, 577, 580. Vgl. schon für die „lebende“ Gesellschaft § 87 AktG. Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, vor § 64 Rz. 65.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 177
§3
e) Zustimmungspflicht zu Sanierungsmaßnahmen Die Kompetenz der Gesellschaftsorgane bleibt auch erhalten, wenn es um Grundlagenentscheidungen geht. Vor Beginn des Insolvenzverfahrens obliegt es in der Personengesellschaft und der GmbH den Gesellschaftern bzw. in der AG eventuell sogar der Hauptversammlung1, darüber zu befinden, ob bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO ein Insolvenzverfahren beantragt werden darf; denn die Eröffnung hat die Auflösung der Gesellschaft zur Folge, über die zu befinden Aufgabe der Gesellschafter/Aktionäre ist. Allein in der AG könnte dem die Dauer eines solchen Verfahrens bei langen Ladungsfristen wegen der negativen Öffentlichkeitswirkung entgegenstehen. Was für den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gilt, gilt auch umgekehrt für die Beendigung des Verfahrens durch Vorlage eines Insolvenzplans, jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen Liquidationsplan, sondern um einen Sanierungsplan handelt, bei dessen Annahme durch die Gläubiger ein Fortsetzungsbeschluss zu fassen ist.
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Sanierungsmaßnahmen gehen häufig mit Kapitalmaßnahmen einher, insbesondere in Form einer Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung gemäß §§ 58a ff. GmbHG, 229 ff. AktG mit einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen gemäß §§ 55 Abs. 1 GmbHG, 182 AktG. Da die vereinfachte Kapitalherabsetzung nur zur Anpassung des Stammkapitals an das Eigenkapital führt (§§ 58a Abs. 1 GmbHG, 229 Abs. 1 AktG), also eine rechtliche Strukuränderung ohne Minderung des Gesellschaftsvermögens bedeutet (§§ 58d GmbHG, 230 AktG), liegt die Entscheidung darüber im insolvenzfreien Bereich und kann ohne Zustimmung des Verwalters getroffen werden2. Ebenso verhält es sich mit der Kapitalerhöhung, wobei nach herrschender Meinung die Einlageverpflichtung als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt3. Eine durchaus naheliegende teleologische Reduktion des § 35 InsO wird überwiegend abgelehnt. Für die Praxis bedeutet das keine unüberwindbare Hürde, weil eine Kapitalerhöhung regelmäßig nur im Zusammenhang mit einem Insolvenzplan beschlossen wird, der als durch die Erhöhung bedingter Plan vorgelegt werden kann, § 249 InsO. Die Beschlüsse werden dann entweder gefasst, nachdem die Gläubiger den Plan angenommen haben, oder aber vorher mit der Maßgabe, dass sie erst nach Aufhebung des Verfahrens wirksam werden sollen. Zwar ist ein satzungsändernder Beschluss bedingungsfeindlich4. Vollzugsbedingungen sind aber zulässig, indem z.B. der Geschäftsführer angewiesen wird, die Kapitalerhöhung erst nach der Aufhebung des Verfahrens anzumelden5.
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Gesellschaftsrechtliche Strukturänderungen können an einer dissentierenden Minderheit scheitern, insbesondere, wenn es darum geht, neue Geldgeber als Gesellschafter aufzunehmen, was mit einer Minderung ihres Einflusses verbunden ist. Der Gesetzgeber hat es ausdrücklich abgelehnt, in die Mitglied-
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1 Wortberg, ZInsO 2004, 707, allerdings basierend auf dem „Holzmüller-Urteil“ des BGH, das durch die „Gelatine-Urteile“ aus 2004 teilweise überholt ist. 2 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, vor § 64 Rz. 65. 3 Müller, ZGR 2004, 842, 84 ff.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2007, 692, 693. 4 Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 53 Rz. 64. 5 Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 53 Rz. 63.
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§3
Rz. 178
Gesellschafterberatung
schaftsrechte durch einen Insolvenzplan einzugreifen1. Die Mitwirkungspflichten der Gesellschafter ergeben sich nur aus der Treuepflicht. Innerhalb der Insolvenz gelten dafür dieselben Grundsätze wie außerhalb2. Dazu gehört vor allem das Verbot der Verfolgung von Sondervorteilen3, was dann relevant wird, wenn eine obstruierender Gesellschafter für seinen insolvenzbedingt wertlosen Anteil eine Lästigkeitsentschädigung zu erpressen sucht. Besteht – ausnahmsweise, s.u. – eine Zustimmungspflicht, darf die Entscheidung nicht von innerlich mit dem Beschlussgegenstand nicht zusammenhängenden Forderungen abhängig gemacht werden4. Der Gesellschafter muss den Verbandszweck und nicht nur seinen Individualzweck fördern. Nach Verfahrenseröffnung ist der Verbandszweck zwar die Abwicklung der Gesellschaft, aber nur qua lege, nicht qua Gesellschafterentscheidung, so dass der ursprüngliche Zweck fortwirkt. 178
Der Gesellschafter kann somit durchaus verpflichtet sein, Sanierungsmaßnahmen zuzustimmen5. Für die Einzelheiten ist beo der AG immer noch die Girmes-Entscheidung des BGH aus 1995 maßgebend6, die allerdings das Abstimmungsverhalten vor Eintritt der Insolvenz betraf. Übertragen auf die Insolvenzsituation folgt aus ihr eine Zustimmungspflicht, wenn bei einem Scheitern der Sanierungsmaßnahme eine Rettung der Gesellschaft ausscheidet, während bei einer Durchführung der ursprüngliche Zweck nachhaltig wieder verfolgt werden kann. Außerdem ist erforderlich, dass es keine den Gesellschafter schonendere Alternative gibt. Nicht hinnehmen muss der Gesellschafter eine Vermehrung seiner Leistungspflichten7 – z.B. durch neue Stammeinlagen – oder seines Haftungsrisikos8. Das gilt insbesondere für seine Ausfallhaftung bei einer Kapitalerhöhung. Einen relativen Verlust an Einfluss durch eine Kapitalerhöhung, an der er sich nicht beteiligt („Verwässerung“), muss er jedoch akzeptieren9. Ein zwangsweiser Ausschluss aus der Gesellschaft, wie er im Gesetzgebungsverfahren für die Insolvenzplanvorschriften diskutiert, dann aber aus verfassungsrechtlicher Sicht wieder fallen gelassen wurde, ist mit der Treuepflicht erst recht nicht zu begründen10.
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Die Intensität der Treuepflicht ist in einer anonymen Aktiengesellschaft schwächer ausgeprägt als in einer GmbH und erst recht in einer Personengesellschaft. Obwohl § 707 BGB sogar für sie bestimmt, dass die Gesellschafter zu einer Erhöhung der Beiträge nicht verpflichtet sind, hält der BGH eine
1 HK-InsO/Flessner, 4. Aufl. 2006, § 221 Rz. 3 ff. 2 Dazu Überblick bei Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 13 Rz. 26 ff.; Baumbach/Hueck/Zöllner, a.a.O., Anh. § 47 Rz. 87 ff.; Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, 322 ff. 3 Vgl. § 243 Abs. 2 AktG. 4 BGH v. 23. 3. 1987 – II ZR 244/86, NJW 1987, 3192. 5 Zurückhaltend: Schwalme, DZWIR 2004, 230. 6 BGH v. 20. 3. 1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819. 7 OLG Köln v. 9. 3. 1999 – II U 145/98, NZG 1999, 1166. 8 Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 13 Rz. 29; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 47 Rz. 31. 9 Schorlemer/Stupp, NZI 2003, 345 m. ausf. Darstellung des Meinungsstandes zur Zustimmungspflicht bei Kapitalerhöhungen. 10 Schwalme, DZWIR 2004, 230.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 181
§3
Nachschusspflicht aufgrund der Treuebindung dort durchaus für möglich1, hat die Voraussetzungen jedoch bisher niemals bejaht. Denkbar ist das wohl nur, wenn mit Hilfe des Nachschusses ein wesentlich größerer Nachteil für alle Personengesellschafter insbesondere wegen der persönlichen Haftung verhindert wird, so dass die Weigerung geradezu schikanös wäre. In Betracht kommt das vor allem bei der Überbrückung einer Liquiditätslücke, um z.B. einen Auftrag fertig zu stellen und dadurch hohe Verluste im Vergleich zu einer Nichterfüllung zu vermeiden. Die Schwierigkeit, einen Gesellschafter zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten zu zwingen, besteht in der Prognoseunsicherheit und dem unternehmerischen Ermessensspielraum jedes einzelnen Gesellschafters. Insbesondere sind Strukturänderungen regelmäßig eingebunden in Sanierungsbeiträge der Gläubiger. Im Girmes-Fall hatte der dissentierende Aktionär bspw. erwartet, durch seine Ablehnung der Kapitalherabsetzung die Gläubiger zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen. Das ist die Prognose eines Verhandlungsergebnisses, die naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet ist. Ein Irrtum muss deshalb nicht zwingend unvertretbar sein2. Die Zulässigkeit einer Zweckmäßigkeitskontrolle ist umstritten3.
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Wird die Zustimmung zu einer Sanierungsmaßnahme pflichtwidrig verweigert, macht sich der Gesellschafter schadensersatzpflichtig. Allerdings verlangt der BGH für die Aktiengesellschaft gemäß § 117 Abs. 1 AktG Vorsatz4. Für die GmbH und die Personengesellschaft gilt diese hohe Haftungsvoraussetzung wegen der engen Bindung der Gesellschafter untereinander wohl nicht5. Als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch wird zwar gefordert, dass zunächst die Möglichkeiten einer Beschlussanfechtung ausgeschöpft werden müssen6. Das kann jedoch zu erheblichen Verzögerungen führen, so dass eine solche Schadensminderungspflicht bei dem eiligen Handlungsbedarf in der Krisen- oder Insolvenzsituation nicht immer verlangt werden kann.
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1 Zuletzt BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 22/06, ZIP 2007, 1368. 2 Im Girmes-Fall ging es um die Haftung eines Aktionärsvertreters, die der BGH wegen sittenwidriger Schädigung für möglich gehalten hatte. Deshalb musste das Berufungsgericht noch Feststellungen zum Vorsatz treffen, den es wegen des Prognoserisikos jedoch letztlich nicht bejahen konnte, OLG Düsseldorf v. 14. 6. 1996 – 7 U 110/93, ZIP 1996, 1211. 3 Bejahend: Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 18. Aufl. 2006, Anh § 47 Rz. 96; bis zur Missbrauchsgrenze hält ein unzweckmäßiges Verhalten für zulässig: Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 47 Rz. 30. 4 BGH v. 20. 3. 1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819. 5 Vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 13 Rz. 36; Baumbach/Hueck/Zöllner, a.a.O., § 47 Rz. 105; Scholz/H. Winter/Seibt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 14 Rz. 62. 6 Überblick bei Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 19 Rz. 36 mit Fn. 197 f.; Baumbach/Zöller, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 47 Rz. 109 mit Fn. 285.
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§3
Rz. 182
Gesellschafterberatung
f) Kosten 182
Die Kosten der im gesellschaftsinternen Bereich anfallenden Aufgaben müssen die Gesellschafter tragen1. Das gilt jedenfalls für das Regelinsolvenzverfahren, weil die gesellschaftsinternen Mitwirkungsbefugnisse nicht im Sinne von § 55 Abs. 1 InsO „durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden“. Anders ist es bei der Eigenverwaltung für diejenigen Maßnahmen, die zu einer der Organisationsverfassung entsprechenden Insolvenzverwaltung erforderlich sind. Dazu gehören namentlich Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratssitzungen, wenn das Vertretungsorgan Zustimmungen einholen oder die dazu erforderlichen Informationen erteilen muss. Derartige Mitwirkungsbefugnisse sind vergleichbar mit der internen Abstimmung einer mehrköpfigen Geschäftsführung oder einer internen Abstimmung zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsleitern. Hier ist unbestritten, dass die im schuldnerischen Unternehmen anfallenden Aufwendungen Masseschulden sind. Die Vorbereitung und Durchführung von gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zum Zwecke der Sanierung fällt jedoch den Gesellschaftern zur Last. Die damit verbundenen Kosten beruhen dann auf seinen eigenen Handlungen und stellen Masseverbindlichkeiten dar. Wollen die Gesellschafter einen Geschäftsführer beschäftigen, um im Regelinsolvenzverfahren die Rechte der Gesellschaft wahrzunehmen, fallen diese Kosten ihnen ebenfalls zur Last.
5. Unternehmensvertrag 183
Die Unternehmensverträge sind nur im AktG geregelt. Ihre Zulässigkeit auch für andere Unternehmensträger als die AG ist jedoch unbestritten, wobei die §§ 291 ff. AktG weitgehend analoge Anwendung finden2. Am häufigsten sind der Beherrschungs- und der Gewinnabführungsvertrag, die meist miteinander zu einem steuerrechtlichen Organschaftsvertrag (§ 14 KStG) verbunden werden. Andere in der Praxis weniger relevante Unternehmensverträge sind die in § 292 AktG genannte Gewinngemeinschaft, der Teilgewinnabführungsvertrag sowie der Betriebspacht- und der Betriebsüberlassungsvertrag.
184
Die Unternehmensverträge sind inhaltlich dadurch gekennzeichnet, dass das Unternehmen der abhängigen Gesellschaft für Rechnung (z.B. Gewinnabführungsvertrag) und/oder Weisung (z.B. Beherrschungsvertrag) geführt wird. Es handelt sich nicht um bloße Schuldverträge, sondern um gesellschaftsrechtliche Organisationsverträge, weil satzungsgleich der Gesellschaftszweck der beherrschten Gesellschaft am Konzerninteresse ausgerichtet wird3. Deshalb bedarf der Vertrag auch einer Zustimmung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung, bei der abhängigen Gesellschaft stets (§ 293 Abs. 1 AktG), bei der 1 Differenzierend bei gleichzeitiger Förderung des Verfahrenszwecks: Uhlenbruck, NZI 2007, 313 ff. 2 BGH v. 11. 10. 1999 – II ZR 120/98, ZIP 1999, 1965; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 18. Aufl. 2006, SchlAnh Rz. 5 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, Anh § 13 Rz. 17. 3 BGH v. 14. 2. 1987 – II ZR 170/87, NJW 1988, 1326.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 186
§3
herrschenden Gesellschaft gemäß des § 293 Abs. 2 AktG, wenn es um einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag geht. Der wesentliche Unterschied z.B. zu einem schuldrechtlichen Pachtvertrag oder einem partiarischen Darlehen ist der mitgliedschaftliche Ansatzpunkt1. Außerhalb der Insolvenz ist die wichtigste haftungsrechtliche Konsequenz für die Muttergesellschaft, dass sie zum Verlustausgleich verpflichtet ist, § 302 AktG. Bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages sind die Gläubiger gemäß § 303 AktG zu sichern. Wegen dieser Haftung werden bei der AG die Kapitalerhaltungsvorschriften suspendiert, soweit es um Leistungen der abhängigen Gesellschaft aufgrund des Unternehmensvertrages geht, §§ 291 Abs. 3, 292 Abs. 3 AktG. Ob das auch für die GmbH gilt, ist umstritten. Zwar hatte der BGH in 1987 kurz und bündig formuliert, die Verlustausgleichspflicht trete an die Stelle der Kapitalerhaltungsvorschriften2. Kürzlich hat er hingegen eingeschränkt, dies bedeute „nicht die gänzliche Preisgabe des von diesen Vorschriften intendierten Gläubigerschutzes, andererseits aber auch nicht, dass der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG vollumfänglich den für §§ 30 f. GmbHG geltenden Grundsätzen unterliegt, insbesondere eine Aufrechnung gegen diesen Anspruch ebenso ausgeschlossen ist wie die Aufrechnung gegen einen Anspruch aus § 31 GmbH“3. Im Urteilsfall bedeutete dies, dass Verrechnungen bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs bis zum Bilanzstichtag zulässig sind. Gleiches gilt für Vorschüsse in ausdrücklicher Anrechnung auf eine Verlustausgleichspflicht. Solche Vorauszahlungen sind keine eigenkapitalersetzenden Darlehen. Ist die Ausgleichsverpflichtung am Bilanzstichtag aber erst einmal entstanden, kann sie durch Aufrechnung nur erfüllt werden, wenn der Gegensanspruch – z.B. Darlehen oder Lieferung an die abhängige Gesellschaft – vollwertig ist. Auf diesen Gegenanspruch finden trotz des Unternehmensvertrages die Eigenkapitalersatzvorschriften Anwendung, und zwar sowohl nach den Novellenregeln (§§ 32a, b GmbH) als auch nach den Rechtsprechungsregeln (§§ 30 f. GmbH analog). Das ist insbesondere für stehengelassene Forderungen von Bedeutung. Wird z.B. ein Insolvenzverfahren erst nach Beendigung des Unternehmensvertrages eröffnet, schuldet das herrschende Unternehmen den vollen Verlustausgleich und kann ihren Gegensanspruch z.B. aufgrund von Lieferungen an das ehemals abhängige Unternehmen nur noch als nachrangige Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden.
185
De lege ferenda soll durch das „MoMiG“ in der Fassung des Regierungsentwurfs vom 23. 5. 2007 der § 30 Abs. 1 GmbHG dahingehend ergänzt werden, dass das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht gilt für „Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 AktG) erfolgen…“. Damit wären die Aussagen des soeben genannten BGH-Urteils – möglicherweise4 – obsolet.
186
1 2 3 4
Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 18. Aufl. 2006, SchlAnh Rz. 18. BGH v. 14. 12. 1987 – II ZR 170/87, NJW 1988, 1326. BGH v. 10. 7. 2006 – II ZR 238/04, ZIP 2006, 1488. Die Erfüllung von Gesellschafterforderungen ist in Zukunft anfechtbar, was auch die Erfüllung via Aufrechnung mit einer Ausgleichsverpflichtung betreffen könnte.
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245
§3
Rz. 187
Gesellschafterberatung
187
Die Auswirkungen der Insolvenz auf einen Unternehmensvertrag sind streitig. Die wohl überwiegende Meinung1 ist nach wie vor geprägt durch ein BGH-Urteil aus 1987, dessen zweiter Leitsatz lautet, dass ein Unternehmensvertrag regelmäßig ende, wenn über das Vermögen der beherrschten oder der herrschenden Gesellschaft ein Konkursverfahren eröffnet werde2. Allerdings begründete der BGH seine Auffassung nicht mit zwingendem Gesellschafts- oder (damals) Konkursrecht, sondern mit einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die konkursbedingte Auflösung der Gesellschaft sei ihr Zweck nicht mehr auf Gewinnerzielung durch den Betrieb eines werbenden Unternehmens gerichtet, sondern auf Verwertung des Gesellschaftsvermögens. Damit entfalle die Grundlage für die Konzernleitungsmacht. Das gelte für den Konkurs der herrschenden Gesellschaft genauso wie für den der beherrschten.
188
Mit der InsO hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Zwar steht weiterhin die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger im Vordergrund, aber nicht mehr nur durch Zerschlagung, sondern laut § 1 InsO ausdrücklich auch durch Erhalt des Unternehmens. Flankierend gibt es die Stilllegungshindernisse der §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 158 InsO und das Recht der Gläubiger in § 157 InsO, sich für die Fortführung zu entscheiden. Ein Konzern bildet häufig nicht nur eine haftungsrechtliche, sondern auch eine betriebswirtschaftliche Einheit3, die zu erhalten Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensfortführung sein kann. Deshalb mehren sich die Stimmen, die eine automatische Beendigung des Unternehmensvertrages ablehnen4, wobei die Auffassungen über die Rechtsfolgen und auch darüber differieren, ob zwischen der Insolvenz der herrschenden und der beherrschenden Gesellschaft unterschieden werden muss. Für die Eigenverwaltung nehmen auch einige von denjenigen Autoren den Fortbestand des Unternehmensvertrages an, die ansonsten ein insolvenzbedingtes Erlöschen vertreten5. Eine Sonderrolle wird auch den Betriebsüberlassungsverträgen beigemessen6.
189
Für eine Stellungnahme ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Unternehmensvertrag um eine gesellschaftsrechtliche, mitgliedschaftliche Organisationsvereinbarung handelt, mit der das herrschende Unternehmen in die allein dem Insolvenzverwalter des abhängigen Unternehmens vorbehaltene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingreifen würde. Deshalb können Weisungsrechte etc. ab Insolvenz der beherrschten Gesellschaft nicht mit Wirkung gegen ihre Masse durchgesetzt werden. Ob der Unternehmensvertrag endet oder
1 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, § 297 Rz. 52 ff.; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 297 Rz. 22a. 2 BGH v. 14. 12. 1987 – II ZR 170/87, NJW 1988, 1326; zur Vertragsbeendigung bei erst drohender Insolvenz s. Sämisch/Adam, ZInsO 2007, 520 ff. 3 Anschaulich am Beispiel Babcock Borsig: Piepenburg, NZI 2004, 231, 235 ff. 4 Bultmann, ZInsO 2007, 785; Kölner Komm AktG/Koppensteiner, 3. Aufl. 2004, § 297 Rz. 47 f.; Kübler/Prütting/Noack, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, 1999, Rz. 723 f.; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl. 2003, § 11 Rz. 398, a.A.: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, § 297 Rz. 52c. 5 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, § 297 Rz. 52c; schwankend: Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 297 Rz. 22a. 6 MünchKommAktG/Altmeppen, 2 Aufl. 2000, § 297 Rz. 114, 123.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 189
§3
bis zur etwaigen Aufhebung eines Insolvenzverfahrens nur suspendiert ist1, ist eine akademische Frage, da das Schicksal in einem Insolvenzplan wegen der Haftung üblicherweise ausdrücklich geregelt wird. In der Praxis wird die Insolvenz der abhängigen Gesellschaft ohnehin nur vorkommen, wenn gleichzeitig die Muttergesellschaft insolvent wird („Konzerninsolvenz“), weil ansonsten neben den Haftungsansprüchen der Gläubiger gegen die Mutter (§ 303 AktG) auch noch werthaltige Ausgleichsansprüche der Tochter (§ 302 AktG) bestehen. Ist hingegen nur die Muttergesellschaft insolvent, nicht aber die Tochtergesellschaft, besteht eine Kollision mit dem Verdrängungsbereich zwar nicht. Im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründete Forderungen finanzieller und nichtfinanzieller Art – z.B. auf Befolgung von Weisungen – sind jedoch nur Insolvenzforderungen (§§ 38, 45 InsO). Gegen die Masse wirken solche Ansprüche nur, wenn der Verwalter Erfüllung wählt oder das Gesetz eine solche Erfüllung anordnet (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Zu den in § 108 InsO genannten Dauerschuldverhältnissen, die nach der Eröffnung qua lege fortbestehen, gehört der Unternehmensvertrag nicht. Marotzke2 schlägt die Anwendung von § 115 InsO mit der Erwägung vor, dass die beherrschte Tochtergesellschaft mit einem Auftragnehmer vergleichbar sei. Beide hätten Aufwendungsersatzansprüche. Das vom Gesetz in § 115 Abs. 1 InsO angeordnete automatische Erlöschen eines Auftrages sei dahingehend zu korrigieren, dass dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zustehe. Diesen Weg hat der BGH jedoch kürzlich versperrt, als er das Erlöschen bei § 115 InsO für zwingend hielt3. Der von Marotzke gewählte Ansatz spricht deshalb eher für ein Erlöschen des Unternehmensvertrages auch in der Insolvenz der herrschenden Gesellschaft4. In Betracht käme stattdessen eine analoge Anwendung des § 103 InsO5 ohne den „Umweg“ über § 115 InsO. Dagegen spricht zwar, dass der Unternehmensvertrag kein auf den gegenseitigen Leistungsaustausch gerichteter Vertrag im Sinne dieser Vorschrift ist, sondern, wie erläutert, ein gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag. Eine analoge Anwendung wäre deshalb nur zulässig, wenn es keine speziellere Regelung gäbe. Sie könnte in § 84 InsO gesehen werden6, wonach die Auseinandersetzung einer Gesellschaft außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt. Voraussetzung dafür ist ein Auseinandersetzungsgrund. Er könnte darin liegen, dass die Erreichung des mit dem Organisationsvertrag verfolgten Zwecks – zumindest bis zu einer etwaigen Aufhebung des Insolvenzverfahrens – unmöglich geworden ist, was entweder zu einer automatischen Beendigung, wenigstens aber zu einer Kündbarkeit führen könnte. Nur ein Kündigungsrecht analog § 297 AktG anzunehmen, stößt allerdings auf die Schwierigkeit, dass die bis zur Kündigung weiterlaufenden Verlustausgleichs1 So Kübler/Prütting/Noack, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, 1999, Rz. 793 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 31 III 5. 2 HK-InsO/Marotzke, 4. Aufl. 2006, § 115 Rz. 9. 3 BGH v. 18. 1. 2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543; v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781. 4 Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, Anh § 13, Rz. 93. 5 Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2003, Rz. 32.09; Kölner KommAktG/Koppensteiner, 3. Aufl. 2004, § 302 Rz. 38; Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO, 13. Lfg. 4/02, § 103 Rz. 30a. 6 Paulus, ZIP 1996, 2141, 2144.
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§3
Rz. 190
Gesellschafterberatung
ansprüche der abhängigen Tochtergesellschaft im Insolvenzverfahren der Muttergesellschaft nicht unter § 55 InsO zu subsumieren sind. 190
Aufgrund einer wertenden Betrachtungsweise ist bei einer Insolvenz allein der Muttergesellschaft eine Analogie zu § 103 InsO jedoch vorzugswürdig1; denn der Verwalter des insolventen herrschenden Unternehmens kann auch ohne Unternehmensvertrag in die nicht insolvente abhängige Gesellschaft hinein regieren, wenn es sich bei ihr um eine GmbH handelt. Dann haftet die Masse gemäß § 31 GmbHG oder gar wegen § 826 BGB nach dem Falltypus des existenzvernichtenden Eingriffs. Erfolgen diese Eingriffe bei einer in der Rechtsform der AG betriebenen Tochtergesellschaft, entstehen die Haftungsansprüche der §§ 311, 317 f AktG. Insbesondere zur Vermeidung der damit verbundenen persönlichen Handelndenhaftung ist es sinnvoll, solche Eingriffe von vornherein auf eine rechtliche Grundlage zu stellen und dem Verwalter des herrschenden Unternehmens ein Erfüllungswahlrecht zu gewähren. Die vor Insolvenzeröffnung entstandenen Verlustausgleichsansprüche2 bleiben jedoch auch bei einer Erfüllungswahl Insolvenzforderungen, § 105 InsO.
191
Unabhängig vom Wahlrecht des Insolvenzverwalters ist die abhängige Gesellschaft bei einer Insolvenz der Muttergesellschaft befugt, den Unternehmensvertrag gemäß § 297 Abs. 1 Satz 2 AktG außerordentlich zu kündigen, weil die herrschende Gesellschaft voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, ihrer Verlustausgleichspflicht nachzukommen3. Das Kündigungsrecht besteht schon vor der Verfahrenseröffnung. Zur Vermeidung der eigenen Haftung sind die Geschäftsführer/Vorstandsmitglieder zur Kündigung sogar verpflichtet, wenn durch Vereinbarung mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter nicht sichergestellt ist, dass die künftigen Verlustausgleichsansprüche Masseschulden sind und keine Masseunzulänglichkeit droht. Die Kündigungsbefugnis beeinträchtigt nicht das hier vertretene Wahlrecht des Insolvenzverwalters entgegen dem Verbot des § 119 InsO, weil sie kein insolvenzspezifisches Sonderrecht ist4.
192
Für die Eigenverwaltung gilt nichts anderes als für die Fremdverwaltung, und zwar auch dann, wenn die Organe der eigenverwaltenden abhängigen und herrschenden Gesellschaft personenidentisch besetzt sind; denn die eigenverwaltende beherrschte Gesellschaft muss sich qua lege selbst verwalten, was mit den Weisungsrechten etc. eines herrschenden Unternehmens nicht vereinbar ist5. Für die Eigenverwaltung allein der herrschenden Muttergesellschaft gibt es ebenfalls keinen Grund, die automatische Fortsetzung eines Unternehmensvertrages anzunehmen. Wie bei der Fremdverwaltung steht ihr nach der hier vertretenen Auffassung ein Wahlrecht analog § 103 InsO zu.
1 Bultmann, ZInsO 2007, 785. 2 Zur Berechnung, insbesondere bei Abwicklungsverlusten: KölnerKommAktG/Koppensteiner, 3. Aufl. 2004, § 302 Rz. 27 ff.; MünchKommAktG/Altmeppen, 2. Aufl. 2000, § 302 Rz. 27 ff.; Wilken/Ziems, FS Metzeler, 2002, 153, 162 f. 3 Bultmann, ZInsO 2007, 785; Uhlenbruck/Hirte, 12. Aufl. 2003 Rz. 398; Wilken/ Ziems, FS Metzeler, 2002, 153, 157 f. 4 Vgl. HK InsO/Marotzke, 4. Aufl. 2006, § 119 Rz. 2. 5 Krieger, FS Metzeler, 2003, 139, 142 ff., der allerdings generell den Fortbestand des Unternehmensvertrages ablehnt.
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Spliedt
Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 196
§3
6. Steuerrechtliche Stellung a) Kapitalgesellschaft Die Kapitalgesellschaft bleibt in der Regel (Ausnahme s. sogleich) vor wie nach Insolvenzeröffnung trotz der damit verbundenen Auflösung (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) das Steuersubjekt. Die steuerrechtlichen Pflichten hat der Insolvenzverwalter zu erledigen, § 34 AO. Nach Insolvenzeröffnung eintretende Gewinne und Verluste berühren den Gesellschafter ertragsteuerlich nicht. Für seine persönliche Einkommensteuer sind nur der Verlust des Anteilswertes und etwaiger Gesellschafterdarlehen von Bedeutung, der im Rahmen des § 17 EStG berücksichtigt werden kann1. Demgegenüber trifft die Körperschaftsteuer allein die Gesellschaft bzw. die Masse. Gleiches gilt für die Umsatz- und Gewerbesteuer.
193
Anders ist es bei einer Organschaft. Insbesondere bei Betriebsaufspaltungen liegt regelmäßig eine umsatzsteuerliche Organschaft vor2. Bei ihr sollen die Markt- und damit auch Insolvenzrisiken von einer Betriebs-GmbH getragen werden, während sich das eigentliche Betriebsvermögen in einer meist als Personengesellschaft geführten Besitzgesellschaft befindet, die sie an die BetriebsGmbH verpachtet. Die Anteile an der Betriebsgesellschaft halten entweder die Gesellschafter der Besitzgesellschaft oder die Besitzgesellschaft direkt. Derselben Konstruktion kann sich natürlich auch eine Einzelperson bedienen, die eine Betriebsgesellschaft zur Haftungsabschottung vorschaltet.
194
Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gilt eine Gesellschaft umsatzsteuerlich dann nicht als Unternehmerin, wenn sie „nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhälntisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch“ in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
195
Eine finanzielle Eingliederung liegt vor, wenn die Stimmenmehrheit beim Organträger liegt, die wirtschaftliche Eingliederung, wenn die Organgesellschaft – also die Betriebs-GmbH – im engen Zusammenhang mit dem Gesamtunternehmen tätig wird. Dafür reicht es regelmäßig aus, dass die Besitz- an die Betriebsgesellschaft das wesentliche Grundstück vermietet3. Die organisatorische Eingliederung schließlich ist gegeben, wenn der Organträger durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass sein Wille in der Organgesellschaft auch tatsächlich durchgesetzt wird, z.B. durch Personenidentität in der Geschäftsführung4. Sind all diese Voraussetzungen erfüllt, werden sämtliche Außenumsätze der Betriebs-GmbH dem Organträger, also der die Betriebsgrundlagen verpachtenden Personengesellschaft oder natürlichen Person als Gesellschafter zugerechnet. Der Organträger ist Schuldner der Umsatzsteuer, während die Betriebsgesellschaft nach § 73 AO eine Ausfallhaftung trifft.
196
1 Zur steuerlichen Behandlung von Darlehen im Hinblick auf das Halbeinkünfteverfahren: Schulze zur Wiesche, GmbHR 2007, 847, und im Hinblick auf das MoMiG: Hölzle, DStR 2007, 1185. 2 Überblick zur Organschaft bei der Insolvenz der Organgesellschaft: Hölzle, DStR 2006, 1210. 3 BFH v. 1. 4. 2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269. 4 BFH v. 17. 1. 2002 – V R 37/00, ZIP 2002, 1813.
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249
§3
Rz. 197
Gesellschafterberatung
197
Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Betriebsgesellschaft wird wegen des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter (zumindest) die organisatorische Eingliederung beseitigt1, so dass die Umsatzsteuer nunmehr allein zu Lasten der Insolvenzmasse geht. Gleiches gilt bei der Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den ebenfalls die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners gemäß § 22 Abs. 1 InsO übergeht2. Anders verhält es sich nach Auffassung des BFH hingegen bei der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung, bei der gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Verfügungsbefugnis weiterhin beim Schuldner bleibt und die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur Wirksamkeitserfordernis ist3. Ebensowenig soll die umsatzsteuerliche Organschaft enden, wenn eine Eigenverwaltung angeordnet wird4.
198
Die Auffassung des BFH zur Fortsetzung der Organschaft bei der vorläufigen „schwachen“ Verwaltung ist zwar zu Recht auf Kritik gestoßen5, aber für die Beratung als Datum hinzunehmen. Da die umsatzsteuerliche Organschaft nicht Kraft Vertrages, sondern allein aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse entsteht, kann sie nicht durch Kündigung beendet werden. Will man vermeiden, dass die Gesellschafter als Organträger die Umsatzsteuer weiterhin zahlen müssen, die während der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung von der schuldnerischen Organgesellschaft vereinnahmt wird, müssen die tatsächlichen Verhältnisse geändert werden. Das geschieht meist durch eine Übertragung der ohnehin wertlosen Anteile an der Betriebsgesellschaft auf eine nahestehende Person. Eine andere Möglichkeit ist der Wechsel in der Geschäftsführung.
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Eine Organgesellschaft kann es auch für die Körperschaft- und die Gewerbesteuer geben. Anders als für die umsatzsteuerliche Organschaft bedarf es hier jedoch eines Unternehmensvertrages, §§ 14 Abs. 1 KStG, 2 Abs. 2 GewStG. Relevant werden die steuerlichen Verhältnisse nur in der Sondersituation einer Konzerninsolvenz. Auf das Schicksal eines Unternehmensvertrages in der Insolvenz wird bei § 11 Rz. 164 ff. gesondert eingegangen werden. b) Personengesellschaft
200
Nach wie vor offen ist das steuerrechtliche Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft in der Insolvenz der Personengesellschaft. Das Problem rührt daher, dass insolvenzrechtlich das Haftungssubjekt gemäß § 11 Abs. 2 InsO die Personengesellschaft, steuerrechtlich das Steuersubjekt gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG hingegen der einzelne Gesellschafter ist.
1 BFH v. 17. 1. 2002 – V R 37/00, ZIP 2002, 1813. 2 BFH v. 1. 4. 2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269. 3 BFH v. 1. 4. 2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269; dem folgende OFD Hannover, Verf. v. 11. 10. 2004, DStR 2005, 157. 4 OFD Hannover, Verf. v. 11. 10. 2004, DStR 2005, 157. 5 Hölzle, DStR 2006, 1210; Maus, GmbHR 2005, 859.
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Spliedt
Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 203
§3
Einigkeit besteht darüber, dass im Ergebnis die Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit zu verteilen ist. Der BFH belässt es zwar bei der Stellung des Gesellschafters als Steuerobjekt1, will aber trotzdem die nach Insolvenzeröffnung entstehende Einkommensteuerforderung als Massekosten behandeln, soweit sie aus der Verwertung der Masse resultiert und entsprechende Vermögensmehrungen auch tatsächlich in die Masse gelangen2. Die zweite Voraussetzung, dass die Masse von der Verwertung auch tatsächlich profitiert, basiert auf einem Urteil aus 19843. Dort ging es um den Verkauf eines mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks. Wegen des geringen Buchwertes wurden erhebliche stille Reserven realisiert, was zu einem steuerlichen Gewinn führte. Der größte Teil des Kaufpreises und damit auch des realisierten steuerlichen Gewinns ging an die Grundpfandrechtsgläubigerin. Die kalkulatorisch darauf entfallende Einkommensteuer dürfe dann nicht, so der BFH, der Masse zur Last fallen, sondern müsse aus dem konkursfreien Vermögen bezahlt werden. Unter Geltung der KO war der Neuerwerb im Gegensatz zur InsO nicht Massebestandteil. Vielmehr war das Einkommen des Schuldners konkursfrei, so dass er theoretisch Zahlungen hätte tätigen können, woraufhin sich dann die Frage nach einem Erlass aus Billigkeitsgründen stellte, wenn sein Neuerwerb gering war. Durch die InsO ist das anders geworden. Deshalb ist diese Entscheidung nur unter Vorbehalt auf die jetzige Rechtslage übertragbar. Immerhin wird aber das Ziel deutlich, dass sich die Besteuerung der Masse nach der Leistungsfähigkeit (Vermögenszuwachs) richtet.
201
Der BFH unterscheidet zwischen der materiellrechtlichen Entstehung von Steueransprüchen, die sich nach steuerrechtlichen Grundsätzen richtet, und deren verfahrensrechtlicher Geltendmachung. Soweit während des Insolvenzverfahrens steuerliche Gewinne mit einem Vermögenszuwachs der Masse korrespondieren, erfolgt im Insolvenzverfahren einer Einzelperson die Geltendmachung gegenüber der Masse als Masseverbindlichkeit und nicht gegenüber dem Schuldner4. Entsprechendes muss dann aus Gründen der Gleichbehandlung auch im Insolvenzverfahren der Personengesellschaft gelten. Auch hier bleibt es zwar bei der Stellung der Gesellschafter als Steuersubjekt. Geltend zu machen sind die Steuerforderungen jedoch gegen die Masse, soweit sie mit einem äquivalenten Vermögenszuwachs im Zusammenhang stehen. Wie es im Steuerfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen ist, dass Steuersubjekte die Gesellschafter und Zahlungspflichtiger der Insolvenzverwalter sind, ist noch unklar5. Dazu sind beim BFH zwei Revisionen anhängig6.
202
In Abweichung von der BFH-Linie wird in der Literatur vorgeschlagen, die Einkommensteuer dem Steuersubjekt „Gesellschafter“ aufzuerlegen, soweit er von dem den Gewinn auslösenden Vorgang profitiert. Das ist bei unbeschränk-
203
1 2 3 4 5
BFH v. 9. 11. 1994 – I R 5/94, ZIP 1995, 661; v. 15. 3. 1995 – I R 82/93, ZIP 1995, 1275. Zustimmend: Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, Rz. 371. BFH v. 29. 3. 1984 – IV R 271/83, NJW 1985, 511. BFH v. 25. 7. 1995 – VIII R 61/94, juris. Vorschläge bei Benne, DStR 2001, 1977, 1982 ff., insbesondere für die Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschafter. 6 Betreffen FG München v. 6. 7. 2004 – 12 K 2518/03, DZWIR 2005, 202; FG Hamburg v. 2. 6. 2006 – 6 K 291/03, juris.
Spliedt
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251
§3
Rz. 204
Gesellschafterberatung
ter Haftung der Gesellschafter, weil sich seine Verbindlichkeiten reduzieren. Ebenso verhält es sich mit dem Kommanditisten, soweit er die Einlagen (wieder) schuldet. Hat er die Einlage hingegen vollständig erbracht und nicht zurückerhalten, erhöhen steuerliche Gewinne seine Leistungsfähigkeiten nicht. Tritt auch bei der Masse kein Vermögenszuwachs ein, weil ein Veräußerungserlös an Pfandrechtsgläubiger ausgekehrt wird, ist die Steuer aus Billigkeitsgründen entweder gemäß § 183 AO gar nicht erst festzusetzen oder gemäß § 227 AO zu erlassen1. Das führt dann allerdings zu einer steuerlich im Ergebnis nicht erfassten Gewinnverwirklichung. So etwas müsse jedoch, meint Frotscher2, hingenommen werden, da es der Gesetzgeber versäumt habe, die Unstimmigkeiten zwischen Insolvenz- und Steuerrecht zu beseitigen. 204
Der Unterschied zwischen der Literatur- und der Rechtsprechungsmeinung wirkt sich bei demjenigen Gesellschafter aus, dessen persönliche Haftung durch einen Vermögenszuwachs der Gesellschaft reduziert wird, der Vermögenszuwachs aber bei der Masse verbleibt. Während der BFH die Einkommensteuer dann als Masseverbindlichkeit erheben will, obliegt die Zahlung nach der Literaturmeinung dem Gesellschafter.
205
Für eine Stellungnahme ist die Ansicht des BFH insofern unangemessen, als die Personengesellschaft im Gegensatz zur GmbH keinen steuerlichen Verlustvortrag hat, mit dem die Gewinne verrechnet werden können. Die Personengesellschaft ist zwar insolvenzrechtliches Haftungssubjekt. Die mit den Verlusten, die die Insolvenz verursacht haben, verbundenen „Steuervorteile“ kamen jedoch den Gesellschaftern zugute. Deshalb ist es unangemessen, die Gläubigerbefriedigung um die Ertragsteuer zu reduzieren, die mit der Realisierung stiller Reserven für die Masse anfällt. Zwar haften die Gesellschafter den Gläubigern weiterhin. Das aber ist häufig ohne durchsetzbaren Wert. Insofern ist die Literaturmeinung gerechter, weil die Besteuerung der Gewinne bei den unbeschränkt haftenden Gesellschaftern letztlich nur den Ausgleich für eine frühere Verlustverrechnung bedeutet. Das gilt sogar für den Kommanditisten, der seine Einlage erbracht hat und einen steuerlichen Verlust in den Grenzen des § 15a EStG nutzen konnte.
206
Demgegenüber ist bei einer Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschafter wiederum die Auffassung des BFH angemessener. Würde man nämlich die Einkommensteuer, die durch eine Massemehrung im Insolvenzverfahren der Gesellschaft entsteht, als Massekosten im Verfahren des Gesellschafters behandeln, würden die dortigen Gläubiger durch einen Vorgang belastet werden, der nicht mit einer Massemehrung in ihrem Verfahren korrespondiert. Eine Zuordnung der Steuerlast bei dem Gesellschafter wäre nur angemessen, wenn die Steuerforderung in der Gesellschafterinsolvenz keine Masseschuld wäre, sondern eine Insolvenzforderung, eben mit der Begründung, dass es sich wirtschaftlich um nichts anderes handelt als um den Ausgleich früherer, vor Insolvenzeröffnung genutzter „Verlustzuweisungen“. Der BFH hält es jedoch nicht für gerechtfertigt, mit insolvenzrechtlichen Wertungen das steuerrecht1 Benne, DStR 2001, 1977, 1981 ff.; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, Rz. 315 ff.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, 135 ff. 2 Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, 139.
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Spliedt
Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 208
§3
liche Prinzip der Gewinnrealisierung zu durchbrechen. Dies hat er zumindest für den Fall entschieden, dass bei einer Individualinsolvenz Gewinne auf der Realisierung stiller Reserven beruhten, die vor Insolvenzeröffnung gelegt wurden1. Zur Begründung verwies er auf Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Feststellung der stillen Reserven und auf die formaljuristische Entstehung des Anspruchs erst nach Verfahrenseröffnung. Abgrenzungsschwierigkeiten gibt es bei der Feststellung der in der Vergangenheit vom Gesellschafter bezogenen „Verlustzuweisungen“ zwar nicht. Formell steuerrechtlich entsteht die Einkommensteuerschuld jedoch erst nach Insolvenzeröffnung. Angesichts des klaren Wortlauts von § 38 AO zur Steuerentstehung wird kaum mit einer Änderung der BFH-Auffassung zu rechnen sein. Wird eine Steuerforderung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Personengesellschaft nicht als Masseverbindlichkeit geltend gemacht, weil ein Vermögenszuwachs an Absonderungsgläubiger auszukehren ist, bleibt für die damit bei den insolventen Gesellschaftern liegende Steuerschuld nur ein Erlass oder eine Nichtfestsetzung aus Billigkeitsgründen. Eine nahezu in jedem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Personengesellschaft auftretendes Problem ist die Quellensteuer, insbesondere die Zinsabschlagsteuer. Der Verwalter wird ein Kontoguthaben bis zur Verteilung an die Gläubiger stets verzinslich anlegen. Von den Zinsen muss die Bank 30% einbehalten und „für Rechnung des Gläubigers“ (§ 44 Abs. 1 EStG) an das Finanzamt abführen, §§ 43 Abs. 1 Nr. 7, 43a Abs. 1 Nr. 3, 44 Abs. 1 EStG. Ähnlich verhält es sich bei der Kapitalertragsteuer, wenn die insolvente Personengesellschaft Anteile an einer Kapitalgesellschaft hält. Diese Kapitalgesellschaft muss von den Gewinnausschüttungen Kapitalertragsteuer abführen, § 43 Abs. 1 Nr. 1, 20 Abs. 1 Nr. 1 EstG, was naturgemäß den der Personengesellschaft zufließenden Betrag mindert. Nicht jedoch der gemeinschuldnerischen Personengesellschaft, sondern den Gesellschaftern ist die gezahlte Kapitalertragsteuer anzurechen bzw. ein überschießender Betrag zu erstatten, § 36 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 EStG. Zivilrechtlicher Gläubiger der Kapitalerträge ist zwar die Personengesellschaft, Gläubiger im Sinne des Steuerrechts aber die Gesellschafter, § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Sie bleiben die Steuersubjekte, selbst dann, wenn eine Steuerforderung wegen des bei der Masse eintretenden Vermögenszuwachs dort als Masseverbindlichkeit geltend gemacht wird2.
207
Wenn den Gesellschaftern somit im Wege der Steueranrechnung etwas zukommt, was zivilrechtlich der Masse gebührt, stellt sich die Frage, ob sie diesen Betrag erstatten müssen. 1995 hatte der BGH über einen Fall außerhalb des Insolvenzverfahrens zu entscheiden. Die Personengesellschaft war an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, die Kapitalertragsteuer an das Finanzamt abführte und dadurch den Beteiligungsertrag der Personengesellschaft minderte. Steuerrechtlich geschah diese Abführung aber nicht für die unmittelbar beteiligte Personengesellschaft, sondern für deren Gesellschafter. Nach Auffassung des BGH ist die Zahlung an das Finanzamt wie eine Entnahme der Gesellschafter
208
1 BFH v. 11. 11. 1993 – XI R 73/92, ZIP 1994, 1286; v. 28. 3. 1984 – IV R 271/83, ZIP 1984, 853. 2 BFH v. 9. 11. 1994 – I R 5/94, ZIP 1995, 661; v. 15. 3. 1995 – I R 82/93, ZIP 1995, 1275.
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§3
Rz. 209
Gesellschafterberatung
bei der Personengesellschaft zu behandeln. Sie darf nur nach Maßgabe der Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag behalten werden. Überschreitet der Anrechnungsbetrag ihren jeweiligen Gewinnanteil, müssen die Gesellschafter ihn an die Personengesellschaft abführen1. 209
Für die vergleichbare Situation innerhalb der Insolvenz haben das LG Freiburg2 und das OLG Dresden3 entschieden, dass der Gesellschafter an die Masse den Betrag abzuführen hat, der ihm aufgrund der Zinsabschlagsteuer bei seiner Einkommensteuer angerechnet bzw. ausgekehrt wird. Um die Ansprüche zu realisieren, sei er zur Abgabe der Steuererklärungen verpflichtet. Anderenfalls mache er sich schadensersatzpflichtig. Dies gelte nach Ansicht des LG Freiburg jedenfalls insoweit, soweit der Gesellschafter keine Steuerlast für die während des Insolvenzverfahrens vom Verwalter erwirtschafteten Gewinne trage. Folgt man bei der steuerlichen Behandlung allerdings dem BFH, kann diese Situation nur eintreten, wenn Gewinne auf Vermögensmehrungen beruhen, die nicht der Masse, sondern Absonderungsgläubigern zufließen. Allerdings ist diese Einschränkung des LG Freiburg nicht gerechtfertigt; sieht man nämlich den Anrechnungsbetrag mit dem BGH-Urteil als Entnahme an, muss er der Masse selbst dann erstattet werden, falls den Gesellschafter steuerliche Lasten treffen; denn die Bezahlung eigener Steuerschulden begründet keinen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft, § 110 HGB, kann also die aufgrund der Entnahme entstandene Erstattungspflicht nicht im Wege der Aufrechnung beseitigen. Was für das Verhältnis zwischen dem Gesellschafter und dem Sondervermögen der Personengesellschaft gilt, muss konsequenter Weise auch für das Verhältnis zwischen dem Gesellschafter und der Masse gelten. Anders könnte es nur sein, wenn man mit dem OLG Dresden den Haftungsgrund für den Gesellschafter nicht in einer Entnahme sieht, weil es an der willentlichen Entnahmehandlung fehlt, sondern in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Selbst dann ist aber höchst zweifelhaft, ob die Treuepflicht es zulässt, eigene Steuerschulden durch Mittel zu tilgen, die letztlich von Ansprüchen der Masse einbehalten worden.
210
Für die eigene Steuererklärung müssen den einzelnen Gesellschaftern die steuerlichen Ergebnisse der Gesellschaft zugeordnet werden. Dies geschieht mit Hilfe der einheitlichen Gewinnfeststellung gemäß §§ 179 ff. AO. Beteiligt an dieser Feststellung sind nur die Gesellschafter4, so dass der Insolvenzverwalter weder steuerrechtlich noch insolvenzrechtlich5 verpflichtet ist, die Feststellungserklärung abzugeben. Zu einer übermäßigen Belastung der Gesellschafter führt das nicht; denn Basis der Feststellungserklärung ist die Gewinnermittlung der Gesellschaft, die dem Verwalter auch für die Zeit vor Verfahrenseröffnung obliegt, § 155 InsO. Die Gesellschafter müssen für ihre Steuererklärung deshalb nur noch die Verteilung des in der Gesellschaft angefallenen Gewinns und die eigenen Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben umsetzen. 1 BGH v. 30. 1. 1995 – II ZR 42/94, ZIP 1995, 462. 2 LG Freiburg v. 3. 8. 1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063. 3 OLG Dresden v. 29. 11. 2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 238 m. Anm. Walzholz, DStR 2005, 615. 4 BFH v. 23. 8. 1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969; v. 15. 3. 2007 – IV R 52/04, juris. 5 BGH v. 2. 4. 1998 – IX ZR 187/97, ZIP 1998, 1076.
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§ 4 Eigenkapitalersatzrecht Rz.
Rz.
I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechungs- und Novellenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechungsregeln . . . . b) Novellenregeln . . . . . . . . . . . c) Checkliste: Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . a) Rechtsprechungsregeln . . . . b) Novellenregeln . . . . . . . . . . . c) Künftige Entwicklung hinsichtlich des internationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorüberlegung für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Insolvenzverwaltung . . . . . . b) Gesellschafterberatung . . . . aa) Beratung im Vorfeld einer Gesellschafterleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beratung bei bereits gewährten Leistungen . . . . c) Checkliste: Rechtspraxis . . .
1
(2) Ausscheiden des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Leistung des ehemaligen Gesellschafters . . . . . . . . 72 cc) Leistungen des künftigen Gesellschafters . . . . 73 dd) Leistung für Rechnung eines Gesellschafters . . . 74 ee) Privilegierung . . . . . . . . . 75 (1) Kleingesellschafter . . . . . 76 (2) Sanierungskredite . . . . . 78 (3) Kredite der Treuhandanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (4) Checkliste: Privilegierte Tatbestände . . . . . . . . . . . 87 Stiller Gesellschafter . . . . . . 88 Nichtgesellschafter . . . . . . . . 89 aa) Unterbeteiligte . . . . . . . . 92 bb) Treugeber . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Nießbraucher/ Pfandgläubiger . . . . . . . . 96 dd) Kreditgeber . . . . . . . . . . . . 100 ee) Nahe Angehörige . . . . . . 103 ff) Miteigentümer . . . . . . . . 105 gg) Zessionar . . . . . . . . . . . . . 107 hh) Checkliste: Anwendung von Eigenkapitalersatzregeln auf Nichtgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . 108 Verbundene Unternehmen . 109 aa) Gesellschaften im vertikalen Verhältnis . . . . . 110 bb) Horizontale Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (1) Schwestergesellschaft als Zahlungsmittler . . . . 116 (2) Betriebsaufspaltung . . . . 117 (3) Finanzierungshilfen aus dem Vermögen der Schwestergesellschaft . . 118 Mittelbarer Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .118a
6 7 10 12 13 13 15
16 19 20 25
b) c)
27 33 35
II. Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Erweiterter Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Die Aktiengesellschaft . 41 bb) Die GmbH (AG) & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 cc) Die „atypische“ oHG/ GbR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 dd) Gesetzestypische Personengesellschaften . . . . 59 ee) Scheinauslandsgesellschaften . . . . . . . . . 59a 2. Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Unmittelbarer Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Leistungen während der Beteiligung . . . . . . . . . . . . 67 (1) Krise nach/vor Erbringung der Leistung . . . . . . 68
d)
e)
III. Eigenkapitalersetzende Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. An die Gesellschaft erbrachte Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Darlehensgewährung . . . . . . 120
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§4
Eigenkapitalersatzrecht Rz.
Rz.
b) Stehenlassen eines Darlehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Möglichkeit der Kenntnis der Krise . . . . . . . . . . . 130 bb) Finanzierungsentscheidung . . . . . . . . . . 132 cc) Checkliste: Stehenlassen eines Darlehens . . . . 141 c) Nutzungsüberlassungen . . . 142 aa) Voraussetzungen . . . . . . 143 (1) Nutzungsüberlassung . . 144 (2) Gesellschafterstellung . 150 (3) Krise der Gesellschaft . . 154 (4) Stehenlassen einer Nutzungsüberlassung . . . . . . 159 bb) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . 161 (1) Vor Insolvenzeröffnung (Rechtsprechungsregeln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (2) Nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 cc) Checkliste: Nutzungsüberlassung . . . . . . . . . . . 178 d) Gesellschafterbesicherte Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Voraussetzungen . . . . . . 180 (1) Leistung eines Dritten . 181 (2) Eigenkapitalersetzende Sicherheit . . . . . . . . . . . . . 183 (3) Mögliche Sicherungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . 190 (1) Vor Insolvenzeröffnung (Rechtsprechungsregeln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) Nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 cc) Checkliste: Gesellschafterbesicherte Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 e) Dienstleistungen . . . . . . . . . . 200 f) Sonstige Leistungen . . . . . . . 203 g) Sanierungsbeiträge . . . . . . . . 212 h) Wirksamkeit einer Leistung im Rahmen des VerbrKrG/ der Verbraucherschutzregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Der Gesellschaft versprochene Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Finanzplankredite . . . . . . . . . 217 aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . 217
bb) Vorliegen eines Finanzplankredits . . . . . . . . . . . . 218 cc) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . 223 b) Krisendarlehen . . . . . . . . . . . . 225 c) Rangrücktritt . . . . . . . . . . . . . 226 3. Leistungen während des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 234
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IV. Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung . . . . . . . . . 236 1. Beginn der Eigenkapitalersatzbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Eintritt der Krise . . . . . . . . . . 239 aa) Überschuldung . . . . . . . . 240 (1) Überschuldungsbilanz . 241 (2) Passivierungspflicht für eigenkapitalersetzende Leistungen . . . . . . . . . . . . 248 bb) Zahlungsunfähigkeit . . . 251 cc) Kreditunwürdigkeit . . . . 259 b) Begründung der Finanzierungsfolgenverantwortung . 266 c) Checkliste: Eintritt der Eigenkapitalersatzbindung . 267 2. Ende der Eigenkapitalersatzbindung („Entsperrung“) . . . . . . 268 3. Umfang der Eigenkapitalersatzbindung . . . . . . . . . . . . . . . 272 V. Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Rechtsprechungsregeln . . . . . . . 276 a) Eingeschränktes Rückzahlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Erstattungsanspruch . . . . . . . 280 2. Novellenregeln . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Nachrangige Insolvenzforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Rückzahlungsverbot . . . . . . . 292 c) Erstattungs-/ Anfechtungsanspruch . . . . . 293 3. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 4. Checkliste: Rechtsfolgen . . . . . 302 VI. Darlegungs- und Beweislast . . . 303 1. Krise der Gesellschaft . . . . . . . . 304 2. Möglichkeit der Kenntnis der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 3. Unterbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
§4
Eigenkapitalersatzrecht Rz.
Rz.
4. Gesellschafterähnliche Stellung des Dritten . . . . . . . . . . . . . 314 5. Privilegierungstatbestände (§ 32a Abs. 3 GmbHG) . . . . . . . 315
a) Aufgabe der Rechtsprechungsregeln (§ 30 S. 3 InsO-RegE) . . . . . . . . . . . . . . . 348 b) Neue Verortung der Novellenregeln (§ 39 InsO-RegE) . 355 c) Änderung bei der Anfechtung (§ 135 InsO-RegE) . . . . 365 d) Berücksichtigung von Gesellschafterdarlehen bei den Eröffnungsgründen (§ 19 Abs. 2 InsO-RegE) . . . . . . . . . 370 3. Praxisrelevante Änderungen und Auswirkung in der Praxis 374 a) Aufgabe des Merkmals der „Krise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 b) Anwendung auf (in- und ausländische) Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 c) Anfechtungsfrist und Aufgabe der Rechsprechungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 d) Ende der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 4. Mögliche Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . 392 a) Längere Anfechtungsfrist . . 393 b) Berücksichtigung bei der Überschuldungsprüfung (§ 19 Abs. 2 Satz 3 InsORegE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 c) Klarstellung der Aufgabe der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung . . . . . . 399 d) Redaktionelle Änderungen . 400 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 6. Anhang: Synopse der neuen und alten Regelungen . . . . . . . . 404
VII. Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . 319 2. Funktionelle Zuständigkeit . . . 320 3. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . 321 4. Gemeinschaftsrechtlicher Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 VIII. Mustervereinbarungen . . . . . . . 328 1. Vereinbarung über die Abgeltung einer Restnutzungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Rangrücktrittsvereinbarung für ein eigenkapitalersetzendes Gesellschaftsdarlehen . . . . . . . . 329 3. Freistellungsvereinbarung für eine Gesellschaftersicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 IX. Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 a) Diskussion um eine Reform und Stand der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . 332 b) Überblick über die geplanten Änderungen . . . . . . . . . . . 336 c) Neue Herausforderungen an einen Normzweck . . . . . . 338 2. Kurzdarstellung und Bewertung der wichtigsten Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
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§4
Rz. 1
Eigenkapitalersatzrecht
I. Übersicht 1. Normzweck 1
Das Gesellschaftsrecht kennt grundsätzlich keine gesetzliche Pflicht der Gesellschafter, in der Krise „ihrer“ Gesellschaft zusätzliches Eigenkapital zuzuführen1. In der Krise erhält die GmbH2 jedoch häufig keine Kredite Dritter mehr, so dass sich viele Gesellschafter bemühen, die Nachteile der Zufügung neuen Eigenkapitals durch die Gewährung von Gesellschaftsleistungen als Fremdkapital zu umgehen.
2
Die Vorteile bei der Zufuhr des Fremdkapitals liegen klar auf der Hand: Fremdkapital kann der Gesellschaft leichter entnommen werden als Eigenkapital, da es in der Regel nicht den §§ 30, 31 GmbHG unterfällt, die eine Auszahlung des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens an die Gesellschafter verbieten. In einem Insolvenzverfahren besteht zudem eine Insolvenzforderung in Höhe der nicht zurückgezahlten Kredite, die immerhin mit der Quote befriedigt wird. Steuerlich kann die Gesellschaft die Kreditzinsen auch als Betriebsausgaben geltend machen.
! Hinweis: Die steuerliche Behandlung der eigenkapitalersetzenden Leistungen wird in diesem Beitrag generell nicht berücksichtigt. 3
Nachteile bringt die Zufuhr von Fremdkapital dagegen für die anderen Gesellschaftsgläubiger: Die Gesellschaft stellt sich durch das Fremdkapital als gesund dar. Anstatt ihr bisheriges Engagement einzuschränken bzw. der Gesellschaft zu kündigen, können somit manche Gläubiger zu (erneuten) Investitionen bewegt werden. Der „Todeskampf“ der Gesellschaft wird durch das Fremdkapital der Gesellschafter künstlich verlängert, und die außen stehenden Gläubiger der Gesellschaft tragen sodann faktisch einen Teil des Unternehmensrisikos im Falle der Insolvenz mit. Dies trifft insbesondere bei den Kapitalgesellschaften zu, da den Gläubigern oft nur ein geringes Stamm- oder Grundkapital als Haftungsmasse zur Verfügung steht.
4
Um vor allem den Gläubigerschutz zu erweitern, haben Rechtsprechung und Gesetzgebung Regeln zur Behandlung des so genannten Eigenkapitalersatzes3 entwickelt. Hiernach soll das Unternehmensrisiko nach Eintritt der Krise nicht von den Gesellschaftern auf die Gläubiger verlagert werden können, indem sie der Gesellschaft Fremdkapital zuführen. Vielmehr sollen die Gesellschafter bei aktueller oder drohender Krise der Gesellschaft zwischen der Liquidation und der Zuführung frischen Eigenkapitals entscheiden müssen. 1 Eine Ausnahme besteht für das Kredit- und Versicherungswesen (§§ 10, 10a KWG, § 53c VAG). 2 Das Eigenkapitalersatzrecht in der GmbH wird in diesem Beitrag beispielhaft für alle Gesellschaftsformen erläutert. Bei gesellschaftsformspezifischen Besonderheiten wird an der entsprechenden Stelle darauf hingewiesen. 3 In der juristischen Literatur werden sowohl die Begriffe „Kapitalersatz“ als auch „Eigenkapitalersatz“ benutzt. Inhaltliche Unterschiede zwischen diesen Begriffen bestehen – soweit ersichtlich – nicht.
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Übersicht
Rz. 6
§4
Diese so genannte Finanzierungsfolgenverantwortung führt dazu, dass etwaiges Fremdkapital aus Gesellschafterhand als Eigenkapital mit den entsprechenden rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen behandelt wird. Daher wird die eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistung definiert als jedes Darlehen (oder jeder wirtschaftlich vergleichbare Vorgang) eines Gesellschafters, das (den) er der Gesellschaft anstelle der eigentlich gebotenen Eigenkapitalzufuhr gewährt.
5
Durch die Gleichstellung solcher Leistungen mit Eigenkapital während der Krise und Insolvenz der Gesellschaft wird den Gesellschaftern die Möglichkeit genommen, die wirtschaftlich angeschlagene oder gar insolvenzreife Gesellschaft auf Kosten anderer weiterzuführen. Gesellschaftsrechtlich erstreckt sich dieser Schutz auf das Stammkapital (Rechtsprechungsregeln). In insolvenzrechtlicher Hinsicht wird der Gläubigerschutz erweitert, so dass die eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen in größerem Umfang berücksichtigt werden (Novellenregeln).
2. Rechtsprechungs- und Novellenregeln Die rechtlichen Grundlagen des Eigenkapitalersatzrechtes beruhen einerseits auf einem Grundsatzurteil des BGH aus dem Jahr 19591 und andererseits auf den durch die GmbHG-Novelle vom 4. 7. 1980 eingeführten §§ 32a, 32b GmbHG2. Diese Regelungen unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen und Wirkungen und sind daher nebeneinander anwendbar3. Ergänzend gewähren die §§ 135 InsO, 6 AnfG, 32b GmbHG Anfechtungs- bzw. Erstattungsansprüche für bestimmte Fälle der Sicherung oder vorzeitigen Rückzahlung eigenkapitalersetzender Gesellschafterleistungen (s. hierzu § 10 Rz. 212 ff.). Zeitlich setzt das Eigenkapitalersatzrecht die Krise der Gesellschaft bzw. die Insolvenzeröffnung voraus. Obwohl die Novellenregeln auch Sachverhalte vor Insolvenzeröffnung erfassen, sind sie erst ab diesem Zeitpunkt anwendbar, wohingegen die Rechtsprechungsregeln kein Insolvenzverfahren voraussetzen. Die Anwendbarkeit lässt sich somit wie folgt (vereinfacht) darstellen:
1 Sog. „Lufttaxi“-Entscheidung: BGH v. 14. 12. 1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258 (268 ff.). 2 Nach ihrer Einfügung durch die GmbHG-Novelle v. 4. 7. 1980 (BGBl. I S. 836) wurden die §§ 32a, 32b GmbHG durch Einführung der Insolvenzordnung sowie des KapAEG v. 20. 4. 1998 (BGBl. I S. 707) und des KonTraG v. 27. 4. 1998 (BGBl. I S. 786) geändert. 3 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 (378 ff.).
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6
§4
Rz. 7
Eigenkapitalersatzrecht
a) Rechtsprechungsregeln 7
Die so genannten Rechtssprechungsregeln entstammen einer analogen Anwendung1 der §§ 30, 31 GmbHG und setzen zunächst eine eigenkapitalersetzende Leistung (Rz. 119) eines Gesellschafters oder gegebenenfalls eines Dritten (Rz. 60) voraus. Außerdem müssen die Krise der Gesellschaft (Rz. 236), die Kenntnis des Gesellschafters bzw. des Dritten von der Krise (Rz. 130) und vor allem eine Unterbilanz vorliegen (Rz. 8), um die Regeln anwenden zu können.
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Soweit die Voraussetzungen für die Einstufung eines Darlehens als Eigenkapitalersatz erfüllt sind, kann das Darlehen – unabhängig von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – insoweit vom Gesellschafter nicht mehr zurückverlangt werden, als es eine Unterbilanz abdeckt. Diese wird als Verlust des Stammkapitals verstanden und liegt vor, wenn der Wert der gesamten Aktiva – nach Abzug der Verbindlichkeiten und Rückstellungen (aber ohne Rücklagen) – den Stammkapitalbetrag unterschreitet2. Die Unterbilanz wird durch eine Gegenüberstellung von Stammkapital und bilanziellen Schulden dargelegt, die den Ansatzund Bewertungsregeln einer Handelsbilanz entspricht3. Liegt über eine Unterbilanz hinaus sogar eine Überschuldung vor, gelten die Rechtsprechungsregeln erst recht4. Bei der Unterbilanz muss der Bilanzverlust mit Eigenkapital gedeckt werden. Eine Überschuldung entsteht, wenn das Eigenkapital nicht ausreicht, um den Bilanzverlust abzudecken (zum Insolvenzgrund der Überschuldung vgl. ausführlich § 1 Rz. 106 ff.). Dies kann wie folgt dargestellt werden: 1 Bormann, Eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen, 2001, S. 31; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 11. 2 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 30 Rz. 12; Bormann, Eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen, 2001, S. 32. 3 BGH v. 6. 12. 1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 (289 ff.); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 15. 4 BGH v. 5. 2. 1990 – II ZR 114/89, NJW 1990, 1730 (1732); zur Überschuldung in einer GmbH & Co. KG vgl. BGH v. 29. 3. 1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324 (331).
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Übersicht
Rz. 11
§4
Soweit das Darlehen trotz Verletzung des Stammkapitals zurückgezahlt wurde, besteht ein Erstattungsanspruch der Gesellschaft nach § 31 Abs. 1 GmbHG analog bis zur Höhe des Stammkapitals.
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b) Novellenregeln Die Novellenregeln sind in den §§ 32a, 32b GmbHG enthalten. Diese beruhen weitgehend auf denselben Voraussetzungen wie die Rechtsprechungsregeln. Anders als im Rahmen der Rechtsprechungsregeln kommt es jedoch nicht auf eine Unterbilanz der Gesellschaft an. Vielmehr greifen die Novellenregeln erst mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Soweit ein solches Verfahren nicht eröffnet wurde und keine Unterbilanz vorliegt, unterliegen die Gesellschafterleistungen keiner Bindung und dürfen ohne Einschränkung an den leistenden Gesellschafter zurückgezahlt werden.
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Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens besteht für den Gesellschafter die Gefahr, dass der Insolvenzverwalter1 die Rückzahlung oder Rückgewähr einer eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistung anficht (§§ 135 InsO i.V.m. 32a GmbHG) bzw. Erstattung verlangt (§ 32b GmbHG), wenn die Zahlung innerhalb eines Jahres2 vor Stellung des Insolvenzantrages erfolgt ist. Liegen die Voraussetzungen des § 32a GmbHG vor, wird die Gesellschafterleistung bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in vollem Umfang – und nicht nur bis zur Höhe der Stammkapitalziffer – als Eigenkapitalersatz eingeordnet. Soweit die Leistung noch nicht zurückgewährt wurde, kann der leistende Gesellschafter seinen Anspruch auf Rückzahlung lediglich als nachrangiger Insolvenzgläubiger nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltend machen (zur Rechtsstellung eines nachrangigen Insolvenzgläubigers vgl. § 6 Rz. 263 ff., 280, 282). 1 Ebenso kann ein Gesellschaftsgläubiger nach erfolgloser Einzelvollstreckung die Rückzahlung einer eigenkapitalersetzenden Leistung gemäß §§ 2, 6 AnfG anfechten. 2 Im Falle der Gewährung einer Sicherheit wird der Anfechtungsanspruch sogar auf einen Zeitraum von zehn Jahren vor Stellung des Insolvenzantrags ausgedehnt (§ 135 Nr. 1 InsO).
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c) Checkliste: Voraussetzungen Voraussetzungen der Rechtsprechungs- und Novellenregeln 12
–
Ein Darlehen, eine Sicherheit oder eine einem Darlehen gleichzustellende Leistung muss erbracht worden sein (§ 32a GmbHG).
–
Ein finanzierungsfolgenverantwortlicher Gesellschafter oder gleichgestellter Dritter muss diese Leistung erbracht haben.
–
Die Leistung muss an eine (Kapital-)Gesellschaft erbracht worden sein.
–
Die Leistung muss entweder in der Krise erbracht oder stehen gelassen worden sein.
–
Derjenige, der die Leistung erbringt, muss von der Krise Kenntnis (oder die Möglichkeit zur Kenntnis) gehabt haben.
–
Zur Anwendbarkeit der Rechtsprechungsregeln muss zudem eine Unterbilanz vorliegen.
–
Die Novellenregeln sind nur insoweit anwendbar, als ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
–
Als negatives Tatbestandsmerkmal gilt in beiden Fällen, dass die Leistungen nicht unter das Sanierungsprivileg fallen bzw. von einem so genannten „Kleingesellschafter“ erbracht worden sein dürfen (§ 32a Abs. 3 Satz 2, Satz 3 GmbHG).
3. Rechtsentwicklung a) Rechtsprechungsregeln 13
Aufgrund der beschränkten Haftung in Kapitalgesellschaften, insbesondere in einer GmbH, hat der Gesetzgeber dem GmbHG bereits in seiner Fassung vom 20. 4. 1892 Regeln zum Erhalt eines Mindeststammkapitals eingefügt. Vor allem die Regelung der §§ 30, 31 GmbHG diente dem Schutz der Gläubiger vor unzulässigen Auszahlungen an die Gesellschafter. Hinsichtlich der GmbH erkannte der BGH in seinem Urteil vom 14. 12. 1959 die Notwendigkeit der Ausdehnung solcher Kapitalerhaltungsregeln auf weitere Sachverhalte, die durch ein Handeln der Gesellschafter wider Treu und Glauben gekennzeichnet waren1. Später wurde vor allem aber die ordnungsgemäße Unternehmensfinanzierung als Grundlage für die Verantwortung des Gesellschafters verstanden2. Um diesen Sachverhalt entsprechend zu würdigen, dehnte der BGH den Begriff des haftenden Kapitals aus, um Gesellschafterdarlehen in der Krise der Gesellschaft mit zu umfassen und in der Konsequenz die §§ 30, 31 GmbH entsprechend anzuwenden. Seitdem wurden diese Rechtsprechungsgrundsätze immer weiter konkretisiert. Mit seinem Urteil vom 24. 3. 1980 schloss der BGH diese Rechtsentwicklung zunächst ab, indem er entschied, dass die Konkursreife (seit 1999 Insolvenzrei1 BGH v. 14. 12. 1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 259 (272). 2 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (389).
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fe) keine notwendige Voraussetzung für die analoge Anwendung dieser Grundsätze sei1. Vielmehr entwickelte der BGH in dieser Entscheidung den Grundsatz der Kreditunwürdigkeit einer Gesellschaft als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Eigenkapitalersatzrechtes (vgl. Rz. 259 ff.). Zudem wurde in diesem Urteil klargestellt, unter welchen Voraussetzungen auch Kommanditisten einer typischen GmbH & Co. KG Normadressaten der Regeln über den Eigenkapitalersatz hinsichtlich ihrer Leistungen an die Kommanditgesellschaft sein können.
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Die Reichweite dieser Regeln wurde dennoch notwendigerweise durch den Wortlaut und den Gesetzeszweck der §§ 30, 31 GmbHG begrenzt. Zu bedenken ist stets, dass diese Vorschriften primär der Erhaltung des Stammkapitals dienen sollen, um den Gläubigern der Gesellschaft einen Mindestmaß an Schutz zu bieten. b) Novellenregeln Durch die Änderungen der GmbHG-Novelle vom 4. 7. 19802 konnten Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich der Darlehensgewährung entsprechende Leistungen der Gesellschafter im Vorfeld der Insolvenzeröffnung (damals Konkurseröffnung) in voller Höhe dem Haftungsverband im Insolvenzfalle zugeordnet werden, selbst wenn keine Unterbilanz durch die Leistungen abgedeckt werden sollte. Das GmbHG erhielt neben einer Legaldefinition des eigenkapitalersetzenden Darlehens eine Grundlage für den Insolvenzverwalter, Rückzahlungen auf solche Darlehen bzw. Leistungen (§ 32 Abs. 3 GmbHG) gemäß dem der KO damals neu hinzugefügten § 32a (vgl. § 135 InsO) anzufechten. Insofern wurde der Gläubigerschutz für den Insolvenzfall erweitert. Daher sind auch die Rechtsprechungs- und Novellenregeln nebeneinander anzuwenden, um einen umfassenden Gläubigerschutz zu gewährleisten (zur Anfechtung eigenkapitalersetzender Darlehen vgl. § 10 Rz. 212 ff.). Außerdem ergänzte § 32b GmbHG die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters hinsichtlich einer Sicherheit für eine von einem Dritten erbrachte Leistung. Als Parallelvorschrift zu § 135 InsO (§ 32a KO) verpflichtet sie den eine Sicherheit stellenden Gesellschafter zur Erstattung des Wertes oder Überlassung der haftenden Sicherheit3. Da der mangelnde Schutz von Gesellschaftsgläubigern auch in anderen Gesellschaftsformen offensichtlich wurde, enthielt die GmbHG-Novelle zudem Ergänzungen des HGB. Durch die Einführung der §§ 172a, 129a HGB wurden die „atypischen“ Personengesellschaften (insbesondere GmbH & Co. KG und oHG ohne persönlich haftenden Gesellschafter) in den Anwendungsbereich der an sich für die GmbH geltenden Eigenkapitalersatzregeln einbezogen. Schließlich stellte § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG klar, dass weitere Leistungen des Gesellschafters, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechen, 1 BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (329 ff.). 2 § 4 S. 257 Fn. 2. 3 BGH v. 20. 9. 1993 – II ZR 151/92, BGHZ 123, 289 (293).
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auch von diesen Regeln erfasst werden. Diese Regelung war eine Konsequenz der zunehmenden Versuche der Umgehung der Rechtsprechungsregeln, bei denen andere Leistungen statt Darlehen von Gesellschaftern in der Krise erbracht wurden. Insbesondere bezüglich der einer Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechenden Leistung ist seit Einführung dieser Regelung eine erhebliche Kasuistik entstanden (vgl. Rz. 203 ff.), die fortwährend durch höchstrichterliche Rechtsprechung ergänzt und weiterentwickelt wird. Kaum ein Bereich des Gesellschaftsrechts wird vom „case law“ so stark geprägt wie das Eigenkapitalersatzrecht. c) Künftige Entwicklung hinsichtlich des internationalen Rechts 16
Die weitere Entwicklung des Eigenkapitalersatzrechts in Deutschland könnte sich mit der Erweiterung der möglichen eigenkapitalersetzenden Leistungen (vgl. Rz. 119 ff.), einer weiteren Auseinandersetzung mit den Rechtsfolgen der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung1 oder der Anwendbarkeit der Rechtsprechungs- und Novellenregeln auf weitere Gesellschaftsformen und verbundene Unternehmen (vgl. Rz. 109 ff.) befassen. Diese Weiterentwicklung würde lediglich eine Abänderung der bestehenden Regeln bedeuten und stellt die Grundsätze der Eigenkapitalersatzregeln nicht in Frage.
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Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln in inländischen Verfahren hat mit der „Inspire-Art“-Entscheidung2 des EuGH zugenommen. Mit ihr wurde das Gründungsstatut für grundsätzlich alle gesellschaftsrechtlichen Fragen für maßgeblich erklärt3, so dass es nun bei Inlandsinsolvenzen von so genannten „Scheinauslandsgesellschaften“ zu einem Auseinanderfallen von Gesellschafts- und Insolvenzstatut kommen kann4. Die Frage, ob ein Darlehen eigenkapitalersetzenden Charakter hat, ist nach h.M. als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren5. Die meisten europäischen Rechtsordnungen sehen keine eigenkapitalersatzähnliche Haftung der Gesellschafter vor. Der deutsche Insolvenzverwalter, der weiterhin für Verfahren über das Vermögen von Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland zuständig ist, wird sich jedoch bei der Abwicklung dieser Gesellschaften nach dem Recht des Gründungslandes richten müssen. Die praktischen Schwierigkeiten einer solchen Abwicklung liegen auf der Hand. Des Weiteren wäre eine mögliche Folge ein so genanntes „Race to the bottom“ unter den nationalen Gesetzgebern, um ein möglichst liberales Gesellschaftsrecht zu schaffen6. 1 Vgl. insbesondere K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 135; Dittrich/Haas in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.61 ff. 2 EuGH v. 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01, GmbHR 2003, 1260. Dazu z.B. Altmeppen, NJW 2004, 97; Eidenmüller, JZ 2004, 24; Ziemons, ZIP 2003, 1913. 3 Vgl. bspw. Spindler/Berner, RIW 2003, 949 (951). 4 Riedemann, GmbHR 2004, 345 ff. 5 Z.B. Zimmer, NJW 2003, 3585 (3589); Horn, NJW 2004, 893 (899); Borges, ZIP 2004, 733 (743); Müller, NZG 2003, 414 (416); Riedemann, GmbHR 2004, 345 (349); a.A. Altmeppen, NJW 2004, 97 (103); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207); Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353 (357). 6 Zum nun eröffneten Wettbewerb der Gesellschaftsrechte vgl. auch Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677 (682); Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1920).
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Ferner könnte die Umsetzung der IAS-Verordnung1 2005 (2007) mögliche Auswirkungen auf die Rechtsprechungsregeln mit sich bringen. Durch die Anwendung der IAS wird die Bemessung einer für die Anwendung der Rechtsprechungsregeln notwendigen Unterbilanz in Frage gestellt. Möglicherweise könnte diese Umstellung zur erschwerten Anwendung der Rechtsprechungsregeln führen, da die Vorschriften des GmbHG von einer nach den HGB-Grundsätzen aufgestellten Bilanz ausgehen. Allerdings ist das erklärte Ziel der Verordnung – die Transparenz der handelsrechtlichen Bilanzen – eher dazu geeignet, ein wahrheitsgetreues Bild der Eigenkapitallage der Gesellschaft abzugeben. Die nach ihren Grundsätzen erstellte Handelsbilanz dürfte sich somit ebenso zur Beurteilung der Haftung nach den Eigenkapitalersatzregeln eignen wie eine nach den HGB-Grundsätzen aufgestellten Bilanz. Zudem könnte der IAS-Grundsatz des „true and fair value“ dazu führen, dass eine Überschuldungslage für Außenstehende und die Gesellschaft früher erkennbar werden. Insgesamt sind somit keine besonders eingreifenden Auswirkungen der IAS-Verordnung auf das Eigenkapitalersatzrecht oder dessen Grundlage derzeit ersichtlich.
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4. Vorüberlegung für die Rechtspraxis Das Eigenkapitalersatzrecht ist sowohl für den Insolvenzverwalter als auch für den die Gesellschafter (bzw. die Gesellschaft) beratenden Rechtsanwalt von Bedeutung. Selbstverständlich gelten für beide Tätigkeiten die gleichen Grundsätze zur Beurteilung der Anwendung des Eigenkapitalersatzrechtes und dessen Rechtsfolgen. Allerdings unterscheiden sich die durch die Prüfung des Sachverhaltes verfolgten Ziele.
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Der Insolvenzverwalter bemüht sich um die Aufdeckung von eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen und deren mögliche Rückführung, um Ansprüche der insolventen Gesellschaft gegen die Gesellschafter durchzusetzen. Im Gegensatz hierzu wird der in der Gesellschafterberatung tätige Rechtsanwalt möglichst versuchen müssen, eigenkapitalersetzende Leistungen und deren Rechtsfolgen für die Gesellschafter zu vermeiden bzw. die notleidende Gesellschaft über zulässige Finanzierungsmöglichkeiten zur Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu informieren. In beiden Fällen sind genaue Kenntnisse der Voraussetzungen der eigenkapitalersetzenden Leistungen sowie der höchstrichterlichen Kasuistik (vgl. die Ausführungen zu den eingehenden Bereichen) zu solchen Gesellschafterleistungen unentbehrlich, um den Pflichten als Insolvenzverwalter oder Berater der Gesellschafter (Sanierungsberater) gerecht zu werden. a) Insolvenzverwaltung Für die Ermittlung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens stellt das Eigenkapitalersatzrecht einen wichtigen Ansatzpunkt für den Insolvenzver1 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des europäischen Parlaments und des Rates v. 19. 7. 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. L 243/1 v. 11. 9. 2002.
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walter dar. Trotz der oftmals im Verhältnis zur restlichen Insolvenzmasse verhältnismäßig großen finanziellen Anreize wird die Ermittlung einschlägiger Tatbestände in der Praxis jedoch mitunter vernachlässigt. Freilich ist einzuräumen, dass die Sachverhaltsaufklärung in diesem Bereich oftmals äußerst schwierig ist und die den Eigenkapitalersatzregeln unterfallenden Sachverhalte für den Insolvenzverwalter bisweilen kaum erkennbar sein können. Stellt der Insolvenzverwalter fest, dass die Gesellschafter der Gesellschaft Darlehen gewährt hatten, sollte er auf jeden Fall die Umstände einer etwaigen Rückzahlung der Darlehensverbindlichkeiten genau ermitteln. Kann der Insolvenzverwalter sodann darlegen und ggf. beweisen, dass die Voraussetzungen der Rechtsprechungs- bzw. Novellenregeln vorliegen, kann er Ansprüche der Gesellschaft im Insolvenzverfahren geltend machen bzw. im Falle der Anwendbarkeit der Novellenregeln die entsprechenden Rechtshandlungen anfechten.
! Hinweis: 21
Der Insolvenzverwalter trägt für das Vorliegen der Voraussetzungen der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistung weitgehend die Darlegungsund Beweislast. Sollten Ansprüche prozessual geltend gemacht werden, ist daher erforderlich, dass Belege für die einzelnen Voraussetzungen bereits während der Vorprüfung dieser Ansprüche berücksichtigt werden. Besonders praxisrelevant ist der Beweis der Kreditunwürdigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft (Krise), deren Nachweis sich in vielen Fällen nur schwerlich führen lässt.
! Hinweis: 22
Hinsichtlich des Sanierungs- bzw. Kleingesellschafterprivilegs (vgl. Rz. 75 ff.) kann sich der Insolvenzverwalter zunächst auf das Nichtvorhandensein einer solchen Privilegierung berufen. Allerdings sollte er bei konkreten Anhaltspunkten für eine solche Privilegierung eine gründliche Prüfung vornehmen, um das Prozessrisiko gering zu halten.
23
Hinsichtlich der Rechtsfolgen hat der Insolvenzverwalter zunächst festzustellen, ob diese Gesellschafterleistung von der Gesellschaft bereits zurückgewährt oder entschädigt wurde bzw. ob die weitere Belassung der Leistung zugunsten der Insolvenzmasse verlangt werden kann. Letzteres ist insbesondere für den Fall der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung von Bedeutung (s. Rz. 161). Im eröffneten Insolvenzverfahren wird Ansprüchen der Gesellschafter aus eigenkapitalersetzenden Leistungen lediglich Nachrang bei der Gläubigerbefriedigung eingeräumt (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Obwohl solche Maßnahmen die Masse entlasten und zu einer höheren Quote für die restlichen Gläubiger führen können, liegt die höhere Praxisrelevanz bei der Anfechtung bereits von der Gesellschaft getätigter Rückzahlungen bzw. eingeräumter Sicherungen.
24
Genauestens zu prüfen sind insbesondere Mietverhältnisse mit einem Gesellschafter, die häufig in der Krise „stehen gelassen“ werden, so dass der Gesellschaft Ansprüche aus der Anfechtung der in der Krise gezahlten Mietzinsen sowie auf weitere unentgeltliche Nutzungsüberlassung zustehen. Durch die Ver266
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wertung dieses Nutzungsrechtes können der Insolvenzmasse zusätzliche finanzielle Mittel zugeführt werden (zur grds. Behandlung von Mietverhältnissen in der Insolvenz vgl. § 8 Rz. 174 ff.). Bereits durch diese kurze Zusammenfassung der der Insolvenzmasse günstigen Rechtsfolgen im Rahmen der facettenreichen Eigenkapitalersatzkomplexe wird ersichtlich, dass dem Insolvenzverwalter die Pflicht obliegt, sämtliche wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen den Gesellschaftern und der insolventen Gesellschaft eingehend zu durchleuchten. Dass man bei dieser Aufklärung auf erhebliche Widerstände stoßen kann, liegt auf der Hand. b) Gesellschafterberatung In der Praxis nimmt die Beratung von (potentiellen) Gesellschaftern und diesen im Sinne des Eigenkapitalersatzrechtes gleichgestellten Personen ebenfalls einen wichtigen Platz ein. Der rapide Anstieg der Insolvenzfälle in den letzten Jahren zeigt den ständig zunehmenden Bedarf an zuverlässiger rechtlicher Beratung in der Krise der Gesellschaft. Insbesondere der Sanierungsberater ist hinsichtlich der Regeln des Eigenkapitalersatzes gefordert, seine Mandanten über die möglichen Folgen eines weiteren finanziellen Engagements bei der notleidenden Gesellschaft aufzuklären, zumal hiermit vielfach auch ein hohes Haftungsrisiko des in diesem Bereich des Gesellschaftsrechts beratenden Rechtsanwaltes verbunden ist. Deswegen empfiehlt sich für ihn eine genaue Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Eigenkapitalersatzrechtes.
25
Für den beratenden Rechtsanwalt stellen sich dabei in der Praxis Fragen des Eigenkapitalersatzrechtes hauptsächlich in zwei Konstellationen: –
Der Gesellschafter möchte der Gesellschaft eine – möglicherweise eigenkapitalersetzende – Leistung gewähren.
–
Ein Gesellschafter oder ein ihm gleichzusetzender Dritte hat Leistungen an die Gesellschaft bereits gewährt, die möglicherweise eigenkapitalersetzend sein könnten.
! Hinweis: In der gesellschaftsrechtlichen Beratung ist besondere Sorgfalt geboten, da eigenkapitalersetzende Leistungen in komplexeren Transaktionen wie Umstrukturierungen oder einem gruppeninternen Unternehmenskauf unbeabsichtigt enthalten sein können.
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aa) Beratung im Vorfeld einer Gesellschafterleistung Diese Beratungssituation bildet die wohl wichtigste und zugleich haftungsträchtigste für den beratenden Rechtsanwalt. Ziel der Beratung sollte es sein, kapitalersetzende Leistungen durch den Gesellschafter zu vermeiden. Daher muss sich der beratende Rechtsanwalt insbesondere mit den unzulässigen Umgehungsmöglichkeiten der Einstufung der Leistungen als Eigenkapitalersatz beschäftigen. In der Konsequenz kann der Gesellschafter lediglich frisches Eigenkapital oder das Kapital eines „echten“ Dritten zuführen, um eine Qualifizierung der Leistung als eigenkapitalersetzend zu vermeiden. Undritz
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Das Risiko einer (späteren) Einordnung einer Gesellschafterleistung als Eigenkapitalersatz ist aufgrund der Möglichkeit des Stehenlassens einer Leistung auch nicht unbedingt bereits im Zeitpunkt der Gewährung der Leistung zu erkennen. Daher ist eine zusätzliche Aufklärung der Gesellschafter über die Folgen eines Stehenlassens bereits bei der Gewährung von Gesellschafterleistungen an eine finanziell gesunde Gesellschaft vorzunehmen. Sollte die Gesellschaft bereits notleidend sein, ist es ratsam, den Geschäftsführer zur Beratung hinzuzuziehen, da die Gewährung zusätzlicher finanzieller Mittel unter gewissen Umständen eine bereits vorhandene Überschuldung der Gesellschaft nicht beheben kann (vgl. zur Passivierungspflicht für eigenkapitalersetzende Darlehen Rz. 248). Dies kann zur Folge haben, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG trotz Zufuhr von Mitteln aus eigenkapitalersetzenden Darlehen nicht erlischt (zur Insolvenzantragspflicht § 2 Rz. 11 ff.). Ein zusätzliches Risiko besteht darin, dass der Anwendungsbereich der Regeln über den Eigenkapitalersatz von der Rechtsprechung stets fortentwickelt worden ist und ein Ende der Weiterentwicklung dieser Kasuistik nicht absehbar ist.
! Hinweis: 28
Sämtliche Umgehungsversuche wurden und werden von der Rechtsprechung sehr kritisch betrachtet. Eine abschließende Gewährleistung für die Vermeidung der Einstufung einer Gesellschafterleistung bzw. einer Leistung der Gesellschaft nahe stehender Personen als Eigenkapitalersatz sollte vom beratenden Rechtsanwalt angesichts der dynamischen Entwicklung der Rechtsprechung nur mit der gebotenen Vorsicht übernommen werden.
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Um die stets vorhandenen Risiken qualifiziert einschätzen zu können, sind Kenntnisse bereits entschiedener Einstufungen des BGH (vgl. unten die speziellen Ausführungen zur jeweiligen Voraussetzung) sowie der allgemeinen Grundsätze (Rz. 119 ff.) und der gesetzlichen Privilegierungstatbestände (Rz. 75 ff.) unbedingt notwendig.
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Sollten sich die Gesellschafter einer notleidenden Gesellschaft trotz Kenntnis der damit verbundenen Rechtsfolgen für die Gewährung einer als Eigenkapitalersatz einzustufenden Leistung entscheiden, sollte der beratende Rechtsanwalt darauf hinweisen, dass sich praktische Probleme für die Gesellschafter regelmäßig erst ergeben, wenn die Krise nicht überwunden und gegebenenfalls ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Soweit die Zurückgewährung dieser Darlehen nicht zu einer Unterbilanz bei der Gesellschaft führt oder eine solche vertieft, kann die Gesellschaft eine Erstattung der Rückzahlung nicht verlangen. Lediglich eine Auszahlung im Jahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann zu einer Anfechtung dieser Rechtshandlung durch den Insolvenzverwalter führen. Daher soll der beratende Rechtsanwalt darauf hinweisen, dass sowohl die Überwindung der Krise als auch die Erhaltung des Stammkapitals zum Zeitpunkt einer Rückzahlung an die Gesellschafter belegbar sein sollten.
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Rz. 32
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! Hinweis: Der Rechtsanwalt sollte stets auf die Anfechtungsfristen im eröffneten Insolvenzverfahren hinweisen. Nach der Neuregelung des § 146 Abs. 1 InsO durch Gesetz vom 9. 12. 20041 kann der Insolvenzverwalter nicht mehr wie bisher innerhalb von zwei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechtshandlungen anfechten, sondern nunmehr innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist des BGB (§§ 194 ff. BGB), grundsätzlich also innerhalb von drei Jahren (§ 195 BGB). Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Verfahrenseröffnung) und der Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners bzw. Anfechtungsgegners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen können (§ 199 Abs. 1 BGB). Der Insolvenzverwalter muss sich insoweit die Kenntnis des Schuldners zurechnen lassen, zumal es sich bei dem Übergang der Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter um einen Fall der Rechtsnachfolge handelt2. Aus der Übergangsregelung des Art. 229 § 12 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Art. 229 § 6 EGBGB ergibt sich, dass grundsätzlich die neue Verjährungsfrist auf die am 15. 12. 2004 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung finden, wobei jedoch der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung sich für den Zeitraum vor dem 15. 12. 2004 nach dem bis dahin geltenden Recht richten. Da die vor dem 15. 12. 2004 geltende zweijährige Verjährungsfrist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens kürzer ist als die neue regelmäßige Verjährungsfrist, bleibt es wegen Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB für die Übergangsfälle bei der bisherigen Frist. Der Insolvenzverwalter kann solche Rechtshandlungen anfechten, die im Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Befriedigung einer Forderung aus einer eigenkapitalersetzenden Leistung gewährt haben, § 135 Nr. 2 InsO (zur Anfechtungsfrist des § 146 InsO vgl. § 10 Rz. 362 ff.). Er ist ferner berechtigt, Handlungen aus den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anzufechten, die dem Gesellschafter eine Sicherung für eine Forderung aus eigenkapitalersetzender Leistung gewährt hatten (§ 135 Nr. 1 InsO). Selbstverständlich sind auch solche Handlungen anfechtbar, die nach dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden (§ 135 InsO). Entsprechendes gilt für die Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens, berechnet ab dem Zeitpunkt der Anfechtung (§ 6 AnfG).
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! Hinweis: Sofern Gesellschafter Leistungen an die Gesellschaft erbringen, können sich die Gesellschafter diese selbstverständlich vergüten lassen, soweit die Auszahlung dieser Vergütung nicht zu einer Unterbilanz führt oder in der Krise vorgenommen wird bzw. die Krise bereits überwunden wurde. Dies bildet auch den Regelfall in der Praxis. 1 Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, BGBl. I, 2004, S. 3214, mit Wirkung v. 15. 12. 2004. 2 Rogge in Schmidt, Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 2006, § 146 Rz. 3.
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Rz. 33
Eigenkapitalersatzrecht
bb) Beratung bei bereits gewährten Leistungen 33
Ist eine eigenkapitalersetzende Leistung vom Gesellschafter bereits gewährt worden, ist für die Beratung des Mandanten maßgebend, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Soweit ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet wurde, ist der Gesellschafter verpflichtet, die Leistung weiterhin stehen zu lassen. Etwaige Forderungen aus Darlehen können lediglich als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Wurden den Gesellschaftern diese Leistungen bereits zurückgewährt, können sie möglicherweise aufgrund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters zur Erstattung des ausgezahlten Betrages verpflichtet sein.
! Hinweis: 34
Den Insolvenzverwalter trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruches. Soweit zweifelhaft ist, ob die Leistung in der Krise gewährt wurde, besteht keine Pflicht des Gesellschafters, den Beweis des Nichtvorhandenseins einer Krise anzutreten. Allerdings besteht aufgrund einer für beide Parteien oft schwierigen Beweisführung bei divergierenden Rechtsauffassungen Vergleichspotential. Die weiteren Rechtsfolgen einzelner eigenkapitalersetzender Leistungen werden in den jeweiligen Teilabschnitten behandelt. Außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten lediglich die Rechtsprechungsregeln. Danach kann der Gesellschafter die Zurückgewährung einer Leistung, welche eine Unterbilanz oder eine Überschuldung abdeckt, nicht verlangen (§ 30 GmbHG analog). Sollte dem Gesellschafter diese Leistung trotzdem erstattet werden, steht der Gesellschaft ein Anspruch auf Zurückgewährung zu, selbst wenn die Unterbilanz zu einem späteren Zeitpunkt behoben werden sollte (vgl. „Procedo-Urteil“, vgl. Rz. 269). Auch in diesem Beratungskomplex bleibt die Aufklärung des Mandanten über die möglichen Rechtsfolgen nicht zuletzt auch zur Vermeidung eigener Haftungsrisiken eine zentrale Pflicht des beratenden Rechtsanwalts. c) Checkliste: Rechtspraxis Checkliste: Rechtspraxis
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1.
Insolvenzverwalter –
Bestehen rechtliche oder wirtschaftliche Schuldverhältnisse zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft, die sich nicht in der Erbringung des Stammkapitals erschöpfen? Könnten Leistungen des Gesellschafters aus diesen Schuldverhältnissen eigenkapitalersetzend sein (vgl. Checkliste: Voraussetzungen, Rz. 12, 141, 178, 199)? Wurden Leistungen zurückgewährt, obwohl eine Krise zu diesem Zeitpunkt vorlag?
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
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– 2.
Rz. 36
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Kann die Erstattung von Rückzahlungen bzw. das Stehenlassen der Leistungen vom Gesellschafter verlangt werden (vgl. Rechtsfolgen, Rz. 302)? Sind die Voraussetzungen anhand der zur Verfügung stehenden Unterlagen zu beweisen?
Beratender Rechtsanwalt – Haben Gesellschafter bereits andere Leistungen als die Einzahlung des Stammkapitals an die Gesellschaft erbracht? Könnten diese eigenkapitalersetzend sein (vgl. Checkliste: Voraussetzungen, Rz. 141, 178, 199)? • Falls der Gesellschafter noch keine Leistung an die Gesellschaft erbracht hat: – Bestehen weitere Finanzierungsmöglichkeiten in der Krise, die nicht eigenkapitalersetzend wären? –
•
Fand eine Aufklärung der Gesellschafter über die mögliche Einstufung von stehen gelassenen Leistungen als eigenkapitalersetzend beim späteren Eintritt der Krise statt?
Falls der Gesellschafter Leistungen bereits erbracht hat: –
Im Insolvenzverfahren sind Forderungen des Gesellschafters aus eigenkapitalersetzenden Leistungen nachrangig (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) und Rückzahlungen zurückzugewähren (vgl. Rechtsfolgen, Rz. 286 ff.).
–
Außerhalb des Insolvenzverfahrens sollten Leistungen nur dann zurückgewährt werden, wenn sie nicht zur Abdeckung einer Unterbilanz notwendig sind und die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der wirtschaftlichen Erholung der Gesellschaft vermeidbar erscheint.
–
Achtung: Die eine Nutzungsüberlassung (Rz. 142 ff.) begründenden Schuldverhältnisse zwischen Gesellschafter und Gesellschaft müssen sofort nach Eintritt der Krise gekündigt oder die Liquidation der Gesellschaft eingeleitet werden, sollen diese Leistungen nicht als eigenkapitalersetzend behandelt werden.
II. Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts Sowohl die Rechtsprechungs- als auch die Novellenregeln setzen eine Leistung aus Gesellschafterhand voraus. Notwendige Voraussetzung der Gesellschafterstellung ist zunächst das Bestehen der Gesellschaft selbst. Insofern setzt der persönliche Anwendungsbereich dieser Regeln zweierlei voraus: eine Gesellschaft, an die eine eigenkapitalersetzende Leistung erbracht werden kann, sowie das Innehaben einer Gesellschafter- oder gesellschafterähnlichen Stellung (zur Insolvenzfähigkeit von Gesellschaften vgl. § 6 Rz. 30 ff.).
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Rz. 37
Eigenkapitalersatzrecht
1. Gesellschaften 37
Ausgangspunkt der Regeln über den Eigenkapitalersatz sind die Bestimmungen des GmbH-Rechts. Insbesondere der Rechtsgedanke der §§ 30, 31 GmbHG fand auf Darlehenssicherungen an die Gesellschafter entsprechende Anwendung, um das Stammkapital vor gläubigerschädigenden Entscheidungen der die Geschicke der Gesellschaft bestimmenden Gesellschafter zu schützen. Hieraus können zwei Erkenntnisse gewonnen werden. Zunächst werden Kapitalgesellschaften von den Eigenkapitalersatzregeln erfasst. Aufgrund der spezifischen Entwicklung dieser Regeln im Bereich des GmbH-Rechts muss jedoch der Adressatenkreis hinsichtlich der Aktionäre einer AG notwendigerweise eingeschränkt werden. Zum anderen wird deutlich, dass Personengesellschaften in den Anwendungsbereich dieser Regeln nur einbezogen werden können, soweit diese „kapitalisiert“ sind. Dennoch bestehen in der juristischen Literatur weiter gehende Überlegungen hinsichtlich der Personengesellschaften1, die im Folgenden ebenfalls kurz erörtert werden.
! Hinweis: Etwaige Leistungen der Gesellschafter an das insolvente Unternehmen bzw. des Unternehmens an die Gesellschafter sollten auf jeden Fall und bei jeder Gesellschaftsform sorgfältig geprüft werden. Seit einigen Jahren finden die Ausführungen Karsten Schmidts zur Erweiterung des Anwendungsbereichs auf gesetzestypische Personengesellschaften weiteren Anklang in der übrigen juristischen Literatur. Ob der mit der mangelnden Rechtsprechung in diesem Bereich zusammenhängenden rechtlichen Ungewissheit bieten sich dem Insolvenzverwalter solche Sachverhalte als „Verhandlungsmasse“ an.
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a) GmbH 39
Der BGH hat die so genannten Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz zunächst im Hinblick auf die GmbH entwickelt2. Entsprechend wurden die Novellenregeln auf die GmbH ausgerichtet, wenngleich auch Verweise im Recht der KG bzw. der oHG auf diese Bestimmungen Bezug nehmen. Insofern finden die Regeln zum Eigenkapitalersatz auf die Leistung eines GmbH-Gesellschafters an die GmbH stets Anwendung, soweit Privilegierungstatbestände nicht vorliegen. b) Erweiterter Anwendungsbereich
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In der Rechtspraxis haben sich im Laufe der Zeit immer wieder Fälle ergeben, in denen sich ähnliche Fragen in Bezug auf andere Gesellschaftsformen gestellt haben. In der Konsequenz haben die rechtsfortbildende Rechtssprechung und der historische Gesetzgeber aufgrund des Rechtsgedankens der Kapitalerhal1 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 531 ff. 2 BGH v. 14. 12. 1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258 ff.
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 42
§4
tung die Möglichkeit der Anwendung von Eigenkapitalersatzregeln auf andere Gesellschaftsformen bejaht. Dennoch werden in der Rechtspraxis nach wie vor Unterschiede zwischen Kapitalgesellschaften, typischen Personengesellschaften und kapitalisierten Personengesellschaften deutlich. aa) Die Aktiengesellschaft Im Gegensatz zu § 30 GmbHG enthalten die §§ 57 ff. AktG ein strengeres Kapitalerhaltungsrecht, das eine Rückgewähr der Aktionärseinlagen grundsätzlich verbietet. Daher wurde auch von der Rechtsprechung zunächst angenommen, dass eine Anwendung der Grundsätze über eigenkapitalersetzende Leistungen bei der AG nicht geboten wäre1. Dieser Einschätzung hat sich der BGH jedoch später nicht angeschlossen, soweit Aktionäre entgegen ihrer Finanzierungsverantwortung den Finanzierungsbedarf der Aktiengesellschaft mit Fremdkapital in Form von Gesellschafterleistungen decken2.
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Allerdings müssen bei der Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz die strukturellen Unterschiede zwischen einer GmbH und einer AG Berücksichtigung finden. §§ 24 Abs. 1, 31 Abs. 3 GmbHG zeigen, dass – sieht man einmal von Kleingesellschafter- und Sanierungsprivileg ab – jeder Gesellschafter einer GmbH eine Finanzierungs(folgen)verantwortung für die Gesellschaft trägt3. Insofern besitzt auch grundsätzlich jeder Gesellschafter einer GmbH eine unternehmerische Beteiligung an „seiner“ Gesellschaft. In diesem Zusammenhang hebt das Gericht in seiner Grundsatzentscheidung hervor, dass die Stellung eines Aktionärs dem eines Gesellschafters einer GmbH nur unter gewissen Umständen gleichgesetzt werden kann4. Anhand dieses Merkmals der unternehmerischen Beteiligung ist auch die Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln auf einzelne Aktionäre einer AG zu ermitteln. Erst ab einem gewissen Beteiligungsgrad kann die unternehmerische Verantwortung auch die Kapitalausstattung einschließen. Dies setzt ein Mindestmaß an Einfluss voraus, der aufgrund der Möglichkeiten der Einflussnahme auf eine Aktiengesellschaft erst durch einen größeren Aktienbesitz vermittelt werden kann5. Daher wird nach Ansicht des BGH eine Aktionärsleistung an die Aktiengesellschaft erst dann als Eigenkapitalersatz eingestuft werden können, wenn der Aktionär über eine solche Beteiligung verfügt, die ihm eine Sperrminorität oder ähnliche Rechte sichert6. Insofern wird von der Rechtsprechung eine für die Umqualifizierung einer Aktionärsleistung erforderliche Beteiligung angenommen, wenn der Aktionär einen Aktienbesitz von mehr als 25% des Grundkapitals hält. Dies gilt nach dem BGH auch dann, wenn die Satzung der Gesell1 OLG Düsseldorf v. 30. 6. 1983 – 6 U 120/81, ZIP 1983, 786 (788). 2 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (385 ff.) – sog. „BuM“-Entscheidung. 3 Bayer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 11.13; zu Kleingesellschafter- und Sanierungsprivileg vgl. in diesem Text Rz. 75 ff. 4 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (387). 5 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (390). 6 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (390); BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1317).
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42
§4
Rz. 43
Eigenkapitalersatzrecht
schaft eine Dreiviertelmehrheit nur in den gesetzlich zwingend bestimmten Fällen vorschreibt1. Zu diesem Ergebnis gelangt auch das überwiegende Schrifttum2. Das Schrifttum geht jedoch davon aus, dass nicht allein der Beteiligungsgrad für die Beurteilung der unternehmerischen Beteiligung eines Aktionärs maßgebend ist3; ein Aktienbesitz von mehr als 25% stelle lediglich eine Vermutung für die erforderliche unternehmerische Beteiligung dar4. 43
In dieser Hinsicht ist allerdings zu bedenken, dass der BGH bereits entschieden hat, eine Beteiligung unterhalb der 25%-Grenze könne auch dann zu einer Umqualifizierung einer Aktionärsleistung in Eigenkapital führen, wenn der die Leistung gewährende Aktionär aufgrund der gesamten Umstände ein unternehmerisches Interesse, insbesondere durch die Sicherung eines Einflusses auf die Unternehmensleitung, erkennen lässt bzw. bekundet hat5. Als Kriterien für das Vorliegen besonderer Umstände, die in Verbindung mit einem nicht unbeträchtlichen Aktienbesitz (vom BGH in seiner Grundsatzentscheidung bei einem Aktienbesitz von mindestens 20% angenommen6) zu einem solchen unternehmerischen Interesse führen können, kämen hierbei in Betracht: –
Der Aktionär gibt eine Patronatserklärung ab7;
–
dem Aktionär stehen umfassende Informationsrechte zu8;
–
ein Konsortialvertrag verleiht dem Aktionär einen größeren unternehmerischen Einfluss als sein Stimmrecht aus dem eigentlichen Aktienbesitz9;
–
mehrere Aktionäre beteiligen sich an einer koordinierten Kreditvergabe (auch im Rahmen eines Konsortialvertrags)10 oder an einem koordinierten Stehenlassen in der Krise11; oder
1 BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1317). 2 Bayer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 11.7 m.w.N. 3 Junker, ZHR 156 (1992), 394 (403 ff.); Habersack, ZHR 162 (1998), 201 (216 ff.); noch weiter gehend, indem allein auf Möglichkeit der Kenntnisnahme abgestellt wird: Veil, ZGR 2000, 223 (236 ff.). 4 Ob die Vermutung unwiderlegbar ist, ist strittig: Bayer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 11.7 m.w.N. 5 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (392); BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1317). 6 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (391 f.). 7 Bayer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 11.18. 8 Veil, ZGR 2000, 223 (242 f.). 9 Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 57 Rz. 18; im Grundsatz auch BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1317), jedoch mit dem Hinweis, dass die Beteiligung der Aktionäre wohl insgesamt 25% übersteigen müsse. 10 Bayer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 11.20. 11 BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1318), im Ergebnis aber offen gelassen.
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
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Rz. 44
§4
der Aktionär besitzt einen gesellschaftsrechtlich fundierten Einfluss aufgrund einer konzernrechtlichen Verflechtung1, etwa aufgrund personeller Verflechtung und darauf beruhenden Abhängigkeitsverhältnisses gem. § 17 Abs. 1 AktG2.
Als weiteres Indiz für ein unternehmerisches Interesse wurde von der Literatur bisher insbesondere auch angesehen, dass der Aktionär selbst im Vorstand oder Aufsichtsrat tätig ist, wobei der Vorsitz in dem jeweiligen Gremium zusätzlich zu berücksichtigen sei3. Unter Umständen könne insoweit auch schon das Recht ausreichen, eines oder mehrere Mitglieder in dieses Gremium zu entsenden. Der BGH hat jedoch im Jahre 2005 entschieden, dass bei einem Zusammentreffen von Vorstands- oder Aufsichtsratsamt – und sei es auch als Vorsitzender – und einem Aktienbesitz von 10% allein keine Vermutung für eine der Sperrminorität vergleichbare Einflussmöglichkeit bestehe4. Insbesondere verweist das Gericht darauf, dass es praktisch die Regel sei, dass Organmitglieder Aktien „ihrer“ Gesellschaft hielten. Folglich könne dies allein ihre Gesellschaftsbeteiligung nicht zu einer „unternehmerischen“ Beteiligung machen, die eine Umqualifizierung rechtfertige. Daneben stellt der BGH klar, dass die grundsätzliche Schwelle von 25% auch dann Anwendung findet, wenn es sich um eine sog. kleine Aktiengesellschaft handelt. Eine rechtformunabhängige Differenzierung je nach der „personalistischen“ oder „kapitalistischen“ Struktur der betreffenden Aktiengesellschaft oder nach dem Motiv der Beteiligung sei vom Gesetz nicht vorgesehen und wäre auch der Rechtsicherheit abträglich5. In der Literatur wird demgegenüber als Indiz die oft „familiäre“ Struktur der kleinen AG hervorgehoben, in der regelmäßig jeder Aktionär ein unternehmerisches Interesse haben werde6. Aus der Vielfalt der Sachverhalte erscheint die Annahme einer Vermutung bei einem Aktienbesitz in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Grundkapitals nicht sachgerecht. Vielmehr sollte dem zweiten Ansatz des BGH, Einzelfallentscheidungen aufgrund einer Gesamtbetrachtung zu treffen, gefolgt werden7. 1 BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1317). 2 LG Freiburg v. 25. 4. 2006 – 1 O 122/05, GmbHR2006, 704 (706). 3 Junker, ZHR 156 (1992), 394 (404); Bayer in MünchKomm, AktG, Band 2, 2. Aufl. 2003, § 57 Rz. 177, 184 hingegen sei für institutionelle Kreditgeber die Ausübung eines einfachen Aufsichtsratsmandats – im Gegensatz zum Vorsitz – in der Regel kein hinreichender Ausdruck einer unternehmerischen Betätigung als Aktionär. 4 BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1317) unter Hinweis darauf, dass allein die innergesellschaftliche Verantwortung für eine seriöse Kapitalausstattung maßgebend sei und nicht die Geschäfts- oder Vertretungsbefugnis; ähnlich bereits BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (391 f.), weil dort die Bank durch das Stellen von Aufsichtsratsmitgliedern lediglich eigene Interesse vertrete; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 57 Rz. 18; kritisch: Tillmann, DstR 2005, 2128 (2130 f.). 5 BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1317); zustimmend: Tillmann, DstR 2005, 2128 (2129 f.). 6 Habersack, ZHR 162 (1998), 201 (220); Bayer in MünchKomm, AktG, Band 2, 2. Aufl. 2003, § 57 Rz. 181. 7 Trotz Berufung auf die Leitentscheidung des BGH: OLG Düsseldorf v. 26. 4. 1990 – 10 U 75/89, AG 1991, 401 (402).
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§4
Rz. 45
Eigenkapitalersatzrecht
! Hinweis: 45
Es bestehen gute Gründe für die Anwendung der GmbH-Eigenkapitalersatzgrundsätze auf Aktiengesellschaften auch unterhalb des 20- bzw. 25%-Schwellenwerts, insbesondere bei Vorliegen weiterer Indizien1. Viele Stimmen in der juristischen Literatur plädieren für eine Finanzierungsfolgenverantwortung für Aktionäre mit einer Beteiligung ab 10%. Nachdem der BGH seine bisherige Rechtsprechung jedoch im Wesentlichen aufrechterhalten hat, sollte Ausgangspunkt jeglicher Prüfung eines Sachverhaltes die vom BGH aufgestellte 25% Grenze sein.
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Problematisch ist auch die Behandlung eigenkapitalersetzender Leistungen im eröffneten Insolvenzverfahren. Einigkeit herrscht über die Anwendbarkeit der Rechtsprechungsregeln sowohl in- als auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Es ist insoweit klar, dass eine Rückzahlungssperre gemäß § 57 AktG besteht. Ferner kann der Insolvenzverwalter den Erstattungsanspruch der Gesellschaft aus § 62 AktG geltend machen.
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Von der Rechtsprechung bislang offen gelassen wurde dagegen die Frage nach der Anwendbarkeit der Novellenregeln auf einschlägige Sachverhalte. In der Literatur wird vertreten, dass die Novellenregeln nicht auf eigenkapitalersetzende Aktionärsleistungen anwendbar und in diesem Zusammenhang gar überflüssig seien2. Dies ergebe sich insbesondere aus der unmittelbaren Anwendbarkeit der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO auf eigenkapitalersetzende Aktionärsleistungen3. Dem kann so nicht zugestimmt werden. Seitdem die Novellenregeln eingeführt wurden, besteht eine zweispurige Eigenkapitaldogmatik, die auch durch die Einführung der InsO nicht abgeschafft wurde. Vielmehr sprach sich der Gesetzgeber für eine Beibehaltung dieses Systems und seiner Anwendung auf von der Rechtsprechung anerkannte Fälle des Eigenkapitalersatzes, mithin auch bei der Aktiengesellschaft, aus4. Es ist daher nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Anwendbarkeit der Novellenregeln auf Aktionärsleistungen ausgeschlossen werden sollte. Bei einer Ablehnung der Anwendbarkeit der Novellenregeln auf die Aktiengesellschaft wäre nicht auszuschließen, dass es zu einer „Flucht in die Aktiengesellschaft“ kommt.
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Zudem wären nach dieser Ansicht die so genannten Gesellschaftersicherheiten im Sinne des § 32b GmbHG nicht anfechtbar5. Sollten die §§ 32a/b GmbHG bei Aktionärsleistungen nicht anwendbar sein, könnten Aktionäre, die ein unternehmerisches Interesse an der Gesellschaft haben, Drittkredite lediglich besichern, ohne die Konsequenzen aus dieser vom Gesetzgeber als eigenkapitalersetzend bewerteten Leistung (vgl. Rz. 179 ff.) befürchten zu müssen. Dies wäre nicht sachgerecht und ist daher abzulehnen. 1 2 3 4 5
Habersack, ZHR 162 (1998), 201 (220 f.) für die „kleine“ Aktiengesellschaft. Statt vieler: Henze, Großkommentar zum AktG, 4. Aufl. 2002, § 57 Rz. 232 m.w.N. Henze, Großkommentar zum AktG, 4. Aufl. 2002, § 57 Rz. 233 f. Veil, ZGR 2000, 223 (254). Ob man diese Vorschrift mit der h.M. als Anfechtungs- oder als Rückgewährtatbestand einordnet, ist vorliegend nicht entscheidend, da dieser Tatbestand vom Gesetzgeber eigenständig normiert wurde.
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 50
§4
Weiterhin unterscheidet sich der Umfang der Kapitalersatzbindung in der Anwendung der Rechtsprechungs- und Novellenregeln. Nach den Novellenregeln würde der Aktionär für die Rückzahlung in voller Höhe haften. Demgegenüber wird im Anwendungsbereich der §§ 57, 62 AktG – d.h. im Bereich der Rechtsprechungsregeln – eine Aktionärsleistung lediglich in der Höhe des gebundenen Vermögens in Eigenkapital umqualifiziert. Das gebundene Vermögen im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts besteht jedoch nach wohl h.M. allein aus dem Grundkapital zuzüglich der gesetzlichen Rücklage1. Daher dürfen hiernach lediglich Gelder, die hypothetisch als Bilanzgewinn hätten ausgewiesen werden können, zur Rückzahlung einer Aktionärsleistung ausgekehrt werden, da über diese Ziffer hinausgehende Beträge mit Eigenkapital abgedeckt werden müssten.
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Beispiel2: Bei einer AG mit einem Grundkapital von 2 000 000 Euro wird ein eigenkapitalersetzendes Darlehen in Höhe von 4 000 000 Euro zurückgezahlt, obwohl der Bilanzverlust/Jahresfehlbetrag danach 1 000 000 Euro beträgt und das Grundkapital um 1 000 000 Euro auf 1 000 000 Euro verringert wird (Unterbilanz, s. auch Schaubild unter Rz. 8). In Höhe von 1 000 000 Euro wäre dieses Darlehen als Eigenkapital gebunden und somit an die Gesellschaft zurückzuführen. Der restliche Betrag (3 000 000 Euro) hätte als Gewinn ausgezahlt werden können. In dieser Höhe wäre die Auszahlung somit rechtmäßig.
Auch in dieser Hinsicht ist kein Grund ersichtlich, den Aktionär, den die Finanzierungsfolgenverantwortung trifft, anders als einen GmbH-Gesellschafter zu behandeln. Der Aktionär sollte in der Insolvenz der Gesellschaft für die Darlehensrückzahlung in voller Höhe haften. Insofern ist davon auszugehen, dass die Novellenregeln auch für Aktionärsleistungen gelten.
! Hinweis: Auch für die Aktiengesellschaft ist nach überwiegender Ansicht das in § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG enthaltene Sanierungsprivileg entsprechend anzuwenden, zumal sich diesbezüglich keine aus der Rechtsnatur der AG ergebenden Besonderheiten begründen lassen, die eine Ausnahme bzw. Einschränkung rechtfertigen3. Für die Kommanditaktionäre einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) finden diese Grundsätze – aufgrund des unternehmerischen Interesses und des damit zumeist verbundenen Einflusses – in der Regel ebenfalls Anwendung. Insbesondere dürfte dies bereits häufig bei einer Beteiligung unterhalb der 25% Grenze gelten, zumal der unternehmerische Einfluss vielfach dadurch erkennbar wird und sich nachweisen lässt, dass dem Kommanditisten aufgrund ab1 Drinhausen in Heidel, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 57 Rz. 24; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 57 Rz. 19; Bayer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 11.38 m.w.N. Nach anderen Ansichten ist hierbei entweder nur auf das Grundkapital oder aber auf das Gesamtvermögen bis auf den Bilanzgewinn abzustellen. 2 Nach Lutter, Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. 1988, § 57 Rz. 94. 3 Bayer in MünchKomm, AktG, 2. Aufl. Band 2, 2003, § 57 Rz. 188; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 57 Rz. 18a; Drinhausen in Heidel, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 57 Rz. 25; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2006, § 93 Rz. 34.
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§4
Rz. 51
Eigenkapitalersatzrecht
weichender Satzungsregelungen konkrete Mitwirkungsrechte zugebilligt werden1. bb) Die GmbH (AG) & Co. KG 51
Bei einer GmbH & Co. KG wird die persönlich haftende natürliche Person durch die in Höhe des Stammkapitals begrenzt haftende GmbH ersetzt. Da von der Rechtsform der GmbH Gebrauch gemacht wird, müssen die für den Schutz des den Gläubigern haftenden Gesellschaftsvermögens geltenden Regeln des GmbH-Rechts auch für die GmbH & Co. KG anwendbar sein, soweit das Stammkapital der Komplementär-GmbH angegriffen wird.
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Dies wurde vom BGH nach Entwicklung der Rechtsprechungsregeln auch bereits im Jahre 1973 anerkannt und in der nachfolgenden höchstrichterlichen Rechtsprechung weiterentwickelt2. Soweit eine kapitalersetzende Leistung der Gesellschafter vorliegt, greifen die Rechtsprechungsregeln im Falle der GmbH & Co. KG nur dann ein, wenn Leistungen an einen Kommanditisten aus dem Vermögen der KG zugleich das Stammkapital der GmbH angreifen (würden). Senkt die Leistung der KG den Wert der Komplementärbeteiligung unter den Nennwert des Stammkapitals einer ansonsten vermögenslosen GmbH, wird das Stammkapital angegriffen. Dies gilt auch, wenn die Leistung an den Kommanditisten eine Überschuldung der KG herbeiführt oder eine bereits bestehende Überschuldung vertieft. Wenn der Freistellungsanspruch der Komplementär-GmbH (§§ 161 Abs. 2, 110 HGB) gegen die KG aufgrund deren Überschuldung nicht mehr werthaltig ist, vertieft die Leistung an den Kommanditisten nicht nur die Überschuldung der KG, sondern greift auch das Stammkapital der GmbH an, da der durch die Leistung (Zahlung) entstehende Passivposten bei der GmbH nicht mehr ausgeglichen werden kann3.
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Aufgrund der Verweisung in § 172a HGB gelten auch die Novellenregeln für die Kommanditgesellschaft ohne persönlich haftende natürliche Person. Diese Regeln finden aber dann keine Anwendung, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine Kommanditgesellschaft oder offene Handelsgesellschaft gehört, bei welcher ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (§ 172a Satz 2 HGB).
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Auch der Nur-Kommanditist, der nicht gleichzeitig Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist, haftet nach den Rechtsprechungs- und Novellenregeln. Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung hierzu ausgeführt, dass die Entscheidung der Gesellschafter, die Kommanditgesellschaft unter Einbeziehung einer lediglich begrenzt haftenden Komplementärin (GmbH) zu gründen, die Pflicht 1 Bayer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 10.39 f. 2 BGH v. 29. 3. 1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324 (328 ff.); BGH v. 27. 9. 1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171 (174 ff.); BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (329 ff.); BGH v. 20. 9. 1993 – II ZR 154/92, BGHZ 123, 289 (294 ff.); BGH v. 6. 7. 1998 – II ZR 284/94, ZIP 1998, 1437 (1438). 3 BGH v. 27. 3. 1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736 (737); BGH v. 6. 7. 1998 – II ZR 284/94, ZIP 1998, 1437 (1438).
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 59
§4
zur Beachtung der Regeln über die Kapitalerhaltung und den Eigenkapitalersatz für sämtliche Gesellschafter begründet1.
! Hinweis: Auch die Vor-GmbH ist komplementärfähig. Daher finden die Eigenkapitalersatzregeln auch auf die Vor-GmbH & Co. KG entsprechende Anwendung. Einstweilen frei.
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cc) Die „atypische“ oHG/GbR Gemäß § 129a HGB gelten die Novellenregeln entsprechend für die so genannte „atypische“ oHG, in der kein Gesellschafter eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft mit einer persönlich haftenden natürlichen Person ist.
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Die Anwendung der Rechtsprechungsregeln kommt andererseits nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. Wie bei der Kommanditgesellschaft müsste eine Zahlung aus dem oHG-Vermögen zu einer Unterbilanz bei einer beteiligten Kapitalgesellschaft (meist einer GmbH) führen, um die Anwendbarkeit der Rechtsprechungsregeln zu rechtfertigen.
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Gewährt der Gesellschafter einer an der oHG beteiligten GmbH eine Leistung an die oHG, ist sie nach den Rechtsprechungsregeln lediglich dann eigenkapitalersetzend, soweit ihre Rückzahlung eine Überschuldung der oHG herbeigeführt bzw. vertieft und dies zum Angriff auf das Stammkapital der GmbH geführt hat2. Senkt die Leistung der oHG den Wert der Gesellschaftsbeteiligung unter den Nennwert des Stammkapitals einer ansonsten vermögenslosen GmbH, wird das Stammkapital auch angegriffen und die Leistung eigenkapitalersetzend. Demgegenüber kann eine Leistung der GmbH an die oHG nach den Rechtsprechungsregeln nicht eigenkapitalersetzend sein, da eine Rückzahlung ihr Stammkapital denklogisch nicht angreifen kann. Entsprechend kann auch die GbR eigenkapitalersetzende Leistungen von den Gesellschaftern der an ihr beteiligten Gesellschaften erhalten. Aufgrund der bisher geringen Praxisrelevanz besteht – soweit ersichtlich – noch keine Rechtsprechung zu diesem Thema. Dennoch müsste § 129a HGB aufgrund der ähnlichen rechtlichen Konstruktion der Gesellschaftsformen analoge Anwendung auf „atypische“ Gesellschaften bürgerlichen Rechts finden3. Aus o.g. Erwägungen müssten sodann auch die Rechtsprechungsregeln bei gegebener Konstellation einschlägig sein.
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dd) Gesetzestypische Personengesellschaften Im Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft könnten auch die Teilhaber gesetzestypischer Personengesellschaften (oHG, KG, GbR) die Finan1 BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 (357). 2 Habersack, Großkommentar zum HGB, 4. Aufl. 1997, § 129a Rz. 14. 3 Habersack, ZHR 162 (1998), 201 (215).
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§4
Rz. 59a
Eigenkapitalersatzrecht
zierungsfolgenverantwortung für in der Krise gewährte Leistungen treffen. Insbesondere hinsichtlich der gesetzestypischen Kommanditgesellschaft fordert Karsten Schmidt die Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz1. Das Problem der eigenkapitalersetzenden Kredite wird auf die Unterscheidung zwischen Fremd- und Eigenkapital reduziert, so dass der allgemeinen Rechtsfrage nach der Zulässigkeit des Ersatzes echten Haftkapitals mit lediglich funktionellem Haftkapital entscheidende Bedeutung zukommt. Insofern plädiert K. Schmidt für eine Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf die gesetzestypischen Personengesellschaften, insbesondere mit Rücksicht auf die Folgen dieser Leistungen in der Insolvenz2. Diese Überlegungen sind Teil der Institutionenbildung K. Schmidts und stellen derzeit eine von der h.M. nicht anerkannte Ansicht dar. Auch die Rechtsprechung3 hat diese aus dem allgemeinen Rechtsgedanken der Finanzierungsfolgenverantwortung abgeleiteten Grundsätze auf gesetzestypische Personengesellschaften bisher nicht angewendet. Insofern wird die Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln auf gesetzestypische Personengesellschaften trotz überzeugender Argumente im Einzelfall in der Rechtspraxis zumindest vorerst4 ausbleiben. ee) Scheinauslandsgesellschaften 59a
Ein weiteres Problem, welches sich seit der „Inspire Art-Entscheidung“5 des EuGH stellt, in der entschieden wurde, dass auch ausländische Gesellschaften mit ihrem Gesellschaftsstatut im Inland anerkannt werden müssen, ist die Frage, ob das Eigenkapitalersatzrecht auch auf so gennante Scheinauslandsgesellschaften anwendbar ist. Darunter versteht man eine Gesellschaft, die außer ihrer Rechtsform keinen Bezug zum Gründungsstaat hat und alle Tätigkeiten im Inland verübt6. In Deutschland ist dies hauptäschlich die englische Limited (private company limited by shares)7.
59b
Nach herrschender Meinung ist das Eigenkapitalersatzrecht teilweise auf Scheinauslandsgesellschaften anwendbar8. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, ob es sich beim Eigenkapitalersatzrecht um Insolvenz- oder Gesellschaftsrecht handelt. Deutsches Insolvenzrecht ist bei Insolvenz einer Scheinauslandsgesellschaft in Deutschland über Art. 4 EuInsVO (Europäische Insolvenzverordnung) als lex fori concursus anwendbar. Anders verhält es sich beim Gesellschaftsrecht. Nach der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung zur Nieder1 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 530 ff. 2 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 532 f. 3 Angesprochen wird das Problem in der Entscheidung des BGH v. 2. 7. 1990 – ZR 139/89, BGHZ 112, 31 (39). 4 v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 10.31. 5 EuGH v. 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01, GmbHR 2003, 1260 mit Komm. Meilicke. 6 Riedemann, GmbHR 2004, 345 (346) Fn. 8. 7 Schumann, DB 2004, 743. 8 Grundlegend dazu U. Huber in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, 2005, 131 ff.
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Undritz
Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 61
§4
lassungsfreiheit (Art. 43, 48 EGV) ist eine Gesellschaft mit ihrem Gesellschaftsstatut anzuerkennen. Demnach darf inländisches Gesellschaftsrecht nur noch angewendet werden, wenn es im Rahmen der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt ist1. Dies führt für das Eigenkapitalersatzrecht dazu, dass zwar die Novellenregeln, aber nicht die Rechtsprechunsregeln auf Scheinauslandsgesellschaften anwendbar sind2. Die Rechtsprechungsregeln sind in Analogie zu der Kapitalerhaltung entwickelt worden und deshalb dem Gesellschaftsstatut zuzurechnen. Da die Subordination von Gesellschafterdarlehen kein zwingendes Gläubigerschutzinstrument ist, sind sie wohl auch nicht als Ausnahme zur grundsätzlichen Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt3. Demgegenüber sind die Novellenregeln mit dem Rechtsinstitut der Anfechtung (§ 135 InsO), der Anerkennung als Insolvenzforderung und dem Rang der Forderung (§ 39 InsO) insolvenzrechtliche Problemstellungen. Deshalb sind diese über Art. 4 EuInsVO als Insolvenzrecht auf Scheinauslandsgesellschaften anwendbar4. Nach den geplanten Änderungen durch das MoMiG wird das Eigenkapitalersatzrecht vollständig in der Insolvenzordnung geregelt sein. Daraus folgt eine vollständige Anwendbarkeit auf Gesellschafterdarlehen in Auslandsgesellschaften (vgl. Rz. 381 ff.).
59c
2. Gesellschafter Zum persönlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechtes gehört sodann ein zweiter Schritt: die Teilhabe an einer Gesellschaft, auf die die Eigenkapitalersatzregeln anwendbar sind. Die Finanzierungsfolgenverantwortung, die zu einer Umqualifizierung einer Gesellschafterleistung in Eigenkapital führt, betrifft in erster Linie den unmittelbaren Gesellschafter. Allerdings können auch Dritte eine Finanzierungsfolgenverantwortung tragen, so dass in solchen Fällen eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Rechtsprechungs- und Novellenregeln auf sie erforderlich ist. In beiden Fällen ist der entscheidende Zeitpunkt für die Beurteilung der Finanzierungsfolgenverantwortung entweder die Leistungsgewährung – ggf. jedoch bereits die Leistungszusage (vgl. Rz. 124) – oder das Stehenlassen der Leistung5.
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a) Unmittelbarer Gesellschafter Hinsichtlich der GmbH setzt die Einstufung einer Leistung als Eigenkapitalersatz die Stellung des Leistenden als Gesellschafter voraus. Hierbei gilt ein formales Zurechnungskriterium. Derjenige, der Inhaber eines Anteils an der
1 Ausführlich dazu Pannen/Pannen, EuInsVO, Art. 4 Rz. 26 ff. 2 Grundlegend dazu U. Huber in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, 2005, S. 131 ff. 3 Huber in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, 2005, S. 131 (159). 4 Dazu ausführlich Pannen/Pannen, EuInsVO, Art. 4 Rz. 90-96. 5 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 53; Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 129.
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§4
Rz. 62
Eigenkapitalersatzrecht
Gesellschaft ist, fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechtes. In der GmbH & Co. KG genügt die Gesellschafterstellung des Kommanditisten, um eine Finanzierungsfolgenverantwortung zu begründen (vgl. Rz. 54). Demgegenüber genügt die bloße Stellung als Aktionär nicht, um eine derartige Verantwortung in der Aktiengesellschaft anzunehmen. Vielmehr müssen zusätzliche Faktoren berücksichtigt werden, insbesondere der Grad der Beteiligung und das wohl damit verbundene unternehmerische Interesse des Aktionärs (vgl. Rz. 41 ff.). Bei der atypischen oHG bzw. GbR kommt es auf die Gesellschafterstellung in der Kapitalgesellschaft an, welche unmittelbarer Gesellschafter der oHG oder GbR ist (vgl. Rz. 56 ff.). 62
Bei allen Gesellschaftsformen sind die mit der Beteiligung verfolgten Ziele in der Regel nicht entscheidend1. So hindert der Erwerb einer Gesellschafterbeteiligung, um die Erfüllung einer Forderung gegen die Gesellschaft sicherzustellen, die Anwendbarkeit des Eigenkapitalersatzrechts nicht2. Eine Ausnahme hiervon bildet allerdings der privilegierte Sanierungskredit (vgl. Rz. 78 ff.). Soweit die Leistung der Unternehmensfinanzierung dient, darf sich ein Gesellschafter auch nicht darauf berufen, er habe mit dieser Finanzierung andere als unternehmerische – z.B. ideelle oder politische – Ziele verfolgt3. Ferner schließt die Gewährung einer Leistung im Rahmen eines Unternehmenskaufs die Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln nicht grundsätzlich aus4.
63
In den Fällen der Rechtsnachfolge ist für die Frage der Gesellschafterstellung hinsichtlich des Eigenkapitalersatzrechtes die materielle Berechtigung des Gesellschafters und nicht die Anmeldung bei der Gesellschaft, beispielsweise gemäß § 16 GmbHG, maßgebend5.
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Umstritten ist, ob der Gesellschafter gegen eine Umqualifizierung zum Eigenkapital einwenden kann, er habe die Leistung nicht in seiner Eigenschaft als Gesellschafter gewährt; es liege vielmehr eine „Drittleistung“ vor, die der Gesellschafter ohne Zusammenhang mit seiner Finanzierungsfolgenverantwortung erbracht habe6. Die herrschende Meinung entscheidet diesen Streit mit einem Hinweis auf den Wortlaut des Gesetzes. § 32a GmbHG gehe davon aus, dass die Leistung eines Gesellschafters in seiner Eigenschaft als Gesellschafter
1 BGH v. 19. 9. 1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 (176); OLG Düsseldorf v. 23. 9. 1994 – 17 U 210/93, ZIP 1995, 466; Hüffer, ZHR 153 (1989), 322 (329). 2 Habersack, ZHR 162 (1998), 201 (204). 3 BGH v. 19. 9. 1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 (176). 4 BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1376). 5 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, Kommentar zum GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 16; a.A.: Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 32a/b Rz. 34, 38 f. 6 K. Schmidt, ZHR 147 (1983), 165 (184 ff.).
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gewährt wird1. Insofern werden grundsätzlich alle Gesellschafterleistungen, welche den sonstigen Tatbestand erfüllen, in Eigenkapital umqualifiziert. Beachtlich sind allerdings die Argumente von Karsten Schmidt, der eine teleologische Reduktion im Einzelfall befürwortet, insbesondere mit einem Hinweis auf die Möglichkeit der Finanzierungsfolgenverantwortung eines Dritten, so dass auch die „Exkulpation“ eines Gesellschafters möglich sein müsste2. In der Rechtspraxis ist jedoch zu beachten, dass Leistungen der bereits genannten Gesellschaftergruppen an die jeweilige Gesellschaft fast ausnahmslos in Eigenkapital umqualifiziert werden können und sogar müssen. Soweit kein Privilegierungstatbestand vorliegt, wird es auch im Einzelfall schwierig sein, eine teleologische Reduktion der Novellenregeln zu begründen.
! Hinweis: Umgehungsversuche werden in der Regel von § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG erfasst. Beispielsweise3 wurde das Darlehen eines Gesellschafters, der zugleich Rechtsanwalt der GmbH war, auf das Rechtsanwaltsanderkonto als Leistung des Gesellschafters an die Gesellschaft im Sinne des Eigenkapitalersatzrechtes eingestuft. Zwar standen die auf dem Treuhand-Anderkonto eingezahlten Beträge nicht unmittelbar im Vermögen der GmbH. Sie standen der GmbH jedoch wirtschaftlich zu, da der Zahlungsverkehr der Gesellschaft über dieses Konto abgewickelt wurde.
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Eine gesetzliche Ausnahme bildet § 24 UBGG. Soweit eine Unternehmensbeteiligungsgesellschaft behördlich anerkannt ist (§ 1 UBGG), kann die Leistung eines Gesellschafters an eine Tochtergesellschaft der Unternehmensbeteiligungsgesellschaft nicht in Eigenkapital umqualifiziert werden. Diese besondere Vorschrift könnte für Banken relevant sein, die sich über eine Unternehmensbeteiligungsgesellschaft an einer Gesellschaft beteiligen, der sie zugleich Kredit gewähren.
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aa) Leistungen während der Beteiligung Wenn die Gesellschafterleistung in der Krise erbracht wurde, wird sie in der Regel nur dann als Eigenkapital eingestuft, soweit sie während der Beteiligung des Gesellschafters erfolgte. Von diesem Grundsatz wird nur in wenigen Fällen abgewichen.
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(1) Krise nach/vor Erbringung der Leistung Wichtiges Abgrenzungskriterium bei der Beurteilung der Anwendbarkeit des Eigenkapitalersatzrechtes ist das Vorliegen einer Krise der Gesellschaft (zum Begriff der Krise vgl. Rz. 239). Befand sich die Gesellschaft bei Leistung des Gesellschafters in der Krise, wird diese Leistung als Eigenkapitalersatz eingestuft. Tritt die Krise jedoch erst nach Leistungsgewährung ein, wird die Leistung 1 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 45 m.w.N. 2 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 45. 3 Nach OLG Düsseldorf v. 24. 9. 1998 – 6 U 199/97, ZIP 1998, 2101 (2103 ff.); Anmerkung von v. Gerkan, EWiR 1999, 25 ff.
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dann als eigenkapitalersetzend behandelt, wenn der Gesellschafter die Leistung sodann stehen lässt (vgl. Rz. 129 ff.). 69
Erholt sich die Gesellschaft von der zunächst vorhandenen Krise, so hat der BGH1 nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Novellenregeln (§§ 32a, b GmbHG, § 135 InsO, § 6 AnfG) die unwiderlegbare Vermutung enthalten, dass sich die Gesellschaft auch im Zeitpunkt der Rückzahlung der Gesellschafterleistung weiterhin in der Krise befunden habe, soweit die Leistungen im letzten Jahr2 vor Stellung des Insolvenzantrages erbracht wurden, vgl. § 135 Nr. 2 InsO, § 32a, b GmbHG. Damit kommt eine Entsperrung (vgl. Rz. 268 ff.) der ursprünglich eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistung aufgrund nachhaltiger Krisenüberwindung im Rückzahlungszeitpunkt nicht in Betracht, weil dem Gesellschafter innerhalb der Jahresfrist hiernach von vornherein dieser Nachweis abgeschnitten ist. Mithin hat der Gesellschafter auch keine Möglichkeit zu beweisen, dass die Leistungen zum Zeitpunkt der Rückgewähr bzw. Gewährung der Sicherung keine eigenkapitalersetzende Funktion mehr hatte. Der BGH begründet seine Entscheidung unter anderem mit dem Sinn und Zweck der Novellenregelung, nämlich der schnellen und effektiven Anspruchsdurchsetzung im Interesse und zum Schutz der Gläubiger3. Dies habe der Gesetzgeber durch typisierte und pauschalisierte Fallgestaltungen erreichen wollen, so dass bei deren Vorliegen von einer unwiderleglichen Vermutung auszugehen sei. Diese Rechtsprechung bedeutet für dem Insolvenzverwalter eine erhebliche Erleichterung bei der Durchsetzung der Ansprüche, zumal insoweit auf die oftmals schwierige tatrichterliche Feststellung des genauen Eintritts und der Dauer der Krise sowie der nachhaltigen Wiederherstellung des Stammkapitals – insbesondere bei schwankender finanzieller Situtation der Gesellschaft in dem Jahr vor Stellen des Insolvenzantrags – verzichtet werden kann4. In der Literatur ist diese Rechtsprechung auf Kritik gestoßen5. Insbesondere wird vorgebracht, dass der Regierungsbegründung6, entgegen der Auslegung 1 BGH v. 30. 1. 2006 – II ZR 357/03, ZIP 2006, 466; zuvor bereits in einem obiter dictum: BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 (374 f.); zustimmend u.a.: Noack, EWiR 2006, 247 (248); Ulmer/Habersack, GmbHG, 2006, §§ 32a/b Rz. 81; Kleindiek, ZGR 2006, 335 (352); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 180. 2 Bei der Gewährung einer Sicherheit erstreckt sich der Anfechtungszeitraum auf 10 Jahre, § 135 Nr. 1 InsO. Ob auch insoweit von einer unwiderlegbaren Vermutung auszugehen ist, wurde von der Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht geklärt, dürfte im Ergebnis aber abzulehnen sein. 3 BGH v. 30. 1. 2006 – II ZR 357/03, ZIP 2006, 466. 4 So auch: Goette, KTS 2006, 217 (232). 5 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b, Rz. 54; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 32a Rz. 51; Thonfeld, Eigenkapitalersetzende Gesellschaftersicherheiten, 2005, S. 65 ff; Willemsen/Coenen, DB 2001, 910 (911 f.) zur Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1984. 6 BR-Drucks. 404/77, S. 41, vgl. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b, Rz. 54.
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Rz. 71
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durch den BGH, nicht zu entnehmen sei, dass eine unwiderlegliche Vermutung für eine fortbestehende Krise der Gesellschaft bestünde. Allein der in der Regierungsbegründung enthaltene Hinweis, dass Rückzahlungen, die früher als ein Jahr vor Antragstellung erfolgt sind, nicht als eigenkapitalersetzend einzustufen sind, rechtfertige nicht den zwingenden Umkehrschluss, Befriedigungen innerhalb der Jahresfrist unwiderlegbar als eigenkapitalersetzend einzustufen. Auch aus dem Sinn und Zweck der Eigenkapitalersatzregelungen, die vornehmlich dem Gläubigerschutz dienen, lasse sich dies nicht ableiten, zumal mit Fortfall der Krise der Gesellschaft und der nachhaltigen Wiederherstellung des Stammkapitals die Gläubiger nicht mehr schutzwürdig sind1. Für die künftige Praxis dürfte dieser Frage jedoch keine besondere Bedeutung zukommen, da das Merkmal der Krise durch das MoMiG abgeschafft wird (siehe Rz. 375 ff.). Bis zum In-Kraft-Treten des MoMiG erscheint der Standpunkt des BGH für die Rechtspraxis hinreichend klar. Anzumerken ist jedoch, dass die vorgenannten Entscheidungen unstreitig nicht für die Rechtsprechungsregeln gelten, die weiterhin nur dann anwendbar sind, wenn im Zeitpunkt der Auszahlung eine Krisensituation bestand2. Graphisch kann der Sachverhalt wie folgt dargestellt werden:
(2) Ausscheiden des Gesellschafters Soweit die Leistung des Gesellschafters bereits während seiner Beteiligung als Eigenkapitalersatz zu qualifizieren war, verliert sie diese Eigenschaft nicht, wenn der Gesellschafter später aus der Gesellschaft ausscheidet3.
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! Hinweis: Hat die Gesellschafterleistung bereits Eigenkapitalersatzcharakter erlangt, behält sie diese Eigenschaft sogar bei der Abtretung des Anspruchs an einen 1 Willemsen/Coenen, DB 2001, 910 (911 f.) zur Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1984. 2 BGH v. 30. 1. 2006 – II ZR 357/03, ZIP 2006, 466 (467); Goette, KTS 2006, 217 (232); Stodolkowitz in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Band, 2002, § 135 Rz. 59. 3 BGH v. 6. 5. 1985 – II ZR 132/84, ZIP 1985, 1075 (1077); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (6 f.); BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 (1315); BGH v. 15. 11. 2004 – II ZR 299/02, ZIP 2005, 163; OLG Frankfurt a.M. v. 8. 4. 2005 – 2 U 19/03, GmbHR 2005, 930 (931).
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Rz. 72
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Dritten1. Ein solcher Umgehungsversuch führt dazu, dass etwaige Rückzahlungen oder gewährte Sicherungen gegenüber dem Dritten angefochten (§ 135 InsO) bzw. von ihm zurückverlangt (§ 32b GmbHG) werden können. Ist die Leistung zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Gesellschafters hingegen noch nicht als Eigenkapital einzustufen, kann ein etwaiges Stehenlassen der Leistung nach dem Ausscheiden des Gesellschafters grundsätzlich nicht zu einer Umqualifizierung in Eigenkapital führen2. Etwas anders kann nur gelten, soweit ein im Einzelfall festzustellender Umgehungstatbestand vorliegt. bb) Leistung des ehemaligen Gesellschafters 72
Nur unter besonderen Umständen kann die Leistung eines ehemaligen Gesellschafters, die nach seinem Ausscheiden gewährt wird, in Eigenkapital umqualifiziert werden. Hierzu ist erforderlich, dass die rechtliche Grundlage für die Leistung bereits zu einem Zeitpunkt geschaffen wurde, als der Leistende noch Gesellschafter war3. Auch in diesem Zusammenhang kommt es insbesondere darauf an, dass der (ehemalige) Gesellschafter, noch während er eine Gesellschafterstellung innehat, kundtut, dass er mit weiteren Leistungen eine Finanzierungsfolgenverantwortung übernehmen möchte. Dies ist beispielsweise möglich, wenn –
der Gesellschafter beim Ausscheiden aus der in der Krise befindlichen Gesellschaft ein Abfindungsguthaben stundet4;
–
der Gesellschafter beim Ausscheiden aus der Gesellschaft die Absicherung eines weiteren Kredites der Gesellschaft übernimmt5;
–
der bereits ausgeschiedene Gesellschafter bei Gewährung der Leistung bestimmt hat, dass diese auch in der Krise der Gesellschaft Eigenkapitalersatzcharakter erlangen sollte6.
cc) Leistungen des künftigen Gesellschafters 73
Wird ein Leistender (z.B. ein Darlehensgeber) erst nach Leistungsgewährung Gesellschafter, finden die Regeln des Eigenkapitalersatzes grundsätzlich keine Anwendung. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Leistungen bereits im Hinblick auf den vorgesehenen Gesellschafterbeitritt gewährt wurden. An1 BGH v. 26. 6. 2006 – II ZR 133/05, ZIP 2006, 2272; BGH v. 2. 4. 2001 – II ZR 261/99, ZIP 2001, 839 (839); BGH v. 21. 3. 1988 – II ZR 238/87, BGHZ 104, 33 (43). 2 BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 (258 f.); BGH v. 2. 4. 2001 – II ZR 261/99, ZIP 2001, 839 (839). 3 BGH v. 30. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 (258 f.); BGH v. 6. 5. 1985 – II ZR 132/84, ZIP 1985, 1075 (1077); Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 130 m.w.N.; dies gilt auch für den Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil kaduziert wurde, vgl. OLG Celle v. 23. 5. 2001 – 9 U 242/00, NZG 2002, 528 (529) – nicht rechtskräftig. 4 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 59. 5 BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 253 (258 f.). 6 BGH v. 6. 5. 1985 – II ZR 132/84, ZIP 1985, 1075 (1077).
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Rz. 74
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sonsten kann eine Umqualifizierung erst dann stattfinden, wenn der Gesellschafter hinreichend kundtut, dass er eine Finanzierungsfolgenverantwortung mit der Leistung übernehmen möchte. Der Gesellschafter muss somit eine bereits erbrachte Leistung abermals nach seinem Gesellschafterbeitritt „gewähren“, so z.B. durch das Stehenlassen eines bereits gewährten Darlehens in der Krise1. dd) Leistung für Rechnung eines Gesellschafters Einer direkten Gesellschafterleistung gleichgestellt werden Leistungen Dritter für Rechnung eines Gesellschafters2. In diesem Zusammenhang sind insbesondere zwei Umstände entscheidend: –
Die Finanzierungsmittel müssen im wirtschaftlichen Ergebnis aus dem Vermögen des Gesellschafters aufgebracht werden3, und
–
der Dritte muss von dem Gesellschafter einen Ausgleich verlangen können4.
Eine Leistung für Rechnung eines Gesellschafters liegt bereits dann vor, wenn ein Dritter zur Finanzierung der Gesellschaft ein Darlehen aufnimmt, jedoch im Innenverhältnis von der Rückzahlungsverpflichtung durch den Gesellschafter freigestellt wird5. Anfechtungsgegner bei Rückzahlungen ist daher der Gesellschafter. Beispiel 16: Die Ehefrau des Alleingesellschafters einer sich in der Krise befindlichen GmbH nimmt einen Kredit über 250 000 Euro auf. In diesem Darlehensverhältnis wird der Alleingesellschafter als zweiter Darlehensnehmer geführt und übernimmt eine persönliche Mithaftung für diesen Betrag. Zuvor hat der Alleingesellschafter 200 000 Euro von seinem Privatgirokonto auf das Geschäftskonto der GmbH überwiesen. Die Ehefrau des Alleingesellschafters überweist sodann 200 000 Euro auf das Privatgirokonto ihres Ehemannes und 50 000 Euro auf das Geschäftskonto der GmbH. Gleichzeitig wird ein Darlehensvertrag zwischen der GmbH und der Ehefrau über 250 000 Euro zzgl. 7,25% Zinsen abgeschlossen. Das Darlehen in Höhe von 250 000 Euro stammt im wirtschaftlichen Ergebnis aus dem Vermögen des Alleingesellschafters, und die Ehefrau kann einen Ausgleich von ihm verlangen. Die geleisteten Darlehensrückzahlungen auf das Girokonto des Gesellschafters mussten von ihm erstattet werden.
Beispiel 27: In der Krise einer GmbH verbürgte sich der Komplementär einer an ihr beteiligten KG für ein von der Hausbank an die GmbH gewährtes Darlehen. Gewährt der Komplementär 1 BGH v. 21. 9. 1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311 (317 f.); BGH v. 15. 6. 1998 – II ZR 17/97, ZIP 1998, 1352 (1353). 2 BGH v. 28. 9. 1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 (368); OLG Celle v. 28. 11. 1984 – 9 U 286/83, ZIP 1985, 100 (104); OLG Hamburg v. 8. 12. 1989 – 11 U 154/89, GmbHR 1991, 103 (108 f.). 3 BGH v. 20. 9. 1993 – II ZR 151/92, BGHZ 123, 289 (295). 4 BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 21/99, ZIP 2000, 1489 (1490). 5 BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 21/99, ZIP 2000, 1489 (1490). 6 Nach BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 21/99, ZIP 2000, 1489 (1489 f.). 7 Nach BGH v. 15. 3. 1999 – II ZR 337/97, DStR 1999, 510 (511).
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Rz. 75
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diese Bürgschaft in seiner Eigenschaft als Komplementär und nicht als Privatperson, erhält er hierdurch zugleich einen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Kommanditgesellschaft nach §§ 161 Abs. 2, 110 HGB, so dass die Kredithilfe nicht aus seinem, sondern wirtschaftlich gesehen aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft stammt. Daher ist auch eine solche Gesellschafterleistung kapitalersetzend.
ee) Privilegierung 75
§ 32a Abs. 3 Satz 2 und 3 GmbHG nehmen bestimmte Gesellschafter von den Regeln über den Eigenkapitalersatz aus. Diese Privilegierungstatbestände gelten sowohl für die Novellen- wie auch für die Rechtsprechungsregeln1. Durch die 1998 eingeführten Privilegierungen bietet das ansonsten strenge Regime des Eigenkapitalersatzes Gestaltungsspielräume. Allerdings ist zu beachten, dass der sich exkulpierende Gesellschafter sowohl die Darlegungs- als auch die Beweislast für das Vorliegen einer gesetzlichen Privilegierung trägt. Daher kann der Insolvenzverwalter Anfechtungsansprüche bei fehlendem Nachweis einer Privilegierung durchsetzen. Dennoch sollte – zur Beurteilung der Erfolgsaussichten der Geltendmachung derartiger Ansprüche – auch vom Insolvenzverwalter geprüft werden, ob ein so genannter Klein- oder Sanierungsgesellschafter eine ansonsten eigenkapitalersetzende Leistung gewährt hat. (1) Kleingesellschafter
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Nach dem 24. 4. 19982 in eigenkapitalersetzender Weise ausgereichte bzw. stehen gelassene Leistungen geringbeteiligter Gesellschafter werden grundsätzlich nicht in Eigenkapitalersatz umqualifiziert (§ 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Voraussetzung bei allen Gesellschaftsformen ist lediglich eine Beteiligung von 10% oder weniger, wobei die Kapitalbeteiligung und nicht das Stimmgewicht entscheidend ist3. Diese Privilegierung gilt jedoch nicht, wenn der Gesellschafter gleichzeitig Geschäftsführer der Gesellschaft ist (§ 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Zudem kann die Privilegierung versagt werden, wenn der Gesellschafter trotz seiner geringen formalen Beteiligung die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Gesellschaft hat. Besondere Indizien für eine solche Einflussnahme sind:
1 BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (281) – zum Sanierungsprivileg gem. Abs. 3 Satz 3 – was sich bereits aus dem unmissverständlichen Wortlaut „Regeln über den Eigenkapitalersatz“ ergebe; Dauner-Lieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 4.22 m.w.N. 2 Die Gesetzesänderung ist am 24. 4. 1998 in Kraft getreten. Sie ist nur auf Sachverhalte anzuwenden, die nach diesem Zeitpunkt stattgefunden haben, d.h. nur für nach Inkrafttreten verwirklichte Tatbestände des Eigenkapitalersatzes, vgl. BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 285/03, ZIP 2005, 1638; BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 179/99, ZIP 2001, 115 (116); v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.18.; a.A.: ArbG Dresden v. 11. 10. 2001 – 8 Ca 3893/01, GmbHR 2002, 1068 (1069 f.). 3 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 18.
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 78
§4
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Der Gesellschafter verfügt über einen erhöhten Stimmwert aufgrund eines Stimmbindungsvertrages oder einer Bestimmung im Gesellschaftsvertrag1.
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Eine koordinierte Kreditvergabe bzw. ein koordiniertes Stehenlassen in der Krise wird durch eine Mehrzahl untergeordneter Gesellschafter vorgenommen, obwohl die Summe ihrer Beteiligungen über dem Grenzwert von 10% liegt2.
–
Der Gesellschafter kann aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung erweiterten Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen.
–
Der Kleingesellschafter ist faktischer Geschäftsführer oder verfügt aufgrund eines Beherrschungsvertrages oder einer sonstigen Konzernlage über geschäftsführungsähnliche Befugnisse3.
–
Ein Kreditinstitut übt aufgrund seiner Position als atypischer Pfandgläubiger erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführung aus, insbesondere wenn dem Kreditinstitut das Recht eingeräumt wird, einen Geschäftsführer seines Vertrauens einzusetzen4.
! Hinweis: Die Höhe der notwendigen Beteiligung zur Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz in der Aktiengesellschaft ist umstritten (vgl. Rz. 41). Hinsichtlich der GmbH & Co. KG ist die Höhe der Beteiligung des Kommanditisten an der KG einschließlich des ihm zuzurechnenden Anteils der Komplementär-GmbH für die Beurteilung der Anwendung des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbH maßgebend5. Für den Nur-GmbH-Gesellschafter in einer GmbH & Co. KG kann ausschließlich auf seinen Anteil an der GmbH abgestellt werden.
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(2) Sanierungskredite Leistungen, die im Zusammenhang mit einem Beteiligungserwerb in der Krise der Gesellschaft zu Sanierungszwecken gewährt oder stehen gelassen werden, werden auch hinsichtlich der Eigenkapitalersatzregeln privilegiert (§ 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG)6. Diese Privilegierung findet auf Leistungen, die in Verbindung mit einem Beteiligungserwerb nach dem 1. 5. 1998 gewährt wurden, Anwendung7. 1 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 67. 2 BGH v. 19. 3. 2007 – II ZR 106/06, ZIP 2007, 1407; BGH v. 9. 5. 2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316 (1319); OLG Düsseldorf v. 26. 4. 1990 – 10 U 75/89, AG 1991, 401 (402); v. Gerkan, GmbHR 1997, 677 (679). 3 v. Gerkan, GmbHR 1997, 677 (681). 4 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 (195 f.). 5 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 247. 6 Zu den Problemen im Zusammenhang mit Sanierungskrediten: Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553 ff.; speziell bezogen auf Kreditinstitute zuletzt: Tillmann, DB 2006, 199 ff. 7 Das KonTraG trat am 1. 5. 1998 in Kraft. Da auch das Stehenlassen einer Leistung nach Beteiligungserwerb privilegiert werden soll, ist der Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs maßgebend.
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Rz. 79
Eigenkapitalersatzrecht
Der Beteiligungserwerb ist notwendige Voraussetzung für die Anwendung des § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG. Nicht entscheidend dabei ist die Art und Weise des Erwerbs. Insofern kann der Sanierungswillige einen bereits bestehenden Gesellschaftsanteil von einem Altgesellschafter erwerben, einen neuen Anteil im Wege der Kapitalerhöhung zugesprochen bekommen oder auch die Rechte an diesem Anteil durch Verpfändung erwerben1. 79
Der Tatbestand des Sanierungsprivilegs enthält auch ein subjektives Element. Der Gesellschaftsanteil muss in der Krise und zum Zwecke der Überwindung dieser erworben werden. Der alleinige Sanierungswille – welcher im Regelfall als selbstverständlich zu vermuten ist2 – ist jedoch nicht ausreichend. Vielmehr muss daneben die objektive Möglichkeit der Sanierung vorhanden sein, wobei die pflichtgemäße Einschätzung eines objektiven Dritten im Augenblick des Anteilserwerbs, d.h. aus der ex ante-Sicht, maßgeblich ist3. Hinzu kommt, dass die konkret vorgenommenen Sanierungsmaßnahmen zur Sanierung objektiv geeignet sein müssen. Nach der Rechtsprechung ist insoweit auch eine zeitliche Komponente von Bedeutung, so dass die Maßnahmen objektiv geeignet sein müssen, die Gesellschaft in überschaubare Zeit durchgreifend zu sanieren4. Die Geeignetheit ist regelmäßig anhand eines Sanierungsplanes zu dokumentieren, welcher in der Regel zugleich den Nachweis für den Sanierungswillen liefert5. Das Gutachten eines außen stehenden Experten ist dennoch nicht erforderlich6, kann aber als Beweis im Falle eines gescheiterten Sanierungsversuchs zweckdienlich sein. Zu Bedenken ist, dass es aufgrund der Rechtsprechung des BGH nunmehr möglich erscheint, dass bei einem Scheitern des Sanierungsversuchs nach Ablauf der hierfür im Rahmen des Sanierungskonzepts ins Auge gefassten überschaubaren Sanierungszeit gegebenenfalls die Eigenkapitalersatzregeln – insbesondere unter dem Gesichtpunkt des „Stehenlassens“ – wieder eingreifen7. Der Sanierer müsste sich sodann entscheiden, ob er einen erneuten Sanierungsversuch unternimmt oder aber die Gesellschaft auflöst bzw. in die Insolvenz führt, will er sein Sanierungsprivileg nicht einbüßen. Für die Anwendung des Sanierungsprivilegs ist der Sanierungserfolg hingegen nicht notwendig. Scheitert der Sanierungsversuch, werden im Rahmen des Sanierungsprivilegs gewährte Leistungen als einfache Insolvenzforderungen ohne Nachrang behandelt (§ 38 InsO). 1 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 222. 2 BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (281). 3 BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (281); Goette, KTS 2006, 217 (230); Dörrie, ZIP 1999, 12 (14); Pichler, WM 1999, 411 (417), Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 19; Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 223. 4 BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (281); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007 Rz. 94; Goette, KTS 2006, 217 (230); Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 84. 5 BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (281). 6 Dauner-Lieb, DStR 1998, 1517 (1520 f.); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 84. 7 Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007 Rz. 94; Goette, KTS 2006, 217 (230).
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 84
§4
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Hinsichtlich vorstehender Punkte trägt der Sanierer stets die Darlegungsund Beweislast. Insofern ist eine sorgfältige Dokumentation der Sanierungsmaßnahmen und des Beteiligungserwerbs stets geboten. Anderenfalls könnten bei einem Scheitern der Sanierung eine umfangreiche Haftung des Mandanten nach den Eigenkapitalersatzregeln sowie mögliche Regressansprüche gegen den Berater entstehen.
80
Das Sanierungsprivileg kommt dem Sanierungswilligen zugute, der sich erst in der Krise der Gesellschaft an dieser beteiligt. Soweit der Sanierer vor der Krise der Gesellschaft kein Gesellschafter war, ist die Anwendung dieser Regelung unproblematisch. Insofern kommen professionelle Sanierer oder ein sich nach Krise der Gesellschaft an dieser beteiligender Fremdgeschäftsführer stets in den Genuss dieses Privilegs1.
81
! Hinweis: Auch hinsichtlich des Sanierungsprivilegs werden Umgehungstatbestände beachtet. So z.B., wenn ein bislang nicht beteiligter Gesellschafter nach § 32a Abs. 2 Satz 1 GmbHG als gleichzustellender Dritter (vgl. Rz. 89 ff.) bereits vor seinem Beitritt eine eigenkapitalersetzende Leistung gewährt hat2. Für solche Sachverhalte gilt das Sanierungsprivileg selbstverständlich nicht.
82
Bereits an der Gesellschaft beteiligte Gesellschafter können einer Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln nicht mit einer Aufstockung ihrer Beteiligung an der Gesellschaft entgehen. Vielmehr unterfallen diese Gesellschafter nach wie vor den Novellen- und Rechtsprechungsregeln3.
83
Lediglich Gesellschafter, die vor der Krise unter das Kleingesellschafterprivileg nach § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG fallen, können ihren Anteil in der Krise aufstocken und neue Leistungen unter Anwendung des Sanierungsprivilegs erbringen, ohne eine Umqualifizierung dieser oder ihrer bereits gewährten Leistungen in Eigenkapital befürchten zu müssen4. Dies folgt daraus, dass der Gesellschafter, dessen Leistungen aufgrund mangelnder unternehmerischer Beteiligung nicht den Eigenkapitalersatzregeln unterfallen, bei einer vom Sanierungswillen getragenen Aufstockung seiner Beteiligung nicht schlechter als ein Fremdgeschäftsführer oder professioneller Gesellschaftssanierer gestellt werden sollte.
84
1 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 81. 2 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2001, §§ 32a, 32b Rz. 214; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 19; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 80. 3 Ganz h.M.: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 80; DaunerLieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Eigenkapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 4.46 f.; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 195; Hirte, ZInsO 1998, 147 (151); a.A.: Altmeppen, Festschrift für Sigle, 2000, S. 211 (220 f.); Dörrie, ZIP 1999, 12 (17). 4 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 226; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 80; Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 19; Dauner-Lieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 4.48.
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§4
Rz. 85
Eigenkapitalersatzrecht
Beispiel: Ein Gesellschafter mit einer lediglich 5%igen Beteiligung am Stammkapital einer GmbH gewährt im Sommer 2005 ein Darlehen über 50 000 Euro. Bei Eintritt der Krise im Sommer 2007 stockt er diese Beteiligung auf 25% durch Zukauf der Anteile eines Gesellschafters auf, kündigt das noch nicht zurückgezahlte Darlehen nicht und – gleichzeitig mit der Aufstockung seiner Beteiligung – vermietet Räumlichkeiten an die Gesellschaft zur Weiterführung des Betriebes. In diesem Fall ist weder die Darlehensgewährung noch das Stehenlassen des Darlehens in der Krise noch die Nutzungsüberlassung in der Krise als Eigenkapitalersatz zu bewerten, da alle Leistungen privilegiert sind. Die Gewährung des Darlehens fällt unter das Kleingesellschafterprivileg, selbst wenn die Gesellschaft sich im Sommer 2000 in der Krise befunden hätte. Sowohl das Stehenlassen des Darlehens als auch die Gewährung der Nutzungsüberlassung (str.!)1 kommen in den Genuss des Sanierungsprivilegs.
! Hinweis: Gelingt die Sanierung insoweit, dass die Krise überwunden wird, werden die bis dahin privilegierten Leistungen bei erneutem Kriseneintritt nicht mehr von dem Sanierungsprivileg erfasst2.
85
(3) Kredite der Treuhandanstalt 86
Nach § 56e DMBilG gelten §§ 32a und 32b GmbHG bei Krediten gemäß Art. 25 Abs. 7 des Einigungsvertrages und bei von der Treuhandanstalt gewährten Krediten oder Sicherungen. Ob die Anwendung der Rechtsprechungsregeln hierdurch ausgeschlossen wird, ist strittig3, aber – soweit ersichtlich – von verschwindend geringer praktischer Relevanz. Soweit eine Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse bereits stattgefunden hat, gilt dieser Privilegierungstatbestand für weitere Kredite oder Sicherungen durch die Treuhandanstalt nicht. Allerdings gilt die Privilegierung durch § 56e DMBilG grundsätzlich für das Stehenlassen von Krediten über den Zeitpunkt der Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse hinaus. Mittlerweile entfaltet diese Regelung keine besondere Praxisrelevanz mehr. (4) Checkliste: Privilegierte Tatbestände Checkliste: Privilegierte Tatbestände
87
1.
Kleingesellschafter –
Leistungen nach dem 24. 4. 1998 ausgereicht oder stehen gelassen?
–
Hat der Gesellschafter eine Beteiligung von 10% oder weniger am nominellen Stammkapital?
1 Obwohl § 32a Abs. 3 Satz 3 lediglich „Sanierungskredite“ erwähnt, sollten auch sonstige eigenkapitalersetzende Leistungen erfasst werden, da ansonsten unsachgemäße Ergebnisse entstehen können; vgl. auch Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 86; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 19; Dörrie, ZIP 1999, 12 (14); Bieder, NZI 2000, 514 (521). 2 Pentz, GmbHR 1999, 437 (450); Dauner-Lieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechtes, 2. Aufl. 2002, Rz. 4.60. 3 Für eine detaillierte Darstellung des Meinungsstreits vgl. Wagner, BB 1994, 1580 (1582 f.); LG Dresden v. 23. 5. 1996 – 10 O 2410/95, GmbHR 1996, 847 (850 ff.).
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
2.
3.
4.
Rz. 88
§4
–
Ist der Gesellschafter zugleich Geschäftsführer? (Ausschluss der Priviligierung!)
–
Bestehen weitere Einflussmöglichkeiten des Gesellschafters, die zu einem Ausschluss dieser Privilegierung führen könnten (vgl. Rz. 76)?
Sanierungskredite –
Beteiligungserwerb nach dem 1. 5. 1998?
–
Persönlicher Anwendungsbereich (Gesellschafter)
–
Bei erweitertem Beteiligungserwerb eines „Altgesellschafters“: War dieser vor Erweiterung Kleingesellschafter im Sinne des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG?
–
Hat der neue Gesellschafter bereits Leistungen als ein einem Gesellschafter gleichzustellender Dritter erbracht?
–
Handelte der Beteiligungserwerber mit Sanierungsabsicht?
–
War eine Sanierung des Betriebes objektiv möglich?
–
Waren die eingeleiteten Sanierungsmaßnahmen nach objektiven Kriterien hierzu geeignet?
§ 24 UBGG –
Besteht eine behördlich anerkannte Unternehmensbeteiligungsgesellschaft im Sinne von § 1 UBGG?
–
Ist der Leistungserbringer nur über die Unternehmensbeteiligungsgesellschaft an der leistungsempfangenden Gesellschaft beteiligt?
Treuhandanstalt –
Hat die Treuhandanstalt einer Gesellschaft, an der sie beteiligt war, einen Kredit gewährt oder für diesen eine Sicherung bestellt?
–
Wurde diese Leistung vor der Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse gewährt?
b) Stiller Gesellschafter Auch der stille Gesellschafter kann nach den Regeln über den Eigenkapitalersatz für etwaige Leistungen an die Gesellschaft haften. Entscheidendes Merkmal in dieser Hinsicht ist die Einflussmöglichkeit des stillen Gesellschafters auf die Geschicke der Gesellschaft. Soweit diesem keine Einflussmöglichkeiten zustehen, kann er nicht als Gesellschafter im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts behandelt werden. Daher gelten die Regeln über den Eigenkapitalersatz für den typischen stillen Gesellschafter im Sinne der §§ 230 ff. HGB grundsätzlich nicht1. Etwas anderes kann somit nur in den Fällen gelten, in denen der stille Gesellschafter hinsichtlich seiner vermögensmäßigen Beteiligung und seines Einflusses auf die Geschicke der Gesellschaft einem GmbH-Gesellschafter gleich1 BGH v. 21. 3. 1983 – II ZR 139/82, ZIP 1983, 561 (561); BGH v. 7. 11. 1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7 (9); Ulmer/Habersack, GmbHG, 2006, §§ 32a/b Rz. 150; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankrechtspraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.313.
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88
§4
Rz. 89
Eigenkapitalersatzrecht
steht1. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der stille Gesellschafter –
in einer besonderen persönlichen oder rechtlichen Verbindung zu einem der Gesellschafter steht2;
–
kollusiv mit dem Gesellschafter zum Nachteil der Gesellschaft handelt3; oder
–
über eine atypische Beteiligung verfügt, soweit ihm aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung dieses atypischen stillen Gesellschafterverhältnisses Einfluss auf die unternehmerische Entscheidung gewährt wird4. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Geschäftsführung für bedeutende Maßnahmen der Zustimmung des stillen Gesellschafters bedarf5.
Wenn der atypische stille Gesellschafter entscheidenden Einfluss auf Gesellschaftsentscheidungen hat, kommt eine Privilegierung weder aufgrund des Kleingesellschafter- noch aufgrund des Sanierungsprivilegs in Frage6. Denn seine Einflussnahme schließt die Privilegierungstatbestände aus. Soweit eine typische stille Beteiligung im Sinne der §§ 230 ff. HGB vorliegt, ist eine Anwendung der Privilegierungsregeln lediglich bei Erwerb von Geschäftsanteilen und Leistungen im Sanierungsfall notwendig. c) Nichtgesellschafter 89
Grundsätzlich werden nur Gesellschafter im formalen Sinn von den Regeln über den Eigenkapitalersatz erfasst. Daher unterfallen Nichtgesellschafter dem Eigenkapitalersatzrecht in der Regel nicht. Dennoch sieht § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Regeln über den Eigenkapitalersatz auf Leistungen aus dem Vermögen eines Nichtgesellschafters vor, soweit besondere Umstände vorliegen, die eine Finanzierungsfolgenverantwortung des Dritten begründen.
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: Nach der Rechtsprechung können Leistungen, die formal durch einen gesellschaftsfremden Dritten erbracht werden, nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise bereits als Leistung eines Gesellschafters eingeordnet werden (vgl. Rz. 74). Insofern ist für den Insolvenzverwalter die sorgfältige Prüfung
90
1 BGH v. 13. 2. 2006 – II ZR 62/04, WM 2006, 691 (693). 2 BGH v. 28. 9. 1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 (368). 3 BGH v. 20. 9. 1982 – II ZR 268/81, WM 1982, 1402 (1402); OLG Saarbrücken v. 1. 9. 1998 – 4 U 635/97-253, ZIP 1999, 2150 (2151). 4 BGH v. 17. 2. 1984 – II ZR 36/84, ZIP 1985, 347 (347 f.); BGH v. 7. 11. 1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7 (9 ff.); BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 (195 f.); BGH v. 13. 2. 2006 – II ZR 62/04, WM 2006, 691 (693); OLG Frankfurt v. 30. 2. 1997 – 23 U 204/95, GmbHR 1997, 892 (892 f.); OLG Hamburg v. 13. 10. 1989 – 11 U 108/89, ZIP 1990, 791 (792 f.). 5 BGH v. 13. 2. 2006 – II ZR 62/04, WM 2006, 691 (693); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankrechtspraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.314. 6 Vgl. BGH v. 13. 2. 2006 – II ZR 62/04, WM 2006, 691 (694) hinsichtlich § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG.
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 93
§4
aller vorliegenden Umstände zur Bestimmung des richtigen Gegners notwendig, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung einer Insolvenzanfechtung im Prozess. Auch in dieser Hinsicht ist abermals darauf hinzuweisen, dass der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die einzelnen Tatbestandsmerkmale trägt. Liegt die Leistung eines gesellschaftsfremden Dritten vor, die – soweit sie von einem Gesellschafter erbracht worden wäre – als Eigenkapital zu behandeln wäre, muss sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom beratenden Rechtsanwalt geprüft werden, ob der leistende Dritte einem Gesellschafter gleichgestellt werden könnte. Dies hätte zur Folge, dass die Regeln über den Eigenkapitalersatz anwendbar wären.
91
Entscheidend bei dieser Beurteilung ist, ob der Dritte eine Rechtsstellung innehat, die wirtschaftlich derjenigen eines Gesellschafters im formalen Sinne entspricht und somit eine Haftung nach den Rechtsprechungs- und Novellenregeln begründet1. aa) Unterbeteiligte Eine Unterbeteiligung besteht, wenn ein GmbH-Gesellschafter einen Dritten an seinem GmbH-Anteil beteiligen möchte, diesem jedoch keine direkten Rechte an diesem Anteil einräumen möchte oder kann. Sollte eine Unterbeteiligung eingeräumt werden, kommt zwischen dem Gesellschafter und dem Unterbeteiligten eine Innengesellschaft zustande, auf die die gesetzlichen Regelungen zur stillen Gesellschaft analoge Anwendung finden2. Wie der stille Gesellschafter hat der Unterbeteiligte somit grundsätzlich keine dem Gesellschafter gleichzusetzenden Befugnisse, so dass er auch im Kontext des Eigenkapitalersatzrechtes nicht als Gesellschafter anzusehen ist.
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Allerdings kann das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Unterbeteiligtem so gestaltet werden, dass Letzterer wirtschaftlich als Mitinhaber der Gesellschaft erscheint3. Räumt der Unbeteiligungsvertrag diesem (auch indirekte) Informations-, Stimm- oder Kontrollrechte sowie eine an den Anteil geknüpfte Ergebnisbeteiligung ein, kann der Unterbeteiligte wirtschaftlich als Gesellschafter betrachtet werden4. bb) Treugeber In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass derjenige, der eine Gesellschaft unter Mithilfe eines Strohmannes gründet, als Gesellschafter zu behandeln ist5. Der Strohmann (Treuhänder) ist damit auch dem Eigenkapital1 OLG Hamburg v. 17. 2. 1989 – 11 U 241/88, WM 1989, 717 (719). 2 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.34. 3 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 21; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, §§ 32a, b Rz. 126. 4 Blaurock/Berninger, GmbHR 1990, 11 (13). 5 BGH v. 14. 12. 1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258 (266); BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (281).
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§4
Rz. 94
Eigenkapitalersatzrecht
ersatzrecht unterworfen. Dies trifft selbst dann zu, wenn der Treuhänder dem Treugeber die Ausübung der Stimmrechte überlässt1. Zudem wird sowohl in der Rechtsprechung2 als auch in der juristischen Literatur3 anerkannt, dass auch der Treugeber, der lediglich mittelbarer Anteilsinhaber ist, dem Eigenkapitalersatzrecht unterfällt.
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: 94
Obwohl die Beweislast für die notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen einer möglichen Insolvenzanfechtung (§ 135 InsO) dem Insolvenzverwalter obliegt, muss der Treugeber beweisen, dass ein nachweislich bestehendes Treuhandverhältnis zum Zeitpunkt der Gewährung der eigenkapitalersetzenden Leistungen erloschen ist4, sollte er sich darauf berufen.
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Hinsichtlich einer Privilegierung des Treugebers nach § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG wurde bisher angenommen, dass der Anteil, auf den sich das Treuhandverhältnis bezieht, für die Beurteilung der Anwendung maßgebend sei5. Allerdings könnte dies dazu führen, dass der Treugeber sowohl über den Treuhänder als auch selber über Geschäftsanteile verfügt. In dem Fall könnte ein Gesellschafter mit einer faktischen Beteiligung in Höhe von 19,99% Leistungen an die Gesellschaft in der Krise erbringen, ohne von den Regeln über den Eigenkapitalersatz erfasst zu werden. Diese Art der Umgehung kann nicht vom Privilegierungstatbestand des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG umfasst sein, so dass Gesellschafter, die kumulativ (aus Treuhand und eigenem Anteil) über eine Beteiligung von mehr als 10% verfügen, auch nach den Regeln über den Eigenkapitalersatz haften müssen (zu Treuhandverhältnissen vgl. im Übrigen § 7 Rz. 46 ff.). cc) Nießbraucher/Pfandgläubiger
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Ein Nießbrauchsrecht oder Pfandrecht auf einen Gesellschaftsanteil kann grundsätzlich nicht zu einer Finanzierungsfolgenverantwortung des Nießbrauchers bzw. Pfandgläubigers führen. Daher finden die Regeln über den Eigenkapitalersatz auf den Nießbraucher oder Pfandgläubiger in der Regel keine Anwendung6.
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Die vertragliche Ausgestaltung dieser Rechte kann jedoch dazu führen, dass der Nießbraucher oder Pfandgläubiger zum Normadressaten der Eigenkapital1 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 56. 2 BGH v. 7. 8. 1985 – II ZR 269/84, ZIP 1985, 1198 (1198); BGH v. 14. 11. 1988 – II ZR 115/88, ZIP 1989, 93 (94); BGH v. 20. 2. 1989 – II ZR 167/88, ZIP 1989, 440 (441); BGH v. 15. 2. 1996 – IX ZR 245/94, ZIP 1996, 538 (539). 3 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 32, 152; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, §§ 32a/b Rz. 123; Crezelius, EWiR 1985, 793 (794); Martens, EWiR 1989, 369 (369); Fleck, EWiR 1989, 431 (432); v. Gerkan, EWiR 1996, 501 (501). 4 BGH v. 14. 11. 1981 – II ZR 115/88, NJW 1989, 1219 (1220). 5 v. Gerkan, GmbHR 1997, 677 (680); Pentz, GmbHR 1999, 437 (445). 6 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 (195); K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b, Rz. 152.
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 100
§4
ersatzregeln wird. Verfügt der Pfandgläubiger über Einflussmöglichkeiten hinsichtlich der Geschäftsführung und über weitere Pfandrechte, insbesondere hinsichtlich der Gewinnbezugsrechte, sowie Sicherungsabtretungen aus dem Geschäftsbereich der Gesellschaft, wird die damit verbundene Entmachtung der Gesellschafter zum eigenverantwortlichen Handeln in der Regel zu einer Finanzierungsfolgenverantwortung des Pfandgläubigers führen1. Dies gilt selbst dann, wenn der Pfandgläubiger in erster Linie Sicherungs- und keine unternehmerischen Interessen verfolgt2. In der Praxis können sich höchst komplizierte Konstellationen ergeben, wenn beispielsweise einer Bank Aktien verpfändet worden sind, die zudem großen Einfluss auf die letztlich fehlgeschlagene Restrukturierung eines Unternehmens genommen hat. Die Grenzen zwischen einer normalen und damit „typischen“ und einer in dem oben skizzierten Sinne „atypischen“ Pfandgläubigerschaft sind mithin fließend. Aus Sicht eines Insolvenzverwalters dürfte sich in einer solchen Konstellation eine umfassende und exakte Sachverhaltsaufklärung häufig „lohnen“, da hierdurch zumindest sachgerechte Vergleichslösungen mit entsprechender Massebeteiligung durchgesetzt werden können. Diese Grundsätze gelten auch für den Nießbraucher, dem solche Rechte eingeräumt werden3.
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Nicht unter die Eigenkapitalersatzregelungen fällt hingegen, wenn sich der Kreditgeber – in der Regel ein Kreditinstitut – lediglich Geschäftsanteile einer Tochtergesellschaft der Kreditnehmerin zur Sicherung verpfänden lässt. Denn selbst bei Einräumung weitreichender Einflussmöglichkeiten entsteht mangels gesellschaftergleicher Stellung bei der Kreditnehmerin keine Finanzierungsfolgenverantwortung4. Hinsichtlich einer Kleingesellschafterprivilegierung ist die Größe des gepfändeten Anteils bzw. desjenigen Anteils, an dem ein Nießbrauchrecht besteht, maßgebend5. Auch hier müsste berücksichtigt werden, ob der Pfandgläubiger weitere Rechte als unmittelbarer Gesellschafter der Gesellschaft innehat, aus denen sich eine unzulässige Umgehung der Eigenkapitalersatzregeln ergeben könnte (s. Rz. 76).
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dd) Kreditgeber Eine kreditgewährende Bank – insbesondere die Hausbank der Gesellschaft – ist einem Gesellschafter nicht allgemein gleichzusetzen. Vielmehr muss die Bank zusätzliche Befugnisse erhalten, die es ihr ermöglichen, unternehmerischen Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben, um eine für die Anwendung des Eigenkapitalersatzrechtes erforderliche gesellschafterähnliche Stellung zu erlangen. 1 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 (196), sowie h.L. vgl. statt vieler: Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.28 f. m.w.N. 2 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 (196). 3 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.33 m.w.N. 4 So auch: Sethe, BKR 2006, 396 (400 f.). 5 v. Gerkan, GmbHR 1997, 677 (680).
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100
§4
Rz. 101
Eigenkapitalersatzrecht
In zwei Entscheidungen hat die Rechtsprechung einen solchen unternehmerischen Einfluss der Hausbank bejaht, der insbesondere durch die Gewährung von weitreichenden Pfandrechten an den Geschäftsanteilen zustande kam1. In diesen beiden Fällen wurden der Bank jedoch zusätzlich weitgehende Rechte in der Gesellschaft eingeräumt, so dass eine eigenverantwortliche Unternehmensführung der Gesellschafter nicht mehr gewährleistet war. Das Landgericht Erfurt hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die entscheidenden Merkmale bei der Beurteilung eines unternehmerischen Einflusses die Beteiligung am Ergebnis und am Vermögen sowie spezielle Gesellschafterrechte, z.B. die Befugnis zum Beschluss über die Gewinnverwendung und den weiteren Einfluss auf die Geschäftsführung, seien2. 101
In bestimmten Konstellationen kann eine Bank selbst dann Adressat der Eigenkapitalersatzregeln sein, wenn die Gesellschafter ihre Anteile an einen Treuhänder übertragen, der zugleich im Interesse der Bank tätig wird. In diesem Fall spricht man von einer so genannten „Doppeltreuhand“: Der Treuhänder wird für die eine Seite als Sicherungstreuhänder und für die andere Seite als Verwaltungstreuhänder tätig3 (zu den grds. Befugnissen eines Treuhänders s. § 7 Rz. 46 ff.). Zwar werden die von einem Treuhänder erhaltenen Gesellschaftsanteile eigenkapitalersatzrechtlich grundsätzlich auch dem Treugeber zugerechnet4. Steht jedoch das Sicherungsinteresse der Bank bei der gewählten Treuhandkonstellation im Vordergrund und stellt sich die Situation so dar, als wären die Gesellschaftsanteile zunächst der Bank und dann von dieser auf einen Treuhänder übertragen worden, besteht demgegenüber die Vermutung, dass die Bank Treugeber ist. Erforderlich ist zudem die tatsächliche oder rechtliche Einflussnahmemöglichkeit auf den Treuhänder, um die Bank endgültig zur Adressatin der Eigenkapitalvorschriften zu machen5. Es liegt auf der Hand, dass sich eine schematische Lösung dieser auch auf Tatbestandsebene häufig schwer zu ermittelnden Gestaltungen verbietet.
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Die Anwendbarkeit der Regeln über den Eigenkapitalersatz auf die Hausbank einer Gesellschaft wird sich nach den Umständen des Einzelfalls richten müssen. Der bisherigen Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass die Finanzierungsfolgenverantwortung mit der Einräumung von Gesellschafterrechten korrespondiert. Im Falle der Einräumung oder Übertragung weitgehender Gesellschafterrechte auf die Hausbank ist daher von einer möglichen Anwendbarkeit der Regeln über den Eigenkapitalersatz auf Darlehen oder ähnliche Leistungen 1 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 (196); LG Erfurt v. 8. 8. 2001 – 3 HK O 400/00, ZIP 2001, 1673 (1675). 2 Mit Hinweis auf BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 (195 ff.): LG Erfurt v. 8. 8. 2001 – 3 HK O 400/00, ZIP 2001, 1673 (1675); weiterführend: Maesch/Voss, Finanzbetrieb 2007, 1. 3 Bork, NZI 1999, 337, (337). 4 BGH v. 20. 2. 1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7 (11 f.). 5 OLG Hamburg v. 27. 6. 1997 – 11 U 233/96, WM 1997, 1846 (1848).
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Rz. 104
§4
der Bank auszugehen. Auch die so genannte „Doppeltreuhand“ belegt, dass Umgehungen der strengen Eigenkapitalersatzregeln nicht anzuraten sind. ee) Nahe Angehörige In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass nahe Angehörige unter bestimmten Voraussetzungen wie ein Gesellschafter hinsichtlich einer an die Gesellschaft erbrachten Leistung des Gesellschafters zu behandeln sind1. Soweit der Angehörige die erbringt, sind jedoch keine sachlichen Gründe ersichtlich, ihn anders als sonstige Dritte zu behandeln. Allein ein Näheverhältnis zum Gesellschafter begründet mithin noch keine Finanzierungsfolgenverantwortung gegenüber der Gesellschaft. Insofern ist die Tatsache, dass der darlehende Fremdgeschäftsführer einer GmbH zugleich Ehemann der Alleingesellschafterin ist, für die Bejahung einer Finanzierungsfolgenverantwortung nicht ausreichend2.
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Stellt andererseits der Gesellschafter einem nahen Angehörigen die Finanzierungsmittel zur Verfügung, um die Eigenkapitalersatzregeln bewusst zu umgehen, so ist offensichtlich, dass der Dritte wie ein Gesellschafter behandelt werden muss3. Daher ist stets im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, aus wessen Vermögen die von einem Familienangehörigen eines Gesellschafters zur Verfügung gestellten Mittel stammen. Ob eine Beweislastumkehr für die Herkunft dieser Mittel besteht, ist streitig (vgl. Rz. 74). Im Ergebnis handelt es sich bei der Einschaltung naher Familienangehöriger damit häufig um Umgehungsgeschäfte, die nach dem Sinn und Zweck des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG den Eigenkapitalersatzregeln unterfallen, soweit die gewährten Finanzierungsmittel im wirtschaftlichen Ergebnis aus dem Vermögen des Gesellschafters selbst stammen. Der genannte Sachverhalt stellt eine Art Spiegelbild zur Gründung und Führung einer GmbH unter Einbindung eines Strohmannes (Treuhänder) dar (vgl. Rz. 93). Insofern kann geprüft werden, ob die aus dem Vermögen eines Dritten stammende Leistung in den Anwendungsbereich der Eigenkapitalersatzregeln aufgrund des Normadressatenkreises der Treugeber fällt. Dies hätte zur Folge, dass sowohl der Dritte als auch der Gesellschafter gesamtschuldnerisch für Erstattungsansprüche haften müssen.
! Hinweis: Bei der Beurteilung der Zurechnung von Leistungen aus dem gebundenen Vermögen einer Gesellschaft an einen nahen Angehörigen ist eine typisierende Betrachtung möglich4. Dies hat zur Folge, dass solche Leistungen dem Gesellschafter zugerechnet werden.
1 BGH v. 18. 12. 1991 – II ZR 259/89, ZIP 1991, 366 (366 f.); BGH v. 8. 2. 1999 – II ZR 261/97, DStR 1999, 810 (811); vgl. auch OLG Schleswig v. 3. 5. 2007 – 5 U 128/06, ZIP 2007, 1217 (1218) – nicht rechtskräftig. 2 BGH v. 8. 2. 1999 – II ZR 261/97, NJW 1999, 2123 (2125). 3 BGH v. 18. 2. 1991 – II ZR 259/89, ZIP 1991, 366 (367). 4 BGH v. 28. 9. 1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 (368 ff.).
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§4
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Eigenkapitalersatzrecht
ff) Miteigentümer 105
Im Bereich der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung (vgl. Rz. 142 ff.) ist fraglich, ob ein Miteigentümer des überlassenen Objektes zum Adressatenkreis der Rechtsprechungs- und Novellenregeln gehört, soweit er nicht Gesellschafter ist. Diese Frage wurde vom BGH ausdrücklich offen gelassen1. Allerdings stellte das Gericht in diesem Zusammenhang fest, dass dem Miteigentümer entgegengehalten werden könne, dass die Leistungen des Gesellschafters, deren Gegenleistung dieser im Innenverhältnis nicht herausverlangen dürfe, eigenkapitalersetzend seien. Bezug nehmend auf die Leistung des Nichtgesellschafters, ist davon auszugehen, dass dieser nur insoweit einem Gesellschafter gleichgestellt werden kann, als er nach außen kundtut, die Finanzierungsfolgenverantwortung seiner Nutzungsüberlassung übernehmen zu wollen. Dies wäre lediglich dann der Fall, wenn der Miteigentümer und der Gesellschafter das Nutzungsobjekt der Gesellschaft gemeinsam und bewusst zur Stützung überlassen2 (zum Miteigentum als Aussonderungsrecht vgl. § 7 Rz. 27).
! Hinweis: Der Miteigentümer kann einen etwaigen Mietzinsanspruch gegen die Gesellschaft lediglich in der Höhe seines Eigentumsanteils geltend machen. Sollte der Insolvenzverwalter dieses Dauerschuldverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortsetzen, hat er allerdings Mietzinsen in dieser Höhe als Masseschuld zu entrichten (§ 108 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Vor diesem Zeitpunkt entstandene Ansprüche sind Insolvenzforderungen.
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gg) Zessionar 107
Tritt der Gesellschafter seinen Anspruch aus einem eigenkapitalersetzenden Darlehen an einen Dritten ab, kann dem Dritten auf jeden Fall die Rückzahlungssperre nach den Rechtsprechungs- und Novellenregeln entgegengehalten werden (§ 404 BGB)3. Da auch die Forderung des Zessionars dem Eigenkapitalersatz unterworfen ist (vgl. Rz. 71), müssen etwaige Leistungen an ihn auch rückforderbar sein, sei es durch die Gesellschaft selbst im Rahmen der Rechtsprechungsregeln oder durch den Insolvenzverwalter im Anfechtungsfall. Rechtsprechung hierzu ist – soweit ersichtlich – indes noch nicht vorhanden.
1 BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1377). 2 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 154. 3 BGH v. 26. 6. 2006 – II ZR 133/05, GmbHR 2007, 43 (44); BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 67/02, ZIP 2006, 578 (579); BGH v. 21. 3. 1988 – II ZR 238/87, BGHZ 104, 33 (43).
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 110
§4
hh) Checkliste: Anwendung von Eigenkapitalersatzregeln auf Nichtgesellschafter Checkliste: Anwendung von Eigenkapitalersatzregeln auf Nichtgesellschafter –
Ist die an die Gesellschaft erbrachte Leistung tatsächlich einem Dritten (und nicht einem Gesellschafter) zuzuordnen?
–
Werden dem Dritten gesellschafterähnliche Rechte, insbesondere Stimmrechte, Mitwirkungsrechte, sonstiger Einfluss auf die Geschäftsführung und/oder die Beteiligung an Ergebnis und Vermögen, eingeräumt?
–
Insbesondere die Rechtsverhältnisse der (insolventen) Gesellschaft zu folgenden Parteien sollten vom Insolvenzverwalter bzw. dem beratenden Rechtsanwalt geprüft werden: –
Nahe stehende Angehörige der Gesellschafter
–
Finanzierende Hausbank der Gesellschaft
–
Treugeber
–
Unterbeteiligter
–
Falls der Dritte einem Gesellschafter gleichzustellen ist, liegen möglicherweise Anhaltspunkte für eine Privilegierung (Kleingesellschafter, Sanierung) vor (vgl. Rz. 75)?
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d) Verbundene Unternehmen Leistungen innerhalb einer Unternehmensgruppe können dem Eigenkapitalersatzrecht unterfallen. Dabei muss unterschieden werden, ob die Leistungen zwischen Gesellschaften im vertikalen Verbundsverhältnis oder im horizontalen Verhältnis gewährt werden.
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aa) Gesellschaften im vertikalen Verhältnis Im Ergebnis stellt die Rechtsprechung für die Anwendung der Regeln zum Eigenkapitalersatz auf eine wirtschaftliche Einheit von leistendem Unternehmen und Gesellschafter ab1. Bei verbundenen Unternehmen im Sinne der §§ 15 ff. AktG wird oftmals eine wirtschaftliche Einheit im Vertikalverhältnis vorliegen2. Insofern gehen die Rechtsprechung3 und Teile der juristischen Literatur4 1 BGH v. 26. 6. 2006 – II ZR 133/05, ZIP 2006, 2272; BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 (661); BGH v. 15. 3. 1999 – II ZR 337/97 (Leitsatz mit Anmerkung von Goette), DStR 1999, 510 f.; OLG Hamm v. 26. 5. 1997 – 8 U 115/96, NJW-RR 1999, 259 (260); OLG Dresden v. 15. 6. 1998 – 2 U 325/98, NZG 1999, 594 (nur Leitsätze); LG Leipzig v. 21. 3. 1997 – 12 T 476/97, NJW-RR 1998, 760 (761). 2 BGH v. 21. 9. 1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311 (315); BGH v. 16. 12. 1991 – II ZR 294/90, ZIP 1992, 242 (244); BGH v. 19. 9. 1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 (176). 3 Mit interessanten Rechtsfolgen in der Parallelinsolvenz von Tochter- und Muttergesellschaft: BGH v. 30. 4. 2001 – II ZR 322/99, GmbHR 2001, 567 (568). 4 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 24; v. Gerkan in Röhricht/Graf v. Westphalen, HGB, 2. Aufl. 2001, § 172a Rz. 58; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 32a, b Rz. 121.
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§4
Rz. 111
Eigenkapitalersatzrecht
von einer grundsätzlichen Gleichstellung der Leistung eines verbundenen Unternehmens mit der eines Gesellschafters in Form einer unwiderleglichen Vermutung aus1. 111
Allerdings erscheint die in der juristischen Literatur vertretende Differenzierung anhand einer Wertung des Einflusses des verbundenen Unternehmens auf den Gesellschafter der die Leistung empfangenden Gesellschaft eher sachgerecht. Im Ausgangspunkt geht auch diese Ansicht von der Annahme aus, dass verbundene Unternehmen eine Finanzierungsfolgenverantwortung trifft. Im Einzelfall muss aber das unternehmerische Interesse bzw. der unternehmerische Einfluss des verbundenen Unternehmens auf Finanzierungsentscheidungen hinsichtlich der die Leistung empfangenden Gesellschaft eine Finanzierungsfolgenverantwortung rechtfertigen2. Hat die Muttergesellschaft somit eine Beteiligung an der Tochtergesellschaft von 100%, wird der erforderliche unternehmerische Einfluss ohne weiteres bejaht werden können. Auch bei einer Beteiligung in Höhe von 75% ist dieser Einfluss vorhanden3. Selbst bei der Beteiligung von lediglich 50 + x% kann das verbundene Unternehmen regelmäßig einen Gesellschafterbeschluss erzwingen, der die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft dazu zwingt, eine Leistung an die Enkelgesellschaft zu erbringen, so dass die eigene Leistung der Muttergesellschaft von der Leistung der Tochtergesellschaft im Regelfall faktisch nicht unterschieden werden kann4. Bereits auf dieser Ebene erweist sich aber eine differenzierte Betrachtungsweise anhand des unternehmerischen Einflusses als sachgemäß. Sollten statuarische Bestimmungen bestehen, die andere Mehrheitserfordernisse für solche Beschlüsse vorsehen, ist auch im Falle eines verbundenen Unternehmens (Mehrheitsbeteiligung) der für die Zurechnung der Finanzierungsfolgenverantwortung erforderliche Einfluss nicht unbedingt vorhanden. Bereits in diesem Fall müssten weitere Umstände die Gleichstellung mit einem Gesellschafter rechtfertigen. Im umgekehrten Fall gilt jedoch, dass eine Minderheitsbeteiligung beim Vorliegen statuarischer Sonderrechte, insbesondere von Stimm-, Informationsoder Mitspracherechten, zu einem für die Annahme einer Finanzierungsfolgenverantwortung ausreichenden unternehmerischen Einfluss führen kann. Beispiel5: In einem dreistufigen Beteiligungsverhältnis besteht eine schlichte Beteiligungskette. Die Muttergesellschaft hat eine Beteiligung von 40% an der Tochtergesellschaft, die wiederum eine lediglich 40%ige Beteiligung an der Enkelgesellschaft hält. In diesem Fall rei1 BGH v. 30. 4. 2001 – II ZR 322/99, GmbHR 2001, 567 (568). 2 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 149; Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 12.10 ff.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 64; Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.43. 3 BGH v. 29. 4. 1990 – II ZR 174/89, ZIP 1990, 1467 (1467). 4 BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 (1314); BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 179/99, ZIP 2001, 115 (115 f.); BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 (661). 5 Nach Hommelhoff, WM 1984, 1105 (1116).
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Rz. 114
§4
chen die Beteiligungsverhältnisse für die Annahme eines verbundenen Unternehmens nicht aus. Dennoch könnte es gerechtfertigt sein, die Regeln über den Eigenkapitalersatz anzuwenden, soweit zusätzliche Umstände vorliegen, die auf weiter gehende Einflussmöglichkeiten sowohl zwischen Mutter und Tochter als auch zwischen Tochter und Enkelin schließen lassen. Insofern sollte hinsichtlich aller Beteiligungsverhältnisse Folgendes gelten: Ein Minus an Beteiligungen kann durch ein Plus an Einflussnahme ausgeglichen werden1.
Soweit die Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft gleichzusetzen (z.B. 100 % Beteiligung) ist, muss im Verhältnis zwischen Tochter- und Enkel-Gesellschaft eine Beteiligung von mindestens 10% bestehen. Dies folgt aus dem Privilegierungstatbestand des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG. Wenn eine prinzipielle Finanzierungsfolgenverantwortung der Tochtergesellschaft nicht besteht, kann auch das verbundene Unternehmen nicht für eine gewährte Leistung unter den Regeln des Eigenkapitalersatzes haften.
112
Der grundsätzlichen Einordnung der Leistung verbundener Unternehmen als Eigenkapitalersatz ist allerdings zuzugeben, dass in den Konzernfällen des § 18 AktG das Konzernunternehmen nur ausnahmsweise und nach eigener Entlastung dem Gesellschafter nicht gleichzusetzen sein wird2. Auch bei einer Beherrschung des Gesellschafters im Sinne des § 17 AktG kann nichts anderes gelten3. Denkbar wäre aber auch, der Muttergesellschaft stets die Beweislast aufzuerlegen4. Soweit ersichtlich räumt die Rechtsprechung dem verbundenen Unternehmen jedoch keine Exkulpationsmöglichkeit ein.
113
Wenn die Finanzierungsfolgenverantwortung des verbundenen Unternehmens feststeht, sind die Motive für die Finanzierung unerheblich. Entscheidend ist lediglich die eigenkapitalersetzende Funktion der Leistung5. Beispiel6: Eine Gebietskörperschaft, die über eine 100%ige Tochter-GmbH an einer Beschäftigungsförderungs-GmbH beteiligt ist, wird einem Gesellschafter gleichgestellt, selbst wenn sie mit der Leistung keine unternehmerischen Zwecke verfolgt.
Bei Personengesellschaften, in der Aktiengesellschaft und bei Beteiligungsverhältnissen, welche mehr als drei Stufen umfassen, muss angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände im Einzelfall und mit Rücksicht auf die Gesellschaftsform geprüft werden, ob ein unternehmerischer Einfluss bzw. ein unternehmerisches Interesse bei der leistenden Gesellschaft besteht. Nur soweit die leistende Gesellschaft dem Gesellschafter gleichzustellen ist, können die Eigenkapitalersatzregeln zur Anwendung gelangen.
1 Hommelhoff, WM 1984, 1105 (1116). 2 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 149; Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 12.15. 3 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 149. 4 Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 12.15. 5 BGH v. 19. 9. 1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 (176). 6 Nach OLG Düsseldorf v. 23. 9. 1994 – 17 U 210/93, ZIP 1995, 465 (466).
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§4
Rz. 115
Eigenkapitalersatzrecht
Im Übrigen hat der BGH entschieden, dass auch eine öffentliche Körperschaft als verbundenes Unternehmen in Betracht kommt1. bb) Horizontale Finanzierung 115
Bei einer vertikalen Finanzierung kann es zur Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz bereits genügen, wenn der Mehrheitsgesellschafter die Geschäftspolitik des Gesellschafters bestimmen und dem Geschäftsführer Weisungen erteilen kann2 (vgl. Rz. 111). Anders liegen jedoch die Fälle bei einer Finanzierung durch eine Schwestergesellschaft. Bei einer horizontalen Finanzierung ist generell zwischen drei verschieden Fallgruppen zu differenzieren: –
Die Schwestergesellschaft tritt als Zahlungsmittler der gemeinsamen Muttergesellschaft auf;
–
im Rahmen einer Betriebsaufspaltung leistet die Schwestergesellschaft an die sich in der Krise befindende Gesellschaft;
–
Finanzierungshilfen werden direkt aus dem Vermögen der Schwestergesellschaft geleistet.
(1) Schwestergesellschaft als Zahlungsmittler 116
Tritt die Schwestergesellschaft als Zahlungsmittler der gemeinsamen Muttergesellschaft auf, stellt dies eine unzulässige Umgehung der Eigenkapitalersatzregeln dar. Als Zahlungsmittler oder „Strohmann“ tritt die Schwestergesellschaft auf, wenn die ausgereichten Darlehensmittel wirtschaftlich nicht aus dem Vermögen des Schwesterunternehmens, sondern aus dem Vermögen der Muttergesellschaft stammen. Dem Vermögen der Muttergesellschaft wirtschaftlich zuzuordnen sind dabei auch Mittel, die die Muttergesellschaft im Vorfeld einer Finanzierung durch die Schwestergesellschaft dieser geschenkt hatte3. (2) Betriebsaufspaltung
117
Bei der Betriebsaufspaltung4 wird ein einheitliches Unternehmen in zwei getrennte, rechtlich selbständige Unternehmen gespalten. Das Besitzunternehmen – meist in der Rechtsform einer Personengesellschaft – bleibt Träger und Zuordnungssubjekt des Anlagevermögens, welches an die Betriebsgesellschaft auf Grund von Miet-, Pacht- oder Leasingverträgen überlassen wird. Die Betriebsgesellschaft wird zumeist als GmbH errichtet. Oft besteht volle oder weitgehende Gesellschafteridentität zwischen den zwei Gesellschaften. 1 Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 145 m.w.N.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 24. 2 BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 (1315). 3 Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 12.21. 4 Allgemein zu den konzernrechtlichen Haftungsrisiken: Keßler, GmbHR 1993, 541, (546 ff.).
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Adressaten des Eigenkapitalersatzrechts
Rz. 118
§4
In einigen Fällen hält die Besitzgesellschaft selbst die Geschäftsanteile der Betriebsgesellschaft. Im letzteren Fall ist sie sodann keine Schwestergesellschaft, sondern Gesellschafter der Betriebsgesellschaft. Da die Besitzgesellschaft lediglich existiert, um das Anlagevermögen der Betriebsgesellschaft zu überlassen, betreiben beide Gesellschaften in wirtschaftlicher Hinsicht nur ein einziges Unternehmen. Aufgrund dieser wirtschaftlichen Einheit, die insbesondere durch eine enge sachliche und personelle Verflechtung der Unternehmen gekennzeichnet ist1, wird sowohl von der Rechtsprechung2 als auch von der juristischen Literatur3 angenommen, dass die Schwestergesellschaft in solchen Fällen zum Normadressatenkreis der Rechtsprechungs- und Novellenregeln gehört. Bei Anhaltspunkten für eine wirtschaftliche Einheit dürfte diese wohl auch bei nur teilweiser Gesellschafteridentität zu bejahen sein4. (3) Finanzierungshilfen aus dem Vermögen der Schwestergesellschaft Mit Hinblick auf eine Finanzierung im Vertikalverhältnis hat der BGH zu Recht entschieden, dass Finanzierungen in horizontaler Richtung (zwischen Schwestergesellschaften) auch unter die Regeln des Eigenkapitalersatzes fallen, soweit die gemeinsame Muttergesellschaft über eine Beteiligung an der leistenden Gesellschaft verfügt, welche die Muttergesellschaft ermächtigen würde, eine Leistung an die Schwestergesellschaft durch Gesellschafterbeschluss zu erzwingen. Diese so genannte „maßgebliche Beteiligung“ wird im Regelfall dann vorliegen, wenn die gemeinsame Muttergesellschaft über eine einfache Mehrheit im Sinne des § 47 Abs. 1 GmbHG verfügt5. Im Unternehmensverbund wird eine Finanzierung durch die Schwestergesellschaft als eigenkapitalersetzend eingestuft, wenn die Schwestergesellschaft für die Finanzierung der einzelnen Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe verantwortlich ist. Das beruht auf der Tatsache, dass die gemeinsame Muttergesellschaft gegenüber dieser „Finanzgesellschaft“ eine Ausgleichspflicht haben wird6. Aber auch in diesem Fall kommt es – mit Rücksicht auf die obigen Ausführungen zu Leistungen im Vertikalverhältnis – auf den unternehmerischen Einfluss der Muttergesellschaft auf die Schwestergesellschaft an, so dass auch hier eine differenzierende Betrachtungsweise sachgemäß ist.
1 OLG Schleswig v. 3. 5. 2007 – 5 U 128/06, ZIP 2007, 1217 (1219) – nicht rechtskräftig. 2 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (34 ff.); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (5); OLG Schleswig v. 3. 5. 2007 – 5 U 128/06, ZIP 2007, 1217 (1219) – nicht rechtskräftig. 3 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 150 m.w.N. 4 In steuerrechtlicher Hinsicht kann die Betriebsaufspaltung jedoch insbesondere für den gemeinsamen Gesellschafter der Unternehmen interessant sein. Für einen Überblick hinsichtlich der steuerrechtlichen Besonderheiten der Betriebsaufspaltung vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 18 Rz. 11 ff. 5 BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 (1315). 6 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 65.
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§4
Rz. 118a
Eigenkapitalersatzrecht
e) Mittelbarer Gesellschafter 118a
Die Eigenkapitalersatzregeln sind auch in den Fällen anwendbar, in denen der Kreditgeber über eine zwischengeschaltete Gesellschaft – und folglich nur mittelbar – an der kreditnehmenden Gesellschaft selbst beteiligt ist. Dies hat das OLG Hamburg1 kürzlich zu Recht unter Hinweis auf den Umgehungstatbestand des § 32a Abs. 3 GmbHG entschieden. Auf das zuvor dargestellte Erfordernis einer maßgeblichen Beteiligung bei einer Kreditvergabe durch ein verbundenes Unternehmen kommt es insoweit jedoch nicht an. Denn in dem vorliegenden Fall vergibt nicht ein unbeteiligtes Unternehmen als „Dritter“ den Kredit, sondern der Gesellschafter selbst und sei es nur als mittelbarer Gesellschafter. Als Kreditgeber und Adressat i.S.d. Eigenkapitalersatzregeln ist nämlich anzusehen, wer zumindest aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise mit Risikokapital an der kreditnehmenden Gesellschaft beteiligt ist2. Diese trifft auf den kreditgebenden mittelbaren Gesellschafter zu. Entscheidend ist allein, ob die mittelbare Beteiligung an der kreditnehmenden Gesellschaft die Schwelle von 10% überschreitet, § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG.
III. Eigenkapitalersetzende Leistungen 119
Die Umqualifizierung einer Gesellschafterleistung in Eigenkapitalersatz wurzelt in der Pflicht eines (im Grundfall) GmbH-Gesellschafters, eine ordnungsgemäße Unternehmensfinanzierung sicherzustellen. Diese Finanzierungsfolgenverantwortung leitet sich im Wesentlichen aus der Gesellschafterstellung eines jeden Gesellschafters und der wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens ab. Obwohl die eingetretene Krise der Gesellschaft keine Pflicht des Gesellschafters begründet, zusätzliches Haftkapital der Gesellschaft zuzuführen („Finanzierungs-Ob“), greifen gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Art und Weise der Finanzierung in der Krise („Finanzierungs-Wie“). Bei der Zufuhr frischen Eigenkapitals besteht begriffslogisch keine Notwendigkeit zur Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln. Soweit sich der Gesellschafter aber schuldrechtlicher Finanzierungsformen bedient, um das notleidende Unternehmen zu unterstützen, kann er in Höhe der schuldrechtlich ausgestalteten Finanzierung nach den Eigenkapitalersatzregeln haften. Nach den Rechtsprechungs- und Novellenregeln ist der Ausgangspunkt der eigenkapitalersetzenden Leistung das Gesellschafterdarlehen (§ 32a Abs. 1 GmbHG). Jedoch bestimmt bereits § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG, dass sämtliche Leistungen, welche einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen, Gegenstand des Eigenkapitalersatzrechts sein können. Insofern sind eigenkapitalersetzende Leistungen auch so vielfältig denkbar, wie eine schuldrechtliche Ausgestaltung verschiedener Finanzierungsformen möglich ist. Angesichts der 1 OLG Hamburg v. 16. 12. 2005 – 11 U 198/05, GmbHR 2006, 200 (201) (mit Anmerkung von Schröder). 2 OLG Hamburg v. 16. 12. 2005 – 11 U 198/05, GmbHR 2006, 200 (202); Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 32a Rz. 158.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 122
§4
stets wachsenden Kasuistik der Rechtsprechung1 müssen sämtliche schuldrechtlichen Verhältnisse zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern im Einzelfall durchleuchtet werden. Explizit gilt dies auch für vom Gesellschafter für Leistungen Dritter gestellten Sicherheiten, welche einem Darlehen durch den Gesellschafter wirtschaftlich entsprechen (§ 32a Abs. 2 GmbHG).
1. An die Gesellschaft erbrachte Leistungen a) Darlehensgewährung Grundfall der eigenkapitalersetzenden Leistung ist das Darlehen eines Gesellschafters an die in die Krise geratene Gesellschaft. Für die Rechtsprechungsregeln ergibt sich dieser Grundfall aus dem sog. Lufttaxi-Urteil2. Der historische Gesetzgeber folgte diesem Ansatz und fügte dem GmbHG mit der GmbHG-Novelle von 1980 eine entsprechende Regelung (§ 32a Abs. 1 GmbHG) hinzu. Diese Konstellation als Grundfall des Eigenkapitalersatzes zu entwickeln ist sowohl aus tatsächlicher als auch aus rechtlicher Sicht kein Zufall; aus tatsächlicher Sicht deshalb, weil die Zufuhr des dem Eigenkapital in steuer- und haftungsrechtlicher Hinsicht überlegenen Fremdkapitals ein beliebtes Mittel der Gesellschafter zur Finanzierung von Kapital- und Personengesellschaften war und ist. In rechtlicher Hinsicht beheben solche Darlehen in der Krise der Gesellschaft zwar kurzfristig die Zahlungsunfähigkeit, wirken sich auf eine vorhandene Überschuldung oder Unterbilanz der Gesellschaft jedoch nicht aus, da das der Gesellschaft zugeflossene Vermögen ohne Erklärung eines entsprechenden Rangrücktritts (vgl. Rz. 226 ff.) durch einen entsprechenden Passivposten (Verbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter) egalisiert wird3. Aufgrund der fortbestehenden Überschuldung sind mithin Rechtsgedanke und Schutzbereich der §§ 30, 31 GmbHG in solchen Fällen einschlägig. Solche Darlehen in der Krise der Gesellschaft als Eigenkapital zu behandeln ist also logische Folge der §§ 30 ff. GmbHG.
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Begrifflich ist das Darlehen im Sinne der §§ 488, 607 BGB zu verstehen. Sowohl die Zurverfügungstellung von Geld als auch die Überlassung von Sachen werden als Darlehen im Sinne der Rechtsprechungs- und Novellenregeln verstanden. Die (Un-)Entgeltlichkeit des Gesellschafterdarlehens ist keine Voraussetzung der Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz4.
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Von dem Sachdarlehen (§ 607 BGB) zu unterscheiden ist die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung (vgl. Rz. 142). Bei einem Sachdarlehen wird die Sache dem Vermögen der Gesellschaft zugefügt, während die Nutzungsüberlas-
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1 Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung ergeben sich z.B. im Bereich der Gesellschafterdienstleistung bzw. eines unwiderruflichen Kaufangebots des Gesellschafters: Entscheidung des österreichischen OGH v. 24. 2. 2000 – 8 Ob 136/99d, NZG 2000, 1126 (1126 f.); BGH v. 5. 7. 1999 – II ZR 260/98, DStR 1999 (1409); OLG Köln v. 12. 8. 1998 – 11 U 12/98, NZG 1999, 314 (315) mit Anmerkung von Michalski/de Vries. 2 BGH v. 14. 12. 1959 – III ZR 187/57, BGHZ 31, 258 (268 f.). 3 Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 80; vgl. aber auch zur Passivierungspflicht eigenkapitalersetzender Leistungen, BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (271 ff.). 4 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 140.
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§4
Rz. 123
Eigenkapitalersatzrecht
sung meist ein lediglich zeitlich begrenztes Recht auf Nutzung einräumt1. Diese strikte Trennung ist insbesondere deswegen zu beachten, weil die als Sachdarlehen gewährte Leistung in das liquide Vermögen der Gesellschaft übergeht. Somit besteht im Gegensatz zur Nutzungsüberlassung ein wesentlicher Unterschied in der Rechtsfolge: Während das Nutzungsobjekt lediglich weiterhin überlassen werden muss (Nutzungswert), haftet das Sachdarlehen voll als Eigenkapital (Sachwert). 123
Darlehen (und sonstige Leistungen) eines Gesellschafters, welche bereits zum Zeitpunkt der Gewährung zur langfristigen Belassung oder unter Ausschluss einseitiger Kündigungsmöglichkeiten des Gesellschafters bestimmt und für die Finanzierung einer ansonsten illiquiden Gesellschaft notwendig sind (so genannte Finanzplankredite), bilden keinen eigenständigen Fall des Eigenkapitalersatzes2. Sollten solche Kredite (oder andere Leistungen) versprochen oder gewährt werden, ergibt sich ihre Einstufung als „Quasi-Kapital“ nicht aus den allgemeinen Regeln zum Kapitalersatzrecht, sondern aus der schuldrechtlichen oder satzungsmäßigen Absprache der Gesellschafter (vgl. Rz. 217 ff.).
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Ferner muss der Gesellschafter das Darlehen in der Krise der Gesellschaft (vgl. Rz. 237 ff.) gewährt haben. Insofern kann im Einzelfall entscheidend sein, welche Handlung für die Darlehensgewährung maßgebend ist. Es ist allgemein anerkannt, dass die Gewährung der Sache bzw. des Geldes deren tatsächlicher Überlassung nicht gleichzusetzen ist. Vielmehr bewertet die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits eine bindende Zusage solcher Darlehensmittel als Gewährung des Darlehens im Sinne des § 32a GmbHG bzw. der Rechtsprechungsregeln3. So hat der BGH entschieden, dass bereits die bindende Zusage der Gesellschaft Vorteile verschaffen kann4. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass der Gesellschafter bereits zugesagte Gelder auch nach Insolvenzeröffnung aufgrund der Eigenkapitalersatzregeln auszahlen muss. Vielmehr wird eine erbrachte Leistung bereits mit der bindenden Zusage eigenkapitalersetzend5 (vgl. Finanzplankredit, Rz. 217 ff.).
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Von der Rechtsprechung wird stets betont, dass nicht jedes Gesellschafterdarlehen Eigenkapitalersatz darstellt6. Vielmehr erfordert die Umqualifizierung eines Gesellschafterdarlehens in Eigenkapitalersatz die genaue Betrachtung der objektiven Umstände des Einzelfalles7. Dies spielt insbesondere dann eine entscheidende Rolle, wenn mehrere Gesellschafterdarlehen über einen längeren Zeitraum gewährt werden, obwohl die Gesellschaft in diesem Zeitraum finan1 2 3 4 5
Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 98. BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116 (117 f.). BGH v. 19. 9. 1996 – IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298 (303 f.). BGH v. 19. 9. 1996 – IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298 (303). BGH v. 19. 9. 1996 – IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298 (303 f.); im Ergebnis ebenso, aber mit anderer dogmatischer Begründung: K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 31. 6 BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (24); OLG Düsseldorf v. 2. 3. 1989 – 12 U 74/88, WM 1989, 1068 (1170); OLG Düsseldorf v. 25. 11. 1993 – 6 U 245/92, DB 1994, 371 (372). 7 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (211 ff.); BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (25).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 126
§4
zielle Engpässe aufweist1. Dies hat zum einen zur Folge, dass die Umqualifizierung früherer Gesellschafterdarlehen in Eigenkapitalersatz die Umqualifizierung weiterer Gesellschafterdarlehen nicht allein begründen kann2. Zum anderen muss insbesondere bei kurzfristigen Überbrückungskrediten auf die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft hinsichtlich eines Kredites dieser Art geachtet werden. Soweit die Gesellschaft noch bei einem außen stehenden Dritten Kreditwürdigkeit für einen Kredit zur Überbrückung eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses besitzt, kann der Gesellschafter der Gesellschaft „Fremdkapital“ zuführen, ohne durch diese Handlung eine Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz befürchten zu müssen3. Insofern ist entscheidend, ob erwartet werden kann, dass ein Kredit dieser Art, den auch ein außen stehender Dritter gewähren würde, alsbald durch sonstige Finanzierungsmittel rückführbar wäre4. Grundsätzlich unterliegt ein allein zur Überbrückung eines kurzfristigen und vorübergehenden dringenden Finanzbedarfs an die Gesellschaft gegebenes Darlehen – soweit nicht weitere Umstände für die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft vorliegen – nicht den Eigenkapitalersatzregeln5. Der BGH betont, dass dies aber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen der Fall ist. Ergänzend wird nämlich gefordert, dass aus objektiver Sicht aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens damit gerechnet werden kann, dass die Gesellschaft den Kredit innerhalb der vorgesehenen kurzen Zeitspanne, also fristgerecht, ablösen kann6. In zeitlicher Hinsicht wird hierbei von der Rechtsprechung die in § 64 Abs. 1 GmbHG zum Ausdruck gebrachte Wertung als Maßstab dafür herangezogen, wann ein kurzfristiger Überbrückungskredit vorliegt, so dass der Zeitraum der Mittelgewährung längstens drei Wochen betragen darf7. Auch das OLG Hamburg8 hat kürzlich entschieden, dass die laufende planmäßige Zahlung bzw. Vorfinanzierung von Lieferantenverbindlichkeiten durch einen Gesellschafter nicht als kurzfristiger Überbrückungskredit, sondern – ähnlich einem Dispositionskredit – als kapitalersatzrechtlich relevante Gesellschafterfinanzierung 1 BGH v. 19. 9. 1996 – IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298 (303 f.); K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 41. 2 BGH v. 19. 9. 1996 – IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298 (303 f.). 3 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (393 f.); OLG Düsseldorf v. 2. 3. 1989 – 12 U 74/88, WM 1989, 1068 (1170 f.); OLG Düsseldorf v. 25. 11. 1993 – 6 U 245/92, DB 1994, 371 (372). 4 BGH v. 19. 9. 1996 – IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298 (303 f.). 5 BGH v. 17. 7. 2006 – II ZR 106/05, ZIP 2006, 2130; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 34; v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.50. 6 BGH v. 17. 7. 2006 – II ZR 106/05, ZIP 2006, 2130; BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, ZIP 1984, 572 (576); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 34. 7 BGH v. 17. 7. 2006 – II ZR 106/05, ZIP 2006, 2130. 8 OLG Hamburg v. 17. 2. 2006 – 11 U 98/05, GmbHR 2006, 813 unter Hinweis darauf, dass aufgrund der Finanzierungsfolgenverantwortung und der planmäßigen Gewährung eines auf Dauer angelegten Dispositionskredits insbesondere auch nicht isoliert auf die einzelnen getilgten Verbindlichkeiten der Gesellschaft abgestellt werden könne.
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§4
Rz. 127
Eigenkapitalersatzrecht
anzusehen sei. Hierbei handle es sich nämlich regelmäßig um eine langfristig angelegte Darlehensgewährung, sofern die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum (vorliegend mehere Monate) nicht in der Lage ist, ihre Lieferantenforderungen zu begleichen. 127
Ein besonderes subjektives Merkmal bei der Gewährung des Darlehens bildet – im Gegensatz zur früher herrschenden Meinung – die Kenntnis bzw. zumindest das Erkennenkönnen der Krise durch den Gesellschafter1. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird dieses Merkmal zwar lediglich für das Stehenlassen einer Gesellschafterleistung explizit gefordert2. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist jedoch anzunehmen, dass für die Umqualifizierung jeglicher Gesellschafterleistungen jedenfalls die Möglichkeit der Kenntnis der Krise erforderlich ist3. Die praktischen Konsequenzen dieses dogmatisch bedeutsamen Merkmals dürften allerdings gering sein. In vielen Fällen wird zumindest eine konkludente Vereinbarung über das Stehenlassen eines Darlehens erkennbar sein. Insbesondere in den Fällen, in denen eine bewusste Krisenfinanzierung stattfand, ist dies unproblematisch. Weiterhin ist widerleglich zu vermuten, dass der mit unternehmerischem Interesse handelnde Gesellschafter auch von den wirtschaftlichen und finanziellen Umständen, die zur Krise der Gesellschaft führten, Kenntnis hätte erlangen können. In der Konsequenz bewirkt dies eine Beweislastumkehr: Der Gesellschafter muss die fehlende Kenntnis der Krise darlegen und beweisen4.
! Hinweis: Selbstverständlich sind auch die Privilegierungstatbestände (§ 32a Abs. 3, Satz 2, 3 GmbHG) bei diesen Prüfungen zu beachten (vgl. Rz. 75 ff.). Soweit das Darlehen vom „Kleingesellschafter“ oder als „Sanierungkredit“ gewährt wird, gelten die Eigenkapitalersatzregeln nicht.
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b) Stehenlassen eines Darlehens 129
Befindet sich die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Gewährung eines Darlehens nicht in der Krise, so kann die versprochene bzw. ausgekehrte Valuta dennoch eigenkapitalersetzend sein, soweit der Gesellschafter zum späteren Zeitpunkt des Kriseneintritts eine weitere Finanzierungsentscheidung trifft, die seine Verantwortung für diese Finanzierung auch in der Krise begründet. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das bereits gewährte Darlehen „stehen gelassen“ wird. Aufgrund dieser erneuten Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters sind solche Fälle gemäß § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG der Gewährung einer in der Krise gewährten Leistung gleichzustellen5. 1 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 101; Jung in Müller/Hense, Handbuch der GmbH, 3. Aufl. 2002, § 8 Rz. 226. 2 BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 370/98, ZIP 2000, 1491 (1491); BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (344 f.). 3 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 101. 4 BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (347); BGH v. 15. 6. 1998 – II ZR 17/97, ZIP 1998, 1352 (1352). 5 BGH v. 26. 11. 1979 – II ZR 104/77, BGHZ 75, 334 (337 f.).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 130
§4
Die Umqualifizierung einer Gesellschafterleistung in Eigenkapitalersatz durch Stehenlassen wird primär dadurch charakterisiert, dass eine vor der Krise gewährte Finanzierung (Gesellschafterleistung) der Gesellschaft bei Eintritt der Krise nicht entzogen wird. In dieser Fallgestaltung kann die Gesellschafterleistung bereits zum Zeitpunkt der (Erst-)Gewährung nur dann eigenkapitalersatzähnlich haften, soweit eine Vereinbarung dieses Inhalts für den Kriseneintritt bereits getroffen wurde (Finanzplankredit, vgl. Rz. 217 ff.). Anderenfalls begründet erst das weitere Verhalten des Gesellschafters, das Nicht-Abziehen der Finanzierung, eine Finanzierungsfolgenverantwortung, welche die Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz rechtfertigen könnte. Insofern muss bei der Prüfung des Stehenlassens einer kapitalersetzenden Gesellschafterleistung der Frage nachgegangen werden, wie sich eine die Finanzierungsfolgenverantwortung begründende Handlung (Unterlassen) des Gesellschafters manifestieren kann. Im Wesentlichen setzt das notwendige Verhalten des Gesellschafters zwei Umstände voraus: die Möglichkeit der Kenntnis der Krise und die Möglichkeit der Beendigung des Finanzierungsengagements1. aa) Möglichkeit der Kenntnis der Krise Als erforderliches subjektives Merkmal muss die Krise der Gesellschaft für den Gesellschafter zumindest erkennbar sein2. Dieser Grundsatz wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung stets angewendet, so dass die vereinzelten Stimmen in der juristischen Literatur, die entweder eine Finanzierungsabrede3 oder gar kein subjektives Element4 verlangen, für die Praxis von geringer Bedeutung sind. Diese Möglichkeit der Kenntnis kann nur unter Zugrundelegung einer sehr hoch angelegten Sorgfaltspflicht des einzelnen Gesellschafters verstanden werden5. Dies gilt um so mehr, wenn er Geschäftsführer der Gesellschaft ist, denn dann ist davon auszugehen, dass er die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft kennen kann und muss6 (zur Darlegungs- und Beweislast vgl. Rz. 312 ff.). Dementsprechend wurde die Möglichkeit der Kenntnisnahme in der bisherigen Rechtsprechung nur in seltenen Fällen verneint. Hat der Gesellschafter Informationen erhalten, die verfälscht7 oder von einem außen stehenden Dritten fehlerhaft bearbeitet wurden8 und sodann nicht darauf schließen ließen, dass eine Krise der Gesellschaft vorlag, könnten Umstände vorliegen, welche die Möglichkeit der Kenntnis ausschließen würden. 1 Statt aller: BGH v. 18. 11. 1991 – II ZR 258/90, ZIP 1992, 177 (179). 2 BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049; BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 21/99, ZIP 2000, 1489 (1490); BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (344 f.); Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 108, Fn. 310. 3 Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 32a, b Rz. 30 ff., 90 ff. 4 Statt aller: v. Gerkan, GmbHR 1996, 400 (401 f.). 5 BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 370/98, ZIP 2000, 1491 (1491 f.); BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (25). 6 OLG Koblenz v. 18. 1. 2006 – 1 U 1082/04, NZG 2006, 865 (867). 7 BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (25 f.). 8 BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (343 ff.).
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§4 131
Rz. 131
Eigenkapitalersatzrecht
In der Gesellschafter-Rechtsnachfolge bei der Gesellschafterstellung können auch nur vorübergehend Umstände vorliegen, welche die Möglichkeit der Kenntnis ausschließen1. Allerdings wird hier wohl zu beachten sein, dass auch dem Gesellschafter-Rechtsnachfolger eine Pflicht obliegt, sich über das Unternehmen zu informieren, so dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme in der Konsequenz lediglich zeitlich verschoben – jedoch nicht ausgeschlossen – wird (vgl. Rz. 139). Soweit dieses subjektive Merkmal nicht vorliegt, kann das Stehenlassen (Weitergewährung) der Leistung nicht zu einer Finanzierungsfolgenverantwortung führen. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit einer Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters. Wenn der Gesellschafter nicht um die Krise der Gesellschaft weiß, kann er auch nicht für die von der Rechtsprechung geforderte ordentliche Finanzierung (vgl. Rz. 4) sorgen, indem er der Gesellschaft entweder frisches Eigenkapital zuführt oder das der Gesellschaft als Fremdkapital gewährte Darlehen in Eigenkapital umqualifizieren lässt. bb) Finanzierungsentscheidung
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Wenn der Gesellschafter die Möglichkeit der Kenntnisnahme der Krise hat, muss er eine nach außen erkennbare Finanzierungsentscheidung treffen. Diese Handlung findet regelmäßig als Unterlassen statt (daher „Stehenlassen“ oder „Belassen“ der Gesellschafterleistung). Umgekehrt ausgedrückt heißt das, dass die Vornahme verschiedener Maßnahmen durch den Gesellschafter erforderlich ist, um die Umqualifizierung der bereits erbrachten Leistungen in Eigenkapitalersatz abzuwenden. Dem nichtgeschäftsführenden Gesellschafter stehen in der Regel zwei Möglichkeiten zur Abwendung der Umqualifizierung zur Verfügung: Abzug der außerhalb der Krise gewährten Leistungen oder Einleitung der Liquidation der Gesellschaft.
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Der Abzug der vom Gesellschafter gewährten Leistungen richtet sich in erster Linie nach den schuldrechtlichen Regeln, denen das Schuldverhältnis unterfällt2. Insofern ist die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft für die Beurteilung einer Beendigung des Schuldverhältnisses maßgebend. Diese werden lediglich von zwingenden gesetzlichen Regelungen eingeschränkt bzw. im Falle des Fehlens einer vertraglichen Regelung ergänzt. Insbesondere bei Gesellschafterdarlehen wird im Regelfall die Krise der Gesellschaft einen außerordentlichen Kündigungsgrund im Sinne des § 490 BGB darstellen3. Soweit ein außerordentliches Kündigungsrecht für einzelne Schuldverhältnisse nicht aufgrund gesetzlicher Bestimmungen besteht, können Vereinbarungen zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft bereits im schuldrechtlichen Vertrag getroffen werden, die ein außerordentliches Kündigungsrecht bei einer wesentlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Ver1 Weisang, WM 1997, 197 (203). 2 Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 73 m.w.N. 3 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.98 m.w.N.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 135
§4
hältnisse des Unternehmens vorsehen. Die ordentliche Kündigung bleibt weiterhin möglich. Lediglich in besonderen Fallkonstellationen wird das Kündigungsrecht des Gesellschafters de iure ausgeschlossen sein, so dass die Möglichkeit des Abzugs des Finanzengagements nicht besteht. Beispiel1: Eine Bank war Gesellschafterin einer insolventen GmbH mit einer Beteiligung in Höhe von 20% des Stammkapitals. Außerhalb der Krise der Gesellschaft hat die Bank Erfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften gewährt. Diese waren durch eine Grundschuld an einem Grundstück der GmbH gesichert worden. Die Bürgschaften wurden mit Eintritt der Krise nicht gekündigt, und die Bank hat einen Liquidationsbeschluss nicht angestrebt. In einem solchen Fall ist der Abzug des Finanzierungsengagements durch Kündigung der Bürgschaft de iure ausgeschlossen, denn das Risiko der Bank ist ausreichend durch die werthaltige Grundschuld abgedeckt (§ 775 BGB). Da eine Kündigung sowie eine Freistellung nach § 775 BGB ausgeschlossen sind, besteht keine Möglichkeit des Abzugs des Finanzierungsengagements, so dass eine Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz aus diesem Grund nicht möglich ist.
Nicht ausreichend ist allerdings allein die wiederholte und nachdrückliche Rückforderung des Darlehens durch den Gesellschafter, wenn er diese Forderung weder zwangsweise durchsetzt noch die Liquidation der Gesellschaft einleitet2.
! Hinweis: Die Grundsätze über das Stehenlassen von Darlehen können für das Stehenlassen von Nutzungsüberlassungen nicht uneingeschränkt angewendet werden, insbesondere hinsichtlich der Kündigung. In einem solchen Fall gelten besondere Regeln (vgl. Rz. 159 ff.).
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Soweit keine Möglichkeit des Abzugs des Finanzengagements besteht, muss zusätzlich geprüft werden, inwieweit der Gesellschafter einen Liquidationsbeschluss der Gesellschaft herbeiführen kann. In der bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage stellen die Gerichte auf die Möglichkeit des einzelnen Gesellschafters bzw. einer Gesellschaftergruppe ab, einen Liquidationsbeschluss gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG gegen den Willen der sonstigen Gesellschafter (soweit vorhanden) durchzusetzen3. Daher fordert die Rechtsprechung eine Mindestbeteiligung dieses Gesellschafters bzw. der Gesellschaftergruppe in Höhe von 75% des Stammkapitals, um das Unterlassen eines Liquidationsbeschlusses als hinreichende Handlung zur Umqualifizierung einer Gesellschafterleistung in Eigenkapitalersatz gelten zu lassen. Bei einer Betriebsaufspaltung müssen die den Besitz- und Betriebsgesellschaften gemeinsamen Gesellschafter in der Lage sein, einen Liquidationsbeschluss herbeizuführen4.
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1 Nach BGH v. 18. 11. 1991 – II ZR 258/90, ZIP 1992, 177 (179). 2 So: OLG Koblenz v. 18. 1. 2006 – 1 U 1082/04, NZG 2006, 865 (867 f.) unter Hinweis darauf, dass eine ausdrückliche oder konkludente Finanzierungsabrede nicht erforderlich sei. 3 BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1377 f.); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, ZIP 1993, 189 (191); OLG Hamm v. 26. 5. 1997 – 8 U 115/96, GmbHR 1998, 834 (834). 4 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (36 ff.); K. Schmidt, ZIP 1993, 161 (167).
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§4 136
Rz. 136
Eigenkapitalersatzrecht
Es ist allerdings erstaunlich, dass sich die Rechtsprechung – soweit ersichtlich – nicht mit der Möglichkeit des Gesellschafters, gemäß § 61 Abs. 1 GmbHG einen Liquidationsbeschluss gerichtlich herbeizuführen, befasst. In der juristischen Literatur1 wird hierzu die Ansicht vertreten, dass jeder Gesellschafter, dem eine Beteiligung von 10% an einer GmbH zusteht, die Möglichkeit besitzt, einen Liquidationsbeschluss bei Eintritt der Krise der Gesellschaft gerichtlich zu erzwingen (§ 61 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Der BGH führt in seinen Entscheidungen ausdrücklich aus, dass dem einzelnen Gesellschafter die Möglichkeit zustehen muss, die Liquidation gegen den Willen der restlichen Gesellschafter durchzuführen2. In dieser Hinsicht ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum die gerichtliche Durchsetzung eines Liquidationsbeschlusses dem einzelnen Gesellschafter nicht zugemutet werden sollte. Insbesondere die Lage des notleidenden Unternehmens dürfte die Einleitung solcher Schritte zumutbar erscheinen lassen. Auch angesichts der prekären Situation des einzelnen Gesellschafters, dessen Finanzengagement aus sonstigen Gründen nicht abgezogen werden kann, ist die Einleitung solcher Schritte geradezu zwingend erforderlich. Die persönliche Haftung eines Gesellschafters aufgrund der Eigenkapitalersatzregeln bildet zudem einen wichtigen Grund für die Auflösungsklage3. Außerdem wird hervorgehoben, dass § 61 Abs. 1 GmbHG die sinnvolle Ergänzung des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG darstelle4. Ein sog. „Kleingesellschafter“ kann ohnehin nicht nach den Regeln des Eigenkapitalersatzes haften, soweit er kein Geschäftsführer ist und/oder weitere Möglichkeiten der Einflussnahme nicht vorliegen (§ 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG, vgl. Rz. 76). Wenn er Geschäftsführer sein sollte, kann er seine Haftung nach den Eigenkapitalersatzregeln durch die Stellung eines Insolvenzantrages abwenden5. Dem Sinne des § 32a Abs. 3 Satz 2 entspreche es, Gesellschafter mit einer Beteiligung von mehr als 10% an einer GmbH grundsätzlich nach den Regeln des Eigenkapitalersatzes haften zu lassen. Auch daher wird „Nicht-Kleingesellschaftern“ die Möglichkeit eingeräumt, ihr Engagement an der Gesellschaft durch ein Gerichtsurteil gemäß § 61 Abs. 1 GmbH zu beenden6. Die Annahme der Möglichkeit der gerichtlichen Erzwingung eines Liquidationsbeschlusses durch einen Gesellschafter als notwendige Maßnahme zur Abwendung der Folgen des Eigenkapitalersatzrechts widerspricht zwar den Ergebnissen der höchstrichterlichen Rechtsprechung in sämtlichen bisherigen Entscheidungen, da sie sich mit der Möglichkeit nie befasst haben. Allerdings widerspricht die Annahme einer solchen Möglichkeit nicht den Grundsätzen 1 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.104 a; Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 120. 2 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (36 f.). 3 Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 61 Rz. 8. 4 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.104 a; Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 120. 5 BGH v. 19. 12. 1994 – II ZR 10/94, ZIP 1995, 280 (281). 6 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.104 a.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 139
§4
eben dieser Rechtsprechung. Vielmehr bildet das Zusammenspiel zwischen § 32 Abs. 3 Satz 2 GmbHG und § 61 Abs. 1 GmbHG eine sinnvolle Ergänzung der bisher von der Rechtsprechung anerkannten Möglichkeiten des Gesellschafters zur Herbeiführung eines Liquidationsbeschlusses. Nur die Ausschöpfung dieser Möglichkeiten entspricht einer gewissenhaften Wahrnehmung der Pflichten des Gesellschafters. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich weitere Fälle ergeben, die dem o.g. Bürgschaftsbeispiel (s. Rz. 133) ähneln, bei dem der eigenkapitalersetzende Charakter der Leistung aufgrund der Unterlassung einer Auflösungsklage anzunehmen wäre, und wie die Rechtsprechung zukünftig in solchen Fällen verfahren wird. Anders zu beurteilen ist freilich die Lage in einer Aktiengesellschaft. Eine dem § 61 Abs. 1 GmbHG entsprechende Möglichkeit zur Auflösung der Gesellschaft besteht im Aktienrecht nicht. Vielmehr existiert lediglich die Möglichkeit zur Auflösung durch einen Beschluss der Hauptversammlung, dem eine 3/4 -Mehrheit des vertretenen Grundkapitals zustimmen muss (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Ob der mit unternehmerischem Einfluss handelnde Aktionär (s. Rz. 42) diesen Beschluss zumindest anstreben muss, um die Umqualifizierung seiner Leistungen in Eigenkapitalersatz abzuwenden, erscheint anhand der bisherigen Rechtsprechung zum GmbH-Recht zweifelhaft1. Gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage liegen – soweit ersichtlich – noch nicht vor.
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Im Gegensatz hierzu dürften die vorausgegangenen Überlegungen für die GmbH auch für die atypischen Personengesellschaften gelten (vgl. §§ 131 Abs. 1 Nr. 4, 133 HGB; § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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Der maßgebliche Zeitpunkt der Umqualifizierung stehen gelassener Gesellschafterleistungen ist der Eintritt der Gesellschaftskrise. Indes kann von einzelnen Gesellschaftern nicht verlangt werden, eine Entscheidung über ihr bisheriges Finanzierungsengagement sofort zu treffen. Daher räumt die Rechtsprechung dem Gesellschafter eine Entscheidungsfrist von zwei bis drei Wochen ein2. Diese Frist muss im Einzelfall bestimmt werden, so dass besondere Umstände zu einer Verlängerung führen können.
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Beispiel3: Der Alleinerbe des Alleingesellschafters einer GmbH stellt nach dem Tode des Gesellschafters fest, dass die GmbH seit über einem Jahr rechnerisch überschuldet ist. Allerdings benötigt er länger als drei Wochen, um sich mit den geschäftlichen Verhältnissen vertraut zu machen und die Fortführungsprognose für die Gesellschaft aufzustellen. In diesem Fall kann die von der Rechtsprechung grundsätzlich festgelegte Frist von zwei bis drei Wochen überschritten werden, soweit dies für die Feststellungen des Rechtsnachfolgers erforderlich ist. Die Dauer dieser Frist ist von den Umständen des Einzelfalls, ins1 Nach bisheriger Rechtsprechung ist lediglich die objektive Möglichkeit des Beschlusses maßgeblich: vgl. BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1377 f.); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, ZIP 1993, 189 (191); OLG Hamm v. 26. 5. 1997 – 8 U 115/96, GmbHR 1998, 834 (834). 2 BGH v. 19. 12. 1994 – II ZR 10/94, ZIP 1995, 280 (281); BGH v. 11. 12. 1995 – II ZR 128/94, ZIP 1996, 273 (275); OLG Koblenz v. 18. 1. 2006 – 1 U 1082/04, NZG 2006, 865 (868) in Anlehnung an die höchstens dreiwöchige Insolvenzantragsfrist des § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. 3 Nach BGH v. 15. 6. 1998 – II ZR 17/97, ZIP 1998, 1352 (1352).
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§4
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Eigenkapitalersatzrecht
besondere der Komplexität der nachzuvollziehenden Geschäftsvorgänge abhängig. Die Erforderlichkeit einer längeren Überlegungsfrist – wie die fehlende Möglichkeit der Kenntnis der Gesellschaftskrise – ist jedoch vom Rechtsnachfolger zu beweisen.
! Hinweis: Aufgrund des von der Rechtsprechung zur Entscheidung über das Finanzierungsengagement gewährten Zeitraumes, empfiehlt sich eine sorgfältige Dokumentation des raschen Handelns durch den Gesellschafter bzw. seinen Rechtsberater zum Abzug des Kredits.
140
cc) Checkliste: Stehenlassen eines Darlehens Checkliste: Stehenlassen eines Darlehens 141
–
Wurde das Darlehen vor Kriseneintritt gewährt?
–
Hatte der leistende Gesellschafter die Möglichkeit zur Kenntnis des Kriseneintritts?
–
Bestand für den Gesellschafter die objektive Möglichkeit, die Mittel abzuziehen (z.B. durch außerordentliche oder ordentliche Kündigung des Darlehens)?
–
Bestand für den Gesellschafter die objektive Möglichkeit, die Gesellschaft inner- oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens und gegen den Willen der restlichen Gesellschafter (soweit vorhanden) zu liquidieren?
–
Soweit die Möglichkeit der Kenntnis und die Möglichkeit des Abzugs der Mittel bzw. der Liquidation bestanden: Hat der leistende Gesellschafter von einer dieser Möglichkeiten innerhalb von drei Wochen nach Kriseneintritt Gebrauch gemacht? (Ausschluss der Umqualifizierung)
c) Nutzungsüberlassungen 142
In der Insolvenzrechtspraxis kommt der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung außerordentlich hohe Bedeutung zu. Statt die Gesellschaft mit Zahlungsmitteln in Form von Krediten oder Eigenkapital auszustatten, bevorzugen Gesellschafter oft die Überlassung eines Nutzungsobjekts (häufigster Anwendungsfall: vermietete Räume) zur Förderung der Unternehmensziele. Von Teilen der Literatur wird weiterhin diskutiert, ob eine Nutzungsüberlassung einer Darlehensgewährung entsprechen könne1. In der Tat wird die Einbeziehung der Nutzungsüberlassung in den sachlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechtes von einigen Stimmen im Schrifttum nach wie vor heftigst kritisiert2. Spätestens seit den so genannten „Lagergrund-
1 Für eine ausführliche Darstellung dieses Streits in der juristischen Literatur vgl. Haas/ Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.6 ff. 2 Insbesondere von Karsten Schmidt. Statt aller: K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 135.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 144
§4
stück“-Urteilen des BGH1 dürfte jedoch für die Rechtspraxis geklärt sein, dass die Nutzungsüberlassung der Darlehensgewährung unter bestimmten Voraussetzungen wirtschaftlich entspricht, so dass sowohl die Rechtsprechungsregeln als auch die Novellenregeln gemäß § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG anzuwenden sind2. Allerdings droht dieser Rechtsfigur durch die Einführung des MoMiG möglicherweise schon bald das Ende (vgl. Rz. 387 ff.) Aufgrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Unterschiede zum Darlehen werden dennoch besondere Rechtsfolgen an die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung geknüpft. aa) Voraussetzungen Nach gefestigter Rechsprechung des BGH müssen zur Umqualifizierung von Nutzungsüberlassungen besondere Voraussetzungen gegenüber dem Grundfall eines eigenkapitalersetzenden Darlehens vorliegen3. Die Art der Nutzungsüberlassung sowie die besonderen Erfordernisse an die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft (qualifizierte Kreditunwürdigkeit/Überlassungsunwürdigkeit) können zu besonders schwierigen Abgrenzungsfragen im Einzelfall führen. In diesen Bereichen ist die Kasuistik des BGH besonders stark ausgeprägt.
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(1) Nutzungsüberlassung Nach ständiger Rechtsprechung des BGH entspricht die Nutzungsüberlassung einem eigenkapitalersetzenden Darlehen in wirtschaftlicher Hinsicht insbesondere aufgrund ihrer finanzierungsähnlichen Auswirkung auf die Gesellschaft und der mit ihr verbundenen Beeinträchtigung des Gläubigerschutzes4. Indem der Gesellschafter der Gesellschaft ein Nutzungsobjekt überlässt, wird dem Unternehmen etwas gewährt, was es von einem außen stehenden Dritten in der Krise nicht erhalten könnte. Dadurch wird das Unternehmen weiterhin am Leben erhalten, obwohl es ohne die Unterstützung des Gesellschafters nicht dazu in der Lage wäre. Durch diese Verlängerung des „Todeskampfes“ der Gesellschaft werden die Gläubiger der notleidenden Gesellschaft gefährdet. Insbesondere durch die Vorspiegelung einer bestehenden Bonität können auch nach Kriseneintritt neue Forderungen von Gläubigern begründet werden, die von vornherein nicht bedient werden können. Zudem entsteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Gesellschafter und den restlichen Gläubigern der Gesellschaft, das im Insolvenzverfahren zu einem Verteilungskonflikt führen würde. Insofern ist gerade aus dem vom Gesetzgeber intendierten Zweck des Gläubigerschutzes zu schließen, dass die 1 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 ff.; BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 ff.; BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 ff.; BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 ff.; BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 ff. 2 Statt aller: BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (57 ff.). 3 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (57 ff.); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (34); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (5 ff.); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 (21 f.); BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1376 ff.). 4 Statt aller: BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (57 ff.).
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§4
Rz. 145
Eigenkapitalersatzrecht
Nutzungsüberlassung einem eigenkapitalersetzenden Darlehen im Sinne des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG wirtschaftlich entsprechen kann. 145
Daher gehören übliche schuldrechtliche oder dingliche Nutzungsüberlassungen dem sachlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechtes an. Insbesondere folgende Formen der Nutzungsüberlassung können im Regelfall diesem Bereich unproblematisch zugeordnet werden: –
Mietverhältnisse
–
Pachtverhältnisse
–
Leihverhältnisse
–
dingliche Nutzungsrechte (z.B. Nießbrauch)
–
rein tatsächliche Überlassung einer Sache
Solche Verträge können sowohl im Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft als auch zwischen Schwestergesellschaften im Rahmen einer so genannten Betriebsaufspaltung (vgl. Rz. 117) in eine eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung umqualifiziert werden. In der Rechtspraxis sind beide Konstellationen häufig anzutreffen (zu den o.g. schuldrechtlichen Nutzungsüberlassungen vgl. auch § 8 Rz. 174 ff.). 146
Allerdings kann die Abgrenzung zwischen einer Nutzungsüberlassung und der Gewährung einer Sicherheit bzw. eines Kredites im weiteren Sinne in einigen Fällen sehr schwierig sein. In der juristischen Literatur sind einige Fälle umstritten. Diese weisen dennoch besondere Praxisrelevanz auf, da die Rechtsfolgen einer Nutzungsüberlassung weniger einschneidend sind als die einer Darlehensgewährung oder der Bestellung einer Sicherheit.
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Verkauft der Gesellschafter den Nutzungsgegenstand an die Gesellschaft unter Eigentumsvorbehalt, sind zwei verschiedene Rechtshandlungen unabhängig voneinander zu würdigen. Zunächst besteht Einigkeit darüber, dass die mit einem unter Eigentumsvorbehalt getätigten Verkauf einhergehende Stundungsabrede eine dem Darlehen wirtschaftlich gleichzustellende Finanzierung darstellt (vgl. Rz. 204)1. Bisher wurde jedoch nicht höchstrichterlich entschieden, nach welchen Grundsätzen der Kaufgegenstand selbst zu behandeln ist. Der Kauf unter Eigentumsvorbehalt (§ 449 BGB) zeichnet sich dadurch aus, dass das wirtschaftliche Eigentum an einer Sache auf den Käufer übergeht, während das Eigentum im rechtlichen Sinne beim Verkäufer verbleibt (zu den Auswirkungen der Insolvenz auf den Eigentumsvorbehalt vgl. § 8 Rz. 144 ff.). Insofern erhält der Käufer eine Art „Nutzungsrecht“ an der Sache. Daher wird von einigen Stimmen angenommen, dass eine Nutzungsüberlassung im Rahmen der Eigenkapitalersatzregeln vorliege2.
1 Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.87a. 2 Weisang, WM 1997, 197 (204 f.); Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 168; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 32a Rz. 210.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 148
§4
Diese Ansicht verkennt jedoch die wirtschaftlichen Ziele eines Kaufes unter Eigentumsvorbehalt sowie die Wertung solcher Geschäfte durch die Insolvenzordnung. Zum einen ist der Kauf unter Eigentumsvorbehalt wirtschaftlich ein Finanzierungsgeschäft. Wie bereits ausgeführt, stellt die Stundungsabrede über den Kaufpreis eine dem Darlehen wirtschaftlich gleichzustellende Handlung dar. Diese Leistung des Gesellschafters ist an sich eigenkapitalersetzend1. Der Verbleib des Eigentums im Vermögen des Verkäufers (hier: des Gesellschafters) bildet nichts anderes als die Gewährung einer Sicherung für den gestundeten Kaufpreis2. Insofern wird in diesem Zusammenhang auch von verdeckten Formen der Kreditsicherung gesprochen3. Nach der Insolvenzordnung sind Sicherungen, welche dem Gesellschafter für eine eigenkapitalersetzende Leistung in den letzten 10 Jahren vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährt wurden, gemäß § 135 InsO anfechtbar. Da der Eigentumsvorbehalt den Anspruch des Gesellschafters aus einem eigenkapitalersetzenden Rechtsgeschäft sichert, kann dieses nicht anders behandelt werden als sonstige Sicherungsgeschäfte. Im Ergebnis hat der Gesellschafter einen (im Insolvenzverfahren nachrangigen) Anspruch gegen die Gesellschaft in Höhe des Kaufpreises. Allerdings gehört der Kaufgegenstand mit seinem Sachwert zum Haftungsverband der insolventen Gesellschaft. Der Eigentümer kann gerichtlich gezwungen werden, das Objekt zu übereignen, wenn der Insolvenzverwalter die Sicherung anficht4. Außerhalb der Insolvenz kann die Eigentumsübertragung nicht gerichtlich erzwungen werden. Jedoch besteht hierfür auch keine Notwendigkeit. Aufgrund des eigenkapitalersetzenden Charakters der Kaufpreisstundung kann der Gesellschafter die Zahlung des Kaufpreises nicht verlangen, soweit sich die Gesellschaft in der Krise befindet. Darüber hinaus werden der Anspruch des Eigentümers auf Rücktritt vom Kaufvertrag und die damit einhergehende Rückgabe der Kaufsache durch die wirksame Stundungsabrede, welche nach den Eigenkapitalersatzregeln weitere Ratenzahlungen während der Krise präkludiert, ausgeschlossen. Bei Leasingverhältnissen muss zwischen den verschiedenen Leasingarten unterschieden werden. Das Operating-Leasing bildet den typischen Fall einer Gebrauchsüberlassung auf Zeit, so dass zu Recht weitgehend Einigkeit darüber besteht, darauf die Eigenkapitalersatzregeln zur Gebrauchsüberlassung anzuwenden5. Nach der herrschenden Meinung in der juristischen Literatur wird jedoch das Finanzierungsleasing mit Vollamortisation dem Grundfall der Darlehensgewährung zugeordnet6. Dem kann nicht zugestimmt werden. Zwar spricht der BGH dem Leasinggeschäft sowohl Elemente des Mietvertrages als auch des 1 2 3 4 5
OLG Celle v. 14. 7. 1998 – 16 U 3/98, NZG 1999, 75 (77). OLG Karlsruhe v. 16. 12. 1988 – 14 U 26/86, ZIP 1989, 588 (591). K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 130, 66, 123 f. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 74. Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.87. 6 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, Rz. 138 m.w.N.
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Rz. 149
Eigenkapitalersatzrecht
Kreditvertrages zu1, und es wird vertreten, dass der Finanzierungsaspekt des Leasingvertrages den Aspekt der Gebrauchsüberlassung in dem Augenblick überwiege, in dem eine Vollamortisation geschuldet werde2. Hierdurch werde in erster Linie der Liquiditätsschutz der Gesellschaft durch den Leasingvertrag bezweckt3. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass sämtliche Nutzungsüberlassungsverträge auf schuldrechtlicher Basis den Liquiditätsschutz des Miet-, Pacht- oder Leasingnehmers bezwecken. Die Option einer Eigentumsübertragung in das Vermögen der notleidenden Gesellschaft wird durch den Finanzierungsleasingvertrag regelmäßig nicht bezweckt. Daher unterscheidet sich dieser Fall eindeutig von Fällen des Kaufes unter Eigentumsvorbehalt. Der mit dem Finanzierungsleasing-Vertrag verfolgte Zweck ist lediglich die Zuführung des Gebrauchswerts des Objektes in das Vermögen der Gesellschaft und nicht die Zuführung seines Sachwertes. Insofern ist eine Haftung des Gesellschafters mit dem Sachwert des überlassenen Objekts – gleiches gilt für das Eigentum hieran – weder rechtlich noch wirtschaftlich nachvollziehbar4. 149
Im Sale- and Lease-Back-Verfahren sind ähnliche Grundsätze anzuwenden. Obwohl die herrschende Meinung auch hier annimmt, dass der Leasinggegenstand selbst von der Kapitalersatzbindung erfasst wird5, sollten die einzelnen Leistungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter individuell bewertet werden. Soweit der Gesellschafter das Objekt von der Gesellschaft zu einem marktüblichen Preis erwirbt, besichert die Übertragung des Eigentums keine Forderung des Gesellschafters aus einer eigenkapitalersetzenden Leistung. Lediglich die weitere Überlassung des Objektes in der Krise der Gesellschaft stellt eine eigenkapitalersetzende Leistung des Gesellschafters dar, und zwar in der Form einer Gebrauchsüberlassung. Auch hier kann dem Gesellschafter nicht zur Last gelegt werden, dass ihm das Objekt zu marktüblichen Preisen verkauft und übertragen wurde. Vielmehr haftet er nach den Eigenkapitalersatzregeln über die Gebrauchsüberlassung. So hat auch das OLG Düsseldorf entschieden, allerdings ohne nähere Begründung6. Weitere Rechtsprechung zu Leasingverhältnissen im Rahmen des Eigenkapitalersatzes ist – soweit ersichtlich – nicht vorhanden. (2) Gesellschafterstellung
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Hinsichtlich der Gesellschafterstellung bei einer Nutzungsüberlassung gelten die unter Rz. 60 ff. erörterten Grundsätze. Der persönliche Anwendungsbereich der Rechtsprechungs- und Novellenregeln gilt unabhängig von der konkreten 1 BGH v. 28. 3. 1990 – VIII ZR 17/89, ZIP 1990, 646 (649). 2 Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.87. 3 Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.87. 4 Wie hier: Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 32a Rz. 212 f. 5 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 184 m.w.N. 6 OLG Düsseldorf v. 12. 12. 1996 – 10 U 39/95, DB 1997, 521 (522 f.).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 153
§4
Art der gewährten Leistung1. Die Betriebsaufspaltung ist jedoch in diesem Zusammenhang als besonders häufiger Fall der Nutzungsüberlassung hervorzuheben (vgl. Rz. 117). Da der Gesellschaft ein Nutzungsobjekt überlassen wird, kann dessen Verstrickung insoweit fraglich sein, als das Objekt zwar von einem Gesellschafter überlassen wird, jedoch im Eigentum eines Dritten steht oder dem Gesellschafter lediglich Miteigentum an dem überlassenen Objekt zusteht.
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Steht das überlassene Objekt im Eigentum eines an der Gesellschaft nicht beteiligten Dritten, der einem Gesellschafter nicht gleichzustellen ist, kann diesem der Eigenkapitalersatzcharakter der Nutzungsüberlassung nicht entgegengehalten werden. Lediglich die Überlassung des Gesellschafters besitzt Eigenkapitalersatzcharakter, so dass seine Finanzierungsfolgenverantwortung auch bei Entzug der Sache durch den Eigentümer weiterhin bestehen bleibt2 (vgl. Rz. 173). Dies gilt auch, wenn der Gesellschafter ein Grundstück, welches er in eigenkapitalersetzender Weise der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hat, später an einen außenstehenden Dritten veräußert, so dass sich der Dritte nicht den eigenkapitalersetzenden Charakter der Nutzungsüberlassung entgegenhalten lassen muss3. Damit ist er auch nicht verpflichtet, der Gesellschaft die Nutzung des Grundstücks unentgeltlich zu überlassen, selbst wenn der Gesellschafter hierzu verpflichtet wäre. Dies folgt aus § 566 BGB (§ 571 BGB a. F.), wonach zwischen dem Dritten als Erwerber und der Gesellschaft als Mieter kraft Gesetzes ein neues Mietverhältnis entsteht, so dass auch der eigenkapitalersetzende Charakter des Mietverhältnisses untergeht4. Insbesondere tritt der Erwerber nach § 566 BGB allein in solche Rechte und Pflichten ein, die sich aus dem Mietverhältnis ergeben, so dass ihm auch nicht der Einwand einer eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung nach § 404 BGB entgegengehalten werden kann5. Soweit dem Gesellschafter lediglich Miteigentum an dem Überlassungsobjekt zusteht, ist das Überlassungsobjekt zwar verstrickt, jedoch nur in Höhe des Miteigentumanteils des überlassenden Gesellschafters6. Mietzinsen in proportionaler Höhe des Eigentumsanteils des Nichtgesellschafters müssen somit weiterhin entrichtet werden (vgl. Rz. 106, 174).
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Besteht am Nutzungsobjekt ein dingliches Recht (z.B. Nießbrauch) zugunsten des Gesellschafters, kann er den Gegenstand der Gesellschaft überlassen. Wird der Gesellschafter auch nach Erlöschen dieses Rechts vom Eigentümer schuld-
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1 Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.4. 2 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 165. 3 BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 67/02, ZIP 2006, 578 (579) – zu dieser Entscheidung ausführlich: Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 1310 ff.; Ulmer/Habersack, GmbHG, Band II, 2006, §§ 32a/b Rz. 140. 4 BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 67/02, ZIP 2006, 578 (579); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 132. 5 BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 67/02, ZIP 2006, 578 (579). 6 BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1377).
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§4
Rz. 154
Eigenkapitalersatzrecht
rechtlich behandelt, als ob er weiterhin Nießbraucher wäre, ist die weitere Überlassung in der Krise eigenkapitalersetzend, da die Leistung im wirtschaftlichen Ergebnis aus dem Vermögen des Gesellschafters stammt1. (3) Krise der Gesellschaft 154
Auch bei der Nutzungsüberlassung gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze über die Erforderlichkeit des Eintritts der Krise der Gesellschaft (vgl. Rz. 239 ff.). Insofern sind Nutzungsüberlassungen, welche zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurden, zu dem die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet war, dem zeitlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechtes zuzuordnen (zu den Insolvenzgründen der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit vgl. § 1 Rz. 49 ff. und 106 ff.).
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Der von der Rechtsprechung zum Zwecke des Gläubigerschutzes entwickelte, regelmäßig vorgelagerte Zeitpunkt der Kreditunwürdigkeit als maßgeblicher Zeitpunkt für den zeitlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechtes kann jedoch hinsichtlich der einer Darlehensgewährung lediglich wirtschaftlich entsprechenden Nutzungsüberlassung nicht uneingeschränkt gelten. Vielmehr fordert die Rechtsprechung kumulativ die spezielle Kreditunwürdigkeit und die Überlassungsunwürdigkeit der Gesellschaft zur Vorverlegung des Umqualifizierungszeitpunkts2.
! Hinweis: Die Überlassungsunwürdigkeit ist jedoch kein weiteres zusätzliches Merkmal zur Bestimmung der Krise, das neben der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen muss. Vielmehr handelt es sich hierbei jeweils um eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen unabhängige Tatbestände des Eigenkapitalrechts3. 156
Einfache Kreditunwürdigkeit liegt vor, wenn eine Gesellschaft von einem außen stehenden Dritten keinen Kredit zu marktüblichen Bedingungen erhalten kann und deswegen die Liquidation der Gesellschaft ohne die (eigenkapitalersetzende) Leistung des Gesellschafters hätte eingeleitet werden müssen (vgl. Rz. 259 ff.). Hiervon unterscheidet sich die spezielle Kreditunwürdigkeit, zu deren Bestimmung auf das Nutzungsobjekt Bezug genommen wird. Spezielle Kreditunwürdigkeit liegt vor, wenn die Gesellschaft keinen Kredit von einem Dritten erhalten hätte, um sich das in Frage stehende Nutzungsobjekt zu beschaffen4. Allerdings berücksichtigt die Rechtsprechung, dass die Gesellschaft den Kauf des Nutzungsobjektes nicht beabsichtigte. Daher kann dieses Merkmal allein für den zeitlichen Anwendungsbereich der Eigenkapitalersatzregeln bei Nutzungsüberlassung nicht ausreichend sein. Vielmehr muss berücksich1 BGH v. 14. 6. 1993 – II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072 (1073). 2 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (62 ff.); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (38 ff.). 3 BGH v. 3. 4. 2006 – II ZR 332/05, ZIP 2006, 996 (997), anders aber noch das OLG Hamm in der Vorinstanz; BGH v. 7. 3. 2005 – II ZR138/03, ZIP 2005 (807); BGH v. 14. 6. 1993 – II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072 (1073). 4 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (62 f.); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (38).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 157
§4
tigt werden, dass lediglich das Nutzungsrecht gegen Entrichtung eines (im Regelfall) Miet- oder Pachtzinses gewährt werden sollte. Das Vorliegen der speziellen Kreditunwürdigkeit ist für den Eintritt der Krise hinsichtlich der Nutzungsüberlassung insofern maßgeblich, als der Gesellschaft die Möglichkeit zustünde, das Nutzungsobjekt zu kaufen, soweit sie für einen Kredit dieser Art kreditwürdig wäre. A maiore ad minus hätte sie den Nutzungsgegenstand anmieten können. Zusätzlich zur speziellen Kreditunwürdigkeit ist erforderlich, dass die Gesellschaft überlassungsunwürdig ist. Überlassungsunwürdigkeit liegt vor, wenn kein außen stehender Dritter anstelle des Gesellschafters zur Überlassung des Gebrauchsobjektes bereit gewesen wäre1. Hierbei unterscheidet die Rechtsprechung zwischen Standardwirtschaftsgütern und besonderen Anlagegütern2. Standardwirtschaftsgüter sind solche, die der Vermieter oder Verpächter einer Vielzahl von Verwendern möglicherweise überlassen könnte. Diese Objekte sind nicht auf einen besonderen Betrieb zugeschnitten. Unbebaute Grundstücke, Serienkraftfahrzeuge, EDV-Hardware (ohne besondere Anforderungen) oder einfach gestaltete Büroräume sind meist „Standard“. Da der Eigentümer solche Güter ohne weiteres an andere Parteien vermieten oder verpachten könnte, wird er in der Regel keine besonders hohen Anforderungen an die Bonität des Mieters oder Pächters stellen. Insofern muss die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Überlassung Dritten gerade liquide genug erscheinen, kurzfristig Mietzinsen errichten und für etwaige Schäden an der Sache aufkommen zu können, um nicht überlassungsunwürdig zu sein3. Bei Anlagegütern, welche den besonderen Bedürfnissen eines Mieters angepasst werden müssen, wird der Vermieter höhere Forderungen an die Bonität des Mieters stellen müssen, da er diese Wirtschaftsgüter nach Vertragsablauf nicht ohne weiteres an eine weitere Partei vermitteln könnte4. In diesem Fall muss der Vermieter aufgrund der vorhandenen Bonität der Gesellschaft annehmen können, dass er in Zukunft die Kosten des Umbaus zuzüglich eines angemessenen Gewinnes5 oder zumindest die Veränderungskosten für die Nutzung vom Mieter erhalten wird6. Soweit die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Überlassung bei einem außen stehenden Dritten diesen Eindruck nicht erwecken kann, wird eine Überlassungsunwürdigkeit vorliegen. Als subjektives Merkmal bezüglich des Kriseneintritts muss der überlassende Gesellschafter zumindest die Möglichkeit der Kenntnis hinsichtlich der Krise
1 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (63); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (39). 2 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (63); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (40). 3 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (63). 4 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (64); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (40). 5 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 703/88, BGHZ 109, 55 (64). 6 OLG Düsseldorf v. 12. 12. 1996 – 10 U 33/95, GmbHR 1997, 353 (355).
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Rz. 158
Eigenkapitalersatzrecht
gehabt haben1. Hierfür gelten die zur Darlehensgewährung erläuterten, allgemeinen Grundsätze (vgl. Rz. 130 ff.).
! Hinweis: Im Regelfall kann der Insolvenzverwalter lediglich die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft nachweisen. Obwohl die Vorverlegung des für den Eigenkapitalersatz maßgeblichen Zeitpunkts des Kriseneintritts zum Schutz der Gläubiger von der Rechtsprechung beabsichtigt wurde, werden sowohl die spezielle Kreditunwürdigkeit als auch die Überlassungsunwürdigkeit im Einzelfall nur schwer nachzuweisen sein bzw. mit der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einhergehen. In der Konsequenz wird der Insolvenzverwalter die Umqualifizierung einer Nutzungsüberlassung häufig an die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung der Gesellschaft knüpfen müssen. Das OLG Hamburg hat insoweit darauf hingewiesen, dass die Gebrauchsüberlassungsunwürdigkeit zulässigerweise auch lediglich anhand von Indizien festgestellt werden könne2. Solche Indizien können etwa eine erschöpfte Kreditlinie wegen ungenügenden Cashflows der Gesellschaft sein oder die mangelnde Fähigkeit, laufenden Zahlungsverpflichtungen vollständig und termingerecht nachzukommen3. 158
Einstweilen frei. (4) Stehenlassen einer Nutzungsüberlassung
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Mit dem Eintritt einer Krise kann ein der Gesellschaft bereits überlassenes Nutzungsobjekt in Eigenkapitalersatz umqualifiziert werden. Wie im Grundfall des stehen gelassenen Darlehens muss auch für eine solche Umqualifizierung eine Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters vorliegen. Diesbezüglich gelten im Wesentlichen die Voraussetzungen für das Stehenlassen eines eigenkapitalersetzenden Darlehens. Zum einen ist entscheidend, dass der Gesellschafter die Möglichkeit hatte, den Eintritt der Krise zu erkennen4. Diese Möglichkeit der Kenntnis ist notwendige Voraussetzung für das Unterlassen weiterer Maßnahmen, welche die Nutzungsüberlassung beenden und somit eine Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz verhindern könnten. Für den zeitlichen Anwendungsbereich (Eintritt der Krise) gelten die allgemeinen Regeln über die Nutzungsüberlassung ebenfalls entsprechend. Auch die Nutzungsüberlassung wird als Eigenkapitalersatz eingestuft, soweit der Gesellschafter bei Eintritt der Krise die objektive Möglichkeit zum Abzug der Mittel oder zur Liquidation der Gesellschaft hatte und von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch macht5. Auch diesbezüglich gelten die Ausführungen 1 BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 370/98, ZIP 2000, 1491 (1491); BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (344 f.). 2 OLG Hamburg v. 16. 12. 2005 – 11 U 198/05, GmbHR 2006, 200 (202). 3 OLG Hamburg v. 16. 12. 2005 – 11 U 198/05, GmbHR 2006, 200 (202). 4 BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (344); BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 370/98, ZIP 2000, 1491 (1491 f.); OLG Stuttgart v. 5. 7. 1997 – 20 U 74/97, NZG 1998, 308 (309); OLG Düsseldorf v. 14. 5. 1999 – 16 U 103/98, GmbHR 1999, 1039 (1040). 5 Statt aller: BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (35 ff.).
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Rz. 161
§4
über das Stehenlassen eines Darlehens in der Krise entsprechend (vgl. Rz. 132 ff.). Lediglich hinsichtlich der Kündigungsgründe ergibt sich für die Umqualifizierung einer Nutzungsüberlassung eine Abweichung von diesen Grundsätzen. Im Gegensatz zum Darlehen bildet der Eintritt der Krise per se noch keinen außerordentlichen Kündigungsgrund für Miet-, Pacht- oder sonstige schuldrechtliche Überlassungsverhältnisse (vgl. § 543 BGB). Auch die drohende Umqualifizierung einer Nutzungsüberlassung in Eigenkapitalersatz kann keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung auf gesetzlicher Grundlage darstellen1. Allerdings kann im Vertrag vereinbart werden, dass dieser bei Vermögensverfall oder bei drohender Insolvenz der Gesellschaft vom Gesellschafter gekündigt werden kann, soweit die Nutzungsüberlassung nicht für Wohnraum gilt (vgl. §§ 549, 563 Abs. 5 BGB)2. Dies gilt jedoch nicht für Vereinbarungen, welche eine Kündigung nach der Umqualifizierung der Nutzungsüberlassung – insbesondere nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – vorsehen3.
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Sollte sich der Gesellschafter jedoch kein Recht zur außerordentlichen Kündigung gesichert haben, bleibt ihm die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung, um eine Umqualifizierung der Nutzungsüberlassung zu vermeiden4. Schließt der Gesellschafter die Kündigungsmöglichkeit bereits bei der Begebung der Leistung aus, kann er sich nicht auf eine fehlende objektive Kündigungsmöglichkeit bei Eintritt der Krise berufen. Allerdings handelt es sich bei solchen Leistungen („Finanzplannutzungen“) bereits bei der Gewährung um „Quasi-Kapital“, so dass ein zusätzliches Belassen der Leistung bei Kriseneintritt zur Parallelanwendung der Eigenkapitalersatzregeln führt (vgl. Rz. 217 ff.). bb) Rechtsfolgen Seit den „Lagergrundstück“-Urteilen des BGH sind die Rechtsfolgen einer eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung für die Praxis im Wesentlichen geklärt5. Diese unterscheiden sich jedoch von den Rechtsfolgen bei Gewährung eines eigenkapitalersetzenden Darlehens, da der Gesellschaft lediglich der Gebrauchswert und nicht der Substanzwert zugeführt wird. Die Darstellung dieser Unterschiede wird am besten anhand eines Vergleiches der Rechtsfolgen vor und nach Insolvenzeröffnung deutlich.
1 Statt aller: BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (61 f.). 2 Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.38. 3 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (6). 4 OLG Karlsruhe v. 3. 9. 1997 – 1 U 126/97, ZIP 1997, 1758 (1759); OLG Düsseldorf v. 29. 9. 1998 – 24 U 250/97, ZIP 1998, 1910 (1913). 5 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (57 ff.); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (34); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (5 ff.); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 (21 f.); BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1376 ff.).
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Eigenkapitalersatzrecht
(1) Vor Insolvenzeröffnung (Rechtsprechungsregeln) 162
Die Rechtssprechungsregeln führen zu einer Verstrickung der Miet- und Pachtzinsen, welche aufgrund des schuldrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft laufend anfallen bzw. bereits entrichtet wurden. Gemäß der entsprechenden Anwendung des § 30 Abs. 1 GmbHG darf die Gesellschaft die Miet- und Pachtzinsen ab Eintritt der Krise nicht weiter entrichten, soweit die Zahlung zu einer Unterbilanz führen würde (vgl. Rz. 277 ff.)1. Insofern entsteht eine Pflicht des Gesellschafters zur unentgeltlichen Überlassung des Nutzungsobjekts. Sind Zahlungen bereits vorgenommen worden, welche die Stammkapitalziffer verletzten, sind diese gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG analog vom Gesellschafter in der Höhe zurückzuführen, die notwendig ist, um eine Unterbilanz zu beheben2. Beispiel: Der alleinige Gesellschafter einer GmbH mit Stammkapital im Nennbetrag von 25 000 Euro schließt Anfang 2007 mit der Gesellschaft einen Mietvertrag über das in seinem Eigentum stehende, besonders ausgestaltete Betriebsgrundstück. Der monatliche Mietzins beträgt 10 000 Euro. Zu diesem Zeitpunkt weist die Gesellschaft Aktiva in Höhe von 500 000 Euro auf. Das Eigenkapital einschließlich des Stammkapitals beträgt 175 000 Euro. Die übrigen Passiva belaufen sich auf 325 000 Euro. Bei einer Zwischenbilanz am 1. 7. 2007 haben die Aktiva der Gesellschaft lediglich einen Wert von 400 000 Euro, während das Fremdkapital auf 375 000 Euro gestiegen ist. Das Eigenkapital existiert gerade noch in Höhe des Stammkapitals (25 000 Euro). Eine langfristige Zahlung des Mieters (Gesellschaft), die auch die betriebsspezifischen Umbaukosten deckt, erscheint bestenfalls fragwürdig. In diesem Fall wäre eine weitere Zahlung des Mietzinses an den Gesellschafter gemäß § 30 Abs. 1 GmbHG analog unzulässig, da die Nutzungsüberlassung eigenkapitalersetzend ist und die Stammkapitalziffer der Gesellschaft durch eine Auszahlung angegriffen würde.
Abwandlung: Der Gesellschafter erhält trotz der Verletzung des Stammkapitals weiterhin Mietzinsen bis einschließlich Dezember 2002. In dieser Zeit wird die durch die Mietzahlungen erzeugte Unterbilanz nie behoben. Am 31. 12. 2002 stehen sogar 500 000 Euro Fremdkapital lediglich 400 000 Euro Aktiva gegenüber, so dass ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag vorliegt. Dann steht der Gesellschaft ein Anspruch gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG analog in Höhe von 60 000 Euro (Mietzinsen für Juli-Dezember 2002) gegen den Gesellschafter zu.
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Nimmt die Gesellschaft trotz Eintritts der Krise weiterhin Mietzahlungen an den Gesellschafter vor, haftet neben dem Gesellschafter auch der Geschäftsführer für diese Zahlungen gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG3. Außerdem besteht gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG eine Solidarhaftung der restlichen Gesellschafter, so1 Statt vieler: BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (42); Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 218 m.w.N. 2 Statt vieler: BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (42); Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 218 m.w.N. 3 BGH v. 25. 6. 2001 – II ZR 38/99, ZIP 2001, 1458 (1459); BGH v. 9. 12. 1991 – II ZR 43/91, ZIP 1992, 108 (109); v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.127; a.A.: Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.52.
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Rz. 164
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weit eine Rückzahlung der ausgekehrten Mietzinsen vom nach den Eigenkapitalersatzregeln haftenden Gesellschafter nicht realisierbar ist. Sie haften für die gesamte Ausfallsumme proportional zu ihren Geschäftsanteilen unter Anrechnung eines proportionalen Anteils des Geschäftsanteils des ausgefallenen Gesellschafters1. Sollten die restlichen Gesellschafter aus der Solidarhaftung in Anspruch genommen werden, haben sie allerdings die Möglichkeit, Regressansprüche gegen den Geschäftsführer, der diese Zahlungen getätigt hat, gemäß § 31 Abs. 6 GmbHG geltend zu machen. Hinsichtlich des Umfangs der Ausfallhaftung besteht nach wie vor Streit in der juristischen Literatur2. Jüngst hat jedoch der BGH entschieden, dass der Umfang dieser Haftung durch die Stammkapitalziffer begrenzt ist, wobei er nicht deutlich abgrenzte, ob diese Begrenzung für die übrigen Gesellschafter insgesamt oder für den jeweiligen Gesellschafter gilt3. Ferner kann die Solidarhaftung nur insoweit geltend gemacht werden, als die Rückzahlung dieser Gelder durch die übrigen Gesellschafter zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger notwendig ist (§ 31 Abs. 3 GmbHG). Hinsichtlich der Solidarhaftung ist streitg, ob der Privilegierungstatbestand des § 32a Abs. 3 Satz 2, 3 GmbHG auch für die gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG in Anspruch genommenen Gesellschafter gilt. Nach einer Ansicht stünde eine Inanspruchnahme der ansonsten bezüglich des Eigenkapitalersatzrechtes privilegierten Gesellschafter im Wertungswiderspruch zum § 32a Abs. 3 Satz 2, 3 GmbHG4. Nach einer anderen Ansicht soll der privilegierte Gesellschafter, insbesondere der Kleingesellschafter, lediglich von einer Eigenkapitalersatzhaftung hinsichtlich seiner eigenen Kredite freigestellt, jedoch nicht im Allgemeinen von der Solidarhaftung freigesprochen werden5. In der Tat erscheint eine Privilegierung des von einer Solidarhaftung betroffenen Gesellschafters fraglich. § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG entbindet den Kleingesellschafter von seiner Finanzierungsfolgenverantwortung aufgrund eines fehlenden unternehmerischen Interesses. § 31 Abs. 3 GmbHG verlangt jedoch weder eine Finanzierungsfolgenverantwortung noch ein unternehmerisches Interesse des Gesellschafters. Vielmehr verpflichtet die Vorschrift den Gesellschafter zur Solidarhaftung für das Fehlverhalten seines Mitgesellschafters zum Zwecke des Gläubigerschutzes. Insofern ist davon auszugehen, dass dieser auch für Ansprüche der Gesellschaft gegen den nach Eigenkapitalersatzgrund1 Insofern unzutreffend: OLG Oldenburg v. 10. 5. 2001 – 1 U 52/99, EWiR 2001, 701 – nicht rechtskräftig (v. Gerkan). 2 Für eine detaillierte Darstellung des Streites vgl. statt vieler: Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 31 Rz. 38. 3 BGH v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, DB 2002, 995 (996 f.). Überzeugend erscheint die im Schrifttum vertretene Lösung, den jeweiligen Gesellschafter bis zur Stammkapitalziffer abzüglich seines eigenen Anteils an der Gesellschaft haften zu lassen, vgl. Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 31 Rz. 21. 4 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 219 m.w.N.; Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 272; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 106. 5 v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts 2002, Rz. 3.17.
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sätzen haftenden Gesellschafter im Rahmen der Solidarhaftung zur anteiligen Rückerstattung unzulässig ausgekehrter Mittel verpflichtet ist. Den Sanierungsgesellschafter (§ 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG) wird eine Ausfallhaftung aufgrund der Rechtsprechungsregeln ohnehin kaum treffen, da er seine Gesellschaftsanteile zum Zeitpunkt der Krise erwirbt und somit im für die herrschende Meinung1 maßgeblichen Zeitpunkt der Gesellschafterstellung bei der verbotswidrigen Auszahlung nicht haften kann. 165
Entzieht der Gesellschafter der Gesellschaft die Nutzung des Objekts, obwohl dieses bereits aufgrund der Rechtsprechungsregeln verstrickt war, steht der Gesellschaft ein Recht auf Wiedereinräumung der Nutzungsmöglichkeit gegen den Gesellschafter zu2. Kann das Objekt der Gesellschaft nicht wieder zur Verfügung gestellt werden, ist der Gesellschafter verpflichtet, den Restnutzungswert des Objektes in bar abzugelten3. Dieser der Gesellschaft geschuldete Betrag bestimmt sich nach objektiven, ortsüblichen Maßstäben4. Diesbezüglich gelten die Regeln für eine Abgeltung des Nutzungsverhältnisses im eröffneten Insolvenzverfahren entsprechend (vgl. Rz. 173 f.). (2) Nach Insolvenzeröffnung
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Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, greifen zusätzlich zu den soeben dargestellten Rechtsprechungsregeln auch die Novellenregeln. Hinsichtlich der seit Verstrickung anfallenden Miet- und Pachtzinsen kann dies bedeuten, dass der Gesellschafter nicht nur zur Rückführung dieser Beträge gemäß §§ 30, 31 GmbHG in entsprechender Anwendung verpflichtet ist, sondern auch zur Erstattung solcher Beträge, die binnen Jahresfrist vor Eröffnung gezahlt wurden, die Stammkapitalziffer indes nicht angegriffen haben (vgl. § 135 Nr. 2 InsO). Soweit der Gesellschafter das Nutzungsobjekt ab Beginn der Krise bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unentgeltlich überlassen hat, können Beträge, welche die Grenzen der Rechtsprechungsregeln übersteigen, aufgrund einer Insolvenzanfechtung gemäß § 135 Nr. 2 InsO i.V.m. § 32a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GmbHG in den Haftungsverband fallen. Diese Rechtsfolge ist sowohl in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als auch in der juristischen Literatur – mit Ausnahme der grundsätzlichen Einwendungen von Karsten Schmidt (vgl. Rz. 142) – unumstritten5.
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Ferner spricht die höchstrichterliche Rechtsprechung dem Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein weiteres Nutzungsrecht am überlassenen Gegenstand zu6. Der das Objekt überlassende Gesellschafter hat dem 1 Vgl. Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, § 31 Rz. 59 m.w.N.; a.A.: Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 31 Rz. 25; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 31 Rz. 42. 2 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 286. 3 Vgl. BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 67/02, ZIP 2006, 578 (580); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (11). 4 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (11). 5 Statt vieler: BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (66); Dittrich/Haas in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.66. 6 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (10 ff.); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 (26); BGH v. 7. 12. 1998 – II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 (150).
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Rz. 168
Insolvenzverwalter dieses Recht weiterhin so einzuräumen, wie es der Gesellschaft nach dem Vertragsverhältnis zugestanden hätte. Grundsätzlich bestimmt sich die weitere Nutzungsdauer nach dem Vertrag zwischen Gesellschafter und Gesellschaft1. Bis zu diesem Termin kann der Insolvenzverwalter verlangen, dass ihm das Nutzungsrecht ohne Zahlung eines entsprechenden Zinses eingeräumt wird2. Dieses umfasst sowohl die Möglichkeit der Nutzung zum weiteren Betrieb des insolventen Unternehmens als auch das Recht, das Objekt an Dritte weiter zu vermieten bzw. zu verpachten. Erscheint die im Vertrag vereinbarte Dauer des schuldrechtlichen Überlassungsverhältnisses unverhältnismäßig kurz, wird sie auf ihre Angemessenheit zu überprüfen sein, um missbräuchliche, offensichtlich nicht ernstlich gemeinte, gläubigergefährdende Kündigungsfristen und Vertragslaufzeiten zu verhindern. Um die Angemessenheit einer solchen Vereinbarung zu prüfen, nimmt die Rechtsprechung im Regelfall einen Drittvergleich vor3. Angemessen im Sinne dieser Rechtsprechung sind somit nur Kündigungs- und Vertragsfristen, welche für die konkrete Geschäftsausgestaltung sachlich gerechtfertigt sind4. Folgende Umstände sind Indizien für die Vereinbarung einer zu kurzen, sachlich ungerechtfertigten Vertragsdauer: –
Das Unternehmen ist existentiell auf die Überlassung der Sache angewiesen5.
–
Der Vertrag ist auf kurze Dauer abgeschlossen, jedoch mit regelmäßig wiederkehrenden Verlängerungsmöglichkeiten6.
–
Die Beendigung des Überlassungsverhältnisses ist für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgesehen.
–
Die Amortisation etwaiger Investitionen des Gesellschafters in das Objekt hätte eine Mindestdauer vorausgesetzt, die durch den Vertrag nicht erreicht wird7.
Wenn feststeht, dass die zwischen den Parteien vereinbarte Vertragsdauer unangemessen kurz ist, muss der hypothetische Parteiwille zur Bestimmung der Nutzungsdauer ermittelt werden8. Bei dieser Ermittlung sind insbesondere die Amortisationszeit etwaiger Investitionen, die Abhängigkeit des Betriebs vom
1 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (10). 2 BGH v. 31. 1. 2005 – ZR 240/02, ZIP 2005, 484 (485); BGH v. 16. 10. 1989 – II 307/88, BGHZ 109, 55. 3 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (40 f.). 4 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (40 f.); BGH v. 11. 7. 1994 – II 146/92, BGHZ 127, 1 (10). 5 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (40 f.); BGH v. 11. 7. 1994 – II 146/92, BGHZ 127, 1 (10). 6 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 (40 f.); BGH v. 11. 7. 1994 – II 146/92, BGHZ 127, 1 (10). 7 OLG Dresden v. 26. 11. 1998 – 19 U 306/97, NZG 1999, 309 (311). 8 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (11).
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überlassenen Objekt sowie ortsübliche Bedingungen zu berücksichtigen1. Entscheidend ist die Vornahme eines Drittvergleichs zur Überprüfung der Plausibilität einer solchen Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und einem Außenstehenden2. In der bisherigen Rechtsprechung wurde teilweise eine marktund ortsübliche Nutzungsdauer von 5 bis 10 Jahren unterstellt3.
! Hinweis: 169
Insbesondere in Fällen der Betriebsaufspaltung weisen Verträge oftmals eine unangemessen kurze Laufzeit bzw. Kündigungsfrist auf. Regelmäßig besteht zudem die Abhängigkeit der Betriebsgesellschaft von der Besitzgesellschaft, so dass langfristige Verträge geboten wären. Insbesondere unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und der ortsüblichen Vertragsdauer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wird eine Überlassung vielfach für die Dauer von mindestens 5 bis 10 Jahren ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses geboten sein.
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Nach der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens hat der Gesellschafter dem Insolvenzverwalter das Nutzungsobjekt für die hypothetische Restdauer des Vertrags unentgeltlich zu überlassen. Bei Immobilien bestimmt sich der Umfang dieser Unentgeltlichkeit nach dem zwischen den Parteien abgeschlossenem Vertrag. Dies gilt auch hinsichtlich etwa anfallender Betriebskosten (Strom-, Heizungs- und Wasserversorgung), welche Gegenstand des Vertrages sein können. War die Gesellschaft verpflichtet, diese Kosten außerhalb des Überlassungsverhältnisses zu übernehmen, so wird auch der Insolvenzverwalter solche Kosten als Masseverbindlichkeiten im Rahmen der weiteren Nutzungen des Objektes bezahlen müssen. War hingegen der Gesellschafter verpflichtet, diese Kosten zu tragen, so muss er sie weiterhin übernehmen.
170a
Umstritten ist, ob der Gesellschaft ein solches unentgeltliches Nutzungsrecht auch im Falle einer gleichzeitigen Gesellschafterinsolvenz zusteht. Dies wird von der wohl herrschenden Ansicht und Teilen Rechtsprechung aufgrund entsprechender Anwendung des § 110 Abs. 1 InsO verneint4, so dass die Gesellschaft trotz eigenkapitalersetzender Gebrauchsüberlassung an dem Grundstück weiterhin zur Zahlung der ursprünglichen Mietzinsen verpflichtet wäre. Verwiesen wird insoweit auf eine Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 19985 (vgl. Rz. 175), in der das Gericht in entsprechender Anwendung des § 1124 Abs. 2 BGB zugunsten der Grundpfandrechtsgläubiger die Wirkung einer eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung – nämlich die unentgeltliche Nutzungsüberlassung – mit der Beschlagnahme des Grundstücks auf dem Weg der Zwangsverwaltung als beendet angesehen hat. Entsprechendes habe 1 2 3 4
BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (11). Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 292. OLG Dresden v. 26. 11. 1998 – 19 U 3062/97, NZG 1999, 309 (311). OLG Brandenburg v. 12. 7. 2006, GmbHR 2006, 937 (939) – nicht rechtskräftig (Revision beim BGH anhängig unter AZ: II ZR 207/06); LG Cottbus v. 22. 6. 2005 – 1 O 66/04, ZIP 2005, 1608; LG Erfurt v. 2. 6. 2004 – 3 O 595/03, NZI 2004, 599 (600); Haas/ Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.118 ff.; Eckert in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Band, 2002, § 110 Rz. 6; Förster, ZInsO 2002, 366. 5 BGH v. 7. 12. 1998 – II ZR 382/96, BGHZ 140, 147.
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aufgrund gleicher Interessenlage im Falle der Insolvenz des vermietenden Gesellschafters (in analoger Anwendung des § 110 Abs. 1 InsO) zu gelten1. Auch würde es zu erheblichen Friktionen führen, die Einrede der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung im Rahmen der Einzelvollstreckung nach dem ZVG zu versagen, jedoch nicht bei einer Gesamtvollstreckung im Rahmen der InsO2. Hiergegen wendet sich mit überzeugenden Argumenten ein anderer Teil der Rechtsprechung und der Literatur. Folglich kann sich die Gesellschaft hiernach weiterhin auf die eigenkapitalersetzende Gebrauchsüberlassung berufen und damit das Grundstück unentgeltlich nutzen3. Insbesondere lässt sich die von der Gegenansicht herangezogene Rechtsprechung des BGH mangels vergleichbarer Interessenlage nicht auf den vorliegenden Fall übertragen und rechtfertigt damit nicht die analoge Anwendung des § 110 Abs. 1 InsO. Der BGH hat in seiner Entscheidung das Vertrauen der Grundpfandrechtsgläubiger gegenüber den Interessen der außenstehenden Gesellschaftsgläubiger als schutzwürdiger angesehen. Es ist jedoch kein Grund dafür ersichtlich, im vorliegenden Fall die Interessen der Gläubiger der mietenden Gesellschaft über die Interessen der Gläubiger des vermietenden Gesellschafters zu stellen und damit als schützenswerter anzusehen4. Vielmehr würde eine Privilegierung der Gesellschaftsgläubiger zu einem Wertungswiderspruch mit den ansonsten gegenüber Gesellschaftern strengen Regelungen des Eigenkapitalersatzrechts führen5. Grundsätzlich steht der Gesellschaft (dem Insolvenzverwalter) kein Anspruch auf Abgeltung der Restnutzungsdauer – anstelle der weiteren Ausübung der Nutzungsbefugnis – zu6. Ansonsten wäre der Gesellschafter verpflichtet, der Gesellschaft eine andere Hilfe zukommen zu lassen, als die ursprünglich vereinbarte alleinige Nutzungsüberlassung7. Vielmehr besteht lediglich die Möglichkeit, das Nutzungsrecht im Insolvenzverfahren weiter zu verwerten. Das Risiko der Unverwertbarkeit dieses Nutzungsrechts trägt jedoch der Insolvenzverwalter bzw. die Gläubigergesamtheit und nicht der Gesellschafter8.
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! Hinweis für den Insolvenzverwalter/Gesellschafter: Aufgrund der möglichen langfristigen Verstrickung des meist im Eigentum des Gesellschafters stehenden Nutzungsobjektes besteht in solchen Fällen die Möglichkeit, eine Vereinbarung über die Abgeltung des künftigen Nutzungsrechts mit dem Gesellschafter/Insolvenzverwalter zu erzielen. Solche 1 LG Cottbus v. 22. 6. 2005 – 1 O 66/04, ZIP 2005, 1608 (1609). 2 OLG Brandenburg v. 12. 7. 2006, GmbHR 2006, 937 (939). 3 LG Zwickau v. 9. 5. 2005 – 1 O 1360/04, ZIP 2005, 1151 (1152); LG Koblenz v. 26. 7. 2005 – 4 HK O 19/05, unveröff.; Henkel, ZInsO 2006, 1013 (1014); Henkel, EWiR 2007, 47 (48); Rendels, ZIP 2006, 1273 (1280). 4 LG Zwickau v. 9. 5. 2005 – 1 O 1360/04, ZIP 2005, 1151 (1152); Henkel, ZInsO 2006, 1013 (1018). 5 Henkel, ZInsO 2006, 1013 (1018); Rendels, ZIP 2006, 1273 (1280) mit weiteren überzeugenden Argumenten. 6 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 (24 f.). 7 Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 173. 8 BGH v. 31. 1. 2005 – ZR 240/02, ZIP 2005, 484 (486); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (12 ff.).
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Eigenkapitalersatzrecht
Vereinbarungen sind grundsätzlich zulässig1. Sie ermöglichen auch eine zügigere Abwicklung des Insolvenzverfahrens, wenn der Betrieb nicht fortgeführt werden soll. Zudem verringern sie das Risiko der Verwertbarkeit für die Gläubigergemeinschaft. Zur möglichen Ausgestaltung einer solchen Vereinbarung vgl. Muster 1 (Rz. 328). 173
Ausnahmsweise kann der Gesellschaft ein Anspruch auf Wertersatz bezogen auf den objektiven Wert der Nutzung des Objektes nach dem Vertrag bzw. dem hypothetischen Parteiwillen zustehen, soweit das Objekt der Gesellschaft gegen ihren Willen entzogen wurde2. Dabei ist zwischen Objekten, die ohne Belastungen im Eigentum des Gesellschafters stehen, Objekten, die im Eigentum eines Dritten stehen, und dem Zusammentreffen von Zwangsverwaltung und Nutzungsüberlassung zu unterscheiden. Vereitelt der Gesellschafter schuldhaft die der Gesellschaft zu belassene Nutzungsmöglichkeit, hat er ihr grundsätzlich den kapitalisierten Nutzungswert zu erstatten3. Steht das Nutzungsobjekt im Eigentum des Gesellschafters, kann er die Nutzung vereiteln, indem er das Objekt zerstört, an einen Dritten veräußert, der sich den eigenkapitalersetzenden Charakter der Nutzungsüberlassung nicht entgegenhalten lassen muss, oder in sonstiger Weise die Nutzung rechtlich oder tatsächlich unmöglich macht. Ein schuldhafter Entzug der Nutzungsmöglichkeit kann aber auch dann vorliegen, wenn der Gesellschafter seinen mittelbaren Besitz lediglich von einem Dritten ableitet, der Eigentümer des Objekts ist, soweit er die weitere Nutzungseinräumung an die Gesellschaft dadurch vereitelt, dass er eine causa für die Rücknahme des Objekts durch den Eigentümer setzt. In solchen Fällen sind die Regeln über Leistungsstörungen bei der Erbringung einer Sacheinlage entsprechend anzuwenden4. Insbesondere in Fällen der Unmöglichkeit der Nutzungsüberlassung wird der Gesellschafter den Nutzungswert durch eine Abgeltung in bar ersetzen müssen5. Obwohl die Nutzungsüberlassung ihren eigenkapitalersetzenden Charakter dadurch nicht verliert, dass die tatsächliche Überlassung des Objektes unmöglich ist oder wird, kann der eigenkapitalersetzende Charakter einem Dritten ohne gesellschafterähnliche Stellung nicht entgegengehalten werden. Insofern ist die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter dem gesellschaftsfremden Eigentümer zur Herausgabe des Nutzungsobjektes verpflichtet (§§ 985, 546 Abs. 2 BGB, § 47 InsO). Zur Realisierung dieses Aussonderungsrechts vgl. § 7 Rz. 89 ff. 1 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 70 ff. 2 BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 67/02, ZIP 2006, 578 (580); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (12 ff.). 3 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (15); OLG Dresden v. 6. 3. 2002 – 11 U 2463/01, ZIP 2002, 1194 (1196); Henze, Großkommentar zum AktG, 4. Aufl. 2002, § 57 Rz. 231. 4 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (15); OLG Dresden v. 6. 3. 2002 – 11 U 2463/01, ZIP 2002, 1194 (1196); Henze, Großkommentar zum AktG, 4. Aufl. 2002, § 57 Rz. 231. 5 Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.71.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 175
§4
Bestehen am überlassenen Nutzungsobjekt sonstige Rechte Dritter, werden die Rechtsfolgen der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung durch das Bemühen nach einem gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Dritten (Grundpfandrechtsgläubiger, Miteigentümer) und den Gläubigern der Gemeinschuldnerin Rechnung getragen. Steht das überlassene Objekt im Miteigentum eines Dritten, muss zwischen faktisch teilbarem und unteilbarem Eigentum unterschieden werden. Soweit das überlassene Objekt teilbar ist, wird lediglich der dem Gesellschafter zuzuordnende Teil dem Haftungsverband zugeordnet. Ist das überlassene Objekt jedoch nicht teilbar, wird es dem Insolvenzverwalter nur insoweit überlassen werden müssen, als das schuldrechtliche Verhältnis fortbesteht und der Insolvenzverwalter die anteilig vereinbarte Vergütung an den Dritten leistet1. Allerdings stehen dem Dritten weiterhin etwaige Kündigungsrechte zu. Sollte der Dritte das schuldrechtliche Verhältnis kündigen, muss der Gesellschafter-Miteigentümer den entgangenen Nutzungswert anteilig abgelten2.
174
Bestehen am überlassenen Nutzungsobjekt Grundpfandrechte, welche im Insolvenzverfahren vom Grundpfandrechtsgläubiger geltend gemacht werden, kann der Insolvenzverwalter den Einwand des eigenkapitalersetzenden Charakters der Nutzungsüberlassung ab Anordnung der Zwangsverwaltung3 dem Grundpfandrechtsgläubiger gegenüber nicht mehr geltend machen4. Soweit das schuldrechtliche Nutzungsüberlassungsverhältnis fortbesteht, ist der Insolvenzverwalter ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, die vereinbarten Miet- bzw. Pachtzinsen an den Zwangsverwalter zu entrichten5, ansonsten muss er das Grundstück an den Grundpfandrechtsgläubiger herausgeben. Da die Beschlagnahme nach §§ 146 ff. ZVG i.V.m. §§ 1123 Abs. 2, 1124 Abs. 2 BGB die maßgebliche Zäsur für das Entgegenhalten des Einwandes des kapitalersetzenden Charakters der Nutzungsüberlassung bildet, wird der Insolvenzverwalter diesen Einwand gegenüber dem Erwerber des Nutzungsobjektes in einer Zwangsversteigerung nicht erheben können6.
175
Sofern die Gesellschaft aufgrund der Nutzung Zahlungen an den Zwangsverwalter leistet, kann der Insolvenzverwalter nach neuer Rechtsprechung und überwiegender Literaturansicht wegen des Verlustes des unentgeltlichen Nutzungsrechts an dem Grundstück gegen den Gesellschafter einen Erstattungs-
1 BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1377). 2 Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.94. 3 Das OLG München entschied andererseits, dass die Beschlagnahme durch Pfändung der Miet-/Pachtzinsforderung wegen eines dinglichen Rechts der Wirksamkeit der Eigenkapitalersatzregeln nicht entgegensteht: OLG München v. 25. 4. 2001 – 27 U 856/00, EWiR 2001, 963 (Storz). 4 BGH v. 7. 12. 1998 – II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 (154); BGH v. 31. 1. 2000 – II ZR 309/98, ZIP 2000, 455 (456); BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 (661). 5 BGH v. 31. 1. 2000 – II ZR 309/98, ZIP 2000, 455; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 75. 6 H.M.: vgl. Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.105 m.w.N.
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§4
Rz. 175
Eigenkapitalersatzrecht
bzw. Freistellungsanspruch geltend machen1. Der Gesellschafter wäre nämlich zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung verpflichtet und hat durch die Leistung des Insolvenzverwalters an den Grundpfandgläubiger eine Befreiung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Grundpfandgläubiger erlangt2. Auch im Falle der (vorzeitigen) Herausgabe des Grundstücks an den Zwangsverwalter kann der Insolvenzverwalter vom Gesellschafter Ersatz bzw. Ausgleich in Höhe des jeweiligen Restnutzwertes verlangen3. Hierbei kommt der zeitlichen Abfolge zwischen Grundpfandrechtsbestellung und eigenkapitalersetzender Gebrauchsüberlassung jedoch keine Bedeutung zu4. Demgegenüber hatte das OLG Dresden – bevor das Urteil insoweit in der Revisionsinstanz vom BGH in rechtlicher Hinsicht korrigiert wurde – mit durchaus nachvollziehbaren Gründen entschieden, dass trotz der grundsätzlichen Pflicht des Gesellschafters, den Restnutzungswert bei Entzug des Nutzungsobjekts gegen den Willen der Gesellschaft abzugelten, diesem keine Pflicht zur Abgeltung obliegt, soweit das Grundpfandrecht vor Verstrickung des Nutzungsobjekts bestellt wurde5. Wäre das Grundstück der Gesellschaft zu Eigentum übertragen worden, stehe der Gesellschaft, so das OLG Dresden, auch kein weiterer Anspruch auf Wert- oder Schadensersatz gegen den Gesellschafter zu6. Insofern könne die Gesellschaft aus einem rechtlichen „Minus“ nicht mehr Rechte im Insolvenzfall herleiten als ihr aus dem „stärkeren“ Recht zustehen würde. Bestellt der Gesellschafter ein Grundpfandrecht jedoch nach bereits erfolgter Verstrickung des Nutzungsrechts, kann dieser Grundsatz nicht mehr gelten, da der Wert des Nutzungsrechts zum Zeitpunkt der Verstrickung ein etwaiges Grundpfandrecht nicht zu berücksichtigen brauche; es liegt vielmehr ein Eingriff in die zuvor lediglich durch die vereinbarte Nutzungsdauer begrenzte Überlassung vor, den der Gesellschafter zu verantworten hat7. In solchen Fällen hat der Gesellschafter den Restnutzungswert abzugelten. Auch mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 49, 50 InsO erscheint dieser Lösungsansatz durchaus überzeugend: Im Insolvenzverfahren ist der absonderungsberechtigte Gläubiger zur bevorzugten Befriedigung ohne Beteiligung der sonstigen Insolvenzgläubiger berechtigt (hierzu § 7 Rz. 232 ff.). Sollte die Insolvenzmasse einen geldwerten Vorteil aufgrund einer bloßen Nutzungsüberlassung statt einer Eigentumsübertragung durch den Gesellschafter erhalten 1 BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 (661 f.); BGH v. 31. 1. 2005 – II ZR 240/02, ZIP 2005, 484 (485 f.); Ulmer/Habersack, GmbHG, 2006, §§ 32a/b; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 158. 2 BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 (662); Ulmer/Habersack, GmbHG, 2006, §§ 32a/b Rz. 138; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 158. 3 BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 (662); vgl. auch BGH v. 31. 1. 2005 – II ZR 240/02, ZIP 2005, 484 (486). 4 Ulmer/Habersack, GmbHG, 2006, §§ 32a/b Rz. 139; Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 75; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 159. 5 OLG Dresden v. 6. 3. 2002 – 11 U 2463/01, ZIP 2002, 1194 (1196) als Vorinstanz zu BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660. 6 OLG Dresden v. 6. 3. 2002 – 11 U 2463/01, ZIP 2002, 1194 (1196) als Vorinstanz zu BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660. 7 Blöse, EWiR 2002, 345 (346).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 177
§4
– also ein „Minus“ –, stünde dies im Widerspruch zur rechtlichen Bewertung der Absonderung. Der BGH hat dieser Argumentation jedoch zu Recht widersprochen, zumal das Grundstück in einem solchen Fall sowohl als Finanzierungshilfe für die Gesellschaft aber auch als Sicherungsgut für persönliche Kredite eingesetzt werde, so dass der Gesellschafter zugleich ein Kredit- und Überlassungsrisiko eingeht. Insoweit könne es nach Ansicht des BGH aber nicht angehen, dass duch die Zwangsverwaltung einerseits die Verbindlichkeit des Gesellschafters reduziert, er aber andererseits von seiner Überlassungsverpflichtung entbunden werde1.
! Hinweis: Häufig wird jedoch der Ersatzanspruch gegen den Gesellschafter wenig wert sein, zumal der Gesellschafter nach Eintritt der Krise und im Zeitpunkt der Beschlagnahme eines der Gesellschaft zur Nutzung überlassenen Grundstücks in der Regel bereits in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten stecken wird2. Dementsprechend hat auch der BGH darauf hingewiesen, dass es dem Insolvenzverwalter unter Umständen nicht zumutbar sei, ein Grundstück nach Beschlagnahme durch einen Zwangsverwalter weiterhin zu nutzen und damit die Insolvenzmasse mit nunmehr bestehenden Mietansprüchen zu belasten in der vagen Aussicht auf eine Freistellung durch den Gesellschafter3. Eine Inanspruchnahme des Gesellschafters kommt letztlich aber auch dann in Betracht, wenn das Nutzungsobjekt (Grundstück) der Gesellschaft überlassen wird, um später auch als Sicherheit (z.B. durch die Bestellung einer Grundschuld) für ein Darlehen an die Gesellschaft zu dienen. In einer solchen Fallgestaltung übernimmt der Gesellschafter eine doppelte Belastung, so dass sich seine Finanzierungsfolgenverantwortung sowohl aus § 32 Abs. 3 Satz 1 GmbHG (Nutzungsüberlassung) als auch aus §§ 32a Abs. 2, 32b GmbHG (eigenkapitalersetzende Sicherheit, vgl. Rz. 179) ergibt4. In diesem Fall erscheint eine weitere Inanspruchnahme des Gesellschafters aufgrund der zusätzlich von ihm übernommenen Finanzierungsfolgenverantwortung gerechtfertigt. Allerdings besteht – soweit ersichtlich – keine Rechtsprechung zu dieser Fallgestaltung.
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! Hinweis: Eine eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung kann nicht zu einer Änderung der dinglichen Zuordnung des Überlassungsgegenstandes führen5. Insofern kann dem Insolvenzverwalter kein Recht auf Übereignung des Grundstücks oder Ersatz des Sachwerts zustehen. 1 BGH v. 28. 2. 2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 (663). 2 So auch: Goette, KTS 2006, 217 (231) unter Bezugnahme auf die Erfahrungen der bisher beim BGH anhängigen Verfahren. 3 BGH v. 31. 1. 2005 – II ZR 240/02, ZIP 2005, 484 (486). 4 Blöse, EWiR 2002, 345 (346). 5 Statt vieler: BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (8 f.).
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§4
Rz. 178
Eigenkapitalersatzrecht
cc) Checkliste: Nutzungsüberlassung Checkliste: Nutzungsüberlassung 178
1.
2.
Voraussetzungen –
Liegt eine Nutzungsüberlassung eines Gesellschafters vor (z.B. Miet-, Pacht- oder sonstige Nutzungsüberlassungsverträge)?
–
Befand sich die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Nutzungsüberlassung in der Krise? Eine Krise in diesem Sinne liegt in folgenden Situationen vor: Zahlungsunfähigkeit
–
Überschuldung
–
Spezielle Kreditunwürdigkeit und Überlassungsunwürdigkeit.
–
Hätte der Gesellschafter den Eintritt der Krise erkennen können?
–
Beim Stehenlassen einer Nutzungsüberlassung sind folgende Änderungen der Grundsätze über das Stehenlassen eines eigenkapitalersetzenden Darlehens zu beachten: –
Der Eintritt der Krise bildet keinen gesetzlichen außerordentlichen Kündigungsgrund.
–
Auch beim Stehenlassen einer Nutzungsüberlassung reicht eine einfache Kreditunwürdigkeit nicht aus. Vielmehr sind spezielle Kreditunwürdigkeit und Überlassungsunwürdigkeit erforderlich.
Rechtsfolgen –
Vor Insolvenzeröffnung (Rechtsprechungsregeln)
–
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–
–
Verstrickung der Miet- und Pachtzinsen
–
Unentgeltliche Überlassung des Nutzungsobjekts
–
Rückzahlung von etwa geleisteten Miet-/Pachtzinsen, soweit hierdurch die Stammkapitalziffer angegriffen wurde
–
Geschäftsführer-/Solidarhaftung
–
Ggf. Wiedereinräumung der Nutzungsmöglichkeit/Wertersatz
Nach Insolvenzeröffnung
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–
Rückführung von im Jahr vor Insolvenzeröffnung geleisteten Mietund Pachtzinsen in voller Höhe
–
Recht des Insolvenzverwalters zur weiteren Nutzung zwecks Gläubigerbefriedigung
–
Ggf. Anspruch auf Wertersatz
–
Rechtsfolgen der Rechtsprechungsregeln
–
Keine Änderung der dinglichen Zuordnung des Überlassungsgegenstandes
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 182
§4
d) Gesellschafterbesicherte Leistungen Auch Kreditsicherheiten können eigenkapitalersetzende Leistungen darstellen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere von mittelbaren Gesellschafterdarlehen oder gesellschafterbesicherten Drittdarlehen gesprochen1. Das Darlehen bildet den Grundfall der vom Gesellschafter zu sichernden Leistung. Die Rechtsprechung hat diese Finanzierungsform bereits zu einem früheren Zeitpunkt den eigenkapitalersetzenden Leistungen zugeordnet2, und die Zuordnung sowie die besonderen Rechtsfolgen dieser Fallgestaltung hat der historische Gesetzgeber mit der GmbH-Novelle von 1980 sodann gesetzlich verankert. Die Bezeichnung als mittelbares Gesellschafterdarlehen trifft den Kern der Einordnung, denn die Besicherung durch den Gesellschafter ist im Grunde nur ein Sonderfall des Umgehungstatbestandes (§ 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG)3.
179
aa) Voraussetzungen Die Begründung der Finanzierungsfolgenverantwortung eines Gesellschafters durch ein gesellschafterbesichertes Drittdarlehen erweist sich gegenüber dem Grundfall eines Gesellschafterdarlehens als komplexer, denn sie erfordert eine in zweifacher Hinsicht eigenkapitalersetzende Leistung. Die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit muss ebenso eigenkapitalersetzend sein wie die Leistung eines Dritten, für die die Sicherheit im weitesten Sinne akzessorisch gestellt wurde, einen hypothetischen Eigenkapitalersatzcharakter aufweisen muss. Dabei bestehen vielfältige Möglichkeiten, die dem Dritten zustehende Forderung zu besichern.
180
(1) Leistung eines Dritten Der Grundfall eines durch den Gesellschafter gesicherten Darlehens nach § 32a Abs. 2 GmbHG setzt zunächst voraus, dass ein gesellschaftsfremder Dritte oder ein ihm gleichzustellender Gesellschafter (vgl. § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG) der Gesellschaft einen Kredit gewährt. Nach den allgemeinen Regeln kann die vom Dritten erbrachte Leistung auch andere Inhalte als die Darlehensgewährung haben, soweit sie einem eigenkapitalersetzenden Darlehen entspricht (§ 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG, vgl. Rz. 203 ff.).
181
Ferner müsste diese Leistung eigenkapitalersetzend sein, hätte ein Gesellschafter sie gewährt („hypothetischer Eigenkapitalersatzcharakter“). Das „Stehenlassen“ der bereits gewährten Leistung reicht auch zur Bejahung des Eigenkapitalersatzcharakters aus, soweit die restlichen Kriterien vorliegen. Dies beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Rz. 129 ff.). Nicht erforderlich ist jedoch die Möglichkeit der Kenntnis des gewährenden oder belassenden Dritten vom Eintritt der Krise, da diesen keine Finanzierungsfolgen-
182
1 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 133 m.w.N. 2 BGH v. 27. 9. 1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171 (182); BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, ZIP 1981, 974 (977). 3 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 157.
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§4
Rz. 183
Eigenkapitalersatzrecht
verantwortung trifft, die eine Finanzierungsentscheidung zur Voraussetzung der Umqualifizierung macht1. (2) Eigenkapitalersetzende Sicherheit 183
Zudem muss der Gesellschafter oder ein gleichzustellender Dritte eine Sicherheit für die Forderung des Dritten aus der Leistung gewähren oder belassen, die ihrerseits eigenkapitalersetzend ist. In dieser Beurteilung ist auch von den allgemeinen Grundsätzen über ein eigenkapitalersetzendes Darlehen auszugehen. Insbesondere muss eine Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Gewährung oder des Belassens bestanden haben. Dabei reicht das Verlangen des Kreditgebers nach einer Sicherheit für die Feststellung der Kreditunwürdigkeit nicht aus2. Aufgrund der für die Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz notwendigen Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters muss für ihn die Möglichkeit der Kenntnis der Krise bestanden haben; der Kreditgeber muss indes keine Kenntnis vom eigenkapitalersetzenden Charakter der Sicherheit gehabt haben3.
184
Der maßgebliche Zeitpunkt für das Zusammentreffen von Gesellschaftersicherheit und Leistung des Dritten ist der Eintritt der Krise der Gesellschaft4. Allerdings ist zu beachten, dass Sicherheit und Leistung nicht gleichzeitig gewährt werden müssen. Vielmehr ist entscheidend, dass beide nach Eintritt der Krise Fortbestand haben. In der Praxis häufig anzutreffende Fälle sind solche, in welchen sowohl Sicherheit als auch die Leistung eines Dritten bereits vor Eintritt der Krise gewährt wurden (nicht unbedingt gleichzeitig), um in der Krise der Gesellschaft belassen zu werden5. Auch die Stellung einer Sicherheit durch den Gesellschafter nach Eintritt der Krise für einen weiterhin belassenen Kredit eines Dritten qualifiziert die Sicherheit des Gesellschafters in Eigenkapitalersatz um.
! Hinweis: Aufgrund verschlechterter Vermögensverhältnisse der Gesellschaft wird dem Gesellschafter die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung der Bürgschaft gegenüber dem Dritten im Regelfall zustehen6. Eine solche Kündigung befreit den Gesellschafter indes lediglich von der Verstrickung der Bürgschaft als Eigenkapitalersatz. Seine Haftung als Bürge bestimmt sich
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1 Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 6.14. 2 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 176. 3 Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, §§ 32a, b Rz. 133. 4 BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 (256 f.). 5 BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049; BGH v. 6. 2. 1995 – II ZR 41/94, ZIP 1995, 646 (647); BGH v. 18. 11. 1991 – II ZR 258/90, ZIP 1992, 177 (179); OLG Koblenz v. 19. 5. 2004 – 6 U 963/03, ZInsO 2004, 1037 (1039). 6 BGH v. 16. 4. 1959 – VII ZR 37/58, BB 1959, 866 (866); OLG München v. 22. 3. 2006 – 7 U 5152/05, GmbHR 2006, 814 (816) (nicht rechtskräftig) hinsichtlich der Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung des eines Schuldbeitritts zugrunde liegenden Schuldverhältnisses und der Freistellung von der Gesellschaft nach § 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 186
§4
nach dem Saldo der Hauptschuld zum Zeitpunkt der Kündigung1. Der Befreiungsanspruch gegenüber der Gesellschaft (§ 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB) bleibt hiervon unberührt. (3) Mögliche Sicherungsarten Die Sicherungsart beschränkt sich – entgegen dem lediglich als Beispiel gedachten Wortlaut des Gesetzes – nicht auf Bürgschaften2 des Gesellschafters. Vielmehr sind alle Arten der persönlichen und gegenständlichen Sicherheit von dieser Fallgestaltung erfasst3. Folgende Sicherungsarten werden neben der Bürgschaft im Regelfall unproblematisch unter die Eigenkapitalersatzregeln subsumiert werden können: –
Garantieversprechen4
–
Sicherungsübereignung5
–
Schuldmitübernahme6
–
Kaution7
–
Kreditauftrag8
–
Ausfallsicherheiten9
–
selbständiges Schuldversprechen10
–
Hypotheken- und Grundpfandrechte11
–
sonstige Pfandrechte12
1 OLG Düsseldorf v. 24. 11. 1998 – 24 U 264/97, NJW 1999, 3128 (3128); BGH v. 16. 4. 1959 – VII ZR 37/58, BB 1959, 866 (866). 2 Auch Globalbürgschaften können eigenkapitalersetzend sein. Auf diese Bürgschaften wird indes die sog. Anlass-Rechtsprechung des BGH in der Regel nicht anwendbar sein: vgl. OLG Zweibrücken v. 20. 12. 2001 – 4 U 131/00, GmbHR 2002, 740 (741 f.) mit Anmerkung von Blöse. 3 Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 6.16; Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 177. 4 Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 6.16. 5 BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049; Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 177. 6 OLG München v. 22. 3. 2006 – 7 U 5152/05, GmbHR 2006, 814 (816) (nicht rechtskräftig); OLG Dresden v. 6. 11. 2001 – 2 U 1566/01, GmbHR 2002, 269 (269); LG Hamburg v. 4. 5. 1981 – 14 O 40/81, ZIP 1989, 730 (730). 7 BGH v. 12. 12. 1998 – II ZR 378/87, ZIP 1989, 161 (162). 8 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 161. 9 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 177. 10 BGH v. 9. 3. 1992 – II ZR 148/91, ZIP 1992, 616 (617). 11 BGH v. 22. 12. 2005 – IX ZR 190/02, ZIP 2006, 243; BGH v. 26. 6. 2000 – II ZR 370/98, ZIP 2000, 1489 (1490); BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 179/99, ZIP 2001, 115 (116 f.); OLG Hamburg v. 4. 4. 1984 – 11 W 21/85, ZIP 1984, 584 (585). 12 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 82.
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§4
Rz. 187
–
wechselrechtliche Verpflichtungen1
–
„harte“ Patronatserklärungen2
Eigenkapitalersatzrecht
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In einer neueren Entscheidung hat das OLG Köln zunächst festgestellt, dass ein unwiderrufliches Kaufangebot keine eigenkapitalersetzende Sicherheit des Gesellschafters darstellen kann3. Die Revision wurde zwar vom BGH zurückgewiesen; es wurde jedoch festgehalten, dass die Differenz der Gegenstandswerte, für die das unwiderrufliche Kaufangebot abgegeben wurde, grundsätzlich eine eigenkapitalersetzende Gesellschaftersicherheit sein könne4. Die Differenz könne durch eine Ermittlung der Werte beim Einkauf und bei einer theoretischen Erfüllung anhand des Kaufangebots erstellt werden5. Die Pflicht zur detaillierten Darlegung dieser Differenz obliege dem Insolvenzverwalter bzw. der Gesellschaft6.
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Auch von einer Bank gewährte Avalkredite für Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften können eigenkapitalersetzende Sicherheiten sein, wenn die gewährende Bank dem persönlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechts unterfällt. Eine solche Forderung entspreche einem Darlehen, da das Unternehmen ansonsten Sicherheitsleistungen aus eigenen Mitteln erbringen oder auf einen Teil des Werklohns verzichten müsste7. Praxisrelevant ist die Fallgestaltung, dass die Muttergesellschaft die Bürgschaften, die eine Tochtergesellschaft von einer nicht an der Gesellschaft beteiligten Bank aufgrund einer Avalkreditlinie übernommen hat, durch eine weitere Bürgschaft oder eine „harte“ Patronatserklärung absichert. Auch diese Sicherung ist eigenkapitalersetzend, da es eine unzulässige Umgehung der Eigenkapitalersatzregeln darstellen würde, wenn die Zwischenbürgschaft einer Bank die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters aufheben würde. Eine solche Umgehung ist unzulässig. Erlischt die von der Bank gestellte Bürgschaft aufgrund der Erfüllung, bleibt die (Rück-)Bürgschaft des Gesellschafters für etwa auftretende Ansprüche des Dritten bestehen, soweit die Gesellschaftersicherheit zum Zeitpunkt des Erlöschens verstrickt war. Indes führt das bloße Erlöschen der Bankbürgschaft gegenüber dem Dritten nicht zu einem Anspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter aus dem Eigenkapitalersatzrecht, da keine eigenkapitalersetzende Leistung des Gesellschafters durch das Erlöschen abgezogen wird. Der finanzielle Vorteil der Bürgschaft (Li1 Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, §§ 32a, b Rz. 135. 2 OLG München v. 22. 7. 2004 – 19 U 1867/04, ZInsO 2004, 1040 (1043); Obermüller, ZIP 1982, 915 (919 f.); allgemein zur „harten“ Patronatserklärung in der Insolvenz: Küpper, ZInsO 2006, 913 ff. Soweit der Kreditgeber keinen eigenen Anspruch gegen den Gesellschafter aufgrund der Patronatserklärung erlangt, handelt es sich um eine „weiche“ Patronatserklärung, die keine Sicherheit im Sinne der Eigenkapitalersatzregeln darstellt (vgl. Beispiele bei Obermüller); vgl. auch v. Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641 ff.; Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 ff. 3 OLG Köln v. 12. 8. 1998 – 11 U 12/98, NZG 1999, 314 (315). 4 BGH v. 5. 7. 1999 – II ZR 260/98, DStR 1999, 1409 (1410) m. Anmerkung von Goette. 5 BGH v. 5. 7. 1999 – II ZR 260/98, DStR 1999, 1409 (1410) m. Anmerkung von Goette. 6 BGH v. 5. 7. 1999 – II ZR 260/98, DStR 1999, 1409 (1410) m. Anmerkung von Goette. 7 BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 185/92, DStR 1993, 251 (252).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 191
§4
quidität zum Zeitpunkt der Krise) wurde bereits durch die Erfüllung des Vertrages und die (wohl) damit verbundene Zahlung der Vergütung verbraucht. Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen in dieser Fallgestaltung ist – soweit ersichtlich – nicht vorhanden. Bürgschaften, die nicht nur zur Sicherung von Forderungen gegen die Gesellschaft, sondern für eine weitere Schuldnerin übernommen werden, können auch eigenkapitalersetzende Leistungen sein1. Allerdings ist bei der Berechnung der Anspruchshöhe die Höhe der Inanspruchnahme des Gesellschafters aus der Bürgschaft für Forderungen gegen die weitere Schuldnerin zu berücksichtigen2.
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: Sicherheiten, die von der Gesellschaft für eigenkapitalersetzende Leistungen des Gesellschafters gestellt werden, können in der Krise der Gesellschaft aufgrund des eigenkapitalersetzenden Charakters der Leistung ebenfalls verstrickt sein. Die Gewährung dieser Sicherheiten ist gemäß §§ 135 Nr. 1 InsO, 6 AnfG anfechtbar (vgl. § 10 Rz. 244 ff.). Demgegenüber gelten §§ 32a, 32b GmbHG für Sicherheiten, die von einem anderen Gesellschafter oder einem gleichgestellten Dritten für eigenkapitalersetzende Leistungen eines Gesellschafters gestellt werden.
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bb) Rechtsfolgen Eine scharfe Trennung der Rechtsverhältnisse zwischen Gesellschaft, Gesellschafter und Drittem innerhalb und außerhalb des Insolvenzverfahrens ist notwendige Voraussetzung für die Beurteilung der Rechtsfolgen bei der eigenkapitalersetzenden Gesellschaftersicherheit3. Bei der Beurteilung dieser Rechtsverhältnisse ist stets zu berücksichtigen, dass in der Krise und Insolvenz der Gesellschaft zuerst die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit zugunsten des Dritten verwertet werden sollte (Primat der Sicherheitenverwertung). Sollte die Gesellschaft trotzdem an den Dritten leisten, stehen ihr Regressansprüche gegen den Gesellschafter zu. Im wirtschaftliche Ergebnis muss somit der Gesellschafter aufgrund der gewährten Sicherheit haften.
190
(1) Vor Insolvenzeröffnung (Rechtsprechungsregeln) Der Dritte kann Befriedigung der besicherten Forderung von der Gesellschaft verlangen4. Die Gesellschaft kann den Dritten nicht an die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit verweisen (§ 32a Abs. 2 GmbHG), da diese Regelung erst ab Insolvenzeröffnung gilt.
1 OLG Celle v. 5. 9. 2001 – 9 U 116/01, NZG 2002, 427 (428); vgl. auch OLG Hamm v. 8. 2. 2001 – 27 U 85/00, WM 2001, 1111 (1113). 2 OLG Celle v. 5. 9. 2001 – 9 U 116/01, NZG 2002, 427 (428). 3 Vgl. etwa: BGH v. 14. 3. 2005 – II ZR 129/03, ZIP 2005, 659 (660); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 120. 4 BGH v. 9. 12. 1991 – II ZR 43/91, ZIP 1992, 108 (108).
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191
§4 192
Rz. 192
Eigenkapitalersatzrecht
Gemäß § 30 Abs. 1 GmbHG ist der Gesellschafter lediglich im Innenverhältnis zur Freistellung der Gesellschaft von diesem Anspruch verpflichtet, soweit und in der Höhe, in der das Stammkapital durch die Rückgewähr der Leistung des Drittens angegriffen wird1. In der Wahrnehmung seiner Pflichten wird der Geschäftsführer daran gehalten sein, bereits im Vorfeld einer Zahlung der Gesellschaft an den Dritten die Freistellung vom Gesellschafter zu verlangen2. Leistet die Gesellschaft trotzdem an den Dritten, wird aus dem Freistellungsanspruch ein Erstattungsanspruch gegen den Gesellschafter nach den Rechtsprechungsregeln (§ 31 Abs. 1 GmbHG analog). Bei der Kreditsicherheit des Gesellschafters handelt es sich nämlich um funktionales Eigenkapital, so dass diese Leistung nicht dadurch an ihn zurückgewährt werden darf, dass die Gesellschaft die Schuld des kreditgebenden Dritten aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen tilgt, weil sonst der Gesellschafter von seiner Sicherungspflicht befreit wird3. Folglich ist der Gesellschafter aufgrund der verboten Rückgewähr (§ 30 Abs. 1 GmbHG analog) verpflichtet, nach § 31 Abs. 1 GmbHG analog den entsprechenden Gegenwert an die Gesellschaft zu leisten, soweit dies zur Wiederherstellung des Stammkapitals notwendig ist4. Nur soweit der Gesellschafter von seiner Verpflichtung aus der Sicherheit ganz oder teilweise frei geworden ist, kann kein weiterer Regressanspruch gegen ihn geltend gemacht werden5. Die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Erwägungen des OLG Düsseldorf, dass eine Entlastung des Gesellschafters dann nicht vorliege, wenn die Befreiung von einer Bürgschaft zur gleichzeitigen – jedoch nicht unmittelbaren – Erhöhung einer weiteren, bereits bestehenden Bürgschaft führe, überzeugen allerdings nicht6. Soweit einer Bürgschaft Eigenkapitalersatzcharakter zukommt, sind alle Rückzahlungen an den Dritten, die zu einer Freistellung des Gesellschafters führen, von diesem zu erstatten. Ob diese Rückzahlungen zu weiteren Schulden der Gesellschaft führen, für die der Gesellschafter auch eine Sicherheit gestellt hat, ist in der Krise der Gesellschaft ohne Belang. Solange die Krise andauert, wird der Gesellschafter keine Erstattungsansprüche gegen die Gesellschaft geltend machen können. Wird die Krise überwunden, ist der Erstattungsanspruch des Gesellschafters wieder durchsetzbar, soweit eine Leistung die Stammkapitalziffer nicht verletzt.
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Die Rechtsfolgen vor Insolvenzeröffnung sind somit primär von den Rechtsverhältnissen zwischen der Gesellschaft und dem Dritten sowie zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter geprägt. Eine direkte Inanspruchnahme des 1 BGH v. 9. 12. 1991 – II ZR 43/91, ZIP 1992, 108 (109). 2 BGH v. 9. 12. 1991 – II ZR 43/91, ZIP 1992, 108 (109). 3 BGH v. 14. 3. 2005 – II ZR 129/03, ZIP 2005, 659 (660); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 166. 4 BGH v. 27. 9. 1976 – II ZR 162/75, BGHZ 76, 171 (182 f.); BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 253 (260); BGH v. 19. 11. 1984 – II ZR 84/84, ZIP 1985, 158 (158 f.). 5 OLG Celle v. 5. 9. 2001 – 9 U 116/01, NZG 2002, 427 (428); OLG Hamm v. 8. 2. 2001 – 27 U 85/00, WM 2001, 1111 (1113). 6 OLG Düsseldorf v. 6. 7. 2001 – 17 U 202/00, NZG 2001, 1142 (1143 f.).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 196
§4
Gesellschafters durch den Dritten wird lediglich dann erfolgen können, wenn die Gesellschaft auf die Fälligstellung der Forderung nicht reagiert und das der Sicherheit zugrunde liegende Schuldverhältnis eine Inanspruchnahme zulässt. In der Rechtspraxis kommt eine solche Fallgestaltung allerdings selten vor.
! Hinweis: Diese Rechtsfolgen gelten auch in Fällen der Doppelbesicherung, also wenn sowohl ein Gesellschafter als auch die Gesellschaft oder ein Vierter Sicherheiten für eine Forderung gestellt haben. In solchen Fällen muss die Umqualifizierung der Sicherheit des Gesellschafters in Eigenkapitalersatz besonders sorgfältig geprüft werden, da die Bestellung einer Sicherheit aus dem Gesellschaftsvermögen eine Kreditunwürdigkeit ausschließen kann1 (zur Doppelbesicherung auch § 10 Rz. 244 f.). Liegt eine eigenkapitalersetzende Gesellschaftersicherheit vor, kann der Dritte (Darlehensgläubiger) die durch die Gesellschaft gestellte Sicherheit verwerten, ohne von der Gesellschaft auf die von dem Gesellschafter gestellte Sicherheit verwiesen werden zu können2. Der Verwertung der von einem nicht an der Gesellschaft beteiligten Vierten gestellten Sicherheit steht ohnehin nichts im Wege. Der die Sicherung stellende Gesellschafter ist lediglich im Innenverhältnis zur Freistellung der Gesellschaft von den Regressansprüchen des Vierten und der Inanspruchnahme durch den Dritten verpflichtet. Gegebenenfalls entsteht zugunsten der Gesellschaft ein Rückforderungsanspruch.
194
(2) Nach Insolvenzeröffnung In erster Linie entfällt durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Dritten, die Gesellschaft auf Rückgewähr der Leistung unmittelbar in Anspruch zu nehmen (§ 32a Abs. 2 GmbHG). Vielmehr ist dieser verpflichtet, die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit zur Befriedigung seiner Forderung heranzuziehen. Obwohl der Gesellschafter und der Dritte vereinbaren können, dass die Sicherungsabrede außer Kraft gesetzt wird, muss der Dritte den Ausfall der Sicherheit in Höhe ihres Werts auf seinen Anspruch gegen die Gesellschaft anrechnen lassen3.
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Hat die Gesellschaft auf die Forderung des Dritten bereits geleistet – auch durch Verwertung einer Gesellschaftssicherheit4 –, steht ihr ein Anspruch auf Rückgewähr des Geleisteten gegen den Gesellschafter zu (§ 32b GmbHG). Diese Anspruchsgrundlage wird von der h.M. als besonderer Anfechtungstatbestand eingeordnet. Daher gelten sowohl die Verjährungsfrist der Geltendmachung nach § 146 InsO (explizit) als auch die Übergangsregel des Art. 106
196
1 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 176; zur Verjährung des Anspruchs aus § 32b GmbHG im Falle der Doppelbesicherung: Kellner, ZInsO 2006, 413 ff. 2 BGH v. 19. 11. 1984 – II ZR 84/84, ZIP 1985, 158 (158 f.); BGH v. 14. 10. 1985 – II ZR 280/84, ZIP 1986, 30 (31); a.A.: K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 178. 3 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 341. 4 OLG Zweibrücken v. 20. 12. 2001 – 4 U 131/00, GmbHR 2002, 740 (741).
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§4
Rz. 197
Eigenkapitalersatzrecht
EGInsO1 (zu § 146 InsO vgl. § 10 Rz. 260, 362). Zudem wird die Erstattungspflicht des Gesellschafters durch den Betrag begrenzt, auf den er als Sicherungsgeber gehaftet hätte (§ 32b Satz 2 GmbHG)2. § 32b Satz 3 GmbHG enthält auch eine Ersetzungsbefugnis des Gesellschafters. Soweit dieser der Gesellschaft den zur Sicherheit gestellten Gegenstand zur Verfügung stellt, um den Drittgläubiger zu befriedigen, wird er von seiner Freistellungs- bzw. Erstattungspflicht frei. Im Umkehrschluss ist die Gesellschaft jedoch nicht befugt, den Gegenstand vom Gesellschafter herauszuverlangen3. Neben dem Anspruch aus § 32b GmbHG bleiben die Rechtsprechungsregeln anwendbar. Insofern besteht auch ein Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG (vgl. Rz. 276 ff.)4. 197
Aufgrund des eigenkapitalersetzenden Charakters der Sicherheit können die somit entstehenden bzw. auf ihn im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs übergegangenen Ansprüche des Gesellschafters im Insolvenzverfahren lediglich als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltend gemacht werden.
! Hinweis: Strittig ist, in welchem Umfang der Dritte seine Forderung zur Tabelle anmelden kann. Praktische Relevanz erlangt diese Frage, wenn die Stimmrechte des Gläubigers in der Gläubigerversammlung ausschlaggebend sind. Obwohl von einer herrschenden Meinung in der juristischen Literatur gesprochen wird, welche eine Anmeldung lediglich in Höhe des Ausfalls befürwortet5, überzeugt eher die mit Hinweis auf die Ähnlichkeit des abgesicherten Dritten mit einem aussonderungsberechtigten Gläubiger vertretene Ansicht, eine Anmeldung in voller Höhe sei zulässig6.
198
cc) Checkliste: Gesellschafterbesicherte Leistungen 199
1.
Voraussetzungen –
Wurde eine Leistung von einem gesellschaftsfremden Dritten (vgl. Rz. 181) an die Gesellschaft erbracht?
–
Besitzt diese Leistung des Dritten hypothetischen Eigenkapitalersatzcharakter?
1 2 3 4
Hirte, ZInsO 2001, 784 (785). Vgl. etwa: OLG Koblenz v. 19. 5. 2004 – 6 U 963/03, ZInsO 2004, 1037 (1040). BGH v. 14. 10. 1985 – II ZR 280/84, NJW 1986, 429 (430). Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 6.62. 5 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 336 m.w.N. 6 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 172; K. Schmidt, ZIP 1999, 1821 (1826 f.); Bitter in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 43 Rz. 27; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 169 m.w.N.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
–
–
Rz. 200
§4
Liegt eine eigenkapitalersetzende Sicherheit des Gesellschafters vor? –
Gewähren oder Stehenlassen in der Krise (Problem: Kündigung der Bürgschaft)
–
Alle Arten der Real- und Personalsicherheiten möglich
–
Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft
–
Kenntnis der Krise durch den Gesellschafter
Sonderfälle: –
Gesellschaftssicherheiten für eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen
–
Sicherheiten eines Gesellschafters für die eigenkapitalersetzende Leistung eines weiteren Gesellschafters
2. Rechtsfolgen –
–
Vor Insolvenzeröffnung (Rechtsprechungsregeln) –
Im Verhältnis Dritter – Gesellschaft: Der Dritte kann die Befriedigung der Forderungen direkt von der Gesellschaft verlangen.
–
Im Verhältnis Dritter – Gesellschafter: Eine direkte Inanspruchnahme des Gesellschafters durch den Dritten ist nur im Rahmen des schuldrechtlichen Verhältnisses möglich.
–
Im Verhältnis Gesellschafter – Gesellschaft: Der Gesellschaft steht entweder ein Freistellungs- oder ein Erstattungsanspruch gegen den Gesellschafter zu.
–
Diese Regeln gelten auch im Falle der Doppelbesicherung.
Nach Insolvenzeröffnung –
Im Verhältnis Dritter – Gesellschaft: Direkte Inanspruchnahme der Gesellschaft ist nicht möglich. Gesellschaft kann auf die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit verweisen.
–
Im Verhältnis Dritter – Gesellschafter: Gemäß § 32a Abs. 2 GmbHG muss der Gesellschafter an den Dritten leisten.
–
Im Verhältnis Gesellschafter – Gesellschaft: –
Der Gesellschaft steht ein Erstattungsanspruch gemäß § 32b GmbHG gegen den Gesellschafter für bereits getilgte Forderungen zu.
–
Daneben gilt der Erstattungsanspruch aus § 31 GmbHG analog.
–
Dem Gesellschafter steht eine Ersetzungsbefugnis gemäß § 32b Satz 3 GmbHG zu.
–
Regressansprüche des Gesellschafters können lediglich als nachrangige Forderungen geltend gemacht werden.
e) Dienstleistungen Im Jahre 2000 entschied der österreichische OGH1, dass auch Dienstleistungen des Gesellschafters von den Grundsätzen des Eigenkapitalersatzrechts erfasst 1 öOGH v. 24. 2. 2000 – 8 Ob 136/99d, NZG 2000, 1126 (1126 f.).
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200
§4
Rz. 201
Eigenkapitalersatzrecht
sein können. In der (deutschen) juristischen Literatur wird diese Anwendungsmöglichkeit seit über einem Jahrzehnt diskutiert. Ausgehend von einem von Karsten Schmidt geäußerten argumentum ad absurdum im Rahmen seiner Kritik an der Rechtsprechung des BGH zur eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung1, wurde dieser Gedanke von einigen Stimmen in der juristischen Literatur aufgegriffen2. Bisher fehlt es (noch) an höchstrichterlicher Rechtsprechung zu diesem möglichen sachlichen Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechts, obwohl das OLG Hamm bereits 1991 die Anwendung für zumindest denkbar hielt3. Die Prämisse von Karsten Schmidt in dieser Hinsicht ist zutreffend. Soweit die Rechtsprechung die Einstufung von Nutzungsüberlassungen als Eigenkapitalersatz (und nicht als Folge einer materiellen Unterkapitalisierung) befürwortet, muss sie in der Konsequenz auch die eigenkapitalersetzende Dienstleistung anerkennen. Denn Gesellschafterdienstleistungen können dieselben negativen Folgen für die Gläubigergesamtheit haben wie Nutzungsüberlassungen4. Einer Tendenz der neueren Literatur zu dieser Problematik zufolge können Dienstleistungen somit als Eigenkapitalersatz eingestuft werden5. Die besseren Argumente anhand der derzeitigen höchstrichterlichen Dogmatik zur Nutzungsüberlassung sprechen auch für eine Umqualifizierung von bestimmten Dienstleistungen in Eigenkapitalersatz. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn sich künftige BGH-Rechtsprechung mit dieser Problematik befassen und der Ansicht der neueren Literatur zustimmen würde.
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: Besondere Bedeutung kann dieser Problematik bei der Insolvenz von Tochterunternehmen zukommen, welche konzerninterne Dienstleistungen von der Muttergesellschaft beziehen6. Eine Verstrickung dieser Leistungen in der Zeit vor Insolvenz sowie im Rahmen einer möglichen Sanierung der Gesellschaft kann erhebliche Folgen für die Insolvenzmasse haben, auch im Rahmen einer in Anlehnung an die Insolvenzpraxis bezüglich der Nutzungsüberlassung üblichen Abgeltungsvereinbarung (vgl. Rz. 172).
201
1 K. Schmidt, ZIP 1990, 69 (72 f.); K. Schmidt, ZIP 1993, 161 (162). 2 Priester, DB 1993, 1173 (1174 ff.); Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 169; Haas, NZI 2002, 457 (461 f.). 3 OLG Hamm v. 19. 11. 1991 – 27 U 145/91, GmbHR 1992, 607, (608). 4 Haas, NZI 2002, 457 (461 f.); Haas/Dittrich, DStR 2001, 623 (625 ff.); Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.75 ff. 5 Haas/Dittrich, DStR 2001, 623 (625 ff.); Molitor, ZInsO 2005, 856, 858; Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.75 ff. m.w.N.; a. A.: Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 79, weil in einer Dienstleistung keine einer Kreditgewährung wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung gesehen werden könne; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 36; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 154 m.w.N. 6 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.75b m.w.N.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 204
§4
! Hinweis: Gestundete Forderungen für erbrachte Dienstleistungen sind bereits nach der derzeitigen Rechtsprechung unter Umständen eigenkapitalersatzfähig (vgl. Rz. 204).
202
f) Sonstige Leistungen Gemäß § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG werden auch „andere Rechtshandlungen eines Gesellschafters oder eines Dritten, die der Darlehensgewährung nach Absatz 1 oder 2 wirtschaftlich entsprechen“, von den Eigenkapitalersatzregeln erfasst. Insofern können – wie eingangs erwähnt – schuldrechtliche Geschäfte aller Art eigenkapitalersetzend sein, soweit sie eine darlehensähnliche Finanzierung der Gesellschaft in der Krise darstellen und die sonstigen Voraussetzungen des Eigenkapitalersatzrechts vorliegen. Die Kasuistik der Rechtsprechung weist eine beachtliche Anzahl solcher Geschäfte auf, die durch Beispiele aus der rechtswissenschaftlichen Forschung ergänzt wird. Eine Aufzählung einzelner Rechtsverhältnisse kann mithin lediglich durch die Rechtsprechung und juristische Literatur bereits berücksichtigte Fälle erfassen, jedoch weder abschließend noch in jedem Einzelfall ohne weitere Prüfung aller Umstände gültig sein.
203
Der für die Praxis bedeutsamste Fall des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG (außer Nutzungsüberlassungen) ist die Stundung von Forderungen aller Arten durch den Gesellschafter. Sämtlichen Forderungen, welche in der Krise der Gesellschaft gestundet werden, bzw. bereits gestundeten Forderungen, welche in der Krise der Gesellschaft belassen werden, kommt aufgrund ihrer inhärenten Finanzierungsabrede Eigenkapitalersatzcharakter zu. Soweit folgende fällige Ansprüche eines Gesellschafters von diesem gestundet werden, können sie in Eigenkapitalersatz umqualifiziert werden:
204
–
nicht entnommene Gewinne1;
–
nicht ausgezahlte Gehaltsansprüche des Gesellschafter-Geschäftsführers2;
–
Ansprüche auf Spesen und Tantiemen3;
–
Abfindungen4
–
Provisionsansprüche5;
–
Kaufpreisansprüche im Rahmen eines Unternehmenskaufs6;
–
Zahlungsansprüche aus Warengeschäften, soweit diese auch von einem Dritten sofort fälliggestellt worden wären7;
–
Ansprüche aus Nutzungsüberlassungen (Miete/Pacht, vgl. Rz. 144 ff.).
1 2 3 4 5 6 7
BGH v. 26. 11. 1979 – II ZR 104/77, BGHZ 75, 334 (336). BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (331 f.). BGH v. 28. 9. 1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 (366). BGH v. 19. 9. 2005 – II ZR 229/03, ZIP 2005, 2016. BGH v. 2. 4. 2001 – II ZR 261/99, ZIP 2001, 839 (839). BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1376 f.). BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 (262 f.).
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§4
Rz. 205
Eigenkapitalersatzrecht
Eine ausdrückliche Stundung der Ansprüche durch den Gesellschafter ist nicht erforderlich, soweit erkennbar ist, dass marktübliche Zahlungsfristen deutlich überschritten wurden1. Der Stundung von Forderungen durch den Gesellschafter steht der Erwerb gestundeter Forderungen sonstiger Gläubiger durch den Gesellschafter gleich2. 205
Der Stundung einzelner Forderungen ähnlich sind systematische Zahlungszielüberschreitungen. Daher werden auch diese, sofern sie über einen längeren Zeitraum eine Finanzierungswirkung erkennen lassen, als eigenkapitalersetzende Leistung eingestuft3.
206
In einer neueren Entscheidung hat der BGH auch die durch Rücktritt vom Kaufvertrag entstandene Nutzungsentschädigung als eigenkapitalersetzende Leistung eingestuft, soweit der bereits gestundete Kaufpreis eigenkapitalersetzenden Charakter hatte4.
207
Die Sicherung des eigenkapitalersetzenden Darlehens eines Gesellschafters durch einen Mitgesellschafter stellt auch eine darlehensähnliche Handlung im Sinne des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG dar. Das Darlehen selbst wird bereits vom § 32a Abs. 1 GmbHG erfasst. Die vom Mitgesellschafter gestellte Sicherheit ermöglicht zwar eine weitere Finanzierung; sie begründet jedoch keine alleinige Finanzierungsfolgenverantwortung, wie in den Fällen des § 32a Abs. 2 GmbHG. Vielmehr entsteht eine „gesamtschuldnerische“ Finanzierungsfolgenverantwortung beider Gesellschafter für die Finanzierung der Gesellschaft in der Krise (zu den Rechtsfolgen vgl. Rz. 288).
208
Der Forderungskauf stellt demgegenüber kein darlehenähnliches Rechtsgeschäft dar, da die Gesellschaft im Regelfall den Gegenwert der Forderung (echtes Factoring) erlangt. Aufgrund der Ungewissheit des rechtlichen Schicksals des Gegenwertes ist jedoch das unechte Factoring eine dem Darlehen wirtschaftlich entsprechende Handlung im Sinne des § 32 Abs. 3 Satz 1 GmbHG. Daher wird im Regelfall der vom Gesellschafter erlangte Gegenwert für die von der Gesellschaft im Wege des unechten Factorings erlangte Forderung wie Eigenkapital zu behandeln sein5 (zum Factoring vgl. im Übrigen auch § 7 Rz. 63 ff.).
209
Soweit sie nicht ohnehin als Darlehen im Sinne des § 32a Abs. 1 GmbHG eingeordnet werden, stellen Kontokorrentkredite jedenfalls eine dem Darlehen wirtschaftlich gleichzusetzende Leistung im Sinne des § 32 Abs. 3 Satz 1 GmbHG dar6.
1 BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (24). 2 Statt vieler: Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 39. 3 BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (23). 4 BGH v. 2. 7. 2001 – II ZR 264/99, ZIP 2001, 1366 (1367). 5 OLG Köln v. 25. 7. 1986 – 22 U 311/85, ZIP 1986, 1585 (1587); K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 124. 6 OLG Celle v. 14. 7. 1999 – 9 U 342/98, ZInsO 2000, 617 (618); OLG Düsseldorf v. 17. 12. 1998 – 6 U 187/97, NZG 1999, 668 (669).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 213
§4
In der juristischen Literatur wird ferner erörtert, dass gewisse Wertpapiergeschäfte eigenkapitalersetzend sein können. So könnten die Diskontierung von Wechseln, Pensionsgeschäften und die Emission von Industrieobligationen darlehensähnliche Wirkungen entfalten1. Ähnliches wird wohl für den Abschluss kapitalersetzender Direktlebensversicherungen gelten2.
210
Die stille Beteiligung an sich ist eine darlehensähnliche Handlung3. Durch die typische stille Beteiligung wird der Beteiligte allerdings einem Gesellschafter nicht gleichzusetzen sein. Vielmehr kommt eine Verstrickung seiner Beteiligung nach den Eigenkapitalersatzregeln lediglich in Fällen einer atypischen Beteiligung in Betracht (vgl. Rz. 88).
211
Eine Umqualifizierung vorstehender Leistungen in Eigenkapitalersatz setzt selbstverständlich eine Finanzierungsfolgenverantwortung eines Gesellschafters voraus. Daher ist auch bei Vorliegen einer darlehensähnlichen Leistung sorgfältig zu prüfen, ob die sonstigen Voraussetzungen der Umqualifizierung vorliegen (vgl. Checkliste Rz. 12). g) Sanierungsbeiträge Grundsätzlich kommt auch Darlehen oder sonstigen Leistungen, welche zum Zwecke der Sanierung in der Krise der Gesellschaft erbracht werden, eigenkapitalersetzender Charakter zu. Allerdings ist aufgrund des gesetzlichen Privilegierungstatbestandes des § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Ausschlusses bestimmter Leistungen von der eigenkapitalersatzrechtlichen Verstrickung erforderlich (vgl.Rz. 78).
212
h) Wirksamkeit einer Leistung im Rahmen des VerbrKrG/der Verbraucherschutzregeln Ferner können aber die der eigenkapitalersetzenden Leistung zugrunde gelegten Rechtsgeschäfte unwirksam sein. In einer Entscheidung zur Anwendbarkeit des VerbrKrG auf den Schuldbeitritt eines Gesellschafters zum an die Gesellschaft gewährten Drittkredit begründete der XI. Senat des BGH zum ersten Mal die Unanwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln mit der Erklärung, dass diese nicht greifen könnten, wenn der Schuldbeitritt gem. §§ 4, 6 Abs. 1 Alt. 2 VerbrKrG (heute: § 494 Abs. 1 BGB) i.V.m. § 125 BGB unwirksam (nichtig) ist4. Eine weitere Begründung blieb der Senat allerdings schuldig. Das OLG Dresden entschied in einem anderen Fall, dass die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts nicht zu einem zwingenden Ausschluss der Eigenkapitalersatzhaftung führen könne5. Allerdings stimmte das OLG Dresden mit dem Ergebnis des BGH hinsichtlich des VerbrKrG überein, dass der Verbraucherschutz vor
1 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 5.56 ff. m.w.N. 2 Hierzu umfassend: Moitor, ZInsO 2005, 856 (858). 3 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 156. 4 BGH v. 27. 6. 2000 – XI ZR 322/98, ZIP 2000, 1523 (1523). 5 OLG Dresden v. 6. 11. 2001 – 2 U 1566/01, GmbHR 2002, 269 (271).
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§4
Rz. 214
Eigenkapitalersatzrecht
dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger Vorrang haben solle1. Auch in einer Entscheidung des OLG Zweibrücken wurde die Wirksamkeit einer Gesellschafterbürgschaft für einen Drittkredit bei der Begründung einer Eigenkapitalersatzhaftung voraussetzungsähnlich geprüft2. Bis zu diesen Entscheidungen spielte die Frage der Wirksamkeit einer eigenkapitalersetzenden Rechtshandlung bei der Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln keine Rolle. Dies folgt auch aus der Tatsache, dass ein Rechtsgeschäft für die eigenkapitalersetzende Leistung keine Voraussetzung ist. Auch tatsächliche Leistungen oder Überlassungen können eigenkapitalersetzend sein. Daher wird die Wirksamkeit eines der Leistung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts als Voraussetzung für den eigenkapitalersetzenden Charakter einer Leistung und die sich daraus ergebende Haftung des Gesellschafters von Teilen der juristischen Literatur abgelehnt3 bzw. nicht einmal erwähnt4. 214
Im Ergebnis ist den Entscheidungen des BGH bzw. des OLG Dresden jedoch zuzustimmen5. Insbesondere der mit dem VerbrKrG bezweckte absolute Schutz des Verbrauchers kann nicht durch die den Gläubigerschutz bezweckenden Regeln des Eigenkapitalersatzes durchbrochen werden6. Bei der Einstufung aller Leistungen, denen ein – nicht aufgrund des VerbrKrG – unwirksames Rechtsgeschäft zugrunde liegt, dürfte sich grundsätzlich folgende dreiteilige Prüfungsreihenfolge empfehlen: Zunächst soll festgestellt werden, ob die Leistung eigenkapitalersetzend wäre, wenn das fragliche Rechtsgeschäft wirksam wäre. Soweit andere Voraussetzungen nicht vorliegen, ist die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unwesentlich. Danach kann geprüft werden, ob sich die zur Unwirksamkeit führenden Gründe ohnehin die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters ausschließen, so z.B. bei einer Anfechtung des Rechtsgeschäfts nach § 123 BGB7. Sollte eine Finanzierungsfolgenverantwortung trotz Unwirksamkeitsgrundes bestehen, kann nur eine Gegenüberstellung der durch den Unwirksamkeitsgrund geschützten Rechtsgüter mit dem Rechtsgut des Gläubigerschutzes über die Anwendung der Eigenkapitalgrundsätze in solchen Fällen entscheiden. Zweifelhaft erschien dem OLG Dresden, ob Unwirksamkeitsgründe, die aus der Sphäre des Gesellschafters stammen, oder gem. § 119 BGB angefochtene Willenserklärungen des Gesellschafters auch Vorrang vor dem Gläubigerschutz genießen sollten8. Anderer1 OLG Dresden v. 6. 11. 2001 – 2 U 1566/01, GmbHR 2002, 269 (271). 2 OLG Zweibrücken v. 20. 12. 2001 – 4 U 131/00, GmbHR 2002, 740 (741 f.). 3 v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, § 32a Rz. 3.9 a; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 117; Scholz, BB 2001, 2541 (2546 f.). 4 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, §§ 32a; Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG 2002, §§ 32a, 32b; auch nicht in Anmerkungen zum BGH-Urteil, vgl. Bülow/Artz, WuB I E 2. § 4 VerbrKrG, 5.00; EWiR 2000, 1031 f. (Vortmann). 5 Freilich nicht mit der hier vertretenen Ansicht übereinstimmend: v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.9 a; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 117; Scholz, BB 2001, 2541 (2546 f.). 6 Insofern übereinstimmend: OLG Dresden v. 6. 11. 2001 – 2 U 1566/01, GmbHR 2002, 269 (271). 7 Scholz, BB 2001, 2541 (2546). 8 OLG Dresden v. 6. 11. 2001 – 2 U 1566/01, GmbHR 2002, 269 (271).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 217
§4
seits ist dem besonderen Schutz des Minderjährigenrechts Vorrang vor dem Gläubigschutz einzuräumen1. Eine endgültige Bewertung wird jedoch lediglich im jeweiligen Einzelfall möglich sein. Etwaige Tendenzen der Rechtsprechung zur Anwendung des Kriteriums „Wirksamkeit“ sind derzeit nicht erkennbar.
! Hinweis: Obwohl die Anwendbarkeit dieses Kriteriums als Ganzes noch ungewiss ist, sollen sowohl der Insolvenzverwalter als auch der beratende Rechtsanwalt von einem Ausschluss der Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln ausgehen, wenn das der Leistung des Gesellschafters zugrunde liegende Rechtsgeschäft nach den Verbraucherschutzregeln nichtig ist.
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2. Der Gesellschaft versprochene Leistungen Leistungen, welche der Gesellschaft versprochen, jedoch nach Eintritt der Krise nicht vom Gesellschafter erbracht wurden, sind nicht eigenkapitalersetzende Leistungen2. Dies hat zur Folge, dass die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter die Erbringung dieser Leistungen nicht aufgrund der Eigenkapitalersatzregeln verlangen kann. Werden besondere Leistungen vom Gesellschafter, insbesondere für den Eintritt der Krise der Gesellschaft versprochen, wird diesem trotzdem unter gewissen Umständen eine Pflicht obliegen, diese Leistungen zu erbringen.
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In der Rechtspraxis stehen Finanzplankredite, Krisendarlehen und Rangrücktritte an dieser Schnittstelle zwischen Eigenkapitalersatz und „Quasi-Kapital“. a) Finanzplankredite aa) Begriff Darlehensversprechen, welche der Gesellschaft für den Fall der Krise bzw. Insolvenz bereits bei der Gründung versprochen werden, können als „Quasi-Kapital“3 oder „Finanzplankredite“4 bezeichnet werden. Diese Finanzierungsform dient meist als Ergänzung eines (zu) niedrigen Stammkapitals, so dass die Gesamtfinanzierung der Gesellschaft mithin vom Plankredit abhängig ist. Die Auszahlung solcher Kredite wird meist für Krise und Insolvenz der Gesellschaft versprochen. Die Gewährung der Leistung findet jedoch häufig nicht statt. Die Eigenkapitalersatzregeln begründen allerdings ein Abzugsverbot für bereits gewährte Leistungen. Dies ergibt sich aus der Begründung der Umqualifizierung mit der Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters. Insofern ginge eine Verpflichtung des Gesellschafters zur Zufuhr weiterer Finanzierungsmittel nach den Eigenkapitalersatzregeln fehl5. Daher tangieren die Ei1 2 3 4
Scholz, BB 2001, 2541 (2546). BGH v. 29. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1263 f.). Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 115. BGH v. 29. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1263); Dauner-Lieb in v. Gerkan/ Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 9.2. 5 BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1263 f.).
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§4
Rz. 218
Eigenkapitalersatzrecht
genkapitalersatzregeln den Finanzplankredit nur punktuell1. Ist die Valuta eines Finanzplankredits bereits vor der Krise ausgezahlt und der Gesellschaft nach Kriseneintritt belassen worden, greifen auch die Regeln über den Eigenkapitalersatz für diese Mittel. Gleiches muss gelten, wenn die Mittel bewusst während der Krise gewährt werden. Der Finanzplankredit – insbesondere das Versprechen – ist indes kein Unterfall des Eigenkapitalersatzes. bb) Vorliegen eines Finanzplankredits 218
Die Verpflichtung des Gesellschafters zur Auskehrung der Valuta und deren Behandlung als „Quasi-Eigenkapital“2 beurteilt sich nach dem Parteiwillen der Vereinbarungsbeteiligten im Einzelfall und verbietet daher die Bildung eines „Tatbestandes“ zur Umqualifizierung wie beim Eigenkapitalersatz3. Diese Entscheidung des BGH für die Finanzierungs- und Vertragsfreiheit der Gesellschafter erleichtert zwar die Darstellung des Finanzplankredittatbestandes, erschwert jedoch die Rechtsfindung im Einzelfall. Grundsätzlich ist aber der Frage nachzugehen, ob die Vereinbarungsbeteiligten (Gesellschafter) das Darlehensversprechen als Verpflichtung zur Auskehrung dieser Mittel gerade in der Krise bzw. im Falle des Scheiterns der Gesellschaft (auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens) vorgesehen haben4.
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Diese Entscheidung fußt auf bereits gefestigter Rechtsprechung des BGH zur gesplitteten Einlage in der GmbH & Co. KG bzw. der GmbH5. Daher können sowohl der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung als auch der Entscheidung des BGH vom 28. 6. 1999 Indizien für das Vorliegen des Willens der Parteien zur Verpflichtung zur Auskehrung der Valuta eines Darlehensversprechens nach Eintritt der Krise bzw. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entnommen werden. Ein solcher Finanzierungswille kann demnach durch folgende Umstände indiziert werden: –
proportionale Beteiligung aller Gesellschafter zur Aufbringung eines Gesamtdarlehens6;
–
Verpflichtung zur langfristigen Belassung der Mittel, insbesondere während der Beteiligung7;
–
besonders günstige Kreditkonditionen, z.B. fehlende Verzinsung oder Sicherung8;
1 2 3 4 5
BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1264). Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (461). BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1265). BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1265). BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1263); Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (462 f.). 6 BGH v. 28. 11. 1977 – II ZR 235/75, BGHZ 70, 61 (63); BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1266); als Indiz, jedoch kein Kriterium bewertend: Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (481). 7 BGH v. 21. 3. 1988 – II ZR 238/87, BGHZ 104, 33 (37); BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1266). 8 BGH v. 21. 3. 1988 – II ZR 238/87, BGHZ 104, 33 (41); BGH v. 9. 12. 1996 – II ZR 341/95, WM 1997, 576 (576 f.).
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 223
§4
–
Darlehen als unabtrennbarer Bestandteil der Beteiligung, z.B. durch die Pflicht zur Unterhaltung eines Darlehenskontos1;
–
Darlehen wird tatsächlich als Eigenkapital behandelt, z.B. durch entsprechende Pflichten oder Bilanzierung2.
Die Auslegung der Vereinbarung und die Bewertung dieser Indizien werden aber auch von der Art der Verpflichtung abhängig gemacht. Ist die Verpflichtung lediglich schuldrechtlicher Art, so müssen die individuellen Sichtweisen der einzelnen Gesellschafter berücksichtigt werden3. Ist sie jedoch mitgliedschaftsrechtlicher Art, ist die Verpflichtung nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen4.
220
Anhand dieser Indizien und Auslegungsregeln sind wohl auch Finanzplannutzungen zu beurteilen5. Solche liegen vor, wenn eine das Stammkapital ergänzende, obligatorische Nutzungsüberlassung im Geschäftsvermögen als Eigenkapital verstrickt ist. Im Ergebnis ist dies ein notwendiges Pendant zum Institut der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung. Vereinbart der Gesellschafter einen Kündigungsausschluss mit der Gesellschaft für den Kriseneintritt oder für eine wesentliche Verschlechterung der Gesellschaftsverhältnisse, scheidet eine Verstrickung dieses Objekts nach den Eigenkapitalersatzregeln aus, da der Abzug der Mittel nach Kriseneintritt de iure ausgeschlossen ist (vgl. Rz. 132 ff.). Da die Finanzierung der Gesellschaft jedoch von vornherein auf diese Mittel ausgelegt war, sind sie durch die Regeln des Finanzplankredits verstrickt6.
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! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Den Gesellschaftern steht die Möglichkeit zu, das Finanzierungsversprechen vor Eintritt der Krise aufzuheben7. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung zwischen Verpflichtungen aus einfach schuldrechtlichen Verhältnissen und statuarischen Pflichten des Gesellschafters. Vor allem gilt der Grundsatz des actus contrarius8. Soweit die Verpflichtung in einer bestimmten Form erfolgte, bedarf auch die Aufhebung des Engagements dieser Form.
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cc) Rechtsfolgen Soweit feststeht, dass ein Finanzplankredit oder eine Finanzplannutzung vorliegen, greifen dem Eigenkapitalersatz gegenüber weiter gehende Rechtsfolgen 1 BGH v. 28. 11. 1977 – II ZR 235/75, BGHZ 70, 61 (65); BGH v. 21. 3. 1988 – II ZR 238/87, BGHZ 104, 33 (41). 2 BGH v. 9. 2. 1981 – II ZR 38/80, ZIP 1981, 734 (735); BGH v. 21. 3. 1988 – II ZR 238/87, BGHZ 104, 33 (41). 3 BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1265). 4 BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 (1265). 5 OLG Karlsruhe v. 29. 3. 1996 – 15 U 39/95, ZIP 1996, 918 (922); Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (465) m.w.N. 6 Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (465, 477 f.). 7 BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116 (121). 8 BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116 (123 ff.); bereits vor der Entscheidung zustimmend: Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (489).
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§4
Rz. 224
Eigenkapitalersatzrecht
ein. Vor allem begründen die Gesellschafter mit dem Finanzierungsversprechen eine Pflicht zur Zufuhr dieser Mittel auch nach Eintritt der Krise der Gesellschaft. Eine solche Pflicht besteht von Gesetzes wegen nicht und bildet auch nicht den Anknüpfungspunkt des Eigenkapitalersatzrechtes. Vielmehr haftet der Gesellschafter nach den Eigenkapitalersatzregeln für seine Finanzierungsentscheidung in bzw. nach der Krise. Gerade die Möglichkeit einer Finanzierungsentscheidung wird jedoch beim Finanzplankredit ausgeschlossen. Lässt der Parteiwille darauf schließen, dass der Gesellschafter verpflichtet werden sollte, der Gesellschaft die Valuta eines Darlehens oder sonstige Mittel nach Eintritt der Krise bzw. nach Insolvenzeröffnung zuzuführen, besteht nunmehr kein Raum für weitere Finanzierungsentscheidungen. Stattdessen besteht eine vertragliche oder statuarische Verpflichtung des Gesellschafters, diese Mittel der notleidenden Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Insofern ist auch eine Kündigung des Engagements bereits bei Eintritt der Krise ausgeschlossen. Gerade das Recht aus § 490 BGB (§ 610a.F. Abs. 1 BGB) wird dem Gesellschafter aufgrund des Eigenkapitalcharakters entzogen1. Eine einvernehmliche Aufhebung ist somit auch nicht mehr möglich (vgl. Rz. 232 ff.).
! Hinweis: Da kein Fall des Eigenkapitalersatzes vorliegt, gelten die Privilegierungsfälle des § 32a Abs. 3 GmbHG für Finanzplankredite und -nutzungen nicht2.
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b) Krisendarlehen 225
Das Krisendarlehen ist dadurch gekennzeichnet, dass Finanzmittel vor der Krise der Gesellschaft ausgekehrt werden, jedoch mit der Zusage, diese in der Krise der Gesellschaft als Eigenkapital behandeln zu lassen3. Es ist derzeit umstritten, ob es sich beim Krisendarlehen um Eigenkapitalersatz oder einen Finanzplankredit handelt4. Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist dies jedoch ohne Belang. In der Krise und Insolvenz der Gesellschaft haften diese Mittel nach beiden Haftungsregimes wie Eigenkapital5. c) Rangrücktritt
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Der Rangrücktritt ist eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter über die Durchsetzbarkeit und Qualität einer dem Gesellschafter zustehenden Forderung. Nach der Vereinbarung soll die Forderung meist als 1 BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116 (121). 2 Statt vieler: K. Schmidt, GmbHR 1999, 1269 (1272 f.). 3 Dauner-Lieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 9.18. 4 Die überwiegende Meinung in der juristischen Literatur hält das Krisendarlehen für einen Unterfall des Finanzplankredits: Dauner-Lieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 9.19 m.w.N. Die neueste Rechtsprechung scheint diese Mittel unter die Regeln des Eigenkapitalersatzes zu subsumieren: BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116 (120). 5 Dauner-Lieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 9.18.
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Eigenkapitalersetzende Leistungen
Rz. 232
§4
Eigenkapital der Gesellschaft für die Dauer der Vereinbarung gelten und ist daher auch wie Eigenkapital in der Krise der Gesellschaft gebunden1.
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Im Gegensatz zum Forderungsverzicht besteht die Forderung im Rahmen des Rangrücktritts fort; überwindet die Gesellschaft die Krise, kann die Forderung im vollen Umfang geltend gemacht werden. Dies hat den Vorteil gegenüber einem Forderungsverzicht – auch einen Verzicht mit auflösender Bedingung (sog. Besserungsklausel) -, dass eine für die Forderung des Gesellschafters bestellte Sicherheit auch nach Vereinbarung eines Rangrücktritts bestehen bleibt2.
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Der Rangrücktritt ist ein schuldrechtlicher Vertrag und kommt als solcher durch übereinstimmende Willenserklärungen der Gesellschaft und des Gesellschafters zustande. Da die Vereinbarung für die Gesellschaft lediglich positive Auswirkungen nach sich zieht, wird in der Praxis davon auszugehen sein, dass die der Gesellschaft zugegangene schriftliche Erklärung des Gesellschafters ausreicht, um den Rangrücktritt wirksam zu vereinbaren. Dies bedeutet keineswegs einen Verzicht auf die übereinstimmende Willenserklärung des Gesellschaftsorgans. Vielmehr dürfte regelmäßig ein Fall des § 151 Satz 1 1. Alt. BGB vorliegen3.
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Der zeitliche und sachliche Umfang des Rangrücktritts wird sich nach dem Inhalt der Vereinbarungen richten. Daher kann die Vereinbarung für einzelne Forderungen (Darlehensforderungen) aber auch für Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen (z.B. aus Miet- oder Pachtverträgen) gelten.
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Praktische Bedeutung hat der Umfang des Rangrücktritts insbesondere bei der Passivierung dieser Verbindlichkeiten in der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz. Seit der Grundsatzentscheidung des BGH im Januar 2001 muss der Rangrücktritt besondere Bestimmungen beinhalten, um die Passivierungspflicht auszuschließen4 (vgl. Rz. 248).
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Obwohl die Rangrücktrittvereinbarung bewirkt, dass die zugeführten Mittel als Eigenkapital behandelt werden, beinhaltet sie lediglich eine rechtsgeschäftliche Durchsetzungssperre und begründet damit keine Bindung nach den Rechtsprechungs- oder Novellenregeln. Diese Regeln zum Eigenkaptialersatzrecht sind hiervon unabhängig und können mithin neben dem vereinbarten Rangrücktritt treten5.
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Die schuldrechtliche Vereinbarung des Rangrücktritts hat auch Konsequenzen hinsichtlich seiner Aufhebbarkeit. Im Gegensatz zum Finanzplankredit, welcher zwischen den Gesellschaftern vereinbart wird, ist der Rangrücktritt eine Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger über die Qualität und Durchsetzbarkeit einer Forderung. Daher muss diese Vereinbarung jederzeit aufheb-
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K. Schmidt, ZIP 1999, 1241 (1246); Wittig, NZI 2001, 169 (170). Wittig, NZI 2001, 169 (171) m.w.N. Wittig, NZI 2001, 169 (171). BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (271 f.). K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 105.
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§4
Rz. 233
Eigenkapitalersatzrecht
bar sein1. Dies gilt auch nach Eintritt der Krise der Gesellschaft, da der Rangrücktritt keine Bindung nach den Eigenkapitalersatzregeln begründet. Eine Aufhebung des Vertrags nach Eintritt der Krise kann zwar besondere Konsequenzen in der Insolvenz der Gesellschaft auslösen, insbesondere die Anfechtbarkeit der Aufhebung oder eine Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 1 GmbHG2. Sie ändert jedoch nichts am eigenkapitalersetzenden Charakter der Leistung, denn dieser beurteilt sich ausschließlich nach den Rechtsprechungs- und Novellenregeln. Danach sind lediglich die Leistungen verhaftet, welche in der Krise belassen werden. Hat der Gesellschafter die Leistung trotz Aufhebung des Rangrücktritts so belassen, ist sie ohnehin verstrickt und tritt im Insolvenzverfahren im Range zurück. Zudem wäre ein dem Finanzplankredit entsprechender Rangrücktritt nicht möglich, da Letzterer lediglich einen freiwilligen Verzicht auf eine bessere Gläubigerstellung darstellt. Er verpflichtet den Gesellschafter indes nicht, eine bestimmte, künftige Finanzierung durchzuführen. Soweit die Leistung, für die der Rangrücktritt besteht, Teil eines Finanzplankredits ist, können Gesellschafter und Gesellschaften das Finanzierungsversprechen in der Krise der Gesellschaft weder aufheben noch kündigen. Der darüber hinausgehende Rangrücktritt als zusätzliche Vereinbarung, welche dieses Finanzierungsversprechen nicht betrifft, kann aber einvernehmlich aufgehoben werden3. Zwecks Klarstellung und zur Wahrung der Rechte des Gesellschafters sollte eine Aufhebungsregelung getroffen werden. Auf Verlangen des Gesellschafters wird die Rangrücktrittsvereinbarung aufgehoben, soweit sie keine Insolvenzeröffnungsgründe herbeiführt oder durch sie Insolvenzeröffnungsgründe zu entstehen drohen4. Freilich darf eine Auszahlung das Stammkapital der Gesellschaft nicht angreifen (zur Rangrücktrittsvereinbarung vgl. auch § 1 Rz. 208 ff.). Erfolgt eine Aufhebung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Beteiligung des Insolvenzverwalters, ist diese selbstverständlich unwirksam (§§ 80, 81 InsO).
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Wird die Krise der Gesellschaft überwunden, kann der Gesellschafter seine Forderung wie ein normaler Gläubiger gegen die Gesellschaft mit Zinsen wieder geltend machen.
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3. Leistungen während des Insolvenzverfahrens 234
Verbindlichkeiten, welche vom Insolvenzverwalter durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet werden, sind Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1
1 K. Schmidt, ZIP 1999, 1241 (1247); a.A.: Wittig, NZI 2001, 169 (175) für „finanzplanmäßige“ Rangrücktritte soll keine Aufhebung nach Eintritt der Krise möglich sein. 2 K. Schmidt, ZIP 1999, 1241 (1247). 3 Insofern unzutreffend als „Minus“ des Finanzplankredits darstellend: Wittig, NZI 2001, 169 (175). 4 Kußmaul, DB 2002, 2258 (2259 f.).
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 237
§4
Nr. 1 InsO). Dies gilt selbstverständlich auch für Darlehen, die von einem Gesellschafter gewährt werden1. Wird ein Insolvenzplan vom Gericht bestätigt, kann der Schuldner im Rahmen dieses Plans weitere Kredite aufnehmen. Der Insolvenzplan kann vorsehen, dass diese Forderungen gegenüber denen der Insolvenzgläubiger vorrangig sind (§ 264 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dies gilt jedoch nicht für Neukredite von Gesellschafterseite. Der Verweis des § 264 Abs. 3 InsO auf den § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO schließt die Möglichkeit einer vorrangigen Verbindlichkeit aus, soweit die Forderung nicht aus einem vom Insolvenzverwalter bereits aufgenommenen Darlehen stammt und der Gesellschafter dieses Darlehen sodann in der Überwachungsphase belässt2 (zum Insolvenzplan vgl. ausführlich § 13).
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IV. Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung Grundsätzlich ist der Gesellschafter zur ordnungsgemäßen Finanzierung der Gesellschaft verpflichtet3. Gewährt der Gesellschafter „seiner“ GmbH eine Leistung, trifft er damit stets eine Finanzierungsentscheidung. Der Gesellschafter kann jedoch im Regelfall frei entscheiden, ob er die Leistung als Gesellschafter (Eigenkapital) oder als „Dritter“ (Fremdkapital) erbringt. Soweit die Gesellschaft die Fremdfinanzierung tragen kann, wird die grundsätzliche Möglichkeit des Gesellschafters, sich für diese Finanzierungsart zu entscheiden, nicht durch das Gesetz begrenzt.
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Erst Eintritt und Fortbestehen einer wirtschaftlichen Schieflage der Gesellschaft wird dazu führen, dass die Entscheidungsfreiheit des Gesellschafters über die Art der Bindung der von ihm zu diesem Zeitpunkt zugeführten Leistung aufgrund gesetzlicher Mindestschutzbestimmungen zugunsten gesellschaftsfremder Gläubiger beschnitten werden muss. Nach Eintritt der Gesellschaftskrise löst der Gesellschafter mit seiner Entscheidung über das „Finanzierungs-Ob“ einen gesetzlichen Automatismus aus, der seine Finanzierungsfolgenverantwortung während der Dauer der Krise und des Insolvenzverfahrens begründet.
1. Beginn der Eigenkapitalersatzbindung Nach den Eigenkapitalersatzregeln erfolgt die Umqualifizierung einer Gesellschafterleistung, die der Gesellschafter der Gesellschaft an sich als „Dritter“ gewährt, aufgrund einer Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters nach Eintritt der Gesellschaftskrise4, also zu einem Zeitpunkt, zu dem ein ordentlicher Kaufmann der Gesellschaft frisches Eigenkapital zugeführt hätte (Legaldefinition in § 32a Abs. 1 GmbHG). 1 Ganz h.M.: vgl. Noack in Kübler/Prütting, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, Rz. 208; a.A.: K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 65. 2 Ganz h.M.: vgl. Noack in Kübler/Prütting, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, Rz. 218. 3 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (389). 4 BGH v. 27. 9. 1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 172 (175).
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§4
Rz. 238
Eigenkapitalersatzrecht
! Hinweis: Soweit ein zwingender Insolvenzeröffnungsgrund vorliegt (Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit) ist der Geschäftsführer verpflichtet, einen Insolvenzantrag innerhalb von drei Wochen zu stellen, wenn ein solcher Insolvenzgrund nicht innerhalb dieser Frist beseitigt werden kann (§ 64 Abs. 1 Satz 2 GmbHG).
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a) Eintritt der Krise 239
Der vom Gesetzeswortlaut umschriebene Zeitpunkt des Kriseneintritts wurde von der Rechtsprechung weiter konkretisiert. Vor allem wurde festgestellt, dass eine Krise auf jeden Fall dann anzunehmen ist, wenn ein zwingender Insolvenzgrund (Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit) vorliegt1 (vgl. § 1 Rz. 49 ff. und 106 ff.). Im Interesse des Gläubigerschutzes wird der Kriseneintritt indes bereits zu einem früheren Zeitpunkt – der so genannten Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft – bejaht2. aa) Überschuldung
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Die Überschuldung der Gesellschaft (hierzu ausführlich § 1 Rz. 106 ff.) ist nicht im Sinne eines im handelsbilanzrechtlichen Jahresabschluss ausgewiesenen, negativen Jahresergebnisses zu verstehen3. Insbesondere der aus einer Jahresbilanz hervorgehende, nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag kann lediglich als Indiz für eine vorliegende Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO dienen4. (1) Überschuldungsbilanz
241
Die Überschuldungsbilanz ist nach dem Willen des Gesetzgebers anhand einer zweistufigen Prüfung zu erstellen. Dies weist zur früher herrschenden, modifizierten zweistufigen Prüfung5 einen entscheidenden Unterschied auf: Bis zum In-Kraft-Treten der InsO nahm die Rechtsprechung eine Überschuldung nur dann an, wenn sowohl eine rechnerische Überschuldung (Fremdverbindlichkeiten höher als Aktiva) unter Zugrundelegung von Liquidationswerten für die Bewertung der Aktiva als auch eine negative Fortführungsprognose für das Unternehmen vorlagen. Daher konnte eine positive Fortführungsprognose die rechnerische Überschuldung des Unternehmens ausgleichen.
1 BGH v. 14. 6. 1993 – II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072 (1073); BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (25); BGH v. 4. 12. 1995 – II ZR 281/94, ZIP 1996, 275 (277); BGH v. 11. 12. 1995 – II ZR 128/94, ZIP 1996, 273 (274). 2 BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (330 f.). 3 Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 19, Rz. 87. 4 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (268); BGH v. 2. 4. 2001 – II ZR 261/99, NZG 2001, 562 (Leitsätze). 5 Statt aller: BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (215 ff.); OLG Stuttgart v. 13. 3. 2002 – 20 U 67/01, GmbHR 2002, 1072 (1074) – rechtskräftig.
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 242
§4
Nach dem Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO kann dagegen allein das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose die Überschuldung der Gesellschaft nicht mehr ausschließen1. Vielmehr findet eine differenzierte Prüfung des Überschuldungstatbestandes statt. Aus § 19 Abs. 2 InsO ist nach der Rechtsprechung nunmehr zu folgern, dass es sich bei der Überschuldungsprüfung nach Liquidationswerten gem. Satz 1 um den Regelfall und nach Fortführungswerten gem. Satz 2, der eine positive Fortführungsprognose voraussetzt, um den Ausnahmefall handelt2. Zunächst ist eine Bilanz unter Zugrundelegung von Liquidationswerten für die gesamten Aktiva zu erstellen. Dabei sind Aktiva als sämtliche Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens3, soweit keine Ab- oder Aussonderungsrechte für diese Gegenstände bestehen4, zu verstehen. Passiva sind alle ausstehenden Forderungen, welche im Insolvenzfall zu Insolvenz- oder Masseforderungen werden5. Ergibt diese Prüfung bereits keine rechnerische Überschuldung, ist eine Überschuldung im Sinne von § 19 Abs. 2 InsO ausgeschlossen. Ergibt diese erste Prüfung jedoch eine Überschuldung, muss eine Fortführungsprognose erweisen, ob eine Bilanz anhand von going-concern-Werten aufgestellt werden darf. Fällt die Prognose negativ aus, ist eine Überschuldung der Gesellschaft bereits aufgrund der unter Ansatz von Liquidationswerten festgestellten Überschuldungbilanz bestätigt. Fällt die Fortführungsprognose positiv aus, kann eine zweite Überschuldungsbilanz anhand von going-concern-Werten aufgestellt werden. Aktiva sind dabei unter Auflösung sämtlicher stiller Reserven und Lasten der Bilanzwerte anzugeben. Ergibt auch diese Bilanz eine rechnerische Überschuldung, liegt eine Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO vor6. Der Ablauf einer solchen Prüfung kann wie folgt graphisch dargestellt werden:
1 So nunmehr ausdrücklich: BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, DStR 2007, 728 (731). 2 BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 303/05, NZI 2007, 44; hierzu Anmerkung Goette, DstR 2006, 2186. 3 Pape in Kübler/Prütting, InsO, Loseblattsammlung Stand: 10/2003, § 19 Rz. 10. 4 Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 19 Rz. 90. 5 Pape in Kübler/Prütting, InsO, Loseblattsammlung Stand: 10/2003, § 19 Rz. 13. 6 Bork, ZIP 2000, 1709 (1711); wohl auch Uhlenbruck in Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl. 2003, Rz. 875 ff.
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§4
243
Rz. 243
Eigenkapitalersatzrecht
Alternativ1 hierzu konnte bisher eine Fortführungsprognose auch zuerst durchgeführt werden, um sodann eine Überschuldungsbilanz nach dem jeweiligen Ergebnis aufzustellen2:
Nach Goette sei die Frage der Reihenfolge nunmehr eindeutig geklärt, nachdem der BGH die Überschuldungsprüfung nach Fortführungswerten im Sinne 1 M.E. bestehen keine zwingenden Gründe für eine bestimmte Prüfungsreihenfolge. Die Erstellung einer Fortführungsprognose durch ein externes Unternehmen ist kostenintensiv, so dass eine erste Bilanzierung anhand der Liquidationswerte vor Einschaltung einer Wirtschaftprüfungsgesellschaft sinnvoll wäre. Allerdings ist bei Gesellschaften, die eine Überschuldung bereits vermuten, regelmäßig anzunehmen, dass die Erstellung einer Fortführungsprognose ohnehin notwendig sein wird. Auch für die Feststellung der Liquidationswerte kann die Unterstützung eines externen Beraters bereits notwendig sein. 2 Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 19 Rz. 44 ff.
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 245
§4
des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich als den Ausnahmefall anerkannt hat1. Unabhängig von der Prüfungsreihenfolge kommt der Fortführungsprognose nach wie vor eine entscheidende Rolle im Rahmen der Überschuldungsprüfung zu, obwohl ihre Bedeutung gegenüber der früheren Rechtslage verringert wurde. Steht eine Überschuldung anhand der Liquidationswerte bereits fest, wird das Unternehmen nur dann eine Möglichkeit zum Fortbestand haben, wenn eine Fortführungsprognose ergibt, dass das Unternehmen überlebensfähig ist und die Aktiva deshalb mit going-concern Werten in der Überschuldungsbilanz zu beziffern sind. Daher sollte die Unternehmensleitung eine sorgfältig dokumentierte Fortführungsprognose vorlegen können, um die eigene Haftung auszuschließen, falls in der Folgezeit ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet werden sollte.
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Nach heute überwiegender Meinung2 erfolgt die Fortführungsprognose im Anschluss an die Empfehlungen des FAR/IDW3 in drei Schritten. Zuerst ist ein aussagekräftiges Unternehmenskonzept mit einem unter Berücksichtigung von finanzwirtschaftlichen Faktoren aufgestellten Sanierungskonzept zu erstellen, das auch einen plausiblen Soll-Verlauf beinhaltet4. Die Prognose soll mindestens zwölf, jedoch nicht mehr als 24 Monate berücksichtigen5. Danach muss ein Finanzplan für den gleichen Zeitraum entwickelt werden, anhand dessen die Realisierbarkeit der Maßnahmen überprüft werden kann6. Wenn der Finanzplan den Soll-Verlauf abdeckt, kann eine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen festgestellt werden7. Eine finanzielle Unterdeckung des im ersten Teil der Prüfung verbal geäußerten Soll-Verlaufs durch den bezifferten Finanzplanverlauf zwingt andererseits zur negativen Fortführungsprognose8. Insofern ist die Fortführungsprognose der Zahlungsfähigkeitsprognose ähnlich9: Mit ihr wird gemessen, ob die mittelfristige Liquidität der Gesellschaft zur Weiterführung der Geschäfte ausreichend ist10.
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Neben dem erforderlichen Fortführungswillen11 reicht die bloße Hoffnung oder vage Aussichten der Geschäftsleitung nicht aus, um eine positive Fortführungsprognose zu begründen12. Die Ausführungen zu diesem Punkt müssen vielmehr objektiv und für sachverständige Dritte nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Nachvollziehbar und nachprüfbar sind sowohl die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Goette, DStR 2006, 2186. Bork, ZIP 2000, 1709 (1711) m.w.N. FAR/IDW, WPg 1997, 22 (23 f.). Bork, ZIP 2000, 1709 (1711). Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 19 Rz. 56; FAR/ IDW, WPg 1997, 22 (24). Bork, ZIP 2000, 1709 (1711). Bork, ZIP 2000, 1709 (1711). FAR/IDW, WPg 1997, 22 (24). Drukarczyk in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 19 Rz. 53. Pape in Kübler/Prütting, InsO, Loseblattsammlung Stand: 10/2003, § 19 Rz. 18. BGH v. 9. 10. 2006 – II ZR 303/05, NZI 2007, 44. Pape in Kübler/Prütting, InsO, Loseblattsammlung Stand: 10/2003, § 19 Rz. 16.
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§4
Rz. 246
Eigenkapitalersatzrecht
Überschuldungsbilanz als auch die Fortbestehensprognose, wenn sie inhaltlich geordnet mit rechnerischen Nachweisen einem Dritten in schriftlicher Form zur Verfügung gestellt werden könnten1. Ist die Unternehmensführung aufgrund einer negativ ausfallenden Überschuldungsbilanz mit Liquidationswerten zur Erstellung einer Fortführungsprognose verpflichtet, empfiehlt sich aufgrund dieser Erfordernisse eine sorgfältige Dokumentation der Erstellung und der Plausibilität dieses Planes. Auch hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast in Haftungsfällen ist eine solche Dokumentation – wie bei Sanierungskonzepten – erforderlich und geboten (vgl. Rz. 81). 246
Indizien für eine positive Fortführungsprognose sind: –
Beteiligung der Gläubiger an Sanierungskonzepten2;
–
Bereitschaft der Gläubiger, Zahlungsverzögerungen hinzunehmen bzw. neue Kredite zur Verfügung zu stellen3;
–
Bereitschaft der Gesellschafter zur Beteiligung an einer Sanierung, insbesondere ihre Bereitschaft zur Hingabe neuer Finanzmittel4;
–
günstige Produktionsverhältnisse (z.B. Attraktivität des Produkts, Produktionskosten)5;
–
Zunahme von Neubestellungen6;
–
steigende Umsätze7.
! Hinweis: Solchen Indizien kommt eine besondere Bedeutung zu, wenn Gerichte die Beurteilung der Fortbestehungsprognose selbst herleiten. Oftmals wird das Ergebnis dieser Prognose allein auf diesen Tatsachen basieren8.
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(2) Passivierungspflicht für eigenkapitalersetzende Leistungen 248
Bei der Aufstellung der Überschuldungsbilanz spielt die Frage nach den zu passivierenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft eine besondere Rolle. Insbesondere die Frage der Passivierungspflicht für eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen, die in der Krise der Gesellschaft ohnehin verstrickt sind, kann bei einer Überschuldungsbilanz ausschlaggebend sein. Unter der KO war diese Frage umstritten, und auch die InsO enthält keine ausdrückliche Regelung. Mit seiner Entscheidung vom 8. 1. 2001 hat der BGH für das alte Recht klargestellt, dass eigenkapitalersetzende Darlehen grundsätzlich im Rahmen einer 1 FAR/IDW, WPg 1997, 22 (25). 2 BGH v. 15. 6. 1998 – II ZR 17/97, ZIP 1998, 1352 (1353). 3 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (215); OLG Hamburg v. 25. 5. 1990 – 11 U 77/90, ZIP 1990, 1262 (1263). 4 Bork, ZIP 2000, 1709 (1711). 5 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (215). 6 Bork, ZIP 2000, 1709 (1711); negative Bewertung von Auftragsentzug: BGH v. 20. 3. 1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 (155 f.). 7 OLG Düsseldorf v. 10. 3. 1995 – 17 U 130/94, WM 1995, 1024 (1026). 8 Bork, ZIP 2000, 1709 (1713).
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 248c
§4
Überschuldungsbilanz zu passivieren sind1. Die Grundsätze dieses Urteils haben indes auch unter der InsO weiterhin Gültigkeit. Diese klarstellende und hinsichtlich der grundsätzlichen Passivierungspflicht zu begrüßende Entscheidung sieht indes eine Ausnahme vor: Vereinbaren Gesellschaft und Gesellschafter einen qualifizierten Rangrücktritt für die Forderung, muss die Gesellschaft bei der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz die Verbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter nicht passivieren2. Die genauen inhaltlichen Anforderungen an den qualifizierten Rangrücktritt sind indes nicht eindeutig geklärt und zuletzt wieder sehr umstritten. Zwar hat die vom BGH vorgegebene Formulierung eines solchen qualifizierten Rangrücktritts im Hinblick auf die Vermeidung oder Beseitigung der Überschuldung der Gesellschaft und der damit einhergehenden Passivierungspflicht in der Überschuldungsbilanz in der Praxis anfänglich zu mehr Rechtssicherheit geführt. In den letzten Jahren haben sich in diesem Zusammenhang jedoch erhebliche steuerliche Unsicherheiten – insbesondere vor dem Hintergrund des § 5 Abs. 2a EStG3 – ergeben4.
248a
Es besteht nämlich hinsichtlich der konkreten Ausformung des Rangrücktritts ein gewisser Zielkonflikt bzw. Widerspruch zwischen der Vermeidung des insolvenzrechtlichen Passivierungsgebots und der Vermeidung des steuerrechtlichen Passivierungsverbots5. Vor diesem Hintergrund stellt sich in der Praxis die Frage, ob ein zu weitreichender Rangrücktritt zu steuerschädlichen Buchgewinnen führt und ob auf der anderen Seite eine Buchgewinne vermeidende Rangrücktrittsvereinbarung noch den Anforderungen genügt, um die insolvenzrechtliche Überschuldung sicher zu vermeiden. Grundsätzlich kommen hinsichtlich der Nachrangigkeit des Rangrücktritts drei verschiedene Stufen in Betracht6: Als erste Stufe § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, als zweite Stufe § 39 Abs. 2 InsO und schließlich als letzte Stufe § 199 InsO. Daneben ließe sich jedoch noch eine vierte Stufe vereinbaren, die zwischen § 39 Abs. 2 InsO und § 199 InsO liegt.
248b
Der BGH hat hinsichtlich des qualifizierten Rangrücktritts formuliert, der Gesellschafter müsse sinngemäß erklären, „er wolle wegen der genannten Forderungen erst nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und – bis zur Abwendung der Krise – auch nicht vor, sondern nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen seiner Mitgesellschafter berücksichtigt, also so be-
248c
1 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (272 f.). 2 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (271). 3 Siehe hierzu auch die Schreiben des Bundesfinanzministeriums v. 18. 8. 2004 (IV A 6 – S 2133 – 2/04, BStBl. I 2004 S. 850 = DB 2004, 1965) und v. 8. 9. 2006 (IV B 2 – S 2133 – 10/06, BStBl. I, 2006, 497 = ZInsO 2006, 991 – welches das erste Schreiben im Wesentlichen aufgehoben hat,) sowie das Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 2005 (BFH v. 10. 11. 2005 – IV ZR 13/04, ZIP 2006, 249). 4 Vgl. zuletzt: K. Schmidt, DB 2006, 2503 ff.; Westerburg/Schwenn, BB 2006, 501 ff.; Hölzle, GmbHR 2005, 852 ff.; Klein, GmbHR 2006, 249 ff.; Kahlert/Rühland, ZInsO 2006, 1009 ff.; Knopf, ZInsO, 2006, 192 ff.; Watermeyer, GmbHR 2006, 240 ff. 5 K. Schmidt, DB 2006, 2503. 6 Westerburg/Schwenn, BB 2006, 501 (502).
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§4
Rz. 248d
Eigenkapitalersatzrecht
handelt werden, als handele es sich bei seiner Gesellschafterleistung um statutarisches Kapital1“. Zur Verhinderung der Passivierung sei allerdings ein vollständiger Forderungsverzicht nicht notwendig2. Diese Formulierung legt nahe, dass insoweit ein Rücktritt bis auf den Rang des § 199 S. 2 InsO erforderlich ist3. Hiergegen spricht indes, dass es bei dem Insolvenzgrund der Überschuldung vorrangig um den Schutz der Gesellschaftsgläubiger geht. Wenn jedoch gefordert wird, dass sich der kreditgebende Gesellschafter nach § 199 S. 2 InsO auf eine Stufe mit den weiteren Gesellschaftern stellen muss, so würde dies zu einer Privilegierung der übrigen Gesellschafter führen, was nicht vom Sinn und Zweck der Regelungen gedeckt sein dürfte. Auf der anderen Seite kann aber eine schlichte Rangrücktrittserklärung, die lediglich eine Rückstufung auf den Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO regelt4, den Anforderungen auch nicht genügen, zumal dies lediglich die Wirkung ist, die einer eigenkapitalersetzenden Leistung von Gesetzes wegen bereits zukommt. Da aber von der grundsätzlichen Passivierungspflicht eigenkapitalersetzender Leistungen auszugehen ist, kann nichts anderes gelten, allein weil diese gesetzlichen Wirkung nunmehr vertraglich vereinbart wurde. Aber auch die Einräumung eines „normalen“ Rangrücktritts, welche der Forderung lediglich eine Nachrang im Insolvenzverfahren gem. § 39 Abs. 2 InsO5 einräumt, dürfte nicht ausreichen. Insbesondere ist nämlich zu fordern, dass sämtliche Gesellschaftsgläubiger vor dem Gesellschafter zu befriedigen sind und damit auch diejenigen, die nach § 39 Abs. 2 InsO zu der Gruppe der nachrangig zu befriedigenden Gläubigern gehören. 248d
Vorzugswürdig erscheint damit die Ansicht, einen Rangrücktritt als ausreichend aber auch erforderlich anzusehen, der zwischen § 39 Abs. 2 InsO und § 199 S. 2 InsO steht6, d.h entweder an letzer Stelle des § 39 Abs. 2 InsO oder an erster Stelle des § 199 S. 2 InsO. Hiermit würde sichergestellt, dass der Gesellschafter tatsächlich nach allen anderen Gläubigern – damit auch den nachrangig zu befriedigenden Gläubigern gem. § 39 Abs. 2 InsO – aber nicht erst gemeinsam mit den übrigen Gesellschaftern befriedigt wird.
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Für die Praxis muss jedoch empfohlen werden, sich weiterhin an die strenge Formulierung des BGH zu halten (so auch die Mustervereinbarung 2, Rz. 329), um möglichst sicher die Überschuldung und eine Insolvenzantragspflicht für den Geschäftsführer und damit auch eventuelle haf-
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1 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (271). 2 BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (271). 3 Taraschka, DstR 2006, 110; Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 4 Rz. 38; Westerburg/ Schwenn, BB 2006, 501 (506). 4 So aber die Empfehlung etwa von K. Schmidt, DB 2006, 2503; Habersack/Mayer, NZG 2001, 366; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64 Rz. 24 m.w.N. 5 So aber etwa: Heerma, BB 2005, 541. 6 Klein, GmbHR 2006, 249 (252); Hölzle, GmbHR 2005, 852 (853 Fn. 15); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 42 Rz. 47; wohl auch: Goette, ZinsO 2001, 529 (535).
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 250
§4
tungs- und strafrechtliche Konsequenzen aus § 64 Abs. 1 GmbHG zu vermeiden. Um dies zu gewährleisten, sollten Gesellschafter und Gesellschaft damit vereinbaren, dass der Gesellschafter seinen Anspruch gegen die Gesellschaft ausdrücklich für die Dauer der Krise wie Eigenkapital behandeln lässt und der Gesellschafter mit seiner Forderung nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen wird1. Damit wird der Anspruch frühestens im Rahmen der Schlussverteilung vom Insolvenzverwalter befriedigt, soweit die hierzu erforderlichen Mittel nach vollständiger Befriedigung aller anderen Gläubiger noch vorhanden sind (§ 199 Satz 2 InsO)2, was in der Praxis eher selten der Fall sein dürfte. Im Ergebnis sollten sich auch die steuerlichen Risiken bei Einhaltung der Vorgaben durch den BGH und einer ausdrücklichen Klarstellung, dass eine Tilgung auch aus einem Liquiditätsüberschuss oder aus sonstigem freien Vermögen zu erfüllen ist, aufgrund der (teilweisen) „Entwarnung“ durch den BFH3, in Grenzen halten4. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass zur Vermeidung einer Überschuldung selbstverständlich auch für die Forderungen gesellschaftsfremder Dritter entsprechende Rangrücktritte vereinbart werden können. Auch die Gesellschaftersicherheit für einen Drittkredit hat eigenkapitalersetzenden Charakter. Zur Vermeidung einer Überschuldung durch einen Rangrücktritt für Forderungen aus dieser Leistung müssen mehrere Erfordernisse erfüllt werden. Die Forderung des Dritten gegen die Gesellschaft muss passiviert werden, soweit dieser nicht bereit ist, einen Rangrücktritt in der o.g. Form mit der Gesellschaft zu vereinbaren. Da dies eher unwahrscheinlich ist, kann dieser Passivposten lediglich durch die Zufuhr eines entsprechenden Aktivpostens „ausgewogen“ werden. Soweit die Gesellschaftersicherheit eigenkapitalersetzend ist, ist der Gesellschafter im Innenverhältnis zur Freistellung der Gesellschaft von einer Inanspruchnahme durch den Dritten verpflichtet. Allerdings erlangt der Gesellschafter hierfür einen Rückgriffsanspruch gegen die Gesellschaft. Dieser Anspruch der Gesellschaft kann deswegen im Rahmen einer Überschuldungsbilanz nicht ohne weiteres aktiviert werden. Vielmehr müssen auch in dieser Fallgestaltung die Erfordernisse des Rangrücktritts für einen eigenkapitalersetzenden Gesellschafterkredit erfüllt werden. Daher muss der Gesellschafter die Gesellschaft mit sofortiger Wirkung von den Ansprüchen des Drittkreditgebers freistellen5. Zudem ist es erforderlich, dass der dadurch entstehende Ausgleichsanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft wie Eigenkapital behandelt wird6 (vgl. Mustervereinbarung 3, 1 OLG Dresden v. 25. 2. 2002 – 13 W 2009/01, EWiR 2002, 489 (Steinecke). 2 Bormann, GmbHR 2001, 689 (690); Bauer, ZInsO 2001, 486 (491); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 44. 3 BFH v. 10. 11. 2005 – IV ZR 13/04, ZIP 2006, 249. 4 K. Schmidt, DB 2006, 2503 (2506); Hölzle, GmbHR 2005, 852 (859); Klein, GmbHR 2006, 249 ff.; Kahlert/Rühland, ZInsO 2006, 1009 ff.; Knopf, ZInsO, 2006, 192 ff.; Watermeyer, GmbHR 2006, 240 ff. 5 K. Schmidt, ZIP 1999, 1821 (1825). 6 Für den Rangrücktritt bei einem Gesellschafterdarlehen vgl. BGH v. 8. 1. 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 (271).
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§4
Rz. 251
Eigenkapitalersatzrecht
Rz. 330). Erst bei Einhaltung dieser Grundsätze kann eine Überschuldung der Gesellschaft durch Aktivierung des Ausgleichsanspruchs möglicherweise vermieden werden. bb) Zahlungsunfähigkeit 251
Wird die Gesellschaft im Sinne des § 17 InsO zahlungsunfähig (vgl. hierzu ausführlich § 1 Rz. 49 ff.), tritt ebenfalls eine Krise im Sinne der Novellen- und Rechtsprechungsregeln ein. Die Zahlungsfähigkeit wird durch eine Gegenüberstellung der fälligen, durchsetzbaren Verbindlichkeiten und der zur Verfügung stehenden, liquiden Mittel der Gesellschaft ermittelt1. Zu den fälligen Verbindlichkeiten können insbesondere ausstehende Kredite, Zahlungspflichten aus Dauerschuldverhältnissen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gehören. Bei den liquiden Mitteln sind die Kredite2, die im fraglichen Zeitraum noch ausgeschöpft werden können, sowie Kassen- und Kontobestände zu berücksichtigen.
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Ob eigenkapitalersetzende Darlehen ohne qualifizierten Rangrücktritt bei der Bemessung einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit als fällige Verbindlichkeit der Gesellschaft verbucht werden müssen, ist von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt worden. Im Schrifttum wird überwiegend vertreten, dass eigenkapitalersetzende Darlehen oder die Forderungen aus sonstigen eigenkapitalersetzenden Leistungen nicht als fällige Verbindlichkeiten bei einer Zahlungsunfähigkeitsprüfung berücksichtigt werden müssen3. Im Gegensatz zu einer Überschuldungs- oder Vorbelastungsbilanz4 bezweckt die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit de lege lata eine kurzfristige Überprüfung der Liquidität der Gesellschaft (vgl. Rz. 257). Dies beurteilt sich unabhängig von einer etwaigen lang- oder mittelfristigen Illiquidität (im Rahmen einer Überschuldungsprüfung, z.B. bei der Fortführungsprognose). Insofern wäre es systematisch falsch, diese Verbindlichkeiten zur Beurteilung der kurzfristigen Liquidität der Gesellschaft heranzuziehen. Ist die Gesellschaft zudem überschuldet, da z.B. qualifizierte Rangrücktritte nicht bestehen, besteht ohnehin eine Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers. In der Praxis wird die Liquidität der Gesellschaft regelmäßig auch nicht durch eine Verbindlichkeit aus eigenkapitalersetzender Gesellschafterleistung beeinflusst. Vielmehr wird eine etwa anstehende Rückzahlung gestundet, so dass sie nicht als fällige Verbindlichkeit in den Liquiditätsstatus einzustellen ist.
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Wird für die Gesellschafterleistung ohnehin ein Rangrücktritt vereinbart, sollte sich dieser auch auf den Fall der Zahlungsunfähigkeit bzw. der drohenden Zahlungsunfähigkeit erstrecken, um der noch bestehenden rechtlichen Unsicherheit vorzubeugen, da diese Fallgestaltung noch nicht höchstrichterlich entschieden worden ist.
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Axhausen in Müller/Hense, Handbuch der GmbH, 3. Aufl. 2002, § 15 Rz. 7. H.M.: Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2002, § 17 Rz. 6. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2002, § 17 Rz. 7 m.w.N. BGH v. 6. 12. 1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 (284 ff.).
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 255
§4
Forderungen aus Verlustausgleichsverträgen können nur dann liquide Mittel darstellen, soweit die aus diesen Verträgen versprochenen Zahlungen kurzfristig von der Muttergesellschaft zur Verfügung gestellt werden1.
254
Bei den fälligen Verbindlichkeiten können gestundete Forderungen Dritter nur insoweit unberücksichtigt bleiben, als die Stundungen tatsächlich für den gesamten Zeitraum bestehen2. Gemäß § 17 Abs. 2 InsO ist eine Gesellschaft zahlungsunfähig (und somit insolvenzreif), wenn sie „nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.“ Obwohl der Wortlaut das Argument unterstützt, dass die Unfähigkeit, auch eine einzige Zahlungspflicht zu erfüllen, zur Zahlungsunfähigkeit führen muss3, war für den Gesetzgeber selbstverständlich, dass geringfügige Liquiditätslücken bei einer solchen Beurteilung außer Betracht bleiben4 (vgl. zum Überbrückungskredit Rz. 126). Dasselbe hat für bloße Zahlungsstockungen zu gelten. Nach dem BGH hat sich der Zeitraum, innerhalb dessen eine solche Zahlungsstockung beseitigt werden muss, danach zu bemessen, wie lange eine kreditwürde Person benötigen würde, um sich die erforderlichen Mittel zu leihen. Hierbei wurde eine Zeitraum von zwei bis drei Wochen – unter Hinweis auf § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG – als erforderlich aber auch ausreichend angesehen5. Eine lediglich geringfügige Liquiditätslücke wird im Regelfall anzunehmen sein, wenn diese weniger als 10% der fälligen Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners beträgt6, wobei es sich jedoch nicht um eine starre Grenze handelt. Nach dem BGH ist bei Liquiditätslücken von mehr als 10% regelmäßigig, d.h. im Sinne einer widerlegbaren Vermutung, „von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zumutbar ist.“7 Hierbei sind die Anforderungen an die Darlegung konkreter Umstände, die die Liquiditätslücke in überschaubarer Zukunft beseitigen werden, umso höher, je größer der Abstand zu dem Schwellenwert von 10% ist und umgekehrt8.
1 BGH v. 19. 9. 1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 (182 ff.). 2 Pape in Kübler/Prütting, InsO, Loseblattsammlung Stand: 10/2003, § 17 Rz. 6. 3 Pape in Kübler/Prütting, InsO, Loseblattsammlung Stand: 10/2003, § 17 Rz. 16; Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 17 Rz. 29. 4 AG Köln v. 9. 6. 1999 – 73 IN 16/99, ZIP 1999, 1889 (1891); Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 17 Rz. 15. 5 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, WM 2005, 1468 (1470); a. A.: Bork, KTS 2005, 1 (7): vier Wochen; LG Bonn, ZIP 2001, 346; AG Göttingen, ZInsO 2002, 592: zwei bis drei Wochen. 6 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, WM 2005, 1468 (1471). 7 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, WM 2005, 1468 – Leitsatz 3. 8 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, WM 2005, 1468 (1472).
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255
§4 256
Rz. 256
Eigenkapitalersatzrecht
Anhand der nunmehr vom BGH entwickelten Kriterien kann folgende Formel1 zur Bemessung der Liquiditätslage der Gesellschaft für den relevanten Zeitraum aufgestellt werden: P P þ P1a P2a $ 100 ¼ Liquiditatskennzahl ¨ ðLKZÞ in % 1p þ 2p 1a =
Liquide Mittel zum Zeitpunkt der Prüfung
2a =
Liquide Mittel der Gesellschaft, die innerhalb von drei Wochen mit hinreichender Sicherheit zur Verfügung stehen werden
1p =
Fällige Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Prüfung
2p =
Verbindlichkeiten, die innerhalb von drei Wochen mit hinreichender Sicherheit fällig und durchsetzbar sein werden.
Diese Berechnung ergibt eine so genannte Liquiditätskennzahl (LKZ)2, welche nach den Kriterien des BGH mindestens 90% betragen muss, um die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ablehnen zu können. Beispiel: Der Geschäftsführer der X-GmbH (einer Vertriebsgesellschaft ohne Anlagevermögen) mit einem Stammkapital in Höhe von nominell 25 000 Euro stellt am 1. 1. 2008 fest, dass gegen die Gesellschaft fällige Verbindlichkeiten aus 1) Lieferungen und Leistungen in Höhe von 200 000 Euro und 2) Dauerschuldverhältnissen in Höhe von 25 000 Euro bestehen. Demgegenüber weist ein Geschäftskonto der Gesellschaft ein Guthaben in Höhe von 30 000 Euro auf und ein Kontokorrentkonto (nicht fällig) einen Negativsaldo in Höhe von 30 000 Euro, wobei der Gesellschaft ein Kontokorrentkredit bis zu 50 000 Euro eingeräumt wird. Bis zum 22. 1. 2008 fallen weitere 50 000 Euro in Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen an, wobei zwei Großkunden der Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten gegenüber der Gesellschaft in Höhe von 150 000 Euro bzw. 100 000 Euro begleichen werden. Die Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva ergibt eine LKZ von 109%; die Gesellschaft ist also eindeutig zahlungsfähig.
Abwandlung 1: Einer Bank steht zudem eine Darlehensforderung in Höhe von 500 000 Euro gegen die Gesellschaft zu. Sie wird jedoch erst zum 1. 3. 2008 fällig. In einem solchen Fall ist die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Zahlungsfähigkeitsprüfung (1. 1. 2008) noch zahlungsfähig. Allerdings wird in einem solchen Fall eine Überschuldung wohl anzunehmen sein. Die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft würde nach den Richtwerten des BGH erst ab dem 8. 2. 2008 eintreten.
Abwandlung 23: Einer der Großkunden der Gesellschaft (Forderung: 150 000 Euro) kündigt dieser an, dass er sich in einem Liquiditätsengpass befinde und die Forderung erst in ca. 6 Wochen – aber dann mit Sicherheit – werde begleichen können. Vorliegend weist die GmbH eine LKZ von 54,5% auf und wäre somit eigentlich zahlungsunfähig, so dass auch der Geschäfts1 Nach Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 17 Rz. 20; a.A.: Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2002, § 17 Rz. 17, der aufgrund des Gesetzeswortlauts einen Zeitraum von einer Woche für maßgebend hält. 2 Eilenberger in Münchener Kommentar zur InsO, 1. Band, 2007, § 17 Rz. 20. 3 Nach Himmelsbach/Thonfeld, NZI 2001, 11 (13 f.).
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 258
§4
führer verpflichtet wäre, einen Insolvenzantrag zu stellen. Nach der neuen Rechtsprechung des BGH könnte vorliegend aber weiterhin von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen sein, sofern hinreichend konkrete und schwerwiegende Umstände vorgetragen werden, aus denen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergibt, dass die Liquiditätslücke nach den 6 Wochen tatsächlich beseitigt wird.
Insbesondere die zweite Abwandlung wurde bisher als Veranschaulichung der erheblichen Schwächen der Regelung des § 17 InsO herangezogen, zumal bis dato eine recht strikte und für die Gesellschaften strenge Orientierung an festen Frist und Werten vorgenommen wurde. Beispielsweise hatte das AG Köln1 entschieden, dass eine geringfügige Liquiditätslücke nicht mehr als 5% der fälligen Zahlungsverpflichtungen in einem Zeitraum von höchstens 2 Wochen umfassen dürfe. Mit der neueren Rechtsprechung hat der BGH nun die Voraussetzungen gelockert und ermöglicht insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht eine flexiblere und einzelfallbezogene Beurteilung. Im Ergebnis hat somit wieder eine begrüßenswerte Annäherung an die zum alten Recht entwickelten2 Merkmale der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit der Zahlungsunfähigkeit stattgefunden. Daher wird auch zu Recht Kritik an der Entscheidung des Gesetzgebers, die Regelung der Zahlungsunfähigkeit strenger als nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung zu gestalten, geübt3. Nicht zu begrüßen ist die neuere Rechtsprechung des BGH4, welche nicht auf die – vom Gesetz expressis verbis vorausgesetzte – Fälligkeit, sondern auf das „ernstliche Einfordern“ der Forderung abstellt und sich somit in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats für Strafrecht stellt5.
257
Nichtsdestotrotz bliebt für die handelnden Organe aber weiterhin häufig nur die Entscheidung des geringeren Übels: Die Gretchenfrage, ob man – insolvenzund gesellschaftsrechtlich geboten – Insolvenzantrag stellt oder den Gesetzesverstoß in Erwartung der (zeitnahen) Überwindung der Krise billigend in Kauf nimmt, wird im konkreten Fall nicht immer einfach zu beantworten sein. Für den rechtsanwaltlichen Berater des Managements gilt es, die Risiken eines Verstoßes gegen die insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Gebote klar aufzuzeigen.
! Hinweis: Die Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu vermuten, wenn die Gesellschaft ihre Zahlungen tatsächlich eingestellt hat. Eine Einstellung liegt dann vor, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre fälligen Verbindlichkeiten weiterhin zu erfüllen und diese Tatsache für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar ist, insbesondere wenn die Gesellschaft die Einstellung gegenüber ihren Gläubigern erklärt6. 1 AG Köln v. 9. 6. 1999 – 73 IN 16/99, ZIP 1999, 1889 (1891). 2 BGH v. 15. 11. 1990 – IX ZR 92/90, WM 1991, 150 (151); BGH v. 1. 3. 1984 – IX ZR 34/83, WM 1984, 1309 (1310). 3 Penzlin, NZG 1999, 1203 (1208); Himmelsbach/Thonfeld, NZI 2001, 11 (15). 4 BGH v. 19. 7. 2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 (1667). 5 BGH, Beschluss v. 23. 5. 2007 – 1 StR 88/07, ZInsO 1115 (1115). 6 BGH v. 10. 1. 1985 – IX ZR 4/84, NJW 1985, 1785 (1786); Axhausen in Müller/Hense, Handbuch der GmbH, 3. Aufl. 2002, § 15 Rz. 9.
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§4
Rz. 259
Eigenkapitalersatzrecht
cc) Kreditunwürdigkeit 259
Die Rechtsprechung hat den Eintritt der Krise auf den Zeitpunkt der Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft vorverlegt, um den mit den Rechtsprechungsund Novellenregeln bezweckten Gläubigerschutz besser zu gewährleisten. Die Haftung der Gesellschafterleistungen als Eigenkapitalersatz sei nicht erst (aber insbesondere) dann geboten, wenn ein Insolvenzgrund besteht, sondern bereits zu dem regelmäßig vorgelagerten Zeitpunkt, wenn die Gesellschaft Dritten gegenüber nicht mehr kreditwürdig ist1. Zu diesem Zeitpunkt kann die Gesellschaft den für die Weiterführung des Betriebs notwendigen Kreditbedarf nicht mehr von dritter Seite decken und bedarf der Hilfe eines Gesellschafters, um eine aus kapitalersatzrechtlicher Sicht gebotene Liquidation abzuwenden2.
! Hinweis: 260
Bei eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassungen müssen besondere Umstände vorliegen. Die Gesellschaft muss in solchen Fällen überlassungsunwürdig sein (vgl. Rz. 156).
261
Diese Bestimmung des Kriseneintritts wird unabhängig von der Insolvenzreife der Gesellschaft vorgenommen, da die Kreditunwürdigkeit eine Vorverlegung des Krisenzeitpunkts darstellt. Insofern spielen die hinsichtlich der Insolvenzreife entscheidenden Faktoren, insbesondere die Fortführungsprognose3, keine Rolle in diesem Zusammenhang. Folglich ist die Kredit- bzw. Überlassungsunwürdigkeit auch kein weiteres zusätzliches Merkmal zur Bestimmung der Krise, das neben dem Insolvenzeröffnungsgrund vorliegen muss, weil es sich jeweils um eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen unabhängige Tatbestände des Eigenkapitalrechts handelt4.
262
Maßgeblich bei der Beurteilung der Kreditunwürdigkeit ist vielmehr die Bestimmung, ob ein an der Gesellschaft nicht beteiligter wirtschaftlich denkender Dritter zum Zeitpunkt der Leistungsgewährung bereit wäre, der Gesellschaft einen Kredit zu marktüblichen Bedingungen zu gewähren. Bei dieser Bestimmung müssen alle Umstände des Einzelfalls in einer objektiven Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens berücksichtigt werden5. Allein der Umstand, dass sich tatsächlich doch noch ein Kreditgeber bereit gefunden hat, ein Darlehen zu gewähren, ist insoweit unerheblich, da es 1 BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (330 f.); BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 (255); BGH v. 21. 9. 1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311 (317 f.); BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (206); BGH v. 2. 6. 1997 – II ZR 211/95, ZIP 1997, 1648 (1650); BGH v. 12. 7. 1999 – II ZR 87/98, ZIP 1999, 1524 (1526); BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049; BGH v. 3. 4. 2006 – II ZR 332/05, ZIP 2006, 996 (997). 2 BGH v. 4. 12. 1995 – II ZR 281/94, ZIP 1996, 275 (276); BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (330 f.). 3 BGH v. 2. 12. 1996 – II ZR 243/95, GmbHR 1997, 501 (503); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 48. 4 BGH v. 3. 4. 2006 – II ZR 332/05, ZIP 2006, 996 (997), anders aber noch das OLG Hamm in der Vorinstanz; BGH v. 7. 3. 2005 – II ZR138/03, ZIP 2005 (807); BGH v. 14. 6. 1993 – II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072 (1073). 5 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (207 f.).
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 263
§4
bei der Frage der Kreditunwürdigkeit nicht auf das Verhalten eines einzelnen Kreditgebers ankommen könne1. Indizien für die Kreditunwürdigkeit sind:
263
–
Fehlen von Gegenständen des Anlagevermögens, die sich als Kreditsicherheit eignen würden2 bzw. vollständige Besicherung des vorhandenen Vermögens;
–
der erklärte Rangrücktritt für den Gesellschafteranspruch auf Rückforderung der gewährten Leistung3;
–
Fehlen von weiteren Kreditlinien4;
–
der weitgehende Verlust des Stammkapitals5;
–
eine ungünstige Ertragslage der Gesellschaft im Verhältnis zu den Kosten6;
–
fehlende stille Reserven7;
–
die Besicherung des Kredits durch einen Gesellschafter (str.)8;
–
Nichtbegleichung von Lohn-, Steuer- und/oder Sozialabgaben9;
–
Gewährung eines Kredits mit ungewöhnlich hohen Zinsen10;
–
fehlendes Vertrauen Dritter in die Geschäftsführung11;
–
das Verlangen der Bank nach weiteren Sicherheiten für eine bereits bestehende Kreditlinie12.
Im Umkehrschluss ist anzunehmen, dass die Gesellschaft noch Kreditwürdigkeit besitzt, soweit Objekte im Anlagevermögen bestehen, die ein vernünftiger Kreditgeber als Sicherheit für einen Kredit annehmen würde. Hinsichtlich der Bewertung der Sicherheiten ist – insbesondere im Hinblick auf das Risiko einer späteren Insolvenzanfechtung – darauf abzustellen, wie ein außenstehender 1 BGH v. 16. 12. 1991 – II ZR 294/90, ZIP 1992, 242; OLG Koblenz v. 18. 1. 2006 – 1 U 1082/04, NZG 2006, 865 (867). 2 BGH v. 18. 11. 1991 – II ZR 258/90, ZIP 1992, 177 (178). 3 OLG Koblenz v. 18. 1. 2006 – 1 U 1082/04, NZG 2006, 865 (867). 4 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (206). 5 BGH v. 6. 2. 1995 – II ZR 41/94, ZIP 1995, 646 (647). 6 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 50. 7 BGH v. 11. 12. 1995 – II ZR 128/94, ZIP 1996, 273 (274). 8 Ob bereits das Verlangen nach Gesellschaftersicherheiten – sowie die anschließende tatsächliche Besicherung durch den Gesellschafter – bereits für sich genommen ein hinreichendes Indiz darstellt, ist äußerst umstritten, vgl. zum Meinungsstand: Thonfeld, Eigenkapitalersetzende Gesellschaftersicherheiten, S. 57 ff. und BGH v. 28. 9. 1987 – II ZR 228/87, NJW 1988, 824 (824). Im Ergebnis kann ein solches Vorgehen aufgrund der Üblichkeit wohl zumindest nicht alleine als ausreichendes Indiz angesehen werden. So auch jüngst: OLG Stuttgart v. 6. 12. 2006 – 11 U 55/05, GmbHR 2007, 369 (372); Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 48 m.w.N. 9 BGH v. 4. 12. 1995 – II ZR 281/94, ZIP 1996, 275 (276). 10 Jung in Müller/Hense, Handbuch der GmbH, 3. Aufl. 2002, § 8 Rz. 221. 11 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 (207). 12 BGH v. 11. 12. 1995 – II ZR 128/94, ZIP 1996, 273 (274).
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§4
Rz. 264
Eigenkapitalersatzrecht
Kreditgeber den Wert der als Sicherheit in Betracht kommenden Gegenstände taxiert hätte1. Kann die Gesellschaft den vom Gesellschafter gewährten Kredit hinreichend absichern, liegt keine Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft vor, und das Darlehen ist – soweit kein Insolvenzgrund vorliegt – nicht eigenkapitalersetzend. Entsprechendes gilt für die Verfügbarkeit über eine weitere Kreditlinie. Auch für die Frage, ob und mit welchem Wert stille Reserven in Form von immateriellen Vermögenswerten bei der Beurteilung der Krise der Gesellschaft bzw. der Kreditwürdigkeit zu berücksichtigen sind, ist allein darauf abzustellen, ob ein Dritter mit Blick auf diese immateriellen Vermögenswerte weitere Kredite zu marktüblichen Bedingungen gewähren würde2. Dass ein Gesellschafter oder ein verbundenes Unternehmen diese stillen Reserven als äußerst werthaltig beurteilt, spielt insoweit keine entscheidende Rolle. 264
Auch die Verlustübernahme durch eine zahlungsfähige Muttergesellschaft wird die Kreditunwürdigkeit im Regelfall ausschließen3.
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: Aus den Forderungsanmeldungen und den Kontobelegen des Schuldners lassen sich Zahlungsströme leichter erkennen. Aus dieser Aufstellung können wichtige Informationen zur Bestimmung des Zeitpunkts einer Kreditunwürdigkeit oder Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gewonnen werden.
265
Häufig wird es eingehender Marktkenntnisse erfordern, um zu klären, ob tatsächlich eine Kredit- oder Überlassungsunwürdigkeit vorliegt, so etwa bei der Überlassung von Grundstücken. Damit wird in solchen Fällen regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich4. b) Begründung der Finanzierungsfolgenverantwortung 266
Die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters hängt auch mit der Krise der Gesellschaft zusammen. Der Eintritt der Krise zwingt ihn zwar nicht dazu, der Gesellschaft aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage weitere Unterstützung zu gewähren. Der Gesetzgeber hat jedoch bestimmt, dass ein ordentlicher Kaufmann seiner Gesellschaft zu einem solchen Zeitpunkt Eigenkapital zuführt, soweit er den Betrieb weiterführt. In der Konsequenz sind auch sonstige Leistungen der Gesellschafter, welche nach Eintritt der Krise gewährt werden, wie Eigenkapital zu behandeln. Insofern ist eine Begründung der Finanzierungsfolgenverantwortung für Leistungen, die der Gesellschafter erst nach Eintritt der Krise gewährt, unproblematisch. Soweit der Gesellschafter die Möglichkeit zur Kenntnis des Kriseneintritts hatte, begründet er mit der Gewährung der Leistung seine Finanzie1 BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049 (1052); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 49. 2 OLG München v. 24. 2. 2006 – 7 U 4776/05, WM 2006, 730 (731). 3 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 32a, 32b Rz. 41. 4 BGH v. 3. 4. 2006 – II ZR 332/05, ZIP 2006, 996 (997); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 49.
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 268
§4
rungsfolgenverantwortung und rechtfertigt damit die Umqualifizierung dieser Leistung in Eigenkapitalersatz (vgl. Rz. 130 f.). Belässt der Gesellschafter eine bereits gewährte Leistung in der Krise der Gesellschaft, genügt die bloße Möglichkeit der Kenntnis der Krise jedoch nicht. Vielmehr muss er es unterlassen haben, entweder die bereits gewährte Leistung der Gesellschaft zu entziehen oder die Gesellschaft zu liquidieren, soweit ihm diese Möglichkeiten eröffnet waren (vgl. Rz. 132 ff.). c) Checkliste: Eintritt der Eigenkapitalersatzbindung 1.
–
–
– 2.
267
Krise Liegt eine Überschuldung vor? –
Ist die Gesellschaft bereits bei der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz unter Zugrundelegung von Liquidationswerten für die Aktiva rechnerisch überschuldet?
–
Besteht eine positive Fortführungsprognose für die Gesellschaft?
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Soweit eine positive Fortführungsprognose für die Gesellschaft besteht, ergibt sich eine rechnerische Überschuldung bei Zugrundelegung von going-concern-Werten?
–
Sind eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen dabei zu passivieren?
Ist die Gesellschaft zahlungsunfähig? –
Übersteigen die fälligen Verbindlichkeiten die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden, liquiden Mittel?
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Nach wohl überwiegender Auslegung des § 17 Abs. 2 InsO beträgt der Bemessungszeitraum höchstens zwei Wochen.
Bestehen sonstige Anhaltspunkte für eine Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft?
Finanzierungsfolgenverantwortung –
Bei Gewährung nach Kriseneintritt ist die Möglichkeit der Kenntnis des Gesellschafters vom Kriseneintritt notwendig.
–
Beim Stehenlassen einer Leistung wird die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters erst durch das zusätzliche Unterlassen des Gesellschafters, die Mittel abzuziehen bzw. die Gesellschaft zu liquidieren, begründet.
2. Ende der Eigenkapitalersatzbindung („Entsperrung“) Gewährt oder belässt der Gesellschafter eine Leistung in der Krise der Gesellschaft, haftet diese Leistung wie Eigenkapital, solange die Krise der Gesellschaft andauert. Überwindet die Gesellschaft nachhaltig ihre Krise, ist der leistende Gesellschafter nunmehr wie ein gesellschaftsfremder Dritte hinsichtlich der Leistung zu behandeln, so dass automatisch eine „Entsperrung“ der zuvor eigenkapitalersetzenden Leistung eintritt. Seine bereits eingebrachte Leistung Undritz
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268
§4
Rz. 269
Eigenkapitalersatzrecht
haftet ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wie Eigenkapital und kann vertragsgemäß (auch mit Zinsen) zurückgeführt oder vergütet werden. Hinsichtlich der Rechtsprechungsregeln hat der BGH mittlerweile entschieden, dass die eigenkapitalersatzrechtliche Durchsetzungssperre nicht bereits dann endet, wenn die Gesellschaft nicht mehr insolvenzreif oder nicht mehr kreditunwürdig ist, sondern erst in dem Zeitpunkt, in dem das Stammkapital der Gesellschaft nachhaltig wieder hergestellt ist, d.h. wenn die Rückzahlung aus freiem, die Stammkapitalziffer übersteigendem Gesellschaftsvermögen möglich ist1. In der Literatur wird dieser Rechtsprechung jedoch wiedersprochen, zumal die Umqualifizierung des Gesellschafterdarlehens in Eigenkapital auf dessen eigenkapitalersetzenden Charakter und damit auf der Krise der Gesellschaft beruhe2. Auf das Vorliegen einer Unterbilanz komme es bei Wegfall der Krise nicht mehr an. 269
Eine zwischenzeitliche „Entsperrung“ der Leistung kann bei deren Rückgewähr Risiken für den Gesellschafter mit sich bringen. Insbesondere der bereits unter Rz. 69 erörterte Fall der kurzfristigen wirtschaftlichen Erholung der Gesellschaft mit anschließendem Insolvenzverfahren führt – aufgrund der vom BGH festgelegten unwiderleglichen Vermutung einer fortbestehenden Krise bei Rückgewähr der Leistung innerhalb der Jahresfrist – zu einer Rückzahlungspflicht des Gesellschafters nach § 135 Nr. 2 InsO i.V.m. § 32a Abs. 1 GmbHG, selbst wenn die Leistung tatsächlich zu dem Zeitpunkt entsperrt war. In diesem Zusammenhang ist weitestgehend ungeklärt, ob auch hinsichtlich des (Rück-) Erstattungsanspruchs der Gesellschaft nach § 31 Abs. 1 GmbHG (analog) eine „rückwirkende Entsperrung“ aufgrund zwischenzeitlicher Erholung der Gesellschaft eintritt, nachdem die Rückzahlung des eigenkapitalersetzenden Darlehens an den Gesellschafter ursprünglich unter Verstoß gegen § 30 GmbHG (analog) erfolgte. Hierbei geht es im Grunde um die Frage, welche Auswirkungen die so genannte „Balsam/Procedo“-Rechtsprechung3 auf das Eigenkapitalersatzrecht hat. In seinen Urteilen vom 29. 5. 2000 hat der BGH seine bisherige Spruchpraxis aufgegeben und nunmehr entschieden, dass ein bereits wegen Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 GmbHG entstandener Erstattungsanspruch nach § 31 Abs. 1 GmbHG nicht von Gesetzes wegen entfalle, wenn das Stammkapital nachhaltig wiederhergestellt wird4. Insbesondere hat der BGH festgestellt, dass ein Wegfall des Erstattungsanspruchs von Gesetzes wegen alleine aufgrund einer nachträglichen Wiederherstellung des Stammkapi1 BGH v. 19. 9. 2005 – II ZR 229/03, ZIP 2005, 2016 (2017); BGH v. 8. 11. 2004 – ZR 300/02, ZIP 2005, 82 (84); OLG München v. 24. 2. 2006 – 7 U 4776/05, WM 2006, 730 (731); vgl. auch Goette, KTS 2006, 217 (230 f.). 2 Ulmer/Habersack, GmbHG, §§ 32a/b, Rz. 82; K. Schmidt in Scholz GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 54 m.w.N. 3 BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 ff.; BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 347/97, ZIP 2000, 1256 ff. 4 BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 (340); BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 347/97, ZIP 2000, 1256 (1257 f.).
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Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 269
§4
tals regelmäßig zu Ergebnissen in der Rechtsanwendung führe, die nicht sachgerecht seien1. Der Erstattungsanspruch der Gesellschaft aus § 31 Abs. 1 GmbHG analog (Rechtsprechungsregeln) ergibt sich aus der in der Krise der Gesellschaft bestehenden Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters und dem durch die Rückfuhr der eigenkapitalersetzenden Leistung verursachten Angriff auf das Stammkapital. Da die Finanzierungsfolgenverantwortung für weitere Leistungen und damit die risikospezifischen Folgen nach Wiederauffüllung des Stammkapitals fehlen, wird dies von Teilen der juristischen Literatur als Ausschluss der Anwendung der Procedo-Rechtsprechung auf das Eigenkapitalersatzrecht bewertet2. Somit entfiele im Ergebnis bei einer nachträglichen Deckung der Stammkapitalziffer durch Vermögen rückwirkend der Erstattungsanspruch gem. § 31 Abs. 1 GmbHG. Diese Ansicht verkennt jedoch drei wesentliche Aspekte dieser Rechtsprechung: die nur durch den Fortbestand des Rückzahlungsanspruchs erzielbaren, sachgerechten Ergebnisse, das pflichtwidrige Verhalten des Gesellschafters in der Krise und das fehlende Risiko für den Gesellschafter nach Fortfall seiner Finanzierungsfolgenverantwortung. In erster Linie versucht der BGH, sachgerechte Ergebnisse für den Fall des Verkaufs der gegen den Gesellschafter gerichteten Erstattungsforderung unter Berücksichtigung der damit möglicherweise einhergehenden gesteigerten Sanierungsmöglichkeiten herbeizuführen. Insbesondere für diese Fallgestaltung ist ein sachlicher Unterschied zwischen der direkten Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG und der analogen Anwendung im Rahmen der Rechtsprechungsregeln nicht ersichtlich. Veräußert die Gesellschaft den Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter, kann dieser unmöglich durch die Zahlung des Kaufpreises erlöschen. Vielmehr muss der Forderungserwerber in der Lage sein, diese Forderung durchzusetzen. Hierdurch wird aber der Gesellschafter auch nicht benachteiligt, da seine Forderung gegen die Gesellschaft aus der eigenkapitalersetzenden Leistung noch besteht. Sie kann sodann nach nachhaltiger Wiederherstellung des Stammkapitals gegen die Gesellschaft durchgesetzt werden. Zudem bestand die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters noch zum Zeitpunkt der Rückzahlung. Dieses pflichtwidrige Verhalten lässt den Rückzahlungsanspruch entstehen. Allein der spätere Fortfall der Finanzierungsfolgenverantwortung vermag diese bereits begangene Pflichtverletzung nicht zu „heilen“ und die damit einhergehende Rückzahlungspflicht aufzuheben. Vielmehr sind unter diesen Gesichtspunkten die Folgerungen der Balsam/Procedo-Urteile – nach umstrittener Auffassung – auch auf Erstattungsansprüche 1 BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 (342); BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 347/97, ZIP 2000, 1256 (1257 f.). 2 Haas, NZI 2002, 457 (464); Haas/Dittrich in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 8.32a ff.; v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.99 ohne nähere Begründung; wohl auch: K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 54 mit dem pauschalem Hinweis, dass durch eine Entsperrung sowohl eine Rückzahlung erlaubt und eine Haftung nach § 31 GmbHG verhindert werde.
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§4
Rz. 270
Eigenkapitalersatzrecht
der Gesellschaft aus einer entsprechenden Anwendung des § 31 Abs. 1 GmbHG im Rahmen der Eigenkapitalersatzregeln übertragbar1. Der Gesellschafter muss seiner Rückzahlungspflicht entsprechend § 31 Abs. 1 GmbHG auch nach Fortfall der Unterbilanz nachkommen. Eine „rückwirkende Entsperrung“ hinsichtlich des Erstattungsanspruchs ist damit abzulehnen. 270
Die Gesellschaft ist jedoch berechtigt, gegen die – mangels Erfüllung weiterhin bestehende2 – Forderung des Gesellschafters mit ihrem Erstattungsanspruch aus § 31 Abs. 1 GmbHG (analog) die Aufrechnung zu erklären. Denn nach Überwindung der Krise ist der Anspruch des Gesellschafters in der Regel als vollwertig anzusehen, so dass § 19 Abs. 2 GmbHG, der gegenüber dem Anspruch aus § 31 GmbHG entsprechend heranzuziehen ist3, insoweit nicht entgegensteht4. Dementsprechend besteht auch die Möglichkeit, den Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft mit der Forderung des Gesellschafters einverständlich zu verrechnen, soweit der Rückzahlungsanspruch nicht bereits an einen Dritten abgetreten worden ist5. Da die Kompetenz zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs im Allgemeinen dem Geschäftsführer zusteht, ist der Geschäftsführer grundsätzlich auch für die damit einhergehende Aufrechnung zuständig, ohne dass es eines Beschlusses der Gesellschafter bedarf6. Insbesondere ist § 46 Nr. 2 GmbHG diesbezüglich nicht entsprechend anzuwenden7. Jedoch kann sich eine Gesellschafterkompetenz zur Aufrechnung ergeben, wenn die Gesellschafter diese Kompetenz durch Beschluss an sich ziehen8. Erst nach Erfüllung des Rückerstattungsanspruchs durch den Gesellschafter aufgrund § 31 Abs. 1 GmbHG (analog) liegt es in der Kompetenz der Gesellschafter, über die weitere Verwendung der zurückerstatteten Leistung zu beschließen9.
1 Im Ergebnis wie hier: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 110; Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 93; Willemsen/Coenen, DB 2001, 910 (913); Bormann, DB 2001, 907 (910); wohl auch Goette/ Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 162 f.; Kurth/Delhaes, DB 2000, 2577 (2578), jedoch mit weiteren, unvertretbaren Rechtsfolgen. 2 So auch: Kort, ZGR 2001, 615 (630); Benecke, ZIP 2000, 1969 (1972). 3 BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 83/00, ZIP 2001, 157 (158); BGH v. 10. 7. 2006 – II ZR 238/04, ZIP 2006, 1488 (1489); BGH v. 26. 6. 2006 – II ZR 133/05, ZIP 2006, 2272. 4 Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 19 Rz. 22 f.; Goette/ Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 163. 5 BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 83/00, ZIP 2001, 157 (157). 6 Kort, ZGR 2001, 615 (638); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 31 Rz. 12; Benecke, ZIP 2000, 1969 (1972); Bormann, DB 2001, 907 (908); v. Gerkan in v. Gerkan/ Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.118. 7 Kort, ZGR 2001, 615 (639); auch Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 31 Rz. 6. 8 Kort, ZGR 2001, 615 (639) m.w.N. 9 BGH v. 29. 5. 2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 (342); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 31 Rz. 12; Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 162.
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Undritz
Dauer und Umfang der Eigenkapitalersatzbindung
Rz. 274
§4
Dem Gesellschafter ist hingegen die Aufrechnung mit seiner Gegenforderung verwehrt, weil insoweit das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG entgegensteht1. Die Anwendung der Procedo-Grundsätze gilt jedoch nur für die Rechtsprechungsregeln, da die Rückzahlungsansprüche nach den Novellenregeln nicht an eine Unterbilanz der Gesellschaft anknüpfen. Es ist somit unerheblich, ob die Unterbilanz im Jahr vor Insolvenzeröffnung fortfiel (vgl. Rz. 69).
271
3. Umfang der Eigenkapitalersatzbindung Nach den Rechtsprechungsregeln ist die eigenkapitalersetzende Leistung des Gesellschafters während der Krise der Gesellschaft in dem Umfang gebunden, in dem ihr Abzug zu einer Unterbilanz führen würde. Trotz dieser Teilsperre ist die gesamte Leistung eigenkapitalersetzend2. Die Rückzahlungssperre erstreckt sich allerdings lediglich auf die Summe, die zur Erhaltung des Stammkapitals notwendig ist (vgl. Beispiel bei Rz. 279). Dabei stellt die Stammkapitalziffer keine summenmäßige Begrenzung der Haftung dar. Vielmehr haftet der Gesellschafter mit seiner eigenkapitalersetzenden Leistung sowohl für die Unterbilanz als auch für die Überschuldungsumme3. Obwohl anfallende Zinsen für die eigenkapitalersetzende Leistung nicht ausgezahlt werden dürfen, wird der Zinslauf nicht durch den eigenkapitalersetzenden Charakter der Leistung unterbrochen4.
272
Auch bei den Novellenregeln gilt das Prinzip der Unteilbarkeit einer eigenkapitalersetzenden Leistung5. Im Gegensatz zu den Rechtsprechungsregeln haftet jedoch die gesamte Leistung. Die Rückzahlung außerhalb der Insolvenz bleibt möglich (vgl. Rz. 292), da die Novellenregeln eine Insolvenzsituation voraussetzen. Rechtsfolgen für den Vor-Insolvenzzeitraum sind von den Novellenregeln nicht vorgesehen.
273
Probleme bei der Bestimmung des Umfangs einer nach den Novellenregeln eigenkapitalersetzenden Leistung ergeben sich hauptsächlich bei der Einräumung eines Kontokorrentkredits, da die Höhe eines solchen Kredites nach der tatsächlichen Inanspruchnahme bestimmt werden muss, diese jedoch aufgrund der laufenden Verbuchungen in ständig wechselnder Höhe besteht. Hierzu hat der BGH entschieden, dass die Höhe des durchschnittlichen Kontokorrentensaldos bei der Bestimmung des Umfanges maßgeblich ist6.
274
1 BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 83/00, ZIP 2001, 157 (158); BGH v. 10. 7. 2006 – II ZR 238/04, ZIP 2006, 1488 (1489); BGH v. 26. 6. 2006 – II ZR 133/05, ZIP 2006, 2272; Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 163. 2 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 53. 3 v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.88. 4 BGH v. 15. 2. 1996 – IX ZR 245/94, NJW 1996, 1341 (1343). 5 v. Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 3.85. 6 BGH v. 28. 11. 1994 – II ZR 77/93, ZIP 1995, 23 (24).
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§4
Rz. 275
Eigenkapitalersatzrecht
V. Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes 275
Die Gewährung einer eigenkapitalersetzenden Leistung führt zu verschiedenen Rechtsfolgen in der Krise und Insolvenz der Gesellschaft. Sämtliche Rechtsfolgen leiten sich aber aus dem gemeinsamen Prinzip ab, dass die der Gesellschaft zugeführte Leistung aus Gründen des Gläubigerschutzes wie Eigenkapital zu behandeln ist.
1. Rechtsprechungsregeln 276
Nach den Rechtsprechungsregeln kann sich der Gesellschafter seine eigenkapitalersetzende Leistung nicht während der Krise der Gesellschaft zurückzahlen lassen, wenn die Stammkapitalziffer durch die Zahlung verletzt wird. Verstößt er gegen dieses Rückzahlungsverbot, ist er zur Erstattung des Geleisteten verpflichtet. a) Eingeschränktes Rückzahlungsverbot
277
Durch die Bindung der eigenkapitalersetzenden Leistung in der Krise der Gesellschaft ist der Rückzahlungsanspruch des Gesellschafters aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB (§ 607 Abs. 1 BGB a.F.) gehemmt. Es besteht eine Sperre nach § 30 Abs. 1 GmbHG analog, wie es bei echtem Eigenkapital der Fall wäre, soweit die Auszahlung die Stammkapitalziffer verletzen würde1. Hiervon werden Rückzahlungen jeder Art erfasst, so dass Umgehungsversuchen (z.B. Erfüllungssurrogate) die rechtliche Grundlage genommen wird2. Auch die Auszahlung von vereinbarten Zinsen ist nach § 30 Abs. 1 GmbHG analog verboten, wenn diese Zahlung das Stammkapital angreift.
! Hinweis: 278
Die Verrechnung der Forderung mit Einlagepflichten des Gesellschafters ist nicht möglich3. Eine solche Verrechnung stellt jedoch keine verbotene Auszahlung dar, sondern sie ist schlicht unwirksam4.
279
Dieses Rückzahlungsverbot besteht jedoch nur insoweit, als die Rückgewähr das Stammkapital angreift. Dabei besteht jedoch keine summenmäßige Begrenzung der Gesellschafterhaftung auf den Betrag des Stammkapitals5. Daher kann bei entsprechender Höhe des Darlehens auch der Überschuldungsbetrag dem Stammkapital zugerechnet werden, um die Summe des unter dem Rückzahlungsverbot stehenden Gesellschaftsvermögens entsprechend zu erhöhen.
1 2 3 4 5
Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 218. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 80. BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 (374 f.). K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 81. BGH v. 21. 9. 1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311 (319); BGH v. 13. 7. 1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252 (259); BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (335); BGH v. 27. 9. 1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171 (174).
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Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes
Rz. 280
§4
Beispiel1: Bei einer unter Einrechnung des eigenkapitalersetzenden Darlehens in Höhe von 25 000 Euro rechnerisch überschuldeten Gesellschaft mit einem Stammkapital von nominell 25 000 Euro unterliegt ein Darlehen in Höhe von 50 000 Euro in vollem Umfang dem Rückzahlungsverbot (Unterbilanz 25 000 + bilanzielle Überschuldung 25 000). Ein Darlehen in Höhe von 75 000 Euro würde aber nur in Höhe von 50 000 Euro dem Rückzahlungsverbot unterliegen. 25 000 Euro könnten ohne Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG analog an den Gesellschafter ausgezahlt werden. Daher ist das Auszahlungsverbot nach den Rechtsprechungsregeln lediglich ein eingeschränktes Verbot.
b) Erstattungsanspruch Erfolgt die verbotene Rückzahlung (vgl. Rz. 277) einer eigenkapitalersetzenden Leistung trotz Krise der Gesellschaft, besteht ein Anspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG analog. In der Praxis wird das Auszahlungsverbot des § 30 Abs. 1 GmbHG oft missachtet, so dass die Gesellschaft und – nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – der Insolvenzverwalter den Rückerstattungsanspruch gegen den Gesellschafter geltend machen können. Der Anspruch umfasst in der Regel neben der Rückübertragung des Erhaltenen auch – bis zur Höhe des Stammkapitals – den Ersatz von Wertminderungen, den der zur Tilgung an den Gesellschafter übertragene Vermögensgegenstand zwischenzeitlich erfahren hat, es sei denn, der Wertverlust wäre auch eingetreten, wenn sich der Gegenstand noch im Vermögen der Gesellschaft befunden hätte2. Auf ein Verschulden des Gesellschafters kommt es insoweit hingegen nicht an. Eine Beschränkung der Höhe des Anspruchs besteht in der Notwendigkeit der Rückzahlung zur Wiederherstellung des Stammkapitals3. Die Stammkapitalziffer bildet die Trennlinie zwischen den Rechtsfolgen der Rechtsprechungsund Novellenregeln. Soweit die Erstattung der Rückzahlung nicht zur Beseitigung der Unterbilanz notwendig ist, besteht kein Bedarf zur Anwendung der strengen (gesellschaftsrechtlichen) Rechtsprechungsregeln4. Indes ist die Höhe der Rückzahlung nicht summenmäßig durch die Stammkapitalziffer begrenzt. Der Rückzahlungsanspruch kann die Unterbilanz- und Überschuldungssumme umfassen5. Die §§ 30, 31 GmbHG bilden den Sockel des eigenkapitalrechtlichen Schutzsystems und schützen daher den Bereich von einer etwa vorhandenen Überschuldung bis hin zur satzungsmäßigen Stammkapitalziffer6. Allerdings darf dabei die Höhe des Anspruchs nicht über das tatsächlich Erlangte hinausgehen.
1 Nach K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 79. 2 OLG Celle v. 17. 5. 2006 – 9 U 172/05, ZIP 2006, 1399 (1400) – nicht rechtskräftig, die Revision ist anhängig beim BGH unter Az. II ZA 9/06. 3 BGH v. 24. 3. 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 (335). 4 Hommelhof in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 1.5. 5 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 83. 6 Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 154.
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280
§4
Rz. 281
Eigenkapitalersatzrecht
Beispiel1: Ist eine Gesellschaft lediglich mit einem gesetzlichen Mindestmaß am statuarischen Stammkapital in Höhe von 25 000 Euro ausgestattet und hat der Gesellschafter der Gesellschaft in der Krise ein Darlehen in Höhe von 75 000 Euro gewährt, das jedoch in der Krise noch zurückgezahlt wird, hängt der Erstattungsanspruch der Gesellschaft bzw. des Insolvenzverwalters von der Höhe der dadurch verursachten Unterbilanz bzw. Überschuldung ab. Verursacht die Rückzahlung eine Unterbilanz in Höhe von 10 000 Euro, kann lediglich die Erstattung dieser Summe gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG analog geltend gemacht werden. Führt die Rückzahlung allerdings zu einer bilanziellen Überschuldung in Höhe von 50 000 Euro, können 75 000 Euro (50 000 Überschuldung + 25 000 Unterbilanz, vgl. Rz. 8) vom Gesellschafter verlangt werden. Entsteht durch die Rückzahlung eine Vertiefung der Überschuldung auf insgesamt 150 000 Euro, kann auch in dieser Fallgestaltung ein Erstattungsanspruch in Höhe von lediglich 75 000 Euro (Auszahlungssumme) geltend gemacht werden.
281
Sollte der Gesellschafter finanziell nicht in der Lage sein, dem Erstattungsanspruch der Gesellschaft nachzukommen, besteht eine Solidarhaftung der restlichen GmbH-Gesellschafter gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG, soweit die Mittel zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger benötigt werden. Die Mitgesellschafter haften allerdings nur in Höhe ihrer proportionalen Beteiligung an der Gesellschaft unter Nichtberücksichtigung des Geschäftsanteils des ausgefallenen Gesellschafters und begrenzt durch die statuarische Stammkapitalziffer (vgl. Rz. 163).
282
Die Kleingesellschafterprivilegierung besteht für Ansprüche aus Solidarhaftung nicht (vgl. Rz. 164).
283
Verstöße gegen das Auszahlungsverbot können nicht nur für den Gesellschafter bzw. seine Mitgesellschafter rechtliche Konsequenzen auslösen. Auch eine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers ist in Betracht zu ziehen. Der Geschäftsführer kann gemäß § 43 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 GmbHG bzw. § 31 Abs. 6 GmbHG für eine unerlaubte Rückzahlung an den Gesellschafter oder einen gleichgestellten Dritten haften. Dies gilt selbst dann, wenn ein Gesellschafterbeschluss die Rückzahlung anordnet, da ein solcher Beschluss aufgrund des Verstoßes gegen das Rückzahlungsverbot regelmäßig nichtig sein wird2.
284
Zudem kann eine verbotene Auszahlung die Strafbarkeit des Geschäftsführers gemäß § 266 StGB begründen3, da nach Ansicht des BGH4 existenzgefährdende Auszahlungen oftmals eine Veruntreuung von Gesellschaftsmitteln darstellen.
! Hinweis: Verjährung! Der Anspruch aus § 31 Abs. 1 und 2 GmbHG analog verjährt nach § 31 Abs. 5 GmbHG seit der Neufassung dieser Vorschrift durch Gesetz vom
285
1 Nach Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 161. 2 LG Kassel v. 11. 9. 2001 – 12 O 4104/00, ZInsO 2001, 1068 (1069) – rechtskräftig. 3 Uhlenbruck in Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl. 2003, Rz. 693 ff. 4 BGH v. 29. 5. 1987 – 3 StR 242/86, BGHSt 34, 379 (382); BGH v. 24. 8. 1988 – 3 StR 232/88, BGHSt 35, 333 (333).
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Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes
Rz. 288
§4
9. 12. 20041 nach 10 Jahren (vorher: 5 Jahre), beginnend mit dem Ablauf des Tages, an dem die Zahlung an den Gesellschafter geleistet wurde. Hingegen verjährt der Anspruch gegen die übrigen Gesellschafter aus § 31 Abs. 3 GmbHG analog weiterhin nach 5 Jahren. Die bisherige Unterscheidung, ob dem Gesellschafter ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Auszahlungsverbot zur Last fällt oder nicht (vgl. § 31 Abs. 5 Satz 2 GmbHG a.F.), spielt nach neuer Rechtslage für die Verjährungsfrist – anders nach Abs. 2 allerdings für den Haftungsumfang – keine Rolle mehr.
2. Novellenregeln Nicht weniger streng als die Rechtsprechungsregeln sind die Rechtsfolgen in der Insolvenz der Gesellschaft nach den Novellenregeln. Diese gelten im Insolvenzverfahren neben (oder als Ausbaustufe2) den Rechtsprechungsregeln. Im Wesentlichen bewirkt das insolvenzrechtliche Haftungsregime lediglich eine weitere Rechtsfolge in der Insolvenz (Forderung aus der eigenkapitalersetzenden Leistung als nachrangige Insolvenzforderung) sowie die Erweiterung des Haftungsumfangs beim Auszahlungsverbot und Erstattungsanspruch (Anfechtung nach § 135 InsO i.V.m. § 32a Abs. 1 GmbHG).
286
a) Nachrangige Insolvenzforderung Die sich aus der Gesellschafterleistung ergebende synallagmatische Forderung des Gesellschafters kann im eröffneten Insolvenzverfahren lediglich als nachrangige Insolvenzforderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltend gemacht werden. § 32a GmbHG ordnet einen solchen Rangrücktritt kraft Gesetzes an3 (zur Rechtsstellung nachrangiger Insolvenzgläubiger § 6 Rz. 253 ff., 280, 282).
287
Dies gilt auch für etwaige Regressforderungen des eine kapitalersetzende Sicherheit stellenden Gesellschafters gegen die Gesellschaft aus einer im Wege der cessio legis auf ihn übergegangenen Forderung (§§ 426 Abs. 2, 774, 1143, 1225 BGB) oder einem Auftrag (§ 670)4. In dieser Fallgestaltung kann der Gesellschafter die Forderung in voller Höhe gegen die Gesellschaft geltend machen (vgl. Rz. 192).
288
Etwas anderes könnte nur gelten, soweit ein eigenkapitalersetzendes Darlehen eines Gesellschafters mit der eigenkapitalersetzenden Sicherheit eines weiteren Gesellschafters besichert wird. Hier könnte argumentiert werden, die Gesellschafter hätten gemeinsam die Finanzierungsfolgenverantwortung für eine einzelne Leistung an die Gesellschaft in Höhe der Darlehensvaluta übernommen. Daher könnten die Gesellschafter im Innenverhältnis wie Gesamtschuldner behandelt werden, welche im Verhältnis untereinander proportional zu ih1 Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, BGBl. I, 2004, S. 3214. 2 Hommelhof in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 1.5. 3 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 255. 4 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 181.
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§4
Rz. 289
Eigenkapitalersatzrecht
ren Geschäftsanteilen für die Leistung haften. Der jeweilige Gesellschafter könnte sodann lediglich den Anspruch in Höhe des Ausfalls als nachrangige Insolvenzforderung im Insolvenzverfahren anmelden. Dadurch würden sich die Gesamtvolumina nachrangiger Forderungen im Insolvenzverfahren allerdings nicht ändern. Indes dürfte eine dem Gesamtschuldner ähnliche Stellung nur in den seltensten Fällen zutreffen, da der Sicherungsnehmer ein Interesse an einer bevorzugten Befriedigung regelmäßig durch die Sicherungsabrede erkennen lässt. Nur soweit ein gemeinsamer Wille in der Gewährung von Darlehen und Sicherheit nach außen erkennbar ist, lässt sich die Finanzierungsfolgenverantwortung gleichwertig auf beide Gesellschafter verteilen. Im Regelfall wird der die Sicherheit stellende Gesellschafter die volle Finanzierungsfolgenverantwortung und somit das Insolvenzrisiko tragen. Er wird die übertragene Forderung in voller Höhe lediglich als nachrangige Insolvenzforderung geltend machen können.
! Hinweis: 289
Soweit eine Vergütung oder Provision für die Stellung einer eigenkapitalersetzenden Sicherheit vereinbart wird (Avalkredite), können diese Forderungen auch lediglich als nachrangige Insolvenzforderungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltend gemacht werden.
290
Auch Ansprüche des Gesellschafters aus einer eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung (insbesondere Miet- und Pachtzinsen) können im Insolvenzverfahren nur als nachrangige Forderungen geltend gemacht werden (vgl. Rz. 161 ff.). Dies gilt auch für Miet- und Pachtzinsen, welche der Gesellschafter der aufgrund des eigenkapitalersetzenden Charakters der Überlassung im Rahmen der Rechtsprechungs- oder Novellenregeln erstatten musste.
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: Wird ein Insolvenzplan erstellt, gelten die Forderungen der Eigenkapitalersatz leistenden Gesellschafter grundsätzlich als erlassen (§ 225 Abs. 1 InsO). Eine abweichende Regelung kann jedoch im Insolvenzplan getroffen werden (§§ 225 Abs. 2, 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Zum Insolvenzplanverfahren vgl. § 13 Rz. 21 ff.
291
b) Rückzahlungsverbot 292
Nach den Novellenregeln besteht ab Insolvenzeröffnung ein absolutes Rückzahlungsverbot für eigenkapitalersetzende Leistungen1. Sie begründen jedoch kein Rückzahlungsverbot für den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens2. Allerdings wird die Leistung oftmals aufgrund der Rechtsprechungsregeln verstrickt sein, so dass eine (Teil-)Rückzahlung bereits im Vorfeld des Insolvenzverfahrens unzulässig ist. Zudem ist zu beachten, dass Rückzahlungen, welche innerhalb eines Jahres vor oder nach Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung vorgenommen wurden, vom Insolvenzverwalter angefochten werden können (vgl. Rz. 293 ff.). Insofern ist bei kurzfristigen Rückzahlungen 1 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 94, 14. 2 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 251.
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Undritz
Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes
Rz. 295
§4
mit einer Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter auch aus diesem Grund zu rechnen. c) Erstattungs-/Anfechtungsanspruch Ist eine Leistung lediglich nach den Novellenregeln verstrickt, kann sie der Geschäftsführer im Vorfeld des Insolvenzverfahrens an den Gesellschafter zurückführen, ohne gegen ein sich aus dem Eigenkapitalersatzrecht ergebendes Verbot zu verstoßen (vgl. Rz. 292). Soweit die Leistung jedoch eigenkapitalersetzend im Sinne des § 32a GmbHG war, kann der Insolvenzverwalter jegliche Rechtshandlung, welche 1.
dem Gesellschafter in den zehn Jahren vor oder nach Stellung eines Insolvenzantrags eine Sicherung für seine Forderung aus dieser Leistung gewährt hat oder
2.
dem Gesellschafter im Jahr vor oder nach Stellung des Insolvenzantrags Befriedigung seines Anspruchs aus dieser Leistung gewährt hat,
293
gem. § 135 InsO i.V.m. § 32a GmbHG anfechten. Diese Rechtshandlungen sind auch gemäß § 6 AnfG i.V.m. § 32a GmbHG von jedem Gläubiger der Gesellschaft außerhalb des Insolvenzverfahrens anfechtbar.
! Hinweis: Die Berechnung des Zeitraums bei einer Anfechtung nach § 6 AnfG bestimmt sich nach dem Tag der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs und nicht nach Stellung des Insolvenzantrags (§ 7 Abs. 1 AnfG). Wird die Anfechtung innerhalb eines Jahres nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend gemacht, ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedoch maßgebend für diese Berechnung (§ 18 Abs. 2 AnfG).
294
Der insolvenzrechtliche Anfechtungsanspruch begründet einen Rückerstattungsanspruch und ist kein Gestaltungsrecht1. Im Gegensatz zu den Rechtsprechungsregeln, die den Schutz des Stammkapitals im Rahmen des Gläubigerschutzes bezwecken, kann der Insolvenzverwalter bei der Anfechtung einer Rückzahlung oder Besicherung nach § 135 InsO stets die gesamte an den Gesellschafter ausgekehrte Leistung zurückverlangen2 (zu den Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung allgemein vgl. § 10 Rz. 321 ff.).
295
Der Anspruch setzt zunächst eine Rechtshandlung (zu diesem Begriff vgl. § 10 Rz. 25 ff.) voraus, die entweder die Befriedigung einer eigenkapitalersetzenden Forderung oder die Sicherung für eine solche Leistung gewährt hat. Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne der Insolvenzanfechtung ist möglichst weit zu verstehen3. Somit sind nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch tatsächliche Handlungen von der Regelung erfasst. Die Rechtshandlung muss auch nicht
1 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 194. 2 Allg. Meinung: Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 261 m.w.N. 3 Hirte in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2002, § 135 Rz. 36.
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§4
Rz. 296
Eigenkapitalersatzrecht
unbedingt eine des Schuldners sein. Vielmehr können Handlungen Dritter – insbesondere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen – angefochten werden1. Zudem muss eine objektive Gläubigerbenachteiligung (vgl. § 10 Rz. 42 ff.) als allgemeine Voraussetzung aller insolvenzrechtlichen Anfechtungsansprüche durch die Rechtshandlung hervorgerufen worden sein. Eine lediglich mittelbare Benachteiligung genügt2. Diese ist immer dann gegeben, wenn die Masse ohne die besagte Rechtshandlung reicher wäre3 (vgl. auch § 10 Rz. 44). In diesem Zusammenhang wird die objektive Gläubigerbenachteiligung lediglich dann fehlen, wenn die Masse für die vollständige Befriedigung aller Gläubiger ausreicht. 296
Die Anfechtung nach § 135 Nr. 1 InsO ist auf die Aufhebung einer bestellten Sicherheit gerichtet. Die Sicherung kann ihrerseits für ein Darlehen oder eine sonstige Forderung, z.B. eine eigenkapitalersetzende Sicherheit (Bürgschaft) von der Gesellschaft bestellt worden sein4. Es ist aber nicht erforderlich, dass die Leistung des Gesellschafters, für die die Sicherheit gewährt wird, zum Zeitpunkt der Gewährung eigenkapitalersetzend war. Die Leistung muss lediglich vor Insolvenzeröffnung eigenkapitalersetzend geworden sein5.
! Hinweis: 297
Ist die Gesellschaft in der Lage, Sicherheiten für ihre Verbindlichkeiten zu stellen, spricht dies gegen eine Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft (vgl. Rz. 263).
298
Zudem können Rechtshandlungen, welche dem Gesellschafter eine Befriedigung seiner Forderung aus einer eigenkapitalersetzenden Leistung gewähren, gemäß § 135 Nr. 2 InsO vom Insolvenzverwalter zurückverlangt werden. Außer der direkten Rückzahlung einer Leistung können auch Leistungen an Erfüllungs statt und erfüllungshalber, Auf- und Verrechnungen oder die Befriedigung aus einer gestellten Sicherheit nach dieser Vorschrift angefochten werden6. Auch die Erstattung einer Zahlung auf die dem Gesellschafter aufgrund einer eigenkapitalersetzenden Leistung zustehenden Zinsansprüche kann nach § 135 Nr. 2 InsO verlangt werden7 (zu § 135 Nr. 2 InsO vgl. § 10 Rz. 255 f.).
299
Mit Rückgewähr der Leistung nach begründeter Anfechtung gemäß § 143 Abs. 1 InsO lebt die Forderung des Gesellschafters wieder auf (§ 144 Abs. 1 InsO) (vgl. § 10 Rz. 378 ff.). Diese kann sodann als nachrangige Forderung im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden (vgl. Rz. 287 ff.).
! Hinweis: Verjährung! Der Anfechtungsanspruch aus § 135 InsO verjährt nach der Änderung des § 146 Abs. 1 InsO durch Gesetz vom 9. 12. 20048 innerhalb der regelmäßi-
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Stodolkowitz in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Band, 2002, § 135 Rz. 74. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 70 m.w.N. Stodolkowitz in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Band, 2002, § 135 Rz. 74. Stodolkowitz in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Band, 2002, § 135 Rz. 75. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 74. Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 197. BGH v. 27. 9. 1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171 (177, 179). Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, BGBl. I, 2004, S. 3214, mit Wirkung zum 15. 12. 2004.
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Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes
Rz. 302
§4
gen Verjährungsfrist des BGB (§§ 194 ff. BGB), grundsätzlich also innerhalb von drei Jahren (§ 195 BGB) (vgl. bereits Rz. 31). Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Verfahrenseröffnung) und der Gläubiger bzw. Insolvenzverwalter von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners bzw. des Anfechtungsgegners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen können (§ 199 Abs. 1 BGB). Der eigenkapitalersetzende Charakter der Leistung kann auch nach Ablauf der Verjährungsfrist einer Forderung des Gesellschafters als Einrede entgegengehalten werden (§ 146 Abs. 2 InsO). Eine Verjährung nach dem AnfG existiert systembedingt nicht1.
3. Einzelfälle Bei einer eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung bestehen Auszahlungsverbot und Erstattungsansprüche analog den allgemeinen Regeln sowie die Besonderheit der weiteren Verpflichtung des Gesellschafters zur unentgeltlichen Überlassung des Nutzungsobjekts (vgl. Rz. 167 ff.).
301
Eigenkapitalersetzende Gesellschaftersicherheiten führen zu besonderen Ausgleichspflichten zwischen dem Gesellschafter, der Gesellschaft und dem Dritten in- und außerhalb des Insolvenzverfahrens (vgl. Rz. 191 ff.).
4. Checkliste: Rechtsfolgen Checkliste: Rechtsfolgen 1.
Allgemeine Regeln –
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Rechtsprechungsregeln –
Soweit eine Leistung eigenkapitalersetzend ist und sich die Gesellschaft noch in der Krise befindet, besteht gemäß § 30 Abs. 1 GmbH analog ein eingeschränktes Rückzahlungsverbot, das Rückzahlungen untersagt, welche das Stammkapital verletzten.
–
Wird eine gegen das Rückzahlungsverbot verstoßende Auszahlung vorgenommen, kann die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter den entstehenden Erstattungsanspruch gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG analog maximal bis zu der zur Wiederherstellung des Stammkapitals erforderlichen Höhe geltend machen.
–
Verbotene Auszahlungen können auch die Haftung Dritter hervorrufen: –
Solidarhaftung der restlichen Gesellschafter gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG analog
1 Heidinger in Michalski, Kommentar zum GmbHG, 2002, §§ 32a, 32b Rz. 260.
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§4
Rz. 303
Eigenkapitalersatzrecht
–
Zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG; mögliche strafrechtliche Konsequenzen gemäß § 266 StGB (Untreue)
–
2.
3.
Novellenregeln –
Besteht im Insolvenzverfahren eine Forderung des Gesellschafters aus einer eigenkapitalersetzenden Leistung, bestimmt § 32a Abs. 1 GmbHG einen Rangrücktritt kraft Gesetzes. Diese Forderung kann nur im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger (§ 39 Nr. 5 InsO), jedoch im Range vor Forderungen mit vereinbartem Rangrücktritt (§ 39 Abs. 2 InsO) und Überschüssen bei der Schlussverteilung (§ 199 InsO) geltend gemacht werden.
–
Ein Rückzahlungsverbot kraft Gesetzes besteht lediglich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
–
Rechtshandlungen, welche die Sicherung oder Befriedigung der Forderung des Gesellschafters aus der eigenkapitalersetzenden Leistung bezwecken, können gemäß § 135 InsO i.V.m. § 32a Abs. 1 bzw. Abs. 3 GmbHG angefochten werden. Dieser Erstattungsanspruch kann zu einer Rückführung der gewährten Befriedigung in voller Höhe bzw. einer Aufhebung der bestellten Sicherung führen.
Nutzungsüberlassung (vgl. Rz. 142) –
Auszahlungssperre/Erstattungsanspruch
–
Unentgeltliche Überlassung
–
Keine Änderung der dinglichen Zuordnung des Überlassungsgegenstandes
Gesellschaftersicherheiten (vgl. Rz. 179) –
Erstattungsanspruch gegen den Gesellschafter bei Inanspruchnahme durch den Dritten
–
Möglicher Verweis des Dritten auf den Gesellschafter zur Befriedigung seines Anspruchs nach Insolvenzeröffnung
VI. Darlegungs- und Beweislast 303
Im Prozess um Ansprüche aus dem Eigenkapitalersatzrecht gelten die allgemeinen Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast. Diesbezüglich muss derjenige die Tatsachen im Prozess darlegen und beweisen, der aus diesen Tatbestandsvoraussetzungen Rechte herleiten möchte1. In einigen Fällen kann diese Beweispflicht erleichtert werden, indem der Indizien- oder Anscheinsbeweis für bestimmte Tatsachen zugelassen wird. Im Folgenden sollen die wichtigsten Tatbestandsvoraussetzungen des Eigenkapitalersatzrechts auf die Möglichkeit einer erleichterten Beweisführung in Ergänzung der bereits erwähnten Hinweise zur Beweislast erörtert werden. 1 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.42 m.w.N.
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Darlegungs- und Beweislast
Rz. 307
§4
1. Krise der Gesellschaft Zentrales Kriterium für die Umqualifizierung der vom Gesellschafter gewährten Fremdmittel ist die Krise der Gesellschaft. Nur soweit ein Insolvenzeröffnungsgrund oder die diesem vorverlagerte (spezielle) Kreditunwürdigkeit vorliegt, sind Leistungen eigenkapitalersetzend bzw. Rückzahlungen unzulässig und/oder anfechtbar (vgl. Rz. 40, 251, 252).
304
Macht die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter Ansprüche aus dem Eigenkapitalersatzrecht geltend, werden sie das Vorliegen der Krise für jede einzelne Auszahlung beweisen müssen. Lediglich bei einer Anfechtung gemäß § 135 InsO wird die Krise der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Befriedigung oder Sicherung nach festgestelltem Vorliegen einer eigenkapitalersetzenden Leistung unwiderleglich vermutet (vgl. hierzu ausführlich Rz. 69). Die Überschuldung der Gesellschaft kann vom Insolvenzverwalter nachgewiesen werden, indem er die rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten zum maßgeblichen Zeitpunkt feststellt1. Dies folgt daraus, dass eine positive Fortführungsprognose den Ausnahmefall darstellt und als Beweiserschütterung vom Gesellschafter, der sich darauf beruft, nachgewiesen werden muss2. In der Regel hat dieser Nachweis durch Vorlage eines Überschuldungsstatus zu erfolgen, in dem die stillen Reserven aufzudecken und die Vermögensgegenstände zu Veräußerungswerten anzusetzen sind3. Der Verweis auf einen Jahresabschluss mit einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag genügt der Beweispflicht des Anspruchstellers jedoch in der Regel nicht, weil die Handelsbilanz nach anderen Regeln als ein Überschuldungsstatut aufzustellen ist und auch etwaige stille Reserven nicht ausgewiesen sind4 (vgl. Rz. 240). Der Handelsbilanz ist demnach allein indizielle Bedeutung beizumessen5.
305
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Gesellschafter nicht stets beweisen, dass stille Reserven vorhanden waren. Vielmehr muss der Insolvenzverwalter bzw. die Gesellschaft beweisen, dass keine stillen Reserven und sonstige nicht aus der Handelsbilanz ersichtliche Veräußerungswerte bestanden, die im Rahmen einer Überschuldungsbilanz nach § 19 Abs. 2 InsO hätten aktiviert werden können, wenn zumindest Anhaltspunkte für die Möglichkeit des Vorhandenseins stiller Reserven bestehen6.
306
Bei der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft – die in der Praxis des Eigenkapitalersatzrechts kaum eine Rolle spielen dürfte, da die Überschuldung oder be-
307
1 BGH v. 2. 6. 1997 – II ZR 211/95, ZIP 1997, 1648 (1649 f.). 2 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.55. 3 BGH v. 7. 3. 2005 – II ZR 138/03, ZIP 2005, 807. 4 BGH v. 7. 3. 2005 – II ZR 138/03, ZIP 2005, 807. 5 BGH v. 7. 3. 2005 – II ZR 138/03, ZIP 2005, 807. 6 BGH v. 12. 7. 1999 – II ZR 87/98, ZIP 1999, 1524 (1525); BGH v. 7. 3. 2005 – II ZR 138/03, ZIP 2005, 807.
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§4
Rz. 308
Eigenkapitalersatzrecht
reits die Kreditunwürdigkeit häufig belegbar sind und vor dieser eintreten werden (vgl. Beispiel, Rz. 256) – kann die Beweisführung der Gesellschaft erleichtert werden, indem der Indizienbeweis für ihren Eintritt zugelassen wird1. 308
Die (spezielle) Kreditunwürdigkeit kann auch durch den Indizienbeweis festgestellt werden2. Welchen Tatsachen indizielle Bedeutung zukommen kann, ergibt sich aus der Kasuistik der Rechtsprechung (vgl. Rz. 263). Selbst wenn der Insolvenzverwalter bzw. die Gesellschaft geeignete Indizien für die Feststellung der Kreditunwürdigkeit vorbringt, kann der Gesellschafter diesen Beweis aber durch eigenen Vortrag entkräften. Die Verteilung der Beweislast im Prozess ergibt sich somit letzten Endes aus einem Zusammenspiel von Vorträgen des Verwalters und des Gesellschafters, bei dem die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter die Kreditunwürdigkeit substantiiert darlegen und beweisen muss3.
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: 309
Hat die Gesellschaft bereits substantiiert dargelegt, dass Kreditunwürdigkeit zum Zeitpunkt der Leistungsgewährung bestanden hat, muss der Gesellschafter, der sich auf den Fortfall der Kreditunwürdigkeit bis zur Rückzahlung des Kredits beruft, diesen darlegen und beweisen4. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Forderung abgetreten worden ist oder der darlehensgebende Gesellschafter zwischenzeitlich aus der Gesellschaft ausgeschieden ist5. Hinweise zum Beweis der wiederhergestellten Kreditwürdigkeit ergeben sich aus der analogen Anwendung (Umkehrschluss) der Kreditunwürdigkeitsindizien (vgl. Rz. 263).
310
Aufgrund der diesbezüglich oftmals schwierigen Beweisführung kommt der Frage nach zulässigen und tauglichen Beweismitteln in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Grundsätzlich kann der Insolvenzverwalter Berater der Gesellschaft, insbesondere Anwälte, gemäß § 385 Abs. 2 ZPO von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht befreien und im Prozess vernehmen lassen, soweit der Prozess der Massemehrung dient6. Nach Teilen der juristischen Literatur gilt dies auch für Mitarbeiter der Hausbank7. Zudem kann der Geschäftsführer nach Insolvenzeröffnung als Zeuge vernommen werden, obwohl dies im Einzelfall aufgrund seiner möglichen Haftung aus § 43 Abs. 3 GmbHG genau abgewogen werden muss und ihm möglicherweise ein Zeugnisverweige-
1 Statt aller: BGH v. 4. 12. 1995 – II ZR 281/94, ZIP 1996, 275 (276). 2 BGH v. 4. 12. 1995 – II ZR 281/94, ZIP 1996, 275 (276); Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 53; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 23. 3 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.59. 4 BGH v. 27. 11. 1989 – II ZR 43/89, ZIP 1990, 98 (100); BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 (381). 5 BGH v. 27. 11. 1989 – II ZR 43/89, ZIP 1990, 98 (100). 6 BGH v. 30. 11. 1989 – II ZR 112/88, BGHZ 109, 260 (268 ff.); Greger in Zöller, ZPO, 63. Aufl. 2001, § 385 Rz. 10. 7 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.90.
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Darlegungs- und Beweislast
Rz. 313
§4
rungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO zustehen könnte1. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Geschäftsführer lediglich als Partei vernommen werden (§ 445 ff. ZPO).
! Hinweis für den Insolvenzverwalter: Insbesondere Urkunden dienen als aussagekräftiger Beweis für die finanzielle Situation der Gesellschaft. Der Insolvenzverwalter kann die Handakten der Gesellschaftsberater (Rechtsanwälte, Steuerberater, Banken) im Insolvenzverfahren anfordern2.
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2. Möglichkeit der Kenntnis der Krise Die Erkennbarkeit der Krise müsste nach den allgemeinen Beweislastregeln von der Gesellschaft bzw. dem Insolvenzverwalter dargelegt und bewiesen werden. Aufgrund der Pflichten des Gesellschafters betrachtet die Rechtsprechung jedoch die Möglichkeit der Kenntnis als Regelfall3, so dass im Normalfall davon ausgegangen wird, dass der Gesellschafter – insbesondere wenn er Geschäftsführer der Gesellschaft ist bzw. war – die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft kennen kann und soll4. Insofern kann sich der Gesellschafter nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen ganz besonderer, von ihm zu beweisender Umstände darauf berufen, keine Kenntnismöglichkeit von der kritischen wirtschaftlichen Situation „seiner“ Gesellschaft gehabt zu haben5. Diese besonderen Umstände hat er daher im Prozess darzulegen und zu beweisen6.
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3. Unterbilanz Ansprüche der Gesellschaft aufgrund der Rechtsprechungsregeln beruhen auf der Herbeiführung oder Vertiefung einer Unterbilanz durch die Rückzahlung einer eigenkapitalersetzenden Leistung an den Gesellschafter. Nach den allgemeinen Beweislastregeln ist auch dieses Tatbestandsmerkmal von der Gesellschaft oder dem Insolvenzverwalter für den Zeitpunkt einer jeden Rückzahlung darzulegen und zu beweisen. Hierfür ist im Regelfall eine positive Feststellung durch die sich auf das Eigenkapitalersatzrecht berufende Partei notwendig. Daher bleibt auch kein Raum für die Heranziehung des Anscheinsbeweises im Insolvenzfall. Grundsätzlich eignen sich die Angaben in Jahresabschlüssen und Zwischenbilanzen als Beweismittel für die Unterbilanz. Die Unterbilanz – im Gegensatz 1 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.87. 2 BGH v. 30. 11. 1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260 (268 ff.); Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.95. 3 BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (346); BGH v. 17. 12. 1992 – ZR 154/91, NJW 1992, 1764; BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049. 4 Vgl.: OLG Koblenz v. 18. 1. 2006 – 1 U 1082/04, NZG 2006, 865 (867). 5 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 210. 6 BGH v. 7. 11. 1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336 (347); BGH v. 23. 2. 2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049; OLG Koblenz v. 18. 1. 2006 – 1 U 1082/04, NZG 2006, 865 (867); OLG Koblenz v. 19. 5. 2004 – 6 U 963/03, ZInsO 2004, 1037 (1039).
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§4
Rz. 314
Eigenkapitalersatzrecht
zur Überschuldungsbilanz im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO – wird nach denselben Wertansätzen und Grundsätzen wie der Jahresabschluss aufgestellt. Daher können die Jahresabschlüsse als Grundlage einer Haftung nach den Rechtsprechungsregeln dienen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt aber zusätzlich eine genaue Darstellung der Unterbilanz zum Zeitpunkt jeder Auszahlung. Insbesondere hält der BGH die Aufstellung von monatlichen Zwischenbilanzen durch den Insolvenzverwalter für zumutbar1. Lediglich bei einer Gesellschaft im unaufhaltbaren „Sinkflug“ oder bei einer evidenten, in kurzer Zeit unüberwindbaren Überschuldung hat er die Möglichkeit eines erleichterten Beweises (z.B. Angaben im Jahresabschluss) angedeutet2. Jedoch könnte dem Insolvenzverwalter oder der Gesellschaft eine Beweiserleichterung zugestanden werden, wenn eine Unterbilanz zu Stichtagen vorgelegen hat, zwischen denen die nach § 30 Abs. 1 GmbHG analog verbotenen Rückzahlungen an den Gesellschafter erfolgten3. Ferner könnten zugunsten der Gesellschaft bzw. des Insolvenzverwalters die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast eingreifen, wenn es hinreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Stammkapital der Gesellschaft schon im Gründungsstadium angegriffen oder verbraucht worden ist oder dass sogar darüber hinausgehende Verluste entstanden sind, und die Geschäftsunterlagen des schuldnerischen Unternehmens so ungeordnet sind, dass der Insolvenzverwalter seiner Darlegungspflicht nicht nachkommen kann4. Da sich der Insolvenzverwalter in der Regel allein auf die vorgefundenen Unterlagen stützen kann, ist es dem Gesellschafter im Rahmen seiner Erklärungslast gem. § 138 Abs. 2 ZPO in einem solchen Fall ausnahmsweise zuzumuten, darzulegen, dass sich die Gesellschaft im Zahlungszeitpunkt nicht in der Krise befunden hat5.
4. Gesellschafterähnliche Stellung des Dritten 314
Strebt die Gesellschaft die Geltendmachung von Ansprüchen gegen einen formell nicht an der Gesellschaft beteiligten Dritten an, muss sie seine gesellschafterähnliche Stellung darlegen und beweisen. Insbesondere muss substantiiert vorgetragen werden, dass die Mittel im wirtschaftlichen Ergebnis vom Gesellschafter stammen (vgl. Rz. 103). Daher kann auch nicht vermutet werden, dass eine Zahlung von einem nahen Angehörigen dem Gesellschafter zuzurechnen ist6. Der zulässige Anscheinsbeweis bedarf weiterer Hinweise zur Feststellung der gesellschafterähnlichen Stellung des Dritten. Hinsichtlich der Zurechnung von Drittleistungen im Konzern besteht Streit in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Rz. 110 f.). Die erforderlichen Vorausset1 Goette, DStR 1999, 553 (555) – Anmerkung zum BGH v. 1. 3. 1999 – II ZR 362/97. 2 BGH v. 27. 11. 1989 – II ZR 43/89, ZIP 1990, 98 (100 f.). 3 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.74; für die GmbHG & Co. KG im Ergebnis ähnlich: OLG Hamburg v. 8. 12. 1989 – 11 U 154/89, GmbHR 1991, 103 (109). 4 BGH v. 17. 2. 2003 – II ZR 281/00, ZInsO 2003, 323 (324), hierzu: Blöse, ZIP 2003, 1687 ff.; Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2007, Rz. 39; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 32a/b Rz. 90. 5 BGH v. 17. 2. 2003 – II ZR 281/00, ZInsO 2003, 323 (324); Blöse, ZIP 2003, 1687 (1688). 6 BGH v. 18. 2. 1991 – II ZR 259/89, ZIP 1991, 366 (366 f.).
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Gerichtsstand
Rz. 318
§4
zungen müssen von der Gesellschaft oder dem Insolvenzverwalter im Prozess jedenfalls substantiiert vorgetragen werden.
5. Privilegierungstatbestände (§ 32a Abs. 3 GmbHG) Beruft sich der Gesellschafter auf das Kleingesellschafterprivileg gemäß § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG, hat er auch darzulegen und zu beweisen, dass sein Anteil an der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Leistungsgewährung bzw. deren Belassung weniger als 10% betrug1. Eine Ausnahme von diesem Prinzip kann sich nur insoweit ergeben, als die Gesellschaft behauptet, dass Kredite koordiniert vergeben wurden oder ein sonstiger Ausnahmetatbestand vorliege, so dass die formell bestehende Kleingesellschafter-Stellung nicht greife (vgl. Rz. 76). In dieser Fallgestaltung dürfte wohl die Gesellschaft bzw. den Insolvenzverwalter die Beweislast nach den allgemeinen Regeln treffen. Allerdings wird vertreten, die Erklärungspflicht des Gegners gemäß § 138 Abs. 2 ZPO zu erhöhen oder gar eine Beweislastumkehr zu bewirken, da diese Tatsachen für den Insolvenzverwalter ansonsten kaum zu rekonstruieren wären2.
315
Macht der Gesellschafter sein Sanierungsprivileg gemäß § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG geltend, ist er auch für diese Ausnahmetatbestandsmerkmale darlegungs- und beweispflichtig3. Insofern muss er sowohl die objektive Sanierungsmöglichkeit als auch seinen Sanierungswillen unter Beweis stellen (vgl. Rz. 78 f.).
! Hinweis für den beratenden Rechtsanwalt: Aufgrund dieser Verteilung der Beweislast ist die Erstellung und schriftliche Fixierung eines Sanierungskonzepts bereits im Vorfeld der Beteiligungsübernahme dringendst zu empfehlen. Ist ein objektiv geeignetes Sanierungskonzept vor Erwerb der Gesellschaftsbeteiligung erstellt worden, wird der subjektive Sanierungswille im Regelfall zu vermuten sein4. Rechtsprechung hierzu gibt es jedoch – soweit ersichtlich – nicht. Einstweilen frei.
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317
VII. Gerichtsstand Die Bestimmung des zuständigen Gerichts für Streitigkeiten, denen das Eigenkapitalersatzrecht zugrunde liegt, richtet sich zunächst nach den allgemeinen 1 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.76; wohl a.A.: Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 211, der das Nicht-Vorliegen des Privilegs als objektive Voraussetzung des eigenkapitalersetzenden Charakters der Leistung betrachtet. 2 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.76 m.w.N. 3 Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 211. 4 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.77; Pentz in Rowedder, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 32a Rz. 211.
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§4
Rz. 319
Eigenkapitalersatzrecht
Regeln der ZPO und des GVG. Insofern ist zwischen der sachlichen, funktionellen und örtlichen Zuständigkeit des Gerichts zu unterscheiden. Zudem wird die Bestimmung des Gerichtsstandes bei Streitigkeiten mit europäischem Bezug vom Gemeinschaftsrecht beeinflusst.
1. Sachliche Zuständigkeit 319
Auch bei Klagen aus dem Eigenkapitalersatzrecht richtet sich die sachliche Zuständigkeit des Gerichts nach dem Streitwert. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG gelten in dieser Hinsicht uneingeschränkt.
2. Funktionelle Zuständigkeit 320
Soweit sich nach der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit ein Landgericht als zuständig erweist, ist die Kammer für Handelssachen funktionell zuständig für Klagen aus Eigenkapitalersatz. Selbst wenn man ihre Zuständigkeit für insolvenzrechtliche Fragen verneint, ist das Eigenkapitalersatzrecht Gesellschaftsrecht, so dass diese Kammer gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 GVG für sämtliche Rechtsstreitigkeiten aus Eigenkapitalersatzrecht zuständig ist1. Die Ausgestaltung des Rückerstattungsanspruchs in der Insolvenz als Anfechtungsanspruch ändert diese Beurteilung nicht. Die Rechte und Pflichten des Gesellschafters ergeben sich auch hier aus dem gesellschaftsrechtlichen Verhältnis der Gesellschafter untereinander2. Insofern ist in Fällen des Eigenkapitalersatzes nach den Novellenregeln die Kammer für Handelssachen zuständig. Auch die Gleichstellung eines Dritten mit einem Gesellschafter ändert diese Beurteilung nicht, da der Dritte in dieser Fallgestaltung wie ein Gesellschafter Rechte und Pflichten gegenüber der Gesellschaft übernimmt3. Zudem gilt dieser Grundsatz für Verfahren vor dem Landgericht als Berufungsinstanz (§ 100 GVG).
3. Örtliche Zuständigkeit 321
Besondere Bedeutung im Insolvenzverfahren kann die Frage nach dem örtlich zuständigen Gericht erlangen, wenn der Gesellschafter seinen Wohnsitz nicht am Sitz der Gesellschaft hat. Der allgemeine Gerichtsstand für etwaige Klagen des Gesellschafters auf Rückgewähr einer eigenkapitalersetzenden Leistung ist das Gericht am Sitz der Gesellschaft (§§ 12, 17 ZPO). Allerdings ist der allgemeine Gerichtsstand des Gesellschafters das Gericht seines Wohnsitzes. Für Klagen der Gesellschaft bzw. des Insolvenzverwalters gegen den Gesellschafter wäre somit dieses Gericht örtlich zuständig (§§ 12, 13 ZPO).
322
Indes könnte ein besonderer Gerichtsstand für Klagen aus Eigenkapitalersatzrecht aufgrund der besonderen Rechtsmaterie bestehen. Denkbar wäre zu1 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.4. 2 LG Hamburg v. 19. 1. 1998 – 309 O 88/96, ZIP 1998, 480 (480). 3 OLG Bremen v. 25. 9. 1997 – 2 U 83/97, RIW 1998, 63 (64).
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Gerichtsstand
Rz. 326
§4
nächst die Anwendung des § 29a ZPO auf Klagen aus einer eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung, soweit Räumlichkeiten vermietet oder verpachtet werden. Dies wird jedoch von der herrschenden Meinung abgelehnt, da der gesellschaftsrechtliche Aspekt den der Gebrauchsüberlassung überlagert1. Vielmehr ergeben sich die Rechte und Pflichten der Parteien aus der Mitgliedschaft in der Gesellschaft. Aus diesem Grund ist das Gericht am Sitz der Gesellschaft regelmäßig gemäß § 22 ZPO für Klagen im Zusammenhang mit Eigenkapitalersatz zuständig2. Ein besonderer Gerichtsstand kann sich auch aus dem Erfüllungsort ergeben (§ 29 Abs. 1 ZPO). Der Erfüllungsort im Sinne des § 29 Abs. 1 ZPO bestimmt sich nach dem materiellen Recht. Für Forderungen der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter ist der Ort des Gesellschaftssitzes der allgemeine Erfüllungsort3. Für Forderungsfeststellungsklagen des Gesellschafters im Insolvenzverfahren gilt der ausschließliche Gerichtsstand des Insolvenzgerichts oder des Landgerichts in dessen Bezirk, je nach sachlicher Zuständigkeit (§ 180 Abs. 1 InsO). Obwohl solche Klagen auch eigenkapitalersatzrechtlichen Bezug haben können, ist der ausschließliche Gerichtsstand der Forderungsfeststellungsklage maßgebend.
323
Gerichtsstandsvereinbarungen werden nur wirksam, wenn sie zwischen Kaufleuten, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlichen Sondervermögen zustande kommen (§ 38 Abs. 1 ZPO). Die GmbH ist Formkaufmann (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 6 Abs. 1 HGB). Dennoch sagt dies nichts über die Kaufmannseigenschaft des Gesellschafters aus. Allein seine Stellung als Gesellschafter qualifiziert ihn nicht als Kaufmann. Nur soweit ihm diese Eigenschaft anderweitig zukommt, kann er prorogationsfähig sein4.
324
! Hinweis: Eine Ausnahme bildet § 17 Abs. 3 ZPO: Wird ein Gerichtsstand für Streitigkeiten im Gesellschaftsvertrag vereinbart, gilt dies auch in der Insolvenz der Gesellschaft fort.
325
Der Insolvenzverwalter kann auch eine Schiedsvereinbarung für Streitigkeiten aus dem Eigenkapitalersatzrecht abschließen5. In diesem Zusammenhang ist jedoch das Zustimmungserfordernis des § 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO zu beachten.
326
1 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.4; LG Hamburg v. 19. 1. 1998 – 309 O 88/96, ZIP 1998, 480 (480). 2 OLG Karlsruhe v. 20. 1. 1998 – 4 W 169/97, ZIP 1998, 1005 (1006). 3 OLG Koblenz v. 11. 1. 2001 – 6 U 1199/98, NZG 2001, 759 (760); Heinrichs in Palandt, BGB, 62. Aufl. 2003, § 269 Rz. 13, 18; Kuckuk in Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 269 Rz. 13; wohl a.A.: Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.15. 4 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.23. 5 Johlke/Schröder in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 14.26.
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§4
Rz. 327
Eigenkapitalersatzrecht
4. Gemeinschaftsrechtlicher Bezug 327
Ferner stellt sich die Frage des Gerichtsstands bei eigenkapitalersatzrechtlichen Streitigkeiten in EU-weit1 tätigen Unternehmen, insbesondere in deren Insolvenz. Nach der bisher noch herrschenden Meinung findet die EuGVVO2 auf Eigenkapitalersatzklagen mit EU-Bezug Anwendung3. Danach ist der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 a EuGVVO bei Vertragsverhältnissen maßgebend. Die h.M. hält den Gesellschaftsvertrag für einen Vertrag im Sinne dieser Vorschrift4. Insofern ergibt sich der Erfüllungsort im Sinne dieser Vorschrift aus dem Gesellschaftsstatut5. Nimmt man den effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft als maßgeblichen Ausgangspunkt für diese Bestimmung an, werden Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland den Erfüllungsort für Forderungen der Gesellschaft gegen ihre Gesellschaftern am Ort des Gesellschaftssitzes haben6.
327a
Eine im Vordringen befindliche Ansicht lehnt diese Argumentation ab und möchte Art. 3 EuInsVO7 analog anwenden8. Dagegen spricht allerdings, dass in der EuInsVO gerade nicht eine solche Zuständigkeit geregelt wurde, sondern explizit nur die Eröffnungszuständigkeit9. Auf der anderen Seite würde so der Intention des Verordnungsgebers entsprochen, indem ein Gleichauf von Eröffnung und Prozessen geschaffen würde. Man müßte dann für die Zuständigkeit des Gerichtes nur nach dem „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interssen“ fra1 Hinsichtlich der Schweiz, Norwegen und Island gilt weiterhin das Luganer Übereinkommen v. 16. 9. 1988 (LugÜ). Hierzu hat das OLG München (v. 27. 7. 2006 – 7 U 2287/06, ZIP 2006, 2402) kürzlich geurteilt, dass Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 LugÜ (welches weitestgehend identisch in das EuGVÜ eingearbeitet und schließlich für die EG-Staaten durch das EuGVVO ersetzt wurde) zwar (1.) nicht auf Kapitalersatzklagen aus § 135 Nr. 2 InsO i.V.m. §§ 32a, b GmbHG anwendbar ist, so dass insoweit der Gerichtsstand des § 22 ZPO eröffnet ist, aber (2.) für Kapitalersatzklagen aus §§ 30, 31 GmbHG, weil es sich hierbei nicht um eine insolvenzrechtliche Streitigkeit handle. Damit greift für die Rechtsprechungsregelungen der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem. Art. 5 Nr. 1 LugÜ. 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12/1 v. 16. 1. 2001. 3 Dies ist jedoch sehr strittig. Für eine detaillierte Darstellung des Streits: Haas in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 15.21 ff.; Haas vertritt dabei die Ansicht, dass die insolvenzrechtlichen Statuten für Eigenkapitalersatzklagen anwendbar sind, so dass – in Ermangelung einer Anwendbarkeit der EuInsVO – auf nationales Recht zurückgegriffen werden sollte; zuletzt für die h.M.: OLG Frankfurt ZIP 2006, 769 (771). OLG Koblenz v. 11. 1. 2001 – 6 U 1199/98, NZG 2001, 759 (759 f.); eher beiläufig festgestellt: BGH v. 25. 6. 2001 – II ZR 38/99, ZIP 2001, 1458 (1458). 4 OLG Koblenz v. 11. 1. 2001 – 6 U 1199/98, NZG 2001, 759 (760). 5 Haas in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Rz. 15.46. 6 OLG Koblenz v. 11. 1. 2001 – 6 U 1199/98, NZG 2001, 759 (760). 7 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29. 5. 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO), ABl. L 160/1. 8 Paulus, EuInsVO, Art. 25 Rz. 21; Pannen/Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rz. 110. 9 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger, EuInsVO Art. 25 Rz. 37.
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Mustervereinbarungen
Rz. 328
§4
gen und könnte so mit objektiven Kriterien den Gerichtsstand ermitteln (im Einzelnen § 18 Rz. 91 ff.). Dabei wird nicht auf den Wohnsitz oder Sitz der Gesellschaft abgestellt, sondern es wird nach tatsächlichen objektiven Anhaltspunkten gefragt1. Angesichts der „Inspire Art-Entscheidung“2 des EuGH wird sich diese Beurteilung jedoch in Zukunft nicht unbedingt nach den vorgenannten Kriterien bestimmen, da ihnen die so genannte Sitztheorie3 zugrunde liegt. Die Entscheidung des EuGH ist jedoch als endgültige Absage an die Sitztheorie zu betrachten (für die Folgen für das Eigenkapitalersatzrecht Rz. 59b f., 383 f.). Die Anwendbarkeit eines ausländischen Gesellschaftsstatuts auf Gesellschaften mit ihrem Hauptverwaltungssitz im Inland, die von einem deutschen Insolvenzverwalter abgewickelt werden, ist möglich, wenn es im Sinne der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EGV) gerechtfertigt ist4. In diesem Fall fallen Gesellschafts- und Insolvenzstatut auseinander. Die Bestimmung des Erfüllungsorts würde sich in der Fallgestaltung nach einem ausländischen Gesellschaftsstatut richten, das Klagen aus Eigenkapitalersatzrecht – soweit überhaupt möglich – wesentlich erschweren wird. Die Rechtsprechung zu diesem Thema bleibt abzuwarten. Allerdings steht bereits jetzt fest, dass die Bestimmung eines ausländischen Gesellschaftsstatuts nicht nur auf die Bestimmung des Erfüllungsorts nach nationalem Recht, sondern auch auf die grundsätzliche Anwendbarkeit des Eigenkapitalrechts einen erheblichen Einfluss haben wird.
327b
VIII. Mustervereinbarungen 1. Vereinbarung über die Abgeltung einer Restnutzungsdauer Vereinbarung zwischen
328
Herrn Gustaf Gesell, Unter der Linde 1, 12345 Musterstadt und dem Rechtsanwalt Heinrich Helfer, handelnd nicht für sich selbst, sondern ausschließlich in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Blank GmbH, Zur Eiche 7, 12345 Musterstadt Präambel Die Geschäftsführung der Blank GmbH, HR B xxx des Amtsgerichts Musterstadt, hat am 1. 12. 2007 Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das Amtsgericht Musterstadt Herrn Rechts1 Zu Art. 3 EuInsVO und den Kriterien: AG Nürnberg v. 1. 10. 2006 – 8034 IN 1326/06, ZIP 2007, 83. 2 EuGH v. 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01, GmbHR 2003, 1260 mit Komm. Meilicke. 3 BGH v. 21. 9. 1995 – VII ZR 248/94, NJW 1996, 54 (55). 4 Vgl. Schumann, BB 2004, 743, 748 f.
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§4
Rz. 328
Eigenkapitalersatzrecht
anwalt Heinrich Helfer zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 15. 2. 2008 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Blank GmbH unter dem Aktenzeichen 13 XY 57/04 eröffnet und Herr Rechtsanwalt Heinrich Helfer zum Insolvenzverwalter ernannt worden. Herr Gesell ist mit einem Anteil von 25% an der Blank GmbH beteiligt. Die Blank GmbH ist seit dem 1. 1. 2001 Mieterin eines im Eigentum des Herrn Gesell stehenden Bürogebäudes, belegen in 12345 Musterstadt, Birkenweg 17 („Nutzungsgegenstand“). Nach dem Mietvertrag beträgt die Miete monatlich 1 022,58 Euro (ursprünglich 2 000 DM). Ortsüblich für ein Gebäude mit entsprechender Ausstattung und in entsprechender Lage sind 10 000 Euro. Der Mietvertrag ist auf 2 Jahre begrenzt mit der Option der Verlängerung. Ein entsprechender Mietvertrag von einem gesellschaftsfremden Vermieter wäre auf mindestens 15 Jahre ausgelegt worden, d.h. noch bis zum 31. 12. 2015. Die GmbH entrichtet bereits seit 8 Monaten keine Mietzahlungen mehr an Herrn Gesell. Die Parteien sind sich einig, dass die Überlassung des Nutzungsobjekts als Eigenkapitalersatz einzuordnen ist. Dies vorangestellt vereinbaren die Parteien Folgendes: 1. Rechtsanwalt Helfer ist als Insolvenzverwalter bis zum 28. 2. 2008* zur weiteren unentgeltlichen Nutzung des Nutzungsgegenstandes berechtigt. * Die weitere Nutzungsdauer durch den Insolvenzverwalter hängt im Einzelfall davon ab, inwieweit der überlassene Gegenstand für die Insolvenzmasse noch von Nutzen ist.
2. Am 1. 3. 2008 übergibt Rechtsanwalt Helfer in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter das Gebäude an Herrn Gesell gegen eine einmalige Zahlung in Höhe von … Euro*. Der Betrag ist zum 1. 3. 2008 fällig und ab dem 31. 3. 2008 mit 8% p.a. (acht von hundert) zu verzinsen. * Die Höhe der Entschädigungszahlung sollte sich unter anderem nach dem Marktwert für eine entsprechende Nutzung und nach der vereinbarten bzw. marktüblichen, angemessenen Nutzungsdauer richten. Hier besteht jedoch erheblicher Verhandlungsspielraum für den Insolvenzverwalter.
3. Herr Gesell verpflichtet sich, die in Nr. 2 genannte Zahlung auf das für das Insolvenzverfahren der Blank GmbH eingerichtete Anderkonto XY Bank BLZ: 333 333 33 Kto-Nr.: 12 345 678/90 Kontoinhaber: RA Helfer zu leisten. Mit Zahlung des gesamten Betrages sind sämtliche Ansprüche der Insolvenzmasse gegen Herrn Gesell hinsichtlich des Nutzungsgegenstandes und umgekehrt abgegolten. 4. Der Besitz an dem Nutzungsgegenstand geht am 1. 3. 2008 um 0:00 Uhr auf Herrn Gesell über, ohne dass es einer förmlichen Übergabe bedarf. Nutzungen, 396
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Mustervereinbarungen
Rz. 328
§4
Lasten sowie die Gefahr des zufälligen, selbst oder durch einen Dritten verschuldeten Untergangs des Nutzungsgegenstandes gehen ebenfalls zu diesem Zeitpunkt auf Herrn Gesell über. Der Untergang des Nutzungsgegenstandes vor dem vereinbarten Gefahrenübergang wirkt sich auf die Gültigkeit dieser Vereinbarung nicht aus, soweit es nicht auf ein Verschulden des Insolvenzverwalters zurückzuführen ist. Wird der Nutzungsgegenstand vor dem vereinbarten Zeitpunkt zufällig zerstört, geht dies zwar auch zu Lasten des Gesellschafters als Eigentümer. Der Insolvenzverwalter verliert jedoch zugleich die Möglichkeit, das Nutzungsrecht zu verwerten. Eine entsprechende Gefahrtragungsregel ist daher unabdingbar.
5. Jegliche Aufrechnungs- oder Zurückbehaltungsrechte in Ansehung der Verpflichtungen aus diesem Vertrag sind für den Gesellschafter ausgeschlossen, soweit sie nicht in diesem Vertrag ausdrücklich genannt sind. 6. Dieser Vertrag wird erst wirksam, wenn die für das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Blank GmbH einberufene Gläubigerversammlung bzw. ein für dieses Verfahren bestellter (vorläufiger) Gläubigerausschuss dem zustimmt (aufschiebende Bedingung). Diese Klausel ist das Grundmuster für alle Zustimmungserfordernisse, die bei Vertragsschluss noch nicht erfüllt sind. Es sollte jedoch schon im Vorhinein geklärt werden, ob die Zustimmung zu erwarten ist oder ob in dieser Hinsicht Probleme bestehen bzw. ob eine solche Zustimmung gemäß § 160 InsO überhaupt erforderlich ist.
7. Erfüllungsort und Gerichtsstand für alle sich aus diesem Vertrag ergebenden Pflichten und Streitigkeiten ist Musterstadt. Eine solche Klausel kann nur vereinbart werden, soweit der Gesellschafter ein Kaufmann ist (§ 38 ZPO).
8. Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam oder unzulässig sein oder werden, so behalten die übrigen Bestimmungen des Vertrages gleichwohl ihre Gültigkeit. Anstelle der unwirksamen oder unzulässigen Bestimmung gilt dasjenige als vereinbart, was der unwirksamen oder unzulässigen Bestimmung nach wirtschaftlicher Betrachtung am nächsten kommt. Vorstehender Satz gilt sinngemäß, falls der Vertrag eine Lücke aufweisen sollte. 9. Nebenabreden zu diesem Vertrag, z.B. in mündlicher Form, sind nicht getroffen worden. Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform, soweit für sie nicht eine andere Form gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist. Dies gilt auch für das vorstehende Schriftformerfordernis selbst. Jede Partei trägt die durch diesen Vertrag und seine Durchführung entstandenen bzw. entstehenden Kosten selbst. …
…
Ort, Datum
Heinrich Helfer
…
…
Ort, Datum
Gustaf Gesell
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§4
Rz. 329
Eigenkapitalersatzrecht
2. Rangrücktrittsvereinbarung für ein eigenkapitalersetzendes Gesellschaftsdarlehen Vereinbarung 329
zwischen der Blank-GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Y, Kleine Straße 4, 12345 Musterstadt, – im Folgenden „Gesellschaft“ – und Gustaf Gesell, Mittlere Straße 12, 12345 Musterstadt – im Folgenden „Gesellschafter“ – Präambel Der Gesellschafter ist mit einem Anteil von 15% an der Gesellschaft beteiligt. Am 1. 2. 2008 hat der Gesellschafter der Gesellschaft ein Darlehen in Höhe von 100 000 Euro gewährt. Die Parteien vereinbaren für dieses Darlehen folgenden Rangrücktritt: 1. Gegenüber sämtlichen gegenwärtigen oder künftigen Rechten und Forderungen, die allen anderen Gläubigern gegen die Gesellschaft zustehen, treten die Forderungen des Gesellschafters aus dem vorbezeichneten Darlehensvertrag im Range zurück, so dass, wenn und soweit ohne diesen Rangrücktritt eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft bestehen oder eintreten würde, so lange keine Zahlungen auf die Forderungen geleistet werden dürfen, wie der Zustand der Überschuldung bzw. der Zahlungsunfähigkeit fortdauern bzw. einzutreten drohen würde. Der Eintritt einer Überschuldung droht im Sinne von Satz 1, wenn ohne diesen Rangrücktritt eine Überschuldung der Gesellschaft voraussichtlich in absehbarer Zeit eintreten würde. 2. Sofern und solange der Eintritt einer Überschuldung der Gesellschaft droht oder eine Überschuldung der Gesellschaft bereits eingetreten ist sowie während der Dauer eines über das Vermögen der Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahrens, sollen die Forderungen aus dem Darlehensvertrag und die Zinsen so behandelt werden, als wären sie eine vom Gesellschafter erbrachte Einlage auf das satzungsmäßige Stammkapital der Gesellschaft.* Insbesondere wird der Darlehensgeber die Forderungen aus dem Darlehensvertrag in einem über das Vermögen der Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahren nicht als Forderung geltend machen. Ziffer 1 Satz 2 gilt hierfür entsprechend. * Stammt das Darlehen von einem Nicht-Gesellschafter, muss die Vereinbarung wie folgt ergänzt werden: „…, wobei der Darlehensgeber für die Zwecke der Regelung dieses Satzes so behandelt werden soll, als wäre er ein Gesellschafter der Gesellschaft.“
3. Die Forderungen des Gesellschafters auf Zahlung aller gegenwärtigen oder künftigen Forderungen aus dem Darlehensvertrag einschließlich Zinsen und Kosten sollen nur aus künftigen Gewinnen, aus Vermögens- oder Liquidationsüber398
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Mustervereinbarungen
Rz. 330
§4
schüssen oder aus sonstigem freien, nicht zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen, Vermögen erfüllt werden. 4. Für den Fall der Krise der Gesellschaft wird der Gesellschafter wegen seiner Forderungen erst nach vollständiger und endgültiger Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und – bis zur Abwendung der Krise – auch nicht vor, sondern nur zugleich mit den Einlagenrückgewähransprüchen der Mitgesellschafter berücksichtigt. Diese Klausel dient lediglich als Klarstellung zu Ziffer 1 und 2.
5. Auf Verlangen des Gesellschafters ist diese Rangrücktrittsvereinbarung aufzuheben, wenn das Stammkapital nicht durch Geltendmachung der Forderungen angegriffen wird und durch die Aufhebung keine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit entsteht oder zu entstehen droht. …
…
Ort, Datum
Y.
Geschäftsführer der Blank-GmbH …
…
Ort, Datum
Gustaf Gesell
3. Freistellungsvereinbarung für eine Gesellschaftersicherheit Freistellungsvereinbarung zwischen
330
der Blank-GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Y, Kleine Straße 4, 12345 Musterstadt, – im Folgenden „Gesellschaft“ – und Gustaf Gesell, Mittlere Straße 12, 12345 Musterstadt – im Folgenden „Gesellschafter“ – Präambel Der Gesellschafter ist mit einem Anteil von 15% an der Gesellschaft beteiligt. Die Gesellschaft hat am 1. 2. 2008 ein Darlehen in Höhe von 100 000 Euro von der B-Bank erhalten. Der Gesellschafter hat mit Datum desselben Tages eine Bürgschaftserklärung zugunsten der Gesellschaft gegenüber der Bank in Höhe von 100 000 Euro abgegeben. Die Parteien vereinbaren für dieses Darlehen folgende Freistellung: 1. Der Gesellschafter stellt die Gesellschaft von sämtlichen Ansprüchen der B-Bank aus dem gewährten Darlehen frei, sofern und solange eine ÜberschulUndritz
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§4
Rz. 331
Eigenkapitalersatzrecht
dung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ohne diese Freistellung bestehen oder einzutreten drohen würde. Der Gesellschafter erhält in Höhe des Freistellungsbetrages einen Regressanspruch gegen die Gesellschaft. Der Eintritt einer Überschuldung droht im Sinne von Satz 1, wenn ohne diesen Rangrücktritt eine Überschuldung der Gesellschaft voraussichtlich in absehbarer Zeit eintreten würde. 2. Der Regressanspruch des Gesellschafters wird, sofern und solange der Eintritt einer Überschuldung der Gesellschaft droht oder eine Überschuldung der Gesellschaft bereits eingetreten ist sowie während der Dauer eines über das Vermögen der Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahrens, erst zugleich mit den Ansprüchen der übrigen Gesellschafter auf Rückgewähr der Einlagen befriedigt und tritt somit gegenüber sämtlichen gegenwärtigen oder künftigen Rechten und Forderungen, die andere Gläubiger gegen die Gesellschaft zustehen, zurück; der Gesellschafter wird den Regressanspruch insofern als erbrachte Einlage auf das satzungsmäßige Stammkapital der Gesellschaft behandeln lassen und in einem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nicht geltend machen. Ziffer 1 Satz 3 gilt entsprechend. 3. Während der Dauer des Rangrücktritts sowie nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft wird der Gesellschafter wegen seines Regressanspruchs erst nach Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger berücksichtigt. 4. Der Gesellschafter erhält Befriedigung seines Regressanspruches nur aus dem nicht zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens, künftigen Gewinnen oder Vermögens- oder Liquidationsüberschüssen. 5. Auf Verlangen des Gesellschafters ist diese Rangrücktrittsvereinbarung aufzuheben, wenn das Stammkapital nicht durch Geltendmachung der Forderungen angegriffen wird und durch die Aufhebung keine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit entsteht oder zu entstehen droht. …
…
Ort, Datum
Y.
Geschäftsführer der Blank-GmbH …
…
Ort, Datum
Gustaf Gesell
IX. Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG 1. Einleitung 331
Die aktuellen Ereignisse im Bezug auf die angestrebte GmbH-Reform zwingen dazu, im Rahmen dieses Beitrages auch in gebotener Kürze auf diese Änderungen einzugehen. Da sich im Gesetzgebungsverfahren noch vieles ändern kann, 400
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Undritz
Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 335
§4
beschränkt sich die Darstellung auf die zentralen Problemstellungen (für eine ausführliche Darstellung der derzeit vorgesehenen Änderungen siehe die Synopse im Anhang Rz. 404). Ziel soll es sein, einen Überblick über die derzeit angestrebten Änderungen zu geben, um das weitere Gesetzgebungsverfahren kritisch verfolgen und schon jetzt auf einige mögliche Herausforderungen für die Praxis hinweisen zu können. a) Diskussion um eine Reform und Stand der Gesetzgebung Am 23. 5. 2007 hat die Bundesregierung einen Entwurf eines Gesetzes zur „Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“ (MoMiG-Regierungsentwurf) vorgestellt1. Dem vorangegangen war ein Entwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 29. 5. 2006 (Referentenentwurf). Nach ausgiebiger Diskussion und zahlreichen Nachbesserungen steht der Entwurf jetzt kurz vor der Umsetzung. Diese ist für Sommer/Herbst 2008 geplant.
332
Das MoMiG ist nach einem Vierteljahrhundert die erste grundlegende GmbHReform2. Neben vielen Änderungen auf verschiedenen Gebieten des Kapitalgesellschaftsrechts ist erklärtes Ziel des Entwurfes auch die „Deregulierung des Eigenkapitalersatzrechts“, welches nach Ansicht des Ministeriums zu komplex geworden ist und deshalb einer Vereinfachung bedarf3. Dies ist ganz auf der Linie des erklärten Ziels der Reform, nämlich zum einen die Rechtsform der GmbH besser gegen Missbräuche zu schützen und sie zum anderen zu deregulieren und zu modernisieren, um dadurch die Attraktivität gegenüber konkurrierenden ausländischen Rechtsformen zu steigern4.
333
Die zentralen Änderungen im Bezug auf das Eigenkapitalersatzrecht sind dabei5
334
–
die Abschaffung der Rechtsprechungsregeln durch einen Zusatz in § 30 GmbH-RegE;
–
die rechtsformneutrale Regelung in der Insolvenzordnung (Streichung der §§ 32a, b GmbHG und Novellierung in §§ 19, 39, 44a, 135 und 143 InsORegE); und
–
die Aufgabe des Merkmals „kapitalersetzend“.
Auch der 66. Deutsche Juristentag hatte die Änderungen in der Form des Referentenentwurfes, abgesehen von einigen Detailkorrekturen, mit überwältigender Mehrheit angenommen6. Zum Eigenkapitalersatzrecht wurden nicht weniger als sieben Beschlüsse gefasst7. Grundlegend für den Entwurf war der Artikel
1 Der Entwurf ist abrufbar unter www.bmj.de. Eine Zusammenfassung der Änderungen im Bezug auf das Eigenkapitalersatzrecht findet sich in der Synopse im Anhang. 2 Wacher, GmbHR 2007, R1. 3 Pressemitteilung des BMJ – „Zeit für Gründer“ v. 29. 5. 2006 (www.bmj.de). 4 Begründung RegE-MoMiG, S. 55. 5 Mit diesen Schwerpunkten Blöse, GmbHR 2007, R65 (R66). 6 Dazu Bork, ZGR 2007, 250 (251). 7 Ausführlich zur Abstimmung: Habersack, ZHR 170 (2006), 607 (610 ff.).
Undritz
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401
335
§4
Rz. 336
Eigenkapitalersatzrecht
von Huber/Habersack1, die eine umfassende Reform des Eigenkapitalersatzrechts forderten, wie sie jetzt weitgehend umgesetzt werden wird. b) Überblick über die geplanten Änderungen 336
Die Rechtsprechungsregeln werden durch einen Zusatz in § 30 Abs. 1 GmbHG-RegE abgeschafft. Gleichzeitig werden §§ 32a, b GmbHG sowie §§ 129a und 172a HGB (Novellenregeln) gestrichen und rechtsformneutral in der Insolvenzordnung geregelt. Zentrale Normen sind die §§ 39 und § 135 InsO-RegE. Dabei betragen die Anfechtungsfristen weiterhin 1 Jahr für die Anfechtung von Darlehen und 10 Jahre für die Anfechtung von Sicherheiten, die für ein Gesellschafterdarlehen gewährt wurden. Die Behandlung von Sicherheiten eines Drittdarlehens wird in §§ 43a, 135 Abs. 2 und 143 InsO-RegE geregelt. Parallel dazu wird der Regelungsgehalt des § 135 InsO-RegE in den neuen §§ 6 und 6a AnfG-RegE auch für den Fall, dass ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet wird, sichergestellt.
337
Nach geltendem Recht müssen eigenkapitalersetzende Darlehen oder vergleichbare Rechtshandlungen bei der Prüfung des insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus als Passivposten berücksichtigt werden, soweit dafür kein qualifizierter Rangrücktritt erklärt wurde. Dies wird durch einen neuen § 19 Abs. 2 Satz 3 InsO-RegE in Zukunft nicht mehr nötig sein. Danach sind Gesellschafterdarlehen in der Überschuldungsbilanz nicht mehr zu brücksichtigen. c) Neue Herausforderungen an einen Normzweck
338
Am Anfang einer Auseinandersetzung mit der Reform des Eigenkapitalersatzrechts muss die Frage nach dem Normzweck stehen. Diese Auseinandersetzung ist nicht allein akademischer Natur, da der Normzweck auch für den Rechtsanwender für die widerspruchsfreie Auslegung des Gesetzes unerlässlich ist2. Leider verzichtet der Entwurf auf den Versuch einer Legitimation und verweist nur auf die Nähe zwischen Gesellschafter und Gesellschaft3. Ein klar formulierter Normzweck ist aber Voraussetzung für die Bewertung des neuen Systems, da nur so nur etwa verbliebene Widersprüche aufgedeckt werden können.
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Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei den angestrebten Änderungen weniger um eine Reform, als vielmehr um einen Systemwechsel handelt, da jetzt alle Gesellschafterdarlehen, ungeachtet der bisher erforderlichen Finanzierungsverantwortung, von den Rechtsfolgen des Rechtsinstituts erfasst werden4. Ausschlaggebend soll eine bloße Nähe zwischen Gesellschafter und Gesellschaft sein5. Das ist ein „radikaler Bruch“ mit der bisherigen Rechtslage6. Bis1 2 3 4 5 6
Huber/Habersack, BB 2006, 1. Bork, ZGR 2007, 250 (257). Thiessen, DStR 2007, 202 (206). Mülbert, WM 2006, 1977 (1978). Hierzu kritisch: K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1932). Thiessen, DStR 2007, 202 (205).
402
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 343
§4
her wurde gefordert, dass der Gesellschafter eine Finanzierungsentscheidung getroffen hat, an der die Rechtsfolgen anknüpfen können1. Diese Rechtsfolgen haben ihre Grundlage in der sog. Finanzierungsverantwortung2, welche später zur Finanzierungsfolgenverantwortung „mutierte“3. Dabei musste der Gesellschafter die Verantwortung dafür tragen, dass er der Gesellschaft einmal ein Darlehen zur Verfügung gestellt hatte und dieses in der Krise der Gesellschaft trotz Möglichkeit nicht abgezogen hat. Eine grundsätzliche Nachschusspflicht hat der Gesellschafter nicht: Im GmbH-Recht herrscht grundsätzlich Finanzierungsfreiheit4. Fraglich ist, ob sich dieser bisherige Normzweck („Finanzierungsfolgenverantwortung“) noch mit den Regelungen des Regierungsentwurfs vereinbaren lässt5. Ausgangspunkt ist § 39 InsO-RegE als zentrale Norm des „neuen“ Kapitalersatzrechts und dabei die Tatsache, dass alle Gesellschafterdarlehen, unabhängig von einer „Krise“, vom neuen Tatbestand erfasst werden.
340
K. Schmidt6 behauptet, das Prinzip einer Finanzierungs(-folgen)verantwortung sei nicht mehr tragbar. Die Eliminierung der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfung und die Verortung der Regelungen im Insolvenzrecht führe zum Ende des „Eigenkapitalersatzgedankens“7. Anders sehen dies Bork8 und Thiessen9, die davon ausgehen, dass das Gesetz eine unwiderlegliche Vermutung aufstelle, alle Darlehen ein Jahr vor Insolvenzantragstellung seien „kapitalersetzend“10.
341
Wie U. Huber11 überzeugend darlegt, ist die Idee einer Finanzierungs(-folgen)verantwortung im Kontext der vorgesehenen gesetzlichen Regelung nicht mehr haltbar. Zum einen verzichtet der Entwurf auf die Existenz einer Finanzierungsentscheidung. Zum anderen sollen aber selbst Finanzierungsleistungen, die in der Krise gewährt werden, nicht von den Rechtsfolgen der neuen Regelung erfasst werden, sofern es nicht zur Insolvenz kommt. Dem Entwurf fehlt damit die Anknüpfung an eine „ordnungsgemäße Finanzierung“ des Unternehmens in der Krise12.
342
Vielmehr ist die einzige Voraussetzung für die Erfassung von Gesellschafterdarlehen nach dem MoMiG-Entwurf, dass es sich bei der fraglichen Gesellschaft um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung handelt. Daran muss die Legitimation ansetzen. Der Normzweck des „neuen“ Eigenkapitalersatzechts wird in diesem Zusammenhang von U. Huber13 als Ergänzung der Regeln
343
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Haas, ZInsO 2007, 617 (620). Grundlegend zur Finanzierungsverantwortung BGHZ 90, 381 (389). K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1926). Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1655). Für die folgende Darstellung siehe die ausführliche und überzeugende Untersuchung von U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259 ff. K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1932). K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1932). Bork, ZGR 2007, 250 (257). Thiessen, ZIP 2007, 253. So Bork, ZGR 2007, 250 (257); Thiessen, ZIP 2007, 253. U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259 (271 ff.). U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259 (272). U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259 (277).
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§4
Rz. 344
Eigenkapitalersatzrecht
über das Eigenkapital beschrieben. Danach werden Gesellschafterdarlehen bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der Insolvenz – ähnlich wie Eigenkapital – als Risikokapital behandelt. Dabei handele es sich nicht um eine dogmatische Herleitung oder eine Ableitung „höherrangigen Naturrechts“, sondern um eine positivrechtliche Entscheidung des Gesetzgebers: Gesellschafterdarlehen sind Risikokapital. 344
Logische Folge davon ist, dass Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz nachrangig sind, denn „Risikokapital ist nachrangig“1. Diese Entscheidung des Gesetzgebers überzeugt, da derjenige, der auf der einen Seite die Erträge aus seiner Gesellschaft erhält und dabei die Geschicke derselben beeinflussen kann, auf der anderen Seite auch das Risiko tragen muss2. Diese Verbindung stellt der Entwurf allerdings nicht explizit klar, sondern unterstellt einfach, dass es sich bei Gesellschafterdarlehen um Risikokapital handelt, ohne dies näher zu begründen3.
345
Die dogmatische Gleichschaltung von Gesellschafterdarlehen mit Risikokapital hat verschiedene Folgen:
346
–
§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wird weit auszulegen sein4.
–
Die Formulierungen müssen auf „Dritte“ ausgedehnt werden, sofern diese dem Gesellschafter und dessen Risikotragung zugerechnet werden können5.
–
In der Insolvenz bleibt es bei dem Fremdkapitalcharakter der Gesellschafterdarlehen; Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolge ist allein die Nachrangigkeit6. Grundsätzlich bleibt es bei der vom Gesellschafter gewählten Art der Finanzierung.
–
Für die Ermittlung der Gesellschaftereigenschaft von Dritten wird in besonderem Maße die (unmittelbare) Gewinnbeteiligung an der Unternehmung an Bedeutung gewinnen, da sie einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die korrespondierende Verantwortung darstellt7.
Nach alledem wird deutlich, dass selbst bei der angestrebten „Deregulierung des Eigenkapitalersatzrechts“ nicht davon gesprochen werden kann, dass alle Zweifelsfragen geklärt wurden. Im Gegenteil wird es einer erneuten ausführlichen Diskussion zur Legitimation der neuen Regelungen bedürfen, um letztendlich Rechtssicherheit bei der Auslegung des Rechts zu schaffen.
2. Kurzdarstellung und Bewertung der wichtigsten Änderungen 347
Im Folgenden werden die wichtigsten durch das MoMiG angestrebten Änderungen dargestellt und bewertet. Für einen vollständigen Überblick über das 1 2 3 4 5 6
K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1934). Tillmann, GmbHR 2006, 1289 (1291). Eidenmüller, ZGR 2007, 168 (193). U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259 (278). Dazu ausführlich U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259 (279). A.A. U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259 (281), der davon ausgeht, dass Gesellschafterfremd- und Gesellschaftereigenkapital in der Insolvenz gleich zu behandeln sind. 7 Tillmann, GmbHR 2006, 1289 (1291).
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 351
§4
„neue“ Eigenkapitalersatzecht sei auf die Synopse im Anhang verwiesen. In den dargestellten Paragraphen sind die Änderungen fett hervorgehoben. a) Aufgabe der Rechtsprechungsregeln (§ 30 S. 3 InsO-RegE) 348
§ 30 GmbHG – Rückzahlungen 1
(1) Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden. 2Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages (§ 291 des Aktiengesetzes) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind. 3Satz 1 ist zudem nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen. (2) 1Eingezahlte Nachschüsse können, soweit sie nicht zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich sind, an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. 2Die Zurückzahlung darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen, nachdem der Rückzahlungsbeschluss nach § 12 bekanntgemacht ist. 3Im Fall des § 28 Abs. 2 ist die Zurückzahlung von Nachschüssen vor der Volleinzahlung des Stammkapitals unzulässig. 4Zurückgezahlte Nachschüsse gelten als nicht eingezogen.
Die Rechtsprechungsregeln beruhten auf einer analogen Anwendung der § 30, 31 GmbHG. Für die Zukunft wird der Rechtsprechung mit dem neuen § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG-RegE in einem beispiellosen „Nichtanwendungserlass“1 eine analoge Anwendung der Kapitalerhaltungsregeln auf Gesellschafterdarlehen verboten. Damit können die Rechtsprechungsregeln als abgeschafft angesehen werden.
349
Für die Praxis wird dies allerdings keine bedeutende Auswirkungen haben. Die Bedeutung der Rechtsprechungsregeln erschöpft sich derzeit in der langen Verjährungsfrist des § 31 Abs. 5 GmbHG von 10 Jahren2.
350
Kritisch im Zusammenhang mit der Aufgabe der Rechtsprechungsregeln wird gesehen, dass dadurch die präventive Wirkung des Eigenkapitalersatzrechts verloren ginge, da der Geschäftsführer nun dem Rückzahlungsverlangen des Gesellschafters nachkommen muss, solange das Insolvenzverfahren nicht beantragt ist3. Damit würde die außergerichtliche Sanierung erschwert, da die Beteiligten den Gesellschaftern keine Einrede im Sinne des § 30 GmbHG mehr entgegen halten können4. Allerdings muss hier konzediert werden, dass diese Einrede des Geschäftsführers eher theoretischer als praktischer Natur ist. Es ist kein einziger Fall aus der Rechtsprechung bekannt, in der ein Geschäftsführer den Anspruch analog § 31 Abs. 1 GmbHG gegen den Gesellschafter einmal geltend gemacht hätte5. Auch die sonstige Praxis kennt diesen Einwand praktisch nicht.
351
1 Hölzle, GmbHR 2007, 729 (732). 2 Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2006, S. 134. 3 Bormann, DB 2006, 2616; Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457 (1461); Schäfer, DStR 2006, 2085 (2088). 4 Bork, ZGR 2007, 250 (264). 5 Haas, ZInsO 2007, 617 (619).
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§4
Rz. 352
Eigenkapitalersatzrecht
352
Diese Kritik ist insofern berechtigt, als das Stammkapital keine Rolle mehr spielen wird. Gerade jedoch im Hinblick auf die durch das MoMiG geplante Senkung des Mindeststammkapitals auf 10 000 Euro erscheint dies indes im neuen System ohne Weiteres hinnehmbar1. Aufgrund des Verlustes der präventiven Wirkung ist somit kein nennenswerter Verlust an Gläubigerschutz zu erwarten2.
353
Ein weiterer Aspekt der Abschaffung der Rechtsprechungsregeln ist, dass es die solidarische Haftung aller Gesellschafter gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG analog nicht mehr geben wird3. Dies geht im Ergebnis zwar zu Lasten des Gläubigerschutzes. Allerdings fiel es immer schwer, diese Mithaftung eines im Bezug auf das bestimmte Darlehen Unbeteiligten zu legitimieren. Deshalb ist die Aufgabe dieser Haftung auch nur folgerichtig im Konzept der Deregulierung des Eigenkapitalersatzechts. Die bisherige Rechtslage „schießt in diesem Punkt über das Ziel hinaus“4.
354
Die Folge der Aufgabe der Rechtsprechungsregeln ist auch, dass die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen in Zukunft erst in der Insolvenz problematisch wird5. Nicht mehr die Krise, sondern die Insolvenz ist nun „Dreh- und Angelpunkt“ des „neuen“ Eigenkapitalersatzrechts. b) Neue Verortung der Novellenregeln (§ 39 InsO-RegE)
355
§ 39 InsO – Nachrangige Insolvenzgläubiger (1) Im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger werden in folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, berichtigt: 1.
die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen der Forderungen der Insolvenzgläubiger;
2.
die Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen;
3.
Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten;
4.
Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners;
5.
nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.
(2) Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, werden im Zweifel nach den in Absatz 1 bezeichneten Forderungen berichtigt. (3) Die Zinsen der Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger und die Kosten, die diesen Gläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren entstehen, haben den gleichen Rang wie die Forderungen dieser Gläubiger. 1 Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1656). 2 Kleindiek, ZGR 2006, 335 (359), hält die allein ex-post wirkenden Instrumente des Insolvenzrechts für kaum gleichwertig. 3 Knof, ZInsO 2007, 125 (132). 4 Noack, DB 2006, 1475 (1481). 5 Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457 (1461).
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 359
§4
(4) 1Absatz 1 Nr. 5 gilt für Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. 2Erwirbt ein Gläubiger bei drohender oder eingetretender Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer Sanierung, führt dies bis zur nachhaltigen Sanierung nicht zur Anwendung von Absatz 1 Nr. 5 auf seine Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. (5) Absatz 1 Nr. 5 gilt nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinn des Absatzes 4 Satz 1, der mit zehn Prozent oder weniger am Haftkapital beteiligt ist.
Die §§ 32a, b GmbHG werden gestrichen und rechtsformneutral im neuen § 39 InsO-RegE geregelt. Die Anwendbarkeit auf alle Gesellschaftsformen mit (im Ergebnis) beschränkter Haftung wird dabei explizit in Abs. 4 Satz 1 InsORegE festgeschrieben. Das Sanierungs- und das Kleinbeteiligungsprivileg werden ebenfalls praktisch wortgleich übernommen (Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5) und sind damit auch auf alle Gesellschaftsformen mit beschränkter Haftung anwendbar, in denen auch das Eigenkapitalersatzrecht als solches anwendbar ist.
356
Die Verortung im Insolvenzrecht überzeugt, da nunmehr die durch die Erhöhung des Ausfallrisikos ausgelöste Gläubigerbeeinträchtigung den rechtfertigenden Grund für das Eigenkapitalersatzrecht darstellen soll1. Der Regelungsschwerpunkt liegt damit im Insolvenzrecht, da insbesondere der § 32a GmbHG als zentrale Norm der bisherigen Novellenregeln mit der dort geregelten insolvenzrechtlichen Rechtsfolge des Nachrangs an sich schon immer systematisch zuzurechnen war2.
357
Im Gegensatz zur alten Formulierung des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG, der regelte, dass die Vorschrift „sinngemäß für Rechtshandlungen eines Gesellschafters oder Dritten, die der Darlehensgewährung […] entspricht“ anwendbar ist, bezieht sich § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO-RegE nur noch auf „Gesellschafterdarlehen oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen entsprechen.“ Demnach ist fraglich, ob das „neue“ Eigenkapitalersatzrecht noch auf „Dritte“ anwendbar ist, da Gesellschafterdarlehen begriffslogisch nur von einem Gesellschafter gewährt werden können3. Die Folge wäre eine gravierende Verschlechterung des Gläubigerschutzes.
358
Von einer Beschränkung der Anwendbarkeit auf formelle Gesellschafter ist allerdings nicht auszugehen. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich keine gravierenden Änderungen in personeller und sachlicher Hinsicht ergeben werden4. Dies wurde auch in der Gesetzesbegründung nochmals explizit klar gestellt5. Falls dies sich vom Wortlaut her nicht eindeutig ergibt, ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung den „Dritten“ unter den neuen Wortlaut subsumieren wird6.
359
1 2 3 4 5 6
Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1656). Bork, ZGR 2007, 250 (252). So etwa Bittmann, GmbHR 2007, 70 (74); Bork, ZGR 2007, 250 (253 f.). Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1659). Begründung RegE-MoMiG, S. 130. Bork, ZGR 2007, 250 (254).
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§4
Rz. 360
Eigenkapitalersatzrecht
360
Eine weitere Neuerung ist, dass das „neue“ Eigenkapitalersatzrecht nicht mehr an dem Merkmal der „Krise“ oder dem eines „kapitalersetzenden Darlehens“ anknüpfen wird. In der Folge werden zahlreiche Abgrenzungsprobleme entfallen, die sich im Zusammenhang mit dem Beginn der Krise und deren Verhältnis zu den Insolvenzeröffnungsgründen ergeben hatten1. Allerdings wird die Aufgabe des Merkmals auch kritisch gesehen (dazu ausführlich Rz. 377)2.
361
Das Sanierungsprivileg wird aus dem GmbHG nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsORegE verschoben und stellt nun auf den Sanierungszweck für die Privilegierung und auf die „nachhaltige Sanierung“ für die Entsperrung ab. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung und dürfte sich deshalb in das bestehende System einfügen. Bei der Frage nach der Auslegung der Tatbestandsmerkmale wird man auf die heutige Rechtslage zurückgreifen können.
362
Das Kleinbeteiligungsprivileg wird in der derzeit vorgesehenen Fassung in § 39 Abs. 5 InsO-RegE geregelt werden. Dabei wird das Wort „Stammkapital“ durch den Verweis auf das „Haftkapital“ ersetzt. Dies soll sicherstellen, dass die Regelung auch auf andere Gesellschaftsformen als die GmbH und dabei insbesondere auch ausländische Gesellschaftsformen mit beschränkter Haftung anwendbar ist. Eine weitere inhaltliche Änderung ist damit voraussichtlich nicht verbunden3. Ob die Schwelle von 10 Prozent allerdings auf Auslandsgesellschaften übertragbar ist, bleibt abzuwarten4. Ein Sonderrecht für die AG mit einem durch die Rechtsprechung geprägten Schwellenwert von 25% wird es nicht mehr geben.
363
Teilweise wird vertreten, dass neben Darlehen und Rechtshandlungen, die solchen entsprechen, auch die Zinszahlungen anfechtbar sein sollen5. Dies soll sich aus der Ratio des § 39 Abs. 3 InsO herleiten lassen, da danach Zinsen den gleichen Rang wie die Hauptforderung haben. Ob daraus allerdings geschlossen werden kann, dass diese Wertungen auch für die Insolvenzanfechtung gelten, bleibt abzuwarten, ist aber vor dem Hintergrund des expliziten Wortlauts eher abzulehnen.
364
Der insolvenzrechtliche Nachrang, flankiert durch einen anfechtungsrechtlichen Umgehungsschutz, schafft eine unkompliziertere Regelung, die mit Gewissheit für mehr Rechtssicherheit sorgen wird6. Die neuen sowie die bekannten Streitfragen sind klar umrissen. Auf dieser Grundlage ist zu erwarten, dass die Auseinandersetzung mit den Problemstellungen durch Rechtsprechung und Wissenschaft bald an schärferen Konturen gewinnen wird.
1 2 3 4 5 6
Blöse, GmbHR 2007, R65 (R66); Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1657). So Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2006, S. 124. Bormann, DB 2006, 2616 (2618). Haas, ZInsO 2007, 617 (629). Bormann, DB 2006, 2616 (2617); kritisch dazu Mülbert, WM 2006, 1977 (1980). Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1656).
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 369
§4
c) Änderung bei der Anfechtung (§ 135 InsO-RegE) 365
§ 135 InsO – Gesellschafterdarlehen (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 oder für eine gleichgestellte Forderung 1.
Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist, oder
2.
Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.
(2) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs 1 Nr. 5 oder für eine gleichgestellte Forderung innerhalb der in Absatz 1 Nr. 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete.
Der § 135 Abs. 1 InsO-RegE entspricht weitestgehend dem alten § 135 InsO. Der Wortlaut wurde lediglich an die allgemeine Geltung für alle Gesellschafterdarlehen angepasst. Der Abs. 2 regelt in Verbindung mit § 143 Abs. 3 InsORegE die Anfechtbarkeit von Erstattungen von Darlehensrückzahlungen an einen Dritten, wenn der Gesellschafter eine Bürgschaft oder eine sonstige Sicherheit geleistet hat. Anfechtungsgegner ist dann gemäß § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO-RegE der Gesellschafter, der bei erfolgreicher Anfechtung den an ihn ausgekehrten Betrag zur Insolvenzmasse erstatten muss.
366
Mit dieser klaren Formulierung, dass in Zukunft alle Gesellschafterdarlehen innerhalb eines Jahres anfechtbar sein werden und mit der Aufgabe des Merkmals der „Krise“ ergibt sich für Gesellschafter ein klarer Rechtsrahmen, um die Anfechtbarkeit von Rückzahlungen und Nachrang von Gesellschafterdarlehen abschätzen zu können1.
367
Diese einfache Formulierung kann jedoch im Einzelfall zu Ungerechtigkeiten führen, wenn die Insolvenz durch ein plötzliches und unerwartetes Ereignis eintritt2. Denn das „Zufallsrisiko“3 wird nach dem jetzigen Entwurf allein dem Gesellschafter zugewiesen. Das Problem verschärft sich, wenn ein Gesellschafter Befriedigung für seine Darlehensforderung erhält, seine Beteiligung veräußert und innerhalb der Jahresfrist der Insolvenzfall eintritt. Wurde die Gesellschaft, aus der er ausgeschieden ist, wegen Umständen insolvent, für die nicht er, sondern sein Nachfolger verantwortlich ist, sind die Rückzahlungen an ihn auch anfechtbar und können zurückgefordert werden4. In Zukunft muss sich der Verkäufer deshalb vertraglich gegen solche Situationen absichern5.
368
Härten im Bezug auf das Zufallsrisiko könnten nach Ansicht von Haas6 durch eine analoge Anwendung des § 136 Abs. 2 InsO ausgeglichen werden. Ob dafür
369
1 2 3 4 5 6
Flitsch, DZWIR 2006, 398 (399). Flitsch, DZWIR 2006, 398 (399). Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756 (1759). Mülbert, WM 2006, 1977 (1978). Noack, DB 2007, 1395 (1398). Haas, ZInsO 2007, 617 (622).
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§4
Rz. 370
Eigenkapitalersatzrecht
allerdings eine Notwendigkeit besteht, muss sich in der praktischen Anwendung der Regelungen zeigen. d) Berücksichtigung von Gesellschafterdarlehen bei den Eröffnungsgründen (§ 19 Abs. 2 InsO-RegE) 370
§ 19 InsO – Überschuldung (1) Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Eröffnugnsgrund. (2) 1Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. 2Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. 3Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen, die in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 berichtigt werden, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen. (3) 1Ist bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. 2Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.
371
Gesellschafterdarlehen müssen in der Überschuldungsprüfung gemäß § 19 InsO-RegE nicht mehr berücksichtigt werden1. Dies ist aus Sicht der Praxis begrüßenswert, da damit der qualifizierte Rangrücktritt wahrscheinlich nicht mehr nötig sein wird. Diese Neuerung ist allerdings wohl systemwidrig und insgesamt der InsO nicht zuträglich (zur Kritik ausführlich Rz. 396 ff.)2.
372
Nicht anwendbar ist die Vorschrift bei Darlehen oder Rechtshandlungen, die dem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen, sofern sie von einem Dritten gewährt werden. Nach dem Wortlaut gilt die Vorschrift nämlich nicht für Darlehen von „Dritten“, sollten diese auch in den Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechts fallen3. Deshalb kann in diesem speziellen Fall auch nicht auf einen qualifizierten Rangrücktritt verzichtet werden, wenn man vermeiden will, dass die Darlehen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO-RegE von „Dritten“ in der Überschuldungsbilanz keine Berücksichtigung finden.
373
Die Regelung wird vielfach sehr kritisch gesehen, da sie zu einer Verschleppung der Insolvenzeröffnung führen kann (dazu Rz. 397 f.).
3. Praxisrelevante Änderungen und Auswirkung in der Praxis 374
Im Folgenden werden die für die Praxis relevantesten Änderungen dargestellt und ihre Auswirkungen kurz erörtert.
1 Die soll nach Ansicht von Ekkenga, WM 2006, 1986 (1995) allerdings nicht für Gesellschafterdarlehen gelten für die ein qualifizierter Rangrücktritt erklärt wurde. 2 Bormann, DB 2006, 2616 (2618). 3 Kammeter/Geißelmeier, NZI 2007, 214 (218).
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 379
§4
a) Aufgabe des Merkmals der „Krise“ Als zentrale Neuerung des „neuen“ Eigenkapitalersatzrechts wird die Aufgabe des Merkmals „Krise“ und der Einordnung als „kapitalersetzend“ genannt. Dies soll zu der „Bestattung“1 des Instituts der eigenkapitalersetzenden Darlehen führen. Richtig ist dabei, dass in Zukunft nicht mehr zwischen „normalen“ und „kapitalersetzenden“ Gesellschafterdarlehen unterschieden wird.
375
Praktisch werden diese Änderungen keine großen Auswirkungen haben, da die Rechtsprechung die Eigenkapitalersatzfunktion in den meisten Fällen der Rückzahlung im Jahr vor Antragstellung vermutete2 oder die Verstrickung mit den Grundsätzen über das Stehenlassen begründete (dazu Rz. 129 ff.)3. Eine Haftungsverschärfung ist damit in den meisten Fällen deshalb nicht verbunden4.
376
Zum Teil wird die Aufgabe des Merkmals jedoch vehement kritisiert5. Dabei wird darauf verwiesen, dass durch die Streichung des Merkmals der Krise das Eigenkapitalersatzecht seiner Legitimation „beraubt“ würde. Zudem bestehe die Gefahr, dass der Gläubigerschutz verkürzt werde, da die Krise in vielen Fällen deutlich länger als 1 Jahr zurückreiche. Die Folge sei eine Einschränkung der Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter.
377
Diese Kritik ist weitgehend abzulehnen. Die Beschränkung der Anfechtung auf ein Jahr und die Aufgabe des Merkmals der „Krise“ führt, wie schon dargelegt, zu keiner nennenswerten Haftungsverschärfung. Wenn die Krise auch schon längere Zeit andauert, besteht auch kein sachlicher Grund, eine Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter zu fördern. Eine weitere Gefährdung der Gläubiger auf dieser Ebene ist der Neuregelung nicht zu entnehmen. Vielmehr lösen sich durch die Neuregelung viele Probleme im Zusammenhang mit der Bestimmung der „Krise“.
378
Einziger berechtigter Kritikpunkt in dieser Hinsicht ist die bereits angesprochene Gefahr (Rz. 368), dass sich ein „Zufallsrisiko“ realisiert und es dem Gesellschafter nicht mehr möglich ist, sich zu exkulpieren. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, ob eine Regelung geschaffen werden sollte, die es dem Gesellschafter ermöglicht, darzulegen, dass eine Krise nicht vorgelegen habe6. Dies verstößt aber wiederum gegen den herausgearbeiteten Normzweck, der gar keine „Krise“ mehr kennt, sondern völlig unabhängig von einer ordnungsgemäßen Finanzierung des Gesellschafters Darlehen als Risikokapital einordnet. Zudem würde dies auch die angestrebte Vereinfachung der praktischen Handhabung zum Teil aushebeln und stünde auch in Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung zum noch geltenden § 135 InsO, die eine unwiderlegliche Vermutung der Krise im Ein-Jahres-Zeitraum erkennt.
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Tillmann, GmbHR 2006, 1289 (1290). BGH v. 30. 1. 2006 – II ZR 357/03, NZI 2006, 311. In diesem Sinne Bork, ZGR 2007, 250 (255 f.). Haas, ZInsO 2007, 617 (621). Insbesondere Schröder/Grau, ZInsO 2007, 353 (355). Bork, ZGR 2007, 250 (256).
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§4 380
Rz. 380
Eigenkapitalersatzrecht
Im Ergebnis ist die Abschaffung der „Krise“ zu begrüßen und wird für die Praxis dazu führen, dass das Kapitalersatzrecht einfacher zu handhaben sein wird, ohne dass es dadurch zu einer Haftungsverschärfung kommt. b) Anwendung auf (in- und ausländische) Gesellschaften
381
Die Folge einer einheitlichen Verortung des Eigenkapitalersatzrechts in der Insolvenzordnung führt dazu, dass dieses auf alle inländischen Gesellschaften mit beschränkter Haftung anwendbar ist.
382
Bei dem Eigenkapitalersatzecht in heutiger Form ist umstritten, ob es bei Insolvenz von europäischen Auslandsgesellschaften in Deutschland auf diese anwendbar ist. Dabei ist entscheidend, ob es sich beim Eigenkapitalersatzecht um Gesellschafts- oder Insolvenzrecht handelt. Handelt es sich nämlich um Insolvenzrecht, ist es als deutsches Insolvenzrecht im Rahmen der lex fori concursus gemäß Art. 4 EuInsVO1 bei Insolvenz der europäischen Auslandsgesellschaft in Deutschland anwendbar. Anders ist dies, wenn es sich beim Eigenkapitalersatzrecht um Gesellschaftsrecht handelt. Seit den EuGH-Urteilen Centros2, Überseering3 und Inspire Art4 steht fest, dass sich das Gesellschaftsstatut nach dem Gründungsrecht der jeweiligen Gesellschaft bestimmt. Damit wäre das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates anwendbar und nicht deutsches Gesellschaftsrecht5.
383
In seiner aktuellen Ausprägung mit Rechtsprechungs- und Novellenregeln ist das Eigenkapitalersatzrecht nur teilweise auf europäische Auslandsgesellschaften anwendbar6 (vgl. hierzu ausführlich Rz. 59a). So handelt es sich bei den Novellenregeln um Insolvenzrecht, die damit in der Insolvenz Anwendung finden. Die Rechtsprechungsregeln sind aus einer Analogie zu den Kapitalerhaltungsregeln entwickelt und deshalb originäres Gesellschaftsrecht und damit unanwendbar bei der Insolvenz einer Auslandsgesellschaft in Deutschland. Damit stellt das geltende Eigenkapitalersatzecht nach mancher Ansicht einen Wettbewerbsnachteil der GmbH gegenüber vielen anderen europäischen Gesellschaften dar7.
384
Die Folge der einheitlichen Regelung im Insolvenzrecht wird dazu führen, dass das Eigenkapitalersatzrecht dem Insolvenzstatut zuzuordnen ist und dann rechtsformneutral auf alle Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie eu-
1 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29. 5. 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO); für eine ausführliche Kommentierung siehe Pannen (Hrsg.), Europäische Insolvenzverordnung – Kommentar, 2007. 2 EuGH, NJW 1999, 2027. 3 EuGH, NJW 2002, 3614. 4 EuGH, NJW 2003, 3331. 5 Über den Stand der Diskussion vgl. Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 4 Rz. 15 ff. und für das Eigenkapitalersatzrecht insbesondere Rz. 90 ff. 6 Zum Folgenden Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 4 Rz. 90 ff.; U. Huber in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 131 ff. 7 Blöse, GmbHR 2007, R65.
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 388
§4
ropäische Auslandsgesellschaften anwendbar ist1. Mit der klaren Regelung in der InsO und der damit durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Verortung im Insolvenzstatut sind die letzten Zweifel an der Anwendbarkeit aus dem Weg geräumt2. Das Eigenkapitalersatzecht ist dann auf alle in- und ausländischen Gesellschaften mit beschränkter Haftung anzuwenden. Dies dürfte den Wettbewerb der deutschen und ausländischen Gesellschaften und damit insbesondere der englischen Limited (Ltd.) zumindest zum Teil entschärfen. c) Anfechtungsfrist und Aufgabe der Rechsprechungsregeln Sehr praxisrelevant ist das Zusammenspiel der Verjährungsfrist und der Abschaffung der Rechtsprechungsregeln. Während die Rechtsprechungsregeln gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG 10 Jahre zurück wirkten, hatte der § 135 Nr. 2 InsO nur eine Rückwirkungsfrist von einem Jahr. Dieser wesentliche Unterschied zwischen Novellen- und Rechtsprechungsregeln macht letztere für die Praxis so bedeutsam3.
385
Diese, je nach Standpunkt (Gesellschafter oder Gläubiger), als Vor- oder Nachteil empfundene Tatsache wird in der derzeitigen Fassung des MoMiG vereinheitlicht. Die lange Frist wird aufgrund des Wegfalls der Rechtssprechungsregeln entfallen. Anfechtbar sind nur Rückzahlungen eines Gesellschafterdarlehens im Jahr vor Insolvenzantragstellung (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO-RegE).
386
d) Ende der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung Die Abschaffung der Rechtsprechungsregeln wirft die Frage auf, ob die Novellenregeln noch eine ausreichende gesetzliche Grundlage für das Institut der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung darstellen oder dieses aufgegeben wird. Die von Insolvenzverwaltern geschätzte Konstruktion stellt nach dem derzeit geltenden Recht eine immense aber angesichts der Finanzierungsfolgenverantwortung hinnehmbare und auch berechenbare Belastung für die Gesellschafter dar.
387
Dabei wird teilweise vertreten, dass der in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO-RegE geregelten „Rückgewähr eines Darlehens“ die „Rückgabe der Mietsache“ gleichgestellt werden muss und deshalb auch im neuen Recht die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung bestehen bleibe4. In beiden Fällen sei ein Vermögenswert zur Nutzung auf Zeit überlassen worden: bei dem Darlehen das Geld, bei dem Mietvertrag das Grundstück5. Dies soll dazu führen, dass der Insolvenzverwalter die Rückgabe der Mietsache verweigern kann, was im Ergebnis bedeutet, dass er weiter berechtigt ist, diese unentgeltlich zu nutzen.
388
1 Bork, ZGR 2007, 250 (252, 268); so schon Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2006, S. 121 f.; Seibert, ZIP 2006, 1157 (1161); Schiffer, BB 2006, 14 (17). 2 Flitsch, DZWIR 2006, 398 (400). 3 Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2006, S. 134. 4 Bork, ZGR 2007, 250 (270); Bormann, DB 2006, 2616 (2617); kritisch zum Wegfall auch Haas, ZInsO 2007, 617 (623). 5 So Bork, ZGR 2007, 250 (266 f.).
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§4
Rz. 389
Eigenkapitalersatzrecht
389
Eine besondere Begründung dafür hat Hölzle1, der die Ansicht vertritt, dass die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung zwar bestehen bleibe, aber anders begründet werden müsse. So sollen nämlich die Mietansprüche des Gesellschafters bei Überlassung der Mietsache auch im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO-RegE nachrangig werden. Dies führe dazu, dass die Gesellschaft mit ihrer Zahlungspflicht nicht in Verzug komme. Folge sei, dass dem Gesellschafter mangels Verzuges aufgrund der Nachrangigkeit der Mietforderungen kein außerordentliches Kündigungsrecht zustehe. Das Ergebnis sei weiterhin die Pflicht zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung.
390
Diese Ansichten sind abzulehnen. Mit Wegfall der Rechtsprechungsregeln fällt der einzige dogmatische Anknüpfungspunkt weg2. Die §§ 103 ff. InsO sind auch nicht anwendbar, da die Vereinbarung eines Nutzungsrechts deren Anwendungsbereich nicht berührt mit der Folge, dass bei dem Rückgewähranspruch § 41 InsO zum Tragen kommt3. Die Folge der sofortigen Fälligkeit des Rückgewähranspruchs stellt im Ergebnis wohl das Ende der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung dar. Sie kann nicht mehr mit einer Analogie zu den Kapitalerhaltungsregeln begründet werden. Weiterhin kann in einer Nutzungsüberlassung keine anfechtbare Leistung gesehen werden4. Falls ein Insolvenzverwalter eine überlassene Sache weiter entgeltlich benutzen möchte, stehen ihm dafür in Zukunft nur noch §§ 103 ff. InsO zur Verfügung, woraus sich unter Umständen ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters für den Eintritt in bestehende Dauerschuldverhältnisse ergeben kann5.
391
Dieses Ergebnis wird jetzt auch in der Gesetzesbegründung klar gestellt6. Danach würde sich in den Neuregelungen keine Grundlage mehr für die Legitimation finden, da die neue Systematik nicht mehr an einer „eigenkapitalersetzenden“ Leistung anknüpft. Auch gebe es durch die Insolvenz keinen Wechsel in der Eigentümerstellung. Die Folge ist voraussichtlich das Ende der weit reichenden Rechtsfolgen der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung. Die Gefahr, wie es Hommelhoff7 formuliert, dass bei Abschaffung der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung nur noch „das Verhalten rechtlich einfältiger Gesellschafter“ sanktioniert und damit die Legitimation des Eigenkapitalersatzrechts aufs Spiel gesetzt werde, kann jedoch nicht von der Hand gewiesen werden. Denn nunmehr können Immobilien wohl weitestgehend sanktionslos überlassen werden, um der Gesellschaft den Eindruck der Solvenz zu verleihen. Lediglich im Jahr vor dem Insolvenzantrag geleistete Mietzahlungen wird der Insolvenzverwalter zur Masse zurückholen können. Hier wäre evtl. Raum für eine neue gesetzliche Regelung.
1 Hölzle, GmbHR 2007, 729 (735). 2 Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1659); Centrale für GmbH Dr. Otto Schmidt, GmbHR 2006, 978 (981); Noack, DB 2006, 1475 (1481); Noack, DB 2007, 1395 (1398). 3 Mülbert, WM 2006, 1977 (1980). 4 K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1933). 5 So auch Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1659). 6 Begründung RegE-MoMiG, S. 130. 7 Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2006, S. 131.
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 395
§4
4. Mögliche Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren Das MoMiG befindet sich derzeit noch im Gesetzesverfahren und es sind noch Änderungen zu erwarten. Ob diese für die in der folgenden Darstellung angesprochenen Punkte eintreten werden, ist völlig ungewiss. Es handelt sich indes um sehr umstrittene Problemkreise, die im Folgenden mit der Fundamentalkritik kurz dargestellt werden.
392
a) Längere Anfechtungsfrist Wie schon dargelegt (dazu Rz. 385 f.) verkürzt sich durch die Abschaffung der Rechtsprechungsregeln die Wirkungsdauer des Eigenkapitalersatzrechts auf nur 1 Jahr vor Insolvenzantragstellung. Diese Anfechtungsfrist ist zu kurz bemessen1. Das zeigt sich schon darin, dass die einzige rechtspolitische Bedeutung der Rechtsprechungsregeln in der langen Verjährungsfrist liegt2. Durch die kurze Frist kann es Geschäftsführern missbräuchlich gelingen, die insolvenzreife Gesellschaft über ein Jahr fortzuführen, um so die Rückzahlungen „anfechtungsfest“ zu machen3. Die Folge wären deutlich geringere Befriedigungsquoten der Gläubiger, da in deutlich geringerem Umfang Rückzahlungen rückabgewickelt werden könnten4.
393
Deshalb sollte die Anfechtungsfrist auf 2 bis 3 Jahre ausgedehnt werden5. Dabei muss im Auge behalten werden, dass ein mit dem MoMiG angestrebtes insolvenzrechtliches Konzept ähnlich effektiv sein muss wie das jetzige zweispurige System6. Eine Ausdehnung der Anfechtungsfrist über die vorgeschlagenen 2 Jahre hinaus ist zwar nur noch schwer zu rechtfertigen, da der Zusammenhang zwischen Rückzahlung und Insolvenz nur noch schwer feststellbar sein könnte7. Hier zeigt die Praxis jedoch, dass viele Gesellschafter einen längeren Zeitraum zum „Begräbnis“ ihrer Gesellschaft ausschöpfen, so dass ein längerer Anfechtungszeitraum aus hiesiger Sicht durchaus in Betracht kommt. Geht man vom fundamentalen Gedanken des Risikokapitals statt Finanzierungsfolgenverantwortung aus, erscheint eine solche Regelung auch gut vertretbar.
394
Eine andere Möglichkeit ist die Rückrechnung des Zeitpunktes des Beginns der Jahresfrist auf die Insolvenzreife und nicht auf die Antragstellung8. Allerdings würden damit die bekannten Abgrenzungsschwierigkeiten wieder auftreten, die schon bei dem Tatbestandsmerkmal der Krise die Gerichte beschäftig-
395
1 Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1657); so schon Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2005, S. 122. 2 Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2006, S. 134; Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1656). 3 In diesem Sinne Ekkenga, WM 2006, 1986; Hölzle, GmbHR 2007, 729 (733); Thiessen, ZIP 2007, 253 (255). 4 Bormann, DB 2006, 2616 (2617). 5 Für 2 Jahre: Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1657 f.); Bork, ZGR 2007, 250 (265). 6 Hommelhoff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), 2006, S. 123, mit Blick auf eine etwaige Verlängerung auch Kleindiek, ZGR 2006, 335 (359). 7 So auch Bayer/Graff, DStR 2006, 1654 (1658). 8 Hölzle, GmbHR 2007, 729 (733).
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§4
Rz. 396
Eigenkapitalersatzrecht
ten. Insofern wäre es zu begrüßen, die Anfechtungsfrist auf mindestens 2 Jahre auszudehnen. b) Berücksichtigung bei der Überschuldungsprüfung (§ 19 Abs. 2 Satz 3 InsORegE) 396
Weiterhin sehr kritisch zu betrachten ist die vorgesehene Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 3 InsO-RegE und damit die Nichtberücksichtigung der Gesellschafterdarlehen bei der Überschuldungsprüfung. Auf diese Regelung sollte aus hiesiger Sicht verzichtet werden1.
397
Die Regelung hätte, da die Überschuldung erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt, nämlich die Wirkung, dass der Insolvenzantrag weiter nach hinten verschoben wird, was den Zielen der Insolvenzordnung entgegen läuft2. Die Folge einer späteren Antragstellung wäre, dass mehr masselose Verfahren zu erwarten sind, was sich im Hinblick auf die erklärten Ziele der Insolvenzrechtsreform sowie die optimale Gläubigerbefriedigung negativ auswirken würde3.
398
Der in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO-RegE geregelte Nachrang zwingt den Gesellschafter dazu, die Verantwortung für die durch das Gesellschafterdarlehen eingetreten Gläubigerbenachteiligungen zu tragen4. Dieser Ausgleich würde der Gläubigergesamtheit wieder genommen, wenn die Finanzierungshilfe in der Überschuldungsbilanz nicht passiviert werden müsste5. Der gesetzliche Nachrang schützt die Gläubiger nämlich nur so weit, wie noch ausreichend Masse vorhanden ist, hinter die die Gesellschafterforderung zurücktreten kann6. Wie bereits an anderer Stelle ausführlich dargestellt (vgl. Rz. 248 ff.), muss der Rangrücktritt die Forderung im Rang nach § 39 Abs. 2 zurücktreten lassen, um diese gewünschte Wirkung zu erzielen. Die vorgesehene Regelung sollte aus hiesiger Sicht aufgegeben werden und es weiter dem Gesellschafter überlassen werden, ob er durch die ausdrückliche Erklärung eines Rangrücktritts erreicht, dass die Gesellschafterdarlehen in der Überschuldungsbilanz nicht mehr berücksichtigt werden müssen. c) Klarstellung der Aufgabe der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung
399
Wie schon dargelegt, wird es die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung mit den jetzigen Rechtsfolgen wohl nicht mehr geben (dazu Rz. 387 ff.). Dies wird auch durch die Gesetzesbegründung klar gestellt7. Allerdings wird dort 1 Bork, ZGR 2007, 250 (262); Bormann, DB 2006, 2616 (2619); Haas, NZI aktuell Heft 20, VII; Haas, ZInsO 2007, 617 (626); Hölzle, GmbHR 2007, 729 (736); K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1931). 2 Bork, ZGR 2007, 250 (262). 3 Haas, ZInsO 2007, 617 (626); Knof, ZInsO 2007, 125 (127). 4 Dazu und zum Folgenden Haas, NZI aktuell Heft 20, VII, VIII. 5 Haas, ZInsO 2007, 617 (627). 6 Mit dem Hinweis, dass der Rangrücktritt die Interessen der Gläubiger ausreichend schützt Ehinger, BB 2006, 2701 (2705). Dem ist allerdings nicht zu folgen, da die Berücksichtigung in der Überschuldung gerade den durch den Rangrücktritt erreichten Vorrang sichert. Mit der angestrebten Änderung würde dieser Vorteil entfallen. 7 Begründung RegE-MoMiG, S. 130.
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 402
§4
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine gesetzlichen Klarstellung nicht nötig sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie oben dargestellt hat sich eine lebhafte Diskussion über die Frage entwickelt. Wie der Gesetzgeber in der Begründung zum Ausdruck bringt, entspricht es seinem Willen, dass es das Institut so nicht mehr geben wird. Dies sollte, um jegliche Zweifel zu zerstreuen, im Gesetz ausdrücklich geregelt werden. Nach dem österreichischen Vorbild könnte ein Hinweis, dass das „neue“ Eigenkapitalersatzrecht im Falle einer Nutzungsüberlassung die „Kreditgewährung nur das Entgelt betreffen, nicht aber in der Nutzungsüberlassung selbst liegen könnte“, dieses Problem lösen1. d) Redaktionelle Änderungen § 135 Abs. 2 InsO-RegE nimmt auf Gesellschafterdarlehen von einem „Dritten“ Bezug . Gesellschafterdarlehen können indes begriffslogisch nicht von einem Dritten gewährt werden, da dieser nicht „Gesellschafter“ ist. Gemeint sind damit „echte“ Drittmittel, die von einem Gesellschafter besichert werden. Im Ergebnis soll es aber nach der Gesetzesbegründung keine Änderungen zu der bisherigen Rechtslage geben, und es ist deshalb anzunehmen, dass damit auch „echte“ Darlehen eines Dritten gemeint sind. Nach dem jetzigen Wortlaut hat die Vorschrift allerdings keinen direkten Anwendungsbereich2. Dies sollte angepasst werden.
400
Weiterhin fehlt es nach dem bisherigen Entwurf an Übergangsvorschriften. Dies betrifft z.B. die Frage, ob die neuen Regelungen nur für Gesellschafterdarlehen gelten, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gewährt werden oder auch für Altdarlehen. „Ob der Art. 103d EGInsO-RegE den Anforderungen genügt ist zweifelhaft. Nach dem Wortlaut des Satzes 2 der Vorschrift gilt die Regelung für Rechtshandlungen vor der Reform nur für die Novellenregeln und nicht für die Rechtsprechungsregeln. Dies sollte angepasst werden, da ansonsten drei verschiedene Rechtslagen nebeneinander stehen würden (alte, alte ohne Rechtsprechungsregeln, aber mit „Krise“ und die neue).“
401
5. Fazit Bei der Reform von 1980 hatte der Gesetzgeber dem Eigenkapitalersatzrecht zwar „eine Stelle in den GmbHG-Kommentaren“3 zugewiesen, aber inhaltlich nur vorhandenes Rechtsprechungsrecht unzureichend kodifiziert. Der vorliegende Entwurf ist damit nicht vergleichbar. Wie Karsten Schmidt4 es formuliert, ist der MoMiG-Entwurf und dabei insbesondere die Vorschriften über das Eigenkapitalersatzrecht ein „Beleg legislatorischen Könnens“. Trotzdem wird es sich nicht vermeiden lassen, dass aufgrund des Einfallsreichtums der Gesellschafter und deren rechtlicher Berater im persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich weiterhin Abgrenzungsprobleme bestehen bleiben5. Nichtsdesto1 2 3 4 5
Begründung RegE-MoMiG, S. 130. Mit diesem Hinweis Hölzle, GmbHR 2007, 729 (733). K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1931). K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1934). Dazu K. Schmidt, ZIP 2006, 1925 (1934).
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402
§4
Rz. 403
Eigenkapitalersatzrecht
trotz ist der Umsetzung des Gesetzes mit positiven Erwartungen hinsichtlich der Rechtssicherheit entgegen zu blicken. 403
Zu guter Letzt noch ein Hinweis in eigener Sache auf die altbekannte Bezeichnung „Eigenkapitalersatzrecht“. Nach dem Entwurf wird es die „Krise“ nicht mehr geben und damit auch nicht das „eigenkapitalersetzende Darlehen“, wie es nach den heutigen Regeln noch durch „Umqualifizierung“ entsteht. Deshalb macht es wohl mehr Sinn, von der allgemeinen „Subordination von Gesellschafterdarlehen“ zu sprechen. An der Bezeichnung „Eigenkapitalersatzrecht“ sollte festgehalten werden. Sonst könnte man auch in der letzten Instanz davon reden, wie Tillmann1 es formuliert, dass das MoMiG zur „Bestattung des eigenkapitalersetzenden Darlehens“ führt. Dies kann im Hinblick auf eine einheitliche Diskussionsgrundlage nicht erstrebenswert sein. Es ist ausreichend, dass sich das Recht grundlegend verändert. An der bewährten Bezeichnung dürfte festgehalten werden.
6. Anhang: Synopse der neuen und alten Regelungen 404
Die Änderungen sind fett markiert.
§ 30 GmbHG
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
[Rückzahlungen]
[Rückzahlungen]
1Das
zur Erhaltung des (1) Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden. 2 Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages (§ 291 des Aktiengesetzes) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind. 3Satz 1 ist zudem nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen. 1 Tillmann, GmbHR 2006, 1289 (1290).
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(1) Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden.
Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 404
§4
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
(2) 1Eingezahlte Nachschüsse können, soweit sie nicht zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich sind, an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. 2Die Zurückzahlung darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen, nachdem der Rückzahlungsbeschluss nach § 12 bekanntgemacht ist. 3Im Fall des § 28 Abs. 2 ist die Zurückzahlung von Nachschüssen vor der Volleinzahlung des Stammkapitals unzulässig. 4 Zurückgezahlte Nachschüsse gelten als nicht eingezogen.
(2) 1Eingezahlte Nachschüsse können, soweit sie nicht zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich sind, an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. 2Die Zurückzahlung darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen, nachdem der Rückzahlungsbeschluss nach § 12 bekanntgemacht ist. 3Im Fall des § 28 Abs. 2 ist die Zurückzahlung von Nachschüssen vor der Volleinzahlung des Stammkapitals unzulässig. 4 Zurückgezahlte Nachschüsse gelten als nicht eingezogen.
§ 32a GmbHG aufgehoben
[Rückgewähr von Darlehen] (1) Hat ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), statt dessen ein Darlehen gewährt, so kann er den Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nur als nachrangiger Insolvenzgläubiger geltend machen. (2) Hat ein Dritter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten, statt dessen ein Darlehen gewährt und hat ihm ein Gesellschafter für die Rückgewähr des Darlehens eine Sicherung bestellt oder hat er sich dafür verbürgt, so kann der Dritte im Insolvenzverfahren über Undritz
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§4
Rz. 404
Eigenkapitalersatzrecht
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form das Vermögen der Gesellschaft nur für den Betrag verhältnismäßige Befriedigung verlangen, mit dem er bei der Inanspruchnahme der Sicherung oder des Bürgen ausgefallen ist. (3) 1Diese Vorschriften gelten sinngemäß für andere Rechtshandlungen eines Gesellschafters oder eines Dritten, die der Darlehensgewährung nach Absatz 1 oder 2 wirtschaftlich entsprechen. 2Die Regeln über den Eigenkapitalersatz gelten nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter, der mit zehn vom Hundert oder weniger am Stammkapital beteiligt ist. 3Erwirbt ein Darlehensgeber in der Krise der Gesellschaft Geschäftsanteile zum Zweck der Überwindung der Krise, führt dies für seine bestehenden oder neugewährten Kredite nicht zur Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz.
§ 32b GmbHG
aufgehoben
[Haftung für zurückgezahlte Darlehen] 1Hat
die Gesellschaft im Fall des § 32a Abs. 2, 3 das Darlehen im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag zurückgezahlt, so hat der Gesellschafter, der die Sicherung bestellt hatte oder als Bürge haftete, der Gesellschaft den zurückgezahlten Betrag zu erstatten; § 146 der Insolvenzordnung gilt entsprechend. 2Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des 420
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 404
§4
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form Betrages, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherung im Zeitpunkt der Rückzahlung des Darlehens entspricht. 3Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherung gedient hatten, der Gesellschaft zu ihrer Befriedigung zur Verfügung stellt. 4Diese Vorschriften gelten sinngemäß für andere Rechtshandlungen, die der Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechen.
§ 57 AktG
[Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen]
[Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen]
(1) 1Den Aktionären dürfen die Einlagen nicht zurückgewährt werden. 2Als Rückgewähr von Einlagen gilt nicht die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien. 3Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages (§ 291) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt sind. 4 Satz 1 ist zudem nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Aktionärsdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Aktionärsdarlehen wirtschaftlich entsprechen.
(1) 1Den Aktionären dürfen die Einlagen nicht zurückgewährt werden. 2Als Rückgewähr von Einlagen gilt nicht die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien.
(2) Den Aktionären dürfen Zinsen weder zugesagt noch ausgezahlt werden.
(2) Den Aktionären dürfen Zinsen weder zugesagt noch ausgezahlt werden. Undritz
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§4
Rz. 404
§ 19 InsO
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Eigenkapitalersatzrecht
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
(3) Vor Auflösung der Gesellschaft darf unter die Aktionäre nur der Bilanzgewinn verteilt werden.
(3) Vor Auflösung der Gesellschaft darf unter die Aktionäre nur der Bilanzgewinn verteilt werden.
[Überschuldung]
[Überschuldung]
(1) Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund.
(1) Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund.
(2) 1Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. 2Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. 3Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen, die in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 berichtigt werden, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.
(2) 1Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. 2Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.
(3) 1Ist bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. 2Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.
(3) 1Ist bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. 2Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.
Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
§ 39 InsO
Rz. 404
§4
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
[Nachrangige Insolvenzgläubiger]
[Nachrangige Insolvenzgläubiger]
(1) Im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger werden in folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, berichtigt:
(1) Im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger werden in folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, berichtigt:
1. die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen der Forderungen der Insolvenzgläubiger;
1. die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen der Forderungen der Insolvenzgläubiger;
2. die Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen;
2. die Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen;
3. Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten;
3. Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten;
4. Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners;
4. Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners;
5. nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.
5. Forderungen auf Rückgewähr des kapitalersetzenden Darlehens eines Gesellschafters ider gleichgestellte Forderungen.
(2) Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, werden im Zweifel nach den in Absatz 1 bezeichneten Forderungen berichtigt.
(2) Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, werden im Zweifel nach den in Absatz 1 bezeichneten Forderungen berichtigt.
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§4
Rz. 404
Eigenkapitalersatzrecht
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
(3) Die Zinsen der Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger und die Kosten, die diesen Gläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren entstehen, haben den gleichen Rang wie die Forderungen dieser Gläubiger.
(3) Die Zinsen der Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger und die Kosten, die diesen Gläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren entstehen, haben den gleichen Rang wie die Forderungen dieser Gläubiger.
(4) 1Absatz 1 Nr. 5 gilt für Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. 2Erwirbt ein Gläubiger bei drohender oder eingetretender Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer Sanierung, führt dies bis zur nachhaltigen Sanierung nicht zur Anwendung von Absatz 1 Nr. 5 auf seine Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. (5) Absatz 1 Nr. 5 gilt nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinn des Absatzes 4 Satz 1, der mit zehn Prozent oder weniger am Haftkapital beteiligt ist. § 44a InsO
[Gesicherte Darlehen] In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft kann ein Gläubiger nach der Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5 für eine Forde-
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Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
Regierungsentwurf des MoMiG
Rz. 404
§4
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
rung auf Rückgewähr eines Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung, für die ein Gesellschafter eine Sicherheit bestellt oder für die er sich verbürgt hat, nur anteilsmäßig Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, soweit er bei der Inanspruchnahme der Sicherheit oder des Bürgen ausgefallen ist. § 135 InsO
[Gesellschafterdarlehen]
[Kapitalersetzende Darlehen]
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 oder für eine gleichgestellte Forderung
Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines kapitalersetzenden Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung
1. Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist, oder 2. Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnugnsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. (2) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs 1 Nr. 5 oder für eine gleichgestellte Forderung innerhalb der in Absatz 1 Nr. 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete.
1. Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist; 2. Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.
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§4
Rz. 404
Eigenkapitalersatzrecht
Regierungsentwurf des MoMiG § 143 InsO
[Rechtsfolgen]
[Rechtsfolgen]
(1) 1Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. 2Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend.
(1) 1Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. 2Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend.
(2) 1Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist. 2Dies gilt nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muß, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.
(2) 1Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist. 2Dies gilt nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muß, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.
(3) 1Im Fall der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. 2Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. 3Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hatten, der Insolvenzmasse zur Verfügung stellt. 426
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Undritz
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
§ 6 AnfG1
Rz. 404
§4
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
[Gesellschafterdarlehen]
[Kapitalersetzende Darlehen]
(1) 1Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 der Insolvenzordnung oder für eine gleichgestellte Forderung
Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines kapitalersetzenden Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung
1. Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor Erlangung des vollstreckbaren Schuldtitels oder danach vorgenommen worden ist, oder
1. Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung vorgenommen worden ist;
2. Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor Erlangung des vollstreckbaren Titels oder danach vorgenommen worden ist.
2. Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor der Anfechtung vorgenommen worden ist.
2Wurde
ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 26 Abs. 1 der Insolvenzordnung abgewiesen, bevor der Gläubiger einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat, so beginnt die Anfechtungsfrist mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
(2) 1Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn nach dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger den vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat, drei Jahre verstrichen sind. 2Wurde die Handlung später vorgenommen, so ist die Anfechtung drei Jahre nach dem Schluss des Jahres aus1 Beachte im Rahmen des AnfG auch die zusätzlichen Änderungen in §§ 11 und 18 AnfG-RegE auf die hier aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet wurde.
Undritz
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§4
Rz. 404
Eigenkapitalersatzrecht
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
geschlossen, in dem die Handlung vorgenommen worden ist. § 6a AnfG
[Gesicherte Darlehen] 1
Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 der Insolvenzordnung oder für eine gleichgestellte Forderung innerhalb der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete. 2§ 6 Abs. 2 gilt entsprechend.
§ 129a HGB
aufgehoben
[Rückgewähr von Darlehen] 1
Bei der offenen Handelsgesellschaft, bei der kein Gesellschafter eine natürliche Person ist, gelten die §§ 32a und 32b des Gesetzes betreffend die Gesellschafter mit beschränkter Haftung sinngemäß mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Gesellschafter der Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Gesellschafter oder Mitglieder der Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft treten. 2 Dies gilt nicht, wenn zu den Gesellschaften der offenen Handelsgesellschaft eine andere offene Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.
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Undritz
Eigenkapitalersatzrecht nach dem Regierungsentwurf des MoMiG
§ 172a HGB
Rz. 404
§4
Regierungsentwurf des MoMiG
Eigenkapitalersatzrecht nach heutiger Form
aufgehoben
[Rückgewähr von Darlehen] 1Bei
einer Kommanditgesellschaft, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, gelten die §§ 32a, 32b des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sinngemäß mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Gesellschafter der Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Gesellschafter oder Mitglieder der persönlich haftenden Gesellschafter der Kommanditgesellschaft sowie die Kommanditisten treten. 2Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern der offenen Handelsgesellschaft eine offene Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.
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§ 5 Insolvenzstrafrecht Rz.
I. Die Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren beteiligten Personen . . . . . . . . . . . . 1. Vertretung des Schuldners/ Schuldnervertreters . . . . . . . . . . a) Position des Mandanten im Insolvenzverfahren . . . . . . . . b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vor der Krise . . . . . . . . . . (1) Vorliegen einer Krise . . . (2) Buchführungspflichten . (3) Beiseiteschaffen von Vermögen . . . . . . . . . . . . . (4) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen . . . . . . . . . . . . . . (5) Amtsniederlegung . . . . . (6) Checkliste: Beratung vor der Krise . . . . . . . . . . . bb) Nach Eintritt der Krise und vor Insolvenzantrag (1) Vorliegen einer Krise . . . (2) Buchführungspflichten . (3) Insolvenzantragspflichten . . . . . . . . . . . . . . (4) Beschaffung neuer Liquidität . . . . . . . . . . . . . (a) Neue Kredite . . . . . . . . . . (b) Gebrauch von Scheckund Kreditkarten . . . . . . (5) Beiseiteschaffen von Vermögen . . . . . . . . . . . . . (6) Sonstige Vermögensminderungen . . . . . . . . . . (7) Die Weiterführung des Geschäftsbetriebes . . . . . (a) Eingehungsbetrug . . . . . . (b) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen . . . . . . . . . . . . . . (8) Strafbarkeit von Hilfspersonen . . . . . . . . . . . . . . (9) Amtsniederlegung . . . . . (10) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . . . . . . . . . .
1 4 5
7 8 9 11 13
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Rz.
(11) Checkliste: Beratung in der Krise . . . . . . . . . . . . . . cc) Insolvenzantragsphase . (1) Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . (2) Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . (3) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . . . . . . . . . . dd) Insolvenzverfahren . . . . . ee) Restschuldbefreiungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 2. Vertretung des Schuldnerberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vor der Krise . . . . . . . . . . bb) Nach Eintritt der Krise bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . cc) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . 3. Vertretung des Gläubigers . . . . 4. Vertretung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . a) Insolvenzantragsphase . . . . . aa) Untreue, § 266 StGB . . . bb) Begünstigung und Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . cc) Starker vorläufiger Verwalter als Täter des Bankrotts . . . . . . . . . . . . . dd) Das Vorenthalten von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen . . . . b) Insolvenzverfahren . . . . . . . . aa) Untreue . . . . . . . . . . . . . . bb) Begünstigung und Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . cc) Bankrotthandlungen . . . c) Restschuldbefreiungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Sachwalter . . . . . . . . . . . .
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46 47
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73
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§5
Insolvenzstrafrecht Rz.
Rz.
II. Überblick über die einzelnen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
(3) Waren- oder Wertpapiergeschäfte (Nr. 3) . . . . . . . 119 (4) Vortäuschen oder Anerkennen von Rechten (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (5) Buchführungspflichten (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (a) Adressatenkreis/Täter . . 124 (b) Handelsbücher . . . . . . . . 127 (c) Tathandlungen . . . . . . . . 128 (6) Aufbewahrungspflichten (Nr. 6) . . . . . . . 130 (a) Adressatenkreis/Täter . . 131 (b) Tathandlungen . . . . . . . . 133 (7) Bilanzen (Nr. 7) . . . . . . . . 135 (a) Fehlerhafte Bilanzaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . 136 (b) Verspätete Bilanzaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . 140 (8) Sonstiges (Nr. 8) . . . . . . . 143 bb) Straftatbestand des § 283 Abs. 2 StGB . . . . . 146 cc) Versuch (Abs. 3) . . . . . . . 149 dd) Schuldformen . . . . . . . . . 150 (1) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit nach § 283 Abs. 4 StGB . . . . . . . . . . . 152 (3) Fahrlässigkeit nach § 283 Abs. 5 StGB . . . . . 154 Besonders schwerer Fall des Bankrotts, § 283a StGB . . . . 156 aa) Gewinnsucht . . . . . . . . . . 157 bb) Viele Personen . . . . . . . . 158 Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB . . 161 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 161 bb) Die Tathandlung . . . . . . 163 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 166 bb) Die Tathandlung . . . . . . 169 Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 171 bb) Die Tathandlung . . . . . . 174
1. Allgemeine Begriffe . . . . . . . . . . 81 a) Der Täterkreis . . . . . . . . . . . . 81 b) Die Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit durch die kriminalistische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Ermittlung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit durch die Tabelle . . . . . . . . . . . . . . . 87 cc) Feststellung einer Überschuldung und in dubio pro reo . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Schuldner . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Vertretungsorgane/ Berater . . . . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Faktischer Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . 96 dd) Sanierer . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Objektive Bedingungen der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Zahlungseinstellung . . . 101 bb) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Abweisung mangels Masse . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Der Bankrott, § 283 StGB . . 103 aa) Straftatbestände des Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (1) Beiseiteschaffen/ Verheimlichen/ Zerstören (Nr. 1) . . . . . . . 105 (a) Schutzgut der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (b) Beiseiteschaffen . . . . . . . 106 (c) Verheimlichen . . . . . . . . 108 (d) Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen . . . 109 (2) Verlustgeschäfte und andere (Nr. 2) . . . . . . . . . . 110 (a) Verlust-, Spekulationsund Differenzgeschäfte . 111 (b) Unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel und Wette . 115
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d)
e)
f)
g)
3. Allgemeines Strafrecht . . . . . . . 177 a) Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Lieferantenbetrug . . . . . . 178 bb) Kreditbetrug . . . . . . . . . . . 186
Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 2
§5
Rz.
Rz.
(1) Betrug bei Darlehensverträgen, § 263 StGB . . . . . 187 (2) Kreditbetrug, § 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (a) Unternehmen . . . . . . . . . 191 (b) Kredit . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (c) Tathandlungen . . . . . . . . 193 (d) Straflosigkeit . . . . . . . . . . 196 (e) Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Untreue, § 266 StGB . . . . . . . 198 c) Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266a Abs. 1 StGB . . . 201 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 201 bb) Täter und Tathandlung . 203 cc) Straffreiheit durch Selbstanzeige . . . . . . . . . . 209 d) Missbrauch von Scheckund Kreditkarten, § 266b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
a) Verstöße gegen Verlustanzeige- und Insolvenzantragspflichten . . . . . . . . . . . 211 aa) Antrags- und Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (2) AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (3) Gesellschaft ohne haftende natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Mögliche Täter . . . . . . . . 216 cc) Die rechtzeitige Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Steuerhinterziehung, § 370 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 221 bb) Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 cc) Tatbestand . . . . . . . . . . . . 223 dd) Selbstanzeige . . . . . . . . . . 226
4. Straftatbestände außerhalb des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
III. Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
I. Die Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren beteiligten Personen Die im Zusammenhang mit einer Insolvenz möglichen Straftaten sind so vielgestaltig wie das Strafrecht selbst. Dennoch lassen sich neben den Insolvenzstraftaten im engeren Sinne (§§ 283 ff. StGB) typische strafrechtliche Verhaltensweisen ausmachen, die mit Insolvenzen einhergehen. Über einen Großteil der strafbaren Handlungen müsste eigentlich nicht im Rahmen einer Beratung aufgeklärt werden, weil sich bereits durch das normale Rechtsempfinden aufdrängt, dass bestimmte Verhaltensweisen strafbar sind. Es gibt aber auch eine Reihe von Delikten, bei denen das Rechtsempfinden nicht zwangsläufig sagt, dass man sich in einem strafrechtlich relevanten Bereich bewegt. Als Beispiel seien hier nur genannt, dass in einigen Fällen bereits die bloße Überschreitung einer gesetzlichen Frist oder des Fälligkeitszeitpunkts einer Forderung strafbar sein kann – so bei den Insolvenzantragsfristen und bei der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für Arbeitnehmer. Vielen Unternehmern ist auch nicht bewusst, dass sie Straftaten begehen können, wenn sie ihre Buchführung nicht in ordnungsgemäßem Zustand halten, wozu auch die zeitnahe Erledigung der Buchungen zählt. Gerade über diese nicht allgemein bekannten Strafbarkeitsfallen muss der Beratende in vollem Umfang aufklären.
1
Durch eine strafrechtliche Beratung im Hinblick auf eine Insolvenz möchte der Mandant häufig auch ausloten, welche Handlungen gerade noch erlaubt sind und welche nicht. Als Berater muss man dabei neutral und richtig die
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§5
Rz. 3
Insolvenzstrafrecht
Grenzen zum strafbaren Handeln aufzeigen. Man sollte nicht wegen der Identifizierung mit den Interessen des Mandanten der Versuchung erliegen, diesem auch strafbare Handlungsweisen aufzuzeigen, selbst wenn deren Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist, oder ihm Wege weisen, wie die Entdeckung einer Straftat möglichst vermieden wird. Mit solchen Hinweisen überschreitet der Beratende selbst die Grenze zur strafbaren Anstiftung oder Beihilfe, wenn ihm bewusst ist, dass die Informationen zur Begehung von Straftaten verwendet werden sollen. 3
Insbesondere bei einer strafrechtlichen Beratung ist es daher wichtig, den Inhalt der Beratungsgespräche und die an den Mandanten erteilten Hinweise aktenkundig zu machen (beispielsweise durch entsprechende Vermerke oder zusammenfassende Anschreiben an den Mandanten), um später jeden Vorwurf des eigenen Fehlverhaltens, beispielsweise durch Anstiftung oder Beihilfe zu von dem Mandanten begangenen Straftaten beigetragen zu haben, aus dem Weg räumen zu können. In prekären Situationen sollte der Anwalt erwägen, Beratungsgespräche in Begleitung einer zweiten Person durchzuführen.
1. Vertretung des Schuldners/Schuldnervertreters 4
Bei der Beratung des Schuldners selbst oder, wenn es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft handelt, des Schuldnervertreters, muss der Beratende sich zunächst ein möglichst genaues und umfassendes Bild über die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten machen. Häufig ist zu bemerken, dass der Mandant aus Scham über die Situation der drohenden Insolvenz oder aus Angst vor der Offenbarung bereits begangener Straftaten nicht alle relevanten Umstände vollständig und richtig mitteilt. In dieser Phase ist es unabdingbar, dem Mandanten deutlich zu machen, dass einerseits eine Beratung nur erfolgreich sein kann, wenn alle Informationen „auf dem Tisch liegen“ und andererseits aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht im Hinblick auf bereits begangene Straftaten keine Nachteile drohen. Bestehen Hinweise darauf, dass man nicht vollständig oder richtig informiert wird, sollte man die Beratung beschränken oder das Mandat ablehnen. a) Position des Mandanten im Insolvenzverfahren
5
Für eine strafrechtliche Beratung muss man zunächst die Position des Mandanten im Verhältnis zum Schuldner(unternehmen) bestimmen. Ist der Mandant selbst der Schuldner als natürliche Person (Verbraucher oder Einzelunternehmer), kommt er als Täter für alle hier erörterten insolvenztypischen Delikte in Betracht. Gleiches gilt grundsätzlich für Geschäftsführer und Vorstände von Gesellschaften. Diese Personen kommen aufgrund des § 14 StGB für alle Insolvenzdelikte als Täter in Betracht, auch wenn sie nicht selbst, sondern die von ihnen vertretene Gesellschaft Schuldner sind. Bei Vertretern des Schuldners ist allerdings nach der so genannten Interessenformel zu unterscheiden, ob eine Strafbarkeit wegen Bankrotts nach den §§ 283 ff. StGB oder wegen Untreue nach § 266 StGB gegeben ist (vgl. dazu unten Rz. 93).
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 7
§5
Besonders sorgfältiger Nachfrage bedarf es in den übrigen Fällen. Auch wenn der Mandant weder selbst der Schuldner ist noch zu dessen Geschäftsführer bestellt ist, kann es sich um einen faktischen Geschäftsführer handeln (vgl. dazu unten Rz. 96). In strafrechtlicher Hinsicht steht der faktische Geschäftsführer dem bestellten Geschäftsführer gleich und kommt ebenfalls als Täter für alle Insolvenzdelikte in Betracht. Abzufragen sind in Bezug auf die Stellung als faktischer Geschäftsführer insbesondere folgende Indizien:
6
Checkliste faktischer Geschäftsführer –
Bestimmung der Unternehmenspolitik und -organisation
–
Pflege der Geschäftsbeziehungen
–
Verhandlung wichtiger Verträge
–
Verhandlung mit Banken
–
Identifikation des Unternehmens mit der Person des Mandanten nach außen
–
Entlassung und Einstellung von Mitarbeitern
–
Ausstellung von Zeugnissen für Mitarbeiter
–
Beauftragung und Bevollmächtigung von Steuerberatern mit der Führung der Geschäftsbücher
Ist eine ausreichende Anzahl dieser Indizien gegeben, besteht zumindest eine Vermutung dafür, dass der Mandant bei einer möglichen Strafverfolgung als faktischer Geschäftsführer angesehen wird. Der Mandant ist dann darüber aufzuklären, dass ihm trotz fehlender förmlicher Stellung als Organ der Gesellschaft sämtliche Pflichten eines Geschäftsführers obliegen, insbesondere also die Insolvenzantragspflicht, die Pflicht zur Abführung von Sozialabgaben und die Buchführungspflicht. In zweifelhaften Fällen ist der Mandant aus anwaltlicher Vorsicht zumindest über die Möglichkeit einer solchen Stellung aufzuklären (zur Stellung als faktischer Geschäftsführer vgl. auch § 2 Rz. 119 f.). Der Mandant kann für die Zukunft einer strafrechtlichen Haftung als faktischer Geschäftsführer dadurch entgehen, dass er aufhört, die Geschicke der Gesellschaft zu leiten und dies nach außen auch deutlich macht. b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten Nachstehend wird ein Überblick über die wichtigsten Punkte einer strafrechtlichen Beratung, unterteilt nach Zeitabschnitten, gegeben und in einer anschließenden Checkliste zusammengefasst. Abgestellt wird dabei auf das typischerweise auftretende Verhalten und es werden Antworten auf die häufigsten Fragen der Mandanten gegeben. Einzelheiten zu den einzelnen Strafvorschriften werden dann im zweiten Teil (Rz. 80 ff.) dargestellt. Bei der nachfolgenden Betrachtung wird zwischen der Zeit vor und nach Eintritt der so genannten Krise unterschieden, die rechtlich die wirtschaftliche Schieflage des Schuldners kennzeichnet. Aus insolvenzrechtlicher Sicht liegt eine Krise vor, wenn ein Insolvenzeröffnungsgrund besteht, d.h. bei Überschuldung, ZahlungsunRingstmeier
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7
§5
Rz. 8
Insolvenzstrafrecht
fähigkeit oder drohender Zahlungsunfähigkeit (dazu ausführlich oben § 1 Rz. 49 ff., 99 ff., 106 ff.). aa) Vor der Krise 8
Zwar können bereits vor Eintritt einer Krise einige Delikte aus dem Insolvenzstrafrecht verwirklicht werden. Die Strafbarkeit setzt in diesen Fällen aber weiterhin voraus, dass es später tatsächlich zu einer Krise des Schuldners kommt. (1) Vorliegen einer Krise
9
Bei einer Beratung vor dem Eintritt einer Krise muss man zunächst nach dem Hintergrund für den Beratungsbedarf forschen und im Detail herausfinden, ob nicht vielleicht doch bereits eine Krisensituation eingetreten ist. Denn zumindest ist es (rein statistisch) unüblich, dass ein gesundes Unternehmen Interesse an einer Insolvenzberatung zeigt. Sobald der Mandant selbst zumindest den Eintritt einer Krise für möglich hält, ist ihm unbedingt zu raten, sofort und danach in regelmäßigen und kurzen Abständen einen Überschuldungsstatus und einen Liquiditätsplan zu fertigen (vgl. dazu oben § 1 Rz. 85 ff., 142 ff.). Zum einen erhöhen diese Unterlagen den Überblick über die wirtschaftliche Situation für den Betroffenen selbst. Zum anderen dienen sie dem späteren Schuldner zur Verteidigung gegen den Vorwurf strafbarer Handlungen. Anhand eines zutreffend ermittelten Überschuldungsstatus und eines Liquiditätsplans kann der Schuldner belegen, dass er keine Bankrottstraftaten begangen hat, noch nicht insolvenzantragspflichtig war sowie beispielsweise den Betrugsvorwurf aus der Welt räumen, er habe trotz Kenntnis, dass er nicht werde zahlen können, Waren oder Dienstleistungen bestellt. In strafrechtlicher Hinsicht ist die regelmäßige Erstellung solcher Unterlagen vor dem Eintritt einer Krise der wichtigste Schutz gegen spätere Vorwürfe.
10
Der Überschuldungsstatus und der Liquiditätsplan sollten nach den oben unter § 1 Rz. 85 ff. und 142 ff. angegebenen Grundsätzen erstellt werden1. Nicht verwechselt werden dürfen diese Unterlagen allerdings mit der handels- und steuerrechtlichen Buchführung; zwar kann diese als Grundlage dienen, in wichtigen Punkten weichen aber der Überschuldungsstatus und der Liquiditätsplan davon ab. Für die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit wäre nach der Definition in § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO eigentlich die tägliche Gegenüberstellung von Liquidität und fälligen Forderungen erforderlich. Für die Entkräftung eines strafrechtlichen Vorwurfs ist aber auch eine zeitraumbezogene Ermittlung in bestimmten Abständen ausreichend. Dabei gilt: Je stärker die Indizien für eine Krise, desto kürzer müssen die Abstände sein. Mit Zeiträumen von zwei bis vier Wochen ist der Mandant aber auch bei Anzeichen für eine Krise auf der sicheren Seite.
1 Vgl. dazu auch Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 130 ff.; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 29 ff.
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 14
§5
(2) Buchführungspflichten Zweiter wichtiger Punkt in dieser Phase ist die ordnungsgemäße Erledigung der Buchführungspflichten. In § 283b StGB ist die Verletzung der Buchführungspflichten bereits vor Eintritt einer Krise oder der Kenntnis davon unter Strafe gestellt, wenn der Schuldner später insolvent wird. Für die Verwirklichung dieses Straftatbestandes reicht fahrlässiges Handeln aus.
11
In der Praxis der Strafverfolgung haben die Buchführungsdelikte eine vergleichsweise große Bedeutung. Dies liegt darin begründet, dass zum einen Verstöße gegen die Buchführungspflichten bei insolventen Unternehmen häufig auftreten, da an den Ausgaben für Steuerberater und Buchhalter gespart werden kann, ohne dass die Überlebensfähigkeit des Unternehmens unmittelbar gefährdet wird. Zum anderen, was wahrscheinlich der wichtigere Punkt ist, sind Buchführungsdelikte relativ leicht nachzuweisen. Insofern können die Strafverfolgungsbehörden, wenn die übrigen Delikte nicht nachgewiesen werden können, zumindest auf die Buchführungsdelikte zurückgreifen. Vor diesen Hintergründen kann der Mandant auf die Notwendigkeit der ordnungsgemäßen Fortführung der Buchhaltung nicht eindringlich genug hingewiesen werden. Handelt es sich mit dem Mandat um ein dauerhaftes Beratungsverhältnis, sollte der Beratende die Erfüllung dieser Pflichten dadurch forcieren, dass er dem Mandanten aufgibt, jeweils Auszüge aus der aktuellen Buchhaltung zu den Beratungsgesprächen mitzubringen.
12
(3) Beiseiteschaffen von Vermögen Viele Mandanten erkundigen sich bei einer aufziehenden Krise nach den Möglichkeiten, von ihrem Vermögen „zu retten, was noch zu retten ist“. Je nach Situation sollen Vermögensgegenstände des Schuldners auf Verwandte oder Freunde verschoben werden; bevorzugte Gläubiger (z.B. Eltern, die ein Darlehen gegeben haben) sollen ausreichend gesichert werden oder der Schuldner will Anlage- und Betriebsvermögen auf eine neu gegründete Gesellschaft möglichst preiswert übertragen1. Aus strafrechtlicher Sicht sind dem Schuldner in dieser Phase, also vor dem Eintritt einer Krise, grundsätzlich noch alle Verfügungen über Vermögensgegenstände erlaubt, auch wenn diese sein Vermögen schmälern. Grundsätzlich nicht strafbar sind daher auch Schenkungen oder Veräußerungen von Gegenständen weit unter Wert. Strafbar werden all diese vermögensmindernden Handlungen allerdings dann, wenn der Schuldner dadurch vorsätzlich oder leichtfertig den Eintritt einer Krise herbeiführt, § 283 Abs. 2 StGB. Erforderlich ist, dass eine oder mehrere Vermögensverfügungen für den Eintritt der Krise ursächlich geworden sind; eine Mitursächlichkeit neben anderen Faktoren reicht aus.
13
Welche vermögensmindernden Verfügungen dem Schuldner also vor der Krise noch erlaubt sind, kann pauschal nicht beantwortet werden. Es ist immer eine Abwägung im Einzelfall erforderlich, ob die vorgesehene Verfügung die Gefahr birgt, dass sie ursächlich zu einer Krise führen wird. Zumindest aber wird man pauschal feststellen können, dass, wenn bereits eine Krise in der Zukunft er-
14
1 Vgl. LG Potsdam v. 17. 9. 2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193 zu Vermögensübertragungen nach Kriseneintritt.
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Rz. 15
Insolvenzstrafrecht
kennbar ist, dem Unternehmen keine größeren Vermögenswerte mehr entzogen werden dürfen. Ebenso dürfen solche Gegenstände nicht ersatzlos veräußert werden, die für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich sind. Definitiv zu einer Strafbarkeit führt das endgültige Ausschlachten eines Unternehmens mit dem Ziel, eine von den Vermögenswerten entkleidete Gesellschaft in die Insolvenz gehen zu lassen. (4) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen 15
Eine Strafbarkeit wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen wird meistens erst relevant, wenn der Schuldner sich bereits in einer Krise befindet, weshalb weitere Erläuterungen dazu erst unten (unter Rz. 34 ff., 201 ff.) erfolgen. Dennoch sollte der Mandant auch bei einer erst aufziehenden Krise bereits darauf hingewiesen werden, dass die bloße Nichtzahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung bei Fälligkeit bereits zu einer Strafbarkeit nach § 266a StGB führt. Der Mandant muss also bereits im Vorfeld einer Krise sein Augenmerk so weit in die Zukunft richten, dass er stets über ausreichende liquide Mittel verfügt, um die Sozialversicherungsbeiträge pünktlich zahlen zu können. (5) Amtsniederlegung
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Will der Mandant sich bereits vor dem Eintritt einer Krise durch eine Amtsniederlegung in strafrechtlicher Hinsicht absichern, so ist dies grundsätzlich möglich. Er ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Amtsniederlegung von der Rechtsprechung nur dann anerkannt wird, wenn er tatsächlich die Einflussnahme auf die Geschäfte der Gesellschaft aufgibt (dazu unten Rz. 43). Führt er diese weiter, wenn auch durch einen Strohmann, ist die formell erfolgte Amtsniederlegung nicht wirksam.
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Ein weiteres Problem taucht bereits vor dem Eintritt einer Krise bei der Amtsniederlegung auf, wenn es sich bei dem Niederlegenden um den einzigen Geschäftsführer der Gesellschaft handelt. Um dort strafrechtlich auf der sicheren Seite für die Zukunft zu sein, muss der Niederlegende entweder einen wichtigen Grund für seine Amtsniederlegung haben, oder er muss alles seinerseits Mögliche tun, damit die Gesellschaft umgehend einen Nachfolger benennt. Ist der Niederlegende selbst der einzige Gesellschafter, so kann ihn eine Niederlegung ohne Nachfolgerbestellung grundsätzlich nicht von den Pflichten für die Zukunft befreien1.
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(6) Checkliste: Beratung vor der Krise – –
Position des Mandanten im Verhältnis zum Schuldner bestimmen Vorliegen einer Krise? –
Überschuldungsstatus und Liquiditätsplan fertigen
–
Indizien für eine Krise feststellen
1 Vgl. BayObLG v 15. 6. 1999 – 3Z BR 35/99, BB 1999, 1782.
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
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Rz. 22
§5
Auf Einhaltung der Buchführungspflichten hinweisen (insb. vollständig und zeitnah)
–
Beiseiteschaffen von Vermögen – Grenzen aufzeigen
–
Rückstellungen für Sozialversicherungsbeiträge bilden
–
Möglichkeiten der Amtsniederlegung erörtern
bb) Nach Eintritt der Krise und vor Insolvenzantrag Mit dem Eintritt einer Krise beginnt der für das Insolvenzstrafrecht relevanteste Bereich. Aufgrund der Krise ist die wirtschaftliche Zukunft des Schuldners ungewiss, womit erhebliche Gefahren für all diejenigen verbunden sind, die mit dem Schuldner in wirtschaftlichem Kontakt stehen. Dieser besonderen Gefahrenlage will auch das Strafrecht begegnen, indem es strenge Verhaltensmaßstäbe für den Schuldner aufstellt. Der Schuldner muss in dieser Phase jede seiner geschäftlichen Handlungen genau daraufhin überprüfen, ob die Gefahr einer Strafbarkeit besteht und wie er eine Strafbarkeit vermeiden kann. Bestehen nicht wirklich erfolgversprechende Sanierungschancen, muss kurzfristig Insolvenzantrag gestellt werden.
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(1) Vorliegen einer Krise Auch in dieser Phase muss der Beratende sich zunächst einen Überblick über die Vermögensverhältnisse geben lassen und der Frage nachgehen, ob tatsächlich eine Krise vorliegt. Der Mandant ist anzuhalten, sofort einen Überschuldungsstatus und einen Liquiditätsplan zu fertigen bzw. die dafür benötigten Daten zu liefern (vgl. dazu oben § 1 Rz. 85 ff. und 142 ff.). Ergibt sich tatsächlich das Vorliegen einer Krise, muss die Vermögensentwicklung der jüngeren Vergangenheit aufgearbeitet werden, um festlegen zu können, wann die Krise eingetreten ist. Entscheidend ist dieser Zeitpunkt für den Beginn der Insolvenzantragspflicht (dazu sogleich); ferner benötigt man diesen Zeitpunkt um festzustellen, ob der Mandant bereits Straftaten verwirklicht hat.
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(2) Buchführungspflichten Wie bereits für die Zeit vor Eintritt der Krise geschildert (vgl. unter Rz. 11 f.), ist die Einhaltung der Buchführungspflichten durch richtige, vollständige und zeitnahe Buchführung im Zusammenhang mit einer Krise unabdingbar. Eine Verletzung dieser Pflichten ist leicht zu entdecken und nachzuweisen und kann mit empfindlichen Strafen geahndet werden.
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(3) Insolvenzantragspflichten Ein wesentlicher Punkt nach dem Eintritt der Krise ist die Wahrung der Fristen für die Insolvenzantragspflicht (dazu unten Rz. 211 ff.), z.B. die Dreiwochenfrist gem. § 64 Abs. 1 GmbHG. Eine Insolvenzantragspflicht besteht bei allen juristischen Personen und bei solchen Personenhandelsgesellschaften, bei denen kein persönlich unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Ringstmeier
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§5
Rz. 23
Insolvenzstrafrecht
Person ist1. Antragspflichtig sind alle vertretungsberechtigten Organe der Gesellschaft (Geschäftsführer, Vorstand) und der faktische Geschäftsführer. Ein notwendiger Hinweis ist, dass die Antragspflicht durch einen Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht suspendiert wird. Der Schuldner und seine Vertretungsorgane bleiben weiterhin antragspflichtig, da der Gläubigerantrag jederzeit von dem Gläubiger zurückgenommen werden kann. Die Strafbarkeit entfällt durch einen Gläubigerantrag nach der herrschenden Meinung im Schrifttum nur dann, wenn dieser auch tatsächlich zu einer Verfahrenseröffnung führt2. Da der Schuldner dies nicht allein in der Hand hat, ist ihm immer zu raten, trotz des Gläubigerantrags einen eigenen Antrag innerhalb der Antragsfrist zu stellen. 23
Verständlicherweise scheuen viele Unternehmer den Gang zum Insolvenzgericht, da sie die Hoffnung hegen, noch eine Rettung für das Unternehmen erwirken zu können. Im Rahmen der Beratung sind dem Mandanten in diesem Zusammenhang mehrere Punkte deutlich zu machen: Die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung ist groß. Erforderlich ist lediglich der Nachweis des Eintritts der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit zu einem Zeitpunkt, der länger als drei Wochen vor der tatsächlichen Antragstellung liegt. Da die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit auch für alle anderen Insolvenzdelikte von Bedeutung ist, werden die Strafverfolgungsbehörden ihre Ermittlungen hierauf konzentrieren. Die Nachweismöglichkeit für die Strafverfolgungsbehörden sind dabei recht gut. Bei einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht macht der Täter sich nicht nur strafbar, sondern setzt sich einem erheblichen persönlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiko aus (hierzu und zu den Insolvenzantragspflichten im Übrigen vgl. § 2 Rz. 11 ff. und 41 ff.)3. Vielleicht am wichtigsten ist es aber, dem Mandanten zu vermitteln, dass mit dem Insolvenzantrag nicht alle Möglichkeiten für eine Rettung des Unternehmens vergeben sind. Im Gegenteil können sich gerade aus dem Insolvenzantrag manchmal bessere und neue Möglichkeiten ergeben. Gelingt es dem Schuldner, in der Antragsphase die Zahlungsunfähigkeit und/oder die Überschuldung zu beseitigen, kann er den Insolvenzantrag zurücknehmen und es kommt nicht zur Verfahrenseröffnung (zur Rücknahme des Insolvenzantrags s. § 6 Rz. 111 ff.). Für Verhandlungen mit den Gläubigern liefert der Insolvenzantrag unter Umständen den erforderlichen Nachdruck, dass diesen die wirtschaftliche Situation des Schuldners und die Gefahr eines Ausfalls mit ihren Forderun1 Zur Antragspflicht vgl. Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. 2007, § 3; Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 1. Aufl. 2006. 2 Vgl. Schäfer, GmbHR 1993, 780 (782 m.w.N); a.A.. Bieneck in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 84 Rz. 10 und Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 187 m.w.N., die bei Vorliegen eines Gläubigerantrags die Stellung eines Eigenantrags für entbehrlich halten, wobei die Antragspflicht wiederauflebe, wenn der Gläubigerantrag zurückgenommen werde. 3 Vgl. umfassend Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 1. Aufl. 2006.
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 26
§5
gen deutlich wird. Aber auch wenn es zu einer Verfahrenseröffnung kommt, kann darin für den Schuldner eine vielversprechendere Möglichkeit liegen, beispielsweise für einen Neubeginn mittels einer Auffanggesellschaft. (4) Beschaffung neuer Liquidität Zur Überwindung einer Krise ist fast zwangsläufig die Beschaffung neuer Liquidität erforderlich, wobei stets die Kreditinstitute der erste Anlaufpunkt sein werden.
24
(a) Neue Kredite Versucht der Schuldner, in der Krise neue Kreditmittel zu beschaffen, muss er im Hinblick auf eine Strafbarkeit die von dem Kreditinstitut geforderten Angaben peinlichst genau und richtig abgeben. Jedes Verschleiern der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation führt zu einer Strafbarkeit wegen Kreditbetruges, § 265b StGB, oder Betruges, § 263 StGB. Hinzuweisen ist der Mandant in diesem Zusammenhang darauf, dass Straftaten bei Kreditgewährungen leicht nachzuweisen sind, da zumindest die vom Schuldner gemachten Angaben ohne weiteres vorliegen, und die drohenden Strafen mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht gerade knapp bemessen sind. Ein weiterer wichtiger Punkt, auf den der Mandant hingewiesen werden sollte, ist die persönliche zivilrechtliche Haftung des Handelnden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der verletzten Strafnorm.
25
Konsequenz der zutreffenden Angaben ist freilich zumeist, dass die erwünschten Kreditmittel nicht eingeräumt werden. Die einzige Möglichkeit ist dann nur, die Kreditinstitute mit fundierten Plänen und Prognosen davon zu überzeugen, dass mit der verlangten zusätzlichen Liquidität mit einer großen Wahrscheinlichkeit die Krise überwunden werden kann. (b) Gebrauch von Scheck- und Kreditkarten Ebenfalls hierher (insbesondere auch bei der Beratung von Verbraucherinsolvenzfällen) gehört der Hinweis auf eine Strafbarkeit wegen Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten, § 266b StGB, wozu auch Tankkarten gehören, die in größeren Unternehmen häufig Verwendung finden (s. unten Rz. 210). Fehlen dem Schuldner liquide Mittel, ist regelmäßig zu beobachten, dass er Scheckund Kreditkarten über das vertraglich vereinbarte Limit hinaus einsetzt. Bereits in diesem Verhalten liegt der Missbrauch der Karten. Führt dies dazu, dass dem Aussteller der Karte ein Schaden entsteht, weil er die Zahlungen an Dritte leistet oder selbst Lieferungen oder Leistungen auf Kredit erbringt, aber der Schuldner den entsprechenden Ausgleich nicht mehr vornimmt oder vornehmen kann, liegt eine Strafbarkeit des Karteninhabers vor. Um diese zu vermeiden, darf der Mandant seine Scheck- und Kreditkarten also nur bis zu der ihm eingeräumten Kreditlinie nutzen.
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§5
Rz. 27
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(5) Beiseiteschaffen von Vermögen 27
Nach dem Eintritt der Krise sind beinahe alle denkbaren Verhaltensweisen, durch die das Schuldnervermögen geschmälert oder geschädigt wird, strafbar (s. unten Rz. 105 ff.). Dem Vermögen des Schuldners dürfen jetzt keine Gegenstände mehr entzogen werden, ohne dass eine gleichwertige Gegenleistung dem Vermögen wieder zugeführt wird. Mit anderen Worten: Der Mandant kann keinerlei Vermögen des Schuldners mehr beiseite schaffen, ohne sich strafbar zu machen. Will der Mandant dennoch Gegenstände des Schuldnervermögens seinem Zugriff erhalten, beispielsweise um diese in einer neuen Gesellschaft zu nutzen, so ist dies aus strafrechtlicher Sicht nur zulässig, wenn der Schuldner diese Gegenstände verkauft und dafür eine objektiv angemessene Gegenleistung tatsächlich in das Schuldnervermögen fließt1. Nicht ausreichend sind wirtschaftlich nicht gleichwertige Gegenleistungen, beispielsweise die Verrechnung des Käufers mit einer durch die Krise inzwischen nicht mehr werthaltigen Gegenforderung.
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Ebenso strafbar wie die Verminderung des Aktivvermögens ist die Vergrößerung des Passivvermögens. Häufig zu beobachten ist das Vortäuschen oder Anerkennen von nicht bestehenden Rechten meist nahe stehender Dritter. Damit kann zum einen das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen vorbereitet und nach außen legitimiert werden. Zum anderen kann Motiv sein, dass der Schuldner Forderungen einer ihm nahe stehenden Person vortäuscht oder anerkennt, um später in der Gläubigerversammlung mittelbar über Stimmrechte zu verfügen (zur Stimmrechtsverteilung in der Gläubigerversammlung s. § 6 Rz. 253 ff.). Diese Verhaltensweisen sind umfänglich in § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Strafe gestellt.
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Ob die vorstehend beispielhaft genannten Tathandlungen als Bankrottstraftat nach § 283 Abs. 1 StGB oder als Untreue nach § 266 StGB strafbar sind, hängt bei Organen von juristischen Personen von der Zielrichtung des Täters ab (Interessentheorie)2. Handelt der Vertreter des Schuldners zumindest auch im Interesse der Gesellschaft, liegt eine Bankrottstraftat vor. Handelt der Täter eigennützig, beispielsweise um Vermögen der Gesellschaft in sein Privatvermögen zu überführen oder schafft er Vermögensgegenstände der Gesellschaft beiseite, um einen Neubeginn zu erleichtern, handelt es sich um eine Untreue. (6) Sonstige Vermögensminderungen
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Häufig versuchen Schuldner, das Unternehmen, das bereits auf einen Zusammenbruch zusteuert, mit besonders riskanten Geschäften „über Wasser zu halten“. Auch solche Geschäfte sind nach dem Eintritt einer Krise strafbar, vgl. § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB (dazu unten Rz. 110 ff.). Der Mandant ist darauf hin1 LG Potsdam v. 17. 9. 2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193, zum Anfangsverdacht der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung bei Veräußerung einer insolvenzreifen GmbH an einen professionellen Firmenbestatter unter zeitnaher Übertragung der Aktiva auf eine neu gegründete Gesellschaft. 2 BGH v. 14. 12. 1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136 (137); OLG Karlsruhe v. 7. 3. 2006 – 3 Ss 190/05, NJW 2006, 1364 (1365).
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Rz. 34
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zuweisen, dass er nach dem Eintritt einer Krise keine über das normale Maß hinausgehend riskanten Geschäfte mehr eingehen darf. Auch die Annahme von Aufträgen, bei denen sich bereits aus der Kalkulation ergibt, dass diese einen Verlust erbringen werden, ist nur dann zulässig, wenn damit eine vorübergehende Flaute überbrückt werden soll und zu erwarten ist, dass sich das Unternehmen wieder erholen wird. Verboten ist dem Schuldner auch die Verschleuderung von auf Kredit beschafften Waren und/oder Wertpapieren oder den daraus hergestellten Sachen (vgl. unten Rz. 119 ff.). Häufig ist die Versuchung des Schuldners groß, kurz vor dem Zusammenbruch die noch vorhandenen Waren durch Ausverkäufe unter Wert zu Geld zu machen. Dies birgt eine erhebliche Gefahr für Lieferanten, die die Waren auf Kredit geliefert haben, und ist deshalb ausdrücklich unter Strafe gestellt (§ 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB). (7) Die Weiterführung des Geschäftsbetriebes Im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes nach dem Eintritt einer Krise entstehen weitere Gefahren einer Strafbarkeit für den Schuldner oder den Geschäftsführer einer Schuldnergesellschaft, auf die der Mandant hingewiesen werden muss.
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(a) Eingehungsbetrug Nach dem Eintritt der Krise muss der Schuldner bei allen Geschäften ein besonderes Augenmerk auf den Betrugstatbestand des § 263 StGB richten. Schließt der Schuldner Verträge, bei denen der Vertragspartner in Vorleistung tritt, in dem Bewusstsein, dass er die Gegenleistung wahrscheinlich nicht wird erbringen können, so macht er sich wegen Betruges strafbar (sog. Warenkreditbetrug, dazu unten Rz. 178 ff.). Kann der Schuldner nach objektiven Gesichtspunkten bei der Prüfung seiner Liquiditätslage nicht mehr zu dem Ergebnis kommen, dass er die bezogenen Lieferungen oder Leistungen wird bezahlen können, so darf er zur Vermeidung einer Strafbarkeit Waren und Dienstleistungen nur noch gegen sofortige Bezahlung bestellen. Ist dies aufgrund der Finanzlage nicht möglich, bleibt nur die sofortige Betriebsstilllegung bzw. der Gang zum Insolvenzgericht.
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Bei besonders langjährigen Geschäftsbeziehungen und damit einhergehendem besonderem gegenseitigen Vertrauen kann es zusätzlich erforderlich sein, dass der Schuldner den Geschäftspartner auch bei bereits geschlossenen Verträgen ungefragt über die unsichere Zahlungserwartung aufklärt, um diesen nicht durch Unterlassen zu täuschen.
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(b) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen Ein weiteres wichtiges Delikt, auf das nach dem Eintritt einer Krise besonderes Augenmerk zu richten ist, ist die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen für Arbeitnehmer, § 266a StGB (dazu ausführlich unten Rz. 201 ff.). Dieser Straftatbestand wird im Zusammenhang mit einer Krise sehr häufig verRingstmeier
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wirklicht, da durch die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen kurzfristig erhebliche liquide Mittel gespart werden können, ohne dass die Lebensfähigkeit des Unternehmens unmittelbar beeinträchtigt wird. Allerdings ist auch dieses Delikt für die Strafverfolgungsbehörden recht leicht nachzuweisen. Es wird in der Regel streng verfolgt, da in der Gesamtheit der Fälle ein großer Schaden für die Allgemeinheit durch die Nichtabführung von Sozialbeiträgen entsteht. 35
Strafbar ist nicht die Vorenthaltung jeglicher Sozialversicherungsbeiträge, sondern nur der Arbeitnehmeranteile. Allerdings – und darauf ist der Mandant unbedingt hinzuweisen – reicht für eine Strafbarkeit bereits die Nichtzahlung bei Fälligkeit. Fällig sind die Beiträge gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV am drittletzten Bankarbeitstag des Monats, in dem die sozialversicherungspflichtige Arbeit geleistet wurde. Eine verspätete Zahlung lässt die Strafbarkeit nicht wieder entfallen; sie wird nur im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt. Zulässig ist allerdings eine Stundungsabrede mit den Sozialkassen vor Fälligkeit, die – soweit eine Zahlung tatsächlich nicht möglich ist – unbedingt angestrebt werden muss. Auch hier genügt eine Stundungsabrede nach Fälligkeit nicht.
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Anders als die Lohnsteuer entsteht die Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nicht erst durch Zahlung der Nettolöhne, sondern allein durch Ablauf des Abrechnungszeitraums. Zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sind alle Geschäftsführer einer Gesellschaft verpflichtet. Sollte der Mandant intern nicht für solche Angelegenheiten zuständig sein, ist er darauf hinzuweisen, dass er in strafrechtlicher Hinsicht zumindest dann selbst verantwortlich ist, wenn er Indizien für das Vorliegen der Krise hatte. Er darf dann nicht mehr auf die interne Geschäftsverteilung vertrauen.
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Hinzuweisen ist der Mandant auch auf die nach neuer Rechtsprechung geklärte Frage, dass eine Entschuldigung der Tat mit dem Argument, die Zahlung sei unmöglich gewesen, nur noch in eng begrenzten Fällen möglich ist; für die Beurteilung, ob die Zahlung (un)möglich war, ist der Tag der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge maßgebend. Die Strafbarkeit entfällt nur, wenn der Schuldner tatsächlich über keinerlei Liquidität mehr verfügt. Auch wenn nur noch geringe Liquidität vorhanden ist oder nachträglich zufließt, sind die letzten flüssigen Mittel für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge einzusetzen1.
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Ein weiterer wichtiger Hinweis für den Mandanten ist, dass er bei Zahlungen an die Sozialkassen eine ausdrückliche und eindeutige Tilgungsbestimmung treffen sollte – nämlich, dass mit den Zahlungen die aktuell fälligen oder fällig werdenden Arbeitnehmeranteile beglichen werden sollen. Fehlt eine solche Tilgungsbestimmung, werden die Leistungen zunächst auf ältere Rückstände verrechnet.
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Im Bereich des § 266a StGB kann eine Strafbarkeit wirksam aber nur dadurch vermieden werden, dass der Schuldner trotz seiner Krise ausreichende Rück1 OLG Dresden v. 29. 7. 1999 – 8 W 1495/98, NStZ 2001, 198 (199).
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Rz. 42
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stellungen für die Arbeitgebersozialabgaben bildet, notfalls auch durch Kürzung der Nettolohnzahlungen1. Ist dies nicht möglich, muss der Mandant die Insolvenz beantragen. Auf die Möglichkeit der strafbefreienden Mitteilung an Sozialversicherungsträger gem. § 266a Abs. 6 StGB sollte hingewiesen werden. (8) Strafbarkeit von Hilfspersonen Viele Bestrebungen, im Falle einer drohenden Insolvenz Vermögen beiseite zu schaffen, sind damit verbunden, dass der Täter Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen muss. Wenn beispielsweise Vermögen des Schuldners auf den Ehegatten oder die Kinder übertragen werden soll, ist deren Mithilfe erforderlich. Dem Mandanten ist in dieser Beziehung deutlich zu machen, dass nicht nur er selbst dadurch Straftaten begeht, sondern auch die Hilfspersonen. In Betracht kommen dabei insbesondere der Straftatbestand der Schuldnerbegünstigung nach § 283d StGB sowie Beihilfe zu den Taten des Schuldners.
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(9) Amtsniederlegung Ist der Mandant Geschäftsführer einer Gesellschaft, taucht häufig die Frage auf, inwieweit er sich durch eine Amtsniederlegung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entziehen kann. Da die meisten der genannten Möglichkeiten einer Strafbarkeit ein bestimmtes Handeln voraussetzen, ist die Amtsniederlegung als solche dafür nicht ausschlaggebend. Hat der Mandant bereits Straftaten verwirklicht, bleibt die Strafbarkeit von einer Amtsniederlegung unberührt. Auf der anderen Seite droht auch für die Zukunft kein strafrechtliches Risiko, wenn der Mandant die genannten Verhaltensweisen unterlässt – unabhängig davon, ob er sein Amt niederlegt oder nicht.
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Relevant kann die Amtsniederlegung allerdings für die Insolvenzverschleppung, die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und für die Buchführungspflichten im Rahmen der Bankrottstraftaten sein. Auch für diese Delikte gilt freilich, dass eine bereits eingetretene Strafbarkeit von einer späteren Amtsniederlegung unberührt bleibt. Schwieriger zu beantworten – da umstritten und nicht vollständig höchstrichterlich geklärt – ist die Frage, ob eine Amtsniederlegung vor dem Eintritt der Strafbarkeit eine solche entfallen lässt. Richtiger Ansatzpunkt für die Beantwortung dieser Frage ist die Erkenntnis, dass auch für die hier genannten Delikte das Unterlassen der gebotenen Handlung zu einer Zeit erfolgen muss, in dem der Täter eine Garantenstellung innehat. Diese Garantenstellung folgt aus der Stellung als Geschäftsführer und endet grundsätzlich mit dieser; eine nachwirkende Garantenstellung wird man nicht annehmen können. Da das strafbare Unterlassen bei der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen erst bei deren Fälligkeit beginnt (vgl. oben Rz. 35) und bei der Insolvenzantragspflicht das strafbare Unterlassen erst mit Ablauf der Dreiwochenfrist beginnt (freilich nur, soweit die Ausnutzung dieser Dreiwochenfrist selbst kein schuldhaftes Zögern darstellt, weil ernsthafte Sanierungsversuche unternommen werden), muss für eine Strafbarkeit also in diesen Zeitpunkten noch die Stellung als Geschäftsführer gegeben sein. Eine
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1 BGH v. 25. 9. 2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127.
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Rz. 43
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Amtsniederlegung vor dem jeweiligen Zeitpunkt führt also zur Straflosigkeit1. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Amtsniederlegung, die Eintragung ins Handelsregister spielt dagegen keine Rolle2. 43
Allerdings muss die Amtsniederlegung wirksam sein. Dies ist nach steter Rechtsprechung nicht der Fall, wenn der Geschäftsführer nach der formellen Amtsniederlegung weiter auf die Geschäfte der Gesellschaft faktisch einwirkt – und sei es nur mittelbar durch einen Strohmann3. Weiterhin wird der Amtsniederlegung die Anerkennung versagt, wenn sie rechtsmissbräuchlich erfolgt ist. Dies soll dann der Fall sein, wenn die Amtsniederlegung nach dem Eintritt der Krise erfolgt und der Geschäftsführer keinen wichtigen Grund für seinen Rücktritt hat4. Nicht als wichtiger Grund akzeptiert wird in diesem Zusammenhang die wirtschaftlich schlechte Lage der Gesellschaft und die daraus resultierenden Pflichten. Unabhängig von dem Bestehen einer Krise ist nach einer Entscheidung des BayObLG die Amtsniederlegung auch immer dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie ohne wichtigen Grund erklärt wird, es sich bei dem Niederlegenden um den einzigen Geschäftsführer der Gesellschaft handelt und dieser nicht zugleich einen neuen Geschäftsführer bestellt5. Zu den vorgenannten Aussagen der Rechtsmissbräuchlichkeit ist die Rechtsprechung aber nicht einheitlich, so dass man diese Aussagen nicht als endgültig geklärt ansehen kann.
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Für die Beratung folgt daraus, dass dem Mandanten nach dem Eintritt einer Krise zu einer Amtsniederlegung nur dann geraten werden kann, wenn er hierfür einen von der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft unabhängigen wichtigen Grund hat. Ohne wichtigen Grund ist es aus strafrechtlicher Sicht der bessere Weg, die Geschäfte weiterzuführen und eine Strafbarkeit durch die Erfüllung aller Pflichten nach den oben dargestellten Verhaltensmaßstäben zu vermeiden. (10) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO
45
Eine Strafbarkeit nach materiellem Recht führt selbstverständlich nur dann zu einer Verurteilung des Täters, wenn ihm das strafbare Verhalten nach den 1 BGH v. 30. 9. 1980 – 1 StR 407/80, NStZ 1981, 353 für die Buchführungspflichten. Vgl. OLG Naumburg v. 15. 3. 2000 – 5 U 188/99, GmbHR 2000, 558 (559) mit Anmerkung Peetz, GmbHR 2000, 559 für die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Anderer Ansicht für die Insolvenzantragspflicht allerdings die stark kritisierte, aber bisher wohl nicht überholte Entscheidung des BGH vom 14. 12. 1951 – 2 StR 368/51, BGHSt 2, 53–54. Soweit zum Teil vertreten wird, diese Aussage sei durch die Entscheidung BGH v. 30. 9. 1980 – 1 StR 407/80, NStZ 1981, 353 überholt, so ist dies m.E. nicht zutreffend, da der BGH dort über eine andere Konstellation entschieden hat. 2 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 186. 3 OLG Naumburg v. 15. 3. 2000 – 5 U 188/99, GmbHR 2000, 558 (559); LG Stendal v. 10. 11. 1999 – 21 O 42/99, GmbHR 2000, 88 (89); Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 186. 4 Vgl. Spannowsky, wistra 1990, 48; Bieneck in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 84 Rz. 13. 5 BayObLG v. 15. 6. 1999 – 3Z BR 35/99, BB 1999, 1782; BayObLG v. 6. 8. 1981 – BReg. 1 Z 39/81, DB 1981, 2219; vgl. ebenso OLG Hamm v. 21. 6. 1988 – 15 W 81/88 (nicht veröffentlicht).
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
§5
Rz. 46
rechtsstaatlichen Grundsätzen des Strafverfahrensrechts auch nachgewiesen werden kann. An dieser Stelle knüpft eine in der Praxis zum Teil zu beobachtende Beratungsstrategie an: Da nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO in einem Strafprozess die Verwendung solcher Beweismittel verboten ist, die darauf beruhen, dass der Schuldner seine Auskunftsverpflichtung nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO erfüllt hat, wird dem Mandanten geraten, dieser Auskunftspflicht so früh und umfangreich wie möglich nachzukommen. Bis dahin ist dieser Praxis zuzustimmen und tatsächlich so zu verfahren. Zum Teil wird dem Mandanten aber auch geraten, vor der Insolvenzantragstellung alle relevanten Geschäftsunterlagen, die sich als belastendes Material herausstellen könnten, verschwinden zu lassen und damit dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Erscheint dann der vom Gericht bestellte Sachverständige oder der vorläufige Insolvenzverwalter, soll diesem das gesamte Material mit einem Hinweis darauf übergeben werden, dass dies nur in Erfüllung der Auskunftspflicht nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO erfolge und dass man der Verwertung dieser Angaben und Unterlagen für einen Strafprozess widerspreche. Einer solchen Beratungspraxis kann allerdings nicht gefolgt werden. So ist bereits nicht vorhersehbar, ob ein solches Vorgehen von Erfolg gekrönt sein wird, da der Umfang und die Wirkungen des Beweisverwendungsverbotes nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO derzeit noch heftig umstritten und nicht höchstrichterlich geklärt sind (vgl. dazu unten Rz. 228 ff.). Entscheidender ist allerdings, dass der Beratende mit einer solchen Auskunft die Grenzen der so genannten professionellen Adäquanz (vgl. dazu unten Rz. 55) überschreitet und sich einer Anstiftung zu den weiteren Straftaten des Mandanten schuldig macht. Durch das Beiseiteschaffen von Unterlagen verwirklicht der Mandant zumindest den Straftatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Im Gegensatz zu dem Mandanten kann sich der Beratende in einem späteren Strafverfahren auch nicht auf § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO berufen, da dessen Voraussetzungen in seiner Person nicht vorliegen.
(11) Checkliste: Beratung in der Krise –
Position des Mandanten im Verhältnis zum Schuldner bestimmen
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Liegt tatsächlich eine Krise vor? –
Überschuldungsstatus und Liquiditätsplan fertigen
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Auf Einhaltung der Buchführungspflichten hinweisen (insb. vollständig und zeitnah)
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Einhaltung der Insolvenzantragspflicht – Fristablauf bestimmen und auf rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags hinarbeiten
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Liquiditätsbeschaffung bei Banken: Peinlichst genau und richtig die von der Bank geforderten Angaben machen
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Kredit- und Scheckkarten nur bis zur eingeräumten Kreditlinie nutzen
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Beiseiteschaffen von Vermögen ist nicht mehr möglich
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Besonders riskante Geschäfte und Ausverkäufe sind nicht mehr zulässig Ringstmeier
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§5 –
Rz. 47
Insolvenzstrafrecht
Keine Verträge mehr schließen, bei denen der Geschäftspartner in Vorleistung tritt, ohne die Möglichkeit zur Bezahlung sicherzustellen
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Rückstellungen für Sozialversicherungsbeiträge bilden
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Auf mögliche Strafbarkeit von Hilfspersonen hinweisen
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Möglichkeiten der Amtsniederlegung erörtern
cc) Insolvenzantragsphase 47
Nach der Stellung des Insolvenzantrags und dem Beginn der Insolvenzantragsphase kommt es für den Umfang der strafrechtlichen Risiken des Schuldners darauf an, ob das Gericht einen starken oder schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. (1) Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters
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Bestellt das Gericht einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter, gehen die allgemeine Verfügungsbefugnis des Schuldners und damit die meisten strafrechtlich relevanten Pflichten auf diesen über (zur Person des starken vorläufigen Verwalters vgl. § 14 Rz. 11 ff.). Der Schuldner macht sich dann nur noch strafbar, wenn er Vermögen beiseite schafft, dem Verwalter Vermögensgegenstände entzieht oder deren Existenz verheimlicht. In diesem Zusammenhang ist der Mandant darauf hinzuweisen, dass er dem vorläufigen Insolvenzverwalter auf dessen Nachfrage vollständige und wahrheitsgemäße Auskunft über den Stand des Vermögens zu erteilen hat. Verschweigt er das Vorhandensein von Vermögensgegenständen oder gibt er Verbindlichkeiten an, die nicht bestehen, macht er sich wegen Vermögensminderung strafbar (vgl. Rz. 108). Nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht der Schuldner sich auch dadurch strafbar, dass er heimlich Forderungen an dem vorläufigen Insolvenzverwalter vorbei einzieht. (2) Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters
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Bestellt das Gericht keinen oder einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter, verbleiben die Verfügungsbefugnis und damit die strafrechtlichen Pflichten beim Schuldner (vgl. hierzu § 14 Rz. 36 ff.). Seine strafrechtlichen Risiken entsprechen daher denen, die oben für die Zeit nach Eintritt der Krise und vor Stellung des Insolvenzantrags beschrieben wurden. Selbstverständlich entfällt allerdings eine mögliche Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen die Insolvenzantragspflicht, wenn der das Verfahren einleitende Antrag vom Schuldner kam. Wurde der Antrag von einem Gläubiger gestellt, besteht die strafrechtlich relevante Antragspflicht grundsätzlich für den Schuldner fort, vgl. dazu bereits oben Rz. 22. Allerdings gilt auch bei einem schwachen vorläufigen Verwalter, dass der Schuldner auf dessen Nachfrage vollständig und zutreffend über den Bestand des Vermögens Auskunft erteilen muss, da er sich ansonsten wegen Vermögensminderung strafbar macht.
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 53
§5
(3) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO Auf die Ausführungen unter Rz. 45 und 228 ff. wird verwiesen.
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dd) Insolvenzverfahren Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens droht eine Strafbarkeit des Schuldners nur noch durch Beiseiteschaffen und Verheimlichen von Vermögen. Die sonstigen (strafrechtlich relevanten) Pflichten gehen, wie die Verfügungsbefugnis, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Auch hier gilt, dass der Schuldner dem Verwalter vollständig und richtig über den Stand des Vermögens Auskunft geben muss und dass ihm hieraus wegen § 97 InsO in strafrechtlicher Hinsicht keine Nachteile entstehen. Die Auskunftspflicht des Schuldners im Insolvenzverfahren umfasst auch die Pflicht, dem Insolvenzverwalter jede wesentliche Veränderung der schuldnerischen Vermögenslage sofort mitzuteilen1. Auf die Ausführungen oben unter Rz. 45 und 48 wird verwiesen.
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ee) Restschuldbefreiungsverfahren Während der vor der Restschuldbefreiung stehenden Wohlverhaltensphase kann der Schuldner sich strafbar machen, wenn er nicht diejenigen Gelder an den Treuhänder zahlt, zu deren Abführung er verpflichtet ist. Gegenüber dem Treuhänder ist der Schuldner nämlich zur Offenbarung seiner Einnahmen verpflichtet, so dass er den Treuhänder durch Unterlassen täuscht, wenn er nicht alle Gelder angibt, die er tatsächlich eingenommen hat. Die Strafbarkeit folgt dann aus § 263 StGB. In dieser Phase ist der Schuldner darauf hinzuweisen, dass ein strafbares Verhalten nicht nur strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, sondern auch zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen kann (vgl. hierzu ausführlich § 16 Rz. 441 ff.)2; Die Versagung der Restschuldbefreiung ist auch möglich, wenn die Straftat in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Insolvenzverfahren steht, in welchem die Restschuldbefreiung beantragt wird3.
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2. Vertretung des Schuldnerberaters Auch für Personen, die als Berater des Schuldners fungieren (z.B. Steuerberater, Rechtsanwälte usw.), können sich im Zusammenhang mit der Insolvenz des Schuldners spezielle strafrechtliche Risiken ergeben. Neben der Anstiftung und der Beihilfe zu Taten des Schuldners kommt unter bestimmten Vorausset-
1 BGH v. 20. 12. 1957 – 1 StR 492/57, BGHSt 11, 145; AG Duisburg v. 21. 2. 2007 – 62 IK 264/04. 2 Nach AG Lüneburg v. 3. 11. 2003 – 46 IN 229/03, ZInsO 2003, 1108, kann die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO bereits dann versagt werden, wenn mit der Strafverurteilung des Schuldners nach §§ 283 bis 283c StGB mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. 3 BGH v. 8. 12. 2002 – IX ZB 121/02, ZInsO 2003, 125; Röhm, DZWiR 2003, 143 ff.
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§5
Rz. 54
Insolvenzstrafrecht
zungen auch für den Berater eine Strafbarkeit wegen eigenem täterschaftlichen Handeln in Betracht1. a) Täterkreis 54
Im Zusammenhang mit den §§ 283 ff. StGB können Dritte Täter der Buchhaltungsdelikte sein. So kann sich insbesondere der oder die Buchhalter eines Unternehmens nach den §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 und 6 sowie § 283b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB strafbar machen; ein mit der Bilanzierung beauftragter Steuerberater kann sich nach den §§ 283 Abs. 1 Nr. 7 und 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar machen. Entscheidende Voraussetzung ist, dass die dort angeführten Buchhaltungs- und Bilanzierungspflichten dem Buchhalter oder Steuerberater zur eigenständigen verantwortlichen Wahrnehmung übertragen wurden (vgl. auch Rz. 95).
55
In Bezug auf die Anstiftung und Beihilfe gelten für Berater des Schuldners Besonderheiten. Rechtsanwälte und Steuerberater sind aufgrund des Mandatsverhältnisses verpflichtet, die Fragen des Mandanten richtig und vollumfänglich zu beantworten. Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn der Berater merkt oder befürchtet, dass der Mandant die Angaben ausnutzen will, um strafbare Handlungen zu begehen. Der BGH hat dazu den Begriff der „professionellen Adäquanz“ geprägt und festgestellt, dass die Grenze zur strafbaren Beihilfe oder Anstiftung dann überschritten ist, wenn das Handeln des Ratsuchenden ausschließlich auf die Begehung von Straftaten abzielt und der Berater dies weiß. Hält er hingegen lediglich für möglich, dass der Mandant seine Beratung für eine Straftat ausnutzen will, so begeht er regelmäßig keine strafbare Beihilfe, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko der Begehung einer Straftat war ungewöhnlich hoch2. b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten aa) Vor der Krise
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Nicht selten sind mit der Bilanzierung und Buchhaltung beauftragte Steuerberater geneigt, ihren langjährigen Mandanten mit geschönten Unterlagen zu helfen. In strafrechtlicher Hinsicht wird es sich dabei häufig um eine Beihilfe zu den Insolvenzdelikten handeln; unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt der Steuerberater dabei – wie bereits dargestellt – auch als Täter der §§ 283 ff. StGB in Betracht, wobei vor Eintritt einer Krise zunächst nur der § 283b StGB anwendbar ist. In diesem Zusammenhang ist der Steuerberater auf verschiedene wichtige Punkte hinzuweisen: Zum einen ist er auch im strafrechtlichen Sinne verpflichtet, vorkontierte Belege selbst zu prüfen und festzustellen, ob die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung eingehalten wurden. Die Verpflichtung zur eigenen Überprüfung ist den Steuerberatern nicht immer bekannt3. Zum anderen muss der Steuerberater die Bilanzierungs1 Vgl. Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff.; Weyand, StuB 1999, 178 ff. 2 So BGH v. 20. 9. 1999 – 5 StR 729/98, wistra 1999, 459; vgl. auch Wohlers, NStZ 2000, 169; Weyand, ZInsO 2000, 413. 3 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 170.
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 59
§5
pflichten einhalten. Zwar können Finanzämter Fristverlängerungen gewähren, diese gelten aber nur für die steuerlichen Pflichten; die handelsrechtlichen Fristen sind nicht verlängerbar. Das Argument der Überlastung des Steuerberaters ist in strafrechtlicher Hinsicht nicht beachtlich. Unbeachtlich ist auch, wenn der Steuerberater die Frist nicht einhalten kann, weil der Mandant ihm die erforderlichen Unterlagen nicht liefert. Einer Strafbarkeit kann er sich dann nur durch rechtzeitige Niederlegung des Mandats entziehen. Der Steuerberater darf in diesem Fall aber nicht die Mandantenunterlagen zurückbehalten, bis der Mandant rückständige Honorarforderungen ausgleicht – ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB steht ihm nicht zu1 (vgl. hierzu § 8 Rz. 278). Eine weitere Gefahr ergibt sich für den Steuerberater, wenn der Mandant die geschönten Bilanzen nutzt, um weitere Kreditmittel zu bekommen. Allein dadurch wird er regelmäßig einen Kreditbetrug nach § 265b StGB begehen. Ist der Mandant nicht in der Lage, den erhaltenen Kredit zurückzuführen, wird regelmäßig auch ein Betrug nach § 263 StGB vorliegen. Zu diesen Delikten hat sich der Steuerberater grundsätzlich allein mit der Erstellung der geschönten Bilanzen einer Beihilfe schuldig gemacht, da davon ausgegangen wird, er wisse, dass der Mandant die von ihm erstellten Bilanzen bei den Kreditgebern vorlegen wird2. Der Steuerberater sollte in diesem Zusammenhang auch beachten, dass ihm Schadensersatzforderungen von Seiten der Kreditgeber drohen, wenn diese finanzielle Einbußen erlitten haben.
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bb) Nach Eintritt der Krise bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Für diesen Zeitraum gilt das soeben unter Rz. 56 f. Gesagte entsprechend. Unterschied ist nur, dass sich jetzt eine Strafbarkeit als Täter oder Gehilfe nicht mehr nach § 283b StGB richtet, sondern nach den übrigen Vorschriften der §§ 283 ff. StGB.
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cc) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt automatisch der Auftrag des Steuerberaters (§ 116 InsO), so dass diesen keine Verpflichtungen zur Buchführung oder Bilanzierung für den Schuldner mehr treffen (zur Regelung des § 116 InsO s. § 8 Rz. 273 ff.). Der Steuerberater ist dann nur noch verpflichtet, dem Insolvenzverwalter die Unterlagen des Schuldners auf Verlangen herauszugeben; ein Zurückbehaltungsrecht wegen ausstehender Honoraransprüche hat er auch in dieser Phase nicht3.
1 OLG Hamm v. 4. 8. 1987 – 25 U 173/86, ZIP 1987, 1330; Weyand, DStR 1988, 503; ders., Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 171. 2 Vgl. BGH v. 11. 11. 1986 – 1 StR 564/86, BB 1987, 370 (371); LG Mannheim v. 15. 11. 1984 – 6 KLs 12/82, BB 1985, 636. 3 LG Cottbus v. 23. 5. 2001 – 1 S 42/01, ZInsO 2002, 635; Uhlenbruck/Berscheid, InsO, §§ 115, 116 Rz. 11.
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Rz. 60
Insolvenzstrafrecht
3. Vertretung des Gläubigers 60
Für die Gläubiger des Schuldners ergeben sich im Zusammenhang mit einer Insolvenz nur wenige spezielle Handlungsweisen, die eine Strafbarkeit begründen können. Der Gläubiger kann die Schwelle zu strafbaren Handlungen üblicherweise nur dann überschreiten, wenn er dem Schuldner bei dessen strafbaren Handlungen zur Seite steht.
61
Verschafft der Schuldner nach Eintritt seiner Zahlungsunfähigkeit einem Gläubiger eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung, macht er sich nach § 283c StGB wegen Gläubigerbegünstigung strafbar (vgl. dazu unten Rz. 166 ff.). Der Gläubiger, der begünstigt werden soll, macht sich durch die bloße Annahme der ihm gewährten Vergünstigung noch nicht strafbar. Wird er allerdings über die bloße Annahme der Vergünstigung hinaus aktiv, kommt eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe in Betracht1. Eine Anstiftung liegt dann vor, wenn der Gläubiger in Kenntnis der Umstände den Schuldner zu seiner Begünstigung überredet oder ihn entsprechend unter Druck setzt. Eine Beihilfe kommt in Betracht, wenn er den Schuldner aktiv unterstützt; so soll beispielsweise bereits ausreichen, dass er ihm ein Transportfahrzeug zur Verfügung stellt2. Schwierig ist für die Strafverfolgungsbehörden in diesen Fällen natürlich der Nachweis, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte.
4. Vertretung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters 62
Es gibt keine spezifischen Straftatbestände, die sich an den (vorläufigen) Verwalter richten. Das Verhalten des Insolvenzverwalters ist nach dem allgemeinen Strafrecht zu beurteilen. Besonderes Augenmerk muss der (vorläufige) Insolvenzverwalter auf die Straftatbestände der Untreue (§ 266 StGB), der Begünstigung (§ 257 StGB) und der Strafvereitelung (§ 258 StGB) richten3. a) Insolvenzantragsphase
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In der Insolvenzantragsphase sind die strafrechtlichen Risiken für den vorläufigen Insolvenzverwalter differenziert zu betrachten. Handelt es sich um einen starken vorläufigen Verwalter, so sind die Verfügungsbefugnisse des Schuldners und damit viele seiner strafrechtlichen Pflichten auf den vorläufigen Verwalter übergegangen. In diesem Zeitraum steht der vorläufige Insolvenzverwalter weitgehend dem endgültigen Verwalter gleich. Ist der vorläufige Verwalter nur ein schwacher, verfügt er selbst noch nicht über die umfassende Leitungsmacht und hat im Wesentlichen die Aufgabe, den Schuldner zu überwachen
1 So bereits RG v. 2. 6. 1927 – III 268/27, RGSt 61, 314 (315); RG v. 30. 10. 1931 – I 30/31, RGSt 65, 416 (417). 2 BGH v. 19. 1. 1993 – 1 StR 518/92, NJW 1993, 1278. 3 Vgl. allgemein zur Strafbarkeit des Insolvenzverwalters Richter, NZI 2002, 121 ff.; Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff.
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 66
§5
und das Schuldnervermögen zu sichern1. Aus dieser Konstellation ergeben sich für die Strafbarkeit die folgenden Besonderheiten. aa) Untreue, § 266 StGB Sowohl der Treuebruchs- als auch der Missbrauchstatbestand setzen eine Vermögensbetreuungspflicht des Täters voraus. Unzweifelhaft trifft eine solche den späteren Insolvenzverwalter2 und den starken vorläufigen Verwalter nach § 22 Abs. 1 InsO, während der reine Gutachter keine Vermögensbetreuungspflicht hat. Für den schwachen vorläufigen Verwalter nach § 22 Abs. 2 InsO hängt es davon ab, welche Rechte ihm nach § 22 Abs. 2 InsO verliehen worden sind: Erhält er nur Aufsichts- und Gutachterfunktionen, reicht dies für die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht nicht aus. Wird darüber hinaus ein genereller oder partieller Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Verwalters angeordnet, wird man annehmen müssen, dass der vorläufige Verwalter auch insoweit vermögensbetreuungspflichtig im Sinne von § 266 StGB ist, da ihm diese Befugnisse zur Sicherung des Vermögens für die Gläubiger übertragen wurden und er die Macht hat, über die Wirksamkeit von Geschäften des Schuldners zu entscheiden3. Durch die Rechtsprechung ist diese Frage noch nicht geklärt.
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Die Vermögensbetreuungspflichten bestehen denjenigen gegenüber, deren Interessen die Insolvenzverwaltung dient. Dies sind neben den Insolvenz- und Massegläubigern sowie dem Insolvenzschuldner auch die aus- und absonderungsberechtigten Gläubiger4. Bedeutsam ist dies für das tatbestandsausschließende Einverständnis der Betroffenen. Ein Treuepflichtverstoß entfällt nämlich nur dann, wenn alle Personen der Maßnahme zustimmen, deren Interessen der Verwalter zu berücksichtigen hat. Dies sind also in der Regel die Insolvenz- und Massegläubiger und der Schuldner zusammen. Für den Verwalter genügt bei masseschädigenden Maßnahmen also nicht allein die Zustimmung der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses.
65
Typische Treuepflichtverstöße des Verwalters sind: Verschleuderung von Vermögensgegenständen; Verschiebung von Geldern auf das private Konto des Verwalters oder insb. bei Konzerninsolvenzen zwischen den verschiedenen insolventen Gesellschaften; Nichtdurchsetzung von Ansprüchen; Begründung von unnötigen Masseverbindlichkeiten; Verkauf von Waren des Schuldners unter Wert an eine eigene oder ihm nahe stehende Gesellschaft5. Lässt der Verwalter sich bei Verträgen über Massegegenstände Vorteile zuwenden, so stellt
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1 Vgl. Hessisches FG v. 2. 1. 2007 – 6 K 152/03, 6 K 3314/03, 5 K 152/03, 6 K 3314/03, StE 2007, 291. 2 Noch zum Konkursverwalter BGH v. 16. 12. 1960 – 4 StR 401/60, BGHSt 15, 342; BGH v. 24. 6. 1957 – VII ZR 310/56, BGHZ 24, 393 (396). 3 Vgl. eingehender Schramm, NStZ 2000, 400 (401) m.w.N. 4 Schramm, NStZ 2000, 399. 5 Vgl. dazu näher BGH v. 14. 1. 1998 – 1 StR 504/97, wistra 1998, 150; BGH v. 11. 7. 2000 – 1 StR 93/00, wistra 2000, 384.
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§5
Rz. 67
Insolvenzstrafrecht
dies nur dann eine Treuepflichtverletzung dar, wenn das zu einer pflichtwidrigen Maßnahme führt1. 67
Der Verwalter macht sich freilich nicht bei jeder der genannten Handlungen oder Unterlassungen strafbar, sondern nur dann, wenn ihm im Bezug auf die Pflichtverletzung und auf den eintretenden Vermögensschaden zumindest bedingter Vorsatz zur Last fällt. bb) Begünstigung und Strafvereitelung
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Bereits in der Antragsphase sind die Straftaten der Begünstigung, § 257 StGB, und der Strafvereitelung, § 258 StGB, für „schwache“ oder „starke“ Verwalter denkbar. Da die Begünstigung voraussetzt, dass der Begünstigende einem anderen in der Absicht Hilfe leistet, ihm die aus einer begangenen rechtswidrigen Tat erlangten Vorteile zu sichern, wird dieses Verhalten bei Verwaltern eher selten anzutreffen sein. Der spätere Verwalter hat regelmäßig kein Interesse daran, dem Schuldner die Vorteile seines rechtswidrigen Handelns zu sichern.
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Naheliegender ist die Konfrontation mit einer Strafvereitelung. Der Gutachter/ vorläufige Insolvenzverwalter erhält durch seine Ermittlungen beim Schuldner häufig Indizien oder sogar Beweise für strafbare Handlungen des Schuldners. Der Gutachter/vorläufige Verwalter wird manchmal nicht besonders geneigt sein, die Strafverfolgungsbehörden auf diese Straftaten hinzuweisen, da er zum einen bei der Verfahrensabwicklung auf ein Mindestmaß an Zusammenarbeit mit den auf Schuldnerseite Beteiligten angewiesen ist. Zum anderen werden durch die Strafverfolgung bei bestimmten Handlungen, wie beispielsweise bei Vermögensverschiebungen, die Chancen auf eine einvernehmliche, vergleichsweise Regelung mit dem Schuldner deutlich gemindert. Der Schuldner wird zu Rückzahlungen eher geneigt sein, wenn er damit die Hoffnung verbindet, einer Strafverfolgung zu entgehen.
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Zwar ist der Gutachter/vorläufige Verwalter grundsätzlich nur wie jedermann im Rahmen des § 138 StGB verpflichtet, seine Kenntnisse von einer Straftat unaufgefordert an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. Auch ist der Gutachter/vorläufige Verwalter – ebenso wie der Insolvenzverwalter – durch sein Amt nicht verpflichtet, von sich aus auf strafbare Handlungen hinzuweisen; er hat diesbezüglich keine Garantenstellung im Sinne von § 13 StGB.
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Allerdings ist es als Regelfall zu bezeichnen, dass die Staatsanwaltschaften von sich aus den Gutachter/vorläufigen Verwalter ansprechen und Fragen nach Straftaten im Zusammenhang mit der Insolvenz stellen. In diesen Fällen muss der Gutachter/vorläufige Verwalter auf konkrete Fragen die von ihm erkannten Straftaten offenbaren. Für den Tatbestand der Strafvereitelung genügt es, dass man wider besseren Wissens angibt, man wisse nichts von Straftaten, oder sich weigert, Angaben zu machen, wenn man nicht über ein Zeugnisverweigerungsrecht verfügt. Strafbar ist auch der Versuch der Vereitelung. 1 BGH v. 30. 10. 1985 – 2 StR 383/85, NStZ 1986, 361; BGH v. 30. 10. 1990 – 1 StR 544/90, NJW 1991, 1069.
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Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren Beteiligten
Rz. 76
§5
Dem Gutachter/vorläufigen Verwalter kann also nur geraten werden, wahrheitsgemäß und umfänglich auf die Fragen von Staatsanwälten zu antworten. Weiterhin sollte er sich bei Gesprächen mit dem Schuldner nicht in eine Position begeben, die den beschriebenen Konflikt auslösen könnte.
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cc) Starker vorläufiger Verwalter als Täter des Bankrotts Da der starke vorläufige Insolvenzverwalter in vollem Umfang die Verfügungsbefugnisse des Schuldners übernommen hat, erfüllt dieser ebenso wie die Organe von Gesellschaften die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 StGB. Er ist damit tauglicher Täter der §§ 283 ff. StGB. Wegen typischer strafbarer Bankrotthandlungen wird hier auf die Ausführungen oben unter Rz. 27 ff. und auf die besonderen Ausführungen unten Rz. 103 ff. verwiesen.
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dd) Das Vorenthalten von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen Während es für den schwachen vorläufigen Verwalter unproblematisch ist, eine mögliche Strafbarkeit wegen Vorenthaltung von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen zu verneinen, da dieser weder die Funktionen des Arbeitgebers wahrnimmt noch die Möglichkeit hat, aus dem Schuldnervermögen die geschuldeten Beiträge zu zahlen, ist die Situation für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter schwieriger zu beurteilen. Grundsätzlich spricht vieles dafür, dass der starke vorläufige Verwalter die Voraussetzungen des § 266a StGB als Täter erfüllen kann, obergerichtliche Rechtsprechung existiert zu dieser Frage aber noch nicht1. Während des Zeitraumes, in dem die Arbeitnehmer Ansprüche auf Zahlung von Insolvenzgeld gegen die Bundesagentur für Arbeit haben, stellt sich dieses Problem für den Verwalter allerdings nicht, da die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen die Bundesagentur für Arbeit trifft2 (vgl. hierzu ausführlich § 12 Rz. 387 ff.).
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b) Insolvenzverfahren aa) Untreue In Bezug auf die Untreue gilt das oben unter Rz. 64 ff. für die Antragsphase Gesagte entsprechend.
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bb) Begünstigung und Strafvereitelung Für eine mögliche Strafbarkeit wegen Begünstigung, § 257 StGB, und Strafvereitelung, § 258 StGB, gilt das oben unter Rz. 68 f. für die Antragsphase Ausgeführte.
1 Vgl. ausführlich zu diesem Thema und den Bedenken an einer Strafbarkeit Schöferhoff/ Gerster, ZIP 2001, 905 und Richter, NZI 2002, 121 (124). 2 Vgl. Richter, NZI 2002, 121 (126).
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Rz. 77
Insolvenzstrafrecht
cc) Bankrotthandlungen 77
Da der Insolvenzverwalter in vollem Umfang die Verfügungsbefugnisse des Schuldners übernommen hat, erfüllt dieser ebenso wie die Organe von Gesellschaften die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 StGB. Er ist damit tauglicher Täter der §§ 283 ff. StGB. Wegen typischer strafbarer Bankrotthandlungen wird hier auf die Ausführungen oben unter Rz. 27 ff., 73 und unten Rz. 103 ff. verwiesen. Besonderes Augenmerk muss der Insolvenzverwalter in diesem Zusammenhang auf die Buchführungspflichten legen, die vollinhaltlich auf ihn übergehen, § 155 InsO, und deren Nichterfüllung zu einer Strafbarkeit führen kann. Eine Strafbarkeit bei der Nichterfüllung von Buchführungspflichten entfällt auch für den Insolvenzverwalter nur dann, wenn ihm die Erfüllung seiner Pflichten unmöglich oder unzumutbar ist. Da aber der Verwalter gehalten ist, vorhandene Mittel vorrangig für die Erfüllung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten zu verwenden, ist eine Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit jedenfalls bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig ausgeschlossen1. Besonders hervorgehoben sei hier nur, dass auch die handelsrechtlichen Aufbewahrungspflichten des Schuldners auf den Insolvenzverwalter übergehen. Dieser ist für die Aufbewahrung der Unterlagen bis zum Ablauf der jeweiligen Fristen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB strafrechtlich verantwortlich. c) Restschuldbefreiungsverfahren
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Während des Restschuldbefreiungsverfahrens hat der Treuhänder die Pflicht, die Zahlungen des Schuldners einzuziehen, zu verwalten und an die Gläubiger auszuschütten, § 292 InsO (vgl. § 16 Rz. 441 ff.). Mit dieser Verpflichtung obliegt ihm gegenüber der Gläubigergesamtheit eine Vermögensbetreuungspflicht für diese Gelder im Sinne des § 266 StGB. Vergreift der Treuhänder sich an diesen Geldern oder lässt er es bewusst zu, dass der Schuldner nicht alle Gelder zahlt, zu deren Abführung er verpflichtet ist, macht der Treuhänder sich wegen Untreue strafbar. d) Der Sachwalter
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Wird das Insolvenzverfahren in der Form der Eigenverwaltung durch den Schuldner eröffnet, bestellt das Gericht einen Sachwalter (s. hierzu § 13 Rz. 469 ff.). Der Sachwalter hat die Pflicht, den Schuldner zu überwachen und erhält für bestimmte Geschäfte eine Zustimmungsbefugnis, die zu einer „gemeinsamen Unternehmensleitung“ zwischen Sachwalter und Schuldner führt. Daraus ergibt sich für den Sachwalter eine Vermögensbetreuungspflicht; er kann sich also einer Untreue nach § 266 StGB schuldig machen.
II. Überblick über die einzelnen Straftaten 80
Im Folgenden wird ein Überblick über die im Zusammenhang mit einer Insolvenz relevanten Straftatbestände gegeben. Für die weitergehenden Details wird 1 Richter, NZI 2002, 121 (127).
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 83
§5
auf die einschlägige Kommentarliteratur und auf die in den Fußnoten angegebene Rechtsprechung verwiesen.
1. Allgemeine Begriffe a) Der Täterkreis Täter einer Straftat im Zusammenhang mit einer Insolvenz kann aufgrund der Vielzahl der möglichen Delikte zunächst einmal jeder sein. Auch nicht leitende Mitarbeiter des Schuldners oder gänzlich Außenstehende kommen als Täter beispielsweise für Betrugsdelikte, Untreue oder die Schuldnerbegünstigung in Betracht. Bei den meisten spezifisch insolvenzrechtlichen Straftatbeständen handelt es sich aber um Sonderdelikte, die nur von einem bestimmten Personenkreis verwirklicht werden können. Der mögliche Täterkreis eines jeden Sonderdelikts ist jeweils eigenständig zu bestimmen, weshalb die persönlichen Voraussetzungen für eine Täterschaft im Zusammenhang mit den einzelnen Strafvorschriften dargestellt werden.
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b) Die Krise Begriffsbestimmend für das Insolvenzstrafrecht ist die wirtschaftliche Schieflage einer Person oder eines Unternehmens, die so genannte Krise. Aus strafrechtlicher Sicht liegt eine Krise vor, wenn ein Insolvenzgrund besteht, d.h. bei Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit oder drohender Zahlungsunfähigkeit1. Sämtliche hier aufgeführten Straftatbestände oder speziellen Handlungsalternativen setzen das Vorliegen oder den Eintritt einer Krise des Schuldners voraus.
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Für die Voraussetzungen der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung sowie deren Nachweis wird auf die Ausführungen unter § 1 Rz. 49 ff., 99 ff. und 106 ff. verwiesen. Erwähnt werden sollen hier nur aus dem strafrechtlichen Bezug folgende Besonderheiten. aa) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit durch die kriminalistische Analyse Die Ermittlung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit durch Erstellung einer rückbezogenen Liquiditätsplanung (betriebswirtschaftliche Methode) ist regelmäßig sehr aufwändig und mit Bewertungsspielräumen befrachtet2. Im Nachhinein setzt eine Analyse durch die Strafverfolgungsbehörden nicht nur einen erheblichen Einsatz von Arbeitszeit voraus, erforderlich ist auch, dass eine weitestgehend lückenlose Dokumentation der Geschäftszahlen und -vorgänge vorhanden ist. Aus diesem Grunde lässt die Rechtsprechung zur Feststellung der
1 Tröndle/Fischer, 54. Aufl. 2007, Vor § 283 Rz. 6; zu den Insolvenzgründen Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. 2007, § 2. 2 Vgl. nur Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304 ff.; Stahlschmidt, ZInsO 2005, 1086 ff.
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§5
Rz. 84
Insolvenzstrafrecht
Zahlungsunfähigkeit auch die so genannte kriminalistische Methode zu1, von der in der Praxis zumeist Gebrauch gemacht wird. Bei dieser Methode geht man nicht von konkretem Zahlenmaterial aus, sondern stellt fest, ob ausreichende Beweisanzeichen vorliegen, die nach außen hin auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Der Sache nach handelt es sich dabei um einen Indizienbeweis. Überprüft werden insbesondere die nachstehend aufgeführten Anzeichen2. Checkliste: Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit 84
–
Vereinbarung längerer Zahlungsziele
–
Überschreitung von Zahlungszielen
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Überschreitung der Kreditlinie, Ausschöpfung von Limits
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Ausweitung von Lieferantenkrediten
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Austauschen von Lieferanten, um einen weiteren Kreditspielraum zu bekommen
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Suche nach neuen Kreditgebern
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Übergang von Bezahlung voller Beträge zur Ratenzahlung
–
Erfolglose Kreditverhandlungen
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Mahnungen von Gläubigern
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Scheck- und Wechselproteste
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Darlehenskündigungen durch Banken
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Zahlung mit vordatierten Schecks
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Geänderte Übung der Lieferanten, nur noch gegen Vorkasse/Barzahlung zu liefern
–
Zustellung von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden
–
Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern
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Fruchtlose Vollstreckungen
–
Ladung und Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
–
Insolvenzanträge von Gläubigern, die nach Zahlung wieder zurückgenommen wurden
–
Nichtzahlung von wichtigen Verbindlichkeiten wie Pacht, Löhne, Sozialabgaben, Energieversorger, Steuern
–
Einsparungen an Kosten für die Buchhaltung
1 BGH v. 30. 1. 2003 – 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546 (547); BGH v. 20. 7. 1999 – 1 StR 668/98, wistra 2000, 18 (21); BGH v. 19. 1. 1993 – 1 StR 518/92, NStZ 1994, 424; BGH v. 17. 2. 1993 – 3 StR 474/92, wistra 1993, 184; BGH v. 3. 12. 1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145; BGH v. 2. 8. 1990 – 1 StR 373/90, wistra 1991, 26; KG Berlin v. 13. 6. 2000 – (3) 1 Ss 117/00 (38/00); vgl. auch LG Köln v. 23. 5. 1991 – KLs 112-10/88, wistra 1992, 269; Bittmann, wistra 2005, 167 ff. 2 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 48; Hartung, wistra 1997, 1 (11).
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Rz. 88
§5
Anhand dieser Indizien wird meist zur Veranschaulichung ein Häufigkeitsdiagramm erstellt. Dazu wird über einen gewissen Zeitraum geprüft, wie viele Indizien erkennbar waren; vielfach ist bereits die reine Anzahl stetig ansteigend und lässt Rückschlüsse auf die Zahlungsfähigkeit zu1.
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Die Grenze von einer schlechten Zahlungslage zur Zahlungsunfähigkeit ist meist überschritten, wenn der Schuldner dazu übergeht, illegale Kreditschöpfung zu betreiben und wichtige Posten, wie Sozialabgaben und Steuern, nicht mehr bedient2. Daher geht man nach der kriminalistischen Methode von einer Zahlungsunfähigkeit aus, wenn einerseits die Zahl der Indizien sich häuft und andererseits deren Qualität umschlägt zu illegalen Handlungen der Liquiditätsbeschaffung. So wird ein Rückstand von 6 Monaten bei den Sozialversicherungsbeiträgen ein starkes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit sein3.
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bb) Ermittlung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit durch die Tabelle Es stellt sich die Frage, ob im Strafrecht neben der betriebswirtschaftlichen und kriminalistischen Methode in Zukunft eine dritte Möglichkeit zur Feststellung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit zulässig sein wird. Für den Insolvenzanfechtungsprozess hat der BGH ausgeführt, dass im Falle einer expost-Betrachtung keine Liquiditätsbilanz mit Prognose aufgestellt werden muss, um die Zahlungsunfähigkeit für einen bestimmten Zeitpunkt festzustellen4. Stattdessen könne aus der bei Gericht ausliegenden Insolvenztabelle ermittelt werden, ob an dem zu prüfenden Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden haben, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen wurden. Bejahendenfalls ist für diesen Zeitpunkt von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Ob dieser ausdrücklich für Insolvenzanfechtungsfälle eröffnete Weg zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit auch in der strafrechtlichen Praxis beschritten werden darf, bleibt abzuwarten. M. E. kann zwar rückblickend mit der vom BGH vorgeschlagenen Methode der objektiv richtige Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit ermittelt werden, für strafrechtliche Zwecke hat man sich aber wohl eher an der ex-ante-Sicht des Insolvenzantragspflichtigen zu orientieren; und diese verlangt eine aus damaliger Sicht durchzuführende Prüfung auf Basis der seinerzeitigen Parameter.
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cc) Feststellung einer Überschuldung und in dubio pro reo Aus dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz folgt für die Strafverfolgungspraxis, dass die Bewertungsspielräume jeweils zugunsten des Schuldners ausgeschöpft werden müssen. Zur Feststellung einer strafrechtlich relevanten Überschuldung kommt man danach nur bei einer erheblichen Überschuldung, bei der die Pas1 Vgl. Bittmann, wistra 2005, 167 ff. 2 Vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 104 f. 3 BGH v. 13. 6. 2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 (1458); BGH v. 10. 7. 2003 – IX ZR 89/02, ZIP 2003, 1666 (1669); vgl. auch Bittmann, wistra 2005, 167 (169), der ein Indiz schon ab einem Rückstand von 3 Monaten bejaht. 4 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36 m. Anm. Frenzel/Gundlach; vgl. Hölzle, ZIP 2007, 613 ff.; Gundlach, NZI 2007, 38 f.; Heinze, DZWIR 2007, 118 f.
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§5
Rz. 89
Insolvenzstrafrecht
siva die Aktiva so weit übersteigen, dass auch bei großzügigsten Bewertungen der Aktiva und zurückhaltendsten Ansätzen der Passiva eine deutlich negative Differenz verbleibt1. 89
In der strafrechtlichen Literatur wird zudem vertreten, dass bei der Fortbestehensprognose aufgrund des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen sei, solange das Gegenteil nicht feststehe2. Durch obergerichtliche Rechtsprechung ist dieser Punkt noch nicht geklärt, es bestehen nach meiner Einschätzung aber aufgrund der deutlichen Formulierung des § 19 InsO Bedenken an dieser Ansicht. Zumal der In-dubio-pro-reoGrundsatz nicht unmittelbar greift, da eine positive Fortführungsprognose für sich allein nicht geeignet ist, die Insolvenzreife des Schuldners zu beseitigen, sondern lediglich Bedeutung für die anschließend vorzunehmende Bewertung des schuldnerischen Vermögens nach Fortführungs- oder Liquidationswerten hat3.
2. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne 90
Unter dem Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne versteht man die §§ 283 ff. StGB, die bereits für den Tatbestand das Vorliegen oder die kausale Herbeiführung einer Krise und die Zahlungseinstellung, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder dessen Ablehnung mangels Masse als objektive Bedingung der Strafbarkeit fordern. a) Täterkreis
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Bei den §§ 283 ff. StGB handelt es sich mit Ausnahme des § 283d StGB um Sonderdelikte. „Wer“ im Sinne der Vorschriften kann zwar grundsätzlich jede nach § 11 Abs. 1 InsO insolvenzfähige Person sein, der Täter muss aber die besonderen persönlichen Merkmale der Krise und der Zahlungseinstellung aufweisen. Dass der Täter darüber hinaus auch Kaufmann ist, setzen die Taten der §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7 und 283b StGB voraus. Nicht übersehen werden darf freilich, dass eine Strafbarkeit wegen Anstiftung und Beihilfe zu den §§ 283 ff. StGB jeden treffen kann, der an der Deliktsverwirklichung entsprechend mitwirkt. aa) Schuldner
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Handelt es sich bei dem Schuldner um ein Einzelunternehmen, ist dieser ohne weiteres möglicher Täter der §§ 283 ff. StGB. Auch Verbraucher sind nach der
1 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 32; Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304 (1308); zur Überschuldungsanalyse im Strafrecht vgl. Reck, ZInsO 2004, 661 ff., 728 ff. 2 Schlüchter, wistra 1982, 41; vgl. auch Menger, GmbHR 1982, 221; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 31; im Ergebnis ebenso Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 147, ders., ZInsO 2004, 661 (663). 3 Vgl. BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 (679).
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 94
§5
Rechtsprechung taugliche Täter der §§ 283 ff. StGB1. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft, ist möglicher Täter bei der GbR, der OHG und der Vorgesellschaft einer GmbH jeder einzelne Gesellschafter. Bei der KG und der KG auf Aktien können nur die persönlich haftenden Gesellschafter Täter sein, nicht die Kommanditisten oder die Prokuristen2. Da juristische Personen wie die GmbH, AG oder eingetragene Genossenschaft nach dem deutschen Strafrecht nicht deliktsfähig sind, kommen sie selbst als Täter nicht in Betracht. Soweit es um den Eintritt der Krise und die Zahlungseinstellung/Insolvenz geht, eröffnet aber § 14 StGB die Möglichkeit der Zurechnung besonderer persönlicher Merkmale an Dritte. bb) Vertretungsorgane/Berater Dem Geschäftsführer einer GmbH bzw. dem Vorstand einer AG oder eG werden die Krise und die Zahlungseinstellung/Insolvenz nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugerechnet, wenn diese Personen die in den §§ 283 ff. StGB unter Strafe gestellten Handlungen vornehmen; allerdings nur insoweit, als sie dabei in Erfüllung ihrer Organstellung handeln3. In Erfüllung seiner Organstellung handelt der Täter nach steter Rechtsprechung dann, wenn er zumindest auch im Interesse der Gesellschaft handelt, sog. Interessenformel4. Verfolgt er ausschließlich eigene Interessen, werden seine Handlungen nicht als Bankrott, sondern als Untreue nach § 266 StGB bestraft. Nicht im Interesse der Gesellschaft handelt das Organ beispielsweise, wenn es Gelder auf sein privates Konto überweist oder Maschinen des Unternehmens beiseite schafft, um damit ein neues Geschäft zu eröffnen. Typisches Organhandeln, das danach unter § 266 StGB – nicht unter § 283 StGB – fällt, ist das „Aushöhlen“ bzw. „Ausbeinen“ der Gesellschaft5. Dagegen handelt der Täter zumindest auch im Interesse der Gesellschaft, wenn er ein eigenkapitalersetzendes Darlehen an sich zurückzahlt6.
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In der Literatur wird die Zurechnung der Krise und der objektiven Bedingung der Strafbarkeit wegen des Wortlauts des § 283 Abs. 6 StGB, der ausdrücklich verlangt, dass der Täter seine Zahlungen eingestellt hat, zum Teil mit einem
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1 BGH v. 22. 2. 2001 – 4 StR 421/00, wistra 2001, 306 m.w.N.; zustimmend Krause, NStZ 2002, 42, Tröndle/Fischer, 54. Aufl. 2007, Vor § 283 Rz. 18; kritisch mit beachtlichen Argumenten dazu Krüger, wistra 2002, 52, Röhm, ZInsO 2003, 535 (537 ff.) und Schramm, wistra 2002, 55. 2 BGH v. 17. 12. 1963 – 1 StR 391/63, BGHSt 19, 174 (176); RG v. 5. 1. 1935 – 3 D 974/34, RGSt 69, 65 (69). 3 BGH v. 20. 5. 1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127; BGH v. 21. 5. 1969 – 4 StR 27/69, NJW 1969, 1494. 4 BGH v. 20. 5. 1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127 (130); BGH v. 14. 12. 1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136 (137); BGH v. 17. 12. 1986 – 3 StR 494/86, wistra 1987, 148; BGH v. 17. 3. 1987 – 5 StR 272/86, wistra 1987, 216; BGH v. 3. 5. 1991 – 2 StR 613/90, NStZ 1991, 432. 5 So Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 66; vgl. auch Ogiermann, wistra 2000, 250; Hey/Regel, GmbHR 2000, 115. 6 Vgl. Muhler, wistra 1994, 286; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 66.
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§5
Rz. 95
Insolvenzstrafrecht
Verweis auf das Analogieverbot kritisiert1. Die Rechtsprechung ist der Kritik nicht gefolgt, da erst durch diese Zurechnung die Möglichkeit eröffnet wird, die Organe von juristischen Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. § 283 Abs. 6 StGB sei danach sinngemäß so zu lesen, dass es auf den Eintritt der Strafbarkeitsbedingung bei dem in der Krise befindlichen Schuldner ankomme, nicht notwendig bei dem strafrechtlich relevant Handelnden2. 95
Die Möglichkeit der Zurechnung ist aber nicht auf Organe von juristischen Personen beschränkt. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt eine Zurechnung auch für solche Personen in Betracht, die von dem eigentlich Verantwortlichen beauftragt sind, bestimmte Aufgaben des Unternehmensleiters in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Im Zusammenhang mit den §§ 283 ff. StGB kann dies insbesondere für den Buchhalter eines Unternehmens nach §§ 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 283b Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB oder für den mit der Bilanzierung beauftragten Steuerberater nach § 283 Abs. 1 Nr. 7, 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB gelten. § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass der Auftrag ausdrücklich (aber nicht unbedingt schriftlich) erteilt wurde3. Nicht erforderlich ist, dass der Beauftragte selbständig handelt; Pflichten können also auch an weisungsgebundene Mitarbeiter des Unternehmens zur eigenen Verantwortung übertragen werden. cc) Faktischer Geschäftsführer
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Nach ständiger Rechtsprechung kann Täter der §§ 283 ff. StGB auch der so genannte faktische Geschäftsführer sein4. Dies gilt nicht nur bei juristischen Personen, auch bei Personengesellschaften tauchen faktische Geschäftsführer auf, und entgegen der Bezeichnung gelten die Grundsätze auch für faktische Vorstände von AGs oder eGs, treten dort aber nur sehr selten auf. Ein faktischer Geschäftsführer ist derjenige, der trotz einer unwirksamen oder nicht erfolgten Bestellung die Geschäftsführeraufgaben tatsächlich wahrnimmt und dabei im Einverständnis bzw. zumindest mit Duldung der Gesellschafter oder eingetragenen Organe die Aktivitäten durchführt. Entscheidend ist dabei, dass der Handelnde dabei auch nach außen auftritt; eine bloß interne Leitung kann eine faktische Geschäftsführung nicht begründen5.
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Dafür kommt es nach den jeweils individuellen Umständen darauf an, wer auf Dauer die unternehmerischen Grundentscheidungen trifft, kurz: Wer der „Boss“ ist6. In einer grundlegenden Entscheidung hatte der BGH auf folgende äußere Umstände abgestellt7: Pflege der Geschäftsbeziehungen; Verhandlung 1 Insbesondere Labsch, wistra 1985, 1 ff.; vgl. auch Tiedemann, NJW 1977, 777 (780); Richter, GmbHR 1984, 137 (142); Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 23. 2 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, Vor § 283 Rz. 21 m.w.N. 3 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 14 Rz. 12. 4 BGH v. 10. 5. 2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62 (64); BGH v. 22. 9. 1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118; BGH v. 28. 6. 1966 – 1 StR 414/65, BGHSt 21, 101 (103); BGH v. 24. 6. 1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (37). Einen Überblick über die Rechtsprechung liefert Hildesheim, wistra 1993, 166 und Rönnau, NStZ 2003, 525. 5 BGH v. 27. 6. 2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414; BGH v. 11. 7. 2005 – II ZR 235/03, ZInsO 2005, 878; OLG Karlsruhe v. 7. 3. 2006 – 3 Ss 190/05, NJW 2006, 1364. 6 So Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 25. 7 BGH v. 22. 9. 1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 99
§5
von Verträgen; Verhandlung mit Banken; Identifikation des Unternehmens in der Ich-Form; Einstellung/Entlassung von Mitarbeitern; Ausstellung von Zeugnissen; Beauftragung/Bevollmächtigung des Steuerberaters für die Führung der Geschäftsbücher. Die Annahme eines faktischen Geschäftsführers wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass neben diesem ein förmlich bestelltes Organ existiert, was aus registerrechtlichen Gründen ohnehin stets der Fall sein wird1. Ist der ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführer aber nicht lediglich ein Strohmann des faktischen Geschäftsführers, sondern nimmt in gewissem Umfang tatsächlich selbst Aufgaben der Geschäftsführung wahr, kommt für den Tatbestand des faktischen Geschäftsführers ein weiteres Merkmal hinzu: Der faktische Geschäftsführer muss auf den bestellten Geschäftsführer einen gewissen Einfluss haben. Welche Anforderungen an diesen Einfluss zu stellen sind wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich formuliert2. Zum Teil wird gefordert, der faktische Geschäftsführer müsse eine überragende Stellung einnehmen3, in anderen Entscheidungen sollte bereits ein Übergewicht bzw. die Wahrnehmung der Geschäftsführung in weiterem Umfang ausreichen4. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Haftung des faktischen Geschäftsführers die strafrechtliche Verantwortlichkeit des rechtswirksam bestellten Geschäftsführers unberührt lässt. Dieser hat unabhängig von einem tatsächlichen Einfluss auf die Geschäftsführung neben dem faktischen Geschäftsführer seinen (Buchführungsund Bilanzierungs-)Pflichten nachzukommen5.
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dd) Sanierer Auch externe Sanierer wie beispielsweise Steuerberater oder Rechtsanwälte kommen als Täter für die Bankrottstraftaten in Betracht. Übernimmt ein außen stehender Dritter die Aufgabe, das in die Krise geratene Unternehmen zu retten, kommt es für seine Tätereigenschaft darauf an, wie er diese Aufgabe wahrnimmt und wie weit seine Befugnisse reichen. Wird der Sanierer zum Geschäftsführer bestellt, ist er ohne weiteres tauglicher Täter nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Erfolgt eine solche Bestellung nicht, hängt eine mögliche Strafbarkeit nach §§ 283 ff. StGB davon ab, ob der Sanierer im Wesentlichen die Geschäftsführung übernimmt oder ob er lediglich einzelne Entscheidungen trifft oder den Geschäftsführer berät. Zu prüfen ist anhand der genannten Indizien, ob der Sanierer durch seine Tätigkeit zum faktischen Geschäftsführer wird. Reicht seine Stellung für die Annahme eines faktischen Geschäftsführers nicht aus, kommt nur eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe in Betracht.
1 2 3 4
BGH v. 22. 9. 1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118. So das BayObLG v. 29. 1. 1991 – 4 St 9/91, wistra 1991, 195 (197). BGH v. 22. 9. 1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 (122). BGH v. 17. 4. 1984 – 1 StR 736/83, StV 1984, 461; OLG Düsseldorf v. 16. 10. 1987 – 5 Ss 193/87, NStZ 1988, 368 (369). 5 Maurer, wistra 2003, 174 (175 f.); Rönnau, NStZ 2003, 525 (526 f.); a.A. KG v. 13. 3. 2002 – (5) 1 Ss 243/01 (6/02), wistra 2002, 313 (314 f.), das darauf abstellt, dass der Angeklagten die Erstellung der Bilanz mangels tatsächlichen Einflusses auf die Geschäftsführung unmöglich gewesen sei.
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§5
Rz. 100
Insolvenzstrafrecht
b) Objektive Bedingungen der Strafbarkeit 100
Eine Verurteilung nach § 283 StGB setzt als objektive Bedingung der Strafbarkeit voraus, dass der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen worden ist, § 283 Abs. 6 StGB. Da es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt, ist es nicht erforderlich, dass den Täter am Eintritt dieser Umstände ein Verschulden trifft1. § 283 Abs. 6 StGB findet mit gewissen Abweichungen auch auf die §§ 283a bis 283d StGB Anwendung. aa) Zahlungseinstellung
101
Zahlungseinstellung bedeutet, dass der Schuldner generell aufgehört hat, seine Schulden zu begleichen und dies nach außen erkennbar geworden ist2. Zwar gehen Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähigkeit regelmäßig miteinander einher (vgl. auch § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), notwendig ist dies aber nicht3. Weitergehend als in der InsO ist im strafrechtlichen Sinne Zahlungseinstellung auch dann gegeben, wenn der Schuldner nicht zahlt, obwohl er es könnte4. Dies mag beispielsweise der Fall sein, weil er irrtümlich davon ausgeht, zahlungsunfähig zu sein, oder weil er aus böser Absicht nicht mehr zahlt (Zahlungsunwilligkeit)5; oftmals ist die Zahlungsunwilligkeit jedoch nur vorgeschoben, um die Zahlungsunfähigkeit zu verheimlichen. Abzugrenzen ist auch die Zahlungseinstellung von der Zahlungsstockung. Eine bloße Zahlungsstockung i.S.d. InsO liegt vor, wenn die aufgetretene Liquiditätslücke/Unterdeckung von weniger als 10% der fälligen Gesamtverbindlichkeiten innerhalb von drei Wochen durch den Schuldner geschlossen werden kann; ansonsten besteht Zahlungsunfähigkeit6. Zahlungseinstellung liegt zumindest dann nicht vor, wenn in absehbarer Zeit wieder ausreichende liquide Mittel zu erwarten sind7. Ferner begründet die Nichtzahlung einzelner Forderungen grundsätzlich noch keine Zahlungseinstellung, wenn der Schuldner die Forderung für unbegründet hält. Ausreichen kann andererseits aber auch, dass ein einzelner (Groß-)Gläubiger nicht bezahlt werden kann.
1 BGH v. 8. 5. 1951 – 1 StR 171/51, BGHSt 1, 186 (191); zum Erfordernis des sog. inneren Zusammenhangs vgl. Maurer, wistra 2003, 253; Wilhelm, NStZ 2003, 511; BayObLG v. 8. 8. 2002 – 5 St RR 202/2002, NStZ 2003, 214. 2 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2223); BGH v. 20 11. 2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87 (89); BGH v. 27. 4. 1995 – IX ZR 147/95, ZIP 1995, 929 (930). 3 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, Vor § 283 Rz. 13. 4 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 11 f. 5 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 11 m.w.N. 6 Grundlegend BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZInsO 2005, 807; BGH v. 13. 6. 2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 (1458); vgl. dazu auch Bruns, EWiR 2005, 767 f.; Knolle/ Tetzlaff, ZInsO 2005, 897; Stahlschmidt, ZInsO 2005, 1086 (1088); Kritische Anm. Kamm/Köchling, ZInsO 2006, 732 ff. sowie Thonfeld, NZI 2005, 550 (552); zu den Auswirkungen Neumaier, NJW 2005, 3041 (3043) und Wolf/Kurz, DStR 2006, 1339 ff. 7 Zum Maßstab für § 17 Abs. 2 InsO vgl. BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 123/04, ZInsO 2005, 807; Neumaier, NJW 2005, 3041 (3043).
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 105
§5
bb) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Abweisung mangels Masse Die mit gewissen Spielräumen behaftete Frage, ob Zahlungseinstellung gegeben ist, braucht für eine Strafverfolgung nicht mehr beantwortet zu werden, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet oder mangels Masse abgelehnt wurde. Der Strafrichter darf die Voraussetzungen des Eröffnungsbeschlusses nicht selber prüfen, entscheidend ist nur das Vorliegen eines rechtskräftigen Eröffnungsbeschlusses oder die rechtskräftige Abweisung mangels Masse1. Ohne Auswirkungen auf die Strafbarkeit ist es, wenn ein eröffnetes Verfahren später wieder eingestellt wird.
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c) Der Bankrott, § 283 StGB § 283 StGB ist die zentrale Vorschrift des Insolvenzstrafrechts und erfasst alle denkbaren Bankrotthandlungen des Täters. Wie bereits dargestellt, ist für alle Varianten des § 283 StGB erforderlich, dass der Handelnde tauglicher Täter im Sinne des § 283 StGB ist und dass die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach Abs. 6 eingetreten ist. Während die Abs. 1 und 2 nur die vorsätzliche Tatbegehung unter Strafe stellen, enthält Abs. 4 eine Kombination aus Vorsatz und Fahrlässigkeit und Abs. 5 stellt nur fahrlässiges Handeln unter Strafe. Der Versuch ist nach § 283 Abs. 3 StGB strafbar.
103
aa) Straftatbestände des Abs. 1 In Abs. 1 des § 283 StGB werden verschiedene vorsätzlich begangene Handlungsweisen während einer Krise unter Strafe gestellt; die Nr. 1–7 enthalten eine Aufzählung typischer Verhaltensweisen und werden durch eine Generalklausel in Nr. 8 ergänzt.
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(1) Beiseiteschaffen/Verheimlichen/Zerstören (Nr. 1) (a) Schutzgut der Vorschrift Nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer Gegenstände einer späteren Insolvenzmasse beiseite schafft oder verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Von dem Verbot des Beiseiteschaffens, Verheimlichens oder Zerstörens umfasst sind alle Vermögensbestandteile, die im Falle der Insolvenz nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehören würden. Nicht erfasst sind daher alle unpfändbaren Gegenstände2, die Arbeitskraft des Schuldners3, vom Insolvenzverwalter freigegebene Gegenstände4 und solche Gegenstände, die wertlos sind. Allerdings gibt es keine Wertgrenze nach unten, so dass auch geringwertige Gegenstände unter das Verbot fallen. Zu den geschützten Gegenständen zählen auch solche, die über ihren Wert hinaus mit Sicherungsrechten belastet sind oder zur Sicherheit übereig1 2 3 4
RG v. 6. 7. 1894 – Rep. 2087/94, RGSt 26, 37. RG v. 24. 3. 1939 – 1 D 23/39, RGSt 73, 127 (128). OLG Düsseldorf v. 23. 12. 1981 – 3 Ws 243/81, NJW 1982, 1712. Vgl. RG v. 19. 10. 1918 – V 176/18, RGZ 94, 55.
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§5
Rz. 106
Insolvenzstrafrecht
net wurden, da dem Gläubiger in diesen Fällen nur ein Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 1 InsO zusteht1. Der wirtschaftliche Wert für die Insolvenzmasse besteht bei solchen Gegenständen darin, dass die Masse durch Auskehr des Veräußerungserlöses an den Absonderungsberechtigten von den entsprechenden Ansprüchen des Berechtigten frei wird (zur Stellung als Absonderungsberechtigter vgl. § 7 Rz. 135 ff. und 232 ff.). Nicht erfasst sind grundsätzlich mit Aussonderungsrechten belastete Gegenstände (zu den aussonderungsfähigen Objekten s. § 7 Rz. 21). Daher sind aufgrund des Aussonderungsrechts nach § 47 InsO unter einfachem Eigentumsvorbehalt gelieferte Gegenstände nicht erfasst; unter das Verbot fällt bei diesen Gegenständen aber das Anwartschaftsrecht des Schuldners, wenn der Sachwert die Restkaufpreisforderung übersteigt und damit ein Erlös für die Masse zu erwarten ist2. Dem Schuldner zur Sicherheit übereignete Sachen scheiden ebenfalls aus, da sie wirtschaftlich dem Vermögen des Sicherungsgebers zuzurechnen sind. (b) Beiseiteschaffen 106
Beiseiteschaffen ist jede Handlung, die Gegenstände dem Zugriff der Gläubiger entzieht oder deren Zugriff wesentlich erschwert3. Neben dem tatsächlichen Wegschaffen von Gegenständen fallen darunter auch solche Handlungen, die den rechtlichen Zugriff auf die Gegenstände erschweren, insb. auch die Vornahme von Verfügungsgeschäften. Typische Handlungen sind Verstecken, Verbrauchen, Übereignen (auch zur Sicherheit), Verpfänden und Verarbeiten von Sachen, Überweisen und Abheben von Bankguthaben oder das Abtreten, Erlassen und Einziehen von Forderungen (vgl. zu typischen Beispielen bereits oben Rz. 13 f.). Der Abschluss von schuldrechtlichen Verpflichtungsverträgen stellt noch kein vollendetes Beiseiteschaffen dar, sondern lediglich einen Versuch. Vollendung tritt erst mit der dinglichen Rechtsänderung ein. Nimmt der Täter von der Durchführung des schuldrechtlichen Vertrages freiwillig Abstand, kann darin ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB liegen.
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Als weitere Voraussetzung muss das Beiseiteschaffen den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen. Dieses Merkmal bezieht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift zwar nur auf die Handlungsalternativen des Zerstörens, Beschädigens und Unbrauchbarmachens, wird aber von Rechtsprechung und Literatur auch auf die übrigen Handlungsmodalitäten angewandt4. Ansonsten fiele nach dem Eintritt der Krise auch jedes Handeln im Rahmen einer normalen weiteren geschäftlichen Tätigkeit zumindest tatbestandsmäßig unter § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der ordnungsgemäßen Wirtschaft widerspricht eine Handlung, wenn dem Vermögen im Zusammenhang mit der Handlung kein gleichwertiger und kein dem Zugriff der Gläubiger unterliegender Gegenwert zufließt. Zu prüfen ist also immer, ob die Gegenleistung für eine Leistung 1 BGH v. 24. 6. 1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (36). 2 BGH v. 24. 6. 1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (33); vgl. auch BGH v. 17. 11. 1953 – 5 StR 450/53, BGHSt 5, 119. 3 RG v. 2. 5. 1930 – I 296/30, RGSt 64, 138 (140) (zu „entziehen“); RG v. 15. 2. 1932 – II 1381/31, RGSt 66, 130 (131) (zu „wesentlich erschweren“). 4 RG v. 8. 10. 1928 – III 606/28, RGSt 62, 277 (278); BGH v. 10. 4. 1952 – 5 StR 52/52, NJW 1952, 898; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 63.
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des Schuldners unangemessen ist und damit den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widerspricht. Wird ein Vermögensgegenstand in der Weise beiseite geschafft, dass er einem der Gläubiger des Schuldners zugute kommt, ist dies ein Fall der Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB. § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB kommt dann nicht mehr zur Anwendung, da § 283c StGB eine Privilegierung darstellt (vgl. zu § 283c StGB unten Rz. 166 ff.)1. (c) Verheimlichen Der Täter verheimlicht Vermögensgegenstände, wenn er diese der Kenntnis der Gläubiger oder nach Verfahrenseröffnung dem Insolvenzverwalter entzieht2, wofür das Ableugnen auf eine Frage oder das Verschweigen entgegen einer Rechtspflicht zur Auskunft genügt3. Gegenüber dem Insolvenzverwalter besteht eine vollständige Offenbarungspflicht nach §§ 20, 97, 153 InsO, sobald dieser den Schuldner zur Auskunft auffordert (vgl. oben Rz. 51). Für die Vollendung der Tat reicht bereits das Verschweigen. Ob dieses dazu führt, dass der betroffene Gegenstand dem Zugriff der Gläubiger tatsächlich entzogen wird, ist unerheblich.
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(d) Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen Auch für die Handlungsalternativen des Zerstörens, Beschädigens und Unbrauchbarmachens gilt die Beschränkung auf Handlungen, die der ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen. Motivation des Schuldners kann hier nur eine Gläubigerschädigung ohne eigenen Vorteil sein, weshalb die Handlung stets einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widerspricht. Die praktische Bedeutung dieser Tatbestandsalternative ist gering.
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(2) Verlustgeschäfte und andere (Nr. 2) § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt zum einen Verlust-, Spekulations- oder Differenzgeschäfte mit Waren oder Wertpapieren unter Strafe, wenn diese den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen; zum anderen unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel oder Wette, wenn dadurch übermäßige Beträge verbraucht werden.
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(a) Verlust-, Spekulations- und Differenzgeschäfte Verlustgeschäfte liegen vor, wenn bereits bei Vertragsschluss erkennbar ist, dass die Ausgaben für das Geschäft die Einnahmen übersteigen werden. Beispielsweise wenn der Täter Waren unter Einkaufspreis verkauft oder Aufträge annimmt, die bereits nach der Kalkulation die Ausgaben nicht erwirtschaften 1 BGH v. 12. 7. 1955 – 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55 (56); BGH v. 6. 11. 1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221 (225); BGH v. 29. 9. 1988 – 1 StR 332/88, BGHSt 35, 357 (359). 2 RG v. 20. 11. 1933 – II 545/33, RGSt 67, 365. 3 BGH v. 20. 12. 1957 – 1 StR 492/57, BGHSt 11, 145 (146); vgl. zum Umfang der Auskunftspflichten des Schuldners, Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. 2007, § 6 Rz. 550 ff.
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werden. Stellt sich erst nach Vertragsschluss heraus, dass ein Geschäft einen Verlust herbeiführen wird, fällt dies nicht unter § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB. 112
Spekulationsgeschäfte sind solche Geschäfte, bei denen einer besonders großen Gewinnmöglichkeit ein sehr hohes Verlustrisiko gegenübersteht und der Gewinn zumeist vom Zufall abhängt1.
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Differenzgeschäfte sind solche, die auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren gerichtet sind und in der Absicht geschlossen werden, nach Ablauf der Vertragszeit eine gewinnbringende Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis erzielen zu können2. Ziel des Täters muss die Erlangung des Differenzpreises sein; kommt es ihm dagegen auf die durch die Verträge erfassten Waren oder Rechte an, handelt es sich nicht um Differenzgeschäfte in diesem Sinne. Unbestritten zählten zu Differenzgeschäften die Verträge nach dem 2002 aufgehobenen § 764 BGB; strittig und durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt ist dies für zulässige Börsentermingeschäfte3.
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Bei diesen Handlungsalternativen ist weitere Voraussetzung, dass die Handlungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen. Tatbestandsmäßig sind also nicht solche Geschäfte, die ein ordentlicher Kaufmann in Ausnahmesituationen auch tätigen würde: Beispielsweise die Annahme von Verlustaufträgen, um ein Konjunkturtief zu überstehen oder die Veräußerung verderblicher Ware unter Preis, wenn diese ansonsten zu verderben droht4. Vollendung der Tat tritt mit dem Abschluss des Geschäfts ein; auf dessen Durchführung und die Realisierung des Risikos oder Verlustes kommt es grundsätzlich nicht mehr an. Führt ein riskantes Geschäft aber zu einem Gewinn, soll, da der Schutzzweck der Norm nicht verletzt ist, eine Strafbarkeit entfallen5. (b) Unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel und Wette
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Unwirtschaftlich sind Ausgaben, die das für den betroffenen Zeitraum notwendige und übliche Maß übersteigen und in einem unangemessenen Verhältnis zum Vermögen des Schuldners stehen6. Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der Wirtschafts- und Liquiditätslage des Schuldners; bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften ist in die Betrachtung auch das persönliche Vermögen der Mithaftenden einzubeziehen. Beispiele sind aussichtslose Investi-
1 RG v. 2. 7. 1887 – Rep. 1390/87, RGSt 16, 238; RG v. 13. 1. 1887 – 3305/86, RGSt 15, 281. 2 RG v. 5. 4. 1886 – 652/86, RGSt 14, 80 (85). 3 Für die Einbeziehung unter Nr. 2 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 9; Nomos Studienkommentar, StGB, § 283 Rz. 32; dagegen Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, 2. Aufl. 1996, § 283 Rz. 59; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 69; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 269. 4 Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 70. 5 BGH v. 18. 3. 1939 – 5 StR 59/69, BGHSt 22, 360 (361). Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 10; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 268, 270. 6 BGH v. 17. 6. 1952 – 1 StR 668/51, BGHSt 3, 23 (26); RG v. 15. 6. 1936 – 2 D 181/36, RGSt 70, 260 (261).
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tionen, Luxusanschaffungen1, überhöhte Spesenkosten2, gegebenenfalls übermäßige Werbung3 oder Expansion. Nicht unter die Vorschrift fallen übliche Löhne, Gehälter und Betriebskosten oder die Entnahme eines angemessenen Unterhalts4 und angemessener Lebensversicherungsprämien5. Unter Spiel und Wette fallen die Verträge des § 762 BGB, also insbesondere Lotto, Kettenbriefaktionen und Sport- oder sonstige Wetten.
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Ob durch diese Handlungen übermäßige Beträge verbraucht wurden, ist wieder durch eine Gesamtwürdigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme des Geschäftes zu ermitteln; es gilt das zu der Handlungsalternative der unwirtschaftlichen Ausgaben Gesagte entsprechend.
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Vollendet ist die Tat bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages. Allerdings muss der Täter durchsetzbare Forderungen gegen sich begründet haben, Naturalobligationen aus Spiel und Wette reichen nicht aus6.
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(3) Waren- oder Wertpapiergeschäfte (Nr. 3) In § 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter Strafe gestellt ist das Verschleudern von Waren oder Wertpapieren oder aus diesen hergestellter Sachen, die der Schuldner sich auf Kredit beschafft hat. Tathandlung ist das Abgeben dieser Gegenstände, zumeist durch Verkauf, Tausch oder Verpfändung, erheblich unter ihrem zu dem Zeitpunkt geltenden aktuellen Marktwert; auf den Einkaufspreis kommt es – anders als bei den Verlustgeschäften nach Nr. 2 – nicht an7. Da dies wiederum gegen eine ordnungsgemäße Wirtschaft verstoßen muss, sind solche Verkäufe nicht erfasst, die auch der ordentliche Kaufmann durchführen würde, beispielsweise Räumungsverkäufe von Saisonartikeln, Lockvogelangebote, sog. Mischkalkulationen und Preiskämpfe mit Konkurrenten.
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Waren sind alle beweglichen Sachen, die Gegenstände des Handelsverkehrs sein können; Wertpapiere im Sinne der Vorschrift sind nur Inhaber- und Orderpapiere, also solche Papiere, die Rechte verkörpern (Inhaberschecks, Wechsel, Inhaberaktien und -schuldverschreibungen), d.h. bei denen das Recht aus dem Papier dem Recht an dem Papier folgt; dazu zählen nicht die Rektapapiere wie z.B. Hypotheken- und Grundschuldbriefe8. Beschaffen setzt voraus, dass der Schuldner die Gegenstände so an sich bringt, dass er darüber verfügen kann. Ob das zugrunde liegende Geschäft unwirksam oder anfechtbar (häufig wegen arglistiger Täuschung über die Zahlungsfähig1 Vgl. Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283 Rz. 17. 2 Z.B. BGH v. 10. 2. 1981 – 1 StR 515/80, MDR 1981, 510 (511); Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 11 m.w.N. 3 Vgl. RG v. 8. 6. 1939 – 5 D 204/39, RGSt 73, 230. 4 BGH v. 10. 2. 1981 – 1 StR 515/80, NStZ 1981, 259 mit Anm. Schlüchter, JR 1982, 29. 5 RG, JW 1934, 2472. 6 So BGH v. 18. 3. 1939 – 5 StR 59/69, BGHSt 22, 360; anders noch RG v. 22. 5. 1891 – 1362/91, RGSt 22, 12; Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283 Rz. 15. 7 RG v. 27. 2. 1913 – III 1044/12, RGSt 47, 61. 8 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 73.
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keit) ist oder die Sachen unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, ist unerheblich. Eine Beschaffung auf Kredit ist immer dann gegeben, wenn die Waren nicht sofort bei Übergabe bezahlt werden. Werden die Waren zwar sofort bezahlt, aber mit Mitteln, die ihrerseits aus einem Kredit stammen, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet, es kommt aber eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB in Betracht. Nicht aus dem Wortlaut, aber aus dem Schutzzweck der Vorschrift ergibt sich, dass eine Strafbarkeit entfällt, wenn die zunächst auf Kredit gelieferten Waren vor der Verschleuderung vollständig bezahlt worden sind, da eine Schädigung des Lieferanten nicht mehr eintritt1. (4) Vortäuschen oder Anerkennen von Rechten (Nr. 4) 121
§ 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellt das Vortäuschen von Rechten Dritter oder Anerkennen nicht existenter Rechte unter Strafe, wobei es sich um Rechte jeder Art handeln kann. Vorgetäuscht wird ein Recht, wenn der Täter nach außen ein nicht oder nicht so bestehendes Recht als bestehend ausgibt; auf den Erfolg der Täuschung oder eine spätere Erfüllung des Rechts kommt es nicht an. Nach außen handelt der Täter beispielsweise bei einer eidesstattlichen Versicherung nach § 98 Abs. 1 InsO, bei Angaben gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder bei Angaben gegenüber den Gläubigern. Die Täuschung kann auch konkludent erfolgen, beispielsweise durch Fälschung von Unterlagen, die Dritten vorgelegt werden sollen2. Neben der Vortäuschung eines insgesamt nicht bestehenden Rechts werden auch die Täuschung über den Umfang des Rechts oder eine nicht vorhandene insolvenzrechtliche Bevorrechtigung erfasst; nicht dazu zählt allerdings die Angabe eines anderen Schuldgrundes für ein tatsächlich in der angegebenen Höhe bestehendes Recht3.
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Bei der Anerkennung nicht existenter Rechte muss der Täter mit einem Dritten zusammenwirken und dieser muss fiktive Rechte geltend machen, die der Täter irgendwie, auch formlos4, als bestehend bestätigt. Die Rechte müssen frei erfunden sein und dürfen nie bestanden haben. Die Handlungsalternative ist also nicht erfüllt, wenn der Täter aus Kulanz eine verjährte Forderung oder Naturalobligationen anerkennt. Erkennt das Organ einer juristischen Person nicht existente Forderungen an, die es selbst gegen die Gesellschaft erhebt, so ist es aufgrund der Interessentheorie nicht Täter im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB, da er nicht auch im Interesse der Gesellschaft handelt (vgl. dazu oben Rz. 93); eine Strafbarkeit ergibt sich dann aus §§ 263 oder 266 StGB. (5) Buchführungspflichten (Nr. 5)
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Strafbar nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB macht sich derjenige, der Handelsbücher, zu deren Führung er gesetzlich verpflichtet ist, nicht führt oder so führt bzw. verändert, dass die Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert wird. 1 2 3 4
Vgl. RG v. 23. 5. 1938 – 3 D 271/38, RGSt 72, 187 (190). Herlan, GA 1953, 74. BGH, LM Nr. 14 zu § 239 KO. RG v. 12. 10. 1928 – I 867/28, RGSt 62, 287 (288).
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(a) Adressatenkreis/Täter Wer gesetzlich verpflichtet ist, Handelsbücher zu führen, ergibt sich im Wesentlichen aus den §§ 238 ff. i.V.m. §§ 1 ff. HGB. Ergänzt werden die Vorschriften des Handelsrechts abhängig von der Rechtsform des Unternehmens durch die §§ 150 ff. AktG, §§ 41 ff. GmbHG, § 33 GenG und dem PublG. Verpflichtet sind danach grundsätzlich alle Gewerbetreibenden, d.h. Personenhandelsgesellschaften, juristische Personen und kaufmännische Einzelunternehmen, jedoch mit Ausnahme der Einzelunternehmen, die keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb benötigen (§ 1 Abs. 2 HGB) und nicht freiwillig im Handelsregister eingetragen sind (§ 2 HGB). Für den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Mutterunternehmen in Deutschland ist seit 2005 die Rechnungslegung nach IAS/IFRS maßgebend, woraus zugleich der Umfang der Buchführungspflichten folgt1.
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Bei juristischen Personen ist strafrechtlich für die Einhaltung der Buchführungsvorschriften das entsprechende Organ verantwortlich – bei der GmbH also der Geschäftsführer2. Bei den Personenhandelsgesellschaften sind dies grundsätzlich alle persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Gemeint ist damit nicht, dass diese Personen verpflichtet sind, die Buchhaltung persönlich zu erstellen. Die Delegierung dieser Pflicht auf einzelne Gesellschafter oder Außenstehende (z.B. Steuerberater) durch interne Regelungen ist möglich und kann von der strafrechtlichen Verantwortung befreien. Derjenige, dem die Aufgaben übertragen werden, muss aber von dem eigentlich in der Pflicht Stehenden sorgfältig ausgesucht und regelmäßig überwacht werden3. Die Pflicht zur sorgfältigen und regelmäßigen Überwachung besteht auch gegenüber Mitgesellschaftern und seit langem zuverlässig arbeitenden Beauftragten. Insbesondere bei Anzeichen für eine Krisensituation sind strenge Kontrollen erforderlich4. Die persönliche Unfähigkeit des Pflichtigen, die Bücher zu führen, ist strafrechtlich unerheblich und kein Entschuldigungsgrund5. Umstritten ist, ob eine Strafbarkeit aus § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB entfällt, wenn die Buchführung nicht mehr erledigt wurde, weil der Pflichtige keine finanziellen Mittel mehr hatte, die damit beauftragten Hilfspersonen zu bezahlen6.
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1 Zu den strafrechtlichen Auswirkungen vgl. Wolf, StuB 2003, 775 ff. 2 Zur Strafbarkeit des GmbH-Geschäftsführers vgl. Biletzki, NStZ 1999, 537 ff. 3 Zum Überwachungsmaßstab vgl. BGH v. 1. 7. 1997 – 1 StR 244/97, StV 1998, 126 (127); Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 1. Aufl. 2004, § 12 Rz. 159, 246. 4 Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 20. 5 RG v. 17. 9. 1881 – 1737/81, RGSt 4, 418. 6 Dazu BGH v. 20. 12. 1978 – 3 StR 408/76, BGHSt 28, 231; BGH v. 3. 12. 1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145; BGH v. 19. 1. 1993 – 1 StR 518/92, NStZ 1994, 424; BGH v. 5. 11. 1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; BGH v. 14. 12. 1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136; BGH v. 30. 1. 2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804 (805); ausdrücklich für die Buchführungspflichten BGH v. 30. 1. 2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804; OLG Düsseldorf v. 23. 7. 1998 – 5 Ss 101/98-37/98, wistra 1998, 360 (361); vgl. auch Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 81, kritisch insoweit Bieneck in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 82 Rz. 26 f.; Beckemper, JZ 2003, 806 ff. m.w.N.
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§5 126
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Die Interessentheorie (vgl. oben Rz. 93) ist im Zusammenhang mit den Buchführungsdelikten nach h.M. nicht von Bedeutung1. Die Frage, ob der Täter bei der Missachtung seiner Buchführungspflichten im eigenen Interesse oder dem des Unternehmens gehandelt hat, stellt sich nicht. (b) Handelsbücher
127
Welche Bücher ein Gewerbetreibender führen muss, ergibt sich nicht ausdrücklich aus dem HGB, sondern aus den gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung. Zumindest muss ein sachverständiger Dritter anhand der geführten Unterlagen in der Lage sein, sich in relativ kurzer Zeit einen vollständigen Überblick über die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens zu verschaffen2. Grundsätzlich erforderlich sind dazu zumindest die Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle in chronologisch und sachlich geordneter Form (Grund- und Hauptbuch), die Führung eines Kassenbuches und die Ablage einer Kopie jedes abgesandten Handelsbriefes nach § 238 Abs. 2 HGB. Zu den Aufzeichnungen gehört auch die Ablage und Aufbewahrung der entsprechenden Belege. Ferner zählen dazu die Erstellung von Bilanzen und Inventarverzeichnissen, die aber in der Regel von § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB als der spezielleren Norm erfasst werden. Die Pflicht zur Erstellung weiterer Aufzeichnungen ist abhängig von den konkreten Anforderungen des Unternehmens, insbesondere seiner Struktur und Größe. Für kleine Unternehmen oder Unternehmen mit nur wenigen Geschäftsvorfällen kann im Einzelfall auch die bloß geordnete Ablage der Belege ausreichen. (c) Tathandlungen
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In der ersten Alternative des § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB wird das Unterlassen der Buchführung unter Strafe gestellt. Dies ist erfüllt, wenn der Pflichtige überhaupt keine Bücher führt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass eine Strafbarkeit wegen Unterlassen der Buchführung auch dann gegeben ist, wenn die Buchführung zu spät erstellt wird, da zu den Buchführungspflichten die zeitnahe Verbuchung der Geschäftsvorfälle gehört3. Zeitnah in diesem Zusammenhang bedeutet wohl zwei Wochen, zum Teil werden auch maximal sechs Wochen vertreten4.
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Eine unzureichende Buchführung nach der zweiten Alternative der Vorschrift liegt vor, wenn diese unvollständig, unrichtig, nicht zeitnah oder ungeordnet ist und dadurch ein falsches Bild über die wirtschaftliche Gesamtsituation des Unternehmens vermittelt. Strafbar ist sowohl die unzureichende Erstellung 1 Vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 438 ff.; Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 1. Aufl. 2004, § 12 Rz. 47. 2 Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, 2. Aufl. 1996, § 283 Rz. 94; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 461; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 83. 3 RG v. 26. 10. 1906 – II 436/06, RGSt 39, 217 (219); RG v. 21. 9. 1915 – II 374/15, RGSt 49, 276 (277); vgl. auch Schäfer, wistra 1986, 201 ff. 4 Zwei Wochen: Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 85; ein Monat: Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 464; sechs Wochen: Schäfer, wistra 1986, 200 (201) m.w.N.
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Rz. 133
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der Buchführung, als auch die nachträgliche Manipulation an den bereits erstellten Unterlagen. Typische Fälle sind die Angabe von falschen Werten, die unvollständige Aufbewahrung von Belegen, die Buchung von fiktiven und die Nichtbuchung von tatsächlichen Vorgängen, Buchung der Vorgänge bereits im Zusammenhang mit dem Verpflichtungsgeschäft, nicht erst bei Erfüllung und die Verschleierung von Vorgängen und Geschäftspartnern1. Für eine Strafbarkeit nicht ausreichend sind einzelne Fehlbuchungen oder einzelne fehlende Belege2. (6) Aufbewahrungspflichten (Nr. 6) § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB stellt die Verletzung der Aufbewahrungspflichten von Unterlagen der Buchhaltung unter Strafe. Erforderlich ist wiederum, dass durch die Verletzung dieser Pflichten die Übersicht über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens erschwert wird.
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(a) Adressatenkreis/Täter Weitergehend als die Regelung nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB richtet sich § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB nicht nur an die zur Führung von Handelsbüchern Verpflichteten, sondern auch an diejenigen, die entsprechende Bücher freiwillig führen. Dies waren nach Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Handelsrechtsreformgesetzes vom 22. 6. 1998 insbesondere die Minderkaufleute. Umstritten ist, ob auch die Angehörigen der freien Berufe dazu zählen, die beispielsweise aus steuerlichen Gründen oder aufgrund standesrechtlicher Regeln solche Bücher führen3.
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Der Wegfall der Kaufmannseigenschaft und die Betriebsaufgabe führen nicht zum Wegfall der Aufbewahrungspflichten. Im Falle des Todes des Verpflichteten gehen die Aufbewahrungspflichten auf die Erben oder den Testamentsvollstrecker über; im Falle der Insolvenz auf den Insolvenzverwalter.
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(b) Tathandlungen Tathandlungen sind das Beiseiteschaffen, das Verheimlichen, das Zerstören und Beschädigen der Unterlagen, zu dessen Aufbewahrung der Täter verpflichtet ist. Dies sind die oben zu § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB aufgeführten Bücher und Unterlagen (Rz. 127). Zur Beschädigung der Unterlagen zählt auch die Unbrauchbarmachung der Systematik oder Veränderung der Ordnung der Unterlagen, ohne die Unterlagen selbst zu beschädigen. Für ein Verheimlichen ist es ausreichend, dass dem Insolvenzverwalter die vollständigen Geschäftsunterlagen nicht ausgehändigt bzw. ihr Aufenthaltsort nicht mitgeteilt werden4. Ent1 Vgl. auch Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 464, Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283 Rz. 34 f. beide m.w.N. 2 Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 85. 3 Dagegen: Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, 2. Aufl. 1996, § 283 Rz. 123; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 467, 468. Dafür: Bieneck in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 82 Rz. 6 ff.; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 87. 4 LG Potsdam v. 17. 9. 2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193.
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scheidend ist wieder, ob durch die Tathandlung ein sachverständiger Dritter außer Stand gesetzt wird, sich in angemessener Zeit einen Überblick über den Vermögensstand des Unternehmens zu verschaffen. 134
Strafbar ist das Beiseiteschaffen nur, wenn es vor Ablauf der in § 257 HGB geregelten Aufbewahrungsfristen geschieht. Nach § 257 HGB sind Handelsbücher, Inventare, Bilanzen sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Unterlagen und Buchungsbelege zehn Jahre aufzubewahren; die übrigen Unterlagen sind sechs Jahre aufzubewahren. Nach § 257 Abs. 5 HGB beginnt die Frist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterlagen vollständig erstellt wurden bzw. beim Pflichtigen eingegangen sind. Zu beachten ist noch, dass die Verwirklichung der Tathandlungen des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB häufig auch zu einer Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB) oder veruntreuender Unterschlagung (§ 246 Abs. 1, 2 StGB) führt1. (7) Bilanzen (Nr. 7)
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§ 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB stellt im Zusammenhang mit Bilanzen zwei verschiedene Handlungsalternativen unter Strafe: die fehlerhafte Aufstellung von Bilanzen und deren verspätete Aufstellung2. Adressat der Vorschrift sind Istkaufleute, da nur solche zur Aufstellung von Bilanzen verpflichtet sind, vgl. §§ 242 Abs. 1, 264, 264a HGB. Das Delegieren der Bilanzierung an interne oder externe Helfer entlastet nicht von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit; vielmehr hat der Schuldner die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl, ausreichenden Überwachung und Information der Hilfspersonen3. (a) Fehlerhafte Bilanzaufstellung
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In den §§ 242 ff. HGB ist geregelt, wie Bilanzen zu erstellen sind. § 242 Abs. 1 HGB fordert, dass der Kaufmann zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit eine Eröffnungsbilanz erstellt. Diese Verpflichtung gilt auch, wenn in dem relevanten Zeitpunkt noch keine Aktiva oder Passiva vorhanden sind. Zu erstellen ist eine Eröffnungsbilanz weiterhin, wenn durch Eintritt eines Gesellschafters in das Geschäft eines Einzelkaufmanns eine Gesellschaft entsteht oder wenn eine Gesellschaft durch Austritt zu einem Einzelunternehmen wird4. Die (Eröffnungs-)Bilanz soll sowohl dem Kaufmann selbst als auch Dritten wie z.B. Kreditgebern oder Lieferanten einen Überblick über die Vermögenslage des Unternehmens, insbesondere über die zur Verfügung stehende Haftungsmasse ermöglichen (Publizität).
137
Am Ende eines jeden Geschäftsjahres ist ein Jahresabschluss zu erstellen, § 242 Abs. 1, 3 HGB. Aktiva und Passiva sind nach den Vorschriften der §§ 266 ff. HGB zu gliedern und summarisch gegenüberzustellen. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich durch einen Vergleich mit dem vorhergehenden 1 Vgl. BGH v. 29. 1. 1980 – 1 StR 683/79, NJW 1980, 1174; LG Potsdam v. 17. 9. 2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193. 2 Ausführlich dazu Reck, ZInsO 2001, 633 ff. 3 BGH v. 19. 12. 1997 – 2 StR 420/97, NStZ 1998, 248 (249); Reck, ZInsO 2001, 633 (634). 4 RG v. 23. 11. 1894 – 3296/94, RGSt 26, 222.
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§5
Abschluss der Bilanzgewinn oder Bilanzverlust. Nach § 242 Abs. 2 i.V.m. §§ 275 ff. HGB ist daneben eine Gewinn- und Verlustrechnung zu erstellen, in der die Aufwendungen und Erträge des Unternehmens aufzuführen sind. Bei mittelgroßen und großen (vgl. § 267 HGB) Kapitalgesellschaften (GmbH, AG und KGaA) ist die Bilanz durch einen erläuternden Anhang sowie einen Lagebericht zu ergänzen, §§ 284 ff. HGB. Tathandlungen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB sind alle Handlungen, die dazu führen, dass die Übersicht über den Vermögensstand des Unternehmens erschwert wird. In der Praxis besonders relevant sind beispielsweise: die Einstellung von fiktiven Forderungen; die Einstellung von Forderungen mit ihrem Nennwert, deren Durchsetzung nicht zu erwarten ist; das Weglassen von Passiva; die ungenaue Bezeichnung und Vermischung von Bilanzposten; die Einbuchung erfolgswirksamer Umgehungshandlungen wie Konzernverschiebungen und die Ausweisung überhöhter Forderungen gegen verbundene Unternehmen. Sehr häufig wird auch das Anlage- oder Umlaufvermögen mit überhöhten Beträgen eingestellt. Der Nachweis der vorgenannten Handlungen ist aber in der Praxis zumeist schwierig zu führen und gelingt selten. Wie bei jeder Wertungsfrage bestehen Spielräume bei der Bewertung von Anlagegegenständen und der Prognose über die Werthaltigkeit von Forderungen. Zudem erfolgt die strafrechtliche Überprüfung meist erst erheblich später als die Bilanzaufstellung. Ein Nachweis wird den Strafverfolgungsbehörden daher nur in Fällen besonders grober Fehler der Bilanz gelingen1.
138
Nicht von § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB erfasst ist die Erstellung einer zweiten, fehlerhaften Bilanz, wenn daneben eine zutreffende Bilanz geführt wird2. Strafbar wird dies erst, wenn die frisierte Bilanz zur Täuschung Dritter benutzt wird (Betrug oder Kreditbetrug)3.
139
(b) Verspätete Bilanzaufstellung Strafbar ist auch die nicht rechtzeitige Erstellung der Bilanz oder eines Inventars4. Der notwendige Inhalt des Inventars ergibt sich aus § 240 HGB. Welche Fristen für die Erstellung einzuhalten sind, ergibt sich nicht aus dem StGB, sondern richtet sich ebenfalls nach den handelsrechtlichen Vorschriften. Für Kapitalgesellschaften sind die Fristen in § 264 HGB geregelt und hängen davon ab, ob es sich um kleine, mittelgroße oder große Gesellschaften im Sinne des Gesetzes handelt5. Grundsätzlich gilt die Dreimonatsfrist, lediglich kleine Kapitalgesellschaften haben sechs Monate Zeit, wenn dies dem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht. Aufgrund dieser Einschränkung wird sich auch für kleine Kapitalgesellschaften in einer Krise die Frist regelmäßig verkürzen6. Für Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist lediglich geregelt, dass 1 2 3 4 5
Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 93. BGH v. 15. 7. 1981 – 3 StR 230/81, BGHSt 30, 186; hierzu Schäfer, wistra 1986, 200. Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 94. Vgl. Reck, ZInsO 2001, 633 (637). Vgl. dazu beispielsweise die Übersichten bei Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 96 ff. 6 So Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 490.
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Insolvenzstrafrecht
die Bilanzen innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb entsprechenden Zeit aufzustellen sind. Weit verbreiteter Auffassung nach ist auch hier von maximal sechs Monaten auszugehen1. 141
Eine Strafbarkeit wegen verspäteter Erstellung entfällt, wenn die Erstellung der Bilanz und des Inventars rechtlich oder tatsächlich unmöglich war. Nach der Rechtsprechung des BGH entfällt die Strafbarkeit auch dann, wenn zu der Erstellung der Bilanz ein Steuerberater erforderlich war und dem Täter gänzlich die Mittel für dessen Beauftragung fehlten2. Ähnlich wie bei § 266a StGB reicht dafür die Zahlungsunfähigkeit nicht aus, eine entschuldigende Unmöglichkeit liegt nur vor, wenn der Täter tatsächlich keinerlei Liquidität mehr zur Verfügung hatte.
142
Die Strafbarkeit entfällt nicht durch Fristverlängerungen, die von den Finanzbehörden gewährt werden. Diese gelten nur für die steuerrechtlichen Verpflichtungen und haben keine Auswirkungen auf die handelsrechtlichen Fristen; die handelsrechtlichen Fristen sind nicht verlängerbar. War dem Pflichtigen dieser Umstand nicht bekannt und hat er auf die Fristverlängerung durch die Finanzbehörden vertraut, handelt es sich lediglich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum, der im Rahmen der Strafzumessung relevant werden kann. Ebenfalls nur bei der Strafzumessung relevant wird die Nachholung der versäumten Verpflichtungen, die Strafbarkeit bleibt davon unberührt. (8) Sonstiges (Nr. 8)
143
§ 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB stellt unter Strafe, wenn der Täter in einer anderen als in § 283 Abs. 1 Nr. 1–7 StGB aufgeführten Weise seinen Vermögensstand verringert oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlicht oder verschleiert und seine Handlung einer ordnungsgemäßen Wirtschaft dabei grob widerspricht. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Auffangklausel all diejenigen besonders schädlichen oder gefährlichen Handlungsweisen des Täters erfassen, die nicht zu den zuvor aufgeführten Fallgruppen zählen. Aufgrund der offenen Formulierung ist die Vorschrift einiger Kritik in der Literatur, insbesondere als zu unbestimmt, ausgesetzt3.
144
Grob gegen die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verstößt der Täter nur dann, wenn er die elementaren Regeln des Wirtschaftslebens erheblich verletzt und die von ihm vorgenommene Handlung eindeutig unvertretbar ist4. In der Praxis der Strafverfolgung spielt diese Alternative nur eine geringe
1 Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 491; Bieneck in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 82 Rz. 50; Richter, GmbHR 1984, 137 (148); vgl. auch BGH v. 5. 11. 1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105. 2 BGH v. 30. 1. 2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804 (805); BGH v. 22. 8. 2001 – 1 StR 328/01, ZInsO 2002, 69; BGH v. 5. 11. 1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; KG v. 13. 3. 2002 – (5) 1 Ss 243/01 (6/02), wistra 2002, 313; kritisch insoweit Bieneck in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 82 Rz. 26 f.; Beckemper, JZ 2003, 806 ff. m.w.N. 3 Tiedemann, KTS 1984, 539; Heinz, GA 1977, 217 (226); Richter, GmbHR 1984, 148. 4 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 100 m.w.N.
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§5
Rolle1, wohl da der Nachweis einer solchen Fehlhandlung – insbesondere muss auch der Vorsatz nachgewiesen werden – in der Praxis nur schwer zu führen ist. Beispiele für unter § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB fallende Tathandlungen könnten sein: Verschleuderung von Waren, die nicht auf Kredit gekauft wurden und damit nicht unter § 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB fallen2; das Führen der Geschäfte ohne jegliche Übersicht und Planung3; die Eingehung extrem unvernünftig hoher Risiken und die Lieferung zumindest wertvoller Ware an einen gänzlich unbekannten insolventen Abnehmer ohne Prüfung von dessen Solvenz und ohne jegliche Sicherheit4. Als nicht grob wirtschaftswidrig hat es das OLG Düsseldorf angesehen, dass ein Kaufmann seine Tätigkeit auf ein anderes Unternehmen verlagert hat5. Handlungsweisen, die unter das Verheimlichen oder Verschleiern der geschäftlichen Verhältnisse fallen könnten, sind: heimliches Unterhalten eines Tochterunternehmens im Ausland6; Anwerbung neuen Kapitals mit irreführenden Prospekten7; zweckwidrige Verwendung eingehender Kundengelder für andere als das bestimmte Projekt8; Umwandlung des notleidenden Unternehmens in eine Auffanggesellschaft9.
145
bb) Straftatbestand des § 283 Abs. 2 StGB Abs. 2 des § 283 StGB erweitert den Anwendungsbereich der Vorschrift in die Zeit vor Eintritt einer Krise. Strafbar ist der Täter danach, wenn er eine der in § 283 Abs. 1 Nr. 1–8 StGB aufgeführten Handlungen vornimmt und dadurch vorsätzlich eine Krise herbeiführt. Der Begriff der Krise im Sinne des § 283 Abs. 2 StGB ist jedoch enger gefasst als derjenige zu § 283 Abs. 1 StGB und setzt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung voraus; drohende Zahlungsunfähigkeit reicht in diesem Zusammenhang nicht. Auch für eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 2 StGB muss die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach § 283 Abs. 6 StGB eintreten.
146
Im Gegensatz zur Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 StGB ist für Abs. 2 erforderlich, dass die vorgenommenen Handlungen kausal für die Krise geworden sind. Das bedeutet freilich nicht, dass sie allein ursächlich geworden sein müssen; die Ursächlichkeit neben anderen Umständen genügt. Damit scheiden die Handlungsalternativen des § 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 StGB weitestgehend aus,
147
1 Richter, GmbHR 1984, 137 (148); Tiedemann, KTS 1984, 539 (552); Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 100. Auch existiert kaum obergerichtliche Rechtsprechung hierzu. 2 Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 101; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 30. 3 BGH v. 25. 11. 1980 – 5 StR 356/80, NJW 1981, 354 (355). 4 Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 101; Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, 2. Aufl. 1996, § 283 Rz. 168. 5 OLG Düsseldorf v. 23. 12. 1981 – 3 Ws 243/81, NJW 1982, 1712 (1713). 6 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 30; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 101. 7 Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, 2. Aufl. 1996, § 283 Rz. 176 m.w.N. 8 Richter, GmbHR 1984, 137 (148); Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 101. 9 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 30.
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Insolvenzstrafrecht
da eine Verletzung der Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten keine Auswirkungen auf den Vermögensstand des Unternehmens haben und daher nicht zur Krise führen. 148
Die praktische Bedeutung des § 283 Abs. 2 StGB ist gering, da die Voraussetzungen nur dann erfüllt sind, wenn Gewerbetreibende bewusst eine Insolvenz herbeiführen1. Da die bewusste Herbeiführung einer Insolvenz regelmäßig nur aus betrügerischer Absicht erfolgt, werden in diesen Fällen auch andere schwer wiegende Delikte verwirklicht2. cc) Versuch (Abs. 3)
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Strafbar ist sowohl für § 283 Abs. 1 StGB als auch für § 283 Abs. 2 StGB nicht nur deren Vollendung, sondern auch der Versuch, § 283 Abs. 3 StGB. Vollendet ist die Tat mit dem Abschluss der jeweils nach § 283 Abs. 1, 2 StGB strafbaren Handlung; der Eintritt der Strafbarkeitsbedingung nach § 283 Abs. 6 StGB ist für die Vollendung nicht erforderlich3. Ein nach § 283 Abs. 3 StGB strafbarer Versuch ist daher nur möglich, wenn bereits die von § 283 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 StGB verbotene Handlung im Versuchsstadium stecken bleibt. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Insolvenzverwalter den Schuldner, der mit dem Beiseiteschaffen von Vermögen begonnen hat, an der Vollendung hindert, oder wenn über das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen erst ein schuldrechtlicher Vertrag geschlossen wurde, der nicht zur Ausführung gelangt ist. Wie sich aus der allgemeinen Definition des Versuchs ergibt, muss der Täter aber bereits zur Verwirklichung unmittelbar angesetzt haben; bloße Vorbereitungshandlungen überschreiten die Schwelle zur Strafbarkeit noch nicht. Auch für die Versuchsstrafbarkeit muss jedoch die objektive Bedingung der Strafbarkeit eingetreten sein. dd) Schuldformen (1) Vorsatz
150
Für eine Strafbarkeit nach den §§ 283 Abs. 1 und 2 StGB ist erforderlich, dass der Täter vorsätzlich handelt, vgl. § 15 StGB. Der Vorsatz setzt zumindest die Kenntnis aller Tatumstände voraus. Ausreichend ist auch der bedingte Vorsatz, der vorliegt, wenn der Täter zwar den Eintritt bestimmter Folgen seines Handelns weder anstrebt noch deren Eintritt für sicher hält, diese aber billigend in Kauf nimmt4.
151
Für eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 StGB muss der Täter also um das Bestehen einer Krise wissen; für § 283 Abs. 2 StGB muss er deren Herbeiführung wollen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Der Vorsatz muss sich auch auf die Tathandlungen beziehen, d.h. der Täter muss die Handlungen also be1 Vgl. BGH v. 23. 8. 1978 – 3 StR 11/78, JZ 1979, 75; OLG Frankfurt v. 18. 6. 1997 – 1 Ws 56/97, NStZ 1997, 551. 2 Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 103. 3 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 33. 4 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 15 Rz. 9 m.w.N.
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Rz. 154
§5
wusst in der Kenntnis vornehmen, dass er so nicht handeln darf. Für die Buchführungsdelikte bedeutet dies, dass er die entsprechenden Verpflichtungen zur Führung der Bücher kennen muss. Bei Irrtümern ist wie üblich zu differenzieren: Besteht eine Fehlvorstellung über die normativen tatbestandlichen Voraussetzungen der Buchführungspflicht, handelt der Täter gem. § 16 StGB nur dann nicht vorsätzlich, wenn er das Verbotensein seines Handelns nicht im Sinne einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkennen konnte. Dagegen lässt der Irrtum, der zu einer falschen rechtlichen Würdigung eines Handlungsveroder -gebotes führt (Subsumtionsirrtum), den Vorsatz nicht entfallen, so z.B. bei der Fehlvorstellung des Täters, dass für ihn keine Pflicht zur Buchführung oder zum Jahresabschluss bestehe1. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Vorsatz auch auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach § 283 Abs. 6 StGB bezieht. (2) Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit nach § 283 Abs. 4 StGB In § 283 Abs. 4 StGB wird die Strafbarkeit der in § 283 Abs. 1 StGB aufgeführten Handlungen auf den Fall ausgedehnt, dass der Täter fahrlässig das Vorliegen der Krisensituation verkannt hat; für die Strafbarkeit nach § 283 Abs. 2 StGB, wenn er die Herbeiführung einer Krise nicht gewollt, diese aber leichtfertig verursacht hat. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt und die Verwirklichung des Tatbestandes zumindest erkennen und vermeiden konnte2. Die Leichtfertigkeit ist eine besonders gesteigerte Form der Fahrlässigkeit, die etwa der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht entspricht3.
152
Bedeutung erlangt die Ausdehnung der Strafbarkeit auf fahrlässiges Handeln insbesondere dann, wenn dem Täter der Vorsatz, also die Kenntnis der Krise, nicht nachgewiesen werden kann. Ein fahrlässiges Nichterkennen der Krise setzt voraus, dass der Täter das Vorliegen einer Krise bei der ihm obliegenden sorgfältigen Überprüfung hätte erkennen können. Zu einer Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist grundsätzlich jeder Gewerbetreibende verpflichtet; treten einige der oben zur Zahlungsunfähigkeit (unter Rz. 84) genannten Indizien auf, besteht die Pflicht zur besonders sorgfältigen Überprüfung der Vermögensverhältnisse.
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(3) Fahrlässigkeit nach § 283 Abs. 5 StGB Eine noch weitergehende Ausdehnung der Strafbarkeit für fahrlässiges Handeln enthält § 283 Abs. 5 StGB. Für dessen Verwirklichung reicht es aus, wenn bestimmte der in § 283 Abs. 1 StGB enthaltenen Handlungen fahrlässig vorgenommen werden, namentlich § 283 Abs. 1 Nr. 2 (Spekulationsgeschäfte), Nr. 5 (Verletzung der Führung von Handelsbüchern) und Nr. 7 (mangelhafte 1 Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 1. Aufl. 2004, § 12 Rz. 282 ff.; Schönke/Schröder/Stree/ Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283 Rz. 56. 2 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 15 Rz. 12 ff. m.w.N. 3 BGH v. 13. 4. 1960 – 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240 (255); Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 15, Rz. 20 m.w.N.
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Rz. 155
Insolvenzstrafrecht
oder unterlassene Aufstellung von Bilanzen). Für eine Strafbarkeit reicht also Fahrlässigkeit sowohl im Hinblick auf das Vorliegen einer Krise als auch bezüglich der Handlung selbst aus; Gleiches gilt, allerdings mit dem Erfordernis der Leichtfertigkeit, für die Herbeiführung der Krise. 155
Der für die Praxis wohl relevanteste Fall ist die mangelhafte Auswahl und Überwachung von Personen, die mit der Buchführung beauftragt sind (vgl. oben Rz. 125)1. Ansonsten ist die fahrlässige Tatbegehung denkbar, wenn der Täter nicht erkennt, dass er buchführungspflichtig ist oder wenn er fahrlässig verkennt, dass eingegangene Spekulations- oder Differenzgeschäfte nicht der ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechen. d) Besonders schwerer Fall des Bankrotts, § 283a StGB
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Ein besonders schwerer Fall des Bankrotts liegt nach § 283a StGB in der Regel vor, wenn der Täter aus Gewinnsucht handelt oder wissentlich eine Vielzahl von Personen in die Gefahr des Verlustes ihrer ihm anvertrauten Vermögenswerte oder in wirtschaftliche Not bringt. Der Strafrahmen liegt in diesem Fall von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, so dass es sich auch beim schweren Fall des Bankrotts noch um ein Vergehen handelt; die Verhängung einer Geldstrafe ist jedoch ausgeschlossen. Beim Strafrahmen wird der versuchte dem vollendeten Bankrott gleichgestellt. Bei den aufgeführten Tatmodalitäten handelt es sich um Regelbeispiele, so dass ein besonders schwerer Fall auch bei anderen, vergleichbaren erschwerenden Umständen gegeben sein kann. Hinsichtlich der Qualifikationsmerkmale muss der Täter vorsätzlich handeln. aa) Gewinnsucht
157
Anders als bei der normalen Gewinnerzielungsabsicht, die in fast jedem gewerblichen Handeln steckt, liegt Gewinnsucht nur dann vor, wenn dieses Gewinnstreben auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigert ist2. Diese Voraussetzung erfüllen kann der Fall, dass das gesamte Unternehmen von vornherein auf den Eintritt einer Insolvenz angelegt ist, um dadurch kurzfristig hohe Gewinne zu erzielen3. bb) Viele Personen
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Für das zweite Regelbeispiel ist zunächst eine Vielzahl von Personen erforderlich, womit nur natürliche Personen gemeint sind, nicht juristische4. Wie viele Personen erforderlich sind, ist nicht näher bestimmt; nach Ansichten in der Li-
1 Vgl. BGH v. 2. 8. 1960 – 1 StR 229/60, BGHSt 15, 103; RG v. 18. 2. 1885 – 1343/85, RGSt 13, 354; RG v. 14. 10. 1924 – I 736/24, RGSt 58, 304; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283 Rz. 20. 2 Vgl. BGH v. 30. 10. 1951 – 1 StR 423/51, BGHSt 1, 388 (389); BGH v. 24. 6. 1952 – 2 StR 56/52, BGHSt 3, 30 (32); BGH v. 9. 1. 1962 – 1 StR 346/61, BGHSt 17, 35 (37). 3 Vgl. dazu Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 111. 4 BGH v. 9. 11. 2000 – 3 StR 371/00, wistra 2001, 59.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 162
§5
teratur sollen dies mindestens zehn Personen sein1, wobei bei einer geringeren Personenanzahl, aber einem extrem hohen Schaden auch der unbenannte Fall eines Regelbeispiels einschlägig sein kann. Die Tathandlung muss wissentlich geschehen, d.h. Eventualvorsatz reicht hier nicht aus. In der ersten Alternative des Regelbeispiels muss der Verlust von anvertrauten Vermögens(teil)werten lediglich drohen. Anvertraut sind Vermögenswerte, wenn sie dem Täter mit der Erwartung überlassen wurden, er werde sie im Interesse der Überlassenden einsetzen. In Betracht kommen daher vorrangig Kreditinstitute, Anlageberater und so genannte Abschreibungsfirmen, die meist in Form von Publikums-KGs auftreten. Geschützt sind auch Lieferanten, die ihre Produkte unter Eigentumsvorbehalt auf Kredit liefern. Auch diese Lieferanten überlassen ihre Güter in der Erwartung, dass der Abnehmer sie entsprechend den Vereinbarungen verwenden wird2. Der Verlust dieser Vermögensgüter muss also lediglich konkret drohen, der tatsächliche Eintritt eines Schadens ist nicht erforderlich.
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In der zweiten Alternative müssen die Geschädigten in wirtschaftliche Not gebracht werden, d.h diese muss tatsächlich eingetreten sein. Von einer Notlage ist auszugehen, wenn die Geschädigten in eine ernsthafte wirtschaftliche Bedrängnis geraten sind; ein drohendes Existenzminimum ist nicht erforderlich3. Ein relevanter Fall, den auch der Gesetzgeber vor Augen hatte, könnten die Arbeitnehmer eines Unternehmens sein, die durch die Insolvenz ihren Arbeitsplatz und damit ihre Existenzgrundlage verlieren. Insolvenzausfallgeld und sonstige Sozialleistungen sind bei der Beurteilung der Notlage nicht zu berücksichtigen4.
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e) Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB aa) Allgemeines § 283b StGB stellt eine Ergänzung zu § 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB dar. Unter Strafe gestellt werden hier ebenfalls verschiedene Verletzungen der Buchführungspflichten. Im Gegensatz zu § 283 StGB ist aber nicht erforderlich, dass zur Tatzeit bereits eine Krise vorliegt. Erfasst werden von § 283b StGB auch die Fälle, in denen zwar eine Krise vorliegt, der Täter dies aber ohne Fahrlässigkeit (sonst § 283 Abs. 4 Nr. 1 StGB) nicht erkennt und nicht leichtfertig die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung herbeiführt (sonst § 283 Abs. 2 bzw. Abs. 4 Nr. 2 oder Abs. 5 Nr. 2 StGB). In der Praxis kann § 283b StGB auch zur Anwendung kommen, wenn das Bestehen einer Krise im Zeitpunkt der Tathandlungen nicht mehr nachweisbar ist.
161
Auch § 283b StGB setzt den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung voraus, §§ 283b Abs. 3, 283 Abs. 6 StGB, und die Tathandlungen müssen damit
162
1 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 112; Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283a Rz. 5 m.w.N. 2 Bieneck in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 78 Rz. 44 m.w.N. 3 Vgl. Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 1. Aufl. 2004, § 12 Rz. 358 m.w.N. 4 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283a Rz. 5.
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§5
Rz. 163
Insolvenzstrafrecht
zumindest in tatsächlichem und zeitlichem Zusammenhang stehen1; ausreichend ist, wenn im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wenigstens noch „irgendwelche Auswirkungen“ vorliegen, die sich als gefahrerhöhende Folge der Verfehlung darstellen, wie etwa Zeitverlust durch verspätete Bilanzierung zwecks Dokumentation gegenüber dem Insolvenzverwalter2. Dieser Zusammenhang wird aufgrund der Verwirklichung der Tathandlung regelmäßig vermutet und muss widerlegt werden3. Aufgrund seines Auffangcharakters ist § 283b zu § 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB subsidiär4, was man zudem an der niedrigeren Strafandrohung erkennt. Auch wenn der Täter zunächst nur § 283b StGB verwirklicht, dieser dann aber wegen des Eintritts einer Krise in die Verwirklichung von § 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB übergeht, tritt § 283b StGB hinter § 283 StGB zurück5. bb) Die Tathandlung 163
Die in § 283b Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Strafe gestellte Verhaltensweise entspricht bereits nach dem Wortlaut der Vorschriften exakt dem § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB; Gleiches gilt für § 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB, der wortgleich zu § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen (unter Rz. 123 ff. und 135 ff.) verwiesen.
164
Nur zwischen § 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB findet sich ein kleiner Unterschied: Während nach § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB jeder strafbar ist, der Handelsbücher oder sonstige Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann verpflichtet ist, vor Ablauf der gesetzlichen Frist beiseite schafft, verheimlicht, zerstört oder beschädigt und dadurch die Vermögensübersicht erschwert, gilt dies bei § 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB nur für Kaufleute, die zu der Aufbewahrung nach Handelsrecht auch verpflichtet sind (vgl. oben Rz. 135). Strafbar macht sich also nicht, wer freiwillig geführte Bücher außerhalb der Krise nicht aufbewahrt. Als Sonderdelikt verlangt § 283b Abs. 1 StGB in allen Fällen, dass der Täter Kaufmann ist bzw. die Eigenschaft über § 14 StGB zugerechnet wird.
1 BGH v. 20. 12. 1978 – 3 StR 408/78, BGHSt 28, 231 (234); BGH v. 2. 4. 1996 – GSSt 2/95, wistra 1996, 264; BGH v. 30. 1. 2003 – 3 StR 437/02, ZInsO 2003, 519; OLG Düsseldorf v. 27. 9. 1979 – 5 Ss 391-410/79, NJW 1980, 1292 (1293); BayObLG v. 8. 8. 2002 – 5 St RR 202/2002 a, b, NStZ 2002, 214; BayObLG v. 3. 4. 2003 – 5 St RR 72/03, NJW 2003, 1960 (1960 f.); umfassend hierzu Wilhelm, NStZ 2003, 511 ff. und Maurer, wistra 2003, 253 f.; a.A. Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 1. Aufl. 2004, § 13 Rz. 7 f., der einen Zusammenhang für entbehrlich hält. 2 BayObLG v. 3. 4. 2003 – 5 St RR 72/03, NJW 2003, 1960; BayObLG v. 8. 8. 2002 – 5 St RR 202/2002 a, b, NStZ 2002, 214. 3 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 121. Darin liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“, OLG Hamburg v. 31. 10. 1986 – 2 Ss 98/86, NJW 1987, 1342 (1343) m.w.N. 4 BGH v. 5. 11. 1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; BGH v. 16. 5. 1984 – 3 StR 162/84, NStZ 1984, 455. 5 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 283b Rz. 1; Maurer, wistra 2003, 174 f.; Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283b Rz. 10 m.w.N.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 169
§5
Strafbar ist neben dem vorsätzlichen Handeln auch Fahrlässigkeit, § 283b Abs. 2 StGB, die sich wiederum nicht auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit beziehen muss. Der Versuch des § 283b Abs. 1 StGB ist nicht strafbar.
165
f) Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB aa) Allgemeines Gläubigerbegünstigung liegt vor, wenn ein zahlungsunfähiger Unternehmer einen Gläubiger gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt, indem er ihm eine Erfüllung oder Sicherung seiner Forderung zukommen lässt, auf die dieser keinen Anspruch hat. § 283c StGB stellt einen privilegierten Unterfall des allgemeinen Vermögensverschiebungstatbestandes nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. Die Privilegierung kommt darin zum Ausdruck, dass die Tat nach § 283c StGB mit einer geringeren Strafe bedroht ist. Grund dafür ist die geringere Strafwürdigkeit des Täterverhaltens. Durch die Gläubigerbegünstigung wird nicht das den Gläubigern zur Verfügung stehende Vermögen geschmälert, sondern es wird lediglich ungerecht verteilt1.
166
Da es sich bei § 283c StGB um ein Sonderdelikt handelt, kann nur derjenige Täter sein, der die oben unter Rz. 91 ff. aufgeführten Voraussetzungen erfüllt. Der mögliche Täterkreis ist der gleiche wie bei § 283 StGB.
167
Voraussetzung für § 283c StGB ist neben der objektiven Bedingung der Strafbarkeit nach §§ 283c Abs. 3, 283 Abs. 6 StGB, dass der Täter bei der Tathandlung zahlungsunfähig war. War er nicht zahlungsunfähig, befand er sich aber bereits in einer Krise (wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), liegen die Voraussetzungen des § 283c StGB zwar nicht vor; dennoch tritt auch in diesem Fall eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB zurück (Sperrwirkung der Privilegierung), da der vor Zahlungsunfähigkeit handelnde Täter nicht schlechter stehen darf als bei einem Handeln nach Zahlungsunfähigkeit2.
168
bb) Die Tathandlung Tathandlung ist das Befriedigen eines Gläubigers (§§ 362 ff. BGB) oder das Gewähren von Sicherheiten, die dieser überhaupt nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hat – so genannte inkongruente Deckung. Befriedigt wird ein Gläubiger beispielsweise durch Erfüllung oder Leistung an Erfüllungs statt oder durch Aufrechnung. Sicherheit erlangt der Gläubiger dann, wenn er eine Rechtsposition eingeräumt bekommt, die es ihm ermöglicht, eher, leichter, besser oder sicherer seine Befriedigung herbeizuführen3. Praktische Beispiele sind die Einräumung eines Pfandrechts oder Grundpfandrechts und die Sicherungsübereignung. Nicht zu beanspruchen hat der Gläubi1 BGH v. 2. 11. 1995 – 1 StR 449/95, NStZ 1996, 543. 2 Vgl. BGH v. 12. 7. 1955 – 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55 (56); Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 283c Rz. 14. 3 Vgl. RG v. 24. 9. 1897 – 2355/97, RGSt 30, 261 (262). So formuliert bei Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 124 f.
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§5
Rz. 170
Insolvenzstrafrecht
ger die Befriedigung oder Sicherheit, wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft durch Einwendungen (z.B. Anfechtung, Widerruf) beseitigt werden kann oder dem Anspruch Einreden seitens des Schuldners entgegenstehen (zu den näheren Voraussetzungen einer inkongruenten Deckung wird hier auf die Ausführungen zur Anfechtung nach § 131 InsO unter § 10 Rz. 120 ff. verwiesen). Durch die Tathandlung muss ein Gläubiger begünstigt worden sein, indem er auf Kosten der übrigen Gläubiger einen Vorteil erlangt hat, der ihm nicht zustand. Die Gläubigerstellung bemisst sich danach, wer einen Anspruch aus der Insolvenzmasse hat; daran fehlte es beispielsweise, wenn dem Empfänger an der überlassenen Sache ein Aussonderungsrecht zustünde (vgl. zum Schutzbereich oben Rz. 105)1. 170
Strafbar ist nur die vorsätzliche Gläubigerbegünstigung und nach § 283c Abs. 2 StGB der Versuch. Darüber hinaus muss die Benachteiligung der übrigen Gläubiger absichtlich oder wissentlich geschehen, bedingter Vorsatz reicht also in diesem Punkt nicht aus. g) Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB aa) Allgemeines
171
Im Unterschied zu den übrigen Strafvorschriften der §§ 283-283c StGB wendet sich § 283d StGB nicht an den Schuldner selbst oder die für diesen verantwortlichen Personen, sondern an Dritte. Die Vorschrift stellt kein Sonderdelikt dar, Täter können insbesondere auch die Gläubiger oder der Insolvenzverwalter sein.
172
Entsprechend § 283 Abs. 6 StGB setzt auch § 283d Abs. 4 StGB voraus, dass der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wurde. Anders geregelt als bei § 283 StGB ist bei § 283d StGB allerdings das Erfordernis der Krise: Entweder ist nach Satz 1 Nr. 1 erforderlich, dass dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht und der Täter positive Kenntnis davon hat. Oder es ist nach Nr. 2 erforderlich, dass der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat oder ein Insolvenzverfahren eröffnet oder beantragt wurde.
173
Die praktische Bedeutung des § 283d StGB ist eher gering. Als Erklärung wird dafür häufig angeführt, die Ermittlungen im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren konzentrierten sich nur auf den Schuldner, selten auch auf Dritte2. bb) Die Tathandlung
174
Die in § 283d StGB beschriebene Tathandlung entspricht derjenigen des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann (vgl. Rz. 105 ff.). Ziel des Täters, das dieser mit seiner Handlung verfolgt, muss die Begünstigung des Schuldners sein und die Handlung muss im Einverständnis mit dem Schuldner geschehen. Für das Einverständnis des Schuldners 1 Vgl. Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 1. Aufl. 2004, § 14 Rz. 6 ff., 40 ff. 2 Vgl. Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 136.
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Rz. 178
§5
reicht nicht dessen nachträgliche Billigung aus, sondern der Schuldner muss bereits vor Tatbegehung seine Einwilligung ausdrücklich oder konkludent erteilt haben. Eine konkludente Einwilligung ist bereits dann anzunehmen, wenn der Schuldner die Handlung des Täters duldet, obwohl er erkennt, was dieser damit bezweckt. Vollendet ist das Delikt mit der Vollendung der Tathandlung. Der Eintritt eines Schadens für die Gläubiger ist nicht erforderlich, da es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. Mit dem Ziel der Schuldnerbegünstigung handelt derjenige, der dem Schuldner zu Lasten der Gläubiger Teile seines Vermögens erhalten oder zukommen lassen will. Nicht erforderlich ist, dass dies das einzige oder das Hauptziel des Täters ist. Dieser wird naturgemäß sogar in den meisten Fällen auch seine eigene Begünstigung anstreben.
175
Strafbar ist nach § 283d StGB nur vorsätzliches Handeln. Befindet sich der Schuldner im Zeitpunkt der Tathandlung noch in der Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit, muss der Täter davon positive Kenntnis haben, bedingter Vorsatz reicht nicht aus, § 283d Abs. 1 Nr. 1 StGB. Für bestimmte Modalitäten der Tatbegehung sieht § 283d Abs. 3 StGB die Strafbarkeit in einem besonders schweren Fall vor. Da § 283d Abs. 3 wortgleich zu § 283a StGB ist, gelten die dazu gemachten Ausführungen entsprechend (vgl. Rz. 156 ff.).
176
3. Allgemeines Strafrecht a) Betrug Nach § 263 Abs. 1 StGB macht sich derjenige strafbar, der „in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält“. Die hierfür in Betracht kommenden Handlungsweisen sind vielfältig und können in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen auftreten1. Im hiesigen Zusammenhang werden nur zwei typischerweise mit einer Unternehmenskrise einhergehende Betrugsformen herausgegriffen: der Lieferantenbetrug (Warenkreditbetrug) und der Kreditbetrug2.
177
aa) Lieferantenbetrug Der Grundfall des Lieferantenbetruges ist schlicht: Der Täter bestellt Waren gegen spätere Zahlung, obwohl er weiß, dass er die Waren aufgrund seiner schlechten wirtschaftlichen Situation nicht wird bezahlen können. Diese Handlungsweise geht nahezu zwangsläufig mit jeder Unternehmenskrise einher. In einer Krise ist dem Unternehmer zumeist bewusst, dass die Erfüllung 1 Ca. 65% aller Wirtschaftsstraftaten entfallen auf den Betrugstatbestand, vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 518. 2 Vgl. Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 263 Rz. 25 ff. 162; zur Betrugsstrafbarkeit bei privaten Insolvenzen Bosch, wistra 1999, 410.
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§5
Rz. 179
Insolvenzstrafrecht
der von ihm geschlossenen Verträge gefährdet ist. Dennoch schließt er Verträge, da die einzige Alternative die sofortige Einstellung jeglichen unternehmerischen Handelns und damit die Betriebsstilllegung ist. Aus diesem Grund werden von den Ermittlungsbehörden auch häufig Untersuchungen in dieser Richtung angestellt. Für eine Strafverfolgung besteht aber – wie meist in solchen Fällen – das Problem, dass auch die subjektive Seite – also die Kenntnis des Täters, dass er später zur Zahlung nicht wird in der Lage sein – nachgewiesen werden muss. 179
Beim Lieferantenbetrug ergeben sich im Rahmen des Betrugstatbestandes einige Besonderheiten: Der Tatbestand des § 263 StGB setzt voraus, dass der Besteller den Lieferanten über Tatsachen täuscht. Da die Zahlungsfähigkeit/-willigkeit bei einem Verkaufsgespräch selten ausdrückliches Thema ist, wird angenommen, dass die Täuschung in der Regel durch eine konkludente Handlung – nämlich das Bestellen auf Kredit – erfolgt. Getäuscht werden kann aber nicht über zukünftige Ereignisse, sondern nur über gegenwärtige Tatsachen. Gegenstand der Täuschung können daher nur die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegende Zahlungswilligkeit und -fähigkeit des Schuldners sein. Die Rechtsprechung misst daher der Warenbestellung die konkludente Aussage des Bestellers zu, dass er beabsichtigt, bei Fälligkeit zu zahlen, und dass er annimmt, dazu auch in der Lage zu sein1.
180
Diese Aussage wird dem Besteller allerdings dann nicht unterstellt, wenn seine Zahlungspflicht erst nach erheblicher Zeit fällig wird, da er dann kaum eine Prognose über seine Zahlungsfähigkeit abgeben kann. Ebenfalls soll dies nicht bei Großhandelsunternehmen gelten, da diese die bestellten Waren erst durch den Weiterverkauf finanzieren und auch darüber keine Prognose abgeben können2. Von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist die Annahme dieser Aussage bei langfristigen Dauerschuldverhältnissen wie z.B. Mietverträgen3.
181
Die Praxis beschränkt sich aufgrund der Nachweisprobleme grundsätzlich darauf, den Zeitpunkt herauszufinden, in dem beim Täter Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist (vgl. oben Rz. 83 ff.; zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit ausführlich § 1 Rz. 49 ff.). Bei nach diesem Zeitpunkt vorgenommenen Bestellungen wird dann unterstellt, dass dem Täter bewusst war, dass er seinen Verpflichtungen nicht werde nachkommen können4. Auch in solchen Fällen kann es dem Täter aber gelingen, diese Annahme zu erschüttern, wenn er Umstände darlegen kann, die es glaubhaft erscheinen lassen, dass er im Zeitpunkt der Bestellung mit einer baldigen Besserung seiner finanziellen Situation rechnen durfte; bloße Wünsche und Hoffnungen des Täters genügen hierzu nicht5.
1 BGH v. 3. 12. 1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145 (146); BGH v. 15. 6. 1954 – 1 StR 526/53, NJW 1954, 1414; OLG Köln v. 13. 1. 1967 – Ss 336/66, NJW 1967, 741. 2 Vgl. zu diesen Ausnahmen Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 534. 3 Vgl. dazu BayObLG v. 30. 7. 1998 – 3 St RR 54/98, wistra 1999, 69. 4 Vgl. BGH v. 10. 4. 1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223 (224); BGH v. 9. 4. 1991 – 5 StR 85/91, wistra 1991, 218; OLG Düsseldorf v. 19. 7. 1995 – 2 Ss 198/95, wistra 1996, 32. 5 BGH v. 10. 4. 1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 186
§5
Weit weniger streng ist die Rechtsprechung, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erst nach dem Vertragsschluss eintritt. Nach Vertragsschluss kann es zu einer Betrugsstrafbarkeit nur dann kommen, wenn der Schuldner verpflichtet ist, dem Gläubiger die Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse mitzuteilen (Aufklärungspflicht); die bloße Entgegennahme der Leistung stellt keine Täuschung dar1. Tut er dies entgegen einer solchen Verpflichtung nicht, begeht er eine Täuschung und damit einen Betrug durch Unterlassen. Eine solche Pflicht zur Offenbarung wird von der Rechtsprechung aber nur in wenigen, speziellen Ausnahmefällen angenommen. Erforderlich ist dafür ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Schuldner und seinem Vertragspartner, was beispielsweise aus einer langen und engen Zusammenarbeit folgen kann2.
182
Entsprechendes gilt auch für die Pflicht zur Aufklärung über zukünftige Umstände bei Vertragsabschluss. Auch hier ist der Schuldner nur in besonderen Ausnahmefällen verpflichtet, den Vertragspartner darüber aufzuklären, dass durch den möglichen Eintritt bestimmter Umstände seine Zahlungsfähigkeit in der Zukunft gefährdet ist3.
183
Durch die Täuschung muss ein entsprechender Irrtum beim Vertragspartner entstanden sein, was grundsätzlich angenommen wird, wenn keine entgegenstehenden Besonderheiten vorliegen. Als einen solchen besonderen Umstand hat es der BGH angesehen, wenn der Vertragspartner trotz bereits ausbleibender Bezahlung weiter liefert4. Ein Irrtum über die Zahlungsfähigkeit liege dann nicht mehr vor.
184
Der für den Betrugstatbestand erforderliche Vermögensschaden liegt bereits bei Vertragsschluss in der Gefährdung des Zahlungsanspruches, sog. Gefährdungsschaden5. Die Realisierung der Gefahr ist nicht mehr erforderlich und strafrechtlich nur für die Strafzumessung relevant.
185
bb) Kreditbetrug Unter dem Oberbegriff Kreditbetrug verbirgt sich zum einen der Kreditbetrug im engeren Sinne nach § 265b StGB6. Von Kreditbetrug im weiteren Sinne spricht man, wenn im Zusammenhang mit Darlehensverträgen der „normale“ Betrugstatbestand nach § 263 StGB verwirklicht wird. Obwohl die Regelung in § 265b StGB spezieller ist, tritt diese nach steter Rechtsprechung hinter § 263 StGB als subsidiär zurück7. 1 BGH v. 24. 3. 1987 – 4 StR 73/87, wistra 1987, 213. 2 Vgl. BGH v. 10. 4. 1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223. 3 Vgl. BGH v. 10. 4. 1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 536 ff. 4 BGH v. 24. 3. 1987 – 4 StR 73/87, wistra 1987, 213. 5 Vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 263 Rz. 94, 97 m.w.N; Baumanns, JR 2005, 227 ff. 6 Zum Kreditbetrug umfassend Lampe, Der Kreditbetrug, 1980; Kießner, Kreditbetrug und § 265b StGB, 1985. 7 BGH v. 21. 2. 1989 – 4 StR 643/88, BGHSt 36, 130; OLG Stuttgart v. 14. 6. 1993 – 3 ARs 43/93, NStZ 1993, 545.
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§5
Rz. 187
Insolvenzstrafrecht
(1) Betrug bei Darlehensverträgen, § 263 StGB 187
Im Zusammenhang mit Darlehensverträgen macht sich derjenige wegen Betruges nach § 263 StGB strafbar, der durch eine Täuschung bei dem Kreditgeber einen entsprechenden Irrtum hervorruft, wenn der Kreditgeber durch Ausschüttung des Darlehens bei gefährdeter Rückzahlung einen Vermögensschaden erleidet1. Bei Darlehensverträgen ist es allerdings zumeist nicht erforderlich, eine konkludente Täuschung über die Vermögensverhältnisse zu konstruieren, da dort konkrete Angaben zu den Vermögensverhältnissen abzugeben sind. Werden hier falsche Angaben gemacht oder falsche Belege vorgelegt, führt dies zu einer Strafbarkeit wegen Betruges.
188
Aus den falschen Angaben muss sich ein Irrtum des Getäuschten über die Bonität des Kreditnehmers ergeben. Eine Betrugsstrafbarkeit scheidet dann aus, wenn der Kreditgeber sich einerseits trotz der falschen Angaben ein zutreffendes Bild über die Bonität des Kreditnehmers machen konnte, oder andererseits, wenn der Kreditgeber eine hinreichende Prüfung der Unterlagen gar nicht vornimmt und sich dementsprechend auch keine Vorstellungen macht, die falsch sein könnten.
189
Der Vermögensschaden ergibt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls aus der Gefahr, dass der Kredit nicht zurückgeführt werden kann. Eine solche Gefahr und damit ein Betrug ist nicht gegeben, wenn der Wert des Kredits umfassend durch Sicherheiten abgedeckt ist2. (2) Kreditbetrug, § 265b StGB
190
Die Vorschrift des § 265b StGB ist etwas unhandlich gefasst. Lässt man die Details beiseite, kann man für einen Überblick formulieren: Es macht sich derjenige strafbar, der im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung der Bedingungen eines Kredits für ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen über die wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder seit der Erstellung der Unterlagen eingetretene Verschlechterungen nicht mitteilt. Dem Deliktstypus nach handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Vollendet ist das Delikt bereits mit dem Einreichen der falschen oder unvollständigen Unterlagen. Im Unterschied zum Betrug ist kein Irrtum, keine tatsächliche Gewährung eines Kredits und kein Vermögensschaden erforderlich. (a) Unternehmen
191
Der Tatbestand des § 265b StGB setzt eine Kreditgewährung zwischen Betrieben oder Unternehmen voraus. Die Begriffe des Betriebs und Unternehmens werden in diesem Zusammenhang synonym gebraucht und sind in § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB definiert. Betriebe und Unternehmen sind danach unabhängig von ihrem Gegenstand solche, die nach Art und Umfang einen in kaufmän1 Vgl. Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB, 27. Aufl. 2006, § 263 Rz. 25 ff. m.w.N. 2 BGH v. 7. 1. 1986 – 1 StR 486/85, NJW 1986, 1183; BGH v. 3. 11. 1987 – 1 StR 292/87, wistra 1988, 188.
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Rz. 194
§5
nischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern. Erfasst sind in der Terminologie des alten Handelsrechts danach Muss- und Sollkaufleute, nicht jedoch Minderkaufleute. Nach neuem Handelsrecht entspricht die Definition dem Ist-Kaufmann nach § 1 Abs. 2 HGB. Die Parallele besteht aber nur im Hinblick auf die Größe des Geschäftsbetriebes, erfasst werden von § 265b StGB auch Nicht-Gewerbetreibende wie z.B. die freien Berufe oder die Urproduktion. In Betracht kommen auch öffentliche Unternehmen, z.B. die Sparkassen1. Ausweislich des Wortlauts der Vorschrift genügt, dass der Kreditnehmer lediglich vortäuscht, der Kredit sei für einen Betrieb oder ein Unternehmen. Unschädlich ist dann, dass das Geschäft kein Unternehmen im Sinne der Definition ist oder nicht existiert. (b) Kredit Der Begriff des Kredits im Sinne dieser Vorschrift ist in § 265b Abs. 3 Nr. 2 StGB definiert als Gelddarlehen aller Art, Akzeptkredit, dem entgeltlichen Erwerb und der Stundung von Geldforderungen, der Diskontierung von Wechseln und Schecks und der Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen. Die Aufzählung ist aus sich selbst heraus verständlich, erwähnt werden soll hier nur Folgendes2: Unter Gelddarlehen aller Art fällt nicht die Kapitalbeschaffung durch gesellschaftsrechtliche Beteiligungen. Bei der Stundung von Geldforderungen kommen Forderungen jedweder Art in Betracht, wichtig sind hier insbesondere Stundungen von Forderungen aus Warenlieferung oder Dienstleistungen (insb. Werkvertrag). Keine Stundung liegt freilich vor, wenn der Vertragspartner nach dem Vertrag zur Vorleistung verpflichtet ist und die Fälligkeit der Gegenleistung erst nach Erbringung der gesamten Leistung eintritt.
192
(c) Tathandlungen Tathandlung ist die Abgabe falscher Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse. Dies ist der Fall, wenn unrichtige oder unvollständige Unterlagen, insbesondere Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Vermögensübersichten oder Gutachten vorgelegt werden oder schriftlich sonstige unrichtigen Angaben gemacht werden, die für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über die Kreditgewährung erheblich sind. Gleichgestellt ist damit die unterlassene Mitteilung, dass sich die in den Unterlagen zutreffend wiedergegebenen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Antrags verschlechtert haben.
193
Unrichtig sind die Unterlagen, wenn die Angaben nicht dem wahren Sachverhalt entsprechen; bei Bewertungen, wenn die Bewertungsgrundlagen falsch sind. Vorteilhaft für den Kreditnehmer sind die Unterlagen, wenn sie bei Unterstellung der Richtigkeit der Angaben dessen Chance auf Bewilligung des Kredits erhöhen; wenn also die aus den Unterlagen hervorgehenden wirtschaftlichen Verhältnisse besser sind als die tatsächlichen. Erheblich für die Entscheidung sind die Unterlagen, wenn ein verständiger, durchschnittlich vor-
194
1 Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 265b Rz. 7. 2 Vgl. zu weiteren Details Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 265b Rz. 10 ff.
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§5
Rz. 195
Insolvenzstrafrecht
sichtiger Dritter diese bei seiner Entscheidung berücksichtigt1. Ausgeschieden werden damit irrelevante Angaben und Bagatellunrichtigkeiten. 195
Die unrichtigen Angaben müssen im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Kreditantrag gemacht werden, wobei ein Kreditantrag kein formeller Akt ist, sondern lediglich das irgendwie zum Ausdruck gebrachte ernsthafte Begehren, einen Kredit im oben beschriebenen Sinne zu erlangen. Der Täter muss den Kreditantrag nicht selbst stellen oder selbst Kreditnehmer sein. (d) Straflosigkeit
196
Da § 265b StGB bereits mit der Einreichung der Unterlagen vollendet ist2, ist das Versuchsstadium und damit die Möglichkeit des Rücktritts sehr bald überschritten. Um dem Täter dennoch die Rückkehr in die Straflosigkeit zu ermöglichen, ist eine entsprechende Möglichkeit in § 265b Abs. 2 StGB enthalten. Danach wird straflos, wer freiwillig die Leistungserbringung des Kreditgebers verhindert. Wird die Leistung ohne Zutun des Täters nicht erbracht, tritt Straflosigkeit ein, soweit er sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Leistungserbringung zu verhindern. (e) Täter
197
Auch wenn Partner der Kreditgewährung jeweils Unternehmen sein müssen, ist Täter des § 265b StGB derjenige, der die falschen Angaben macht. Nicht erforderlich ist, dass der Täter selbst den Kreditantrag stellt. Möglicher Täter ist daher jedermann; in Betracht kommen neben dem Betriebsleiter insbesondere auch einfache Angestellte, Steuerberater oder ein an dem Kredit interessierter Bürge, natürlich auch Sanierungsberater und Rechtsanwälte, die z.B. ein gefährdetes Unternehmen beraten und begleiten. Nicht hinreichend für eine Täterschaft ist, dass der Einreichende lediglich als Bote handelt. Der Bote kann sich aber gegebenenfalls wegen Beihilfe strafbar machen. b) Untreue, § 266 StGB
198
Wegen Untreue nach § 266 StGB macht sich derjenige strafbar, der fremdes Vermögen durch die vorsätzliche Verletzung einer ihm obliegenden Vermögensbetreuungspflicht schädigt3. Der Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB teilt sich dabei in zwei unterschiedliche Gruppen, namentlich den Missbrauchsund den Treuebruchstatbestand. Ein Missbrauch nach der 1. Alternative des § 266 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht und ihm dadurch einen Vermögensschaden zufügt. Ein Treuebruch im Sinne der 2. Alternative des § 266 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter die ihm kraft Ge1 Vgl. BGH v. 8. 12. 1981 – 1 StR 706/81, BGHSt 30, 285 (291); BGH v. 20. 1. 1987 – 1 StR 456/86, BGHSt 34, 265 (267). 2 Vgl. BGH v. 8. 12. 1981 – 1 StR 706/81, BGHSt 30, 285 (291). 3 Zu den Besonderheiten bei einer Unternehmenssanierung durch Banken vgl. Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, 103.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 203
§5
setzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder aufgrund eines faktischen Treueverhältnisses obliegende Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen verletzt und dadurch dessen Vermögen schädigt. Aufgrund der Weite dieser Handlungsalternativen haben Rechtsprechung und Lehre vielschichtige Versuche unternommen, die Anwendbarkeit des § 266 StGB zu beschränken. Für die entsprechenden Details wird hier auf die einschlägige Literatur verwiesen. Im Zusammenhang mit dem Insolvenzstrafrecht erlangt der § 266 Abs. 1 StGB besondere Bedeutung bei Handlungen von Organen juristischer Personen, durch die das Vermögen der juristischen Person geschädigt wird1. Im Verhältnis zu den Bankrottstraftaten kommt die Rechtsprechung zu einer Anwendung des § 266 StGB, wenn das Organ ausschließlich im eigenen Interesse handelt, nicht auch im Interesse des Schuldners (vgl. dazu bereits oben Rz. 29, 93).
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Ebenfalls von Bedeutung ist der § 266 StGB für den Insolvenzverwalter, da diesem eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne der Vorschrift obliegt (vgl. dazu bereits oben Rz. 64).
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c) Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266a Abs. 1 StGB aa) Allgemeines Eine große Bedeutung in der Praxis spielt die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen (dazu auch Rz. 34 ff.). Einerseits ist der Schuldner in der Krise seines Unternehmens häufig in Versuchung, die Sozialversicherungsbeiträge nicht abzuführen, da er dadurch beträchtliche Summen „sparen“ kann2. Andererseits ist der Nachweis dieses Delikts verhältnismäßig leicht zu führen und es wird aufgrund des hohen Schadens, der durch die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen der Versichertengemeinschaft entsteht, mit Nachdruck verfolgt.
201
Im Rahmen des Tatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB bestanden eine Reihe von streitigen Fragen, die die Handhabung des § 266a StGB für die Beratungspraxis erschwerten. Viele dieser Punkte sind aber inzwischen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt worden3.
202
bb) Täter und Tathandlung Täter des § 266a Abs. 1 StGB können nur der Arbeitgeber oder die für den Arbeitgeber nach § 14 StGB verantwortlich handelnden Personen sein (Sonderdelikt) wie z.B. der Geschäftsführer, der Vorstand oder der Insolvenzverwalter. Verfügt eine Gesellschaft über mehrere Geschäftsführer und ist von diesen nach interner Geschäftsverteilung nur einer für den Bereich der Abführung von 1 Zu der Vermögensbetreuungspflicht von Gesellschaften vgl. Kramer, WM 2004, 305. 2 Ca. 35 bis 40% der Bruttolohnkosten zuzüglich Arbeitgeberanteil, vgl. Reck, ZInsO 2002, 16. 3 Einen Überblick über die aktuellen Entscheidungen liefert Sinn, NStZ 2007, 155; Rönnau, wistra 2007, 81; Berger/Herbst, BB 2006, 437; Gross/Schork, NZI 2004, 358; vgl. auch Flitsch, BB 2004, 351.
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203
§5
Rz. 204
Insolvenzstrafrecht
Sozialversicherungsbeiträgen zuständig, ist dieser primär auch strafrechtlich allein verantwortlich. Den anderen Geschäftsführern obliegt aber eine Überwachungspflicht in der Form, dass sie zumindest bei Anzeichen für eine Krise wieder selbst für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sorgen müssen1. Der BGH geht von einer Allzuständigkeit aller Geschäftsführer aus, der sich die Geschäftsführer nicht durch eine interne Absprache entziehen können; lediglich der (bedingte) Vorsatz entfällt bei dem Geschäftsführer, der sich aufgrund interner Aufgabenverteilung auf die Erfüllung der Pflicht durch den Mitgeschäftsführer verlassen darf, solange ihm keine entgegenstehenden Anhaltspunkte – wie z.B. für das Bestehen einer Krise – bekannt sind. Ebenso sind die Gesellschaftsorgane auch dann für die ordnungsgemäße Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen verantwortlich, wenn diese Aufgabe auf eine Abteilung des Unternehmens delegiert wurde2. Dem Arbeitgeber gleichgestellt ist nach § 266a Abs. 5 StGB der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden (§ 12 SGB IV) oder eine Person, die i.S.d. (§§ 1 Abs. 2, 2) HeimArbG diesen gleichsteht. 204
Tathandlung des § 266a Abs. 1 StGB ist die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen gegenüber den Einzugsstellen bei Eintritt der Fälligkeit. Gemeint sind nur die Arbeitnehmeranteile, für deren Zahlung allein der Arbeitgeber haftet (Abs. 1). Bei Abs. 2 ist aber Tathandlung nicht das Vorenthalten selbst, sondern die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Angaben sowie das Unterlassen sozialversicherungsrechtlich relevanter Mitteilungen3. Fällig sind die Beiträge gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV am drittletzten Bankarbeitstag des Monats, in dem die sozialversicherungspflichtige Arbeit geleistet wurde. Eine Stundungsabrede mit den zuständigen Sozialkassen ist zulässig und schiebt im Falle ihres Zustandekommens vor Fälligkeit diese und damit die Strafbarkeit hinaus. Eine Stundungsabrede nach Fälligkeit oder eine bloße Teilzahlung der Beiträge lässt die bereits eingetretene Strafbarkeit jedoch nicht wieder entfallen. Zahlt ein Arbeitgeber nicht alle geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge, so bedarf es für die Verrechnung einer (zumindest konkludenten) Tilgungsbestimmung, dass zunächst auf die fälligen Anteile geleistet werden soll4. § 266a Abs. 3 StGB stellt das heimliche Einbehalten eines Teils des Arbeitsentgelts unter Strafe, den der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer an einen Dritten abzuführen hat; erfasst werden Fälle der Verletzung treuhänderischer Arbeitgeberpflichten von Lohnbestandteilen, die nicht von Abs. 1 erfasst werden wie z.B. Direktversicherungen5. Aufgrund der Neufassung des § 266a StGB durch das Gesetz v. 23. 7. 2004 verdrängen die Absätze 1 und 2 in ihrem Anwendungsbereich als speziellere Regelungen (wie auch § 370 AO) nunmehr den 1 Vgl. grundlegend BGH v. 9. 1. 2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422; dazu Reck, ZInsO 2002, 18 ff.; OLG Rostock v. 13. 9. 2001 – U 261/99, GmbHR 2002, 218. 2 AG Hamburg v. 3. 2. 2007 – 509 C 57/06. 3 Mit dem Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit v. 23. 7. 2004 (BGBl. I, Nr. 39, 1842) wurde auch der Schutz der Arbeitgeberanteile in gewissem Rahmen unter Strafe gestellt, vgl. dazu auch Rönnau/Kirch-Heim, wistra 2005, 321 ff.; Spatscheck/Wulf/Fraedrich, DStR 2005, 132 (134). 4 BGH v. 26. 6. 2001 – VI ZR 111/00, ZIP 2001, 1474; OLG Oldenburg v. 12. 10. 2006 – 8 U 344/05; Diversy, ZInsO 2006, 130. 5 Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 266a Rz. 22a.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 207
§5
§ 263 StGB, während § 266a Abs. 3 StGB als Auffangtatbestand hinter § 263 StGB zurücktritt1. Unerheblich für die Frage der Strafbarkeit wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge ist, ob auch der Lohn an die Arbeitnehmer ausgezahlt wurde2.
205
Ein nun wohl geklärtes Problem bestand in der Frage, inwieweit sich der Täter darauf berufen kann, die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sei ihm wegen Zahlungsunfähigkeit rechtlich oder tatsächlich unmöglich gewesen. Anerkannt ist, dass die Unmöglichkeit zur Erfüllung der Pflicht tatsächlich die Strafbarkeit entfallen lässt. § 266a StGB stellt ein echtes Unterlassungsdelikt dar; nach allgemeinen Grundsätzen kann ein Unterlassen nur tatbestandlich sein, wenn dem Täter die Vornahme der unterlassenen Handlung möglich war. Der BGH hat aber klargestellt, dass der Tatbestand des § 266a StGB auch dann verwirklicht werden kann, wenn der Täter zwar zum Fälligkeitstag zahlungsunfähig ist, sein pflichtwidriges Verhalten jedoch darin zu erblicken ist, dass er sich seiner Zahlungspflicht zum Fälligkeitszeitpunkt durch anderweitige Zahlungen begeben hat3. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Zahlung zum Fälligkeitstag – etwa durch Aufstellung eines Liquiditätsplans, die Bildung von Rücklagen oder Kürzung der Nettolohnzahlungen – sicherzustellen4. Diese Mittel dürfen auch nicht zur Begleichung anderer Verbindlichkeiten eingesetzt werden. Positiv ausgedrückt: Letzte vorhandene Mittel sind zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu verwenden, selbst wenn dies zum Zusammenbruch des Betriebes oder Unternehmens führt. Darauf kann – trotz der möglicherweise nicht billigenswerten Konsequenzen – nicht deutlich genug hingewiesen werden.
206
Handelt es sich bei dem Abgabenschuldner um eine antragspflichtige Gesellschaft, war innerhalb der Rechtsprechung bis vor kurzem nicht einheitlich geklärt, ob ab Insolvenzreife der Gesellschaft der Erhalt und die Sicherung der zukünftigen Insolvenzmasse (z.B. nach § 64 Abs. 2 GmbHG, § 92 Abs. 3 AktG) oder aber die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer vorrangig ist, was entsprechende Konsequenzen hat. Nach der Rechtsprechung des V. Strafsenats des BGH5 entfällt während des Laufs der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist (vgl. § 64 Abs. 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG) die Strafbarkeit des organschaftlichen Vertreters nach § 266a StGB wegen nichtabgeführter So-
207
1 Vgl. BT-Drucksache 15/2573, S. 28; Joecks, wistra 2004, 441 (443); Schönke/Schröder/ Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006, § 266a Rz. 28 f. 2 BGH v. 28. 5. 2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547; BGH v. 9. 1. 2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 (423); BGH v. 16. 5. 2000 – VI ZR 90/99, DB 2000, 1703. 3 BGH v. 25. 9. 2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127; BGH v. 28. 5. 2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547 (548) im Anschluss an BGH v. 21. 1. 1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304. 4 Zu den Anforderungen an die zutreffenden Sicherheitsvorkehrungen BGH v. 28. 5. 2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547 (548 f.); BGH v. 25. 9. 2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127. 5 BGH v. 9. 8. 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 ff.; BGH v. 30. 7. 2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; dazu Berger/Herbst, BB 2006, 437 ff.; Goette, DStR 2005, 1869; ders., DStR 2004, 286; Schröder/Faust, GmbHR 2005, 1422 ff.; Flitsch, BB 2004, 351; ablehnend Rönnau, wistra 2007, 81 ff.
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§5
Rz. 208
Insolvenzstrafrecht
zialversicherungsbeiträge, da der Geschäftsleiter innerhalb dieses Zeitraums die Gelegenheit haben soll, die Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft zu prüfen. Die Aussetzung der Strafbarkeit greift nach der Auffassung des Senats aber lediglich für die Dauer der Antragspflicht und nur, wenn am Ende dieses Zeitraumes entweder die Überwindung der Krise oder die Stellung eines Insolvenzantrags steht. Verstreicht die Insolvenzantragsfrist ungenutzt, lebt die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB wieder auf und die zur Verfügung stehenden Mittel sind vorrangig für die Abführung der Beiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB zu verwenden und nicht für die Sicherung der ggf. zukünftigen Insolvenzmasse1. Genau gegenteilig vertrat der II. Zivilsenat des BGH2 bis vor kurzem noch die Auffassung, dass der Geschäftsführer vorrangig die Massesicherung zu verfolgen habe und auch außerhalb des 3-Wochenzeitraumes die Sozialkassen nicht (bevorzugt) befriedigt werden dürften. 208
Nunmehr hat der II. Zivilsenat die wegen der Rechtsprechung der Strafsenate bestehende Zwangslage der für die Entrichtung fälliger Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer verantwortlichen Personen zum Anlass genommen, seine Haftungsrechtsprechung zu ändern. Ein organschaftlicher Vertreter verstößt danach nicht gegen den Sorgfaltsmaßstab der §§ 64 Abs. 2 GmbHG, 92 Abs. 3 AktG, wenn er zur Vermeidung der strafrechtlichen Verfolgung zuerst Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern abführt3. cc) Straffreiheit durch Selbstanzeige
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Nach § 266a Abs. 6 StGB kann das Gericht von Strafe absehen, wenn der Täter spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach von der Nichtabführung Mitteilung macht. Die Mitteilung muss schriftlich gegenüber der Einzugsstelle erfolgen und die Höhe der vorenthaltenen Beiträge sowie eine Darlegung, warum die fristgemäße Zahlung trotz ernsthafter Bemühung nicht möglich ist, beinhalten. Weitere Voraussetzung für die Straflosigkeit ist, dass der Täter die Beiträge in der von der Einzugsstelle gesetzten Nachfrist entrichtet, sofern ihm dies noch möglich ist. Von der in § 266a Abs. 6 StGB geschaffenen Chance zur Straflosigkeit wird in der Praxis viel zu selten Gebrauch gemacht! d) Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266b StGB
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Nach § 266b StGB macht sich derjenige strafbar, der ihm überlassene Scheckoder Kreditkarten missbraucht und den Aussteller dadurch schädigt. Entscheidendes Merkmal für das Vorliegen einer Scheck- oder Kreditkarte in diesem 1 FG Berlin v. 27. 2. 2006 – 9 K 9114/05; FG Düsseldorf v. 31. 1. 2006 – 9 K 4573/03 H, ZIP 2006, 1447 (1448). 2 BGH v. 18. 4. 2005 – II ZR 61/03, NJW 2005, 2546; BGH v. 8. 1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (239); vgl. insgesamt auch Achenbach, NStZ 2006, 614 (619); Sinn, NStZ 2007, 155; Rönnau, wistra 2007, 81; Berger/Herbst, BB 2006, 437 ff.; Gross/Schork, NZI 2004, 358. 3 BGH v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, DStR 2007, 1174 m. Anm. Goette.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 211
§5
Sinne ist, dass der Karteninhaber im Außenverhältnis die Möglichkeit hat, den Aussteller der Karte zu einer Zahlung zu verpflichten. Erforderlich ist daher immer ein Dreiecksverhältnis zwischen Kartenaussteller, Täter und Drittem. Ein Missbrauch dieser Verpflichtungsmacht liegt vor, wenn der Karteninhaber nach den Vereinbarungen mit dem Aussteller im Innenverhältnis zu dieser Verpflichtung nicht mehr berechtigt ist (rechtliches Dürfen), aber nach außen hin wirksam handeln kann (rechtliches Können). Die Berechtigung fehlt regelmäßig, wenn der Karteninhaber sein Guthaben bzw. die ihm eingeräumte Kreditlinie überschreitet und mit einer zeitnahen Rückführung dieser Beträge nicht zu rechnen ist. In Ausnahmefällen stellt die Überschreitung des vertraglich eingeräumten Spielraumes keinen Missbrauch dar, wenn eine stillschweigende Einwilligung des Ausstellers anzunehmen ist, beispielsweise, weil dieser ähnliche Überschreitungen in der Vergangenheit stets geduldet hat1. Erforderlich ist weiterhin der tatsächliche Eintritt eines Schadens beim Aussteller der Karte2, womit die Tat vollendet ist; der Versuch ist nicht strafbar. Nach § 266b StGB ist nur vorsätzliches Handeln des Täters strafbar. Gegenüber §§ 263 und 266 StGB ist § 266b StGB spezieller, so dass die §§ 263, 266 StGB als subsidiär zurücktreten, soweit sich deren Tatbestandserfüllung aus den gleichen Umständen ergibt3.
4. Straftatbestände außerhalb des StGB a) Verstöße gegen Verlustanzeige- und Insolvenzantragspflichten Bei juristischen Personen und solchen Personenhandelsgesellschaften, bei denen kein persönlich unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, haben die organschaftlichen Vertreter bestimmte Anzeigepflichten und die Pflicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt den Insolvenzantrag zu stellen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, machen sie sich strafbar4. In der Praxis spielen diese Delikte ein große Rolle. Sehr häufig wird der Insolvenzantrag zu spät gestellt, weil die Verantwortlichen hoffen, die Krise noch überwinden zu können, oder Zeit gewinnen wollen, um Vermögensgegenstände auf eine Auffanggesellschaft zu übertragen oder sonst beiseite zu schaffen. Wenn die Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit einer Insolvenz Ermittlungen aufnehmen, wird auch stets die Verletzung der Antragspflichten ermittelt, da der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohnehin auch für die übrigen Delikte ermittelt werden muss (zu diesen Insolvenzgründen und zur Verletzung von Insolvenzantragspflichten s. § 1 Rz. 49 ff., 106 ff. und § 2 Rz. 11 ff.).
1 Vgl. zu diesem Problemkreis Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 266b Rz. 15 ff., 19. 2 LG Dresden v. 21. 6. 2005 – 10 Ns 202 Js 45549/03, NStZ 2006, 633. 3 BGH v. 18. 11. 1986 – 4 StR 583/86, NStZ 1987, 120; OLG Hamm v. 10. 12. 1986 – 1 Ss 1000/86, MDR 1987, 514; BGH v. 2. 2. 1993 – 1 StR 849/92, NStZ 1993, 283; Schönke/ Schröder/Lenckner/Perron, StGB, 27. Aufl. 2006, § 266b Rz. 14. 4 Zur zivilrechtlichen Haftung vgl. umfassend Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 1. Aufl. 2006.
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§5
Rz. 212
Insolvenzstrafrecht
aa) Antrags- und Anzeigepflichten 212
Die Antrags- und Anzeigepflichten sind in ihren Voraussetzungen abhängig von der Gesellschaftsform des Schuldners. (1) GmbH
213
Bei der GmbH haben die Geschäftsführer nach § 64 Abs. 1 GmbHG die Pflicht, bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der Gesellschaft ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber innerhalb von drei Wochen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Die vorsätzliche Nichterfüllung dieser Pflicht führt zu einer Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG; fahrlässiges Handeln ist strafbar nach § 84 Abs. 2 GmbHG. Gleiches gilt für den Liquidator einer GmbH, §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 71 Abs. 4, 64 Abs. 1 GmbHG. Nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG macht der Geschäftsführer sich ebenfalls strafbar, wenn er es unterlässt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen. (2) AG
214
Für die AG finden sich Regelungen in den §§ 401, 92 AktG, die denen bei der GmbH entsprechen. Möglicher Täter ist hier jedes Mitglied des Vorstandes; die Anzeigepflicht setzt den Verlust der Hälfte des Grundkapitals voraus und muss gegenüber der gesondert einzuberufenden Hauptversammlung angezeigt werden. (3) Gesellschaft ohne haftende natürliche Person
215
Bei Gesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, ergibt sich die Pflicht zu Anmeldung der Insolvenz binnen drei Wochen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus § 130a Abs. 1 HGB, die Strafbarkeit aus § 130b HGB. Eine Anzeigepflicht besteht bei diesen Gesellschaften nicht. bb) Mögliche Täter
216
Mögliche Täter sind zunächst die Geschäftsführer bzw. Vorstände. Die strafbewährte Antragspflicht obliegt dabei grundsätzlich jedem einzelnen von mehreren Geschäftsführern oder Vorständen. Lediglich in Ausnahmefällen kann eine intern vereinbarte und durchgeführte Aufgabenverteilung dazu führen, dass bei einem Geschäftsführer das Verschulden entfällt. Beispielsweise wenn ein Geschäftsführer ausschließlich für den technischen Bereich zuständig ist und keinerlei Anzeichen für den Eintritt einer Krise hatte. Die Antragspflicht obliegt auch dem faktischen Geschäftsführer1 – wobei auch insoweit die strafrechtliche Verantwortlichkeit des rechtswirksam bestellten Geschäftsführers unberührt bleibt (vgl. Rz. 98) – und dem Liquidator. 1 Vgl. BGH v. 24. 6. 1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (37); BGH v. 5. 10. 1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314 (315); BGH v. 11. 11. 1982 – 4 StR 591/82, NJW 1983, 240.
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Überblick über die einzelnen Straftaten
Rz. 220
§5
Andere Personen als die zuvor genannten sind keine tauglichen Täter der Insolvenzverschleppungsdelikte, können sich aber wegen Anstiftung oder Beihilfe strafbar machen1. cc) Die rechtzeitige Anmeldung Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss der Insolvenzantrag unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern), spätestens nach drei Wochen gestellt werden. Daraus ergibt sich, dass eine Strafbarkeit bereits vor Ablauf von drei Wochen eintreten kann, wenn der Antrag problemlos früher hätte gestellt werden können. Dabei handelt es sich aber eher um eine theoretische Möglichkeit; in der Praxis wird ausschließlich auf die Dreiwochenfrist abgestellt.
217
Für die vorsätzliche Insolvenzverschleppung beginnt die Dreiwochenfrist erst mit Kenntnis des Täters von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Zwar liegt Insolvenzreife bereits mit dem objektiven Eintritt dieser Umstände vor2. Da § 64 Abs. 1 GmbHG aber an ein schuldhaftes Zögern anknüpft, ist für die zivil- und strafrechtlichen Folgen der Insolvenzverschleppung die Kenntnis des Täters erforderlich. Bei der fahrlässigen Insolvenzverschleppung kommt es hingegen für den Beginn der Frist auf den Zeitpunkt der fahrlässigen Unkenntnis an3 (für § 64 Abs. 1 GmbHG vgl. ausführlich § 2 Rz. 67 ff.).
218
Die Antragspflicht endet grundsätzlich nicht, wenn vor Ablauf der Frist ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gestellt hat. Eine Strafbarkeit entfällt durch den Gläubigerantrag allerdings dann, wenn der Antrag des Gläubigers auch tatsächlich zu einer Entscheidung des Insolvenzgerichts über das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung führt (vgl. dazu auch oben Rz. 22)4. Innerhalb der genannten Frist muss ein Insolvenzantrag gestellt sein. Aus strafrechtlicher Sicht ist dafür ausreichend, dass der Täter den reinen Antrag stellt. Ob er den weitergehenden Pflichten zur Vorlage bestimmter Unterlagen nachkommt, ist im hiesigen Zusammenhang unerheblich5.
219
b) Steuerhinterziehung, § 370 AO Im Zusammenhang mit Insolvenzen kommt es auch immer wieder zu einer Verletzung der steuerlichen Pflichten durch Nichtzahlung von Steuern, falschen Angaben gegenüber der Steuerbehörde und Nichtabgabe von Steuererklärungen. Aus den Vorschriften des Steuerstrafrechts6, §§ 369 ff. AO, ist für den Insolvenzfall nur die Steuerhinterziehung nach § 370 AO von besonderer Be1 Vgl. zur Strafbarkeit von Rechtsanwälten und anderen Beratern wegen Insolvenzverschleppung Baumgarte, wistra 1992, 41; Reck , ZInsO 2000, 121. 2 BGH v. 24. 1. 1961 – 1 StR 132/60, BGHSt 15, 306 (310); vgl. auch BGH v. 9. 7. 1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96 (110). 3 Vgl. Schäfer, GmbHR 1993, 782. 4 Vgl. Schäfer, GmbHR 1993, 782 m.w.N. 5 BayObLG v. 23. 3. 2000 – 5 St RR 36/00, ZInsO 2000, 465 mit Anm. Weyand, ZInsO 2000, 444. 6 Vgl. umfassend Küster, Steuerstraftaten, in Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2000, § 44.
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220
§5
Rz. 221
Insolvenzstrafrecht
deutung. Bei Firmeninsolvenzen werden sehr häufig Ermittlungen der Steuerbehörden eingeleitet und entsprechende Taten mit Nachdruck verfolgt. aa) Allgemeines 221
Nach § 370 Abs. 1 AO macht sich wegen Steuerhinterziehung strafbar, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht (Nr. 1), die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (Nr. 2) oder pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt (Nr. 3) und in allen Fällen dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Trotz bestehender Unterschiede weist die Struktur des Delikts eine gewisse Ähnlichkeit zum Betrug nach § 263 StGB auf, weshalb auch von Steuerbetrug die Rede ist. bb) Täter
222
Für die Steuerstrafvorschriften gelten in Bezug auf die Täterschaft, mittelbare Täterschaft sowie Anstiftung und Beihilfe die allgemeinen Vorschriften des StGB, § 369 Abs. 2 AO. Täter ist danach grundsätzlich derjenige, der die Tathandlung selbst begeht; nicht erforderlich ist, dass der Täter selbst der Steuerpflichtige ist. Dennoch sind Steuerberater oder Mitarbeiter, die die Steuererklärungen fertigen, regelmäßig nur Gehilfen, da sie die Erklärung gegenüber der Finanzbehörde nicht selbst abgeben, sondern nur vorbereiten. In diesen Fällen kommt aber auch eine mittelbare Täterschaft in Betracht, wenn derjenige, der die Steuerklärung fertigt, darin falsche Angaben macht und den Steuerpflichtigen darüber im Unklaren lässt. Der Hintermann beherrscht dann kraft überlegenen Wissens die Tat. cc) Tatbestand
223
Eine Steuerhinterziehung aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben ist gegeben, wenn die Steuern nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in voller Höhe festgesetzt wurden, § 370 Abs. 4 AO. Welche Angaben zu machen sind, wann die Festsetzung noch rechtzeitig erfolgt und welches die volle Höhe der Steuer ist, ergibt sich aus den übrigen Steuervorschriften, wie z.B. aus der AO, dem KStG oder dem UStG und kann hier nicht dargestellt werden. Hingewiesen sei nur auf Folgendes: Nicht nur falsche Angaben führen zu einer Strafbarkeit, es reicht auch aus, die entsprechenden Fristen zur Abgabe von Erklärungen zu versäumen. Dadurch wird die Steuer dann nicht rechtzeitig festgesetzt und der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist erfüllt. Solche Fristen werden im Zusammenhang mit einer Insolvenz häufig dadurch versäumt, dass Steuerberater wegen der Nichtzahlung ihrer Forderungen ihre Tätigkeit eingestellt haben. Bei der Beurteilung, ob eine Steuerverkürzung vorliegt, ist das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO zu berücksichtigen. Danach liegt eine Verkürzung auch dann vor, wenn die Steuerpflicht des Täters nach der Berechnung
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Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten
Rz. 228
§5
aufgrund der zutreffenden Umstände gar nicht höher läge, weil dann andere Steuerminderungen einträten1. Der Einwand, die Begleichung der Steuerpflicht sei unmöglich gewesen, weil der Täter die entsprechenden Mittel nicht mehr gehabt habe, ist zwar grundsätzlich dazu geeignet, die Strafbarkeit entfallen zu lassen. Wie bei § 266a StGB (vgl. Rz. 201 ff.) reicht aber die Zahlungsunfähigkeit nicht aus. Straffrei wird der Täter nur, wenn er im gesamten Fälligkeitszeitraum keinerlei Liquidität mehr zur Verfügung gehabt hat, d.h. die Zahlung ihm rechtlich oder tatsächlich unmöglich war.
224
Für eine Strafbarkeit nach § 370 AO ist Vorsatz des Täters erforderlich. Allerdings stellt die leichtfertige Begehung des § 370 Abs. 1 AO eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO dar, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann – sog. leichtfertige Steuerverkürzung. Nach § 370 Abs. 2 AO ist der Versuch strafbar.
225
dd) Selbstanzeige Durch eine rechtzeitige Berichtigung der Angaben gegenüber der Steuerbehörde entfällt nach § 371 AO die Strafbarkeit. Die Anzeige muss deutlich als nachträgliche Richtigstellung zu erkennen sein und vom Täter selbst oder zumindest auf seine Veranlassung hin abgegeben werden. Ferner muss der Hinterziehungstatbestand exakt beschrieben werden, und die hinterzogene Steuer muss innerhalb einer angemessenen Frist, die von der Finanzbehörde bestimmt wird, bezahlt werden.
226
Die Selbstanzeige ist allerdings verspätet und führt nicht mehr zur Straffreiheit, wenn zuvor ein Steuerprüfer erschienen ist, dem Täter bekannt gegeben wurde, dass ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, oder wenn die Tat bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder damit zu rechnen hatte, § 371 Abs. 2 AO.
227
III. Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO Nach § 97 Abs. 1 InsO ist der Schuldner verpflichtet, umfassend Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse zu geben; in den Absätzen 2 und 3 werden dem Schuldner weitere Mitwirkungspflichten auferlegt2. § 101 Abs. 1 InsO erweitert diese Pflicht auch auf Organe und persönlich haftende Gesellschafter des Schuldners. Angestellte des Schuldners sind nach § 101 Abs. 2 InsO ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen zur Auskunft verpflichtet. Die Informationen fließen in das Insolvenzeröffnungsgutachten ein, 1 Vgl. erläuternde Beispiele bei Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 637 ff. 2 Vgl. weiterführend zu § 97 InsO Diversy, ZInsO 2005, 180; Tetzlaff, NZI 2005, 316; Hefendehl, wistra 2003, 1; Gaiser, ZInsO 2002, 472; Uhlenbruck, NZI 2002, 401; Bittmann/Rudolf, wistra 2001, 81; Richter, wistra 2000, 1; Weyand, ZInsO 2001, 108; Vallender, ZIP 1996, 529.
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§5
Rz. 229
Insolvenzstrafrecht
das zur Kenntnisnahme der Staatsanwaltschaft gelangt. Das Insolvenzgericht ist nämlich nach den Nrn. XIIa 2 und 3 des 2. Teils, 3. Abschnitt der Anordnung über die Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) verpflichtet, die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft über die Eröffnung oder Abweisung mangels Masse eines Insolvenzverfahrens zu informieren und auch die Insolvenzakte zur Verfügung zu stellen. 229
Deswegen ist aus strafrechtlicher bzw. strafprozessualer Sicht das in § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO geregelte Beweisverwendungsverbot relevant (vgl. auch Rz. 45). Kommt der Schuldner seiner insolvenzrechtlichen Auskunftspflicht nach, läuft er Gefahr, sich durch seine Angaben im Hinblick auf eine von ihm begangenen Straftat selbst zu belasten. Da dies gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verstoßen würde, hat der Gesetzgeber die Auskunftspflicht mit einem entsprechenden „Verwendungsverbot“ ausgestattet1. Strafrechtlich unverwendbar sind danach Angaben des Schuldners, die dieser gemäß seiner Verpflichtung nach Satz 1 im eröffneten Insolvenzverfahren abgibt, wenn er deren Verwendung nicht zustimmt, wobei die einmal erteilte Zustimmung unwiderruflich ist2. Freiwillig, d.h. darüber hinaus gehende oder aufgrund anderer Auskunftspflichten vom Schuldner mitgeteilte Umstände werden von dem Verwendungsverbot nicht erfasst und sind uneingeschränkt verwertbar3. Das Verwendungsverbot setzt nach seinem Wortlaut gerade die Erfüllung der Pflicht aus Abs. 1 Satz 1 voraus. Auch aus der Systematik ergibt sich, dass der Satz 3 eine Ergänzung der Pflichten aus den Sätzen 1 und 2 ist und mit diesen eine Regelungseinheit bildet.
230
Im Zusammenhang mit dem Verwendungsverbot sind verschiedene Fragen umstritten. So wird die Frage in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt, ob das Verwendungsverbot nur für Erklärungen und Auskünfte des Gemeinschuldners gilt oder auch von diesem vorgelegte Unterlagen erfasst4. Ebenso umstritten und ungeklärt ist die Reichweite des Verbots, also die Frage, ob es sich auch auf solche Beweismittel erstreckt, die nach bzw. aufgrund der Auskunft des Schuldners bekannt geworden sind5. § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO bestimmt, dass Auskünfte nicht verwendet werden dürfen. In der Begründung
1 Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180 (182, 184); Uhlenbruck, NZI 2002, 401 (403), während ein umfassendes Verwendungsverbot es auch verbietet, die ereilten Auskünfte als Grundlage weiterer Ermittlungen zu nutzen, hindert das Verwertungsverbot nicht daran, die Auskünfte zur Grundlage weiterer Ermittlungen zu machen, um dadurch andere Beweismittel zu erlangen. 2 Diversy, ZInsO 2005, 180 (183). 3 Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180 (183, 184). 4 Auf Auskünfte und Erklärungen beschränkt z.B. LG Stuttgart v. 21. 7. 2000 – 11 Qs 46/00, wistra 2000, 439. Nach BGH v. 9. 1. 2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264, der das Verwendungsverbot nicht explizit anspricht, hat sich der nach § 97 Abs. 1 InsO zur Auskunft Verpflichtete nicht darauf zu beschränken, bloß sein präsentes Wissen mitzuteilen, sondern alle zur Auskunft erforderlichen Vorarbeiten zu erbringen, wie z.B. Belege vorzulegen. Zum Stand der Literaturmeinungen vgl. Bittmann/Rudolf, wistra 2001, 81 ff.; Uhlenbruck, NZI 2002, 401 ff.; Hefendehl, wistra 2003, 1 ff.; Weyand, Insolvenzdelikte, 7. Aufl. 2006, Rz. 143 m.w.N. 5 Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180 (182, 184); Hohnel, NZI 2005, 152 ff.
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Ringstmeier
Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten
Rz. 233
§5
des Rechtsausschusses heißt es dazu1, durch das Wort „verwendet“ werde zum Ausdruck gebracht, dass eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf. Es war also der Wille des Gesetzgebers, das Verwendungsverbot zusätzlich mit Fernwirkung auszustatten. Weiterhin problematisch ist auch der Umfang dieser Fernwirkung; auch diese Frage ist durch die Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt. Als gangbarer Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen bietet sich an, dass diejenigen Beweismittel verwendet werden dürfen, die zwar aufgrund der Auskünfte des Schuldners gefunden wurden, aber auch ohne diese Auskunft gefunden worden wären. Dies entspricht auch dem Ansatz, der bei den allgemeinen Beweisverwertungsverboten wohl die h.M. bildet. Bei dieser Ansicht stellt sich das Folgeproblem, ob die Beweismittel verwertbar sind, wenn sich nicht zweifelsfrei belegen lässt, dass sie auch ohne die Auskunft gefunden worden wären. Die Literaturstimmen dazu gehen ohne weiteres davon aus, dass auch für diese Frage der In-dubio-Grundsatz greift. Zu beachten ist aber, dass sich in der Rechtsprechung zu anderen Beweisverwertungsverboten die Formel findet, es reiche aus, dass die Beweismittel auch „überwiegend wahrscheinlich“ ohne die rechtswidrige Verwertung gefunden worden wären.
231
Im Zusammenhang mit dieser Frage steht noch das Problem, ob Beweise, die rechtswidrig erlangt worden sind, verwertet werden dürfen, wenn sie auch rechtmäßig hätten erlangt werden können. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Verdacht für eine Hausdurchsuchung nur auf die (nicht verwertbaren) Auskünfte des Schuldners gestützt würde; eine Durchsuchung aber rechtmäßig auch mit einem Verdacht aus den Geschäftsunterlagen hätte begründet werden können. Nach einer im Vordringen befindlichen Meinung sollen solche Beweismittel trotzdem verwertbar sein2.
232
Für die Beratungspraxis bleibt angesichts dieser vielfältigen Unklarheiten nur, die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten und zu verfolgen. Relevant werden diese Fragen allerdings auch erst im Rahmen einer Strafverteidigung, wenn es im Nachhinein gilt, die strafrechtlichen Interessen des Mandanten zu vertreten. Im Vorfeld einer Strafverfolgung kann der Berater, wenn er sich nicht selbst dem Risiko einer Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe aussetzen will, dem Mandanten nur empfehlen, seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 97 InsO in vollem Umfang nachzukommen3.
233
1 BT-Drucks. 12/7302, S. 5, 62 ff. 2 LG Stuttgart v. 21. 7. 2000 – 11 Js 46/00, wistra 2000, 439. 3 Vgl. dazu auch Hohnel, NZI 2005, 152 ff.; Tetzlaff, NZI 2005, 316 f. u.a. zu etwaigen Fragen der Staatsanwaltschaft an den Insolvenzverwalter.
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§ 6 Beratung des ungesicherten Gläubigers Rz.
I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . .
1
1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . 2. Gläubigerarten . . . . . . . . . . . . . . . 3. Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 4
II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz . . . . . . . . .
5
1. Allgemeines – Krisenerkennung und typisches Schuldnerverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Persönliche Vorsprache des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur Erlangung von Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zur Erlangung von Sicherheiten . . . . . . . . . . b) Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner . . . aa) Zahlungsvergleich . . . . . bb) Teilweiser Forderungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besserungsscheine . . . . . dd) Umwandlung der Forderung in eine Beteiligung c) Rechtliche Schritte . . . . . . . . aa) Klagen und Mahnbescheide . . . . . . . . . . . . . bb) Arreste, einstweilige Verfügungen und Vormerkungen . . . . . . . . . . . . cc) Insolvenzantrag . . . . . . .
5 8 9 9 11 13 13 14 15 17 21 21
23 26
III. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren . . . . 27 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insolvenzfähigkeit des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antragsberechtigung des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliches Interesse . . . . . . c) Glaubhaftmachung der anderen Antragsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Glaubhaftmachung der Forderung . . . . . . . . . . . . .
27 30 34 34 35
39 39
Rz.
bb) Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes . . . . . . 4. Inhalt und Form des Insolvenzantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt des Antrages . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . bb) Bedingungsfeindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kostensorge und Prozesskostenhilfe . . . . . . . . dd) Forderungshöhe . . . . . . . ee) Anschriften . . . . . . . . . . . b) Form des Antrages . . . . . . . . . c) Musterantrag . . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . a) Sachliche Zuständigkeit . . . b) Örtliche Zuständigkeit . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . bb) Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit . . cc) Mittelpunkt der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Allgemeiner Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verfahren bei Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . 6. Zulassung des Antrages und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anhörung des Schuldners . . b) Mögliche Reaktionen . . . . . . 7. Maßnahmen des Insolvenzgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines – Amtsermittlungspflicht . . . . . . . . . b) Bestellung eines Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicherungsmaßnahmen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . aa) Auswahl . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufgaben, § 22 InsO . . . (1) Aufgaben des Verwalters mit Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . (a) Allgemeines . . . . . . . . . . . (b) Betriebsfortführung . . . . (c) Überprüfungspflichten .
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41 48 48 48 49 50 52 53 54 55 56 56 57 57 58 60 64 65 66 66 68 69 69 70 73 75 76 78
79 79 82 86
503
§6
Beratung des ungesicherten Gläubigers Rz.
Rz.
(2) Aufgaben des Verwalters ohne Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (3) Aufgaben des Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (4) Besonderheiten bei Lastschriftverfahren . . . . 88a cc) Arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . 89 dd) Allgemeine Rechtsfolgen seines Handelns, insbesondere Begründung von Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 91 ee) Aufsicht und Haftung . . 95 ff) Vergütung . . . . . . . . . . . . 101 gg) Rechnungslegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 103 e) Prozessuale Auswirkungen der Sicherungsmaßnahmen . 104 f) Einstellung und Aufhebung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 105 g) Verhängung einer Postsperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 h) Verhängung einer Kontosperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .108a i) Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 109 8. Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Eigenantrag . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Erledigungserklärung . . . . . . 116 9. Auskunftsrechte der Beteiligten, insbesondere des antragstellenden Gläubigers . . . . . . . . 117 10. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . 118 11. Haftung bei unberechtigtem Gläubigerantrag . . . . . . . . . . . . . . 120 12. Vor- und Nachteile eines Insolvenzantragsverfahrens für den antragstellenden Gläubiger . . . 121 13. Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den ungesicherten Gläubiger . . . . . . . . . . 124
a) Vorabprüfung der Kostendeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Vorschussleistung des antragstellenden Gläubigers . . 126 c) Zurückweisung wegen Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . 128 d) Zurückweisung wegen Unbegründetheit . . . . . . . . . . 129 e) Zurückweisung mangels Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 130 bb) Kostenentscheidung . . . 132 f) Rechtsmittel für Gläubiger . 134 g) Eröffnung des Verfahrens . . . 141
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IV. Beratung im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . 142 a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Bekanntmachung . . . . . . . . . 143 c) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Rechtsfolgen für die Rechtsstellung des Schuldners . . . . 149 c) Rechtsfolgen für Gläubigerforderungen . . . . . . . . . . . . . . . 153 d) Rechtsfolgen für Prozesse . . 154 e) Rechtsfolgen für Vollstreckungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Bestellung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Natürliche Personen . . . 157 bb) Geschäftskunde . . . . . . . 158 cc) Unabhängigkeit . . . . . . . 159 dd) Geeignetheit im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 ee) Vorschlagsrechte . . . . . . 164 (1) Schuldner . . . . . . . . . . . . . 164 (2) Gläubiger . . . . . . . . . . . . . 165 b) Allgemeine Rechtsstellung . 166 c) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 167 bb) Verwaltung der Masse . . 171 (1) Inbesitznahme . . . . . . . . 172 (2) Freigabe . . . . . . . . . . . . . . 174 (3) Geschäftsfortführung . . 176 cc) Verwertung der Masse . . 180 (1) Unternehmensverkauf . 181
Beratung des ungesicherten Gläubigers
§6
Rz.
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(2) Einzelverwertung, Allgemeines . . . . . . . . . . . 182 (3) Immobilienverwertung . 183 (4) Verwertung beweglicher Gegenstände und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . 184 dd) Berichterstattung und Rechnungslegung . . . . . . 186 d) Persönliche Tätigkeit und Hilfskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . 193 e) Arbeits- und steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Arbeitgeberfunktionen . 194 bb) Steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 f) Überwachung und Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 g) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Insolvenzspezifische Haftung und geschützter Personenkreis, § 60 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Sonderregelung des § 61 InsO . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Haftung für Dritte . . . . . 218 dd) Verjährung . . . . . . . . . . . . 220 h) Vergütung und Auslagen . . . 221 4. Bestellung eines Gläubigerausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Allgemeines – vorläufiger und endgültiger Ausschuss . 222 b) Rechtsstellung des Ausschusses und seiner Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 aa) Allgemeine Befugnisse . 230 bb) Aufgaben im Einzelnen . 232 d) Beschlussfassungen . . . . . . . . 235 e) Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . 240 f) Vergütungsregelung . . . . . . . 245 5. Gläubigerversammlungen und Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Arten der Versammlungen . 251 b) Einberufung . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Teilnahme und Stimmrecht 253 d) Leitung der Versammlung . . 256 e) Aufgaben (Kompetenzen) . . . 257 aa) Durchführung von Wahlen (§ 57 InsO) . . . . 258 bb) Sonstige Aufgaben . . . . . 260
f) Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . 262 6. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . 263 a) Masseforderungen . . . . . . . . . 264 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 264 bb) Verfahrenskosten . . . . . . 266 cc) Sonstige Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 dd) Sonderfall: § 55 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 ee) Befriedigung allgemein . 272 ff) Befriedigung bei Masseunzulänglichkeit . . . . . . 275 b) Insolvenzforderungen . . . . . . 278 aa) Rangordnung . . . . . . . . . . 280 bb) Forderungsanmeldung . . 281 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . 282 (2) Form und Inhalt der Anmeldung . . . . . . . . . . . 284 (3) Eintragung in die Tabelle . . . . . . . . . . . . . . . 286 cc) Prüfungstermin . . . . . . . . 287 (1) Terminierung und Vorbereitung . . . . . . . . . . 287 (2) Teilnahmeberechtigung 288 (3) Ablauf des Prüfungstermins . . . . . . . . . . . . . . . 290 (a) Bestreiten von Forderungen, insbesondere vorläufiges Bestreiten . . . . . 291 (b) Widerspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . 294 (c) Tabelleneintragung . . . . 295 dd) Nachträgliche/ verspätete Anmeldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 ee) Rücknahme und Änderung von Anmeldungen 298 ff) Konsequenzen für anerkannte Forderungen – Feststellungswirkungen und Rechtsbehelfe . . . . . 300 gg) Konsequenzen für bestrittene titulierte Forderungen . . . . . . . . . . . 303 hh) Konsequenzen für bestrittene Forderungen ohne Titel . . . . . . . . . . . . . 304 (1) Klageerhebung und Zuständigkeitsfragen . . . 304
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§6
Beratung des ungesicherten Gläubigers Rz.
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(2) Fortsetzung eines Rechtsstreits . . . . . . . . . . 308 (3) Vorläufiges Bestreiten . . 310 (4) Streitwert und Kostenentscheidung . . . . . . . . . . 311 (5) Widerspruch des Schuldners . . . . . . . . . . . . 313 (6) Wirkung der Entscheidung im Feststellungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . 315 ii) Verteilungen – Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . 316 jj) Abschlagsverteilungen und Schlussverteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . 318 kk) Abschluss des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 (1) Schlussrechnung und Schlussbericht . . . . . . . . . 319 (2) Schlussverzeichnis . . . . . 327 (3) Schlusstermin . . . . . . . . . 328 ll) Durchführung der Verteilungen . . . . . . . . . . 330 (1) Bestrittene Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (2) Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger . . . . . . . . . . . . . 333 (3) Bedingte Forderungen . . 335 (4) Doppelhaftungsfälle . . . . 338
(a) Anzeige der Masseunzulänglichkeit . . . . . . 352 (b) Weitere Verwaltung und Verwertung . . . . . . . . . . . 353 (c) Verteilungen an die Massegläubiger . . . . . . . . 355 (d) Einstellungsbeschluss . . 357 bb) Einstellung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . 358 (1) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO . . . . 358 (2) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger, § 213 InsO . . . . . . . . 359 (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel . . . . . . . . . . 361 2. Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) Nach Durchführung der Schlussverteilung . . . . . . . . . 363 aa) Schuldnerstellung . . . . . 363 bb) Gläubigerstellung . . . . . . 364 cc) Nachtragsverteilung . . . 367 (1) Anordnungsvoraussetzungen . . . . . . . 367 (2) Praktische Bedeutung . . 369 (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel . . . . . . . . . . 370 b) Nach Bestätigung eines Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . 371 c) Nach Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . 372 d) Nach Einstellung mangels Masse, § 207 InsO . . . . . . . . . 375 e) Bei Aufhebung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO . . . . . . . 376 f) Nach Aufhebung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . 378
V. Beratung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. Beendigungstatbestände . . . . . . 341 a) Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . 342 aa) Durchführung der Schlussverteilung . . . . . . 343 bb) Bestätigung eines Insolvenzplans . . . . . . . . 344 cc) Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses nach § 34 Abs. 3 InsO . . . . . . . 345 b) Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . 346 aa) Einstellung wegen Massearmut . . . . . . . . . . . 347 (1) Einstellung mangels Masse, § 207 InsO . . . . . 347 (2) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
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VI. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . 379 1. Juristische Personen . . . . . . . . . . 380 2. Natürliche Person . . . . . . . . . . . . 383
Vorbemerkungen
Rz. 2
§6
I. Vorbemerkungen 1. Beratungsansatz Der Wunsch, eine Zahlungsforderung durchzusetzen, ist der häufigste Grund, einen Anwalt aufzusuchen. Meist geht es hierbei um streitige Forderungen. Gelegentlich liegt auch nur Zahlungsunwilligkeit auf Seiten des Schuldners vor. Zunehmend sind jedoch die Fälle, in denen der Schuldner aus wirtschaftlichen Gründen nicht zahlt.
1
Was soll der Anwalt in dieser Situation seinem Mandanten raten? Die Beantwortung dieser Frage ist in starkem Umfang davon abhängig, ob der Mandant eine Sicherheit für eine Zahlungsforderung hat und wie weit der wirtschaftliche Verfall des Anspruchsgegners fortgeschritten ist. Checkliste: wirtschaftlicher Verfall –
Sind die Zahlungsschwierigkeiten nur vorübergehender Natur oder liegt bereits Zahlungsunfähigkeit vor?
–
Ist noch kein Insolvenzantrag gestellt worden (Rz. 8 ff.)?
–
Läuft bereits ein Antragsverfahren (Rz. 27 ff.)?
–
Ist die Insolvenzeröffnung schon erfolgt (Rz. 142 ff.)?
–
Ist das Verfahren zwischenzeitlich beendet (Rz. 340 ff.) oder überhaupt abgelehnt worden (Rz. 128 ff.)?
Welche Hinweise oder Hilfe der Mandant benötigt, wird sich nach den oben genannten Stadien des wirtschaftlichen Verfalls richten.
2. Gläubigerarten Gläubiger im Sinne des Insolvenzrechts sind nicht alle Anspruchsinhaber. Wie sich aus § 38 InsO ergibt, muss ein Vermögensanspruch vorliegen; nur dieser ließe sich aus dem haftenden Vermögen (Insolvenzmasse) erfüllen. Deshalb muss es sich entweder um eine Geldforderung oder eine Forderung, die sich in eine Geldforderung umrechnen lässt, handeln. Dies zeigt sich an § 45 InsO. Folgende Ansprüche werden also nicht erfasst: –
Natürliche und unvollkommene Ansprüche wie Ehemäklerlohn oder Forderungen aus Spiel und Wette1.
–
Ansprüche auf Vornahme nicht vertretbarer Handlungen, § 888 ZPO, wie Ansprüche auf anwaltliche oder ärztliche Dienste, Weiterbeschäftigungsansprüche, Ansprüche auf Zeugniserteilung, auf Ausbildung, Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Widerruf von Behauptungen, Gegendarstellung
1 Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 38 Rz. 11.
Runkel
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2
§6
Rz. 3
Beratung des ungesicherten Gläubigers
usw. Auch öffentlich-rechtliche Handlungs- und Unterlassungspflichten begründen keine Insolvenzforderungen1. – 3
Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Kündigung usw. (sie könnten allenfalls Zahlungsansprüche auslösen).
Umgekehrt ist der Begriff „Insolvenzforderung“ etwas zu eng. Relevant sind auch die so genannten Masseforderungen (vgl. Rz. 264 ff.), also Ansprüche, die der Mandant regelmäßig erst nach Insolvenzeröffnung erwerben kann, §§ 53 ff. InsO. Gemeinsam ist diesen Ansprüchen jedoch, dass sie alle Zahlungsansprüche sind (zu den durch den [vorläufigen] Insolvenzverwalter begründeten Masseforderungen vgl. § 14 ausführlich). Nicht alle derartigen Insolvenz- oder Masseforderungen werden in diesem Kapitel behandelt. Ansprüche von Gesellschaftern, Geschäftsführern, Kreditinstituten und Arbeitnehmern bleiben den Kapiteln in den §§ 2, 3, 8 und 11 dieses Buches vorbehalten. Bei der „Beratung des ungesicherten Gläubigers“ geht es also um die so genannten Normalgläubiger, für die es im Insolvenzrecht keine irgendwie gearteten Sonderregelungen gibt.
3. Absicherung 4
Welche Gläubiger als ungesichert anzusehen sind, erschließt sich am einfachsten durch einen Blick auf die möglichen Sicherheiten (hierzu § 7). Hier sei nur beispielhaft auf Grundpfandrechte, Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten, Eigentumsvorbehalt, Sicherungseigentum und Sicherungszessionen verwiesen. Auch Inhaber dieser Sonderrechte können im Einzelfall ganz oder teilweise ungesichert sein, so dass viele der nachstehenden Überlegungen für sie ebenfalls von Bedeutung sind. Keine Sicherheiten im Sinne dieser Abgrenzung sind im Übrigen Titel. Insolvenzrechtlich haben sie lediglich untergeordnete Bedeutung. Sie spielen regelmäßig nur für das Weiterverfolgen einer bestrittenen Forderung eine Rolle. Es wird allerdings noch in den Rz. 303 f. zu erörtern sein, inwieweit Mandanten zu raten ist, sich vor, während oder nach der Insolvenz durch die Titulierung einer Forderung abzusichern.
II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz 1. Allgemeines – Krisenerkennung und typisches Schuldnerverhalten 5
Gerade die ungesicherten Gläubiger sind regelmäßig in der fatalen Situation, dass sie Fehlentwicklungen des schuldnerischen Unternehmens erst spät zu erkennen vermögen. Sicherheiten sind häufig das Ergebnis guter Informationen. Diejenigen Gläubiger, die in ständigem Kontakt mit dem Schuldner stehen, er1 Schumacher in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2006, § 38 Rz. 9; a. A. BGH v. 10. 7. 2003 – IX ZR 119/02, ZIP 2003, 1550 m. Bespr. Holzer, EWiR 2004, 27.
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Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz
Rz. 8
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fahren nicht nur etwas von wirtschaftlichen Fehlentwicklungen ihres Vertragspartners, sie kennen auch die „freien Werte“, erfahren also bspw., dass der Schuldner inzwischen so gut wie alle wichtigen Anlagegegenstände geleast hat und hören dann von der Anschaffung einer neuen Maschine, die sich der misstrauische Lieferant sofort bezahlen ließ, so dass im schuldnerischen Unternehmen ein freier Wert vorhanden ist (unterstellt es gibt keinen Raumsicherungsvertrag zugunsten eines Gläubigers). Ein derartig informierter Gläubiger kann also weitere Vorleistungen – etwa die Buchungs- und Bilanzarbeiten – von einer Sicherungsübereignung dieser Maschine abhängig machen. Ganz anders die Situation bspw. eines Tankstellenpächters, der naturgemäß keinen Einblick in die Wirtschaft- und Finanzsituation seines Kunden hat. Er sieht zwar die teuren Firmenwagen, weiß jedoch nicht, wo die Fahrzeugbriefe liegen. Nur Insider sehen die typischen Merkmale einer Krise:
6
–
stagnierende oder rückläufige Betriebsleistungen;
–
Jahresfehlbeträge;
–
vollständiger oder teilweiser Verlust des Eigenkapitals;
–
Kaschieren des schlechten Betriebsergebnisses durch außerordentliche Erträge aufgrund Realisierung stiller Reserven;
–
ständig steigender Zinsaufwand;
–
Zahlungen nur nach Mahnung;
–
Abwandern der Leistungsträger.
Eine Krisenerkennung mit Hilfe der multiplen Diskriminanzanalyse, wie sie in der betriebswirtschaftlichen Literatur empfohlen wird1, ist dem „Normalgläubiger“ versagt. Er wendet sich deshalb meist erst an einen Anwalt zum Zwecke des Forderungseinzugs, wenn schon die „Spatzen von den Dächern pfeifen“, dass bei dem Schuldner bald „die Lichter ausgehen“ werden, weil die Arbeitnehmer von Monat zu Monat später bezahlt werden, Schecks „versehentlich“ zunächst ohne Unterschrift abgeschickt werden und der Geschäftsführer für den telefonisch mahnenden Gläubiger nie zu erreichen ist. Jetzt geht es für den Anwalt im Beratungsgespräch um die richtigen Strategien.
7
2. Strategien Folgende Möglichkeiten stehen grundsätzlich offen: –
persönliche Vorsprache des Gläubigers mit dem Ziel der
–
Erlangung von Geld (Rz. 9 f.);
–
Erlangung von Sicherheiten (Rz. 11 f.),
–
ohne jedoch in eine Anfechtungsproblematik zu kommen.
8
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 1.154; vgl. im Einzelnen Drukarczyk, WM 1992, 1136 (1142).
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
–
Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner zur Herbeiführung eines/einer
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Zahlungsvergleichs (Rz. 13);
–
teilweisen Forderungsverzichtes (Rz. 14);
–
Besserungsscheinregelung (Rz. 15);
–
Modells „Umwandlung Forderung in Beteiligung“ (Rz. 17 ff.).
–
Rechtliche Schritte
–
Klagen und Mahnbescheide (Rz. 21 f.);
–
Arreste, einstweilige Verfügungen, Vormerkungen (Rz. 23 ff.);
–
Insolvenzantrag (Rz. 26).
a) Persönliche Vorsprache des Gläubigers aa) Zur Erlangung von Geld 9
Durch persönliche Vorsprache an Geld zu kommen, ist nicht so unwahrscheinlich, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Peinlichkeit, zu erklären, nicht zahlen zu können, ersparen sich die meisten Gewerbetreibenden und Privatpersonen. Eine derartige Erklärung könnte insolvenzrechtlich und damit bei juristischen Personen strafrechtlich relevant werden: Nach § 17 Abs. 2 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat – so der Wortlaut des Gesetzes. Es geht also um ein Verhalten des Schuldners. Dieses Verhalten muss nach außen erkennbar hervortreten, sei es auch in Form einer Unterlassung, insbesondere die zu zahlen1. Es genügt hierbei, dass die Zahlungsunfähigkeit einem einzigen Geschäftspartner als Grundlage der Nichtzahlung erkennbar wird2 (zur Zahlungsunfähigkeit siehe im Übrigen § 1, Rz. 49 ff.).
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Die Entgegennahme des Geldes ist auch aus anfechtungsrechtlicher Sicht noch relativ ungefährlich. Es handelt sich hierbei nämlich um den Fall einer kongruenten Deckung im Sinne des § 130 InsO, so dass die erleichterten Anfechtungsmöglichkeiten, die für inkongruente Deckungen gelten, § 131 InsO, nicht greifen (vgl. § 10, Rz. 52 ff.). bb) Zur Erlangung von Sicherheiten
11
Anders verhält es sich, wenn der Gläubiger in der Krise statt Geld eine Sicherheit erhält. Der Begriff der Sicherheit ist hierbei sehr weit zu verstehen. Hierunter fallen alle personalen, realen, akzessorischen, abstrakten oder fiduziari-
1 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 17 Rz. 27. 2 BGH v. 7. 4. 1995 – IX ZR 147/94, ZIP 1995, 930.
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Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz
Rz. 13
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schen Sicherheiten1. Nur wenn von Anfang an, also bei Entstehen der Verbindlichkeit gerade diese Absicherung vereinbart war, liegt – wie bei der Geldübergabe – Kongruenz vor2 (hierzu § 10 Rz. 62 ff.). Tipp: Derartige Fälle dürften jedoch eher die Ausnahme sein, so dass es sich empfiehlt, lieber einen gekürzten Geldbetrag entgegenzunehmen als eine Sicherheit, mag sie auch den geschuldeten Geldbetrag wertmäßig erreichen oder übersteigen. 12
Zu der immer wieder angesprochenen Anfechtungsproblematik folgender
! Hinweis: In der Beratungspraxis sollte immer der Grundsatz gelten, dem Gläubiger zur Entgegennahme von Geld oder Sicherheiten zu raten. Merke: „Was man hat, das hat man.“ Es könnte auch nicht zu einer Insolvenzeröffnung kommen oder aber der Insolvenzverwalter verkennt die Problematik. Gleichzeitig muss jedoch der Mandant auf das insolvenzrechtliche Risiko hingewiesen werden. Unbedingt zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang stets Einzelheiten der Anfechtungsproblematik (hierzu ausführlich § 10). b) Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner aa) Zahlungsvergleich Zahlungsvergleiche in der Form von Teilzahlungsvereinbarungen bergen die Gefahr, dass der Gläubiger letztlich nur eine minimale Teilleistung erhält und hinsichtlich des Restes auch noch Fälligkeitsprobleme entstehen. Dies könnte darüber hinaus auch anfechtungsrechtliche Nachteile haben (Zahlung nicht zu der Zeit). In jedem Fall sollte auf eine Verfallklausel geachtet werden. Musterformulierung für Verfallklausel: „Sollte der Schuldner … mit der Zahlung einer Rate … Tage in Rückstand geraten, werden alle ausstehenden Raten sofort fällig“.
! Hinweis: Soweit eine solche Klausel formularmäßig in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwandt wird, ist auf das Erfordernis der Anwendungsbeschränkung auf schwerwiegende Vertragsverletzungen zu achten. Aus der Fassung der formularmäßigen Klausel sollte sich weiter ergeben, dass sie unanwendbar ist, wenn der Schuldner den Rückstand nicht zu vertreten hat3. Soweit ein Verbraucherdarlehen im Sinne der §§ 491 ff. BGB vorliegt, muss die Klausel der Bestimmung des § 498 BGB entsprechen.
1 Zum Begriff „„Sicherung“ de Bra in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 130 Rz. 9. 2 BGH v. 5. 11. 1964 – VII ZR 2/63, WM 1965, 84 (85 f.). 3 BGH v. 21. 2. 1985 – IX ZR 129/84, NJW 1985, 1705 (1706).
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
bb) Teilweiser Forderungsverzicht 14
Ein teilweiser Forderungsverzicht wird häufig unter dem Gesichtspunkt des Sanierungsbeitrages (siehe auch § 1 Rz. 208 ff., 220) gesehen. Hierdurch bessert sich nicht nur die Liquiditätslage, sondern auch die Bilanz.
! Hinweis: Zu bedenken ist jedoch, dass der isolierte (teilweise) Forderungsverzicht eines einzelnen Gläubigers in erster Linie die Position der anderen Gläubiger verbessert. Deshalb wird regelmäßig hiervon abgeraten1. Ein Forderungsverzicht ist auch steuerrechtlich problematisch: –
für den Schuldner wegen der Abschaffung des steuerfreien Sanierungsgewinns gemäß § 3 Nr. 66 EStG (er realisiert einen steuerpflichtigen Ertrag und begründet bei fehlendem Verlustvortrag eine Steuerschuld, die wiederum die Liquidität belastet),
–
für den Gläubiger ist der Verlust der Forderung durch eine Teilwertabschreibung zu berücksichtigen. Steuerlich wird deshalb der Verzicht nur noch in Höhe des Buchwertes im Zeitpunkt des Verzichts ergebnisprägend, was steuerlich aber auch dann nicht weiterhilft, wenn die Forderung im Privatvermögen war.
cc) Besserungsscheine 15
Ein Forderungsverzicht wird häufig verbunden mit der Vereinbarung eines Besserungsscheins. Der Forderungserlass steht in diesem Zusammenhang unter einer auflösenden Bedingung; er entfällt bei einer Besserung der Vermögensverhältnisse2. In diesem Fall lebt die Forderung wieder auf. Auch hier sind wieder steuerliche Überlegungen anzustellen. Würde der Verzicht als Betriebsausgabe geltend gemacht, kommt es bei Eintritt der auflösenden Bedingungen naturgemäß zu einer Betriebseinnahme. Musterformulierung für einen Besserungsschein3: Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen Zwischen der …-Bank – im Folgenden „Bank“ genannt – und der Firma … – im Folgenden „Kreditnehmer“ genannt: 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 1.163 ff. 2 Wittig, NZI 2001, 169 (171) m.w.N. 3 Allgemein hierzu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 1.1010.
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Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz
Rz. 16
§6
1. Erlöschen von Forderungen Bank und Kreditnehmer sind sich darüber einig, dass aus ihren Krediten, die sich derzeit auf insgesamt … Euro belaufen, Forderungen in Höhe von … Euro erlöschen. Die für diese Kredite bestellten Sicherheiten wird die Bank dem Kreditnehmer in gesonderten Vereinbarungen zurückübertragen, soweit sie nicht ohnehin kraft Gesetzes erlöschen oder aufgrund vertraglicher Vereinbarungen an ihn zurückfallen und nicht auch andere, nicht erlöschende Forderungen sichern. 2. Wiederaufleben von Forderungen Die nach Nr. 1 erloschenen Forderungen werden dann und insoweit wiederaufleben, wie ihre Erfüllung dem Kreditnehmer aus seinen künftigen Gewinnen oder aus seinem die sonstigen Schulden übersteigenden Vermögen oder aus einem etwaigen Liquidationserlös möglich ist. Damit sind die Forderungen aufschiebend bedingt. Zinsen werden erst berechnet, wenn die Forderungen wieder entstehen. Der Zinslauf beginnt an dem Stichtag der Bilanz bzw. Zwischenbilanz für das Geschäftsjahr, in dem die Voraussetzungen für das Wiederaufleben der Forderungen eingetreten sind. Mehrere zurückgetretene Gläubiger sind anteilmäßig im Verhältnis ihrer Forderungen zu befriedigen. 3. Unterrichtungspflichten Der Kreditnehmer verpflichtet sich, der Bank spätestens sechs Monate nach seinem Bilanzstichtag einen Jahresabschluss vorzulegen, der von einem der Bank genehmen Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater testiert ist. Unabhängig davon hat die Bank das Recht, jederzeit die Vorlage von Bilanzen und zusätzlichen Unterlagen zu verlangen und Einsicht in die Geschäftsbücher des Kreditnehmers zu nehmen. Ort, Datum … …
…
Unterschrift(en) der Bank
Unterschrift(en) des Kreditnehmers
In diesem Zusammenhang ist auch die Ausgabe von Wandelgenussrechtskapital zu erwähnen. Genussrechte sind den Rechten der Gesellschafter stark angenähert: Beteiligung am Gewinn. Ein Stimmrecht gewähren sie jedoch nicht1. Im Übrigen besteht nicht die Gefahr, dass die Regeln über Eigenkapitalersatz angewendet werden. Zur ertragssteuerlichen Behandlung der auf das Genusskapital zu leistenden Entgelte verweise ich auf § 8 Abs. 3 Körperschaftssteuer1 BGH v. 5. 10. 1992 – II ZR 172/91, DB 1992, 2383 (2384).
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Rz. 17
Beratung des ungesicherten Gläubigers
gesetz. Entgelte auf Genussrechte, die sich im Betriebsvermögen befinden, sind Betriebseinnahmen; im Privatvermögen führen sie dagegen zu Einkünften aus Kapitalvermögen. dd) Umwandlung der Forderung in eine Beteiligung 17
Wenn die Forderung des Gläubigers nicht ganz unbedeutend ist, bieten zahlungsschwache Schuldner häufig eine Umwandlung in eine Beteiligung an. Bei Kapitalgesellschaften sind Beteiligungen am Nennkapital oder in Form einer stillen Einlage möglich. Bei anderen Unternehmen bestehen ähnliche Möglichkeiten; eine Einzelfirma, OHG, BGB-Gesellschaft usw., kann den Gläubiger als neuen „offiziellen“ Gesellschafter oder als stillen Teilhaber aufnehmen.
! Hinweis: In allen Fällen ist die Umwandlung nicht ganz ungefährlich. 18
Mitgliedschafts- und damit Mitbestimmungs- sowie Gewinnbezugsrechte werden nur begründet, wenn eine Beteiligung am Stamm- bzw. Grundkapital erfolgt. In Höhe des Kapitalbetrages besteht dann natürlich auch wieder das Verlustrisiko, das schon die Forderung geprägt hat. Durch die Beteiligung müsste deshalb wenigstens eine gute Chance auf Sanierung des Unternehmens gegeben sein, damit eventuelle zukünftige Gewinne auch dem Gläubiger zugutekommen. Bei einer Kapitalgesellschaft ist die Einlage einer Forderung nur in Form einer Sacheinlage möglich. Dies ist in einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss ausdrücklich festzulegen. Erfolgt nur eine stille Beteiligung, so ist ein Ausschluss der Verlustbeteiligung möglich; im Übrigen besteht eine Haftungsbeschränkung nur in Höhe der Einlage, § 232 HGB.
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Steuerliche Auswirkungen hat die Umwandlung in erster Linie für den Schuldner. Ich verweise hierzu auf § 6 Abs. 1 Ziff. 5 Satz 1 EStG sowie die entsprechende Kommentierung zu dieser Bestimmung1. Für den Gläubiger führt die Forderungsumwandlung zunächst zu keinen steuerlichen Konsequenzen. Dies ändert sich erst bei Ausschüttungen. Die Erträge aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft stellen Einkünfte gem. § 20 EStG dar, und zwar unabhängig davon, ob eine direkte oder eine typisch stille Beteiligung vorliegt. Anders wiederum ist die Situation bei atypisch stillen Beteiligten (Einkünfte aus Gewerbebetrieben).
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Es sei in diesem Zusammenhang auf eine wichtige haftungsrechtliche Konsequenz hingewiesen: Die Haftung bis zur Höhe der Beteiligung gilt nur, wenn die Umwandlung von Krediten in Eigenkapital gesellschaftsrechtlich als Sacheinlage behandelt wurde. Auf die Beachtung der formalen Regeln einer Sacheinlage nach § 56 GmbHG sei ausdrücklich hingewiesen. Werden diese Regeln nicht beachtet, 1 Schmidt/Glanegger, EStG, 25. Aufl. 2006, § 6 Rz. 410 ff., insbesondere Rz. 430 ff.
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Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz
Rz. 22
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greifen die Rechtsprechungsgrundsätze zur verdeckten Sacheinlage1. Hiernach bewirkt der Forderungsverzicht des Gläubigers keine Erfüllung der Bareinlageverpflichtung. Scheitert die Sanierung, so könnte der Insolvenzverwalter die volle Einlage noch einmal in bar anfordern (vgl. auch § 27 Abs. 3 AktG). Hierbei spielt der Wert der Forderung im Zeitpunkt der Einbringung keine Rolle. Eine Aufrechnung gegen die Einlageforderung ist nicht möglich.
! Hinweis: Um dies alles zu vermeiden, ist die Forderung als Einlagegegenstand genau zu bezeichnen; auch der Wert ist anzugeben, mit dem sie auf die Einlageverpflichtung angerechnet wird. Auch die Regeln für eigenkapitalersetzende Leistungen können zur Anwendung kommen (vgl. § 4 dieses Buches). c) Rechtliche Schritte aa) Klagen und Mahnbescheide Der Mandant kommt regelmäßig zu seinem Anwalt mit der Vorstellung, dieser werde angesichts der geschilderten Zahlungsprobleme des Gegners sofort eine Klage einreichen oder einen Mahnbescheid beantragen. Hiervon ist jedenfalls dann abzuraten, wenn der beratende Anwalt nicht die Bearbeitungsdauer in dem jeweiligen Gerichtsbezirk kennt. Es soll Gerichtsbezirke geben, in denen schon ca. 6 Wochen nach Klageeinreichung ein Verhandlungstermin stattfindet. In derartigen Fällen wird man auch von einem Mahnbescheidsantrag Abstand nehmen, weil Schuldner häufig ihre Zahlungsschwäche zum Anlass nehmen, Widerspruch zu erheben. Mahnbescheide empfehlen sich jedoch immer dann, wenn wegen des Streitwertes oder Streitgegenstandes zunächst ein Schiedsverfahren durchgeführt werden müsste, vgl. § 15a Abs. 2 Ziff. 5 EGZPO.
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In jedem Fall sollte der Mandant dahin gehend belehrt werden, dass bei gerichtlichen Maßnahmen ein erhebliches (wirtschaftliches) Kostenrisiko besteht, weil der Kostenerstattungsanspruch insolvenzrechtlich das Schicksal der Hauptforderung teilt. Umgekehrt ist die häufig von Schuldnern ausgesprochene Drohung, sie würden bei gerichtlichen Maßnahmen sofort einen Insolvenzantrag stellen, ein stumpfes Schwert. Der Insolvenzantrag als solcher unterbricht nicht das gerichtliche Verfahren. Auch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters hat nur dann Unterbrechungswirkung im Sinne des § 240 ZPO, wenn diesem Verwalter die Verfügungsbefugnis übertragen wird, was in den zurückliegenden Jahren von den meisten Gerichten deshalb nicht praktiziert worden ist, weil dies zu einem Anwachsen der Masseverbindlichkeiten führt, § 55 Abs. 2 InsO. Im Übrigen werde ich auf die prozessualen Auswirkungen von Sicherungsmaßnahmen noch unter Rz. 104 eingehen.
1 Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 2. Aufl. 2004, § 13 Rz. 51.
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§6
Rz. 23
Beratung des ungesicherten Gläubigers
bb) Arreste, einstweilige Verfügungen und Vormerkungen 23
Arreste und einstweilige Verfügungen haben gegenüber Klagen und Mahnbescheiden zeitliche Vorteile. Es werden jedoch nur in seltenen Fällen die entsprechenden Dringlichkeitsvoraussetzungen vorliegen. Ein fortschreitender Vermögensverfall ist für sich genommen noch kein Grund für derartig weitreichende zivilprozessuale Maßnahmen1. Im Übrigen ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass der Arrestbefehl auch schnellstmöglich vollzogen werden sollte. Ist dies bei Insolvenzeröffnung noch nicht geschehen, liegt also nicht mehr als ein Arrestbefehl vor, so ist dieser auf Widerspruch des Insolvenzverwalters ohne Sachprüfung aufzuheben2.
24
Zu denken ist natürlich auch an eine Vormerkung in ein massezugehöriges Grundstück. Ein derartiges Recht kann auch durch einstweilige Verfügung erlangt werden. Soweit im Wege einstweiliger Verfügung die Eintragung einer Vormerkung betrieben wird, ist im Gegensatz zu den vorangegangenen Ausführungen aufgrund der Regelung des § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Glaubhaftmachung der Gefährdung des zu sichernden Anspruchs nicht erforderlich (zur Rechtsstellung des Vormerkungsberechtigten vgl. § 8 Rz. 114 ff.).
! Hinweis: Ein zügiges Handeln ist in diesen Fällen unabdingbar. Kommt es zur Insolvenzeröffnung, findet auch in derartigen Fällen § 89 InsO Anwendung. Der Verwalter könnte die Eintragung einer Zwangsvormerkung selbst dann verhindern, wenn der Eintragungsantrag noch vor der Eröffnung gestellt worden ist3. 25
Tipp für den beratenden Anwalt: Eine wichtige Sicherungsmöglichkeit bieten die Vorschriften der §§ 111b ff. StPO für diejenigen Gläubiger, die durch eine Straftat geschädigt worden sind. In einem solchen Fall sollte darauf hingewiesen werden, dass Arrestvollziehungs- oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in eventuell von der Staatsanwaltschaft sichergestellte Vermögensgegenstände möglich sind und die Zulassung der Arrestvollziehung oder Zwangsvollstreckung in diese Vermögensgegenstände durch strafrichterlichen Beschluss gemäß § 111g Abs. 2 Satz 1 StPO erwirkt werden kann4. cc) Insolvenzantrag
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Unabhängig von allen vorstehenden Überlegungen wird der Gläubiger vor allem von seinem Anwalt wissen wollen, ob es rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, einen Insolvenzantrag zu stellen. Dies soll nachfolgend ausführlich behandelt werden.
1 2 3 4
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 917 Rz. 3. BGH v. 15. 1. 1962 – VIII ZR 189/60, KTS 1962, 51. Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 14 Rz. 38, 55. Kiethe/Groeschke/Hohmann, ZIP 2003, 185 ff.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 29
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III. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren 1. Allgemeines Der Anwalt, der mit seinem Mandanten überlegt, ob ein Insolvenzantrag anstelle anderer Maßnahmen sinnvoll ist, sollte zunächst einmal recherchieren, ob es ein derartiges Antragsverfahren nicht bereits gibt. Liegt ein Eigenantrag des Insolvenzschuldners vor, wird die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts eine entsprechende Auskunft – auch telefonisch – geben. Auskünfte über Gläubigeranträge sind dagegen rechtlich etwas problematisch; in der Praxis kommen sie allerdings immer wieder vor. Die näheren Einzelheiten werde ich unter Rz. 117 ff. erläutern.
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Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist ein klassisches Antragsverfahren. Von Amts wegen kann ein derartiges Verfahren nicht eingeleitet werden1. Bis zum 1. 1. 1999 gab es in Deutschland bei Insolvenz einer natürlichen oder juristischen Person zwei Möglichkeiten, ein Antragsverfahren zu durchlaufen. Es konnte ein Konkurs- oder ein Vergleichsverfahren eingeleitet werden, das letztgenannte jedoch nur auf Antrag des Schuldners. Nunmehr gibt es nur ein einheitliches Verfahren, wobei jetzt allerdings wieder ein Unterschied zwischen einem Firmeninsolvenzverfahren – auch Regelinsolvenzverfahren genannt – und einem Verbraucherinsolvenzverfahren gemacht wird (zu Letzterem vgl. § 16 dieses Buches). Dies braucht der Gläubiger jedoch nicht bei der Antragstellung zu berücksichtigen. Kommt das Gericht nach einem Gläubigerantrag zu dem Ergebnis, dass ein Verbraucherinsolvenzverfahren in Frage kommt, so hat es dem Schuldner gemäß § 306 Abs. 3 Satz 1 InsO vor der Entscheidung über die Eröffnung Gelegenheit zu geben, selbst einen Antrag zu stellen2. Stellt der Schuldner den Antrag nicht, so findet zwar kein Verbraucherinsolvenzverfahren statt; das Verfahren wird jedoch als vereinfachtes Insolvenzverfahren nach den §§ 311-314 InsO durchgeführt. Das Gericht hat bei der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung von Amts wegen die Verfahrensart zu bestimmen. Ein Gläubigerantrag darf nur dann als in der gewählten Verfahrensart unstatthaft zurückgewiesen werden, wenn der Gläubiger trotz Hinweises ausschließlich eine bestimmte Art beantragt, die nach Auffassung des Insolvenzgerichts nicht zulässig ist.
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! Hinweis für den beratenden Anwalt: Der Gläubigerantrag sollte keine Angaben zur Verfahrensart enthalten. Zur Zulässigkeit eines Gläubigerantrages bestimmt § 14 Abs. 1 InsO im Übrigen nur, dass der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft machen muss. Mit der Insolvenzfähigkeit des Schuldners erwähnt das Gesetz in § 11 InsO eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung.
1 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 13 Rz. 1, 4. 2 Vallender, MDR 1999, 280 (284).
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§6
Rz. 30
Beratung des ungesicherten Gläubigers
2. Insolvenzfähigkeit des Schuldners 30
Diese Zulässigkeitsvoraussetzung gilt für jedes Insolvenzverfahren. § 11 InsO ist die insolvenzrechtliche Entsprechung zu § 50 ZPO. Wie sich aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt, ist jede natürliche und juristische Person insolvenzfähig. Dies gilt auch für Ausländer, für die ein deutsches Insolvenzgericht nach § 3 InsO zuständig ist. Ob der Ausländer nach seinem Heimatrecht insolvenzfähig ist, ist unerheblich1. § 11 InsO wird durch die Vorschrift des § 12 InsO ergänzt, wonach bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts von der Insolvenzfähigkeit ausgenommen werden.
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Übersicht: Als Insolvenzschuldner kommen damit in Frage: –
jede Privatperson, die passiv parteifähig ist
–
jede juristische Person –
Aktiengesellschaft
–
GmbH
–
GmbH & Co. KG
–
KG auf Aktien
–
eingetragene Genossenschaft
–
rechtsfähiger Verein
–
rechtsfähige Stiftung
–
der nicht rechtsfähige Verein
–
Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit –
offene Handelsgesellschaft
–
Kommanditgesellschaft
–
Partnerschaftsgesellschaft
–
BGB-Gesellschaft
–
Partenreederei
–
Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung
–
Nachlass
–
Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft
–
Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, soweit es von den Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wird.
Nicht insolvenzfähig sind: –
Bund oder Land
–
Juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, wenn das Landesrecht dies bestimmt
1 Ehricke in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 11 Rz. 14.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
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Erbengemeinschaft1.
Die Insolvenzfähigkeit von Bruchteilsgemeinschaften wird unter bestimmten Voraussetzungen bejaht2. Dagegen ist die Frage, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft ebenfalls insolvenzfähig ist, höchst streitig3. Im Einzelnen:
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Zu den natürlichen Personen ist anzumerken, dass der Schuldner kein Gewerbetreibender sein muss. Auch Privatpersonen sind insolvenzfähig und waren dies im Übrigen auch schon nach altem Recht. Der Schuldner braucht nicht geschäftsfähig zu sein, so dass sich der Antrag auch gegen Minderjährige oder gegen betreute Personen richten kann. Ähnlich verhält es sich mit juristischen Personen. Auch die so genannte fehlerhafte Gesellschaft ist zumindest dann insolvenzfähig, wenn sie in Vollzug gesetzt worden ist und Sondervermögen gebildet hat4. Nicht insolvenzfähig ist die BGB-Innengesellschaft5. Stellt eine juristische Person, typischerweise eine GmbH, einen Insolvenzantrag, muss sie auch prozessfähig sein. Das ist nicht der Fall, wenn sie keinen gesetzlichen Vertreter hat oder nach zulässigem Antrag verliert. Zumindest im zweiten Fall kann das Insolvenzgericht von Amts wegen einen Verfahrenspfleger bestellen6. Besonderheit Vor- und Nachgesellschaften: Ist eine Gesellschaft zwar errichtet, aber noch nicht im Handelsregister eingetragen, so ist sie dennoch insolvenzfähig7. Voraussetzung ist jedoch, dass eine derartige Vorgesellschaft bereits Sondervermögen hat und im Rechtsverkehr als Gesellschaft in Erscheinung tritt8. Anders verhält es sich mit der so genannten Vorgründungsgesellschaft. Insoweit müsste allerdings geprüft werden, ob nicht in Wahrheit eine BGB-Gesellschaft oder eine OHG besteht. Nachgesellschaften gelten ebenfalls als insolvenzfähig, so dass auch eine aufgelöste GmbH, solange ihr Vermögen nicht vollständig liquidiert ist, Antrags1 AG Duisburg v. 4. 8. 2003 – 63 IN 170/03, NZI 2004, 97; gleiche Tendenz BGH v. 17. 10. 2006 – VIII ZB 94/05, ZIP 2006, 2125, der eine Rechts- und Parteifähigkeit verneint. 2 Vgl. AG Göttingen v. 18. 10. 2000 – 74 IN 131/00, ZIP 2001, 580; a. A. Bork, ZIP 2001, 545. 3 Vgl. Bork, ZIP 2005, 1205, der vor allem die Prämisse, eine WEG sei rechtsfähig, so der Mietrechtssenat des BGH v. 2. 6. 2005 – V ZB 32/05 in ZIP 2005, 1233, scharf bekämpft, dann aber die Insolvenzfähigkeit als logische Konsequenz bezeichnet; so auch Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWiR 2006, 149; a. A. LG Dresden v. 15. 5. 2006 – 5 T 105/06, ZIP 2006, 1210, Bestätigung von AG Dresden v. 12. 1. 2006 – 531 IN 3653/05, ZVI 2006, 24 mit Anmerkung Bork, EwiR 2006, 117. 4 BGH v. 16. 10. 2006 – II ZB 32/05, ZIP 2006, 2174; Schmerbach in Frankfurter Kommentar, 4. Aufl. 2006, § 11 Rz. 20. 5 AG Köln v. 6. 10. 2003 – 71 IN 168/03, NZI 2003, 614. 6 AG München v. 6. 7. 2007 – 1506 IN 959/07, ZIP 2008, 95. 7 BGH v. 9. 10. 2003 – IX ZB 34/03, NZI 2004, 28; BayObLG v. 23. 7. 1965 – BReg. 2 Z 7/65, NJW 1965, 2254; Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 11 Rz. 35. 8 K. Schmidt, NJW 1975, 665.
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
gegner sein kann1. Praktische Bedeutung hat dies vor allem, wenn sich bei einer GmbH nach Verfahrensablehnung mangels Masse weiteres Vermögen herausstellt. Das Gleiche gilt natürlich für die GmbH & Co. KG, eine Aktiengesellschaft usw. Insolvenzrechtlich ist es auch unerheblich, ob eine Gesellschaft schon im Register gelöscht ist, wenn sie noch verteilbares Vermögen hat2. Damit der Insolvenzantrag ordnungsgemäß zugestellt werden kann und der Schuldner überhaupt vertreten ist, müsste allerdings das Registergericht auf Antrag des Gläubigers einen Nachtragsliquidator bestellen3. Gelegentlich wird auch vertreten, dass zu diesem Zweck ein Prozesspfleger zu bestellen4 ist. Zu dieser Problematik auch im Übrigen unter Rz. 381.
3. Antragsberechtigung des Gläubigers a) Allgemeines 34
Der Gläubigerantrag setzt außer der oben erwähnten Insolvenzfähigkeit des Antragsgegners folgendes voraus: –
rechtliches Interesse (vgl. Rz. 35 ff.);
–
Glaubhaftmachung der Forderung (vgl. Rz. 39 f.);
–
Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes (vgl. Rz. 41 ff.).
Außerdem muss der Gläubiger darauf achten, dass das angerufene Gericht zuständig ist (vgl. Rz. 56 ff.). b) Rechtliches Interesse 35
Anders als noch nach der Konkursordnung ist nunmehr das rechtliche Interesse ausdrücklich im Gesetz erwähnt, § 14 Abs. 1 InsO. Der Gläubiger muss allerdings in seinem Insolvenzantrag hierzu keine besonderen Angaben machen. Durch die Darlegung, dass ihm eine Forderung zusteht und ein Eröffnungsgrund vorliegt, indiziert er gleichzeitig sein rechtliches Interesse5. Es sind jedoch Ausnahmen denkbar, die das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lassen könnten. Zeigen die Ausführungen des Gläubigers, dass ihm auch ein einfacherer oder billigerer Weg zur Befriedigung seiner Forderung offen steht, müsste das Rechtsschutzbedürfnis verneint werden6. Ihn auf Einzelvollstreckungsmöglichkeiten zu verweisen, führte jedoch in die falsche Richtung. Vollstreckungsmaßnahmen könnten nämlich für den Fall, 1 Uhlenbruck, ZIP 1996, 1641 (1648). 2 Ehricke in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 11 Rz. 96. 3 Zur Nachtragsliquidation vgl. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 74 Rz. 18 ff. 4 OLG Zweibrücken v. 12. 4. 2001 – 3 W 23/01, ZIP 2001, 973; LG Berlin v. 11. 12. 2001 – 86 T 645/01, NZI 2002, 163; Henckel, ZIP 2000, 2045. 5 Kind in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 14 Rz. 9 f. 6 Kind in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 14 Rz. 8; auch bei zweifeslfrei vollständiger dinglicher Sicherung (Absonderungsberechtigter), BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZB 12/07, ZInsO 2008, 103.
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Runkel
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 38
§6
dass ein anderer Gläubiger oder der Schuldner einen Antrag stellt, zu einer Anfechtung des Rechtserwerbs führen1. Das AG Burgwedel hat die Auffassung vertreten2, der Gläubiger könne nicht gegen eine Gesellschaft Insolvenzantrag stellen, wenn er auch die Möglichkeit habe, gegen mithaftende Gesellschafter vorzugehen. Dies kann nur dann richtig sein, wenn eindeutig feststeht, dass der Gläubiger auf diese Weise schnell den vollen Geldbetrag erhält. Dem Antragsteller kann auch nicht entgegengehalten werden, er sei der einzige Gläubiger und benötige deshalb kein „Gesamtvollstreckungsverfahren“ und müsse vielmehr im Wege der Einzelvollstreckung nach der ZPO vorgehen3. Andere Gerichte, unter anderem auch der BGH, wollten bei einer geringen Forderungshöhe das Rechtsschutzbedürfnis verneinen4. Abgesehen davon, dass hier jede Grenzziehung willkürlich wäre (50 Euro können für einen bestimmten Gläubiger viel Geld sein), zeigt die Nichtbegleichung geringer Forderungen, dass tatsächlich Zahlungsunfähigkeit vorliegt und deshalb schon beinahe ein öffentliches Interesse besteht, den Schuldner einem geregelten Verfahren zu unterwerfen. Die Mindestgebühr für das gerichtliche Verfahren in Höhe von 75 Euro sowie die Überlegung, dass bei einem erfolglosen Antrag erhebliche Kosten auf den Gläubiger zukommen, ist meines Erachtens ein ausreichender Schutz vor rechtsmissbräuchlichen Anträgen bei Kleinbeträgen.
36
Ausnahmen: Dennoch wird in folgenden Fällen ein rechtliches Interesse am gestellten Insolvenzantrag abgelehnt:
37
–
die Absicht, eine umstrittene Rechtsfrage im Insolvenzverfahren zu klären5;
–
die Absicht, eine rechtlich zweifelhafte Forderung (bspw. nach Verjährungseintritt) durchzusetzen6;
–
der Versuch, über ein Insolvenzverfahren Informationen zu erlangen, die der Schuldner sonst nicht erteilen muss7;
–
Ausschaltung eines Konkurrenten (eine derartige Absicht wird jedoch schwer nachweisbar sein)8;
–
Erzwingung von Ratenzahlungen. Dazu Näheres unmittelbar im Anschluss9.
Der letztgenannte Fall kommt in der Praxis am häufigsten vor. Ist es zu einer Ratenzahlungsvereinbarung gekommen, die der Schuldner nicht einhält, müsste der Gläubiger vortragen, dass eine endgültige Zahlungseinstellung er1 2 3 4 5 6
Pape, EWiR 1995, 665 (666). AG Burgwedel v. 3. 11. 1983 – 5 N 14/83, ZIP 1984, 475. LG Koblenz v. 27. 11. 2003 – 2 T 856/03, NZI 2004, 157. BGH v. 20. 3. 1986 – III ZR 55/85, NJW-RR 1986, 1188. AG Burgwedel v. 3. 11. 1983 – 5 N 14/83, ZIP 1984, 475. OLG Köln v. 1. 9. 1969 – 2 W 31/69, KTS 1970, 226; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 14 Rz. 12. 7 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 14 Rz. 17. 8 OLG Frankfurt v. 29. 12. 1983 – 14 W 187/83, ZIP 1984, 195. 9 LG Münster v. 3. 11. 1992 – 5 T 722/92, ZIP 1993, 1103; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 14 Rz. 4.
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§6
Rz. 39
Beratung des ungesicherten Gläubigers
folgt ist, also keine weiteren Raten mehr zu erwarten sind. Wiederholte Insolvenzanträge des gleichen Gläubigers offenbaren häufig die „Druckabsicht“ und sind ein Indiz für ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis1. Im Zusammenhang mit diesen Fällen einer missbräuchlichen Nutzung des Insolvenzantrages soll noch eine Entscheidung des AG Duisburg erwähnt werden. Gläubiger, die nur Teilzahlungen erzwingen wollen, offenbaren die missbräuchliche Nutzung des Insolvenzverfahrens, indem sie bei der Antragstellung erklären, sie würden den Antrag nach Zahlung des rückständigen Gesamtbetrages für erledigt erklären. Das Gericht verneinte konsequenterweise das rechtliche Interesse des antragstellenden Gläubigers2.
! Hinweis für den beratenden Anwalt: Von derartigen Erklärungen kann daher nur dringend abgeraten werden. Auf keinen Fall kann das Rechtsschutzinteresse deshalb abgelehnt werden, weil der Schuldner bereits die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Im Rahmen des entsprechenden Verfahrens wird nämlich die Vermögenssituation anders als im Insolvenzverfahren nicht überprüft. Dies hat insbesondere für die Anfechtungstatbestände Bedeutung (zu diesen § 10). Zu erwähnen, aber bei der Beratung des ungesicherten Gläubigers nicht näher zu erörtern, sind die Streitfragen im Zusammenhang mit Aus- und Absonderungsrechten (vgl. dazu aber § 7), kapitalersetzenden Darlehen sowie den Anträgen zum Zwecke der „Insolvenzgeldbeschaffung“. c) Glaubhaftmachung der anderen Antragsvoraussetzungen aa) Glaubhaftmachung der Forderung 39
Der Antrag muss einen schlüssigen Sachvortrag zum Bestehen einer Forderung enthalten. Darauf aufbauend hat eine Glaubhaftmachung zu erfolgen. Anders als bei der Einzelvollstreckung ist im Rahmen des § 14 InsO kein Titel notwendig3. Die Glaubhaftmachung ist bspw. auch durch ein Schuldanerkenntnis, einen Wechsel, einen Vertrag und ähnliches möglich. Im Übrigen kann die Glaubhaftmachung nach § 294 ZPO auch durch andere präsente Beweismittel erfolgen, so bei Fehlen von Belegen durch eine eidesstattliche Versicherung. Eine nicht titulierte Forderung ist jedoch immer schlüssig darzulegen4. Im Übrigen ist die landläufige Meinung, der Gläubiger müsse einen Titel vorlegen5, auch insoweit nicht richtig, als ein Titel, vor allem wenn er nur vorläufig vollstreckbar ist, keineswegs Bestand haben muss. So kann der Schuldner auf sein Berufungsvorbringen verweisen und selbst bei rechtskräftigen Titeln die Forderung über § 767 ZPO angreifen. Generell hat der Schuldner die Mög1 Schmahl in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 14 Rz. 11. 2 AG Duisburg v. 28. 12. 2001 – 62 IK 99/01, ZInsO 2002, 451. 3 So die herrschende Meinung, vgl. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 14 Rz. 12; Vallender, MDR 1999, 280. 4 BGH v. 22. 9. 2005 – IX ZB 205/04, NZI 2006, 34. 5 LG Potsdam v. 24. 11. 1996 – 5 T 248/99, NZI 2000, 233; LG Leipzig v. 29. 4. 1996 – 12 T 2903/96, ZIP 1996, 880.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 42
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lichkeit, mit einer Gegenglaubhaftmachung zu operieren. Letztlich hat das Insolvenzgericht darauf abzustellen, ob aufgrund des wechselseitigen Vorbringens der Bestand der Gläubigerforderung noch überwiegend wahrscheinlich ist. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass für die Zulässigkeit des Antrages und entsprechende Sicherungsmaßnahmen geringere Voraussetzungen gelten als für die spätere Eröffnung. Dann genügt die Glaubhaftmachung mit den Mitteln des § 294 ZPO nicht mehr; zumindest muss die Darlegungslast in diesem späteren Stadium anders gesehen werden. Nur hinsichtlich der Einleitung des Verfahrens lässt sich die von Pape aufgestellte These, die Last des Bestreitens einer glaubhaft gemachten Forderung läge beim Schuldner, rechtlich halten1. Zur Eröffnung ist eine weitergehende Überzeugung des Gerichtes notwendig.
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bb) Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes Den Insolvenzgrund glaubhaft zu machen, fällt naturgemäß dem antragstellenden Gläubiger schwerer als die Glaubhaftmachung der Forderung. Beim Insolvenzgrund geht es nämlich – anders als bei der Forderung – um die Sphäre des Gegners, in die ein Gläubiger häufig keinen Einblick hat.
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Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit, § 17 Abs. 1 InsO. Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Insolvenzgrund, § 19 Abs. 1 InsO (die drohende Zahlungsunfähigkeit als dritter Insolvenzgrund hat nur für den Schuldnerantrag Bedeutung). Beide Insolvenzgründe werden vom Gesetzgeber näher umschrieben: Zahlungsunfähigkeit: „Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“, § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. Überschuldung: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt“, § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO. Wann im Einzelfall von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auszugehen ist, wird in § 1 Rz. 49 ff. und 106 ff. näher erläutert. An dieser Stelle soll nachstehend deshalb nur dargestellt werden, wie der Gläubiger die Insolvenzgründe glaubhaft machen kann. Genauso wie bei der Glaubhaftmachung der Forderung ist auch hier zunächst ein schlüssiger Tatsachenvortrag nötig. Da es um Vorgänge im Bereich des Gegners geht, dürfen die Anforderungen an den Tatsachenvortrag nicht überspannt werden. Der Vortrag von Indiztatsachen reicht aus2. Zur Glaubhaftmachung des Vorbringens kann zunächst wieder auf § 294 ZPO verwiesen werden.
1 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 14 Rz. 47. 2 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 14 Rz. 41.
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§6 43
Rz. 43
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Übersicht: Mittel der Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit: –
In erster Linie die Unpfändbarkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers.
–
Daneben aber auch das Protokoll über die Offenbarungsversicherung im Zwangsvollstreckungsverfahren1, zu Protest gegangene Schecks oder Wechsel und eidesstattliche Versicherungen.
! Hinweis: Die eidesstattliche Versicherung ist natürlich zurückhaltend zu sehen, vor allem, wenn es sich um die eidesstattliche Versicherung des antragstellenden Gläubigers handelt.
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! Hinweis für den beratenden Anwalt: Häufig ergibt sich jedoch die Zahlungsunfähigkeit auch aus Korrespondenz, bspw. wenn der Schuldner in Briefen erklärt hat, er könne kein Geld zur Verfügung stellen, stattdessen aber Sicherheiten gewähren. Meist sind die Briefe der Schuldner jedoch so abgefasst, dass sich hiermit nur eine Zahlungsstockung belegen lässt. Es könnten dem Gläubiger in diesen Fällen allerdings auch zusätzliche Dokumente helfen, die belegen, dass die bereits eingeräumte augenblickliche Zahlungsunfähigkeit tatsächlich ein Dauerzustand sein wird (Hinweise, dass ein anderer Gläubiger schon alle Außenstände, die als einziges Liquidität bringen könnten, einzieht). Nach einer Entscheidung des BGH2 indiziert die Nichtabführung von Sozialbeiträgen über einen Zeitraum von sechs Monaten bereits die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Demgegenüber verlangt das LG Hamburg neben dem mehrmonatigen Beitragsrückstand der Sozialbeiträge einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch3. 45
So wie bei der Forderung als Antragsvoraussetzung könnte der Schuldner auch bei dem Eröffnungsgrund eine Gegenglaubhaftmachung versuchen. Ein bloßes Bestreiten reicht nicht aus. Vielmehr müsste der Schuldner detailliert darlegen, dass der Anschein, den die vom Gläubiger vorgelegten Beweismittel begründen, trügt4.
! Hinweis: Ein durch „harte Fakten“ untermauerter Liquiditätsplan ist mindestens erforderlich. Vom eigenen Steuerberater ausgestellte „Bescheinigungen“ sind mit Zurückhaltung zu betrachten, anders jedoch Erklärungen der Hausbank. 46
Gelingt dem Gläubiger die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit nicht, könnte er versuchen, den zweiten Eröffnungsgrund, die Überschuldung, darzulegen und zu beweisen. Regelmäßig ist dies jedoch viel schwieriger, es sei 1 BayObLG v. 11. 9. 2001 – 4 ZBR 12/01, InVo 2002, 18; OLG Celle v. 29. 10. 2001 – 2W114/01, InVo 2002, 105. 2 BGH v. 13. 6. 2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457. 3 LG Hamburg v. 21. 11. 2001 – 326 T 171/01, ZIP 2002, 447. 4 OLG Celle v. 7. 9. 2000 – 2 W 69/00, NZI 2001, 28; AG Göttingen v. 3. 5. 2002 – 74 IN 134/02, NZI 2003, 104; LG Dresden v. 29. 4. 2004 – 5 T 0407/04, ZIP 2004, 1062.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 48
§6
denn der Gläubiger ist im Besitz von Bilanzunterlagen, bspw. aufgrund von Sanierungsgesprächen, die erfolglos verlaufen sind. Ein besonderes Problem kann dann entstehen, wenn der Schuldner behauptet, nur bei Berücksichtigung der Forderung des Gläubigers läge Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung vor, die Forderung bestehe jedoch nicht zu Recht (so genannte insolvenzbegründende Forderungen1).
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Der BGH vertritt die Auffassung, dass in diesem Fall die Glaubhaftmachung der Forderung nicht genügt2, vielmehr ein Vollbeweis notwendig ist. In der Kommentierung wird dies teilweise anders gesehen: Für die Zulässigkeit des Gläubigerantrages müsse eine derartige Forderung ausreichen. Erst wenn es um die Entscheidung über den Eröffnungsantrag geht, habe das Gericht einen Vollbeweis zu verlangen3, wobei nicht geleugnet werden kann, dass dies nicht ganz unproblematisch ist, führt es doch dazu, dass das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen anordnen darf, die wegen ihrer Publizität verheerende Auswirkungen für den Schuldner haben können. Er verliert seine Kreditwürdigkeit und wird vielleicht erst hierdurch insolvent; nachher stellt sich jedoch dann heraus, dass die Forderung tatsächlich nicht existiert (zu den Folgen für den Gläubiger siehe unten Rz. 120).
4. Inhalt und Form des Insolvenzantrages a) Inhalt des Antrages aa) Allgemeines An den Inhalt eines Gläubigerantrages auf Insolvenzeröffnung werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Wie bei allen verfahrenseinleitenden Schriften ist die Formulierung ausreichend bestimmt vorzunehmen. Das Ziel des Antrages ist also anzugeben. Eine Formulierung in typischer Antragsform ist hierzu nicht notwendig. Klar muss natürlich sein, wer Antragsgegner ist: eine bestimmte natürliche Person, juristische Person oder ein anderes insolvenzfähiges Subjekt (zur Vorgründungsgesellschaft und zur gelöschten juristischen Person siehe oben Rz. 31 ff.). Sondervermögen können auch Antragsgegner sein, müssen dann aber genau bezeichnet, das heißt vermögensmäßig umrissen sein4. Generell gelten die Grundsätze des § 133 BGB: Der wirkliche Wille ist zu ermitteln.
1 Hierzu instruktiv Koch/Arndt, EWiR 2002, 631. 2 BGH v. 29. 3. 2007 – IX ZB 141/06, ZInsO 2007, 604 mit dem Hinweis darauf, dass die Berechtigung einer Verjährungseinrede gegen die nicht titulierte insolvenzbegründende Forderung grds. nur im Prozesswege überprüft werden kann; BGH v. 13. 6. 2006 – IX ZB 214/05, ZIP 2006, 1456; a. A. LG Itzehoe v. 21. 4. 1989 – 1 T 22/89, KTS 1989, 730. 3 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 14 Rz. 48; Pape, NJW 1993, 297. 4 Vallender, MDR 1999, 280 (283).
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48
§6
Rz. 49
Beratung des ungesicherten Gläubigers
bb) Bedingungsfeindlichkeit 49
Wie bei allen bestimmenden Schriftsätzen gilt der Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit1. Ein Antrag für den Fall, dass noch kein anderer Antrag vorliegt, ist nicht – unzulässig – bedingt, weil er auch so verstanden werden kann, dass der Gläubiger in jedem Fall seine Forderung insolvenzrechtlich geltend machen will (evtl. Auslegung in Richtung Forderungsanmeldung). Wird im Antrag zum Ausdruck gebracht, dass der Gläubiger ebenfalls mit Ratenzahlungen einverstanden ist, so dürfte dies auch kein bedingter Antrag sein2; eine derartige Aussage kann aber mit dem Vortrag zum Insolvenzgrund kollidieren (doch nicht von Zahlungsunfähigkeit ausgehend?). Auf keinen Fall ist es zulässig, den Antrag unter der Bedingung zu stellen, dass ein bestimmter Insolvenzverwalter bestellt wird. cc) Kostensorge und Prozesskostenhilfe
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Ein besonderes Thema ist in diesem Zusammenhang die Kostensorge. Immer wieder finden sich in Anträgen Formulierungen dahin gehend, dass auf keinen Fall bestimmte kostenauslösende Maßnahmen erfolgen dürften (Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder andere Sicherungsmaßnahmen). Wird dies zur Bedingung für den Antrag gemacht, ist er unzulässig3, wie generell die Formulierung, es dürften überhaupt keine Kosten für den Antragsteller entstehen; § 50 GKG lässt sich nicht abbedingen. Sinnvoll und erlaubt im Sinne der Zulässigkeit ist folgender Formulierungsvorschlag: Der Antragsteller bittet das Gericht, den Schuldner zunächst nur anzuhören und das Ergebnis dieser Anhörung mitzuteilen, bevor ein Sachverständiger mit Ermittlungen beauftragt wird und/oder Sicherungsmaßnahmen eingeleitet werden, insbesondere ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird.
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Was ist aber, wenn dem Insolvenzantrag ein Prozesskostenhilfegesuch beigefügt ist? Wird der Antrag von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht, so liegt überhaupt noch kein wirksamer Insolvenzantrag vor. Wird der Insolvenzantrag zusammen mit der Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs „vorsorglich“ gestellt, so ist es, so das AG Köln, ein bedingter und damit unzulässiger Antrag4.
1 2 3 4
Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 13 Rz. 4. A. A. jedoch Uhlenbruck, Rpfleger 1981, 377 (379). AG Göttingen v. 30. 9. 1999 – 74 IK 37/99, ZInsO 1999, 659. AG Köln v. 25. 2. 2000 – 71 IN 17/00, NZI 2000, 284; a. A. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 13 Rz. 3.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 55
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dd) Forderungshöhe Selbstverständlich muss der Gläubiger in seinem Insolvenzantrag angeben, welche Forderungshöhe zugrunde liegt; er muss den Anspruch also beziffern. Er kann den Antrag nicht auf eine Teilforderung stützen. Die Angabe des genauen Gesamtbetrages ist schon deshalb notwendig, weil im Eröffnungsverfahren sowohl die Zahlungsfähigkeit als auch die Überschuldung geprüft wird. Beides kann von der Höhe gerade dieser Gläubigerforderung abhängig sein. Deshalb wird in der Literatur angenommen, dass ein Antrag, der auf eine Teilforderung gestützt wird, unzulässig ist1.
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ee) Anschriften Wesentlicher Inhalt eines Gläubigerantrages ist schließlich die Angabe der Anschrift des Schuldners. Es muss sich – ebenso natürlich auch bei dem Antragsteller – um eine ladungsfähige Anschrift handeln2. Die Angabe eines Postfaches oder des ehemaligen Firmensitzes reicht nicht, ebenso wenig die bloße Anschrift des Geschäftsführers, weil das Gericht die Frage der örtlichen Zuständigkeit schon aufgrund des Antrages zu prüfen hat. Ist dem Antragsteller der Aufenthaltsort des Schuldners unbekannt, so sollte er dies sogleich mitteilen, damit eine öffentliche Zustellung vorgenommen werden kann, die der Gläubiger nicht ausdrücklich beantragen muss3.
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b) Form des Antrages Besondere Formvorschriften gibt es nicht (anders nur bei Schuldneranträgen in Verbraucherinsolvenzverfahren). Das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, in Kraft seit dem 1. 7. 2007, ergänzt jedoch den Satz 1 des § 13 InsO dahingehend, dass der Antrag schriftlich einzureichen ist.
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Nach § 133 ZPO hat der antragstellende Gläubiger ein Exemplar zustellungsfähiger Durchschriften oder anwaltlich beglaubigter Abschriften beizufügen. Geschieht dies nicht, wird das Gericht auf Kosten des Antragstellers Kopien erstellen. c) Musterantrag4 Amtsgericht
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– Insolvenzgericht – Straße PLZ Ort 1 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 14 Rz. 26; a. A. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 14 Rz. 10. 2 A. A. Pape, EWiR 1988, 1111. 3 OLG Köln v. 1. 8. 1988 – 2 W 131/88, ZIP 1988, 1070. 4 Zu den allg. Anforderungen an Insolvenzanträge s. a. Vallender, MDR 1999, 280.
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§6
Rz. 55
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Ort, den … Az.: … Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Max Mustermann, Straße, PLZ Ort – Antragstellers – Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte … gegen den Namen, Straße, PLZ Ort – Antragsgegner – Namens und in Vollmacht des Antragstellers, eine auf uns lautende Vollmacht überreichen wir in der Anlage, beantragen wir, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Namen, Straße, PLZ Ort (vergleiche Rubrum) zu eröffnen. Begründung: Der Antragsgegner steht zu dem Antragsteller in Geschäftsbeziehung. Im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages hatte der Antragsteller diverse Dienstleistungen für den Antragsgegner erbracht. Hieraus schuldet der Antragsgegner dem Antragsteller eine Vergütung in Höhe von … Euro. Trotz mehrfacher Aufforderungen hat der Antragsgegner keinerlei Zahlungen auf diese Forderungen geleistet. Der Antragsteller hat daraufhin einen Vollstreckungsbescheid gegen den Antragsgegner über die oben genannte Forderung erwirkt. Dieser Vollstreckungsbescheid ist diesem Antrag in Ablichtung beigefügt. Versuche, aus dem vorgenannten Vollstreckungsbescheid gegen den Antragsgegner zu vollstrecken, sind fruchtlos geblieben. Die Fruchtlosigkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers … Straße, PLZ, Ort, vom …, haben wir ebenfalls in Ablichtung beigefügt. Aus den vorgenannten Umständen ergibt sich, dass der Antragsgegner zahlungsunfähig ist. Zur Glaubhaftmachung verweisen wir auf die diesem Antrag beigefügten Ablichtungen des Vollstreckungsbescheides und der Fruchtlosigkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers. Der Antragsteller bittet das Gericht, den Schuldner zunächst nur anzuhören und das Ergebnis dieser Anhörung mitzuteilen, bevor ein Sachverständiger mit Ermittlungen beauftragt wird und/oder Sicherungsmaßnahmen eingeleitet werden, insbesondere ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. Für den Fall, dass die Kosten des Insolvenzverfahrens nicht durch das Vermögen des Antragsgegners abgedeckt sind, wird um die Anforderung eines Kostenvorschusses gebeten.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 56
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Rechtsanwälte … durch … Rechtsanwalt
5. Gerichtszuständigkeit a) Sachliche Zuständigkeit Nach § 2 InsO ist für das Insolvenzverfahren das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht für den Bezirk dieses Landgerichts ausschließlich zuständig. Nach dem 2. Absatz der genannten Bestimmung werden jedoch die Landesregierungen ermächtigt, andere oder zusätzliche Amtsgerichte zu Insolvenzgerichten zu bestimmen und die Bezirke der Insolvenzgerichte abweichend festzulegen. Für die Bundesländer, welche von der Ermächtigung dieses § 2 Abs. 2 InsO Gebrauch gemacht haben, sind nachstehend die jeweiligen Insolvenzgerichte aufgeführt1. Baden-Würtemberg: AG Aalen, AG Baden-Baden, AG Crailsheim, AG Esslingen, AG Freiburg, AG Göppingen, AG Hechingen, AG Heidelberg, AG Heilbronn, AG Karlsruhe, AG Konstanz, AG Lörrach, AG Ludwigsburg, AG Mannheim, AG Mosbach, AG Offenburg, AG Pforzheim, AG Ravensburg, AG Rottweil, AG Stuttgart, AG Tübingen, AG Ulm, AG Villingen-Schwenningen, AG Waldshut-Tiengen. Bayern: AG Amberg, AG Ansbach, AG Aschaffenburg, AG Augsburg, AG Bamberg, AG Bayreuth, AG Coburg, AG Deggendorf, AG Fürth, AG Hof, AG Ingolstadt, AG Kempten, AG Landshut, AG Memmingen, AG Mühldorf, AG München, AG Neu-Ulm, AG Nördlingen, AG Nürnberg, AG Passau, AG Regensburg, AG Rosenheim, AG Schweinfurt, AG Straubing, AG Traunstein, AG Weiden i.d. OPf., AG Weilheim, AG Wolfratshausen, AG Würzburg. Berlin: AG Berlin-Charlottenburg. Bremen: AG Bremen, AG Bremerhaven. Hessen: AG Bad Hersfeld, AG Bad Homburg v.d.H., AG Darmstadt, AG Eschwege, AG Friedberg, AG Fulda, AG Gießen, AG Hanau, AG Kassel, AG Königstein i.T., 1 Ein vollständiges Verzeichnis der Insolvenzgerichte aller Bundesländer findet sich in ZInsO 1998, 270.
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
AG Korbach, AG Limburg a.d. Lahn, AG Marburg, AG Offenbach am Main, AG Wetzlar, AG Wiesbaden. Niedersachsen: AG Aurich, AG Bersenbrück, AG Braunschweig, AG Bückeburg, AG Celle, AG Cloppenburg, AG Cuxhaven, AG Delmenhorst, AG Gifhorn, AG Göttingen, AG Goslar, AG Hameln, AG Hannover, AG Hildesheim, AG Holzminden, AG Leer (Ostfr.), AG Lingen, AG Lüneburg, AG Meppen, AG Nordenham, AG Oldenburg, AG Osnabrück, AG Osterode, AG Stade, AG Syke, AG Tostedt, AG Uelzen, AG Vechta, AG Verden, AG Walsrode, AG Wilhelmshaven, AG Wolfsburg. Schleswig-Holstein: AG Eutin, AG Flensburg, AG Itzehoe, AG Kiel, AG Lübeck, AG Meldorf, AG Neumünster, AG Niebüll, AG Norderstedt, AG Pinneberg, AG Reinbek, AG Schwarzenbek. b) Örtliche Zuständigkeit aa) Allgemeines 57
Sie ist in § 3 InsO geregelt. Hiernach ist das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 InsO ist der Eingang des Insolvenzantrages bei Gericht1. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt2. Die Formulierung zeigt, dass vorrangig zu prüfen ist, ob der Schuldner eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Erst wenn dies verneint wird, stellt sich die Frage, wo der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ ist nicht identisch mit dem Begriff „Gewerbe“. Eine Eintragung in das Handelsregister ist nicht Voraussetzung. Deshalb fallen auch Freiberufler unter diese Regelung. bb) Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit
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Streitig war eine Zeitlang, ob nach einer Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit einer GmbH nur noch der Wohnsitz des Geschäftsführers maßgeblich ist. Dies ist sowohl von dem OLG Schleswig als auch von dem Kammergericht so gesehen worden, jedenfalls wenn die Geschäftsräume nicht mehr existierten und der Geschäftsführer alle Geschäftsunterlagen an seinen Wohnsitz ver-
1 OLG Frankfurt v. 21. 5. 2002 – 21 AR 113/01, ZInsO 03/33 und speziell für Verfahren mit Auslandsberührung BGH v. 9. 2. 2006 – IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529. 2 BayObLG v. 12. 11. 2002 – 1Z AR 157/02, ZIP 2003, 676 f.
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Rz. 60
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bracht hatte1. Für diese Rechtsmeinung sprachen vor allem Praktikabilitätsüberlegungen. Hatte bspw. die GmbH ihren Sitz in Kiel und verzog der Geschäftsführer nach Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Freiburg, wohin er auch alle Unterlagen mitnahm, so stand das Amtsgericht Kiel, wenn es sich mit der Meinung des OLG Schleswig als zuständig ansah, vor dem Problem, entweder einen Gutachter oder vorläufigen Insolvenzverwalter aus seinem Gerichtssprengel einzusetzen, der dann jedoch unter Umständen zur Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen nach Freiburg reisen musste oder aber einen ihm unbekannten Insolvenzpraktiker aus Freiburg auszuwählen. Dieses Dilemma hat das Landgericht Hamburg veranlasst, auf den Wohnsitz des Geschäftsführers jedenfalls dann abzustellen, wenn dieser von dort aus noch Abwicklungsmaßnahmen erledigte, also bspw. die Korrespondenz führte2. Die heute ganz herrschende Meinung geht jedoch dahin, trotz dieser praktischen Schwierigkeiten nur auf den satzungsmäßig festgelegten Sitz und die entsprechende Handelsregistereintragung abzustellen3. Das OLG Koblenz hatte im Übrigen bereits nach altem Recht bei einer wegen Vermögenslosigkeit gelöschten GmbH das Gericht als örtlich zuständig angesehen, in dessen Bezirk die Schuldnerin zuletzt im Handelsregister eingetragen war4. Praktische Bedeutung hat dies vor allem für die sich häufenden Fälle der sog. gewerbsmäßigen Firmenbestattung5. Die Bestattungsunternehmen sind dabei immer mehr ins Visier der Gerichte gekommen, vor allem soweit es um eine Schadensersatzpflicht der Mitwirkenden geht6, aber auch was die Zulässigkeit ihrer Insolvenzanträge angeht7.
59
cc) Mittelpunkt der Tätigkeit Eine weitere Frage ist, wo sich bei einem Unternehmen der Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit befindet. Sind bei einem Unternehmen Betriebsstätte und Verwaltungssitz nicht am selben Ort, so soll der Verwaltungssitz maßgeblich sein, allerdings nur der tatsächliche Sitz und nicht der Ort der Eintragung ins Handelsregister8. Auf den Verwaltungssitz abzustellen, ist sicherlich interessengerecht. Dort werden die wirtschaftlichen Entscheidungen ge1 OLG Schleswig v. 9. 8. 1999 – 2 W 116/99, NZI 1999, 416; KG v. 7. 6. 1999 – 28 AR 65/99, NZI 1999, 499. 2 LG Hamburg v. 20. 12. 1999 – 326 T 194/99, ZInsO 2000, 118; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 3 Rz. 9c. 3 OLG Celle v. 16. 12. 2003 – 2 W 117/03, ZIP 2004, 581; BayObLG v. 19. 9. 2003 – 1 Z AR 102/03, NZI 2004, 148; OLG Braunschweig v. 13. 4. 2000 – 1 W 29/00, NZI 2000, 266 (267); OLG Hamm v. 14. 1. 2000 – 1 Sbd 100/99, NZI 2000, 220 (221); Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 3 Rz. 8; Pape, EWiR 2003, 1255. 4 OLG Koblenz v. 20. 1. 1989 – 4 SmA 1/89, Rpfleger 1989, 251; LG Aachen v. 3. 5. 2003 – 3 T 133/03, NZI 2003, 346. 5 OLG Celle v. 9. 10. 2003 – 2 W 108/03, ZIP 2004, 1022 m. zust. Bspr. Runkel, EWiR 2004, 859 (860), und zwar auch zu der Frage, ob fehlerhafte Verweisungsentscheidungen Bindungswirkung haben. 6 Vgl. LG Berlin v. 6. 3. 2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865; LG Berlin v. 8. 3. 2006 – 86 O 33/05, ZIP 2006, 862. 7 AG Duisburg v. 2. 1. 2007 – 64 IN 107/06, ZIP 2007, 690. 8 Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 3 Rz. 10a.
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60
§6
Rz. 61
Beratung des ungesicherten Gläubigers
troffen; dort findet auch der Insolvenzverwalter die Geschäftsunterlagen vor, die er für seine Abwicklungstätigkeit benötigt. Zum alten Recht war dies auch so gesehen worden1. 61
Bei einer im Ausland ansässigen Schuldnerin müsste nach Art. 102 Abs. 3 Satz 1 EGInsO auch eine rechtlich unselbständige Zweigniederlassung in Deutschland den Gerichtsstand für das inländische Vermögen begründen. Durch diesen Art. 102 Abs. 3 EGInsO ist damit ein Insolvenzgerichtsstand des inländischen Vermögens geschaffen worden. Insoweit erfährt § 3 InsO eine Ergänzung. Dieser besondere Gerichtsstand des inländischen Vermögens nach Art. 102 Abs. 3 EGInsO setzt jedoch voraus, dass das inländische Vermögen nicht zweifelsfrei für andere Berechtigte bereits vollständig insolvenzfest beschlagnahmt ist. Andernfalls besteht für das Verfahren nach Art 102 Abs. 3 EGInsO kein Rechtsschutzinteresse2 (vgl. hierzu und zu Fragen des Internationalen Insolvenzrechts § 18 Rz. 78). Die örtliche Zuständigkeit kann im Übrigen auch im Verhältnis zum Ausland für das anzuwendende Recht Bedeutung haben3.
62
Haben das selbständige Tochterunternehmen und der übergeordnete Konzern unterschiedliche Gerichtsstände, so ist auch dann nicht der Konzernsitz entscheidend, wenn von dort aus die Geschäfte gesteuert werden. Voraussetzung ist jedoch, dass bei dem Tochterunternehmen ein Teil von Selbständigkeit verblieben ist4.
63
Das Insolvenzgericht am Verwaltungssitz einer Personenhandelsgesellschaft ist nicht automatisch auch für ein Insolvenzverfahren gegen die Gesellschafter zuständig. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn ein persönlich haftender Gesellschafter, selbst wenn er woanders lebt, vor allem für diese eine Gesellschaft tätig ist, also an deren Sitz den Schwerpunkt seiner eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit hat5. dd) Allgemeiner Gerichtsstand
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Liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 nicht vor, so ist nach Satz 1 das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dieser ergibt sich aus den §§ 11 ff. ZPO. Bei natürlichen Personen ist der Wohnsitz entscheidend, § 13 ZPO. Fehlt dieser, so ist auf den Aufenthaltsort oder den letzten Wohnsitz abzustellen. Der
1 LG Dessau v. 30. 3. 1998 – 7 T 123/98, ZIP 1998, 1006; Schmahl, EWiR 1998, 557; zur Zulässigkeit eines Antrages einer deutschen Zweigniederlassung, wenn unklar ist, ob für die ausländische Gesellschaft schon ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, vgl. AG Köln v. 1. 12. 2005 – 71 IN 564/05, NZI 2006, 57. 2 So OLG Karlsruhe v. 15. 4. 2002 – 9 W 111/01, NZI 2002, 387 (388). 3 Sehr instruktiv in diesem Zusammenhang BGH v. 22. 1. 1998 – IX ZR 99/97, ZIP 1998, 477. 4 OLG Brandenburg v. 19. 6. 2002 – 1 AR 27/02, ZIP 2002, 1590 f. 5 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 3 Rz. 13; Kilger/K. Schmidt, KO, 17. Aufl. 1997, § 71 Anm. 3.
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Runkel
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 66
§6
Wohnsitz muss nicht immer dort liegen, wo jemand „polizeilich“ gemeldet ist. Die Anmeldung ist jedoch zumindest ein Indiz für den Wohnsitz1. Für juristische Personen gilt § 11 ZPO: Entscheidend ist der satzungsgemäße Sitz, der regelmäßig auch im Register eingetragen ist. Satzungsmäßige Sitzverlegungen bei einer GmbH sind nur zu beachten, wenn eine entsprechende Eintragung vorgenommen worden ist. ee) Verfahren bei Unzuständigkeit Das Gericht überprüft seine Zuständigkeit von Amts wegen. Will es seine Zuständigkeit verneinen, so hat es den Antragsteller hierauf hinzuweisen. Stellt dieser keinen Verweisungsantrag, so weist das Gericht den Insolvenzantrag ab.
65
Der Verweisungsbeschluss – nur dieser, nicht die formlose Weitergabe der Akte – bindet das bezeichnete Gericht, §§ 281 Abs. 2 Satz 2, 495 ZPO. Die Bindungswirkung entfällt, wenn die Verweisung willkürlich ist oder unter schweren Verfahrensfehlern wie beispielsweise der Verletzung rechtlichen Gehörs leidet2. Hält das Gericht, an das verwiesen wurde, die Verweisung für rechtsfehlerhaft und lehnt die Übernahme ab, so erfolgt von Amts wegen die Vorlage an das höhere Gericht durch eines der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte3, § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO. Hat das Gericht einmal seine Zuständigkeit bejaht und das Verfahren eröffnet, ist eine Verweisung an ein anderes Gericht selbst dann nicht möglich, wenn das Gericht seine örtliche Zuständigkeit irrtümlich angenommen hat4. Entsprechendes gilt in folgendem Fall: Ist das Insolvenzverfahren durch ein Insolvenzgericht eröffnet worden, kann dessen örtliche Unzuständigkeit nicht durch die Stellung eines neuen Insolvenzantrags bei dem angeblich örtlich zuständigen Gericht beseitigt werden5.
6. Zulassung des Antrages und Folgen a) Anhörung des Schuldners Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass alle oben genannten Voraussetzungen, –
Insolvenzfähigkeit des Schuldners,
–
rechtliches Interesse des Gläubigers,
–
Glaubhaftmachung von Forderung und Insolvenzgrund,
1 OLG Naumburg v. 20. 9. 1999 – 1 AR 44/99, InVo 2000, 12. 2 BGH v. 13. 12. 2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442; Pape, ZIP 2006, 877. 3 Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 37 Rz. 2, zu den Anforderungen an die Unzuständigkeitserklärung § 36 Rz. 24 ff. 4 OLG Celle v. 7. 5. 2007 – 4 AR 27/07, ZIP 2007, 1922. 5 LG Berlin v. 14. 9. 2007 – 86 T 424/07, NZI 2008, 43.
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66
§6
Rz. 67
Beratung des ungesicherten Gläubigers
–
inhaltlich und formal ordnungsgemäßer Antrag,
–
Zuständigkeit,
vorliegen, lässt es den Antrag zu. Dies geschieht formlos und kann nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden1. Erst jetzt ist dem Schuldner der Antrag zuzustellen. Er erhält nach § 14 Abs. 2 InsO Gelegenheit zur Stellungnahme (rechtliches Gehör). Das bis dahin einseitige wird hierdurch zu einem zweiseitigen Verfahren. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs steht jedoch nicht der sofortigen Anordnung von Aufklärungs- oder Sicherungsmaßnahmen, die das Gericht für eilig hält, entgegen2. Etwas anderes gilt nur für die Anordnung einer Postsperre und den Erlass eines Haftbefehls. 67
Kommt es zu einer persönlichen Anhörung des Schuldners, hat der Gläubiger kein Recht auf Anwesenheit. Ihm ist jedoch rechtliches Gehör zu gewähren, wenn das Gericht den Insolvenzantrag zurückweisen will. Ihm ist insbesondere ein evtl. erstelltes Sachverständigengutachten zur Kenntnis zu geben. b) Mögliche Reaktionen
68
Eine denkbare Reaktion des Schuldners auf die Zustellung der Antragsschrift ist die sofortige Bezahlung. Wie hierauf wiederum der Gläubiger, dessen Rechtsschutzinteresse damit entfällt, reagieren sollte, ist unter Rz. 116 näher zu erörtern. Viele Schuldner zeigen auch überhaupt keine Reaktion. Ihr Schweigen wird von der Literatur als Bestreiten des Insolvenzgrundes angesehen3. Im Übrigen könnte der Schuldner natürlich die Zulässigkeitsvoraussetzungen und/oder den Insolvenzgrund bestreiten. In beiden Fällen hat das Gericht Amtsermittlungen (siehe unten Rz. 69 ff.) anzustellen.
7. Maßnahmen des Insolvenzgerichts a) Allgemeines – Amtsermittlungspflicht 69
Mit der Zulassung des Insolvenzantrages4 stellt sich für den Richter die Frage, ob bis zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung irgendwelche gerichtlichen Schritte notwendig sind. Auch wenn, wie unter Rz. 66 erwähnt, mit der Zulassung des Antrages ein zweiseitiges Verfahren beginnt, bleibt es für einige Bereiche ein Amtsverfahren. Deshalb heißt es in § 5 InsO, das Gericht habe von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Hierzu korrespondierend wird in § 20 InsO eine Aus1 OLG Köln v. 27. 9. 1993 – 2 W 152/93, ZIP 1993, 1723; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 14 Rz. 50. 2 Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 14 Rz. 38. 3 Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 14 Rz. 17; ähnlich Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 14 Rz. 43. 4 Bei zweifelhaftem Gerichtsstand können berechtigte Sicherungsinteressen der Insolvenzgläubiger es gebieten, Sicherungsmaßnahmen schon vor der Feststellung der Zulässigkeit des Insolvenzantrages zu trefffen, BGH v. 22. 3. 2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878.
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Runkel
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 70
§6
kunftspflicht des Schuldners normiert. Verweigert der Schuldner die Mitwirkung, so ist das Gericht selbst dann zu Amtsermittlungen verpflichtet, wenn ein Eigenantrag vorliegt1 oder der Schuldner unerreichbar ist2. Nach § 97 InsO hat der Schuldner auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat herbeizuführen. Es besteht dann allerdings im Strafverfahren ein – theoretisches – Verwertungsverbot3. Außerdem soll der Geschäftsführer ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, soweit dies für eine eigene zivilrechtliche Inanspruchnahme von Bedeutung sein könnte4.
69a
Des Weiteren ist auch auf § 98 InsO zu verweisen: Das Gericht kann zur Durchsetzung der Pflichten des Schuldners die zwangsweise Vorführung und Haft anordnen5. Die Beschwerde gegen die Haftanordnung hat aufschiebende Wirkung6.
69b
Im Übrigen werden schließlich dem Gericht, wie sich aus § 21 InsO ergibt, Sicherungsmaßnahmen überantwortet. Das Gericht hat demnach sowohl zu ermitteln als auch zu sichern, wobei sich die Kombination beider Bereiche aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 InsO ergibt: Der als Sicherungsmaßnahme eingesetzte vorläufige Verwalter mit Verfügungsbefugnis hat zu prüfen, ob die Verfahrenskosten gedeckt sind; das Gericht kann ihn zusätzlich beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund tatsächlich vorliegt (bis dahin müsste er nur glaubhaft gemacht sein) und welche Aussichten für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens bestehen.
69c
b) Bestellung eines Sachverständigen Sie erfolgt regelmäßig deshalb, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts begrenzt sind. Bei vielen Gerichten wird nach Eingang und Zulassung des Insolvenzantrages zunächst ein Sachverständiger bestellt, der nicht gleichzeitig die Funktion des vorläufigen Insolvenzverwalters hat, also die Bestellung alleine auf § 5 InsO gestützt. Wenn es dort heißt, das Gericht könne den Sachverständigen vernehmen, so bedeutet dies in der Praxis, dass der Sachverständige seine Aussagen schriftlich macht, also ein Gutachten erstellt. Die Ermittlungsbefugnisse des nach § 5 InsO bestellten Sachverständigen bewegen sich nur im Rahmen der §§ 402 ff. ZPO. Der Sachverständige kann Dritte – bspw. Banken und Steuerberater – nicht zu Auskünften zwingen. Das Gericht kann den Sachverständigen auch nicht zur Einholung von Auskünften 1 LG Göttingen v. 24. 4. 2002 – 10 T 11/02, ZIP 2002, 1048; andere Tendenz – bei nicht hinreichender Substantiierung – LG Stendal v. 28. 6. 2007 – 25 T 112/06, NZI 2008, 44. 2 BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056. 3 Zur Weiterleitung des Eröffnungsgutachtens an die Staatsanwaltschaft Tetzlaff, NZI 2005, 316. 4 LG Ingolstadt v. 30. 8. 2004 – 1T 1333/04, ZIP 2005, 275. 5 Zur entsprechenden Abwägung durch das Gericht BGH v. 23. 10. 2003 – IX ZB 159/03, NZI 2004, 86. 6 Hierzu Ahrens, NZI 2005, 299; a. A. LG Göttingen v. 17. 12. 2004 – 10 T 133/04, NZI 2005, 339.
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70
§6
Rz. 71
Beratung des ungesicherten Gläubigers
bei der Bank des Schuldners ermächtigen1. Die Räume des Schuldners kann er nur mit dessen Einverständnis betreten2; das Gleiche gilt für die Einsichtnahme in seine Geschäftsbücher. Vor allem besteht eine Auskunftspflicht des Schuldners nicht gegenüber dem Gutachter, sondern nur gegenüber dem Insolvenzgericht. Die isolierte Bestellung des Sachverständigen ist deshalb nur sinnvoll, wenn alle Insolvenzbeteiligten kooperativ sind. 71
Anders ist die Situation bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter, der gleichzeitig einen Gutachtenauftrag erhält. Dieser kann die Auskunftspflicht des Schuldners mit Zwangsmitteln durchsetzen, §§ 22 Abs. 3, Satz 3, 98 InsO. Er ist außerdem kraft Gesetzes berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten, dort Nachforschungen anzustellen, insbesondere Einsicht in alle Geschäftsunterlagen zu nehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er auch von Dritten die Vorlage von Unterlagen verlangen3. Erhält der vorläufige Insolvenzverwalter die Verfügungsbefugnis, so hat er die oben unter Rz. 69 erwähnten Prüfungspflichten und die hiermit korrespondierenden Rechte, teils kraft Gesetzes, teils aufgrund Beauftragung. Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, so müsste das Gericht die Überprüfungsaufgaben insgesamt anordnen.
72
Der Sachverständige wird in seinem Gutachten bestimmte Empfehlungen geben, denen das Gericht jedoch nicht folgen muss. Es kann auch noch ergänzende Auskünfte verlangen. Dem antragstellenden Gläubiger gegenüber ist der Sachverständige allerdings nicht zu Auskünften verpflichtet. Dessen Informationsmöglichkeiten werden unter Rz. 117 behandelt. Im Übrigen hat der Sachverständige das Gutachten unverzüglich zu erstellen. Irgendwelcher Vermittlungstätigkeit hat er sich zu enthalten, aber auch kein Geld in Empfang zu nehmen, um es an den antragstellenden Gläubiger weiterzuleiten4. Die Honorierung des Gutachters erfolgt nach dem JVEG. Die Vergütung ist Teil der Kosten des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 54 InsO (Auslagen nach GKG). c) Sicherungsmaßnahmen im Überblick
73
Das Insolvenzgericht hat nach § 21 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten, dies in Ausnahmefällen selbst dann, wenn die Zulässigkeit des Antrags noch nicht sicher beurteilt werden kann5.
1 LG Göttingen v. 22. 10. 2002 – 10 T 57/02, NZI 2003, 38 mit zustimmender Anmerkung Vallender. 2 BGH v. 4. 3. 2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915; Bähr, EWiR 2004, 499. 3 AG Mönchengladbach v. 6. 12. 2002 – 32 IN 11/02, ZInsO 2003, 42. 4 OLG Köln v. 16. 3. 2004 – 22 U 148/03, ZIP 2004, 919 m. Bespr. Pape, EWiR 2004, 607. 5 BGH v. 22. 3. 2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344; Pape, EWiR 2007, 599.
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Runkel
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 74
§6
§ 21 Abs. 2 InsO nennt drei wichtige Maßnahmen und bringt mit der Formulierung („insbesondere“) zum Ausdruck, dass auch noch andere Maßnahmen möglich sind. In Abs. 3 der genannten Bestimmung wird dann schließlich – sozusagen als Steigerung – erwähnt, dass das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen kann, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Welche Sicherungsmaßnahmen das Gericht anordnet, steht in seinem Ermessen. Die Maßnahme darf allerdings nicht unverhältnismäßig sein. So ist eine Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume nur zulässig, wenn zuvor die Vernehmung des Schuldners in einem Anhörungstermin versucht worden ist1. Die wichtigsten Maßnahmen sind folgende:
74
–
Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (Abs. 2 Ziff. 1);
–
Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots (Abs. 2 Ziff. 2);
–
Anordnung, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (Zustimmungsvorbehalt – Abs. 2 Ziff. 2);
–
Untersagung oder einstweilige Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner (Abs. 2 Ziff. 3);
–
Anordnung einer vorläufigen Postsperre (Abs. 2 Ziff. 4);
–
zwangsweise Vorführung und Inhaftierung des Schuldners (Abs. 3);
–
Erlass von Aufenthaltsbeschränkungen (Abs. 3);
–
Schließung der Geschäftsräume;
–
Anordnung der Betriebsfortführung;
–
Ermächtigung des vorläufigen Verwalters zur Stilllegung und Schließung des Betriebes;
–
Siegelung von Räumen;
–
Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen;
–
Gestattung von Verwertungshandlungen des vorläufigen Verwalters im Einzelfall (zur Verhinderung von Nachteilen für das Schuldnervermögen);
–
Beschlagnahme und Verfügungsverbot hinsichtlich einzelner Vermögenswerte, insbesondere Guthaben oder Forderungen des Schuldners (unter anderem Kontensperre);
–
Verbot der Herausgabe von Gegenständen an Absonderungsberechtigte;
–
isolierte Beauftragung eines Sachverständigen.
Die wichtigsten Sicherungsmaßnahmen sollen nachstehend unter den Rz. 75-110 erläutert werden: 1 LG Göttingen v. 12. 4. 2007 – 10 T 10/07, ZIP 2007, 2007.
Runkel
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§6
Rz. 75
Beratung des ungesicherten Gläubigers
d) Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters 75
Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist in der Praxis die wohl wichtigste Sicherungsmaßnahme im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber gerade diese Sicherungsmaßnahme an den Anfang seiner nicht als abschließend zu qualifizierenden Auflistung („insbesondere“) von in Betracht kommenden Sicherungsmaßnahmen gestellt hat, § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO. aa) Auswahl
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Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO erfolgt die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Gericht. Da § 21 Abs. 2 Nr. 1 die entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 56, 58–66 InsO vorsieht, gelten für die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters die Kriterien, die § 56 InsO festlegt. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Rz. 156 ff. verwiesen. Die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters wird sich daran orientieren, dass der vorläufige Verwalter später auch der endgültige Verwalter wird. Zwar sieht § 57 InsO die Möglichkeit vor, in der ersten Gläubigerversammlung einen anderen Insolvenzverwalter zu wählen. Davon wird in der Praxis allerdings kaum Gebrauch gemacht. Als vorläufiger Insolvenzverwalter ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen1. Die Bestellung juristischer Personen scheidet aus, Gleiches gilt für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, nicht voll geschäftsfähige Personen sowie für den Schuldner selbst oder seine gesetzlichen Vertreter.
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Die Entscheidung über die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters liegt allein beim Gericht. Die richterliche Unabhängigkeit gebietet es, hier von einem weiten Ermessensspielraum auszugehen. Der Richter hat allein zu berücksichtigen, wer am ehesten den Problemstellungen der konkreten Insolvenzabwicklung gewachsen ist. Die Branche oder die Größe des Unternehmens ist ebenso zu berücksichtigen wie die persönliche Verfügbarkeit des Verwalters, d.h. vor allem seine Belastung mit anderen Verfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf Rz. 156 ff. Mögliche Vorschlagsrechte der Gläubiger und wie diese vernünftigerweise agieren sollten, werden ebenfalls unter Rz. 165 erörtert. bb) Aufgaben, § 22 InsO
78
Für den vorläufigen Insolvenzverwalter gelten gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO die die Rechtsstellung des endgültigen Verwalters regelnden §§ 56, 58–66 InsO entsprechend (vgl. hierzu Rz. 166). Er darf gemäß § 22 Abs. 3 InsO die Geschäftsräume des Schuldners betreten, dort Nachforschungen anstellen und Bücher sowie Geschäftspapiere einsehen. Der Schuldner ist zur Auskunfts1 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 21 Rz. 52 ff.; Uhlenbruck in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 325 ff. Rz. 3; Mönning in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 375 ff. Rz. 5; Vallender, DZWIR 1999, 265 (266).
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Runkel
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 80
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erteilung verpflichtet. Im Übrigen hängen Rechte und Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters davon ab, ob gegen den Schuldner gleichzeitig ein Verfügungsverbot erlassen wurde. Grundsätzlich hat der Verwalter die schutzwürdigen Belange des Schuldners sowie das Gesamtinteresse aller Gläubiger, also nicht Interessen einzelner Gläubiger, zu wahren. (1) Aufgaben des Verwalters mit Verfügungsbefugnis (a) Allgemeines Hat das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt und ein Verfügungsverbot erlassen, geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO, wobei sich die Pflichten des vorläufigen Verwalters nach § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO bestimmen (zu einem solchen starken vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. § 14 Rz. 11 ff.).
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Erlassene Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO sind gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 InsO öffentlich bekannt zu machen. Anders als das allgemeine Verfügungsverbot nach dem früheren § 106 KO führt das Verfügungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO zu einem absoluten Verfügungsverbot, weil § 24 Abs. 1 InsO auf die §§ 81 f. InsO verweist1. Unter Verstoß gegen die Beschränkung vorgenommene Verfügungen des Schuldners sind – absolut – unwirksam. Ein an den Schuldner Leistender wird nur befreit, wenn er in Unkenntnis des Verfügungsverbots geleistet hat, was vermutet wird, wenn die Leistung vor Bekanntmachung (§ 23 InsO) des Verfügungsverbots erfolgte, § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 InsO. Die Verhängung eines Veräußerungsverbots nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO hat die Wirkungen der §§ 135 f. BGB. Der nach § 22 Abs. 1 InsO bestellte vorläufige Verwalter hat das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten. Die Vorschrift bezweckt, ein frühzeitiges Auseinanderfallen der späteren Insolvenzmasse zu verhindern. Daher bezieht sich der Wortlaut auch nicht nur auf die massezugehörigen Gegenstände, sondern auf das „Vermögen“ des Schuldners. Hiervon sind notwendigerweise auch solche Gegenstände im Besitz des Schuldners erfasst, die mit Fremdrechten Dritter belastet sind. Mit der Beschlagnahme durch den vorläufigen Verwalter wird nicht die Insolvenzmasse gebildet, sondern deren Bildung sichergestellt. Die Sicherung wird in aller Regel durch Inbesitznahme geschehen. Ob darüber hinaus die Verdrängung des Schuldners aus dem unmittelbaren Besitz erforderlich wird, ist eine Frage des Einzelfalles. Der Beschluss, mit dem die vorläufige Verwaltung und der Übergang der Verfügungsbefugnis angeordnet werden, ist für den Verwalter dem Schuldner gegenüber ein Titel im Sinne des § 794 Nr. 3 ZPO.
1 Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 22. Aufl. 2007; § 54 IV, Rz. 36; Viertelhausen, JurBüro 2000, 6 (8).
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§6 81
Rz. 81
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Gegenüber Dritten, die sich im Besitz von Gegenständen befinden, die rechtlich der zukünftigen Insolvenzmasse zugeordnet werden können, ist dies nicht der Fall. Insoweit ist der vorläufige Verwalter auf die klageweise Geltendmachung des Anspruchs aus § 861 BGB angewiesen. Der vorläufige Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist nach allgemeiner Ansicht während der vorläufigen Verwaltung aufgrund der ihm übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis berechtigt, die Geschäftsräume oder auch einzelne Gegenstände siegeln zu lassen und sie damit als zur Masse gehörig zu kennzeichnen1. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Sicherung und Erhaltung umfasst im Weiteren auch die Entscheidung über Art und Weise sowie den Umfang von Versicherungen. (b) Betriebsfortführung
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Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ist gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO verpflichtet, das schuldnerische Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen. Anderes gilt nur dann, wenn das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt. Dies wird aber nur der Fall sein, wenn eine erhebliche Verminderung des Haftungsvermögens droht2. Die Betonung liegt auf dem Wort „erheblich“. Kleinere Einbußen sind hinzunehmen. Erheblich ist jedoch jede Vermögensminderung, welche die Befriedigung der Gläubiger spürbar zu verschlechtern droht3. Hintergrund für die im neuen Insolvenzrecht ausdrücklich normierte Fortführungspflicht ist der Gedanke, dass das Unternehmen einen eigenen Wert hat. Allerdings verlangt das Gesetz in diesem Zusammenhang keine wirtschaftlich unsinnige Betriebsfortführung. Besteht keine Aussicht auf eine Sanierung des Unternehmens und sind durch die Fortführung (weitere) Verluste absehbar, hat der Verwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO zur Vermeidung einer erheblichen Verminderung des haftenden Vermögens mit Zustimmung des Gerichts den Betrieb stillzulegen.
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Die Pflicht zur (einstweiligen) Unternehmensfortführung soll dem Erfordernis Rechnung tragen, dass als Haftungsvermögen ein intakter Betrieb bis zur Verfahrenseröffnung und schließlich bis zur Entscheidung der Gläubigerversammlung erhalten bleibt. Um dieser Pflicht überhaupt nachkommen zu können, beinhaltet der Zwang zur Fortführung gleichzeitig das Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis, sämtliche zur Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlichen Maßnahmen zu treffen und gegebenenfalls auch neue Verbindlichkeiten einzugehen, die gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1
1 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 22 Rz. 45; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 22 Rz. 34; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 22 Rz. 12. 2 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 22 Rz. 95; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 22 Rz. 58; Vallender, DZWIR 1999, 265 (270 f.). 3 Vgl. zu den Kriterien AG Aachen v. 29. 3. 1999 – 19 IN 53/99, ZIP 1999, 1494.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 87
§6
InsO als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind (siehe dazu auch § 14 Rz. 12 ff.).
! Hinweis: Problematisch ist in diesen Fällen jedoch immer, dass der Verwalter in kürzester Zeit, oftmals ohne über ausreichende Informationen zu verfügen, Verbindlichkeiten gegenüber Zulieferern eingehen muss, um den Betrieb überhaupt aufrechterhalten zu können, und sich damit in der Konsequenz mit den Haftungsrisiken des § 61 InsO auseinander zu setzen hat (vgl. Rz. 96 ff.). Hierbei ist auch die Stellung als Steuerschuldner, mit den sich aus §§ 34 Abs. 3, 69 Satz 1 AO ergebenden Folgen, von Bedeutung.
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Die Pflicht zur Unternehmensfortführung führt praktisch zu dem Verbot, die Insolvenzmasse bereits im Eröffnungsverfahren zu verwerten, wobei eine Verwertung der Masse im Ganzen, das heißt eine Betriebsveräußerung mit Zustimmung des Schuldners, allerdings möglich sein müsste, was in Literatur und Rechtsprechung nicht unumstritten ist1.
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Darüber hinaus kann für den Verwalter im Einzelfall die Notwendigkeit bestehen, einzelne Veräußerungen vorzunehmen, wenn ansonsten ein Wertverlust zu befürchten ist. Ob es sich in diesem Fall um eine Verwertung der Insolvenzmasse handelt oder um eine Maßnahme, die im Rahmen der (erlaubten) Verwaltungstätigkeit von einem ordentlichen Geschäftsleiter zu treffen war, ist eine Frage des Einzelfalles. Die Grenze zur unzulässigen Verwertung dürfte jedenfalls da überschritten sein, wo mehr Massebestandteile abgegeben werden als für den Erhalt des haftenden Vermögens als Ganzes erforderlich ist. (c) Überprüfungspflichten Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO ist der vorläufige Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verpflichtet, zu prüfen, ob das schuldnerische Vermögen die in § 54 InsO genannten Kosten des Verfahrens decken wird.
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Das Insolvenzgericht kann den Verwalter beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Betriebsfortführung bestehen. Die Prüfungsanordnung ergeht regelmäßig deshalb, weil das Gericht nicht selber beurteilen kann und will, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt oder nicht, ob sich also etwa der Schuldner nur vor Gläubigerzugriffen schützen will. (2) Aufgaben des Verwalters ohne Verfügungsbefugnis Wird gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne gleichzeitig ein Verfügungsverbot gegen den Schuldner zu verhängen, hat das Gericht gemäß § 22 Abs. 2 InsO im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO die Pflichten des vorläufigen Verwalters festzulegen. In der Regel fallen ihm Sicherungsaufgaben ebenso zu wie eine Überwachung im Sinne von § 274 Abs. 3 1 Menke, NZI 2003, 522; BAG v. 20. 6. 2002 – 8 AZR 459/01, NZI 2003, 222; BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, NZI 2003, 259.
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§6
Rz. 88
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Satz 1 InsO. Beschränkt sich die Anordnung auf die Ermächtigung, das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten, darf der vorläufige Insolvenzverwalter keine Aktivprozesse zur Mehrung der Masse führen1. Ebenso wenig darf er sicherungsübereignete Gegenstände verwerten2 (zu diesem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter und den Risiken für dessen Geschäftspartner s. § 14 Rz. 36 ff.). Verwaltungs-, Abwicklungs- und Prüfungsaufgaben müssen gegebenenfalls besonders übertragen werden, alternativ kann der Verwalter auch für die Prüfungsaufgaben als Sachverständiger bestellt werden. Steuerliche Pflichten treffen ihn nur, soweit er die Unternehmensleitung tatsächlich übernimmt. (3) Aufgaben des Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt 88
Die Anordnung des Gerichts, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO, kann sich sowohl auf einzelne, als auch auf alle Verfügungen des Schuldners beziehen. Damit tritt der Schuldner weiterhin im Außenverhältnis auf; die Wirksamkeit der von ihm getroffenen Verfügungen hängt jedoch von der Zustimmung des vorläufigen Verwalters ab. Die Zustimmung hat der Schuldner vorher einzuholen, dies schließt jedoch nicht aus, dass der vorläufige Verwalter auch eine nachträgliche Genehmigung erteilen kann (vgl. hierzu die Problematik unter Rz. 92 ff. und ausführlich zum so genannten „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter § 14 Rz. 76 ff.). (4) Besonderheiten bei Lastschriftverfahren
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Zu den Massesicherungsaufgaben gehört es auch, Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu widersprechen. Dies war lange Zeit streitig. Der BGH hat jedoch jetzt entschieden, dass der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt berechtigt ist, die Genehmigung von Belastungsbuchungen zu verhindern, auch wenn sachliche Einwendungen gegen die eingezogenen Forderungen nicht erhoben werden3. Im Übrigen sieht die Rechtsprechung Handlungsbedarf nicht nur für den vorläufigen und endgültigen Insolvenzverwalter, sondern sogar für den Treuhänder („Ist gehalten … zu widerrufen“)4. cc) Arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Stellung
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Wurde die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vom Gericht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen, rückt dieser nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO in die Rechtsstellung des Arbeitgebers ein; er übernimmt die Arbeitgeberfunktion (hierzu ausführlich § 12 Rz. 5 ff.). Die Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 2 1 LG Essen v. 6. 4. 2000 – 44 O 68/60, JurBüro 2000, 494; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 22 Rz. 55. 2 OLG Köln v. 29. 12. 1999 – 11 W 81/99, NJW-RR 2000, 1434. 3 BGH v. 4. 11. 2004 – IX ZR 22/03, ZIP 2004, 2442; wiederholend BGH v. 25. 10. 2007 – IX ZR 217/06, ZIP 2007, 2273. 4 AG Hamburg v. 28. 6. 2007 – 68g IK 272/07, ZVI 2007, 532; Büchler, EWiR 2008, 1.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 92
§6
InsO (erleichterte Kündigung) findet allerdings im Eröffnungsverfahren keine Anwendung. Hat der vorläufige Verwalter keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, so behält der Schuldner in der Regel seine Arbeitgeberstellung. Insbesondere ist dann ein vorläufiger Verwalter nicht berechtigt, Freistellungen oder Kündigungen auszusprechen. Das Gericht kann dem Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt, unter Beachtung der Grenzen des § 22 Abs. 2 InsO, aber auch weitere Kompetenzen zuweisen1 (zur arbeitsrechtlichen Stellung vgl. im Übrigen § 12 Rz. 5 ff.).
! Hinweis: Der Umfang der arbeitsrechtlichen Befugnisse des vorläufigen Verwalters hängt deshalb von der Formulierung des Beschlusses im Einzelfall ab. Der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übernimmt keine steuerlichen Pflichten des Schuldners; sie verbleiben vielmehr beim Schuldner.
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Für den Fall, dass ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet wurde und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergegangen ist, wird dieser Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO und ebenfalls Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO. Damit haftet er für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Schuldners nach § 69 Satz 1 AO. Diese Haftung beschränkt sich allerdings auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Im Übrigen verweise ich auf die nachstehenden § 11 und § 12 dieses Buches, in denen sowohl die steuerrechtliche als auch die arbeitsrechtliche Beratung umfassend erläutert wird. dd) Allgemeine Rechtsfolgen seines Handelns, insbesondere Begründung von Verbindlichkeiten Von dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis begründete Verbindlichkeiten sind nach der Verfahrenseröffnung gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten (vgl. hierzu § 14 Rz. 11 ff.). Gleiches gilt für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (s. hierzu § 8 Rz. 47 ff., 193 ff.).
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Dagegen begründet das Handeln eines vorläufigen Verwalters, dem nur ein Zustimmungsvorbehalt eingeräumt worden ist, keine Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 2 InsO2.
! Hinweis: In der Praxis häufig anzutreffen sind mittlerweile Beschlüsse, in denen neben einem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt der vorläufige Verwalter ermächtigt wird, in dringenden Fällen mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln. Es heißt in diesen Beschlüssen wie folgt: 1 Siehe hierzu: Berscheid, ZInsO 2001, 989. 2 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 55 Rz. 129 f.
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§6
Rz. 93
Beratung des ungesicherten Gläubigers
„Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin. Er hat die Aufgabe, durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu sichern und zu erhalten. Er wird ermächtigt, mit rechtlicher Wirkung für die Schuldnerin zu handeln, ist jedoch, unbeschadet der Wirksamkeit der Handlung, verpflichtet, diese Befugnis nur wahrzunehmen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgabe schon vor der Verfahrenseröffnung dringend erforderlich ist.“ Problem: Die Rechtsfolgen einer solchen Konstellation sind in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich geregelt. Fraglich ist, ob der mit solchen Befugnissen ausgestattete Verwalter durch sein Handeln Masseverbindlichkeiten begründet. Lösungsansätze: Bork bejaht dies1. Er nimmt an, es liege aufgrund fehlender rechtlicher Ausgestaltung durch den Gesetzgeber eine planwidrige Regelungslücke vor. Andere Autoren erklären, bei einer derartigen Anordnung handele es sich um eine Umgehung des von dem Gesetzgeber als Regelfall konzipierten Leitbildes des vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis2. Das OLG Köln und Meyer sehen dies anders3. Spliedt wiederum vertritt eine differenzierende Auffassung4.
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Eine direkte Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO scheitert meines Erachtens daran, dass sich dieser Tatbestand nicht vollständig unter diese Vorschrift subsumieren lässt. Der „Übergang“ der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter setzt alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis voraus. Dies ist aber eben nicht der Fall, solange der Schuldner – mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters – ebenfalls noch verwaltungs- und verfügungsbefugt ist. Soweit man für eine analoge Anwendung auf das Vorliegen einer Regelungslücke abstellt, ist zu beachten, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 2001 die Vorschrift lediglich in Bezug auf Insolvenzgeldansprüche abgeändert hat. Indem er allein für diesen Bereich das Entstehen von Masseverbindlichkeiten auch bei einem schwachen Verwalter normiert, bringt er zum Ausdruck, dass in anderen Bereichen das Handeln des schwachen vorläufigen Verwalters keine Masseverbindlichkeit begründet. Spätestens mit In-Kraft-Treten des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes (1. 12. 2001) ist also keine Regelungslücke mehr vorhanden. 94
Die Grundsatzentscheidung des BGH: Der BGH verneint auch für den Zeitraum vor dem 1. 12. 2001 eine Regelungslücke5. Der erkennende 9. Senat kommt in seiner Entscheidung vom 18. 7. 2002 zu dem Ergebnis, dass § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO weder unmittelbar noch analog auf Rechtshandlungen eines 1 Bork, ZIP 2001, 1521. 2 Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2003, § 55 Rz. 26 ff.; anders jetzt in der 4. Aufl. 2005, § 55 Rz. 27. 3 OLG Köln v. 29. 6. 2001 – 19 U 199/00, ZIP 2001; Meyer, DZWIR 2001, 432 (433). 4 Spliedt, ZIP 2001, 1941. 5 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 ff. mit zustimmender Anmerkung Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1630; zustimmend auch Haarmeyer, ZInsO 2002, 741 und generell zu den Konsequenzen Kirchhof, ZInsO 2004, 57.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 96
§6
vorläufigen Insolvenzverwalters anzuwenden ist, wenn auf ihn die Verfügungsbefugnis nicht übergegangen ist. Dabei erfolgt eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche rechtliche Bedeutung dem Zustimmungsvorbehalt beizumessen ist. Das Gericht erklärt im Übrigen, dass die Beschlussformulierung – „umfassende Ermächtigung, für den Schuldner handeln zu können“ (siehe oben Rz. 92) – unzulässig ist; die Befugnisse des sogenannten „schwachen“ vorläufigen Verwalters müsse das Gericht im Einzelnen festlegen1. Erfolgt eine derartige Festlegung nicht, so hat dies auch Einfluss auf die besitzrechtliche Position: Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter hat kein eigenes Besitzrecht. So obliegt z.B. die Entscheidung über die Rückgabe der Mietsache nach fristloser Kündigung des Vertrages auch bei Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes weiter dem Schuldner. Erklärungen des „schwachen“ vorläufigen Verwalters im Hinblick auf das Mietverhältnis haben für den Schuldner allenfalls den Charakter von Empfehlungen2 (zu dieser Grundsatzentscheidung des BGH und den praktischen Konsequenzen für die Geschäftspartner eines solchen vorläufigen Verwalters vgl. § 14 Rz. 75 ff.). Im Übrigen hat die BGH-Entscheidung auch erhebliche praktische Konsequenzen: Das AG Hamburg vertritt die Auffassung, dass nur mit der Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung Gläubiger abgesichert werden können, die in der Eröffnungsphase Leistungen erbringen, die zur Unternehmensfortführung benötigt werden; das so genannte Treuhandkontenmodell, mit dem nach der Auffassung verschiedener Praktiker die Gläubiger abgesichert werden könnten, sei mit der Insolvenzordnung nicht in Einklang zu bringen3. Zu den weiteren Einzelheiten vgl. § 14 Rz. 75 ff. ee) Aufsicht und Haftung Der vorläufige Insolvenzverwalter steht unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts, §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 58 InsO. Diese Aufsicht beschränkt sich praktisch auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sowie auf regelmäßige Informationen entsprechend den in § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgeführten Auskunfts- und Informationspflichten, weil das Gericht im Einzelfall in aller Regel keine Möglichkeit hat, eigene wirtschaftliche Einschätzungen der schuldnerischen Situation vorzunehmen.
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Für den vorläufigen Insolvenzverwalter gelten die Haftungsvorschriften der §§ 60–62 InsO entsprechend (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Der vorläufige Insolvenz-
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1 Hierzu AG Hamburg v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, ZIP 2003, 43 mit Besprechung von Undritz, NZI 2003, 136 sowie Louven/Böckmann, NZI 2004, 151 für den Fall der Unternehmensveräußerung. 2 OLG Celle v. 11. 12. 2002 – 2 W 91/02, ZIP 2003, 87 ff.; ähnlich für Kündigung von Arbeitsverhältnissen BAG v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161. 3 AG Hamburg v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, ZIP 2003, 43 mit Bespr. Undritz, NZI 2003, 136 und AG Hamburg v. 15. 7. 2003 – 67g IN 205/03, ZInsO 2003, 816; a. A. Bork, ZIP 2003, 1421, der das Treuhandkontenmodell für zulässig hält; in eingeschränktem Umfang – muss mit Gericht abgesprochen sein – folgt jetzt das AG Hamburg v. 22. 4. 2004 – 67c IN 246/04, ZInsO 2004, 371 dieser Ansicht.
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§6
Rz. 97
Beratung des ungesicherten Gläubigers
verwalter haftet nur für die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten, die ihm gegenüber einem Beteiligten obliegen1. Es bestehen nach den Vorschriften der Insolvenzordnung keine wesentlichen Unterschiede zur vormals geltenden Haftung des Sequesters. Sorgfaltsmaßstab ist die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften vorläufigen Insolvenzverwalters. Begründet der vorläufige Verwalter Masseverbindlichkeiten, die später im eröffneten Verfahren nicht erfüllt werden können (diese Masseverbindlichkeiten werden im Fall der Masseunzulänglichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO erst nach den Kosten des Verfahrens und denjenigen Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurden, bedient), richtet sich die Haftung nach § 61 InsO. Damit haftet der vorläufige Insolvenzverwalter dem Massegläubiger gegenüber grundsätzlich auf Schadensersatz, wenn dieser mit seiner Forderung ganz oder teilweise ausfällt. Diese Haftung entfällt nur dann, wenn der vorläufige Verwalter bei Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse nicht zur Erfüllung ausreichen würde. So einfach sich dieses Prinzip zunächst anhört, um so komplexer ist die Umsetzung in der Praxis. Zunächst ist festzustellen, dass diese Haftung nur denjenigen vorläufigen Verwalter treffen kann, der verwaltungs- und verfügungsbefugt war, da nur dieser Masseverbindlichkeiten begründet (siehe oben Rz. 91 ff.). Die Bestellung eines solchermaßen befugten Verwalters stellt in der Praxis aber nicht die Regel, sondern vielmehr die Ausnahme dar, unter anderem eben auch deshalb, weil ein solcher Verwalter Masseverbindlichkeiten begründet und damit die Gefahr einer späteren Masseunzulänglichkeit potenziert (zu den damit verbundenen Gefahren für die Geschäftspartner eines solchen „schwachen“ vorläufigen Verwalters s. § 14 Rz. 80 ff.). 97
Sodann stellt sich die Frage, wie es sich auf die Haftungssituation auswirkt, dass ein vorläufiger Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis qua Gesetz verpflichtet ist, das schuldnerische Unternehmen einstweilen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens fortzuführen, also in einer Situation, in der – allein aufgrund der Kürze der Einarbeitungszeit – keine gesicherten unternehmerischen Daten vorliegen und in der er in der Regel keine andere Wahl hat als Verbindlichkeiten zu begründen. Im Rahmen dieser Bearbeitung kann auf diese Probleme lediglich hingewiesen werden; zur Vertiefung verweist der Bearbeiter auf die einschlägigen Kommentare zur Insolvenzordnung sowie auf ausgewählte Beiträge2.
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Größere Bedeutung dürften in der Praxis diejenigen Fälle haben, in denen einem (ungesicherten) Insolvenzgläubiger im Rahmen des Eröffnungsverfahrens die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angetragen wird.
1 BGH v. 29. 9. 1988 – IX ZR 39/88, ZIP 1988, 1411 (1412); BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 68/92, ZIP 1993, 48; BGH v. 25. 3. 1993 – IX ZR 164/92, ZIP 1993, 687; Pape in Kübler/ Prütting, InsO, § 22 Rz. 45; Kind in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 60 Rz. 6; Kirchhof, ZInsO 1999, 365; Vallender, DZWIR 1999, 265. 2 Feuerborn, KTS 1997, 171; Kirchhof, ZInsO 1999, 365; Uhlenbruck in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 325 ff. Rz. 3; Vallender, DZWIR 1999, 265 f.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 101
§6
! Hinweis: Zunächst bietet es sich (bei entsprechender Marktstellung) an, solche Aufträge gegen Vorkasse abzuwickeln. Eine solche Vertragsabwicklung dürfte aber gerade im Eröffnungsverfahren regelmäßig an mangelnder Liquidität des schuldnerischen Unternehmens scheitern. Neben der Haftung des vorläufigen Verwalters nach den Vorschriften der InsO mit dem „Risiko“ des § 61 Satz 2 InsO ist eine Haftung nach den allgemeinen Vorschriften nicht ausgeschlossen, so dass in der hier zugrunde gelegten Konstellation insbesondere zu denken wäre an1: –
eine deliktische Haftung2,
–
eine vertragliche Eigenhaftung des vorläufigen Verwalters aufgrund der Übernahme eigener vertraglicher Pflichten oder aber3
–
eine Haftung aufgrund der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens bei der Eingehung der vertraglichen Verpflichtung4.
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Das LG Erfurt nimmt beispielsweise eine Schadensersatzpflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 826 BGB für den Fall an, dass dieser ohne die erforderliche sorgfältige Prüfung der Berechtigung den im Lastschriftverfahren abgebuchten Forderungen pauschal widerspricht. Dies stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar und verpflichtet zum Schadensersatz5 (zu der Haftung aufgrund allgemeiner Vorschriften vgl. § 14 Rz. 43 ff.). Ein Haftungsanspruch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter verjährt, in entsprechender Anwendung des § 62 InsO in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO, in drei Jahren seit Kenntnis des Verletzten, spätestens aber in drei Jahren nach der Aufhebung oder rechtskräftigen Einstellung des Verfahrens. Für die Kenntnis genügt, dass dem Verletzten Tatsachen bekannt sind, die auf ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers hinweisen und dessen Ursächlichkeit für den Schaden als nahe liegend erscheinen lassen.
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ff) Vergütung Der vorläufige Insolvenzverwalter hat Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung der Auslagen: Die §§ 63-65 InsO gelten entsprechend (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Die Einzelheiten regelt die InsVV (Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung), erlassen vom Bundesministerium der Justiz aufgrund der Ermächtigung in § 65 InsO. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 dieser 1 BGH v. 17. 9. 1987 – IX ZR 156/86, NJW-RR 1988, 89; BGH v. 12. 11. 1987 – IX ZR 259/86, NJW 1988, 209; BGH v. 12. 10. 1989 – IX ZR 245/88, NJW-RR 1990, 94; BGH v. 18. 1. 1990 – IX ZR 71/89, NJW-RR 1990, 411; OLG Koblenz v. 13. 6. 1991 – 5 U 1206/90, ZIP 1992, 420 (422). 2 Abeltshauser in Nerlich/Römermann, InsO, § 60 Rz. 50. 3 OLG Celle v. 21. 10. 2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89. 4 OLG Schleswig v. 31. 10. 2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92; hierzu kritisch Undritz, EWiR 2004, 393. 5 LG Erfurt v. 20. 8. 2002 – 10 P 1105/02, ZInsO 2003, 431 (432); OLG Hamm v. 11. 12. 2003 – 27 U 130/03, ZIP 2004, 814 m. Bespr. Bork, EWiR 2004, 237; kritisch Kling, DZWIR 2004, 54.
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101
§6
Rz. 101a
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Verordnung, geändert durch die Verordnung zur Änderung der InsVV vom 4. 10. 2004 und erweitert durch die 2. Verordnung zur Änderung der InsVV vom 21. 12. 2006, wird die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters besonders vergütet. Als Berechnungsgrundlage dient das Vermögen, auf das sich die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters während des Eröffnungsverfahrens erstreckt, vgl. Satz 2. Entscheidend ist also nicht das im Eröffnungszeitpunkt noch vorhandene, sondern das während der gesamten Dauer der vorläufigen Verwaltung gesicherte Vermögen1. Welcher Zeitpunkt für die Wertermittlung maßgebend ist, regelt § 11 Abs. 1 Satz 3 InsVV. 101a
Vermögensgegenstände, an denen bei Verfahrenseröffnung Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, werden dem Vermögen nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV hinzugerechnet, sofern sich der vorläufige Insolvenzverwalter in erheblichem Umfang mit ihnen befasst (Satz 4). Der BGH hatte sich zuvor in seinem so genannnten „Wende-Beschluss“2 nur für einen Zuschlag nach §§ 10, 11 Abs. 1, 3 InsVV für die Befassung mit solchen Gegenständen ausgesprochen und lehnt die Einbeziehung der Gegenstände in die Berechnungsgrundlage ab3. Diese Entscheidung ist auf harte Kritik gestoßen4. Kritisiert wird, dass der IX. Zivilsenat sich über den Willen des Verordnungsgebers hinweggesetzt habe5. Auch ist eine am Fortführungsziel des § 1 InsO orientierte vorläufige Insolvenzverwaltung bei der durch diese Rechtsprechung entstehenden Honoraraussicht nicht einmal ansatzweise kostendeckend möglich, denn angesichts der regelmäßig vorliegenden fast vollständigen Besicherung der Vermögensgegenstände in deutschen Firmen reduzieren sich die Berechnungsgrundlagen und damit auch die Vergütungsansprüche erheblich6. Auch folgende Überlegung rechtfertigt es, die Gegenstände, an denen (behauptete) Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, nicht in Abzug zu bringen: Es ist gerade die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters, diese Gegenstände zu sichern, zu verwahren und zu verwalten, da die Klärung der Rechtsverhältnisse dem endgültigen Verwalter obliegt. Die Sicherungs- und Verwaltungsaufgaben des vorläufigen Verwalters rechtfertigen aber keine andere Behandlung als bei massezugehörigen Gegenständen7.
101b
Eine Berücksichtigung der Gegenstände erfolgt nicht, sofern der Schuldner die Gegenstände lediglich aufgrund eines Besitzüberlassungsvertrages in Besitz hat (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 5 InsVV).
1 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, 4. Aufl. 2007, § 11 Rz. 1, 37 unter Berufung auf die bei § 11 InsVV abgedruckte Begründung des Gesetzgebers zur 2. VO; a. A. (Stichtagsprinzip) BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZB 104/05, BGH-Report 2006, 1264 mit Anmerkung Runkel/Fliegner. 2 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, 4. Aufl. 2007, § 11 Rz. 1, 7. 3 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZB 104/05, BGH-Report 2006, 1264 mit Anmerkung Runkel/ Fliegner; BGH v. 14. 12. 2005 – IX ZB 256/04, ZIP 2006, 621. 4 Haarmeyer, ZInsO 2006, 786; Schmidt, ZInsO 2006, 791; Blersch, ZIP 2006, 598 (zum Urteil v. 14. 12. 2005). 5 Haarmeyer, ZInsO 2006, 786. 6 Runkel/Fliegner, Anmerkung zu BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZB 104/05, BGH-Report 2006, 1264. 7 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, 4. Aufl. 2007, § 11 Rz. 41.
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Runkel
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 103
§6
Nicht nur Dauer und Umfang, sondern auch die Art der Tätigkeit soll bei erheblichen Auswirkungen auf das Tätigkeitsbild durch Zu- oder Abschläge nach § 3 InsVV berücksichtigt werden1. Vermögenswerte wie die erst nach Insolvenzeröffnung geltend zu machenden Anfechtungsansprüche (und Ersatzansprüche) werden nicht mitberücksichtigt, mag sich der vorläufige Verwalter hiermit auch bereits intensiv befasst und in seinem Gutachten zur Möglichkeit der Verfahrenseröffnung zugrunde gelegt haben2. Die Festsetzung der Vergütung erfolgt durch das Insolvenzgericht. Funktionell zuständig ist, wer im Festsetzungszeitpunkt das Verfahren führt, also entweder der Richter oder der Rechtspfleger. Nach § 18 Abs. 1 RpflG i.V.m. § 3 Nr. 2e RpflG ist der Richter originär nur im Eröffnungsverfahren zuständig.
101c
Für die Gläubiger hat die Vergütungsfestsetzung nur geringe praktische Bedeutung: Die Vergütung und die Auslagen des vorläufigen Verwalters sind nicht in das gerichtliche Kostenverzeichnis aufgenommen, so dass ein antragstellender Gläubiger auch für den Fall, dass die Verfahrenseröffnung mangels Masse abgelehnt wird, nicht mit den vom vorläufigen Verwalter zu beanspruchenden Kosten belastet wird3. Der vorläufige Verwalter trägt insoweit – folgt man dem Grundgedanken des Kostenrechts in § 1 Abs. 1 GKG – ein eigenes Risiko.
102
! Hinweis: In der Praxis wird versucht, dieses Risiko bei Masselosigkeit dadurch zu verringern, dass der vorläufige Verwalter außerdem noch zum Gutachter bestellt wird. Dies hat zur Folge, dass die Liquidation der Gutachterkosten nach JVEG aus der Staatskasse erfolgt. Eine darüber hinausgehende Vergütung aus der Staatskasse für die Tätigkeit im Rahmen der vorläufigen Verwaltung, sofern diese erheblich von der gutachterlichen abweicht, müsste der vorläufige Verwalter in letzter Konsequenz mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit (Auferlegung öffentlicher oder quasi öffentlicher Aufgaben ohne Gegenleistung) auf eigenes wirtschaftliches Risiko zu erstreiten versuchen. Ohne die Anrufung des BVerfG wird er jedoch nicht weiterkommen, denn der BGH lehnt eine Haftung der Staatskasse ab4. gg) Rechnungslegungspflicht Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO findet § 66 InsO auf den vorläufigen Verwalter entsprechende Anwendung. Nach dieser Vorschrift hat der Insolvenzverwalter bei Beendigung des Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. In der vorläufigen Insolvenz gibt es keine Gläubigerversammlung. Adressat der 1 BGH v. 12. 1. 2006 – IX ZB 127/04, ZInsO 2006, 257; Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, 4. Aufl. 2007, § 11 Rz. 1. 2 BGH v. 29. 4. 2004 – IX ZB 225/03, ZIP 2004, A 49. 3 BGH v. 22. 1. 2004 – IX ZB 123/03, ZIP 2004, 571; LG Gera v. 30. 5. 2002 – 5 T 185/02, ZIP 2002, 1735. 4 BGH v. 13. 12. 2007 – IX ZR 196/06, ZIP 2008, 228; einschränkend dagegen bei Aufhebung der Verfahrenskostenstundung, BGH v. 15. 11. 2007 – IX ZB 74/07, ZInsO 2008, 111.
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103
§6
Rz. 104
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Rechnungslegung kann deshalb nur das Insolvenzgericht sein1. Eine bestimmte Form der Rechnungslegung sieht das Gesetz nicht vor, diese sollte aber wenigstens den allgemeinen Anforderungen an eine Vermögensverwaltung entsprechen2: –
geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und
–
Ausgaben
–
nebst Belegen.
e) Prozessuale Auswirkungen der Sicherungsmaßnahmen 104
Anhängige Prozesse für und gegen den Schuldner werden durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO nur unterbrochen, wenn das Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot gegen den Schuldner verhängt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergeht. In diesem Fall ist der Regelungsbereich des § 240 Satz 2 ZPO betroffen, mit der Folge, dass ein Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, so lange unterbrochen bleibt, bis es, nach Maßgabe der Insolvenzordnung, §§ 85, 86 InsO, aufgenommen wird oder das Insolvenzverfahren beendet ist. Nach § 24 Abs. 2 InsO kann ein „starker“ vorläufiger Verwalter Aktivprozesse in der Lage aufnehmen, in der sie sich befinden, § 85 Abs. 1 InsO. Insoweit erfolgt die Entscheidung allein durch den vorläufigen Verwalter. Anders stellt sich die Situation bei Vorliegen bestimmter Passivprozesse dar. In den in § 86 Abs. 1 Nr. 1-3 InsO aufgeführten Fällen kann der Prozess sowohl von dem vorläufigen Verwalter als auch von der Gegenseite aufgenommen werden. Dabei handelt es sich um solche Prozesse, in denen dem Prozessgegner im eröffneten Verfahren ein Recht auf bevorzugte Befriedigung zusteht. Für den Fall, dass ein solcher Prozess von dem Gegner aufgenommen wird, eröffnet § 86 Abs. 2 InsO dem vorläufigen Verwalter die Möglichkeit, durch sofortiges Anerkenntnis der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO zu entgehen. Der Gegner kann die Kostenerstattung nur als Insolvenzforderung geltend machen (§ 86 Abs. 2 InsO). f) Einstellung und Aufhebung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
105
Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Möglichkeit, anhängige Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern einstweilen einzustellen bzw. künftige Vollstreckungsmaßnahmen zu untersagen. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass ein Gläubiger im Eröffnungsverfahren ein Pfändungspfandrecht erwirbt und sich damit (ein bisher nicht bestehendes) Absonderungsrecht verschafft und auf diese Weise die Haftungsmasse verringert. Ausdrücklich hiervon ausgenommen sind Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger in das unbewegliche Vermögen des Schuldners. In Bezug auf Zwangsversteigerungen gilt die Vorschrift des § 30d Abs. 4 ZVG, nach der ein vorläu1 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 217. 2 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 22 Rz. 205; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 22 Rz. 243.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 108
§6
figer Verwalter beim Vollstreckungsgericht (nicht beim Insolvenzgericht) Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung stellen kann. Hierzu muss er glaubhaft machen, dass die Einstellung zur Verhinderung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. Für sämtliche zukünftigen Vollstreckungen kann die Untersagung durch einheitlichen Beschluss erfolgen. Die Aufführung konkreter Einzelmaßnahmen ist insoweit nicht erforderlich. Ein solches Verbot wirkt gemäß § 775 Nr. 1 ZPO.
106
Problematisch erscheint dagegen, ob auch die einstweilige Einstellung von schon laufenden (Individual-)Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (Wirkung gemäß § 775 Nr. 2 ZPO) durch einheitlichen Beschluss angeordnet werden kann. Hierfür spricht jedenfalls der Gedanke der Verfahrensökonomie. Auf der anderen Seite wird auf diese Weise dem Vollstreckungsgläubiger kein rechtliches Gehör gewährt. Im Ergebnis ist mit der h.M.1 anzunehmen, dass generell die einstweilige Einstellung in einem einheitlichen Beschluss erfolgen kann, dies insbesondere deshalb, weil es sich um eine durch das Insolvenzgericht von Amts wegen anzuordnende Maßnahme handelt und dem Gläubiger hiergegen keine Beschwerdemöglichkeit gegeben ist. Ein bereits vor Anordnung wirksam erlangtes Pfändungspfandrecht unterliegt nicht mehr dem Zugriff des Insolvenzgerichts; verbotswidrige Vollstreckungen dagegen sind mit der Erinnerung nach § 766 ZPO anfechtbar2. Die Frage des hierfür zuständigen Gerichtes ist bisher nicht abschließend geklärt3.
107
Das Zwangsvollstreckungsverbot gilt jedoch nicht für die Pfändung des Rückzahlungsanspruchs des Insolvenzschuldners gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter hinsichtlich des auf dem Anderkonto verwahrten Guthabens4. g) Verhängung einer Postsperre Das Insolvenzgericht ist gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO durch den Gesetzgeber ausdrücklich ermächtigt, im Insolvenzantragsverfahren eine Postsperre zu verhängen. Hiervon können einzelne oder auch alle Postsendungen erfasst werden; der Begriff der „Postsendung“ ist dabei weit auszulegen. Ein entsprechender Beschluss ergeht entweder von Amts wegen oder auf Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters. Es müssen aufgrund der mit einer solchen Sperre verbundenen Grundrechtseinschränkung konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass entweder Vermögensverschiebungen durch den Schuldner
1 Siehe hierzu Vallender in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 209. 2 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 21 Rz. 31; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 21 Rz. 59; Vallender, ZIP 1997, 1993. 3 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 21 Rz. 31 für die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts kraft Sachzusammenhangs; a. A. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 21 Rz. 34 (Vollstreckungsgericht); AG Köln v. 23. 6. 1999 – 73 IK 1/99, NZI 1999, 381. 4 AG Hamburg v. 25. 9. 2007 – 903a M 1240/07, ZIP 2008, 43; wichtig bei Abweisung mangels Masse!
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108
§6
Rz. 108a
Beratung des ungesicherten Gläubigers
erfolgt sind oder künftig erfolgen werden. Die Notwendigkeit der Anordnung ist in dem Beschluss darzulegen.
! Hinweis: Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf eine Entscheidung des OLG Celle1, nach der die Anordnung einer Postsperre im Eröffnungsverfahren nur für den Fall zulässig sei, in dem das Gericht einen vorläufigen Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (= starker Verwalter) bestellt habe. Andernfalls sei eine vorläufige Postsperre als grundrechtsbeschränkender Eingriff unverhältnismäßig. In einer späteren Entscheidung des OLG Celle wird vom vorläufigen Verwalter darüber hinaus ein konkreter Sachvortrag zur Notwendigkeit einer Postsperre verlangt2. h) Verhängung einer Kontosperre 108a
Zu den gerichtlichen Maßnahmen im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens kann auch eine vorläufige Kontosperre gegen einen Dritten gehören, wenn erhebliche tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Verdunkelungshandlungen oder Vermögensverschiebungen des Dritten im Zusammenwirken mit dem Schuldner vorliegen3. i) Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen
109
Eine Verpflichtung des Insolvenzgerichts, die angeordneten Maßnahmen bei veränderten Umständen wieder aufzuheben, ist in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich normiert. Diese Normierung unterblieb vor allem deshalb, weil es bereits nach früherem Recht selbstverständlich war, dass das Gericht jederzeit von Amts wegen zu prüfen hat, ob Sicherungsmaßnahmen entfallen können4. Hebt das Gericht Sicherungsmaßnahmen auf, sei es direkt oder sei es durch Anordnungen, die das Eröffnungsverfahren beenden, so gilt gemäß § 25 Abs. 1 InsO für die Bekanntmachung § 23 InsO entsprechend. Der Aufhebungsbeschluss ist durch Veröffentlichung in dem für amtliche Bekanntmachungen des Gerichts zuständigen Blatt bekannt zu geben, §§ 26, 23 Abs. 1, 9 InsO. Ebenfalls sind die Registerbehörden durch Übermittlung des Aufhebungsbeschlusses zu informieren. 1 OLG Celle v. 24. 1. 2001 – 2 W 124/00, ZIP 2001, 468; zurückhaltender Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 21 Rz. 71, der im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedenfalls regelmäßig die Einsetzung eines „starken“ Verwalters für geboten hält; a. A. Kind in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 21 Rz. 35. 2 OLG Celle v. 17. 12. 2001 – 2 W 133/01, ZIP 2002, 578 mit zustimmender Anm. Fuchs, EWiR 2002, 291. Zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Postsperre BGH v. 11. 9. 2003 – IX ZB 65/03, DZWIR 2003, 522. 3 AG München v. 20. 7. 2006 – 1507 IN 1932/06, ZIP 2006, 1961; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 21 Rz. 44; einschränkend Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 21 Rz. 41. 4 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 25 Rz. 3 ff.; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 21 Rz. 160; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2001, Kapitel 3 Rz. 490 ff.; Gerhardt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 193 (211).
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 112
§6
Soweit innerhalb des vorläufigen Verfahrens Masseverbindlichkeiten begründet wurden, sind diese vor Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen zu erfüllen (hierzu ausführlich § 14 Rz. 19). Dies gilt auch für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit die Gegenleistung in Anspruch genommen wurde.
110
Zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren und denjenigen Verbindlichkeiten, die ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter eingegangen ist, wird auf die Ausführungen unter Rz. 91 ff. verwiesen. Die Erfüllung der Zahlungspflichten noch vor Beendigung des Antragsverfahrens stößt häufig auf praktische Schwierigkeiten, weil Gläubiger nicht immer in der Lage sind, die Abrechnung sofort vorzunehmen. Verwalter ohne Verfügungsbefugnis zwingen deshalb gelegentlich die Gläubiger zur schnellen Rechnungsvorlage, indem sie die übliche Zahlungsgarantie an die Erteilung der Rechnung vor Abschluss des Vorverfahrens koppeln. Im Rahmen der anwaltlichen Beratung sollte deshalb auf derartige Besonderheiten, d.h. auf die Beachtung des Textes der Garantieerklärung, hingewiesen werden.
8. Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung a) Allgemeines Bei dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 13 Abs. 1 InsO handelt es sich um eine Prozesshandlung. Der Antrag ist dementsprechend nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts anfechtbar. Der Antrag kann jedoch bis zum Wirksamwerden des Eröffnungsbeschlusses bzw. bis zur Rechtskraft des Beschlusses über die Ablehnung der Eröffnung mangels Masse zurückgenommen werden, § 13 Abs. 2 InsO. Die Rücknahme erfolgt durch einseitige Erklärung gegenüber dem Gericht. Da eine mündliche Verhandlung über den Eröffnungsantrag nicht stattfindet, greift § 269 Abs. 1 ZPO nicht ein. Konsequenz: Eine Zustimmung des Antragsgegners ist nicht erforderlich.
111
Praktisch bedeutsamster Anwendungsfall: Befriedigung der Forderung des Antragstellers. b) Eigenantrag Soweit es sich um einen Eigenantrag einer natürlichen Person handelt, kann der Schuldner selbst oder jeder von ihm Bevollmächtigte in seinem Namen den Antrag zurücknehmen. Besonderheit bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO): Problem beim Eigenantrag im Zusammenhang mit den besonderen Regelungen der §§ 15, 18 Abs. 3 InsO, wenn zwischen einzelnen vertretungsberechtigten Personen keine Einigkeit herrscht. In diesem Fall soll es so sein, dass der Antrag grundsätzlich nur von derjenigen natürlichen Person zurückgenommen werden kann, die den Antrag gestellt Runkel
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§6
Rz. 113
Beratung des ungesicherten Gläubigers
hat. Hierdurch soll jedem einzelnen Antragberechtigten die Möglichkeit gewährt werden, eine Überprüfung durch ein geregeltes Verfahren zu erreichen. Dies soll nicht dadurch umgangen werden, dass neben dem Antragsteller weitere Antragsberechtigte die Rücknahme erklären1. Ist der Antragsteller jedoch inzwischen aus seiner Funktion ausgeschieden, sind der Nachfolger und die übrigen Berechtigten zur Rücknahme befugt, denn sonst könnte niemand mehr den Antrag zurücknehmen2. 113
Kann der Schuldner nur durch mehrere Personen gemeinsam vertreten werden, so ist jede Einzelperson berechtigt, die Zustimmung zu dem Eröffnungsantrag zurückzuziehen. Dies hat zur Folge, dass das Antragsrecht erlischt und der Antrag in aller Regel unzulässig wird. Der Antrag bleibt lediglich in den Fällen zulässig, in denen einer der Antragsteller den allgemeinen Eröffnungsgrund der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung glaubhaft macht, § 15 Abs. 2 Satz 1 InsO, oder wenn nach den bisherigen Ermittlungen des Gerichts bereits mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein solcher Eröffnungsgrund vorliegt.
! Hinweis: Diese Überlegungen zum Bereich des Eigenantrags spielen für einen ungesicherten Gläubiger insoweit eine Rolle, als lediglich ein Eigenantrag des Schuldners vorliegt und dessen Rücknahme erfolgen könnte.
114
Tipp für den beratenden Anwalt: Dem Gläubiger ist deshalb zu empfehlen, noch einen separaten Insolvenzantrag zu stellen, um dem Schuldner die Möglichkeit zu nehmen, durch Rücknahme des Eigenantrages das Antragsverfahren zu beenden. c) Kosten 115
Bei wirksamer Rücknahme des Antrags fallen die Kosten des Verfahrens einschließlich der Auslagen dem rücknehmenden Antragsteller zur Last, § 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO. Bei Rücknahme eines Gläubigerantrags besteht für den Schuldner die Möglichkeit, einen Kostenantrag nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu stellen. In diesem Fall wird der Gegenstandswert gemäß § 37 Abs. 2 GKG nach dem Betrag der Forderung, begrenzt durch den Wert der Insolvenzmasse, bestimmt.
1 LG Tübingen v. 10. 8. 1960 – 1 T 67/60, KTS 1961, 158; LG Dortmund v. 23. 9. 1985 – 9 T 560/85, NJW-RR 1986, 258; AG Duisburg v. 3. 11. 1994 – 43 N 231/94, ZIP 1995, 582; AG Potsdam v. 11. 4. 2000 – 35 IN 110/00, NZI 2000, 328; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 15 Rz. 20; a. A. Hirte in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 15 Rz. 6. 2 Müller in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 15 Rz. 58; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 13 Rz. 16; a. A. LG Dortmund v. 23. 9. 1985 – 9 T 560/85, NJW-RR 1986, 258; AG Duisburg v. 3. 11. 1994 – 43 N 231/94, ZIP 1995, 582.
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Runkel
Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 116a
§6
d) Erledigungserklärung Ein Insolvenzantrag „erledigt“ sich, wenn der Schuldner die dem Antrag zugrunde liegende Forderung begleicht, bevor eine rechtskräftige Entscheidung über den Antrag erfolgt ist1.
116
Problem der Kostenfolge: –
Unternimmt der Gläubiger in diesem Fall nichts, ist sein Antrag als unzulässig abzuweisen, mit der Kostenfolge der §§ 4 InsO, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO2.
–
Nimmt der Gläubiger seinen Antrag zurück, trifft ihn ebenfalls die Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Dieses Ergebnis erscheint bei einem derartigen Geschehensablauf unbillig. Lösung: Daher nimmt die inzwischen wohl herrschende Meinung an, der Antragsteller sei berechtigt, die Hauptsache für erledigt zu erklären3. Damit kann er dann seinen Antrag auf die Kosten beschränken. Begründet wird dies unter anderem damit, dass es sich um ein quasi streitiges Verfahren handele, weil sich Antragsteller und Antragsgegner gleichberechtigt gegenüberstehen. Damit müsse dem Antragsteller, wie sonst auch bei streitigen Verfahren, die Möglichkeit eröffnet werden, bei einem nachträglichen Wegfall von Eröffnungsvoraussetzungen die Hauptsache für erledigt zu erklären mit der Folge, dass das Gericht nur noch über die Kosten zu entscheiden hat. Fraglich ist, welche Kostenfolge eine bloß einseitige Erledigungserklärung des Gläubigers auslöst. Die herrschende Meinung überträgt die Grundsätze der einseitigen Erledigungserklärung im ordentlichen Zivilprozess in modifizierter Form auf das Eröffnungsverfahren4. Die Kosten werden danach gemäß § 4 InsO, § 91 ZPO festgesetzt5: Stimmt der Schuldner der Erledigungserklärung nicht zu, so werden sie nach herrschender Meinung vom Schuldner getragen, wenn der Antrag ursprünglich zulässig war und sich durch ein nachträgliches Ereignis erledigt hat6. Ob der Antrag darüber hinaus auch ursprünglich begründet ge-
1 Zum Eingang der Erledigungserklärung nach Übergabe des Eröffnungsbeschlusses an die Geschäftsstelle – zu spät! – AG Hamburg v. 11. 2. 2005 – 67 c IN 6105, ZInsO 2005, 669. 2 LG Aachen v. 2. 4. 2003 – 3 T 115/03, ZIP 2003, 1264. 3 BGH v. 11. 11. 2004 – IX ZB 258/03, ZIP 2005, 91. 4 BGH v. 11. 11. 2004 – IX ZB 258/03, ZIP 2005, 91; OLG Köln v. 28. 3. 2001 – 2 W 39/01, ZIP 2001, 1018 f.; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 13 Rz. 69; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2006, § 13 Rz. 107. 5 Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2006, § 13 Rz. 107. 6 BGH v. 11. 11. 2004 – IX ZB 258/03, ZIP 2005, 91; OLG Köln v. 28. 3. 2001 – 2 W 39/01, ZIP 2001, 1018 f.; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 13 Rz. 69.
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§6
Rz. 117
Beratung des ungesicherten Gläubigers
wesen sein muss, wird von den Vertretern dieser Meinung uneinheitlich beurteilt1. Die Gegenansicht wendet auch bei der einseitigen Erledigungserklärung § 91a ZPO an2, wobei die Kostenentscheidung in dieser Fallkonstellation ebenfalls i. d. R. zu Lasten des Antragsgegners ausfallen wird. Nach dem AG Hamburg haben anfechtbare Zahlungen keine erledigende Wirkung3, was meines Erachtens zu weitgehend ist.
9. Auskunftsrechte der Beteiligten, insbesondere des antragstellenden Gläubigers 117
Die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts ist grundsätzlich zu Auskünften berechtigt und verpflichtet. Der Umfang der Auskunft richtet sich dabei nach dem jeweiligen Verfahrensabschnitt. Im Eröffnungsverfahren ist außerdem zu berücksichtigen, wer den Eröffnungsantrag gestellt hat. Bei einem Eigenantrag des Schuldners ist eine unbeschränkte Auskunft zum Verfahrensstand zulässig. Liegt dagegen „nur“ ein Gläubigerantrag vor, ist ein rechtliches Interesse des Anfragenden erforderlich. Insofern findet § 299 Abs. 2 ZPO (i.V.m. § 4 InsO) Anwendung. Eine Auskunftspflicht des vorläufigen Verwalters gegenüber dem Insolvenzgericht wird aus § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO i.V.m. § 58 Abs. 1 InsO abgeleitet.
10. Akteneinsichtsrecht 118
Die Insolvenzordnung sieht an verschiedenen Stellen vor, dass die gerichtlichen Insolvenzakten durch Verfahrensbeteiligte eingesehen werden können, z.B. in §§ 66 Abs. 2 Satz 2, 150, 154, 175, 188 Satz 2, 234 InsO. Darüber hinaus eröffnet § 4 InsO die entsprechende Anwendung von Vorschriften der ZPO. In Bezug auf ein Akteneinsichtsrecht ist insofern § 299 ZPO einschlägig. Gemäß § 299 Abs. 1 ZPO dürfen Beteiligte grundsätzlich in jedem Verfahrensabschnitt die Akten einsehen; das Einverständnis der übrigen Beteiligten ist nicht erforderlich. Bei der Entscheidung über ein entsprechendes Ersuchen besteht kein Ermessen. Zu den insoweit dennoch bestehenden Schranken verweise ich auf die Ausführungen Holzers4. Ein Einsichtsrecht soll grundsätzlich nicht nur bezüglich der bei Gericht geführten Akten, sondern auch für die Ver-
1 Nur auf die ursprüngliche Zulässigkeit abstellend: BGH a.a.O.; auch die Begründetheit berücksichtigend: OLG Köln v. 28. 3. 2001 – 2 W 39/01, ZIP 2001, 1018 f.; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 13 Rz. 69. 2 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 14 Rz. 84, der i. Ü. ebenfalls lediglich die ursprüngliche Zulässigkeit des Antrags prüft; ebenso AG Göttingen v. 1. 11. 2006 – 74 IN 117/06, ZInsO 2007, 48. 3 AG Hamburg v. 8. 4. 2004 – 67 c IN 68/04, ZIP 2005, 364; offen lassend AG Hamburg v. 13. 10. 2006 – 67 c IN 343/06, ZIP 2007, 388 mit Nachweisen zur Gegenansicht. 4 Holzer, ZIP 1998, 1333.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 119
§6
walterakten bestehen1, was in dieser Allgemeinheit (welche Aktenbestandteile?) zu weit gehend ist. Eine andere Frage ist, in welcher Weise die Akteneinsicht zu gewähren ist, nur auf der Geschäftsstelle des zuständigen Insolvenzgerichts oder auch durch Übersendung an den Anwalt, der sich für seinen Mandanten informieren will. Dies sehen die Gerichte uneinheitlich. Bei einem abgeschlossenen Verfahren werden die Akten bei Gericht nicht ständig gebraucht. Hier ist zumindest die Versendung an ein für den Antragsteller ortsnahes Gericht angezeigt; auch die Übersendung von Ablichtungen wichtiger Aktenbestandteile kann verlangt werden2.
118a
Voraussetzung für das Recht auf Akteneinsicht durch einen Gläubiger im Antragsverfahren ist, dass dieser Beteiligter im Sinne des § 299 ZPO ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Gläubiger Antragsteller ist, und zwar auch dann, wenn der Gläubiger die Forderung bisher noch nicht angemeldet hat3. Potentielle Insolvenzgläubiger sind im Rahmen des Eröffnungsverfahrens (noch) nicht beteiligt. Sie gelten als Dritte. Erst nach Eröffnung des Verfahrens sind alle Insolvenzgläubiger auch „Partei“ im Sinne des § 299 ZPO.
119
Eine Akteneinsicht durch Dritte, § 299 Abs. 2 ZPO, setzt voraus, dass der Schuldner zu einer solchen sein Einverständnis erteilt hat oder aber dass ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. In diesem Fall hat eine Abwägung der Interessen der Beteiligten (insbesondere auf Geheimhaltung) sowie des Dritten zu erfolgen. Ein rechtliches Interesse des Dritten ist bereits dann anzunehmen, wenn eine Stellung als Insolvenzgläubiger glaubhaft gemacht wird und festgestellt werden soll, ob der Schuldner noch über Vermögen verfügt4. Der Gläubiger, der bei Insolvenzeröffnung Insolvenzgläubiger gewesen wäre, hat auch ein Akteneinsichtsrecht nach Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse; von diesem Recht erfasst wird auch das Gutachten, das der Gerichtsentscheidung zugrunde lag5. Lange Zeit war streitig, ob auch Akteneinsicht zu gewähren ist, wenn der Antragsteller erklärt, er wolle überprüfen, ob Durchgriffsansprüche gegenüber dem Geschäftsführer einer GmbH bestehen, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt worden ist6. Der BGH hatte im Jahr 2006 diese Frage zu entscheiden und ist zu einem positiven Ergebnis gekommen7.
1 AG Frankfurt/O. v. 30. 1. 1998 – 2.5 C 1568/97, ZInsO 1998, 142. 2 OLG Celle v. 31. 8. 2006 – 4 W 151/06, ZIP 2007, 299. 3 OLG Celle v. 19. 1. 2004 – ZW 118/03, ZIP 2004, 370 unter Hinweis auf § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO, a.A. LG Düsseldorf v. 20. 2. 2007 – 25 T 85/07, ZIP 2007, 1388. 4 OLG Köln v. 3. 5. 1999 – 7 VA 6/98, NZI 1999, 502; OLG Köln v. 10. 2. 1988 – 7 VA 6/87, MDR 1988, 502; Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 4 Rz. 63. 5 OLG Hamburg v. 14. 8. 2001 – 2 VA 6/00, ZIP 2002, 266; OLG Celle v. 21. 12. – 2 W 102/01, ZIP 2002, 446. 6 Hierzu Heeseler, ZInsO 2001, 873. 7 BGH v. 5. 4. 2006 – IV AR (VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 mit zustimmender Anmerkung Kind/Heinrich, NZI 2006, 433.
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§6
Rz. 120
Beratung des ungesicherten Gläubigers
11. Haftung bei unberechtigtem Gläubigerantrag 120
Im Falle der Zurückweisung des Antrags durch das Gericht kann der Schuldner die Erstattung der ihm entstandenen Kosten beanspruchen. Dies betrifft alle Kosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren1. Es handelt sich insoweit um Kosten des Verfahrens, die vom Antragsteller zu tragen sind. Darüber hinaus kommen möglicherweise Ersatzansprüche des Schuldners gegen den Gläubiger aus unerlaubter Handlung in Betracht. Ein fahrlässig gestellter, unbegründeter Insolvenzantrag verletzt allerdings nicht das Recht des Schuldners am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb2. Derjenige, der ein staatliches Verfahren in Anspruch nimmt, hat ein „Recht auf Irrtum“. Eine Ersatzpflicht des Antragstellers ist wohl erst dann anzunehmen, wenn der Antrag erkennbar rechtsmissbräuchlich gestellt wird, um etwa den Schuldner zu schädigen oder eigene, nicht vom Gesetz gedeckte Vorteile zu erlangen.
12. Vor- und Nachteile eines Insolvenzantragsverfahrens für den antragstellenden Gläubiger 121
Eine generelle Aussage zu dieser Thematik ist schwierig. Es kommt immer auf den Einzelfall, die Höhe der Forderung an. Ungesicherte Großgläubiger stellen eher selten einen Insolvenzantrag. Vor allem sollte der Gläubiger trotz Antragstellung weiter „verhandlungsbereit“ sein. Wenn auch Teilzahlungen im Falle einer Verfahrenseröffnung anfechtbar sein können, so sollte anwaltliche Beratung immer in die Richtung gehen, gegen Geldzahlungen etwas zu riskieren („Was man hat, das hat man“). Es muss auch nicht unbedingt zu einer Verfahrenseröffnung kommen, so dass bei einer Ablehnung mangels Masse der Verlust des erhaltenen Geldes ausbleiben wird. Ungeachtet dieser Überlegungen sollen nachstehend einige Abwägungskriterien aufgezeigt werden:
122
123
Vorteile: –
Verfahrenseinleitung erfordert lediglich Glaubhaftmachung von Forderung, Rechtsschutzinteresse und Insolvenzgrund, § 14 InsO;
–
Verhinderung weiteren Vermögensverfalls;
–
Beendigung eines „Wettlaufs“ der Gläubiger.
Nachteile: –
lediglich Anspruch auf quotale Befriedigung;
1 LG Köln v. 10. 7. 1956 – 1 T 227/56, KTS 1956, 127; Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO, 3. Aufl. 2006, Bd. 1, § 13 Rz. 76. 2 BGH v. 3. 10. 1961 – VI ZR 242/60, NJW 1961, 2254; BGH v. 11. 12. 1978 – II ZR 235/77, NJW 1979, 1361; BGH v. 15. 2. 1990 – III ZR 293/88, ZIP 1990, 805; OLG Düsseldorf v. 28. 10. 1993 – 10 U 17/93, ZIP 1994, 479; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 13 Rz. 111a, 112; Pape, ZIP 1995, 623.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 124a
§6
–
Kostenrisiko bei unbegründetem Antrag/„Erledigung“, insbesondere Kosten eines Sachverständigen, § 50 Abs. 1 GKG;
–
Kostenrisiko bei Abweisung mangels Masse, § 50 Abs. 3 i.V.m. § 50 Abs. 1 GKG;
–
möglicherweise Anforderung eines hohen Massekostenvorschusses;
–
kein Rechtsanspruch auf Anhörung des Schuldners zur Vermögenssituation, daher nicht unbedingt „kostengünstige“ Klärung;
–
keine Möglichkeit mehr, einen Titel gegen den Schuldner zu erwirken, um darüber im Rahmen der Vollstreckung eine bessere Stellung in einem evtl. späteren Verfahren zu erhalten;
–
Gefahr der Restschuldbefreiung.
13. Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den ungesicherten Gläubiger a) Vorabprüfung der Kostendeckung Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Gericht den Antrag auf Eröffnung abzuweisen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens, § 54 InsO, zu decken. Die Prüfung der Massekostendeckung erfolgt regelmäßig nicht durch das Gericht selbst, sondern wird durch den Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter vorgenommen. Hierzu gilt Folgendes:
124
Aufgrund der Formulierung des § 26 InsO und der Definition der Verfahrenskosten in § 54 InsO ist es m.E. völlig eindeutig, dass beispielsweise die Arbeitnehmerforderungen nicht mitberücksichtigt werden dürfen. Es kommt alleine darauf an, dass die Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren sowie die Vergütung und die Auslagen1 des vorläufigen Insolvenzverwalters, des endgültigen Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses gedeckt sind. Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob ein Insolvenzverfahren noch eröfffnet werden darf, wenn der Insolvenzverwalter unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen hätte und die Einstellung des Verfahrens gesichert erscheint. Das AG Charlottenburg hält hier eine Verfahrenseröffnung für unberechtigt2. Pannen kommentiert diese Entscheidung3; er fordert in derartigen Fällen eine Verfahrenseröffnung, indem er darauf verweist, dass es nach dem eindeutigen Wortlaut für die Eröffnung ausreicht, wenn lediglich die Verfahrenskosten gedeckt sind. Dies hätte auch dem Willen des Gesetzgebers entsprochen. Die Formulierung des § 26 InsO sei bewusst so erfolgt, um möglichst viele Verfahren – dies hebt auch das AG Hamburg im Zusam1 Hier weit auslegend Rattunde/Röder, DZWIR 1999, 309 ff.; siehe zur Gesamtproblematik Frenzel/Schmidt, InVo 2000, 149 und zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen AG Charlottenburg v. 3. 5. 1999 – 107 IN 299/99, ZIP 1999, 1687. 2 AG Charlottenburg v. 26. 4. 1999 – 103 IN 502/99, ZIP 1999, 1688. 3 Pannen, EWiR 2000, 241.
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§6
Rz. 124b
Beratung des ungesicherten Gläubigers
menhang mit der kritischen Überprüfung des Sachverständigengutachtens hervor1 – eröffnen zu können und die Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen zu erleichtern. Pannen ist zuzustimmen, weil auch nicht ein erhöhtes Risiko des Insolvenzverwalters besteht; er kann nämlich sofort Masseunzulänglichkeit anzeigen. 124b
Können die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht abgedeckt werden, so führt dies zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter nach § 208 InsO, und zwar gegenüber dem Insolvenzgericht. Das Gericht und nicht der Verwalter hat die Anzeige öffentlich bekanntzumachen. Den Massegläubigern ist sie allerdings besonders zuzustellen, was zu einem unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand führt, wobei nach dem Gesetzeswortlaut (Abs. 2 Satz 2) offen bleibt, ob das Gericht oder der Verwalter die Zustellungen vorzunehmen hat (in der Praxis erfolgt regelmäßig die Übertragung auf den Verwalter). Unabhängig hiervon erreicht der Gesetzgeber durch das Zusammenwirken von § 26 und § 54 InsO eine wesentlich größere Zahl von Eröffnungen2 als dies nach der Konkursordnung der Fall war; in der damaligen Zeit wurden über 75% der Konkursanträge mangels Masse abgewiesen mit der Folge, dass für die ganz überwiegende Anzahl von Konkursen das vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahren gerade nicht zur Verfügung stand. Es ist auch anerkannt, dass selbst bei einer GmbH ein neuer Verfahrensantrag mit dem Ziel der Eröffnung möglich ist, wenn zuvor der Antrag mangels Masse abgelehnt worden war. Voraussetzung ist, dass die GmbH neues Vermögen erlangt hat3.
124c
Aufgrund des InsOÄndG 2001 kann eine natürliche Person die Abweisung mangels Masse vermeiden, wenn sie nach § 4a InsO die Kostenstundung beantragt. Notwendig ist jedoch ein Antrag auf Restschuldbefreiung. Die Entscheidung über die Stundung erfolgt für jeden Verfahrensabschnitt gesondert (§ 4a Abs. 3 Satz 2 InsO)4. Im Regelverfahren reicht es für die Begründung des Stundungsantrags aus, dass der Schuldner sich auf ein zuvor zeitnah erstelltes Gutachten beruft, in welchem der Sachverständige ermittelt hat, der Schuldner verfüge über kein die Kosten des Verfahrens deckendes Vermögen. Hält das Insolvenzgericht die Angaben des Antragstellers für unvollständig, hat es die Mängel konkret zu bezeichnen. Der Schuldner kann im Regelverfahren nicht gezwungen werden, bestimmte Formulare auszufüllen5.
125
Eine Massekostendeckung ist im Übrigen auch in denjenigen Fällen gegeben, in denen die erforderliche Masse erst durch entsprechende Handlungen im 1 AG Hamburg v. 20. 12. 2005 – 67c IN 387/05, ZInsO 2006, 51. 2 Zu den Unterschieden in den einzelnen Bundesländern und den Besonderheiten in Berlin Haarmeyer, ZInsO 2006, 449; a. A. Voigt-Salus, ZIP 2006, 1027. 3 LG Zweibrücken v. 20. 1. 2005 – 4 T 230/04, NZI 2005, 397. 4 Näheres Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 4a Rz. 3 ff. und § 26 Rz. 24. 5 BGH v. 8. 7. 2004 – IX ZB 565/02, ZVI 2004, 745.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 127
§6
Rahmen des Insolvenzverfahrens, z.B. Verwertung der Masse oder Insolvenzanfechtung, erlangt werden kann. Dabei kann durchaus auf einen Zeitraum von einem Jahr ab der Verfahrenseröffnung abgestellt werden1. b) Vorschussleistung des antragstellenden Gläubigers Das Insolvenzgericht kann dem Antragsteller oder, bei Eigenantrag des Schuldners, einem an der Verfahrenseröffnung interessierten Gläubiger die Leistung eines Vorschusses aufgeben. Die Anforderung kann formlos erfolgen, eine Anforderung in Form eines Beschlusses ist nicht zwingend vorgesehen. Eine Vorschusspflicht des betroffenen Gläubigers besteht jedoch nicht.
126
Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei Nichtleistung des Vorschusses die Abweisung des Antrages nach § 26 Abs. 1 InsO erfolgt. Ein geleisteter Vorschuss ist nicht Bestandteil der Insolvenzmasse; er ist ausschließlich für die Deckung der Verfahrenskosten zu verwenden und insoweit zweckgebunden. Soweit die Verfahrenskosten durch die Insolvenzmasse abgedeckt werden, ist ein Vorschuss daher an den antragstellenden Gläubiger zurückzuzahlen. Soweit dies nicht der Fall ist, gewährt § 26 Abs. 3 InsO dem Gläubiger einen Anspruch gegen diejenige Person, die es nach gesellschaftsrechtlichen Regelungen pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Dabei hat nach Satz 2 dieser Vorschrift der Anspruchsinhaber Verschulden und Pflichtwidrigkeit nicht zu beweisen. Vielmehr obliegt es dem Anspruchsgegner, einen Entlastungsbeweis zu führen. Notwendige, aber auch hinreichende Voraussetzung dieses Ersatzanspruchs ist, dass der vorgeschossene Betrag gerade zum Ausgleich der andernfalls ungedeckten Verfahrenskosten notwendig war und mit der Bestimmung der Deckung dieser Kosten überlassen worden ist. Zu Recht verneint daher der BGH das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 InsO, wenn ein Gläubiger dem Verwalter vorab einen Geldbetrag zur Verfügung stellt, ohne dass jedoch ein Vorschuss erforderlich wäre. Ein Verfahrenskostenvorschuss im Rechtssinne liegt auch nicht deshalb vor, weil dieser Vorschuss als ein solcher bezeichnet wird2. Bei der Vorschussleistung darf keine Zweckbestimmung erfolgen, die über den Wortlaut des § 26 InsO hinausgeht, auch nicht etwa in der Weise, dass eine Eigenverwaltung zur Bedingung gemacht wird3. Es bestehen in aller Regel für den Gläubiger keine Aussichten, einen Vorschuss im Wege der Prozesskostenhilfe zu erlangen. Insoweit handelt es sich nicht um Prozesskosten. Ein Massekostenvorschuss soll (nur), wie sich aus § 26 Abs. 1 InsO ergibt, die Verfahrenseröffnung ermöglichen.
1 BGH v. 17. 6. 2003 – IX ZB 476/02, NZI 2004, 30. 2 BGH v. 14. 11. 2002 – IX ZR 40/02, ZInsO 2003, 28. 3 BGH v. 7. 7. 2005 – IX ZB 85/05, NZI 2006, 34.
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§6
Rz. 128
Beratung des ungesicherten Gläubigers
c) Zurückweisung wegen Unzulässigkeit 128
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist Prozesshandlung, so dass bei Fehlen einer zwingenden Zulässigkeitsvoraussetzung und Aufrechterhaltung des Antrages trotz entsprechenden Hinweises durch das Gericht, dieser als unzulässig zurückzuweisen ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter Rz. 27 ff., 66 verwiesen. d) Zurückweisung wegen Unbegründetheit
129
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt gemäß § 16 InsO voraus, dass ein Insolvenzgrund gegeben ist (siehe hierzu im Einzelnen § 1). Kann sich das Insolvenzgericht nicht die für eine Verfahrenseröffnung notwendige Überzeugung vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes verschaffen, ist der Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Dabei sind die Anforderungen an die richterliche Überzeugung unterschiedlich hoch, je nachdem ob ein –
Eigenantrag des Schuldners oder aber
–
ein Gläubigerantrag vorliegt.
Für den Fall, dass „lediglich“ ein Gläubigerantrag vorliegt, ein Insolvenzgrund aber nicht feststellbar ist, entscheidet das Gericht zugunsten des Schuldners und weist den Antrag ab. Dies gilt vor allem dann, wenn Forderungen des Antragstellers bestritten werden, diese aber erst bei Bestehen die Zahlungsunfähigkeit begründen würden1. Für die Zulässigkeit des Gläubigerantrags ist die Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes – Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – erforderlich. Insofern wird sich der Gläubiger jedoch regelmäßig darauf beschränken müssen, Hilfstatsachen (Indizien) vorzutragen, die dem Gericht den Schluss auf das Vorliegen (zumindest) eines Insolvenzgrundes ermöglichen. Erst wenn insoweit richterliche Überzeugung gegeben ist, ist der Antrag auch begründet. Dagegen kann das Gericht regelmäßig davon ausgehen, dass bei einem Eigenantrag des Schuldners auch Insolvenzreife vorliegt, dass also der Antrag nicht ohne wichtigen Grund gestellt wurde. Gelegentlich könnte allerdings auch der Verdacht bestehen, der Schuldner wolle das Verfahren lediglich dazu nutzen, sich von unliebsamen Verbindlichkeiten zu befreien. Solchen Zweifeln kann das Gericht regelmäßig nur durch Einsetzung eines Gutachters begegnen.
! Hinweis: Die Zurückweisung eines Antrages als unbegründet hindert nicht die Stellung eines neuen Antrages2.
1 BGH v. 13. 6. 2006 – IX ZB 214/05, ZIP 2006, 1456. 2 BGH v. 5. 8. 2002 – IX ZB 51/02, NZI 2002, 601.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 132
§6
e) Zurückweisung mangels Masse aa) Allgemeines Das Vermögen des Schuldners muss die in § 54 InsO genannten Kosten des Verfahrens decken. Reicht das Vermögen hierzu voraussichtlich nicht aus, weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung ab. Diese Entscheidung ist nicht öffentlich bekannt zu machen1. Vor Erlass des entsprechenden Beschlusses hat das Gericht das Vermögen des Schuldners von Amts wegen zu ermitteln, vgl. § 5 Abs. 1 InsO, so dass eine Abweisung nicht ohne weiteres ausschließlich aufgrund von Angaben des Schuldners zu erfolgen hat.
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Zum Vermögen des Schuldners gehören alle pfändbaren Gegenstände. Gegenstände, an denen Aussonderungsrechte bestehen, § 47 InsO, werden nicht berücksichtigt. Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, §§ 49–51 InsO, werden lediglich in Höhe des aus der Verwertung voraussichtlich resultierenden Kostenbeitrages berücksichtigt. Ebenso sind in die Ermittlung begründete Aussichten auf Realisierung bestehender oder auch erst im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, z.B. durch die Anfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO, mögliche Ansprüche einzubeziehen.
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Reicht das vorhandene Vermögen nicht aus, so kann die Eröffnung des Verfahrens dadurch erreicht werden, dass ein Verfahrensbeteiligter einen Vorschuss in entsprechender Höhe leistet. Wird das Verfahren mangels Masse abgewiesen, ist der Schuldner – wieder – dem Zugriff der einzelnen Gläubiger ausgesetzt. bb) Kostenentscheidung Problem Kostentragungspflicht: Im Falle einer Abweisung mangels Masse steht die Frage im Vordergrund, wer die insoweit entstandenen Kosten zu tragen hat. Die Insolvenzordnung sieht hierfür keine ausdrückliche Regelung vor. Zutreffend dürfte hier Folgendes sein: Bei Abweisung eines Gläubigerantrags mangels Masse sind in entsprechender Anwendung von § 91 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO dem Schuldner die Verfahrenskosten einschließlich der Auslagen aufzuerlegen2. Hier hindert die Masseunzulänglichkeit im Sinne des § 207 InsO i.V.m. § 26 InsO als objektives Verfahrenshindernis die Eröffnung des Verfahrens. Die Abweisung des Antrags erfolgt also nicht deshalb, weil der Antrag unbegründet ist, sondern aus Gründen, die ausschließlich in der Person des Schuldners liegen. Sind nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt, hat der Antragsteller im Verhältnis zum Antragsgegner, dem Schuldner, in vollem Umfang obsiegt. Bei zulässigem und begründetem Gläubigerantrag hat der Schuldner gerade Anlass zu der Einleitung des Insolvenzverfahrens gegeben, so dass die Kostenentscheidung in aller Regel gegen ihn zu ergehen hat. 1 Keller, ZIP 2003, 149 ff. 2 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 26 Rz. 29; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 26 Rz. 54; Vallender, InVo 1997, 4.
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§6
Rz. 133
Beratung des ungesicherten Gläubigers
! Hinweis: Problematisch ist insofern, dass nach § 50 Abs. 1 GKG der Antragsteller bei Ausfall des Schuldners als Zweitschuldner haftet. Dies kann insbesondere aufgrund der damit verbundenen Haftung für Auslagen zu einer erheblichen Inanspruchnahme führen. Zwar zählt die Vergütung eines vorläufigen Verwalters nicht zu den Auslagen, da diese nicht im Kostenverzeichnis aufgeführt ist1. Die Gutachterkosten können aber ebenfalls erheblich sein2. Sie sind auch Auslagen im Sinne des § 50 GKG, weil sie nicht nach der InsVV, sondern nach dem JVEG berechnet werden, und gehen deshalb zu Lasten des Antragstellers3.
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f) Rechtsmittel für Gläubiger 134
Ausgehend vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit (§ 6 Abs. 1 InsO), bedarf es für eine Rechtsschutzmöglichkeit des Gläubigers einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (vgl. § 16 Rz. 778 ff.), dass die Entscheidung des Insolvenzgerichts der sofortigen Beschwerde unterliegt4. Die für die jeweilige Beschwerdemöglichkeit maßgeblichen Bestimmungen finden sich über die §§ 6, 7 InsO hinaus in den Vorschriften des zivilprozessualen Beschwerderechts. Diese §§ 567-577 ZPO finden gemäß § 4 InsO für das Insolvenzverfahren entsprechende Anwendung, soweit die Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt. Nachdem die §§ 567-577 ZPO durch die Reform der ZPO umgestaltet wurden5, müssen diese Änderungen auch für das insolvenzrechtliche Beschwerdeverfahren beachtet werden6 (s. hierzu auch § 16 Rz. 778 ff.).
135
Das Bedürfnis nach Rechtsschutz besteht insbesondere in dem Fall, dass die vom Gläubiger beantragte Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgelehnt wird. Diesem Bedürfnis wird § 34 Abs. 1 InsO gerecht und räumt dem Antragsteller die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Abweisung der Verfahrenseröffnung ein. Für den antragstellenden Gläubiger spielt es keine Rolle, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Feststellbarkeit eines Insolvenzgrundes, Nichtvorliegens einer zur Antragstellung berechtigenden Forderung oder mangels Masse abgewiesen wird. Der antragstellende Gläubiger ist in jedem Fall beschwerdeberechtigt7. Der Schuldner hingegen ist bei einer Abweisung des Verfahrens auch dann beschwerdeberechtigt, wenn kein Eigenantrag vorliegt8 (vgl. § 16 Rz. 830).
136
Legt der antragstellende Gläubiger gegen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts sofortige Beschwerde ein, so hat dies innerhalb einer Notfrist von zwei 1 LG Fulda v. 18. 5. 2001 – 3 T 105/01, NZI 2002, 61. 2 Siehe hierzu LG Gera v. 30. 5. 2002 – 5 T 185/02, ZIP 2002, 1735. 3 LG Dresden v. 16. 6. 2005 – 5 T 838/03, ZVI 2005, 329; a. A. LG Göttingen v. 24. 6. 2004 – 10 T 72/04, ZInsO 2004, 819. 4 Die von der Insolvenzordnung zugelassenen Beschwerdemöglichkeiten listet Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 6 Rz. 13 auf. 5 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27. 7. 2001, BGBl. I 2001, S. 1887 ff. 6 Zum Einfluss dieser Reform auf das Insolvenzverfahren: Pape, InVo 2003, 133; Pape, ZInsO 2001, 1074; Kirchhof, ZInsO 2002, 606; Kluth, ZInsO 2001, 1982. 7 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 34 Rz. 22. 8 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 34 Rz. 25.
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Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 138
§6
Wochen nach Verkündung, Zustellung oder öffentlicher Bekanntmachung zu erfolgen (§§ 6 Abs. 2, 8, 9 InsO). Dies kann wahlweise beim Insolvenzgericht oder beim Landgericht geschehen. Hierbei ist keine besondere Form zu beachten. Nach § 571 Abs. 1 ZPO soll die Beschwerde begründet werden.
! Hinweis: Zweckmäßig ist die Einlegung der sofortigen Beschwerde beim Insolvenzgericht. Denn dieses kann dem eingelegten Rechtsmittel nach § 4 InsO i.V.m. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO abhelfen. Diese Vorschrift des § 572 Abs. 2 ZPO geht auf das erwähnte Zivilprozessreformgesetz zurück und versteht sich als generelle Anordnung der Abhilfebefugnis des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird. Eine derartige umfassende Befugnis sah die Insolvenzordnung bereits in ihrem § 6 Abs. 2 InsO a. F. vor und wich insoweit von der ZPO ab. Diese Vorschrift ist nunmehr überflüssig geworden1. Im Übrigen hat die ZPO-Refom für die Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 6 InsO keine nennenswerten Änderungen gebracht2. Erhebliche Auswirkungen hat diese Reform jedoch im Hinblick auf die Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts. Verlangte die hierfür maßgebliche Vorschrift des § 7 InsO a.F. neben einer Rechtsverletzung als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung die gebotene „Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“, so formuliert der durch die ZPO-Reform veränderte § 7 InsO nur noch: „Gegen die Entscheidung über die sofortige Beschwerde findet die Rechtsbeschwerde statt“. Diese richtet sich nach den §§ 574 ff. ZPO, die nunmehr das Rechtsbeschwerdeverfahren in der ZPO regeln.
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Damit normiert § 7 InsO die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde kraft Gesetzes im Sinne von § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Es bedarf damit keiner Zulassung der Rechtsbeschwerde, wie es § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO für die meisten Fälle verlangt. Merke: Gegen jede Beschwerdeentscheidung in Insolvenzsachen ist die Rechtsbeschwerde ohne weiteres statthaft.
! Hinweis: Dies gilt jedoch nicht für Entscheidungen, die zwar anlässlich eines Insolvenzverfahrens getroffen wurden, deren Gegenstand aber nicht in der Insolvenzordnung geregelt ist3, so zum Beispiel die Kostenentscheidung bei Verfahrenserledigung oder die Entscheidung über Prozesskostenhilfe. In diesen Fällen muss die Rechtsbeschwerde ausdrücklich zugelassen werden4. Für die Entscheidung über sofortige weitere Beschwerden in Insolvenzsachen sind nunmehr nicht mehr die Oberlandesgerichte zuständig. Vielmehr hat der BGH über Rechtsbeschwerden in Insolvenzsachen zu entscheiden. 1 2 3 4
Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 34 Rz. 7. Pape, ZInsO 2001, 1074 (1081). Pape, InVo 2003, 134 (135). OLG Celle v. 18. 4. 2002 – 2 W 16/02, ZInsO 2002, 434.
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§6
Rz. 139
Beratung des ungesicherten Gläubigers
! Hinweis für den beratenden Anwalt: Rechtsbeschwerden können damit auch nur noch durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden1. Für die Einlegung der Beschwerde führt § 575 ZPO neue Fristen ein. Die Rechtsbeschwerde ist spätestens innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Erstbeschwerdegerichts einzulegen. Innerhalb dieser Frist ist die Rechtsbeschwerde auch zu begründen (§ 575 Abs. 2 ZPO). 139
Dieser Begründung dürfte im Hinblick auf die an die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gestellten Anforderungen die entscheidende Rolle zukommen2. Zwar ist das Rechtsmittel im Insolvenzrecht ohne weiteres statthaft, aber an die Zulässigkeit stellt § 574 Abs. 2 ZPO strenge Anforderungen. Denn dieses Rechtsmittel ist im Einzelfall nur dann zulässig, wenn in der Begründung substantiiert ausgeführt wird, dass entweder –
die Rechtsbeschwerde grundsätzliche Bedeutung hat oder
–
die Fortbildung des Rechts bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. 140
Ist die Rechtsbeschwerde im konkreten Fall nicht zulässig, so wird sie durch Beschluss als unzulässig verworfen. Ist sie unbegründet, so wird sie als unbegründet zurückgewiesen. Soweit die Rechtsbeschwerde vom BGH für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Der BGH hebt auf und entscheidet in der Sache selbst, wenn die Aufhebung nur wegen einer Rechtsverletzung in der Weise erfolgt, dass der zugrunde liegende Sachverhalt ausreichend aufgeklärt und die Sache entscheidungsreif ist3. g) Eröffnung des Verfahrens
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Eine Verfahrenseröffnung darf der Richter nur beschließen, wenn die Sache „ausermittelt“ ist, wenn also aufgrund vorgelegter Unterlagen und evtl. ergänzender Amtsermittlung zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass –
der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Eröffnung hat,
–
ein Eröffnungsgrund vorliegt und
–
die Verfahrenskosten gedeckt sind.
1 BGH v. 21. 3. 2002 – IX ZB 18/02, ZInsO 2002, 425; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2004, Bd.1, § 7 Rz. 19. 2 Kirchhof, ZInsO 2002, 606 (609). 3 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 7 Rz. 28 ff.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 143
§6
IV. Beratung im eröffneten Verfahren 1. Eröffnungsbeschluss a) Inhalt Der Inhalt des Eröffnungsbeschlusses richtet sich nach den §§ 27-29 InsO. Der Beschluss enthält den Ausspruch der Eröffnung des Verfahrens. Das betroffene Vermögen muss rechtlich eindeutig bezeichnet sein. Die Ernennung eines bestimmten Verwalters ist ebenfalls ein wesentlicher Teil des Eröffnungsbeschlusses. Das Gericht hat bei einem eventuellen Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung über diesen Antrag ebenfalls im Eröffnungsbeschluss zu entscheiden; in diesem Fall ist an Stelle eines Insolvenzverwalters ein Sachwalter zur Aufsicht über den Schuldner zu ernennen (hierzu im Einzelnen § 13 Rz. 469 ff.).
142
Tag und Stunde der Eröffnung sind zu bestimmen, und zwar nicht etwa willkürlich, um hiermit bestimmte Rechtsfolgen auszulösen1. Vordatierungen sind unzulässig, wobei die falsche Datierung nicht zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses führt2. Genauso wenig ist es zulässig, eine Rückdatierung vorzunehmen3. Die gesamte Thematik ist vor allem wegen der Anfechtungsfristen wichtig. Hierzu § 11 Rz. 83 ff., 163, 184, 208 ff., 272. Außerdem sind die in § 28 InsO vorgesehenen Aufforderungen an die Gläubiger und Schuldner auszusprechen. Erforderlich ist die Nennung des Schuldnernamens im Originaltext der Gerichtsakte. „Einrücken in Rotklammer“ genügt hingegen nicht4. Hingegen ist ein Eröffnungsbeschluss zwar fehlerhaft – aber wirksam ergangen – wenn der Schuldner nicht namentlich, sondern lediglich durch Bezugnahme auf ein Blatt der Akten bezeichnet wird. Voraussetzung ist jedoch, dass die Person aus der Verweisung eindeutig zu entnehmen ist5. Pape sieht damit die Fälle, in denen der Eröffnungsbeschluss als nichtig angesehen werden muss, auf solche Sachverhalte beschränkt, in denen auch unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Anschein einer gerichtlichen Entscheidung vorliegt6. b) Bekanntmachung Die Bekanntmachung des Beschlusses richtet sich nach § 30 InsO. Alle Beteiligten sollen möglichst schnell, zuverlässig und umfassend unterrichtet werden. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt durch eine zentrale und länder1 Frind, EWiR 2003, 23. 2 BGH v. 13. 1. 2005 – IX ZR 33/04, ZIP 2005, 310. 3 BGH v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, KTS 2004, 403 mit kritischer Anmerkung Strasser, soweit der BGH die Beschlüsse als wirksam ansieht. 4 OLG Brandenburg v. 21. 3. 2002 – 8 U 32/01, ZIP 2002, 1097 m. krit. Anm. Vallender, EWiR 2002, 723. 5 BGH v. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, NZI 2003, 197 m. uneingeschränkt zustimmender Anm. Pape, EWiR 2003, 281 (282). 6 Pape, EWiR 2003, 281 (282).
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§6
Rz. 144
Beratung des ungesicherten Gläubigers
übergreifende Veröffentlichung im Internet1; diese kann auszugsweise geschehen (neuer § 9 Abs. 1 Satz 1 InsO, in Kraft seit dem 1. 7. 2007, wobei § 9 Abs. 2 Satz 1 InsO n. F. den Ländern eigene Regelungen über weitere Veröffentlichungen ermöglicht). Übergangsweise kann die öffentliche Bekanntmachung bis zum 31. 12. 2008 zusätzlich in einem periodisch erscheinenden Blatt erfolgen, wobei die Bekanntmachung im Internet für den Wirkungseintritt der Bekanntmachung allein maßgebend ist (vgl. Art. 103c Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens). Neben der öffentlichen Bekanntmachung ist der Beschluss an den Schuldner sowie dessen Gläubiger und Schuldner zuzustellen. Diese Zustellung kann durch Aufgabe zur Post von Seiten des Gerichts erfolgen; sie kann auch dem Insolvenzverwalter auferlegt werden. Dieser kann die Zustellung ebenfalls durch „einfache“ Aufgabe zur Post veranlassen. c) Rechtsmittel 144
Gemäß § 6 InsO unterliegen die Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht. Bei dem Eröffnungsbeschluss sieht § 34 Abs. 2 InsO die sofortige Beschwerde nur durch den Insolvenzschuldner vor. Der Gläubiger hat dementsprechend keine Möglichkeit, gegen den Eröffnungsbeschluss vorzugehen. Aber: Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin vorgenommene Abhilfe des Insolvenzgerichts wie auch die abändernde Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht auf die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses beschränken. Vielmehr ist gleichzeitig der Eröffnungsantrag zurückzuweisen mit der Konsequenz, dass nunmehr eine weitere Beschwerdemöglichkeit eröffnet ist: Wird nämlich die Aufhebung beschlossen und der Eröffnungsantrag zurückgewiesen, kann der insoweit beschwerte antragstellende Gläubiger gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. § 6 InsO sofortige Beschwerde einlegen, bei deren abschlägiger Entscheidung ihm noch die Rechtsbeschwerde im Sinne des § 7 InsO als Rechtsbehelf zur Verfügung steht (siehe hierzu näher oben Rz. 134 ff.).
145
In denjenigen Fällen, in denen der Schuldner durch den Eröffnungsbeschluss beschwert ist, kann dieser gegen den Beschluss vorgehen. Dabei ist für das Vorliegen einer Beschwer mit der Rechtsprechung auf eine formale Betrachtungsweise abzustellen. Daher wird in dem Fall, dass etwa entgegen der Erwartung des Schuldners eine Verfahrenseröffnung und keine Ablehnung mangels Masse erfolgt, nach inzwischen herrschender Meinung keine Beschwer mehr angenommen, wenn ein Eigenantrag vorliegt2. Dagegen liegt bei einem Eigenantrag
1 www.insolvenzbekanntmachungen.de. 2 BGH v. 18. 1. 2007 – IX ZB 170/06, ZIP 2007, 499; OLG Köln v. 10. 12. 1001 – 2 W 154/01, NZI 2002, 101.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 146
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des Schuldners eine Beschwer vor, wenn der Schuldner irrtümlich einen Insolvenzgrund angenommen hatte, dieser aber in Wirklichkeit nicht vorliegt1. Bei einem Gläubigerantrag billigt die Rechtsprechung dem Schuldner ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde mit dem Ziel einer Abweisung des Antrags mangels Masse zu, also in dem Fall, dass das Gericht eine Verfahrenseröffnung vorgenommen hat2. Problematisch ist auch die Situation in den Fällen, in denen das Gericht rechtsirrig das Bestehen eines Insolvenzgrundes angenommen hat, der Schuldner die Eröffnung mit der Beschwerde angreift und später tatsächlich Insolvenzreife eintritt. Der BGH lässt die weitere Entwicklung unberücksichtigt und kommt zu dem Ergebnis, dass der Eröffnungsbeschluss in derartigen Fällen aufzuheben und der Eröffnungsantrag abzuweisen ist3. Bei der Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen einer juristischen Person können nur deren Organe und nicht die Gesellschafter als materielle Vermögensträger Rechtsmittel einlegen. Bei einer Personenmehrheit in der Gemeinschuldnerrolle steht die Beschwerdebefugnis jeder einzelnen Person, insbesondere jedem Gesellschafter zu. Wird auf Antrag des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, jedoch der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung abgelehnt, so stellt sich die Frage nach einer Rechtsschutzmöglichkeit des Schuldners. Da es für eine isolierte Anfechtung der jeweiligen Anträge nach der herrschenden Ansicht an einer rechtlichen Grundlage fehlt, ist eine derartige eingeschränkte Beschwerde nicht unbedenklich. Nach Ansicht des LG Mönchengladbach fehlt dem Schuldner die rechtliche Beschwer, da die Eröffnung des Verfahrens – gegen die sich eine solche Beschwerde richtet – gerade vom Schuldner beantragt wurde4. Bärenz gelangt im Wege der Auslegung des § 34 Abs. 2 InsO unter Annahme einer rechtlichen Einheit von Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung und Insolvenzantrag zu einer direkten Anwendung des § 34 Abs. 2 InsO5. Dies entspricht jedoch nicht der überwiegenden Rechtsansicht6. Diese gelangt im Einklang mit dem LG Mönchengladbach zur Ablehnung einer rechtlichen Beschwer. Der BGH lehnt die Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde sowohl gegen die Anordnung als auch gegen die Ablehnung der Eigenverwaltung ab, da die Insolvenzordnung für diese Fälle keine solche vorsehe, vgl. § 6 InsO. Die Verweisung in § 270 Abs. 1 Satz 2 beziehe sich auf den Gang des Insolvenzverfahrens, nicht auf die Anfechtung der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung. 1 OLG Schleswig v. 20. 7. 1950 – 2 W 263/50, MDR 1951, 49; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 34 Rz. 16; a. A. OLG Köln v. 30. 1. 2002 – 2 W 11/02, ZInsO 2002, 236. So auch OLG Brandenburg v. 16. 7. 2001 – 8 W 165/01, NZI 2002, 44. 2 BGH v. 15. 7. 2004 – IX ZB 172/03, ZIP 2004, 1727. 3 BGH v. 27. 7. 2006 – IX ZB 20/04, ZIP 2006, 1957. 4 LG Mönchengladbach v. 30. 12. 2002 – 5 T 439/02, NZI 2003, 152 m. krit. Anm. Bärenz, EWiR 2003, 483 (484). 5 Bärenz, EWiR 2003, 483 (484). 6 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 34 Rz. 29 m.w.N.
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§6
Rz. 147
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Die Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber einzelnen Maßnahmen seien auch nicht deshalb erweitert, weil diese in einem einheitlichen Beschluss zusammengefasst sind; eine unanfechtbare Entscheidung wie die über den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung könne demzufolge nicht im Wege der Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss angefochten werden1. Die Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Der BGH hält eine aufschiebende Wirkung nur dann für geboten, wenn die Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile bringt als den anderen Beteiligten2.
2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses a) Allgemeines 147
Gemäß § 80 InsO geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über. Gleichzeitig sind die nach Verfahrenseröffnung vorgenommenen Verfügungen des Schuldners unwirksam, § 81 InsO. Besonders bedeutsam ist der Einfluss der Insolvenzeröffnung auf bestehende Verträge (vgl. hierzu umfassend § 8). Wesentlich ist hier die Unterscheidung zwischen –
gegenseitigen Verträgen einerseits und
–
bestimmten Schuldverhältnissen andererseits.
Für die bei Verfahrenseröffnung noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträge gilt § 103 InsO, der dem Verwalter ein Wahlrecht gewährt (s. § 8 Rz. 10 ff.). Bei Miet- und Pachtverträgen über unbewegliche Gegenstände oder Räume ist § 108 InsO einschlägig, der anstelle eines Wahlrechts ein besonderes Kündigungs- und Rücktrittsrecht vorsieht. Diese Regelung erfasst ebenfalls bestehende Dienstverhältnisse (s. § 8 Rz. 174 ff.). Vom Schuldner erteilte Vollmachten erlöschen durch die Eröffnung, § 117 InsO (s. § 8 Rz. 292 ff.). 148
Wurde vor der Eröffnung ein Sozialplan aufgestellt, kann dieser gemäß den Bestimmungen des § 124 InsO widerrufen werden. Wird anschließend ein neuer Sozialplan vereinbart, richtet sich das Volumen nach § 123 InsO (s. § 12 Rz. 230 ff.). Gemäß § 153 InsO hat der Insolvenzverwalter im Übrigen eine Vermögensübersicht auf den Zeitpunkt der Eröffnung zu erstellen. b) Rechtsfolgen für die Rechtsstellung des Schuldners
149
Der Schuldner verliert im Zeitpunkt der Eröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das massezugehörige Vermögen, § 80 Abs. 1 InsO. Dies 1 BGH v. 11. 1. 2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448; BGH v. 11. 1. 2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394. 2 BGH v. 21. 3. 2002 – IX ZB 48/02, ZIP 2002, 718.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 149c
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bedeutet keine vollständige „Entrechtung“ des Schuldners, diesem ist nur verwehrt, gegen den Willen des Verwalters auf massezugehörige Gegenstände tatsächlich einzuwirken oder über diese zu verfügen1. Der Schuldner behält aber seine Eigentümerstellung. Seine Kaufmannseigenschaft bleibt ebenfalls erhalten, solange das Handelsunternehmen nicht veräußert oder aufgegeben wird. Auch bleibt der Schuldner bei Fortführung des Unternehmens vertraglicher Arbeitgeber (vgl. oben Rz. 89 und unten Rz. 194 oder aber im Einzelnen § 12 Rz. 5 ff.). Praktische Konsequenzen hat dies jedoch nur für die Zeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, wenn das Arbeitsverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt nicht beendet worden ist. Im Übrigen tritt der Insolvenzverwalter während des Verfahrens an die Stelle des Schuldners als Dienstberechtigter2. Notwendige Folge des Übergangs des Verwaltungs- und Verfügungsrechts auf den Insolvenzverwalter ist nach § 81 InsO die Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners. Sie besteht nicht nur – relativ – gegenüber den Insolvenzgläubigern, sondern gegenüber jedermann. Ausgenommen von dieser Unwirksamkeit sind nur solche Verfügungen, die zu einem gutgläubigen Erwerb des anderen Teiles nach §§ 892, 893 BGB führen; der öffentliche Glaube des Grundbuchs ist stärker als das mit der Verfahrenseröffnung eintretende Verfügungsverbot.
149a
Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte (§ 82 Satz 1 InsO). Fahrlässige, auch grob fahrlässige Unkenntnis schließt den Schutz des § 82 InsO nicht aus3. Nach einem Urteil des BGH kann sich die Bank nicht auf Unkenntnis berufen, wenn eine Veröffentlichung im Regierungsamtsblatt erfolgt ist. Sie hat organisatorische Vorsorge zu treffen, dass die Entscheidungsträger auch tatsächlich Kenntnis erlangen4.
149b
Eine weitere grundlegende Bestimmung dient dem Ziel der Gläubigergleichbehandlung: § 91 InsO. Hiernach können Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Verfahrens nicht wirksam erworben werden. Die Frage ist, wie sich diese Bestimmung auf die Abtretung küftiger Lohnoder Mietzinsforderungen auswirkt. Geht man mit einer Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 1997 davon aus, dass es sich bei Lohnforderungen um aufschiebend befristete Forderungen handelt, müsste die Verfügung über eine künftige Lohnforderung nach dieser Bestimmung unwirksam sein. Das Gleiche müsste dann für Mietzinansprüche gelten5.
149c
1 2 3 4
Ott/Vuia in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 80 Rz. 11. Moll in Kübler/Prütting, InsO, § 113 Rz. 11. OLG Düsseldorf v. 19. 11. 2007 – I-17 U 207/06, ZInsO 2008, 44. BGH v. 15. 12. 2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138; s. auch Schäfer, ZInsO 2008, 16 zu Kontoeröffnungen nach Anordnung der Verfügungsbeschränkungen. 5 Hierzu Flöther/Breuer, NZI 2006, 136 sowie Dobmeier, NZI 2006, 144.
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§6 150
Rz. 150
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Für den Schuldner ergeben sich möglicherweise Einschränkungen hinsichtlich seiner Berufsausübung bzw. seiner Berufung in Ehrenämter. Insbesondere bei selbständigen Tätigkeiten dürften sich hier regelmäßig Probleme im Bereich der „Zuverlässigkeit“ bzw. „persönlichen Eignung“ ergeben. Den Schuldner trifft gegenüber dem Gericht, dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts auch gegenüber der Gläubigerversammlung eine umfangreiche Auskunfts- und Mitwirkungspflicht1; diese ist in § 97 InsO normiert. Er hat auch die Pflicht, das Verfahren zu fördern. Dies bedeutet jedoch nicht die generelle Pflicht, seine Arbeitskraft der Masse zur Verfügung zu stellen (zu dem sich aus § 97 Satz 3 ergebenden Beweisverwertungsverbot vgl. § 5 Rz. 246). Der Schuldner ist in der Ausübung seiner Freizügigkeitsrechte nicht unmittelbar durch die Eröffnung eingeschränkt, er hat sich jedoch bei Anordnung durch das Gericht jederzeit zur Verfügung zu stellen. Kommt der Schuldner seinen Pflichten nicht nach, kann das Insolvenzgericht zur Durchsetzung die in § 98 InsO genannten Maßnahmen anordnen. Als Mittel stehen insoweit die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, die Vorführung und letztlich auch die Anordnung der Haft zur Verfügung.
151
Ist der Schuldner keine natürliche Person, so erweitert § 101 InsO den Anwendungsbereich der §§ 97-99 InsO für die dort genannten Personen. Insbesondere gegen Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans und die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners hat das Gericht die gleichen Vorgehensmöglichkeiten wie gegen den Schuldner. Vom Anwendungsbereich dieser Vorschriften sind damit zum Beispiel die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft, der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Geschäftsführer und Gesellschafter einer OHG oder der Geschäftsführer einer GmbH erfasst2. Eingeschränkte Möglichkeiten bestehen für das Gericht in Bezug auf Angestellte sowie frühere Angestellte des Schuldners.
152
Was die Rechtsstellung des Schuldners angeht, so ist unsicher, inwieweit er Auskunftsansprüche gegenüber dem Verwalter hat. Ein genereller Auskunftsanspruch besteht jedenfalls nicht; allenfalls bei Einzelaspekten ist ein Informationsanspruch denkbar3. c) Rechtsfolgen für Gläubigerforderungen
153
Vor Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten sind Insolvenzforderungen, § 38 InsO. Die seit Verfahrenseröffnung laufenden Zinsen stehen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Nachrang (siehe im Einzelnen unten Rz. 280).
1 Hierzu im Einzelnen Gaiser, ZInsO 2002, 472; Uhlenbruck, NZI 2002, 401; Vallender, EWiR 2004, 293. 2 Vallender, ZIP 1996, 529 (530). 3 Hierzu ausführlich Bork/Jacoby, ZInsO 2002, 398 sowie für den Gesellschafter OLG Hamm v. 25. 10. 2001 – 15 W 118/01, ZInsO 2002, 77.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 154
§6
Der Eröffnungszeitpunkt ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Abzinsung nicht fälliger Ansprüche, § 41 InsO. Gemäß § 43 InsO können Gläubiger, denen neben dem Schuldner Dritte als Gesamtschuldner mithaften, gegen jeden Schuldner die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehenden Forderungen geltend machen. Die Situation zur Zeit der Verfahrenseröffnung ist außerdem für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Aufrechnung maßgeblich, §§ 94, 95 InsO. d) Rechtsfolgen für Prozesse Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden die die Masse betreffenden Prozesse unterbrochen (§ 240 InsO). Die Insolvenzmasse (Sollmasse) ist betroffen, wenn ein der Masse zustehendes Recht geltend gemacht wird oder wenn die Masse in Anspruch genommen wird. Unterbrochen werden alle Verfahren, also auch Arrest- oder Einstweilige Verfügungsverfahren, Kostenfestsetzungsverfahren, Beschwerdeverfahren usw., nicht jedoch selbständige Beweisverfahren1. Für Prozesskostenhilfeverfahren wird die Unterbrechungswirkung überwiegend verneint, anders bei Steuerstreitigkeiten2. Die Verfahrensunterbrechung tritt auch ein, wenn das Insolvenzrecht keinen Insolvenzverwalter bestellt, sondern die Eigenverwaltung durch den Schuldner anordnet3; das Gleiche gilt für ein US-amerikanisches Verfahren nach Chapter 114 und generell für alle Verfahrenseröffnungen in einem anderen EU-Land5. Passivprozesse, die die Aussonderung, die abgesonderte Befriedigung oder eine Masseverbindlichkeit betreffen, können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden (§ 86 Abs. 1 InsO). Nimmt der Gegner den Rechtsstreit auf und erkennt der Verwalter den Anspruch sofort an, so kann der Gegner einen Kostenerstattungsanspruch nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 86 Abs. 2 InsO)6. Klagt nicht ein Aus-/Absonderungsgläubiger oder Massegläubiger, sondern ein Insolvenzgläubiger, so tritt zunächst eine Unterbrechung ein. Wird die Forderung dann im Prüfungstermin bestritten, so muss der Rechtsstreit gegen den Bestreitenden aufgenommen werden, wenn die Forderung weiterverfolgt werden soll. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf die zur Konkursordnung entwickelte Rechtsmeinung zu verweisen, dass die Kosten zu Lasten des Klägers gehen, wenn der Gläubiger seine Forderung nicht formgerecht angemeldet hat und er beispielsweise erst im Prozess eine ordnungsgemäße Spezifikation vornimmt oder erstmalig Belege vorlegt7. Dieser Rechtsauffassung folgt der 1 2 3 4 5 6
BGH v. 11. 12. 2003 – VII ZB 14/03, ZInsO 2004, 85; hierzu Meyer, NZI 2005, 9. BFH v. 27. 9. 2006 – IV S 11/05, ZVI 2007, 134; Paul, EWiR 2007, 219. BGH v. 7. 12. 2006 – V ZB 93/06 (KG), NZI 2007, 188; Bähr, EWiR 2007, 249. BAG v. 27. 2. 2007 – 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047. OLG Köln v. 17. 10. 2007 – 16 W 24/07, ZIP 2007, 2287. Zum Unterschied zwischen Aktiv- und Passivprozess vgl. BGH v. 14. 4. 2005 – IX ZR 221/04, ZInsO 2005, 534, hier bei Ersatz eines Vollstreckungsschadens Passivprozess angenommen. 7 OLG Dresden v. 3. 2. 1997 – 13 W 935/96, ZIP 1997, 327; Kilger/K. Schmidt, KO, 17. Aufl. 1997, § 146 Anm. 1a.
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§6
Rz. 154a
Beratung des ungesicherten Gläubigers
BGH für die InsO nur eingeschränkt: Wenn dem Schuldner schon im Zeitpunkt der insolvenbedingten Unterbrechung des Verfahrens ein sofortiges Anerkenntnis versagt war, so hat dies auch für den Insolvenzverwalter Konsequenzen. Erkennt er den Anspruch, den er zunächst im Prüfungstermin bestritten hat, im anschließenden Feststellungsprozess an, so habe er die Kosten als Masseverbindlichkeit zu tragen. Der Kostenerstattungsanspruch sei auch insgesamt Masseverbindlichkeit, also auch für den Zeitraum vor der Unterbrechung1. 154a
Für neu zu führende Prozesse kann die Frage Bedeutung bekommen, ob der Insolvenzverwalter an eine vor Verfahrenseröffnung getroffene Schiedsabrede gebunden ist. Dies wird überwiegend bejaht2; etwas anderes gilt nur, wenn für die Prozessführung keinerlei liquide Mittel vorhanden sind, der Insolvenzverwalter also auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, die es bei einem Schiedsverfahren nicht gibt. e) Rechtsfolgen für Vollstreckungen
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Bei Vollstreckungsmaßnahmen bieten § 240 ZPO keine Hilfestellung3. Es gilt vielmehr Folgendes: Gemäß § 89 Abs. 1 InsO ist die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Wer Insolvenzgläubiger ist, richtet sich dabei ausschließlich nach § 38 InsO; dabei ist es unerheblich, ob der Gläubiger tatsächlich am Insolvenzverfahren teilnimmt4. Im Übrigen darf auch ein absonderungsberechtigter Grundpfandgläubiger nach Insolvenzeröffnung nicht die Mieten pfänden. Er unterliegt ebenfalls dem Vollstreckungsverbot und darf nur den Weg über die Zwangsverwaltung gehen5. Das Vollstreckungsverbot gilt auch in der Wohlverhaltensphase. Deshalb kann einem Insolvenzgläubiger auch nach Aufhebung des Verfahrens in dieser Phase kein vollstreckbarer Tabellenauszug erteilt werden. Dies gilt auch für Gläubiger, deren Forderungen gemäß § 302 InsO von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sind6. Anders ist die Situation zumindest bei so genannten oktroyierten Masseverbindlichkeiten. Das Vollstreckungsverbot des § 90 InsO ist spätestens mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfallen und dasjenige des § 294 InsO gilt für Massegläubiger nicht7, nach herrschender Meinung auch nicht für Neugläubiger bei Unterhaltsansprüchen und solchen aus unerlaubter Handlung8.
155a
Eine Einstellung kraft Gesetzes sieht § 90 Abs. 1 InsO vor: 1 BGH v. 28. 9. 2006 – IX ZB 312/04, WM 2007, 91; Hofmann, EWiR 2007, 85. 2 BGH v. 20. 11. 2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88; Kück, ZInsO 2006, 11. 3 BGH v. 23. 3. 2007 – VII ZB 25/05, ZIP 2007, 983; a.A. App im Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 85 Rz. 6. 4 LG Erfurt v. 23. 7. 2003 – 2T 185/03, InVo 2004, 21. 5 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554. 6 AG Göttingen v. 6. 6. 2005 – 74 IN 215/03, ZInsO 2005, 668. 7 BGH v. 28. 6. 2007 – IX ZR 73/06, DZWIR 2008, 29. 8 Ahrens, NZI 2008, 24.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 155c
§6
Zwangsvollstreckungen wegen Masseverbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind, sind für die Dauer von sechs Monaten seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig. Nicht unter das Vollstreckungsverbot fallen Ansprüche aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter kündigen konnte, und aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch nimmt (§ 90 Abs. 2 InsO). Durch diese Gesetzeslage wird eine etwas unsichere Rechtsprechung zu der Frage, wie sich ein Verwalter bei Masseunzulänglichkeit gegen Vollstreckungen wehren kann, abgelöst. In diesem Zusammenhang ist auf § 210 InsO zu verweisen, durch den ein Vollstreckungsverbot nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit normiert wird1. Es gilt nach dem Gesetzeswortlaut nur für die so genannten Altmassegläubiger. Es kann jedoch durchaus vorkommen, dass die Masse noch nicht einmal ausreicht, um die Neumassegläubiger zu befriedigen. In diesem Fall wird man mangels anderweitiger gesetzlicher Regelungen auf das frühere Recht zurückgreifen müssen, wonach bei Eintritt der Massearmut Vollstreckungsversuche von Massegläubigern, die mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Ziff. 2 InsO zu befriedigen wären und bereits über einen Titel verfügen, mit einer Vollstreckungsgegenklage bekämpft werden müssen. Eine erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist hierzu nicht erforderlich. Darüber hinaus verbietet der BGH generell den Neumassegläubigerin im Falle der Neumasseunzulänglichkeit die Erwirkung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses2, was dann konsequenterweise auch für andere Titel gelten muss. Es stellt sich auch die Frage, ob für Altmassegläubiger überhaupt noch eine Leistungsklage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit möglich ist. Pape hält eine solche Klage für unzulässig3, was angesichts der Rechtsprechung zu § 888 ZPO nicht ganz unbedenklich ist.
155b
Entstehen Gerichtskosten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter, so können sie nicht gegenüber der Masse angesetzt und vollstreckt werden, wenn der Insolvenzverwalter nachweist, dass die verfügbare Masse nicht zur vollen Befriedigung der Neumassegläubiger ausreicht4. Da die Gerichtskosten zu den Masseverbindlichkeiten gem. § 209 Abs. I Ziff. 2 InsO gehören, folgt dieses Ergebnis nicht aus § 210 InsO, sondern aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfahren. Es ist auch im Falle erneuter Masseunzulänglichkeit gegenüber den Neumassegläubigern geboten, auf eine entsprechende Einwendung des Insolvenzverwalters nur noch die Feststellungsklage zuzulassen, um einen Vorrang schnellerer Neumassegläubiger, die Vollstreckungsmaßnahmen durchführen und so die
155c
1 Allgemein zu den Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeit siehe Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49. 2 BGH v. 27. 9. 2007 – IX 172/05, ZIP 2007, 2140. 3 Pape, KTS 1995, 189; so auch das BAG v. 15. 6. 2004 – 9 AZR 431/03, DZWIR 2004, 461 und BAG v. 11. 12. 2001 – 9 AZR 459/00 in ZIP 2002, 628. 4 OLG Frankfurt v. 25. 9. 2006 – 10 U 79/05, ZIP 2007, 591.
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
auf die anderen entfallende Quote verringern, zu vermeiden. Der Insolvenzverwalter wird nicht zur Leistung verurteilt, vielmehr ist das Bestehen der Forderung nur noch gerichtlich festzustellen1.
3. Bestellung des Insolvenzverwalters a) Auswahl 156
Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so ernennt das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter, § 27 Abs. 1 Satz 1 InsO. Innerhalb des Gerichts ist der Richter zuständig, § 22 GVG, § 18 RpflG. Er nimmt also die Auswahl vor. Die Auswahlkriterien nennt § 56 InsO. Zum Insolvenzverwalter ist eine –
für den jeweiligen Einzelfall
–
geeignete,
–
insbesondere geschäftskundige und
–
von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person zu bestellen.
aa) Natürliche Personen 157
Im Regierungsentwurf zur InsO war noch vorgesehen, dass auch juristische Personen zu Verwaltern bestellt werden können. Gedacht war vor allem an Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Aufgrund der Aufsichts- und Haftungsprobleme, die bei juristischen Personen allein schon wegen der Austauschbarkeit des gesetzlichen Vertreters auftreten können, aber auch mit Rücksicht auf mögliche Interessenkollisionen hat der Gesetzgeber von diesem Vorhaben Abstand genommen und – anders als in den bisherigen Gesetzen – ausdrücklich festgelegt, dass nur natürliche Personen zu Verwaltern bestellt werden können. bb) Geschäftskunde
158
Als fachlich geeignet gelten von Berufs wegen Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und ähnlich vorgebildete Personen. Ganz überwiegend (ca. 90%) werden Anwälte eingesetzt, hier wiederum solche mit fachlicher Spezialisierung. Anders als noch vor 50 Jahren gibt es in der Praxis den „Gelegenheitsverwalter“ schon deshalb nicht mehr, weil dieser nicht über ein Insolvenzabwicklungsbüro verfügt oder ein solches aufbauen könnte. Dem Fachanwalt für Insolvenzrecht kommt nur begrenzte Bedeutung zu, was aber in 10 oder 20 Jahren durchaus anders sein kann. Wenn Anwälte ausgewählt werden, dann in erster Linie solche, die mit Wirtschaftsfragen vertraut sind und über gute Kenntnisse im Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht und Arbeitsrecht verfügen. Häufig decken auch Sozien des Verwalters diese Bereiche ab; insoweit hat dann der Fachanwalt für Steuer- oder Arbeitsrecht durchaus Bedeutung.
1 OLG Frankfurt a.a.O.
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§6
In größeren Insolvenzverwalter-Kanzleien sind auch regelmäßig Diplom-Kaufleute, Betriebswirte und vermehrt Bankkaufleute anzutreffen. Regelmäßig beschäftigen Verwalter Bilanzbuchhalter und Personalsachbearbeiter. Der Insolvenzsachbearbeiter ist noch kein staatlich anerkannter Beruf. Tatsächlich hat sich jedoch diese Berufsbezeichnung eingebürgert. Insolvenzsachbearbeiter erhalten ihre Ausbildung normalerweise im Verwalterbüro, in jüngster Zeit aber auch extern durch so genannte Mitarbeiterschulungen (tageweise). Die Übernahme des Insolvenzverwalteramtes setzt im Übrigen nicht nur eine entsprechende Personalausstattung, sondern auch moderne Bürotechnik voraus, insbesondere EDV mit abwicklungsspezifischer Software. Die Kommunikation über das Internet dürfte inzwischen ebenfalls selbstverständlich sein. cc) Unabhängigkeit Selbstverständlich scheidet der Schuldner selbst – wenn man einmal von dem Sonderfall der Eigenverwaltung absieht – oder ein Gläubiger als Verwalter aus. Wer als Anwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer usw. den Schuldner oder einen wichtigen Gläubiger in jüngster Zeit vertreten oder beraten hat, kann ebenfalls nicht Verwalter werden. Wo die Grenzen liegen, ist nicht immer einfach zu bestimmen1.
159
Der Arbeitskreis der Insolvenzverwalter Deutschland e. V., heute Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID), der sich als Berufsverband der anwaltlichen Verwalter sieht, hatte das Thema der Vorbefasstheit in verschiedenen Sitzungen eingehend erörtert und schließlich am 16. 11. 2001 Verhaltensrichtlinien verabschiedet, die nicht nur Fragen der Unabhängigkeit, sondern auch die oben erwähnten Anforderungen (Geschäftskunde) behandelten2. Das AG Hamburg maß den Verhaltensrichtlinien eine gewisse Bindungswirkung zu3. Der VID hat nunmehr am 4. 11. 2006 die Berufsgrundsätze der Insolvenzverwalter verabschiedet4, welche den Verhaltenskodex ablösen. Sie bilden auf Basis einer Selbsverpflichtung die Grundlage für die Berufstätigkeit als Insolvenzverwalter und behandeln in § 4 der Berufsgrundsätze die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. dd) Geeignetheit im Einzelfall Nach § 56 InsO ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen. Diese Formulierung zeigt, dass der Gesetzgeber auf die richterliche Unabhängigkeit Wert legt und dem entscheidenden Richter einen weiten Ermessensspielraum einräumen will. Ermessensfehlerhaft dürfte
1 Vgl. zu den Kriterien das Abschlussprotokoll der sog. „Uhlenbruck-Kommission“, ZInsO 2007, 760 (762). 2 Zu den Verhaltensrichtlinien siehe NZI 2002, 3; vgl. dazu auch Runkel, NZI 2002, 2. 3 AG Hamburg v. 21. 11. 2001 – 67g IN 280/01, NZI 2002, 166 m. ablehnender Anm. Holzer, EWiR 2002, 71. Auch Prütting, ZIP 2002, 1965 lehnt die Bindungswirkung ab. 4 Abgedruckt in ZIP 2006, 2147.
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
es deshalb sein, wenn der Richter nur eine Liste mit bestimmter Reihenfolge – ohne Rücksicht auf den Einzelfall – „abarbeitet“1. Der Richter muss sich bei der Auswahl des Verwalters im Einzelfall Gedanken darüber machen, wer am ehesten den Problemstellungen der konkreten Insolvenzabwicklung gewachsen ist. Die Branche oder die Größe des Unternehmens ist ebenso zu berücksichtigen wie die persönliche Verfügbarkeit des Verwalters, d.h. vor allem die Belastung mit anderen Verfahren2. Auch die Ortsnähe kann eine Rolle spielen, wobei der Kanzleisitz im Gerichtsbezirk zwar der Regelfall, aber keine zwingende Voraussetzung für die Verwalterbestellung ist. Ist der Verwalter beispielsweise als Anwalt bei einem anderen Gericht zugelassen, so ist dies für einige Gerichte kein Bestellungshindernis, wenn er über ein voll ausgestattetes Abwicklungsbüro am Ort des Insolvenzgerichts verfügt. 161
Wenn auch sog. geschlossene Verwalterlisten unzulässig sind, so gilt etwas anderes für Listen, die der Vorauswahl der in Frage kommenden Verwalter dienen. Sie sind zulässig, soweit man sie als offene Listen bezeichnen kann. Von Offenheit kann jedoch nur gesprochen werden, wenn sich die Richter „Bewerbungsgesprächen“ nicht verschließen und je nach Anzahl der Insolvenzfälle auch neue qualifizierte Personen in die Liste aufnehmen3. Es ist streitig, ob ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in die Liste besteht. Zwei Insolvenzverwalter, die sich übergangen fühlten, hatten das Bundesverfassungsgericht angerufen, um eine Listung durchzusetzen. Mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. 8. 20044 ist den Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben worden. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass jeder Bewerber die faire Chance erhalten muss, entsprechend seiner gesetzlich vorausgesetzten Eignung in Erwägung gezogen zu werden. Die Chancengleichheit müsse auch gerichtlich überprüfbar sein5.
162
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verdient auch deshalb Aufmerksamkeit, weil in den Beschlussgründen ausdrücklich davon die Rede ist, dass sich die Betätigung als Insolvenzverwalter zu einem eigenständigen Beruf entwickelt hat6. Damit hat das Bundesverfassungsgericht auch einen wesentlichen Unterschied zur Bestellung von Sachverständigen, Pflichtverteidigern, Nachlasspflegern usw. berührt. Für diese Tätigkeiten hatte man bisher einen Anspruch auf „Listung“ und Bestellung im Einzelfall abgelehnt, weil dies mit der richterlichen Unabhängigkeit kollideren würde. Diese Unabhängigkeit stehe, so das Bundesverfassungsgericht im Falle der Insolvenzverwalterbestellung, nicht in Frage; es müsse jedoch wenigstens die Möglichkeit bestehen, sich in den Bewerberpool einzuklagen; damit bestehe allerdings noch kein Anspruch darauf, im Einzelfall bestellt zu werden. 1 Henssler, ZIP 2002, 1053; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 56 Rz. 6; a. A. Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, 2001. 2 Siehe hierzu AG Potsdam v. 30. 11. 2001 – 35 IN 677/01, NZI 2002, 391 sowie zu der Frage, wie weit die Arbeit delegiert werden darf, Hofmann, ZIP 2006, 1080. 3 Generell hierzu Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, Rz. 944 ff. 4 BVerfG v. 3. 8. 2004 – 1BVR 135/00 und 1086/01, ZIP 2004, 1649. 5 So auch Lüke, ZIP 2000, 485. 6 So bereits Hennsler, ZIP 2002, 1053; Wellensiek, NZI 1999, 169.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 163a
§6
Vor diesem Hintergrund ist die Änderung des § 56 Abs. 1 InsO zu verstehen, die seit dem 1. Juli 2007 in Kraft ist: Nunmehr ist eine geeignete Person zu bestellen, „die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Person auszuwählen ist. Die Bereitschaft zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen kann auf bestimmte Verfahren beschränkt werden“ (§ 56 Abs. 1 am Ende).
163
Wichtiger ist aber etwas anderes: Die o. g. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Es vergeht so gut wie kein Monat, in dem es nicht irgendwelche Literaturbeiträge, vor allem aber auch neue Gerichtsentscheidungen zur Verwalterauswahl und Verwalterstellung gibt. Die wichtigsten sollen nachstehend aufgelistet werden:
163a
–
OLG Koblenz v. 12. 5. 2005 – 12 VA 1/04, ZIP 2005, 1283 (hierzu Frind, ZInsO 2005, 700 und Graeber, DZWIR 2005, 177)
–
OLG Schleswig v. 28. 2. 2005 – 12 VA 3/04, ZInsO 2005, 604 speziell zum Thema „regionale Präsenz“
–
OLG München v. 7. 12. 2004 – 9 VA 4-5/04, ZVI 2005, 318 mit Anmerkung von Hess, EWiR 2005, 605
–
OLG Hamm v. 14. 10. 2004 – 15 VA 12/04, InVo 2005, 143 zum Rechtsmittel des bisherigen Verwalters im Falle einer Abwahl (negativ); hierzu gibt es auch höchstrichterliche Entscheidungen: –
BGH v. 7. 10. 2004 – IX ZB 128/03, NZI 2005, 32 m. Anm. Kayser/Heck, NZI 2005, 65 ff. (Bestätigung OLG Hamm)
–
BVerfG v. 9. 2. 2005 – 1 BvR 2719/04, ZIP 2005, 537 betreffend den vorläufigen Rechtsschutz (Entscheidung OLG Hamm mit GG vereinbar; hierzu kritisch Lüke, ZIP 2005, 539)
–
BVerfG v. 23. 5. 2006 – 1 BvR 2530/04, ZInsO 2006, 765, wieder bestätigend; hierzu Frind, ZInsO 2006, 729, Smid, DZWIR 2006, 353 sowie Römermann, ZIP 2006, 1332
–
BVerfG v. 12. 6. 2006 – 1 BvR 1469/05, ZIP 2006, 1954 zur Erreichbarkeit
–
BVerfG v. 12. 7. 2006 – 1 BvR 1493/05, ZIP 2006, 1956 zu früheren Beanstandungen
–
BVerfG v. 19. 7. 2006 – 1 BvR 1351/06, ZIP 2006, 1541 (praktische Erfahrungen sind Listenvoraussetzungen)
–
OLG Celle v. 1. 6. 2005 – 16 VA 3/05, ZIP 2005, 1287
–
OLG Hamburg v. 19. 10. 2005 – 2 Va2/05, NZI 2006, 35
–
KG v. 11. 1. 2006 – 16 VA 5/05, ZIP 2006, 294 m. Anmerkung Hess, EWiR 2006, 347
–
OLG Düsseldorf v. 27. 10. 2006 – I-3 Va 9/06, NZI 2007, 48 und Holzer, ZIP 2006, 2208 (erste Entscheidung, die dem antragstellenden Interessenten gegenüber dem Insolvenzgericht nicht nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zuspricht, sondern vor allem ausdrücklich Runkel
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§6
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
festhält, dass das Insolvenzgericht bisher ermessensfehlerhaft gehandelt hat) –
OLG Nürnberg v. 5. 9. 2006 – 4 VA 276/06, ZIP 2007, 80 zu praktischen Erfahrungen
–
OLG Köln v. 27. 9. 2006 – 7 VA 9/05, ZIP 2007, 342 zu praktischen Erfahrungen
–
AG Hamburg v. 14. 12. 2006 – 376.OE 2-67c 2/06, ZIP 2007, 739
–
OLG Schleswig v. 28. 11. 2006 – 12 VA 3/06, ZIP 2007, 831
abweichend hierzu: –
OLG Dresden v. 26. 7. 2007 – 13 VA 1/07, ZIP 2007, 2182 (deshalb Vorlage an BGH)
–
OLG Stuttgart v. 9. 5. 2007 – 4 U 204/06, ZInsO 2008, 45 m. krit. Anm. Bruckhoff, NZI 2008, 25, Frind, ZInsO 2008, 118 und Brenner, ZIP 2007, 1826 (zur Staatshaftung)
–
OLG Bamberg v. 3. 12. 2007 – VA 11/07, ZIP 2008, 83 zur persönlichen Erreichbarkeit und Höchstpersönlichkeit
–
OLG Hamm v. 2. 8. 2007 – 27 VA 1/07, ZIP 2007, 1722; Römermann, EWiR 2008, 27 zur Altersgrenze
–
BGH v. 19. 12. 2007 – IV AR(VZ) 6/070 ZInsO 2008, 207 zu OLG Dresden
Außerdem gibt es wichtige grundlegende Abhandlungen zu der Gesamtthematik: –
Preuß, KTS 2005, 155 ff.
–
Prütting, ZIP 2005, 1097 ff.
–
Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 ff.
–
Graeber, DZWIR 2005, 177 ff.
–
Köhler-Ma, DZWIR 2006, 228 ff. (insbesondere zu Qualitätskriterien)
–
Uhlenbruck, NZI 2006, 489
–
Wieland, ZIP 2007, 462
–
Lüke, ZIP 2007, 701.
–
Uhlmbruck/Mönning, ZIP 2008, 157.
Die umfassendste Kommentierung zu diesem Thema gibt es im Übrigen im Hamburger Kommentar bei § 56, wobei der Bearbeiter allerdings seine Sichtweise, die durchaus umstritten ist, stark in den Vordergrund stellt. Umstritten sind auch die Versuche, die Bewerberflut durch ein Zertifizierungssystem einzudämmen1.
1 Befürwortend vor allem Haarmeyer, ZInsO 2007, 1169; kritisch Bork, ZIP 2007, 793 und 953 sowie Hess, ZIP 2007, 1042.
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§6
Im Kontext der vorgenannten Entscheidungen und Veröffentlichungen ist auch ein Urteil des BGH zu der Frage zu sehen, ob ein Insolvenzverwalter, sei er nun Anwalt oder Wirtschaftsprüfer, in einer anderen Stadt eine Zweigstelle unterhalten darf. Der BGH gestattet dies, wenn die betreffende Person nur dort als Insolvenzverwalter in Erscheinung tritt (beispielsweise auf dem Briefpapier). Der BGH begründet dies mit der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Auffassung, dass die Insolvenzverwaltertätigkeit ein eigener Beruf ist1.
163b
ee) Vorschlagsrechte (1) Schuldner Schlägt der Schuldner bei einem Eigenantrag einen Verwalter vor, so wird der Richter genau prüfen, was das Motiv hierfür ist. Gefährlich ist es, auf keinen Fall den vorgeschlagenen Verwalter einzusetzen. Ist eine derartige Handhabe allgemein bekannt, so könnte der Schuldner mit seinem Vorschlag einen Verwalter ausschließen, den er wegen seiner gründlichen Arbeitsweise aus bestimmten Gründen (bspw. Angst vor Anfechtungsprozessen) gerade nicht haben will.
164
(2) Gläubiger Auch hier könnte der Vorschlag gerade die Ausschaltung bezwecken, so dass eine ausnahmslose Ablehnung nicht erfolgen sollte. Bei Vorschlägen von Großgläubigern ist natürlich zu überlegen, ob hier Abhängigkeiten bestehen oder geschaffen werden sollen2. Wird immer wieder der gleiche Verwalter vorgeschlagen, wird das Gericht besondere Vorsicht walten lassen, vor allem wenn der Vorschlag von gesicherten Gläubigern kommt und die Absicherung noch nicht allzu lange besteht. Schlagen alle oder mehrere Gläubiger einen bestimmten Verwalter vor und befinden sich hierunter auch ungesicherte Anspruchsinhaber, so empfiehlt es sich, im Zweifel dem Vorschlag zu folgen.
165
! Hinweis: Nicht ungeschickt ist es, wenn sich Gläubiger an einen anderen Verwalter wenden und diesen bitten, bei Gericht mit einem Kollegenvorschlag vorstellig zu werden. Führt der sonst häufig eingesetzte Verwalter besondere Gründe auf, weshalb eine bestimmte andere Person eingesetzt werden soll, so wird das Gericht dem im Zweifel folgen, weil sich kein Verwalter erlauben kann, hiermit verfahrensfremde Zwecke zu verfolgen. b) Allgemeine Rechtsstellung Sie ist Gegenstand eines mindestens 100-jährigen Theorienstreits, der für die Praxis wenig bringt3. Am besten erklärt sich das Handeln des Verwalters mit der Amtstheorie, die heute herrschend ist. Hiernach ist der Verwalter Amts1 BGH v. 15. 11. 2004 – II ZR 299/02, ZIP 2005, 163 mit Anmerkung Römermann, EWiR 2005, 449, § 47 WPO. 2 Frind, ZInsO 2002, 745 und 755; Riggert, NZI 2002, 352. 3 Kilger/K. Schmidt, KO, 17. Aufl. 1997, § 6 Anm. 2.
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Rz. 167
Beratung des ungesicherten Gläubigers
treuhänder, der prozessual und materiellrechtlich im eigenen Namen, aber mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse handelt. Es wird auch von objektbezogener Fremdwirkung des Verwalterhandelns, allein auf dem Gesetz beruhend, gesprochen. Auch wenn der Verwalter in viele Verträge kraft Gesetzes eintritt – besonders deutlich im Arbeitsrecht – ist es falsch, den Verwalter als Rechtsnachfolger des Schuldners zu sehen. Genauso falsch ist es, den Verwalter als Vertreter des Schuldners zu behandeln. Eine Klage gegen die Firma X, vertreten durch den Insolvenzverwalter Y, könnte sogar negative prozessuale Konsequenzen haben, wenn der Richter nicht zu einer Umdeutung bereit ist, also davon ausgeht, dass der Falsche verklagt ist. Richtiger Prozessbeteiligter ist alleine die natürliche Person „Y als Insolvenzverwalter der Firma X“. Im Übrigen wird die Rechtsstellung geprägt durch § 80 InsO. Hiernach geht das Recht des Schuldners zur Verwaltung seines Vermögens und Verfügung über einzelne Vermögenswerte mit der Verfahrenseröffnung auf den Verwalter über. Verfügungen, die der Schuldner anschließend noch vornimmt, sind absolut unwirksam. c) Aufgaben aa) Allgemeines 167
Der Verwalter hat, stark vereinfacht, drei Aufgaben: –
Verwaltung des Vermögens;
–
Verwertung des Vermögens;
–
Befriedigung der Gläubiger
und – dies sozusagen als weitere, alles umfassende Aufgabe – hierüber zu berichten sowie Rechnung zu legen. 168
Orientiert man sich an § 1 InsO, kann der Aufgabenbereich auch anders umschrieben werden: Leitgedanke ist hiernach die Gläubigerbefriedigung. Diese kann durch Verwertung und Erlösverteilung erreicht werden; sie kann aber auch auf andere Weise, nämlich durch einen Insolvenzplan, bei dem nicht notwendigerweise liquidiert wird, erfolgen (siehe hierzu § 13 dieses Buches).
169
Alle anderen in Einzelbestimmungen genannten Aufgaben lassen sich diesem Grundschema unterordnen, sei es die –
Sonderaufgabe der Unterhaltszahlung an den Schuldner und seine Angehörigen,
–
die Erstellung eines Insolvenzplans,
–
die Pflicht, Auskünfte zu erteilen,
–
Klarheit bei schwebenden Rechtsverhältnissen zu schaffen,
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Beratung im eröffneten Verfahren
–
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§6
die Masse zu mehren (Anfechtungsansprüche und einen Gesamtgläubigerschaden geltend zu machen), die Masse zu bereinigen (Aussonderungen und Freigaben) und
vieles andere mehr, was auf den ersten Blick nicht zu den Begriffen Verwaltung – Verwertung – Befriedigung zu passen scheint, letztendlich jedoch der Gläubigerbefriedigung dient oder zumindest der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens. Der letztgenannte Gesichtspunkt – Ordnung zu schaffen – darf nicht unterbewertet werden und ist eigentlich als weitere (vierte) Aufgabe anzuführen: Dem Verwalter kommen so genannte öffentliche Aufgaben zu, wie man an sozialgesetzlichen (Unterstützung des Arbeitsamtes sowie der Sozialversicherung) und steuerrechtlichen Bestimmungen sieht.
170
bb) Verwaltung der Masse Zur Verwaltung gehören: –
Sichtung,
–
Sammlung,
–
Sicherung der Masse.
171
Das „Sichten“ ist weit zu sehen: Es geht nicht nur um das Feststellen körperlich vorhandener Vermögenswerte oder um die Erfassung von Forderungen und Rechten. Auch das Unternehmen muss „gesichtet“ werden, um festzustellen, ob entsprechend der Intention des InsO-Gesetzgebers ein Unternehmenserhalt möglich ist. Ähnlich verhält es sich mit den immateriellen Vermögenswerten (Schutzrechten, Firmenwert usw.). Sammlung und Sicherung des Vermögens erfolgt in erster Linie durch Inbesitznahme. (1) Inbesitznahme Bei beweglichen Gegenständen, die sich in Gewahrsam des Schuldners befinden, hat der Verwalter die Möglichkeit, mit einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die Herausgabevollstreckung zu betreiben, wenn der Schuldner die Besitzeinräumung verweigert. Bei der Inbesitznahme eines Hauses oder einer Wohnung ist Folgendes zu beachten: Gegen erwachsene Familienangehörige, die in dem zur Insolvenzmasse gehörenden Haus oder in einer solchen Wohnung leben, muss der Verwalter einen eigenen Räumungstitel erwirken1.
172
Um die Inbesitznahme dauerhaft zu gestalten, kann der Insolvenzverwalter zur Sicherung der Sachen Siegel anbringen lassen, was regelmäßig Aufgabe des Gerichtsvollziehers ist, § 150 InsO. Die Sicherung von Wertgegenständen – gedacht ist in erster Linie an Geld – erfolgt nach § 149 InsO bei einer so genann-
172a
1 LG Trier v. 4. 4. 2005 – 4T4/05, ZInsO 2005, 780.
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§6
Rz. 173
Beratung des ungesicherten Gläubigers
ten Hinterlegungsstelle. So bezeichnet man insbesondere das Konto, das der Verwalter zum Forderungseinzug benutzt. Darüber hinaus sind auch Festgeldkonten einzurichten1. 173
Der Sicherung von Vermögenswerten dient auch die Postsperre, die nach § 99 InsO dann anzuordnen ist, wenn der Verdacht besteht, dass Vermögenswerte verheimlicht werden. Die Anordnung soll erfolgen, „um für die Gläubiger nachteilige Rechtshandlungen des Schuldners aufzuklären oder zu verhindern“. In diesem Zusammenhang sind auch die Sperrvermerke im Grundbuch zu erwähnen, denen Sicherungsfunktion zukommt. (2) Freigabe
174
Sie ist praktisch das Gegenstück zur Inbesitznahme. Für sie besteht dann eine Notwendigkeit, wenn Gegenstände unverwertbar sind oder für die Masse sogar eine Belastung darstellen. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Freigabe kontaminierter Sachen, insbesondere von Grundstücken, die Altlasten aufweisen2. Der Verwalter kann jedoch auch nichtkontaminierten Grundbesitz freigeben, wenn dieser über Wert durch Grundpfandrechte belastet ist. Dies wird vor allem dann geschehen, wenn zusätzlich auch noch hohe Ausgaben anfallen, bspw. durch WEG-Umlagen, ohne dass dem entsprechende Einnahmen (Mieten) gegenüberstehen. Nach dem Insolvenzvereinfachungsgesetz, das seit dem 1. 7. 2007 in Kraft ist, gibt es bei der Insolvenz der Selbständigen eine jetzt in den Absätzen 2 und 3 des § 35 InsO geregelte Freigabemöglichkeit für die Selbständigkeit natürlicher Personen3. Der Insolvenzverwalter muss gegenüber dem Schuldner erklären, ob die selbständige Tätigkeit zur Masse gehören soll, wobei sich eine genaue Festlegung des Freigaberahmens (welche Tätigkeiten und welche hierfür benötigten Gegenstände sollen betroffen sein) empfiehlt. Dafür muss er die Überlegung anstellen, ob die Selbständigkeit für die Masse vorteilhaft ist oder nicht. Der Erklärung liegt demzufolge eine Prognose zugrunde. Komplexe, nicht vorhersehbare Erwerbsmöglichkeiten darf der Insolvenzverwalter nicht aus der Hand geben, um nicht leichtfertig auf Massezuwächse zu verzichten.
174a
Entscheidet er sich für die Zuordnung zur Insolvenzmasse, so haftet die Masse vollumfänglich für die Verbindlichkeiten aus der Selbständigkeit; der Verwalter haftet gemäß § 61 InsO und behält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Erfolgt dagegen die Freigabe, so erhält der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurück. Verbindlichkeiten, die den Ursprung in dieser Selbständigkeit haben, können nur gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden; in diesem Fall gilt § 295 Abs. 2 InsO entsprechend.
174b
Für den Verwalter ist seine Erklärung bindend, eine Rückforderung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kommt nicht in Betracht. Wechselt der Gegenstand der Selbständigkeit, so ist der Entscheidungsprozess erneut einzuleiten. 1 KG v. 18. 6. 2002 – 7 U 96/01, NZI 2002, 497. 2 Einen Überblick über die zur Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters ergangene Rechtsprechung gibt Pape, ZInsO 2002, 453. 3 Zu den Einzelheiten Mäusezahl, Insbüro 2007, 153.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 176
§6
Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO können Gläubigerausschuss oder -versammlung die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters ohne Begründung „korrigieren“, d.h. die Freigabe rückgängig machen. Streitig ist, ob die Freigabe auch in der Gesellschaftsinsolvenz zulässig ist. So vertritt Karsten Schmidt die Auffassung, dass bei einer GmbH deshalb keine Freigabe möglich ist, weil die Insolvenzabwicklung zu einer vollständigen Vermögensliquidation führen soll1. Hierbei übersieht er, dass zwar der Verfahrensabwicklung auch Ordnungsfunktionen zukommen, vorrangiges Ziel jedoch die Gläubigerbefriedigung ist. Diese ist vor allem dann gefährdet, wenn Grundbesitz hoch kontaminiert ist und das Ordnungsamt deshalb den Verwalter als Zustandsstörer in Anspruch nehmen kann. Das Bundesverwaltungsgericht sieht zwar einerseits insoweit eine Entsorgungspflicht als Masseverbindlichkeit – dies soll auch für die Erstattung der Ersatzvornahmekosten gelten –, es gestattet jedoch gleichzeitig dem Verwalter die Freigabe2. Auch der BGH hält eine Freigabe in der Gesellschaftsinsolvenz für zulässig3.
174c
Ist ein Vermögenswert bereits prozessbefangen, so hindert dies die Freigabe nicht. Sie ändert jedoch nach Maßgabe des § 265 ZPO nichts an der Passivlegitimation des beklagten Insolvenzverwalters4.
175
(3) Geschäftsfortführung Schon zu Zeiten der Konkursordnung sahen Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich eine Verwalterpflicht zur einstweiligen Unternehmensfortführung. In der Insolvenzordnung wird die Fortführungspflicht zwar nicht ausdrücklich normiert, sie folgt jedoch aus § 22 Abs. 1 Satz 2, § 157 und § 158 InsO. Sie trifft hiernach zunächst den vorläufigen Insolvenzverwalter (siehe oben Rz. 82 ff.) und zumindest bis zur Gläubigerversammlung auch den endgültigen Verwalter. Damit misst die Insolvenzordnung dem Unternehmen einen Eigenwert zu. Sie will den Gläubigern die Entscheidung überlassen, wie dieser Wert realisiert wird. In Frage kommt eine Sanierung des Schuldnerunternehmens durch einen Insolvenzplan, die so genannte übertragende Sanierung – hierbei findet nur ein Asset Deal statt (siehe dazu § 15 Rz. 17 ff.) – oder aber eine Nutzbarmachung des Unternehmens allein zum Zweck einer geregelten Ausproduktion. Durch eine Unternehmensfortführung entstehen erhebliche Masseverbindlichkeiten. Werden diese nicht durch entsprechende Einnahmen gedeckt, wird der Verwalter der Gläubigerversammlung (zu dieser vgl. im Einzelnen Rz. 249 ff.) empfehlen, eine Stilllegungsentscheidung zu treffen.
1 Kilger/K. Schmidt, KO, 17. Aufl. 1997, § 6 Anm. 4 d) aa); jetzt auch OLG Karlsruhe v. 25. 7. 2003 – 14 U 207/01, ZIP 2003, 1510. 2 BVerwG v. 23. 9. 2004 – 7 C 22.C3, ZInsO 2004, 1206. 3 BGH v. 21. 4. 2005 – IX ZR 281/03, ZInsO 2005, 594. 4 Wessel, EWiR 2002, 727; anders nur für Prozesse über Absonderungsrechte an Grundstücken (Fortführung des Prozesses durch den Insolvenzschuldner ausnahmsweise möglich) Müller, Die echte Freigabe durch den Insolvenzverwalter im Spannungsfeld von gesetzlicher Prozessstandschaft und Parteiwechsel, 2007, S. 169.
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§6 177
Rz. 177
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Will der Insolvenzverwalter vor dem Berichtstermin das Unternehmen des Schuldners stilllegen1, so hat er die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn ein solcher bestellt ist, § 158 Abs. 1 InsO (siehe unten Rz. 234). Vor der Beschlussfassung des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, vor der Stilllegung des Unternehmens hat der Verwalter den Schuldner zu unterrichten, wenn er der Meinung ist, er könne das Unternehmen nicht bis zum Berichtstermin fortführen, § 158 Abs. 2 Satz 1 InsO. Es ist dann Sache des Schuldners, gegen die beabsichtigte Stilllegung mit Hilfe des Gerichtes vorzugehen. Der Rechtspfleger könnte die Stilllegung untersagen, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann, § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO. Häufig ist es auch noch in der Gläubigerversammlung unsicher, ob das Unternehmen auf Dauer fortgeführt werden kann oder – als Alternative – ein Unternehmensverkauf möglich sowie zweckmäßig ist. In vielen Fällen laufen zur Zeit des Berichtstermins noch Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten oder bahnen sich gerade erst an. Denkbar ist auch, dass die Gläubigerversammlung dem Verwalter aufgibt, einen Übernehmer zu suchen, wozu häufig auch Belegschaftsinitiativen dienen. Zur Bedeutung des Unternehmenskaufs in der Insolvenz vgl. § 15 dieses Buches.
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In all diesen Fällen sollte zweckmäßigerweise die Gläubigerversammlung einen Gläubigerausschuss bestellen und die Entscheidung des Verwalters über die Stilllegung, Veräußerung oder Liquidation an dessen Zustimmung binden. Dies hat für den Verwalter auch haftungsrechtliche Bedeutung. Stimmen Gläubigerversammlung und/oder Gläubigerausschuss einer vom Verwalter als notwendig erkannten Stilllegung nicht zu, obwohl die Fortführungsrisiken vom Verwalter konkret dargestellt worden sind, so exkulpiert dies den Verwalter zwar gegenüber den Insolvenzgläubigern, deren Zugriffsmasse durch die unzweckmäßige Betriebsfortführung geringer wird. Im Verhältnis zu den Neugläubigern, also im Bereich der Masseverbindlichkeiten, bleibt jedoch seine Haftung bestehen. Der Verwalter muss nämlich unabhängig von der Entscheidung der Gläubigerversammlung und des Gläubigerausschusses (gleiches gilt auch für eine Entscheidung des Gerichts im Rahmen des § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO) die möglichen Vertragspartner auf die fehlende Deckung hinweisen; diese werden dann von sich aus nicht mehr zu Vertragsabschlüssen bereit sein (zu den insolvenzrechtlichen Haftungstatbeständen der §§ 60, 61 InsO s. Rz. 206 ff.). Beschließt die Gläubigerversammlung entgegen dem Rat des Verwalters eine Betriebsfortführung, die zum Nachteil von Beteiligten führen kann, so ist der Verwalter nicht verpflichtet, das Beschlossene auszuführen. Der Verwalter hat vielmehr nach § 78 InsO zu beantragen, dass das Insolvenzgericht einen derartigen Beschluss der Gläubigerversammlung, der dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht, aufhebt.
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Ähnlich verhält es sich im Verhältnis zum Gläubigerausschuss. Verweigert dieser die Zustimmung zu einer Betriebsstilllegung, so bleibt der Verwalter ge1 Hierzu Spieker, NZI 2002, 472.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 181
§6
genüber den Neugläubigern haftbar, wenn er diese nicht auf die Risiken eines Vertragsabschlusses hinweist. Anstelle seiner Haftung tritt auch nicht etwa eine Haftung der Gläubigerausschussmitglieder; nach dem eindeutigen Wortlaut des § 71 InsO haften diese gerade nicht gegenüber den Massegläubigern, sondern lediglich gegenüber den Absonderungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern. Wenn demgegenüber der Bundesgerichtshof erklärt, der Beschluss des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung habe eine entlastende Wirkung, soweit die Zustimmungsbedürftigkeit reiche und es darum gehe, ob eine vom Verwalter vorgeschlagene zustimmungsbedürftige Maßnahme vertretbar sei1, so gilt dies nur für das Verhältnis des Verwalters zu den Insolvenzgläubigern, nicht im Verhältnis zu den Massegläubiger2. cc) Verwertung der Masse Gemäß § 159 InsO hat der Insolvenzverwalter nach dem Berichtstermin unverzüglich das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten. Dies gilt nicht, soweit Beschlüsse der Gläubigerversammlung entgegenstehen. Hierbei hat der Gesetzgeber vor allem an abweichende Regelungen im Zusammenhang mit einem Insolvenzplan, aber auch unabhängig hiervon an eine Unternehmensfortführung ohne entsprechenden Insolvenzplan gedacht.
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Die Verwertung geschieht mit dem Ziel, hierdurch Geldbeträge zu bekommen, die später an die Gläubiger verteilt werden können. Als Verwertungshandlungen sind zu nennen: –
Unternehmensverkauf;
–
Grundstücksverwertung (freihändig oder durch Versteigerung);
–
Verkauf oder Versteigerung der beweglichen Gegenstände;
–
Forderungseinzug;
–
Realisierung von Gesamtschadensansprüchen und Anfechtungsansprüchen;
–
Verwertung von Rechten, insbesondere Beteiligungen.
Verwertungshandlung im weitesten Sinne ist auch die Nutzung von Massegegenständen, bspw. durch Vermietung, wobei dies immer nur ein vorübergehender Zustand sein kann; letztlich muss der genutzte Gegenstand irgendwann auch abschließend verwertet, also verkauft werden. (1) Unternehmensverkauf Dieser erfolgt regelmäßig im Wege der so genannten übertragenden Sanierung. Man spricht in diesem Fall von einem Asset Deal3. Hierbei werden die verschiedenen Wertgegenstände des Unternehmens en bloc an ein und denselben 1 BGH v. 22. 1. 1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423. 2 Vgl. zur gesamten Problematik Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, §§ 60, 61 Rz. 96 ff. 3 Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO, Bd. 2, 3. Aufl. 2006, § 159 Rz. 27.
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§6
Rz. 182
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Unternehmer zum Zwecke der Betriebsfortführung übertragen. In der Regel sieht dies so aus, dass folgende Werte in einem Gesamtvertrag veräußert werden: –
die Betriebsgrundstücke;
–
der Maschinenpark und sonstige bewegliche Anlagegüter;
–
die Warenvorräte;
–
die Schutzrechte, insbesondere die Patente.
Unüblich ist es, auch die Außenstände zu übertragen, das heißt zu verkaufen, weil diese für eine Betriebsfortführung nicht notwendig sind und eine Globalverwertung immer zu Wertabschlägen führen würde. Die Liquidität, die der Forderungseinzug mit sich bringt, könnte zwar dem Nachfolgeunternehmen helfen. Regelmäßig besorgen sich jedoch Betriebsübernehmer die Liquidität für die Anlaufphase auf andere Weise, bspw. durch einen Bankkredit. Im Rahmen einer übertragenden Sanierung wird auch gelegentlich der Firmenname veräußert, was zumindest bei einer juristischen Person ohne weiteres möglich ist1. So kann sich der Insolvenzverwalter an einer bereits vorhandenen oder zu gründenden Gesellschaft für einen kurzen Zeitraum (bspw. 1 Stunde) beteiligen und hierbei als Mitgesellschafter der Auffanggesellschaft den Namen des schuldnerischen Unternehmens geben, wobei, wenn es nicht mit einer Handelsregistereintragung Schwierigkeiten geben soll, ein Zusatz notwendig sein wird, um die notwendige Unterscheidbarkeit herbeizuführen. Zur Unternehmensveräußerung benötigt der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung, §§ 160, 162, 163 und § 157 InsO (wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf § 15 dieses Buches). (2) Einzelverwertung, Allgemeines 182
Kommt eine Veräußerung des Gesamtbetriebes nicht in Frage, muss eine Einzelverwertung erfolgen. Diese kann auch neben einer Betriebsveräußerung geschehen, wenn nur Teilbetriebe einer übertragenden Sanierung zugeführt werden. Irgendwelchen Beschränkungen unterliegt der Verwalter bei der Verwertung nicht. Er benötigt hierzu insbesondere nicht die Zustimmung eines Gläubigerausschusses. Die Höhe des Kaufpreises liegt in seinem Ermessen. Im Falle einer Verschleuderung kann er haftbar sein. So genannte Insiderverkäufe bedürfen anders als bei einer Betriebsveräußerung nicht der Zustimmung der Gläubigerversammlung. Dennoch sollte sich der Verwalter davor hüten, Verkäufe an nahe stehende Personen vorzunehmen. Die unter Rz. 159 erwähnten Berufsgrundsätze des VID bestimmen in § 8 Nr. 2, dass der Insolvenzverwalter mit Unternehmen, an denen er persönlich unmittelbar oder mittelbar – etwa über Familienangehörige – beteiligt ist, nur kontrahieren darf, wenn diese Beteiligung dem Insolvenzgericht angezeigt wird und das Vertragsverhältnis einem Drittvergleich standhält. Genauso kritisch ist die Überlassung der Sachen 1 Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO, Bd. 2, 3. Aufl. 2006, § 159 Rz. 26.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 184
§6
an eine Verwertungsgesellschaft zu sehen, wenn zu dieser irgendwelche persönlichen Beziehungen bestehen. (3) Immobilienverwertung Üblich ist eine freihändige Veräußerung von Grundbesitz, auch wenn dieser mit Grundpfandrechten belastet ist. Obwohl es hierzu in der InsO keine besondere Regelung gibt, ist der Verwalter gehalten, derartige Verkäufe nur dann vorzunehmen, wenn auch die freie Masse hierdurch Vorteile hat. Der Prozentsatz ist auszuhandeln. In vielen Gegenden ist eine 5%ige Massebeteiligung üblich, von der nur dann nach unten abgewichen wird, wenn es sich um besonders teure Objekte oder um so genannte Paketverkäufe handelt1. Eine Massebeteiligung braucht dann nicht ausgehandelt zu werden, wenn die Valutierung der Grundpfandrechte nicht den Verkaufspreis erreicht, also ohnehin ein Überschuss von mindestens 5% der Masse zufließt.
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Die freihändige Veräußerung von Grundbesitz bedarf nach § 160 InsO der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Ist ein Ausschuss nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. Findet sich für den Grundbesitz trotz zahlreicher Bemühungen kein Käufer, so kann der Insolvenzverwalter die Verwertung auch im Rahmen der Zwangsversteigerung vornehmen, § 165 InsO, §§ 172 ff. ZVG (zum Zwangsversteigerungsverfahren und auch zur Immobilienverwertung im Übrigen vgl. § 7 Rz. 325 ff.). (4) Verwertung beweglicher Gegenstände und Forderungen Nach § 166 InsO darf der Insolvenzverwalter eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten, wenn er die Sache in seinem Besitz hat. Gibt es kein Absonderungsrecht, so hat der Verwalter natürlich erst recht die Befugnis zur freihändigen Verwertung. Bei der Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten sind jedoch bestimmte Regeln zu beachten: So hat der Verwalter dem Absonderungsgläubiger auf dessen Verlangen Auskunft über den Zustand der Sache zu erteilen. Entsprechendes gilt für Forderungen. Insoweit kann der Verwalter dem Gläubiger auch gestatten, Einsicht in die Bücher des Schuldners zu nehmen. Über diese allgemeine Unterrichtung des Gläubigers hinaus muss der Verwalter eine konkrete Veräußerungsabsicht nach § 168 InsO vorher anzeigen. Er hat dem Gläubiger Gelegenheit zu geben, binnen einer Woche auf eine andere, für den Gläubiger günstigere Möglichkeit der Verwertung des Gegenstandes hinzuweisen. Erfolgt ein derartiger Hinweis, so hat der Verwalter die vom Gläubiger genannte Verwertungsmöglichkeit wahrzunehmen. Eine andere Verwertungsmöglichkeit kann auch darin bestehen, dass der Gläubiger den Gegenstand selbst übernimmt, § 168 Abs. 2 InsO. 1 Der Massebeitrag ist der Umsatzssteuer zu unterwerfen, so BFH v. 10. 2. 2005 – VR 31/04, ZInsO 2005, 813 mit kritischer Anmerkung Onusseit.
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Rz. 185
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Die Regeln des § 168 InsO gelten auch bei freiwilligen öffentlichen Versteigerungen. Bietet der Sicherungsgläubiger in einem derartigen Fall seinen Selbsteintritt zu einem bestimmten Kaufpreis an, so ist der Verwalter gehalten, dem Auktionator diesen Betrag zzgl. der Versteigerungskosten als Mindestgebot aufzugeben. Unterlässt der Verwalter dies und wird bei der Versteigerung ein geringerer Erlös erzielt, ist er dem Sicherungsgläubiger in Höhe der Differenz zum Nachteilsausgleich verpflichtet1. 185
Wie sich aus der Formulierung des § 166 InsO ergibt, setzt das eigene Verwertungsrecht des Verwalters den Besitz an der Sache voraus, wobei mittelbarer Besitz genügt2. Verpfändete Sachen unterliegen deshalb nicht seinem Verwertungsrecht, weil der fortdauernde Besitz des Gläubigers gesetzliche Voraussetzung für die Wirksamkeit des vertraglichen Pfandrechts ist. Bei Forderungen ist zu beachten, dass nach dem Gesetzeswortlaut nur Abtretungsfälle – gemeint sind reine Sicherungszessionen – dem eigenen Verwertungsrecht des Verwalters nicht entgegenstehen. Ist die Forderung verpfändet, darf der Verwalter sie nicht einziehen. Teilweise wurde auch die Auffassung vertreten, dass nach der Offenlegung der Zession durch den Absonderungsberechtigten das Verwertungsrecht des Verwalters entfalle. Dies entspricht aber nicht mehr der herrschend vertretenen Rechtsansicht3 (wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf das nachfolgende Kapitel „Beratung gesicherter Gläubiger“). dd) Berichterstattung und Rechnungslegung
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Naturgemäß möchte ein Gläubiger erfahren, wie die Verwaltung und Verwertung der Masse abläuft und welche Befriedigungsaussichten bestehen. Im besonderen Maße gilt dies für ungesicherte Gläubiger, weil sie ihre Befriedigung nicht aufgrund von Sonderrechten, sondern lediglich aus der Masse erwarten können. Mit den weitreichenden Befugnissen eines Insolvenzverwalters korrespondieren deshalb Berichtspflichten. Hierbei ist es für die Gläubiger nicht nur wichtig, allgemein etwas über den Sachstand zu erfahren, sondern auch, wie sich die Verwertung und Verteilung zahlenmäßig niederschlägt. Größtmögliche Transparenz ist deshalb geboten.
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Das Interesse an Berichten besteht vor allem in der Anfangsphase. Deshalb wird die erste Gläubigerversammlung auch Berichtstermin genannt, § 156 InsO. In diesem Termin hat der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten. Er hat darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. § 79 InsO sagt darüber hinaus allgemein, dass die Gläubigerversammlung berechtigt ist, vom Insolvenzverwalter einzelne Auskünfte und einen Bericht über den Sachstand sowie die Geschäftsführung zu verlangen. In der Regel ist 1 OLG Celle v. 20. 1. 2004 – 16 U 209/03, ZInsO 2004, 445. 2 BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZR 135/05, NZI 2007, 95. 3 Häcker, EWiR 2002, 27.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 189
§6
der Bericht mündlich zu erstatten. Der Bericht ist aber auch schriftlich zu den Akten des Gerichtes zu geben. Für die ungesicherten Gläubiger ist es natürlich besonders wichtig, etwas über das Vermögen des Schuldners zu erfahren. Deshalb verlangt die Insolvenzordnung ausdrücklich, dass der Verwalter eine Vermögensübersicht erstellt. Diese hat er spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin in der Geschäftsstelle zur Einsicht niederzulegen, § 154 InsO. Wenn § 79 davon spricht, die Gläubigerversammlung sei berechtigt, vom Insolvenzverwalter „einen“ Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung zu verlangen, so ist dies insoweit etwas missverständlich, als es außer der ersten Gläubigerversammlung, dem Berichtstermin, durchaus noch weitere Versammlungen geben kann. Deshalb kann die erste Versammlung beschließen, dass der Verwalter in der nächsten Versammlung oder zu einem bestimmten Termin einen weiteren Sachstandsbericht vorzulegen hat. Darüber hinaus kann sie – und dies entspricht der allgemeinen Üblichkeit – auch festlegen, dass der Verwalter in regelmäßigen Abständen, bspw. vierteljährlich, einen Sachstandsbericht abzuliefern hat1.
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Hiervon zu unterscheiden ist die Zwischenrechnungslegung. Sie ist ein Unterfall der allgemeinen Rechnungslegung, die in § 66 Abs. 1 InsO erwähnt wird. Hiernach hat der Insolvenzverwalter bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. Ergänzend hierzu sieht Abs. 3 vor, dass die Gläubigerversammlung dem Verwalter aufgeben kann, zu bestimmten Zeitpunkten während des Verfahrens Zwischenrechnung zu legen2. Dies ist völlig unabhängig von den oben erwähnten turnusmäßigen Sachstandsberichten. Was in den Sachstandsberichten und der Vermögensübersicht im Einzelnen zu erwähnen ist, hat der Gesetzgeber nicht festgelegt. Für die Vermögensübersicht gilt generell, dass die Aktiva und Passiva in einer Art Eröffnungsbilanz gegenüberzustellen sind. § 151 Abs. 2 InsO bestimmt darüber hinaus, dass sowohl der Zerschlagungs- als auch der Fortführungswert anzugeben sind. Anknüpfend an § 152 Abs. 2 Satz 1 dürfte es auch notwendig sein, in der Vermögensübersicht die Verbindlichkeiten gegenüber den absonderungsberechtigten Gläubigern und den nachrangigen Gläubigern gesondert aufzuführen. Unabhängig von der Vermögensübersicht sind noch zwei gesonderte Verzeichnisse zu erstellen: –
das Masseverzeichnis, § 151 Abs. 1 InsO und
–
das Gläubigerverzeichnis, § 152 InsO.
Im Gläubigerverzeichnis ist auch die Höhe der Masseverbindlichkeiten wenigstens schätzungsweise anzugeben, § 152 Abs. 3 Satz 2. 1 Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 79 Rz. 8. 2 Zu den Empfehlungen der sog. „Uhlenbruck-Kommision“ in Bezug auf die Änderung des § 66 InsO (Standardisierung und Strukturierung der Verzeichnisse, Tabellen, Berichte und Schlussrechnungen) vgl. das Abschlussprotokoll der Kommission in ZInsO 2007, 760 (763).
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
Die vom Gesetzgeber betonte Stellung der Gläubigerversammlung hinsichtlich der Berichterstattung hat auch eine negative Seite: Wichtig für den Gläubiger: War er bei der Gläubigerversammlung nicht anwesend, so hat sein Interesse an einer laufenden Unterrichtung zurückzutreten1. Deshalb hat er auch keinen Anspruch auf Einzelauskünfte2. Dem einzelnen Gläubiger steht es aber selbstverständlich frei, sich durch Einsicht in die bei Gericht geführten Akten über den Verfahrensstand zu informieren3. Dies wird damit begründet, dass nur der Gläubigerversammlung als Organ und nicht etwa der Gläubigergesamtheit das Informationsrecht zusteht4. Ehricke geht sogar so weit, dem Insolvenzverwalter zu untersagen, den Gläubigern außerhalb der Gläubigerversammlung den Sachstand darzulegen und spezielle Fragen zu beantworten, weil es sonst in der Informationslage der Gläubiger zu einem Ungleichgewicht kommen würde5. Die besondere Bedeutung der Gläubigerversammlung kommt auch in der Rechtsansicht zum Ausdruck, sie könne beschließen, dass bestimmte Fragen aus ihren Reihen nicht gestellt oder vom Insolvenzverwalter nicht beantwortet werden sollen6. Ohnehin gibt es hoch sensible Themen, bspw. die Berichterstattung über laufende Prozesse. Derartige Informationen können für die Gesamtheit der Gläubiger nachteilig sein, insbesondere wenn es sich um Prozesse gegen einzelne Gläubiger handelt, aus denen andere Gläubiger Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten ziehen könnten. Wünscht die Gläubigerversammlung jedoch mit Mehrheit eine entsprechende Information, darf sich der Verwalter nicht auf ein durch die Geheimhaltung zu schützendes Gläubigerinteresse berufen7.
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Die Rechnungslegung des Insolvenzverwalters kann selbstverständlich im Einzelnen überprüft werden. Hierfür ist normalerweise der Gläubigerausschuss im Rahmen seiner Kassenprüfungen zuständig. Ist kein Ausschuss bestellt, so kann die Gläubigerversammlung einen Sachverständigen oder ein einzelnes Mitglied der Gläubigerversammlung beauftragen, die Prüfung vorzunehmen.
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Aus alledem folgt eine wichtige Konsequenz: Die Gläubigerversammlung hat eine überragende Bedeutung für die Berichterstattung und Rechnungslegung. Tipp für den beratenden Anwalt: Es empfiehlt sich deshalb gerade für die ungesicherten Gläubiger, die Termine auch wahrzunehmen. Der Anwalt, der hierauf nicht hinweist, begeht einen Kunstfehler. 1 BGH v. 29. 11. 1973 – VII ZR 2/73, KTS 1973, 106. 2 Die Auskunftspflichten werden auch nicht etwa durch § 51a GmbHG erweitert, zumindest dann nicht, wenn sich das Verlangen auf Zeiträume nach der Insolvenzeröffnung bezieht, BayObLG v. 8. 4. 2005 – 3Z BR 246/04, KTS 2006, 68. 3 Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 79 Rz. 1. 4 Delhaes in Nerlich/Römermann, InsO, § 79 Rz. 2. 5 Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 79 Rz. 5. 6 Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 79 Rz. 9; Delhaes in Nerlich/Römermann, InsO, § 79 Rz. 2. 7 Kübler in Kübler/Prütting, InsO, § 76 Rz. 14.
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Beratung im eröffneten Verfahren
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d) Persönliche Tätigkeit und Hilfskräfte Das Amt des Insolvenzverwalters ist höchstpersönlich und kann nicht, soweit es um insolvenzverfahrenstypische Handlungen geht, durch einen Bevollmächtigten wahrgenommen werden. Verfahrenstypische Tätigkeiten sind folgende: –
Wahrnehmung der Gläubigerversammlung einschließlich Prüfungstermine und Schlusstermin, insbesondere die Abgabe der dort vorgesehenen Erklärungen;
–
Erstellung der Schlussrechnung und des Schlussverzeichnisses;
–
Erklärungen über die Gestaltung noch nicht beendeter Rechtsgeschäfte, § 103 InsO (vgl. § 8 Rz. 10 ff.);
–
Ausübung des Insolvenzanfechtungsrechts (vgl. § 10 Rz. 8);
–
Entscheidung über die Aufnahme von Prozessen1;
–
Entscheidungen über Aus- und Absonderungsrechte2 (vgl. § 7 Rz. 17 ff. und 135 ff.);
–
schriftliche Erklärungen zu angemeldeten Forderungen.
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Deshalb ist es auch unzulässig, dass ein Verwalter eine Generalvollmacht oder eine beschränkte Vollmacht zur Erledigung der oben genannten höchstpersönlichen Aufgaben erteilt. Natürlich kann sich der Verwalter zuarbeiten lassen. Ob dies durch eigene Mitarbeiter oder durch solche des schuldnerischen Unternehmens geschieht, liegt im Ermessen des Verwalters3. e) Arbeits- und steuerrechtliche Stellung aa) Arbeitgeberfunktionen Die Regelung des § 80 InsO hat die Konsequenz, dass der Schuldner nicht mehr hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse aktiv- und passivlegitimiert ist. Vielmehr rückt der Verwalter in den gesamten Rechts- und Pflichtenkreis des schuldnerischen Arbeitgebers ein. Er ist an die bei Insolvenzeröffnung vorgefundene arbeitsrechtliche Rechtslage gebunden4. Hierbei ist der rechtsdogmatische Streit, ob der Verwalter eine eigene Arbeitgeberstellung hat, von untergeordneter Bedeutung5. Derartige Grundsatzfragen könnten sich in der Praxis auch eher bei dem vorläufigen Insolvenzverwalter (siehe oben Rz. 91) auswirken. Instruktiv ist hierzu ein Urteil des LAG Düsseldorf6. Die Auseinandersetzung über die arbeitsrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters hat im Übrigen nichts mit dem Theorienstreit um die Rechtsstellung 1 LG Stendal v. 20. 1. 1999 – 25 T 353/98, ZInsO 1999, 233 (235). 2 A. A. LAG Schleswig-Holstein v. 14. 1. 1988 – 6 Sa 400/87, ZIP 1988, 250. 3 Zu den kostenmäßigen Konsequenzen vgl. Graeber in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 56 Rz. 112. 4 BGH v. 6. 5. 1965 – II ZR 217/62, NJW 1965, 1585. 5 Heinze, NJW 1980, 145. 6 LAG Düsseldorf v. 24. 8. 2001 – 18 Sa 671/01, ZInsO 2001, 1022 (1024); vgl. auch Besprechung von Berscheid, ZInsO 2001, 989.
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
des Insolvenzverwalters (siehe oben Rz. 166) zu tun. Unabhängig davon, welcher Ansicht man folgt, also auch wenn man richtigerweise die Amtstheorie zugrunde legt, wird man bspw. nicht sagen können, dass bei der Einstellung eines Arbeitnehmers durch den Insolvenzverwalter mit der Beendigung des Amtes auch das Arbeitsverhältnis endet; es dauert in jedem Fall auch nach der Aufhebung des Verfahrens fort und bindet dann den Schuldner1. (Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf § 11 des Handbuches.) bb) Steuerrechtliche Stellung 195
Da der Schuldner nach § 80 InsO mit der Insolvenzeröffnung das Recht verliert, das zur Masse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, ist es nur konsequent, bei dem Insolvenzverwalter alle steuerlichen Rechte und Pflichten, jedenfalls soweit sie die Masse betreffen, anzusiedeln. Dementsprechend bestimmt § 34 Abs. 3 AO, dass ein Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen hat. Dies kommt auch in § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO zum Ausdruck. Gleichzeitig wird im ersten Satz der genannten Bestimmung festgehalten, dass die handelsund steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt bleiben.
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Hieraus ergibt sich folgende Konsequenz: Soweit die Besteuerungsgrundlagen (Umsätze und Gewinne) zur Insolvenzmasse gehören, tritt der Verwalter an die Stelle des Schuldners. Dementsprechend hat er auch die Körperschaftsteuererklärung abzugeben. Nicht seinem Pflichtenkreis – sondern demjenigen des Schuldners – sind dagegen zuzurechnen die Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns einer Personengesellschaft2. Die Bereiche können sich auch in anderer Weise ergänzen: Erzielt der Schuldner während des Insolvenzverfahrens insolvenzfreie Einkünfte, so hat sich der Verwalter hierzu nicht zu erklären. Schuldner und Verwalter müssen vielmehr getrennte Erklärungen abgeben3. Nach § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr. Der Verwalter hat jedoch nicht nur für dieses Rumpfgeschäftsjahr und für die anschließenden dann wieder vollen Geschäftsjahre Erklärungen abzugeben. Vielmehr beziehen sich seine Pflichten auch auf die vor der Insolvenzeröffnung liegenden Jahre, soweit für diese noch keine Steuererklärungen abgegeben wurden. Im Übrigen müssten Zwangsmittel nach den §§ 328 ff. AO gegen den Insolvenzverwalter festgesetzt werden, wenn er die ihn hinsichtlich der Masse treffenden Verpflichtungen nicht erfüllt. Er haftet auch nach § 69 AO4. Schließlich
1 Heinze, ArbuR 1976, 33 (36). 2 Maus in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 80 Rz. 44. 3 Zur Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters siehe auch Janca, ZInsO 2002, 715. 4 BFH, BStBl. II 1995, 230.
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können bei ihm durch Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten auch eigenständige steuerrechtliche Straftatbestände entstehen1. f) Überwachung und Entlassung Der Insolvenzverwalter steht unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts, § 58 Abs. 1 Satz 1 InsO. Das Gericht kann jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung von ihm verlangen, § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO. Eines Anlasses, der Aufsichtspflicht nachzukommen, bedarf es nicht.
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Von der Insolvenz betroffene Gläubiger haben nur begrenzt Einfluss darauf, ob und in welcher Weise das Gericht seiner Aufsichtspflicht nachkommt. Sucht der Gläubiger einen Anwalt auf, weil er der Meinung ist, der Insolvenzverwalter käme seinen Pflichten nicht nach, so empfiehlt es sich, zunächst einmal die Vorfrage zu klären, ob
198
–
das Verhalten des Verwalters nur eine rein zivilrechtliche Bedeutung hat, ob also die Streitfragen durch das ordentliche Gericht zu entscheiden sind. In diesem Fall sollte das Insolvenzgericht nicht eingeschaltet werden.
–
Anders verhält es sich, wenn der Insolvenzverwalter verfahrensspezifische Pflichten verletzt, vor allem wenn der Masse insgesamt ein Schaden droht. In diesem Fall könnten Aufsichtsmaßnahmen beantragt – oder besser gesagt angeregt – werden.
Für den beratenden Anwalt stellt sich im Übrigen nach Durchführung der erwähnten „zivilrechtlichen Vorprüfung“ die Frage, welche allgemeinen Pflichten verletzt sein könnten. Der Wortlaut des § 58 InsO hilft weniger weiter als derjenige des § 60 InsO, in dem es um die Haftung des Insolvenzverwalters geht. Deshalb soll im Vorgriff auf die unter den Rz. 206 ff. noch zu erörternden Haftungsfragen aufgeführt werden, welche Pflichten den Verwalter „nach diesem Gesetz obliegen“; so § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO wörtlich. Zunächst einmal enthält das Gesetz eine Reihe von Aufgaben (Pflichten), die der Verwalter speziell gegenüber dem Gericht hat: –
Berichterstattung;
–
Beantwortung von Anfragen des Gerichts;
–
Niederlegung des Inventars/der Vermögensübersicht bei Gericht;
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Vorlage der Tabelle;
–
Rechnungslegung.
Darüber hinaus sind im Gesetz noch weitere allgemeine Aufgaben, die den Verfahrensablauf betreffen, festgehalten: –
Pflicht zur Inbesitznahme der Masse, § 148 InsO;
1 Zur steuerrechtlichen Beratung des Mandanten findet sich in § 11 dieses Buches eine eigenständige Abhandlung.
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Beratung des ungesicherten Gläubigers
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Verwertungspflicht, § 159 InsO;
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Erstellung der Verzeichnisse nach den §§ 151–154 InsO;
–
Führung der Insolvenztabelle, §§ 174 f. InsO;
–
Forderungsprüfung, §§ 176 f. InsO;
–
Aufnahme von Aktiv- und Passivprozessen, §§ 85, 86 InsO;
–
Ausübung des Wahlrechts bei gegenseitigen Verträgen, §§ 103 ff. InsO;
–
Geltendmachung von Anfechtungsrechten, §§ 129 ff. InsO;
–
Kündigung von Verträgen, bspw. §§ 109, 113, 120 InsO;
–
Verteilung der Verwertungserlöse an die Gläubiger, §§ 187 ff. InsO.
Auch soweit diese Bereiche betroffen sind, hat das Insolvenzgericht kein uneingeschränktes Aufsichtsrecht. Häufig spielen Zweckmäßigkeitsfragen eine Rolle; insoweit darf das Gericht nicht eingreifen. Vom Grundsatz her ist es originäre Aufgabe des Insolvenzverwalters, zu entscheiden, ob eine konkrete Handlung vorgenommen wird. Dies gilt bspw. auch dann, wenn der Verwalter für einen Rechtsstreit einen bestimmten Anwalt beauftragt und ihm hierfür Gebühren bezahlt. Ob etwas derartiges sinnvoll war, hat nicht das Gericht zu entscheiden1. Auch in die Betriebsfortführung darf das Gericht nicht eingreifen, es sei denn, diese dient lediglich dem Schuldner und bringt für die Gläubigerbefriedigung keine Vorteile2. 201
Erfüllt der Verwalter eine der oben genannten Verpflichtungen nicht, so kann das Gericht nach vorheriger Androhung Zwangsgeld gegen ihn festsetzen, § 58 Abs. 2 Satz 2 InsO. Führt dies nicht weiter oder ist die Pflichtverletzung so gravierend, dass ein Zwangsgeld eine zu geringe Reaktion wäre oder muss sofort gehandelt werden, kommt als weitere Aufsichtsmaßnahme des Gerichts die Entlassung des Insolvenzverwalters in Frage.
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Nach der Konkursordnung konnte das Gericht nur bis zur ersten Gläubigerversammlung von sich aus eine Entlassung vornehmen. Danach war ein Antrag der Gläubigerversammlung notwendig. Dies hatte den Nachteil, dass dem Gericht die Hände gebunden waren, wenn bestimmte begünstigte Gläubiger in der Versammlung eine Entlassung ablehnten, auch wenn eindeutig feststand, dass der Verwalter wichtige Pflichten verletzte, die vielleicht nur die „Mehrheitsgläubiger“ nicht berührten.
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Nunmehr ist das Entlassungsrecht wesentlich weiter gefasst. Die Entlassung kann erfolgen: –
auf Antrag des Verwalters;
–
auf Antrag des Gläubigerausschusses;
–
auf Antrag der Gläubigerversammlung;
1 LG Freiburg v. 20. 3. 1980 – 9 T 22/80, ZIP 1980, 438. 2 LG Wuppertal v. 29. 7. 1957, KTS 1958, 45.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
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Rz. 205
§6
von Amts wegen1.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Gericht selbst dann den Verwalter aus seinem Amt entlassen kann, wenn eine extra hierzu einberufene Gläubigerversammlung die Entlassung abgelehnt hat. Ein einzelner Gläubiger kann im Übrigen nicht einen Entlassungsantrag stellen. Ein derartiger Antrag müsste als unzulässig zurückgewiesen werden. Das Gericht ist jedoch gehalten, einen derartig unzulässigen Antrag als Anregung zur Entlassung von Amts wegen umzudeuten. Zumindest müsste das Gericht den Gläubiger auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch eine Gläubigerversammlung hinweisen. Was ist ein wichtiger Grund im Sinne des § 59 InsO? Es sollen hier nur einzelne Beispiele genannt werden, die für die Beratungspraxis Bedeutung haben könnten. So ist ein denkbarer Entlassungsgrund: –
eine schwerwiegende Erkrankung oder sonstige offensichtliche Unfähigkeit aus dem persönlichen Bereich des Verwalters2;
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Bevorzugung einzelner Gläubiger oder Gruppen von Gläubigern;
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Nichtanzeige einer bestehenden Interessenkollision3;
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Verschiebung von Vermögensgegenständen unter Wert;
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Prozessführung lediglich mit dem Ziel, die Entnahme von Gebühren nach der BRAGO zu ermöglichen4;
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Vermischung der Massegelder mit eigenem Geld;
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Untreuehandlung aufgrund von Vertragsgestaltungen, bei denen das wirtschaftliche Risiko einseitig die Insolvenzmasse trifft5.
204
Anschaulich ist hierzu eine Entscheidung des AG Göttingen über die Entlassung des Insolvenzverwalters. Dieses nahm einen wichtigen Grund im Sinne des § 59 InsO an, weil der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit den Geschäftsbetrieb fortführte, ohne Neumasseverbindlichkeiten zu befriedigen, Berichte erst nach Festsetzung eines Zwangsgeldes erstattete und weil der von der Gläubigerversammlung in Auftrag gegebene Insolvenzplan nach 18 Monaten immer noch nicht vorlag6. Das Insolvenzgericht hat, wenn einer der oben genannten Gründe oder ein ähnliches Verhalten vorgebracht wird, zum einen den Insolvenzverwalter anzuhören, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO und zum anderen sämtliche klärungsbedürftigen 1 Einen allgemeinen Überblick hierzu gibt Schmittmann, NZI 2004, 239. 2 Uhlenbruck, EWiR 1995, 1091. 3 BGH v. 24. 1. 1991 – IX ZR 250/89, ZIP 1991, 324; OLG Zweibrücken v. 31. 5. 2000 – 3 W 94/00, NZI 2000, 373. 4 Hierzu LG Mönchengladbach v. 20. 2. 1998 – 2 S 337/97, NZI 1999, 327; Berufsgrundsätze des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. (VID), abgedruckt in ZIP 2006, 2147. 5 BGH v. 11. 7. 2000 – 1 StR 93/00, ZInsO 2000, 662 (663). 6 AG Göttingen v. 21. 2. 2003 – 74 IN 114/01, NZI 2003, 268 (269); a. A. LG Göttingen v. 4. 7. 2003 – 10 T 37/03, ZIP 2003, 1760 m. Anm. Holzer, EWiR 2003, 933.
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205
§6
Rz. 205a
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Punkte selbst zu ermitteln, unter Umständen auch durch Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters oder eines Sachverständigen1, wobei Graeber die Auffassung vertritt, dass bei einer ungeklärten Haftungslage nur ein Sachverständiger und nicht ein Sonderverwalter zu bestellen sei2. Der Beschluss, mit dem die Entlassung verfügt oder abgelehnt wird, ist zu begründen. Mit der Entlassung ist sofort ein neuer Insolvenzverwalter zu bestellen, weil immer ein Amtsträger vorhanden sein muss. Gegen die Entlassung steht dem Verwalter die sofortige Beschwerde zu, § 59 Abs. 2 Satz 1 InsO. Gegen die Ablehnung des Antrags steht jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu, wenn die Gläubigerversammlung den Antrag gestellt hat (§ 59 Abs. 2 Satz 2 InsO). Der Entlassungsentscheidung muss eine Güterabwägung vorausgehen, wobei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist. Da es sich bei der Entlassung um eine einschneidende Maßnahme handelt, sind besonders hohe Anforderungen an die Prüfung des Grundes zu stellen3. Das Gericht muss von der dringenden Notwendigkeit der Entlassung überzeugt sein4, anderenfalls käme auch die Anordnung einer Sonderverwaltung als weniger einschneidende Maßnahme in Frage5. 205a
Streitig ist, wer für die o.g. Aufsichtsmaßnahmen innerhalb des Gerichts zuständig ist, der Richter oder der Rechtspfleger6. Ist wirklich der Rechtspfleger in der Lage, den Verwalter zu entlassen, so könnte er die Einsetzung eines bestimmten Verwalters, die der Richter vorgenommen hat, korrigieren, wenn er der Ansicht ist, es sei ein unfähiger Verwalter ausgewählt worden.
205b
Darüber hinaus sieht § 57 InsO die Möglichkeit einer Wahl eines anderen Insolvenzverwalters durch die Gläubiger vor, allerdings nur in der ersten Gläubigerversammlung. Mit dieser Thematik haben sich in den letzten Jahren verschiedene Autoren und Gerichte befasst7. Graeber weist dabei auf die eingeschränkten Möglichkeiten des Insolvenzgerichts hin, die Bestellung des so neu gewählten Insolvenzverwalters zu versagen. Danach kann die Bestellung des neu gewählten Insolvenzverwalters nur versagt werden, wenn dieser nicht die erforderliche Fachkunde, Organisation sowie Unabhängigkeit vom Schuldner als auch von einzelnen Gläubigern auf1 AG Karlsruhe v. 25. 11. 1982 – N 243/74, ZIP 1983, 101 (102); Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 59 Rz. 7. 2 Graeber, DZWIR 2007, 256. 3 Mäusezahl in Graf-Schlicker, InsO, 1. Aufl. 2007, § 59 Rz. 4. 4 Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 59 Rz. 4 f. 5 Hierzu Lüke, ZIP 2004, 1693; LG Wuppertal v. 26. 8. 2005 – 6 T 508/05, ZIP 2005, 1747 mit Anmerkung Berg-Grünenwald, EWiR 2006, 173 sowie BGH v. 1. 2. 2007 – IX ZB 45/05, ZIP 2007, 548 und zur Frage der Rechtsmittelmöglichkeit des Insolvenzverwalters (verneinend) BGH v. 25. 1. 2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 547. 6 Zu den Entlassungskriterien LG Göttingen v. 4. 7. 2003 – 10 T 37/03, ZIP 2003, 1760 und Holzer, EWiR 2003, 933; zur Zuständigkeit für die Anordnung der Sonderverwaltung vgl. Lüke a.a.O. 7 Vgl. Graeber, ZIP 2000, 1465 ff.; Muscheler/Bloch, ZIP 2000, 1474; Smid/Wehdeking, InVo 2001, 81 ff.
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Beratung im eröffneten Verfahren
§6
Rz. 207
weist1. Nicht ausreichend für die Versagung ist der Beweggrund der Gläubiger, den bisherigen Insolvenzverwalter „abzustrafen“. Das OLG Naumburg hält darüber hinaus § 57 InsO für eine Spezialregelung, auf die § 78 InsO nicht anwendbar sei2. Im Übrigen hat der abgewählte Verwalter kein Beschwerderecht, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt, wegen Masseunzulänglichkeit seien die Insolvenzgläubiger in Wahrheit nicht betroffen3. In diesem Zusammenhang hat das OLG Celle festgestellt, dass ein von der Gläubigerversammlung nach § 57 Satz 1 InsO neu gewählter Verwalter dann nicht zu ernennen sei, wenn schon bei seiner Ernennung feststehe, dass aufgrund einer Vorbefassung mit Teilen des Insolvenzverfahrens und der Tätigkeit in anderen Verfahren mit wirtschaftlich gegenläufigen Interessen möglicherweise Interessenkollisionen drohen, die den neu gewählten Verwalter für das Amt untauglich machen4. Das Änderungsgesetz sieht seit dem 1. 12. 2001 vor5, dass die andere Person gemäß § 57 InsO nur dann gewählt ist, wenn neben der in § 76 Abs. 2 InsO genannten Summenmehrheit auch die Kopfmehrheit erreicht ist. Somit wird die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters erschwert. Eine Verwalterabwahl durch einzelne Großgläubiger ist nicht mehr möglich. g) Haftung Der Insolvenzverwalter ist allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach diesem Gesetz obliegen. Er hat für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen, § 60 Abs. 1 InsO.
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aa) Insolvenzspezifische Haftung und geschützter Personenkreis, § 60 InsO Durch die Erwähnung von Pflichten, die dem Verwalter nach der Insolvenzordnung obliegen, gibt der Gesetzgeber zu verstehen, dass er nicht jede Pflichtverletzung als Haftungsgrund im Sinne des § 60 InsO ansieht. Er knüpft hiermit an eine grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs an6, die wiederum auf Überlegungen von Lüke in seinem Buch „Die persönliche Haftung des Konkursverwalters“ beruht7. Welche Pflichten der Verwalter nach der Insolvenzordnung hat, ist bereits oben unter Rz. 198 ff. erwähnt. Bei der Behandlung der Verwalterhaftung ist zusätzlich darauf abzustellen, wer geschädigt ist, ob also
1 Hierzu BGH v. 22. 4. 2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 1113 und Bork, ZIP 2006, 58 gegen Paulus, ZIP 2005, 2301. 2 OLG Naumburg v. 26. 5. 2000 – 5 W 30/99, ZIP 2000, 1394 = EWiR 2000, 683. 3 BGH v. 7. 10. 2004 – IX ZB 128/03, ZIP 2004, 2341 = InVo 2005, 48. 4 OLG Celle v. 23. 7. 2001 – 2 W 41/01, EWiR 2001, 1153 = ZInsO 2001, 755 ff.; vgl. die Berufsgrundsätze des VID, abgedruckt in ZIP 2006, 2147. 5 Vgl. ZIP 2000, 1688. 6 BGH v. 4. 12. 1986 – IX ZR 47/86, ZIP 1987, 115. 7 Lüke, Die persönliche Haftung des Konkursverwalters, München 1986.
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§6
Rz. 208
Beratung des ungesicherten Gläubigers
ein Gesamtschaden oder ein Einzelschaden vorliegt. Es geht also um den geschützten Personenkreis. 208
Die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den Verwalter kann die Masse und damit Schuldner und Gläubiger als Gesamtheit schädigen. Dann spricht man von einem Gesamtschaden. Zu diesem kommt es, wenn der Verwalter – grob vereinfacht – seine Pflicht zur –
Inbesitznahme,
–
Verwaltung und
–
Verwertung
der Masse verletzt. Welche Einzelpflichten hierzu gehören, ergibt sich aus dem oben unter Rz. 198 ff. erwähnten Katalog. 209
Bei der Inbesitznahme der Masse wird die Pflichtverletzung regelmäßig in einem Unterlassen liegen. Besonderes Augenmerk verdienen insoweit die unterlassenen Prozesse: Übersehen deliktischer Ansprüche wegen Schädigung der Masse, nicht rechtzeitig erhobene Anfechtungsklagen, Nichtbeachtung einer evtl. Geschäftsführer- oder Gesellschafterhaftung. Hinsichtlich der Erhaltung der Masse wird es vor allem um nicht gesicherte oder versicherte Sachen gehen. Der Verwalter darf der Masse aber auch nicht dadurch Werte entziehen und die Insolvenzquote mindern, dass er pflichtwidrig unberechtigte Forderungen anerkennt. Auch Fehler bei der Behandlung von Steuerangelegenheiten können zu einer ersatzpflichtigen Masseschmälerung führen. Am häufigsten werden Masseschädigungen durch eine unzweckmäßige Betriebsfortführung vorkommen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass zunächst einmal sogar eine Verpflichtung zur Betriebsfortführung besteht. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die obigen Ausführungen unter Rz. 176 ff. Was schließlich die Verwertung der Masse angeht, so könnte ein zu langes Zögern zu Schäden führen, aber auch eine unzweckmäßige Verwertungsart. Der Verwalter ist gehalten, genau zu prüfen, ob eine Einzelverwertung oder eine Gesamtverwertung, bspw. durch Veräußerung des Betriebes, den höheren Erlös bringt. Hierbei darf er sich auch keineswegs von einseitigen Arbeitnehmerinteressen leiten lassen, das heißt vor allem nicht dem Druck der Öffentlichkeit, der Presse, der Gewerkschaft und des Betriebsrates in Richtung einer kritiklosen Betriebsfortführung nachgeben.
210
211
Wenn es um die Haftung für Einzelschäden geht, so ist zu fragen, wer im Einzelfall schützenswert ist. Allgemein gesehen sind dies die –
Massegläubiger,
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Insolvenzgläubiger,
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Aus- und Absonderungsberechtigten sowie
–
der Schuldner.
Bei Massegläubigern ist wiederum zu unterscheiden zwischen schon vorhandenen Massegläubigern und solchen, die erst durch eine Rechtshandlung des Ver600
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 212a
§6
walters zu Massegläubigern werden. Dies kann bei Betriebsfortführungen der Fall sein. Diesen gegenüber sah der Bundesgerichtshof nach altem Recht die Haftung stark eingeschränkt. Jetzt ist dies eine Thematik des § 61 InsO, die weiter unten in den Rz. 215 ff. zu behandeln sein wird. Die Rechtsprechung nahm auch eine Haftung gegenüber dem Prozessgegner an, wenn ein Rechtsstreit leichtfertig ohne Prüfung der Erfolgsaussichten und vor allem ohne Rückendeckung durch eine entsprechende Masse geführt worden war1. Auch insoweit zeichnet sich jetzt eine Trendwende ab. Der BGH sieht den Prozessgegner nicht als durch § 60 InsO geschützt an und verweist auf das allgemeine Lebensrisiko, das immer besteht, wenn jemand durch eine mittellose Person verklagt wird2. Später hat der gleiche Senat noch einmal zum Ausdruck gebracht, dass die Insolvenzordnung keine Verpflichtung des Verwalters begründet, vor der Erhebung einer Klage oder während des Verfahrens die Interessen des Prozessgegners an einer Erstattung seiner Kosten zu berücksichtigen3. Im Einzelfall kann jedoch § 826 BGB Anwendung finden4. Im Übrigen kann es zu einer Haftung gegenüber Massegläubigern kommen, wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit unrichtig anzeigt, sei es, dass sie überhaupt nicht gegeben ist, sei es, dass sie zu spät angezeigt worden ist (hierzu unten Rz. 350 ff.). In derartigen Fällen muss jedoch im Einzelfall genau geprüft werden, ob wirklich ein Schaden vorliegt (am ehesten noch bei einer verspäteten Anzeige)5. Was die Haftung gegenüber einzelnen Insolvenzgläubigern angeht, so könnten Pflichtverletzungen bei der Erstellung des Schlussverzeichnisses vorkommen; denkbar ist auch ein Verstoß gegen den Grundsatz gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung.
212
Da der Verwalter die dinglichen Rechte der Aus- und Absonderungsberechtigten zu beachten hat6, kommen auch in diesem Bereich Ersatzpflichten in Frage, so bspw. wenn ein Gegenstand unberechtigterweise zur Masse gezogen worden ist (zu der Rechtsstellung als Aus- und Absonderungsberechtigter s. § 7 Rz. 17 ff. und 135 ff.). Voraussetzung für eine Inanspruchnahme des Verwalters ist eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts oder eine falsche Beurteilung der Rechtslage. Die Haftung gegenüber dieser Gläubigergruppe kommt im Übrigen in Frage, wenn Zahlungseingänge falsch behandelt worden sind, der Verwalter insbesondere einen Scheck eingelöst hat, der erkennbar für einen
212a
1 Zu den insolvenzspezifischen Pflichten bei der Prozessführung siehe insbesondere Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 60 Rz. 26 ff. 2 BGH v. 26. 6. 2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 (179) = NZI 2001, 533 (534 ff.); hierzu auch Pape, ZIP 2001, 1701. 3 BGH v. 2. 12. 2004 – IX ZR 142/03, ZIP 2005, 131; zum grundsätzlichen Problem siehe auch Berger, KTS 2004, 185 sowie Adam, DZWIR 2006, 321. 4 Hierzu OLG Düsseldorf v. 20. 3. 2002 – 15 U 100/97, DZWIR 2003, 33 mit Anm. Wellensiek. 5 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 60 Rz. 19. 6 Vgl. hierzu BGH v. 25. 1. 2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539; Leibner, KTS 2005, 75.
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§6
Rz. 213
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Dritten bestimmt war1. Das LG Stendal erkennt auch in der verzögerten Auszahlung des Verwertungserlöses nach § 170 InsO einen Haftungsfall2. Auch Geldforderungen können Gegenstand der Aussonderung sein, so dass die unbefugte Einziehung der Forderung eines Dritten zur Haftung führen kann, wenn der Verwalter das Geld mit der Masse vermischt und später Masseunzulänglichkeit eintritt3. 213
In der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. 6. 2001 ist auch die Frage untersucht worden, ob unabhängig von der insolvenzrechtlichen Haftung eine solche nach den Grundsätzen der unerlaubten Handlung besteht4. Darüber hinaus kommen auch vertragliche oder quasi vertragliche Haftungen in Frage5.
213a
Der besondere Haftungstatbestand der c. i. c.-Haftung wird vom BGH selbst für den Fall verneint, dass ein Verwalter pflichtwidrig eine erkennbar nicht gedeckte Masseverbindlichkeit begründet6. Auch sebstständige Garantieversprechen werden inzwischen von der Rechtsprechung konstruiert, um fehlende Massemittel auszugleichen, so das Arbeitsgericht Essen7. Dem tritt Gruber entgegen8 und verweist insbesondere auf das fehlende Eigeninteresse des Insolvenzverwalters als Indiz gegen eine Garantieerklärung.
214
Der Anwalt hat bei der Gläubigerberatung auch die Verschuldensfrage zu untersuchen. Hierzu ist auf die Begründung des Regierungsentwurfs zu verweisen, wonach die Sorgfaltsanforderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts nicht unverändert auf den Insolvenzverwalter übertragen werden können. Die Besonderheiten einer Insolvenz sind zu berücksichtigen, vor allem die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter von heute auf morgen mit einem ihm völlig unbekannten Unternehmen konfrontiert wird, er dort häufig weder eine ordnungsgemäße Buchführung noch taugliche Auskunftspersonen vorfindet. Umgekehrt steht der Verwalter vor der Notwendigkeit, gerade in der Anfangszeit sofort zu handeln. Dies schränkt das Verschulden stark ein. Eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung kann ihm nur vorgeworfen werden, wenn er eine ausreichende Einarbeitungszeit hatte.
214a
Der Anwalt, der für seinen Mandanten Haftungsfragen überprüft, hat sich auch mit der Frage zu befassen, welche Auswirkungen die persönliche Haftung auf 1 OLG Hamm v. 13. 7. 1993 – 27 U 85/93, MDR 1993, 1075; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 60 Rz. 23; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350. 2 LG Stendal v. 7. 3. 2002 – 22 S 208/01, ZIP 2002, 765; a. A. Runkel, EWiR 2002, 587 und BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 ff. 3 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 13. 4 BGH v. 26. 6. 2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NZI 2001, 533. 5 Zu den Einzelheiten siehe Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, §§ 60, 61 Rz. 72 ff. 6 BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZR 114/01, ZVI 2005, 373: auch hier primär nur die Massehaftung; a. A. OLG Rostock v. 4. 10. 2004 – 3 U 158/03, ZIP 2005, 220; Ferslev, EWiR 2005, 313. 7 ArbG Essen v. 18. 5. 2004 – 2 (4) Ca 34/04, DZWIR 2005, 67. 8 Gruber, Anmerkung zu ArbG Essen v. 18. 5. 2004 – 2 (4) Ca 34/04, DZWIR 2005, 67.
602
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 216
§6
die Haftung der Masse hat. Meines Erachtens haftet die Insolvenzmasse analog § 31 BGB auch für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters. Es besteht eine gleichstufige Verpflichtung von Masse und Verwalter im Sinne einer Gesamtschuldnerschaft1. Der BGH verneint in diesem Zusammenhang eine Subsidiarität der Verwalterhaftung2, was nicht so richtig zum Schadensbegriff passen will. Einen anderen Gesichtspunkt zeigt eine ältere Entscheidung des OLG Hamm auf: Die Haftung des Verwalters sei dann ausgeschlossen, wenn die Gläubigerversammlung einem bestimmten Verhalten zugestimmt hat3, eine Rechtsauffassung, die dogmatisch etwas bedenklich ist; richtigerweise darf die Zustimmung nur bei der Prüfung der Verschuldensfrage berücksichtigt werden4. Unsicherheiten gibt es hinsichtlich der Frage, ob ein Arbeitnehmer den Verwalter vor dem ordentlichen Gericht5 oder vor dem Arbeitsgericht verklagen muss. Der BGH hat jetzt entschieden, dass, jedenfalls wenn es um eine Haftung nach § 61 InsO geht, der Arbeitsrechtsweg gegeben ist6.
214b
bb) Sonderregelung des § 61 InsO Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Masse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadensersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde.
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Mit dieser Gesetzesformulierung sollte der rechtsdogmatische Streit über die Frage, ob auch gegenüber einem Neumassegläubiger eine insolvenzspezifische Haftung besteht, entschieden werden, und zwar vom Ansatzpunkt her zugunsten dieser Gläubigergruppe. Das Gesetz stellt also fest, dass auch bei Eingehung neuer Verbindlichkeiten insolvenzspezifische Pflichten verletzt werden können. Der Verwalter hat in diesem Fall zu prüfen, inwieweit er mit einer Erfüllung im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit rechnen kann. Der Zeitpunkt des Schadenseintritts im Sinne von § 61 Satz 1 InsO liegt damit bei Eintritt der Fälligkeit der Forderung. Ist der Verwalter zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, die Forderung mit Massemitteln zu erfüllen, so ist der dann eintretende Schaden zu ersetzen. Dies wurde im Jahre 2003 durch das OLG Hamm bestätigt7. Es kommt laut OLG nicht darauf an – wie zum Teil vertreten wird8 –, ob die For-
216
1 2 3 4 5 6 7 8
Pape, EWiR 2004, 117. BGH v. 1. 12. 2005 – IX ZR 115/01, ZIP 2006, 194; Pape, EWiR 2006, 179. OLG Hamm v. 18. 3. 1999 – 27 U 209/07, EWiR 1999, 849, § 82 KO. Im Übrigen findet sich ein guter Überblick über die aktuellen Haftungsfragen in ZInsO 2005, 691 ff. (Meyer-Löwy pp). So Balle, EwiR 2004, 505, § 1 KSchG. BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZB 57/06, ZIP 2007, 94; Weitzmann, EWiR 2007, 343. OLG Hamm v. 28. 11. 2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 (151); OLG Hamm v. 16. 1. 2003 – 27 U 45/02, NZI 2003, 263 (264); hierzu kritisch Weinbeer, AnwBl. 2004, 48. Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 61 Rz. 7.
Runkel
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§6
Rz. 216a
Beratung des ungesicherten Gläubigers
derung zu einem späteren Zeitpunkt aus der Masse ganz oder teilweise erfüllt werden kann. 216a
Der BGH hat das Urteil des OLG Hamm aufgehoben1 und kommt bei der Haftungsfrage zu folgenden grundsätzlichen Festlegungen: Zunächst einmal weist der BGH darauf hin, dass genau zwischen Ansprüchen nach § 60 InsO und solchen nach § 61 InsO zu unterscheiden ist. Die Bestimmungen haben nicht das gleiche Rechtsschutzziel. Es handelt sich vielmehr um alternative Klagebegehren mit unterschiedlichem Streitgegenstand. Im Übrigen hebt das Gericht hervor, dass es für die Haftung entscheidend ist, wann eine Masseverbindlichkeit „begründet“ worden ist, was vor allem bei Dauerschuldverhältnissen Bedeutung hat. So besteht bei vor Insolvenz begründeten Dauerschuldverhältnissen keine Haftung für Ansprüche, die in den Monaten vor dem frühest möglichen Beendigungszeitpunkt des Vertrages entstehen. Daher kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Verwalter Arbeitnehmer während der auslaufenden Kündigungsfrist freigestellt hat, ihnen also die Möglichkeit gegeben hat, Arbeitslosengeld zu erhalten. Denn damit würde nur eine „Gläubigerverschiebung“ eintreten, und es ist nicht Rechtsschutzziel der Haftungsnormen, einen Gläubiger gegenüber einem anderen zu begünstigen. Schließlich weist der BGH auch darauf hin, dass § 61 InsO nur einen Anspruch auf das negative Interesse gewährt2. Vorstände und Geschäftsführer haften auch nur auf das negative Interesse. Der BGH fragt deshalb zu Recht, weshalb ausgerechnet der Insolvenzverwalter das Erfüllungsinteresse ausgleichen soll. Deshalb geht die Haftung auch immer nur auf den Nettobetrag3. Nicht nur infolge dieser grundlegenden BGH-Entscheidung ist bereits jetzt mit einer differenzierten Rechtsprechung zu rechnen. Äußerst instruktiv ist ein Urteil des LG Dresden4. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Verpflichtung des Insolvenzverwalters, den Betrieb grundsätzlich bis zur ersten Gläubigerversammlung fortzuführen, zu einer Haftungseinschränkung führen muss, vor allem im Verhältnis zu den Haftungsgrundsätzen, die nach der KO entwickelt worden sind. Der Insolvenzverwalter befindet sich in einer Pflichtenkollision; ein zu strenger Maßstab wäre fortführungsschädlich.
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Von zentraler Bedeutung ist die Beweislastregel in § 61 Satz 2 InsO. Die fehlende Erfüllung der vom Verwalter begründeten neuen Masseverbindlichkeit führt zur Vermutung eines schuldhaften Pflichtverstoßes, der von dem Verwalter durch den Nachweis widerlegt werden kann, dass die Nichterfüllbarkeit nicht erkennbar war5. Er darf sich hierbei jedoch nicht auf die Liquiditätspläne des Schuldners verlassen, sondern muss eigene Ermittlungen anstellen, zumal 1 BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107; noch einmal bekräftigt am 17. 12. 2004 – IX ZR 185/03, InVo 2005, 222. 2 Hierzu Deimel, ZInsO 2004, 783. 3 BGH v. 3. 11. 2005 – IX ZR 140/04, NZI 2006, 99; das BAG sieht die Rechtslage genauso, vgl. BAG v. 19. 1. 2006 – 6 AZR 600/04, ZIP 2006, 1058. 4 LG Dresden v. 5. 3. 2004 – 10 O 3672/03, ZIP 2004, 2016; hierzu Runkel, EWiR 2005, 229. 5 Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 61 Rz. 6; zur Einschränkung der Beweislast Berger/Frege, ZIP 2008, 204.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 219
§6
er auch generell verpflichtet ist, zu überprüfen, ob die Fortführung oder die Liquidation des Unternehmers für die Masse günstiger ist1. Vor diesem Hintergrund versteht sich auch eine Entscheidung des OLG Celle. Der Entlastungsbeweis nach § 61 Satz 2 InsO kann durch einen den schuldnerischen Betrieb fortführenden Verwalter, der sich auf die nach einer fehlerhaft erstellten Zwischenbilanz scheinbar gute Ertragslage der Schuldnerin verlassen hat, nur erfolgreich geführt werden, wenn dieser konkret darlegt und beweist, welche Zahlen in der Zwischenbilanz falsch waren und wie die zutreffenden Zahlen gelautet hätten. Nicht zu genügen vermag damit der bloße Hinweis, dass er kein Prophet sei und sich auf die Richtigkeit der durch den Steuerberater der Gemeinschuldnerin gefertigten Zwischenbilanz verlassen habe. Deswegen ist davon auszugehen, dass er seiner Verpflichtung, ständig zu kontrollieren, ob die Masse voraussichtlich ausreichen wird, die Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, nicht nachgekommen ist2. Pape sieht dieses Urteil im Einklang mit der herrschenden Ansicht, infolge derer der Verwalter den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nur erfolgreich führen kann, wenn er seine Betriebsfortführung auf der Basis eines Liquiditätsplanes durchführt, den er ständig aktualisiert und fortschreibt3. Der Auffassung, der Verwalter könne sich bei seiner Planung grundsätzlich auf die Angaben des Schuldners und seiner leitenden Angestellten verlassen4, muss nach Pape entgegengetreten werden (zu § 61 InsO s. auch § 14 Rz. 116 ff.). cc) Haftung für Dritte Der Verwalter hat für das Verschulden solcher Personen einzustehen, derer er sich bei der Erfüllung seiner insolvenzspezifischen Pflichten bedient5.
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Soweit ein Verwalter zur Erfüllung seiner Pflichten Angestellte des Schuldners im Rahmen ihrer bisherigen Tätigkeiten einsetzen muss und diese Angestellten nicht offensichtlich ungeeignet sind, hat der Verwalter ein Verschulden dieser Personen nicht gemäß § 278 BGB zu vertreten, sondern ist nur für deren Überwachung und für Entscheidungen von besonderer Bedeutung verantwortlich. Diese Gesetzesformulierung des § 60 Abs. 2 InsO geht offensichtlich davon aus, dass der Verwalter eigenes, verlässliches Personal einsetzt. In diesem Fall gilt immer die allgemeine Regel des § 278 BGB.
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Erst wenn der Verwalter Personal des Schuldners einsetzt, wird seine Haftung eingeschränkt. Auf derartige Personen ist der Verwalter vor allem bei der Fortführung des Unternehmens angewiesen. Zu fragen ist allerdings immer, ob er im Einzelfall wirklich diese Mitarbeiter einsetzen musste und ob sie nicht offensichtlich ungeeignet sind. Hierbei spielt sicherlich eine Rolle, ob die aus dem Unternehmen stammende Person für den Eintritt der Insolvenz verant-
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OLG Karlsruhe v. 12. 11. 2002 – 12 U 112/02, ZIP 2003, 267. OLG Celle – 16 U 204/02, ZInsO 2003, 334 (335) m. Anm. Pape, EWiR 2003, 333 (334). Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 61 Rz. 4; Pape, EWiR 2003, 334 (335). Kind in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 61 Rz. 9. Lüke, EWiR 2002, 29.
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§6
Rz. 220
Beratung des ungesicherten Gläubigers
wortlich war, so dass es für den Insolvenzverwalter außerordentlich gefährlich ist, den Geschäftsführer einer GmbH weiter zu beschäftigen. dd) Verjährung 220
Der Anspruch auf Ersatz des Schadens, der aus einer Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters entstanden ist, verjährt nach § 62 InsO in drei Jahren. Die Frist beginnt mit Kenntnis von dem Schaden sowie den Umständen, die die Ersatzpflicht begründen. Ist durch die Pflichtverletzung des Verwalters ein einzelner Beteiligter betroffen, so kommt es auf dessen Kenntnis an. Bei einem Gesamtschaden könnte § 92 InsO greifen: Der neu bestellte Insolvenzverwalter oder ein Sonderinsolvenzverwalter muss die Ansprüche geltend machen; in diesem Fall kommt es auf dessen Kenntnis an. Im Einzelfall wird es schwierig sein zu entscheiden, wann die Kenntnis eingetreten ist. Da § 62 InsO der Regelung des § 852 BGB nachgebildet ist, kann auf die dort entwickelten Grundsätze verwiesen werden. So ist es im Rahmen der Haftung nach dem BGB anerkannt, dass für den Beginn der Verjährungsfrist nicht die Kenntnis des Schadenherganges in allen Einzelheiten erforderlich ist. Es reicht vielmehr aus, dass es dem Geschädigten möglich ist, eine hinreichend aussichtsreiche Feststellungsklage zu erheben1. h) Vergütung und Auslagen
221
Der Insolvenzverwalter hat Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen, § 63 Satz 1 InsO2. Die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des Verwalters werden durch das Insolvenzgericht festgesetzt. Neu geregelt wurde, dass die festgesetzten Beträge nicht mehr zu veröffentlichen sind. In der amtlichen Bekanntmachung ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der vollständige Beschluss in der Geschäftsstelle eingesehen werden kann. Nur die Mitglieder des Gläubigerausschusses erhalten den vollständigen Vergütungsbeschluss. Sie dürfen ihn jedoch nicht Dritten – also auch nicht den Gläubigern, die sie vertreten oder die sie kennen – weitergeben. Dies wäre ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht. Die Einzelheiten zur Vergütungshöhe sind in der insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom 19. 8. 1998 geregelt. Diese sieht ebenso wie die Vergütungsverordnung von 1960 einen bestimmten Regelsatz vor, der auf der Grundlage des Wertes der Insolvenzmasse im Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung zu ermitteln ist. Auch die neue Vergütungsverordnung kennt Zu- und Abschläge. Weiterhin ist in der Verordnung unter anderem auch das Recht zur Vorschussentnahme (mit Zustimmung des Insolvenzgerichts) geregelt, wobei gegen die Versagung der Genehmigung zur Entnahme eines Vorschusses aus der Insolvenzmasse ein Rechtsmittel möglich ist3.
1 BGH v. 26. 11. 1987 – IX ZR 162/82, BGHZ 102, 246 (249). 2 Nicht bei Erschleichen der Verwalterbestellung, BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214. 3 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZB 53/02, NZI 2003, 31.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 221d
§6
Schon lange hatte es Kritik gegeben an der nicht kostendeckenden Mindestvergütung, die seit In-Kraft-Treten der Kostenänderungsregelung des § 26 Abs. 2 InsO (1. 12. 2001) große praktische Bedeutung hat. Der BGH ist den Argumenten der Insolvenzverwalter nur insoweit gefolgt, als er die entsprechende Bestimmung in der Vergütungsverordnung für die Zeit ab 1. 1. 2004 als verfassungswidrig einstuft1 und den Verordnungsgeber auffordert, bis zum 1. 10. 2004 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen, und zwar rückwirkend2. Tatsächlich ist am 4. 10. 2004 eine neue Vergütungsverordnung in Kraft getreten, die jedoch bei weitem nicht die Anforderungen erfüllt, die der Bundesgerichtshof genannt hat. Die Mindestvergütung für Verbraucherinsolvenzverfahren ist nur auf 600,00 Euro festgelegt worden. Selbst bei einer Vergütungshöhe in den masselosen so genannten IN-Verfahren bleibt der Verordnungsgeber hinter den Vorstellungen des BGH zurück; hier soll die Mindestvergütung 1 000,00 Euro betragen. Eingebaut worden sind allerdings Erhöhungsfaktoren für die Fälle, in denen mehr als fünf Gläubiger vorhanden sind3. Wie zu erwarten war, stößt die Neuregelung auf Kritik, so am deutlichsten von Blersch4.
221a
Der BGH eröffnet aber zwischenzeitlich Erhöhungsmöglichkeiten, so bei der Fortführung einer Gaststätte5. Einschlägig ist § 13 InsVV und die dortige Formulierung „in der Regel“. Die teilweise in der Literatur vertretene Ansicht, es dürfe nur nach unten abgewichen werden, hält der BGH für falsch.
221b
Umgekehrt ist der BGH nicht umzustimmen, soweit in der Literatur gegen die Zeitgrenze 1. 1. 2004 Bedenken angemeldet worden sind6. Er lehnt für Treuhänder, die vor dem 1. 1. 2004 in einem masselosen Verbraucherinsolvenzverfahren bestellt worden sind, eine Ausdehnung seiner Rechtsprechung ab7. Eine gewisse Entlastung für die Insolvenzverwalter ist jedoch dadurch eingetreten, dass der BGH in den Kleinverfahren den Verwaltern das Recht zubilligt, die Steuerberatungsarbeiten wegzugeben und hierfür einen Vorschuss aus der Staatskasse anzufordern8. Der BGH verlangt allerdings von dem Verwalter, dass er zunächst versucht, das Finanzamt dazu zu bewegen, keine Steuererklärungen abzufordern. Außerdem sieht der BGH die Erstattungspflicht nur dann, wenn die Tätigkeit etwas schwieriger gelagert ist9.
221c
Gegen den Vergütungsbeschluss steht dem Verwalter, dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu. § 567 Abs. 2 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend (§ 64 Abs. 3 InsO).
221d
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Kritisch zu dieser Zeitgrenze Prütting/Ahrens, ZIP 2004, 1162. BGH v. 15. 1. 2004 – IX ZB 96/03, ZIP 2004, 417 m. Anm. Runkel, BGHR 2004, 633. Text abgedruckt in DZWIR 2004, 456. Blersch, ZIP 2004, 2311. BGH v. 24. 5. 2005 – IX ZB 6/03, ZVI 2005, 388. Pawlowski, KTS 2004, 229 ff.; jetzt auch BVerfG v. 31. 8. 2005 – 1 BvR 628/05, ZIP 2005, 1697. 7 BGH v. 20. 1. 2005 – IX ZB 134/04, InVo 2005, 269 mit Anmerkung Rendels, EWiR § 13 InsVV a. F., 609. 8 BGH v. 22. 7. 2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1717. 9 Hierzu auch Gerke und Sietz in NZI 2005, 373.
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§6
Rz. 222
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Diese Regelung wird hinsichtlich der Gläubiger eingeschränkt durch eine Entscheidung des BGH1, wonach kein Rechtsschutzinteresse besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde sicher ist, dass der beschwerdeführende Gläubiger nicht einmal teilweise Befriedigung seiner Forderung erwarten kann. Die Beschwerdebefugnis entfällt i. Ü. nur dann, wenn rechtskräftig festgestellt wird, dass dem (vermeintlichen) Gläubiger die zunächst angemeldete Forderung nicht zusteht.
4. Bestellung eines Gläubigerausschusses a) Allgemeines – vorläufiger und endgültiger Ausschuss 222
Jeder Anwalt, der einen ungesicherten Gläubiger berät, muss darauf hinweisen, dass ein Gläubigerausschuss gebildet werden kann. Er sollte zu einer Mitwirkung raten. Die Ausschusstätigkeit verschafft nämlich gerade dem ungesicherten Gläubiger Informationen, die gesicherte Gläubiger wegen ihrer häufig engen Verbindung zum Schuldner schon regelmäßig auf andere Weise bekommen. Das Gesetz unterscheidet zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Gläubigerausschuss. Der vorläufige Ausschuss wird von dem Insolvenzgericht eingesetzt, der endgültige Ausschuss durch die Gläubigerversammlung.
223
Problem: Streitig ist, ob auch schon im Eröffnungsverfahren ein Ausschuss eingesetzt werden kann2. Das Gesetz schweigt sich hierzu aus; es erklärt lediglich, dass das Insolvenzgericht vor der ersten Gläubigerversammlung einen Ausschuss einsetzen kann, § 67 Abs. 1 InsO. Der Wortlaut steht deshalb einer sofortigen Einsetzung nicht entgegen. Argumentiert wird allerdings, die Gläubigerautonomie setze erst mit der Verfahrenseröffnung ein3. Hierbei wird allerdings übersehen, dass das Vorverfahren keineswegs „gläubigerfrei“ ist. Gerade wenn die Einleitung eines Verfahrens auf einen Gläubigerantrag zurückzuführen ist, spricht alles dafür, auch schon Gläubiger in diesem frühen Stadium offiziell zu beteiligen. Auf diese Weise erhält der vorläufige Insolvenzverwalter in diesem wichtigen ersten Verfahrensteil nicht nur Informationen vom Schuldner, sondern auch von Gläubigerseite. Die InsO wollte die Gläubigerautonomie stärken und hat auch die Möglichkeit geschaffen, die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis schon in diesem frühen Stadium auf einen vorläufigen Verwalter übergehen zu lassen. In diesem Fall, aber auch wenn der Schuldner noch nach außen tätig werden kann, sind im Eröffnungsverfahren häufig wichtige Entscheidungen zu treffen, bei denen der vorläufige Verwalter der Unterstützung und der Abdeckung seiner Entscheidungen durch Gläubiger bedarf.
1 BGH v. 7. 12. 2006 – IX ZB 1/04, ZIP 2007, 647. 2 Vgl. Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373. 3 Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 145.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 226
§6
Die Gerichte verhalten sich, was die Einsetzung eines Ausschusses im Vorverfahren angeht, zurückhaltend. Veröffentlicht sind bisher nur zwei bejahende Entscheidungen1. Soweit die Gerichte im Vorverfahren noch keinen Ausschuss einsetzen, helfen sich häufig Verwalter damit, zumindest die Großgläubiger zu inoffiziellen Sitzungen zusammenzurufen, um sicher zu sein, dass sie bei zum Teil schon frühzeitig notwendigen „Weichenstellungen“ später auch Mehrheiten bei offiziellen Versammlungen haben. Dies zeigt, dass auch ein praktisches Bedürfnis für einen Ausschuss im Vorverfahren besteht. b) Rechtsstellung des Ausschusses und seiner Mitglieder Der Gläubigerausschuss ist ein selbständiges Organ der Gläubigergesamtheit und unterliegt bei seinem Handeln weder der Kontrolle durch das Insolvenzgericht noch derjenigen durch die Gläubigerversammlung. Diese könnte lediglich eine Abwahl vornehmen, nicht jedoch für zukünftige Entscheidungen irgendwelche Vorgaben machen oder getroffene Entscheidungen aufheben. Ohnehin hat die Ausschusstätigkeit keine unmittelbaren Außenwirkungen. Der Vollzug der Abwicklungsmaßnahmen bleibt immer dem Insolvenzverwalter vorbehalten. Der Ausschuss hat vielmehr die allgemeine Aufgabe, den Verwalter zu unterstützen und zu überwachen, § 69 Satz 1 InsO, und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen Entscheidungen des Verwalters zuzustimmen oder geplante Maßnahmen abzulehnen.
224
Von der Rechtsstellung des Ausschusses ist diejenige der einzelnen Ausschussmitglieder zu unterscheiden2. Wer Mitglied werden kann, sagt indirekt das Gesetz. Nach § 67 Abs. 2 InsO sollen folgende Gruppen vertreten sein:
225
–
absonderungsberechtigte Gläubiger,
–
Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen,
–
Kleingläubiger,
–
Vertreter der Arbeitnehmer.
Zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch Personen bestellt werden, die keine Gläubiger sind, § 67 Abs. 3 InsO. Im Übrigen liegt die endgültige Entscheidung immer bei der Gläubigerversammlung. Sie beschließt: –
ob überhaupt ein Gläubigerausschuss eingesetzt werden soll,
–
bejahendenfalls, ob ein evtl. schon existierender Ausschuss beibehalten werden soll,
–
ob bereits vom Gericht bestellte Mitglieder abzuwählen sind und andere oder zusätzliche Mitglieder den Ausschuss besetzen sollen.
1 AG Köln v. 29. 6. 2000 – 72 IN 178/00, ZInsO 2000, 406; AG Duisburg v. 20. 6. 2003 – 62 IN 167/02, NZI 2003, 502. 2 Einen guten Überblick hierzu liefert Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373.
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§6
Rz. 227
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Anders als das Gericht ist die Gläubigerversammlung nicht an die Soll-Zusammensetzung des § 67 Abs. 2 gebunden1. Auch bei der Entscheidung über die Größe des Gläubigerausschusses ist die Gläubigerversammlung frei. Deshalb kann auch ein Zweier-Ausschuss eingesetzt werden, obwohl dies wegen des Mehrheitsprinzips unzweckmäßig ist. Ein Einer-Ausschuss ist dagegen unzulässig2. Nach oben ist die Zahl der Mitglieder zwar rechtlich nicht beschränkt; es sollten jedoch aus Praktikabilitätsüberlegungen übergroße Ausschüsse vermieden werden. 227
Die Mitgliedschaft beginnt mit der Annahme des Amtes3 und endet regelmäßig mit der Aufhebung des Verfahrens nach § 259 InsO. Für den vorläufigen Ausschuss gilt die Besonderheit, dass sein Amt durch die Wahl des endgültigen Ausschusses endet, und zwar auch dann, wenn der Personenkreis identisch ist. Das Amt endet individuell durch –
Niederlegung,
–
Abwahl,
–
Entlassung aufgrund Gerichtsbeschluss,
–
Tod.
Eine Niederlegung ist nicht jederzeit und vor allem nicht ohne wichtigen Grund möglich4. Eine Abwahl ist auch nur insoweit möglich, als das Gericht das Gläubigerausschussmitglied bestellt hat. Die in der ersten Gläubigerversammlung gewählten Mitglieder können anschließend nicht wieder abgewählt werden. Dies folgt aus der Regelung des § 70 InsO, der statt einer Abwahl nur eine Entlassung auf Antrag der Gläubigerversammlung vorsieht. Diese Entlassung muss aber durch das Insolvenzgericht erfolgen5 und setzt einen wichtigen Grund voraus6. Dies zeigt, dass die Gläubigerversammlung selbst kein eigenes Abwahlrecht hat7. Was ist aber ein wichtiger Grund, der zur Entlassung führen kann? Laut BGH8 die Begünstigung eines einzelnen Insolvenzgläubigers zum Nachteil der Übrigen. Dies sieht auch das AG Göttingen so9. Anders ist die Situation, wenn lediglich eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu anderen Verfahrensbeteiligten vorliegt; dann ist keine Entlassung möglich10. 1 Frege, NZG 1999, 478 (481); a. A. Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 68 Rz. 4. 2 LG Neuruppin v. 13. 10. 1997 – 5 T 271/97, ZIP 1997, 2130. 3 Hierzu LG Duisburg v. 29. 9. 2003 – 7 T 203/03 – 7 T 235/03, ZIP 2004, 729. 4 Gundlach/Frenzel/Schmidt, InVo 2003, 49; Pöhlmann in Graf-Schlicker, InsO, 1. Aufl. 2007, § 70 Rz. 2. 5 AG Wolfratshausen v. 15. 11. 2002 – 1 IN 194/01, ZInsO 2003, 96. 6 BGH v. 15. 5. 2003 – IX ZB 448/02, ZInsO 2003, 560; s. auch Vallender, FS Kirchhof, S. 507 ff. 7 Frege, NZG 1999, 478 (480). 8 BGH v. 15. 5. 2003 – IX ZB 448/02, ZInsO 2003, 560. 9 AG Göttingen v. 11. 8. 2006 – 71 N 90/94, ZIP 2006, 2048, hierzu Runkel, EWiR 2007, 57. 10 BGH v. 1. 3. 2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 229
§6
Mitglieder können sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen sein1.
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Hegmanns vertritt die Auffassung, dass es mit der Pflicht zur persönlichen Wahrnehmung des Amtes im Gläubigerausschuss unvereinbar ist, die Mitgliedschaft einer juristischen Person zuzulassen2. Dieser Meinung sind auch viele Insolvenzgerichte. Sie sehen hierbei vor allem praktische Probleme, insbesondere die Gefahr mangelnder Kontinuität in der Zusammensetzung des Ausschusses. Hierbei wird jedoch übersehen, dass eine juristische Person ihrer Pflicht zur persönlichen Wahrnehmung des Amtes durch den gesetzlichen Vertreter nachkommen kann. Genauso gut kann aber auch der Ausschuss selbst festlegen, wer zu entsenden ist. Ohnehin ist es in Ausschüssen üblich, Vertretungsregelungen zu treffen, weil es auch bei einer natürlichen Person persönliche Verhinderungen geben kann. Im Übrigen kann der juristischen Person das Amt nach § 70 InsO entzogen werden, wenn sie ständig wechselnde Vertreter schickt, die nicht informiert sind. Sieht man die Bestellung einer juristischen Person als zulässig an, so können damit auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, bspw. die Bundesanstalt für Arbeit zum Ausschussmitglied bestellt werden3. Entscheidend ist alleine, ob es sich wirklich um eine „Person“ handelt. Deshalb kann eine Behörde wie das Finanzamt nicht Mitglied werden4. Wird eine Behörde dennoch bestellt, so ist dieser Akt nichtig; das „Scheinmitglied“ ist nicht stimmberechtigt. Denkbar ist es hingegen, einen Mitarbeiter der Behörde in den Ausschuss zu wählen5. Nach der Konkursordnung durfte das Gericht nur einen Gläubiger zum Ausschussmitglied bestellen, die Gläubigerversammlung jedoch auch einen Dritten. Nach der Insolvenzordnung wird dieser Unterschied nicht mehr gemacht. Besonders geeignete außen stehende Personen sollen vielmehr schon vor der Gläubigerversammlung die Möglichkeit haben, in einem Ausschuss mitzuwirken. Auch wenn die Gläubigereigenschaft jetzt nach dem Gesetz nicht mehr entscheidend ist, so scheiden dennoch bestimmte Personen als Mitglieder aus, bspw. der Schuldner. Das Gleiche muss für Gesellschafter zumindest dann gelten, wenn sie persönlich haftend sind6. Streitig ist in diesem Zusammenhang
1 Letzteres wurde auch schon unter Geltung der KO angenommen, vgl. BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46; OLG Köln v. 1. 6. 1988 – 13 U 234/87, ZIP 1988, 992; Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 87 Rz. 5. 2 Hegmanns, Der Gläubigerausschuss, S. 110. 3 Kübler in Kübler/Prütting, InsO, § 67 Rz. 23. 4 BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46. 5 OLG Köln v. 1. 6. 1988 – 13 U 234/87, ZIP 1988, 992. 6 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 67 Rz. 3.
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§6
Rz. 230
Beratung des ungesicherten Gläubigers
die Frage, ob auch ein Beirats- oder Aufsichtsratsmitglied der Schuldnerin eingesetzt werden kann. Dies wird ganz überwiegend verneint1. c) Aufgaben aa) Allgemeine Befugnisse 230
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Sie haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einsehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen, § 69 InsO. Die Formulierung zeigt, dass bei den Aufgaben und Befugnissen auf das einzelne Mitglied des Ausschusses abgestellt wird. Es gibt jedoch Fälle, in denen die InsO auch vom Gläubigerausschuss als Kollektiv spricht, so bei der Ausübung von Verfahrensrechten und bestimmter Mitwirkungsbefugnisse. Deshalb bedarf es zur Ausübung der Rechte des Ausschusses im Regelfall eines Beschlusses dieses Gremiums. Natürlich ist der Ausschuss so souverän, die Aufgabenverteilung durch eine Geschäftsordnung zu regeln (vgl. Rz. 235 ff.). Einzelnen Mitgliedern können bestimmte Aufgaben zugewiesen werden, wie bspw. die Kassenprüfung.
231
Der Ausschuss nimmt seine Aufgaben unabhängig von der Gläubigerversammlung wahr. Er untersteht auch nicht der Aufsicht des Gerichtes. Bezeichnenderweise kann das Gericht zwar Beschlüsse der Gläubigerversammlung aufheben, nicht aber solche des Gläubigerausschusses. Der Ausschuss ist auch keineswegs Hilfsorgan des Verwalters2. Im Gegenteil, er hat sogar – im Verhältnis zum Verwalter – weiter gehende Rechte als das Gericht. Während dieses gegenüber dem Verwalter nur eine Rechtsaufsicht ausübt, ist dem Gläubigerausschuss eine Zweckmäßigkeitskontrolle gestattet. Sie steht im Mittelpunkt seiner Aufgaben. bb) Aufgaben im Einzelnen Hier sind drei Bereiche zu unterscheiden:
232
–
verfahrensrechtliche Aufgaben,
–
Überwachungsaufgaben,
–
Mitwirkungsbefugnisse.
Zu den verfahrensrechtlichen Aufgaben gehören: –
das Recht, die Einberufung der Gläubigerversammlung zu beantragen, § 75 Abs. 1 Ziff. 2 InsO;
–
die Entlassung des Verwalters zu beantragen, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO;
1 Verneinend mit guten Argumenten Gößmann in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 67 Rz. 22; Kind in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 67 Rz. 11; Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 67 Rz. 5; a. A. AG Hamburg v. 15. 12. 1986 – 65 N 771/86, ZIP 1987, 386. 2 A. A. OLG Schleswig v. 27. 5. 1986 – 1 W 207/86, ZIP 1986, 930.
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Beratung im eröffneten Verfahren
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Rz. 235
§6
zu bestimmen, bei welcher Stelle und zu welchen Bedingungen Geld hinterlegt oder angelegt wird, § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO.
Das Überwachungsrecht konkretisiert sich wie folgt:
233
Der Ausschuss hat das Recht, vom Verwalter Auskunft, Bericht und Rechnungslegung zu verlangen1. Er darf Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Verwalters nehmen. Damit verbunden ist besonders das Recht auf Kassenprüfung. Wenn § 69 Satz 2 InsO in diesem Zusammenhang davon spricht, die Mitglieder des Ausschusses hätten den Geldverkehr und Geldbestand „prüfen zu lassen“, so bedeutet dies nicht, dass zwingend ein Dritter eingeschaltet werden müsste. Vielmehr soll nur die Möglichkeit eröffnet werden, einen Dritten zu beauftragen. Ein weiteres wichtiges Überprüfungsrecht betrifft die Schlussrechnung des Verwalters, § 66 Abs. 2 Satz 2. In zahlreichen Einzelbestimmungen sind schließlich die Mitwirkungsbefugnisse geregelt. Sie betreffen unter anderem die Unterhaltsgewährung an den Schuldner, § 100 Abs. 2 InsO, sowie generell die Zustimmung zu Rechtshandlungen des Verwalters von zentraler Bedeutung. Nach § 160 InsO geht es vor allem um die –
Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens;
–
Veräußerung eines Betriebes;
–
Veräußerung des ganzen Warenlagers;
–
Veräußerung eines Grundstücks;
–
Aufnahme eines die Masse erheblich belastenden Darlehens;
–
Führung oder vergleichsweise Beendigung eines Rechtsstreits.
234
An anderer Stelle festgelegt ist die Mitwirkungspflicht bei –
der Stilllegung des Unternehmens vor dem Berichtstermin, § 158 InsO;
–
Verteilungen, § 187 Abs. 3 Satz 2 InsO, insbesondere bei Abschlagsverteilungen, § 195 InsO.
Schließlich hat der Ausschuss auch besondere Mitwirkungspflichten im Insolvenzplanverfahren. Außerdem ist der Vergütungsbeschluss gemäß § 64 Abs. 2 dem Gläubigerausschuss zuzustellen, obwohl weder dieser selbst noch seine Mitglieder das Recht haben, hiergegen Beschwerde einzulegen. Dies darf vielmehr nur der einzelne Gläubiger. Sind die Ausschussmitglieder Gläubiger, prüfen sie den Vergütungsbeschluss nicht nur; sie können auch in ihrer Gläubigereigenschaft Beschwerde einlegen. d) Beschlussfassungen Sie erfolgen entweder in einer Sitzung oder schriftlich, in dringenden Fällen auch telefonisch. Förmliche Sitzungen sind also nicht notwendig, wenn auch regelmäßig zweckmäßig. Die Insolvenzordnung gibt bis auf die Regelung zur 1 Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 69 Rz. 2.
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§6
Rz. 236
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Abstimmung keine Formvorschriften vor. Gelegentlich wird empfohlen, sich an den Formvorschriften des Aktienrechts und beim Stimmrechtsausschluss sich zusätzlich an den Regeln des BGB und des GmbHG zu orientieren. 236
237
Bei größeren Verfahren gibt sich der Gläubigerausschuss gelegentlich eine Geschäftsordnung, insbesondere dann, wenn nicht nur das Verfahren besondere Bedeutung hat, sondern wenn auch der Ausschuss aus zahlreichen Mitgliedern besteht. In derartigen Geschäftsordnungen sind üblicherweise folgende Regelungen enthalten: –
Sitzungsrhythmus,
–
Art und Weise der Einberufung,
–
Sitzungsleitung,
–
Erstellung einer Tagesordnung,
–
Art und Weise der Beschlussfassung,
–
Protokollierung.
Derartige Ausschüsse werden auch einen Vorsitzenden haben und gelegentlich einzelnen Mitgliedern Sonderaufgaben zuweisen. Für den Kassenprüfer ist dies auch bei kleineren Verfahren üblich. Gibt es keine Geschäftsordnung, so nimmt normalerweise der Insolvenzverwalter die Einberufung der Sitzung vor. Dieses Recht hat jedoch auch jedes einzelne Ausschussmitglied1. In welcher Weise die Einladung erfolgt, ob sie also auch telefonisch vorgenommen werden kann, ist den Ausschüssen freigestellt.
! Hinweis: Es empfiehlt sich jedoch schon deshalb eine schriftliche Einladung, weil bei dieser Gelegenheit auch die Tagesordnung mitgeteilt werden kann. Diese ist praktisch unerlässlich. Ein Verstoß gegen allgemeine Grundsätze der Willensbildung von Organen würde nämlich die Beschlüsse unwirksam machen. Genauso wichtig wie die Tagesordnung ist eine Protokollierung zumindest der Ergebnisse. Protokollführer ist in der Regel der Verwalter. Diese Aufgabe könnte jedoch genauso gut ein Gläubigerausschussmitglied übernehmen. Ohnehin muss die Ausschusssitzung keineswegs in Anwesenheit des Verwalters stattfinden. Der Ausschuss kann auch ohne sein Wissen und sogar gegen seinen Willen tagen. Dies wird dann geschehen, wenn bspw. eine Entlassung des Verwalters zur Diskussion steht. Die Protokollierung ist eine ausschussinterne Angelegenheit. Deshalb gibt es kein Einsichtsrecht gem. § 299 ZPO2. Es ist zwar allgemein üblich, die Protokolle auch dem Insolvenzgericht zu überlassen. Dies ist jedoch weder notwendig noch in bestimmten Einzelfällen zweckmäßig (wenn es um die Geheimhaltung gegenüber bestimmten Gläubigern geht). 1 Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 90 Rz. 2. 2 BGH v. 18. 2. 1998 – IV AR 2/97, ZInsO 1998, 92 (93).
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 240
§6
Ein Beschluss des Gläubigerausschusses ist nur dann gültig, wenn die Mehrheit der Mitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat und der Beschluss mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst worden ist, § 72 InsO. Es kommt also anders als in der Gläubigerversammlung nicht auf die Höhe der Forderung an, was schon deshalb nicht gehen würde, weil auch Nicht-Gläubiger Ausschussmitglieder sein können. Auf diese Weise haben Kleingläubiger, wenn sie im Ausschuss anwesend oder vertreten sind, ebenfalls Einfluss auf die Insolvenzabwicklung. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt; es kommt also kein Beschluss zustande. Deshalb sind Ausschüsse, die nur aus zwei Mitgliedern bestehen, unzweckmäßig. Die Mehrheitsbildung sei an folgendem Beispiel erläutert:
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Hat ein Ausschuss fünf Mitglieder, von denen zwei nicht an der Ausschusssitzung teilnehmen können, so kann ein Beschluss mit zwei Stimmen gefasst werden. (Dies war nach der Konkursordnung noch anders. § 90 KO sah eine absolute Mehrheit vor, so dass bei einem Fünferausschuss und einer Anwesenheit von drei Mitgliedern Einstimmigkeit vorliegen musste.)
Es wird immer wieder vorkommen, dass einzelne Mitglieder nicht mitstimmen dürfen. Der häufigste Fall ist die so genannte Selbstbetroffenheit. Hier gelten die zu § 47 Abs. 4 GmbHG und § 136 Abs. 1 AG entwickelten Grundsätze.
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Die „Selbstbetroffenheit“ ist in zwei Varianten möglich, zum einen im Fall der Interessenkollision und zum anderen aufgrund des Verbotes, Richter in eigener Sache zu sein. Was den Umfang der Selbstbetroffenheit angeht, so darf die Betrachtung nicht allzu kleinlich sein. Nur die Tatsache, dass ein Ausschussmitglied Geschäftsbeziehungen zur Schuldnerin hat oder ein Arbeitsverhältnis besteht, führt nicht zu einem Stimmrechtsverlust. Die Rechtsprechung hat selbst dann einen Stimmrechtsausschluss verneint, wenn es um einen Prozess mit einem nahen Angehörigen eines Ausschussmitglieds geht1. Eine gewisse Großzügigkeit ist deshalb angezeigt, weil Interessenkollisionen praktisch systemimmanent sind, sobald Gläubiger zur Mitgliedschaft aufgerufen sind, wie § 67 Abs. 2 InsO es vorsieht2. e) Haftungsfragen Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind den absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern zum Schadenersatz verpflichtet, wenn sie schuldhaft die Pflichten verletzen, die ihnen nach diesem Gesetz obliegen, § 71 Satz 1 InsO. Auffällig an der Formulierung ist, dass nur eine Haftung gegenüber den Absonderungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern besteht. Damit sind nicht aktivlegitimiert –
Massegläubiger,
–
aussonderungsberechtigte Gläubiger,
–
Schuldner.
1 BGH v. 22. 1. 1985 – VI ZR 131/83, WM 1985, 423 (424). 2 Kübler in Kübler/Prütting, InsO, § 72 Rz. 7.
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§6 241
Rz. 241
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Die Haftung des Insolvenzverwalters ist also weitergehend. Die Haftungsbegrenzung der Ausschussmitglieder soll mit dem eingeschränkten Pflichtenkreis nach § 69 InsO gerechtfertigt werden; dies ist auf allgemeine Kritik in der Literatur gestoßen1. Drittsicherungsgeber, insbesondere Bürgen sind ebenfalls nicht durch § 71 InsO geschützt. Es entspricht im Übrigen der herrschenden Meinung, dass Gemeinschaftsschäden trotz der Formulierung des § 71 InsO nur vom Verwalter geltend gemacht werden können2. Der Anspruch ist also während des Verfahrens geltend zu machen; auf die Zustimmung des Gläubigerausschusses kommt es naturgemäß nicht an. Die Haftung ist nicht abdingbar. Weder das Insolvenzgericht noch die Gläubigerversammlung können die Pflichten der Mitglieder einschränken3.
242
Passivlegitimiert sind nur die Mitglieder, die auch tatsächlich gehandelt haben. Sie können sich exkulpieren, wenn sie an der Ausschusssitzung nicht teilgenommen oder gegen den schädigenden Beschluss gestimmt haben. Für Sondertätigkeiten, wie die Kassenprüfung, gilt jedoch die Solidarhaftung aller Ausschussmitglieder. Nach § 278 BGB haften sie für das Fehlverhalten des Kassenprüfers unter den dort genannten Voraussetzungen wie für eigenes Verschulden4. Das Gleiche gilt, wenn ein Außenstehender die Kassenprüfung vorgenommen hat. Nach Meinung des RG sollen sich die Mitglieder des Gläubigerausschusses noch nicht einmal haftungsbefreiend auf sorgfältige Auswahl und Unterrichtung berufen können5. Ist eine juristische Person Mitglied, so haftet diese, nicht aber die Person, die entsandt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied seinen Angestellten in den Ausschuss delegiert hat. Im Übrigen richtet sich das Verschulden nach den Fähigkeiten und Erfahrungen des einzelnen Mitglieds. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein unerfahrenes Mitglied überhaupt nicht haftet. Die Rechtfertigung der Haftung liegt nämlich in der Übernahme und der Ausübung des Amtes6. Allgemein zu den Haftungsrisiken sei auf eine Entscheidung des OLG Rostock verwiesen7. Hier ging es um die Frage, ob der Ausschuss seinen Überwachungspflichten nachgekommen ist, was im konkreten Fall – gewagte Darlehensgeschäfte des Verwalters – verneint wurde (anders in einem ähnlichen Fall LG Schwerin8).
1 So u.a. Heidland, Die Rechtsstellung und Aufgaben des Gläubigerausschusses, in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., S. 711 (726). 2 Pape, ZInsO 1999, 675 (679). 3 BGH v. 11. 12. 1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121 (123). 4 Kübler in Kübler/Prütting, InsO, § 71 Rz. 15. 5 RGZ 152, 125 (128). 6 Delhaes in Nerlich/Römermann, InsO, § 71 Rz. 10. 7 OLG Rostock v. 28. 5. 2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814. 8 LG Schwerin v. 10. 2. 2006 – 1 O 120/04, ZIP 2006, 720.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 245
§6
Was die Verjährung angeht1, gilt jetzt – anders als noch zu Zeiten der Konkursordnung – eine Dreijahresfrist. Dies zeigt der Verweis auf § 62 InsO. Was die Erlangung der Kenntnis angeht, kann deshalb auf die Ausführungen oben unter Rz. 220 verwiesen werden.
243
Bei größeren Insolvenzverfahren schließen die Verwalter üblicherweise Haftpflichtversicherungen für die Ausschussmitglieder ab. Da dies zu Lasten der Masse geht, wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dies kollidiere mit der Unabhängigkeit und Objektivität der Ausschussmitglieder2. Eine derartige Gefahr sehe ich nicht. Die Tatsache, dass die Kosten der Versicherung nicht von einzelnen Mitgliedern getragen werden, dürfte für die Entscheidungsfindung im Rahmen der Ausschusstätigkeit keine Rolle spielen. Würde im Übrigen eine eigene Versicherung abgeschlossen, träfe dies die Masse letztlich genauso. Das Ausschussmitglied hat Anspruch auf Vergütung und Auslagenerstattung (siehe hierzu nachstehend Rz. 245 ff.). Zu den erstattungsfähigen Auslagen gehören – trotz § 4 Abs. 3 InsVV – auch die Versicherungsprämien3.
244
f) Vergütungsregelung Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben Anspruch auf Vergütung für ihre Tätigkeit und auf Erstattung angemessener Auslagen, § 73 Abs. 1 Satz 1 InsO. Einzelheiten zu dieser Vorschrift werden durch die insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung vom 19. 8. 1998 geregelt. Anders als bei dem Insolvenzverwalter ist die Vergütung nicht erfolgsabhängig; es handelt sich vielmehr um eine reine Tätigkeitsvergütung. Nach § 17 InsVV soll die Vergütung der Ausschussmitglieder regelmäßig zwischen 35 Euro und 95 Euro pro Stunde liegen. Abweichungen von diesem Regelsatz sind jedoch zulässig und in vielen Fällen auch geboten, insbesondere bei Großverfahren, weil dort die Ausschüsse auf hoch qualifizierte Mitglieder angewiesen sind. Die Gläubigerausschussmitglieder haben keinen Anspruch auf gleich hohe Honorarfestsetzung4. Das Honorar richtet sich vielmehr danach, wie jedes Gläubigerausschussmitglied persönlich mit Arbeit belastet war5. Im Übrigen ist es auch zulässig, die Vergütung nach anderen Grundsätzen als dem Zeitaufwand zu regeln6. Weder die Stundensätze der InsVV noch die Art der Berechnung sind zwingend, wie sich aus der Formulierung der Verordnung ergibt (keine Regel ohne Ausnahme). Schließlich ist die Tätigkeit der Gremienmitglieder im Gläubigerausschuss genauso zu honorieren, wie diejenige der Vertreter von an-
1 2 3 4 5 6
Hierzu instruktiv BGH v. 12. 3. 2007 – 3 U 45/06, ZIP 2007, 735. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 71 Rz. 20. Kübler in Kübler/Prütting, InsO, § 71 Rz. 26. Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, 4. Aufl. 2007, § 17 Rz. 11. LG Königsberg v. 12. 10. 1934 – 5 T 128/34, KuT 1934, 168. Beispielhaft AG Duisburg v. 20. 6. 2003 – 62 IN 167/02, ZIP 2003, 1460 (Orientierung an Aufsichtsratsvergütung) und AG Chemnitz v. 16. 3. 1999 – 51 C 711/98, ZIP 1999, 669 (Orientierung an Verwaltervergütung).
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245
§6
Rz. 246
Beratung des ungesicherten Gläubigers
deren Gläubigern1. Wer jedoch als Vertreter eines anderen Ausschussmitglieds Tätigkeiten im Gläubigerausschuss ausführt, hat selbst keinen Anspruch auf Vergütung. 246
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben auch einen Anspruch auf Auslagenerstattung. Hierunter fallen alle Sachaufwendungen, gelegentlich auch gesonderte Personalkosten, die dem Ausschussmitglied aus Anlass eines bestimmten Verfahrens entstanden sind, nicht jedoch seine allgemeinen Geschäftskosten. Im Entwurf der InsVV war ausdrücklich geregelt, dass jedes Ausschussmitglied – wie auch nach altem Recht – Vorschüsse verlangen kann. Trotz Wegfalls dieser Bestimmung (§ 18 E InsVV) wird man einen Vorschussanspruch anerkennen müssen. Es ist niemandem zuzumuten, unter Umständen 10 Jahre auf eine Vergütung und Auslagenerstattung zu warten2. Die Zahlung eines Vorschusses durch den Insolvenzverwalter an die Ausschussmitglieder bedarf jedoch der Genehmigung des Insolvenzgerichts. § 9 InsVV ist entsprechend anwendbar. Geht der Verwalter bei der Beantragung des Vorschusses für die Mitglieder von einem bestimmten Stundensatz aus und wird dieser vom Gericht auch zugrunde gelegt, so bindet dies nicht bei der Entscheidung der späteren Festsetzung der endgültigen Vergütung3.
247
Das Festsetzungsverfahren verläuft ähnlich wie bei dem Insolvenzverwalter. Es setzt einen Antrag voraus, der üblicherweise vom Verwalter für die Ausschussmitglieder gestellt wird. Über den Antrag entscheidet das Insolvenzgericht durch Beschluss. Dieser ist öffentlich bekannt zu machen. Vor der Festsetzung der Vergütung ist die Gläubigerversammlung mit dem Antrag zu befassen. Regelmäßig ist dazu Gelegenheit spätestens im Schlusstermin zu geben4. Überflüssige Tätigkeiten sind nicht zu vergüten5, auch nicht eine Tätigkeit, die nur indirekten Bezug zu den Ausschussaufgaben hat, wie Besprechungen mit Dritten6. Gemäß § 17 Abs. 3 InsVV steht dem Insolvenzverwalter, dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu, auch wenn der Rechtspfleger entschieden hat (§ 11 Rechtspflegergesetz).
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Honorarvereinbarungen dürfen nicht getroffen werden. Sie sind nach § 134 BGB nichtig. Nach dem Insolvenzordnungsänderungsgesetz 2001 besteht auch für die Vergütung der Ausschussmitglieder ein Anspruch auf Erstattung aus der Staatskasse, soweit die Insolvenzmasse zur Deckung nicht ausreicht. Dies ergibt
1 AG Karlsruhe v. 16. 12. 1986 – N 48/86, ZIP 1987, 387; Eickmann, Vergütungsrecht, 2. Aufl. 2001, vor § 17 Rz. 11. 2 Eickmann, Vergütungsrecht, 2. Aufl. 2001, § 17 Rz. 18; Uhlenbruck, EWiR 1993, 69. 3 LG Aachen v. 20. 7. 1992 – 3 T 265/91, ZIP 1993, 137. 4 LG Göttingen v. 1. 12. 2004 – 10 T 128/04, ZInsO 2005, 48. 5 LG Göttingen v. 10. 1. 2005 – 10 T 1/05, NZI 2005, 339. 6 LG Duisburg v. 13. 9. 2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 250
§6
sich aus dem neu eingefügten Absatz 2 von § 73 InsO, wonach § 63 Abs. 2 InsO (ebenfalls neu!) entsprechend anwendbar ist.
5. Gläubigerversammlungen und Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger Die Gläubigerversammlung ist, anders als vielleicht der Wortlaut zunächst vermuten lässt, nicht lediglich das organisierte Zusammentreffen der einzelnen Gläubiger, der Hauptinteressenten an der Durchführung des Verfahrens, sondern es handelt sich um ein Organ der Gläubigerselbstverwaltung, das nach dem Willen des Gesetzgebers das Verfahren weitgehend beherrscht. Damit ist die Gläubigerversammlung eine Zweckgemeinschaft, die ausschließlich den Regeln der Insolvenzordnung unterliegt.
249
Die Bedeutung der Versammlung ist bereits daraus ersichtlich, dass dem Insolvenzgericht lediglich die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und die Verfahrensbeendigung vorbehalten ist, alles andere aber die Gläubigerversammlung zu entscheiden hat. Die Versammlung ist nicht öffentlich im Sinne des § 169 GVG, weil es sich nicht um eine „Verhandlung vor dem erkennenden Gericht“ handelt. Mit Zustimmung der Versammlung können allerdings Pressevertreter zur Beobachtung zugelassen werden. Das AG Wuppertal ließ in den Bast-Gläubigerversammlungen die Presse nicht zu, nachdem einzelne Gläubiger deren Anwesenheit nicht wünschten. Demgegenüber vertritt das LG Frankfurt aus Anlass der AEG-Gläubigerversammlung die Auffassung, der Widerspruch einzelner Gläubiger sei unbeachtlich, weil die Anwesenheit von Pressevertretern wegen des besonderen öffentlichen Interesses zulässig sei1. Ich bin dagegen der Auffassung, dass der die Versammlung leitende Rechtspfleger oder Richter völlig frei ist, wie er sein Hausrecht ausübt. Er kann auch ohne Rücksicht auf die Meinung der anwesenden Gläubiger allen Nichtgläubigern, und damit den Pressevertretern, die Anwesenheit gestatten oder verweigern, ohne dies begründen zu müssen („pflichtgemäßes Ermessen“)2. Dritte sind im Übrigen insoweit zum Berichtstermin zuzulassen, als sie das Recht haben, sich zu dem Bericht des Verwalters zu äußern. Dies ist nach § 156 Abs. 2 InsO der Fall bei –
dem Schuldner,
–
dem Gläubigerausschuss,
–
dem Betriebsrat,
–
dem Sprecherausschuss für leitende Angestellte,
–
der für Schuldner zuständigen amtlichen Berufsvertretung.
1 LG Frankfurt v. 8. 3. 1983 – 2/9 T 222/83, ZIP 1983, 344. 2 Kübler in Kübler/Prütting, InsO, § 76 Rz. 12.
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250
§6
Rz. 251
Beratung des ungesicherten Gläubigers
a) Arten der Versammlungen 251
Innerhalb des Verfahrens gibt es einige besonders bedeutsame Abschnitte, die durch bestimmte Gläubigerversammlungen markiert sind. Es handelt sich um –
den Berichtstermin, §§ 29, 156 InsO;
–
den Prüfungstermin, § 176 InsO, in dem die zur Tabelle angemeldeten Forderungen geprüft werden;
–
den Schlusstermin, § 197 InsO.
Ebenfalls hat das Gericht eine Versammlung einzuberufen bei Rechnungslegung des Verwalters aufgrund der Beendigung seines Amtes, § 66 InsO. Für den Fall, dass kein Gläubigerausschuss bestellt ist, obliegt die Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen ebenfalls der Gläubigerversammlung, §§ 160 Abs. 1 Satz 2, 162 Abs. 1 InsO. Weitere Versammlungen können entweder auf Antrag (siehe unten Rz. 252) einberufen werden oder aber das Insolvenzgericht kann diese anberaumen, wenn es dies bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für erforderlich hält. b) Einberufung 252
Die Gläubigerversammlung ist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Insolvenzgericht einzuberufen, wobei der Versammlungsort, die Zeit sowie die Tagesordnungspunkte nach § 74 Abs. 2 InsO öffentlich bekannt zu machen sind. Bei Vertagungen, die im Termin beschlossen werden, ist keine förmliche Bekanntmachung notwendig. Abgesehen von den oben genannten Versammlungen, die das Gericht auch ohne Antrag einberuft, sind nach § 75 Abs. 1 InsO folgende Personen befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung bei dem Insolvenzgericht zu beantragen: –
der Insolvenzverwalter1;
–
der Gläubigerausschuss;
–
Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigte mit bestimmten Mehrheiten (vgl. § 75 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 InsO).
Die Insolvenzgläubiger sind grundsätzlich auch dann berechtigt, einen Antrag auf Einberufung zu stellen, wenn ihre angemeldete Forderung noch nicht geprüft oder vom Insolvenzverwalter oder einem Gläubiger bestritten worden ist2. Wird ein Antrag von den hierzu befugten Personen gestellt, so muss die Einberufung auch dann erfolgen, wenn der Antrag auch noch so unzulänglich begründet worden ist. Das Gericht hat insoweit keinen Ermessensspielraum3. 1 Hierzu BGH v. 21. 12. 2006 – IX ZB 138/06, ZIP 2007, 551. 2 BGH v. 14. 10. 2004 – IX ZB 114/04, InVo 2005, 54; kritisch hierzu Gundlach und Schirrmeister, EWiR 2005, 359. 3 OLG Celle v. 25. 3. 2002 – 2 W 9/02, ZIP 2002, 900.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 255
§6
c) Teilnahme und Stimmrecht An den Versammlungen teilnehmen dürfen (allgemein geregelt in § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO)1: –
die absonderungsberechtigten Gläubiger;
–
die normalen Insolvenzgläubiger, § 38 InsO;
–
die nachrangigen Insolvenzgläubiger, § 39 InsO;
–
der Insolvenzverwalter;
–
der Schuldner;
–
die Mitglieder des Gläubigerausschusses, auch wenn sie nicht Gläubiger sind.
253
Nicht teilnahmeberechtigt sind die Massegläubiger und die Aussonderungsberechtigten. Die Stimmrechte innerhalb der Gläubigerversammlung sind in den §§ 76 Abs. 2, 77 InsO geregelt. Danach gibt es keine Mehrheitsentscheidungen nach Köpfen, sondern ausschließlich nach der Höhe der in dem Verfahren angemeldeten Forderung. Eine Ausnahme gilt für die Abwahl des Insolvenzverwalters; hier muss zusätzlich eine Mehrheit der abstimmenden Gläubiger vorliegen, § 57 InsO. Zu beachten ist, dass die Stimmgewichtung nur im Verhältnis zu den angemeldeten Forderungen der im Termin erschienenen Gläubiger ermittelt wird und nicht etwa in Bezug auf die insgesamt zur Tabelle angemeldeten Forderungen. Zu unterscheiden ist allerdings danach, ob die angemeldeten Forderungen anerkannt oder bestritten sind, gleichgültig ob das Bestreiten durch den Insolvenzverwalter oder einen Gläubiger erfolgt.
254
Wurde die Forderung bestritten, so ist entweder eine Einigung zwischen dem Verwalter und den erschienenen Gläubigern erforderlich oder aber es ergeht – wenn eine solche Einigung nicht erzielt wird – eine Entscheidung des Gerichts über das Stimmrecht des betroffenen, ansonsten nicht stimmberechtigten Gläubigers. Eine solche Entscheidung wirkt nur in dem Termin, in dem sie getroffen wurde, darüber hinaus muss der betroffene Gläubiger die Feststellung seiner Forderung (weiter) betreiben. An dem Einigunsversuch über das Stimmrecht ist auch der betroffene Gläubiger zu beteiligen2.
255
Wird der Antrag des betroffenen Gläubigers negativ beschieden, so gibt es gegen diese Entscheidung, wird sie von dem Richter getroffen, kein Rechtsmittel, vgl. § 6 Abs. 1 InsO. Bei einer Entscheidung durch den Rechtspfleger kommt eine weitere Entscheidung durch den Richter in Betracht. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 RpflG ist zwar die Erinnerung gegen die Entscheidung über die Gewährung des Stimmrechts ausgeschlossen. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RpflG kann jedoch in dem Fall, dass die Entscheidung Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis hat, der Richter auf Antrag eines Gläubigers oder des Verwal1 Zu Einschränkungen der Teilnahmemöglichkeit AG Aurich v. 25. 4. 2006 – 9 IN 41/06, ZIP 2006, 2004. 2 Kind/Herzig, EWiR 2006, 175.
Runkel
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§6
Rz. 255a
Beratung des ungesicherten Gläubigers
ters das Stimmrecht neu festsetzen und eine Wiederholung der Abstimmung anordnen. Der entsprechende Antrag ist bis zum Terminsende zu stellen. Die nachrangigen Gläubiger (§ 39 InsO) besitzen in der Versammlung kein Stimmrecht. Werden die Vorschriften über die Abstimmung verletzt, sind hierunter zustande gekommene Beschlüsse unwirksam. 255a
Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass durchaus Stimmrechtseinschränkungen vorkommen können. So ist ein Gläubiger von der Abstimmung über die Wahl eines anderen Insolvenzverwalters ausgeschlossen, wenn es zwischen ihm und dem bisherigen Verwalter einen Interessenkonflikt gibt, beispielsweise weil der Verwalter von ihm Zahlung verlangt. Dies hat das LG Göttingen1 herausgestellt und hierbei auf aktienrechtliche Grundsätze verwiesen („eine Abstimmung in eigener Sache ist verboten“2). Der Rechtspfleger muss aber die Stimmrechtsversagung begründen3. Gegen die Ablehnung der Vertagung der Gläubigerversammlung ist kein Rechtsmittel möglich4. d) Leitung der Versammlung
256
Die Gläubigerversammlung wird gemäß § 76 Abs. 1 InsO von dem Insolvenzgericht geleitet. In aller Regel wird die Versammlung unter Leitung des zuständigen Rechtspflegers stattfinden, weil der Richter das Verfahren üblicherweise übertragen haben wird. Der Richter kann das Verfahren zwar in jeder Lage wieder an sich ziehen, praktische Relevanz dürfte dies aber kaum erlangen. Inhaltlich umfasst die Leitung der Versammlung die Sorge für einen geordneten Ablauf, die Beschlussfassung und Protokollierung der Versammlung. Die Vorschriften des GVG, §§ 176 ff. und der ZPO, §§ 136 ff., 159 ff., finden entsprechende Anwendung. e) Aufgaben (Kompetenzen)
257
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers haben die Gläubiger innerhalb des Verfahrens eine beherrschende Stellung. Dementsprechend sind auch alle wichtigen, richtungsweisenden Entscheidungen von der Versammlung zu treffen. Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn von der Versammlung keine Kompetenzen durch Einsetzung eines Gläubigerausschusses übertragen werden.
1 LG Göttingen v. 20. 11. 1998 – 10 T 66/98, ZIP 1999, 120. 2 BGH v. 22. 1. 1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423; hierzu auch AG Kaiserslautern v. 17. 10. 2005 – IN 423/03, NZI 2006, 46 und ihm widersprechend Grell, NZI 2006, 77. 3 BVerfG v. 4. 8. 2004 – 1 BvR 698/03, ZIP 2004, 1762. 4 BGH v. 5. 4. 2006 – IX ZB 144/05, ZIP 2006, 1065.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 260
§6
aa) Durchführung von Wahlen (§ 57 InsO) In der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters durch das Gericht erfolgt (Berichtstermin genannt), entscheidet die Versammlung über die Person des Verwalters. Dabei kann der Auswahl des Gerichts gefolgt und der bestellte Verwalter in seinem Amt bestätigt werden; die Versammlung kann aber auch einen anderen Verwalter bestimmen. Eine solche Initiative dürfte dabei üblicherweise von einer Person oder Personengruppe mit entsprechender Stimmgewichtung in der Versammlung ausgehen. Bevor jedoch im Hinblick auf die Verwalterauswahl eine vom Gericht abweichende Entscheidung getroffen wird, sollten die Entscheidungsträger die dieser Überlegung zugrunde liegenden Motive kritisch hinterfragen, insbesondere die Frage der Unabhängigkeit des neueinzusetzenden Verwalters1. Siehe hierzu auch oben Rz. 159.
258
Das Gericht kann die Bestellung des Gewählten nur versagen, wenn dieser für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Der Beschluss der ersten Gläubigerversammlung zur Wahl eines anderen Verwalters kann auch nicht im Verfahren nach § 78 Abs. 1 InsO angefochten werden. Die Bestimmung sieht die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung vor, wenn er dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. § 57 S. 3 und 4 InsO enthalten jedoch eine abschließende Sonderregelung2. Die Gläubigerversammlung hat gemäß § 68 InsO ebenfalls darüber zu entscheiden, ob ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird. Diese Entscheidung ist auch dann zu treffen, wenn das Gericht bereits vor der Versammlung einen Ausschuss eingesetzt hatte. In diesem Fall hat die Versammlung drei Möglichkeiten: –
Sie kann die eingesetzten Mitglieder bestätigen, also so ähnlich verfahren wie bei dem Verwalter.
–
Sie kann neue Mitglieder wählen, wobei auch die Auswechselung einzelner Personen oder eine Hinzuwahl möglich ist.
–
Sie kann trotz der vorangegangenen positiven Entscheidung des Gerichts von der Wahl eines endgültigen Ausschusses Abstand nehmen.
259
Wegen der weiteren Einzelheiten in Bezug auf den Gläubigerausschuss wird auf die obigen Ausführungen unter 4.) Bezug genommen. bb) Sonstige Aufgaben Die wohl bedeutendste Grundentscheidung der Gläubigerversammlung für das Verfahren ist diejenige, ob das Unternehmen des Schuldners vorläufig fortgeführt oder stillgelegt werden soll, § 157 InsO. Wenn der Gesetzgeber von einer vorläufigen Fortführung spricht, so hat er hierbei zwei Alternativen vor Augen: 1 BGH v. 22. 4. 2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 113; Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, 2004, Rz. 897 ff. 2 BGH v. 17. 7. 2003 – IX ZB 530/62, InVo 2004, 14.
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260
§6
Rz. 261
Beratung des ungesicherten Gläubigers
–
die Ausproduktion oder
–
die Veräußerung der Unternehmenswerte durch einen so genannten Asset Deal (übertragende Sanierung) (zu dieser Übertragungsart s. § 15 Rz. 17 f.).
Die Versammlung kann sich bereits für eine der beiden Alternativen entscheiden. Da im Berichtstermin häufig noch unklar ist, ob der Betrieb an ein anderes Unternehmen übertragen werden kann oder ob nicht doch letztlich eine Ausproduktion notwendig ist, wird in derartigen Fällen regelmäßig ein Ausschuss gewählt, dem diese Entscheidung übertragen wird. Dem Gesetzgeber war der Erhalt des Unternehmens besonders wichtig. Deshalb hat er auch noch eine dritte Alternative zur Diskussion gestellt: –
Die Entscheidung über einen Insolvenzplan, mit dessen Hilfe sogar der Unternehmensträger erhalten werden kann.
Liegt im Termin noch kein Insolvenzplan vor, so kann die Versammlung den Verwalter beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und ihm auch das Ziel des Plans vorgeben, § 157 Satz 2 InsO (zu weiteren strategischen Überlegungen zum Insolvenzplanverfahren vgl. § 13 Rz. 21 ff.). Damit gibt es in Wahrheit vier Alternativen: –
sofortige Betriebsstilllegung;
–
Ausproduktion;
–
Fortführung des Betriebes zum Zwecke der übertragenden Sanierung;
–
Fortführung des Betriebes im Rahmen eines Insolvenzplans.
Umgekehrt kann in einem Insolvenzplan auch die übertragende Sanierung oder sogar die Liquidation festgelegt werden. Bei der zweiten Alternative hat der Insolvenzplan lediglich die Aufgabe, die Gläubigerbefriedigung im Einzelnen zu regeln. Wegen der weiteren Einzelheiten des Insolvenzplanverfahrens verweise ich auf § 13. 261
Darüber hinaus kann die Gläubigerversammlung auch Einzelentscheidungen zur Verwertung der Insolvenzmasse treffen; dies ergibt sich aus § 159 InsO. Schließlich steht es der Versammlung frei, alle Entscheidungen dem Verwalter zu überlassen, also sein Ermessen an die Stelle eines sonst zu wählenden Ausschusses zu setzen. Hierbei ist der Verwalter in seinen zukünftigen Entscheidungen jedoch nicht völlig frei. Für besonders bedeutsame Rechtshandlungen, die im Einzelnen in § 160 Abs. 2 InsO genannt werden, müsste er die Zustimmung „der Gläubigerversammlung“, in diesem Fall also einer späteren Versammlung, einholen. Schließlich hat die Gläubigerversammlung auch darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang dem Schuldner Unterhalt aus der Insolvenzmasse gewährt werden soll, §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 InsO.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 263
§6
f) Haftungsfragen Während die Haftung des Insolvenzverwalters und des Gläubigerausschusses im Gesetz geregelt ist, gibt es keine entsprechenden Bestimmungen für die Gläubigerversammlung. Es stellt sich deshalb die Frage, ob ein Gläubiger für Entscheidungen in der Versammlung haftbar gemacht werden kann, und zwar zum einen –
von Seiten der bei der Versammlung unterlegenen Minderheitsgläubiger
–
und zum anderen von Gläubigern, die an der Versammlung nicht teilgenommen haben.
262
Mangels einer gesetzlichen Regelung kann es meines Erachtens keine insolvenzrechtliche Haftung einzelner Gläubiger geben, wenn man einmal von der Sonderregelung in § 28 Abs. 2 Satz 3 InsO absieht, wonach ein sicherungsberechtigter Gläubiger bei Verletzung seiner Mitteilungspflichten schadenersatzpflichtig ist. Diese Sonderregelung gebietet den Umkehrschluss, dass eine darüber hinausgehende allgemeine insolvenzrechtliche Haftung der Gläubiger nicht gewollt ist. Einzelne Absonderungs-, Masse- und Insolvenzgläubiger können deshalb nur nach den allgemeinen Deliktsbestimmungen, insbesondere nach § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie zu Lasten des gemeinschaftlichen Befriedigungsinteresses aller Gläubiger, aber auch zu Lasten des Schuldners, Manipulationen und Ausbeutungsaktionen durchführen. Fazit: Eine darüber hinausgehende Haftung für schlichte Fehlentscheidungen in der Versammlung gibt es demnach nicht. In diesem Zusammenhang ist jedoch auf § 78 InsO zu verweisen: Widerspricht ein Beschluss der Gläubigerversammlung dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger, so hat das Insolvenzgericht den Beschluss aufzuheben, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger, ein nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzverwalter dies in der Gläubigerversammlung beantragt (§ 78 Abs. 1 InsO). Diese Bestimmung birgt Haftungsgefahren für den Insolvenzverwalter. Er muss sofort, d.h. in der Versammlung reagieren, wenn er feststellt, dass ein Beschluss die Masse schädigt.
6. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren 263
Die Insolvenzordnung kennt folgende Gläubigergruppen: –
Aussonderungsgläubiger, §§ 47, 48 InsO;
–
Absonderungsgläubiger, §§ 49–52 InsO;
–
Massegläubiger, §§ 53–55 InsO;
–
„normale“ Insolvenzgläubiger, § 38 InsO;
–
nachrangige Insolvenzgläubiger, § 39 InsO.
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§6
Rz. 264
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Da in diesem Kapitel nur die Rechtsstellung der ungesicherten Gläubiger behandelt wird, sollen nachstehend auch nur die Forderungen der Massegläubiger und der Insolvenzgläubiger erörtert werden. Zur Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen gibt es ein wichtiges Kriterium: –
den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung, wobei vereinfacht gesagt werden kann, dass
–
Masseforderungen regelmäßig nach Eröffnung des Verfahrens entstehen (Ausnahme § 55 Abs. 2 InsO) und Insolvenzforderungen vor der Verfahrenseröffnung entstanden sein müssen.
a) Masseforderungen aa) Allgemeines 264
265
Die Insolvenzordnung unterscheidet im Bereich der Massegläubiger begrifflich zwischen den –
Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO, und
–
den sonstigen Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO.
§ 53 InsO bestimmt, dass die Massegläubiger vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind. § 209 InsO legt hierbei die einzuhaltende Rangfolge fest: 1. Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO. 2. Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. 3. Die übrigen Masseverbindlichkeiten. 4. Der nach den §§ 100 und 101 InsO bewilligte Unterhalt. Die bevorzugte Stellung der Verfahrenskosten ergibt sich daraus, dass ohne die Begründung dieser Kosten die Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht möglich wäre. Die sonstigen Masseverbindlichkeiten sind im Rahmen des Verfahrens privilegiert, weil regelmäßig ein äquivalenter Gegenwert in die Masse gelangt. bb) Verfahrenskosten
266
Die Kosten des Insolvenzverfahrens sind –
die Gerichtskosten (vorläufiges und endgültiges Verfahren);
–
die Vergütung und die Auslagen
–
des vorläufigen Insolvenzverwalters sowie
–
des endgültigen Insolvenzverwalters und
–
der Mitglieder des Gläubigerausschusses.
Die Gerichtskosten bestehen aus Gebühren und Auslagen; auch hier gilt § 1 GKG. Nicht in den Kostenbestimmungen aufgeführte Amtshandlungen sind 626
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 270
§6
gebührenfrei, so etwa im Eröffnungsverfahren die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach dem Betrag der Insolvenzmasse (im Eröffnungsverfahren nach dem erkennbaren Wert), § 37 GKG. Die oben erwähnten Vergütungen und Auslagen des (vorläufigen oder endgültigen) Verwalters sowie der Mitglieder des Gläubigerausschusses setzt das Gericht durch Beschluss fest, §§ 64, 73 InsO. cc) Sonstige Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO Zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten zählen:
267
–
die Ansprüche, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden;
–
die Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung entweder zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahren erfolgen muss;
–
die Ansprüche wegen einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse.
Höchst streitig ist die Frage, ob zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Ansprüche wegen Umweltschäden auch Masseforderungen sind. Während das BVerwG dies bejaht1, ist der BGH anderer Ansicht2.
268
Weiter ist streitig, wann die Kosten eines Rechtsstreits Masseverbindlichkeiten sind, ob also beispielsweise die Kosten 1. Instanz diese Qualifikation erfahren, wenn der Verwalter den Rechtsstreit in der 2. Instanz aufnimmt und unterliegt. Früher wurde dies bejaht; es mehren sich jedoch die Stimmen, die sich dahin gehend eine Differenzierung wünschen, dass die Kosten 1. Instanz als Insolvenzforderungen anzusehen sind3. Es ist im Übrigen Aufgabe der Kostengrundentscheidung, nicht des Kostenfestsetzungsverfahrens, eine Aussage darüber zu treffen, ob die zu erstattenden Kosten Insolvenzforderungen oder Masseverbindlicheiten sind4.
269
dd) Sonderfall: § 55 Abs. 2 InsO Abweichend von dem Grundsatz, dass Masseverbindlichkeiten erst nach Insolvenzeröffnung entstehen, sieht § 55 Abs. 2 InsO eine Aufwertung derjenigen Verbindlichkeiten vor, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis übergegangen ist, begründet worden sind. Sie „gelten“ 1 BVerwG v. 23. 9. 2004 – 7 C 22.C3, ZInsO 2004, 1206; BVerwG v. 22. 7. 2004 – 7 C 17/03, NZI 2005, 55. 2 BGH v. 18. 4. 2002 – IX ZR 161/01, ZIP 2002, 1043 mit zustimmender Anmerkung Tetzlaff, EWiR 2002, 573. 3 Schumacher in Münchener Kommentar zur InsO, 2001, § 178 Rz. 37; Uhlenbruck, ZIP 2001, 1988; Binz, EWiR 2002, 77; LAG Hamm v. 14. 3. 2002 – 4 Sa 1366/97, ZIP 2002, 770; Schumacher, EWiR 2002, 777; Heiderhoff, ZIP 2002, 1564; Malitz, EWiR 2003, 71; a. A. BGH v. 28. 9. 2006 – IX ZB 312/04, WM 2007, 91 mit Anmerkung Hofmann, EWiR 2007, 85. 4 BAG v. 19. 9. 2007 – 3 AZB 35/05, ZIP 2007, 2141; a.A. BFH v. 10. 7. 2002 – I R 69/00, ZIP 2002, 2225.
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270
§6
Rz. 271
Beratung des ungesicherten Gläubigers
nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Im Falle der Übertragung der Verfügungsbefugnis gilt Gleiches für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch nimmt.
! Hinweis: Anwaltliche Beratung muss deshalb immer dahin gehen, dem Mandanten zu empfehlen, sich den genauen Wortlaut des Beschlusses anzusehen, mit dem das Insolvenzverfahren eingeleitet wird.
271
Wird hiernach dem vorläufigen Verwalter nicht die Verfügungsbefugnis übertragen und ist der Beschluss etwa so formuliert wie oben unter Rz. 91 ff. wiedergegeben, so muss der Gläubiger unbedingt darauf drängen, dass der vorläufige Verwalter sich für die Erfüllung der Verbindlichkeit, die eigentlich nicht von ihm, sondern von dem Schuldner begründet wird, persönlich stark sagt. Anderenfalls könnte der Verwalter den Gläubiger nach Insolvenzeröffnung darauf verweisen, dass nur eine Insolvenzforderung vorliegt, die zur Tabelle angemeldet werden muss1. Bähr vertritt die Ansicht, dass der so genannte schwache Verwalter, will er von ihm erteilte Zahlungszusagen oder mit seiner Zustimmung eingegangene Verbindlichkeiten nach Verfahrenseröffnung noch erfüllen, auf das vom BGH für die Konkursordnung bereits anerkannte Treuhandmodell zurückgreifen muss2 (siehe zu diesem Problemkreis auch § 14 Rz. 75 ff.). ee) Befriedigung allgemein 272
Der Insolvenzverwalter ist berechtigt und verpflichtet, Masseansprüche zu prüfen und, soweit berechtigt, anzuerkennen sowie – sofern kein Fall der Masseunzulänglichkeit vorliegt – die Ansprüche zu befriedigen. Hierbei können im Einzelfall Verzögerungen auftreten, so etwa wenn sich eine Kollision mit der Vorschrift des § 160 InsO ergibt. Das ist der Fall, wenn die Anerkennung der Forderung als Rechtshandlung von „besonderer Bedeutung“ zu qualifizieren ist, so dass die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung erforderlich wird (siehe oben unter Rz. 234 und 260). Dies ist allerdings eher die Ausnahme. Eine Verzögerung der Regulierung kann sich aber auch dadurch ergeben, dass die vorhandenen Barmittel noch nicht ausreichen und zunächst eine Verwertung von Massegegenständen zur Liquiditätsverbesserung erfolgen muss.
273
Für diejenigen Masseforderungen, die sich aus der Verwaltung der Masse ergeben, also durch Tätigwerden des Verwalters begründet werden, bestehen keine Besonderheiten. Die praktische Abwicklung unterscheidet sich aus Sicht des 1 Bähr, ZIP 1998, 1553. 2 Bähr, ZIP 1998, 1553 (1559); Undritz, NZI 2003, 136; Bork, ZIP 2003, 1421; vgl. BGH v. 30. 1. 1986 – IX ZR 79/85, ZIP 1986, 448 ff. im Hinblick auf das Treuhandmodell; a.A. AG Hamburg v. 15. 7. 2003 – 67g IN 205/03, ZIP 2003, 1809; hierzu auch „Hamburger Leitlinien“ in ZInsO 2004, 24; Kirchhof, ZInsO 2004, 57; Frind/Förster, ZInsO 2004, 76; Marotzke, ZInsO 2005, 561.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 276
§6
Gläubigers nicht von dem „sonstigen“ Forderungseinzug. Insbesondere erfolgt die Regulierung unabhängig von dem Verteilungsverfahren, das für Insolvenzforderungen vorgesehen ist. Die Masseforderung wird formlos geltend gemacht. Im Fall des Bestreitens durch den Verwalter kann der Gläubiger seinen Anspruch im Prozessweg verfolgen. Kommt es dann zu einer Titulierung, so ist bei der Vollstreckung die Vorschrift des § 90 InsO zu beachten, die bei bestimmten Masseverbindlichkeiten die Vollstreckung für die Dauer von sechs Monaten seit Eröffnung des Verfahrens für unzulässig erklärt. Vollstreckungen wegen Forderungen aus einem Sozialplan sind generell unzulässig, § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO. Hinsichtlich der Verjährung von Masseforderungen gelten die allgemeinen Verjährungsregeln. Besondere, an die Eigenschaft als Masseforderung anknüpfende Verjährungsregeln existieren nicht. Mangels besonderer Regelungen muss hinsichtlich der Geltendmachung der Verjährung ebenfalls auf die allgemeinen Regelungen zurückgegriffen werden. Es sind jedoch Umstände denkbar, in denen der Verwalter sich nicht in zulässiger Weise auf die Verjährung einer Masseforderung berufen kann, beispielsweise wenn er zunächst auf die zur Zeit bestehende Unvollständigkeit der Masse verwiesen hat. Hinzuweisen ist abschließend auf die Rechtslage für den Fall, dass eine einfache Insolvenzforderung irrtümlicherweise als Masseschuld erfüllt worden ist. Hier nimmt die überwiegende Rechtsansicht einen Rückzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung an. Es fehlt an einem Rechtsgrund für die Zahlung. Nicht zuletzt der Schutz der Massegläubiger gebietet es, dass Irrtümer des Insolvenzverwalters zu Lasten des zu Unrecht begünstigten Insolvenzgläubiger rückgängig gemacht werden müssen1.
274
ff) Befriedigung bei Masseunzulänglichkeit Eine besondere (und für den betroffenen Gläubiger bedauerliche) Situation ergibt sich dann, wenn der Verwalter feststellen muss, dass die vorhandene Masse zur Befriedigung der Masseverbindlichkeiten nicht ausreicht.
275
Sollte die Masse sogar so gering sein, dass nicht einmal die Kosten des Verfahrens gedeckt sind, ist das Verfahren sofort einzustellen, § 207 Abs. 1 InsO. Sind die Verfahrenskosten zwar gedeckt, aber die sonstigen Masseverbindlichkeiten (voraussichtlich) nicht, so spricht man von Masseunzulänglichkeit (also im Gegensatz zu Masselosigkeit). Der Verwalter hat diese dem Gericht anzuzeigen, § 208 Abs. 1 InsO. Die Masseverbindlichkeiten sind dann gemäß § 209 Abs. 1 InsO in der dort genannten Reihenfolge (siehe unter Rz. 355) zu befriedigen. Dabei wird für jeden Rang ermittelt, ob die vorhandenen Mittel genügen, sämtliche in dem Rang vorhandenen Ansprüche zu befriedigen. Innerhalb desjenigen Ranges, bei dem dies nicht mehr der Fall ist, findet dann eine quotale Verteilung unter den betroffenen Gläubigern statt. In Bezug auf den insoweit nicht befriedigten Teil der Forderung könnte eine Haftung des Verwalters nach § 61 InsO in Betracht kommen, wenn die Masse1 OLG Brandenburg v. 6. 12. 2001 – 12 U 59/01, NZI 2002, 107.
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§6
Rz. 277
Beratung des ungesicherten Gläubigers
verbindlichkeit durch seine Rechtshandlung begründet worden ist. Gemäß § 61 Satz 2 InsO hat der Verwalter jedoch die Möglichkeit, sich zu exkulpieren. Er muss vortragen und im Streitfall beweisen, dass er bei der Begründung der Verbindlichkeit die mangelnde Deckung nicht erkennen konnte. 277
Hat der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt, so stellt sich für den Gläubiger einer streitigen Masseforderung die Frage, ob er Leistungsklage erheben kann oder nur eine Feststellungsklage zulässig ist. Das BAG und der BGH sind der Ansicht, dass nur die Feststellungsklage statthafte Klageart sein kann1. b) Insolvenzforderungen
278
Die InsO benutzt den Begriff „Insolvenzforderung“ nicht. Sie gibt vielmehr in § 38 nur eine gesetzliche Definition des Begriffs der Insolvenzgläubiger. Sie spricht von –
persönlichen Gläubigern,
–
die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
–
begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben.
Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen nach Maßgabe der §§ 174 ff. InsO zu verfolgen. Das persönliche Gläubigerrecht gemäß § 38 InsO ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner mit seinem ganzen Vermögen (bzw. Sondervermögen, § 333 InsO) für die Verbindlichkeit einzustehen hat. Den Gegenbegriff hierzu bildet das dingliche Haftungsrecht. Insolvenzforderung kann nur ein Vermögensanspruch, also ein solcher Anspruch sein, der auf Geldleistung gerichtet ist oder sich in einen Geldanspruch umwandeln lässt. Der Gläubiger steht insoweit selber in der Pflicht, seine Forderung mit einem Geldbetrag in inländischer Währung zu beziffern, um an dem Verfahren teilnehmen zu können. Forderungen, die keinen in Geld umrechenbaren Inhalt haben – etwa Ansprüche auf unvertretbare Handlungen – können aber evtl. Schadensersatzansprüche auslösen, die dann wiederum Insolvenzforderungen darstellen. Dies betrifft allerdings nur diejenigen Fälle, in denen die Verletzung einer Hauptpflicht die Schadensersatzfolge auslöst2. 279
Die Forderung muss bei Insolvenzeröffnung bereits begründet gewesen sein. Diese Abgrenzung ist relevant für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseforderung, aber auch zur Trennung von Neuforderungen, die nichts mit der Insolvenzabwicklung zu tun haben. Entscheidend ist dabei, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Das ist dann der Fall, wenn der anspruchsbegrün1 BAG v. 11. 12. 2001 – 9 AZR 459/00, ZIP 2002, 628; BGH v. 3. 4. 2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914; a. A. Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49. 2 Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, InsO, 2. Aufl. 2007, § 38 Rz. 14.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 280
§6
dende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war1. Uhlenbruck führt insofern in Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH2 aus, dass es bereits hinreichend sei, wenn nur der dem Anspruch zugrunde liegende „Schuldrechtsorganismus“ und (noch) nicht die letztendliche Forderung zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung besteht3. Bereits entstandene, aber noch nicht fällige Forderungen gelten als fällig, § 41 InsO. Auflösend bedingte Forderungen werden gemäß § 42 InsO wie unbedingte Forderungen behandelt, soweit die Bedingung nicht eingetreten ist. Das Gleiche gilt für aufschiebend bedingte Forderungen. Handelt es sich bei den Forderungen um ständig wiederkehrende Leistungen, so ist taugliches Abgrenzungskriterium zwischen Insolvenz- und Masseforderungen die Frage, ob die Leistung des Gläubigers bereits vollständig erbracht wurde oder ob auch nach Verfahrenseröffnung (weiterhin) Leistungen erbracht werden. Dabei macht es im Ergebnis zwar keinen Unterschied, ob Ansprüche aus einem einheitlichen Dauerschuldverhältnis vorliegen oder aber ob jeweils neue Einzelforderungen entstehen. Allerdings ist zu differenzieren, ob es sich um die vorgenannten Konstellationen oder ob es sich um Ansprüche aus einem so genannten einheitlichen Stammrecht handelt4. Konsequenz: Bei Ansprüchen aus einem einheitlichen Stammrecht, wie zum Beispiel bei Rentenansprüchen aus § 843 BGB oder Leibrentenverträgen etc., wurde der Gegenwert für die künftig wiederkehrenden Forderungen bereits in das Vermögen des Schuldners erbracht. Dies hat zur Folge, dass die wiederkehrenden Forderungen auch aus diesem Vermögen zu zahlen sind. Es handelt sich daher immer um Insolvenzforderungen. Hinsichtlich der jeweils neu entstehenden Schuldverhältnisse sowie der Dauerschuldverhältnisse wird bei der Frage, ob es sich insofern um Masseschulden oder Insolvenzforderungen handelt, nach dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung differenziert: Die vor der Verfahrenseröffnung entstehenden Forderungen sind Insolvenzforderungen. Danach entstehende Forderungen sind, je nachdem, ob eine Fortsetzung mit der Masse oder dem insolvenzfreien Vermögen erfolgt, Masse- oder Neuforderungen. Auf die detaillierte Regelung zu Miet- und Pachtverhältnissen über unbewegliche Sachen bzw. Dienstverhältnisse des Schuldners in § 108 wird ausdrücklich hingewiesen. aa) Rangordnung Innerhalb der Insolvenzforderungen gibt es, entgegen der Regelung des § 61 Abs. 1 Nr. 1–6 KO, keine Vorrechte mehr. Die Forderungen der Insolvenzgläubiger stehen alle im gleichen Rang; das Verhältnis untereinander ergibt sich aus den jeweils angemeldeten Beträgen. 1 2 3 4
Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, InsO, 2. Aufl. 2007, § 38 Rz. 16. BFH v. 28. 7. 1983 – V S 8/81, ZIP 1983, 1120. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 35 Rz. 41. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 38 Rz. 17 ff.; Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 38 Rz. 19; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 38 Rz. 20.
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280
§6
Rz. 281
Beratung des ungesicherten Gläubigers
In einem gewissen Widerspruch hierzu hat der Gesetzgeber jedoch „nachrangige“ Insolvenzforderungen eingeführt, § 39 InsO. Derartige Forderungen haben nach früherem Recht überhaupt nicht an den Verteilungen teilgenommen. Die Gründe für ihre Nachrangigkeit sind jedoch nicht in der Person des jeweiligen Gläubigers, sondern in der Art der Verbindlichkeit zu suchen. bb) Forderungsanmeldung 281
Die Einzelheiten zur Anmeldung von Insolvenzforderungen im Verfahren sind in den §§ 174 ff. InsO geregelt. (1) Allgemeines
282
Die Forderungen sind nach § 174 Abs. 1 InsO beim Insolvenzverwalter (und nicht etwa beim Insolvenzgericht, wie dies in der Praxis immer wieder vorkommt, weil es nach altem Recht so erfolgen musste) anzumelden. Die Anmeldung der Forderung ist Voraussetzung für die Teilnahme am Verfahren. Die Teilnahme wiederum dürfte im Regelfall die einzige Möglichkeit sein, überhaupt einen Teil der Forderung zu realisieren. § 87 InsO entfaltet Wirkung für sämtliche Insolvenzgläubiger, unabhängig von ihrer Teilnahme am Verfahren, so dass ein Verzicht auf die Teilnahme nicht die Möglichkeit eröffnet, den Schuldner persönlich in Anspruch zu nehmen. Die Anmeldung kann bis zur Feststellung der Forderung zurückgenommen werden. Die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger sind nur anzumelden, soweit das Insolvenzgericht besonders zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert, § 174 Abs. 3 InsO. Eine solche Aufforderung stellt in der Praxis eine seltene Ausnahme dar.
283
Die Anmeldung der Forderung im Insolvenzverfahren wirkt verjährungshemmend, § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB. Bis zur Schuldrechtsreform zum 1. 1. 2002 wirkte die Anmeldung verjährungsunterbrechend, § 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. Bereits für die Konkursordnung wurde höchstrichterlich entschieden, dass die unterbrechende Wirkung nur für Konkursforderungen – also nicht etwa für Masseverbindlichkeiten – eintrat. Diese Rechtslage änderte sich auch nicht nach In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung; die irrtümliche Anmeldung einer Forderung, die in Wahrheit keine Insolvenzforderung (sondern z.B. eine Masseforderung) ist, unterfiel nicht der Regelung des § 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. Gleiches dürfte nunmehr auch für die Vorschrift § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gelten; es besteht insoweit Wortlautidentität. (2) Form und Inhalt der Anmeldung
284
Üblich ist es, dass mit Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger auch zugleich ein Formular für die Anmeldung übersandt wird. Diese Formulare variieren von Bundesland zu Bundesland. Die Verwendung durch den Gläubiger ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Anmeldung, korrekt ausgefüllt aber jedenfalls eine Erleichterung im Bereich der Datenerfassung.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 284
§6
Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren Anmeldungen sind stets nur an den Insolvenzverwalter [Treuhänder, Sachverwalter) zu senden, nicht an das Gericht. Bitte beachten Sie auch das gerichtliche Merkblatt zur Forderungsanmeldung. Schuldner
lnsolvenzgericht: Amtsgericht: Gläubiger
Aktenzeichen:
Gläubigervertreter
(Die Beauftragung eines Rechtsanwalts ist freige(Genaue Bezeichnung des Gläubigers mit Postanschritt, bei Gesellschaften mit Angaben der gesetzli- stellt. Die Vollmacht muss sich ausdrücklich auf lnSolvenzsachen erstrecken.) chen Vertreter)
D Vollmacht anbei bzw. folgt umgehend Geschäftszeichen
Geschäftszeichen
Angemeldete Forderungen Jede selbständige Forderung ist getrennt anzugeben. Reicht der Raum auf diesem Formular nicht aus, so sind die weiteren Forderungen in einer Anlage nach dem folgenden Schema aufzuschlüsseln. Erste Hauptforderung im Rang § 38 lnsO (notfalls geschätzt)
€
Zinsen, höchstens bis zum Tag vor der Eröffnung des Verfahrens € seit dem %aus
€
Kosten, die vor der Eröffnung des Verfahrens entstanden sind
€
Summe
€
Zweite Hauptforderung im Rang § 38 lnsO (notfalls geschätzt)
€
Zinsen, höchstens bis zum Tag vor der Eröffnung des Verfahrens %aus € seit dem
€
Kosten, die vor der Eröffnung des Vetiahrens entstanden sind
€
Summe
€
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§6
285
Rz. 285
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Die Anmeldung ist in deutscher Sprache abzufassen; § 184 GVG findet insoweit Anwendung. Die Anmeldung per Telefax (bzw. telegrafisch) ist zulässig. Diese Formen sind allgemein für Prozesshandlungen anerkannt; eine entgegenstehende Regelung ergibt sich aus der InsO nicht, so dass insofern über § 4 InsO die Vorschriften der ZPO Anwendung finden. Die Anmeldung hat den Betrag (in inländischer Währung) und den Grund der Forderung zu enthalten. Nach dem InsO-Änderungsgesetz v. 26. 10. 20011 – 1 Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (BGBl. I 2001, S. 2710 ff.).
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 286
§6
hier § 174 Abs. 2 InsO betreffend – muss der Insolvenzgläubiger im Hinblick auf § 302 Ziff. 1 InsO ausdrücklich angeben und konkret begründen, ob die Forderung auf einer unerlaubten Handlung beruht1. Die Anmeldung eines Anspruchs auf Zahlung Zug um Zug gegen Herausgabe einer Sache ist rechtlich nicht möglich2. Zinsforderungen auf die Hauptforderung sind gesondert auszuweisen mit Angabe des Verzinsungsbeginns und des Zinssatzes; erforderlichenfalls ist auch der Endtermin anzugeben; spätestens ist dies der Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mehrere selbständige Forderungen sind einzeln anzugeben; dagegen ist bei Kontokorrentforderungen der Saldo anzumelden. Forderungen von Arbeitnehmern sind brutto anzumelden. Als Forderungsgrund ist der zugrunde liegende Lebenssachverhalt anzugeben; eine lediglich rechtliche Würdigung genügt hier nicht. Der Anmeldung sollten Kopien derjenigen Unterlagen beigefügt werden, die geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch nachzuweisen. Auf die Wirksamkeit der Anmeldung hat dies keine Auswirkung. Ein Unterlassen dürfte jedoch in aller Regel zum Bestreiten des Anspruchs durch den Verwalter führen mit dem sich dann daraus ergebenden Kostenrisiko des sofortigen Anerkenntnisses bei Vorlage im Rahmen eines möglicherweise erforderlichen Feststellungsprozesses (siehe hierzu unten Rz. 311 f.). Befindet sich der Gläubiger im Besitz eines Titels über die angemeldete Forderung, so sollte dieser Titel im Original der Anmeldung beigefügt werden, auch wenn dies nach Meinung des BGH für die Feststellung der Forderung entbehrlich ist3. (3) Eintragung in die Tabelle Dem Insolvenzverwalter obliegt es gemäß § 175 Satz 1 InsO, die angemeldeten Forderungen in eine Tabelle einzutragen. Bei der Aufnahme von Forderungen in die Tabelle ist der Insolvenzverwalter an die Auffassung des Gläubigers gebunden. Bei nachrangigen Forderungen besteht keine Zurückweisungsbefugnis, sondern nur die Möglichkeit des Bestreitens im Prüftermin4. Die Tabelle hat als Mindestinhalt den Namen und die Anschrift des Gläubigers sowie dessen Vertreter, den angemeldeten Betrag, aufgeschlüsselt nach Hauptforderung, Kosten und Zinsen, den Grund der Forderung und den Tag des Eingangs der Anmeldung bei dem Verwalter zu enthalten. Im Übrigen ist die Art der Tabellenführung dem Verwalter überlassen, wobei inzwischen eine bestimmte EDV-Software üblich ist, die folgendes Bild hat:
1 Kehe/Meyer/Schmerbach, ZInsO 2002, 615 und 660 sowie Mäusezahl, ZInsO 2002, 462. 2 BGH v. 23. 10. 2003 – IX ZR 165/02, ZIP 2003, 2379 m. Bespr. Holzer, EWiR 2004, 191. 3 BGH v. 1. 12. 2005 – IX ZR 95/04, ZVI 2006, 26; Köster/Ahrendt, EWiR 2006, 177. 4 LG Waldshut-Tiengen v. 26. 1. 2005 – 1 T 172/03, ZInsO 2005, 557.
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286
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Beglaubigt:
79,11 79,11
Spalte 6
Spalte 7
Warenlieferung
Rechtspfleger/in
Jäckel U.d.G.
Wuppertal, den 23. 4. 2003
Vom Verwalter vorläufig bestritten.
Spalte 8
Ergebnis der Prüfungsverhandlung Spalte 9
Berichtigungen
Spalte 10
Bemerkungen
Blattzahl:
31. 3. 2003
Spalte 5
Tag der Anmeldung
94
Spalte 2
Laufende Nummer
0
Spalte 1
Angemeldeter Rang
Rz. 286
Angemeldeter Betrag in Grund der Forderung EUR (urkundliche Beweisstücke)
Firma AAA GmbH & Co. KG gesetzl. vertr. d. Geschäftsführer Ernst Kreuder Vorster Str. 1 41169 Mönchengladbach
Spalte 3
Rechtsanwalt Hans P. Runkel Friedrich-Ebert-Str. 146 42117 Wuppertal
Insolvenzverwalter
Spalte 4
BBR Baustoffe Bergische Region GmbH & Co. KG, OttoHahn-Str. 65, 42369 Wuppertal, ges. vertr. d. 1. BBR-Baustoffe Bergische Region Management GmbH, Otto-Hahn-Str. 65, 42369 Wuppertal, (persönlich haftende Gesellschafterin), ges. vertr. d. 1.1. Dieter Josef Voschgezang (…)
SCHULDNERIN
GLÄUBIGER(IN)
145 IN 919/02
Aktenzeichen
Vertreter des Gläubigers, Hinweis auf die Vollmacht
Insolvenztabelle
AG Wuppertal
§6 Beratung des ungesicherten Gläubigers
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 290
§6
Die EDV-Software des Verwalters muss im Übrigen mit derjenigen des Gerichts kompatibel sein. Der Verwalter hat die Tabelle innerhalb der Frist des § 175 Satz 2 InsO bei der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. cc) Prüfungstermin (1) Terminierung und Vorbereitung Mit Eröffnung des Verfahrens bestimmt das Insolvenzgericht einen Termin zur Forderungsprüfung und gibt diesen Termin im Eröffnungsbeschluss bekannt, § 29 Abs. 1 Satz 2 InsO.
287
Der Verwalter hat im Termin zu jeder einzelnen Forderung Stellung zu nehmen und wird daher im Vorfeld des Termins die Forderungen im Hinblick darauf sichten, ob er diese im Termin bestreiten will oder nicht. Grundlage hierfür sind zum einen die Angaben des Schuldners, der gemäß § 97 InsO verpflichtet ist, dem Verwalter die erforderlichen Auskünfte zu erteilen; zum anderen wird der Verwalter die der jeweiligen Anmeldung beigefügten Unterlagen dahin überprüfen, ob die angemeldete Forderung insoweit hinreichend belegt erscheint. (2) Teilnahmeberechtigung Zur Teilnahme an dem Prüfungstermin sind alle Insolvenzgläubiger berechtigt, die eine Forderung in dem Verfahren angemeldet haben.
288
Der Schuldner ist ebenfalls berechtigt, am Prüfungstermin teilzunehmen. Sein Erscheinen kann auch durch das Gericht angeordnet werden. Die Teilnahmeberechtigung gilt selbstverständlich auch für den Verwalter. Insoweit ist lediglich streitig, ob dieser persönlich anwesend zu sein hat1 oder ob die Entsendung eines Vertreters zulässig ist2. Einstweilen frei.
289
(3) Ablauf des Prüfungstermins Die Durchführung des Prüfungstermins geschieht durch das Insolvenzgericht. Zuständig ist insoweit regelmäßig der Rechtspfleger, auf den das Verfahren übertragen wurde. Im Verlauf des Termins wird die von dem Verwalter angefertigte Tabelle im Einzelnen3 durchgegangen. Der Verwalter erklärt zu jeder angemeldeten Forderung, ob er dieser widerspricht oder ob sie von ihm anerkannt wird, gegebenenfalls teilweise oder auf Ausfall. 1 So Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 176 Rz. 2; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 176 Rz. 8; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 176 Rz. 8; Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 176 Rz. 5. 2 So Weis in Hess/Weis/Wienberg, InsO, 3. Aufl. 2006, § 176 Rz. 13; Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 176 Rz. 9. 3 In der Praxis erfolgen immer mehr Pauschalbeurkundungen.
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§6
Rz. 291
Beratung des ungesicherten Gläubigers
(a) Bestreiten von Forderungen, insbesondere vorläufiges Bestreiten 291
Das Bestreiten von zur Tabelle angemeldeten Forderungen erfolgt durch mündliche Erklärung, dass der angemeldeten Forderung widersprochen wird. Ein schriftlicher Widerspruch ist nur zulässig, wenn gemäß § 177 Abs. 1 InsO die Prüfung im schriftlichen Verfahren angeordnet wurde. Widersprochen werden kann dem Anspruch als solchem, der Höhe des Anspruchs, der Anmeldbarkeit des Anspruchs zur Tabelle (für den Fall, dass es sich nicht um eine Insolvenzforderung handelt) sowie einem im Rahmen des § 39 InsO angemeldeten Vorrecht.
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Eine Besonderheit der Prüfung liegt in dem von Verwaltern in umfangreichen Verfahren oftmals praktizierten „vorläufigen“ Bestreiten einzelner Forderungen. Dies erfolgt unter Berufung darauf, dass aufgrund der Vielzahl der angemeldeten Forderungen eine sorgfältige Prüfung der einzelnen Ansprüche bis zu dem Prüfungstermin noch nicht möglich war. Ob ein solches Vorgehen zulässig ist, ist streitig. Problematisch ist hier insbesondere, ob der hiervon betroffene Gläubiger die Feststellung nach § 179 InsO sofort betreiben kann1 oder ob er mit einer Klage solange zu warten hat, bis der Insolvenzverwalter eine endgültige Erklärung abgibt2. Auch „vorläufig“ bestrittene Forderungen sind bestrittene Forderungen im Sinne des § 179 Abs. 1 InsO. Die Zulässigkeit der Klage ist insofern nicht betroffen. Letztlich kann es hier also nur darum gehen, die Kostenfolge des § 93 ZPO zu vermeiden. Erklären die Prozessparteien nach einem Anerkenntnis der vorläufig bestrittenen Forderung den Rechtsstreit für erledigt, so hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Er hätte sich vor Aufnahme des Rechtsstreits vergewissern müssen, ob der Insolvenzverwalter das Bestreiten der angemeldeten Forderung aufrechterhält3. Dies gilt im Übrigen auch, wenn dem Bestreiten der Zusatz „vorläufig“ fehlt: Hat etwa der Bestreitende deutlich gemacht, dass er die Forderung nur deshalb bestreitet, weil er sich zu ihr nicht abschließend erklären kann, so sollte sich der Gläubiger vergewissern, dass der Bestreitende seinen Widerspruch nach wie vor aufrechterhält. Lässt sich dagegen dem Bestreiten kein Grund für einen Widerspruch entnehmen und ist auch nicht zu erkennen, dass die Erklärung unter dem Vorbehalt weiterer Prüfung und möglicherweise Anerkennung erfolgte, dürfte bei Klageerhebung durch den Gläubiger das Risiko einer für ihn negativen Kostenentscheidung gegen Null tendieren.
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Eine Feststellungsklage nach den §§ 179 ff. InsO ist nur zulässig, wenn zuvor ein Prüfungsverfahren stattgefunden hat. Anmeldung und Prüfung der Forde-
1 OLG Köln v. 20. 4. 1978 – 12 W 3/78, KTS 1979, 119; OLG München v. 12. 7. 2005 – W 1447/05, ZInsO 2005, 778; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 179 Rz. 4 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 3. 11. 1981 – 16 W 146/81, ZIP 1982, 201; OLG Karlsruhe v. 10. 5. 1989 – 18 O 2/96, ZIP 1989, 791. 3 LAG Hamm v. 14. 3. 2002 – 4 Sa 1366/97, ZIP 2002, 770; Schumacher, EWiR 2002, 777.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 294
§6
rung sind Sachurteilsvoraussetzungen, die von Amts wegen berücksichtigt werden müssen1. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis2.
! Hinweis: Ist die Feststellung gegen mehrere Bestreitende zu betreiben, empfiehlt sich die Führung des Rechtsstreits gegen sämtliche Widersprechenden, diese werden zu notwendigen Streitgenossen, weil die Feststellung der Forderung in Bezug auf die Insolvenztabelle nur einheitlich erfolgen kann3. Streitig ist, ob außer der Insolvenzfeststellungsklage der Gläubiger auch eine Klage des Verwalters zulässig ist, die auf Feststellung des Nichtbestehens der (ohnehin bestrittenen) Forderung gerichtet ist. In aller Regel dürfte für eine solche Klage das Rechtsschutzbedürfnis bzw. Feststellungsinteresse fehlen (wenn der von dem Widerspruch betroffene Gläubiger auf eine Feststellungsklage verzichtet), weil eine bestrittene Forderung bei der Verteilung unberücksichtigt bleibt, § 189 InsO. (b) Widerspruchsberechtigte Zunächst ist der Schuldner selbst berechtigt, im Prüfungstermin angemeldeten Forderungen zu widersprechen. Ein solcher Widerspruch hindert die Feststellung zur Tabelle nicht. Die Wirkung besteht jedoch darin, dass eine Vollstreckung gegen den Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens aus dem Tabelleneintrag nicht möglich ist, § 209 Abs. 2 InsO. Um die Möglichkeit einer solchen späteren Vollstreckung zu erhalten, ist ein Vorgehen nach § 184 InsO (Feststellungsklage gegen den Schuldner) erforderlich. Des Weiteren ist der Verwalter, der in Ausübung seines Amtes die Interessen aller Gläubiger in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen hat, zum Widerspruch berechtigt. Neben ihm sind dies ebenfalls die Gläubiger, die ihre Forderungen zur Tabelle angemeldet haben. Ein Widerspruch durch den Verwalter und/oder einen oder mehrere Gläubiger führt dazu, dass der Inhaber der bestrittenen Forderung nunmehr zunächst die Feststellung seines Anspruchs betreiben muss, § 179 Abs. 1 InsO, will er die Feststellung zur Tabelle erreichen. Umgekehrt liegt der Fall dann, wenn der Gläubiger der bestrittenen Forderung über einen Titel verfügt. Dann ist gemäß § 179 Abs. 2 InsO der Bestreitende gehalten, die Feststellung zu betreiben, dass die Forderung nicht besteht. An dieser Stelle wirkt sich die ansonsten im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht besonders bedeutsame Titulierung einer Forderung gegen den Schuldner zugunsten des Gläubigers aus. Zu den Einzelheiten siehe unten Rz. 303 ff.
1 BAG v. 3. 12. 1985 – 1 AZR 545/84, ZIP 1986, 518; LG Bonn v. 15. 8. 1996 – 18 O 2/96, ZIP 1996, 1672. 2 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 179 Rz. 4. 3 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 179 Rz. 9 m.w.N.
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294
§6
Rz. 295
Beratung des ungesicherten Gläubigers
(c) Tabelleneintragung 295
Für jede angemeldete Forderung hat das Insolvenzgericht das Ergebnis der Prüfung einzutragen, § 178 Abs. 2 InsO. Aus dem entsprechenden Vermerk ergibt sich dann, ob eine Forderung ganz oder teilweise (vorläufig) bestritten oder festgestellt wurde. Zu den bestrittenen Forderungen ist außerdem anzugeben, wer der Forderung widersprochen hat. Die Eintragung der festgestellten Ansprüche reduziert sich in bestimmten Fällen nicht darauf, dass der Anspruch festgestellt wurde, vielmehr können sich hier weitere Besonderheiten ergeben: So werden Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger in den Fällen, in denen die Verwertung des Sicherungsgutes noch nicht abgeschlossen ist, „für den Ausfall“ festgestellt, § 52 InsO. Ebenso erhalten Wechsel- bzw. Scheckforderungen einen entsprechenden Vermerk: „Festgestellt unter der Bedingung des Art. 39 WG bzw. Art. 34 ScheckG“. dd) Nachträgliche/verspätete Anmeldungen
296
Versäumt der Gläubiger die Anmeldung seiner Forderung innerhalb der Frist des § 28 Abs. 1 InsO, ist ihm damit noch nicht die Möglichkeit genommen, seine Forderung in dem Verfahren geltend zu machen. Bei der Frist zur Anmeldung handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist – anders noch § 14 GesO – was zu weitreichenden Auseinandersetzungen führte1. Die Mehrkosten der nachträglichen Prüfung haben die säumigen Gläubiger zu tragen2.
296a
Der Verwalter hat daher auch solche Forderungen zu prüfen, die nach Ablauf der Frist angemeldet werden, § 177 Abs. 1 Satz 1 InsO, theoretisch auch solche, die erst im Prüfungstermin geltend gemacht werden.Der Verwalter hat allerdings die Möglichkeit, der Prüfung einer nach Fristablauf angemeldeten Forderung unter Hinweis auf den Fristablauf zu widersprechen, § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO, mit der Folge, dass das Gericht auf Kosten des Säumigen entweder die schriftliche Prüfung der Forderung oder aber einen besonderen Prüfungstermin anordnet. Die Prüfung im Termin findet dann jedenfalls nicht statt. Geht eine Anmeldung erst ein, nachdem der Prüfungstermin stattgefunden hat, so ist auch in diesem Fall entweder ein besonderer Prüfungstermin zu bestimmen oder es ist die Prüfung der Forderung im schriftlichen Verfahren anzuordnen. Die Kosten für eine Nachprüfung (Nr. 4140 KostO) sind vom säumigen Gläubiger zu tragen. Forderungsanmeldungen, die erst nach Bestimmung des Schlusstermins erfolgen, sind als Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis zu werten; sie müssen persönlich im Schlusstermin vorgebracht werden. Der Insolvenzverwalter darf nachträglich angemeldete Forderungen, die in einem mit dem Schlusstermin verbundenen Nachprüfungstermin geprüft werden, nicht mehr in das Schlussverzeichnis, das für die Verteilung bindend ist, aufnehmen3. 1 Siehe hierzu das Urteil des BVerfG v. 26. 4. 1995 – 1 BvL 19/94 u. 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262, 273. 2 Hierzu sehr weitgehend das AG Bamberg v. 17. 5. 2004 – 2 IN 11/03, ZVI 2005, 391. 3 BGH v. 22. 3. 2007 – IX ZB 8/05, ZIP 2007, 876.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 299
§6
Eine zeitliche Grenze für die Nachmeldung setzt § 189 InsO. Hat der Verwalter zum Zwecke der Verteilung ein Verzeichnis der Forderungen aufgestellt und öffentlich bekannt gemacht, beginnt mit dieser Bekanntmachung eine zweiwöchige Ausschlussfrist, die nicht verlängert werden kann. Diese Ausschlussfrist ist keine Notfrist im Sinne der §§ 224 Abs. 1 Satz 2, 233 ZPO, so dass bei Versäumen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Frage kommt.
297
ee) Rücknahme und Änderung von Anmeldungen Eine Anmeldung kann bis zur Feststellung der Forderung zurückgenommen werden. Danach ist eine Rücknahme wegen der Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO eigentlich nicht mehr möglich (siehe auch unter Rz. 300). Wird trotzdem die Rücknahme erklärt, so kann die Erklärung als Verzicht auf die Teilnahme an den Verteilungen ausgelegt werden. Die Rücknahme geschieht durch Erklärung gegenüber dem Verwalter bzw. dem Gericht, sofern die Tabelle bereits dort niedergelegt ist, § 175 InsO (die Tabelle verbleibt nach der Prüfung beim Insolvenzgericht).
298
Ändert der Gläubiger seine Anmeldung, etwa in Bezug auf den angemeldeten Betrag (Ermäßigung bzw. Erhöhung) oder den Forderungsgrund, handelt es sich der Sache nach um eine Neuanmeldung. Die Behandlung einer solchen geänderten Anmeldung hängt davon ab, in welchem Stadium sich das Verfahren befindet:
299
Eine Änderung vor Ablauf der Anmeldefrist wird in der Regel die „alte“ Anmeldung ersetzen. Nach Ablauf der Anmeldefrist, jedoch noch vor dem Prüfungstermin, gilt das oben unter Rz. 296 f. bereits Ausgeführte; es kann eine Berücksichtigung im Prüfungstermin erfolgen; widerspricht der Insolvenzverwalter oder ein Insolvenzgläubiger der Prüfung, ist eine Nachprüfung erforderlich. Bei Änderung der Anmeldung nach dem Prüfungstermin sind verschiedene Konstellationen denkbar, deren Darstellung im Einzelnen hier zu weit führen würde. Zu unterscheiden ist jedenfalls, ob die Änderung den angemeldeten Betrag oder den Schuldgrund betrifft und ob die Forderung bereits festgestellt wurde. Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit im Prüfungstermin weder vom Verwalter noch von einem anderen Gläubiger ein Widerspruch erfolgt (§ 78 Abs. 1 InsO). Die Eintragung in die Tabelle wirkt wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter (Abs. 3). Der Austausch des Grundes der Forderung ist nur bis zur rechtskräftigen Feststellung zulässig; einer späteren Berichtigung steht die Rechtskraftwirkung entgegen1. Zusammenfassend: Festzuhalten ist insoweit, dass keine der denkbaren Änderungen per se unwirksam ist und eine „Umsetzung“ üblicherweise erst dann problematisch werden kann, wenn im Rahmen des Verfahrens Verteilungen anstehen.
1 AG Marburg/Lahn v. 5. 7. 2005 – 22 IN 15/04, ZInsO 2005, 784.
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§6
Rz. 300
Beratung des ungesicherten Gläubigers
ff) Konsequenzen für anerkannte Forderungen – Feststellungswirkungen und Rechtsbehelfe 300
Die Feststellung der Forderung wirkt gegenüber den Insolvenzgläubigern, gegenüber dem Verwalter (wenn dieser nicht widersprochen hat) und gegenüber dem Schuldner hinsichtlich des festgestellten Betrages wie ein rechtskräftiges Urteil, § 178 Abs. 1 InsO. Die Rechtskraftwirkung gegenüber dem Schuldner erlangt regelmäßig erst nach Verfahrensbeendigung Bedeutung. Eine Besonderheit ergibt sich, wenn einzig der Schuldner der Forderung im Prüfungstermin widersprochen hat. Ein solcher Widerspruch hindert nicht die Feststellung der Forderung zur Tabelle, hindert jedoch nach Abschluss des Verfahrens eine Vollstreckung gegen den Schuldner aus der Tabelle. Gegen feststellende Tabelleneinträge sind die Rechtsbehelfe zulässig, die das Gesetz allgemein gegen rechtskräftige Urteile gewährt, also insbesondere die Restitutionsklage des § 580 ZPO. Im Einzelfall kann auch die Erhebung einer materiell-rechtlichen Klage aus § 826 BGB in Betracht kommen. Solche Schadensersatzansprüche wurden von der Rechtsprechung wiederholt anerkannt1.
301
Sind die Einwendungen gegen die festgestellte Forderung erst nach deren Feststellung entstanden, kommt auch eine Klage nach § 767 ZPO in Betracht. Da es hier auf den Zeitpunkt der Feststellung ankommt, ist darauf zu achten, wann diese erfolgte: –
wurde der Forderung nicht widersprochen, handelt es sich um den Tag des Prüfungstermins;
–
wurde Feststellungsklage erhoben, ist der Schluss der mündlichen Verhandlung maßgebend (§ 296a ZPO);
–
bei Einlegung und anschließender Rücknahme eines Widerspruchs: der Zugang der Rücknahmeerklärung bei Gericht oder dem anmeldenden Gläubiger;
–
wurde der Forderung durch einen Gläubiger widersprochen, nimmt dieser jedoch seine eigene Anmeldung zurück: Eingang der Rücknahmeerklärung bei Gericht;
–
bei Erlöschen der Forderung des Bestreitenden: Zeitpunkt des Erlöschens.
Aktivlegitimiert ist während des Verfahrens der Verwalter und jeder Insolvenzgläubiger, nach Verfahrensbeendigung der (ehemalige) Schuldner. 302
Die Rechtskraftwirkung der Feststellung zur Insolvenztabelle beschränkt sich nach herrschender Meinung auf Forderungen, die auch wirklich Insolvenzforderungen sind. Liegt in Wahrheit eine Masseverbindlichkeit vor, so wird keine Feststellungswirkung ausgelöst (zur fehlerhaften Behandlung von Masseverbindlichkeiten s. auch § 14 Rz. 113). Hat ein Gläubiger irrtümlich eine andere als eine Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet, hindert ihn dies auch bei 1 BGH v. 1. 4. 1954 – IV ZR 177/53, BGHZ 13, 71; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 178 Rz. 15; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 178 Rz. 25.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 305
§6
etwaiger Feststellung nicht, seinen Anspruch nach den Vorschriften zu verfolgen, die für die anderen Forderungen gelten, also bspw. bei einer Masseforderung darauf zu bestehen, dass sie vorab befriedigt wird1. gg) Konsequenzen für bestrittene titulierte Forderungen Tituliert ist eine Forderung, wenn im Eröffnungszeitpunkt für sie ein Schuldtitel vorlag, aus dem die Zwangsvollstreckung hätte betrieben werden können (unter Außerachtlassung des § 89 Abs. 1 InsO).
303
Wird einer solchen Forderung im Prüfungstermin widersprochen, so obliegt es dem Widersprechenden, seinen Widerspruch durchzusetzen. Die Insolvenzordnung stellt hierfür keine Vorschriften zur Verfügung. Der Widersprechende hat sich der prozessualen Mittel zu bedienen, die dem Schuldner möglich wären, gäbe es kein Insolvenzverfahren. Die gerichtliche Zuständigkeit regelt § 180 InsO. Der Antrag des Widersprechenden geht dahin, den Widerspruch gegen die Forderung für begründet zu erklären2. hh) Konsequenzen für bestrittene Forderungen ohne Titel (1) Klageerhebung und Zuständigkeitsfragen Hat der Insolvenzverwalter oder ein Gläubiger eine nicht titulierte Forderung bestritten, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben, § 179 Abs. 1 InsO. Betrieben wird die Feststellung durch Klageerhebung im „ordentlichen Verfahren“ (§ 180 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gemeint ist hiermit regelmäßig ein Zivilprozessverfahren. Ausnahmsweise kann nach § 185 InsO auch ein besonderes Gericht zuständig sein, wenn nämlich Ansprüche betroffen sind, die bei Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs- oder Finanzgerichten geltend zu machen sind. Nach Satz 2 von § 180 Abs. 1 InsO ist grundsätzlich das Amtsgericht anzurufen, und zwar dasjenige, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist. Damit soll nur die örtliche Zuständigkeit angesprochen werden. Die Klage ist also nicht etwa bei der Insolvenzabteilung, sondern bei der Zivilabteilung einzureichen.
304
Gehört der Streitgegenstand nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte, so ist das Landgericht ausschließlich zuständig, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört, § 180 Abs. 1 Satz 3 InsO. Dort ist evtl. auch die Kammer für Handelssachen anzurufen, wenn die Voraussetzungen des § 95 GVG vorliegen. Wäre vom Streitwert her zunächst das außergerichtliche Schlichtungsverfahren zu durchlaufen, so ist dies auch bei einer bestrittenen Tabellenforderung zu beachten. Es kann also nicht sofort auf Feststellung zur Tabelle geklagt werden3. 1 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 178 Rz. 10. 2 BGH v. 29. 6. 1994 – VIII ZR 28/94, ZIP 1994, 1193; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 179 Rz. 17. 3 AG Wuppertal v. 30. 11. 2001 – 36 C 360/01, ZInsO 2002, 91 mit zustimmender Besprechung von Mankowski, EWiR 2002, 347.
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§6 306
Rz. 306
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Ein Mahnverfahren scheidet aus, weil ein Vollstreckungsbescheid nicht auf Feststellung zur Tabelle lauten kann1. Genauso wenig ist ein Urkunds-, Wechsel- oder Scheckprozess eine geeignete Verfahrensart2. Ein Vorbehaltsurteil würde nämlich hinsichtlich der endgültigen Klärung einer Tabellenforderung nicht weiterhelfen. Der gesetzgeberische Gedanke, dem Kläger zügig eine Vollstreckungsmöglichkeit zu verschaffen, hat im Rahmen der Insolvenz keine Bedeutung. Dagegen soll aber ein Schiedsverfahren zulässig sein3. Hiergegen sprechen bereits Kostengesichtspunkte. Im anderen Zusammenhang ist deshalb entschieden worden, dass sich der Insolvenzverwalter aus einer Schiedsgerichtsvereinbarung lösen kann, wenn er einen Aktivprozess führen will4. Dann ist es erst recht mit dem Grundgedanken des Insolvenzverfahrens, die Masse zu erhalten und zu mehren, unvereinbar, wenn für die Klärung der Passiva unnötiger Kostenaufwand betrieben wird. Im Übrigen muss der Streitgegenstand identisch sein. Hatte der Gläubiger einen Rückzahlungsanspruch aus Wandelung zur Tabelle gemeldet, so kann er im Falle des Bestreitens der Klage nicht später auf einen Nichterfüllungsschaden gestützt werden; eine derartige neue, d.h. andere Forderung müsste zunächst wieder zur Tabelle angemeldet werden5.
307
Formulierungsvorschlag: Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs gibt Anlass, auf die Bedeutung des richtigen Klageantrages hinzuweisen6. In Frage kommt folgende Formulierung: „Es wird festgestellt, dass dem Kläger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma XY eine Insolvenzforderung in Höhe von … Euro zusteht.“
! Hinweis: Im Übrigen ist es unzulässig, der Klage einen anderen Anspruch zugrunde zu legen als er in der Forderungsanmeldung aufgeführt ist7. (2) Fortsetzung eines Rechtsstreits 308
War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die angemeldete Forderung anhängig, so ist die Feststellung durch Aufnahme des 1 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 180 Rz. 5. 2 OLG München v. 19. 10. 1984 – 23 U 3153/84, ZIP 1985, 297; a. A.: Greger in Zöller, ZPO, § 592 Rz. 3. 3 BGH v. 28. 2. 1957 – VII ZR 204/56, BGHZ 24, 15 (18); Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 180 Rz. 5. 4 Hierzu Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 85 Rz. 27. 5 BGH v. 27. 9. 2001 – IX ZR 71/00, WM 2001, 2180; BGH v. 23. 10. 2003 – IX ZR 165/02, NZI 2004, 214. 6 BGH v. 29. 6. 1994 – VIII ZR 28/94, ZIP 1994, 1193. 7 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 180 Rz. 1.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 311
§6
gem. § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit zu betreiben, § 180 Abs. 2 InsO. Dies entspricht dem Grundsatz der Prozessökonomie. Einem neuen Rechtsstreit stünde der Einwand der Rechtshängigkeit entgegen. Für die Aufnahme des Rechtsstreits sind folgende Erklärungen notwendig: –
den Rechtsstreit aufnehmen zu wollen, § 250 ZPO;
–
Änderung des Leistungsantrages in einen Feststellungsantrag;
–
Bezeichnung des Bestreitenden als nunmehrigen Beklagten.
War der Klageantrag nicht auf eine Geldforderung gerichtet, so ist der Anspruch gem. § 45 InsO in Geld umzurechnen. Im Übrigen muss die angemeldete Forderung mit der Forderung des anhängig gewesenen Rechtsstreits identisch sein1.
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Der Rechtsstreit kann in jedem Stadium aufgenommen werden, also auch in der Revisionsinstanz2. Das einmal angerufene Gericht (Landgericht) bleibt auch zuständig, selbst wenn es wegen der Quotenerwartung vom Streitwert her bei einem neuen Prozess nicht mehr angerufen werden könnte3. (3) Vorläufiges Bestreiten Ist die Forderung nur vorläufig bestritten worden – zur Frage der Zulässigkeit dieses Vorgehens siehe oben unter Rz. 291 ff., so ist dringend davon abzuraten, sofort Klage zu erheben.
310
Einige Gerichte vertreten nämlich die Auffassung, dass dies für den Kläger Kostennachteile hat, wenn der Verwalter die Forderung (bis zur mündlichen Verhandlung?) anerkennt (§ 93 ZPO). Einen guten Überblick zu den verschiedenen Rechtsansichten – es gibt auch eine differenzierende Auffassung, wonach auf die Erkennbarkeit des Anerkennungsvorbehaltes abzustellen ist – gibt Pape4. (4) Streitwert und Kostenentscheidung Der Wert des Streitgegenstandes einer Klage auf Feststellung der bestrittenen Forderung bestimmt sich nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse zu erwarten ist, § 182 InsO. Es ist zu fragen, welchen Betrag der klagende Gläubiger bei einer Verurteilung der Insolvenzmasse bekommen würde5. Ist mit einer Quote nicht zu rechnen, muss der Streitwert auf die niedrigste Gebührenstufe festgesetzt werden6. Da der Gläubiger die Quotenaussichten regelmäßig nicht beurteilen kann, ist der Verwalter verpflichtet, hierzu gegenüber
1 2 3 4 5 6
BGH v. 23. 6. 1988 – IX ZR 172/87, ZIP 1988, 979. BGH v. 18. 2. 1965 – II ZR 205/61, WM 1965, 626. BGH v. 23. 6. 1988 – IX ZR 172/87, ZIP 1988, 979. Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 179 Rz. 5 ff. OLG Köln v. 29. 1. 2003 – 2 W 14/03, NZI 2003, 568. OLG Düsseldorf v. 11. 3. 1994 – 17 W 1/94, ZIP 1994, 638 (639); a. A. OLG Rostock v. 28. 4. 2003 – 3 W 43/03, ZInsO 2004, 46, zumindest dann, wenn der Verwalter eine materiell-rechtlich aussichtsreiche und auch durchsetzbare Forderung verfolgt.
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311
§6
Rz. 312
Beratung des ungesicherten Gläubigers
dem Gericht und den Parteien geschätzte Angaben zu machen1. Bei der Klage auf Feststellung, dass dem Gläubiger ein Anspruch aus einer unerlaubten Handlung zusteht, ist der Streitwert nicht auf den vollen Nennwert der (vom Schuldner unbestrittenen) Forderung festzusetzen, sondern es muss ein Abschlag gemacht werden2. Der Streitwert wird nicht davon beeinflusst, dass der Gläubiger für seine Forderungen Sicherheiten hat, gleichgültig, ob es sich um Drittsicherheiten oder ein Absonderungsrecht handelt3. § 182 InsO ist nicht auf Klagen gegen den Widerspruch des Schuldners – nachfolgend unter Rz. 313 ff. – anwendbar. Die Klage hat in diesem Fall nur Bedeutung für die Vollstreckungsmöglichkeit nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 201 InsO). Deshalb ist der Streitwert auch um die voraussichtliche Quotenzahlung zu reduzieren. 312
Die Kostenentscheidung richtet sich so wie üblich nach dem Umfang des Obsiegens. Unterliegt der klagende Gläubiger, so steht der Masse ein Kostenerstattungsanspruch zu, gegen den der Gläubiger nicht mit einer anderen – unstreitigen – Insolvenzforderung aufrechnen kann. Unterliegt der Verwalter, so bekommt der Gläubiger eine Masseforderung. Richtete sich die Klage gegen einen anderen Gläubiger, so hat dieser keinen Ausgleichsanspruch gegenüber der Masse4. Auch wenn die Forderung nicht vorläufig, sondern „normal“ oder ausdrücklich endgültig bestritten worden ist, könnte bei einem sofortigen Anerkenntnis nach § 93 ZPO die Kostenlast den Gläubiger treffen, nämlich dann, wenn er den Verwalter vor Klageerhebung nicht zunächst zur Rücknahme des Widerspruchs aufgefordert hat oder wenn der Gläubiger erst im Klageverfahren die erforderlichen Forderungsnachweise vorlegt5. Dieser Rechtsauffassung folgt der BGH allerdings nur eingeschränkt: Wenn dem Schuldner schon im Zeitpunkt der insolvenzbedingten Unterbrechung des Verfahrens ein sofortiges Anerkenntnis versagt war, so hat dies auch für den Insolvenzverwalter Konsequenzen. Erkennt er den Anspruch, den er zunächst im Prüfungstermin bestritten hat, im anschließenden Feststellungsprozess an, so habe er die Kosten als Masseverbindlichkeit zu tragen. Der Kostenerstattungsanspruch sei auch insgesamt Masseverbindlichkeit, also auch für den Zeitraum vor der Unterbrechung6.
! Hinweis für den beratenden Anwalt: Einem Gläubiger ist deshalb dringend anzuraten, –
bei vorläufigem Bestreiten den Verwalter zu einer endgültigen Erklärung aufzufordern;
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bei „normalem“ oder endgültigem Bestreiten
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Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 182 Rz. 7. OLG Celle v. 26. 9. 2006 – 4 W 178/06, ZInsO 2007, 42. BGH v. 12. 11. 1992 – VII ZB 13/92, ZIP 1993, 50. Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 147 Rz. 4. OLG Dresden v. 3. 2. 1997 – 13 W 935/96, ZIP 1997, 327 mit Anmerkung Voß, EWiR 1997, 331. 6 BGH v. 28. 9. 2006 – IX ZB 312/04, ZIP 2006, 2132.
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Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 315
§6
–
zunächst außergerichtlich auf Beseitigung des Widerspruchs zu drängen;
–
zu überprüfen, ob die Anmeldung den Vorschriften des § 174 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 InsO entsprach und notfalls den Forderungsgrund zu konkretisieren sowie die Belege zu übersenden.
(5) Widerspruch des Schuldners Hat der Schuldner eine Forderung bestritten, so kann der Gläubiger auch ihm gegenüber Feststellungsklage erheben oder ihm gegenüber den Rechtsstreit aufnehmen, § 184 InsO. Dies ist wegen § 201 InsO wichtig. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens können hiernach die Gläubiger ihre (restlichen) Forderungen gegenüber dem Schuldner unbeschränkt geltend machen, soweit keine Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Aus der Eintragung in die Tabelle können die Gläubiger jedoch nur dann wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben, wenn die Forderung nicht vom Schuldner bestritten worden ist.
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Für ein mögliches Restschuldbefreiungsverfahren hat der Widerspruch des Schuldners jedoch keine Bedeutung. Grundlage für die Verteilungen des Treuhänders während der Wohlverhaltensperiode ist das Schlussverzeichnis, § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO (vgl. hierzu auch § 16 Rz. 404 ff.). In ein Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO gehören die nach den §§ 174 ff. InsO festgestellten Forderungen1. Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird. Ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen, § 178 Abs. 1 InsO.
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Zum Streitwert einer Klage gegenüber dem Schuldner verweise ich auf die Ausführungen unter Rz. 311 f. (6) Wirkung der Entscheidung im Feststellungsprozess Eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erachtet wird, wirkt gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern, § 183 Abs. 1 InsO. Für den Schuldner, der die Forderung selbst nicht bestritten hat, hat die Feststellungsentscheidung die Folge, dass nach entsprechender Korrektur der Tabelle hieraus ein Titel mit Zwangsvollstreckungsmöglichkeit gebildet werden kann. Der obsiegenden Partei obliegt es, beim Insolvenzgericht die Berichtigung der Tabelle zu beantragen, § 183 Abs. 2 InsO. Gegen die Vornahme der Berichtigung durch das Insolvenzgericht ist kein Rechtsmittel gegeben2; lehnt es dagegen die Berichtigung ab, so ist gegen diese Entscheidung die Erinnerung möglich (§ 6 Abs. 1 InsO, § 11 RPflG)3. 1 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 188 Rz. 3. 2 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO, 1. Aufl. 2007, § 183 Rz. 9. 3 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO, 1. Aufl. 2007, § 183 Rz. 9; Schumacher in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 2, 2002, § 183 Rz. 8; a. A. Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 183 Rz. 5.
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§6
Rz. 316
Beratung des ungesicherten Gläubigers
ii) Verteilungen – Grundsätzliches 316
Mit der Befriedigung der Insolvenzgläubiger kann erst nach dem allgemeinen Prüfungstermin begonnen werden, § 187 Abs. 1 InsO. Die Verteilungen werden vom Insolvenzverwalter vorgenommen. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, so ist dessen Zustimmung vor der Verteilung einzuholen, § 187 Abs. 3 InsO. Versäumt dies der Verwalter, so hat dies für die Wirksamkeit der Ausschüttungen keine Folge. Obwohl nach den Regeln des BGB, § 269, nur eine Holschuld besteht, nimmt der Verwalter üblicherweise Überweisungen vor – allerdings auf Kosten und Gefahr der Gläubiger.
! Hinweis: Da Kosten auf beiden Seiten anfallen, wird in der Praxis gelegentlich überlegt, ob es nicht besser ist, auf die Auszahlung von Kleinbeträgen zu verzichten. Anwaltliche Beratung sollte dahin gehen, die Mandanten zu veranlassen, für Beträge unter 10 Euro schon mit der Forderungsanmeldung ausdrücklich einen Auszahlungsverzicht zu erklären. 317
Folgende Verteilungen sind möglich: –
Abschlagsverteilungen,
–
Schlussverteilungen,
–
Nachtragsverteilungen.
jj) Abschlagsverteilungen und Schlussverteilungen 318
Die beiden Verteilungsmöglichkeiten sind in den §§ 187 ff. InsO im Einzelnen geregelt, ohne dass in der Paragraphenfolge eine Trennung vorgenommen wird. In einigen Vorschriften werden beide Verteilungen unter einheitlichen Oberbegriffen angesprochen, so in § 191 InsO und § 206 InsO. Der Gesetzgeber spricht darüber hinaus im Zusammenhang mit der Schlussverteilung auch den Verfahrensabschluss an. Nachstehend werden deshalb diese Themen nur teilweise chronologisch behandelt und die Durchführung der beiden Verteilungsarten unter Rz. 330 ff. am Schluss einheitlich erörtert. Zur Nachtragsverteilung verweise ich hingegen gesondert auf die Rz. 367 ff. Eine Abschlagsverteilung kann dann erfolgen, wenn der allgemeine Prüfungstermin stattgefunden hat und eine erste Verteilung vom Massebestand her lohnend ist, § 187 InsO. Die Schlussverteilung hingegen erfolgt, sobald die Verwertung der Insolvenzmasse beendet ist, § 196 InsO. Anhängige Aktiv- und Passivprozesse sollen die Schlussverteilung nicht hindern, eine Rechtsauffassung, die eigentlich im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes (auch schon bei der KO, § 161) steht, für die jedoch im Einzelfall Praktikabilitätsüberlegungen sprechen.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 322
§6
kk) Abschluss des Verfahrens (1) Schlussrechnung und Schlussbericht Die Schlussverteilung setzt – wie sich aus § 197 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 InsO ergibt – ein Schlussverzeichnis voraus. Üblicherweise übersendet der Verwalter zusammen mit dem Antrag auf Zustimmung zur Schlussverteilung nicht nur das Schlussverzeichnis, sondern auch eine Schlussrechnung und einen Schlussbericht.
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Wie die Schlussrechnung auszusehen hat, ist im Gesetz nicht geregelt. § 66 InsO bestimmt lediglich ganz allgemein, dass der Verwalter bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen hat. Ausgehend von den Anfangsverzeichnissen der §§ 151-153 InsO wird allgemein angenommen, dass der Verwalter eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung, einen Schlussbericht und ein Schlussverzeichnis (Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO) vorzulegen hat1. Schlussbericht und Schlussverzeichnis sind demnach Teil der Schlussrechnung. Die Einnahmen- und Ausgabenrechnung ist aus der Insolvenzbuchhaltung abzuleiten. Regelmäßig reicht eine pagatorische Journal-Buchführung in Form einer doppelten Buchführung für den reinen Geldverkehr aus. Im Einzelfall kann jedoch auch eine handelsrechtliche Buchführung geboten sein. Üblich ist im Übrigen eine Gliederung in Einnahmen- und Ausgabenarten nach dem Kontenplan, der der laufenden Insolvenzbuchhaltung zugrunde gelegen hat. Mit der Einnahmen- und Überschussrechnung sind sämtliche Belege im Original vorzulegen.
320
Die Berichterstattung wird vom Gesetzgeber nur im Zusammenhang mit dem Berichtstermin erwähnt. Nach allgemeiner Meinung ist sie jedoch auch zum Abschluss des Verfahrens notwendig2. Sie entspricht allgemeinen Grundsätzen bei der Verwaltung fremden Vermögens. Außerdem bedürfen die Zahlen der Schlussrechnung regelmäßig einer Erläuterung.
321
! Hinweis: Gegenüber den einzelnen Insolvenzgläubigern bestehen dagegen keine Berichtspflichten. Die Gläubiger sind darauf angewiesen, die Schlussrechnung und die dazugehörenden Erläuterungen bei Gericht einzusehen oder im Schlusstermin die Auskunftserteilung zu beantragen. Die Schlussrechnung, genauer der Schlussbericht, ist ein Tätigkeitsbericht und muss die Insolvenzabwicklung transparent machen3. Der Bericht darf sich deshalb nicht auf die Darstellung des Geldverkehrs beschränken, sondern hat zusätzlich folgende Bereiche anzusprechen: –
Verwertung und Freigabe massezugehöriger Gegenstände;
–
die Behandlung der Rechtsgeschäfte und Prozesse, die bei Verfahrenseröffnung anhängig waren oder später begonnen worden sind;
1 Kind in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 66 Rz. 9 f.; Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 66 Rz. 6. 2 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 66 Rz. 26. 3 OLG Nürnberg v. 2. 7. 1965 – 1 U 20/65, KTS 1966, 62.
Runkel
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322
§6
Rz. 323
Beratung des ungesicherten Gläubigers
–
Anfechtungsansprüche;
–
Aus- und Absonderungsrechte;
–
den Neuerwerb;
–
die Entstehung und Befriedigung von Masseansprüchen;
–
wesentliche Tätigkeiten des Gläubigerausschusses;
–
das Ergebnis einer Unternehmensfortführung.
Bei umfangreichen Rechenwerken darf sich das Gericht im Rahmen der Überprüfung auf Stichproben beschränken1. Die Rechnungslegung des Verwalters ist in formeller und materieller Hinsicht zu überprüfen. Das Gericht hat jedoch nicht die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Verwalterhandelns zu beurteilen. 323
Im Rahmen der formellen Prüfung befasst sich das Gericht mit der äußeren Ordnungsmäßigkeit, insbesondere der rechnerischen Richtigkeit: Vollständigkeit des Belegwesens, Trennung von Ein- und Ausgaben nach den Kriterien des Buchungsplans, korrekte Übernahme der Einzelzahlen bzw. ihrer Summen in die Schlussrechnung bzw. Schlussbilanz usw.
324
Bei der materiellen Schlussrechnungsprüfung geht es vor allem um die Frage, ob die Verwertung des schuldnerischen Vermögens nachvollziehbar ist und ob alle persönlichen Entnahmen des Verwalters rechtmäßig waren, wobei das Gericht besonders darauf achten wird, ob nicht irgendwelche Vergütungen dem Verwalter indirekt zufließen, bspw. aufgrund von Rechnungen für Tätigkeiten, die an sich mit der Vergütung nach der InsVV abgegolten sind.
325
Besteht ein Gläubigerausschuss, muss die Schlussrechnung von ihm geprüft werden. Dies ergibt sich aus § 66 Abs. 2 Satz 2 InsO, wonach die Schlussrechnung mit „dessen Bemerkungen“ zur Einsicht der Beteiligten auszulegen ist. Die Prüfungspflicht des Ausschusses ergibt sich indirekt auch aus § 187 Abs. 3 Satz 2 InsO: Die Zustimmung zu Verteilungen, hier der Schlussverteilung, verlangt eine vorherige Überprüfung der Schlussrechnung, weil sich hieraus der Verteilungsprozentsatz ergibt. Nach allgemeiner Rechtsansicht kann das Gericht die Schlussrechnung auch durch einen Sachverständigen prüfen lassen2, was jedoch zumindest bei vorangegangener Prüfung durch den Ausschuss ein kaum zu vertretender Kostenaufwand ist.
326
Das Gericht legt die Schlussrechnung mit den Belegen, mit einem Vermerk über die Prüfung und, wenn ein Gläubigerausschuss bestellt ist, mit dessen Bemerkungen zur Einsicht der Beteiligten aus, § 66 Abs. 2 Satz 2 InsO. Die Auslegung erfolgt regelmäßig auf der Geschäftsstelle; für das Schlussverzeichnis darf ohnehin nach § 188 Satz 2 InsO auch kein anderer Ort gewählt werden.
1 Bähner, KTS 1991, 347. 2 Eickmann, EWiR 1986, 399; hierzu kritisch Weitzmann, ZInsO 2007, 449.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 327
§6
Der Zeitraum zwischen der Auslegung der Unterlagen und dem Termin der Gläubigerversammlung (Schlusstermin) soll mindestens eine Woche betragen, § 66 Abs. 2 Satz 3 InsO. Der Schlusstermin dient unter anderem „zur Erörterung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters“, § 197 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 InsO. Die Konkursordnung sah noch vor, dass die Schlussrechnung als anerkannt gilt, soweit im Schlusstermin Einwendungen gegen die Rechnung nicht erhoben wurden, § 86 Satz 4 KO. Die InsO kennt keine entsprechende Bestimmung, was vor allem für die Entlastung des Verwalters und damit für Haftungsfragen Bedeutung hat1. (2) Schlussverzeichnis Das Schlussverzeichnis basiert auf der Insolvenztabelle. In dem Verzeichnis sind alle bei der Schlussverteilung zu berücksichtigenden Forderungen aufzunehmen. Wegen der Einzelheiten siehe später unter Rz. 330 ff. Nach einem Beschluss des BGH v. 22. 3. 20072 hat die Genehmigung der Schlussverteilung den Ausschluss aller nicht im Schlussverzeichnis aufgeführten Insolvenzforderungen zur Folge. Auch wenn ein Gläubiger bereits einen Vollstreckungstitel hat, kann er eine Änderung des Schlussverzeichnisses nach § 189 InsO nur durch die Erhebung einer Feststellungsklage erreichen. Dies ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Zu spät kommende Gläubiger haben durchaus das Interesse, noch Teilnahmerechte im Verfahren zu bekommen, insbesondere was die Stellung von Versagungsanträgen angeht. Deshalb sind Forderungsanmeldungen grundsätzlich bis zum Schlusstermin zulässig. Die Prüfung erfolgt gegebenenfalls in einem mit dem Schlusstermin verbundenen nachträglichen Prüfungstermin. Die Grenze ist jedoch die Ladungsfrist des § 177 Abs. 2 InsO, deren Einhaltung dem Insolvenzgericht ohne Vertagung des Schlusstermins möglich bleiben muss. Ein Anspruch des säumigen Gläubigers auf Prüfung seiner Forderung in einem nachträglichen Prüfungstermin vor Veröfffentlichung der Schlussverteilung besteht bis zu diesem Zeitpunkt nur, soweit hierdurch nicht ein bereits festgesetzter Schlusstermin versagt werden müsste3. Nach dem Schlusstermin sind natürlich keine Forderungsanmeldungen mehr möglich. Dies hat vor allem für ein sich anschließendes Restschuldbefreiungsverfahren Bedeutung. Dort ist für eine Forderungsprüfung kein Raum mehr. Der Gläubiger, der vergessen hat, im eröffneten Insolvenzverfahren die Forderung anzumelden, verliert diese endgültig4. Das Schlussverzeichnis ist auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen, § 188 Satz 2 InsO. Der Verwalter hat die Summe der Forderungen und den für die Verteilung verfügbaren Betrag öffentlich bekannt zu machen, § 188 Satz 3 InsO. Auf diese Weise sollen die Gläubiger erfahren, welche Zahlung sie erwarten und wo sie das Verzeichnis einsehen können. 1 2 3 4
Onusseit in Kübler/Prütting, InsO, § 66 Rz. 32. BGH v. 22. 3. 2007 – IX ZB 8/05, NZI 2007, 401; Köster, EWiR 2007, 627. Gerbers/Pape, ZInsO 2006, 685. AG Potsdam v. 25. 8. 2006 – 35 IK 440/05, ZIP 2006, 2230.
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§6
Rz. 328
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Die Rechtsprechung nimmt an, dass das Insolvenzgericht nicht verpflichtet ist, das Verzeichnis auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen1. In der Praxis findet jedoch regelmäßig eine Überprüfung mit entsprechenden Hinweisen an den Verwalter statt. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Verwalter die alleinige Verantwortung für die Richtigkeit des Verzeichnisses trägt, was im Rahmen des § 60 InsO haftungsrechtliche Bedeutung hat2. Hierzu verweise ich auf meine obigen Ausführungen unter Rz. 207 ff. (3) Schlusstermin 328
329
Gleichzeitig mit der Zustimmung zur Schlussverteilung bestimmt das Insolvenzgericht den Termin für eine abschließende Gläubigerversammlung, § 197 Abs. 1 Satz 1 InsO. Funktion des Schlusstermins: –
Erörterung der Schlussrechnung;
–
Erhebung von Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis;
–
Entscheidung der Gläubiger über nicht verwertbare Gegenstände der Insolvenzmasse.
Eine Ladung der Gläubiger ist nicht vorgesehen, geschieht jedoch in der Praxis regelmäßig. Das Gericht hat den Termin jedoch öffentlich bekannt zu machen. Zwischen dieser Bekanntmachung und dem Termin soll eine Frist von mindestens einem Monat und höchstens zwei Monaten liegen, § 197 Abs. 2 InsO. Der Termin wird in vielen Bundesländern im Regierungsamtsblatt bekanntgemacht.
! Hinweis: Der Schlusstermin kann mit einem Termin zur Prüfung von nachträglich angemeldeten Forderungen verbunden werden. Dies geht jedoch dann nicht, wenn Forderungen anerkannt werden sollen, auf die laut Schlussverzeichnis eine Quote entfallen würde. In dieses Verzeichnis könnten nämlich die Forderungen wegen der Bekanntmachungsvorschriften nicht mehr aufgenommen werden. ll) Durchführung der Verteilungen 330
Die Verteilungen werden vom Insolvenzverwalter vorgenommen, § 187 Abs. 3 Satz 1 InsO. Vor einer Verteilung – gleichgültig ob Abschlags- oder Schlussverteilung – hat der Verwalter ein Verzeichnis der Forderungen aufzustellen, die bei der Verteilung zu berücksichtigen sind, § 188 Satz 1 InsO. Grundlage dieses Verzeichnisses ist die Insolvenztabelle nach § 175 InsO.
! Hinweis: Besonderheiten gelten bei der Verteilung für –
bestrittene Forderungen, § 189 InsO;
1 RG v. 7. 4. 1937 – V 290/36, RGZ 154, 291 (298). 2 OLG Hamm v. 29. 11. 1982 – 5 U 232/81, ZIP 1983, 341; Kilger/K. Schmidt, KO, 17. Aufl. 1997, § 151 Anm. 4.
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Runkel
Beratung im eröffneten Verfahren
Rz. 333
–
Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger, § 190 InsO;
–
bedingte Forderungen, § 191 InsO;
–
Doppelhaftungsfälle, §§ 43 f. InsO.
§6
(1) Bestrittene Forderungen Ein Insolvenzgläubiger, dessen Forderung nicht festgestellt und für dessen Forderung ein vollstreckbarer Titel oder ein Endurteil nicht vorliegt, hat spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag die Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen ist. Wird der Nachweis rechtzeitig geführt, so wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung zurückbehalten, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt, § 189 InsO.
331
Ist die bestrittene Forderung tituliert, so ist sie im Verzeichnis zu berücksichtigen (Umkehrschluss aus der insoweit unvollständigen Formulierung des Gesetzes). Verfolgt der Bestreitende entgegen § 179 Abs. 2 InsO nicht den Widerspruch, kann auch ausgezahlt werden. Anderenfalls kommt nur eine Zurückbehaltung in Frage1. Diese erfolgt auch, wenn der Nachweis der Klageerhebung rechtzeitig geführt wird, und zwar so lange, wie der Rechtsstreit anhängig ist. Die zweiwöchige Ausschlussfrist beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung. Sie gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO.
! Hinweis: –
Die äußerst knapp bemessene Frist kann nicht verlängert werden, weder durch das Gericht noch durch den Verwalter.
–
Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich, weil die Ausschlussfrist keine Notfrist im Sinne der §§ 224 Abs. 1 Satz 2, 233 ZPO ist2.
–
Der Nachweis ist gegenüber dem Verwalter, nicht gegenüber dem Gericht zu führen. Leitet das Gericht einen bei ihm eingegangenen Nachweis an den Verwalter weiter, so gehen Verspätungen zu Lasten des Gläubigers.
332
(2) Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger Bei diesen Gläubigern sieht das Gesetz unterschiedliche Regeln für die Verteilung vor, je nachdem ob es sich um eine Schlussverteilung oder nur um eine Abschlagsverteilung handelt. Die grundsätzliche Regelung findet sich in § 190 Abs. 1 InsO und gilt nur für Schlussverteilungen sowie für die später unter 1 Eckardt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 743 (779) Rz. 64. 2 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 189 Rz. 4.
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333
§6
Rz. 334
Beratung des ungesicherten Gläubigers
Rz. 367 ff. noch zu behandelnden Nachtragsverteilungen. Hiernach hat ein Gläubiger, der zur abgesonderten Befriedigung berechtigt ist, dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet hat oder bei ihr ausgefallen ist. Der Nachweis ist innerhalb der oben erwähnten Zweiwochenfrist des § 189 Abs. 1 InsO zu führen. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so findet die Forderung bei der Verteilung keine Berücksichtigung. Bei einer Abschlagsverteilung genügt es dagegen für die Berücksichtigung, wenn der Gläubiger – auch hier gilt wiederum die Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO – nachweist, dass die Verwertung des Gegenstandes betrieben wird; er muss darüber hinaus den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft machen. In diesem Fall wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung in der Weise berücksichtigt, dass eine Zurückbehaltung erfolgt. Der zurückbehaltene Anteil wird dann wiederum im Rahmen der Schlussverteilung an den Gläubiger ausgezahlt, wenn dieser in diesem späteren Stadium fristgemäß seinen Ausfall nachweist. Andernfalls gelangt der Betrag in die allgemeine Auszahlung an die Gesamtgläubigerschaft. 334
Im dritten Absatz von § 190 wird darauf abgestellt, dass eigentlich der Verwalter zur Verwertung des Gegenstandes berechtigt ist, jedenfalls soweit bewegliches Vermögen als Sicherheit dient. Es ist dann seine Sache, für die Abschlagsverteilung und die Schlussverteilung den Ausfall zu ermitteln. Hat der Verwalter den Gegenstand bis zur Abschlagsverteilung noch nicht verwerten können, so muss er den Ausfall des Gläubigers schätzen und den auf dessen Forderung entfallenden Anteil zurückbehalten. Die Fristen der ersten beiden Absätze von § 190 InsO können für die Gläubiger höchst gefährlich werden, dies um so mehr als nach der Rechtsprechung ein Verwalter nicht verpflichtet ist, den Gläubiger auf den Fristablauf hinzuweisen1. Der Nachweis des Ausfalls ist erst mit Verwertung des Absonderungsgutes möglich. Er kann nicht durch Gutachten oder Ähnliches geführt werden. Die Rechtsprechung hat allerdings unter bestimmten Voraussetzungen die Vorlage des Gutachtens als Erklärung angesehen, sich nur in Höhe dieses Wertes aus dem Gegenstand zu befriedigen und im Übrigen zu verzichten2.
! Hinweis: Deshalb sollte dem Gläubiger geraten werden, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er keinen Verzicht erklären will. (3) Bedingte Forderungen 335
Eine Sonderregelung gibt es nur bei aufschiebenden Bedingungen, nicht bei auflösenden Bedingungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auflösend bedingte Forderungen nach § 42 InsO wie unbedingte Forderungen behandelt 1 OLG Hamm v. 1. 6. 1994 – 15 W 123/93, ZIP 1994, 1373 (1376); Johlke, EWiR 1994, 901. 2 RG v. 9. 2. 1918 – V 272/17, RGZ 92, 181 (191).
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 340
§6
werden. Sind sie zur Tabelle festgestellt, müssen sie bei den Verteilungen normal berücksichtigt werden, es sei denn, die Bedingung ist vor der Verteilung eingetreten (das Recht hat sich aufgelöst!). Bei den aufschiebend bedingten Forderungen wird wiederum zwischen der –
Abschlagsverteilung und der
–
Schlussverteilung
unterschieden. Ist also der Forderungsbeginn von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig, so gilt Folgendes: Die Forderung ist bei Abschlagsverteilungen nach § 191 Abs. 1 Satz 1 InsO mit ihrem vollen Betrag zu berücksichtigen. Da jedoch noch ungewiss ist, wann die Bedingung eintritt, darf keine Auszahlung erfolgen, sondern nur eine Zurückbehaltung, § 191 Abs. 1 Satz 2 InsO.
336
Bei der Schlussverteilung wird eine aufschiebend bedingte Forderung nicht berücksichtigt, wenn die Möglichkeit des Eintritts der Bedingung so fernliegt, dass die Forderung zur Zeit der Verteilung keinen Vermögenswert hat, § 191 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ist der Bedingungseintritt dagegen nahe liegend, ist der auf die aufschiebend bedingte Forderung entfallende Betrag nicht auszuzahlen, sondern zurückzubehalten. Eine Auszahlung erfolgt erst mit Eintritt der Bedingung. Tritt diese nicht ein, wird der hinterlegte Betrag einer Nachtragsverteilung zugeführt1. Zu dieser siehe insbesondere unter Rz. 367 ff.
337
(4) Doppelhaftungsfälle Ein Gläubiger, dem mehrere Personen haften, kann im Insolvenzverfahren gegen jeden Schuldner bis zu seiner vollen Befriedigung den ganzen Betrag geltend machen (§ 43 InsO). Erhält der Gläubiger Teilleistungen, so ist er nicht etwa gezwungen, nur noch die Restforderung zu verfolgen. Er kann vielmehr in jedem Verfahren die Quote auf die ursprüngliche Gesamtforderung verlangen2.
338
Demgegenüber werden Gesamtschuldner und Bürge bei der Geltendmachung ihrer Forderungen eingeschränkt. In Abweichung von dem Grundsatz, dass aufschiebend bedingte Forderungen anmeldbar sind, bestimmt § 44 InsO, dass bei Verfahrensteilnahme des noch nicht befriedigten Gläubigers ein Mithaftender seine durch den Fall einer erst künftigen Leistung bedingte Forderung nicht bereits vorher anmelden kann.
339
V. Beratung nach Beendigung des Verfahrens Sucht der Mandant anwaltlichen Rat, nachdem er bei der Schlussverteilung ganz oder teilweise leer ausgegangen ist bzw. meldet sich der Mandant, weil er erfährt, dass das Verfahren ohne Schlussverteilung sein Ende gefunden hat, stehen folgende Themen an: 1 Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 191 Rz. 7. 2 Zu den Einzelheiten vgl. Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 ff.
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340
§6
Rz. 341
Beratung des ungesicherten Gläubigers
–
Ist das Verfahren tatsächlich beendet?
–
Welche Konsequenzen hat dies für seine ungesicherte Forderung?
1. Beendigungstatbestände 341
Das Gesetz kennt zwei Formen der Verfahrensbeendigung: –
die Aufhebung;
–
die Einstellung.
a) Aufhebung 342
Sie wird in der Insolvenzordnung an drei Stellen erwähnt, genauer: Das Gesetz kennt drei verschiedene Aufhebungsgründe: –
die Durchführung der Schlussverteilung, § 200 InsO;
–
die Bestätigung eines Insolvenzplans, § 258 InsO;
–
die Rechtskraft einer Entscheidung, mit der der Eröffnungsbeschluss, § 27 InsO, aufgehoben worden ist, § 34 Abs. 3 InsO.
aa) Durchführung der Schlussverteilung 343
Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist – dies hat der Insolvenzverwalter dem Gericht nachzuweisen –, beschließt das Gericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen, insbesondere im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Hatte das Gericht vor der Verfahrenseröffnung bestimmte Behörden benachrichtigt, so muss es jetzt wieder die gleichen Behörden verständigen.
! Hinweis: Der Aufhebungsbeschluss ist unanfechtbar. Er erwächst mit Verkündung in Rechtskraft. Deshalb muss die Aufhebung trotz des Nachweises der Schlussverteilung durch den Verwalter aufgeschoben werden, solange über Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis, § 197 Abs. 3 InsO in Verbindung mit § 194 InsO, noch nicht rechtskräftig entschieden ist1. bb) Bestätigung eines Insolvenzplans 344
Sobald die Bestätigung des Insolvenzplans, § 248 InsO, rechtskräftig ist – auf die Erfüllung des Plans kommt es regelmäßig nicht an –, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Verfahrens, § 258 InsO. Vor der Aufhebung hat der Verwalter die unstreitigen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen Sicherheit zu leisten. Was die Bekanntmachung und die Anfechtbarkeit angeht, gilt das Gleiche wie bei § 200 InsO; auch hier unterliegt der Beschluss keinem Rechtsmittel – siehe § 6 InsO. 1 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 200 Rz. 11.
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 347
§6
cc) Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses nach § 34 Abs. 3 InsO Gegen die Insolvenzeröffnung kann sich der Schuldner mit der Beschwerde wehren1. Zu den Einzelheiten siehe oben Rz. 144 ff. Das Insolvenzgericht kann nach § 6 Abs. 2 Satz 2 InsO abhelfen. Geschieht dies nicht, hebt aber das Landgericht den Eröffnungsbeschluss auf, so kann es bei Entscheidungsreife auch den zugrunde liegenden Eröffnungsantrag zurückweisen.
345
Wirksam wird die Aufhebungsentscheidung erst mit Rechtskraft. Erst dann hat das Gericht seine Entscheidung öffentlich bekannt zu machen, § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 200 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 InsO erfolgt die Bekanntmachung durch Veröffentlichung in dem für amtliche Bekanntmachungen des Gerichts bestimmten Blatt, wobei weitere oder wiederholte Veröffentlichungen veranlasst werden können. Um eine umfassende Unterrichtung des Geschäftsverkehrs sicherzustellen, sehen die §§ 34 Abs. 3 Satz 2, 200 Abs. 2 Satz 2 InsO darüber hinaus eine auszugsweise Veröffentlichung der Bekanntmachungen im Bundesanzeiger vor. Registergerichte und Grundbuchämter sind zu informieren, denn die mit dem Eröffnungsbeschluss einhergehenden Sperrvermerke müssen gelöscht werden, §§ 34 Abs. 3 Satz 2, 200 Abs. 2 Satz 3, 31-33 InsO. b) Einstellung Sie kommt in Frage, wenn ein eröffnetes Verfahren vorzeitig beendet werden muss, weil sein Zweck – gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger – nicht erreicht werden kann. Hierfür kann es unterschiedliche Gründe geben: –
zum einen die Massearmut, wobei hier wiederum zwei Varianten denkbar sind:
–
Einstellung mangels Masse, § 207 InsO;
–
Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO;
–
zum anderen, weil sich nachträglich wichtige Voraussetzungen geändert haben:
–
Wegfall des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO;
–
weil die Gläubiger das Verfahren nicht mehr wollen, § 213 InsO.
346
aa) Einstellung wegen Massearmut (1) Einstellung mangels Masse, § 207 InsO Stellt sich nach Eröffnung des Verfahrens heraus, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken, so stellt das Insolvenzgericht das Verfahren ein. Zu berücksichtigen sind – genauso wie im Rahmen der Prüfung nach § 26 InsO – nur die Kosten im Sinne des § 54 InsO (Gerichtskosten, Verwalterkosten, Ausschusskosten). Unter den dortigen engen Verfahrenskostenbegriff fallen nicht allgemeine Verwaltungs- und Verwer1 Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 34 Rz. 8 ff.
Runkel
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347
§6
Rz. 348
Beratung des ungesicherten Gläubigers
tungskosten, die bspw. für eine Bewachung, eine Versicherung, einen Prozess oder für Jahresabschlüsse anfallen. Zum Problem der so genannten unausweichlichen Verwaltungskosten siehe oben unter Rz. 124. Die Entscheidung ist in jedem Stadium des Verfahrens möglich, also schon kurz nach der Eröffnung, aber auch noch nach Jahren, bspw. wenn sich dann erst zeigt, dass ein gerichtlich durchgesetzter Anspruch, der die eigentliche Masse ausmachte, nicht werthaltig ist. 348
Bei seiner Entscheidung hat das Gericht einen gewissen Beurteilungsspielraum: unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts, § 287 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO. Das Gericht hat hierbei auf die vorhandene Masse abzustellen, aber auch alle der Masse zugewiesenen Haftungsansprüche und Nachschusspflichten zu berücksichtigen. Die Entscheidung erfolgt von Amts wegen; einer Antragstellung bedarf es nicht – wobei in der Praxis der Entscheidung regelmäßig eine entsprechende Anregung des Verwalters vorausgehen dürfte und auch dessen Bewertung der Massebestandteile von Einfluss ist. Nach § 207 Abs. 1 Satz 2 InsO unterbleibt die Einstellung, wenn ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird. Die Vorschussfrage spielt auch schon bei der erstmaligen Entscheidung des Gerichts nach § 26 InsO eine Rolle. Deshalb verweist § 207 auf § 26 Abs. 3 InsO, das heißt den dort normierten Erstattungsanspruch des Vorschussleistenden. Wer den Vorschuss leistet, ist unerheblich. Normalerweise geschieht dies durch den antragstellenden Gläubiger; aber auch ein anderer Gläubiger, der Schuldner oder ein Dritter könnte den Vorschuss leisten.
349
Vor der Einstellung sind die Gläubigerversammlung, der Insolvenzverwalter – wenn nicht schon von ihm die Anregung kam – und die Massegläubiger zu hören. Auf diese Weise soll das Gericht von allen Seiten Informationen zur Kostendeckungsfrage bekommen, insbesondere auch zu der Frage, ob jemand zu einer Vorschussleistung bereit ist. Gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 9 InsO sind der Einstellungsbeschluss und der Grund der Einstellung – also Einstellung mangels Masse – öffentlich bekannt zu machen. Wie sich aus § 200 Abs. 2 Satz 2 InsO, auf den § 215 verweist, ergibt, hat die auszugsweise Veröffentlichung im Bundesanzeiger zu erfolgen. Die Information der Registergerichte und Grundbuchämter zwecks Löschung von Sperrvermerken sind nach den gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls vorgesehen. § 216 Abs. 1 InsO stellt für jeden Insolvenzgläubiger – und im Falle der Einstellung nach § 207 InsO auch für den Schuldner – das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zur Verfügung. (2) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO
350
Diese Bestimmung sieht eine Einstellung des Verfahrens vor, wenn
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 352
§6
–
die Kosten des Insolvenzverfahrens zwar gedeckt sind, die Masse jedoch nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, § 208 Abs. 1 InsO,
–
der Verwalter diese Art der Masseunzulänglichkeit dem Gericht angezeigt hat, § 208 Abs. 1 InsO,
–
das Gericht die Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt gemacht hat, § 208 Abs. 2 InsO,
–
der Verwalter die Masse anschließend „zu Ende“ verwaltet und verwertet hat, § 208 Abs. 3 InsO,
–
und der Verwalter die Masseverbindlichkeiten in einer bestimmten Rangfolge nach dem Verhältnis ihrer Beträge (quotal) berichtigt hat – § 209 InsO.
Anders als bei einer Einstellung nach § 207 InsO (Verfahrenskosten nicht gedeckt) kommt der Einstellungsbeschluss also erst nach geraumer Zeit. Reicht die Masse zur Deckung der Verfahrenskosten, können jedoch die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht voll befriedigt werden, so ist das Verfahren vollständig abzuwickeln. Der Verwalter muss zunächst noch umfangreich tätig werden und bestimmte Formalien beachten, das heißt zunächst einmal:
351
(a) Anzeige der Masseunzulänglichkeit Die Anzeige erfolgt gegenüber dem Gericht. Die Feststellung der Masseunzulänglichkeit liegt allein in der Verantwortung des Verwalters. Er kann sie damit begründen, dass die fälligen Verbindlichkeiten nicht voll befriedigt werden können, aber auch erklären, dass die künftig fällig werdenden Masseverbindlichkeiten voraussichtlich nicht zu erfüllen sein werden, § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO, Masseunzulänglichkeit zwar noch nicht eingetreten ist, dafür aber droht. Durch das Wort „voraussichtlich“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass dem Verwalter auch eine Prognose erlaubt ist; er darf Imponderabilien mit ins Spiel bringen, Schätzungen vornehmen usw. Das Gericht hat die Erklärung des Verwalters hinzunehmen, also die Richtigkeit nicht zu überprüfen. Die hiervon betroffenen Massegläubiger können sich gegen die Erklärung nicht zur Wehr setzen; sie haben kein Rechtsmittel1. War die Erklärung falsch, lag also keine Masseunzulänglichkeit vor, so beschränkt sich ihr Nachteil auch lediglich auf einen Zinsschaden, weil die Gläubiger, deren Nachrangigkeit mit der Masseunzulänglichkeitsanzeige herbeigeführt worden ist, später doch noch voll befriedigt werden. Das Gericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt zu machen. Den Massegläubigern ist sie besonders zuzustellen. Dies wird das Gericht regelmäßig dem Verwalter übertragen, § 8 Abs. 3 InsO.
1 Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49.
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§6
Rz. 353
Beratung des ungesicherten Gläubigers
(b) Weitere Verwaltung und Verwertung 353
Im Übrigen hat der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Pflicht zur weiteren Verwaltung und Verwertung der Masse. Er muss also alles das machen, was auch bei fehlender Masseunzulänglichkeit seine Pflicht gewesen wäre: –
Betriebsfortführung (je nach Entscheidung der Gläubigerversammlung),
–
Verkauf der Anlagegegenstände,
–
Forderungseinzug einschließlich Prozessführung,
–
Anfechtungen und sonstige Haftungen geltend zu machen,
–
Bilanzen zu erstellen,
–
Forderungen zu prüfen,
um nur einige Beispiele zu nennen. 354
Lange Zeit war streitig, ob bei Masseunzulänglichkeit tatsächlich noch eine Anfechtungsklage erhoben werden kann. Die Möglichkeit einer solchen Anfechtungsklage hat der BGH nunmehr bejaht1. (c) Verteilungen an die Massegläubiger
355
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Sobald der Verwalter die Verwertung der Aktiva abgeschlossen und alle Masseverbindlichkeiten ermittelt hat, muss er Verteilungen an die Massegläubiger vornehmen; und zwar gemäß § 209 InsO nach folgender Rangordnung, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis der Beträge (Quoten): –
Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO;
–
die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören;
–
die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 InsO bewilligte Unterhalt.
Wichtig: Eine Besonderheit gibt es für die 2. Rangklasse. Hierzu gehören auch Verbindlichkeiten: –
aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte (§ 209 Abs. 2 Ziff. 1 InsO);
–
aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Abs. 2 Ziff. 2 InsO);
1 BGH v. 19. 7. 2001 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641. Siehe auch OLG Brandenburg v. 30. 5. 2002 – 8 U 101/01, ZIP 2002, 1698; vorher schon Pape, ZIP 2001, 901 ff.; a. A. AG Hamburg-Wandsbek v. 3. 9. 2001 – 716 c 153/01 m. krit. Anm. von Pape, EWiR 2002, 255.
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
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Rz. 356d
§6
aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (§ 209 Abs. 2 Ziff. 3 InsO).
Gelingt die Befriedigung der Massegläubiger wie zu erwarten nur teilweise (Konsequenz aus Masseununzulänglichkeit), ist das Verfahren nach vollständiger Abwicklung nach § 211 InsO einzustellen. Die Einstellungsentscheidung ist nicht anfechtbar1.
356a
Manchmal ist es nicht einfach zu sagen, ob es sich um eine Neumasseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Ziff. 2 handelt. Was ist beispielsweise mit Steuerschulden, die durch die Verwertung von Sicherungsgut anfallen? Was ist mit der Mehrwertsteuer, die bei einer Betriebsfortführung aufgrund der Rechnungserteilung an Kunden fällig wird? In beiden Fällen müsste nach dem Wortlaut („Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind“) eine Vorrangstellung eingreifen, obwohl die beiden vorgenannten Bereiche insoweit unterschiedlich sind, als der Verwalter gezwungen ist, irgendwann die Anlagegüter zu verwerten, während die Betriebsfortführung zumindest nach dem Berichtstermin seiner eigenen Entscheidung unterliegt.
356b
Auch Kostenerstattungsansprüche gehören nicht zu den Neumasseverbindlichkeiten, wenn der Verwalter nach Rechtshängigkeit einer gegen ihn gerichteten Klage Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Das gleiche gilt bei einem nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fortgesetzten Prozess2: Es handelt sich um eine Altmasseverbindlichkeit, da der Kostenerstattungsanspruch schon mit Zustellung der Klage (und damit vor Unzulänglichkeitsanzeige) entsteht.
356c
Ähnlich ist die Situation bei Ansprüchen aus Dauerschuldverhältnissen (insbesondere Miet- und Arbeitsverhältnissen). Soweit der Verwalter deren Entstehung nicht verhindern kann, ist die Ziffer 2 unanwendbar. Unterlässt der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit jedoch die sofortige Kündigung des Dauerschuldverhältnisses, so gelten die Ansprüche, die für die Zeit nach dem ersten Kündigungstermin entstehen, als Neumasseansprüche3. Für die Zeit bis zum ersten Kündigungstermin ist es entscheidend, ob der Verwalter die Gegenleistung des Vertragspartners in Anspruch nimmt4. Stellt er Arbeitnehmer frei, so braucht er ihre Lohnansprüche für die Zeit der Freistellung ebenfalls nur nachrangig zu befriedigen5.
356d
Dies wird inzwischen durchaus kritisch gesehen. Das BAG hatte sich noch einmal mit einer ähnlichen Problematik zu befassen und judizierte dahingehend, dass die Freistellung nicht helfen kann: Wenn der Insolvenzverwalter nicht kündigt, erhalten die Ansprüche des Arbeitnehmers durch die Freistellung
1 2 3 4 5
BGH v. 25. 1. 2007 – IX ZB 234/05, ZIP 2007, 603. OLG Brandenburg v. 2. 2. 2006 – 6 W 232/05, ZIP 2006, 684. Einschränkend BAG v. 4. 6. 2003 – 10 AZR 586/02, ZIP 2003, 1850. LAG Hamm v. 13. 10. 2005 – 4 Sa 2340/04, ZInsO 2007, 51. Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 209 Rz. 15.
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§6
Rz. 356e
Beratung des ungesicherten Gläubigers
nicht den Rang des § 209 Abs. 1 Ziffer 3 InsO1. Oetker bespricht das Urteil an der genannten Stelle und geht auch auf haftungsrechtliche Fragen ein (Unterlassen der Kündigung als Rechtshandlung im Sinne des § 61 InsO?2). Nachteilausgleichsansprüche sind dann Neumasseverbindlichkeiten, wenn sich der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit betriebsverfassungswidrig verhält (§ 113 BetrVG). Eine widerrufliche Freistellung ist allerdings noch keine – betriebsverfassungswidrige – Durchführung einer beabsichtigten Betriebsstillegung3. Ähnlich ist die Situation bei einer WEG, hier allerdings hinsichtlich einer unterlassenen Freigabe. Nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige fällig gewordene Wohngeldschulden sind Neumasseverbindlichkeiten, sofern der Insolvenzverwalter die Gegenleistung dadurch in Anspruch genommen hat, dass er über einen längeren Zeitraum von der Möglichkeit der Freigabe keinen Gebrauch gemacht hat4. 356e
Wird durch eine irrtümliche Überweisung die Insolvenzmasse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ungerechtfertigt bereichert, so ist der Rückzahlungsanspruch des Bereicherungsgläubigers nicht als Altmasseverbindlichkeit anzusehen. Der Insolvenzverwalter kann sich aber selbst dann auf „erneute Masseunzulänglichkeit“ berufen, wenn die Bereicherungsforderung die einzige nach der ersten Unzulässigkeitsanzeige begründete Masseverbindlichkeit ist; dies gilt jedenfalls, wenn eine Einstellung nach § 207 InsO erfolgen müsste. Im Ergebnis bedeutet dies die Durchsetzung des Vorrangs der Verfahrenskosten, wobei es für den Bereicherungsgläubiger sicherlich merkwürdig ist, dass er sein Geld nicht zurück erhält, sondern dass dies, zumindest prozentual, der Vergütung des Verwalters zugeschlagen wird5. (d) Einstellungsbeschluss
357
Sobald der Verwalter die Verteilungen abgeschlossen und hierüber dem Gericht berichtet hat, erlässt das Gericht den Einstellungsbeschluss. Da mit der Verfahrenseinstellung das Amt des Verwalters endet, ist § 66 InsO zu beachten: Es muss eine Rechnungslegung erfolgen. Hierbei verlangt § 211 Abs. 2 InsO eine gesonderte Rechnungslegung für die Tätigkeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Es sind also zwei getrennte Zeitabschnitte zahlenmäßig darzustellen. Ob die Schlussrechnungslegung im Falle der Einstellung nach § 211 InsO gegenüber einer Gläubigerversammlung zu erfolgen hat, ist unsicher. Der Wortlaut des § 66 InsO spricht hierfür. § 211 InsO erwähnt jedoch diese Bestimmung nicht. Außerdem kennt das Gesetz den Schlusstermin als abschließende 1 2 3 4 5
BAG v. 31. 3. 2004 – 10 AZR 253/03, DZWIR 2005, 106. Verneinend; vgl. auch Lauer, ZIP 2006, 983. BAG v. 30. 5. 2006 – 1 AZR 25/05, NZI 2007, 126; Henkel, EWiR 2007, 213. OLG Düsseldorf v. 28. 4. 2006 – I-3 Wx 299/05, NZI 2007, 50. Siehe hierzu BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 22/05, ZIP 2006, 1004; a.A. noch OLG Rostock v. 29. 12. 2004 – 3 U 164/04, ZVI 2005, 317 und Knoche, EWiR 2005, 361.
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 360
§6
Gläubigerversammlung nur im Zusammenhang mit der Schlussverteilung, § 197 InsO. Diese findet jedoch bei einer Einstellung mangels Masse nicht statt, so dass es auch keinen Sinn macht, nur wegen der besonderen Rechnungslegung nach § 211 Abs. 2 InsO einen Termin anzuberaumen. Der Einstellungsbeschluss ist genauso wie in den anderen Fällen zu veröffentlichen, § 215 InsO. Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss ist jedoch – anders als bei einer Einstellung nach § 207 InsO – nicht möglich; § 211 InsO wird in § 216 InsO nicht erwähnt1. bb) Einstellung aus anderen Gründen (1) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO Auf Antrag des Schuldners ist das Insolvenzverfahren einzustellen, wenn gewährleistet ist, dass nach der Einstellung beim Schuldner weder Zahlungsunfähigkeit (auch keine drohende) noch eine Überschuldung – soweit diese als Eröffnungsgrund in Frage kommt – vorliegt; § 212 InsO. Das Gericht hat dies von Amts wegen zu prüfen. Es muss den Antrag des Schuldners als unzulässig zurückweisen, wenn dieser das Fehlen der Eröffnungsgründe nicht glaubhaft macht, § 212 Satz 2 InsO, einer der seltenen Fälle, in denen das Gesetz einen Negativbeweis fordert; deshalb werden positive Entscheidungen nach § 212 InsO auch eher selten sein.
358
(2) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger, § 213 InsO Nicht viel anderes gilt für Einstellungsentscheidungen nach § 213 InsO. Hiernach ist das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners einzustellen, wenn er nach Ablauf der Anmeldefrist die Zustimmung aller Insolvenzgläubiger beibringt, die Forderungen angemeldet haben. Bei Gläubigern, deren Forderungen vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter bestritten werden, […] entscheidet das Insolvenzgericht nach freiem Ermessen, inwieweit es einer Zustimmung dieser Gläubiger oder einer Sicherheitsleistung ihnen gegenüber bedarf; das Gleiche gilt bei absonderungsberechtigten Gläubigern.
359
Besonderheit: Ausnahmsweise kann das Verfahren auch schon vor dem Ablauf der Anmeldefrist eingestellt werden, wenn außer den Gläubigern, deren Zustimmung der Schuldner beibringt, andere Gläubiger nicht bekannt sind. Da die Anmeldefristen ohnehin immer knapp bemessen sind, hat diese Alternative keine große praktische Bedeutung; in jedem Fall wird das Gericht vor Ablauf der Anmeldefrist eher zurückhaltend mit einem Einstellungsbeschluss sein. Im Übrigen bedeutet das Einverständnis des einzelnen Gläubigers mit der Einstellung des Verfahrens keinen Forderungsverzicht.
1 BGH v. 25. 1. 2007 – IX ZB 234/05, ZIP 2007, 603.
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§6
Rz. 361
Beratung des ungesicherten Gläubigers
! Hinweis: Dennoch ist dem Gläubiger zu raten, nur dann dem Schuldner eine Zustimmungserklärung in die Hand zu geben, wenn er mit einer anderweitigen Befriedigung seiner Forderung rechnen kann. (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel 361
In beiden Einstellungsfällen muss schon der Antrag auf Einstellung öffentlich bekannt gemacht werden, § 214 Abs. 1 Satz 1 InsO. Er ist außerdem in der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. Im Falle des § 213 InsO sind die Zustimmungserklärungen der Gläubiger beizufügen. Die Insolvenzgläubiger können binnen einer Woche nach der öffentlichen Bekanntmachung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Widerspruch gegen den Antrag erheben. Das Insolvenzgericht muss vor Einstellung des Verfahrens den Insolvenzverwalter und einen evtl. vorhandenen Gläubigerausschuss anhören. Die Anhörung des Insolvenzverwalters ist vor allem deshalb wichtig, weil dieser vor der Einstellung die unstreitigen Masseansprüche befriedigen und für streitige Ansprüche Sicherheit leisten muss. Für die öffentliche Bekanntmachung der Einstellungsbeschlüsse nach §§ 212, 213 InsO gilt das Gleiche wie bei einer Einstellung mangels Masse. Rechtsmittel hat in diesen Fällen nicht nur jeder Insolvenzgläubiger, sondern auch der Schuldner, der eine bei stattgebenden, der andere bei ablehnenden Entscheidungen, § 216 InsO.
2. Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger 362
Sie sind unterschiedlich, je nachdem, wie und weshalb das Verfahren beendet worden ist: a) Nach Durchführung der Schlussverteilung aa) Schuldnerstellung
363
Dem Gläubiger steht jetzt wieder ein Schuldner gegenüber, der seine ursprüngliche Rechtsposition weitgehend zurückerlangt hat. Er hat wieder das Verwaltungs- und Verfügungsrecht. War ein Rechtsstreit durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 240 ZPO unterbrochen und hat der Verwalter das Verfahren nicht aufgenommen oder ist der Prozess noch nicht beendet so erlangt der Schuldner mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch seine Prozessführungsbefugnis zurück. Schließlich hat der Insolvenzverwalter sämtliche Geschäftsunterlagen, welche zur Insolvenzmasse gehörten, zurückzugeben.
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 366
§6
bb) Gläubigerstellung Die Insolvenzgläubiger können nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen, § 201 Abs. 1 InsO, allerdings nur soweit nicht Restschuldbefreiung erteilt worden ist; § 201 Abs. 3 InsO. Sie können aus der Eintragung in die Tabelle, also aus dem Tabellenauszug, wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. Dies setzt allerdings voraus, dass die Forderung festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden ist. Ist dies nicht der Fall, muss der Gläubiger nach Abschluss des Verfahrens gegen den Schuldner einen Titel erwirken oder während des Insolvenzverfahrens Feststellungsklage gegen den Schuldner erheben, § 184 InsO. Erst nach Rechtskraft der Feststellungsklage darf das Insolvenzgericht auf Antrag des Gläubigers einen Auszug aus der Tabelle erteilen.
364
Der Tabellenauszug ersetzt einen evtl. früheren Vollstreckungstitel. Versucht der Gläubiger die Vollstreckung aus dem früheren Titel, der an sich verbraucht ist, kann sich der Schuldner mit der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO wehren1. Erteilt das Gericht einen vollstreckbaren Auszug aus der Tabelle, so muss es auf dem Auszug evtl. Quotenzahlungen des Insolvenzverwalters vermerken.
! Hinweis: Es ist immer wieder festzustellen, dass Gläubiger während des noch laufenden Insolvenzverfahrens den Verwalter um Erteilung eines Tabellenauszuges bitten.
365
Dies ist in doppelter Hinsicht falsch: –
Zu einen hat nicht der Verwalter, sondern das Gericht den Tabellenauszug zu erteilen; die Fehlvorstellung beruht offensichtlich auf der Tatsache, dass die Forderung – anders als noch während der Geltung der Konkursordnung – beim Verwalter anzumelden war; Titel kann jedoch regelmäßig nur ein Gericht erteilen.
–
Zum anderen ist die Anforderung eines Tabellenauszuges während des Verfahrens deshalb falsch, weil – wie oben erwähnt – evtl. Quotenzahlungen vermerkt werden müssen und insoweit erst nach Abschluss des Verfahrens feststeht, ob und welche Quote gezahlt werden konnte. Dies gilt auch, wenn der Insolvenzverwalter in der Gläubigerversammlung ausdrücklich erklärt hat, dass nicht mit einer Quotenzahlung zu rechnen ist.
Im Übrigen gilt Folgendes:
366
Für die Haftung des Schuldners ist im Übrigen allein die Eintragung in der Insolvenztabelle entscheidend. Verfahrensbedingte Forderungsumwandlungen bleiben auch nach Aufhebung des Verfahrens bestehen. Dies führt zu Folgendem:
1 Pape, KTS 1992, 185 ff.
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§6
Rz. 367
Beratung des ungesicherten Gläubigers
–
Werden nicht fällige Forderungen, § 41 InsO, und wiederkehrende Leistungen, § 46 InsO, zur Insolvenztabelle angemeldet und festgestellt, so haftet der Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens unabhängig von der ursprünglich vereinbarten Fälligkeit.
–
Der Schuldner haftet auch für während des Verfahrens begründete und – versehentlich oder absichtlich – nicht getilgte Masseverbindlichkeiten nur, soweit er nach Aufhebung des Verfahrens Massewerte zurückerhalten hat1.
–
Sind Forderungen nicht zur Tabelle angemeldet oder festgestellt worden, so ändert dies nichts an ihrer Existenz2. Besteht für eine derartige Forderung ein Titel, so kann der Gläubiger nach Aufhebung des Verfahrens hieraus vollstrecken. Anders als bei einem Forderungsanerkenntnis zur Tabelle ist der Titel in diesem Fall nicht verbraucht.
cc) Nachtragsverteilung (1) Anordnungsvoraussetzungen 367
Nach § 203 InsO ordnet das Insolvenzgericht auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an, wenn nach dem Schlusstermin3 –
zurückbehaltene Beträge für die Verteilung frei werden,
–
Beträge, die aus der Insolvenzmasse gezahlt sind, zurückfließen oder
–
Gegenstände der Masse ermittelt werden.
Nachtragsverteilungen sind auch in Verbraucherinsolvenzverfahren möglich4. Normalerweise wird im Schlusstermin die Frage einer möglichen Nachtragsverteilung erörtert und ein Beschluss dahin gehend gefasst, dass hinsichtlich bestimmter Werte noch eine Nachtragsverteilung erfolgen soll (so genannter Vorbehalt der Nachtragsverteilung). Es ist jedoch genauso gut möglich, dass erst nach Aufhebung des Verfahrens Vermögenswerte ermittelt werden, weil sie dem Insolvenzverwalter bis dahin unbekannt waren. Dieser Tatsache trägt das Gesetz mit Abs. 2 von § 203 InsO Rechnung, indem es ausdrücklich festhält, dass die Anordnung einer Nachtragsverteilung auch nach Aufhebung des Verfahrens erfolgen kann. Soweit der Vorbehalt der Nachtragsverteilung im Schlusstermin erklärt wird, bleibt das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters weiter bestehen. Dies gilt auch für das Prozessführungsrecht. Erfolgt im Schlusstermin ein derartiger Vorbehalt nicht und sind nachträglich Gegenstände ermittelt worden, so sind diese zunächst einmal frei; sie könnten also auch im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung beschlagnahmt werden. Erst mit der nachträglichen Anordnung erlangt der (ehemalige) Insolvenzverwalter wieder das Verwaltungs- und Verfügungsrecht. 1 2 3 4
Weitergehend Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2003, Rz. 25.09. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 201 Rz. 8. Hierzu BGH v. 17. 3. 2005 – IX ZB 286/03, NZI 2005, 395. BGH v. 1. 12. 2005 – IX ZB 17/04, ZInsO 2006, 33.
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 369
§6
Werden nach der in § 211 Abs. 1 InsO geregelten Einstellung des Verfahrens (bei vorausgegangener Masseunzulänglichkeit) noch Gegenstände der Insolvenzmasse ermittelt, so ordnet das Gericht auf Antrag des Verwalters oder eines Massegläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an (§ 211 Abs. 3 Satz 1 InsO).
367a
Fraglich ist, ob auch bei Einstellung des Verfahrens mangels Masse die Durchführung einer Nachtragsverteilung möglich ist, also auch in dem Fall, dass die Masse nicht einmal die Verfahrenskosten deckt, § 207 InsO (zur Unterscheidung vgl. Rz. 346 ff.). Das LG Marburg hat dies verneint1. Es kann sich auf eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung stützen. Nach § 211 Abs. 3 InsO beschränkt sich die Möglichkeit einer Nachtragsverteilung ausdrücklich auf die Fälle der Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Dies verbietet eine entsprechende Anwendung der §§ 203 Abs. 3, 204, 205 InsO auf das mangels Masse eingestellte Verfahren. Die Gegenansicht argumentiert mit einem „Erst-recht-Schluss“2. Gerade dann, wenn die Masse noch nicht einmal ausreicht, die Kosten des Verfahrens zu decken, muss die Möglichkeit eingeräumt werden, den Ausfall der Insolvenzgläubiger zu verringern. Die Alternative liegt in der aus Kostengründen wirtschaftlich wenig sinnvollen Möglichkeit, ein erneutes Insolvenzverfahren zu eröffnen. Diese Ansicht muss sich dennoch die bewusste gesetzgeberische Entscheidung entgegenhalten lassen.
368
(2) Praktische Bedeutung In der Praxis haben Nachtragsverteilungen vor allem Bedeutung, wenn noch ein Steuerguthaben entsteht. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn aufgrund von Quotenzahlungen die ursprünglich vorgenommene Vorsteuerberichtigung „rückkorrigiert“ werden muss (§ 17 Umsatzsteuergesetz): Mit der Insolvenzeröffnung steht für das Finanzamt zunächst fest, dass ein mehrwertsteuerpflichtiger Schuldner, für den die Sollversteuerung galt, die Vorsteuer zu Unrecht in Anspruch genommen hat. Das Finanzamt wird eine entsprechende Forderung zur Tabelle anmelden, die zunächst einmal berechtigt ist und deshalb vom Verwalter auch anzuerkennen ist. Kommt es dann – spätestens mit einer Schlussverteilung – zu Zahlungen an Gläubiger, die dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung Rechnungen mit Mehrwertsteuer erteilt hatten, wird damit nachträglich die Inanspruchnahme der Vorsteuer in Höhe der Quote berechtigt. Das Finanzamt hat deshalb auf die zur Tabelle anerkannte Forderung zu viel erhalten. Es ist ungerechtfertigt bereichert und muss einen Teil der Ausschüttung zurückerstatten. Dieser Betrag steht dann für eine Nachtragsverteilung zur Verfügung.
1 LG Marburg v. 27. 11. 2002 – 3 T 214/02, NZI 2003, 101; Dinstühler, ZIP 1998, 1697; a. A. Kübler in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 967 (980, 981), Rz. 50. 2 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 207 Rz. 39; Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 207 Rz. 32.
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369
§6
Rz. 370
Beratung des ungesicherten Gläubigers
(3) Bekanntmachung und Rechtsmittel 370
Der Beschluss, mit dem die Nachtragsverteilung angeordnet wird, ist öffentlich bekannt zu machen. Außerdem ist dieser Beschluss dem Insolvenzverwalter, dem Schuldner und – wenn ein Gläubiger die Verteilung beantragte – diesem Gläubiger zuzustellen, § 204 Abs. 2 Satz 1 InsO. Der Schuldner kann gegen den Anordnungsbeschluss sofortige Beschwerde einlegen, § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO. Wird die Nachtragsverteilung abgelehnt, kann hiergegen der Antragsteller Beschwerde einlegen, eine Regelung, die in der Literatur kritisiert worden ist1. Nach der Anordnung der Nachtragsverteilung hat der Insolvenzverwalter den zur Verfügung stehenden Betrag aufgrund des Schlussverzeichnisses zu verteilen. Hierüber hat der Insolvenzverwalter Rechnung zu legen, und zwar nicht gegenüber einer Gläubigerversammlung, sondern nur gegenüber dem Insolvenzgericht. b) Nach Bestätigung eines Insolvenzplans
371
§ 257 InsO sieht für die Insolvenzgläubiger die Möglichkeit vor, aus dem rechtskräftigen bestätigten Insolvenzplan zu vollstrecken. Der Vollstreckungstitel ist hierbei jedoch nicht der Insolvenzplan oder der gerichtliche Bestätigungsbeschluss, sondern nur der Tabelleneintrag2. Da der Tabelleneintrag nicht erklärt, ob und mit welcher Regelung die festgestellte Forderung im Insolvenzplan berücksichtigt worden ist, wird auch die Ansicht vertreten, dass eine Kombination von Tabelleneintrag, Insolvenzplan und Bestätigungsbeschluss den Vollstreckungstitel ausmacht3 (zur Planbestätigung durch das Insolvenzgericht vgl. § 13 Rz. 251 ff.). c) Nach Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses
372
Nach rechtskräftiger Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses erhält der Schuldner sein Verwaltungs- und Verfügungsrecht wieder zurück. Die mit der Eröffnung verbundenen Rechtsfolgen werden durch den Beschluss rückwirkend außer Kraft gesetzt. Dies schränkt allerdings § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO dahin gehend ein, dass Wirkungen von Rechtshandlungen, die der Insolvenzverwalter vorgenommen hat oder die ihm gegenüber vorgenommen worden sind, durch die Aufhebung nicht berührt werden. Der Rechtsverkehr soll auf Erklärungen eines ordnungsgemäß im Amt gewesenen Insolvenzverwalters vertrauen können. Deshalb muss der Schuldner vom Verwalter begründete Verbindlichkeiten aus dem Vermögen erfüllen, das zeitweilig mit Insolvenzbeschlag belegt war.
373
Im Übrigen treffen den Insolvenzverwalter – auch wenn sein Amt mit der Aufhebung beendet ist – noch verschiedene Abwicklungspflichten. Er hat ins1 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 204 Rz. 1. 2 Hess/Obermüller, Insolvenzplan, 2. Aufl. 1999, Rz. 341; Häsemeyer, 3. Aufl. 2003, Rz. 28.84. 3 Flessner in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2005, § 257 Rz. 2; Kebekus in Graf-Schlicker, InsO, 1. Aufl. 2007, § 257 Rz. 2.
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Runkel
Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 376
§6
besondere Gegenstände, die er zur Insolvenzmasse gezogen hat, an den Schuldner herauszugeben. Außerdem ist der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber zur Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet. Die Angaben könnten durchaus Bedeutung für Gläubiger haben; sie könnten vor allem durch die Rechnungslegung Hinweise auf Vermögenswerte bekommen. Hat der Gläubiger einen Vollstreckungstitel, besteht für ihn auch die Möglichkeit, den Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zu pfänden. Im Übrigen können Gläubiger nach der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses wieder auf herkömmlichem Wege gegen den Schuldner vorgehen, das heißt Klage erheben und aus einem Titel die Zwangsvollstreckung betreiben.
374
d) Nach Einstellung mangels Masse, § 207 InsO Mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens erhält der Schuldner das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen, § 215 Abs. 2 Satz 1 InsO. Dementsprechend muss auch der Verwalter die noch vorhandenen Massegegenstände dem Schuldner zurückgeben. Die Insolvenzgläubiger können nach der Einstellung des Verfahrens ihre Forderungen gegen den Schuldner wieder unbeschränkt geltend machen, unter Umständen aufgrund des Tabelleneintrages auch vollstrecken.
375
Streitig ist, ob im Anschluss an eine Einstellung des Verfahrens nach § 207 InsO auch eine Nachtragsverteilung möglich ist. Meines Erachtens ist dies, wie oben in Rz. 368 erläutert, nicht möglich, weil der Gesetzgeber – anders als im Fall des § 211 InsO – in Kauf nimmt, dass der Schuldner Teile der Insolvenzmasse unverwertet zurückerhält.
! Hinweis: Den ungesicherten Gläubigern ist deshalb dringend zu raten, auch noch nach Einstellung des Verfahrens Recherchen hinsichtlich der Vermögenswerte des Schuldners anzustellen. e) Bei Aufhebung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO Die Situation ist in diesem Fall derjenigen ähnlich, die nach Durchführung der Schlussverteilung besteht. Zwischen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und dem Einstellungsbeschluss ist nämlich von dem Verwalter auch die gesamte Restabwicklung vorgenommen worden. In dieser so genannten Zwischenphase kann der Gläubiger natürlich noch nicht vollstrecken; diese Möglichkeit besteht vielmehr erst nach Erlass des Einstellungsbeschlusses. Die Verfügungsbefugnis erhält der Schuldner auch erst mit dem Einstellungsbeschluss zurück. Werden nach der Einstellung des Verfahrens Gegenstände der Insolvenzmasse ermittelt, so ordnet das Gericht auf Antrag des Verwalters oder eines Massegläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an, § 211 Abs. 3 Satz 1 InsO. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur Einstellung nach § 207 InsO: Besteht nur Masseunzulänglichkeit außerhalb der Verfahrenskosten, so soll die gesamte Insolvenzmasse vollständig versilbert werden, erforderRunkel
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376
§6
Rz. 377
Beratung des ungesicherten Gläubigers
lichenfalls auch im Wege einer Nachtragsverteilung. Dementsprechend gelten alle oben unter Rz. 367 ff. erwähnten Bestimmungen über Rechtsmittel und den Vollzug der Nachtragsverteilung. 377
Ist ein Verfahren nach Schlussverteilung aufgehoben worden, kann die Durchsetzung der restlichen Gläubigerforderung an einer bewilligten Restschuldbefreiung scheitern (vgl. im Einzelnen § 16 Rz. 384 ff.). Erstaunlicherweise ist dies auch möglich, wenn das Verfahren nach § 211 InsO eingestellt wird. In diesem Fall kann jedoch Restschuldbefreiung nur erteilt werden, wenn nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse nach § 209 InsO verteilt worden ist, § 289 Abs. 3 InsO. Der Beschluss des Insolvenzgerichts über die Ankündigung der Restschuldbefreiung ist zusammen mit dem Beschluss über die Einstellung des Verfahrens öffentlich bekanntzumachen. Dann ist allerdings auch eine Gläubigerversammlung notwendig. Zur Restschuldbefreiung sind nämlich die Insolvenzgläubiger anzuhören, § 289 Abs. 1 InsO. Im Übrigen besteht bei einer angekündigten Restschuldbefreiung, die gleichzeitig mit einer Verfahrenseinstellung nach § 211 InsO erfolgt, die Besonderheit, dass der Treuhänder während der Laufzeit der Abtretungserklärung von den eingehenden Beträgen zunächst einmal die Massegläubiger vollständig befriedigen muss. Erst anschließend kommen während der Wohlverhaltensperiode die normalen Insolvenzgläubiger zum Zuge. Fazit: Es ist also möglich, dass ein Verfahren mangels Masse eingestellt wird, dem Schuldner Restschuldbefreiung angekündigt wird und dennoch sogar Insolvenzgläubiger noch Geld erhalten. Der Treuhänder muss die Verteilungen nach dem Schlussverzeichnis vornehmen. Deshalb muss der Verwalter ein entsprechendes Verzeichnis anfertigen, obwohl dies sonst bei einer Einstellung mangels Masse entbehrlich erscheint. f) Nach Aufhebung aus anderen Gründen
378
Auch in diesen Fällen erhält der Schuldner mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen, § 215 Abs. 2 Satz 1 InsO. In Satz 2 der genannten Bestimmung verweist der Gesetzgeber ausdrücklich auf die §§ 201, 202 InsO. Auch in diesen Fällen können also die Insolvenzgläubiger nach Einstellung des Verfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen, also auch vollstrecken. Dies zeigt, dass – wie bereits oben ausgeführt (Rz. 359 f.) – die Gläubiger ihre Forderung nicht etwa deshalb verlieren, weil sie sich mit der Einstellung des Verfahrens nach § 213 InsO einverstanden erklärt haben.
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Runkel
Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung
Rz. 381
§6
VI. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung Sucht ein ungesicherter Gläubiger anwaltlichen Rat, nachdem er erfahren hat, dass die Insolvenzeröffnung über das Vermögen seines Schuldners abgelehnt worden ist, so ergeben sich folgende Beratungsthemen: –
Macht es wirtschaftlich Sinn, gegen den Schuldner weiter vorzugehen?
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Welche Maßnahmen sind nunmehr zweckmäßig?
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1. Juristische Personen Ein rechtskräftiger Abweisungsbeschluss gemäß § 26 InsO führt zur Auflösung einer –
Aktiengesellschaft, § 262 AktG;
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Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 278 Abs. 3 in Verbindung mit § 262 AktG;
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GmbH, § 60 GmbH-Gesetz;
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OHG oder KG, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter wenigstens mittelbar eine natürliche Person ist, §§ 131 Abs. 2 Ziff. 1, 161 Abs. 2 HGB.
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In all diesen Fällen ist damit zu rechnen, dass in Kürze auch eine entsprechende Löschung im Handelsregister erfolgt. Der Abweisungsbeschluss hindert jedoch nicht einen neuen Insolvenzeröffnungsantrag, wenn glaubhaft gemacht wird, dass entgegen der ursprünglichen Annahme doch ausreichende Vermögenswerte vorhanden sind, also die Massekosten gedeckt sind1. Selbst eine schon im Handelsregister gelöschte Gesellschaft, die damit ihre Rechtsfähigkeit verloren hat, kann Gegenstand eines neuen Verfahrens werden2. Hierzu auch oben im Rahmen der Insolvenzfähigkeit, vgl. Rz. 33. Praktische Schwierigkeiten ergeben sich jedoch dadurch, dass ein derartiger Schuldner nach seiner Löschung im Register keinen Geschäftsführer oder Liquidator mehr hat. Auf Antrag müsste deshalb das Registergericht zunächst einen Nachtragsliquidator bestellen. Es dürfte schwierig werden, eine Person zu finden, die dieses Amt übernimmt. Der bisherige Geschäftsführer oder ein Gesellschafter ist hierzu keineswegs verpflichtet. In Frage kommen deshalb vor allem außenstehende Personen, die jedoch davor zurückscheuen werden, in amtlichen Bekanntmachungen namentlich in Erscheinung zu treten. Lösungsansatz: Es ist deshalb bereits in der Literatur erörtert worden, ob in derartigen Fällen nicht zweckmäßigerweise – analog den Grundsätzen für einen Prozesspfleger – ein Verfahrenspfleger bestellt wird3. 1 LG Hagen v. 20. 7. 1988 – 13 T 432/88, KTS 1988, 805 (806); Vallender, InVo 1997, 4 (7). 2 Hirte in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 11 Rz. 45 f. 3 Hirte in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 11 Rz. 45.
Runkel
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381
§6
Rz. 382
Beratung des ungesicherten Gläubigers
! Hinweis: Sinnvoll sind Bemühungen in diese Richtung nur dann, wenn tatsächlich Anhaltspunkte für Vermögenswerte vorhanden sind. Aufschluss bringt häufig das Gutachten, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige erstellt hat. Häufig finden sich in den Sachverständigengutachten Hinweise auf nicht ordnungsgemäß eingezahltes Stammkapital, allerdings verbunden mit dem Hinweis, dass die Realisierungsaussichten bei bestimmten Gesellschaftern, vor allem wenn sie noch zusätzlich von dritter Seite als Geschäftsführer in Anspruch genommen werden, unsicher sind. In diesem Zusammenhang sollte mit dem Mandanten erörtert werden, ob er unter Umständen zu den Vermögensverhältnissen bessere Erkenntnisse als der Sachverständige hat. 382
Unabhängig von einem neuen Insolvenzverfahren kann der Gläubiger auch versuchen, den Anspruch auf Einlageleistung zu pfänden. Dies könnte aber schwierig werden, wenn auf Schuldnerseite niemand mehr vorhanden ist, dem ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch mit dem Mandanten zu überlegen, ob jetzt nicht bei Vermögensverschiebungen Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes zum Tragen kommen.
2. Natürliche Person 383
Ist der Schuldner eine natürliche Person, so wird die anwaltliche Beratung sich mit reinen Fragen –
des Vollstreckungsrechtes und
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der Ermittlung von Vermögenswerten und ähnlichem zu befassen haben.
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Runkel
§ 7 Beratung des gesicherten Gläubigers Rz.
I. Allgemeines (Drees/ J. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform . . . . . . . . 3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwertungsverfahren . . . . . b) Lastenverteilung . . . . . . . . . . 4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO . . . . . . . . . . 5. Gang der Darstellung . . . . . . . . . II. Aussonderungsfragen (Drees/ J. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aussonderung . . . . . . . . . . . 2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aussonderungsfähige Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dingliche Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigentumsrechte . . . . . . (1) Alleineigentum . . . . . . . . (2) Miteigentum . . . . . . . . . . (3) Einfacher Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . (4) Weitergeleiteter und nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . bb) Sonstige dingliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aussonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte an Leistungen aus Lebensversicherungen . . . . dd) Treuhandverhältnisse . . ee) Leasing . . . . . . . . . . . . . . . (1) Leasing von Mobilien . . (2) Leasing von Immobilien ff) Factoring . . . . . . . . . . . . . c) Persönliche Aussonderungsrechte und Forderungen . . . . aa) Persönliche Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . bb) Forderungen . . . . . . . . . . . 3. Realisierung der Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vor und während der Krise .
1 1 8 11 11 12 15 16 17 17 21 21 22 23 24 27 29
33 38
45 46 50 51 60 63 81 81 87 89 90
Rz.
b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Stellung des Aussonderungsberechtigten (§ 47 InsO) . . . . . . . . . . . . 103 bb) Durchsetzung von Aussonderungsrechten . . . . . 106 (1) Prüfungspflicht des Insolvenzverwalters . . . . 107 (2) Aussonderung von Mobilien . . . . . . . . . . . . . . 112 (3) Aussonderung von Immobilien . . . . . . . . . . . 115 (4) Gerichtliche Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 cc) Kosten der Aussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 dd) Die Ersatzaussonderung 125 III. Absonderungsfragen (Drees/ J. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Die Absonderung . . . . . . . . . . . . 135 2. Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Absonderungsfähige Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Immobiliarsicherheiten . . . . 141 aa) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte . . . 144 bb) Umfang der Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . 145 c) Mobiliarpfandrechte . . . . . . . 150 aa) Rechtsgeschäftliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . 151 (1) Pfandrechte an Sachen . 153 (2) Pfandrechte an Rechten und Forderungen . . . . . . . 155 (3) Pfandrecht an Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen . . . . 159 bb) Gesetzliche Pfandrechte 160 d) Besitzlose Mobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Sicherungsübereignung . 169 bb) Sicherungszession . . . . . 175 (1) Globalzession . . . . . . . . . 176
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Beratung des gesicherten Gläubigers Rz.
Rz.
(2) Sicherungsabtretung im Rahmen von Kautionsversicherungsverträgen . 177 (3) Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen . . . . 178 cc) Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . 179 e) Widerrufliches Bezugsrecht an Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen . . . . 180 f) Pfändungspfandrechte, Zwangssicherungshypotheken und Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse . . . 183 g) Zurückbehaltungsrechte . . . 190 aa) Zurückbehaltungsrechte wegen nützlicher Verwendungen . . . . . . . . 190 bb) Kaufmännische Zurückbehaltungsrechte . . . . . . 196 h) Gemeinschaftsforderungen . 199 i) Zölle und Steuern . . . . . . . . . 200 3. Realisierung der Absonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Vor und während der Krise . 203 aa) Rechtslage . . . . . . . . . . . . 203 bb) Reaktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Vorläufige Verwaltung ohne Verwaltungsund Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . 217 (1) Immobilarsicherheiten . 220 (2) Mobiliarsicherheiten . . . 223 bb) Vorläufige Verwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis . . . . 230 c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Stellung des Absonderungsberechtigten (§ 52 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Verwertung der Absonderungsrechte . . . . . . . . . 239 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . 239 (2) Verwertung von Immobiliarsicherheiten . . . . . . 244
(a) Zwangsversteigerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 250 (aa) Vorläufige Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . 250 (bb) Zinszahlungspflicht (§ 30e Abs. 1 ZVG) . . . . . 253 (cc) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 30e Abs. 2 ZVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (b) Zwangsverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 258 (c) Gerichtliche Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (3) Verwertung von Mobiliarpfandrechten . . . . . . . . 263 (a) Mobiliarpfandrechte an Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (b) Mobiliarpfandrechte an Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . . . . . 266 (4) Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten . . . 270 (a) Verwertung von Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (aa) Verwertungsbefugnis . . . 270 (bb) Verwertungsverfahren . . 281 (aaa) Auskunftsanspruch (§ 167 InsO) . . . . . . . . . . . 282 (bbb) Mitteilungspflicht und Hinweisrecht (§ 168 InsO) . . . . . . . . . . . 287 (ccc) Schutz vor Verwertungsverzögerungen (§ 169 InsO) . . . . . . . . . . . 297 (ddd) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 172 InsO) . . 305 (cc) Verwertung durch den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . 308 (b) Verwertung von Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (c) Verwertung von Rechten und sonstigen Vermögenswerten . . . . . . . . . 315 cc) Kosten der Absonderung und Erlösverteilung . . . . 317 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . 317 (2) Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (a) Feststellungs- und Verwertungskosten . . . . . . . 325 (b) Umsatzsteuer . . . . . . . . . 331
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Beratung des gesicherten Gläubigers
§7
Rz. Rz.
Rz.
(c) Sicherungsübereignung der Zubehörsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (d) Freihändige Grundstücksveräußerung . . . . . 338 (3) Mobiliarpfandrechte . . . 339 (4) Besitzlose Mobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . 341 (a) An Sachen . . . . . . . . . . . . 342 (aa) Feststellungskosten . . . . 343 (bb) Verwertungskosten . . . . 345 (cc) Umsatzsteuer . . . . . . . . . 350 (dd) Erhaltungs- und Verfahrenskosten . . . . . . . . . 365 (b) An Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . 368 (aa) Verwertungs- und Feststellungskosten . . . . . . . . 368 (bb) Umsatzsteuer . . . . . . . . . 370 dd) Die Ersatzabsonderung . 371 ee) Die Ausfallhaftung . . . . . 376 (1) Verhältnis persönlicher zu dinglicher Haftung . . 376 (2) Ausfallhaftung . . . . . . . . 385 (3) Verzicht und Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (a) Verzicht . . . . . . . . . . . . . . 392 (b) Verwirkung . . . . . . . . . . . 394 (4) Nachweis des Ausfalls . 396 d) Nach Aufhebung des Verfahrens (§§ 200, 201 InsO) . . 401 e) Bei Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) . . . . . . . . 408 f) Bei Anzeige von Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) . 410 IV. Sicherheitenpool (Drees/ J. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 V. Personalsicherheiten (Drees/ J. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 2. Realisierung der Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 a) Vor und während der Krise . 420 b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 aa) Bürgschaft . . . . . . . . . . . . 428 (1) Insolvenz des Hauptschuldners . . . . . . . . . . . . 428 (a) Haftung des Bürgen . . . . 428
(b) Zahlungen des Bürgen . . 440 (c) Rückgriffsansprüche des Bürgen . . . . . . . . . . . . 455 (d) Absonderungsrechte des Bürgen . . . . . . . . . . . . 456 (2) Insolvenz des Bürgen . . . 457 (a) Alleinige Insolvenz des Bürgen . . . . . . . . . . . . 458 (b) Insolvenz des Bürgen und des Hauptschuldners . . . . . . . . . . . . 463 (3) Insolvenz des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 bb) Schuldbeitritt . . . . . . . . . 466 (1) Haftung des Beitretenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 (2) Rückgriffsansprüche des Beitretenden . . . . . . . 472 cc) Garantien . . . . . . . . . . . . . 478 dd) Patronatserklärung . . . . 484 d) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . 487 VI. (Dritt-)Sachsicherheiten (Hoffmann) . . . . . . . . . . . . . . . . .487c VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht (Hoffmann) . . 488 1. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen der §§ 94 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 a) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 b) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 c) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 2. Die Sicherung bestehender und künftiger Aufrechnungslagen nach §§ 94 f. InsO . . . . . . . . . . . . 495 a) Die zum Zeitpunkt der Eröffnung bestehende Aufrechnungslage, § 94 InsO . . 496 aa) Anforderungen an Haupt- und Gegenforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 bb) Gegenseitigkeitsverhältnis der Forderungen 498 cc) Gleichartigkeit der Forderungen . . . . . . . . . . . 500 b) Eintritt der Aufrechnungslage im Verfahren, § 95 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
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Rz. 1
Beratung des gesicherten Gläubigers Rz.
Rz.
3. Aufrechnungserklärung . . . . . . 506 4. Aufrechnungverbote, insbesondere § 96 InsO . . . . . . . 510 a) Anwendbarkeit der allgemeinen Regelungen . . . 511 aa) Gesetzliche Aufrechnungsverbote . . . . . . . . . . 511 bb) Vertragliche Aufrechnungsverbote . . . . . . . . . . 513 b) Die besonderen Aufrechnungsverbote des § 96 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 aa) Gegenseitigkeit nach Eröffnung (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO) . . . . . . . . . . . . 518 bb) Erwerb der Gegenforderung nach Eröffnung (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO) 520
cc) Forderungserwerb durch anfechtbare Rechtshandlung (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 dd) Vermögenstrennung (§ 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO) 523 ee) Ausnahme nach § 96 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . 524 5. Rechtsfolgen der Aufrechnung 525 a) Auswirkungen auf Forderung und Nebenrechte . . . . . 525 b) Auswirkungen auf die Beteiligung am Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 6. Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
I. Allgemeines 1. Beratungsansatz 1
Die anwaltliche Beratung von Gläubigern in Insolvenzsachverhalten ist ein zweischneidiges Schwert: Der Sorge, „schlechtem Geld Gutes hinterherzuwerfen“, steht die mitunter nur vage Chance gegenüber, mit anwaltlicher Unterstützung eine bessere Befriedigung zu erlangen. Während sich bei ungesicherten Gläubigern verbesserte Befriedigungsaussichten nur in einer höheren – in der Regel aber immer noch sehr geringen – Quote widerspiegeln, haben gesicherte Gläubiger durch die Zugriffsmöglichkeit auf einen allein ihrer Befriedigung dienenden Sicherungsgegenstand die begründete Aussicht, den insolvenzbedingten Ausfall so gering wie möglich zu halten.
2
Diesem Interesse eines jeden Sicherungsgläubigers, aus der ihm überlassenen Sicherheit die bestmögliche Befriedigung zu erlangen, steht der gesetzliche Auftrag des Insolvenzverwalters gegenüber, „die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt […] wird.“ Es gilt damit der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger. In Erfüllung dieses Auftrags werden Insolvenzverwalter bei fehlenden Anhaltspunkten für Sicherheitenrechte von einer ungesicherten Insolvenzforderung ausgehen und diese bei Verfahrensbeendigung quotal befriedigen.
3
Die Inbesitznahme (§ 148 InsO) umfasst daher zunächst auch solche Gegenstände, die mit Sicherungsrechten Dritter belastetet sind. Es gelten insoweit auch für den Insolvenzverwalter die Regelungen des § 1006 Abs. 1 und 2 BGB, wonach vermutet wird, dass der Besitzer einer Sache auch deren Eigentümer ist. Der Insolvenzverwalter kann also davon ausgehen, dass der besitzende Insolvenzschuldner auch Eigentümer ist. Dementsprechend ist es Sache des Si676
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Allgemeines
§7
Rz. 5a
cherungsgläubigers, binnen einer angemessenen Frist sein Recht geltend zu machen und substantiiert darzulegen. Im wohlverstandenen Interesse der Gesamtgläubigerschaft sind Sicherungsrechte vom Verwalter erst dann zu beachten, wenn sie durch Glaubhaftmachung durch den Sicherungsgläubiger oder auf andere Weise im Rahmen der Verwaltertätigkeit bekannt geworden sind. Ergeben sich entsprechende Anhaltspunkte für Sicherungsrechte, besteht eine Pflicht des Verwalters, den Sachverhalt hinsichtlich solcher Rechte aufzuklären. Die Beweislast für solche Anhaltspunkte trägt der (vermeintliche) Sicherungsgläubiger.
4
Um Gläubigern entsprechenden Vortrag zu ermöglichen, sind diese gemäß § 28 Abs. 2 InsO mit dem Eröffnungsbeschluss aufzufordern, dem Verwalter unverzüglich mitzuteilen,
5
–
welche Sicherungsrechte sie an beweglichen Sachen oder an Rechten des Schuldners in Anspruch nehmen und
–
den Gegenstand, an dem das Sicherungsrecht beansprucht wird, die Art und den Entstehungsgrund des Sicherungsrechts sowie die gesicherte Forderung zu bezeichnen. Musterschreiben1 – Anmeldung einer gesicherten Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle
Sehr geehrter Herr Kollege,
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wir dürfen Ihnen mitteilen, dass wir die rechtlichen Interessen der Fa. … in vorbenanntem Insolvenzverfahren vertreten. Uns liegt Ihr Schreiben vom … vor, in dem Sie uns zur Anmeldung der Forderungen unserer Mandantin zur Insolvenztabelle auffordern. Bezugnehmend hierauf melden wir die nachfolgend näher bezeichnete Forderung für den Ausfall zur Insolvenztabelle an: 1. Forderung auf Darlehensrückzahlung gemäß Vertrag vom … in Höhe von … 2. Rückständige Zinsverpflichtung seit dem … bis zur Verfahrenseröffnung laut Ziff. … des vorbenannten Vertrages in Höhe von … Den Darlehensvertrag, die den Empfang der Darlehenssumme bestätigende Quittung der Schuldnerin, die Kündigung des Vertrages sowie eine Aufstellung der Zinsen überreichen wir in der Anlage. Zur Sicherung dieser Forderung bestehen zugunsten unserer Mandantin folgende Sicherheiten: 1. Briefhypothek über … nebst …% Zinsen seit dem … gemäß Hypothekenbestellungsurkunde des … vom … zur Urkunds.-Nr. 2. Sicherungsübereignung des …, amtliches Kennzeichen … 3. Garantieerklärung der … 1 Vgl. hierzu sowie zu weiteren Mustern Breuer, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. 2006, S. 244 ff.
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§7
Rz. 6
Beratung des gesicherten Gläubigers
Zum Nachweis dieser Sicherheiten überreichen wir ebenfalls in der Anlage die entsprechenden Urkunden in einfacher Kopie. Hinsichtlich der unter Ziff. 1. und 2. angeführten Sicherheiten begehrt unsere Mandantin abgesonderte Befriedigung. Mit freundlichen Grüßen
6
(Vermeintlich) gesicherte Gläubiger sind daher gut beraten, aktiv zu werden und den Insolvenzverwalter mit dem Wissen um bestehende Sicherungsrechte zu belasten. Nur auf diese Weise kann es gelingen, den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu verlassen und eine über die Insolvenzquote hinausgehende Befriedigung zu erlangen, indem etwa –
ein Gegenstand aus der Insolvenzmasse gemäß § 47 InsO herausverlangt bzw. ausgesondert wird (vgl. zur Aussonderung unter Rz. 17 ff.);
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aus der Verwertung eines bestimmten Gegenstandes gemäß §§ 49 ff. InsO abgesonderte Befriedigung aus dem hierbei erzielten Erlös beansprucht wird (vgl. zur Absonderung unter Rz. 135 ff.);
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persönlich und/oder dinglich mithaftende Dritte in Anspruch genommen werden (vgl. hierzu Rz. 419 ff. und Rz. 487c).
! Grundsätzliche Hinweise 7
zum anwaltlichen Beratungsansatz bei der Behandlung von Sicherungsrechten in Insolvenzsachverhalten:
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–
Die insolvenzrechtliche Beratung gesicherter Gläubiger setzt gedanklich und auch tatsächlich stets eine zivilrechtliche Beratung voraus. Denn nur zivilrechtlich wirksame Sicherheiten eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 47 f., 49 ff. InsO.
–
Auch innerhalb der insolvenzrechtlichen Beratung gibt es zwingende gedankliche Vorüberlegungen. Mit der Feststellung der zivilrechtlichen Wirksamkeit ist es nicht getan. Die Geltendmachung von Absonderungsrechten setzt weiter deren Insolvenzfestigkeit voraus. Hierfür hat der Berater insbesondere den Einwand der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff., 143 Abs. 1 InsO und die insolvenzrechliche Unwirksamkeit aus anderen Gründen, z.B. gemäß § 88 InsO (Rz. 185) zu überprüfen. Indizien für entsprechenden Beratungsbedarf sind die zeitliche Nähe zum Insolvenzantrag und die Vereinbarung nachträglicher Sicherheiten. Zur Insolvenzanfechtung vgl. § 10 dieses Buches.
–
Die Erfolgsaussichten der Verfolgung von Absonderungsrechten können nicht ohne sorgfältige Überprüfung der zuvor genannten Vorfragen beurteilt werden. Kommt es zu einer streitigen Auseinandersetzung bei der Durchsetzung werden Insolvenzverwalter stets bemüht sein, Wirksamkeit und Insolvenzfestigkeit anzugreifen.
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Gesicherte Gläubiger sind gut beraten, diese Vorfragen auch dann zu klären, wenn die den Sicherheiten zugrunde liegende Hauptforderung noch vor dem Insolvenzantrag beglichen worden ist. Denn sollte diese
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Allgemeines
Rz. 11
§7
Befriedigung erfolgreich angefochten werden, so leben mit der Hauptforderung sowohl akzessorische1 als auch nicht akzessorische2 Sicherheiten wieder auf3.
2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform Die Beratung gesicherter Gläubiger hat mit Einführung der InsO an Bedeutung gewonnen. Denn neben zahlreichen anderen gesetzgeberischen Anliegen (Maßnahmen zur Beseitigung der Massearmut, Gläubigergleichbehandlung, Sanierungsgedanke, etc.) galt ein Hauptaugenmerk der Reformüberlegungen der privilegierten Rechtsstellung gesicherter Gläubiger. Den Sicherungsrechten wurde in dreifacher Hinsicht eine Ausbeutung der Masse vorgeworfen: –
Vorabbefriedigung auf Kosten der Gesamtgläubigerschaft.
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Möglichkeit der Eigenverwertung sorgte für unkoordinierten Zugriff und verhinderte sowohl die Sanierung und Fortführung als auch eine mögliche gewinnbringende Gesamtveräußerung des insolventen Unternehmens.
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Belastung der Masse mit den durch die Feststellung, Erhaltung und Bearbeitung der Sicherungsrechte entstehenden Kosten („Exklusiv-Konkurs der Privilegierten“).
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Mit der Grundidee eines neuen Insolvenzrechts – Ablösung des Prioritätsprinzips durch den Grundsatz der gemeinschaftlichen Befriedigung – sollten diese Privilegien stark eingeschränkt werden.
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Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Reformüberlegungen insbes. auch über die Behandlung von Sicherungsrechten im Insolvenzfall diskutiert, um den vorrangigen Reformzielen – Anreicherung der Masse sowie erleichterte Verfahrenseröffnung – möglichst nahe zu kommen. Streitpunkt der Diskussion war die Frage, ob es gerechtfertigt sei, dass die Rechtsstellung und die Ansprüche dinglich gesicherter Gläubiger in der Insolvenz des gemeinsamen Schuldners voll respektiert, sprich gemäß Rang und in voller Höhe bedient werden, bevor nachrangige Anspruchsinhaber befriedigt werden, oder ob ihnen zugunsten der Insolvenzmasse und damit letztlich zugunsten der ungesicherten Gläubiger in der Insolvenz des gemeinsamen Schuldners ein Sonderopfer abverlangt werden müsse4.
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3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick a) Verwertungsverfahren Die Abwicklung von Konkursverfahren kollidierte häufig mit der selbständig betriebenen Verwertung des Schuldnervermögens durch aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger. Durch den eigenhändigen Zugriff der Gläubiger 1 BGH v. 24. 10. 1973 – VIII ZR 82/72, KTS 1974, 96. 2 OLG Frankfurt v. 25. 11. 2003 – 9 U 127/02, ZIP 2004, 271 m. Anm. Wagemann, EWiR 2004, 563 (564). Zur Vorinstanz vgl. LG Frankfurt v. 15. 8. 2003 – 17 O 370/02, ZInsO 2003, 907 m. Bspr. von Biehl, ZInsO 2003, 932 ff. 3 Ausführlich hierzu Heidbrink, NZI 2005, 363 m. zahlr. w.N. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 75, 80, 82, 87.
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Rz. 11 a
Beratung des gesicherten Gläubigers
auf die betriebsgebundenen Vermögensgegenstände wurde das Betriebsvermögen des Gemeinschuldners zerschlagen, die Betriebe dadurch lahm gelegt, ihre Fortführung oder Veräußerung als Betriebseinheit verhindert und damit letztlich der Versuch des Verwalters, das Verfahren einer vorteilhaften Abwicklungsstrategie zuzuführen, häufig vereitelt. Der Gesetzgeber sah es deshalb als notwendig an, die Insolvenzmasse vor der unkontrollierten Zerschlagung durch Einzelzugriffe zu schützen1. Das Nutzungspotential der schuldnerfremden Sachen sollte zunächst der Masse zur vereinfachten Verwertungskoordinierung vorbehalten bleiben. Die wirtschaftlich sinnvollste und bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens erfoderte daher die Einbeziehung der gesicherten Gläubiger in das Gesamtverfahren2. Das vornehmliche Reformbedürfnis betraf mithin das Recht der Absonderungsrechte. So sieht § 52 InsO nunmehr den ausnahmslosen Einbezug der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren vor, wenn der Schuldner diesen auch persönlich haftet3. Mit der Abschaffung des bisher nach § 127 Abs. 2 KO für den Gläubiger bestehenden Rechts, sich außerhalb des Insolvenzverfahrens aus dem Sicherungsgut zu befriedigen, und der Ausdehnung der insolvenzrechtlichen Haftungsverwirklichung auch auf die dingliche Vermögenshaftung, greift der Gesetzgeber eine seit langem erhobene, von der Kommission für Insolvenzrecht4 mit besonderem Nachdruck vertretene Reformforderung auf. 11 a
Als Konsequenz hieraus wurde in der InsO dem Insolvenzverwalter die Verwertungsbefugnis im Hinblick auf die Absonderungsrechte zugesprochen. Er soll darüber bestimmen, wann und auf welche Art und Weise die belasteten schuldnerischen Vermögensgegenstände verwertet werden. Dadurch tritt eine Verfahrensvereinheitlichung und -konzentration in der Hand des Insolvenzverwalters ein.
! Hinweis: Das Aussonderungsrecht entspricht weitestgehend der alten Rechtslage unter der KO. b) Lastenverteilung 12
Des Weiteren wurde die Lastenverteilung hinsichtlich der im Verwertungsvorgang von Mobiliarsicherheiten entstehenden Kosten beklagt, da diese allein den gesicherten Gläubigern zugute kamen, hingegen finanziell der Insolvenzmasse zur Last fielen und damit allein von den „übrig gebliebenen“, ungesicherten Gläubigern zu tragen waren5. Die vielfältigen Formen von Mobiliarsicherheiten, ihre fehlende Erkennbarkeit und die häufig auftretenden Kollisionsfälle verursachen bei der Abwicklung von Insolvenzfällen regelmäßig erhebliche Kosten. Insbesondere führen die rechtliche Feststellung sowie die tatsächliche Trennung der Sicherheiten, die Erhaltung des Sicherungsguts 1 BT-Drucks. 12/2443, S. 2. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 77, 79; Referentenentwurf, 2. Teil, S. 16. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 126; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 1; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 1. 4 Kommission für Insolvenzrecht, Erster Bericht, LS 1. 1. 5 Abs. 2, S. 95 f. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 87.
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Drees/J. Schmidt
Allgemeines
Rz. 15a
§7
während des Verfahrens und seine Verwertung, soweit diese vom Verwalter vorgenommen wird, zu einer finanziellen Belastung der Insolvenzmasse und letztlich zu einer Senkung der Befriedigungsquoten ungesicherter Gläubiger. Der Gesetzgeber verpflichtete daher die Absonderungsberechtigten zu obligaten Kostenbeiträgen, die dem Verwertungserlös bereits vor dessen Auskehr an sie zugunsten der Insolvenzmasse entnommen werden. Für die Höhe der einzubehaltenden Kostenbeiträge sieht § 171 InsO aus Gründen der Praktikabilität Pauschalsätze vor. Soweit die Verwertung zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer führt, ist auch der Umsatzsteuerbetrag zusätzlich zu den Kostenbeiträgen von dem Sicherungsnehmer zu tragen (§ 171 Abs. 2 Satz 3 InsO).
13
! Hinweis: Die Regelungen über die obligaten Kostenbeiträge finden auf die Aussonderungsrechte keine Anwendung. Ebenfalls fehlt eine entsprechende Regelung. Überblick – Wesentliche Änderungen bei Absonderungsrechten –
Ausnahmsloser Einbezug der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren (§ 52 InsO)
–
Regelverwertungsrecht liegt bei Verwalter
–
Obligatorische Kostenbeiträge
14
4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO Auch nach Inkrafttreten der InsO hat es zahlreiche gesetzliche Neuerungen und Änderungen gegeben, die im Wesentlichen auf den ersten Erfahrungen mit dem neuen Gesetz beruhen. Es handelt sich im Einzelnen um –
Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (InsOÄndG 2001)1,
–
Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 2007 (vgl. Rz. 15a)2,
–
Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung 20073.
Für die Beratung des gesicherten Gläubigers ist in erster Linie das mit dem 1. 7. 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 2007 von Bedeutung. Neben Neuregelungen in den Bereichen der Auswahl des Insolvenzverwalters (§ 6 Rz. 156 ff.) und der Freigabe der Arbeitskraft des selbständigen Schuldners (§ 17 Rz. 87) liegt ein Schwerpunkt dieses Gesetzes in 1 Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (InsOÄndG 2001), BGBl. I S. 2710. 2 Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 2007, BGBl. I S. 509. 3 Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung 2007, BGBl. I S. 368.
Drees/J. Schmidt
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15
15a
§7
Rz. 15b
Beratung des gesicherten Gläubigers
der Stärkung der Sanierungs- und Ordnungsfunktion des Eröffnungsverfahrens durch Einbeziehung aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger1. 15b
Aufgegangen ist diese Neuregelung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO. Hiernach kann nunmehr das Insolvenzgericht für aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger beweglicher Sachen und Forderungen eine Verwertungssperre anordnen. Entsprechend gesicherte Gläubiger können bei einer solchen Anordnung weder Herausgabe verlangen noch eine sicherungszedierte Forderung einziehen2. Das Schrifttum kritisiert die fehlende Unterscheidung zwischen Ausund Absonderungsrechten3. Nach richtigem Verständnis sind auch Aussonderungsgläubiger erfasst4. Für den gesicherten Gläubiger stellt die Neuregelung zweifelsohne eine Belastung dar. Wegen der Einzelheiten wird für Aussonderungsberechtigte auf Rz. 95 ff. und für Absonderungsberechtigte auf Rz. 216 ff. verwiesen.
15c
Was die künftige Rechtsentwicklung angeht, so dürfen folgende – für gesicherte Gläubiger weniger relevanten – Reformbestrebungen5 nicht unerwähnt bleiben –
der Referentenentwurf v. Mai 2006 eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (RefE MoMiG),
–
der Regierungsentwurf v. Februar 2007 eines Gesetzes zur Entschuldung völlig mitelloser Personen und zur Änderung des Verbraucherinsolvenzverfahrens (RegE EntschG) sowie
–
der Diskussionsentwurf v. August 2006 eines Gesetzes zur Vereinfachung der Aufsicht in Insolvenzverfahren (DiskE GAVI)
5. Gang der Darstellung 16
Vor diesem Hintergrund sollen nunmehr die für die Beratung gesicherter Gläubiger relevanten Fragestellungen jeweils isoliert für –
Aussonderungsberechtigte (Rz. 17 ff.),
–
Absonderungsberechtigte (Rz. 135 ff.) sowie
–
durch Personalsicherheiten abgesicherte Gläubiger (Rz. 419 ff.)
behandelt werden.
1 2 3 4
Schmidt in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 1 Rz. 11. Ausführlich hierzu Kuder, ZIP 2007, 1690 ff. Kirchhof, ZInsO 2007, 227 (228 ff.). Schmidt in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 1 Rz. 11b. Kritisch zur Einbeziehung von Aussonderungsberechtigten Kirchhof, ZInsO 2007, 227 (228 ff.). 5 Vgl. hierzu die Übersicht von Schmidt in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 1 Rz. 11.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 20
§7
II. Aussonderungsfragen 1. Die Aussonderung Entsprechend der Einzelzwangsvollstreckung sollen auch von der Gesamtvollstreckung nur die Vermögensgegenstände erfasst werden, die dem schuldnerischen Vermögen zuzuordnen sind. Gemäß § 35 InsO fallen daher nur die Gegenstände in die Insolvenzmasse, die dem Schuldner „gehören“, d.h. wenn diesem an den haftenden Gegenständen ein vorbehaltloses Vollrecht zukommt.
17
Schuldnerfremde Sachen sind mithin aus der Haftungsmasse zu nehmen, insolvenztechnisch sind sie nach § 47 InsO auszusondern. Übernimmt der Verwalter bei der Inbesitznahme des Vermögens nach § 148 Abs. 1 InsO auch die aufgrund der Vielzahl der Geschäftsbeziehungen des Insolvenzschuldners noch in dessen Vermögen vorhandenen Gegenstände und Rechte, die nicht in dessen Eigentum stehen, sondern einem Dritten gehören, kann der Dritte die Inbesitznahme für die Masse dadurch abwenden, dass er die Aussonderung seines Vermögensgegenstandes nach § 47 InsO begehrt. Durch die Aussonderung werden sodann die im Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Verwalter noch im schuldnerischen Vermögen vorhandenen Fremdgegenstände und -rechte aus der Insolvenzmasse als „Ist-Masse“ herausgelöst und diese dadurch zur „SollMasse“ bereinigt.
18
Die Aussonderungsberechtigten sind keine Insolvenzgläubiger. Sie machen lediglich geltend, dass ein bestimmter Gegenstand bzw. ein bestimmtes Recht nicht zur Insolvenzmasse gehört. Dabei können sie ihren Ansprüchen frei von den Zwängen des Insolvenzverfahrens Geltung verschaffen und brauchen sich keinen insolvenzrechtlich bedingten Einschränkungen bei der Geltendmachung zu unterwerfen. Ihnen kommt mithin die stärkste Stellung unter allen Gläubigern zu. Die Parallele in der Einzelzwangsvollstreckung wäre die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO.
19
Wer im Einzelnen aussonderungsberechtigt ist, ergibt sich nicht aus den Vorschriften der InsO selbst. Das Gesetz spricht in § 47 Satz 1 InsO nur davon, dass aussonderungsberechtigt derjenige ist, der aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört. Der Anspruch auf Aussonderung eines bestimmten Gegenstands bestimmt sich nach den allgemeinen Gesetzen außerhalb der InsO1. Gegenstand eines Aussonderungsanspruchs können bewegliche und unbewegliche Sachen oder dingliche und persönliche Rechte sowie Forderungen sein, soweit diese individuell bestimmbar sind. Voraussetzung eines Aussonderungsrechts ist daher, dass dem Berechtigten ein dingliches oder persönliches Recht an dem Aussonderungsobjekt zukommt und dieses massebefangen ist, sprich, sich bei Insolvenzeröffnung im Besitz des Schuldners befand und der Insolvenzverwalter – sei es auch bereits vor der Inbesitznahme – Ansprüche auf diesen Gegenstand erhebt.
20
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 97; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 6.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 20a
Beratung des gesicherten Gläubigers
! Hinweise für den Berater: An dieser Stelle zeigt sich die Relevanz der eingangs erwähnten Vorfragen (Rz. 7), deren Beantwortung für eine sorgsame insolvenzrechtliche Beratung unerlässlich ist. Denn nur zivilrechtlich wirksame und insolvenzfeste Sicherheitenrechte eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 47f InsO.
20a
2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) a) Aussonderungsfähige Objekte 21
Aussonderungsfähig im Sinne von § 47 InsO sind Gegenstände, d.h. bewegliche und unbewegliche Sachen, dingliche und persönliche Rechte, Forderungen aller Art sowie der Besitz. Das Aussonderungsobjekt muss individuell bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Handelt es sich um vertretbare oder verbrauchbare Sachen, sind diese dann hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar, wenn sie sich unterscheidbar in der Masse befinden. Ist aufgrund vorangegangener Vermischung mit schuldnereigenen Gegenständen gemäß § 948 BGB die Unterscheidbarkeit des Aussonderungsobjekts nicht mehr gegeben, so erfolgt die Abwicklung nach § 84 InsO. In einem Urteil des BGH vom 4. 5. 2006 ging es um die sehr spezielle Frage, ob der Anteil des nicht verwaltenden Ehegatten am Gesamtgut einer Ehegemeinschaft aussonderungsfähig ist1. Der BGH versagte die Anwendung des § 47 InsO mit Rücksicht auf § 37 Abs. 1 Satz 3 InsO sowie § 860 Abs. 1 ZPO. b) Dingliche Aussonderungsrechte
22
Während zu den dinglichen Rechten für gewöhnlich all diejenigen Rechte zählen, die dem Rechtsinhaber das Recht zur Herrschaft über eine Sache einräumen, fallen unter die dinglichen Rechte des § 47 InsO all diejenigen, die die Rechtsinhaberschaft an Gegenständen im Sinne der InsO zuweisen2. aa) Eigentumsrechte
23
Zu den Aussonderungsrechten gehört in erster Linie das Eigentum im Sinne des BGB an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Die Durchsetzung dieses Vindikationsanspruchs ist der Grundfall der Aussonderung, da Gegenstände, die im Eigentum eines Dritten stehen, nicht zu dem insolvenzbeschlagenen Vermögen des Schuldners und damit nicht zur Insolvenzmasse zählen (§ 35 InsO). Dem Eigentümer steht ein Aussonderungsrecht zu, wenn ihm zugleich auch ein Anspruch auf Herausgabe z.B. nach § 985 BGB hinsichtlich des auszusondernden Gegenstands zukommt3.
1 BGH v. 4. 5. 2006 – IX ZB 285/04, ZInsO 2006, 597 ff. 2 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 8 m.w.N. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 9.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 28
§7
(1) Alleineigentum Das Alleineigentum berechtigt den Rechtsinhaber zur Aussonderung seiner Sache1. Ausdrücklich gesetzlich ausgenommen ist das Sicherungseigentum (§ 51 Nr. 1 InsO). Der aus dem Alleineigentum erwachsende dingliche Anspruch des Berechtigten auf Aussonderung richtet sich in der Regel auf die Herausgabe des Aussonderungsobjekts nach § 985 BGB, soweit der Schuldner jedenfalls unmittelbarer Besitzer in Form des Eigen- oder Fremdbesitzers ist und ihm kein Recht zum Besitz zusteht. Soweit der Insolvenzschuldner selbst die Stellung eines mittelbaren Besitzers innehat, richtet sich der Aussonderungsanspruch auf Abtretung des Herausgabeanspruchs gegenüber dem Besitzmittler2. Kommt dem Schuldner jedoch ausnahmsweise ein Recht zum Besitz zu, oder bestreitet der Insolvenzverwalter die Eigentumsposition des Dritten, so beschränkt sich der Anspruch zunächst auf die Feststellung der Eigentumsposition.
24
Der Aussonderungsanspruch kann auch auf eine schuldrechtliche Rechtsgrundlage gestützt werden, z.B. auf § 546 Abs. 1 BGB für den Vermieter gegenüber dem Mieter oder auf § 695 BGB für den Hinterleger gegenüber dem Hinterlegungsempfänger (siehe hierzu Rz. 81 ff.). Stehen dem Berechtigten sowohl dingliche als auch persönliche Ansprüche auf Aussonderung zu, so kann er zwischen beiden Anspruchsgrundlagen wählen. Er wird sich im Hinblick auf die Ausübung seines Wahlrechts daran orientieren, bei welchem der Ansprüche sich für ihn die günstigere Behauptungs- und Beweislast bzw. der günstigere Gerichtsstand ergibt.
25
Bei beweglichen Sachen, die sich im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im Besitz des Insolvenzschuldners befinden, streitet zugunsten der Insolvenzmasse der § 1006 BGB, so dass zugunsten des besitzenden Schuldners dessen Eigentum vermutet wird und damit auch die Zugehörigkeit des Vermögensgegenstands zur Insolvenzmasse. Derjenige, der sein Eigentumsrecht im Rahmen der Aussonderung geltend machen möchte, muss entgegen der Publizitätswirkung des § 1006 BGB die Eigentumsvermutung widerlegen, womit ihm auch die Darlegungs- und Beweislast obliegt3.
26
(2) Miteigentum Befindet sich das Aussonderungsobjekt im Miteigentum mehrerer, so kann jeder Miteigentümer die Aussonderung durch Geltendmachung des Herausgabeanspruchs an alle Miteigentümer gemäß §§ 1011, 432 BGB betreiben4.
27
Soweit der Insolvenzschuldner selbst Miteigentümer an dem auszusondernden Gegenstand ist, z.B. weil es in seinem Lager zu einer Vermischung von eigenen mit schuldnerfremden Gegenständen gemäß § 948 BGB gekommen ist, können die anderen Miteigentümer neben der Feststellung des Miteigentumsanteils
28
1 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 9. 2 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 16. 3 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 15; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 114. 4 Vgl. hierzu näher Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 6; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 45.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 29
Beratung des gesicherten Gläubigers
und der Einräumung des Mitbesitzes auch die Auseinandersetzung der Gemeinschaft nach § 84 InsO i.V.m. § 749 BGB außerhalb des Insolvenzverfahrens verlangen1. (3) Einfacher Eigentumsvorbehalt 29
Wie nach bisherigem Recht soll nach h.M. auch im Geltungsbereich der InsO dem Vorbehaltsverkäufer im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers der einfache Eigentumsvorbehalt zu einem Aussonderungsrecht verhelfen2. Nach heftiger Diskussion, ob der einfache Eigentumsvorbehalt, der letztlich dem Verkäufer als Sicherungsmittel dient, nicht auch zu einem Absonderungsrecht führt, hat sich der Gesetzgeber letztlich doch wieder zurückbewegt und dem Vorbehaltseigentum die Aussonderungskraft erneut zuerkannt3. Hat sich der Verkäufer mithin das Eigentum an einer Kaufsache vorbehalten, kann er im Falle der Insolvenz des Käufers die unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Sache aussondern und nach § 47 InsO Herausgabe der Sache verlangen, soweit dem Insolvenzverwalter kein Recht zum Besitz zur Seite steht4.
30
Trotz seiner Entscheidung, den Eigentumsvorbehalt entgegen aller Kritik sachlich nicht den Sicherungsrechten zuzuordnen, hat der Gesetzgeber eine Art „Mischsystem“ installiert, welches gegenüber dem Vorbehaltseigentümer in § 107 Abs. 2 InsO eine Art „Ausübungssperre“ verhängt, um dadurch das Nutzungspotential der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ware insbesondere zugunsten einer möglichen Betriebsfortführung dem Insolvenzverwalter vorzubehalten. Dementsprechend ordnet § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO an, dass der zur Ausübung des Wahlrechts aufgeforderte Verwalter die diesbezügliche Erklärung gegenüber dem Verkäufer nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben braucht. Dabei ist auf die nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 für den Berichtstermin (§ 156 InsO) einzuhaltende Frist von drei Monaten abzustellen. Mithin verbleibt der Nutzungswert der unter Vorbehalt erworbenen Sache zunächst bis zur Ausübung des Wahlrechts bei der Insolvenzmasse. Für den Aussonderungsberechtigten bedeutet das, dass er sein Aussonderungsrecht aufgrund seiner Stellung als Vorbehaltseigentümer faktisch bis zu drei Monaten nicht ausüben kann, da der Verwalter auf die Aufforderung des Aussonderungsberechtigten zur Ausübung des Wahlrechts für seine Erklärung bis zum Berichtstermin Zeit hat5.
31
Für den Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Vorbehaltsverkäufers regelt die InsO nunmehr in § 107 Abs. 1 InsO die Insolvenzfestigkeit des Anwartschaftsrechts des Vorbehaltskäufers, soweit diesem bereits vor der Er1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 1. 2 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 62; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 17; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 19; hierzu krit. Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 47 Rz. 16 ff. 3 Vgl. zu dieser Diskussion: Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 33 ff.; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 62, 2. 4 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 11 ff. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 19; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 13.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 33
§7
öffnung des Insolvenzverfahrens der Besitz an der Vorbehaltsware übertragen worden ist1. Damit kann der Verwalter des Vorbehaltsverkäufers nicht mehr wie unter dem Geltungsbereich der KO die weitere Erfüllung des mit dem Vorbehaltskäufer geschlossenen Vertrags ablehnen und die Vorbehaltsware herausverlangen. Der Vorbehaltskäufer kann nunmehr seinerseits gemäß § 107 Abs. 1 InsO die Erfüllung des Vertrags verlangen, wobei ihm – solange er sich selbst vertragstreu verhält – ein unentziehbares Recht zum Besitz zusteht. Lediglich wenn der Käufer selbst gegen seine vertraglichen Verpflichtungen verstößt, so z.B. wenn er in Zahlungsverzug gerät, kann der Verwalter nach den allgemeinen Regeln gemäß § 449 BGB vom Vertrag zurücktreten. Insoweit hat sich auch durch die Schuldrechtsreform nichts geändert. Soweit dem Vorbehaltskäufer vor Verfahrenseröffnung der Besitz noch nicht übertragen wurde, ist ihm der Weg über § 107 Abs. 1 InsO zum Vollrecht an der Vorbehaltsware versperrt2 (zu der Regelung des § 107 InsO ausführlich s. § 8 Rz. 144 ff.). Die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts berechtigen hingegen nicht zur Aussonderung3. Weder der so genannte erweiterte Eigentumsvorbehalt, der gegeben ist, wenn das Eigentum an der Kaufsache nicht bereits mit Erfüllung der Kaufpreisforderung übergeht, sondern erst nach Tilgung weiterer Verbindlichkeiten, noch der verlängerte Eigentumsvorbehalt, bei dem die Sicherheit auf künftige Vermögenswerte erstreckt wird, die an die Stelle des Vorbehaltsguts treten, begründen für den Vorbehaltseigentümer die Rechtsstellung eines Aussonderungsberechtigten4. Strukturell kommt diesen Eigentumsvorbehaltsformen in erster Linie Pfandfunktion zu, womit diese eher dem Sicherungseigentum gleichzustellen sind. Mithin räumen diese dem Berechtigten nur ein Recht zur abgesonderten Befriedigung nach §§ 50 ff. InsO ein. Dies gilt aber nach h.L. für den erweiterten bzw. verlängerten Eigentumsvorbehalt nur insoweit, als auch der Erweiterungsfall eingetreten ist. Liegt hingegen noch der Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts vor, muss dem Berechtigten auch noch ein Aussonderungsrecht zukommen5. Erst mit Eintritt des Erweiterungsfalls ist der Berechtigte nur noch zur abgesonderten Befriedigung berechtigt.
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(4) Weitergeleiteter und nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt Ein weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt liegt vor, wenn der Käufer beim Weiterverkauf offen legt, dass er selbst nur unter Eigentumsvorbehalt erworben hat und daher lediglich Anwartschaftsberechtigter geworden ist, als der er nun auch sein Anwartschaftsrecht weiterveräußert. Der Zweiterwerber soll erst dann Eigentümer werden, wenn die Kaufpreisforderung aus dem Erstverkauf getilgt ist. 1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 76 ff.; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 18. 2 Vgl. hierzu Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 24. 3 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 11 m.w.N. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 21, 23; Ganter in Münchener Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 94. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 23; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 92.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 34
Beratung des gesicherten Gläubigers
Der weitergeleitete Eigentumsvorbehalt steht mithin sowohl im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Erstkäufers als auch über das Vermögen des Zweitkäufers dem einfachen Eigentumsvorbehalt gleich. Unabhängig davon, ob Erst- oder Zweitkäufer in die Insolvenz geraten, steht dem ursprünglichen Verkäufer in beiden Fällen ein Aussonderungsrecht an der Ware zu1. 34
Wird über das Vermögen des Erstkäufers das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Verkäufer die Ware als sein Eigentum beim Zweitkäufer aussondern, sobald das Besitzrecht des Erstkäufers entfällt. In analoger Anwendung des § 268 BGB muss dem Zweitkäufer aber ein Recht auf Befriedigung des Verkäufers zugestanden werden2. Zahlt er mithin den Restkaufpreis an den Verkäufer, so wird er ohne Durchgangserwerb des Insolvenzschuldners neuer Eigentümer der Ware.
35
Wird über das Vermögen des Zweitkäufers ein Insolvenzverfahren betrieben, so kann der Verkäufer nur dann aussondern, wenn das Besitzrecht des Erstkäufers durch Rücktritt nach § 449 BGB erloschen ist3. Es besteht für den Insolvenzverwalter insoweit ein Wahlrecht nach § 103 InsO (zu diesem Wahlrecht vgl.; § 8 Rz. 10 ff.). Wählt der Verwalter die Nichterfüllung, kann der Verkäufer das Vorbehaltsgut aussondern4.
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Für den Fall der Insolvenz des Verkäufers findet wiederum § 107 InsO Anwendung5.
37
Ein Fall des so genannten nachgeschalteten Eigentumsvorbehalts6 ist gegeben, wenn der Eigentumsvorbehaltskäufer seinerseits gegenüber seinen Lieferanten nur unter Eigentumsvorbehalt verfügen darf. In beiden Verträgen werden selbständige Eigentumsvorbehalte vereinbart. Im Unterschied zum weitergeleiteten Eigentumsvorbehalt ist der Erstkäufer nicht dazu genötigt, seine Lieferantenbeziehung und damit seine Stellung als Anwartschaftsberechtigter offen zu legen. Dies ist insbesondere im Zwischenhandel üblich. Dabei wird die Vereinbarung eines Weiterverkaufs der Vorbehaltsware zwischen dem Verkäufer und dem Erstkäufer in der Regel mit der Vorausabtretung der daraus entstehenden Forderungen verbunden. Der Zweitkäufer erwirbt in diesem Fall ein selbständiges Anwartschaftsrecht. Es handelt sich daher um zwei nacheinandergeschaltete Eigentumsvorbehalte, wobei der Verkäufer zunächst Vorbehaltseigentümer bleibt. Ihm steht daher weiterhin ein Aussonderungsrecht zu7. Der Verkäufer verliert sein Eigentum erst dann, wenn eine der beiden Kaufpreisforderungen bezahlt wird8. Damit geht mit der Zahlung des Kaufpreises in einem 1 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 37; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 25. 2 Bassenge in Palandt, BGB, 67. Auf. 2008, § 1922 Rz. 58; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 21. 3 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 21. 4 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 37; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 25. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 25. 6 Vgl. hierzu Putzo in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 449 Rz. 17; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 101. 7 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 51 Rz. 17; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 27. 8 Putzo in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 449 Rz. 17.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 41
§7
der beiden Kausalverhältnisse sein Aussonderungsrecht unter und der Verkäufer ist im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Erst- oder auch Zweiterwerbers nicht mehr zur Aussonderung der Vorbehaltsware berechtigt1. bb) Sonstige dingliche Rechte Sonstige dingliche Rechte können ebenfalls einen Anspruch auf Aussonderung begründen2, wenn das geltend gemachte dingliche Recht selbst den Gegenstand der Aussonderung bildet und nicht die Sache oder das Recht, auf dem das dingliche Recht lastet. In Betracht kommen hier –
der Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB),
–
das Erbbaurecht (§§ 1012 ff. BGB),
–
Grunddienstbarkeiten (§§ 1018 ff. BGB),
–
beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB).
38
Des Weiteren gehören auch die Grundpfandrechte sowie die Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten zu den dinglichen Rechten, die ein Aussonderungsrecht begründen können. Soweit der Insolvenzverwalter das Bestehen des Pfandrechts bestreitet oder dieses z.B. für den Insolvenzschuldner in Form einer Eigentümergrundschuld in Anspruch nimmt, kann sein Bestehen bzw. seine Nichtzugehörigkeit zur Insolvenzmasse als Aussonderungsanspruch geltend gemacht werden.
39
! Hinweis: Insoweit gilt es nur zu beachten, dass sich die Aussonderung auf Herausgabe des Rechts selbst richtet, d.h. das Ziel der Aussonderung kann in allen diesen Fällen nur die Geltendmachung gerade des Inhalts sein, den das jeweilige dingliche Recht gewährt3. Demgemäß ist beim Nießbrauch und beim Erbbaurecht nicht die Sache oder das Recht, an dem der Nießbrauch besteht und nicht das Grundstück auf dem das Erbbaurecht lastet, Gegenstand der Aussonderung, sondern der Nießbrauch und das Erbbaurecht selbst. Entsprechend kann auch bei den Grundpfandrechten lediglich das Pfandrecht selbst Gegenstand der Aussonderung sein und nicht das Grundstück, zu dessen Lasten das Grundpfandrecht besteht. Diesbezüglich führt das Pfandrecht, soweit seinetwegen Befriedigung aus einem zur Masse gehörenden Gegenstand gesucht wird, nämlich lediglich zu einem Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem pfandbelasteten Gegenstand gemäß §§ 49 ff. InsO (siehe hierzu Rz. 150 ff.).
40
Das dingliche Vorkaufsrecht (§ 1094 ff. BGB) begründet sowohl in der Insolvenz des Grundstückseigentümers als auch des Dritterwerbers, dem das ver-
41
1 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 22; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 102. 2 Vgl. hierzu näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 66. 3 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 42; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 66.
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§7
Rz. 42
Beratung des gesicherten Gläubigers
kaufte Grundstück übereignet worden ist, ein Recht zur Aussonderung1. Aufgrund der Vormerkungswirkung des §§ 1098 Abs. 2, 888 BGB ist dieses im Fall der Insolvenz des Dritterwerbers auf die Bewilligung der Umschreibung des Grundbuches gerichtet2. In der Insolvenz des Vorkaufsverpflichteten kann der Vorkaufsberechtigte nach Verkauf des Grundstücks hingegen kein Recht auf Herausgabe des Grundstücks gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen, denn das Vorkaufsrecht entfaltet dingliche Wirkung nur gegenüber dem Dritterwerber3. Insoweit kann der Aussonderungsberechtigte im Rahmen der Aussonderung lediglich einen Anspruch auf Feststellung des Bestehens des dinglichen Vorkaufsrechts begehren. 42
Der Erbschaftsanspruch des Erben gegenüber dem Erbschaftsbesitzer nach §§ 2018 ff. BGB führt ebenfalls zu einem Aussonderungsrecht des Berechtigten, welches auf Herausgabe der in der Insolvenzmasse des Erbschaftsbesitzers befindlichen Erbschaft einschließlich dessen, was der Besitzer durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erworben hat (§ 2019 Abs. 1 BGB) sowie der aus ihr gezogenen Nutzungen, auch soweit der Erbschaftsbesitzer daran Eigentum erworben hat (§ 2020 BGB), gerichtet ist4. Ansprüche des Erben aus den §§ 2021 und 2023 BGB begründen demgegenüber nur Insolvenzforderungen5.
43
Der Besitz wird ebenfalls wie ein dingliches Recht behandelt, soweit sich aus ihm Herausgabeansprüche ergeben, so dass auch dem Besitz Aussonderungskraft zuzuschreiben ist. Der frühere Besitzer kann daher im Wege der Aussonderung die Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 BGB bzw. Herausgabe nach § 1007 BGB sowie die Beseitigung einer Besitzstörung nach § 862 Abs. 1 BGB verlangen6.
! Hinweis: 43a
Die Bedeutung der auf den Besitz gestützten Aussonderungsansprüche ist allerdings gering, da die auf den Besitz gestützte Aussonderung nur dann in Betracht kommt, wenn weder der Insolvenzverwalter noch der vermeintlich Berechtigte sein Eigentum an der herauszugebenden Sache beweisen kann.
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Auch Schutzrechte, Urheber- und Persönlichkeitsrechte können Aussonderungsrechte begründen. In der Insolvenz über das Vermögen des unberechtigten Inhabers kann beispielsweise der Erfinder des Patents den Anspruch auf Abtretung des Rechts auf Erteilung des Patents, auf Übertragung des erteilten Patents sowie auf Übertragung bereits erteilter Lizenzen aussondern7. Ausgesondert werden können ferner 1 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 7. 2 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 46; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 66. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 66; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 330. 4 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 335 f. 5 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 52. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 65; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 326. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 67; Bausch, NZI 2005, 289 ff.
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Aussonderungsfragen
Rz. 44c
§7
–
Gebrauchsmuster (§ 11 GebrMG),
–
Marken (vgl. §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 MarkenG),
–
das Urheberpersönlichkeitsrecht und die Urheberverwertungsrechte (§§ 12, 14 UrhG) sowie
–
das Recht am eigenen Bild (§ 22 UrhG)1.
Aussonderungsfähig ist auch eine Internet-Domain, wenn sie namens- oder markenrechtlich geschützt ist2. Geht es darum, ein Recht gegenüber der Insolvenzmasse zu verteidigen, so kann auch ein Unterlassungsanspruch Gegenstand eines Aussonderungsrechts gegenüber der Insolvenzmasse sein. Hierfür kommen jedoch nur die Unterlassungsansprüche in Betracht, die Ausfluss eines absoluten Rechts (z.B. §§ 12, 907, 1004 BGB, 14 Abs. 5, 15 Abs. 4, 128, 135 MarkenG, 139 PatG, 97 UrhG) sind3. Seinem Inhalt nach kann dieser Abwehranspruch auf Unterlassung der Herstellung, Verfielfältigung, Verbreitung oder sonstigen Ausbeutung, auf Vernichtung, Unschädlichmachung oder Löschung unbefugt hergestellter Platten, Stücke, Vorrichtungen und Datenträger gehen4. Ein Unterlassungsanspruch, der allein auf einer schuldrechtlichen Grundlage basiert, begründet hingegen kein Aussonderungsrecht5.
44a
Abhängig davon, ob das zur Aussonderung berechtigende Recht vom (späteren) Insolvenzschuldner oder vom Insolvenzverwalter verletzt wird, ist ein möglicher Schadensersatzanspruch Insolvenz- oder Masseforderung.
44b
In der Insolvenz des Lizenzgebers ist die Aussonderungskraft zugunsten des Lizenzgebers eine erhebliche Belastung für den Lizenznehmer, der in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit vom Agieren des Insolvenzverwalters des Lizenzgebers abhängig ist. Diese für Lizenznehmer unglückliche Situation hat ihre Ursache in der Einordnung des Lizenzvertrages in das Insolvenzvertragsrecht der §§ 103 ff. InsO. Seit Einführung der InsO – und auch schon zu Zeiten des Konkursrechts6 – bestand sowohl in der insolvenzrechtlichen7 als auch in der urheberrechtlichen8 Literatur Einigkeit darüber, dass mangels Anwendbarkeit der §§ 108, 112 InsO (es fehlt an der Betroffenheit von unbeweglichem Vermögen) entsprechende Verträge unter das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO fallen9. Wegen der hiermit verbundenen Schwierigkeiten für Lizenznehmer in der Insolvenz des Lizenzgebers hat die Bundesregierung am
44c
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 68 ff. 2 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 47 Rz. 107. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 73; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 44. 4 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 47 Rz. 107. 5 BGH v. 10. 7. 2003 – IX ZR 119/02, ZIP 2003, 1550 ff. 6 Zu §§ 17, 19 KO BGH v. 27. 4. 1995 – X ZR 60/93, KTS 1995, 656 ff. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 103 Rz. 26; Eckert und Huber in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 112 Rz. 8 bzw. § 103 Rz. 76. 8 Nicolini/Lütje in Möhring, UrhG, 2. Aufl., § 112 Rz. 13. 9 Hierzu m.w.N. BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 162/04, NZI 2006, 229 m. Anm. Höpfner, NZI 2006, 231 ff.
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§7
Rz. 45
Beratung des gesicherten Gläubigers
22. 9. 2007 den Entwurf eines Gesetzes beschlossen1, mit dem die Insolvenzfestigkeit von Lizenzverträgen durch Schaffung eines § 108a InsO sichergestellt werden soll (vgl. hierzu sowie zum genauen Gesetzeswortlaut § 8 Rz. 189). Das Gesetz wird voraussichtlich im Laufe des Jahres 2008 in Kraft treten2. Der Gesetzesentwurf ist nicht zustimmungsbedürftig. cc) Aussonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte an Leistungen aus Lebensversicherungen 45
Unwiderrufliche Bezugsrechte begründen in der Insolvenz des Versicherungsnehmers ein Aussonderungsrecht des Bezugsberechtigten. Die Ansprüche aus der Lebensversicherung sind nicht Bestandteil der Insolvenzmasse (§ 35 InsO). Zwar erwirbt gemäß § 166 Abs. 2 VVG der Bezugsberechtigte im Zweifel den Anspruch auf die Versicherungsleistung erst mit Eintritt des Versicherungsfalls, jedoch stellt § 13 Nr. 2 ALB 86 klar, dass Bezugsberechtigte Ansprüche unwiderruflich und damit sofort erwerben können sollen3. In der Insolvenz begründet ein solches unwiderrufliches Bezugsrecht die beschriebene Aussonderungskraft. Ob tatsächlich ein unwiderrufliches und nicht ein lediglich eingeschränkt unwiderrufliches oder gar ein widerrufliches (Rz. 180 ff.) Bezugsrecht vorliegt, ergibt sich aus der gegenüber der Versicherung abgegebenen Erklärung des Versicherungsnehmers4. Das unwiderrufliche Bezugsrecht ändert nichts daran, dass der Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherungsvertrages bleibt und das Dispositionsrecht über den Vertrag behält, also diesen kündigen oder ihn in eine prämienfreie Versicherung umwandeln kann. Es hat aber zur Konsequenz, dass der Versicherungsnehmer nicht mehr über den Anspruch auf die Versicherungsleistungen verfügen kann, weshalb dann auch eine Sicherungsabtretung (Rz. 176 f.) durch den Versicherungsnehmer nicht mehr möglich ist5.
! Hinweis: Arbeitgeber (Versicherungsnehmer) sind bei Abschluss von Direktversicherungsverträgen für ihre Arbeitnehmer (versicherte Person) gut beraten, sich das Recht vorzubehalten (eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht, vgl. 45b f.), unter bestimmten Voraussetzungen selbst über den Anspruch auf die Versicherungsleistung, etwa durch Abtretung, disponieren zu können. Dieser Vorbehalt müsste sowohl im Arbeits- als auch im Versicherungsvertrag Niederschlag finden. Fehlt ein solcher Vorbehalt, scheidet die Abtretung oder Verpfändung von Ansprüchen aus einer Lebensversicherung als Sicherungsmittel gänzlich aus, wenn ein unwiderrufliches Bezugsrecht vorliegt.
45a
1 Entwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen. 2 Kritisch hierzu: Mitlehner, ZIP 2008, 450. 3 OLG Frankfurt v. 10. 5. 2006 – 23 U 113/05, ZInsO 2006, 997; Prölss/Martin/Kollhosser, VVG, 27. Aufl. 2004, § 166 Rz. 7. 4 BGH v. 8. 6. 2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 f. 5 OLG Frankfurt v. 10. 5. 2006 – 23 U 113/05; Prölls/Martin/Kollhosser, VVG, 27. Aufl. 2004, Rz. 7.
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Aussonderungsfragen
Rz. 45c
§7
Ausgehend von der beschriebenen Freiheit zur Gestaltung der Rechtsposition des Bezugsberechtigten sind Einschränkungen bzw. Vorbehalte des grundsätzlich unwiderruflichen Bezugsrechts denkbar. In den Allgemeinen Bestimmungen entsprechender Versicherungsverträge wird die Widerruflichkeit des Bezugsrechts beispielsweise für den Fall vorbehalten, dass –
das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungs- bzw. Versorgungsfalls endet,
–
die versicherte Person das 35. Lebensjahr nicht vollendet und die Versicherung noch nicht 10 Jahre bestanden hat oder
–
die versicherte Person das 35. Lebensjahr nicht vollendet und das Arbeitsverhältnis noch nicht 12 Jahre und die Versicherung noch nicht drei Jahre bestanden hat.
45b
Greifen diese tatbestandlichen Voraussetzungen nicht ein, steht das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht einem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht gleich1. Greift der eingeräumte Vorbehalt, berechtigt das Bezugsrecht nicht zur Aussonderung2. Dies gilt auch dann, wenn die Prämien aus der Vergütung des Arbeitnehmers nach entsprechender Entgeltumwandlung entrichtet worden sind. Dies allein begründet keine zur Aussonderung berechtigenden Rechte aus dem Versicherungsvertrag3. Abschließenden Schutz kann der Arbeitnehmer daher nur erlangen, wenn er sich ein unwiderrufliches Bezugsrecht an den Leistungen aus der Versicherung einräumen lässt4. Jedenfalls durch den BGH ist geklärt, dass der beschriebene Vorbehalt (Rz. 45b) nicht für die insolvenzbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt5. Dies gebieten Sinn und Zweck des beschriebenen Vorbehalts. Die Zuweisung der versicherungsvertraglichen Ansprüche zu dem Vermögen des Arbeitnehmers soll diesem nicht ermöglichen, das Arbeitsverhältnis nach freiem Belieben vorzeitig zu beenden und dennoch die Versicherungsansprüche zu behalten. Der Arbeitgeber will sich durch den Vorbehalt der weiteren Betriebstreue vergewissern6. Dieses Interesse erfordert es nicht, den Vorbehalt auf jeden Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erstrecken. Insbesondere die durch die Insolvenz des Arbeitgebers bedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterfällt dem beschriebenen Vorbehalt daher nicht7. Mit der Konsequenz, dass keine Wideruflichkeit mehr gegeben sei und dem berechtigten Arbeitnehmer ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 Inso zustehe. Das BAG sieht das anders 1 BGH v. 19. 6. 1996 – IV ZR 243/95, ZIP 1996, 1356. 2 OLG Frankfurt v. 12. 5. 2005 – 3 U 21/04, ZIP 2005, 1036 ff. 3 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 264/01, ZInsO 2002, 878; weitergehend OLG Karlsruhe v. 18. 1. 2007 – 12 U 185/06, ZIP 2007, 286 (289). 4 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 48. 5 BGH v. 8. 6. 2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 (1374 ff.); BGH v. 22. 9. 2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836 ff.; BGH v. 3. 5. 2006 – IV ZR 134/05, ZInsO 2006, 710 ff. Ungeachtet dieser Rechtsprechung ist das OLG Hamm v. 24. 1. 2006 – 27 U 159/05, ZInsO 2006, 881 f. anderer Ansicht. 6 BGH v. 3. 5. 2006 – IV ZR 134/05, ZInsO 2006, 710 ff. 7 BGH v. 8. 6. 2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 (1374 ff.).
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45c
§7
Rz. 46
Beratung des gesicherten Gläubigers
und hat diese Frage dem Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte vorgelegt1. Es vertritt die Ansicht, dass auch bei einer insolvenzbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Versicherungsnehmer das vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eingeräumte Bezugsrecht nach entsprechend formuliertem Versicherungsvertrag widerrufen werden könne und gerade kein Aussonderungsrecht begründe. Das BAG geht insoweit von einer Massezugehörigkeit der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag aus. Für endgültige Rechtssicherheit bleibt die Entscheidung des Gemeinsamen Senats des obersten Bundesgerichts abzuwarten. dd) Treuhandverhältnisse 46
Bei der uneigennützigen Treuhand oder auch Verwaltungstreuhand dient die Treuhand ausschließlich dem Interesse des Treugebers, der sein Recht zur Verwahrung, Verwaltung oder Durchsetzung aufgrund des Treuhandvertrags auf den Treuhänder übertragen hat. Kennzeichnend für die uneigennützige Treuhand ist, dass der Treugeber wirtschaftlich Berechtigter des Treugutes bleibt, er dem Treuhänder aber formal die volle Rechtsstellung einräumt, wobei der Treuhänder das Treugut nach seinen Weisungen zu verwalten hat. Die Befugnisse des Treuhänders sind durch die Treuhandabrede derart beschränkt, dass das Treugut bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise allein dem Vermögen des Treugebers zuzuordnen ist, dem Treuhänder dagegen nur eine formale Stellung zukommt. Daher steht dem Treugeber für den Fall einer Insolvenz des Treuhänders entsprechend einer Eigentümerstellung ein Aussonderungsrecht an dem Treugut zu, da das Treugut wirtschaftlich gesehen dem Vermögen des Treugebers zuzurechnen ist2 (zur Anwendung des Eigenkapitalersatzrechts auf den Treugeber s. § 4 Rz. 93 ff.).
! Hinweis: 46a
Durch eine bloße schuldrechtliche Vereinbarung, dass der bisherige Volleigentümer sein Eigentum nunmehr im Interesse eines anderen (Treugeber) verwaltet, erwirbt dieser kein Aussonderungsrecht in der Insolvenz des Eigentümers (Treuhänders). Die Zuordnung zum Schuldnervermögen wird ausschließlich nach dinglichen Gesichtspunkten vorgenommen.
46b
Der Treuhänder kann sich dem gegenüber nicht auf seine dingliche Rechtsposition berufen, da das Treuhandverhältnis entsprechend §§ 115 Abs. 1, 116 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt (zu diesem Bestimmungen vgl. § 8 Rz. 273 ff.). In der Insolvenz des Treugebers gehört das Treugut zur Insolvenzmasse und kann vom Insolvenzverwalter des Treugebers herausverlangt werden, sofern kein Besitzrecht des Treuhänders mehr besteht3. 1 BAG v. 31. 7. 2007 – 3 AZR 446/05, ZIP 2007, 1869. 2 BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1613 (1615); Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 15; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 41; differenzierend Fridgen, ZInsO 2004, 530 ff. Zur Aussonderung von Beträgen, die nach Kündigung des Treuhandvertrages auf das Treuhandkonto eingingen vgl. BGH v. 7. 7. 2005 – III ZR 422/04, ZIP 2005, 1465 (1467). 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 34.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 47b
§7
Bei der eigennützigen Treuhand liegt die Treuhand vorwiegend im Interesse des Treuhänders. Er bezweckt mit der Treuhand regelmäßig die Absicherung einer Forderung gegenüber dem Treugeber (so genannte Sicherungstreuhand). Den Hauptanwendungsfall bilden die Sicherungsübereignung und die Sicherungszession. Diese geben dem Treuhänder zwar formal die Stellung eines Eigentümers bzw. Rechtsinhabers, fungieren aber als Mobiliarsicherheiten. Auch hier gehört das Treugut bei Insolvenz des Treugebers in die Insolvenzmasse und kann nicht vom Treuhänder ausgesondert werden. Jedoch steht diesem ein Absonderungsrecht gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu1. Fällt hingegen der Treuhänder in Insolvenz, so kann der Treugeber das Treugut aussondern, soweit er die im Rahmen des Treuhandverhältnisses abgesicherte Forderung des Treuhänders befriedigt oder diese nicht valutiert ist2.
46c
Handelt es sich bei dem Treugut um Gelder, so spricht man von einem Treuhandkonto. Dieses ist eine Schöpfung der Bankpraxis3. Es handelt sich dabei um ein von einem Kreditinstitut eingerichtetes Konto, das dazu bestimmt ist, dass auf ihm Geldbeträge gutgeschrieben werden, die dem Kontoinhaber (Treuhänder) von Dritten (Treugeber) anvertraut werden4. Das namensgebende Treuhandverhältnis besteht zwischen dem Kontoinhaber als Treuhänder und dem Dritten als Treugeber und nicht etwa zwischen dem Kontoinhaber und dem Kreditinstitut. Mögliche Aussonderungsrechte in der Insolvenz des Treuhänders stünden dem Treugeber zu. Die Bank ist nur insofern beteiligt, als dass sie mit der Kontoführung die banktechnischen Voraussetzungen dafür schafft, dass die überwiesenen Geldbeträge zum Treugut werden5.
47
Ein Treuhandkonto wird von der Rechtsprechung nur als solches anerkannt, wenn
47a
–
das Konto ausschließlich für treuhänderisch anvertraute Gelder bestimmt ist und
–
der Treuhandcharakter offenkundig ist, er sich mithin schon aus der Kontobezeichnung ergibt6.
Letzteres hat die praktische Konsequenz, dass die Bank sodann auf ihr AGBPfandrecht verzichtet7. Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen an ein Treuhandkonto versteht sich eine Entscheidung des BGH. Streitbefangen war hier die Aussonderungs1 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 27; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 37. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 36. 3 Schimansky/Bunte/Lwowski/Hadding/Häuser, Bankrechtshandbuch, 2. Aufl., § 37 Rz. 1. 4 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 392. 5 Anders ist die Situation, wenn einem Kreditinstitut selbst als Treuhänder Geldbeträge überlassen worden sind. Dann bestehe – so das LG Berlin mit Urt. v. 2. 6. 2004 – 4 O 777/03, ZIP 2004, 2396 f. – selbst dann kein Aussonderungsrecht an einem Guthaben, wenn sich dieses auf einem Treuhandkonto befindet. 6 BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1613 (1615); Obermüller, Handbuch Insolvenzrecht für die Kreditwirtschaft, 6. Aufl., Rz. 2.85; Pannen, EWiR 2004, 979 (980). 7 Pannen, EWiR 2004, 979 (980).
Drees/J. Schmidt
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47b
§7
Rz. 47c
Beratung des gesicherten Gläubigers
befugnis an Treuhandgeldern, die der Treuhänder auf einem gemischten Konto verwahrte, d.h. einem Konto, auf dem sich auch eigene Gelder befanden. Der BGH versagte die Aussonderungskraft. Werde ein Treuhandkonto auch als Eigenkonto geführt, bestehe seitens des Treugebers nur ein schuldrechtlicher Anspruch gemäß den §§ 667 ff. BGB. Dies sei die Konsequenz des Vermögenstrennungsprinzips. Anders sieht das die vom BGH abgelehnte schuldrechtliche Theorie, die die Vereinbarungstreuhand für die Anwendung des § 47 InsO genügen lässt. 47c
48
Werden Geldbeträge versehentlich noch nach Beendigung des Treuhandverhältnisses auf ein Treuhandkonto geleistet, so bleibt trotzdem ein Aussonderungsrecht aufgrund des Treuhandverhältnisses möglich. Vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarung bedeutet das Ende des Treuhandvertrages nicht ohne weiteres zugleich eine Beendigung der treuhänderischen Bindung für die Kontoforderung. Das Treuhandkonto ist vielmehr abzurechnen. Bis dahin hat der Treugeber ein Interesse an einer Fortdauer der Bindungswirkung und dem damit einhergehenden Schutz vor Zugriffen von Gläubigern des Treuhänders, während dieser entsprechend zur Entgegennahme und Weiterleitung später eingehender Zahlungen an den Treugeber verpflichtet ist1. Exkurs – Treuhandverhältnisse und Arbeitsrecht In diesen Zusammenhang gehört ebenso eine Kontroverse zwischen BFH und BGH. Gegenstand dieser ist die Aussonderung des Arbeitnehmeranteils in der Insolvenz des Arbeitgebers. Der BGH hat am 13. 4. 2006 entschieden, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Abführung des Arbeitnehmeranteils weder den Sozialversicherungsträgern gegenüber noch dem einzelnen Arbeitnehmer gegenüber ein Treuhandverhältnis begründet. Der Arbeitgeber zahle die entsprechenden Beiträge aus eigenem Vermögen. Der BFH sieht das anders. Inwieweit diese Kontroverse durch Einführung des neuen § 28e SGB IV berührt wird, bleibt abzuwarten. Hiernach gelten die Arbeitnehmerbeiträge nicht als aus dem Vermögen des Arbeitgebers stammend.
48a
Ebensowenig begründet die durch Entgeltumwandlung finanzierte Direktversicherung ein Treuhandverhältnis. Die Entgeltumwandlung i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG stellt kein treuhänderisches Geschäft i.S. oben genannter Kriterien dar2.
48b
Vom Arbeitgeber auf einem besonderen Konto für die Abgeltung von Arbeitszeitguthaben der Arbeitnehmer bereitgestellte Gelder unterliegen in der Insolvenz nicht der Aussonderung, wenn der Arbeitgeber selbst Inhaber des Kontos ist3. Die Ansprüche gegenüber der kontoführenden Bank gehören in der Insolvenz des Arbeitgebers zur Insolvenzmasse. Die Forderungen rückständiger Arbeitsvergütung berechtigen als schuldrechtliche Verschaffungsansprüche (hierzu Rz. 81 ff.) nicht zur Aussonderung aus dem gesondert eingerichteten Konto. Anders wäre nur bei Vorliegen eines echten Teuhandverhältnisses zu entscheiden gewesen. Eine dingliche Ausgliederung der Arbeitsvergütung aus 1 BGH v. 7. 7. 2005 – III ZR 422/04, ZIP 2005, 1465. 2 OLG Karlsruhe v. 18. 1. 2007 – 12 U 185/06, ZIP 2007, 286 (289). 3 BAG v. 24. 9. 2003 – 10 AZR 640/02 m. zust. Anm. Bezani/Richter, EWiR 2004, 391 f.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 51
§7
dem Vermögen des insolventen Arbeitgebers erfolgt durch die Einzahlung der Beträge auf ein dem Arbeitgeber zuzurechnendes Bankkonto gerade nicht1.
! Hinweis: Arbeitnehmer sind gut beraten, sich über die rechtlichen Möglichkeiten der Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten zu unterrichten2. Anerkannte und in Empfehlungen von Tarifvertragsparteien enthaltene Sicherungsmittel sind: –
Absicherung der Wertguthaben durch Bankbürgschaft,
–
Einrichtung eines Sperrkontos mit treuhänderischen Pfandrechten und
–
Hinterlegung der bereitgestellten Gelder bei einer Urlaubs- und Ausgleichskasse
Zusammenfassender Überblick – Aussonderung und Treuhandverhältnisse
48c
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Zusammenfassend sind (mögliche) Aussonderungsberechtigte im Zusammenhang mit Treuhandverhältnissen gut beraten, folgende Gesichtspunkte in der Insolvenz zu beachten: –
Vorliegen eines Treuhandverhältnisses
–
Art der Treuhand – eigennützige (echte) oder uneigennützige Treuhand
–
Abgrenzung zu bloßen schuldrechtlichen Vereinbarungen
–
Gemischte und eigene Konten bzw. reine Treuhandkonten
ee) Leasing Mit dem „Finanzierungsleasing“ wurde ein neues und eigentümliches Kreditund Kreditsicherungsgeschäft entwickelt, das sowohl kauf- als auch mietvertragliche Elemente in sich vereint. Der Leasingnehmer sucht das Leasinggut zumeist selbst beim Hersteller aus, der Leasinggeber erwirbt es und finanziert den Kaufpreis. Die Leasingraten, die der Leasingnehmer an den Leasinggeber zu zahlen hat, sind zum Teil als Entgelt für die Nutzungsüberlassung, zum Teil aber auch als Vergütung des Substanzwertes der Leasingsache anzusehen.
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(1) Leasing von Mobilien Die h.M. wendet auf das Finanzierungsleasing die mietvertraglichen Regelungen entsprechend an3. Auch nach In-Kraft-Treten der InsO werden die Leasingverträge unterschiedslos als Mietverträge behandelt, dies zumal die nachträgliche Ergänzung des § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO und damit eine die Mietverhältnisse betreffende Regelung auf vorfinanzierte Leasinggeschäfte gemünzt war4. 1 Bezani/Richter, EWiR 2004, 391 f. 2 Wahlig, DZWIR 2000, 370 ff.; Diller, NZA 1998, 792 ff. 3 BGH v. 19. 2. 1986 – VIII ZR 91/85, WM 1986, 591 (592); BGH v. 10. 11. 1993 – VIII ZR 119/92, WM 1994, 208; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 71. 4 Vgl. hierzu Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 90.
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§7
Rz. 52
Beratung des gesicherten Gläubigers
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Anders als die KO differenziert die InsO im eröffneten Verfahren hinsichtlich beweglicher Sachen nicht mehr zwischen Kauf und Miete, soweit es um das Fortbestehen des Vertrags und dabei um die Frage geht, ob dem Verwalter ein Wahlrecht zwischen Erfüllung und Nichterfüllung oder ein Kündigungsrecht innerhalb der gesetzlichen Fristen zusteht. Ebenfalls wird nicht mehr danach unterschieden, ob der Leasinggegenstand dem Leasingnehmer im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits überlassen wurde oder ob der Leasinggeber das Leasinggut ausnahmsweise noch selbst in Besitz hat1. Da nach dem Ziel der InsO auch das Leasinggut zunächst in dem technisch-organisatorischen Verbund des Schuldnervermögens verbleiben soll, unterliegen die Leasingverträge entsprechend den Mietverträgen über bewegliche Sachen allgemein dem Wahlrecht des Verwalters nach § 103 InsO, sobald das Verfahren eröffnet ist2 (zu diesem Wahlrecht vgl. § 8 Rz. 10 ff.).
53
In Korrelation dazu wurden die Kündigungsmöglichkeiten des Leasinggebers gemäß § 112 InsO bereits ab Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leasingnehmers eingeschränkt und in Abhängigkeit zu dem Kündigungszeitpunkt sowie dem Kündigungsgrund ausgestaltet, was zu einer deutlichen Schlechterstellung des Leasinggebers führte3 (zur Kündigungssperre des § 112 InsO s. § 8 Rz. 250 ff.).
54
Fällt mithin der Leasingnehmer in Insolvenz, hat der Verwalter nach der Verfahrenseröffnung die Wahl, ob er den Vertrag erfüllen oder die weitere Erfüllung ablehnen will. Entscheidet sich der Verwalter für die Erfüllung, so obliegen ihm dieselben Pflichten und Rechte wie dem Mieter bzw. Leaser. Die Leasingraten bilden Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO4. Die rückständigen Leasingraten aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung begründen hingegen nur einfache Insolvenzforderungen5.
55
Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, wird der Leasinggeber hinsichtlich seiner Schadensersatzansprüche auf eine Insolvenzforderung entsprechend § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO verwiesen6. Bezüglich des Leasinggegenstandes ist der Leasingnehmer bzw. inzwischen der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Mobilienleasingvertrags aufgrund der Eigentümerstellung des Leasinggebers zur Rückgabe des Leasinggegenstandes verpflichtet. Das bedeutet, der Leasinggeber kann nach dieser mietrechtlichen Konzeption als Eigentümer das Leasinggut im Insolvenzfall des Leasingnehmers entsprechend § 47 InsO aussondern, da nunmehr – im Gegensatz zur KO – Leasingverträge über Mobilien mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens enden, es sei denn, der Insolvenzverwalter wählt gemäß § 103 InsO die Erfüllung des Vertrages7. 1 Vgl. hierzu eingehend Engel/Völckers, Leasing in der Insolvenz, Rz. 284 ff. 2 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 228; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 90; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 19. 3 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 76 ff. 4 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 229; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 22; Engel/Völkers, Leasing in der Insolvenz, Rz. 307. 5 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 229. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 90; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 20; Engel/Völkers, Leasing in der Insolvenz, Rz. 308. 7 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 230; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 90.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 59
§7
Insoweit wurden die Miet- und Pachtverhältnisse über bewegliche Sachen abweichend von dem bisherigen Recht grundsätzlich von der Regelung über das Fortbestehen von Dauerschuldverhältnissen nach § 108 Abs. 1 InsO ausgenommen. Der Insolvenzverwalter kann daher kein eigenes Verwertungsrecht und damit auch keine Kostenbeiträge nach den §§ 170, 171 InsO beanspruchen, da dem Leasinggeber ein Aus- und kein Absonderungsrecht zusteht. Zudem darf er seine Wahl zwischen Vertragserfüllung und deren Ablehnung nicht wie beim Eigentumsvorbehaltskauf bis zum Berichtstermin hinauszögern (§ 107 Abs. 2 InsO), sondern muss diese unverzüglich treffen1.
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Im Falle der Insolvenz des Leasinggebers besteht der Leasingvertrag ebenfalls entgegen der bisherigen Rechtslage nicht ohne weiteres fort. Auch hier steht dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des Leasinggebers ein Wahlrecht nach § 103 InsO hinsichtlich des Fortbestehens des Leasingvertrags aufgrund seiner Erfüllungswahl bzw. der Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Ablehnung der Erfüllung zu. Lehnt der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung gemäß § 103 Abs. 2 InsO ab, kann er das Leasinggut nach erfolgter Vertragsbeendigung aussondern2. Beabsichtigt der Verwalter hingegen, weiterhin die Leasingraten zu vereinnahmen, so wird er die Vertragserfüllung wählen mit der Folge, dass der Leasinggegenstand bei dem Leasingnehmer verbleibt.
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Wurde das Leasinggut refinanziert, wird die refinanzierende Bank die Refinanzierung in der Regel nur unter gleichzeitiger Sicherungsabtretung der Ansprüche gegen den Leasingnehmer und Sicherungsübereignung des Leasinggutes vornehmen, womit die refinanzierende Bank Sicherungseigentümerin des Leasingguts wird3. Ist dies der Fall, so ist zu beachten, dass die Leasingverträge dann ausnahmsweise gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO insolvenzfest sind und trotz Eröffnung des Verfahrens fortbestehen4. Dem Verwalter steht sodann das Recht zur Erfüllungswahl nach § 103 InsO nicht zu. Die refinanzierende Bank ist in diesen Fällen aufgrund der Vereinbarung mit dem Leasinggeber Sicherungseigentümerin des Leasingguts und Sicherungszessionarin der abgetretenen Forderungen gegen den Leasingnehmer geworden und damit zur abgesonderten Befriedigung berechtigt5. Wird der Kredit daher nicht mehr ordnungsgemäß bedient oder endet der Vertrag aus sonstigen Gründen, steht ihr gemäß § 51 Abs. 1 InsO ein Absonderungsrecht zu.
58
Bei dem kurzfristigen Operating-Leasing von Investitionsgütern handelt es sich um einen normalen Miet- bzw. Pachtvertrag über bewegliche Sachen6. Dem Insolvenzverwalter kommt daher in der Insolvenz des Leasingnehmers
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1 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 81. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 92; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 254. 3 Zum Refinanzierungsregister und den hiermit verbundenen Fragen zur Aussonderung Obermüller, ZInsO 2005, 1079 ff. m. zahlr. w. N. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 66; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 248; vgl. hierzu näher Huth, Kreditsicherungsrecht, S. 254 ff. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 92; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 249. 6 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 69.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 60
Beratung des gesicherten Gläubigers
mangels Sonderregelung das Wahlrecht nach § 103 InsO zu. Lehnt dieser die Erfüllung ab, erlischt das Besitzrecht des Leasingnehmers und der Leasinggeber kann das Leasinggut aufgrund seiner Eigentümerstellung nach § 47 InsO aussondern1. Soweit der Verwalter Erfüllung wählt, ist er auch zur Begleichung der Leasingraten als Masseverbindlichkeiten verpflichtet. Dafür kann er die Sache aber auch weiter für die Masse nutzen. (2) Leasing von Immobilien 60
Für das Leasing von Immobilien gilt es zu unterscheiden, ob das Leasinggut dem Leasingnehmer im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits überlassen war, oder ob es sich noch im Besitz des Leasinggebers befindet (zum Immobilienleasing s. auch § 8 Rz. 189).
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War die Immobilie dem Leasingnehmer im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht überlassen, können sowohl der Leasinggeber als auch der Insolvenzverwalter entsprechend § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO vom Vertrag zurücktreten2. Für den Fall des Rücktritts seitens des Verwalters kann der Leasinggeber wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertrags als Insolvenzgläubiger Schadensersatz nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO verlangen3.
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Soweit es sich um einen Leasingvertrag über unbewegliche Gegenstände handelt und das Leasinggut dem Leasingnehmer bereits überlassen wurde, besteht der Leasingvertrag unberührt von der Verfahrenseröffnung fort (§ 108 InsO)4. An die Stelle des Wahlrechts nach § 103 InsO tritt das gesondert geregelte Kündigungsrecht des § 109 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter kann das Mietverhältnis danach ohne Rücksichtnahme auf die vertraglichen Fristen allein entsprechend der gesetzlichen Kündigungsfristen kündigen (§ 109 Abs. 1 InsO)5. Kündigt er das Leasingverhältnis, so ist der Leasinggeber wegen der auf der verfrühten Vertragsauflösung beruhenden Nachteile nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO auf eine Insolvenzforderung verwiesen. Hinsichtlich seines Leasinggegenstandes steht ihm als Eigentümer wiederum ein Aussonderungsrecht zu6. Solange der Verwalter die Pflichten aus dem Leasingvertrag erfüllt, steht dem Leasinggeber ein eigenes Kündigungsrecht nicht zu7. Die vor der Verfahrenseröffnung entstandenen Leasingforderungen kann der Leasinggeber lediglich als Insolvenzforderungen, die während des Verfahrens bis zur Beendigung des Vertrags entstehenden Raten dagegen als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO beanspruchen8. 1 2 3 4 5 6 7 8
Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 90. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 91. Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 235. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 91; Ganter in Münchener sO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 236. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 91; Ganter in Münchener sO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 236. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 91; Ganter in Münchener sO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 236. Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 237. Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 84.
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Drees/J. Schmidt
Kommentar, InKommentar, InKommentar, In236; Gottwald/
Aussonderungsfragen
Rz. 65
§7
ff) Factoring Das Factoring ist eine Neubildung des Rechtsverkehrs, die an die bekannten Vertragstypen des Verkaufs und der Abtretung von Forderungen anknüpft, deren Ausgestaltung auf dem konkreten Factoringvertrag beruht. Im Rahmen des Factoringgeschäfts tritt ein Gläubiger – der Anschlusskunde – seine Forderungen, die ihm aus Warenlieferungen oder Dienstleistungen gegenüber seinen Abnehmern – den Debitoren – zustehen, an ein Finanzierungsinstitut – den Factor – meist auf kaufrechtlicher Basis ab. Dieser schreibt dem Anschlusskunden den Gegenwert abzüglich Gebühren und Zinsen gut und stellt diesen dem Anschlusskunden als Vorschuss zur sofortigen Verfügung. Nach Eintritt der Fälligkeit zieht der Factor sodann die beim Anschlusskunden gekaufte und bereits „bezahlte“ Forderung bei dessen Schuldner, dem Debitor, ein. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht handelt es sich mithin um eine Art Absatzfinanzierung zur Schaffung von Liquidität durch die Umwandlung der Forderungen in bares Geld bzw. Kontoguthaben1. Die in den Forderungen gebundenen Mittel können dadurch bereits vor dem Fälligkeitszeitpunkt freigesetzt werden, der so genannte Kapitalfreisetzungseffekt des Factorings.
63
Je nachdem, ob der Factor das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Debitors (Delkredere) übernimmt oder nicht, wird zwischen dem
64
–
echten und
–
unechten Factoring unterschieden2.
Während der Zedent beim echten Factoring nur für den rechtlichen Bestand der Forderung, die Abtretbarkeit sowie die Freiheit von Einreden und Einwendungen der finanzierten Forderung haftet, das Delkredererisiko damit allein den Factor trifft und das Geschäft damit als Forderungskaufvertrag zu qualifizieren ist, besteht beim unechten Factoring auch eine Bonitätshaftung des Zedenten für die vorfinanzierten Forderungen, so dass dem Anschlusskunden beim unechten Factoring das Ausfallrisiko verbleibt. Dennoch vergütet der Factor auch beim unechten Factoring die Kundenforderungen sofort, womit auch das unechte Factoring der Beschaffung von Liquidität dient. Ihm steht hinsichtlich des Ausfalls lediglich ein Rückbelastungsrecht gegenüber dem Anschlusskunden zu. Trotz des Rückbelastungsrechts ist aber auch das unechte Factoring als Kreditgeschäft verbunden mit einer Kreditsicherheit anzusehen, da die Abtretung der Forderungen quasi im Rahmen eines atypischen Darlehensvertrags als Sicherheit erfüllungshalber geschieht. Falls es bei den Kundenforderungen zu Ausfällen kommt, kann der Factor diese im Hinblick auf den von ihm gezahlten „Kaufpreis“, die Kreditsumme, zurückbelasten. Das neue Insolvenzrecht sieht keine speziellen Regelungen für das Factoringgeschäft vor, so dass sich auch in Zukunft die Abwicklung von Factoringgeschäften im Rahmen eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens nach der zivil1 Hopt in Staudinger, BGB, Vor §§ 607 ff. Rz. 713; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 69. 2 Heinrichs in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 398 Rz. 35 f.; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 75.
Drees/J. Schmidt
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65
§7
Rz. 66
Beratung des gesicherten Gläubigers
rechtlichen Qualifikation der zugrunde liegenden Verträge richtet1. Da der Gesetzgeber in den für das Factoring maßgeblichen Bestimmungen der §§ 47 (Aussonderung), 103 (Wahlrecht des Insolvenzverwalters) und 116 InsO (Erlöschen von Geschäftsbesorgungsverträgen) weitgehend das bislang geltende Recht übernommen hat, ergeben sich aus der Reform keine grundlegenden Änderungen gegenüber der alten Rechtslage (zur Bedeutung des Factorings im Eigenkapitalersatzrecht s. § 4 Rz. 208). 66
Der Factoringvertrag wird allgemein als ein gemischttypischer Vertrag mit Elementen einer Geschäftsbesorgung angesehen. Nach den §§ 116 in Verbindung mit 115 InsO enden Geschäftsbesorgungsverträge, in denen der Schuldner der Berechtigte ist, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Insolvenz des Anschlusskunden führt daher zum Erlöschen des Factoringvertrags2. Dabei hat die Beendigung eines unechten Factoringvertrags keinen Einfluss auf die Delkrederehaftung, da diese nicht auf dem Factoringvertrag beruht, sondern Inhalt des Factoring-Kausalgeschäfts ist3.
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Das der Factoringzession zugrunde liegende Kausalgeschäft ist zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung sowohl beim echten als auch beim unechten Factoring bereits beiderseits vollständig erfüllt. Der Anschlusskunde hat die Forderung bereits an den Factor abgetreten und der Factor hat durch die Gutschrift des Gegenwertes für die Forderung ebenfalls bereits seine Vertragspflicht erfüllt. Dadurch wurde der von den Parteien erwünschte Leistungserfolg, nämlich die Vorfinanzierung, herbeigeführt4. Die weiteren Pflichten des Factors wie die Forderungseinziehung beim Debitor im Rahmen des unechten Factorings oder die Auskehrung eines eventuellen Sicherungseinbehalts stellen lediglich nachvertragliche Pflichten des Factors dar, die aber nicht mehr auf die Herbeiführung des Leistungserfolges gerichtet sind. Damit scheidet das Wahlrecht des Verwalters nach § 103 InsO für die einzelnen Factoringgeschäfte aus. Sie sind als bereits vollständig erfüllt anzusehen5.
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Forderungen, die dem Factor vor der Verfahrenseröffnung auf der Basis echten Factorings abgetreten wurden und für die seitens des Factors dem Anschlusskunden im Gegenzug bereits eine vorbehaltlose Gutschrift erteilt wurde, kann der Factor im Falle einer Insolvenz des Anschlusskunden aufgrund seiner Stellung als Vollrechtsinhaber nach § 47 InsO aussondern6.
1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 261; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 70. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 94; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 262. 3 Uhlenbruck in Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 23 Rz. 20b; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 74. 4 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 264; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 77. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 94; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 264; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 77. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 94; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 265.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 72
§7
Im Rahmen des unechten Factorings wird dem Factor aufgrund des Sicherungscharakters der Abtretung nach h.M.1 nur ein Absonderungsrecht zugebilligt. Dem wird zum Teil entgegengehalten2, dass dem Befriedigungsrecht des Factors aus der abgetretenen Forderung jegliche „Pfandrechtsähnlichkeit“, die ihn zur Absonderung nach den §§ 50, 51 InsO berechtigen würde, fehle. Allein die Tatsache, dass der Anschlusskunde beim unechten Factoring wirtschaftlich das Risiko der Realisierbarkeit der abgetretenen Forderung trägt, könne die Abtretung noch nicht zu einem pfandrechtsartigen Sicherungsrecht machen. Dabei ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Factoring Bank beim unechten Factoring nicht das Risiko der Zahlungsfähigkeit des Drittschuldners übernimmt, so dass es sich hier vielmehr um ein atypisches Kreditgeschäft handelt, bei dem sich der gewährte Kredit an der Höhe der abgetretenen Forderung orientiert und durch diese abgesichert wird. Demnach kann der Factor beim unechten Factoring nur abgesonderte Befriedigung verlangen.
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! Hinweis: Die alte Streitfrage, ob das unechte Factoring den Factor zur Aussonderung berechtigt oder lediglich zur Absonderung, wird künftig von größerer praktischer Bedeutung sein, da der Factor als Absonderungsberechtigter zur Duldung des Abzugs der Verwertungs- und Feststellungskosten aus den §§ 170, 171 InsO (hierzu unten Rz. 317 ff.) verpflichtet wäre, als Aussonderungsberechtigter hingegen nicht3.
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Voraussetzung für die Insolvenzfestigkeit der Ansprüche des Factors ist, dass das zugrunde liegende Deckungsgeschäft zwischen Anschlusskunden und Debitor im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits vollständig erfüllt war. Ist das nämlich nicht der Fall, erlöschen die beiderseitigen Erfüllungsansprüche aus dem Vertrag zwischen dem Anschlusskunden und dem Debitor durch die Verfahrenseröffnung gemäß § 103 Abs. 1 InsO, wodurch mittelbar auch die abgeleiteten Rechte aus der Abtretung untergehen. Selbst wenn sich der Verwalter im Fortgang für die Erfüllungswahl entscheiden würde, könnte der Factor wegen § 91 Abs. 1 InsO die neu begründete Forderung gegen den Debitor nicht erwerben4. Dies gilt entsprechend für alle bereits vorausabgetretenen Forderungen, die erst nach dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zur Entstehung gelangen.
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Des Weiteren ist das echte Factoring auch hinsichtlich einer eventuellen Kollision mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt „insolvenzfest“, da die Grundsätze, die für die Kollision eines verlängerten Eigentumsvorbehalts mit einer globalen Sicherungszession an einen Geldkreditgeber entwickelt wurden, auf das echte Factoring keine Anwendung finden5. Denn im Falle eines zeitlichen Vorrangs der Factoring-Globalzession nimmt der Gläubiger genau die
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1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 94; Hess, InsO, 1995, § 47 Rz. 140 f.; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 3. 2 Hierzu näher Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 84. 3 Vgl. hierzu Huth, Kreditsicherungsrecht, S. 259 ff. 4 Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 84; Meyer in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 116 Rz. 35 ff. 5 BGH v. 19. 9. 1977 – VIII ZR 169/76, BGHZ 69, 254 (258); Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 98.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 73
Beratung des gesicherten Gläubigers
gleiche Stellung ein wie bei einer – erlaubten – Weiterveräußerung der Vorbehaltsware gegen Barzahlung. D.h., der Vorbehaltsverkäufer steht mithin rechtlich und wirtschaftlich ebenso da, als hätte der Käufer die Forderung selbst eingezogen. Da der Anschlusskunde den gutgeschriebenen Forderungsgegenwert endgültig behalten darf, stellt das Factoring mithin nur eine besondere Form der Einziehung dar1. Dies gilt ebenfalls bei einem zeitlichen Vorrang des verlängerten Eigentumsvorbehalts, da es nicht auf die Priorität der Abtretung ankommt, sondern entscheidend darauf, dass der Anschlusskunde aufgrund der ihm von dem Lieferanten erteilten Einziehungsermächtigung dazu berechtigt ist, die Forderungen aus dem Weiterverkauf der Vorbehaltsware im Rahmen echten Factorings an einen Factor zu verkaufen und abzutreten2. 73
Schwieriger ist es, das Konkurrenzverhältnis einer Factoring-Globalzession zu einem verlängerten Eigentumsvorbehalt im Rahmen unechten Factorings zu bestimmen. Vielfach wird das dem unechten Factoring eigentümliche Rückbelastungsrecht des Factors als Gleichstellungskriterium zu einer üblichen Sicherungszession zugunsten eines Geldkreditgebers verwandt. Der BGH schreibt dem unechten Factoring vorwiegend Sicherungsfunktion zu und wendet deswegen auf diesen Kollisionsfall die gleichen Grundsätze wie in Kollisionsfällen zwischen der globalen Vorausabtretung zugunsten einer Geschäftsbank und Zessionen zugunsten von Warenkreditgebern an3. Im Schrifttum hat die Lösung insoweit Zustimmung gefunden, als die Vertreter die vorrangige Funktion des unechten Factorings ebenfalls in seiner Sicherungsfunktion sehen4.
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Die in diesem Zusammenhang entwickelte Gegenansicht lehnt hingegen eine Differenzierung zwischen echtem und unechtem Factoring ab. Sie stützt sich darauf, dass zum Zeitpunkt der Globalzession normalerweise noch gar nicht feststehe, ob der Einzug der betreffenden Forderung im Wege des echten oder unechten Factoring erfolgen werde, da der Rahmenvertrag regelmäßig beide Möglichkeiten eröffne5.
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Bei beiden genannten Lösungsansätzen bleibt jedoch die bereits oben aufgegriffene Tatsache unberücksichtigt, dass es sich bei der Bonitätshaftung des Anschlusskunden im Rahmen des unechten Factorings lediglich um eine Eventualverbindlichkeit handelt, die zudem nur sekundär zur Haftungsverwirklichung kommt. Eine Kreditgewährung führt dem entgegen stets zu einer Rückzahlungspflicht, die sich jedenfalls auch in der Insolvenzquote niederschlägt. Die bloße Rückbelastungsmöglichkeit ist daher kein geeignetes Kriterium, die Gleichstellung von unechtem Factoring und einem Zessionskredit zu begründen. 1 BGH v. 19. 9. 1977 – VIII ZR 169/76, BGHZ 69, 254 (258); Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 98. 2 BGH v. 7. 6. 1978 – VIII ZR 80/77, BGHZ 72, 15 (19 ff.); Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 187. 3 BGH v. 14. 10. 1981 – VIII ZR 149/80, BGHZ 82, 50 (64 f.). 4 Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 11 c, § 48 KO Anm. 1; Heinrichs in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 398 Rz. 37. 5 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1686.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 79
§7
Entscheidend muss es darauf ankommen, ob es tatsächlich zu einem Rückgriff kommt oder nicht1. Denn nur im Rückgriffsfalle verwirklicht sich der spezielle Risikobeitrag des unechten Factorings, der die Gleichstellung mit einem Zessionskredit rechtfertigen könnte. Wollte man dem Lieferanten aber auch für den Fall, in dem realiter kein Rückgriff auf den Anschlusskunden genommen wird und die Sicherungsrechte aus dem verlängerten Eigentumsvorbehalt nicht beeinträchtigt werden, den Vorrang gegenüber dem Factor einräumen, so stünde dieser besser als bei einer Barzahlung des Abnehmers oder im Falle des echten Factorings. Leitet nämlich der Vorbehaltskäufer den Erlös bei einem Barzweitgeschäft oder einem echten Factoringgeschäft nicht in der geschuldeten Höhe an den Lieferanten weiter, verbleibt dem Eigentumsvorbehaltsverkäufer in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers nur eine ungesicherte Insolvenzforderung. Leitet der Vorbehaltskäufer hingegen im Rahmen eines unechten Factoringgeschäfts den Factoringerlös nicht an den Lieferanten weiter, könnte der Lieferant nach der Lösung des BGH stets noch abgesonderte Befriedigung aus der Forderung gegen den Debitor verlangen. Damit würde sich im Ergebnis das Weiterleitungsrisiko ohne Grund auf den Factor verlagern2.
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Das Factoring als „Kreditsicherungsalternative“ ist auch weitgehend anfechtungsfest. In der Regel liegt ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO vor, welches grundsätzlich nicht der Anfechtung unterliegt. Da der Anschlusskunde im Rahmen des Forderungsverkaufs für seine Leistung eine wertäquivalente Gegenleistung erhält, bleibt eine Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich außer Betracht. Eine Anfechtung von Factoringgeschäften kann deswegen nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Absichtsanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO erfolgen, da diese auch mittelbare Benachteiligungen erfasst3. Der Anschlusskunde müsste demnach in der dem Factor bekannten Absicht gehandelt haben, den Factoringerlös dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen (zu den Voraussetzungen eines Bargeschäfts und einer Absichtsanfechtung s. § 10 Rz. 293 ff. und § 10 Rz. 167 ff.).
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In der Insolvenz des Factors erlischt der Factoringvertrag anders als bei der Insolvenz des Anschlusskunden nicht, da die §§ 115, 116 InsO nur auf die Insolvenz des Auftraggebers bzw. des Berechtigten Anwendung finden. Dem Verwalter steht daher hinsichtlich des Factoringvertrags das Wahlrecht nach § 103 InsO zu4. Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, ist der Schadensersatzanspruch des Anschlusskunden als einfache Insolvenzforderung anzusehen.
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Bezüglich der einzelnen Factoringgeschäfte kommt es zunächst darauf an, ob diese bereits voll abgewickelt sind. Ist dies der Fall, berührt der Eintritt der Insolvenz das einzelne Factoringgeschäft im Rahmen echten Factorings nicht mehr. Hingegen kann der Anschlusskunde im Rahmen des unechten Factorings gegen Rückzahlung des bereits für die abgetretene Forderung erhaltenen
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1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 95; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 104. 2 Vgl. eingehend Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 106; Roth in Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2004, § 398 Rz. 168 ff. 3 Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 123. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 96; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 274 m.w.N.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 80
Beratung des gesicherten Gläubigers
Vorschusses an die Insolvenzmasse die abgetretene Forderung in der Factorinsolvenz aussondern1. Ist das einzelne Factoringgeschäft noch nicht voll abgewickelt, kann der Verwalter die Forderungen, die dem Factor bereits abgetreten und von diesem auch bezahlt wurden, zur Masse einziehen. Da das Kausalgeschäft insoweit bereits erfüllt ist, findet § 103 InsO keine Anwendung2. Beim unechten Factoring kann der Anschlusskunde den Insolvenzverwalter hingegen mit der Aussonderung an der Einziehung hindern bzw. die sodann durch den Verwalter eingezogene Forderung ersatzaussondern3. Überblick – Dingliche Aussonderungsrechte 80
– –
Eigentumsrechte (insbesondere Vorbehaltseigentum) Sonstige dingliche Rechte –
Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB)
–
Erbbaurecht (§§ 1012 ff. BGB)
–
Grunddienstbarkeiten (§§ 1018 ff. BGB)
–
Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB)
–
Grundpfandrechte sowie Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten
–
Treuhandverhältnisse
–
Leasing
–
Factoring
c) Persönliche Aussonderungsrechte und Forderungen aa) Persönliche Aussonderungsrechte 81
Persönliche, sprich schuldrechtliche Ansprüche verhelfen dem Berechtigten nur dann zu einem Aussonderungsrecht, wenn sie auf Herausgabe eines dem Schuldner nicht gehörenden Gegenstandes gerichtet sind, wobei der Berechtigte nicht zugleich auch dinglich Berechtigter sein muss. Entscheidend ist, dass der schuldrechtliche Herausgabeanspruch darauf beruht, dass die Sache nicht zur Masse gehört4. In Betracht kommen hier die Herausgabeansprüche des –
Vermieters (§ 546 Abs. 1 BGB)5,
–
Verpächters (§ 596 Abs. 1 BGB),
–
Verleihers (§ 604 Abs. 1 BGB),
1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 275. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 96; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 276. 3 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 277. 4 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (96); Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 75. 5 BGH v. 5. 7. 2001 – IX ZR 327/99, NJW 2001, 2986 (2968).; keine Aussonderungskraft hat hingegen der Anspruch auf Rückforderung der nicht separierten Mietkaution, vgl. BGH v. 20. 12. 2007 – IX ZR 132/06, ZInsO 2008, 2064.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 84
–
Auftraggebers (bezüglich überlassener Gegenstände (§ 667 BGB),
–
Hinterlegers (§ 695 BGB)1 und
–
Kommissionärs (§ 392 Abs. 2 HGB)
§7
Steht dem Aussonderungsberechtigten neben dem obligatorischen Recht auch ein dingliches Recht zu, kann er sich sowohl auf den schuldrechtlichen als auch den dinglich begründeten Anspruch stützen. In dem praktisch seltenen Fall der Insolvenz des Wertpapierverwahrers geben die persönlichen Ansprüche des Hinterlegers diesem sowohl bei der Sonderverwahrung nach § 2 DepotG als auch bei der Sammelverwahrung nach § 5 DepotG ein Aussonderungsrecht2.
82
Das Aussonderungsrecht des Kommittenten gemäß § 392 Abs. 2 HGB besteht unmittelbar nur dann, wenn der Kommissionär das Kommissionsgut noch nicht übereignet hat. Nach erfolgter Übereignung kann das Kommissiongut nicht mehr ausgesondert werden und es stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB dem Kommittenten ein Aussonderungsrecht an der noch offenen Kaufpreisforderung oder an dem Surrogat der bereits eingezogenen Forderung verschafft. Lediglich ein Teil des Schrifttums bejaht dies3. Die h.M. lehnt in Wahrung des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes eine Verdinglichung des Surrogats ohne ausdrückliche gesetzgeberische Vorgabe ab4.
83
! Hinweis: Oftmals kann diese Streitfrage dahinstehen. Denn selbst bei entsprechender Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB scheitern Ansprüche auf Aus- bzw. Ersatzabsonderung daran, dass das Aussonderungsgut bzw. das Surrogat regelmäßig nicht mehr unterscheidbar im Schuldnervermögen vorhanden ist5. Eine Aussonderung wegen eines bloßen Geldsummenanspruchs kennt die Rechtsordnung nicht6. Persönliche Ansprüche, die nur auf Verschaffung des Aussonderungsgutes gerichtet sind (so genannte Verschaffungsansprüche), begründen kein Aussonderungsrecht7. Zu den bloßen Verschaffungsansprüchen gehören beispielhaft 1 Vgl. auch Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (96 f.); Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 54. 2 Siehe hierzu Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 52. 3 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 289. Dagegen OLG Hamm v. 7. 10, 2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003. 2262 m. krit. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2004, 75 f. 4 BGH v. 26.111973 – II ZR 117/72, NJW 1974, 456 (457); BGH v. 26. 9. 1980 – I ZR 119/78, NJW 1981, 918 (919); OLG Hamm v. 7. 10. 2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 m. krit. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2004, 75 f.; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 78; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 17. 5 Lesenswert zu dieser Problematik das Urteil des OLG Köln v. 25. 8. 2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151 (152) zu den Rechtsfolgen der Insolvenz eines Versteigerers. 6 BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550). 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 75; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (97).
Drees/J. Schmidt
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83a
84
§7
Rz. 85
Beratung des gesicherten Gläubigers
–
Ansprüche auf Erfüllung schuldrechtlicher Verträge,
–
Herausgabeanspruch gemäß § 285 Abs. 1 BGB,
–
Bereicherungsansprüche,
–
Rückgewähransprüche aufgrund Rücktritts1 und
–
Rückgewähransprüche aufgrund Insolvenzanfechtung gemäß §§ 143 Abs. 1 Satz 1, 129 ff. InsO2.
85
Der Verschaffungsanspruch führt auch dann nicht zu einem Aussonderungsrecht, wenn er als Herausgabeanspruch formuliert ist, letztlich aber nicht auf der Massefremdheit des Leistungsgegenstandes beruht. Der Herausgabeanspruch aus § 812 BGB begründet ein Aussonderungsanspruch z.B. nur dann, wenn er mit Dritteigentum einhergeht, so wenn der Insolvenzverwalter unberechtigt einen aussonderungsfähigen Gegenstand veräußert hat3.
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Auch die Anfechtung von Rechtsgeschäften nach den §§ 119 ff. BGB bzw. die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften aufgrund der §§ 134, 138 BGB begründen kein Aussonderungsrecht, es sei denn, die Anfechtung oder Nichtigkeit erfasst zugleich das dingliche Rechtsgeschäft4. bb) Forderungen
87
Forderungen können ausgesondert werden, wenn einem Dritten kraft Abtretung, Überweisung an Zahlung statt oder durch Erbfolge das ausschließliche Recht zum Forderungseinzug zukommt5. Die Aussonderung soll in diesen Fällen dem Forderungsinhaber den absoluten Zuweisungsgehalt sichern. Damit gilt das Gesagte in den Fällen nicht, in denen der Forderungsübergang wie z.B. im Rahmen einer Sicherungsabtretung lediglich dem Sicherungsinteresse des neuen Forderungsinhabers dient. Aufgrund des Sicherungscharakters der Abtretung kann sich der Inhaber dann nur auf ein Absonderungsrecht berufen (vgl. hierzu Rz. 175 ff.). Überblick – Aussonderungsrechte
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–
Dingliche Aussonderungsrechte –
Eigentumsrechte (insbesondere Vorbehaltseigentum)
–
Sonstige dingliche Rechte
–
Treuhandverhältnisse
1 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 56. 2 BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 228/02, NZI 2003, 537. Zu den hierzu vertretenen Theorien über die Rechtsnatur des Anfechtungsanspruchs (schuldrechtlich/dinglich) vgl. Haas/ Müller, ZIP 2003, 49 (50). 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 96; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 50 m.w.N. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 76; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 7. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 71.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
–
Leasing
–
Factoring
Rz. 93
–
Persönliche Aussonderungsrechte (Vermieter, Verpächter etc.)
–
Forderungen
§7
3. Realisierung der Aussonderungsrechte Unter Aussonderung versteht man die Geltendmachung der Nichtzugehörigkeit eines Gegenstandes zur Insolvenzmasse aufgrund eines daran bestehenden dinglichen oder persönlichen Rechts. Mit dem Begehren auf Aussonderung beansprucht ein Dritter, dass ihm ein persönliches oder dingliches Recht an einem Gegenstand zusteht und dieser deshalb nicht Bestandteil der Insolvenzmasse ist. Inhaber von Aussonderungsrechten können diese im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners in gleicher Weise geltend machen wie außerhalb des Insolvenzverfahrens. Ob und in welcher Höhe der Gläubiger gegen den Insolvenzschuldner eine offene Forderung hat, spielt für die Geltendmachung eines Aussonderungsrechts keine Rolle.
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a) Vor und während der Krise Vor Eintritt der Krise bzw. während der Krise kann der Aussonderungsberechtigte, der selbst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zum Insolvenzgläubiger und damit nicht zum Beteiligten des Insolvenzverfahrens wird, die seinem dinglichen oder persönlichen Recht zu entnehmenden Ansprüche entsprechend den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen ohne insolvenzbezogene Einschränkungen gegenüber dem späteren Insolvenzschuldner geltend machen.
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Aufgrund der möglicherweise mit Eröffnung des Verfahrens eintretenden Kündigungssperre nach § 112 InsO sollte sich der aussonderungsberechtigte Vermieter bzw. Verpächter oder Leasinggeber jedoch überlegen, ob er nicht, soweit eine Verbesserung der Vermögenslage nicht ersichtlich scheint, bereits während der Krise das Dauerschuldverhältnis im Falle des Zahlungsverzuges des späteren Insolvenzschuldners kündigt. Gemäß § 112 InsO werden die vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters oder Verpächters bzw. Leasinggebers nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in zweifacher Hinsicht beschränkt.
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Eine Kündigung wegen Verzugs mit der Zinsentrichtung ist insoweit unzulässig, als dieser Verzug bereits in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, die Kündigung aber bis zum Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht ausgesprochen wurde. Nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ebenfalls eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse nicht mehr zulässig.
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Dabei erfasst die Kündigungssperre nach § 112 InsO nur Gestaltungserklärungen, die nach dem Antrag auf Verfahrenseröffnung zugehen. Hingegen ist eine Rückwirkung der Kündigungssperre auf bereits vor dem Eröffnungsantrag er-
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§7
Rz. 94
Beratung des gesicherten Gläubigers
klärte Kündigungen nicht gegeben1. Das gilt auch für fristgerechte Kündigungen, soweit die Kündigungsfrist über den Zeitpunkt des Eröffnungsantrags oder der Verfahrenseröffnung hinausgeht. Damit bleibt die vor dem Eröffnungsantrag wegen Zahlungsverzugs erklärte Kündigung wirksam. Die Rückgabeansprüche des Vermieters aufgrund einer vor Verfahrensantrag erklärten Kündigung werden von der Kündigungssperre nicht berührt. Der Verwalter kann die Räumung oder Entfernung der Mietsache und damit die Geltendmachung des Aussonderungsrechts des Vermieters, Verpächters oder auch Leasinggebers auch nicht durch eine nachträgliche Begleichung des rückständigen Mietzins abwenden2. Anders nur bei Wohnraummietverhältnissen, da der Verwalter dann gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch die nachträgliche Zahlung der Kündigung die Wirksamkeit nehmen kann (zur Kündigungssperre vgl. auch § 8 Rz. 250 ff.).
! Hinweis: 94
Will der Vermieter sein Aussonderungsrecht für den Fall der Insolvenz sichern, muss er die Kündigung noch vor dem Antrag auf Verfahrenseröffnung aussprechen. b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren
95
Dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis obliegt zum einen die Pflicht zur Sicherung und Erhaltung der Insolvenzmasse (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO) zum anderen die Pflicht zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Nur in Ausnahmefällen ist es dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichts erlaubt, zur Abwendung erheblichen Schadens ein Unternehmen stillzulegen (zum vorläufigen Insolvenzverfahren und der Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters s. § 6 Rz. 75 ff.).
96
Im Rahmen seiner Fortführungspflicht sieht sich der vorläufige Insolvenzverwalter der Konfliktlage gegenüber, dass die gesicherten Gläubiger gegenüber den einfachen Insolvenzgläubigern und dem vorläufigen Insolvenzverwalter daran interessiert sind, ihr Sicherungsgut frühstmöglich aus dem Vermögensverbund des Schuldners herauszulösen. Andererseits ist er zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet, wobei das schuldnerische Unternehmen zu weiten Teilen Kreditgebern zu deren Sicherung übereignet ist und die Warenbestände – wenn nicht vollständig dann doch größtenteils – unter Eigentumsvorbehalt stehen.
97
Im Rahmen seiner Pflicht zur Sicherung und Erhaltung der Insolvenzmasse ist der vorläufige Verwalter zunächst zur Sicherung des gesamten vorgefundenen Vermögens des Schuldners verpflichtet, ohne sich im Einzelnen um die jeweiligen Eigentumsverhältnisse zu kümmern. Der Schutzzweck der vorläufigen Verwaltung erfasst auch die Gegenstände, die mit Aussonderungsrechten belastet sind, da deren Klärung dem eröffneten Insolvenzverfahren vorzubehalten ist3. 1 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 112 Rz. 8; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 112 Rz. 7 f. 2 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 112 Rz. 8. 3 Vgl. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 18, 39.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 100
§7
! Hinweis: Konsequenterweise steht einem Gläubiger gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO auch dann kein Beschwerderecht zu, wenn die Anordnung für den Gläubiger eine erhebliche Einschränkung bedeutet1. Wendet sich ein Gläubiger etwa gegen die gerichtliche Anordnung der Sicherstellung eines PKW, so kann dieser sein Aussonderungsrecht nicht mit der sofortigen Beschwerde im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO geltend machen. Dieses Beschwerderecht steht lediglich dem Schuldner zu. Dem Gläubiger bleibt die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes. Für Gegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, folgt dies bereits aus der Vorschrift des § 107 Abs. 2 InsO. Soweit der vorläufige Verwalter z.B. Vermögensgegenstände des Schuldners siegelt und dadurch die Rechte eines Dritten beeinträchtigt, muss dieser vor dem Prozessgericht eine materiell-rechtliche Prüfung anstrengen. Wegen der Sperrwirkung der §§ 103 ff. InsO wird diese aber in der Regel erst im eröffneten Verfahren möglich sein.
97a
Hat ein Gläubiger Ware unter Eigentumsvorbehalt an den Schuldner verkauft und geliefert, so kann er im nachfolgenden Insolvenzverfahren ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO geltend machen, soweit dem Verwalter kein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 BGB zusteht. Dies entfällt jedoch erst automatisch mit der Eröffnung des Verfahrens, es sei denn, der Verwalter hat die Vertragserfüllung nach §§ 107 Abs. 2, 103 Abs. 1 Satz 1 InsO gewählt. Der Schuldner darf im vorläufigen Verfahren nach Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots über Eigentumsvorbehaltsware nicht mehr verfügen, es sei denn, der vorläufige Verwalter würde dieser Verfügung zustimmen. Mithin ist der Schuldner auch nicht dazu berechtigt, die Vorbehaltsware an den unter Vorbehalt liefernden Lieferanten zurückzugeben.
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Der vorläufige Verwalter nimmt die Gegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, ebenfalls in Besitz, um das Wahlrecht des Verwalters im eröffneten Verfahren nicht vorwegzunehmen (§ 107 Abs. 2 InsO)2. Da es dem Verwalter gemäß § 107 Abs. 2 InsO nach der neuen Rechtslage sogar erlaubt ist, seine Entscheidung darüber, ob er den Vorbehaltskaufvertrag erfüllen und sich dadurch das Eigentum an der Vorbehaltsware verschaffen will, oder ob er die unter Vorbehalt gelieferte Sache lieber zurückgibt, bis zum Zeitpunkt unmittelbar nach dem Berichtstermin im eröffneten Verfahren zurückzustellen, können Aussonderungsrechte nach § 47 InsO generell erst nach Eröffnung des Verfahrens gegenüber dem Verwalter beansprucht werden.
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Für den Vorbehaltslieferanten ergibt sich daher für den Antragszeitraum eine schwebende Rechtslage. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO eine erhebliche Wertminderung aufgrund des Zeitablaufs bis zum Berichtstermin zu erwarten ist und der Gläubiger den vorläufigen Verwalter darauf hingewiesen hat. Sollte der aussonderungsberechtigte Vorbehaltsverkäufer trotz der Regelung des § 107 Abs. 2 InsO seinen Heraus-
100
1 LG Göttingen v. 24. 6. 2004 – 10 T 75/04, NZI 2004, 502 (503). 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 39.
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§7
Rz. 101
Beratung des gesicherten Gläubigers
gabeanspruch geltend machen, kann der Insolvenzverwalter die Herausgabe der zur Unternehmensfortführung erforderlichen Gegenstände unter Berücksichtigung seiner Funktion, die gesetzmäßigen Rechte des späteren Insolvenzverwalters sicherzustellen, verweigern und beim Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Untersagung gegenüber dem Aussondernden anregen (zur Regelung des § 107 InsO s. auch § 8 Rz. 144 ff.). 101
Der vorläufige Insolvenzverwalter wird daher grundsätzlich vor der Eröffnung des Verfahrens noch keine Verwertungshandlungen vornehmen. Bewegliche Gegenstände wird er in der Regel nicht herausgeben, sondern im Rahmen der Betriebsfortführung nutzen. Unabhängig davon ist der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch dazu berechtigt, einzelne Aussonderungsgegenstände, welche er für die weitere Geschäfts- bzw. Unternehmensfortführung nicht benötigt und daher als entbehrlich ansieht, bereits im Eröffnungsverfahren an den Aussonderungsgläubiger herauszugeben, soweit dem nicht gerichtliche Anordnungen nach § 21 InsO entgegenstehen1.
102
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens am 1.7.2006 kann das Gericht für Aussonderungsrechte eine Verwertungssperre anordnen und den Einsatz dieser Vermögenswerte zur Fortführung des Unternehmens gestatten. Voraussetzung hierfür ist, dass das Aussonderungsgut für die Fortführung von erheblicher Bedeutung ist. Diese Neuregelung entspricht der in der Praxis bereits üblichen Einbeziehung der aussonderungsberechtigten Gläubiger2. Die Klarstellung zum einen und die Möglichkeit, künftig obstruktiven Aussonderungsberechtigten mit einer entsprechenden Anregung bei Gericht begegnen zu können, ist aus Sicht der Insolvenzverwaltung zu begrüßen. Für Aussonderungsberechtigte steht nunmehr das im Gesetz, was bereits faktisch gilt: Eine Verwertungssperre auch im vorläufigen Insolvenzverfahren mit Rücksicht auf die vorrangige Betriebsfortführungspflicht. Gläubigern bleibt allein die Möglichkeit, darzulegen, dass der betreffende Gegenstand nicht von erheblicher Bedeutung für die Betriebsfortführung ist3.
! Hinweis: Die für das eröffnete Verfahren einschlägigen Regelungen haben zugleich für das Eröffnungsverfahren zur Folge, dass sich der vorläufige Verwalter weder zur Vertragserfüllung zu erklären braucht noch der Gläubiger bis zur Erklärung berechtigt ist, sein vorbehaltenes Eigentum im Wege der Aussonderung beim Schuldner herauszuholen. c) Im eröffneten Insolvenzverfahren aa) Stellung des Aussonderungsberechtigten (§ 47 InsO) 103
In § 47 InsO sieht die InsO entsprechend dem bisherigen Recht die zur Aussonderung Berechtigten als von den insolvenzspezifischen Verfahrensregularien befreit an und regelt, dass diese ihre Ansprüche gegenüber dem Insolvenzver1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 18, 39 f.; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 22 Rz. 54. 2 Kuder, ZIP 2007, 1690 (1694 ff.) 3 Kirchhof, ZInsO 2007, 227 (229 ff.).
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
§7
Rz. 105a
walter nach den allgemeinen Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten, durchsetzen können. Damit kommt den aussonderungsberechtigten Gläubigern die stärkste Stellung unter allen in der InsO genannten Gläubigern zu. Zwar räumt § 47 InsO den Aussonderungsberechtigten keinen eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruch auf Aussonderung ein, die Vorschrift spricht den Aussonderungsberechtigten jedoch das Recht zu, ihren Ansprüchen außerhalb des Insolvenzverfahrens Geltung zu verschaffen1. Dabei enthält § 47 InsO rechtstechnisch für den Aussonderungsberechtigten in zweifacher Hinsicht eine Verweisung auf das materielle Recht: –
Zum einen beurteilt sich bereits die Frage, ob überhaupt ein Aussonderungsrecht an einem Gegenstand besteht, gemäß § 47 Satz 2 InsO nach den Vorschriften des materiellen Rechts, welche außerhalb des Insolvenzverfahrens normiert sind.
–
Zum anderen bestimmt § 47 Satz 1 InsO, dass der Aussonderungsberechtigte aufgrund seines dinglichen oder persönlichen Rechts nicht Insolvenzgläubiger und damit bei der Geltendmachung seiner Rechte nicht wie diese an die Beschränkungen der insolvenzspezifischen Vorschriften gemäß § 87 InsO gebunden ist.
! Hinweis: Der Aussonderungsberechtigte kann seine Ansprüche gegenüber dem Verwalter in gleicher Weise entsprechend den Vorschriften des BGB und der ZPO verfolgen, als sei der Schuldner nicht insolvent geworden.
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Da dem Aussonderungsberechtigten keine Stellung als Insolvenzgläubiger zukommt, ist er auch weder zur Abstimmung noch zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung berechtigt. Gleiches gilt auch für das Planverfahren. Dennoch steht es den Aussonderungsberechtigten frei, freiwillig dem Planverfahren beizutreten. Ein derartiges Interesse kann insbesondere bei Leasinggebern gegeben sein, da ihnen mit der Beendigung des Leasingvertrags und der Verwertung des Leasingguts zumeist weniger gedient ist als mit der Fortsetzung des Vertrags, wenn auch zu ermäßigten Konditionen2.
105
Musterschreiben3 – Geltendmachung eines Aussonderungsanspruchs Sehr geehrter Herr Kollege,
105a
in dem vorbezeichneten Insolvenzverfahren zeigen wir an, dass wir die anwaltliche Interessen der Fa. …vertreten. Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird anwaltlich versichert. Die Insolvenzschuldnerin hatte bei unserer Mandantin umfangreich Ware unter Eigentumsvorbehalt bezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten verweisen wir auf die beigefügte Anlage nebst Liefervereinbarung. Infolge Zahlungsverzugs hat un1 Vgl. hierzu Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 4; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 3. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 1.261. 3 Wegen weiterer Muster vgl. Breuer, Insolvenzrechtsformularhandbuch, 3. Aufl. 2006, S. 254 ff.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 106
Beratung des gesicherten Gläubigers
ser Mandant mit eingeschriebenen Brief vom … den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Das Schreiben überreichen wir ebenfalls zu Ihrer gefälligen Kenntnisnahme. Unsere Mandantschaft berichtet davon, dass einzelne Gegenstände der Lieferung sowohl vor der Verfahrenseröffnung durch die Schuldnerin als auch noch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Sie an Dritte veräußert worden sind. Da hierdurch die Sicherungsrechte unserer Mandantin berührt werden, bitten wir um vollständige Auskunft darüber, –
welche Gegenstände zu welchen Bedingungen vor der Verfahrenseröffnung durch die Schuldnerin an Dritte veräußert wurden;
–
ob und welche Gegenstände aus der Lieferung durch Sie nach der Verfahrenseröffnung an Dritte veräußert wurden;
–
ob und in welcher Höhe die Kaufpreisansprüche gegen die Erwerber bereits realisiert wurden;
–
ob sich eine etwaige vereinnahmte Gegenleistung noch unterscheidbar in der Insolvenzmasse befindet und
–
ob und welche Gegenstände der Lieferung noch im Besitz der Masse vorhanden sind
Hinsichtlich der noch im Massebesitz befindlichen Gegenstände verlangen wir zunächst Herausgabe. Sofern aus einer Weiterveräußerung an Dritte Kaufpreisansprüche noch nicht realisiert wurden, fordern wir sie zur Abtretung dieser Ansprüche auf. Für den Fall, dass bei etwaig bereits beglichenen Kaufpreisansprüchen die Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist, machen wir einen Bereicherungsanspruch geltend. Wegen der noch bei Ihnen befindlichen Ware erklären wir ein Veräußerungsverbot. Für den vollständigen Eingang der Auskünfte sowie zur Erfüllung der geltend gemachten Ansprüche habe ich mir eine Frist bis zum … notiert. Mit freundlichen kollegialen Grüßen
bb) Durchsetzung von Aussonderungsrechten 106
Der Aussonderungsberechtigte nimmt aufgrund seines dinglichen oder persönlichen Rechts an dem Vermögensgegenstand nicht an dem Insolvenzverfahren teil. Die Rechtsverfolgung findet außerhalb und neben dem Insolvenzverfahren statt. Der Aussonderungsberechtigte kann daher, ohne den insolvenzspezifischen Beschränkungen nach § 87 InsO zu unterliegen, außerhalb des Insolvenzverfahrens sein Recht durchsetzen. Möchte der Aussonderungsberechtigte die Herausgabe des befangenen Sicherungsgegenstandes erreichen, muss er sein Recht unmittelbar gegenüber dem Insolvenzverwalter anzeigen und seine Berechtigung glaubhaft machen. (1) Prüfungspflicht des Insolvenzverwalters
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Den Insolvenzverwalter trifft keine allgemeine Verpflichtung, von sich aus Fremdrechte zu ermitteln und an die Aussonderungsberechtigten heranzutre714
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 109a
§7
ten1. In der Regel nimmt der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Verfahrens gemäß § 148 InsO das Schuldnervermögen unmittelbar in Besitz, unabhängig davon, ob an den Gegenständen Aussonderungsrechte bestehen, soweit diese nicht offenkundig oder abschließend geprüft sind2. Er ist nicht verpflichtet, Aussonderungsberechtigten Zutritt zu den Geschäftsräumen des Schuldners zu gewähren, damit diese das Aussonderungsgut besichtigen, aussuchen und inventarisieren können3. Werden seitens Dritter Aussonderungsrechte erhoben, so obliegt es dem Verwalter, nach pflichtgemäßem Ermessen eine Entscheidung über das Aussonderungsrecht zu treffen. Der Verwalter hat gegenüber dem Aussonderungsberechtigten die spezifische Verpflichtung, das geltend gemachte Aussonderungsrecht auf seinen Gehalt und seinen rechtlichen Bestand hin zu überprüfen. Die Annahme insolvenzspezifischer Pflichten birgt für den Insolvenzverwalter stets die Gefahr einer persönlichen Haftung (vgl. hierzu Rz. 109a f.)4. Er hat sodann darüber zu entscheiden, ob, in welchem Umfang und mit welchen Maßgaben die Aussonderung zu erfolgen hat5. Dem Verwalter steht für diese Feststellung ein dem Umfang der mit Fremdrechten belasteten Aussonderungsobjekte angemessener Prüfungszeitraum zur Verfügung, während dessen er nicht in Verzug geraten kann6.
! Hinweis: Im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers ist zudem die faktische Ausübungssperre für den Zeitraum bis zum Berichtstermin gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO zu beachten.
108
Der Verwalter ist dem Aussonderungsberechtigten zur Auskunft über den Verbleib, etwaige Verarbeitungen etc. der mit Fremdrechten belegten Gegenstände verpflichtet7. Der Umfang der Auskunftspflicht ist jedoch durch das Kriterium der Zumutbarkeit beschränkt. Der Verwalter ist selbst nicht zu umfangreichen Nachforschungen verpflichtet, wenn der Aussonderungsberechtigte seinerseits die auszusondernden Gegenstände nicht hinreichend bestimmen kann. Schließlich kann der Verwalter den Aussonderungsberechtigten auch auf eine eigene Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen verweisen8. Etwaige Kosten die durch die Erteilung von Auskünften entstehen, kann der Verwalter nicht gegenüber den aussonderungsberechtigten Gläubigern geltend machen.
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Hierauf lassen sich die gegenüber Aussonderungsgläubigern bestehenden Pflichten eines Insolvenzverwalters jedoch nicht beschränken. Je nach Fallgestaltung können die gegenüber Aussonderungsberechtigten bestehenden
109a
1 Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 (354). 2 Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 (352); Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (96). 3 LG Düsseldorf v. 27. 4. 1964 – 11b T 6/64, KTS 1964, 246. 4 OLG Jena v. 27. 10. 2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 98; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 59. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 98; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 377, 397. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 102; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 83; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 64. 8 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 60.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 109b
Beratung des gesicherten Gläubigers
Pflichten sehr weitgehend sein, so z.B. zur Verwahrung, Sicherung und ggf. Nachforschung. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des BGH vom 25. 1. 20071. In dieser wurde die Schadensersatzpflicht eines Insolvenzverwalters bejaht, der ein auszusonderndes Mietobjekt (§ 546 BGB) ohne Zustimmung des Vermieters an eine unzuverlässige Person untervermietet hatte und damit den Rückgewähranspruch des Aussonderungsgläubigers gefährdete. Schwierigkeiten hatte der BGH, eine insolvenzspezifische Pflichtverletzung (§ 60 Abs 1 InsO) zu begründen. Denn der Verstoß gegen die Zustimmungspflicht des Vermieters (§ 553 Abs. 1 BGB) trifft jeden Mieter und ist nicht insolvenzspezifisch. Letztlich zog er § 546 BGB i.V.m. § 47 Satz 2 InsO heran und bejahte einen Schadensersatzanspruch in Höhe des negativen Interesses. 109b
109c
Für den anwaltlichen Berater des Aussonderungsberechtigten empfiehlt sich im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegenüber dem Insolvenzverwalter die Orientierung an folgenden Grundsätzen2: –
Hat der Insolvenzverwalter deutliche Hinweise auf das Vorliegen von Eigentumsvorbehalten und verwertet er gleichwohl die damit belegten Waren oder gibt diese zur Versteigerung frei, so verletzt er damit objektiv die ihm gegenüber dem Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten3.
–
Von deutlichen Hinweisen im vorbenannten Sinne ist dann auszugehen, wenn die Kenntnisnahme vom Vorbehaltseigentum zu erwarten gewesen ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Eigentumsvorbehalt deutlich erkennbar auf dem Lieferschein erklärt ist und der Aussonderungsberechtigte erwarten durfte, dass der Schuldner bzw. dessen Insolvenzverwalter davon Kenntnis nimmt4.
–
Ein Aussonderungsberechtigter ist gehalten, das von ihm behauptete Recht dem Insolvenzverwalter so konkret wie möglich darzulegen5. Andernfalls entfällt entweder bereits die Pflichtverletzung oder aber der Insolvenzverwalter kann ein Mitverschulden (§ 254 BGB) einwenden.
Bei der Vorbereitung entsprechender Haftungsansprüche empfiehlt sich die Orientierung an folgenden Pflichtenkreisen: –
Inbesitznahme (§ 148 InsO)6,
–
Verwahr- und Sicherungspflichten (so genannte Vermögensbetreuungspflichten)7,
1 BGH v. 25. 1. 2007 – IX ZR 216/05, ZInsO 2007, 264 ff. m. Anm. Ferslev, EWiR 2007, 437. 2 Grundlegend zu den gegenüber Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 ff. und Barnert, KTS 2005, 431 ff. 3 OLG Jena v. 27. 10. 2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 4 Vgl. statt vieler: BGH v. 5. 5. 1982 – VIII ZR 162/81, NJW 1982, 1751 f. 5 OLG Düsseldorf v. 2. 6. 1987 – 23 U 150/86, ZIP 1988, 450 (451 f.); OLG Jena v. 27. 10. 2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 6 Vgl. Barnert, KTS 2005, 431 (435 f.). 7 Barnert, KTS 2005, 431 (436 f.).
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 112
§7
–
Auskunftspflichten1,
–
Erkundigungs- und Aufklärungspflichten; Haftung bei unzureichender Sachverhaltsaufklärung (insb. Nachforschungspflichten bei Eigentumsvorbehaltsrechten),
–
Falsche Beurteilung einer klaren Rechtslage und
–
Masseverwertung
Soweit der Verwalter die ihm zuzuerkennende Frist zur Sichtung und Feststellung der Aussonderungsrechte schuldhaft überschreitet, kann er mit der Erfüllung des Aussonderungsanspruchs in Verzug geraten, so dass dem Aussonderungsberechtigten ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB erwächst, der nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Masseschuld wird2. Besteht aufgrund der sich bietenden Erkenntnislage Streit über das Bestehen des Aussonderungsrechts, so ist dieser im ordentlichen Prozessweg zwischen Verwalter und Gläubiger auszutragen. In der Regel wird der Aussonderungsberechtigte Klage auf Herausgabe des Gegenstandes erheben.
110
! Hinweis: Der Aussonderungsberechtigte hat im Prozess die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB zugunsten des Schuldners bzw. der Insolvenzmasse zu widerlegen und sein Aussonderungsrecht nachzuweisen3.
111
(2) Aussonderung von Mobilien Ist für den Insolvenzverwalter offenkundig, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, sondern eindeutig als massefremder Vermögensgegenstand zu identifizieren ist, so gibt er die Sache an den Aussonderungsberechtigten heraus bzw. überlässt diese dem Aussonderungsberechtigten in sonstiger Weise. Eine formelle Aussonderung ist nur dann erforderlich, wenn der Insolvenzverwalter den Gegenstand in zweifelhaften Fällen als Bestandteil der Insolvenzmasse beansprucht und Besitz an diesem ergriffen hat oder ergreifen will. Bis zur Entscheidung über die Berechtigung ist die Verwertung der Gegenstände, für die von dritter Seite Aussonderungsrechte geltend gemacht werden, auszusetzen. Kommt der Verwalter zu der Feststellung, dass das Aussonderungsrecht besteht und durchsetzbar ist, so erklärt er nach erfolgter Prüfung die Freigabe des Gegenstandes. Einer Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung nach § 160 InsO bedarf es nur dann, wenn das Aussonderungsobjekt – im Gegensatz zur früheren 300,– DM-Grenze (§ 133 Nr. 2 KO) – von erheblichem Wert ist4 (zu diesen Organen der Gläubigerautonomie vgl. § 6 Rz. 222 ff., 249 ff.). 1 Bäuerle in Braun, InsO, 4. Aufl. 2007, § 47 Rz. 5. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 101; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 47 Rz. 82. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 114; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 (354). 4 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 61; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 160 Rz. 3.
Drees/J. Schmidt
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112
§7
Rz. 113
Beratung des gesicherten Gläubigers
113
Der Verwalter kommt seiner Herausgabepflicht nach Anerkennung des Aussonderungsrechts grundsätzlich durch körperliche Übergabe des Gegenstands an den Aussonderungsberechtigten oder dadurch, dass er die Inbesitznahme durch den Berechtigten duldet, nach. Dabei ist es für die Erfüllung der Herausgabeverpflichtung als ausreichend anzusehen, wenn der Insolvenzverwalter den belasteten Gegenstand zur Abholung bereitstellt. Eine Verpflichtung zum Versand trifft ihn nicht1.
114
Für den Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts sehen die §§ 103, 107 Abs. 2 InsO allerdings Einschränkungen für die Geltendmachung des Aussonderungsrechts vor. Nachdem der Insolvenzverwalter nunmehr die Entscheidung über die Erfüllungswahl erst unverzüglich nach dem Berichtstermin zu treffen hat, besteht für die unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sachen bis zu diesem Zeitpunkt ein Aussonderungsstopp, und sie können von dem Vorbehaltsverkäufer nicht herausverlangt werden2. Dies gilt gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht, wenn in der Zeit bis zum Berichtstermin eine erhebliche Verminderung des Wertes der Sache zu erwarten ist und der Gläubiger den Verwalter auf diesen Umstand hingewiesen hat. (3) Aussonderung von Immobilien
115
Soweit es sich um die Herausgabe eines Grundstücks oder von Mieträumlichkeiten handelt, hat der Verwalter entsprechend einem Mieter die Räumung fristgerecht und vollständig vorzunehmen, da Teilleistungen im Rahmen der Erfüllung der Rückgabeverpflichtung nach § 266 BGB unzulässig sind und der Erfüllungsanspruch des Aussonderungsberechtigten anderenfalls nicht befriedigt werden kann3. (4) Gerichtliche Durchsetzung
116
Da der Aussonderungsberechtigte nicht Beteiligter des Insolvenzverfahrens und daher nach § 87 InsO frei von dessen Beschränkungen ist, kann er in dem Fall, in dem der Insolvenzverwalter die Herausgabe des Gegenstandes an ihn verweigert, trotz des eröffneten Verfahrens die Herausgabeklage gegen den Insolvenzverwalter erheben und aus einem Herausgabetitel die Zwangsvollstreckung nach den §§ 883 ff. ZPO betreiben4. Soweit es sich bei dem auszusondernden Gegenstand um eine unbewegliche Sache handelt, kommt ein Grundbuchberichtigungsanspruch gemäß § 894 ZPO gegenüber dem Verwalter in Betracht bzw. der Anspruch auf Löschung des Insolvenzvermerks (§ 32 InsO)5. Schließlich genügt zur Geltendmachung des Anspruchs auch die Klage auf Feststellung des geltend gemachten dinglichen oder persönlichen Rechts6. Be1 2 3 4
Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 100. Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 18. Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 465. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 107; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 479 f. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 110; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 40. 6 Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 15.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 121
§7
ansprucht der Insolvenzverwalter ein angeblich der Masse zustehendes Eingriffsrecht, kann sich der Aussonderungsberechtigte auch auf einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 12, 1004 BGB gegenüber der Insolvenzmasse stützen, soweit dieser auf einem absoluten Recht beruht1. Für die gerichtliche Geltendmachung des Aussonderungsanspruchs ist im Streitfall der Rechtsweg zu den allgemeinen ordentlichen Gerichten gegeben, da sich der Anspruch auf Aussonderung nach den Gesetzen außerhalb des Insolvenzverfahrens bestimmt und die Geltendmachung der Aussonderung sich außerhalb des Insolvenzverfahrens vollzieht2. Im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ist zum einen der allgemeine Gerichtsstand gemäß der §§ 12 ff. ZPO maßgeblich. Aufgrund der Neueinfügung des § 19a ZPO bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand des Insolvenzverwalters für die Insolvenzmasse betreffende Klagen nach dem Sitz des Insolvenzgerichts, wobei sich dessen örtliche Zuständigkeit ihrerseits nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Insolvenzschuldners bzw. dem Ort seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt (§ 3 InsO). Es handelt sich hierbei aber nicht um einen ausschließlichen Gerichtsstand3. Als besondere Gerichtsstände für die Aussonderungsklage kommen daher daneben auch der dingliche Gerichtsstand (§ 24 ZPO) sowie der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) in Betracht4. Der Aussonderungsanspruch kann auch Handelssache im Sinne von § 95 Nr. 1 GVG sein.
117
Gegner des Aussonderungsbegehrens ist der Insolvenzverwalter5. Diesem stehen als Beklagter alle Einwendungen und Einreden gegenüber dem geltend gemachten Anspruch zu, zu deren Erhebung auch der Schuldner berechtigt wäre.
118
Ferner kann der Aussonderungsanspruch auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gesichert werden, beispielsweise dadurch, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO beantragt wird, mit dem Ziel, dem Verwalter die Verwertung des Aussonderungsgutes zu untersagen6.
119
Der Aussonderungsanspruch kann im Rahmen eines Prozesses auch einredeweise geltend gemacht werden7.
120
Ferner steht dem Aussonderungsberechtigten für den Fall, dass der Insolvenzverwalter einen Aussonderungsgegenstand im Wege der Zwangsvollstreckung verwertet, auch das Recht zu, Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO zu erheben und gegebenenfalls nach §§ 771 Abs. 3, 769 ZPO per einstweiliger Anordnung eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu beantragen8.
121
1 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 51; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 6. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 107; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 473; vgl. auch BayObLG v. 17. 1. 2003 – 1 Z AR 162/02, ZIP 2003, 541. 3 BayObLG v. 17. 1. 2003 – 1 Z AR 162/02, ZIP 2003, 541. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 107. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 109; Smid, InsO, § 47 Rz. 4. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 113; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 64. 7 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 403. 8 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 113.
Drees/J. Schmidt
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§7 122
Rz. 122
Beratung des gesicherten Gläubigers
Außer der die Grenzen des § 87 InsO außer Acht lassenden Befugnis, das Aussonderungsrecht geltend zu machen, stehen dem Aussonderungsberechtigten keine weitergehenden Rechte zu. Insbesondere ist es ihm untersagt, für den Fall, dass sich der Insolvenzverwalter weigert, das Aussonderungsgut herauszugeben, zur Selbsthilfe in Form eines Rechts auf eigenmächtige Wegnahme des Aussonderungsguts zu greifen, was sowohl für die Zeit vor als auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt1. Ohne die Zustimmung des Verwalters ist es dem Aussonderungsberechtigten verwehrt, die Geschäftsräume des Insolvenzschuldners zum Zwecke des Aufsuchens, der Besichtigung oder der Sicherung und Herausnahme des Aussonderungsobjekts zu betreten. Im Gegensatz zur eigenmächtigen Wegnahme und Verwertung von Gegenständen, die mit einem Absonderungsrecht belastet sind, macht sich der Aussonderungsberechtigte insoweit jedoch nicht schadensersatzpflichtig2. Übersicht – Möglichkeiten gerichtlicher Durchsetzung von Ansprüchen auf Aussonderung
122a
–
Herausgabeklage,
–
Zwangsvollstreckung aus dem Herausgabetitel gemäß §§ 883 ff. ZPO,
–
Grundbuchberichtigungsanspruch gemäß § 894 BGB, insbesondere gerichtet auf Löschung des Insolvenzvermerks,
–
Klage auf Feststellung des geltend gemachten dinglichen oder persönlichen Rechts,
–
Unterlassungsanspruch gemäß §§ 12, 1004 BGB,
–
Vorläufiger Rechtsschutz, beispielsweise gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO,
–
Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO und
–
Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 771 Abs. 3, 769 ZPO
cc) Kosten der Aussonderung 123
Die Kosten, die dem Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit dem Aussonderungsverfahren im weiteren Sinne, häufig aber auch bereits im Vorfeld durch die Verwahrung, Ermittlung und Feststellung des Aussonderungsgutes sowie die Erteilung von Auskünften entstehen, fallen der Masse zur Last. Der Verwalter führt insoweit kein fremdes, sondern ein eigenes Geschäft als herausgabepflichtiger Besitzer und damit ein in seinem Pflichtenkreis liegendes Rechtsgeschäft. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich dagegen entschieden, die Aussonderungsberechtigten mit einem Kostenbeitrag zu belasten3. Die Regelungen der §§ 170, 171 InsO sind insoweit eindeutig formuliert und bestimmen die Erhebung eines Kostenbeitrags nur für die Feststellung und Verwer1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 97; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 58. 2 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 58. 3 Vgl. Begr. zu § 195 des RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 180 f.
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 125
§7
tung von Absonderungsrechten. Damit kommt ein Kostenerstattungsanspruch der Insolvenzmasse gegenüber dem Aussonderungsberechtigten ohne eine gesonderte Vereinbarung – die auf freiwilliger Basis jederzeit möglich ist – nicht in Betracht1. Gleiches gilt für die Aufwendungen, die der Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Sicherung und Aufbewahrung der Aussonderungsobjekte tätigt. Auch diese sind umfänglich von der Insolvenzmasse zu tragen2.
! Hinweis für den Insolvenzverwalter bei Vereinbarung eines Kostenbeitrages: Mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BFH, nach der die bei einer freihändigen Grundstücksveräußerung vereinbarte Massebeteiligung eine umsatzsteuerpflichtige Leistung darstellt, besteht eine rechtliche Unsicherheit darüber, ob auch die mit einem Aussonderungsgläubiger vereinbarte Kostenbeteiligung eine umsatzsteuerpflichtige Leistung darstellt. Aufwendungen, die andererseits dem Aussonderungsberechtigten im Rahmen der Abholung des Aussonderungsgutes entstehen, kann dieser im Insolvenzverfahren als nachrangige Forderung entsprechend § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend machen3.
123a
124
dd) Die Ersatzaussonderung Die Aussonderungsbefugnis im Insolvenzverfahren bezieht sich immer auf einen konkreten Gegenstand und geht deshalb unter, sobald sich der belastete Gegenstand nicht mehr in der Insolvenzmasse befindet4. Da das Recht auf die Gegenleistung bzw. diese selbst schuldrechtlich gesehen dem Insolvenzschuldner oder der Insolvenzmasse zusteht, wäre der ursprünglich Berechtigte bei Verfügungen des Insolvenzschuldners auf die quotenmäßige Befriedigung seines Bereicherungsanspruchs, bzw. bei Verfügungen des Insolvenzverwalters auf die Geltendmachung eines Masseanspruchs nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 InsO verwiesen5. Die unberechtigte Verfügung würde sich daher zugunsten der Insolvenzgläubiger auswirken, obwohl diesen eigentlich nur ein Recht auf Befriedigung aus der legal vorhandenen Soll-Masse zusteht. Deswegen verleiht die Vorschrift § 48 InsO dem schuldrechtlichen Erstattungsanspruch für den Fall Aussonderungskraft, dass –
ein Gegenstand, dessen Aussonderung von einem Dritten hätte verlangt werden können
–
vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzschuldner oder
–
danach seitens des Insolvenzverwalters
–
unberechtigt veräußert wird.
1 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 277 (278 f.); Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 60; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 104 f. 2 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 43 Rz. 70i; a.A. Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 3 b, cc. 3 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 47 Rz. 67. 4 BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550); Ganter, NZI 2005, 1 (2). 5 Hierzu grundlegend Ganter, NZI 2005, 1 ff. und Ganter/Bitter, ZIP 2005, 93 ff.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 126
Beratung des gesicherten Gläubigers
Der aussonderungsberechtigte Gläubiger wird vor der Vereitelung seines Aussonderungsrechts geschützt, indem sich das Aussonderungsrecht gemäß § 48 InsO ersatzweise an der erhaltenen Gegenleistung bzw. dem Anspruch auf diese fortsetzt. Mit dem Begriff der Veräußerung werden alle Verfügungen erfasst, die einen Rechtsverlust des Berechtigten am Aussonderungsgut auslösen1, so dass entsprechendes selbstverständlich auch bei der unberechtigten Einziehung von fremden Forderungen gilt2. Auch in diesem Fall setzt sich das Aussonderungsrecht als Ersatz gemäß § 48 InsO an der Gegenleistung oder dem Anspruch auf sie fort3. Dadurch soll dem zuvor Aussonderungsberechtigten ein möglichst vollwertiger Ersatz für sein vereiteltes Recht verschafft werden. 126
Demnach kann der Berechtigte die vertragliche Gegenleistung kraft Gesetzes aussondern, wenn ein individuell bestimmter Gegenstand vom Schuldner oder dem Insolvenzverwalter unberechtigt entgeltlich veräußert wurde, der anderenfalls aufgrund eines bestehenden Aussonderungsrechts hätte ausgesondert werden können. Voraussetzung ist, dass der Veräußerung eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zugrunde liegt, die nicht notwendigerweise wirksam sein muss4. Veräußerungen in diesem Sinne sind neben dem bereits erwähnten Forderungseinzug (Rz. 125) auch Einzahlungen fremder Gelder auf ein Bankkonto oder Eigentumsverlust durch Verbindung, Vermengung oder Vermischung, soweit diese Vorgänge in Ausführung eines Rechtsgeschäfts erfolgen. Demgegenüber stellen rein tatsächliche Verhaltensweisen wie Verbindungen, Vermischungen oder Verarbeitungen keine Veräußerung im Sinne der in Rede stehenden Vorschrift dar5. Die bloße Nutzung ist wie auch die Beschädigung und Zerstörung von Aussonderungsgut ebensowenig eine Veräußerung6.
127
Folglich kann der Ersatzaussonderungsberechtigte
128
–
solange die Gegenleistung noch aussteht, von dem Insolvenzverwalter die Abtretung des Gegenleistungsanspruchs nach § 48 Satz 1 InsO verlangen7 oder
–
die Herausgabe der Gegenleistung verlangen, wenn diese bereits zur Insolvenzmasse erbracht wurde und noch individualisierbar in dieser Masse vorhanden ist8.
Voraussetzung für die Geltendmachung des Ersatzaussonderungsanspruchs ist demnach, entsprechend der Aussonderung selbst, dass die Gegenleistung noch 1 2 3 4 5
Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 7. OLG Stuttgart v. 24. 10. 2001 – 9 H 28/01, ZInsO 2002, 85. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 6; Smid/Gundlach, InsO, § 48 Rz. 31. So die h.M., vgl. Büchler, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 9. Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 25; Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 8. 6 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 24; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 45. Ist die Abtretung eines Anspruchs auf die Gegenleistung – zum Beispiel wegen eines Abtretungsverbots – nicht möglich, so kann nur die Gegenleistung selbst ausgesondert werden, sobald sie unterscheidbar in die Insolvenzmasse gelangt, vgl. Ganter, NZI 2005, 1 (6). 8 BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550).
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Drees/J. Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 129a
§7
unterscheidbar in der Masse weilt1. Dies ist bei einer Gegenleistung in Form einer Geldzahlung z.B. dann der Fall, wenn –
diese entweder getrennt von dem übrigen Bargeld oder auf einem Sonderkonto2 verwahrt wird; hieran fehlt es insbesondere bei der Einziehung von Bargeld in die Kasse des Schuldners3 oder auch des Insolvenzverwalters4.
–
diese auf ein laufendes Konto des Insolvenzverwalters bzw. ein seiner Verfügung unterliegendes Konto des Schuldners gelangt ist, da bei Beendigung des Kontokorrents die Aussonderungsfähigkeit aufgrund der einzelnen Buchungsvorgänge und Belege gegeben ist5. Dies gilt nach überwiegender Ansicht auch dann, wenn es zwischenzeitlich zu weiteren Zahlungsausgängen oder -eingängen kam bzw. ein periodischer Rechnungsabschluss auf dem Konto erfolgte6. Gleiches gilt für Zahlungen auf das vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingerichtete Anderkonto, da seine Sicherungsaufgabe gerade die Einziehung fremder Gelder und Forderungen umfasst7.
Voraussetzung für die Unterscheidbarkeit ist allerdings, dass das Konto eine ausreichende, sprich eine den Aussonderungsbetrag übersteigende Deckung aufweist8. Denn bei einem debitorisch geführten Konto kann mangels Gegenleistung nicht ausgesondert werden, da die Bank die Gutschrift sofort mit dem dortigen Sollsaldo verrechnet9. Eine Aussonderung wegen eines bloßen Geldsummenanspruchs kennt die Rechtsordnung nicht10. Daraus ergibt sich weiterhin, dass die Ersatzaussonderungsmöglichkeit nur bis zur Höhe des in der folgenden Zeit niedrigsten Saldos besteht11, die spätere Wiederauffüllung des Kontos durch anderweitige Gutschriften lässt den Anspruch hingegen nicht wieder aufleben12. Gleiches gilt für die Anfechtung einer Verrechnung; auch diese lässt einen Ersatzaussonderungsanspruch nicht wiederaufleben13.
129
Streitig ist, ob die Unterscheidbarkeit auch dann entfällt, wenn Zahlungen auf ein kreditorisches Schuldnerkonto geleistet und dort in das Kontokorrent ein-
129a
1 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 24 ff; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 27; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 48 Rz. 14. 2 BGH v. 17. 9. 1998 – IX ZR 300/97, ZIP 1998, 1805; BGH v. 11. 3. 1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626. 3 OLG Köln v. 25. 8. 2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151. 4 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 28. 5 BGH v. 15. 11. 1988 – IX ZR 11/88, ZIP 1989, 118; BGH v. 11. 3. 1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626; Krull, InVo 2000, 257 (258); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 1.258. 6 BGH v. 11. 3. 1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627 f.); Krull, InVo 2000, 257 (259). 7 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 29. 8 So genannte Bodensatztheorie, vgl. hierzu v. 11. 3. 1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627 f.) m. Anm. Canaris, EWiR 1999, 707. Zur jüngeren Rechtsprechung vgl. BGH v. 24. 6. 2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550); OLG Hamm v. 7. 10. 2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 ff. m. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2003, 75 (76). 9 OLG Hamm v. 7. 10. 2003 – IX ZR 154/03, ZInsO 2004, 97. 10 OLG Köln v. 25. 8. 2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151 (152). 11 BGH v. 19. 1. 2006 – IX ZR 154/03, ZInsO 2006, 493. 12 BGH v. 11. 3. 1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627 f.); Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 62. 13 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 23 und 26.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 129b
Beratung des gesicherten Gläubigers
gestellt werden1. Entsprechend dem zuvor Gesagten (Rz. 128) bejaht der BGH einen Ersatzaussonderungsanspruch, soweit die Gutschrift durch Belege feststellbar und nicht durch Abbuchungen verbraucht ist2; für die Höhe der Ersatzaussonderung ist der niedrigste Tagessaldo nach Gutschrift maßgeblich. 129b
Ist eine Unterscheidbarkeit hingegen nicht mehr zu verzeichnen, erlischt das Ersatzaussonderungsrecht und dem Berechtigten verbleibt nur noch ein als Masseanspruch geltend zu machender Bereicherungsanspruch gegenüber der Masse oder ein Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter3.
130
Soweit die unberechtigte Veräußerung des Sicherungsgegenstandes nicht nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter stattgefunden hat und damit nicht die Voraussetzungen einer Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO gegeben sind, wird der Berechtigte regelmäßig nicht mehr vorrangig befriedigt, sondern auf eine einfache Insolvenzforderung verwiesen.
131
Da auch bereits der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis im Insolvenzeröffnungsverfahren („starker vorläufiger Insolvenzverwalter“) dazu in der Lage ist, Aussonderungsrechte durch Verfügungen über der Aussonderung unterliegende Gegenstände zu vereiteln, muss § 48 InsO dem Gläubiger in entsprechender Anwendung auch in diesem Fall ein Ersatzaussonderungsrecht zugestehen4. Dass teilweise sogar eine unmittelbare Anwendung des § 48 InsO vertreten wird, ist lediglich von akademischem Interesse5. Veräußerungen durch einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter können eine Ersatzaussonderung nicht begründen, weil sie unwirksam sind und der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis nicht geschützt wird6.
132
Der Umfang des Ersatzaussonderungsanspruchs bezieht sich auf die tatsächlich seitens des Insolvenzschuldners oder Insolvenzverwalters erzielte Höhe der Gegenleistung einschließlich eines möglicherweise erzielten Gewinns7.
133
Bei einer unberechtigten Veräußerung einer Sachgesamtheit steht dem Aussonderungsberechtigten ein Anspruch in Höhe des auf den Aussonderungsgegenstand entfallenden Anteils der Gegenleistung zu8.
1 Zu diesem Streitstand vgl. Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 27. 2 BGH v. 19. 1. 2006 – IX ZR 154/03, ZInsO 2006, 493. 3 BGH v. 11. 3. 1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627); Krull, InVo 2000, 257 (258); Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 48 Rz. 12 f. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 5; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 48 Rz. 19; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 48 Rz. 28. 5 Ganter, NZI 2005, 1 (6). 6 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 48 Rz. 23; Ganter, NZI 2005, 1 (7), der ausdrücklich nicht an der früher vertretenen (Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 48 Rz. 14) Anwendung festhält. 7 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 67; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 48 Rz. 25. 8 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 48 Rz. 15 f.; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 69.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 137
§7
Tritt an die Stelle des ursprünglichen Aussonderungsguts im Wege der dinglichen Surrogation1 ein anderer Gegenstand, findet § 48 InsO keine Anwendung. Der Ersatzgegenstand wird in diesen Fällen nicht Eigentum des Insolvenzschuldners, sondern steht ohnehin weiter dem ursprünglich Berechtigten zu, so dass dieser nach § 47 InsO zur Aussonderung berechtigt ist. Dies ist gemeint, wenn gesagt wird, eine dingliche Surrogation schließe die Ersatzaussonderung gerade aus2.
134
III. Absonderungsfragen 1. Die Absonderung Nachdem die außerordentliche Zunahme der Mobiliarsicherheiten nach h.M. ganz erheblich zu dem Funktionsverlust des Konkursrechts beigetragen hatte, bildete die Behandlung der Mobiliarsicherheiten einen Schwerpunkt der Insolvenzrechtsreform. Die Reformbestrebungen zielten darauf ab, die gesicherten Gläubiger stärker in das Insolvenzverfahren einzubinden und auch die absonderungsberechtigten Gläubiger an den Kosten des Verfahrens, insbesondere den Kosten der Sicherheitenverwertung, zu beteiligen. Anders als die Aussonderung ist die Abwicklung der Absonderungsrechte Bestandteil des Insolvenzverfahrens und in dessen Rahmen vorzunehmen.
135
Diese Einbindung in das Insolvenzverfahren kennzeichnet zugleich den wesentlichen Unterschied zur Aussonderung: Es wird gerade nicht die Herausgabe eines Sicherungsgutes beansprucht, sondern die vorzugsweise Befriedigung aus dem Verwertungserlös des weiterhin zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstands. Der Absonderungsgegenstand gehört mithin unbestritten zum Vermögen des Insolvenzschuldners. Aufgrund seines Verwertungsrechts kann der Absonderungsberechtigte jedoch unter Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes seine Vorzugsbefriedigung aus einem bestimmten Massegegenstand verlangen und damit außerhalb der allgemeinen Verfahrensbeschränkungen und quotalen Ausschüttungen vor allen anderen Befriedigung aus dem Verwertungserlös des Sicherungsguts verlangen.
136
Der Verwertungserlös steht in Höhe der offenen Forderung, für die das Absonderungsrecht besteht, dem Absonderungsberechtigten zu. Ein etwaiger Übererlös, der nach der Verwertung des von dem Absonderungsrecht betroffenen Gegenstands und der Befriedigung des absondernden Berechtigten verbleibt, gebührt hingegen aufgrund der nach § 1247 Satz 2 BGB eintretenden dinglichen Surrogation der Insolvenzmasse und ist an den Insolvenzverwalter auszukehren, worin gerade die weitere Dazugehörigkeit des Absonderungsguts zur Insolvenzmasse zum Ausdruck kommt3. Wie das Recht der Aussonderung in der ZPO seine Parallele in der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) findet, würde
137
1 So etwa die ausdrückliche Anordnung in den §§ 1247 Satz 2, 1048 Abs. 1 Satz 2, 1287, 1370, 1473, 1646, 2019, 2041, 2111 BGB und § 92 Abs. 1 BGB. 2 Ganter, NZI 2005, 1 (2). 3 BGH v. 13. 10. 1959 – VIII ZR 186/58, NJW 1959, 2251.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 138
Beratung des gesicherten Gläubigers
die Vorzugsklage (§ 805 ZPO) in der Einzelzwangsvollstreckung der Absonderung entsprechen.
2. Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) a) Absonderungsfähige Objekte 138
Der Kreis der Absonderungsberechtigten ist in den §§ 49-51 InsO abschließend geregelt. Eine vertragliche Erweiterung des Kreises der Berechtigten ist nicht möglich. Weder dem Schuldner noch dem Insolvenzverwalter steht es zu, Absonderungsrechte zu vereinbaren oder anzuerkennen, soweit diese über die gesetzlich Vorgesehenen hinausgehen. Wem letztlich im Einzelnen ein Absonderungsrecht zukommt, ist in den insolvenzrechtlichen Regelungen nicht näher festgelegt, sondern bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften, die einer bestimmten Rechtsposition das Recht auf Befriedigung aus einem bestimmten Vermögensgegenstand zuschreiben.
! Hinweise für den Berater: 139
–
Der insolvenzrechtlichen Beratung eines gesicherten Gläubigers geht damit gedanklich und auch tatsächlich eine zivilrechtliche Beratung voraus. Gegenstand dieser Beratung ist in erster Linie die Überprüfung der Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung. Nur wirksame Sicherheitenrechte eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 49 ff., 166 ff. InsO.
–
Auch innerhalb der insolvenzrechtlichen Beratung gibt es zwingende gedankliche Vorüberlegungen. Mit der Feststellung der zivilrechtlichen Wirksamkeit ist es nicht getan. Die Geltendmachung von Absonderungsrechten setzt weiter deren Insolvenzfestigkeit voraus. Hierfür hat der Berater den Einwand der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit (§§ 129 ff. 143 Abs. 1 InsO) und die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit aus anderen Gründen, etwa gemäß § 88 InsO1 (§ 6 Rz. 155), zu überprüfen. Indizien für entsprechenden Beratungsbedarf sind die zeitliche Nähe zum Insolvenzantrag und die Vereinbarung nachträglicher Sicherheiten. Diese Fragen betreffen insbesondere die Insolvenzanfechtung und werden in § 10 behandelt. Zur anwaltlichen Beratung von Kreditinstituten vgl. § 9.
–
Die Erfolgsaussichten der Verfolgung von Absonderungsrechten können nicht ohne sorgfältige Überprüfung dieser Vorfragen beurteilt werden. Kommt es zu einer streitigen Auseinandersetzung werden Insolvenzverwalter stets bemüht sein, Wirksamkeit und Insolvenzfestigkeit anzugreifen.
1 Die so genannte Rückschlagsperre des § 88 InsO gilt für Sicherungen, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt hat. Entsprechende Sicherheiten werden mit Verfahrenseröffnung unwirksam. Betroffene Sicherheiten sind insb. die zur Absonderung berechtigenden Zwangssicherungshypotheken (Rz. 185 ff.) und Pfändungspfandrechte (Rz. 183 ff.). Zu § 88 InsO vgl. die lehrreiche Entscheidung des LG Leipzig v. 15. 12. 2004 – 1 S 5075/04, ZInsO 2005, 833 und Thietz-Bartram/Spilger, ZInsO 2005, 858.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
–
Rz. 140b
§7
Gesicherte Gläubiger sind gut beraten, diese Vorfragen auch dann zu klären, wenn die den Sicherheiten zugrunde liegende Hauptforderung noch vor dem Insolvenzantrag beglichen worden ist. Denn sollte diese Befriedigung erfolgreich angefochten werden, so leben mit der Hauptforderung sowohl akzessorische1 als auch nicht akzessorische2 Sicherheiten wieder auf3.
Innerhalb des Kreises der absonderungsberechtigten Gläubiger differenziert der Gesetzgeber danach, –
ob sich das Befriedigungsrecht auf unbewegliche Gegenstände (Rz. 141) bezieht, die der Immobiliarzwangsvollstreckung nach den §§ 864, 865 ZPO unterliegen, oder
–
ob es sich um Pfandrechte (§ 50 InsO, vgl. Rz. 150 ff.) oder ihnen gleichgestellte Rechte an beweglichem Vermögen (§ 51 InsO, vgl. Rz. 168 ff.) handelt, zu dem das Gesetz sowohl bewegliche Sachen als auch Forderungen zählt.
Grundsätzlich muss das Absonderungsrecht bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen (§ 91 Abs. 1 InsO). Das heißt jedoch nicht, dass nicht auch nach Eröffnung des Verfahrens Absonderungsrechte zur Entstehung gelangen können. Aus den §§ 91 Abs. 2 und 106 InsO ergibt sich, dass ein Absonderungsrecht in Ausnahmefällen auch noch nach dem Eröffnungszeitpunkt entstehen kann, so z.B. in dem Fall einer nach Insolvenzeröffnung eingetragenen Vormerkung, wenn –
eine bindende Bewilligung vorliegt und
–
ihre Eintragung vor dem Eröffnungszeitpunkt beantragt war4.
140
140a
Ferner kann der Insolvenzverwalter selbst noch Pfandrechte an Massegegenständen bestellen5 und Massegläubiger können durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in Massegegenstände neu Pfandrechte erwerben6. Zudem kann sich das Bezugsobjekt des Absonderungsrechts noch verändern, indem der Insolvenzverwalter selbst Verfügungen vornimmt, beispielsweise Zubehör einem Grundstück zuordnet, oder dadurch, dass ein Eigentumsvorbehalt am Zubehör erlischt. Besteht für die Hauptforderung bereits ein Absonderungsrecht, so kann der Berechtigte aus dem behafteten Gegenstand auch für die nach Verfahrenseröff-
1 BGH v. 24. 10. 1973 – VIII ZR 82/72, KTS 1974, 96. 2 OLG Frankfurt v. 25. 11. 2003 – 9 U 127/02, ZIP 2004, 271 m. Anm. Wagemann, EWiR 2004, 563 (564). Zur Vorinstanz vgl. LG Frankfurt v. 15. 8. 2003 – 17 O 370/02, ZInsO 2003, 907 m. Bspr. von Biehl, ZInsO 2003, 932 ff. 3 Ausführlich hierzu Heidbrink, NZI 2005, 363 m. zahlr. w.N. 4 BGH v. 10. 2. 2005 – IX ZR 100/03, ZInsO 2005, 370 (371). 5 Zu den Möglichkeiten der Kreditfinanzierung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren und zur insolvenzfesten Absicherung von Massekrediten durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter vgl. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 34. 6 Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 49 Rz. 4; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 49 Rz. 5.
Drees/J. Schmidt
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140b
§7
Rz. 141
Beratung des gesicherten Gläubigers
nung entstehenden Zinsen Befriedigung suchen1, obwohl es sich bei den Zinsen selbst nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur um nachrangige Insolvenzforderungen handelt. Dennoch haftet der absonderungsbelastete Gegenstand für diese Zinsen in voller Höhe. b) Immobiliarsicherheiten 141
Die Rechte selbst, die dem Berechtigten im Einzelfall ein Absonderungsrecht gewähren, sind außerhalb der InsO geregelt. Nach § 49 InsO sind Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus Gegenständen zusteht, die der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen, nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Ein Absonderungsrecht an unbeweglichen Gegenständen nach den §§ 49, 165 InsO gewähren alle in § 10 ZVG erfassten Rechte und Ansprüche, da diesen in § 10 ZVG ein Recht auf Befriedigung zugeschrieben wird, und damit vor allem –
Hypotheken,
–
Grund- und Rentenschulden,
–
Reallasten und
–
Registerpfandrechte bei eingetragenen Luftfahrzeugen und Schiffen.
142
Diesen dinglich gesicherten Gläubigern steht bereits ein Recht zur Seite, dessen gesetzlicher Inhalt ihnen ein Befriedigungsrecht an der dinglichen Sicherheit zuschreibt. Kraft ihres gesetzlichen Inhalts verschaffen diese Rechte ihren Inhabern ein Absonderungsrecht für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Sicherungsgebers. Wie sich die Rangfolge mehrerer Absonderungsberechtigter untereinander gestaltet und welcher Inhalt dem Absonderungsrecht zukommt, wird durch die §§ 10-14 ZVG bestimmt. Welche Gegenstände dabei der Immobiliarzwangsvollstreckung unterliegen ist den §§ 864, 865 ZPO i.V.m. §§ 93 ff., 1120 ff., 1265 BGB zu entnehmen.
143
Anders als den genannten Grundpfandrechten und Reallasten hat der BGH dem Vormerkungsanspruch des nachrangig besicherten Grundpfandgläubigers gemäß § 1179a BGB die Absonderungskraft versagt. Tritt der Schuldner ein vorrangiges, nicht mehr valutiertes Grundpfandrecht ab, so begründet der Vormerkungsanspruch des nachrangig gesicherten Grundpfandgläubigers gemäß § 1179a Abs. 1 BGB kein Absonderungsrecht. Gesichert ist lediglich ein künftiger Anspruch, der nicht insolvenzfest ist, da sein Entstehen allein vom Schuldner abhängt2.
1 BGH v. 5. 12. 1996 – IX ZR 53/96, NJW 1997, 522. 2 BGH v. 9. 3. 2006 – IX ZR 11/05, ZIP 2006, 1141 ff. m. Anm. Kessler, EWiR 2006, 457; anders noch die Vorinstanz OLG Köln v. 22. 12. 2004 – 2 U 103/04, ZIP 2005, 1038 ff. Vgl. auch Ganter, ZInsO 2007, 841 (849 f.). Ausführlich zu dieser Problematik und zugleich Bspr. der Entscheidung des BGH v. 9. 3. 2006 Böttcher, ZfIR 2007, 395 ff. m. umfangr. w. N.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 146b
§7
aa) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte Gegenstand von Absonderungsrechten am Immobiliarvermögen können Grundstücke (§ 864 Abs. 1 ZPO) und grundstücksgleiche Rechte (§§ 864, 870 ZPO) sein. Zu Letzteren zählen vornehmlich das Erbbaurecht, Wohnungs- und Teileigentum sowie Bergwerkseigentum1. Des Weiteren unterliegen dem Absonderungsrecht in die Luftfahrzeugrolle eingetragene Luftfahrzeuge sowie die im Schiffsregister eingetragenen Schiffe und Schiffsbauwerke2. Betroffen sind ebenso Miteigentumsanteile an Grundstücken, grundstücksgleichen Rechten, Luftfahrzeugen und Schiffen zugunsten der Gläubiger, denen nur ein Recht an einem einzelnen Miteigentumsanteil zukommt (§ 864 Abs. 2 ZPO)3.
144
bb) Umfang der Immobiliarsicherheiten Der Umfang des Absonderungsrechts des betreibenden Gläubigers bestimmt sich nach dem Inhalt des Sicherungsrechts, das dem Inhaber im Insolvenzfall das Absonderungsrecht einräumt. Dieses legt fest, aus welchen Gegenständen sich der Gläubiger vorzugsweise befriedigen darf. Die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen umfasst alle Gegenstände, auf die sich bei den genannten Grundstücksrechten und grundstücksgleichen Rechten auch ein eingetragenes Pfandrecht erstreckt (§ 865 Abs. 1 ZPO). Dabei ist die Unterscheidung zwischen der Art der Vermögensverwertung, d.h. –
Zwangsversteigerung (Rz. 146 ff.) oder
–
Zwangsverwaltung (Rz. 147 ff.)
145
für den betreibenden Gläubiger von erheblichem Interesse, da der Umfang der Beschlagnahme nicht in beiden Fällen der Gleiche ist. Der hypothekarische Haftungsverband im Rahmen der Zwangsversteigerung gemäß der §§ 865 Abs. 1 ZPO, 20 Abs. 2 ZVG, 1120 ff. BGB umfasst auch –
die von dem Grundstück getrennten Erzeugnisse und einfachen Bestandteile sowie
–
das Zubehör einschließlich der Anwartschaftsrechte am Zubehör, soweit es Eigentum des Grundstückeigners ist.
146
Nach § 1122 Abs. 2 BGB endet die Haftung des Grundstückszubehörs neben der Enthaftung bei Veräußerung (§§ 1121 Abs. 1, 1122 BGB) auch dann, wenn die Zubehörseigenschaft vor der Beschlagnahme des Grundstücks endet.
146a
Dabei muss die Änderung der Zweckbestimmung im Rahmen der aktiven und ordnungsgemäßen Bewirtschaftung erfolgen. Mithin führt allein die Betriebsstilllegung im Rahmen eines Insolvenzfalls nicht zur Enthaftung des Zube-
146b
1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 49 Rz. 6; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 49 Rz. 20. 2 Vgl. näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 49 Rz. 21 f.; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 49 Rz. 7, 9. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 23; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 49 Rz. 5.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 146c
Beratung des gesicherten Gläubigers
hörs1. Nach Ansicht des BGH2 macht sich der Insolvenzverwalter, der nach Betriebsstilllegung, aber vor Beschlagnahme des Grundstücks Zubehörteile frei veräußert und damit nicht in den Grenzen einer aktiven ordnungsgemäßen Wirtschaft verwaltet, entsprechend den §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. 1134, 1135 BGB gegenüber dem Grundpfandgläubiger ersatzpflichtig, wobei der Ausgleich als Masseschuld gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO zu erfolgen hat. 146c
Wird Vorbehaltseigentum, das zugleich Grundstückszubehör ist, verwertet, nachdem zunächst das Grundstück beschlagnahmt und im Folgenden das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Grundstückeigentümers eröffnet worden ist, steht der Erlös aus der Veräußerung des Vorbehaltsguts aufgrund des vorbehaltenen Eigentumsrechts dem Verkäufer zur Tilgung des Restkaufpreises zu. Der verbleibende Erlös als Gegenwert des Anwartschaftsrechts gebührt sodann den Grundpfandrechtsgläubigern, deren Absonderungsrecht sich auch auf das Anwartschaftsrecht an der Vorbehaltsware erstreckt und sich nach Veräußerung derselben an dessen Surrogat fortsetzt3.
146d
Wurden Zubehörsstücke vor der Grundstücksbeschlagnahme veräußert und entfernt, wodurch sie zugleich aus dem Haftungsverband fielen (§ 1121 Abs. 1 BGB), kann der Grundpfandrechtsinhaber die Veräußerung unter den Voraussetzungen der §§ 3 f., 11 AnfG anfechten, soweit er einen Ausfall erleidet4. Nach einer entsprechenden Anfechtung lebt das Absonderungsrecht wieder auf5.
146e
Der Haftungsverband bei der Zwangsversteigerung umfasst hingegen nicht die Miet- und Pachtzinsforderungen sowie wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück und Versicherungsansprüche (§§ 1123, 1126, 1127 BGB, 21 ZVG).
147
Dies ermöglicht allein eine Zwangsverwaltung, deren Beschlagnahmewirkung sich gemäß § 148 Abs. 1 Satz 1 ZVG gerade auf Miet- und Pachtzinsforderungen sowie wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück und Versicherungsansprüche erstreckt6.
147a
Ebenfalls vom Haftungsverband eines Zwangsverwaltungsverfahrens erfasst sind –
vor Begründung des Grundpfandrechts abgetretene Mietzinsansprüche; (dogmatisch entspricht dies einer Anwendung des § 1124 Abs. 2 BGB7) und
–
Ansprüche wegen rechtsgrundloser Benutzung der der Zwangsverwaltung zugrundeliegenden Sache8.
In dieser Befriedigung des betreibenden Gläubigers aus den Erträgen des Grundstücks liegt gerade der wirtschaftliche Zweck der Zwangsverwaltung. 1 BGH v. 30. 11. 1995 – IX ZR 181/94, NJW 1996, 835; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 49 Rz. 15. 2 BGH v. 21. 3. 1973 – VIII ZR 52/72, NJW 1973, 997. 3 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 47 Rz. 11g; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 49 Rz. 13 f. 4 Zur Frage der Haftung des Insolvenzverwalters vgl. OLG Dresden v. 25. 7. 2002 – 13 U 833/02, ZInsO 2003, 472 f. 5 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 49 Rz. 16. 6 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 49 Rz. 28. 7 BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 160/04, ZIP 2005, 1452. 8 BGH v. 29. 6. 2006 – IX ZR 119/04, ZInsO 2006, 822 (823 f.).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 148
§7
Nicht vom Haftungsverband der Zwangsverwaltung umfasst sind hingegen Ansprüche auf Ersatz schuldhaft nicht gezogener Nutzungen1 oder von Erträgen des (Haupt-)Mieters aus einem berechtigten Untermietverhältnis. Ist der Mieter zur weiteren entgeltlichen Überlassung der Mietsache berechtigt, so stehen grundsätzlich ihm die Erträge aus dem Untermietverhältnis zu, nicht dem Eigentümer. Eine Beschlagnahme des Grundstücks kann daher diese Forderung nicht erfassen. Gläubiger des Eigentümers haben keinen Anspruch darauf, sich aus schuldnerfremdem Vermögen zu befriedigen2. Anders ist es aber, wenn die Mieterträge nur formell dem Hauptmieter zugeordnet sind, wirtschaftlich hingegegen dem Eigentümer zustehen3.
147b
Kommt es zur Anordnung der Zwangsverwaltung über ein Grundstück, dessen mietweise Überlassung eine eigenkapitalersetzende Leistung darstellt4, so endet das Recht des Insolvenzverwalters zur unentgeltlichen Nutzung des Grundstücks mit dem Wirksamwerden der Beschlagnahme gemäß §§ 148, 152 Abs. 2, § 22 ZVG, §§ 1123, 1124 Abs. 2 BGB5. An die Stelle des Nutzungsanspruchs tritt ein Anspruch gegen den Gesellschafter auf den Wert des Nutzungsrechts. Der Ersatzanspruch setzt aber voraus, dass der Insolvenzverwalter über eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich des Grundstücks verfügt hätte. Dies gilt auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Grundstück an den Zwangsverwalter vor Ablauf der Mietzeit herausgibt6.
147c
Vor dem Hintergrund dieser Reichweite der Beschlagnahme im Zwangsverwaltungsverfahren liegt nahe, dass Miet- oder Pachterträge nur dann von der Absonderungskraft des Grundpfandrechts erfasst sind, wenn das Zwangsverwaltungsverfahren betrieben wird und dessen Beschlagnahme bereits angordnet ist.
148
Dieses Verständnis aber geht fehl. Es ist sorgsam zu differenzieren zwischen dem Entstehen und der zwangsweisen Verwertung von Absonderungsrechten: Die Absonderungskraft einer Grundschuld setzt sich stets fort an den entsprechenden Erträgen und entsteht damit auch dann, wenn noch keine Zwangsverwaltung angeordnet ist. Damit gibt die Grundpfandhaftung auch schon vor der Beschlagnahme einen hinreichenden Rechtsgrund, um die Mieten zu vereinnahmen. Der Grundpfandgläubiger ist zu diesem Zeitpunkt – so die zentrale Aussage einer in diesem Punkt grundlegenden Entscheidung des BGH vom 9. 11. 20067 – indes nicht geschützt vor Verfügungen des Eigentümers oder der Vollstreckungsgläubiger. Diesen Schutz erfährt der Grundpfandgläubiger erst mit der Beschlagnahme, durch deren Anordnung die Stellung des Grundpfandgläubigers hinsichlich der Mieten zweifelsohne gestärkt, nicht jedoch erst be1 2 3 4 5 6 7
BGH v. 29. 6. 2006 – IX ZR 119/04, ZInsO 2006, 822 (823 f.). BGH v. 29. 6. 2006 – IX ZR 119/04, ZInsO 2006, 822 (823 f.). BGH v. 4. 2. 2005 – V ZR 294/03, ZInsO 2005, 371 (372 ff.). BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, ZIP 1989, 1542 (1543). BGH v. 31. 1. 2000 – II ZR 309/98, ZIP 2000, 455 ff. BGH v. 31. 1. 2005 – II ZR 240/02, ZIP 2005, 484 (485 ff.). BGH v. 9. 11. 2006 – IX ZR 133/05, NZI 2006, 457 ff. Der BGH lehnte in dieser Entscheidung die Anfechtbarkeit der im Voraus an einen Grundpfandgläubiger abgetretenen Mieten ab, da es wegen des ohnehin schon bestehenden Absonderungsrechts an einer Gläubigerbenachteiligung fehle.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 149
Beratung des gesicherten Gläubigers
gründet wird1. Die betreffende Entscheidung des BGH ist – entgegen der mitunter geäußerten Kritik2 – sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend.
! Hinweise für Grundpfandgläubiger: 149
–
Die Umsetzung des zuvor Gesagten (Rz. 148) geht einher mit einer weiteren Grundsatzentscheidung des BGH3. In dieser wird klargestellt, dass es Grundpfandgläubigern verwehrt ist, nach Insolvenzeröffnung Mieterträge zu pfänden4. Es gilt der Vorrang der Immobiliarvollstreckung, der in § 49 InsO und § 865 Abs. 2 ZPO gesetzlich verankert ist. Entsprechende Vollstreckungsversuche sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig (§ 89 InsO). Die mit dem unbeweglichen Vermögen haftenden Gegenstände unterliegen nur so lange der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen, solange nicht ihre Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgt ist. Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht den unter Rz. 148 dargelegten Grundsätzen, wonach die Erstreckung des Absonderungsrechts auf die mithaftenden Mieten keine Beschlagnahme voraussetzt. Denn nach Verfahrenseröffnung ist die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht Entstehungsvoraussetzung, sondern Voraussetzung für die abgesonderte Befriedigung und damit Verwertungsvoraussetzung5.
–
Kreditinstitute, zu deren Gunsten der Insolvenzschuldner sein vermietetes Grundstück mit einer Grundschuld belastet hat, sind daher auch nicht berechtigt, nach Insolvenzeröffung auf dem Konto des Insolvenzschuldners eingegangene Mietzahlungen einzubehalten. Auch hier muss sich der Grundschuldgläubiger, dem zweifelsohne gemäß §§ 1123 i.V.m. § 1192 BGB auch die Mietforderungen haften, auf die Zwangsvollstreckung verweisen lassen6. Es gilt insoweit das zu der Pfändung der Mietzinsansprüche Gesagte. Der Zugriff auf das Guthaben macht die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht entbehrlich. Dem Kreditinstitut ist – wie jedem anderen Gläubiger – Selbsthilfe zur Durchsetzung seines Anspruchs versagt.
–
Kreditinstitute sind daher gut beraten, den Schuldner unter Hinweis auf die drohende Zwangsvollstreckung zu einer freiwilligen Leistung zu bewegen. Die Kreditwirtschaft spricht in einem solchen Fall von einer
1 BGH v. 9. 11. 2006 – IX ZR 133/05, NZI 2006, 457 ff. Vgl. hierzu die Auseinandersetzung von Ganter, ZInsO 2007, 841 (848 f.). 2 Mitlehner, ZIP 2007, 804 (805 f.); Wazlawik, NZI 2007, 320, 321. 3 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554. 4 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 m. Anm. Freudenberg, EWiR 2007, 281; Schuschke, BGH-Report 2006, 1320. Vgl. hierzu auch die weiteren Beschlüsse des BGH v. 26. 10. 2006 – IX ZB 155/05; BGH v. 26. 10. 2006 – IX ZB 177/05; BGH v. 21.12.2006, IX ZB 264/05, sämtlich n.v. 5 So die instruktiven Ausführungen von Ganter, ZInsO 2007, 841 (849 f.). 6 LG Stendal v. 7. 2. 2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
§7
Rz. 151
„stillen“ oder „kalten“ Zwangsverwaltung1. Eine solche Vereinbarung privilegiert und rechtfertigt den Zugriff auf die Mietzinsansprüche. Dies gilt auch für die Dauer eines Insolvenzverfahrens, sofern eine entsprechende Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter vorliegt. Gehen Kreditinstitute auf diese Weise vor, so müssen die mit einer „kalten“ Zwangsverwaltung verbundenen Anfechtungsrisiken sorgsam bedacht werden2. Insolvenzverwalter hingegen müssen bei einer solchen – auf einen Massekostenbeitrag zielenden – Vereinbarung an dessen Versteuerung denken (vgl. hierzu ausführlich unten Rz. 338 ff.). –
Andernfalls – d.h. es liegt weder eine förmliche noch eine kalte Zwangsverwaltung vor – sind Grundpfandgläubiger gemäß § 1123 Abs. 1 BGB verpflichtet, die für den Schuldner bestimmten Zahlungen des Mieters an den Insolvenzverwalter abzuführen3.
c) Mobiliarpfandrechte Während § 49 InsO die Absonderungsrechte am unbeweglichen Vermögen des Insolvenzschuldners regelt, werden in § 50 InsO die Pfandrechte an Gegenständen als so genannte „Prototypen“ der Absonderungsrechte an beweglichen Vermögensgegenständen genannt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Pfandrechte –
rechtsgeschäftlicher Natur (§§ 1204 ff., 1273 ff. BGB, vgl. Rz. 151 ff.) oder
–
gesetzlicher Natur (z.B. §§ 562, 581 Abs. 2, 592, 647 BGB, 397, 441 HGB, vgl. Rz. 160 ff.) sind.
150
aa) Rechtsgeschäftliche Pfandrechte Das rechtsgeschäftliche Pfandrecht (§§ 1204 ff. BGB) ist der klassische Fall der Begründung eines Absonderungsrechts im Fall der Insolvenz des Pfandrechtsschuldners, das allerdings aufgrund der Entwicklung des Rechts der Kreditsicherheiten seine Bedeutung zugunsten der in § 51 Nr. 1 InsO erfassten Kreditsicherungsformen eingebüßt hat. Es gewährt seinem Inhaber im Falle der Insolvenz des Pfandrechtsschuldners –
ein Recht auf abgesonderte Befriedigung
–
aus dem Pfandgut
–
wegen der Pfandforderung
–
in der geänderten Reihenfolge Hauptforderung, Zinsen, Kosten,
1 OLG Hamm v. 14. 6. 2005 – 27 U 85/04, ZInsO 2006, 776 (777); LG Stendal v. 7. 2. 2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800. Allgemein zur stillen oder kalten Zwangsverwaltung vgl. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 49 Rz. 31 m.w.N. In eine ähnliche Richtung: Förster, ZInsO 2008, 190. 2 Zu den anfechtungsrechtlichen Risiken einer kalten Zwangsverwaltung vgl. ausführlich Bräuer, ZInsO 2006, 742 ff. und OLG Hamm v. 14. 6. 2005 – 27 U 85/04, ZInsO 2006, 776 ff. 3 LG Stendal v. 12. 1. 2005 – 21 O 293/04, ZInsO 2005, 614 (615).
Drees/J. Schmidt
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151
§7
Rz. 152
Beratung des gesicherten Gläubigers
soweit das Pfandrecht an einem Massegegenstand wirksam und insolvenzfest bestellt worden ist. Wegen seiner Akzessorietät erfordert seine wirksame Bestellung die Sicherung einer gegenwärtigen, zukünftigen oder bedingten Forderung, wobei es bei der Sicherung zukünftiger und bedingter Forderungen erst mit dem vollständigen Entstehen der verpfändeten Forderung Bestand erlangt. 152
Ein rechtsgeschäftlich bestelltes Pfandrecht, das seinem Inhaber im Falle der Insolvenz ein Absonderungsrecht gewähren soll, kann –
sowohl an einem beweglichen Gegenstand (Rz. 153 ff.) als auch
–
an übertragbaren Rechten und Forderungen (Rz. 155 ff.) bestellt werden (§§ 1204 ff., 1273 ff., 1279 ff. BGB)1.
(1) Pfandrechte an Sachen 153
An beweglichen Sachen entsteht das Pfandrecht durch –
Einigung zwischen dem Pfandrechtsschuldner und dem Pfandrechtsgläubiger und
–
Übertragung des unmittelbaren Besitzes (§ 1205 f. BGB).
Die Pfandrechtsbestellung auf der Grundlage eines Besitzkonstituts ist nicht möglich. Mithin kann eine Verpfändung ohne Publizitätsakt nur zugunsten des unmittelbaren Besitzers erfolgen. Auch nach den Regelungen der ZPO können unpfändbare Sachen im Sinne von § 811 ZPO rechtsgeschäftlich verpfändet werden. Zubehörsgegenstände beweglicher als auch unbeweglicher Sachen sind im Zweifel nach § 311c BGB mit der Hauptsache verpfändet. Sie können aber als selbständige Sache (§ 97 BGB) auch unabhängig von der Hauptsache verpfändet werden. Nach der Trennung von der Hauptsache sind auch Erzeugnisse verpfändbar, soweit sie nicht nach den §§ 1120 ff. BGB der vorrangigen Haftung für Grundpfandrechte unterliegen. 154
Soweit dem Gläubiger für seine Forderung gegen den Insolvenzschuldner ein Pfandrecht an einem massefremden Gegenstand zukommt, kann er bezogen auf seine persönliche Forderung in voller Höhe verhältnismäßige Befriedigung aus der Masse verlangen, ohne Beschränkung auf den Ausfall (§ 52 InsO). Im Hinblick auf seinen Ausfall kann er sich sodann aufgrund seines Pfandes an den Pfandrechtsschuldner halten2. (2) Pfandrechte an Rechten und Forderungen
155
Die Bestellung eines Pfandrechts an Rechten folgt den Übertragungsvorschriften für das betreffende Recht (§ 1274 BGB). Besonderheiten bei der Pfandrechtsbestellung an Rechten bestehen für die Übertragung von
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 4; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 6. 2 Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 8.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 157
§7
–
Grundschulden und Hypotheken (§§ 1154, 1192 BGB),
–
Erbanteilen (§§ 2033 ff. BGB),
–
GmbH-Anteilen (§§ 15 Abs. 3, 17 GmbHG),
–
Gebrauchsmustern (§ 22 GebrMG),
–
Geschmacksmustern (§ 3 GeschmMG), Marken und Kennzeichen (§§ 27, 29 MarkenG), Patenten (§ 15 PatG)1
–
Wertpapieren im Depot (§§ 4,12 DepotG)2 und
–
Order- und Inhaberpapieren (§§ 1292, 1293 BGB). Das hieran bestellte Pfandrecht erstreckt sich aber nur dann auch auf die Zins-, Renten- und Gewinnanteilsscheine, wenn sie dem Pfandgläubiger mit übergeben wurden (§ 1296 BGB)3.
Wurde das Pfandrecht an einem Recht wirksam bestellt, kann der Pfandgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Pfandschuldners abgesonderte Befriedigung aus dem sicherungshalber übertragenen Recht gemäß § 50 Abs. 1 InsO beanspruchen4. Soweit das Pfandrecht an einer Forderung bestellt werden soll (§ 1279 BGB), ist –
die Einigung über die Pfandrechtsbestellung sowie
–
die Pfandanzeige des Pfandgebers an den Drittschuldner (§ 1280 BGB) Voraussetzung für eine wirksame Bestellung.
156
Ein häufiges Beispiel für die Verpfändung einer Forderung gemäß § 1279 BGB ist die Verpfändung einer Lebensversicherungsforderung (hierzu Rz. 159 und zur Aus- bzw. Absonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte Rz. 45, 159). Größere wirtschaftliche Bedeutung hat die Verpfändung von Forderungen aufgrund der AGB-Banken bzw. AGB-Sparkassen zur Sicherung von Forderungen der Banken gegen ihre Kunden5. Gemäß Nr. 14 AGB-Banken bzw. Nr. 21 AGBSparkassen6 dienen der Bank alle in ihrem Besitz befindlichen Sachen und Rechte des Kunden für ihre Ansprüche gegen diesen als Vertragspfand. Zu diesen Pfandgegenständen zählen auch die Forderungen, die dem Kunden selbst gegenüber der Bank aus der bankmäßigen Geschäftsbeziehung zustehen, da die 1 Vgl. zur Bewertung und Verwertung gewerblicher Schutzrechte Häfele/Wurzer, DZWIR 2001, 282 ff. 2 Vgl. näher Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 21 ff.; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 50 Rz. 10 f. Auf die Einzelheiten von Pfandrechten an Aktien zur Sicherung von Krediten zu Zwecken der Unternehmensfinanzierung soll hier nicht weiter eingegangen werden. Vgl. hierzu insb. Berger, ZIP 2007, 1533 ff., der im Ergebnis völlig zu Recht auch für Pfandrechten an Aktien keine Ausnahme davon macht, dass § 166 InsO dem Insolvenzverwalter bei verpfändeten Rechten gerade keine Verwertungsbefugnis einräumt, und der Pfandgläubiger gemäß § 173 Abs. 1 InsO zur Verwertung berechtigt ist. 3 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 19. 4 Zu den Fällen einer Vorauspfändung vgl. OLG Frankfurt v. 28. 3. 2007 – 23 U 297/05, ZIP 2007, 1670 m. Anm. Mitlehner, EWiR 2008, 81. 5 Vgl. hierzu näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 8. 6 Beide in der Fassung von 1993.
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157
§7
Rz. 158
Beratung des gesicherten Gläubigers
Bank nach Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 AGB-Banken (Nr. 21 Abs. 1 Satz 2 AGB-Sparkassen) auch an diesen, gegen sich selbst gerichteten Forderungen, ein Pfandrecht erwirbt. Voraussetzung für die Entstehung dieses Vertragspfandes ist allerdings, dass die Bank dem Insolvenzschuldner bereits vor Eröffnung des Verfahrens etwas schuldet, da sie nur so an dem gegen sich gerichteten Anspruch ein Pfandrecht erwerben kann (zur Anfechtbarkeit von vertraglich – auch durch AGB – vereinbarten Pfandrechten vgl. § 10 Rz. 67). 158
Das Pfandrecht an einer Forderung erstreckt sich auch auf die anlaufenden Zinsen (§ 1289 BGB)1. Das Absonderungsrecht des Pfandrechtsinhabers an einer Forderung kann durch eine im Insolvenzverfahren erklärte Aufrechnung nicht unterlaufen werden2. (3) Pfandrecht an Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen
159
Die Verpfändung von Lebensversicherungen bzw. der Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag hat in der Vergangenheit an Bedeutung gewonnen und darf als übliches Kreditsicherungsmittel angesehen werden. Die Verpfändung begründet ein Absonderungsrecht gemäß § 50 Abs. 1 InsO.
159a
Die praktisch wichtigste Konstellation in diesem Zusammenhang ist die Verpfändung der Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag, den Arbeitgeber zugunsten von Arbeitnehmern üblicherweise abschließen, um eine Versorgungszusage diesen gegenüber rückzuversichern.
159b
Grundvoraussetzung, um auf diese Weise ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zu erlangen, ist die Anzeige der Verpfändung beim Versicherer gemäß § 11 ALB. Unterbleibt sie, ist die Verpfändung unwirksam.
159c
Eine Verpfändung ist weiter auch dann unwirksam, wenn an den Ansprüchen aus der Lebensversicherung ein unwiderrufliches Bezugsrecht besteht (vgl. hierzu oben Rz. 45). Dann sind die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag dinglich der Vermögensmasse eines Dritten zuzuordnen. Zwar bleibt der Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherungsvertrages; er behält weiterhin das Dispositionsrecht über den Vertrag und kann diesen damit kündigen oder ihn in eine prämienfreie Versicherung umwandeln. Er kann aber nicht mehr über den Anspruch auf die Versicherungsleistungen verfügen, weshalb dann auch eine Verpfändung ins Leere geht3.
159d
Wurden die Ansprüche aus der Lebensversicherung wirksam und auch insolvenzfest verpfändet, kann der Pfandgläubiger das Pfandrecht dann selbst einziehen, wenn der gesicherte Versorgungsanspruch wegen Eintritts des beschriebenen Versorgungsfalls fällig ist (§§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2 BGB)4. Ob dies der Fall ist, muss vom Insolvenzverwalter regelmäßig überprüft werden, da der Versorgungsfall in den allermeisten Fällen gerade noch nicht eingetreten ist. 1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 18. 2 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 5. 3 OLG Frankfurt v. 10. 5. 2006 – 23 U 113/05, 997; Prölls/Martin/Kollhosser, VVG, 27. Aufl. 2004, Rz. 7. 4 BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (385).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 161
§7
Mit der Konsequenz, dass das Verwertungsrecht dem Insolvenzverwalter zusteht. Dies war lange Zeit ungeklärt, entspricht aber seit der Entscheidung des BGH vom 7. 4. 2005 der Rechtspraxis. Rechtliche Grundlage des Verwertungsrechts ist § 80 Abs. 1 InsO und nicht etwa § 166 Abs. 2 InsO oder § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO. Der verwertungsberechtigte Verwalter muss daher den Erlös aus der Einziehung der Ansprüche in Höhe der gesicherten Versicherungsforderung zurückbehalten und vorrangig hinterlegen, bis die Versorgungsforderung fällig wird oder die Bedingung ausfällt (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO)1. Anders verhält es sich mit der Verwertung, soweit durch eine Rückdeckungsversicherung Versorgungsansprüche nach dem BetrAVG rückgedeckt sind. Dann besteht eine Eintrittspflicht des Pensionsversicherungsvereins nach § 7 BetrAVG, wodurch die jeweiligen Versorgungsansprüche als unbedingte und fällige Forderungen im Sinne des § 41 Abs. 1 InsO geltend gemacht werden können. Kraft dieser gesetzlichen Fiktion tritt bereits mit Verfahrenseröffnung die Verwertungsreife ein2.
159e
bb) Gesetzliche Pfandrechte Gesetzliche Pfandrechte entstehen kraft gesetzlicher Sondervorschriften aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses zugunsten des Gläubigers an Sachen und Rechten zur Sicherung seiner Forderung. Ein gesetzliches Pfandrecht entsteht z.B. zugunsten des –
Hinterlegers am hinterlegten Gut bzw. der Rückerstattungsforderung (§ 233 BGB);
–
Vermieters oder Verpächters an eingebrachten Sachen des Mieters bzw. Pächters, soweit diese pfändbar sind (§§ 562, 581 Abs. 2 BGB);
–
Landverpächters an eingebrachten Sachen und Früchten (§ 592 BGB);
–
Unternehmers an hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen (§ 647 BGB);
–
Gastwirts an eingebrachten Sachen des Gastes (§ 704 BGB)3.
Darüber hinaus sind gesetzliche Pfandrechte im HGB vorgesehen, so die gewöhnlichen wie z.B. das gesetzliche Pfandrecht zugunsten des –
Kommissionärs am Kommissionsgut (§ 397 HGB); zu möglichen Aussonderungsrechten des Kommissionärs siehe oben Rz. 83;
–
Frachtführers am Frachtgut (§ 441 HGB);
–
Spediteurs am Speditionsgut (§ 464 HGB);
–
Lagerhalter am Lagergut (§ 475b HGB) etc4.
1 BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (385). 2 Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1584 ff. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 13; Smid, InsO, § 50 Rz. 7; Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 43. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 13; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 16 ff.; Smid, InsO, § 50 Rz. 7.
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161
§7
Rz. 162
Beratung des gesicherten Gläubigers
162
Voraussetzung für das wirksame Entstehen des Absonderungsrechts ist allerdings auch hier, dass das Pfandrecht bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein muss, denn auch insoweit ist § 91 InsO einschlägig1. Ist das Pfandrecht kraft Gesetzes wirksam entstanden, begründet es für den Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners nach § 50 Abs. 1 3. Alt. InsO ein Absonderungsrecht zugunsten des Pfandgläubigers. Gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO ist der Pfandgläubiger vorweg aus dem Erlös zu befriedigen (zu dieser Kostenregelung vgl. unten Rz. 317 ff.).
163
Das Pfandrecht des Vermieters bzw. Verpächters dient der Sicherung bereits entstandener Forderungen aus dem Miet- bzw. Pachtverhältnis2. Umstritten war lange Zeit, ob auch Rückstände aus der Zeit des vorläufigen Insolvenzverfahrens insolvenzfest gesichert sind. Teilweise wurde dies mit Rücksicht auf § 91 InsO abgelehnt. Dem ist der BGH jüngst völlig zu Recht entgegen getreten und hat das Vermieterpfandrecht auch auf solche Rückstände erstreckt3. Maßgeblich sei allein der Zeitpunkt der Einbringung des Pfandgegenstandes. Erfolgte diese außerhalb des anfechtungsrelevanten Zeitraums und damit insolvenzfest, so seien auch Rückstände im vorläufigen Insolvenzverfahren gesichert.
164
Zu den gesicherten Ansprüchen gehören neben dem vertraglich geschuldeten Mietzins/Pachtzins auch die Nebenkosten sowie Ansprüche wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Miet- oder Pachtsache oder wegen Zahlungsverzugs etc. (vgl. hierzu auch § 8 Rz. 174 ff.). Verwertet der Verwalter eingebrachte Sachen des Schuldners in Unkenntnis des Vermieter- bzw. Verpächterpfandrechts, so setzt sich das Pfandrecht im Wege der Ersatzabsonderung an dem Veräußerungserlös fort, solange der Erlös unterscheidbar in der Masse vorhanden ist4 (vgl. hierzu Rz. 371 ff.).
! Hinweise für die Beratung des Vemieters5: –
165
Beim Vermieter- und Verpächterpfandrecht gilt die Sonderregelung in § 50 Abs. 2 InsO, welche die Ausübung des Absonderungsrechts des Vermieters und Verpächters aufgrund des ihnen erwachsenen gesetzlichen Pfandrechts beschränkt6. Hiernach deckt das Pfandrecht lediglich offene Miet- und Pachtzinsforderungen aus den letzten zwölf Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mieters bzw. Pächters. Zwar entfaltet § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO keine materielle Wirkungskraft in der Weise, dass für die weiter zurückliegende Zeit das
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 13; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 6. 2 Vgl. hierzu eingehend Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 15 ff.; Tetzlaff, NZI 2006, 87 (89 ff.). 3 BGH v. 14. 12. 2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 m. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2007, 185 f. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 31; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 22; Ganter, NZI 2005, 1 (8 f.). 5 Ausführlich zu den Rechten des Vermieters in der Mieterinsolvenz Tetzlaff, NZI 2006, 88 ff. 6 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 90; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 63.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 166
§7
Vermieter- bzw. Verpächterpfandrecht nicht mehr besteht. Jedoch begründet es eine Ausübungssperre1. Bei einer Konkurrenz mit anderen Absonderungsrechten gilt die Zwölfmonatsfrist nicht2. Zu beachten ist ferner die Gegenausnahme in § 50 Abs. 2 Satz 2 InsO bei der Verpachtung eines landwirtschaftlichen Grundstücks. –
Zur besseren Durchsetzung des Vermieterpfandrechts gewährt die Rechtsprechung dem Vermieter einen umfassenden Auskunftsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter3. Dieser besteht während des gesamten Zeitraums der Verfahrensabwicklung einschließlich der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Rechtliche Grundlage ist insoweit § 50 Abs. 1 InsO oder § 167 Abs. 1 InsO, wobei der BGH die genaue Einordnung offen lässt. Insolvenzverwalter sind gut beraten, Erlöse aus der Verwertung der dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Gegenstände an den Vermieter auszukehren. Andernfalls entstehen nicht nur Ersatzabsonderungs- und als Masseforderungen zu befriedigende Bereicherungsansprüche (hierzu unten Rz. 371), sondern auch Haftungsansprüche nach § 60 Abs. 1 InsO, da es zu den insolvenzspezifischen Pflichten gehört, Verwertungserlöse an die Absonderungsberechtigten auszukehren4.
–
Ebenso wenig ist der Insolvenzverwalter berechtigt, Erlöse aus dem Vermieterpfandrecht auf Masseforderungen des Vermieters anzurechnen. Ein Tilgungsbestimmungsrecht steht dem Verwalter insoweit nicht zu5. Die Verrechnung zwischen der durch das Vermieterpfandrecht gesicherten Forderung und dem Erlös erfolgt ipso iure, ohne dass Raum für eine Tilgungsbestimmung bleibt.
–
Darüber hinaus können sich der Vermieter oder Verpächter im Fall der eröffneten Insolvenz über das Vermögen des Mieters bzw. Pächters neben ihrem gesetzlichen Pfandrecht an den seitens des Mieters bzw. Pächters eingebrachten Gegenständen auch aus der Mietkaution abgesondert befriedigen, soweit die Vereinbarung zwischen ihnen und dem Mieter bzw. Pächter eindeutig als Pfandrechtsbestellung oder Sicherungsabtretung zu deuten ist6.
Ferner gewährt § 157 VVG dem Gläubiger wegen eines ihm gegen den Schuldner erwachsenden Schadensersatzanspruchs ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung, die dem Schuldner als Versicherungsnehmer gegen seine Versicherungsgesellschaft zusteht und mit in die Insol1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 26 f.; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 90. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 26 f.; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 90. 3 BGH v. 4. 12. 2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326 m.w.N. und Anm. Pape, EWiR 2004, 349 f. 4 Pape, EWiR 2004, 349 (350). 5 LG Darmstadt v. 21. 1. 2005 – 2 O 296/04, ZIP 2005, 456. 6 Vgl. hierzu ausführlich Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 28 ff.
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§7
Rz. 167
Beratung des gesicherten Gläubigers
venzmasse fällt1. Die Ansprüche geschädigter Dritter in der Insolvenz des Versicherungsnehmers sind einem gesetzlichen Pfandrecht an der Entschädigungsforderung gleichgestellt. Das Absonderungsrecht entsteht mit Eröffnung des Verfahrens und besteht bis zum Eintritt des Versicherungsfalls unabhängig vom Lauf des Insolvenzverfahrens fort. 167
Der Versicherungsfall kann daher auch erst nach Eröffnung oder nach Abschluss des Verfahrens eintreten, ohne das die Rechtsposition des geschädigten Dritten beeinträchtigt wird2. Entsprechend eines Pfandrechtsinhabers können die Geschädigten abgesonderte Befriedigung aus dieser Forderung verlangen, ohne dass es nach der Feststellung des Haftpflichtanspruchs gegenüber dem Insolvenzverwalter noch einer Pfändung der Forderung aus dem Haftpflichtverhältnis bedürfte. Vielmehr kann der Haftpflichtgläubiger analog § 1282 BGB den Entschädigungsanspruch des Versicherungsnehmers unmittelbar gegen den Versicherer geltend machen3. d) Besitzlose Mobiliarsicherheiten
168
Die im Wirtschaftsleben bedeutendste Gruppe der Absonderungsrechte stellen die den Pfandrechten in § 51 InsO gleichgestellten sonstigen Absonderungsrechte dar. Von vorrangiger praktischer Bedeutung sind hier die in § 51 Nr. 1 InsO aufgeführte(n) –
Sicherungsübereignung (Rz. 169 ff.),
–
Sicherungszession (Rz. 175 ff.) sowie
–
die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts (Rz. 179 ff.)
zu nennen. aa) Sicherungsübereignung 169
Die Sicherungsübereignung stellt den Hauptanwendungsfall der eigennützigen Treuhand dar. Im Rahmen einer Sicherungsübereignung übereignet der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer eine Sache zum Zwecke der Absicherung einer Forderung. Die Übergabe erfolgt im Wege der Einräumung mittelbaren Besitzes an den Sicherungsnehmer (§ 930 BGB). Der Sicherungsnehmer wird dadurch Vollrechtsinhaber, seine rechtlichen Befugnisse sind jedoch durch die Sicherungsabrede beschränkt, d.h., er darf auf das Sicherungsgut nur in den vertraglich vereinbarten Fällen Zugriff nehmen, in der Regel daher dann, wenn die Forderungen, zu deren Besicherung die Sicherungsübereignung erfolgte, nicht bedient werden.
1 Zur Möglichkeit der Freigabe des Deckungsanspruchs gegen Haftpflichtversicherung vgl. OLG Nürnberg v. 12. 12. 2007 – 12 U 195/07, ZIP 2008, 435. 2 Siehe hierzu näher Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 33; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 239. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 43; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 238.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 173
§7
Wird über das Vermögen des Sicherungsgebers das Insolvenzverfahren eröffnet, so tritt der vertragliche Sicherungsfall ein und das Sicherungseigentum erweist sich wirtschaftlich als besitzloses Pfandrecht. Daher wird dem Sicherungsnehmer trotz seiner formalen Eigentümerstellung – im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung außerhalb des Insolvenzverfahrens, in deren Rahmen die formale Eigentümerstellung des Sicherungsnehmers durch die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage im Sinne von § 771 ZPO umfassend respektiert wird – aufgrund der bloßen Sicherungsfunktion der Eigentumsübertragung in der Insolvenz des Sicherungsgebers nur ein Absonderungsrecht zuerkannt1.
170
Der sicherungshalber übereignete Gegenstand gehört damit zwar nach der materiellen Eigentumslage nicht zu dem Vermögen des Schuldners. Aufgrund der besonderen insolvenzrechtlichen Haftungslage wird die sicherungsübereignete Sache im Insolvenzverfahren aber als dem Schuldnervermögen zugehörig betrachtet. Aus denselben Gründen gewährte die h.M. dem Sicherungseigentümer auch bereits unter dem Geltungsbereich der KO nur ein Absonderungsrecht2. Diese Handhabe wurde durch § 51 Nr. 1 InsO gesetzlich manifestiert. Das Sicherungseigentum wird mithin in der Insolvenz wie ein besitzloses Pfandrecht behandelt (§ 51 Nr. 1 InsO).
171
Aufgrund des ihm bestellten Sicherungseigentums steht dem Gläubiger zwar ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus diesem Gegenstand zu, er ist jedoch nicht dazu berechtigt, den Gegenstand von dem Insolvenzverwalter herauszuverlangen, da dem Verwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO das alleinige Recht zur Verwertung des Sicherungsguts zukommt (vgl. Rz. 270 ff.), soweit er die Sache – wie beim Sicherungseigentum in der Regel der Fall – in seinem Besitz hat.
172
In den praktisch seltenen Fällen der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Sicherungsnehmers kann der Sicherungsgeber das Sicherungsgut aussondern3. Der Einräumung eines Aussonderungsrechts für den Sicherungsgeber im Insolvenzfall des Sicherungsnehmers liegt die Annahme zugrunde, dass die dingliche Übertragung des Volleigentums von der schuldrechtlichen Sicherungsabrede so stark überlagert wird, dass ihr eine quasi dingliche Wirkung zukommt, die in der Insolvenz des Sicherungsnehmers entgegen der formalen Rechtslage und unter Durchbrechung des Abstraktionsprinzips zu der Entstehung eines Aussonderungsrechts führt4. Die Durchsetzung des Aussonderungsrechts durch den Sicherungsgeber setzt natürlich voraus, dass die gesicherte Forderung zurückgeführt wurde oder der Sicherungszweck in sonstiger Weise entfallen ist. Insoweit besteht eine vollständige Parallele zur Einzelzwangsvollstreckung, wo der Sicherungsgeber neben dem faktischen Schutz bei beweglichen Sachen durch § 809 ZPO im Falle einer Vollstreckung durch anderwei-
173
1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 4; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 2; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 5. 2 Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 13a; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 9. 3 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 4; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 2. 4 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 29.
Drees/J. Schmidt
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741
§7
Rz. 174
Beratung des gesicherten Gläubigers
tige Gläubiger des Sicherungsnehmers die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO bis zum Eintritt der Verwertungsreife erheben kann.
! Hinweis: Ist das Sicherungseigentum ausnahmsweise in den Besitz eines Dritten gelangt, z.B. ein zur Sicherheit übereignetes Kraftfahrzeug in den Besitz eines Reparaturbetriebs und wird über das Vermögen des Dritten das Insolvenzverfahren eröffnet, so ist der Sicherungseigentümer wie bei gewöhnlichem Dritteigentum zur Aussonderung berechtigt1. Die treuhänderische Sicherungsabrede ist schuldrechtlicher Natur und entfaltet daher im Verhältnis zu außen stehenden Dritten keine Wirkung. Aufgrund seiner Stellung als formaler Eigentümer der Sache kann der Sicherungsnehmer gegenüber dem insolvent gewordenen Dritten daher ein Aussonderungsrecht im Sinne von § 47 InsO geltend machen. Dem Sicherungsgeber steht in diesen Fällen regelmäßig daneben aufgrund eines ihm zustehenden obligatorischen Herausgabeanspruchs, z.B. aus Vermietung, Leihe, Verwahrung oder ähnlichen Rechtsverhältnissen, ebenfalls ein Anspruch auf Aussonderung im Hinblick auf das Sicherungsgut zu2.
174
bb) Sicherungszession 175
Bei der Sicherungszession wird zur Sicherung einer Forderung im Gegensatz zur Sicherungsübereignung nicht das Eigentum an einem Vermögensgegenstand übertragen, sondern ein Recht sicherungshalber abgetreten. Zumeist handelt es sich um ein Recht an einer Forderung, die der Sicherungsnehmer im Sicherungsfall sodann gegenüber dem Drittschuldner realisieren kann. Die Sicherungszession erfolgt regelmäßig –
in Form einer Globalzession (Rz. 176) oder
–
im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts (Rz. 179)
Auch die Sicherungszession wird gemäß § 51 Nr. 1 InsO wie ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht behandelt. Damit steht dem Rechtsinhaber ebenfalls kein Recht auf Abtretung der Forderung zur Einziehung zu, sondern lediglich ein Recht auf abgesonderte und damit vorzugsweise Befriedigung aus der sicherungshalber abgetretenen Forderung3. (1) Globalzession 176
Einen Sonderfall der Sicherungszession stellt die so genannte Globalzession dar. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Gläubiger zu Sicherungszwecken bereits zukünftige Forderungen des Schuldners abtreten lässt. Diese müssen zur Wirksamkeit der Globalzession bereits im Zeitpunkt ihrer globa1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 2; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 51 Rz. 9. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 2; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 51 Rz. 11; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 51 Rz. 9. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 32; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 4; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 5.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 176d
§7
len Abtretung ausreichend bestimmbar, d.h., im Zeitpunkt ihrer Entstehung nach –
Gläubiger,
–
Schuldner und
–
Rechtsgrund einwandfrei ermittelbar sein.
Regelmäßig handelt es sich hierbei um eine stille Zession, die den Zedenten nach §§ 185 Abs. 1, 362 Abs. 3 BGB zur Einziehung der abgetretenen Forderungen im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ermächtigt und dem Drittschuldner gegenüber nicht angezeigt wird. Die Einziehungsbefugnis für die still zedierten Forderungen verliert der sicherungsgebende Globalzedent nicht automatisch durch Eintritt der wirtschaftlichen Krise, durch Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder durch Anordnung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen, sondern erst –
mit dem ausdrücklichen und wirksamen Widerruf der Ermächtigung oder aber
–
spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (siehe hierzu unten Rz. 232 ff.).
176a
! Hinweis: Zahlt der jeweilige Kunde auf die Forderung, erlöscht diese mit Wirkung gegenüber der Zessionarin (§§ 362 Abs. 1, 407 Abs. 1 BGB)1. Den hiermit verbundenen Verlust der Sicherheit können entsprechend gesicherte Gläubiger nur vermeiden, wenn sie die Abtretung offen gelegt, d.h. die Einziehungsbefugnis widerrufen und die Forderung selbst eingezogen haben. Der Versuch, für den Eintritt der wirtschaftlichen Krise des Sicherungszedenten formularvertraglich den Widerruf auszusprechen, dürfte an einer Inhaltskontrolle scheitern2.
176b
Globalzessionen eines Kreditinstituts sind landläufig bereits dann unwirksam, wenn sie dem Grunde nach auch solche Forderungen erfassen, die aufgrund branchenüblichen Eigentumsvorbehalts den Gläubigern der Kunden zustehen3. Nach früherer Rechtsprechung war eine Globalzession auch dann nichtig, wenn sie nicht mit einer ermessensunabhängigen Freigabeklausel ausgestattet war und keine bestimmte Deckungsobergrenze enthielt. Nach der grundlegenden Änderung in der Rechtsprechung im Bereich der revolvierenden Globalsicherheiten, die auch auf die Globalzessionen Anwendung findet, sind diese nunmehr auch ohne Freigabeklausel, Deckungsgrenze und Bewertungsklausel zur Vermeidung einer nachträglichen Übersicherung wirksam4.
176c
Die Unwirksamkeit der Globalzession kann sich auch daraus ergeben, dass der Schuldner durch die Zession sein gesamtes Vermögen überträgt und so für sei-
176d
1 BGH v. 6. 4. 2006 – IX ZR 185/04, ZInsO, 544 (545 f.) m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 ff.; Beiner/Luppe, NZI 2005, 15 ff. 2 Ganter, ZInsO 2007, 841 f. m. zahlr. w. N. 3 BGH v. 8. 10. 1986 – VIII ZR 342/85, BGHZ 98, 303 ff. 4 Vgl. hierzu BGH v. 27. 11. 1997 – GSZ 1 und 2/97, WM 1998, 227.
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§7
Rz. 176e
Beratung des gesicherten Gläubigers
nen wirtschaftlichen Zusammenbruch sorgt. So ist ein Vertrag, durch den ein Schuldner sein letztes zur Gläubigerbefriedigung taugliches Vermögen einem bestimmten Gläubiger überträgt, regelmäßig sittenwidrig, wenn dadurch gegenwärtige oder künftige Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden und beide Vertragspartner bei dieser Täuschung zusammengewirkt haben1. Einem Zessionar obliegt hierbei die Prüfung der Auswirkung der Zession auf das Vermögen des Zedenten. Unterlässt er diese gebotene Prüfung, so trifft ihn der Vorwurf, sich leichtfertig über die Gefährdung anderer Gläubiger durch Kredittäuschung hinweggesetzt zu haben2. 176e
Kollidieren die Globalzession zu Gunsten einer Bank und die zeitlich nachfolgende Globalzession zu Gunsten eines Vermieters, gilt das Prioritätsprinzip. Wirksam ist lediglich die zeitliche frühere Abtretung; die zeitlich spätere geht ins Leere. Die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit einer Globalzession bei Kollision mit einer zeitlich nachfolgenden Forderungsabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts kann auf diesen Sachverhalt zweier reiner Globalzessionen nicht übertragen werden3.
176f
Die wirksame Globalzession verschafft ihrem Sicherungsnehmer aufgrund ihrer Sicherungsfunktion ebenfalls kein Aussonderungsrecht, sondern lediglich ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus den abgetretenen Forderungen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 InsO4.
176g
Exkurs zur Bedeutung der Sicherungsabtretung als Kreditsicherungsmittel –
Geldkreditgeber sichern ihren Rückzahlungsanspruch typischerweise durch Globalzession mit Vorausabtretung5. Die Bedeutung der Globalzession ist durch eine vom OLG Karlsruhe6 in Gang gesetzte Rechtsprechung in Frage gestellt worden. In nahezu sämtlichen Insolvenzverfahren, an denen durch Globalzessionen abgesicherte Kreditinstitute beteiligt sind, stellt sich die Frage, ob diese an dem Erlös aus dem Forderungseinzug, der innerhalb des Drei-Monats-Zeitraums erzielt worden ist, auf der Grundlage der vereinbarten Globalzession ein insolvenzfestes Absonderungsrecht erlangt haben.
–
Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob die von Seiten des Kreditinstituts vorgenommenen Verrechnungen als kongruent oder inkongruent anzusehen sind. Im Fall einer Einordnung der Verrechnungen als inkongruent würde die Abtretung der erleichterten insolvenzrechtlichen Anfechtung gemäß § 131 Abs. 1 InsO unterliegen. Genau dies vertritt das OLG Karlsruhe. In seinen drei Grundsatzentscheidungen7 geht der
1 BGH v. 16. 3. 1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668 ff. 2 BGH v. 16. 3. 1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668 ff. Im Anschluss daran OLG Brandenburg v. 25. 11. 2004 – 11 U 220/98. 3 BGH v. 14. 7. 2004 – XII ZR 257/01, WM 2005, 378 = NJW 2005, 1192 m. zust. Anm. Mordhorst, EWiR 2005, 691 f. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 25. 5 Beiner/Luppe, NZI 2005, 15 ff. m. zahlr. w. N. 6 OLG Karlsruhe v. 8. 4. 2005 – 14 U 200/03, ZIP 2005, 1248. 7 BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183; BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372 m. Anm. Kudes, ZIP 2008, 289.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 177b
§7
BGH aber nunmehr von der Kongruenz entsprechender Verrechnungen aus (hierzu ausführlich § 9 Rz. 88 f. und § 10 Rz. 127 ff.)1. (2) Sicherungsabtretung im Rahmen von Kautionsversicherungsverträgen Ansprüche von Kautionsversicherern in der Insolvenz des Versicherungsnehmers sind Gegenstand einer Reihe kürzlich ergangener Entscheidungen2. Im Vordergrund steht eine Entscheidung des BGH, wonach Prämienansprüche –
für die Zeit nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Versicherungsnehmers
–
vom Kautionsversicherer nicht insolvenzfest vereinbart oder gesichert werden können3.
177
Kautionsversicherer lassen sich regelmäßig zur Sicherung der Ansprüche aus dem Kautionsversicherungsvertrag Festgeldguthaben abtreten. Als Geschäftsbesorgungsverträge erlöschen Kautionsversicherungsverträge gemäß § 116 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers. Prämienansprüche nach Verfahrenseröffnung sind mit Rücksicht auf § 91 InsO nur dann abgesichert, wenn sie von der erwähnten Sicherungsabtretung erfasst sind. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die Prämienansprüche bereits vor Verfahrenseröffnung begründet worden wären. Dies aber – so der BGH – sei nicht der Fall und lasse sich auch nicht durch analoge Anwendung des § 41 InsO rechtfertigen4.
177a
Für die Kautionsversicherungspraxis ist diese Rechtsprechung ein immenses Problem. Das OLG Dresden hat jüngst versucht, einen Weg zur insolvenzfesten Absicherung aufzuzeigen, indem es als den durch die Abtretung gesicherten Anspruch nicht den Prämienanspruch des Versicherers, sondern dessen Regressanspruch nach § 774 BGB ansieht. Denn dieser sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung5 bereits mit der Bürgschaftsübernahme entstanden und stehe lediglich unter der für § 91 InsO unschädlichen aufschiebenden Bedingung der Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen6. Folglich sei eine insolvenzfeste Absicherung gewährleistet. Ob dies einer Überprüfung durch den BGH standhalten wird, bleibt abzuwarten. Die Revision ist anhängig unter dem Aktenzeichen IX ZR 14/07.
177b
1 Vgl. hierzu ausführlich Blum, ZInsO 2007, 528 ff. und Runkel/Kuhlemann, ZInsO 2007, 1094; im Sinne der Entscheidung des BGH v. 29. 11. 2007: LG Bielefeld v. 7. 8. 2007 – 6 O 167/07, ZIP 2007, 1764 ff. m. Anm. Freudenberg, EWiR 2008, 57; vgl. auch Jacoby, ZIP 2008, 385 ff. 2 BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781; BGH v. 18. 1. 2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543; OLG Dresden v. 11. 1. 2007 – 13 U 2119/05, EWiR 2007, 309 (nicht rechtskräftig) m. Anm. Stahlschmidt, EWiR 2007, 309. 3 BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781; BGH v. 18. 1. 2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543. 4 BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781. 5 BGH v. 6. 11. 1989 – II ZR 62/89, ZIP 1990, 53. 6 OLG Dresden v. 11. 1. 2007 – 13 U 2119/05, EWiR 2007, 309 (nicht rechtskräftig) m. Anm. Stahlschmidt, EWiR 2007, 309.
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§7
Rz. 178
Beratung des gesicherten Gläubigers
(3) Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen 178
178a
Neben der Globalzession hat sich die Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen in der Kreditsicherungspraxis als probates Sicherungsmittel etabliert. Nicht anders als bei der Globalzession (Rz. 176) gilt bei entsprechender Besicherung in erster Linie der Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung das Hauptaugenmerk. Hierbei sind insbesondere folgende Gesichtspunkte zu bedenken: –
Es entspricht bankvertraglicher Praxis, sich zur Kreditfinanzierung Ansprüche aus Lebensversicherungen sicherungshalber abtreten zu lassen. Wie bei der rechtsgeschäftlichen Verpfändung solcher Ansprüche (Rz. 159) ist die Anzeige der Abtretung bei der Versicherung gemäß § 11 ALB Wirksamkeitsvoraussetzung.
–
Eine Abtretung scheidet per se aus, wenn einem Dritten an den Leistungen aus dem Versicherungsvertrag ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden ist. Hat sich der Versicherungsnehmer nicht vorbehalten, unter bestimmten Voraussetzungen den Anspruch aus der Versicherung selbst geltend zu machen, geht eine Sicherungsabtretung ins Leere (vgl. oben Rz. 159)1.
–
Ist eine Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung verbunden, so können weder die Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung noch das Recht zur Kündigung der Lebensversicherung abgetreten werden2. Dies ergibt sich aus der Unpfändbarkeit entsprechender Ansprüche gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 400 BGB3. Sind in einer Sicherungsabtretung gleichwohl alle Rechte aus dem Versicherungsvertrag abgetreten worden, so kann die Übertragung der Forderungen aus dem Lebensversicherungsvertrag nach § 139 BGB wirksam sein. Aus der Einheit von Hauptversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung kann nicht ohne Weiteres auf die Gesamtnichtigkeit der Abtretungsvereinbarung geschlossen werden4.
–
Außerhalb eines Insolvenzverfahrens würde im Sicherungsfall der Sicherungsnehmer die Lebensversicherung kündigen und den Rückkaufswert vereinnahmen, sobald Verwertungsreife vorliegt5.
–
Kommt es zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers, so steht das Verwertungsrecht hinsichtlich solcher sicherungszedierter Anspüche gemäß § 166 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Aus dem Einziehungsrecht folgt der Anspruch auf die Kostenpauschalen gemäß §§ 170, 171 InsO (siehe hierzu ausführlich unten Rz. 317 ff.).
Komplizierter ist die Rechtslage, wenn der Versicherungsnehmer (Insolvenzschuldner) lediglich die im Todesfall bestehenden Ansprüche zur Sicherheit ab1 2 3 4
OLG Frankfurt v. 10. 5. 2006 – 23 U 113/05, ZInsO 2006, 997 (998). OLG Hamm v. 16. 3. 2006 – 27 U 118/05, ZInsO 2006, 878 ff. Stöber in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 850b Rz. 2 m.w.N. OLG Hamm v. 16. 3. 2006 – 27 U 118/05, ZInsO 2006, 878 ff; OLG Köln v. 25. 3. 1996 – 5 U 148/95, VersR 1998, 222; a.A. OLG Jena v. 19. 5. 2000 – 5 W 129/00, VersR 2000, 1005. 5 Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1587 f.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 179
§7
getreten hat1. Der Versicherungsnehmer kann im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit über seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verfügen2; auf dieser Grundlage beschränken Versicherungsnehmer eine Abtretung aus den genannten Gründen oftmals auf Ansprüche „für den Todesfall“. In Fällen solcher inhaltlich beschränkten Abtretungserklärungen ist in der Insolvenz des Versicherungsnehmers regelmäßig die Berechtigung zur Einziehung des Rückkaufswerts streitbefangen: Steht sie dem Insolvenzverwalter oder dem Zessionar zu?
178b
Entscheidend ist, ob die Abtretung die Ansprüche auf den Rückkaufswert mitumfasst. Tut sie es, so besteht das beschriebene (Rz. 159) Absonderungsrecht. Ergibt sich aus der Abtretungsurkunde, dass eine Abtretung des Rückkaufswertes nur mit Abtretung der Erlebensfallansprüche erfolgt, diese aber nicht erfolgt ist, steht der Rückkaufswert zweifelsohne der Insolvenzmasse in voller Höhe zu3. Kann der Abtretungsurkunde auch nach gebotener (ergänzender) Vertragsauslegung nicht eindeutig entnommen werden, ob die Ansprüche auf den Rückkaufswert mitabgetreten worden sind, gebühren diese dem Zessionar4. Denn aus § 176 Abs. 1 VVG ergibt sich, dass der Anspruch auf den Rückkaufswert den Ansprüchen auf den Todesfall zuzuordnen ist, sofern sich eine Abweichung hiervon nicht ausdrücklich oder konkludent ergibt5. Dient die Beschränkung der Abtretung der Vermeidung steuerlicher Nachteile, geht der BGH davon aus, dass der Anspruch auf den Rückkaufswert nicht von der Abtretung erfasst ist6. cc) Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt Der Sicherungsübereignung in ihren insolvenzrechtlichen Auswirkungen gleichzusetzen sind die Verlängerungsformen des Eigentumsvorbehalts. Während der einfache Eigentumsvorbehalt den Vorbehaltsverkäufer nach h.M. zur Aussonderung der Vorbehaltsware berechtigt (vgl. hierzu Rz. 29 ff.), schreibt die h.M. den Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts nur ein Absonderungsrecht zu, sobald der Verlängerungs- oder Erweiterungsfall eingetreten ist7. Solange also 1 Dies ist aus steuerlichen Gründen in der Praxis der Kreditsicherung durchaus üblich. Nach § 10 Abs. 2 EStG greift das Abzugsverbot bei einem steuerschädlichen Finanzierungseinsatz von Lebensversicherungen ein, wenn die Versicherungsansprüche während ihrer Dauer im Erlebensfall der Tilgung oder Sicherung eines Darlehens dienen, dessen Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind. Ebenso wird die Steuerfreiheit der Erträge aus Lebensversicherung versagt (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 EStG). Die Abtretung auch der Erlebensfallansprüche kann daher zu einer Nachversteuerung führen (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 EStG). 2 OLG Hamburg v. 8. 11. 2007 – 9 U 123/07, ZIP 2008, 33 (34). 3 OLG Dresden v. 2. 12. 2004 – 13 U 1569/04, ZIP 2005, 631; OLG Düsseldorf v. 25. 8. 2006, ZInsO 2006, 1270. 4 BGH v. 13. 6. 2007, ZIP 2007, 1375; BGH v. 18. 6. 2003 – IV ZR 59/02, NJW 2003, 2679; OLG Celle v. 23. 6. 2005 – 16 W 54/05, ZInsO 2005, 890. 5 OLG Celle v. 23. 6. 2005 – 16 W 54/05, ZInsO 2005, 890. 6 BGH v. 13. 6. 2007, ZIP 2007, 1375. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 47 Rz. 21, § 51 Rz. 14 f.; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 17 ff.
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179
§7
Rz. 179a
Beratung des gesicherten Gläubigers
–
die ursprüngliche Kaufpreisforderung noch offen und
–
der Käufer noch im Besitz der unverarbeiteten Sache ist,
kann der Verkäufer in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers sein Eigentum aussondern. Erst mit Eintritt des „Erweiterungsfalls“ wandelt sich das Recht des Verkäufers auf Aussonderung in ein Recht auf Absonderung um. Ab diesem Zeitpunkt kommt dem vereinbarten Eigentumsvorbehalt wirtschaftlich nur noch die Funktion eines Pfandrechts zu. 179a
Beim verlängerten Eigentumsvorbehalt erstreckt sich die Sicherung des Verkäufers auch auf künftige Vermögenswerte, die an die Stelle der unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sache treten. Der Verkäufer und der Schuldner vereinbaren für den Fall des Erlöschens des Vorbehaltseigentums, z.B. durch Verbindung, Vermischung oder gestattete Weiterveräußerung, die Sicherung des Anspruchs durch die neue Sache bzw. die daraus entstehende Forderung anstelle des bedingt verkauften Gegenstands. Dies geschieht in der Regel durch die Vereinbarung einer sog. Verarbeitungsklausel. Vom einfachen Eigentumsvorbehalt unterscheidet sich der verlängerte daher dadurch, dass an die Stelle der gelieferten Sache eine andere Sache bzw. eine Forderung quasi als Ersatzsicherheit tritt.
179b
Bereits nach früherem Konkursrecht wurde der Lieferant aufgrund seines verlängerten Eigentumsvorbehalts nicht als Aussonderungsberechtigter, sondern als zur Absonderung Berechtigter betrachtet1. Dies beruhte darauf, dass der Verkäufer die entstandene Sache bzw. Forderung nicht behalten, sondern sie lediglich zu Sicherungszwecken nutzen will. Es liegt praktisch ein Fall der antizipierten Sicherungszession vor, die dem Verkäufer nunmehr nach § 51 Nr. 1 InsO ein Absonderungsrecht gewährt.
! Hinweis: 179c
Ausschlaggebend ist mithin auch hier die im Vordergrund stehende Sicherungsfunktion des verlängerten Eigentumsvorbehalts, die den Berechtigten nach § 51 Nr. 1 InsO nur noch zur Absonderung, sprich zur Vorabbefriedigung aus dem Verwertungserlös berechtigt.
179d
Der erweiterte Eigentumsvorbehalt, der in verschiedenen Formen auftreten kann, dehnt den Eigentumsvorbehalt über die Bedingung der Kaufpreiszahlung hinaus auf anderweitige Kaufverträge und Forderungen aus. D.h., dass das vorbehaltene Eigentum nicht bereits mit Bezahlung des auf die Sache bezogenen Kaufpreises, sondern erst nach Begleichung weiterer Verbindlichkeiten auf den Käufer übergehen soll. Der Eigentumsvorbehalt wird mithin auf alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen aus der Geschäftbeziehung erstreckt, bis diese beglichen worden sind (Saldo- oder Kontokorrentvorbehalt)2.
179e
Insolvenzrechtlich sind auch hier die folgenden zwei Situationen zu unterscheiden: 1 BGH v. 9. 12. 1970 – VIII ZR 52/69, WM 1971, 71; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 24a. 2 Vgl. hierzu Putzo in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 449 Rz. 19; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 14 f.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 183
§7
–
Hat der Käufer im Insolvenzfall die Kaufpreisforderung noch nicht vollständig beglichen, so liegt noch der Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts vor, der dem Verkäufer ein Aussonderungsrecht an der unter Vorbehalt veräußerten Sache zubilligt.
–
Ist hingegen die ursprüngliche Kaufpreisforderung bereits erloschen und die Bedingung nur deshalb noch nicht eingetreten, weil noch weitere offene Forderungen nicht getilgt wurden, so dient der Kaufgegenstand jenseits des einfachen Eigentumsvorbehalts als Sicherungsgut für eine mit ihm nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende, vertragsfremde Forderung. Damit handelt es sich im wirtschaftlichen Sinne nunmehr um Sicherungseigentum des Verkäufers. Aufgrund seines Sicherungszwecks kommt diesem erweiterten Eigentumsvorbehalt ebenfalls nur absondernde Kraft zu1 (zur Stellung des Vorbehaltsverkäufers bzw. -käufers in der Insolvenz vgl. im Übrigen § 8 Rz. 144 ff.).
e) Widerrufliches Bezugsrecht an Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen Durch die Einräumung eines lediglich widerruflichen Bezugsrechts hat der Bezugsberechtigte bis zum Eintritt des Versorgungsfalls weder einen Anspruch aus einem Versicherungsvertrag (§ 166 Abs. 2 VVG) noch eine sonstige gesicherte Rechtsposition erworben2. Der Bezugsberechtigte besitzt lediglich eine mehr oder weniger starke tatsächliche Aussicht auf den Erwerb eines zukünftigen Anspruchs und erhält erst mit Eintritt des Versicherungsfalls einen rechtlich gesicherten Anspruch. Der Versicherungsnehmer kann die Bezugsberechtigung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls auf sich oder Dritte umleiten.
180
In der Insolvenz des Versicherungsnehmers steht dieses Widerrufsrecht dem Insolvenzverwalter zu. Hiervon macht er durch Zahlungsbegehren auf den Rückkaufswert Gebrauch mit der Konsequenz, dass der Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt3. Es bedarf weder eines ausdrücklichen Widerrufs4 noch einer ausdrücklichen Kündigungserklärung.
181
Mit Eintritt des Versicherungsfalls wird das widerrufliche Bezugsrecht unwiderruflich. Allerdings vermag dies nicht den Erwerb eines Absonderungsrechts zu begründen, da mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Erwerbsverbot gemäß § 91 InsO greift, so dass auch bei Eintritt des Versicherungsfalls während des Insolvenzverfahrens der Anspruch auf den Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt5.
182
f) Pfändungspfandrechte, Zwangssicherungshypotheken und Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse Das Pfändungspfandrecht entsteht gemäß § 804 ZPO durch Pfändung aus zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen vollstreckbaren Titeln. An beweglichen 1 2 3 4 5
Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 51 Rz. 15; vgl. auch BT-Drucks. 12/2443, S. 125. BGH v. 22. 3. 1984 – IX ZR 69/83, WM 1984, 817 (818). BGH v. 7. 4. 2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 ff. LG Hamburg v. 7. 1. 2005 – 303 O 31/04, ZInsO 2005, 725 f. Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1575.
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183
§7
Rz. 184
Beratung des gesicherten Gläubigers
Sachen erfolgt die Pfändung nach den §§ 808 ff. ZPO, an Forderungen und anderen Vermögensrechten nach den §§ 828 ff. ZPO. Soweit ein Gegenstand zum Zwecke der Befriedigung eines Gläubigers der Verfügungsbefugnis des Schuldners entzogen und sichergestellt wurde, erwirbt der Gläubiger an diesem Gegenstand nach § 804 ZPO ein Pfändungspfandrecht, welches dem rechtsgeschäftlichen Pfandrecht des § 50 Abs. 1 1. Alt. InsO nach § 804 Abs. 2 ZPO gleichgestellt ist. 184
Da während des Insolvenzverfahrens nach § 89 InsO Vollstreckungsmaßnahmen nicht mehr zulässig sind, muss das Pfandrecht durch eine Vollstreckungsmaßnahme vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam entstanden sein1. Damit müssen zur wirksamen Entstehung des Pfändungspfandrechts bzw. Absonderungsrechts auch der Pfändungsbeschluss und die Titelzustellung vor dem Veräußerungsverbot bewirkt worden sein. Lediglich beim Arrestpfandrecht kann die Zustellung des Arrestbefehls gemäß § 929 Abs. 3 ZPO auch nach der Verfahrenseröffnung nachgeholt werden2.
185
Zusätzlich muss die Rückschlagsperre des § 88 InsO beachtet werden. Hiernach sind im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherungen unwirksam, wenn sie innerhalb des letzten Monats vor dem Insolvenzantrag erlangt worden sind. Entsprechende Vollstreckungsgläubiger sind daher nur dann insolvenzfest gesichert, wenn das Pfändungspfandrecht spätestens einen Monat vor der Antragstellung zur Entstehung gelangt ist3.
! Hinweise zur Bedeutung der Rückschlagsperre für Absonderungsberechtigte: –
Bei der Pfändung künftiger Forderungen muss die Entstehung des Pfändungspfandrechts besonders kritisch geprüft werden. Denn das Pfandrecht entsteht nicht bereits mit der Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner, sondern erst mit der späteren Entstehung der Forderung. Das Pfändungspfandrecht als Sicherung i.S.d. § 88 InsO ist daher erst dann erlangt, wenn die Forderung entsteht. Liegt dieser Zeitpunkt im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag, ist die Sicherung nicht insolvenzfest; sie wird mit Eröffung des Insolvenzverfahrens ipso iure unwirksam4.
–
Ein vergleichbares Problem stellt sich für den Beginn der Monatsfrist bei einer Sicherungshypothek mit Grundbucheintragung. Das LG Bonn meint, die Frist des § 88 InsO beginne erst mit der Grundbucheintragung und nicht bereits mit dem Eingang eines beanstandungsfreien Ein-
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 43; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 66; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 10. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 43; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 10. 3 Zu § 88 InsO vgl. die lehrreiche Entscheidung des LG Leipzig v. 15. 12. 2004 – 1 S 5075/04, ZInsO 2005, 833. Vgl. weiter Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 43; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 50 Rz. 66; Thietz-Bartram/ Spilger, ZInsO 2005, 858. 4 BGH v. 12. 4. 2005 – VII R 7/03, ZInsO 2005, 888 (889 f.).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 185
§7
tragungsantrags beim Grundbuchamt1. Erst mit Grundbucheintragung sei die Sicherung im Sinne des § 88 InsO erlangt. Einem früheren Zeitpunkt stehe das Fehlen einer § 140 Abs. 2 InsO vergleichbaren Regelung entgegen. Auch eine entsprechende Anwendung des § 932 Abs. 3 ZPO sei nicht zu rechtfertigen2. –
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen innerhalb der Sperrfrist des § 88 InsO werden durch die Verfahrenseröffnung ipso iure unwirksam, d.h. die Verstrickung endet automatisch; einer weiteren Aufhebung durch den Gerichtsvollzieher bedarf die Vollstreckungsmaßnahme nicht3. Bereits gepfändete Sachen sind dem Verwalter zur Verwertung nach den §§ 166 ff. InsO herauszugeben4.
–
Für die Sicherungshypothek hatten Rechtsprechung und h.M bislang angenommen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 88 InsO eine Eigentümergrundschuld entstehe. Inzwischen hat sich der BGH5 gegen diese entsprechende Anwendung des § 868 ZPO ausgesprochen und geht vom Erlöschen einer von der Rückschlagsperre erfassten Sicherungshypothek und deren Wiederaufleben nach Freigabe des Grundbesitzes (nachstehend) aus6.
–
Schwierig ist die Rechtslage, wenn der Gegenstand, an dem die § 88 InsO zuwiderlaufende Sicherheit erlangt wurde, nach Verfahrenseröffnung im Wege der Freigabe wieder herausgegeben wird. Dann stellt sich die Frage, ob die Sicherung dann weiterhin unwirksam bleibt oder ob sie nach Herausgabe des Vermögensgegenstandes aus der Insolvenzmasse wieder auflebt. Das LG Leipzig hat sich im Fall der Sicherungshypothek für letzteres und damit gegen eine absolute – vom Ausgang des Verfahrens unabhängige – Unwirksamkeit entschieden. Nach Zulassung der Revision hat der BGH dieses Ergebnis entgegen der h.M.7 bestätigt und sich dafür ausgesprochen, eine Sicherungshypothek nach Freigabe wieder aufleben zu lassen8. Künftig wird lebhaft darüber ge-
1 LG Bonn v. 2. 12. 2003 – 4 T 519/03, ZIP 2004, 1374 (1375). Zum Streitstand Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 88 Rz. 8. 2 LG Bonn v. 2. 12. 2003 – 4 T 519/03, ZIP 2004, 1374 (1375) m. Anm. Gerhardt, EWiR 2004, 861 f. 3 BGH v. 12. 4. 2005 – VII R 7/03, ZInsO 2005, 888 (889 f.); Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 46; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 14. 4 Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 50 Rz. 6. 5 BGH v. 19. 1. 2006 – IX ZB 232/04, ZInsO 2006, 261 ff. 6 Zu den hiermit verbundenen Risiken für den Insolvenzverwalter bei sofortiger Löschung der Zwangssicherungshypothek vgl. Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 ff. Zu dem vergleichbaren Wiederaufleben von Sicherheiten nach erfolgter Insolvenzanfechtung vgl. Heidbrink, NZI 2005, 363 ff. 7 Vgl. statt vieler Breuer in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 88 Rz. 23; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 88 Rz. 11. 8 BGH v. 19. 1. 2006 – IX ZB 22/04, ZInsO 2006, 261 ff. Strikt dagegen Thietz-Bartram/ Spilger, ZInsO 2005, 858 ff. Ebenso kritisch Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 ff. unter Hinweis auf die praktischen Probleme bei der Umsetzung dieser Entscheidung.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 186
Beratung des gesicherten Gläubigers
stritten werden, ob sich diese Rechtsprechung über die Sicherungshypothek hinaus auch auf Pfändungspfandrechte anwenden lässt1. 186
Der Vorpfändung nach § 845 ZPO allein kommt keine Absonderungskraft zu; vielmehr muss noch vor Verfahrenseröffnung unter Berücksichtigung des § 88 InsO die Pfändung bewirkt werden2. Auch anfechtungsrechtlich kommt es auf die Hauptpfändung an. Wird die Vorpfändung früher als drei Monate vor dem Insolvenzantrag ausgebracht, fällt die Hauptpfändung aber in den von § 131 InsO erfassten Bereich, richtet sich die Anfechtung insgesamt nach § 131 InsO3.
187
Soweit der Gläubiger schuldnerfremde Sachen gepfändet hat, kann er das Pfändungspfandrecht entsprechend § 185 Abs. 2 BGB nur durch einen Eigentumserwerb des Schuldners an der gepfändeten Sache erlangen. Dieser muss zur wirksamen Entstehung des Absonderungsrechts aber ebenfalls noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen, da später die §§ 81, 91 InsO den Rechtserwerb zu Lasten der Masse hindern.
188
Das Pfändungspfandrecht erlischt, wenn die Verstrickung endet, sprich mit der Verwertung oder Aufhebung der Pfändung durch ein Vollstreckungsorgan. Soweit die Zwangsvollstreckung gemäß § 766 ZPO für unzulässig erklärt wird, ist seine Aufhebung nicht mehr erforderlich.
189
Eine Pfändung und Überweisung an Zahlungs Statt nach § 835 ZPO begründet hingegen ein Recht zur Aussonderung, da der Schuldner gemäß § 835 Abs. 2 ZPO nicht mehr Inhaber der Forderung ist. g) Zurückbehaltungsrechte aa) Zurückbehaltungsrechte wegen nützlicher Verwendungen
190
Den Inhabern von Zurückbehaltungsrechten aufgrund nützlicher Verwendungen, die sie in Bezug auf die zurückbehaltene Sache aufgebracht haben, steht ein Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO zu4. Zur Absonderung berechtigt ist der Inhaber des Zurückbehaltungsrechts. Voraussetzung für die insolvenzrechtliche Anerkennung des Zurückbehaltungsrechts als Absonderungsrecht ist, dass –
sich dieses auf eine bewegliche Sache5 bezieht,
1 Hierzu Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 (483). 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 43; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 50 Rz. 13; Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 50 Rz. 6. 3 BGH v. 23. 3. 2006 – IX ZR 116/03, ZInsO 2006, 553 (554). 4 Vgl. hierzu Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 34; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 10. 5 Dass Verwendungen auf ein Grundstück nicht zur abgesonderten Befriedigung nach § 51 Nr. 2 InsO berechtigen, hat der V. Zivilsenat des BGH in Übereinstimmung mit dem IX. Senat inzwischen mehrfach klargestellt. Vgl. hierzu BGH v. 23. 5. 2003 – V ZR 279/02, ZIP 2003, 1406 m. Anm. Beutler, EWiR 2004, 351 f.; BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 457/99, ZIP 2002, 858.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 193
§7
–
der Berechtigte den Besitz an der zurückzubehaltenden Sache vor der Verfahrenseröffnung erlangt hat und
–
dieser Besitz bis zur Geltendmachung des Rechts noch fortbesteht1.
Soweit das Zurückbehaltungsrecht auf einer der Sache zugeführten Werterhöhung beruht, muss diese sowohl im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch noch im Zeitpunkt der Realisierung des Absonderungsrechts im Verfahren gegeben sein2. Das Zurückbehaltungsrecht wegen nützlicher Verwendungen kommt nur in den gesetzlich normierten Fällen zum Zuge. Dem Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB kommt für sich genommen als persönliches Recht keine Absonderungskraft zu, es wird mit Verfahrenseröffnung hinfällig3. Es ist ein Zwangsmittel zur Durchsetzung einer persönlichen Forderung und daher nicht mit dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger vereinbar4. Ebenfalls führt ein vertraglich vereinbartes Zurückbehaltungsrecht nicht zu einem Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO5.
191
! Hinweis: Einem Steuerberater steht z.B. kein Zurückbehaltungsrecht an den von ihm erstellten Buchhaltungsunterlagen oder DATEV-Konten im Hinblick auf seine Honoraransprüche zu6. Ebenfalls steht dem Rechtsanwalt kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Handakten zu, auch diese sind dem Insolvenzverwalter herauszugeben7. Der Insolvenzverwalter kann die Herausgabe per einstweiliger Verfügung verlangen.
192
Im Einzelnen ist ein Zurückbehaltungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO anzunehmen, wenn das Zurückbehaltungsrecht gerade darauf beruht, dass der Gläubiger Verwendungen zugunsten der Sache vorgenommen hat und diese Verwendungen oder die aus ihnen resultierenden Forderungen den noch vorhandenen Vorteil nicht übersteigen. Die einzelnen Verwendungsansprüche wurden im BGB ausdrücklich normiert. Vornehmlich handelt es sich um die Ansprüche auf Verwendungsersatz entsprechend der §§ 994 ff. i.V.m. 1000 BGB. Des Weiteren kommen auch die Verwendungsansprüche gemäß der Vorschriften §§ 102, 292, 304, 347 Abs. 2, 459, 601 Abs. 2, 670, 675, 683, 693, 850, 972, 1049, 1057, 1216, 2022 BGB in Betracht8.
193
1 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 30; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 7. 2 Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 7; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 36; Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 51 Rz. 25. 3 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 457/99, WM 2002, 971 (973); vgl. auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 34 f. 4 BGH v. 23. 5. 2003 – V ZR 279/02, ZIP 2003, 1406. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 35. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 35; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 29 m.w.N. 7 Hess, InsO, 1995, § 51 Rz. 33 m.w.N.; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 29 m.w.N. 8 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 34.
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§7
Rz. 194
Beratung des gesicherten Gläubigers
! Hinweis: 194
Alle genannten Verwendungsansprüche sind ausschließlich auf bewegliche Sachen bezogen. Für Verwendungen auf Immobilien findet die Regelung des § 51 Nr. 2 InsO keine Anwendung; die Vorschrift des § 49 InsO trifft insoweit eine abschließende Regelung1.
195
Die Höhe des Anspruchs auf abgesonderte Befriedigung ist begrenzt auf den Vorteil, sprich die Werterhöhung, die zum Zeitpunkt der Verwertung – nicht zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens – besteht2. Da sich die Sache im Besitz des Zurückbehaltenden befindet, steht diesem gemäß §§ 166 Abs. 1, 173 InsO ausnahmsweise ein Selbstverwertungsrecht zu3. bb) Kaufmännische Zurückbehaltungsrechte
196
Die in § 51 Nr. 3 InsO genannten kaufmännischen Zurückbehaltungsrechte an beweglichen Sachen berechtigen ebenfalls zur abgesonderten Befriedigung. Es handelt sich im Einzelnen um die Regelungen der §§ 369-372 HGB. Diese sehen ein Zurückbehaltungsrecht für alle fälligen Forderungen zwischen Kaufleuten aus zwischen ihnen geschlossenen beiderseitigen Handelsgeschäften im Hinblick auf bewegliche Sachen und Wertpapiere vor4.
! Hinweis: 197
Der frühere § 370 HGB, der das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht auch auf noch nicht fällige Forderungen erstreckte, wurde vom Gesetzgeber ersatzlos gestrichen.
198
Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht des § 369 HGB ist nur ein persönliches Recht, dennoch gewährt es dem Gläubiger ein Recht zur Befriedigung nach den für das Vertragspfandrecht geltenden Bestimmungen (§§ 371 Abs. 2 HGB, 1228 ff. BGB)5. Steht einem Gläubiger im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ein kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht nach den Vorschriften der §§ 369 ff. HGB an beweglichen Sachen oder Wertpapieren wegen fälliger Forderungen aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft zu, so kann dieser nach § 51 Nr. 3 InsO entsprechend den Inhabern zivilrechtlicher Zurückbehaltungsrechte aufgrund der Sicherungsfunktion ein Recht zur Absonderung entsprechend einem Pfandgläubiger geltend machen. Die Vorschrift § 51 Nr. 3 InsO stellt die kaufmännischen Zurückbehaltungsrechte insoweit den Pfandrechten gleich. Sie berechtigen ebenfalls nach §§ 166, 173 InsO zur Selbstverwertung. h) Gemeinschaftsforderungen
199
Besteht zwischen dem Schuldner und Dritten eine Gemeinschaft nach Bruchteilen, eine andere Gemeinschaft (z.B. Erbengemeinschaft) oder eine Gesell1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 34. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 36; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 30. 3 Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 30. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 38; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 11. 5 Hess in Hess/Pape, InsO, 1995, Rz. 575.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 201
§7
schaft ohne Rechtspersönlichkeit, so erfolgt die Teilung oder Auseinandersetzung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens. Damit ist jeder der Beteiligten zur Aussonderung seines eigenen Anteils berechtigt. Wegen der Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis, sprich aus dem Gemeinschafts- oder Gesellschaftsverhältnis gegenüber dem Insolvenzschuldner, kann jeder Mitberechtigte aus dem bei der Teilung ermittelten Anteil des Schuldners Berichtigung verlangen, wobei die Berichtigung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 InsO im Wege der abgesonderten Befriedigung aus dem ermittelten Anteil beansprucht werden kann1. i) Zölle und Steuern Soweit dem Bund, Ländern, Gemeinden oder Gemeindeverbänden zoll- und steuerpflichtige Sachen nach weiteren gesetzlichen Vorschriften als Sicherheit für die jeweiligen öffentlichen Abgaben dienen, räumt § 51 Nr. 4 InsO dem jeweiligen Fiskus ein Absonderungsrecht an den steuer- und zollpflichtigen Gegenständen hinsichtlich dieser öffentlichen Abgaben ein2. Die Steuergegenstände unterliegen dabei von Gesetzes wegen einer Sachhaftung zur Sicherung der Steuerschuld, welche ein öffentlich-rechtliches Pfandrecht an den steuerpflichtigen bzw. zollpflichtigen Waren und damit ein Absonderungsrecht an diesen begründet. Entsprechend der §§ 76 Abs. 2, 327 AO 1977 haften verbrauchssteuerpflichtige Erzeugnisse bereits ab Herstellung, zollpflichtige Waren ab Überschreitung der Zollgrenze für die auf ihnen lastende Steuer- oder Zollschuld3. Damit kommt den Steuer- und Zollgläubigern ein Recht zur Absonderung zu, wenn zur Sicherung der auf der Sache lastenden Steuer- oder Zollschuld ein öffentlich-rechtliches Pfandrecht an dieser Sache begründet wurde. Dieses Absonderungsrecht geht dabei allen anderen vor4.
200
Zu den Steuer- und Zollgläubigern gehören die Bundesrepublik, die Länder sowie die Kommunen wegen der auf Massegegenständen ruhenden Zölle und Verbrauchssteuern, deren Absonderungsberechtigung bereits vorinsolvenzlich aufgrund der materiellen Rechtslage entsteht. Umstritten ist an dieser Stelle die Frage, ob die Beschlagnahme der Gegenstände zur Verwertung derselben bereits vor Verfahrenseröffnung erfolgen muss, oder ob eine Beschlagnahme auch noch nach Verfahrenseröffnung erfolgen kann5. Da entsprechend den §§ 76 Abs. 2, 327 AO 1977 die steuerpflichtigen Erzeugnisse bereits ab Herstellung, zollpflichtige Waren bereits ab Überschreitung der Zollgrenze haften und diese im Insolvenzverfahren auch ohne Beschlagnahme vor Verfahrenseröffnung der Verwertung zugeführt werden können, kann die Finanzbehörde auch nicht
201
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 46. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 39; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 249 f.; Bähr/Smid, InVo 2000, 401 f. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 39; Bähr/Smid, InVo 2000, 401. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 39. 5 So Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 39; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 32; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 51 Rz. 10; ablehnend: Smid, InsO, § 51 Rz. 29; Hess, InsO, 1995, § 51 Rz. 47.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 202
Beratung des gesicherten Gläubigers
nach § 89 InsO daran gehindert werden, die behaftete Ware nach Verfahrenseröffnung zu beschlagnahmen. Folgt man dieser Ansicht nicht, so steht dem öffentlich-rechtlichen Pfandgläubiger nur ein Anspruch auf Auskehr des bei der Verwertung des Sicherungsguts durch den Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren erzielten und um den Verfahrenskostenbeitrag gemäß §§ 170, 171 InsO gekürzten Erlöses zu1. Überblick – Absonderungsrechte 202
–
Immobiliarsicherheiten
–
Mobiliarpfandrechte
–
–
Rechtsgeschäftliche Pfandrechte
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Gesetzliche Pfandrechte
Besitzlose Mobiliarsicherheiten –
Sicherungsübereignung
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Sicherungszession –
Globalzession
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Kautionsversicherungsverträge
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Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen
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Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt
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Bezugsrechte an Ansprüchen aus Lebensversicherungen
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Pfändungspfandrechte
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Zurückbehaltungsrechte
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Gemeinschaftsforderungen
–
Zölle und Steuern
3. Realisierung der Absonderungsrechte a) Vor und während der Krise aa) Rechtslage 203
Vor und während der Krise greifen noch keine insolvenzspezifischen Regelungen ein. Bevor ein Insolvenzverfahren eröffnet oder im Antragsverfahren ein vorläufiger Verwalter eingesetzt wird, ist der gesicherte Gläubiger dazu berechtigt, bei Eintritt des Sicherungsfalls die Sicherheit selbst zu verwerten. Dem Sicherungsnehmer stehen die allgemeinen Regularien zur Verfügung, aufgrund deren er seine Sicherungsrechte geltend machen kann. Je nach Ausgestaltung und Inhalt der jeweiligen Sicherungsabrede bzw. der gesetzlichen Vorgaben, unter denen ein gesetzliches Sicherungsrecht steht, kann der erst im Insolvenzverfahren auf die Absonderung Verwiesene versuchen, seine Sicherheiten bereits vor oder während der Krise zu realisieren. Dies hat für ihn den entscheidenden Vorteil, dass ihm bis zum Eröffnungsverfahren noch ein eigenes Ver1 Bähr/Smid, InVo 2000, 401 (403 ff.).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 207
§7
wertungsrecht zukommt. D.h., soweit die Verwertungsvoraussetzungen – seien sie gesetzlich normiert oder im Einzelfall vertraglich vereinbart – erfüllt sind, kann der berechtigte Sicherungsnehmer seine Ansprüche gegenüber dem späteren Insolvenzschuldner geltend machen. Befindet sich das Sicherungsgut im Besitz des Sicherungsgebers, so kann der Sicherungsnehmer von diesem die Herausgabe verlangen. Soweit sich der Sicherungsgeber weigert, das Sicherungsgut herauszugeben, ist der Sicherungsnehmer auf den Rechtsweg verwiesen.
! Hinweis: Gegen den Willen des Sicherungsgebers kann der Gläubiger die Sache nicht an sich nehmen, insbesondere ist es ihm auch verwehrt, unter Berufung auf seine Rechtsstellung polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen1.
204
Im Einzelfall bietet sich auch eine Verwertungsvereinbarung zwischen den Parteien des Sicherungsvertrags dahingehend an, dass die Verwertung des Sicherungsgegenstandes dem Sicherungsgeber überlassen bleibt2. Durch den Verzicht auf das Recht zur Inbesitznahme geht der Gläubiger nicht seines Absonderungsrechts verlustig. Diese Alternative bietet sich insbesondere bei einer besseren Branchenkenntnis des Sicherungsgebers, aber auch bei der Gefahr an, dass allein der vorübergehende Besitz Haftungskonsequenzen beispielsweise im Bereich des Umweltrechts nach sich ziehen könnte.
205
! Hinweis: Solange dem Berechtigten noch das Verwertungsrecht zusteht und die Verwertung vor dem Insolvenzverfahren betrieben wird, kommen auch die Kostenregelungen der §§ 170 ff. InsO noch nicht zur Anwendung. Auch dies spricht für eine vorzeitige Verwertung vor oder während der Krise. Die Vielzahl der gerichtlichen Entscheidungen, in denen Insolvenzverwalter die Umgehung der Kostenbeiträge anzugreifen versuchten, zeigt die wirtschaftliche Bedeutung dieses Gedankens. Zu diesen Entscheidungen nachstehend unter Rz. 317 ff.
206
Sollte nach Abschluss der Verwertung ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, braucht der Gläubiger die Anfechtung der Verrechnung der auf dem Kundenkonto eingehenden Erlöse mit dem debitorischen Saldo auch bei einer Verwertung durch den Sicherungsgeber nicht zu fürchten, da nur die Befriedigung von Insolvenzgläubigern der Anfechtung unterliegt, nicht hingegen von Absonderungsberechtigten, soweit die Mittel aus dem dinglichen Surrogat gewährt werden3. Zudem dürfte es auch an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen4. Einen möglichen Ausfall kann der gesicherte Gläubiger in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren anmelden.
207
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.232. 2 Vgl. hierzu näher Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.233 ff. 3 BGH v. 11. 5. 2000 – IX ZR 262/98, ZInsO 2000, 410; BGH v. 17. 6. 2004 – IX ZR 124/03, ZInsO 2004, 856; BGH v. 2. 4. 1998 – IX ZR 232/96, ZIP 1998, 830. 4 Rogge in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 129 Rz. 55; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.236 f.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 208
Beratung des gesicherten Gläubigers
bb) Reaktionsmöglichkeiten 208
Die Sicherungsnehmer werden zukünftig darauf bedacht sein, den Nachteilen und Einbußen, die sich für sie aus dem Übergang des Verwertungsrechts auf den Verwalter und vor allem aus den damit verbundenen obligatorischen Kostenbeiträgen ergeben (siehe zuvor Rz. 317 ff. und nachstehend Rz. 210), durch geeignete Maßnahmen sowie konkret angepasste Vertragsgestaltungen zu begegnen. Dabei bieten sich prinzipiell mehrere Vermeidungsstrategien an: –
Zum einen ist daran zu denken, durch rechtzeitige Herausnahme des Sicherungsguts dessen spätere Verwicklung in das Insolvenzverfahren gänzlich zu vermeiden.
–
Zum anderen könnten die jeweiligen Vertragskonditionen den neuen Gegebenheiten angepasst werden, um auf diese Weise den durch die Massebeteiligung zu erwartenden Verlust zu kompensieren1.
209
Die Sicherungsnehmer können sich im Fall einer absehbaren Krise bemühen, wieder die Herrschaft über den Sicherungsgegenstand und damit auch über das Verwertungsverfahren zurückzuerlangen. Der für sie entscheidende Anknüpfungspunkt ist insoweit die Besitzlage an dem Sicherungsgegenstand zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, da das Verwertungsrecht im konkreten Einzelfall neben der Art der Sicherheit entscheidend von der Besitzlage zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abhängt (vgl. ausführlich Rz. 239, 263 ff., 270).
210
Nach § 166 InsO steht dem Insolvenzverwalter nur dann das Verwertungsrecht an den mit Absonderungsrechten belasteten beweglichen Sachen zu, wenn er diese auch in seinem Besitz hat. Hat der Gläubiger hingegen bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens, z.B. aufgrund von Liquiditätsproblemen des Sicherungsgebers, von seinem Sicherungsrecht Gebrauch gemacht und das Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen, so kann er die Verwertung auch fortsetzen. Eine Rückgabepflicht an den Verwalter besteht nicht2. Da die InsO für die Fälle, in denen dem gesicherten Gläubiger von Anfang an das Verwertungsrecht zusteht, zudem keine Kostenpflicht des verwertenden Gläubigers vorsieht, entfällt diese bei frühzeitiger Herausnahme des Sicherungsgegenstandes aus dem Schuldnervermögen ebenfalls. Zu den Möglichkeiten einer Insolvenzanfechtung durch den späteren Insolvenzverwalter nachstehend unter Rz. 230d.
! Hinweis: Gelingt es dem Sicherungsnehmer, den Sicherungsgegenstand vor der Verfahrenseröffnung aus dem schuldnerischen Vermögen zu lösen, so verhin-
211
1 Entsprechende Versuche sind dem Risiko einer Insolvenzanfechtung ausgesetzt und zwar selbst bei Zustimmung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Vgl. hierzu BGH v. 15. 12. 2005 – IX ZR 156/04, ZInsO 2006, 208 ff. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 7; ursprünglich sahen die Entwürfe der InsO auf Anordnung des Insolvenzgerichts auch für diese Fälle eine Rückgabepflicht des Sicherungsgläubigers an den Insolvenzverwalter vor, wobei nach erfolgter Übergabe der Insolvenzverwalter zur Verwertung berechtigt sein sollte (vgl. § 188 DiskE – § 188 RefE – § 199 RegE).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 214
§7
dert er dadurch eine spätere Verwicklung des Sicherungsguts in das Insolvenzverfahren und wird durch die rechtzeitige Herausnahme desselben nicht nur von den Kostenbeiträgen für Feststellung und Verwertung freigestellt, sondern vermeidet unter Vereinnahmung des Bruttoerlöses auch die Belastung mit der Umsatzsteuer1. Mithin stellt sich der Sicherungsnehmer finanziell am besten, der das Sicherungsgut bereits vor Eröffnung des Verfahrens an sich gezogen hat2. Diese Konstellation bietet den absonderungsbefugten Gläubigern geradezu den Anreiz, selbige zur Vermeidung und Umgehung der nachteiligen und einschränkenden Wirkungen der §§ 166 ff. InsO auszunutzen und vor Eröffnung des Verfahrens – und sei es noch im Antragsstadium – Zugriff auf den Sicherungsgegenstand zu nehmen. Das bedeutet andererseits aber auch, dass es schärfer als unter Geltung des Konkursrechts zu einem Wettlauf mit der Zeit kommt, da die gesicherten Gläubiger eher geneigt sind, das ihnen zur Sicherung übertragene Gut möglichst noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots im Antragsverfahren herauszuverlangen oder selbst herauszuholen.
212
Der zeitliche Wettlauf im Rahmen der sicherungshalber abgetretenen Forderungen wird zudem erhebliche praktische Verwirrungen auslösen. Die gesicherten Gläubiger werden versuchen, ihre Forderungen noch vor Verfahrenseröffnung selbst einzuziehen, um sich dadurch das Verwertungsrecht zu erhalten und zudem die Kostenbeiträge im Sinne der §§ 170, 171 InsO zu ersparen. Da die begonnene Verwertung einer zur Sicherung abgetretenen Forderung von dem gesicherten Gläubiger allerdings anders als bei sicherungsübereigneten Sachen nach Verfahrenseröffnung nicht fortgesetzt werden darf, sondern das Recht zur weiteren Verwertung stets dem Verwalter zusteht, kann es in der Praxis zu einem mehrfachen Wechsel des Einziehenden kommen, was bei den Drittschuldnern zu erheblichen Verunsicherungen und damit zu einer herabgesetzten Zahlungsbereitschaft führen wird3.
213
In diesem Zusammenhang bestätigte sich die nach Einführung der InsO angestellte Überlegung, dass institutionelle Kreditgläubiger bestrebt sein werden, bestehende Kontrollsysteme zu verbessern, um dadurch der Insolvenzabwicklung effektiv zu entgehen oder zumindest die Negativeffekte durch Vorsorgemaßnahmen abzumildern4. Kreditgläubiger sind heute insbesondere über so genannte financial covenants in der Lage, finanzielle Schieflagen ihrer Kreditkunden frühzeitig aufzuspüren, um diese gegebenenfalls durch Gegenmaßnahmen zu korrigieren oder aber durch rechtzeitige Herausnahme des Sicherungsguts dessen spätere Verwicklung in das Insolvenzverfahren zu vermeiden. Dies geschieht aber keinesfalls allein, um noch vor Eintritt der Insolvenz Herausgabeansprüche durchzusetzen, sondern versteht sich auch als Versuch, einen
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1 Vgl. hierzu LG Stuttgart v. 24. 2. 2004 – 7 O 502/03, ZIP 2004, 1117 f. 2 Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 530; zur Frage der Anfechtbarkeit der Besitzentziehung vor Insolvenzeröffnung vgl. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 20 ff. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.324; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 166 Rz. 8. 4 Eckardt, ZIP 1999, 1734 (1735); vgl. auch allgemein Cluse/Kalhoff/Peukert, Die Bank 2001, 112 ff.
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§7
Rz. 214a
Beratung des gesicherten Gläubigers
sanierungswürdigen und sanierungsfähigen Unternehmenskern durch Einflussnahme auf die operativen Entscheidungen zu retten und Liquiditätsprobleme rechtzeitig zu erkennen.
! Hinweis für institutionelle Gläubiger und deren Berater: 214a
Der Wunsch nach verbesserten Kontroll- und damit verbundenen Einflussmöglichkeiten hat aber auch eine Kehrseite, und die heißt Finanzierungsfolgenverantwortung aufgrund gesellschafterähnlicher Stellung. Ausgehend von der sogenannten Pfandrechtsgläubigerentscheidung des BGH1 wird im Schrifttum eine rege Diskussion geführt, unter welchen Voraussetzungen (financial covenants / Installierung eines interim managers) der Anwendungsbereich des § 32a Abs. 3 GmbHG eröffnet und das zugrundeliegende Darlehen eigenkapitalersetzend sein könnte.
215
Ob sich die anfängliche Befürchtung, dass der Wert der Sicherheiten, die der Kunde vereinbarungsgemäß zu stellen verpflichtet ist, unter Berücksichtigung der obligatorisch anfallenden Kostenbeiträge neu zu berechnen ist, lässt sich nur schwer analysieren. Dass absonderungsberechtigte Gläubiger die wirtschaftliche Last dieser Beiträge spüren, zeigt sich schon an den in der Rechtsprechung nachzuzeichnenden Versuchen (Rz. 230d), entsprechende Beiträge zu umgehen. Von daher ist davon auszugehen, dass die Kostenbeiträge als Kostenfaktoren in die Sicherheitenberechnung mit einfließen2. b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren
216
Nach der Stellung eines Insolvenzantrags hängt die Position des gesicherten Gläubigers entscheidend davon ab, ob und welche vorläufigen Maßnahmen das Gericht für den Zeitraum bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens angeordnet hat (§ 21 InsO). Denkbar sind insbesondere –
vorläufige Insolvenzverwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. nachstehend Rz. 217 ff.), d.h. Bestellung eines so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (ausführlich hierzu § 14 Rz. 36 ff.) oder
–
vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. nachstehend Rz. 230 ff.), d.h. Bestellung eines so genannten starken vorläufigen Insolvenzverwalters (ausführlich zu dessen Rechtsstellung § 14 Rz. 11 ff.)
aa) Vorläufige Verwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis3 217
Soweit seitens des Gerichts keine Sicherungsmaßnahmen angeordnet wurden (bloßer Sachverständigenauftrag, vgl. § 6 Rz. 69), können Gläubiger ihre Sicherheiten nach Maßgabe der Sicherungsverträge verwerten. Der Gläubiger 1 Weitergehend hierzu K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, 32b Rz. 139; Roth/Altmeppen, GmbHG, 4. Aufl. 2004, § 32a Rz. 181. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 170 Rz. 2 f.; Breutigam in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 170 Rz. 2; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 170 Rz. 2; Bales, BKR 2003, 572, 578. 3 Zu dieser vgl. ausführlich § 13 Rz. 36 ff.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 220
§7
kann daher noch jederzeit, auch während des Eröffnungsverfahrens, die Herausgabe des Sicherungsgegenstandes verlangen und durchsetzen. Entsprechendes gilt grundsätzlich, wenn das Gericht zwar einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, hingegen aber keine Verfügungsbeschränkungen anordnet bzw. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen untersagt (hierzu nachstehend Rz. 219). Dem vorläufigen Verwalter kommt in erster Linie die Aufgabe zu, –
die künftige Insolvenzmasse zu sichern,
–
das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zu überprüfen und
–
festzustellen, ob für eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausreichend Masse vorhanden ist1.
218
Er kann den Schuldner – vorbehaltlich der Neuregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO – aber nicht daran hindern, Sicherungsgut, das für die Betriebsfortführung entbehrlich ist, an den Sicherungsnehmer zum Zwecke der Verwertung herauszugeben. Dem vorläufigen Verwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis steht insbesondere ein eigenes Verwertungsrecht nicht zu2. Die Bestellung eines solchen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ist der praktische Regelfall. (Ausführlich hierzu und zu der Möglichkeit einer Einzelermächtigung3 § 14 Rz. 75 ff.). Regelmäßig wird das Gericht die Bestellung eines solchen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts sowie der Untersagung oder einstweiligen Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen verbinden (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 und 3 InsO). Hinzugetreten ist mit dem 1. 7. 2007 nunmehr die Möglichkeit der Anordnung eines Verwertungsstopps hinsichtlich solcher Gegenstände, die im Fall der Eröffnung von § 166 InsO erfasst wären oder deren Aussonderung verlangt werden könnte (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO). Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten4. Näher dargestellt werden sollen die Auswirkungen des Zustimmungsvorbehalts sowie des Vollstreckungsverbots auf die Durchsetzung von Immobiliarsicherheiten auf der einen (Rz. 230) und Mobiliarsicherungsrechten auf der anderen Seite (Rz. 223):
219
(1) Immobilarsicherheiten Die Verwertung von Grundpfandrechten, für die das Gesetz die Möglichkeiten der Zwangsversteigerung und der Zwangsverwaltung vorsieht, wird durch die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen seitens des Gerichts im Antragsverfahren nicht automatisch unterbrochen. Von dem Ausnahmefall des lediglich für persönliche Gläubiger bedeutsamen § 88 InsO abgesehen (siehe hierzu oben Rz. 183 ff.), spielt es für die Wirksamkeit einer Beschlagnahme 1 BT-Drucks. 12/2443, S. 117. 2 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340; Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 166 Rz. 22. 3 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 ff. 4 Erste Stellungnahmen liegen mit Kuder, ZIP 2007, 1690 ff. und Kirchhoff, ZInsO 2007, 227 ff. bereits vor.
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§7
Rz. 221
Beratung des gesicherten Gläubigers
keine Rolle, ob bereits ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde oder nicht. Soweit § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Untersagung oder einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen während des Eröffnungsverfahrens durch das Insolvenzgericht vorsieht, betrifft dies nur Mobilien, unbewegliche Gegenstände sind von solchen Sicherungsmaßnahmen ausdrücklich ausgenommen. Hieran ändert auch die auf Gegenstände im Sinne von § 166 InsO und Aussonderungsgut beschränkte Neuregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO nichts. 221
Allerdings steht dem Insolvenzverwalter das Recht zu, unter den Voraussetzungen der Neuregelung des § 30d Abs. 4 ZVG die einstweilige Einstellung einer angeordneten oder bereits laufenden Zwangsversteigerung – nicht hingegen der Zwangsverwaltung – bereits im Eröffnungsverfahren zu beantragen, soweit er die niedergelegten Einstellungsgründe glaubhaft macht1. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn der Insolvenzverwalter glaubhaft macht, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Änderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist (§ 30d Abs. 4 ZVG). Die Einstellung wird sodann mit der Auflage angeordnet, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin, spätestens jedoch nach Ablauf von drei Monaten seit der ersten Einstellung, laufend die geschuldeten Zinsen aus der Masse zu zahlen sind (§ 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG)2.
222
Wird die Zwangsversteigerung eines Grundstücks vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen – unabhängig von dem Zeitpunkt der Erlösverteilung – entfällt der Kostenbeitrag des gesicherten Gläubiger nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG für das mithaftende Grundstückszubehör, da diese gesetzliche Vorschrift einen Abzug ausdrücklich nur für das eröffnete Verfahren und nicht für das Antragsverfahren vorsieht3. Zu welchem Zeitpunkt letztlich die Erlösverteilung erfolgt, ist unerheblich, da der Wortlaut des Gesetzes auf den Zeitpunkt der Versteigerung als solche abstellt und nicht auf den Abschluss des Zwangsversteigerungsverfahrens insgesamt. (2) Mobiliarsicherheiten
223
Die Gläubiger solcher Sicherheiten sind hingegen unmittelbar von dem angeordneten Zwangsvollstreckungsverbot erfasst. Die einstweilige Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung zielt gerade auf die Herausgabevollstreckung aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger.
224
Auch wenn der Schuldner verwaltungs- und verfügungsbefugt bleibt, ist dieser nicht mehr zur selbständigen Herausgabe sicherungsübereigneter Gegenstände oder sonstigen, noch in seinem Besitz befindlichen Absonderungsguts an den Sicherungsnehmer befugt4. Der vorläufige Verwalter wird seine Zustimmung zur Herausgabe in der Regel verweigern, wenn die Gegenstände noch für die 1 2 3 4
Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 18; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521. Zur Höhe der geschuldeten Zinsen vgl. Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 f. m.w.N. Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 40. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 17; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.412.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 226
§7
Fortführung des Betriebs benötigt werden, er die derzeitige Rechtslage noch nicht überprüft hat, oder der betreffende Gegenstand in sonstiger Weise im Sinne einer effektiven Verfahrensgestaltung für das weitere Verfahren noch von Bedeutung sein könnte1. Künftig werden vorläufige Insolvenzverwalter über die Anordnung eines Verwertungsstopps gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO nachdenken. Die Kraft der gerichtlichen Anordnung könnte die Einbeziehung des Sicherungsguts in die Betriebsfortführung erleichtern. „Geschenkt“ bekommt der vorläufige Insolvenzverwalter diese Anordnung indes nicht. Zum einen muss er die erhebliche Bedeutung dieser Gegenstände für die Betriebsfortführung darlegen. Zum anderen gelten gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 1 2. Hs. InsO die Regelungen des § 169 Satz 2 und 3 InsO entsprechend (zu diesen vgl. Rz. 297)2. Mit Rücksicht auf die Betriebsfortführungspflicht (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) des vorläufigen Insolvenzverwalters und das im eröffneten Insolvenzverfahren bestehende Verwertungsrecht wird man sogar sagen müssen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter der Herausgabe solcher Gegenstände gar nicht zustimmen darf3. Auf diese Weise werden die Betriebsmittel, die für die Fortführung des Unternehmens von Bedeutung sind, entsprechend der Gesetzesintention in dem technisch-organisatorischen Verbund des insolventen Schuldnerunternehmens belassen, was die Möglichkeit einer Sanierung oder späteren Gesamtveräußerung erhöht. Das Eröffnungsverfahren spielt im Rahmen dieser Aufgabe, die Insolvenzmasse bis zur Verfahrenseröffnung zusammenzuhalten und die Gläubigerschaft nicht bereits durch faktisches Handeln zu präjudizieren, die entscheidende Rolle. Hierfür ist es unerlässlich, dass auch die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände des beweglichen Anlage- und Umlaufvermögens, vornehmlich wenn sie zur Betriebsfortführung benötigt werden, im Betrieb des Schuldners verbleiben. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund und der fortwährenden Durchsetzung dieses Gedankens versteht sich die Neuregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO.
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Weiter stellt sich die Frage, ob über die beschriebene Möglichkeit, Gegenstände im Rahmen der Betriebsfortführung nutzen zu dürfen, dem vorläufigen Insolvenzverwalter in bestimmten Grenzen Verwertungshandlungen gestattet sind. Im Grundsatz steht dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt kein Verwertungsrecht zu4. Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO geregelte Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters steht daher in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Sicherungs- und Erhaltungspflicht nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO (hierzu § 6 Rz. 82 f.). Im Sinne einer effektiven Verfahrensgestaltung muss dem vorläufigen Insolvenzverwalter über die ihm auferlegte Sicherungs- und Erhaltungspflicht hinaus das Recht zuerkannt werden, mit dem Sicherungsgut – insbesondere dem Vorratsvermögen – zu ar-
226
1 OLG Celle v. 11. 12. 2002 – 2 W 91/02, ZIP 2003, 87, 88 f. 2 Ausführlich Kuder, ZIP 2007, 1690 ff. Vgl. weiter Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 166 Rz. 23. 3 Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 12; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 41; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 119 (122). 4 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340.
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§7
Rz. 227
Beratung des gesicherten Gläubigers
beiten. Dabei wird es im Rahmen der Betriebsfortführung zwangsläufig zu Verwertungshandlungen an dem Umlaufvermögen kommen, z.B. indem er mit erweiterten Eigentumsvorbehaltsrechten belastete Ware weiterveräußert oder fertig gestellte Produkte verkauft1. Diese Verwertungsmaßnahmen stellen sich als Bestandteil der insgesamt massesichernden Betriebsfortführung dar und verwirklichen die von dem Schuldner vorgegebene Zweckrichtung des Unternehmen. Diesem praktischen Bedürfnis allein mit Verwertungsvereinbarungen zu begegnen, greift zu kurz. Für sicherungszedierte Forderungen kann sich der vorläufige Insolvenzverwalter künftig gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 3 InsO gerichtlicher Hilfe bedienen. Für bewegliche Gegenstände wird dies mit Rücksicht auf die Gesetzesfassung nicht möglich sein2. Aber auch in diesem Bereich sind – über Verwertungsvereinbarungen hinaus – ausnahmsweise Verwertungsmaßnahmen denkbar, wenn etwa das schuldnerische Unternehmen stillgelegt wird und die Masse bei verzögerter Verwertung mit weiteren Kosten belastet würde. 227
Dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Verwertungsbefugnis zu versagen, heißt jedoch nicht, dass der Sicherungsgläubiger im Eröffnungsverfahren uneingeschränkt verwerten darf. Während nach altem Recht die Sicherungsgläubiger häufig bereits aufgrund der Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu berechtigt waren, Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung aus der Masse zu nehmen (vgl. auch § 127 KO), sieht § 166 Abs. 1 InsO nunmehr vor, dass die Verwertungsbefugnis bezüglich der Mobilien, an denen ein Absonderungsrecht besteht, im eröffneten Verfahren bei dem Insolvenzverwalter liegt, wenn er diese in seinem Besitz hat. Ebenfalls obliegt ihm nach § 166 Abs. 2 InsO die Einziehung oder sonstige Verwertung von Forderungen, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat3. Dem Sicherungsgläubiger kann im Eröffnungsverfahren daher nicht das Recht zukommen, Mobiliarsicherheiten ohne die Zustimmung des vorläufigen Verwalters zu verwerten4.
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Für die Einziehung sicherungszedierter Forderungen ergibt sich eine Verwertungsbefugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters auch nicht aus dem regelmäßig angeordneten Verbot an die Drittschuldner, an die Schuldnerin zu leisten, oder aus der Ermächtigung, Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO). Diese Anordnung regelt allein die Empfangszuständigkeit zwischen Schuldner und vorläufigem Insolvenzverwalter gegenüber Drittschuldnern, nicht hingegen eine etwaige Rechtsbeziehung des Schuldners zu Sicherungsnehmern5. An dieser Stelle bleibt abzuwarten, inwieweit sich vorläufige Insolvenzverwalter künftig gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 3 InsO ermächtigen lassen werden, um 1 BGH v. 14. 12. 2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (299); Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 22 Rz. 77. 2 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 166 Rz. 22. 3 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340, Ganter, ZInsO 2007, 841 (842 f.) und Voß, EWiR 2007, 499. 4 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 22 Rz. 26; vgl. auch Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 530. 5 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 230c
§7
nicht zuletzt auf diesem Wege die Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO zu ermöglichen.
! Hinweis: Zahlen Drittschuldner gutgläubig an den vorläufigen Insolvenzverwalter, ist die von diesem veranlasste Einziehung der Forderung wirksam (§ 407 Abs. 1 BGB) und der vorläufige Insolvenzverwalter zur Herausgabe verpflichtet entweder aus § 816 Abs. 2 BGB oder nach Verfahrenseröffnung analog § 48 InsO1.
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bb) Vorläufige Verwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Während die Anordnung eines Zwangsvollstreckungsverbots als Sicherungsmaßnahme üblich ist, wird das Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot lediglich ausnahmsweise anordnen (starker vorläufiger Insolvenzverwalter). Einen Überblick über die gerichtlichen Sicherungsmaßnahmen gibt § 6 Rz. 73. Für den gesicherten Gläubiger bedeutet dies folgendes:
230
Geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter über, nimmt dieser das Vermögen des Schuldners in Besitz, und zwar einschließlich aller mit Absonderungsrechten belasteter Gegenstände, da auch diese zum haftenden Schuldnervermögen gehören2. Mit der Inbesitznahme durch den vorläufigen Verwalter endet die Verfügungsbefugnis des Schuldners. Dieser ist daher nicht mehr zur selbständigen Herausgabe sicherungsübereigneter Gegenstände oder sonstigen, noch in seinem Besitz befindlichen Absonderungsguts an den Sicherungsnehmer befugt3. Der vorläufige Verwalter wird seine Zustimmung zur Herausgabe in der Regel verweigern.
230a
Reine Verwertungshandlungen im Hinblick auf Sicherungsgüter, die nicht zu dem fortführungsnotwendigen Schuldnervermögen gehören, sind auch dem vorläufigen starken Insolvenzverwalter in der Regel verwehrt, da die planmäßige Liquidation dem eröffneten Verfahren vorzubehalten ist4. Nur in Ausnahmefällen wird ein isoliertes Recht zur Verwertung an absonderungsbelasteten Gegenständen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsfortführung stehen, bestehen können (s.o. Rz. 223 ff.).
230b
In Ergänzung zu Rz. 230b könnten solche Ausnahmefälle dann anzunehmen sein, wenn die Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahme bereits während der Dauer des Eröffnungsverfahrens zur Vermögenssicherung unvermeidbar erforderlich wird5, so z.B. die Einziehung von Forderungen, um spätere Ausfälle zu
230c
1 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338. 2 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 22 Rz. 51; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 18 f. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 17; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.412. 4 BGH v. 14. 12. 2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (298) m.w.N.; BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (320); Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 22 Rz. 53, Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 35. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 38; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 12; OLG Köln v. 29. 1. 2000 – 11 W 81/99, ZInsO 2000, 296.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 230d
Beratung des gesicherten Gläubigers
vermeiden1. Zudem kann sich ein dringender Verwertungsbedarf dann ergeben, wenn es sich bei dem Sicherungsgut um verderbliche Ware handelt oder um entbehrliche Betriebsmittel, die nicht mehr in zumutbarer Weise zu erhalten sind und daher so genannte Notverkäufe zu tätigen sind2. Schließlich sind aber auch solche Verwertungs- oder Abwicklungsmaßnahmen als erforderlich zu betrachten, die kurzfristig zur Überwindung der regelmäßig vorliegenden Liquiditätskrise des Unternehmens beitragen, so dass dadurch die Fortführung des Betriebs oder aber die Voraussetzungen für die Eröffnung des Verfahrens gesichert werden3. Soweit dies zum Vermögenserhalt notwendig ist, ist mithin auch der vorläufige Insolvenzverwalter bereits im Eröffnungsverfahren zur Vornahme von Verwertungshandlungen berechtigt. Ob in solchen Ausnahmefällen eine Zustimmung der Absonderungsberechtigten eingeholt werden muss4, erscheint zweifelhaft. Aus Sicht des vorläufigen Insolvenzverwalters empfiehlt sich dieser Schritt aus Haftungsgründen. 230d
Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter Verwertungsmaßnahmen vornimmt, sollte er aber – sofern er keine entsprechende Vereinbarung mit den gesicherten Gläubigern trifft – immer die Gefahr im Blick haben, dass die Insolvenzmasse im Rahmen von Verwertungshandlungen im Antragsverfahren der nunmehr obligatorischen Kostenbeiträge der Gläubiger nach den §§ 170, 171 InsO verlustig zu gehen droht, da auf diese Vorschriften im Rahmen des Eröffnungsverfahrens nicht zurückgegriffen werden kann5. Anders jetzt für die Einziehung sicherungszedierter Forderungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Damit stellt sich die Insolvenzmasse bei Verwertungen von Sicherungsgut im Eröffnungsverfahren finanziell ungünstiger, als bei einer Verwertung im eröffneten Verfahren, da die Kostenbeiträge für die Feststellung und Verwertung des Sicherungsguts entfallen und zudem die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Insolvenzgläubiger abzuführen ist. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist daher gehalten, im Einvernehmen mit den betroffenen Sicherungsnehmern das Sicherungsgut aufgrund von Verwertungsverträgen zu verwerten und dabei eine angemessene Beteiligung des verwalteten Vermögens am Erlös auszuhandeln6.
230e
Verwertungshandlungen bezüglich sonstiger Rechte und Vermögenswerte, die einem Gläubiger zur Sicherung übertragen worden sind, kann der vorläufige Verwalter hingegen im Antragsverfahren nicht unter Berufung auf eine spätere Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters widersprechen, da die Verwer1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 22 Rz. 54; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 38; Blersch in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 22 Rz. 12. 2 BGH v. 14. 12. 2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (298); Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 36; Kirchhof in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 22 Rz. 8. 3 Näher hierzu Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 22 Rz. 73. 4 So Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 22 Rz. 41; vgl. hierzu auch Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe in Graf-Schlicker, ZIP 2002, 1166 (1171 ff.). 5 BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (320 f.); Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 29 m.w.N.; vgl. eingehend zur Einflussnahme auf die Kostenbeteiligungspflicht: Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 530 ff. 6 Schmerbach in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 22 Rz. 19; Klasmeyer/ Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 57.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 233
§7
tungsbefugnis auch nach Verfahrenseröffnung weiterhin dem gesicherten Gläubiger und nicht dem Verwalter zusteht1. Ebenfalls hindert die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots den Schuldner nur an der Bestellung neuer Pfandrechte, sie hindert den gesicherten Gläubiger hingegen nicht daran, bereits vorher verpfändete Sachen oder Forderungen zu verwerten2. Denn auch durch eine nachfolgende Verfahrenseröffnung geht dem gesicherten Gläubiger sein Selbstverwertungsrecht nicht verloren. Bei einem Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel kann sich eine Gefährdung des Gläubigeranspruchs dann ergeben, wenn die sicherungshalber vorgenommene Vorausabtretung der Forderungen wertlos wird. Dies ist insbesondere dann zu befürchten, wenn die Abnehmer der noch nicht bezahlten Ware befreiend an den Insolvenzschuldner zahlen (§ 407 BGB). Der gesicherte Gläubiger sollte daher dafür sorgen, dass die Abnehmer der Eigentumsvorbehaltsware unmittelbar von der Forderungsabtretung unterrichtet werden. Bei Gefahr im Verzuge kann diese Unterrichtung im Wege der einstweiligen Verfügung erzwungen werden, ohne dass dieser Maßnahme einstweilige Sicherungsmaßnahmen entgegenstünden.
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c) Im eröffneten Insolvenzverfahren aa) Stellung des Absonderungsberechtigten (§ 52 InsO) Die Koordinierung der Beteiligten durch das Insolvenzverfahren findet ihre Rechtfertigung darin, dass sich nur auf diesem Wege marktkonforme Entscheidungsbedingungen für die günstigste Masseverwertung herstellen lassen. Die geordnete Masseverwertung wird behindert, wenn einzelne Sicherungsgläubiger das ihnen haftende Sicherungsgut aus dem technisch-organisatorischen Verbund des Schuldnervermögens herauslösen. Der Einzelzugriff eines Sicherungsgläubigers kann den Wert des Schuldnervermögens erheblich beeinträchtigen. Die wirtschaftlich sinnvolle und bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens erfordert daher die Einbeziehung der gesicherten Gläubiger in das Gesamtverfahren3. Dieses Grundprinzip ist seit nunmehr knapp zehnjähriger Existenz der InsO nicht mehr wegzudenken.
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Gesetzlich verankert ist der ausnahmslose Einbezug der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren in § 52 InsO, sofern der Schuldner diesen über die bestehende Sachhaftung hinaus auch persönlich haftet4.
232
Die Verfahrensbeteiligung besteht unabhängig davon, ob das Verwertungsrecht dem Verwalter oder dem Gläubiger selbst zukommt. Mit Abschaffung der Möglichkeit des Gläubigers, sich außerhalb des gerichtlichen Verfahrens aus dem Sicherungsgut zu befriedigen (§ 127 Abs. 2 KO) und der Ausdehnung der insolvenzrechtlichen Haftungsverwirklichung auch auf die dingliche Vermögens-
233
1 2 3 4
Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.422. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.423. BT-Drucks. 12/2443, S. 77 (79); Referentenentwurf, 2. Teil, S. 16. BT-Drucks. 12/2443, S. 126; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 1; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 1.
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§7
Rz. 234
Beratung des gesicherten Gläubigers
haftung hatte der Gesetzgeber der InsO eine seit langem erhobene Reformforderung aufgegriffen1. 234
Dadurch sollte eine –
Verfahrensvereinheitlichung und
–
Verfahrenskonzentration in der Hand des Insolvenzverwalters eintreten.
235
Aufgrund der Einbeziehung der Sicherungsgläubiger in das Insolvenzverfahren mussten ihre Mitspracherechte hinsichtlich der Abwicklung des Insolvenzverfahrens gestärkt werden. Daher war es erforderlich, die Mitspracherechte der absonderungsberechtigten Gläubiger, denen der weit überwiegende Teil des Vermögens insolventer Unternehmen zusteht, in der Gläubigerversammlung sowie dem Gläubigerausschuss wesentlich auszubauen. (Näheres zu Gläubigerversammlung und -ausschuss sowie zur sonstigen Rechtsstellung einfacher Insolvenzgläubiger unter § 6 Rz. 222 ff., 249 ff.)2.
236
Infolge der Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren gemäß § 52 InsO ist ihre Teilnahme an der Gläubigerversammlung nicht mehr darauf beschränkt, dass sie lediglich mit ihrer Ausfallforderung als Insolvenzgläubiger am Verfahren teilnehmen, sondern ihnen steht nunmehr ein volles Teilnahmerecht zu, das ihnen nach § 77 Abs. 1 InsO auch ein volles Stimmrecht (vgl. § 6 Rz. 253 ff.) in Höhe ihrer Forderung einräumt.
237
Auch soweit der Schuldner dem Absonderungsberechtigten nicht persönlich haftet, ist der Absonderungsberechtigte mit einem Stimmrecht zur Teilnahme an den Versammlungen berechtigt. An die Stelle des Wertes der Forderung tritt sodann der Wert des Absonderungsrechts (§ 76 Abs. 2 2. Hs. InsO).
238
Musterschreiben – Geltendmachung eines Absonderungsrechts am beweglichen Vermögen Sehr geehrter Herr Kollege, wir dürfen Ihnen anzeigen, dass wir die rechtlichen Interessen der Fa. … in vorbezeichnetem Insolvenzverfahren vertreten. Unserer Mandantin steht gegenüber der von Ihnen verwalteten Schuldnerin eine fällige Darlehensforderung gemäß beiliegendem Darlehensvertrag zu. Der Darlehensvertrag ist mit eingeschriebenen Brief vom ….gekündigt worden. Entsprechende Unterlagen überreichen wir zu Ihrer Kenntnisnahme anbei. Weiter dürfen wir Sie darauf hinweisen, dass unserer Mandantin wegen dieser Forderung folgende Sicherheiten der Schuldnerin zustehen: –
Sicherungsübereignung des bereits in unserem Besitz befindlichen LKWs mit dem amtlichen Kennzeichen …
–
Sicherungsübereignung der noch in der Insolvenzmasse befindlichen Gegenstände gemäß Anlage ….
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 86; Referentenentwurf, 2. Teil, S. 48. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 80, 86; Referentenentwurf, 2. Teil, S. 49.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
–
Rz. 241
§7
Abtretung der Außenstände, d.h. Abtretung der der Schuldnerin zustehenden Forderungen aus Warenlieferungen vom … gegenüber den Drittschuldnern …
Hinsichtlich dieser Sicherheiten beanspruchen wir abgesonderte Befriedigung. Hinsichtlich der noch in der Insolvenzmasse befindlichen Gegenstände bitten wir um Auskunft über deren Zustand, hilfsweise die Besichtigung vor Ort. Weiter beanspruchen wir Auskunft hinsichtlich der unserer Mandantin zur Sicherheit abgetretenen Forderungen. Diesbezüglich begehren wir Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere der Schuldnerin. Mit freundlichen Grüßen
bb) Verwertung der Absonderungsrechte (1) Allgemeines Ziel eines Insolvenzverfahrens muss die optimale Abwicklung und Umgestaltung der Finanzstruktur des Schuldners verbunden mit der bestmöglichen Verwertung des Schuldnervermögens im Interesse seiner Geldgeber sein. Vor diesem Hintergrund sollten die Kreditsicherheiten auch unter der InsO ihren wirtschaftlichen Wert im Insolvenzverfahren behalten, wobei eine Anpassung ihrer Ausübung an die Bedürfnisse des Insolvenzverfahrens jedoch als notwendig erachtet wurde1. Während die Aussonderungsberechtigten nur geringfügige Änderungen durch die Einführung der InsO hinnehmen mussten, wurde das Verwertungsverfahren von absonderungsbelasteten Vermögenswerten grundlegend umkonzipiert.
239
Eine dem ehemaligen § 4 Abs. 2 KO entsprechende Regelung, die die abgesonderte Befriedigung grundsätzlich außerhalb des Konkursverfahrens vorsah, fehlt in der InsO. Diese differenziert hinsichtlich der Verwertungsmodalitäten nach Art des Sicherungsgegenstandes bzw. Sicherungsrechts. Im Wesentlichen gibt es drei Gruppen, für die jeweils verschiedene Verwertungsregelungen gelten:
240
–
Immobiliarsicherungsrechte (§ 49 InsO, vgl. Rz. 244);
–
Mobiliarpfandrechte (§ 50 InsO, vgl. Rz. 263 ff.);
–
besitzlose Mobiliarsicherungsrechte (§ 51, vgl. Rz. 270 ff.).
Das Rangverhältnis der einzelnen konkurrierenden Absonderungsrechte zueinander bestimmt sich nach materiellem Recht sowie Prozessrecht. Grundsätzlich gilt unter mehreren Rechten der Prioritätsgrundsatz, wonach in der Regel das ältere Recht dem jüngeren vorgeht (vgl. §§ 879, 1209 BGB, 804 Abs. 3 ZPO, 10 ZVG)2. Einen Ausnahmefall stellen die Absonderungsrechte des Fiskus gemäß § 51 Nr. 4 InsO dar, denen der Vorrang gegenüber sonstigen Absonderungsrechten zukommt, da die Sachhaftung verbrauchssteuerpflichtiger und zollpflichtiger Waren nach § 76 Abs. 1 AO „ohne Rücksicht auf Rechte Dritter“ besteht. 1 BT-Drucks. 12/2443, S. 2 (77). 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 50 Rz. 47.
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241
§7
Rz. 242
Beratung des gesicherten Gläubigers
! Hinweise für den Berater: 242
243
–
Anders als unter Geltung der KO muss sich die Beratungspraxis in einem ersten Schritt mit der Verwertungsberechtigung befassen. Dies zwingt zu einer zeitlich früheren Beratung. Denn liegt die Verwertungsberechtigung in einem (möglichen) Insolvenzverfahren beim Insolvenzverwalter, so gewinnen die unter Rz. 216 ff. dargelegten Möglichkeiten einer Sicherheitenverwertung im Vorfeld einer Insolvenz an Bedeutung.
–
Ist erst einmal das Insolvenzverfahren eröffnet, so erschwert sich die Verwertungssituation für den gesicherten Gläubiger. Insolvenzverwalter sind insbesondere nicht verpflichtet, die Interessen der Absonderungsberechtigten wahrzunehmen. Allerdings muss er die ihm bekannten Absonderungsrechte bei der Verwertung der Masse beachten (zu den hiermit verbundenen Haftungsgefahren für den Insolvenzverwalter siehe unten Rz. 371 ff.).
–
Soweit die Überprüfung eines bestehenden Absonderungsrechts seitens des Insolvenzverwalters zugunsten des beanspruchenden Absonderungsberechtigten ausfällt, erkennt der Insolvenzverwalter das Absonderungsrecht an und verwertet den Sicherungsgegenstand bzw. überlässt dem Berechtigten die Verwertung, soweit dem Gläubiger ausnahmsweise ein Verwertungsrecht zukommt.
–
Ist das Bestehen eines Absonderungsrechts streitbefangen, so richtet sich die Rechtsverfolgung nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts sowie des Prozessrechts. Für die Anmeldung bzw. Feststellung eines Absonderungsrechts existiert kein besonderes, in der InsO kodifiziertes Verfahren. Der Rechtsstreit ist mithin zwischen dem Absonderungsberechtigten und dem Insolvenzverwalter im ordentlichen Rechtsweg zu führen. In einem solchen Rechtsstreit könnte auch der Insolvenzverwalter die Anfechtbarkeit einer Sicherheitenverwertung im Vorfeld der Insolvenz einwenden.
Für die Beurteilung dieser und zahlreicher anderer Fragen der Sicherheitenverwertung ist eine Differenzierung nach den oben genannten Absonderungsrechten unerlässlich. Begonnen werden soll mit der Verwertung von Absonderungsrechten aufgrund von Immobiliarsicherheiten: (2) Verwertung von Immobiliarsicherheiten
244
Ausgangspunkt der Verwertung von Immobiliarsicherheiten sind die §§ 49, 165 InsO. In der Insolvenz des Grundstückseigentümers sind daher sowohl der absonderungsberechtigte Grundpfandgläubiger als auch der Insolvenzverwalter zur Betreibung der Verwertung berechtigt. Die Gläubiger, denen ein Absonderungsrecht an einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht zusteht, werden durch die Verfahrenseröffnung keinem automatischen Verwertungsverbot unterworfen. Die Vorschriften belassen es bei dem Grundsatz des bislang geltenden Rechts, dass die Gläubiger, denen ein Absonderungsrecht an einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht zukommt, auch nach der
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 248
§7
Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Befriedigung ihrer Forderung die Verwertung der belasteten Immobilie durch –
Betreibung des Zwangsversteigerungs- (Rz. 250 ff.) oder
–
Zwangsverwaltungsverfahrens (Rz. 258 ff.)
initiieren können1. Dieses Verwertungsrecht des Sicherungsnehmers wurde durch die InsO im Vergleich zu der unter Geltung des Konkursrechts geltenden Rechtslage in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: –
Zum einen durch die unter Einbeziehung der Zwangsverwaltung neu gestalteten Einstellungsmöglichkeiten, die eine einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung bzw. Zwangsverwaltung gemäß der §§ 30d, 153b ZVG nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erleichtern.
–
Zum anderen wurden auch die Grundpfandrechtsgläubiger mit obligatorischen Kostenbeiträgen (Rz. 325) belegt.
Neben diesem Verwertungsrecht des Absonderungsberechtigten besteht die Möglichkeit der so genannten Verwaltervollstreckung gemäß § 165 InsO, für die sich in §§ 172 ff. ZVG Sonderregelungen finden. Danach steht auch dem Verwalter das Recht zu, die zur Masse gehörenden unbeweglichen Gegenstände im Wege der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung zu verwerten bzw. freihändig zu veräußern, wobei auch Letzteres als Realisierung der Absonderungsrechte anzusehen ist2.
245
Das belastete Grundvermögen wird häufig im Verbund stehen mit dem übrigen betrieblich genutzten Vermögen des Schuldners. Durch die beim Absonderungsberechtigten verbleibende Verwertungsbefugnis droht ein Nutzungskonflikt zwischen Grundpfandgläubiger und Insolvenzverwalter.
246
Da die Zwangsverwertung von Grundstücken – im Gegensatz zur Verwertung beweglicher Sachen – ein langwieriges Verfahren voraussetzt, droht dieser Nutzungskonflikt oftmals erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Schicksal des insolventen Unternehmens einschließlich der Nutzung des Betriebsgrundstücks gelöst ist3. Die Interessen der Insolvenzmasse werden durch die Möglichkeit des Verwalters, im Einzelfall eine Verwertungseinstellung zu beantragen, gewahrt (vgl. hierzu Rz. 252 ff.).
247
Soweit sich der Immobiliarhaftungsverband gemäß § 1120 BGB über das eigentliche Grundstück hinaus auch auf bestimmte andere bewegliche Sachen, wie die von dem Grundstück getrennten Erzeugnisse und Bestandteile sowie Zubehörsgegenstände erstreckt (zum Umfang siehe oben Rz. 145) und diese damit in den Haftungsverband des mit dem Grundpfandrecht belasteten Grund-
248
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 125, 176; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 6, 21; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 49 Rz. 26; ein Plädoyer gegen die gesetzliche Zwangsverwaltung und für privatautonome Vereinbarungen findet sich bei Forster, ZinsO 2008, 190 f. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 125, 176; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 8, 21; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 165 Rz. 1. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 88.
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§7
Rz. 249
Beratung des gesicherten Gläubigers
stücks fallen, gelten für deren Verwertung ebenfalls die Vorschriften über die Verwertung von Immobilien. § 166 InsO findet keine Anwendung. 249
Die Rangfolge der Befriedigung der Absonderungsberechtigten ist in §§ 10 ff. ZVG festgelegt1. Vorab haftet das Grundstück zunächst für die Kosten des Vollstreckungsverfahrens (§§ 44 Abs. 1, 109 Abs. 1 ZVG)2. (a) Zwangsversteigerungsverfahren (aa) Vorläufige Einstellung des Verfahrens
250
Der Sicherungsgläubiger kann zwar die Zwangsversteigerung betreiben, ohne dass ihn ein automatischer Verwertungsstopp bei Verfahrenseröffnung daran hindern würde, aber sowohl der vorläufige als auch der spätere Insolvenzverwalter können bei dem entsprechenden Gericht einen Antrag gemäß § 30d Abs. 1, 4 ZVG stellen, die bereits begonnene Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen3. Dieses Recht versteht sich als Ausgleich für ein fehlendes Verwertungsverbot bei Verfahrenseröffnung. Dabei wird der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Fortführungspflicht in der Regel auch dazu verpflichtet sein, diesen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung zu stellen, um dadurch die vorzeitige Zerschlagung des Schuldnervermögens zu verhindern und die Chancen einer Fortführung zu erhalten.
251
Die Einstellungsmöglichkeiten wurden im Vergleich zu den früher maßgeblichen Bestimmungen der §§ 30c ZVG a.F. i.V.m. § 775 Nr. 2 ZPO durch § 30d ZVG erleichtert. Das Insolvenzgericht ordnet danach auf Antrag des Insolvenzverwalters die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung an, wenn
252
–
der Berichtstermin noch bevorsteht,
–
das Grundstück zur Fortführung des Unternehmens oder für die Vorbereitung einer Betriebsveräußerung benötigt wird,
–
die Versteigerung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährden oder
–
in sonstiger Weise eine angemessene Verwertung der Insolvenzmasse durch die Versteigerung wesentlich erschwert würde4.
Das Gericht kann den Antrag des Insolvenzverwalters nach § 30d Abs. 1 Satz 2 ZVG zwar ablehnen, wenn die Einstellung dem Gläubiger unter „Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse“ nicht zuzumuten ist. Handelt es sich bei den die Zwangsversteigerung betreibenden Sicherungsnehmern aber wie zumeist in der Praxis um Banken, dürfte diese Ausnahmevorschrift wohl kaum zum Tragen kommen, nämlich nur in dem praxisfernen Fall einer ernsten wirtschaftlichen Krise der Bank. 1 Vgl. hierzu Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 49 Rz. 8. 2 Nicht vergessen sollte man mögliche Ersteheransprüche an Nebenkostenabrechnungen, vgl. BGH v. 11. 10. 2007 – VIII ZR 156/07, ZInsO 2007, 1221 m. Anm. Schmidberger, ZInsO 2008, 83 ff. 3 Ausführlich hierzu: Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134 ff. 4 Vgl. hierzu näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 19.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 255
§7
(bb) Zinszahlungspflicht (§ 30e Abs. 1 ZVG) Durch die einstweilige Einstellung soll der wirtschaftliche Wert des Absonderungsrechts nicht gemindert werden. Daher wollte der Gesetzgeber unabhängig von den technischen Unterschieden bei der Einbeziehung der verschiedenen Sicherungsrechte in das Insolvenzverfahren nach einheitlichen Kriterien darüber entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen das Sicherungsgut und die darin gebundene Liquidität der Insolvenzmasse zur Verfügung stehen oder aber dem Sicherungsgläubiger überlassen bleiben sollen1. Auch hier liegt wieder der Gedanke der Vermeidung marktwidriger Verfahrensergebnisse zugrunde, insbesondere um Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis des insolventen zu gesunden Unternehmen zu verhindern.
253
Hieraus folgt, dass die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung und die damit einhergehende, zumindest vorübergehend verlängerte Bindung des Sicherungsguts an die Insolvenzmasse, nur unter gleichzeitiger Gewährung eines entsprechenden Nachteilsausgleichs erfolgen darf. Die einstweilige Einstellung kann daher nach § 30e Abs. 1 ZVG nur unter der Auflage angeordnet werden, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin laufend die aufgrund des Rechtsverhältnisses geschuldeten, sprich die vertraglich vereinbarten oder kraft Gesetzes geschuldeten (§ 288 BGB, § 352 HGB) Zinsen gezahlt werden2. Dabei ist für die Berechnung der Zinsen allein der Kapitalbetrag maßgeblich, für den der Gläubiger die Zwangsversteigerung betreibt3. Erfolgte die Einstellung bereits im Antragsverfahren, setzt die Zinszahlungverpflichtung spätestens drei Monate nach der ersten Einstellung ein (§ 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG).
254
Für die Zeit bis zum Berichtstermin ist, von dem Ausnahmefall der einstweiligen Einstellung im Eröffnungsverfahren abgesehen, in paralleler Ausgestaltung zu den Mobiliarsicherheiten eine Zinszahlungsverpflichtung des Verwalters nicht vorgesehen. Dieser Zeitraum dient dem Verwalter zur Feststellung von Rechten Dritter am Schuldnervermögen und vor allem zur Überprüfung der Frage nach der für alle Beteiligten – auch für die absonderungsberechtigten Gläubiger – günstigsten Art der Verfahrensdurchführung. Diese Regelung wurde auch als den Absonderungsberechtigten zumutbar angesehen, da der Zeitraum bis zum Berichtstermin eng begrenzt (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und die Durchsetzung von Rechten im Wege der Zwangsvollstreckung stets mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden ist4. Zudem bedeutet dies nicht, dass auch die Haftung der Sicherheit für diese Zinsen fortfiele. Bei der späteren Erlösverteilung oder einer Ablösung des Sicherungsrechts durch den Verwalter finden nach den allgemeinen Regelungen auch diese Zinsen Berücksichtigung5.
255
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 88. 2 Vgl. Begr. BT-Drucks. 12/2443, S. 176 f.; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521f. m.w.N. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 19; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 427. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 177. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 177; Mönning/Zimmermann; NZI 2008; 134 (136).
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 256
Beratung des gesicherten Gläubigers
(cc) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 30e Abs. 2 ZVG) 256
Nutzt der Verwalter das Grundstück weiterhin für die Insolvenzmasse, so ergeht auf Antrag des betreibenden Gläubigers nach § 30e Abs. 2 ZVG eine weitere Anordnung des Gerichts, nach der dem beantragenden Sicherungsinhaber von der Einstellung des Versteigerungsverfahrens an etwaige Wertverluste durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse auszugleichen sind1.
257
Der Zinsanspruch bzw. Nachteilsausgleich nach Abs. 1 und Abs. 2 ist naturgemäß dann nicht zu bedienen, wenn der Sicherungsnehmer aus der Sicherheit, z.B. wegen ihrer Nachrangigkeit, ohnehin nicht mit einer Befriedigung rechnen kann (§ 30e Abs. 3 ZVG)2. Das bedeutet, dass wirtschaftlich nicht der Kapitalbetrag der gesicherten Forderung für die Verzinsung sowie den Wertersatz ausschlaggebend ist, sondern allein die Werthaltigkeit des Grundpfandrechts. Je nach erlangtem Rang und dem zu erwartenden Verwertungserlös kann der absonderungsberechtigte Gläubiger folglich mit seinen Rechten ganz oder teilweise ausfallen. Ist das Grundpfandrecht nur zum Teil von dem Wert des Grundstücks gedeckt, so sind die Zins- bzw. Ausgleichszahlungen auch nur auf diesen Teilbetrag zu erbringen3. (b) Zwangsverwaltungsverfahren
258
Auch für die Zwangsverwaltung nach den §§ 146 ff. ZVG besteht die Möglichkeit der einstweiligen Einstellung im Hinblick auf ein laufendes Insolvenzverfahren. Es besteht diesbezüglich eine gesonderte Vorschrift in § 153b ZVG4. Im Konkursrecht kam es häufig zu praktischen Schwierigkeiten, wenn ein massezugehöriges Grundstück während eines Konkursverfahrens der Zwangsverwaltung unterlag. Das Nutzungsrecht des Zwangsverwalters kollidierte nicht selten mit der Verwaltung der Konkursmasse durch den Konkursverwalter5. Der mit der InsO neu geschaffene § 153b Abs. 1 ZVG eröffnet die Möglichkeit, das Zwangsverwaltungsverfahren insoweit einstellen zu lassen, als eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Masse seitens des Insolvenzverwalters durch die weitere Zwangsverwaltung ernsthaft behindert oder erheblich erschwert würde6. Mittelbar wird durch diese Regelung den Rechten des Insolvenzverwalters der Vorrang gegenüber den Rechten des Zwangsverwalters eingeräumt, wodurch die Fortführung des schuldnerischen Betriebs ermöglicht werden soll.
259
Den Grundpfandrechtsgläubigern soll es nicht möglich sein, den Verwalter im Wege der Zwangsverwaltung zur vorzeitigen Betriebsstilllegung zwingen zu können (zum Umfang der Beschlagnahmewirkung bei der Zwangsverwaltung Rz. 145).
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 19; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 809. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 19; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 810. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 177; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 19. 4 Ausführlich hierzu Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134 ff. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 177; Referentenentwurf, 3. Teil, S. 202. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 24; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (527).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 263
§7
Zur Gewährleistung, dass dem betreibenden Gläubiger aus der vorläufigen Einstellung der Zwangsverwaltung keine Nachteile erwachsen, sieht § 153b Abs. 2 ZVG ebenfalls eine Entschädigungspflicht der Insolvenzmasse gegenüber dem Gläubiger hinsichtlich der einstellungsbedingten Nachteile in Form von laufenden Zahlungen, und zwar bereits ab Einstellung vor1. Die Einstellung der Zwangsverwaltung wird nach § 153b Abs. 2 ZVG von Amts wegen mit der Auflage erlassen, die dem betreibenden Gläubiger aus der Einstellung erwachsenden Nachteile auszugleichen. Im Gegensatz zur einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung ist ein diesbezüglicher Antrag des Gläubigers nicht erforderlich. Da der Gläubiger hier aus der Insolvenzmasse einen vollen Ausgleich für die erlittenen Nachteile erhält, findet eine nähere Interessenabwägung zwischen dem betreibenden Gläubiger und der Gesamtgläubigerschaft im Rahmen der Einstellungsanordnung nicht statt2.
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! Hinweis: Den Gläubigern, die mit Einstellungsanträgen rechnen müssen, wäre anzuraten, zusammen mit der Zwangsversteigerung auch die Zwangsverwaltung einzuleiten, um dadurch den Beginn des Zahlungsanspruchs auf den Einstellungszeitpunkt vorzuverlegen3.
261
(c) Gerichtliche Durchsetzung Soweit der Absonderungsberechtigte seine Rechte vollstreckungsrechtlich geltend machen möchte, ist er dazu gezwungen, sich einen Vollstreckungstitel gegen den Insolvenzverwalter zu erstreiten. Gegenstand dieser Klage kann nicht die Durchsetzung eines schuldrechtlichen Anspruchs sein, da hierdurch entgegen des Verbots in § 89 Abs. 1 InsO ein Zugriff auf das gesamte pfändbare Schuldnervermögen angestrebt würde. In Betracht kommt hier die so genannte Pfandklage, mit der die Duldung der Zwangsvollstreckung aus einem bestehenden dinglichen Recht in den unbeweglichen Gegenstand beansprucht wird4.
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(3) Verwertung von Mobiliarpfandrechten (a) Mobiliarpfandrechte an Sachen Das Zugriffs- und Verwertungsrecht der Pfandgläubiger bleibt von der Verfahrenseröffnung unberührt5. Insoweit sieht die InsO eine natürliche Ausnahme von dem grundsätzlichen Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters für Sicherungsgegenstände, an denen ein vertragliches Pfandrecht besteht, vor. Da die Begründung des Vertragspfandrechts in der Regel bereits einen Besitzerwechsel nach § 1205 BGB6 erfordert, greift die Verwertungsregel des § 166 1 Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 813; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 24. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 177; ausführlich Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134 (139). 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 24. 4 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 49 Rz. 28. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 173 Rz. 1; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 792. 6 Vgl. näher Staudinger/Wiegand, BGB, § 1205 Rz. 9 ff.; Damrau in Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2004, § 1205 Rz. 7 ff.
Drees/J. Schmidt
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263
§7
Rz. 264
Beratung des gesicherten Gläubigers
Abs. 1 InsO nicht ein. Mit der Besitzaufgabe hat der Schuldner bereits gezeigt, auf den Sicherungsgegenstand für die Betriebsfortführung nicht angewiesen zu sein. Es kommt die Regelung des § 173 InsO zum Zuge, die dem Absonderungsberechtigten das Verwertungsrecht zuschreibt1. Das bedeutet, dass der gesicherte Gläubiger das in seinem Besitz befindliche Pfandgut wie bislang selbst verwerten kann.
! Hinweis für den Berater: 264
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–
Entsprechend gesicherte Gläubiger sind gut beraten, von diesem Verwertungsrecht zeitnah Gebrauch zu machen. Denn Insolvenzverwalter haben die Möglichkeit, die Verwertung nach § 173 Abs. 2 InsO zu forcieren2 und nach fruchtlosem Verstreichen der Frist das Verwertungsrecht auf sich überzuleiten3.
–
Ebenfalls ist das Risiko einer Insolvenzanfechtung im Auge zu behalten. Sollte die vom Insolvenzverwalter eingewandte Anfechtbarkeit der Pfandrechtsbestellung nicht von der Hand zu weisen sein, so kann diese rechtliche Unsicherheit zum Anlass genommen werden, sich mit dem Insolvenzverwalter gegen Verzicht auf das Anfechtungsrecht über eine Massebeteiligung – etwa analog §§ 170 ff. InsO – zu verständigen.
Bei Pfändungspfandrechten kommt es entscheidend darauf an, ob der Gläubiger sein Pfandrecht schon vor der Insolvenz geltend gemacht und den Pfandgegenstand zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen hat oder ob sich der Pfandgegenstand noch im Besitz des Schuldners befindet. Im zweiten Fall kann der Insolvenzverwalter den Besitz an der Sache ergreifen und die Verwertung übernehmen. Zu einer möglichen Unwirksankeit gemäß § 88 InsO siehe oben Rz. 183 ff. (b) Mobiliarpfandrechte an Forderungen und sonstigen Rechten
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Verpfändete Forderungen sowie sonstige verpfändete Rechte können von den gesicherten Gläubigern selbst eingezogen bzw. verwertet werden4. Dies basiert darauf, dass bereits die Begründung eines Pfandrechts an einer Forderung nach § 1280 BGB die Anzeige der Verpfändung gegenüber dem Drittschuldner der 1 BT-Drucks. 12/2443, S. 88, 183; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 173 Rz. 1; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 566 f., 576. 2 Die in § 199 RegE vorgesehene Möglichkeit des Insolvenzverwalters, durch einen entsprechenden Antrag beim Insolvenzgericht eine Anordnung zu bewirken, die den Gläubiger nach Anhörung zur Herausgabe der Sache an den Verwalter verpflichtet, sofern dieser sie für die Geschäftsführung benötigt, wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses gestrichen. Es wurde als ausreichend angesehen, dass dem Insolvenzverwalter für Fälle dieser Art die Möglichkeit der Auslösung durch Forderungsbegleichung zustand, vgl. § 199 RegE BT-Drucks. 12/2443, S. 183 und zur Beschluss-Empfehlung des Rechtsausschusses zu § 199 BT-Drucks. 12/7302, S. 178. 3 BGH v. 7. 4. 2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (385 f.); vgl. näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 173 Rz. 6 ff. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 178 f.; BT-Drucks. 12/7302, S. 176; BGH v. 15. 5. 2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 bestätigt durch BGH v. 25. 9. 2003 – IX ZR 213/03, NZI 2004, 29 ff. Zuvor bereits BGH v. 11. 7. 2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 269
§7
Forderung voraussetzt. Bei Fälligkeit der gesicherten Forderung ist der Gläubiger unmittelbar nach § 1282 Abs. 1 BGB zur Einziehung der Forderung gegenüber dem Drittschuldner berechtigt. Der Drittschuldner kennt mithin den Gläubiger und rechnet von vornherein damit, von diesem in Anspruch genommen zu werden1. Da ein Einziehungsrecht des Verwalters hiermit nur schwer zu vereinbaren ist, hat der Gesetzgeber der InsO auf ein solches verzichtet2. Aus diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund und der Formulierung des § 166 Abs. 2 InsO kann daher für verpfändete Forderungen auf ein regelmäßiges Verwertungsrecht des Pfandgläubigers geschlossen werden3. Insbesondere liegt keine planwidrige Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO eröffnen könnte4. Diese nach Einführung der InsO vertretene Analogie entbehrt inzwischen jedweder rechtlichen Grundlage5. Damit kann der Gläubiger die gepfändete Forderung selbst einziehen bzw. das gepfändete Recht selbständig in sonstiger Weise verwerten.
267
! Hinweis bei fehlender Pfandreife: Hat der Pfandrechtsgläubiger mangels Pfandreife gegen den Insolvenzverwalter nur einen Anspruch auf Sicherstellung und ist er deshalb nicht befugt, das Pfandrecht selbst einzuziehen (§§ 1282 Abs. 1, 1282 Abs. 2 BGB), steht das Einzugsrecht allein dem Insolvenzverwalter zu6. Dies ergibt sich – aus den oben genannten Gründen – aber nicht aus der (hier unanwendbaren) Vorschrift des § 166 Abs. 2 InsO. Der Insolvenzverwalter ist daher auch nicht auf den Weg des § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO angewiesen und muss nicht erst mittels Fristsetzung das Verwertungsrecht auf sich überleiten. Diese Vorschrift geht bei fehlender Pfandreife mangels Verwertungsrechts des Pfandgläubigers ins Leere7. Allerdings muss der Insolvenzverwalter den Verwertungserlös in Höhe der zu sichernden Forderung (§ 45 Satz 1 InsO) zurückbehalten und vorrangig hinterlegen, bis die zu sichernde Forderung fällig wird oder die Bedingung ausfällt (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO)8.
268
! Hinweise für die Beratung von Kreditinstituten:
1 2 3 4 5 6 7 8
–
Praktische Relevanz hat das Eigenverwertungsrecht insbesondere für Kreditinstitute, die aufgrund ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen häufig Pfandrechte, vornehmlich an Wertpapieren, besitzen. Kreditinstitute haben daher ein besonderes Interesse, das eigene Verwertungsrecht zunächst insolvenzfest zu begründen und sodann insolvenzfest auszuüben.
–
Wenn ein Sicherungsbedürfnis besteht, kann eine Bank von ihrem Pfandrecht an den Forderungen des Kunden auch schon vor Pfandreife
Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 166 Rz. 22. BT-Drucks. 12/2443, S. 178 f.; vgl. auch Smid, InsO, § 166 Rz. 20. BGH v. 25. 9. 2003 – IX ZR 213/03, NZI 2004, 29 ff. BGH v. 15. 5. 2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 ff. Vgl. z.B. Marotzke, ZZP 1996, 448 ff. BGH v. 7. 4. 2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 ff. Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 173 Rz. 6. BGH v. 7. 4. 2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (386 f.).
Drees/J. Schmidt
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269
§7
Rz. 269a
Beratung des gesicherten Gläubigers
Gebrauch machen, indem sie zur Sicherung einer späteren Verwertung keine Verfügungen des Kunden mehr zulässt. Dies geschieht durch eine Kontosperre1.
269a
–
Lässt die Bank es aber zu, dass der Kunde über sein Kontoguthaben verfügt, gibt sie insoweit ihr Pfandrecht frei. Erhöht sich anschließend im letzten Monat vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Gutschriften der Kontostand, ist das in entsprechender Höhe neu entstehende Pfandrecht nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar.
–
Machen Kreditinstitute von ihrem Pfandrecht durch Anordnung einer Kontosperre Gebrauch bevor ihre Forderung aus dem Dispositionskredit fällig ist (§ 1281 Satz 2 Hs. 2 BGB), dann sind sie gut beraten, auch dann keine Verfügungen über das Kontoguthaben mehr zuzulassen, wenn es zwischenzeitlich wieder zu Zahlungseingängen gekommen ist und die bauvertraglichen Voraussetzungen zur Anordnung der Kontosperre u.U. wieder weggefallen sind.
–
Insolvenzverwalter werden aus dieser Rechtsprechung nur dann Rechte herleiten können, wenn der Beweis gelingt, dass ohne die Kontosperre das Guthaben abgeflossen wäre2.
Musterschreiben – Anerkennung eines Absonderungsrechts durch den Insolvenzverwalter bei fehlendem Verwertungsrecht Sehr geehrter Herr Kollege, in dem vorbezeichneten Insolvenzverfahren liegt mir Ihr Schreiben vom …..vor. In diesem weisen Sie mich auf das zugunsten Ihrer Mandantin bestehende Werkunternehmerpfandrecht an dem PKW .. zur Absicherung Ihrer Werklohnforderung aufgrund eines Vertrages vom … hin. Das von Ihnen geltend gemachte Pfandrecht erkenne ich an. Ihre Mandantin ist daher zur abgesonderten Befriedigung aus diesem Gegenstand berechtigt. Um der Abwicklung des Insolvenzverfahrens den Fortgang zu geben, darf ich Sie bitten, umgehend die Verwertung nach Maßgabe der Vorschriften über die Pfandverwertung zu betreiben und mir gegenüber über den Verwertungserlös Rechnung zu legen. Ich rechne mit einer Verwertung bis spätestens zum …. Sollte dies nicht geschehen, werde ich beim Insolvenzgericht beantragen, dass Ihnen zur Verwertung eine Frist gesetzt wird, nach deren fruchtlosem Ablauf die Verwertungsberechtigung mir zusteht. Mit freundlichen Grüßen
1 BGH v. 12. 2. 2004 – IX ZR 98/03, ZIP 2004, 620 im Anschluss an BGHZ 150, 122 (125 f.) = ZIP 2002, 812 ff; m. zust. Anm. Haertlein/J. Schmidt, WuB 2004, 535. 2 Beutler/Vogel, EWiR 2004, 1143 f.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 271b
§7
(4) Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten (a) Verwertung von Sachen (aa) Verwertungsbefugnis Unter der KO oblag die Verwertung der Gegenstände, an denen zugunsten eines Gläubigers ein Absonderungsrecht bestand, regelmäßig dem absonderungsberechtigten Gläubiger, d.h. es bestand ein Selbstverwertungsrecht des Sicherungsnehmers1. Diesem stand es frei, den Sicherungsgegenstand ohne Rücksichtnahme auf die Interessen der übrigen Gläubiger oder sonstige insolvenzspezifische Belange zu verwerten und den Erlös bis zur Höhe seiner gesicherten Forderung zu vereinnahmen. Diese Rechtslage wurde insbesondere im Hinblick auf sicherungsübereignete Gegenstände als besonders unbefriedigend empfunden. Wurden die zur Sicherung übereigneten Vermögensgegenstände nach der Verfahrenseröffnung aus dem betrieblichen Verbund herausgelöst, verlor das Unternehmen häufig Betriebsmittel, die für seine Fortführung unentbehrlich waren. Gleiches galt für die Gegenstände, an denen aufgrund eines verlängerten oder erweiterten Eigentumsvorbehalts ein Absonderungsrecht bestand.
270
Um die vorzeitige Auszehrung der Insolvenzmasse durch die eigenmächtigen Verwertungsversuche der Gläubiger zu unterbinden, findet die Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten seit Einführung der InsO im Rahmen des Insolvenzverfahrens statt, weshalb für die gesicherten Gläubiger mit Verfahrenseröffnung ein automatischer Verwertungsstopp eingreift2. Rechtstechnisch wird der Verwertungsstopp mit der Verlagerung des regelmäßigen Verwertungsrechts an absonderungsbehafteten Gegenständen auf den Insolvenzverwalter durchgesetzt.
271
Dies ergibt sich aus § 166 Abs. 1 InsO, der vorsieht, dass der Insolvenzverwalter bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten und damit ein Herausgabeverlangen des Absonderungsberechtigten zurückweisen darf, wenn er den Gegenstand selbst im Besitz hat3. Zu den Verwertungsrechten bei lediglich mittelbarem Besitz des Verwalters und den Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 InsO im Einzelnen siehe unten Rz. 275.
271a
Als Hauptanwendungsfall des § 166 Abs. 1 InsO wurde an das Absonderungsrecht kraft Sicherungseigentums gedacht. Ebenso in den Anwendungsbereich des § 166 InsO fallen Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentums-
271b
1 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 127 Rz. 1; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 127 KO Anm. 1. Dies entsprach zwar nicht dem Regel-Ausnahme-Verhältnis, das § 127 KO vorsah, aber mit In-Kraft-Treten des BGB hatte sich das Verhältnis der beiden Absätze zueinander umgekehrt. Im Gegensatz zu früher wurde bei rechtsgeschäftlich bestellten Pfandrechten und gleichgestellten Rechten die Befugnis zur Verwertung ohne gerichtliches Verfahren zur Regel. Damit wurde die auf dem Selbstverwertungsrecht des Absonderungsberechtig ten basierende Bestimmung des § 127 Abs. 2 KO zur Regelbestimmung, die Verwertung durch den Verwalter im Sinne des Abs. 1 zur Ausnahmevorschrift. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 1. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 178; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 119 (120).
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 272
Beratung des gesicherten Gläubigers
vorbehalts sowie gepfändete Sachen oder Sachen, die mit einem Vermieterpfandrecht1 belastet sind. Überblick – Anwendungsbereich des § 166 InsO 272
–
Sicherungseigentum;
–
Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts;
–
gepfändete Sachen im Besitz des Verwalters;
–
mit Vermieterpfandrecht belastete Sachen im Besitz des Verwalters.
273
Den Gläubigern wird durch die Verlagerung des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter der Zugriff auf die wirtschaftliche Einheit des schuldnerischen Unternehmens verwehrt. Vorhandene Chancen zeitweiliger oder dauerhafter Unternehmensfortführung bleiben dadurch erhalten, und dem Verwalter wird die Möglichkeit eröffnet, durch eine gemeinsame Verwertung zusammengehöriger, aber für unterschiedliche Gläubiger belasteter Gegenstände, einen höheren Verwertungserlös zu erzielen. Soweit durch eine Sanierung des Unternehmens der Fortführungswert der Sicherheit erhalten bleibt oder eine vorteilhafte Gesamtveräußerung erfolgt, können die neuen Verwertungsregelungen auch dem gesicherten Gläubiger zugute kommen.
274
Befindet sich die absonderungsbelastete Mobilie nicht im Besitz des Insolvenzschuldners, ist ausnahmsweise der Gläubiger gemäß § 173 Abs. 1 InsO zur Verwertung befugt. Hintergrund dieser nach der jeweiligen Besitzlage differenzierenden Regelung in Bezug auf besitzlose Pfandrechte und Besitzpfandrechte ist im Wesentlichen der Gesichtspunkt, dass besitzlose Mobiliarsicherheiten in aller Regel am Umlauf- oder Anlagevermögen des schuldnerischen Unternehmens bestehen. Das Sicherungsgut wird regelmäßig im schuldnerischen Betrieb genutzt und steht daher mit dem übrigen Schuldnervermögen in einem technisch-organisatorischen Verbund. Es spricht eine gewisse tatsächliche Vermutung dafür, dass der Betrieb nur unter Aufrechterhaltung dieses Verbundes weitergeführt oder aber in sonstiger Weise wirtschaftlich sinnvoll verwertet werden kann2. Sinn und Zweck des durch die Neuregelung des § 166 InsO beigebrachten automatischen Verwertungsstopps war es gerade, die auf den gläubigerseitigen Individualzugriff zurückzuführende Herauslösung der Sicherungsgüter aus dem Unternehmensverbund nach Verfahrenseröffnung zu verhindern, um dadurch die Betriebsmittel, die zur Fortführung des insolventen Unternehmens – und sei es nur eine vorübergehende – unentbehrlich waren und damit die betriebliche Einheit zu erhalten3.
! Hinweis für den Berater: –
275
Befindet sich die absonderungsbelastete Mobilie nicht im Besitz des Insolvenzverwalters, ist ausnahmsweise der Gläubiger gemäß § 173 Abs. 1 InsO zur Verwertung befugt.
1 Zur Bedeutung des Vermieterpfandrechts in der Betriebsfortführung Zipperer, NZI 2005, 538 ff. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 87; Referentenentwurf, 2. Teil, S. 55. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 178 f.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 276
§7
–
Hat der Gläubiger lediglich mittelbaren Besitz, so hängt die Verwertungsbefugnis davon ab, ob es dem Gläubiger gelingt, den Sicherungsgegenstand rechtzeitig vor der Verfahrenseröffnung beim Schuldner herauszuholen, was spätestens im Antragsverfahren durch Maßnahmen des Insolvenzgerichts nach § 21 InsO verhindert werden kann. Dies zeigt wiederum die Notwendigkeit einer rechtzeigen Durchsetzung der Sicherungsrechte im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens (Rz. 216 ff.). Denn hat der Gläubiger bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens aufgrund der Liquiditätsprobleme des Sicherungsgebers von seinem Sicherungsrecht Gebrauch gemacht und das Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen, so kann er die Verwertung auch fortsetzen. Eine Rückgabepflicht an den Verwalter besteht – vorbehaltlich einer Insolvenzanfechtung – nicht1.
–
Zeichnet sich eine Sanierung im Insolvenzverfahren ab, wird regelmäßig anders zu beraten sein. Bei Erhalt der wirtschaftlichen Einheit dürfte mit Rücksicht auf die dann erzielbaren Fortführungswerte trotz der Massebeteiligung ein geringerer Ausfall zu erzielen sein als bei Verwertung eines für sich genommen weniger wertvollen Gegenstandes.
–
Vorsicht ist jedoch geboten, wenn z.B. der Vermieter eines insolventen Mieters Gegenstände, die dieser seiner Bank zur Sicherheit übereignet hat, an einen Nachmieter vermietet. In einem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte die klagende Bank sich eine Bowlingbahn zur Sicherheit übereignen lassen2. Der Betreiber der Bowlingbahn wurde insolvent. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis und vermietete die Räume mit der Bowlingbahn neu. Der BGH versagte der Bank einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegenüber dem Vermieter. Zwar gehe das Sicherungseigentum einem möglichen Vermieterpfandrecht vor, jedoch berechtige diese Eigentumsposition lediglich zur Verwertung des Sicherungsguts und verschaffe keinen Wertersatz für gezogene Nutzungen. Ein Anspruch aus Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 Satz Alt. 2 BGB) bestehe daher nicht3. Wenn sich wegen fehlender Bösgläubigkeit des Nachmieters kein Anspruch aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB begründen lasse, so sind Sicherungsgläubiger gut beraten, mit dem Sicherungsnehmer auch eine Regelung über gezogenen Nutzungen zu treffen.
Ausschlaggebendes Moment für das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters ist mithin sein Besitz am Sicherungsgegenstand (§ 166 Abs. 1 InsO) zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung4. Ausreichend ist ebenso die Besitzerlangung 1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 7; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 772; ursprünglich sahen die Entwürfe der InsO auf Anordnung des Insolvenzgerichts auch für diese Fälle eine Rückgabepflicht des Sicherungsgläubigers an den Insolvenzverwalter vor, wobei nach erfolgter Übergabe der Insolvenzverwalter auch zur Verwertung berechtigt sein sollte (vgl. § 188 DiskE – § 188 RefE – § 199 RegE). 2 BGH v. 26. 9. 2006 – XI ZR 156/05, ZInsO 2007, 37. Vgl. hierzu auch Olshausen, ZIP 2007, 1145. 3 Ganter, ZInsO 2007, 841 (845). 4 Instruktiv in diesem Zusammenhang: Uhlenbruck, ZInsO 2008, 114 ff.
Drees/J. Schmidt
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276
§7
Rz. 277
Beratung des gesicherten Gläubigers
im Antragsverfahren in seiner Eigenschaft als vorläufiger Verwalter bei gleichzeitiger Anordnung eines Veräußerungsverbots1. Ein Anfechtungsrisiko berührt das Verwertungsrecht nicht. 277
Zudem erstreckt sich das Verwertungsrecht auch auf Gegenstände, deren Besitz sich der Verwalter im Wege der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO wieder verschafft hat2.
278
Befindet sich der betreffende Gegenstand bei Verfahrenseröffnung im Besitz eines Dritten, der sein Besitzrecht vom Schuldner ableitet, z.B. bei einem seitens des Schuldners bezahlten Lagerhalter oder zur Reparatur bei einem Werkunternehmer, so ist auch der mittelbare Besitz des Schuldners als ausreichend für die Begründung eines Verwertungsrechts des Verwalters anzusehen3. In diesem Zusammenhang stellt der BGH ganz allgemein darauf ab, ob der Schuldner die betreffenden Gegenstände aus betrieblichen Gründen überlassen hat, und sieht das insbesondere in den Fällen der Weitervermietung und der Überlassung im Rahmen eines Leasingvertrages als gegeben an, mit der Konsequenz, dass dem Verwalter das Vermögensrecht zusteht. Dies gilt auch für den mehrstufigen mittelbaren Besitz4.
! Hinweise bei mittelbarem Besitz des Schuldners: 279
–
Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger eine solche bewegliche Sache, ohne dazu vom Insolvenzverwalter ermächtigt worden zu sein, schuldet er der Masse die Feststellungskostenpauschale (hierzu 343 ff.)5.
–
Der absonderungsberechtigte Gläubiger erhält auch nicht dadurch ein eigenes Verwertungsrecht, dass er den unmittelbaren Besitzer veranlasst, den Besitzmittlungswillen für den Insolvenzverwalter aufzugeben6.
–
Soweit der Schuldner den Besitz an dem Absonderungsgegenstand gegen seinen Willen verloren bzw. aufgrund des Drucks des Gläubigers unfreiwillig herausgegeben hat, werden diese Gegenstände ebenfalls zu dem Besitz des Verwalters gezählt, so dass ihm auch in diesen Fällen ein Verwertungsrecht zukommt. Der Verwalter kann in diesen Fällen nur den Weg über die Durchsetzung des zivilrechtlichen Besitzkehr-
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 4 ff.; Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 15; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 497. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 7. 3 BGH v. 16. 2. 2006 IX ZR 26/05, ZIP 2006, 814 (816) m. Anm. Gundlach/Frenzel, BGHReport 2006, 818 sowie Anm. v. N. Schmidt/Schirmeister, EWiR 2006, 471 f.; BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320, 1321; m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f.; LG Stuttgart v. 12. 4. 2005 – 2 C 34/05, ZIP 2005, 1523 f.; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 4; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 166 Rz. 4; differenzierend Gaedertz, ZInsO 2000 256 (263). 4 BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 f. 5 BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320, 1321; m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f. 6 BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 435.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 282
§7
anspruchs nach § 861 Abs. 1 BGB1 bzw. den Weg der Anfechtung (Rz. 349e und umfassend § 10) wählen. Trotz des nunmehr in § 166 InsO kodifizierten Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters besteht für diesen keine Verwertungspflicht. Nach § 170 Abs. 2 InsO ist der Insolvenzverwalter dazu berechtigt, die Verwertung des mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands dem gesicherten Gläubiger zu überlassen. Allerdings dürfte dies mit Rücksicht auf die hiermit verbundenen Nachteile für die Gläubigergesamtheit die Ausnahme sein.
280
Eine Ausnahme käme bei unverhältnismäßigen Kosten für die Verwertung durch den Verwalter in Betracht. Aber auch dann ist eine Überlassung gemäß § 170 Abs. 2 InsO keineswegs zwingend. Denn gemäß §§ 170, 171 InsO sind Insolvenzverwalter berechtigt, anstelle der gesetzlichen Verwertungspauschale die tatsächlich entstandenen Kosten ersetzt zu verlangen (siehe hierzu unten Rz. 345 ff.).
280a
Kein Argument für eine Überlassung gemäß § 170 Abs. 2 InsO ist der Umstand, dass der absonderungsberechtigte Gläubiger über bessere Verwertungsmöglichkeiten in Bezug auf den Absonderungsgegenstand verfügt2. Erlangt der Insolvenzverwalter nach Mitteilung der Veräußerungsabsicht gemäß § 168 InsO oder auf andere Weise Kenntnis von einer solchen Verwertungsmöglichkeit, so kann er diese selbst wahrnehmen. Verpflichtet ist er hierzu allerdings nicht. Wenn er sie nicht wahrnimmt, droht indes eine Ersatzpflicht in Höhe der Differenz zu der günstigeren Verwertungsmöglichkeit. Deren Existenz muss jedoch der absonderungsberechtigte Gläubiger zunächst beweisen3.
280b
(bb) Verwertungsverfahren Nach Ausweitung des Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters hat der Gesetzgeber der InsO den absonderungsberechtigten Gläubigern aufgrund ihrer priviligierten Rechtsposition als Eigentümer bzw. Inhaber des belasteten Vermögensgegenstandes mit den Bestimmungen der §§ 167 ff. InsO ein verbessertes rechtliches Instrumentarium zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen an die Hand gegeben. Dabei mussten die widerstreitenden Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters und des gesicherten Gläubigers näher festgelegt und gegeneinander abgegrenzt werden4.
281
(aaa) Auskunftsanspruch (§ 167 InsO) Die unter der KO bereits anerkannte Auskunftspflicht des Konkursverwalters gegenüber absonderungsberechtigten Gläubigern wurde in der InsO unter Konkretisierung einzelner Aspekte des Auskunftsanspruchs erstmals kodifiziert. Nach § 167 InsO steht den Gläubigern, deren Sicherungsgut nun durch den 1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 7; vgl. hierzu auch Eckardt, ZIP 1999, 1734 (1743). 2 Eickmann in Heidelberger Kommentar, 1999, § 170 Rz. 10. 3 Lwowski in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 168 Rz. 55. 4 Vgl. hierzu die Ausführungen des OLG Celle v. 26. 11. 2003 – 16 U 134/03, ZInsO 2004, 42 m. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, S. 301 f.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 283
Beratung des gesicherten Gläubigers
Verwalter verwertet wird, ein Auskunftsrecht als Grundlage ihrer Rechtsposition zu1. 283
Dieser Auskunftsanspruch stellt zwar eine eigenständige Rechtsposition des Gläubigers dar, Hintergrund dieser Vorschrift sind jedoch die folgenden Regelungen der §§ 168, 169 InsO, die dem Absonderungsberechtigten –
Gelegenheit zum Nachweis günstigerer Verwertungsalternativen (Rz. 287 f.),
–
die Eintrittsmöglichkeit in geplante Verwertungsgeschäfte des Verwalters sowie
–
Schutz vor Verzögerungen der Verwertung
gewähren gemäß den Regelungen der §§ 168, 169 InsO (Rz. 287 ff., 297 ff.)2. 284
Voraussetzung für die gebotene Wahrnehmung dieser Rechte ist zunächst die Kenntnis des gesicherten Gläubigers von dem Zustand der Sicherungsgegenstände bzw. von der Höhe und Fälligkeit der Sicherungsforderungen. Der Auskunftsanspruch setzt damit ein gesetzlich geregeltes Gegengewicht zu der nach § 166 InsO gestärkten Rechtsstellung des Insolvenzverwalters, da den absonderungsberechtigten Gläubigern im Übrigen keine Zugriffsmöglichkeit auf den Sicherungsgegenstand mehr offen steht.
285
Aus Gründen der Vereinfachung und um den Insolvenzverwalter zu entlasten, steht es diesem nach § 167 Abs. 1 Satz 2 InsO frei, die Gläubiger darauf zu verweisen, sich selbst vom Zustand der Sache zu überzeugen. Es handelt sich hierbei um eine Ersetzungsbefugnis des Insolvenzverwalters, deren Wahrnehmung durch den Gläubiger vom Einverständnis des Verwalters abhängt3. Im Einzelfall ist die Entscheidung anhand von Zumutbarkeitskriterien zu treffen, so dass weder der Verwalter noch der Berechtigte über Gebühr belastet werden4.
286
Dem Verwalter kommt es nicht zu, für die erteilten Auskünfte zugunsten der Insolvenzmasse Aufwendungsersatzansprüche zu erheben5. Während unter der KO zumindest dann für die mit einer Auskunft verbundenen Kosten Aufwendungsersatz verlangt werden konnte, wenn die Massezugehörigkeit eines Sicherungsgegenstandes völlig ungeklärt war6, ist nach Einführung der obligatorischen Kostenbeiträge in §§ 170, 171 InsO im Rahmen des Auskunftsanspruchs kein Raum mehr für Aufwendungserstattungsansprüche. Handelt es sich um besondere Kosten der Feststellung des Anspruchs, so ist dieser Aufwendungsbetrag bereits in der Kostenpauschale der §§ 170, 171 InsO enthalten7. Im Übrigen gehört die Erteilung von Auskünften zur Ausübung der allgemeinen Verwaltertätigkeit, so dass die erzeugten Kosten zu Lasten der Masse gehen8. 1 Siehe eingehend zum Auskunftsanspruch Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 167 Rz. 1 ff.; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 167 Rz. 1 ff. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Referentenentwurf, 3. Teil, S. 207. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 167 Rz. 6. 4 Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (539) m.w.N. 5 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 167 Rz. 5; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 167 Rz. 9; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (539). 6 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 6 Rz. 53d. 7 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 167 Rz. 5. 8 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 167 Rz. 5.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 288b
§7
! Hinweis für Berater: Der Gesetzestext sollte absonderungsberechtigte Gläubiger nicht davon abhalten, entsprechende Auskunftsrechte auch dann geltend zu machen, wenn Absonderungsgut im schuldnerischen Vermögen nur (vage) vermutet wird. Denn auch in diesem Fall ist der Insolvenzverwalter zur Auskunft verpflichtet. Ungeklärt ist lediglich, ob dieses Recht unmittelbar aus § 167 InsO oder als Nebenrecht des Absonderungsrechts aus § 50 InsO folgt1. Der BGH lässt diese rechtliche Einordnung offen. (bbb) Mitteilungspflicht und Hinweisrecht (§ 168 InsO) Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Verwalter sollte nicht dazu führen, dass eventuell günstigere Verwertungsmöglichkeiten des gesicherten Gläubigers zu dessen Lasten ungenutzt bleiben2. Das Gesetz suchte mit der Regelung des § 168 InsO einen Kompromiss, wonach der Verwalter dem absonderungsberechtigten Gläubiger vor der Verwertung des belasteten Gegenstandes zumindest die Gelegenheit einräumen muss, eine günstigere Verwertungsmöglichkeit nachzuweisen oder den Gegenstand zu den vorgesehenen Bedingungen selbst zu übernehmen.
287
Um dem Gläubiger die Möglichkeit des Nachweises einer günstigeren Verwertungsalternative zu ermöglichen, normiert § 168 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Mitteilungspflicht des Insolvenzverwalters gegenüber dem Sicherungsinhaber bezüglich der konkret beabsichtigten Verwertung3. Dabei besteht die Mitteilungspflicht auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Sicherungsgut im Rahmen einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung verwerten möchte4. Eine inhaltlich hinreichend konkrete Anzeige löst die Wochenfrist zur Abgabe des Gläubigerhinweises im Sinne von § 168 Abs. 2 InsO aus.
288
Das Gesetz lässt offen, wie konkret die vom Verwalter geplante Veräußerung bezeichnet werden muss, und damit auch, wie weit die Verhandlungen zwischen dem Verwalter und dem erwerbswilligen Dritten schon gediehen sein müssen, wenn der Verwalter die Mitteilung macht5. Institutionelle Gläubiger neigen dazu, die inhaltlichen Anforderungen an eine Anzeige des Insolvenzverwalters überzustrapazieren, um sich zum einen mögliche Ersatzansprüche (vgl. § 168 Abs. 2 InsO sowie unten Rz. 289) vorzubehalten und zum anderen den Insolvenzverwalter zu einer Überlassung der Verwertung (§ 170 Abs. 2 InsO) zu bewegen, wodurch sich die Massebeteiligung auf die Feststellungskosten reduzieren würden.
288a
Aus Gründen der Praktikabilität dürfen die Anforderungen an die Anzeige nicht zu streng sein. So dürfte die Person des Käufers nicht genannt werden müssen. Letztlich muss zur Beurteilung, ob eine günstigere Verwertungsmög-
288b
1 BGH v. 4. 12. 2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 179. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 2; vgl. näher Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 642 f. m.w.N. 4 OLG Celle v. 20. 1. 2004 – 16 U 109/03, ZInsO 2004, 445 ff. 5 Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 168 Rz. 3.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 288c
Beratung des gesicherten Gläubigers
lichkeit besteht, allein der Kaufpreis bekannt sein. Enthält die Mitteilung nach § 168 InsO einen Hinweis auf notfalls erforderliche Preisabschläge, so muss auch dies noch als hinreichend konkrete Anzeige im Sinne des § 168 InsO bewertet werden. 288c
Das Gesetz regelt in § 168 InsO weiterhin nicht, wie der Insolvenzverwalter zu verfahren hat, wenn er nach einem Hinweis des Gläubigers auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit eine noch günstigere Verwertungsmöglichkeit findet. Ein Teil der Literatur sieht Insolvenzverwalter in der Pflicht einer erneuten Mitteilung gemäß § 168 Abs. 1 Satz 1 InsO1. Das LG Neubrandenburg2 hält die Gegenansicht3 für vorzugswürdig und sieht den Zweck des § 168 InsO durch eine einmalige Mitteilungspflicht des Verwalters als erfüllt an.
289
Dem Gläubiger wird durch Abgabe eines den Verwalter bindenden Hinweises auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit Einfluss auf die Verwertung seines Sicherungsguts im Insolvenzverfahren gewährt. Zwar begründet ein entsprechend konkreter Hinweis auf eine für ihn4 günstigere Verwertungsmöglichkeit keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters, diese auch wahrzunehmen5. Bei Nichtwahrnehmung der nachgewiesenen günstigeren Verwertungsmöglichkeit muss er den Gläubiger aber so stellen, als ob die Verwertung zu diesen Bedingungen erfolgt wäre (§ 168 Abs. 2 InsO)6. D.h., er muss ihm den Erlös auszahlen, den der Gläubiger bei der Realisierung der für ihn günstigeren Verwertungsoption hätte beanspruchen können. Die Beweislast dafür, dass die vom Gläubiger angezeigte Verwertungsmöglichkeit tatsächlich bestand und zu einer günstigeren Verwertung geführt hätte, trägt der Gläubiger7. Können solche Ansprüche dargetan werden, so dürften sie im Rang einer Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehen8.
290
Diesen Weg wird der Verwalter insbesondere dann wählen, wenn der mit dem Absonderungsrecht belastete Gegenstand Bestandteil einer Gesamtveräußerung ist und diese zwar nicht für den absonderungsberechtigten Gläubiger, dafür aber gegenüber dem Einzelverkauf für die Masse insgesamt Vorteile mit sich bringt9. Auch in diesem Fall braucht der Gläubiger zur Auslösung der 1 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 168 Rz. 10. 2 LG Neubrandenburg v. 1. 3. 2006 – 2 O 237/05, ZInsO 2006, 381 f. 3 Lwowski in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 168 Rz. 36 m.w.N.; Becker in Nerlich/Römermann, InsO, § 168 Rz. 10. 4 Gibt der absonderungsberechtigte Gläubiger einen Hinweis bzgl. einer Verwertungsalternative, die entgegen des Wortlauts des § 168 Abs. 1 InsO allein für andere Insolvenzgläubiger günstiger ist, so werden die Rechtsfolgen des § 168 Abs. 2 und Abs. 3 nicht ausgelöst, Lwowski/Heyn, WM 1998, 473 (477 f.). 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 14; vgl. auch Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 647. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 15; vgl. auch Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 647. 7 Lwowski in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 168 Rz. 55. 8 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 14 und Blank, EWiR 2004, 715 f., der diese Aussage in den Entscheidungsgründen des OLG Celle v. 20. 1. 2004 – 16 U 109/03, ZIP 2004, 725 erkennt. 9 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 168 Rz. 8; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (540); vgl. zur Vergleichsmethode auch Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644 ff.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 294
§7
Rechtsfolgen des § 168 Abs. 2 InsO lediglich eine günstigere Verwertungsoption allein für den mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand nachzuweisen1. Unabhängig von der Erlösauskehr durch den Insolvenzverwalter nach der ersten oder zweiten Alternative des § 168 Abs. 2 InsO nimmt der Gläubiger bei unvollständiger Befriedigung in Höhe seines Ausfalls als Insolvenzgläubiger an dem Insolvenzverfahren teil (§ 52 InsO)2. Bei der Wochenfrist in § 168 Abs. 2 Satz 1 InsO handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist. Der Verwalter hat auch dann die seitens des Gläubigers nachgewiesene günstigere Verwertungsmöglichkeit unabhängig von dem Ablauf der Wochenfrist wahrzunehmen, wenn der Hinweis rechtzeitig vor der Vornahme der Verwertungshandlung eingeht3.
291
Als günstigere Verwertungsmöglichkeit kommt auch der Selbsteintritt des Sicherungsnehmers nach § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO durch Übernahme des belasteten Gegenstandes zu den vorgesehenen Bedingungen in Betracht4. Der Selbsteintritt stellt vornehmlich dann eine günstigere Verwertungsmöglichkeit dar, wenn er mit der Ersparnis von Verwertungskosten gemäß § 168 Abs. 3 Satz 2 InsO einhergeht5. Zu beachten gilt es im Fall des Selbsteintritts, dass es unabhängig von einer tatsächlichen Verwertung des Gegenstandes lediglich zu einer Verrechnung des mit dem Verwalter vereinbarten Preises auf die gesicherte Forderung kommt6. Das letztliche Verwertungsrisiko, aber auch die Möglichkeit eines Verwertungsgewinns, liegen bei dem übernehmenden Sicherungsgläubiger. Demnach wird auch ein eventueller Mehrgewinn nicht – auch nicht auf die Ausfallforderung – angerechnet7.
292
Kündigt der Verwalter an, das Absonderungsgut durch öffentliche Versteigerung verwerten zu lassen, und gibt der gesicherte Gläubiger selbst ein Angebot ab, so ist der Verwalter gehalten, dem Auktionator dieses Angebot zuzüglich der Versteigerungskosten als Mindestgebot aufzugeben. Unterlässt er es und wird bei der Versteigerung schließlich ein geringerer Erlös erzielt, ist er dem Sicherungsgläubiger in Höhe der Differenz zum Nachteilsausgleich verpflichtet. Kurzum: § 168 Abs. 2 InsO findet auch im Fall der öffentlichen Versteigerung Anwendung8.
293
In der Vergangenheit waren absonderungsberechtigte Gläubiger bemüht, den Unterrichtungsanspruch aus § 168 InsO über die vorgesehene Verwertung durch Herausgabe des Gegenstands an einen Sequester im Wege einer einstweiligen
294
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 179. 2 Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644 ff. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 12; Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (539). 4 Vgl. hierzu näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 10. 5 Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 27; Smid, InsO, § 168 Rz. 4; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 528. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 10; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 529. 7 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 10; Haas/ Scholl, NZI 2002, 642, 644; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 168 Rz. 9. 8 OLG Celle v. 20. 1. 2004 – 16 U 109/03, ZIP 2004, 725 m. zust. Anm. Blank, EWiR 2004, 715 f.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 295
Beratung des gesicherten Gläubigers
Verfügung sicherzustellen. Ein solcher Herausgabeanspruch ist von § 168 InsO jedoch nicht gedeckt. Absonderungsberechtigte Gläubiger sind durch die Unterrichtungs- und Mitteilungsverpflichtung gemäß § 168 Abs. 1 und 2 InsO ausreichend geschützt. Auch das Selbsteintrittsrecht nach § 168 Abs. 3 InsO rechtfertigt einen solchen Anspruch nicht. Dieses Recht des absonderungsberechtigten Gläubigers beschränkt sich auf das Aufzeigen einer bestimmten Verwertungsmöglichkeit, die der Verwalter wahrnehmen kann, aber nicht muss (s.o. Rz. 287 ff.). Der durch § 168 InsO gewährte Schutz beschränkt sich damit auf einen Nachteilsausgleich. Ein Herausgabeanspruch ist hiermit nicht verbunden1. 295
Unterlässt der Insolvenzverwalter schuldhaft die Mitteilung der Veräußerungsabsicht, so entsteht eine persönliche Schadensersatzpflicht nach § 60 InsO (zu den gegenüber absonderungsberechtigten Gläubigern bestehenden Pflichten allgemein siehe unten Rz. 372). Der Verstoß gegen § 168 InsO macht die Verwertung jedoch nicht zu einer unberechtigten; auch die Ansprüche gemäß §§ 170, 171 InsO entstehen rechtswirksam.
296
Neben dem Ausgleich für die Abschaffung des § 127 Abs. 2 KO dient die Neuregelung zudem dem Bedürfnis einer zügigen Abwicklung des Verwertungsverfahrens2. Hier sind in erster Linie die einwöchige Frist zur Abgabe des Gläubigerhinweises sowie die Möglichkeit der Übernahme des Gegenstandes durch den Gläubiger gemäß § 168 Abs. 3 InsO als besondere Verwertungsart hervorzuheben. Letztlich sollte durch die Neugestaltung für Gläubiger und Schuldner eine interessengerechte Verfahrensabwicklung durch bestmögliche Verwertung unter Beachtung aller persönlichen, sachlichen und örtlichen Besonderheiten erreicht werden. (ccc) Schutz vor Verwertungsverzögerungen (§ 169 InsO)
297
Drittes Instrument zur Absicherung der privilegierten Rechtsstellung des Absonderungsberechtigten ist der neben der allgemeinen Verwertungspflicht des Verwalters nach dem Berichtstermin (§ 159 InsO) stehende Zinsanspruch des Gläubigers. Mit diesem sollen Verwertungsverzögerungen verhindert bzw. finanziell kompensiert werden. Gerade im Falle zeitweiliger Betriebsfortführung müssen die Gläubiger befürchten, dass der Verwalter sein Besitz- und Verwertungsrecht missbraucht, indem er den Sicherungsgegenstand im Rahmen der Betriebsfortführung nutzt und die Verwertung hinauszögert. Hat der Insolvenzverwalter also einen Grund, die Verwertung aufzuschieben, so darf sich dies nicht zum Nachteil der absonderungsberechtigten Gläubiger auswirken3. Deshalb gesteht § 169 InsO dem gesicherten Gläubiger zu, –
vom Berichtstermin an
–
laufend die geschuldeten Zinsen für die vorenthaltene Liquidität
–
bis zum Verwertungszeitpunkt zu beanspruchen.
1 OLG Celle v. 26. 11. 2003 – 16 U 134/03, ZInsO 2004, 42 m. zust. Anm. und w. N. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, 301 f. 2 BT-Drucks. 12/7302, S. 176 f. 3 BGH v. 16. 2. 2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (434 f.). Vgl. hierzu Ganter, ZInsO 2007, 841 (848).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 300
§7
Diese schadensersatzähnliche Regelung soll dem Gläubiger den Nachteil egalisieren, der ihm durch den Verlust der Verwertungsbefugnis sowie der damit einhergehenden Beschränkung seiner Einflussmöglichkeiten auf den Verwertungsvorgang entstanden ist1. Er soll in die Lage versetzt werden, die ihm durch die verzögerte Verwertung „vorenthaltene Liquidität anderweitig zu beschaffen“, um auf diese Weise „eine wirtschaftliche Einbuße zu vermeiden“2. Da der Sicherungsnehmer auch im Rahmen einer Eigenverwertung den Verwertungserlös nicht alsbald vereinnahmen kann, besteht diese Entschädigungsverpflichtung erst ab dem Berichtstermin, der höchstens drei Monate nach der Verfahrenseröffnung liegen darf3.
298
Bei zur Sicherung abgetretener Forderungen – für die § 169 InsO auch gilt – steht dem Sicherungsnehmer eine Verzinsung erst ab dem Tag nach dem Zahlungseingang beim Insolvenzverwalter zu, sofern sich dieser vom Berichtstermin an ordnungsgemäß um den Forderungseinzug gekümmert hat4.
298a
Ist der Gläubiger schon vor der Verfahrenseröffnung durch Sicherungsmaßnahmen etwa gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Nr. 3 InsO an der Verwertung gehindert worden, so tritt gemäß § 169 Satz 2 InsO an die Stelle des Berichtstermins der Zeitpunkt, in dem nach Anordnung der Sicherungsmaßnahme drei Monate verstrichen sind.
298b
Damit ist der Insolvenzverwalter für den Zeitraum bis zum Berichtstermin oder zumindest von drei Monaten zur kostenlosen Nutzung des Sicherungsguts berechtigt. Dabei bedeutet die Ausklammerung dieses Zeitraums bis zum Berichtstermin nicht einen endgültigen Zinsverlust für diese Zeit, sondern es entfällt lediglich die Vorabverzinsung. Die Sicherheit haftet auch für die auf diesen Zeitraum entfallenden Zinsen, diese finden aber erst bei der endgültigen Erlösverrechnung Berücksichtigung5.
298c
Neben der Kompensation finanzieller Nachteile sah der Gesetzgeber zudem die unerlässliche marktregelnde Wirkung des Zinsanspruchs. Um marktwidrige Verfahrensergebnisse, insbesondere Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis des insolventen zu gesunden Unternehmen zu vermeiden, musste die den Sicherungsgläubigern zeitweilig vorenthaltene Nutzung des Sicherungsguts, insbesondere die ihnen vorenthaltene Liquidität, mit einem marktgerechten Preis versehen werden6.
299
Ein Initiativrecht zur Beschleunigung bzw. Einleitung des Verwertungsverfahrens, wie im Regierungsentwurf7 vorgesehen, steht dem Absonderungsberechtigten nicht zu. Ein diesbezügliches Antragsrecht wurde als der intendierten
300
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 169 Rz. 1; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 169 Rz. 2. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 180 (177). 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 88. 4 BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 ff.; Obermüller, NZI 2003, 418; a.A. Landwehr in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 169 Rz. 2. 5 Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 169 Rz. 15. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 79 (86); Referentenentwurf, 2. Teil, S. 24 f. (49). 7 So § 194 Abs. 2 RegE, der ein Antragsrecht des absonderungsberechtigten Gläubigers auf gerichtliche Festsetzung der Verwertungsfrist vorsah, BT-Drucks. 12/2443, S. 180.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 301
Beratung des gesicherten Gläubigers
Verfahrenskonzentration in der Hand des Insolvenzverwalters widersprechend nicht in die InsO aufgenommen. Es wurde als ausreichend angesehen, den absonderungsberechtigten Gläubiger für diesen Fall auf die allgemeine Haftungsnorm des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO zu verweisen1. 301
Der Zinsanspruch tritt systematisch neben die Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters aus § 159 InsO und die Haftungsnorm des § 60 InsO und ergänzt diese um ein verschuldensunabhängiges Element2. Er bemisst sich nach der Dauer der Verzögerung, der Höhe des Gegenstandswertes und nach dem Zinssatz, den der Gläubiger aus dem ungestörten Schuldverhältnis mit dem Schuldner beanspruchen konnte, bzw. dem gesetzlichen Zinssatz. Für die Höhe der nach dieser Vorschrift geschuldeten Zinsen kommt es nicht darauf an, ob sich der Schuldner im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits in Verzug befand oder nicht. Waren vertraglich ausnahmsweise keine Zinsen als Hauptleistung geschuldet (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder lag der vereinbarte Zinssatz unter 4%, ist entsprechend des gesetzlichen Zinssatzes gemäß § 247 BGB eine Verzinsung von 4% anzunehmen3. Dies schließt nicht aus, dass Insolvenzverwalter und gesicherter Gläubiger – etwa in der Hoffnung auf spätere günstigere Verwertungsmöglichkeiten – einvernehmlich auf die Zinszahlungspflicht verzichten.
302
Nach dem Gesetzeswortlaut endet die Zinszahlungsverpflichtung nach der Verwertung. Eine verzögerte Ausschüttung des Erlöses nach abgeschlossener Verwertung dürfte hiernach allenfalls eine Ersatzpflicht des Verwalters nach § 60 Abs. 1 InsO nicht jedoch eine Verpflichtung nach § 169 Satz 1 InsO auslösen. Da es für den gesicherten Gläubiger jedoch allein auf die Auskehr des Erlöses ankommt und eine Differenzierung zwischen verzögerter Verwertung und verzögerter Ausschüttung nicht gerechtfertigt ist, erfasst § 169 Satz 1 InsO nach inzwischen einhelliger Ansicht auch den Fall der verzögerten Ausschüttung. Die Zinszahlungsverpflichtung endet daher erst mit der Auskehr des Erlöses an den Absonderungsberechtigten4.
303
Die Zinszahlungsverpflichtung ist allerdings abhängig von einer realen Befriedigungschance des Gläubigers, da ihm nur in diesem Fall auch vorzeitige Liquidität verloren geht. Nach § 169 Satz 3 InsO scheidet ein Zinsanspruch des Gläubigers aus, wenn dieser mit einer Befriedigung aus dem Verwertungserlös nicht rechnen kann. Das bedeutet, dass letztlich nicht der gesicherte Kapitalbetrag Grundlage der Verzinsung ist, sondern der Wert der Sicherheit und damit der zu erwartende Verwertungserlös5. Entsprechend kommt bei bloß teilweise anzunehmender Befriedigung lediglich eine anteilige Zinsauskehr in Betracht6. 1 2 3 4
BT-Drucks. 12/7302, S. 177. Zu den Einzelheiten vgl. Hellmich, ZInsO 2005, 680 ff. BGH v. 16. 2. 2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (436 ff.). BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318, (322); a. A. LG Stendal v. 7. 3. 2002 – 22 S 208/01, ZIP 2002, 765 m. Anm. Runkel, EWiR 2002, 587 und auch LG Köln v. 7. 1. 2003 – 3 O 304/02, ZIP 2003, 2313. 5 BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (322). 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 169 Rz. 11; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 169 Rz. 5.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 304
§7
Über diese in § 169 Satz 3 InsO vorgesehene Einschränkung hinaus entfällt die Zinszahlungspflicht ferner, wenn auch der Gläubiger selbst im Falle einer eigenen Verwertung seine gesicherten Ansprüche nicht früher (oder überhaupt nicht) hätte verwirklichen können. Auch dies gebietet der in § 169 Satz 3 InsO – in Anlehnung an § 30e Abs. 3 ZVG und § 172 Abs. 1 Satz 3 InsO – enthaltene allgemeine Grundsatz, dass die Insolvenzmasse nicht für die Werthaltigkeit des Sicherungsgutes einzustehen hat1.
303a
Nach diesen vom BGH entwickelten Grundsätzen entfällt eine Verzinsungspflicht ganz allgemein, wenn die verzögerte Verwertung nicht auf insolvenzspezifischen Gründen beruht. Solche liegen vor, wenn auch dem Gläubiger eine Verwertung überhaupt nicht oder auch nicht früher möglich gewesen wäre. Dies ist ganz allgemein immer dann der Fall, wenn die Verzögerung auf Gründen beruht, die sich unmittelbar aus der Beschaffenheit des Sicherungsguts selbst ergeben2.
303b
! Prozessuale Hinweise für den Gläubigervertreter: –
Die Darlegungs- und Beweislast für derartige nicht insolvenzspezifische Risiken, die eine Verzögerung der Verwertung des Sicherungsgutes oder dessen gänzliche Nichtverwertbarkeit zur Folge haben, trägt der Insolvenzverwalter. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 169 Satz 3 InsO, der nach Inhalt und Systematik als Ausnahmetatbestand ausgestaltet ist („gelten nicht“).
–
Hat der Insolvenzverwalter den Gegenstand nicht selbst verwertet, sondern nach dem Berichtstermin an den Gläubiger freigegeben, trifft diesen die sekundäre Darlegungslast dafür, dass und mit welchem Ergebnis er nach erfolgter Freigabe Verwertungsbemühungen entfaltet hat. Genügt er dieser Anforderung, ist für den Zinsanspruch regelmäßig davon auszugehen, dass eine frühere Überlassung des Gegenstandes auch zu einer früheren Verwertung geführt hätte. Die Zinsen sind dann bis zum Freigabezeitpunkt geschuldet.
–
Da der Zinsanspruch nach Ansicht des BGH den Charakter einer Entschädigung hat und zudem die Führung des Vollbeweises hinsichtlich des Fehlens einer Verwertungsverzögerung für den Insolvenzverwalter mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden sein kann, kommt dem Gericht – zugunsten des Insolvenzverwalters – eine Beweiserleichterung gemäß § 287 ZPO zugute. Streiten die Parteien also über das Bestehen oder die Dauer der Zinspflicht und ist eine vollständige Aufklärung der dafür maßgeblichen Gegebenheiten nicht zu erwarten, ist unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts zu entscheiden, ob und in welchem Umfang eine Verzögerung auf insolvenzspezifischen Gründen beruht.
Über den Anspruch des gesicherten Gläubigers aus § 169 Satz 1 InsO auf die laufenden Zinsen aus der Masse hinaus ist zu denken an: 1 BGH v. 16. 2. 2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (434 ff.). 2 BGH v. 16. 2. 2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (434 ff.).
Drees/J. Schmidt
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303c
304
§7
Rz. 305
Beratung des gesicherten Gläubigers
–
Die Haftung des Sicherungsobjekts für die geschuldeten Zinsen. Diese Haftung betrifft auch die Zinsen nach Verfahrenseröffnung und damit auch die Zinsen für den von § 169 InsO erfassten Zeitraum. Jedoch realisiert sich diese Haftung erst, wenn der Erlös ausreicht, um Hauptschuld und Zinsen zu decken. Aufgrund von § 169 InsO gezahlte Zinsen sind auf die Zinsforderung anzurechnen.
–
Die Haftung auf Ausgleichzahlungen gemäß § 172 Abs. 1 InsO für den Fall, dass das Sicherungsgut während des Verfahrens genutzt wird und dadurch zum Nachteil des Gläubigers an Wert verliert1. Diese Zahlungen sind zusätzlich zu den Zinszahlungen gemäß § 169 Satz 1 InsO zu erbringen und werden nachstehend unter Rz. 305 ff. ausführlich dargestellt.
(ddd) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 172 InsO) 305
Bei Fortführung des schuldnerischen Betriebs ist der Verwalter darauf angewiesen, auch die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände weiter für das Unternehmen zu nutzen. Deshalb kann der Verwalter auch von einer Verwertung des Absonderungsgegenstandes absehen und in Wahrnehmung seines Rechts aus § 172 InsO das Sicherungsgut zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens verwenden, d.h. nutzen, aber auch verarbeiten, vermischen oder verbinden, soweit die Sicherung dadurch nicht beeinträchtigt wird (§ 172 Abs. 2 InsO). Um jedoch einen Ausgleich zwischen dem Sicherungsinteresse des absonderungsberechtigten Gläubigers und dem wirtschaftlichen Interesse des Schuldners, bzw. der übrigen Gläubiger an der Fortführung des Unternehmens zu erreichen, muss der Verwalter nach § 172 Abs. 1 Satz 1 InsO laufende Ausgleichszahlungen für die hierdurch entstehenden Wertverluste, welche sich sicherungsmindernd auswirken, erbringen2. Im Grundsatz sind daher von Anbeginn der Nutzung bzw. der Verfahrenseröffnung laufende Ausgleichszahlungen an den Sicherungsnehmer zu leisten. Der Ausgleichsanspruch ist vorab aus der Masse zu begleichen und stellt mithin eine Masseverbindlichkeit dar3. Dabei tritt der Anspruch auf Nachteilsausgleich aus § 172 InsO neben den Zinsanspruch aus § 169 InsO, so dass die Ansprüche kumulativ nebeneinander stehen4. Die Ausgleichszahlung hat grundsätzlich in Geld zu erfolgen, kann aber auch durch Stellung einer Ersatzsicherheit erbracht werden5.
306
Die Höhe der Ausgleichsverpflichtung orientiert sich an dem eingetretenen Wertverlust, wobei Ausgangspunkt der Verkehrswert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ist6.
1 2 3 4
Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 169 Rz. 16 f. BT-Drucks. 12/2443, S. 182; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (542). Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 172 Rz. 5; Smid, InsO, § 172 Rz. 4. Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 172 Rz. 5; Hess, InsO, § 172 Rz. 14. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 172 Rz. 5; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 443. 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 172 Rz. 4, 7; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 22.2.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 307
§7
Voraussetzung eines Anspruchs auf Wertverlust ist der Eintritt einer Wertminderung des Sicherungsgutes. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung kommt nämlich nach § 170 Abs. 1 Satz 2 dann nicht in Betracht, wenn entweder kein Wertverlust eintritt oder dieser so geringfügig ist, dass eine Gefährdung der Sicherung nicht zu besorgen ist, so z.B. im Fall einer Übersicherung1. Ebenfalls nicht ausgleichspflichtig sind Wertverluste, die aufgrund des Zeitablaufs im Rahmen von Verwertungsverzögerungen entstehen, da Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs die Verwertungsberechtigung des Verwalters sowie darüber hinaus die Nutzung des Sicherungsgegenstands zugunsten der Insolvenzmasse ist2.
306a
! Hinweise für den Berater: –
Die Schwierigkeit solcher Ausgleichsansprüche dürfte darin bestehen, dass der Sicherungsgläubiger die Darlegungs- und Beweislast trägt und daher den Eintritt des Wertverlustes zu beweisen hat. Um aufwändige Sachverständigengutachten zu vermeiden, sind Gläubiger gut beraten, bei Beginn der Nutzung mit dem Insolvenzverwalter eine Vereinbarung über die Ausgleichszahlungen zu treffen. Alles andere ist nur schwer praktikabel und kostenintensiv.
–
Was nicht gelingen wird, ist die Ausweitung einer solchen Vereinbarung auf die im vorläufigen Inolvenzverfahren beanspruchte Nutzung. Hierfür ist die Rechtslage zu eindeutig. So wird eine analoge Anwendung des § 172 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nahezu einhellig abgelehnt. Wortlaut und Gesetzessystematik stünden einer solchen Analogie entgegen3. Sollte gleichwohl der schwache vorläufige Insolvenzverwalter eine Nutzungsentschädigung für die Dauer des vorläufigen Verfahrens zusagen, so begründet diese Erklärung keine Masseverbindlichkeit4.
Gleiches gilt für den Fall, dass der Insolvenzverwalter das Sicherungsgut nach § 172 Abs. 2 InsO –
verbindet,
–
vermischt oder
–
verarbeitet.
Eine Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung von Absonderungsgegenständen stellt keine Verwertung im Sinne von § 166 InsO dar. Sie wird dem Insolvenzverwalter durch die Vorschrift § 172 Abs. 2 InsO ausdrücklich erlaubt, soweit diese „Nutzung“ die Sicherheit des Gläubigers nicht beeinträch1 BT-Drucks. 12/2443, S. 182; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 172 Rz. 8; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 172 Rz. 6. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 172 Rz. 8; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 22.1. 3 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938 (939 f.) m. Anm. Büchler, EWiR 2007, 75; vgl. hierzu auch Ganter, ZInsO 2007, 841 (845) und Olshausen, ZIP 2007, 1145. 4 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938 (939 f.).
Drees/J. Schmidt
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306b
307
§7
Rz. 308
Beratung des gesicherten Gläubigers
tigt1. Werden Gegenstände, an denen ein Absonderungsrecht besteht, vom Insolvenzverwalter verbunden, vermischt oder verarbeitet, so setzt sich das Absonderungsrecht entsprechend § 172 Abs. 2 Satz 2 InsO an der neuen Sache fort. Soweit die neue Sicherheit den Wert der alten übersteigt, ist der absonderungsberechtigte Gläubiger zur Freigabe verpflichtet. (cc) Verwertung durch den Gläubiger 308
Befindet sich die Sache nicht im Besitz des Insolvenzverwalters, ist ausnahmsweise der Gläubiger selbst gemäß § 173 InsO zumindest nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen verwertungsberechtigt. Aus seiner Sicht ist indes noch zu prüfen, ob er auch nach materiellem Recht zur Verwertung befugt ist, was sich aus den allgemeinen Gesetzen bzw. aus der jeweiligen Sicherungsabrede ergibt. Es steht ihm frei, die Verwertungsart zu wählen. Das Gesetz selbst sieht keine bestimmte Verwertungsart vor. Es wurde davon ausgegangen, dass der Gläubiger schon im eigenen Interesse den Sicherungsgegenstand möglichst günstig verwerten wird. Um unnötigen Verzögerungen bei der Verwertung vorzubeugen, kann das Insolvenzgericht dem Gläubiger auf Antrag des Insolvenzverwalters eine Frist für die Verwertung setzen (§ 173 Abs. 2 InsO)2. Sollte der Gläubiger die Verwertung innerhalb dieser Frist nicht bewirken, fällt das ausschließliche3 Verwertungsrecht nach § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Musterschreiben – Antrag des Insolvenzverwalters auf Fristsetzung (§ 173 Abs. 2 InsO)
308b
An das Amtsgericht …. – Insolvenzgericht – In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen……….. beantrage ich, dem Gläubiger …. eine Frist von sechs Wochen zu setzen, innerhalb welcher er den ihm sicherungsübereigneten PKW, Marke …. zu verwerten hat. Begründung: Die Schuldnerin hat dem Gläubiger den o.g. PKW zur Sicherung eines ihr von ihm gewährten Darlehens in Höhe von …. durch schriftliche Vereinbarung vom … si1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 172 Rz. 12; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 18 (20). 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 173 Rz. 6 ff.; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 173 Rz. 4. 3 Becker in Nerlich/Römermann, InsO, § 173 Rz. 32; Gerbers in Braun, InsO, 3. Aufl. 2007, § 173 Rz. 4. a.A. Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 173 Rz. 4. Offen lassend BGH v. 7. 4. 2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 (911).
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Absonderungsfragen
Rz. 309b
§7
cherungsübereignet. Der PKW befindet sich im Besitz des Gläubigers. Trotz mehrfacher Aufforderung durch den Unterzeichnenden hat er das Sicherungsgut bis heute nicht verwertet. Meine letzte Aufforderung stammt vom … … Rechtsanwalt Insolvenzverwalter
(b) Verwertung von Forderungen Die Verwertung sicherungszedierter Forderungen ist der Verwertung von Sachen (oben Rz. 263 ff.) ähnlich geregelt. Der Verwalter darf eine Forderung, –
die der Schuldner dem Gläubiger
–
zur Sicherung eines Anspruchs
–
abgetreten hat,
309
einziehen oder in sonstiger Weise verwerten (§ 166 Abs. 2 InsO)1. Voraussetzung ist, dass die sicherungshalber abgetretene Forderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch besteht2. War die abgetretene Forderung zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits erfüllt, bleibt kein Raum für § 166 Abs. 2 InsO. Gleiches gilt für den vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Drittschuldner unter Verzicht auf die Rücknahme hinterlegten Forderungserlös. Auch eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO im Hinblick auf den Kostenbeitrag des § 171 InsO ist hier nicht geboten3. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass der Masse für sicherungshalber abgetretene Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung ausgeglichen worden sind, keine Verwertungskosten gebühren. Zwar war das alleinige Verwertungsrecht des Verwalters in Bezug auf die sicherungszedierten Forderungen von dem Ziel der Erhaltung der Fortführungs- und Veräußerungschancen her nicht zwingend geboten. Doch erschien es dem Gesetzgber der InsO als zweckmäßig, dem Verwalter, der über die gesamten Unterlagen des Schuldners verfügt, welche die Einziehung ermöglichen, auch die Geltendmachung der Forderungen zu überlassen4. Dies entsprach darüber hinaus dem bereits in der Praxis gängigen Verfahren.
309a
Dieses Einziehungsrecht des Verwalters besteht unabhängig davon, ob die Abtretung dem Drittschuldner angezeigt worden ist5. Der Gesetzgeber hat damit
309b
1 BGH v. 11. 7. 2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.); Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 13. 2 BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 174/04, ZInsO 2006, 34 f. 3 BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 174/04, ZInsO 2006, 34 f. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 178; BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 174/04, ZIP 2006, 91 (92 f.); BGH v. 11. 7. 2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.). 5 So auch BGH v. 11. 7. 2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.), der von einem Verwertungsrecht des Verwalters auch dann ausgeht, wenn die Abtretung dem Drittschuldner angezeigt wurde. Grundlegend hierzu Kirchhof, ZInsO 2003, 149 (155 ff.).
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Beratung des gesicherten Gläubigers
wegen der praktischen Schwierigkeiten auf eine Differenzierung verzichtet und in Kauf genommen, dass das Verwertungsrecht und der Abzug von Kostenbeiträgen im Fall der angezeigten Sicherungsabtretung wenig sachgerecht ist. 309c
Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter mit Verfahrenseröffnung schließt notwendigerweise die eigene Verwertung durch den Sicherungszessionar aus1. Eine Berechtigung des Sicherungszessionars kann nur dann bestehen, wenn die Forderung aus der Insolvenzmasse freigegeben worden ist oder eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Verwalter vorliegt.
309d
Dies gilt auch dann, wenn sich die Sicherungszession im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits im Verwertungsstadium befindet. Auch hier darf der gesicherte Gläubiger die Verwertung nicht fortsetzen2. Dadurch kann es in der Praxis zu einem mehrfachen Wechsel des Einziehenden kommen, was bei den Drittschuldnern zu erheblichen Verunsicherungen und damit zu einer herabgesetzten Zahlungsbereitschaft führen wird. Erfahrungsgemäß reagieren viele Drittschuldner bereits auf die Zessionsanzeige der Bank mit Zurückhaltung und die Zahlungsbereitschaft lässt erkennbar nach3. Schließt sich nun der Offenlegung der Zession durch die Bank die Anzeige des Verwalters an, dass er nunmehr die Forderung einziehen wird, so ist zu befürchten, dass die Zahlungsmotivation der Drittschuldner noch weiter absinkt (siehe dazu bereits Rz. 213). Mit schuldbefreiender Wirkung können Drittschuldner jedenfalls nur noch an den Insolvenzverwalter leisten, nicht mehr an den Sicherungsnehmer4. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter sind Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahmen aus eigenem Recht versagt5. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte („automatischer Verwertungsstopp“) und entspricht Sinn und Zweck der Regelung des § 166 Abs. 2 InsO.
! Hinweise für den Berater: –
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Verschiedentlich wird versucht, eine bereits offen gelegte Sicherungsabtretung in eine Forderungsverpfändung umzudeuten. Die rechtlichen Voraussetzungen einer Verpfändung dürfte die Sicherungsabtretung je-
1 BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 96 und Bork, EWiR 2007, 119; BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 174/04, ZIP 2006, 91 (92 f.); OLG Dresden v. 10. 8. 2006 – 13 U 926/06, ZInsO 2006, 1168 (1169 f.). 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.324; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 166 Rz. 8. a.A. Mitlehner, ZIP 2001, 679 f., der dem Verwalter ein Verwertungsrecht dann versagt, wenn die Zession offengelegt und die Einziehungsbefugnis widerrufen worden ist. Dann nämlich liege keine von § 166 Abs. 1 InsO erfasste Sicherungszession mehr vor, sondern eine Abtretung zur treuhänderischen Verwertung, die nicht unter § 166 Abs. 1 InsO zu subsumieren sei. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.324; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 44. 4 KG v. 13. 8. 2001 – 12 U 5843/00, ZIP 2001, 2012 (2013); Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO; 4. Aufl. 2006, § 166 Rz. 28; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 16. a.A. Häcker, NZI 2002, 409 ff. 5 BGH v. 15. 5. 2003 – IX ZR 218/02, WM 2003, 1367.
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Absonderungsfragen
Rz. 312
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denfalls erfüllen. Jedoch hat der BGH für diese Möglichkeit mit Rücksicht auf die erheblich unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Rechtsinstitute nur wenig Raum gelassen1. –
Insgesamt müssen solche Gläubiger, die das Einziehungsrecht des Verwalters und die hiermit verbundenen Kostenbeiträge vermeiden wollen, auf die Verpfändung der Forderung verwiesen werden2.
–
Es sollte bereits im Eröffnungsverfahren eine Absprache zwischen dem vorläufigen Verwalter und dem entsprechenden Gläubiger über die Fortführung der begonnenen Verwertung durch den Gläubiger oder die Übertragung der Inkassobefugnis auf den Verwalter getroffen werden, um dadurch unnötige Verunsicherungen der Drittschuldner zu vermeiden3.
Aufgrund seiner privilegierten Gläubigerstellung steht dem Sicherungszessionar im Rahmen der Forderungsverwertung durch den Insolvenzverwalter ein Auskunftsanspruch nach § 167 Abs. 2 InsO (siehe oben Rz. 282 ff.) zu. Anstelle der Auskunftserteilung räumt Satz 2 dem Insolvenzverwalter das Recht ein, den Gläubiger Einblick in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners nehmen zu lassen4. Ist zu besorgen, dass der Gläubiger durch die Gestattung der Einsichtnahme Kenntnis von wettbewerbsrelevanten Geschäftsunterlagen und Daten des schuldnerischen Unternehmens erhält, so ergibt sich aus wettbewerbsrechtlichen Erwägungen eine Beschränkung des Anspruchs dahin gehend, dass die Einsichtnahme gegebenenfalls nur durch einen unabhängigen und zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer vorgenommen werden darf5.
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Ob dem gesicherten Gläubiger auch das Recht zukommt, dem Verwalter einen Hinweis auf günstigere Verwertungsmöglichkeiten im Sinne von § 168 InsO zu geben, ist umstritten. Der Gesetzgeber sah den Gläubiger hinsichtlich der Forderungseinziehung scheinbar nicht als schutzwürdig an, da der Wortlaut des § 168 InsO zweifelsohne lediglich von der Veräußerung von Gegenständen spricht. Ein Bedürfnis nach einer entsprechenden Regelung besteht aber für die Fälle, in denen der Verwalter die Forderung nicht zum Nominalwert einziehen kann oder diese nicht durch Einziehung, sondern in anderer Weise, z.B. durch Verkauf zu verwerten gedenkt6. Zum Teil wird daher der Anwendungsbereich des § 168 InsO auch auf zur Sicherung abgetretene Forderungen aus-
312
1 BGH v. 7. 4. 2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 (911); BGH v. 3. 7. 2002 – IV ZR 181/01, NJW 2002, 3477. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 13; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.357. 3 Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 44. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 167 Rz. 8; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 167 Rz. 4. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 167 Rz. 8; vgl. auch BGH v. 11. 5. 2000 – IX ZR 262/98, ZIP 2000, 1061, 1065. 6 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 18 (20); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.326; Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 168 Rz. 3.
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Rz. 313
Beratung des gesicherten Gläubigers
geweitet1. Letztlich dürfte eine Anwendung nur dann zutreffend sein, wenn die Forderung verkauft wird. Bei bloßer Einziehung lässt sich mit Rücksicht auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut und den Normzweck keine Anwendung rechtfertigen. 313
Ebenso ist der Wortlaut des § 169 InsO auf die verzögerte Verwertung von Gegenständen zugeschnitten. Dennoch wird er auch auf die Verwertung von Forderungen nach § 166 Abs. 2 InsO anzuwenden sein (im Einzelnen hierzu siehe oben Rz. 297 ff.)2.
314
Alternativ kann der Insolvenzverwalter, entsprechend der Verwertung von absonderungsbelasteten Gegenständen, die Verwertung der Forderung gemäß § 170 Abs. 2 InsO auch dem berechtigten Gläubiger überlassen3. (c) Verwertung von Rechten und sonstigen Vermögenswerten
315
316
Die InsO enthält keine Regelung, wem die Verwertungsbefugnis hinsichtlich sonstiger der Zwangsvollstreckung unterliegender Rechte zukommt, wenn diese mit Absonderungsrechten belastet sind. Unter den Begriff der sonstigen Rechte fallen zum Beispiel4 –
Erbteile,
–
Immaterialgüterrechte,
–
Mitgliedschaftsrechte,
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Geschäftsanteile,
–
Marken,
–
Patente,
–
Urheberrechte oder etwa
–
Computerprogramme.
Gesetzlich geregelt ist das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters in § 166 Abs. 2 InsO nur für sicherungszedierte Forderungen. Ausgehend hiervon steht die Befugnis, solche Rechte oder sonstige Vermögenswerte zu verwerten, dem Gläubiger und nicht dem Verwalter zu5. Teilweise wird zwar die Ansicht vertreten, dass § 166 Abs. 2 InsO aufgrund der bisherigen Rechtslage analog auch auf die Verwertung sonstiger Rechte Anwendung fände6. Insbesondere Marotzke macht sich für eine solche entsprechende Anwendung stark. Es könne nicht sein, dass der Verwalter unter Geltung der KO gemäß § 127 Abs. 2 KO zur Verwertung berechtigt gewesen sei und die InsO dem Verwalter ein einge1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 4 m.w.N.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 18 (19 f.); Haas/Scholl, NZI 2002, 642 m.w.N. 2 BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (321); Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 169 Rz. 1; Hess, InsO, § 169 Rz. 12. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 170 Rz. 13; Landfermann in Heidelberger Kommentar, § 166 Rz. 22. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 14. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.347; vgl. eingehend Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 14; Wallner, ZInsO 1999, 453 ff. 6 So Häcker, ZIP 2001, 995 ff. und Marotzke, ZZP 1996, 449 f.
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Absonderungsfragen
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schränkteres Verwertungsrecht eingeräumt habe1. Jedoch widerspricht eine derartige Analogie dem Gesetzeswortlaut und der bewusst von dem Gesetzgeber2 gezogenen Grenzen hinsichtlich des Verwertungsrechts und der Kostenbeiträge. cc) Kosten der Absonderung und Erlösverteilung (1) Allgemeines Ein wesentlicher Bestandteil der Insolvenzrechtsreform war das Ziel, Insolvenzverfahren unter erleichterten Voraussetzungen zu eröffnen. Hierfür sollten gesicherte Gläubiger, insbesondere die Inhaber besitzloser Mobiliarsicherheiten, zu einem Solidarbeitrag herangezogen werden. Ausgangspunkt dieser Forderung war die Tatsache, dass die vielfältigen Formen von Mobiliarsicherheiten, ihre fehlende Erkennbarkeit und die häufig auftretenden Kollisionsfälle bei der Abwicklung von Insolvenzverfahren regelmäßig erhebliche Kosten verursachen. Insbesondere führen die rechtliche Feststellung und die tatsächliche Trennung der Sicherheiten, die Erhaltung des Sicherungsguts während des Verfahrens und die Verwertung, soweit diese vom Verwalter vorgenommen wird, zu einer Belastung der Insolvenzmasse und letztlich zu einer Senkung der Befriedigungsquote der ungesicherten Gläubiger.
317
Der Gesetzgeber führte mit den Regelungen in den §§ 170, 171 InsO obligatorische Kostenbeiträge der absonderungsberechtigten Gläubiger ein, die eine Beteiligung selbiger an den entstehenden Kosten der Sicherheitenverwertung vorsehen3. Mit der Einführung dieser dem Kostenverursachungsprinzip entspringenden Kostenregelung, sollte dem Missstand, dass die Bearbeitungskosten der Sicherungsrechte allein den gesicherten Gläubigern zugute kamen, ökonomisch aber in Gestalt verringerter Befriedigungsquoten von den ungesicherten Gläubigern zu tragen waren, Abhilfe geschaffen werden. Ziel der Neuregelungen gemäß §§ 170, 171 InsO war die Anreicherung der Insolvenzmasse4. Darüber hinaus erhoffte man sich auch höhere Befriedigungsquoten für die ungesicherten Gläubiger, was letztlich zu einer Steigerung der Verteilungsgerechtigkeit führen sollte. Dabei sei allerdings bedacht, dass die Beträge der Feststellungs- und Verwertungskosten sowie der Umsatzsteuer nach den §§ 170, 171 InsO zwar zunächst bei der Insolvenzmasse verbleiben, andererseits aber die Ausfallforderung des gesicherten Gläubigers um den entsprechenden Betrag erhöhen, auch wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger insoweit nur die allgemeine Befriedigungsquote verlangen kann5.
318
In § 170 InsO wurden die Arten der zu erstattenden Kostenbeiträge festgelegt, nämlich
319
–
zum einen die Feststellungskosten (§§ 170 Abs. 1, 171 Abs. 1 InsO) und
–
zum anderen die Verwertungskosten (§§ 170 Abs. 1, 171 Abs. 2 InsO).
1 2 3 4 5
Marotzke, ZZP 1996, 449 f. § 181 Abs. 2 DiskE (1988) sprach noch von zur Sicherung übertragenen Rechten. BT-Drucks. 12/2443, S. 80 f. BT-Drucks. 12/2443, S. 86. Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 8.
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Soweit die Verwertung zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer führt, ist auch der Umsatzsteuerbetrag zusätzlich zu der Verwertungskostenpauschale von dem Sicherungsnehmer zu tragen (§ 171 Abs. 2 Satz 3 InsO).
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Die im Regierungsentwurf1 vorgesehene Erstattungspflicht hinsichtlich der Erhaltungskosten wurde nicht in die InsO aufgenommen. Insolvenzverwalter werden daher bemüht sein, mit Gläubigern eine Kostenbeteiligung für erforderliche Erhaltungsmaßnahmen zu treffen. Entzieht man sich als Gläubiger einer solchen Vereinbarung, ist es keineswegs gewiss, sich nicht an den Kosten beteiligen zu müssen. Denn letztlich wird man es Insolvenzverwaltern gestatten müssen, solche Kosten als Verwertungskosten anzusetzen und vom Gesamterlös abzuziehen. Es wäre unbillig, dem Gläubiger den Erlös der Gesamtveräußerung zufließen zu lassen, ohne von diesem die zwangsläufig mit der Verwertung verbundenen Erhaltungsaufwendungen abzuziehen2.
322
Die Belastung des Verwertungserlöses mit den Kostenbeiträgen einschließlich der abzuführenden Umsatzsteuer richtet sich hinsichtlich ihres Inhalts und Umfangs nach der Person des Verwertenden. Für die Höhe der einzubehaltenden Kostenbeiträge sieht § 171 InsO aus Gründen der Praktikabilität Pauschalsätze vor.
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Die obligaten Kostenbeiträge sind dem Verwertungserlös gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO vorab und damit bereits vor dessen Auskehr an den absonderungsberechtigten Gläubiger zugunsten der Insolvenzmasse zu entnehmen3.
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Sind die Kostenbeiträge nach erfolgter Verwertung in Abzug gebracht, entsteht der Anspruch auf Erlösauskehr. § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt, dass der Gläubiger unverzüglich aus dem verbleibenden Betrag zu befriedigen ist. Unverzüglich meint „ohne schuldhaftes Zögern“, so dass der Auskehranspruch spätestens zwei Wochen nach erfolgter Verwertung fällig ist4.
324a
Es stellt sich die Frage, wieviel Zeit dem Gläubiger zur Verfolgung des Anspruchs bleibt („Verjährung des Erlösanspruchs“). Auf eine Hemmung des Anspruchs gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB durch Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle sollte sich der absonderungsberechtigte Gläubiger besser nicht verlassen. Denn dieser Hemmungstatbestand greift nicht, da nur einfache Insolvenzforderungen i.S.v. § 38, 174 ff. InsO erfasst sind. Eine Hemmung ließe sich allenfalls durch ein Verhandeln über das Bestehen des Absonderungsrechts und des Erlösanspruchs (§ 203 BGB) oder Treuwidrigkeit des unverzüglich zur Auskehr verpflichteten Insolvenzverwalters (§ 242 BGB) begründen. Die Verjährungsfrist beläuft sich gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB aber auf dreißig Jahre. Der Normzweck dieser Bestimmung – Sicherstellung der Verwirklichung des Stammrechts – erfordert die Erstreckung auf den an die Stelle des 1 2 3 4
BT-Drucks. 12/2443, S. 180 f. Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 170 Rz. 18. BT-Drucks. 12/2443, S. 180. Schmidt, ZInsO 2005, 422 (423 f.).
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dinglichen Herausgabeanspruchs getretenen Wertersatzanspruch. Ansonsten würde ein zu großer Wertungswiderspruch zwischen der drei- und der dreißigjährigen Verjährungsfrist bestehen1. (2) Immobiliarsicherheiten (a) Feststellungs- und Verwertungskosten Bezüglich der Verwertung von Grundpfandrechten sah der Gesetzgeber im Kostenpunkt nur ein geringes Reformbedürfnis, da eine kostenmäßige Belastung der Masse in der Regel nicht zu erwarten ist. Die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens sind dem Verwertungserlös nach § 109 ZVG vorweg zu entnehmen2. Im Falle der Zwangsverwaltung werden die Verfahrens- und Verwaltungskosten aus den Nutzungen gemäß § 155 Abs. 1 ZVG vorab bestritten3. Nennenswerte Feststellungskosten fallen bei der Belastung von Grundstücken aufgrund der Grundbuchpublizität für gewöhnlich nicht an. Daher kodifizierte der Gesetzgeber der InsO keine besonderen insolvenzrechtlichen Kostenbeiträge im Rahmen der Verwertung der Immobiliarsicherheit selbst. Zu der Möglichkeit eines vertraglich vereinbarten Kostenbeitrages bei freihändiger Grundstücksveräußerung durch den Insolvenzverwalter siehe unten Rz. 338.
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Die dingliche Haftung des Grundstücks erstreckt sich per Gesetz über das eigentliche Grundstück hinaus auch auf bestimmte bewegliche Gegenstände, welche in den Haftungsverband des Grundstücks nach § 1120 BGB fallen. Hinsichtlich der Kosten, die die Verwertung dieser mithaftenden Gegenstände mit sich bringt, bedurfte es keiner Regelung in der InsO, denn diese sind ebenfalls nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts (§§ 109, 155 ZVG) dem erzielten Erlös vorab zu entnehmen4.
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Dem entgegen gestaltet sich die Feststellung der zum Haftungsverband gehörenden Vermögensgegenstände für den Verwalter häufig aufwendig, da diese dem Grundbuch nicht zu entnehmen sind. Die Überprüfung, ob derartige Gegenstände
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als Zubehör,
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Erzeugnisse oder
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sonstige Bestandteile
des Grundstücks anzusehen sind und im konkreten Fall von der Grundstücksbeschlagnahme auch tatsächlich erfasst werden, verlangt aufwendige Feststel-
1 Schmidt, ZInsO 2005, 422, der sich ausführlich mit der Verjährung von Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter auf Auskehr des Sicherheitenerlöses befasst. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 17; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 814. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 24; Niesert in Andersen/Freihalter, Ausund Absonderungsrechte, Rz. 619. Relevant in diesem Zusammenhang: Ersteheransprüche aus Nebenkostenabrechnungen, vgl. BGH v. 11. 10. 2007 – VIII ZR 156/07, ZInsO 2007, 1221 m. Anm. Schmidtberger, ZInsO 2008, 83 ff. 4 Marotzke, ZZP 1996, 429 (459); Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 621.
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Rz. 328
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lungen des Verwalters sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht1. Um auch hier eine den Mobiliarsicherheiten entsprechende Kostenbeteiligung der immobiliargesicherten Gläubiger sicherzustellen, sieht § 10 Abs. 1 Nr. 1a 2. Hs. ZVG vor, dass im Falle der Zwangsversteigerung eines Grundstücks der Insolvenzmasse die Kosten zu erstatten sind, die durch die Feststellung des mithaftenden Grundstückszubehörs entstehen. Zur Pragmatisierung der Beitragsberechnung legte das Gesetz eine Kostenpauschale in Höhe von 4% des Verkehrswertes der beweglichen Sachen fest (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a 2. Hs. ZVG)2. Dies gilt wohlgemerkt) nur für das Zwangsversteigerungsverfahren und führt nicht zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO auf Zubehör belasteter Grundstücke3. Daher fällt im Zwangsverwaltungsverfahren sowie bei der freihändigen Veräußerung diese Massekostenbeteiligung für mithaftende Gegenstände nicht an. 328
Die vom ZVG anerkannten Kostenforderungen erhalten den Rang nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG und gehen daher ihrem Zweck entsprechend den Grundpfandrechten vor4. Dies bedeutet zum einen, dass die Kosten nicht anteilig auf alle gesicherten Gläubiger umzulegen, sondern wirtschaftlich von den nachrangig Gesicherten zu tragen sind5. Zum anderen führt dies aber auch dazu, dass der Insolvenzverwalter aufgrund der Kostenforderung die Versteigerung nunmehr im Range vor den absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsgläubigern betreiben kann, so dass die Durchführung einer Zwangsversteigerung seitens des Insolvenzverwalters zukünftig erfolgversprechender erscheint als unter Geltung der KO6.
329
Korrelierend mit § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG fügte der Gesetzgeber durch Art. 20 EGInsO auch § 174a neu in das ZVG ein. Danach soll nun auch dem Verwalter ein Antragsrecht bezüglich des so genannten „Doppelausgebots“ zustehen. Das bedeutet, der Verwalter kann nach dieser Vorschrift verlangen, dass bei der Feststellung des geringsten Gebots nur diejenigen Rechte Berücksichtigung finden, die den Kostenerstattungsansprüchen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG vorgehen7. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dem Verwalter die Verwertung auch hochbelasteter Grundstücke zu ermöglichen. Für die absonderungsberechtigten Gläubiger bedeutet das aber zugleich, dass sie allein auf den bei der Versteigerung erzielten Erlös angewiesen sind, denn der Bieter erwirbt das Grundstück gemäß der §§ 52 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 1 ZVG frei von allen in § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 10 ZVG genannten Rechten, insbesondere also frei von Grundpfandrechten8. Dem Insolvenzverwalter wurde durch die Einführung der 1 Referentenentwurf, 2. Teil, S. 62; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 165 Rz. 19. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 15; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (522 f.). 3 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 165 Rz. 25. a.A. Henckel in Jaeger, InsO, 2004, vor § 49 Rz. 48, der stets von der Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO ausgeht. 4 Breutigam in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 49 Rz. 9; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 15. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 15; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.380. 6 Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (523). 7 Vgl. hierzu näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 14. 8 Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 629.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 331a
§7
neuen Rangklasse mithin ein gewisses Druckmittel gegenüber den Grundpfandgläubigern in die Hand gegeben.
! Hinweis: Zur Sicherung ihrer dinglichen Rechte haben die absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsinhaber allerdings die Möglichkeit, den die Versteigerung betreibenden Insolvenzverwalter durch Befriedigung der Kostenerstattungsansprüche aus § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG analog § 268 BGB abzulösen1. Dadurch kann der ablösende Gläubiger den Verlust seines dinglichen Rechts verhindern. In diesem Fall rückt der ablösende Gläubiger in die Rechtsstellung des bisherigen Gläubigers (Insolvenzverwalter) ein und die Erstattungsansprüche gehen entsprechend § 268 Abs. 3 BGB zusammen mit den Sicherheiten auf den ablösenden Gläubiger über (§§ 412, 401 BGB)2. Dies bietet ihm zudem die Möglichkeit, durch eine Versteigerung aus dem ihm nun zustehenden Rang des § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG die gesamten zur Ablösung aufgewandten Kosten im Wege des Rückgriffs auf die anderen Grundpfandgläubiger wieder zurückzuerlangen3.
330
(b) Umsatzsteuer Die umsatzsteuerliche Rechtslage in Bezug auf das Zwangsversteigerungsverfahren über ein Grundstück hat sich durch Einführung der InsO nicht nachhaltig geändert. Namentlich bleibt es beim Rechtscharakter der Zwangsversteigerung als einzelnem steuerbarem Umsatz des Insolvenzschuldners an den Ersteher des Grundstücks4. Der Grundstücksumsatz unterliegt der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG) und ist damit grundsätzlich umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 9a UStG)5.
331
Ein umsatzsteuerrechtlich relevanter Liefervorgang kann sich aber dann ergeben, wenn der Insolvenzverwalter für eine Umsatzsteuer nach § 9 UStG optiert6 oder aber im Falle der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9a UStG7 aus der etwa erforderlichen Vorsteuerrückforderung nach § 15a Abs. 1 und 4 UStG8. Ein Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit (§ 9 Abs. 1 UStG) ist im Zwangsversteigerungsverfahren aber nur bis zur Aufforderung zur Gebotsabgabe möglich (§ 9 Abs, 3 UStG)9.
331a
1 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 165 Rz. 22. 2 Lwowski in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 165 Rz. 173; a.A. Hintzen in FS Kirchhoff, 2004, 219 ff. 3 Lwowski/Tetzlaff, WM 1999, 2336 (2343). 4 Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 709. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 11; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 165 Rz. 52. 6 Vgl. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 11; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 49 Rz. 32; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 9 Anm. 1 ff. 7 Vgl. Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 1 ff.; Hundt-Eßwein/Schuhmann/ Waza, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 1 ff. 8 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 11; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.382 f.; zur Frage des Meistgebots als Netto- bzw. Bruttobetrag BGH v. 3. 4. 2003 – IX ZR 93/02, BGHZ 154, 327 ff. 9 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 165 Rz. 38.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 331b
Beratung des gesicherten Gläubigers
331b
Anders als bei Inkrafttreten der InsO entsteht eine mögliche Steuerforderung im letzteren Fall nicht mehr als sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO1. Seit dem 1. 1. 2004 ist kraft § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 UStG der Erwerber Umsatzsteuerschuldner; die Masse wird konsequenterweise nicht mehr mit der Umsatzsteuerschuld belastet2. Dies war vor Einführung des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 UStG der Fall, da ein den §§ 170, 171 InsO vergleichbarer Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse fehlte und eine analoge Anwendung nicht in Betracht kam3.
331c
Gibt der Insolvenzverwalter das Grundstück aus der Insolvenzmasse frei und veräußert der Schuldner das Grundstück, wird die Insolvenzmasse aufgrund des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 UStG auch nicht mit der Umsatzsteuer belastet. In Altfällen, d.h. Grundstücksveräußerungen vor dem 1. 1. 2004 dürfte die Belastung der Insolvenzmasse mit der Umsatzsteuer nach Veräußerung durch den Schuldner anders zu beurteilen sein. So jedenfalls die Rechtsprechung des BFH4.
332
Erfolgt im Rahmen einer insolvenzbedingten Zwangsversteigerung eines Grundstücks zugleich die Versteigerung von Grundstückszubehör nach den §§ 90 Abs. 2, 55 Abs. 2, 20 Abs. 2 ZVG, 1120 BGB, greift der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 9a UStG für diese Zubehörsstücke nicht ein5. Vielmehr geht die auf das Zubehör entfallende Umsatzsteuer zu Lasten der Masse6. Sie ist dem Erlös auch nicht vorab zu entnehmen und an das Finanzamt abzuführen, da § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStDV den Leistungsempfänger nur zur Einbehaltung und Abführung der Steuer hinsichtlich der „Lieferung von Grundstücken“ verpflichtet, von der das Zubehör jedoch steuerrechtlich getrennt zu sehen ist7. Es liegt vielmehr eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor8.
333
Fraglich ist, ob der Insolvenzverwalter mit Rücksicht auf diese Belastung der Masse mit einer Masseverbindlichkeit die Umsatzsteuer vom Erlös des Absonderungsberechtigten abziehen kann9. Die h.M. versagt einen solchen Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse gegen die Grundpfandrechtsinhaber. Die 1 Str., siehe hierzu eingehend Welzel, Die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit, S. 123 ff.; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 818; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 710. 2 Eckert, ZInsO 2004, 702 (706). 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 12. 4 BFH v. 16. 8. 2001 – VR 59/99, ZInsO 2002, 222; kritisch Lwowski in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 165 Rz. 211; Onusseit, ZIP 2002, 1344. 5 Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 4; Hundt-Eßwein/Schuhmann/Waza, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 4. 6 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 165 Rz, 38; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.386. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10; Hess, InsO, § 165 Rz. 78. 8 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 820; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 165 Rz. 52. 9 Zu diesem Streitstand vgl. Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 165 Rz. 39, der jedoch eine Mindermeinung (Fn. 8) vertritt, wenn auch mit einer überzeugenden Differenzierung.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 335
§7
Regelungen der §§ 170, 171 InsO seien schlechterdings nicht anwendbar, da sie ausdrücklich nur auf Mobiliarsicherungsrechte, zu deren Verwertung der Verwalter nach § 166 InsO berechtigt ist, beschränkt sind1. Unterstützt werde diese Annahme durch das Fehlen einer Regelung in den Vorschriften des ZVG. Der diskutierte Vorschlag, eine Umsatzsteuerabführungspflicht für alle gesicherten Gläubiger unabhängig von der Art der Sicherheit zu begründen, wurde von dem Rechtsausschuss des Bundestages abgelehnt2. Eine im Vordringen befindliche Ansicht differenziert3: Hat der Insolvenzverwalter die Zwangsversteigerung beantragt? Hat er also sein Verwertungsrecht nach § 165 InsO ausgeübt? In diesem Fall könne die Umsatzsteuer dem Rechtsgedanken des § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO entsprechend dem Gläubiger belastet werden. Erfolge die Zwangsversteigerung auf den Antrag des Absonderungsberechtigten hin, falle der Umsatzsteueranteil in den auszukehrenden Erlös.
333a
(c) Sicherungsübereignung der Zubehörsgegenstände Probleme ergeben sich hinsichtlich der abzuführenden Kostenbeiträge dann, wenn sich die Sicherungsnehmer, entsprechend einer weit verbreiteten Praxis aufgrund der häufig zu beklagenden Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Zubehör und selbständigen Sachen, solche Gegenstände rein vorsorglich noch zur Sicherheit übereignen lassen, so genannte Doppelsicherung4. Durch diese Vorsorgemaßnahme entsteht die Frage nach der Höhe der Massebeteiligung: 4% gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 a ZVG bei der Verwertung als Grundstückszubehör oder 9% zzgl. 19% Umsatzsteuer bei der Verwertung als selbständigen sicherungsübereigneten Gegenstand5.
334
Sind die sicherungsübereigneten Gegenstände eindeutig als Grundstückszubehör zu charakterisieren, so ist darauf abzustellen, dass im Rahmen der Zwangsversteigerung der Erwerber mit Zuschlagserteilung Eigentum an den sicherungsübereigneten Gegenständen erwirbt, mithin der Insolvenzschuldner mit Zuschlagserteilung an den Erwerber liefert6. Die §§ 166 ff. InsO greifen in diesem Fall nicht ein, da sie keine Anwendung auf bewegliche Sachen und Forderungen finden, die zum Haftungsverband eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks gehören. Damit fällt für diese Zubehörsstücke nur die 4%ige Kostenpauschale hinsichtlich der Feststellungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG an7.
335
1 Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (522 f.); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.386; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 820; a.A. Marotzke, ZZP 1996, 429 (466), der eine analoge Anwendung aus den Gründen einer planwidrigen Gesetzeslücke befürwortet; differenzierend auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10. 2 BT-Drucks. 12/7302, S. 178. 3 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 165 Rz. 39 unter Hinweis auf Maus in Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10. 4 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 165 Rz. 25 m.w.N. 5 Obermüller/Hess, InsO, Rz. 817; Wenzel, NZI 1999, 101 (104). 6 BFH v. 16. 4. 1997 – XI R 87/96, BB 1997, 1674. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 15.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 336
Beratung des gesicherten Gläubigers
336
Ein Doppelumsatz liegt hinsichtlich der sicherungsübereigneten Gegenstände nicht vor, denn das Grundstückszubehör wird in der Zwangsversteigerung ausschließlich aufgrund des Grundpfandrechts verwertet und nicht aufgrund der zusätzlich geschlossenen Sicherungsübereignungsvereinbarung1. Mithin sind in diesem Fall die ebenfalls sicherungsübereigneten Gegenstände umsatzsteuerlich wie Grundstückszubehör zu behandeln. Zwar entsteht die Umsatzsteuerschuld in der Masse als sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO2, selbige hat aber gegenüber dem Sicherungsnehmer keinen Anspruch auf Erstattung der anfallenden Umsatzsteuer3.
337
Verwertet der Insolvenzverwalter das sicherungsübereignete Zubehör hingegen unabhängig von dem Grundstück oder überlässt er die Verwertung gar dem Sicherungsnehmer, so gelten die oben für die Verwertung von beweglichem Sicherungsgut dargestellten Grundsätze (Rz. 270 ff., 331 ff.) und der Verwalter bzw. der Sicherungsnehmer ist zur Abführung der Kostenbeiträge sowie der vereinnahmten Umsatzsteuer vor Erlösauskehr verpflichtet4. Es bleibt dann steuerrechtlich ohne Bedeutung, dass das Zubehör auch der Immobiliarhaftung unterlag5. (d) Freihändige Grundstücksveräußerung
338
Neben der zwangsweisen Verwertung massezugehörigen Grundbesitzes durch Anordnung der Zwangsverwaltung bzw. Zwangsversteigerung bleibt die Möglichkeit einer freihändigen Veräußerung durch den Insolvenzverwalter. Die in § 165 InsO vorgesehene Verwertung von mit Absonderungsrechten belasteten Grundstücken ist damit nicht zwingend. Dies ergibt sich aus § 159 InsO, wonach eine Verwertung durch freihändigen Verkauf einer vorherigen Zustimmung des Gläubigerausschusses bedarf (§ 160 InsO)6.
338a
Diese Möglichkeit ist die konsequente Fortsetzung der auch außerhalb der Insolvenz denkbaren Vereinbarung zwischen Grundpfandgläubiger und Grundstückseigentümer, wonach letzterer im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß § 675 BGB beauftragt wird, das Grundstück im eigenen Namen für die Rechnung des Grundpfandgläubigers zu veräußern. Der Grundstückseigentümer ist dann verpflichtet, dem Grundpfandgläubiger den Veräußerungserlös abzüglich des vereinbarten Entgelts herauszugeben.
338b
Für Grundpfandgläubiger hat diese Möglichkeit den großen Vorteil einer zeitnahen und kostengünstigeren Verwertung.
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10; de Weerth, BB 1999, 821 (826). 3 Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (523); vgl. differenzierend Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 10. 4 Obermüller/Hess, InsO, Rz. 821; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (522 f.); vgl. auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 166 Rz. 3. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.388; Obermüller/ Hess, InsO, Rz. 822. 6 BFH v. 18. 8. 2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 (2120); Weis/Ristelhuber, ZInsO 2002, 859; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 165 Rz. 4.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 339
§7
Insolvenzverwalter nehmen jedoch den mit einer freihändigen Veräußerung verbundenen Aufwand üblicherweise nur auf sich, wenn sich hierdurch ein freier Betrag für die Insolvenzmasse realisieren lässt. Da das Gesetz einen Kostenbeitrag nicht vorsieht, sind Insolvenzverwalter auf die vertragliche Vereinbarung einer solchen Massebeteiligung angewiesen.
338c
Die Höhe einer zu vereinbarenden Massebeteiligung dürfte von mehreren Faktoren wie dem Kaufpreisvolumen, der allgemeinen Marktsituation und nicht zuletzt vom Verhandlungsgeschick der Beteiligten abhängen. Die Vereinbarung eines Kostenbeitrages in Höhe der §§ 170, 171 InsO (9%) dürfte Insolvenzverwaltern nur selten gelingen. Realistischer erscheinen Beträge in einer Größenordnung von 5–8%.
338d
Die Tatsache, dass das Gesetz für die freihändige Verwertung von Grundbesitz durch den Insolvenzverwalter keine Massebeteiligung vorsieht, hat auch umsatzsteuerliche Konsequenzen. Denn – nicht anders als der Schuldner außerhalb des Insolvenzverfahrens (Rz. 338a) – könnte der Insolvenzverwalter nicht nur dem Grundstückserwerber, sondern auch dem Grundpfandgläubiger gegenüber eine steuerbare Leistung erbringen, mit der Konsequenz, dass die vereinbarte Massebeteiligung der Umsatzsteuer unterliegt.
338 e
! Exkurs: Leistungen sind grundsätzlich nur dann umsatzsteuerbar, wenn sie gegen Entgelt bewirkt werden und wenn zwischen Leistung und Gegenleistung eine innere Verknüpfung besteht. Der Leistende muss seine Leistung erkennbar um der Gegenleistung willen erbringen, wobei zwischen Leistendem und Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehen muss1. Dies sieht der BFH bei der für die freihändige Grundstücksveräußerung vereinbarten Massebeteiligung als gegeben an2. Den zwischen Insolvenzverwalter und Grundpfandgläubiger geschlossenen Vertrag qualifiziert die erwähnte Rechtsprechung als Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB3. Diese Rechtsprechung ist fragwürdig. Denn die Massebeteiligung lässt nicht auf den Willen der Parteien schließen, sich im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages zu binden, sondern stellt vielmehr eine bloße Erlösverteilung dar. Mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BFH bleibt indes wenig Spielraum für hiervon abweichende steuerliche Gestaltungen. (3) Mobiliarpfandrechte Bei den Pfandrechten an beweglichen Sachen, die den unmittelbaren Besitz des Pfandgläubigers voraussetzen, sowie den Pfandrechten an Forderungen und sonstigen Rechten findet die Verwertung des Sicherungsguts nicht durch den Verwalter, sondern durch den Absonderungsberechtigten selber statt (§§ 166 1 EuGH v. 3. 3. 1994 – Rs C 16/93, BB 1994, 1132. 2 BFH v. 18. 8. 2005 – 1 K 2949/92, ZIP 2005, 2119. 3 Grundlegend BFH v. 18. 8. 2005 – 1 K 2949/92, ZIP 2005, 2119 m. krit. Anm. Beck, ZInsO 2006, 244 ff. Vgl. hierzu in derselben Rechtssache BFH v. 10. 2. 2005 – V R 31/04, DZWIR 2005, 247 m.w.N. Lesenswert auch die Entscheidung der Vorinstanz: FG Brandenburg v. 16. 3. 2004 – 1K 2949/02, ZIP 2004, 2249 m. Anm. Beck, EWiR 2004, 931; vgl. weiter BFH v. 17. 2. 2005 – V R 17/02, BFH/NV 2005, 1394 m.w.N.
Drees/J. Schmidt
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339
§7
Rz. 340
Beratung des gesicherten Gläubigers
i.V.m. 173 InsO). Feststellungskosten und Verwertungskosten entstehen der Insolvenzmasse schon naturgemäß nicht oder zumindest in erheblich reduzierter Form, wenn sich der Sicherungsgegenstand im Besitz des Sicherungsnehmers befindet und die Verwertung durch selbigen erfolgt1. Die InsO sieht daher von einer Kostenbelastung der Inhaber von Besitz- und Forderungspfandrechten ab2. 340
Ebenso entfällt die Verpflichtung, einen Umsatzsteuerbetrag an die Masse abzuführen, denn das Gesetz sieht für die Verwertung durch den Gläubiger nach § 173 Abs. 1 InsO keinen Vorwegabzug hinsichtlich der Umsatzsteuer vor. Da die mit Besitzpfandrechten belasteten Gegenstände zu der Insolvenzmasse im Sinne von § 35 InsO gehören, bedeutet deren Verwertung im Wege eines umsatzsteuerbaren Tatbestandes die Begründung von umsatzsteuerlichen Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO3. Hinsichtlich dieser Steuerschuld hat der Gesetzgeber weder einen Vorwegabzug aus dem Verwertungserlös noch eine sonstige Erstattungsverpflichtung des Absonderungsberechtigten vorgesehen. Der Tatbestand fällt weder unter die Neufassung des § 51 Abs. 1 Satz 2 UStDV noch unter die Regelungen der §§ 170, 171 InsO4. Eine analoge Anwendung der Regelungen, die der Masse den Gegenwert des Umsatzsteuerbetrags zuschreiben, scheidet angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts und der klaren Gesetzessystematik5 aus6. Der Sicherungsnehmer kann daher entsprechend dem bisherigen Recht den gesamten Veräußerungserlös einschließlich des darin enthaltenen Umsatzsteueranteils beanspruchen, da die meisten Sicherungsabreden insoweit eine unbeschränkte Vereinnahmung des Erlöses durch den Sicherungsnehmer vorsehen7. (4) Besitzlose Mobiliarsicherheiten
341
Im Rahmen der besitzlosen Mobiliarsicherheiten, zu denen die –
Sicherungsübereignung (Rz. 169 ff., 270 ff.),
–
Sicherungszession (Rz. 175 f., 270 ff., 309 ff.),
–
die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts sowie
–
die besitzlosen Pfandrechte
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 180. 2 Vgl. auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 170 Rz. 1, § 171 Rz. 3; Gottwald/ Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 122; Breutigam in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 170 Rz. 5. 3 Welzel, ZIP 1998, 1823 (1825); vgl. auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 20. 4 Welzel, ZIP 1998, 1823 (1825); vgl. auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 20. 5 Die §§ 166-171 InsO regeln die Rechtsfolgen des Regelinsolvenzverfahrens, in dem regelmäßig dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht zusteht; der Ausnahmefall ist in § 173 InsO geregelt, der die Rechtsfolgen der Verwertung eines nicht im Besitz des Verwalters befindlichen Sicherungsgegenstandes bestimmt. 6 de Weerth, BB 1999, 821 (825); vgl. zu der Diskussion Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 20. 7 de Weerth, BB 1999, 821 (825).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 343a
§7
zählen, erfolgt die Verwertung der absonderungsbelasteten Gegenstände entsprechend dem gesetzlichen Regelfall des § 166 InsO durch den Insolvenzverwalter. Gerade die hierunter fallenden Sicherungsformen der Sicherungsübereignung und Sicherungszession sowie die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts verursachen wegen ihrer fehlenden Erkennbarkeit und den häufig auftretenden Kollisionsfällen bei ihrer Abwicklung erhebliche Bearbeitungskosten1. (a) An Sachen Der jeweils von dem absonderungsberechtigten Gläubiger zu erbringende Kostenbeitrag ist unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Berechnungsweisen für jede Kostenart zu ermitteln. Grundsatz der Kostenberechnung ist, dass dem Gläubiger nur die tatsächlich entstandenen Kosten auferlegt werden sollen2. Aus Gründen der Praktikabilität wurden aber dennoch sowohl für die Feststellungs- als auch die Verwertungskosten gesetzliche Pauschalsätze eingeführt.
342
(aa) Feststellungskosten Die Feststellungskosten im Sinne des § 171 Abs. 1 InsO umfassen die Kosten –
der tatsächlichen Ermittlung und
–
Trennung des belasteten Gegenstandes sowie
–
der Überprüfung der Rechtsverhältnisse
343
an diesem3. Im Wesentlichen geht es hier um Zeit und Arbeitskraft des Insolvenzverwalters, so dass die Kosten regelmäßig in der Form von Vergütungszuschlägen, die aufgrund der zusätzlichen Arbeitsbelastung an den Verwalter zu zahlen sind, anfallen. Da die Festsetzung dieser Zuschläge zusammen mit der sonstigen Vergütung des Verwalters aber erst am Ende des Insolvenzverfahrens erfolgt, steht ihre Höhe im Zeitpunkt der von § 170 Abs. 1 InsO verlangten unverzüglichen Erlösauskehr noch nicht fest. Ein Abzug konkret ermittelter Feststellungskosten stößt daher auf praktische Schwierigkeiten, was den Gesetzgeber zu dem Ausweg eines pauschalierten Kostenansatzes genötigt hat4. Auf den konkreten Feststellungsaufwand im Einzelfall kommt es mithin nicht an, so dass – im Gegensatz zur Verwertungspauschale – die Feststellungspauschale auch nicht durch eine konkrete Kostenberechnung in Frage gestellt werden kann5. Möglich ist insoweit allerdings eine anderweitige rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem absonderungsberechtigten Gläubiger6. 1 2 3 4 5
BT-Drucks. 12/2443, S. 180. BT-Drucks. 12/2443, S. 181. BT-Drucks. 12/2443, S. 181; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 2. BT-Drucks. 12/2443, S. 181. BGH v. 11. 7. 2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1800); Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 2. Vgl. hierzu weiter Kirchhof, ZInsO 2003, 149 (155). 6 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 2.
Drees/J. Schmidt
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343a
§7
Rz. 343b
Beratung des gesicherten Gläubigers
343b
Bei der Bemessung der Kostenpauschale in § 171 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber die Höhe der gewöhnlich von der Gerichtspraxis in Ansatz gebrachten Zuschläge zu der Verwaltervergütung für die Befassung mit Aus- und Absonderungsrechten zugrunde gelegt und ist auf diese Weise zu der Pauschale von 4% des Bruttoverwertungserlöses gelangt. Dass der Brutto- und nicht der Nettoerlös Bezugsgröße ist, dürfte als unstrittig gelten1, auch wenn in jüngerer Zeit mit wenig überzeugenden Argumenten versucht wird, dies in Frage zu stellen2. Diese Kostenpauschale ist dem Verwertungserlös durch den Verwalter vor dessen Auskehrung an den Gläubiger nach § 170 Abs. 1 InsO zu entnehmen.
343c
Da grundsätzlich jeder Sicherungsgegenstand vor der Verwertung festgestellt werden muss, hat der absonderungsberechtigte Gläubiger die Feststellungskosten auch dann an die Masse zu leisten, wenn der Insolvenzverwalter ihm ausnahmsweise einen Gegenstand, zu dessen Verwertung der Verwalter nach § 166 Abs. 1 InsO berechtigt gewesen wäre, zur Verwertung überlassen hat oder der Gläubiger von seinem Eintrittsrecht nach § 168 Abs. 3 InsO Gebrauch macht und die Sache übernimmt (§ 170 Abs. 2 InsO)3.
! Praktische Hinweise für den Berater zur Feststellungskostenpauschale: 344
–
Im Grundsatz gilt: Steht dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht zu (§ 166 InsO), ist er zugleich zwingend zur Geltendmachung der 4%igen Feststellungskostenpauschale nach § 171 Abs. 1 InsO berechtigt.
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Der Einwand, dass der Insolvenzverwalter die Verwertungshandlung bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren hätte vornehmen können (z.B. Zustimmung zur Einziehung des Versicherungsanspruchs) ist unbeachtlich und steht der Feststellungskostenpauschale nicht entgegen. Zum einen ist eine solche Pflicht nicht erkennbar und zum anderen steht dem vorläufigen Insolvenzverwalter – ob stark oder schwach – gerade kein Verwertungsrecht zu4.
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Hat der gesicherte Gläubiger allerdings die Sache bereits vor Verfahrenseröffnung zwecks Verwertung in Besitz genommen, so ist der Kostentatbestand des § 170 Abs. 1 InsO mangels Verwertungsrechts des Verwalters im Sinne des § 166 Abs. 1 InsO nicht ausgelöst. Insolvenzverwalter sind gleichwohl bemüht, die Zahlung der Feststellungskostenpauschale zu verlangen, da sie diese durch treuwidriges Verhalten des Absonderungsberechtigten als vereitelt ansehen. Hierzu ausführlich unten Rz. 349.
1 Nach der Gesetzesbegr. ist der Bruttoerlös maßgebend, BT-Drucks. 12/2443, S. 181, BT-Drucks. 12/7302, S. 177; vgl. weiter Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 170 Rz. 3. 2 de Weerth, ZInsO 2007, 70 ff. Dem begegnet mit überzeugender Argumentation Onusseit, ZInsO 2007, 247 ff. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 2. 4 BGH v. 14. 12. 2000 – IX ZB 105/00, ZInsO 2001, 165.
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Absonderungsfragen
Rz. 346b
§7
(bb) Verwertungskosten Neben den Feststellungskosten entstehen regelmäßig Verwertungskosten. Diese setzen sich im Wesentlichen aus den Kosten der Vorbereitung und Durchführung der Verwertung zusammen und sind in der Praxis durch eine erhebliche Streubreite gekennzeichnet. Trotzdem wurde aus Praktikabilitätsgründen auch hinsichtlich der Verwertungskosten eine Kostenpauschale festgesetzt, die allerdings aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten als widerlegbare Vermutungsregel ausgestaltet wurde. Nach § 171 Abs. 2 Satz 1 beträgt die Regelpauschale 5% bezogen auf den Bruttoverwertungserlös1, soweit die tatsächlich entstandenen Kosten nicht erheblich niedriger oder erheblich höher liegen.
345
Der Pauschalsatz von 5% geht zurück auf Mitteilungen von Kreditinstituten, die diesen Wert als Durchschnittswert der tatsächlich entstehenden Verwertungskosten angaben2. Da die Verwertungskosten jedoch im Einzelfall, z.B. bei Spezialmaschinen, ein Mehrfaches oder aber auch bei marktgängigen Sachen nur einen Bruchteil des Pauschalsatzes betragen können, sieht Abs. 2 Satz 2 als Ausfluss des Kostenverursachungsprinzips die Möglichkeit vor, die Kostenvermutungsregel zu widerlegen. Um unergiebige Streitigkeiten zu umgehen, was gerade Sinn und Zweck der Einführung eines Pauschalsatzes war, kann die Vermutung nur durch den Nachweis einer „erheblichen“ Abweichung ausgeräumt werden3. Für „erheblich“ im Sinne des § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO wird man eine Abweichung jedenfalls dann ansehen, wenn die tatsächlich entstandenen und erforderlichen Verwertungskosten die Hälfte oder das Doppelte des festgesetzten Vomhundertsatzes betragen4. Es besteht indes nicht die Möglichkeit einer Kombination („Mischkalkulation“), d.h., entweder werden die Verwertungskosten der Kostenpauschale entsprechend festgesetzt oder aber anhand der tatsächlich entstandenen Kosten berechnet. So jedenfalls die Grundsatzentscheidung des BGH vom 22. 2. 20075.
346
Führt der Insolvenzverwalter bzw. der absonderungsberechtigte Gläubiger6 mithin den Nachweis einer erheblichen Abweichung von der gesetzlichen Pauschale aufgrund einer Überschreitung von 100% bzw. einer Unterschreitung um 50%7, sind die tatsächlich entstandenen Kosten in Ansatz zu bringen.
346a
Geht es um den Nachweis dafür, dass die tatsächlichen Verwertungskosten erheblich niedriger waren als die nach § 171 InsO berechnete Pauschale, so darf trotz der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des absonderungsberechtigten Gläubigers nicht verkannt werden, dass zunächst der Insolvenzverwalter über den bei ihm entstandenen Aufwand Rechnung zu legen bzw. die zum
346b
1 Nach der Gesetzesbegr. ist der Bruttoerlös maßgebend, BT-Drucks. 12 /2443, S. 181, BT-Drucks. 12 /7302, S. 177; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 3; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 170 Rz. 3. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 181. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 181. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 181; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 4; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, §§ 170, 171 Rz. 8. 5 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 112/06, ZInsO 2007, 374 f. 6 So ausdrücklich AG Wuppertal v. 4. 1. 2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386 (387 f.). 7 Über einen solchen Fall hatten zu entscheiden: OLG Jena v. 3. 2. 2004 – 5 U 709/02; ZInsO 2004, 509 LG Meiningen v. 9. 7. 2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199.
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§7
Rz. 346c
Beratung des gesicherten Gläubigers
Nachweis erforderlichen Unterlagen vorzulegen hat1. Ihn trifft daher eine von der Rechtsprechung anerkannte sekundäre Darlegungslast2, auf Grund derer er der darlegungs- und beweispflichtigen Partei eine prozessordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben über die zu seinem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen hat3. 346c
Wenn die tatsächlichen Verwertungskosten die Verwertungskostenpauschale erheblich unterschreiten, neigen Gerichte dazu, die angemessene Höhe der Verwertungskosten mangels anderer Grundlagen nach § 287 ZPO zu schätzen4. Ob die Gerichte hierbei berücksichtigen, dass ein Verwalter einen umfangreichen Verwaltungsapparat mit hochqualifizierten Mitarbeitern vorhalten muss, darf bezweifelt werden.
346d
Besonders häufig wurden Verwertungskosten unterhalb der Pauschale behauptet, wenn es um die Verwertung von Lebensversicherungen durch Einziehung des Rückkaufswertes ging. Soweit ersichtlich entschied erstmals das AG Bonn einen solchen Fall, in dem der Insolvenzverwalter seinen mit der Einziehung verbundenen Aufwand einschließlich seines Verwertungsapparates hinreichend substantiiert darlegen musste, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Verwertungskosten auf weniger als 1% geschätzt wurden5. Ganz anders verhält sich dazu die lesenswerte Entscheidung des AG Wuppertal6.
346e
Von praktischer Bedeutung sind weiterhin die nachstehenden Überlegungen bzw. Fallgestaltungen: –
Insolvenzverwalter beauftragen zur Verwertung regelmäßig so genannte Verwerter. Wird deren Entlohnung vom Insolvenzverwalter vorab vom (Brutto-) Verwertungserlös abgezogen, so widerspricht das der Rechtsprechung des BGH, wonach solche Kosten Teil der tatsächlich angefallenen Verwertungskosten i.S.d. § 171 Abs. 2 InsO sind7.
–
Mitunter versuchen Insolvenzverwalter im Rahmen des Nachweises des mit einer Verwertung verbundenen Aufwands Tätigkeiten im Rahmen der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit zu berücksichtigen. Auch diese Argumentation rechtfertigt nicht den Ansatz höherer – tatsächlich – entstandener Kosten, da diese keine Verwertungskosten im Sinne des § 171 InsO darstellen8.
–
Keine Verwertungskostenpauschale soll – jedenfalls nach Ansicht des IX. Zivilsenats des BGH – dem Insolvenzverwalter für solche Kraftfahrzeuge zustehen, die er als Insolvenzverwalter eines insolventen Kraftfahr-
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LG Meiningen v. 9. 7. 2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199. Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 284 Rz. 18. OLG Nürnberg v. 4. 3. 2005 – 4 U 3471/04, ZInsO 2005, 380 ff. So z.B. AG Wuppertal v. 4. 1. 2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386 (387 f.) oder auch LG Meiningen v. 9. 7. 2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199. AG Bonn v. 11. 10. 2000 – 16 C 322/00, NZI 2001, 50 f. AG Wuppertal v. 4. 1. 2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386 (387 f.). BGH v. 22. 9. 2005 – IX ZR 65/04. So auch die ganz h.M. Vgl. statt vieler Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 3. A.A. soweit ersichtlich nur Lwowski in MünchKomm, InsO, § 171 Rz. 37. OLG Jena v. 3. 2. 2004 – 5 U 709/03, ZIP 2004, 2107 ff.
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Absonderungsfragen
Rz. 348b
§7
zeughändlers gegen Gutschrift des Kaufpreises an den Hersteller zurückgibt. Dies sei keine Verwertung im Sinne des § 171 Abs. 2 InsO, da kein mit der Veräußerung an einen Dritten typischerweise verbundener Aufwand entstehe1. Hat der Insolvenzverwalter entgegen § 166 Abs. 1 InsO dem Absonderungsberechtigten die Verwertung des Sicherungsgegenstandes überlassen, so hat der verwertende Gläubiger keine Verwertungskosten an die Masse zu erbringen, da diese i.d.R. bei ihm selbst anfallen2.
347
Hat der gesicherte Gläubiger hingegen den Sicherungsgegenstand im Wege des Selbsteintritts nach § 168 Abs. 3 InsO übernommen, so hat er die Verwertungskosten uneingeschränkt und unabhängig von einer möglichen späteren eigenen Verwertung des Gutes nach § 170 Abs. 1 InsO zu tragen, da eine Verwertung des Verwalters vorliegt, nachdem dieser die Verwertung bereits vorbereitet und die Veräußerungsabsicht dem gesicherten Gläubiger mitgeteilt hat3. Diese Rechtsfolge beruht auf der systematischen Stellung des § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO im Gefüge der Vorschriften über die Verwertung. Danach gehört die Übernahme durch den absonderungsberechtigten Gläubiger zu den Verwertungsmöglichkeiten, die das Gesetz für den Verwalter vorsieht. Hierdurch stellt das Gesetz klar, dass diese Verwertungsmöglichkeit streng von der in § 170 Abs. 2 InsO vorgesehenen zu unterscheiden ist4. Soweit die Anwendbarkeit des § 170 Abs. 1 InsO auf den Fall des Selbsteintritts mangels ausdrücklicher Regelung abgelehnt wird5, ist dies nach der ausdrücklichen Entscheidung des BGH vom 3. 11. 2005 nicht mehr haltbar6. Insolvenzverwalter sind daher nicht mehr darauf angewiesen, aus Gründen der Rechtssicherheit einen Kostenbeitrag vertraglich zu vereinbaren.
348
Absonderungsberechtigten Gläubigern ist es durch diese Rechtsprechung jedoch nicht genommen, abweichend vom Anspruch auf eine Kostenbeteiligung in der gesetzlichen Höhe mit dem Insolvenzverwalter eine Absenkung der prozentualen Beteiligung zu vereinbaren.
348a
Fraglich ist, ob ein absonderungsberechtigter Gläubiger, der das Sicherungsgut vom Insolvenzverwalter übernommen und sodann weiterveräußert hat, sich einen hierbei erzielten Mehrerlös nach Abzug der beschriebenen Kosten auf die Insolvenzforderung anrechnen lassen muss. Diese Frage beantwortet sich aus dem Vergleich mit einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter, bei der ein Mehrerlös erzielt wird: Verwertet ein Insolvenzverwalter, indem er das Sicherungsgut selbst an einen Dritten veräußert, erhält der absonderungsberechtigte
348b
1 BGH v. 14. 12. 2006 – IX ZR 220/05, n. v.; vgl. Ganter, ZInsO 2007, 841 (845). 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 3; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 170 Rz. 11; Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 170 Rz. 13. 3 BGH v. 3. 11. 2005 – IX ZR 181/04, ZInsO 2005, 1270 ff. m. Anm. Foerste, NZI 2006, 275 und Ringstmeier, BGH-Report 2006, 128 f. im Anschluss an die herrschende Literatur: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 168 Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, §§ 170, 171 Rz. 5; Blersch in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 168 Rz. 13. 4 BGH v. 3. 11. 2005 – IX ZR 181/04, ZInsO 2005, 1270. 5 Vgl. Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644. 6 BGH v. 3. 11. 2005 – IX ZR 181/04, ZInsO 2005, 1270 f.
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§7
Rz. 348c
Beratung des gesicherten Gläubigers
Gläubiger den erzielten Erlös abzüglich der daraus für die Masse zu entnehmenden Kosten (§ 170 Abs. 1 Satz 1 InsO) und damit auch einen Mehrerlös. Da das Gesetz – wie dargelegt – die Verwertung durch die Übernahme seitens des Gläubigers derjenigen durch Veräußerung an einen Dritten gleichstellt, ist es nur konsequent, in diesem Fall –
den Gläubiger lediglich in Höhe des mit dem Verwalter vereinbarten Übernahmepreises
–
abzüglich der Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale
–
als befriedigt anzusehen
und ihn wegen des verbleibenden Restes seiner Forderung als Insolvenzgläubiger gemäß § 52 InsO zu behandeln. 348c
Kurzum: Ein durch die Weiterveräußerung erzielter Mehrerlös muss nicht auf die Insolvenzforderung angerechnet werden1. Diese Wertung entspricht dem Willen des Gesetzgebers, benachteiligt die Masse nicht unangemessen und verschafft dem absonderungsberechtigten Gläubiger keinen ungerechtfertigten Vorteil, da dieser auch das Risiko trägt, auf diesem Weg einen Verlust zu erzielen.
349
In besonderer Weise zu befassen hatte sich die Rechtsprechung mit der Verwertung von Absonderungsgut durch den Sicherungsgläubiger vor Verfahrenseröffnung, insbesondere während des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Diese Fälle zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass Insolvenzverwalter versucht haben, entsprechend vorgehende Absonderungsgläubiger wegen der vereitelten Feststellungs- und Verwertungskostenpauschalen in Anspruch zu nehmen. Der Einfachheit halber soll diese Problematik hier auch schon für Absonderungsrechte an Forderungen (hierzu Rz. 368 ff.) dargestellt werden.
349a
Die in diesem Zusammenhang typischen Sachverhalte sehen etwa folgendermaßen aus: Die spätere Insolvenzschuldnerin verkauft Gegenstände, die sie zuvor unter verlängertem Eigentumsvorbehalt bezogen hat. Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist, legt die Vorbehaltslieferantin die Abtretung offen und fordert die Kunden der Schuldnerin auf, an sie zu zahlen. Nach Vereinnahmung der Zahlung durch die Vorbehaltslieferantin macht der Insolvenzverwalter die Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale geltend2.
349b
Sachverhalt und sich hieraus ergebende Fragestellung sind nahezu identisch, wenn ein Gläubiger aufgrund eines Sicherungsübereignungsvertrages berechtigt ist, das Sicherungsgut herauszuverlagen, hiervon Gebrauch macht und den Gegenstand noch vor Verfahrenseröffnung verwertet. Auch hier beansprucht der Insolvenzverwalter – nach Anfechtung der Inbesitznahme – die gesetzlichen Kostenbeiträge, die er bei eigener Verwertung nach Eröffnung hätte erzielen können3. 1 BGH v. 3. 11. 2005 – 181/04, ZInsO 2005, 1270 f. 2 Auf der Grundlage von BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42. 3 Dieser Sachverhalt beruht auf BGH v. 23. 9. 2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40 (41 f.) = DZWIR 2005, 123 ff.
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Absonderungsfragen
Rz. 349f
§7
Rechtliche Grundlage der behaupteten Ansprüche ist jeweils ein aus der Insolvenzanfechtung herrührender Schadensersatzanspruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 Abs. 1 BGB. Ebenso wurde versucht, diesen Anspruch aus dem Bereicherungsrecht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB herzuleiten.
349c
Gegen entsprechende Verwertungsmaßnahmen in der vorläufigen Insolvenzverwaltung können Verwalter grundsätzlich nichts einwenden. Steht einem Gläubiger – etwa aufgrund einer Abtretung – ein Absonderungsrecht an den Forderungen zu und ist er nach Offenlegung der Abtretung berechtigt, die Forderungen von der Drittschuldnerin einzuziehen, so ändern weder der Insolvenzantrag noch die Anordnung einer vorläufigen Verwaltung hieran etwas. Ob im Falle einer gerichtlichen Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Verwertung von Gegenständen, die mit Absonderungsrechten belastet sind, etwas anderes gilt, ist noch ungeklärt1.
349d
Grundsätzlich entsteht erst durch die Verfahrenseröffnung eine entgegenstehende Berechtigung des endgültigen Verwalters aus § 166 InsO2. Eine Verwertung durch den Gläubiger nach Verfahrenseröffnung ist mithin objektiv rechtswidrig. Die Rechtsfolgen einer solchen eigenmächtigen – § 166 InsO zuwiderlaufenden – Verwertung sind nicht geregelt, jedoch inzwischen von der Rechtsprechung geklärt:
349e
–
Da der Insolvenzverwalter auch hier die notwendigen Feststellungen zu den tatsächlichen Umständen sowie zu Wirksamkeit und Umfang der behaupteten Sicherungsrechte machen musste, steht der Masse der Anspruch auf die Feststellungskostenpauschale zu3.
–
Dagegen ist der Masse kein Verwertungskostenaufwand zu erstatten. Es ist in diesem Fall konsequent, dem Verwalter § 170 Abs. 2 InsO entsprechend keine Pauschale zuzuerkennen4.
–
Diese Rechtsprechung sollte den Sicherungsgläubiger aber nicht veranlassen, das Sicherungsgut nach Verfahrenseröffnung eigenmächtig in Besitz zu nehmen, da er sich damit einer möglichen Schadensersatzpflicht gegenüber dem Insolvenzverwalter aussetzt, wenn dieser das Sicherungsgut für die Betriebsfortführung benötigt und diese durch die eigenmächtige Wegnahme unmöglich wird oder wenn eine Verwertung durch den Insolvenzverwalter (u. U. im Rahmen eines asset deals) einen höheren Erlös erbracht hätte.
Vor der Verfahrenseröffnung gelten diese Rechtsfolgen indes nicht. Ohne Verwertungsrecht des Verwalters fehlt es an einer objektiv rechtswidrigen Verwer1 Offen lassend BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 f. Vgl. hierzu weiter BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 (634 f.) m. Anm. Schumacher, EWiR 2003, 425 f. 2 BGH v. 11. 7. 2002 – IX ZR 262/01, ZIP 2002, 1630 f. m. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2002, 921 f.; BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42. 3 BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 (633 f.); BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 (43 f.). Zu der in diesem Punkt vergleichbaren Rechtslage unter Geltung der KO vgl. LAG Hamm v. 29. 4. 1986 – 10 (9) Sa 1099/84, ZIP 1986, 1262 ff. 4 BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 (43 f.) im Anschluss an die herrschende Literatur. Statt vieler: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 3.
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349f
§7
Rz. 349g
Beratung des gesicherten Gläubigers
tungshandlung. Gleichwohl argumentieren Verwalter in diese Richtung, da durch die beschriebene Vorgehensweise (Rz. 349, 349a) die bei Eröffnung zu erzielenden Feststellungs- und ggf. auch Verwertungskostenpauschalen vereitelt werden. Wie die nachstehenden Ausführungen zeigen, sind solche Argumentationen wenig erfolgversprechend. Dies gilt sowohl für die Feststellungs(Rz. 394 e) als auch die Verwertungskostenpauschale (Rz. 349f): 349g
Zunächst zur Feststellungskostenpauschale. Die – soweit ersichtlich – erste grundlegende Entscheidung des BGH ist diejenige vom 20. 11. 20031. Da der absonderungsberechtigte Gläubiger die Feststellungskostenpauschale abgeführt hatte, waren nur die Verwertungskosten (Rz. 349c) streitgegenständlich. Gleichwohl ist diese Entscheidung auch für die Kosten der Feststellung von Belang, da der Senat in einer späteren Entscheidung vom 7. 10. 2004 klarstellt, dass die in diesem ersten Urteil angestellten Überlegungen für Verwertungsund Feststellungskosten gleichermaßen gelten. Maßgeblich für das Entstehen sei allein der Zeitpunkt der Verwertung (vor Verfahrenseröffnung). Bestehe zu diesem kein entgegenstehendes Verwertungsrecht, könne die Anfechtbarkeit nicht mit den entgangenen Kostenbeiträgen begründet werden. Art der Pauschale und auch Gegenstand des Absonderungsrechts seien ohne Belang2. Es gelten damit die nachstehenden Grundsätze (Rz. 349h). Die in der Literatur geforderte Differenzierung zwischen den einzelnen Pauschalen3 dürfte kaum vertretbar sein, auch wenn diesen Stimmen zuzugeben ist, dass der Verwalter auch in den Fällen zur rechtlichen Prüfung und Feststellung von Drittrechten verpflichtet bleibt. Auch – oder besser: gerade – eine Verwertung in der vorläufigen Insolvenz verlangt eine Überprüfung der Insolvenzfestigkeit. Daher vermag die Entscheidung des BGH nicht recht zu überzeugen. Eine Rechtsprechungsänderung ist jedoch – trotz der jüngsten Entscheidung des BGH4 in einem anderen Bereich (siehe unten Rz. 363) – nicht zu erwarten.
349h
Bei der Verwertungskostenpauschale verhält es sich dementspechend nicht viel anders. Inzwischen zahlreich ergangene höchstrichterliche Entscheidungen verneinen eine Anfechtbarkeit und hiermit einhergehenden Ersatz der Verwertungskostenpauschale5: In der erwähnten Entscheidung vom 20. 11. 20036 wurde dies – soweit ersichtlich – erstmals für den Fall einer bereits offen gelegten Abtretung entschieden. Bemüht wurden in erster Linie Inhalt und Zweck der §§ 166 ff. InsO. Denn soweit die Masse mit keinen Verwertungskosten belastet sei, könne aus diesen Bestimmungen auch keine Verwertungskostenpau-
1 BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 in Bestätigung der Vorinstanz, OLG Frankfurt v. 17.10.2002, ZIP 2002, 2140 m. zust. Anm. Gerhardt, EWiR 2003, 27 (28). 2 BGH v. 23. 9. 2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40 ff. = DZWIR 2005, 124 ff m. Anm. Smid, DZWIR 2005, 89 (94). 3 Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, 123 (124). 4 Vorinstanz OLG Düsseldorf v. 13. 1. 2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. 5 BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 m. eingeschränkt zust. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, 123 f.; BGH v. 9. 10. 2003 – IX ZR 89/03, ZIP 2003, 2370; BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (319); BGH v. 29. 3. 2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605 ff. m. Anm. Ries, ZInsO 2007, 650 ff. in Bestätigung des OLG Düsseldorf v. 13. 1. 2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. 6 BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 350
§7
schale hergeleitet werden1. Überdies fehle die Gläubigerbenachteiligung, da bis zur Insolvenzeröffnung auch insolvenzrechtlich eine Einziehungsberechtigung bestehe2. Erst mit Verfahrenseröffnung stehe dieser eigenmächtigen Verwertung ein kollidierendes Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters entgegen (siehe oben Rz. 270). Diese Rechtsprechung gilt unabhängig vom Gegenstand der Absonderung und damit auch für den skizzierten Fall der Verwertung eines zur Sicherheit übereigneten Fahrzeugs (Rz. 349). Der von Insolvenzverwaltern ebenfalls bemühte bereicherungsrechtliche Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB scheitert ebenso, weil in Fortsetzung der Argumentation, zwar auf Seiten des Gläubigers „etwas in sonstiger Weise“ erlangt wird, es sich hierbei aber um keinen der Insolvenzmasse gebührenden Wert handelt. Mithin ist der Eingriff nicht „auf Kosten“ der Schuldnerin. Dies gilt sowohl für den Verwertungserlös3 als auch die zum Verwertungszeitpunkt noch nicht entstandenen Kostenpauschalen.
349i
Damit sind absonderungsberechtigte Gläubiger weder unter bereichungs(§ 812 Abs. 1 BGB) noch unter insolvenzanfechtungsrechtlichen (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 Abs. 1 BGB) Gesichtspunkten zur Erstattung der Kostenbeiträge verpflichtet. Dies gilt wohlgemerkt unabhängig von Art der Pauschale und Gegenstand des Absonderungsrechts.
349j
(cc) Umsatzsteuer Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH4 sowie des BFH5 stellt sich die Verwertung von Sicherungsgut im eröffneten Verfahren als umsatzsteuerpflichtiger Vorgang nach § 3 Abs. 1 UStG dar. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Verwertung beweglichen Sicherungsguts orientiert sich grundsätzlich an dem konkreten Verfahrensablauf, d.h. daran, ob die Verwertung durch –
den Insolvenzverwalter (Rz. 351) oder
–
den Sicherungsnehmer selbst (Rz. 352) erfolgt.
1 Gerhardt, EWiR 2003, 27 (28). 2 BGH v. 22. 7. 2004 – IX ZR 270/03, ZIP 2004, 1912 ff. = NJW-RR 2005, 125 (126 f.) m. Anm. Gerhardt, EWiR 2005, 27 (28); BGH v. 9. 10. 2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370 f. m. Anm. Beutler/Vogel, EWiR 2004, 241; BGH v. 20. 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 (44). 3 Lwowski in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 166 Rz. 133. 4 BGH v. 22. 3. 1972 – VIII ZR 119/70, BGHZ 58, 292 (294 f.); BGH v. 12. 5. 1980 – VIII ZR 167/79, BGHZ 77, 139. 5 BFH v. 6. 6. 1991 – V R 70/89, ZIP 1991, 1293.
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350
§7
Rz. 351
Beratung des gesicherten Gläubigers
351
Bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter gehen Rechtsprechung1, Finanzverwaltung2 und Literatur3 davon aus, dass eine umsatzsteuerpflichtige Lieferung zwischen dem Verwalter und dem Erwerber vorliegt.
351a
Beschäftigt hat die Gerichte die Frage, ob bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter dieser zugleich auch eine Leistung an den Sicherungsgeber erbringt. Da sich der zu versteuernde Umsatz nach dem Entgelt bemisst (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG), müsste der Insolvenzverwalter dem Sicherungsgeber gegenüber eine Leistung gegen Entgelt erbringen4. Ein solches könnte in den gesetzlichen Kostenbeiträgen erblickt werden5.
! Steuerrechtlicher Exkurs – Begriff des Entgelts 351b
Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Eine Leistung gegen Entgelt liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbracht Dienstleistung bildet6.
351c
Gemessen an dieser Definition erbringt der Insolvenzverwalter durch Verwertung gemäß § 166 InsO keine Leistung an den Sicherungsgeber. Dies ist durch die Entscheidung des BFH vom 18. 8. 2005 geklärt7. Der Insolvenzverwalter verwertet aufgrund seiner gesetzlichen Verwertungsbefugnis und entnimmt dem Verwertungserlös die Kostenbeiträge aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 170 InsO. Er handelt damit weder im Auftrag des absonderungsberechtigten Gläubigers noch erhält er von diesem seine Kosten ersetzt8. Der Umstand, dass der Gläubiger durch die Bestimmungen der §§ 166 ff. InsO – insbesondere durch § 168 InsO – den Vorteil aus einer möglichst günstigen Art der Verwertung zieht, rechtfertigt die Annahme einer an ihn erbrachten Leistung gegen Entgelt im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht. Dieser Vorteil ergibt sich aus dem Gesetz und ist nicht Gegenstand einer steuerbaren Leistung des Insolvenzverwalters an den Gläubiger.
! Exkurs: Steuerliche Konsequenzen bei Vereinbarung von Kostenbeiträgen –
351d
Die Situation unterscheidet sich grundlegend von einer freihändigen Grundstücksveräußerung, bei der der Insolvenzverwalter – mangels ge-
1 BFH v. 20. 7. 1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 4. 6. 1987 – V R 57/79, BB 1987, 2010; BGH v. 12. 5. 1980 – VIII ZR 167/79, BGHZ 77, 139. 2 Abschn. 2 Abs. 4 Satz 1 UStR. 3 von Wallis in Bunjes/Geist, UStG, § 3 Anm. 9; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 6; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 685. 4 BFH v. 18. 8. 2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. 5 So Onusseit, ZIP 2002, 777 ff. 6 Ständige Rechtsprechung des BFH. Vgl. statt vieler: BFH v. 18. 3. 2004 – V R 101/01, BFHE 205, 342. 7 BFH v. 18. 8. 2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. Zuvor bereits BFH v. 10. 2. 2005 – V R 31/04, DZWIR 2005, 247 m. Anm. Heublein, EWiR 2005, 513. 8 BFH v. 10. 2. 2005 – V R 31/04, DZWIR 2005, 247 m. Anm. Heublein, EWiR 2005, 513. Anders noch die Vorinstanz: FG Brandenburg v. 16. 3. 2004 – 1 K 2949/02, ZIP 2004, 2249 m. Anm. Beck, EWiR 2004, 931.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 353b
§7
setzlicher Regelung – eine Kostenbeteiligung nur vertraglich vereinbaren kann (hierzu oben Rz. 338)1. –
Insgesamt gilt: Kostenbeiträge, die abweichend von §§ 170, 171 InsO verhandelt und vereinbart werden, dürften umsatzsteuerpflichtig sein. Über die freihändige Grundstücksveräußerung hinaus gilt dies etwa für Kostenbeiträge, die für Verwertungen im Insolvenzeröffnungsverfahren oder über die gesetzliche Pauschale hinaus oder aber für die einvernehmliche Verwertung von Aussonderungsgut vereinbart werden.
Die Verwertung des Sicherungsguts durch den Sicherungsnehmer (§ 170 Abs. 2 InsO) hingegen begründet zwei steuerpflichtige Vorgänge im Sinne des Umsatzsteuerrechts (so genannter „Doppelumsatz“). Da nach ständiger Rechtsprechung des BFH2 der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer die Sache noch nicht bereits mit der Sicherungsübereignung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne liefert, sondern erst wenn er diesem bei Herausgabe des Sicherungsguts die Verfügungsmacht zur Verwertung verschafft, liegen in der Verwertung durch den Sicherungsnehmer zwei selbständige steuerbare Vorgänge im Sinne des Umsatzsteuergesetzes3 vor, nämlich –
sowohl zwischen Schuldner und Sicherungsnehmer (die Überlassung des Sicherungsguts an diesen zum Zwecke der Verwertung) als auch
–
zwischen Sicherungsnehmer und Erwerber (Verwertungshandlung in Form der Veräußerung des Sicherungsguts durch den absonderungsberechtigten Gläubiger).
352
Sowohl bei der Verwertung durch den Insolvenzverwalter (§ 166 InsO) als auch bei der Verwertung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 170 Abs. 1 InsO) wird die Masse mit der Umsatzsteuerschuld als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) belastet.
353
Verwertet der Insolvenzverwalter, so hat er nach dem Abzug der Kostenbeiträge dem Erlös auch die Umsatzsteuer zu entnehmen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO) und den Nettoerlös auszukehren. Dem Verwalter steht mithin eine Vorwegabzugsberechtigung in Höhe der in der Masse entstehenden Steuerlast zu4. Der einbehaltene Steueranteil wird Bestandteil der Insolvenzmasse.
353a
Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger, hat dieser die Umsatzsteuer an die Masse abzuführen (§§ 170 Abs. 2, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO)5. D.h., auch in
353b
1 BFH v. 18. 8. 2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. m. Anm. Spliedt, EWiR 2005, 841. 2 BFH v. 16. 4. 1997 – XI R 87/96, BB 1997, 1674; BFH v. 20. 7. 1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 4. 6. 1987 – V R 57/79, ZIP 1987, 1134; BFH v. 12. 5. 1993 – XI R 49/90, ZIP 1993, 1247; vgl. weiter Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 171 Rz. 11 m.w.N. 3 BFH v. 20. 7. 1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 17. 7. 1980 – V R 124/75, ZIP 1980, 791; BFH v. 4. 6. 1987 – V R 57/79, ZIP 1987, 1134; Markert in Offerhaus/Söhn/ Lange, Umsatzsteuer, § 3 Rz. 47; de Weerth, BB 1999, 821; BT-Drucks. 12/2443, S. 181; a.A. Knobbe-Keuk, Einhundert Jahre KO 1877-1977, S. 219 (241 ff.). 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 6; Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 171 Rz. 19; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 688. 5 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 171 Rz. 10 f.
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§7
Rz. 354
Beratung des gesicherten Gläubigers
dem Fall einer Verwertung gemäß § 170 Abs. 2 InsO muss der bei der Verwertung als sonstige Masseverbindlichkeit entstehende Umsatzsteuerbetrag vorweg aus dem Verwertungserlös an die Masse abgeführt werden1. 354
Übernimmt der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut im Wege des Selbsteintritts nach § 168 Abs. 3 InsO, führt dies umsatzsteuerrechtlich lediglich zu einem Einzelumsatz zwischen dem Insolvenzschuldner und dem Sicherungsnehmer2. Es gilt damit das für die Verwertung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 166 InsO Gesagte (Rz. 351)3. Dies beruht darauf, dass der Sicherungsnehmer durch den Selbsteintritt wirtschaftlicher Eigentümer des Sicherungsguts wird und ihn die Chancen und Risiken von Wertveränderungen sowie der Verwertungsveräußerung treffen. Ein „Doppelumsatz“ liegt deshalb selbst dann nicht vor, wenn der Sicherungsnehmer die Sache zur Verwertung veräußert4. Auf den Fall des Selbsteintritts finden ebenfalls die §§ 170, 171 InsO mit der Folge Anwendung, dass der Verwertungserlös in Form des vom Sicherungseigentümer zu bezahlenden Kaufpreises um den Umsatzsteueranteil zu kürzen ist5.
! Hinweis: 354a
Da die ausstehende Forderung des Absonderungsberechtigten mit dessen Kaufpreisverpflichtung zumeist unmittelbar zur Verrechnung gebracht wird, gebietet es der Zweck des § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO, die Verrechnung allenfalls bis zur Höhe des Nettobetrages vorzunehmen6.
355
Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger – etwa nach Inbesitznahme des Sicherungsguts vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – dieses gemäß § 173 InsO, führt auch dies zu dem beschriebenen Doppelumsatz. Der absonderungsberechtigte Gläubiger erteilt dem Insolvenzverwalter eine Gutschrift über den Bruttobetrag und erhält den vollen Erlös. Die bei der Masse anfallende Umsatzsteuerschuld ist Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr.1 InsO). Eine Verpflichtung, in entsprechender Anwendung des § 170 Abs. 2 InsO die Umsatzsteuer an die Masse abzuführen, besteht für den Absonderungsberechtigten nicht7. Der Anwendungsbereich der Erstattungspflicht aus §§ 170, 171 InsO umfasst nur die Fälle, in denen der Insolvenzverwalter ursprünglich, d.h. im
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 9; Geurts, DB 1999, 818 (819); Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 696. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 6; Niesert in Andersen/Freihalter, Ausund Absonderungsrechte, Rz. 691; de Weerth, BB 1999, 821 (824). 3 Kling in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 171 Rz. 160 f.; Maus, ZIP 2000, 340. 4 de Weerth, BB 1999, 821 (824). 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 6; Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 32; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 28a; Ganter, WM 1999, 1741 (1743). 6 Welzel, ZIP 1998, 1823 (1824); Ganter, WM 1999, 1741 (1743); Obermüller, ZInsO 1999, 249 (251); Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 691. 7 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 171 Rz. 12 unter Hinweis auf LG Stuttgart v. 24. 2. 2004 – Z O 502/03, ZIP 2004, 1117 m. Anm. Maus, EWiR 2004, 983 und Maus ZInsO 2005, 82 (83).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 357b
§7
Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung, zur Verwertung des betreffenden Sicherungsguts berechtigt gewesen ist1. Die Freigabe von Sicherungsgut an den Schuldner ist nicht umsatzsteuerbar2. Die anschließende Verwertung durch den Schuldner belastet die Masse mit der Umsatzsteuer lediglich dann, wenn die Masse in Höhe des Verwertungserlöses von Insolvenzforderungen des Absonderungsberechtigten befreit wird3.
356
Zusammenfassend unterscheidet sich die Rechtslage grundlegend von der KO: Während die KO dem verwertenden Gläubiger gestattete, den gesamten Verwertungserlös und damit auch den darin enthaltenen Umsatzsteueranteil (Bruttoerlös) für sich zu beanspruchen4, obwohl die Masse durch die Verwertung mit der Umsatzsteuerschuld als Masseverbindlichkeit belastet wurde5, ist dies nach Einführung der InsO weder möglich noch gewollt.
357
Hieran konnte auch die seit dem 1. 1. 1993 geltende Neufassung des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) nichts ändern, da das dort geregelte Abzugsverfahren nur Lieferungen außerhalb des Konkursverfahrens betraf6.
357a
! Zusammenfassende (umsatz-)steuerrechtliche Hinweise für den Berater: –
Zu beachten ist, dass die Neuregelungen der §§ 171 Abs. 2 Satz 3 und 170 Abs. 2 InsO nicht zu einer umsatzsteuergesetzlichen Änderung oder einen Eingriff in die Auslegung des Umsatzsteuerrechts durch die Rechtsprechung geführt haben.
–
Vielmehr wurde allein die zivil- und haftungsrechtliche Zuweisung der wirtschaftlichen Belastung mit dem Steuerbetrag im Verhältnis der Insolvenzmasse zu den absonderungsberechtigten Gläubigern geregelt. D.h., die Regelungen sollten dem Sicherungsgläubiger keine neue Steuerschuld gegenüber dem Staat auferlegen, sondern sie bestimmen eine
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 7; Niesert in Andersen/Freihalter, Ausund Absonderungsrechte, Rz. 699; Obermüller, ZInsO 1999, 249 (253 f.). Andere Auffassung Ries ZInsO 2005, 230, der einen Fall des § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG annimmt und daher zu einer Steuerschuld des absonderungsberechtigten Gläubigers gelangt. 2 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 171 Rz. 14; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 14. Zur Freigabe an den Schuldner vgl. jüngst die Ausführungen des BGH v. 1. 2. 2007 – IX ZR 178/05, ZIP 2007, 1020 (1021 f.). Diese Form der Freigabe ist sorgsam zu unterscheiden von der Überlassung eines Absonderungsgegenstandes an einen Absonderungsberechtigten zur Verwertung gemäß § 170 Abs. 2 InsO. 3 BFH v. 16. 8. 2001 – V R 59/99, ZInsO 2002, 222. 4 BGH v. 22. 3. 1972 – VIII ZR 119/70, BGHZ 58, 292; BGH v. 12. 5. 1980 – VIII ZR 167/79, BGHZ 77, 139; Geurts, DB 1999, 818 (819); Hess, InsO, § 166 Rz. 48; a.A. Knobbe-Keuk, die die Umsatzsteuer gerade nicht als Bestandteil des zu vereinnahmenden Erlöses ansah, Einhundert Jahre KO 1877–1977, S. 219 (238 f.). 5 BFH v. 4. 6. 1987 – VR 57/79, ZIP 1987, 1134; BT-Drucks. 12/2443, S. 181; Völkel/Karg, Umsatzsteuer, S. 485 f.; von Wallis in Bunjes/Geist, UStG, § 3 Anm. 9; Markert in Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, § 3 Rz. 50; vgl. auch Knobbe-Keuk, die der Qualifizierung der Umsatzsteuerforderung als Masseforderung eine erhebliche Mitschuld an der „Erscheinung des masselosen Konkurses“ gibt, Einhundert Jahre KO 1877–1977, S. 219 (220). 6 BFH v. 28. 11. 1997 – V B 90/97, ZIP 1998, 2065 f.; Völkel/Karg, Umsatzsteuer, S. 486.
Drees/J. Schmidt
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357b
§7
Rz. 358
Beratung des gesicherten Gläubigers
gesetzliche Ausgleichsverpflichtung im Innenverhältnis zwischen den Sicherungsgläubigern und der Insolvenzmasse1. –
Sowohl das Recht des Insolvenzverwalters, aus dem Verwertungserlös die Umsatzsteuer für die Masse vor Auskehrung zu entnehmen, als auch die Verpflichtung des Sicherungsnehmers, nach eigener Verwertung den Umsatzsteuerbetrag an die Masse abzuführen, stellen mithin gesetzliche Beschränkungen der zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Sicherungsabrede dar2. Eigenständige umsatzsteuerrechtliche Folgen werden durch die Änderungen in der InsO nicht bewirkt.
358
Von besonderer praktischer Bedeutung für die Beratung des gesicherten Gläubigers ist die steuerliche Situation bei Verwertungsmaßnahmen in der vorläufigen Insolvenz. In der Praxis tritt insbesondere folgende Situation auf3: Nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung kommt es zur Kreditkündigung durch die Hausbank, die hierdurch einen Anspruch auf Herausgabe hat. Die Bank verzichtet – um keine Preisabschläge hinnehmen zu müssen – auf ein Auftreten nach außen und überlässt dem vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen der Betriebsfortführung die Nutzung und anschließende Verwertung von zur Sicherheit übereigneter Gegenstände. Der hierbei erzielte Erlös ist dem Sicherungsnehmer auszukehren. Eine solche Vorgehensweise liegt regelmäßig im gemeinsamen Interesse von Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber.
359
Während bei der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters nach den USt-Richtlinien und der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung eine solche Veräußerung zu einem so genannten Doppelumsatz führen sollte4, wird bei starker vorläufiger Verwaltung die Umsatzsteuerschuld als Masseverbindlichkeit begründet; für die schwache vorläufige Insolvenzverwaltung kam es hingegen zu dem beschriebenen Doppelumsatz. Dies hat sich mit den Urteilen des BFH vom 6. 10. 20055 und vom 30. 3. 20066 grundlegend geändert.
359a
Der BFH verneint in seinem Urteil vom 30. 3. 2006 – in konsequenter Fortführung seines Urteils vom 6. 10. 2005 – einen Doppelumsatz und gelangt für den Fall, dass –
außerhalb eines eröffneten Insolvenzverfahrens (praktisch bedeutsamster Fall: das Eröffnungsverfahren)
–
nach Kreditkündigung
–
ein sicherungsübereigneter Gegenstand
–
vom Sicherungsgeber
1 Vgl. auch Knobbe-Keuk, die bereits seit Jahren einen zivilrechtlichen Ausgleich in Form eines Erstattungsanspruchs der Insolvenzmasse gegen den Sicherungsnehmer hinsichtlich der bei der Verwertung des Sicherungsguts anfallenden Umsatzsteuer für nahe liegend hielt, Einhundert Jahre KO 1877–1977, S. 219 (235, 237). 2 de Weerth, BB 1999, 821 (825). 3 Vgl. de Weerth, ZInsO 2006, 653. 4 de Weerth, ZInsO 2006, 653. 5 BFH v. 6. 10. 2005 – V R 20/04, DB 2006, 140. 6 BFH v. 30. 3. 2006 – V R 9/03, ZInsO 2006, 651 ff. m. zust. Anm. de Weerth, ZInsO 2006, 653 ff.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 362
–
in Abstimmung mit dem Sicherungsnehmer (Bank)
–
veräußert wird und
–
der Sicherungsnehmer (Bank) den Veräußerungserlös erhält
§7
bei Lieferung an den Erwerber zeitgleich zu der Annahme eines so genannten Dreifachumsatzes, nämlich –
einer Lieferung vom Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer (Bank),
–
einer Lieferung vom Sicherungsnehmer (Bank) zurück an den Sicherungsgeber und
–
vom Sicherungsgeber an den Erwerber.
Dieser ist folgendermaßen konstruiert: Die Umsatzsteuer schuldet der Sicherungsnehmer aus der ersten Lieferung (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG). Dieser schuldet auch die Umsatzsteuer für die Lieferung von sich an den Sicherungsgeber, ist aber zum Vorsteuerabzug berechtigt und trägt wirtschaftlich die Umsatzsteuer nur einmal. Für die Lieferung an den Erwerber trifft den Sicherungsgeber die Steuerschuld. Da er aber – ordnungsgemäße Gutschrift an den Sicherungsnehmer über die erbrachte Lieferung vorausgesetzt – zum Vorsteuerabzug aufgrund der Lieferung an ihn berechtigt ist, schuldet er wirtschaftlich keine Umsatzsteuer1.
359b
Im Hinblick auf diese Steuerschuld des Absonderungsberechtigten bei Verwertung von Sicherungsgut durch den Schuldner im Rahmen des schwachen vorläufigen Insolvenzverfahrens haben entsprechend gesicherte Gläubiger nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht und (zwischenzeitlich2 auch) gefunden.
360
Diese bestand darin, das Sicherungsgut vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Besitz zu nehmen, aber erst nach Eröffnung zu verwerten, um auf diese Weise eine als Masseverbindlichkeit zu qualifizierende (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) Umsatzsteuerschuld der Insolvenzmasse für die Lieferung des Sicherungsgutes an den Absonderungsberechtigten auszulösen.
361
Für die verwaltete Masse – der die zu verwertende Sache trotz Herausgabe an den absonderungsberechtigten Gläubiger noch angehörte – war dies besonders misslich, da der Verpflichtung zur Entrichtung der Umsatzsteuer (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) weder ein Erstattungsanspruch noch eine sonstige Gegenleistung gegenüberstand. Hiergegen haben sich Insolvenzverwalter konsequenterweise gewehrt. Entsprechend vorgehenden Gläubigern wurde neben
362
–
einer Erstattungsverpflichtung analog § 170 Abs. 2 InsO
–
insbesondere ein Schadensersatzanspruch wegen der Belastung mit der Umsatzsteuerschuld unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 BGB
entgegengehalten. 1 Lesenswert hierzu die Anmerkung de Weerth, ZInsO 2006, 653 f. zu BFH v. 30. 3. 2006 – V R 9/03, ZInsO 2006, 651 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 13. 1. 2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. m. Anm. Ries, ZInsO 2006, 162 ff. Aufgehoben durch BGH v. 29. 3. 2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605 ff. m Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 (843 f.).
Drees/J. Schmidt
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823
§7
Rz. 363
Beratung des gesicherten Gläubigers
363
Mit seiner Entscheidung vom 29. 3. 2007 hat der BGH beide Ansprüche für berechtigt erachtet1. Die Regelung des § 170 Abs. 2 InsO sei zwar nicht unmittelbar, aber analog anwendbar2. Das Gericht begründet ausführlich das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, die mit den Wertungen der InsO und des UStG (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG) nicht vereinbar sei, da hiernach der Gläubiger die mit der Lieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsnehmer verbundene Umsatzsteuer tragen müsse.
364
Diese Wertung – so der BGH – werde bestätigt durch das in diesem Fall bestehende Anfechtungsrecht und dem damit einhergehenden Schadensersatzanspruch wegen der USt-Belastung der Masse gemäß §§ 129, 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 BGB. Auf die in diesem Zusammenhang bestehenden anfechtungsrelevanten Fragen sei nur insoweit eingegangen als der BGH die höchst umstrittene Frage, ob eine Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 InsO absonderungsberechtigten Gläubigern gegenüber überhaupt möglich sei, jedenfalls für solche Fälle bejaht hat, in denen der absonderungsberechtigte Gläubiger auch persönlicher Gläubiger des Schuldners ist (§ 52 InsO). Diese unverkennbare Bereitschaft, die Deckungsanfechtung anzuwenden, ist für gesicherte Gläubiger zumindest ebenso bedeutsam wie die Tatsache, dass anders als bei der Feststellungsund Verwertungskostenpauschale (Rz. 343 f., Rz. 345 f.) mit der Umgehung der Umsatzsteuerbelastung eine Gläubigerbenachteiligung begründet werden kann3. (dd) Erhaltungs- und Verfahrenskosten
365
Die bei nicht sofortiger Verwertung des Sicherungsguts häufig entstehenden Erhaltungskosten, wie z.B. notwendige Reparaturkosten, Bewachungs- oder Versicherungskosten, wurden von dem Gesetzgeber entgegen dem Regierungsentwurf nicht als obligatorischer Kostenbeitrag in die InsO aufgenommen4. Dadurch wurde jedoch weder die Möglichkeit –
einer individuellen Kostentragungsvereinbarung zwischen dem Verwalter und dem Gläubiger5 noch
–
eine Zuordnung zu den Verwertungskosten6 ausgeschlossen.
1 BGH v. 29. 3. 2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605 (607 f.). Zur Vorinstanz vgl. OLG Düsseldorf v. 13. 1. 2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 m. Anm. Ries, ZInsO 2006, 154 (162). 2 Diese Frage war lebhaft umstritten. Vgl. statt vieler: Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 171 Rz. 14; Ganter/Brünink, NZI 2006, 257 (260); de Weerth, ZInsO 2003, 246 (250). Von Seiten der Rechtsprechung gab es hierzu – soweit ersichtlich – lediglich die Entscheidung des LG Stuttgart v. 24. 4. 2004 – 7 O 502/03, ZIP 2004, 1117. 3 BGH v. 29. 3. 2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605 (607 f.). 4 BT-Drucks. 12/7302, S. 177, 180 f.; vgl. näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 22; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 140 (141). 5 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 140 (141). 6 Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 170 Rz. 18.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 368
§7
! Praktischer Hinweis: Absonderungsberechtigte Gläubiger sind daher gut beraten, auch unter diesem Gesichtspunkt umfassende Verwertungsvereinbarungen zu schließen. Andernfalls wird sich – zugunsten der Masse – immer eine Zuordnung entsprechender Kosten zu den Verwertungskosten begründen lassen.
366
Eine über die kodifizierten Kostenbeiträge hinausgehende Beteiligung der Absonderungsberechtigten an den allgemeinen Verfahrenskosten ist in der InsO ebenfalls nicht vorgesehen.
367
(b) An Forderungen und sonstigen Rechten (aa) Verwertungs- und Feststellungskosten Da sich die Entrichtung der Kostenbeiträge an der gleichzeitigen Verwertungsbefugnis des Verwalters orientiert, fallen diese nach § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO auch bei der Verwertung von Forderungen durch den Verwalter an1. Auch insoweit sind die oben (Rz. 343 f., Rz. 345 ff.) benannten Pauschalen für die Feststellungs- und Verwertungskosten von dem absonderungsberechtigten Gläubiger zu begleichen. Dort (Rz. 343 ff.) sind aus Gründen der Darstellung auch Fragen behandelt, die ausschließlich Absonderungsrechte an Forderungen betreffen. Ergänzend zu den dortigen Ausführungen sollen an dieser Stelle anhand des Grundsatzurteils des BGH vom 20.2.20032 weitere Fragen dargestellt werden, die für die Kosten der Verwertung von Absonderungsrechten an Forderungen von Belang sind: –
Die Feststellungskostenpauschale gebührt der Insolvenzmasse bei sicherungshalber abgetretenen Forderungen auch dann, wenn diese nach Verfahrenseröffnung durch direkte Leistung an den absonderungsberechtigten Gläubiger getilgt werden.
–
Beruht dies auf einem eigenmächtigen – § 166 Abs. 2 InsO zuwiderlaufenden – Forderungseinzug, ohne entsprechende Ermächtigung seitens des Insolvenzverwalters schuldet der Gläubiger jedoch nicht auch die Verwertungskostenpauschale (siehe hierzu oben Rz. 345 ff.)3.
–
Für sicherungshalber abgetretene Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung getilgt werden, gebühren der späteren Insolvenzmasse grundsätzlich weder Feststellungs- noch Verwertungskostenpauschalen (siehe ausführlich oben Rz. 343 ff.).
–
Hieran ändert auch das im Eröffnungsverfahren dem Drittschuldner gegenüber bestehende Verbot, an den Schuldner zu zahlen, bzw. die Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zum Forderungseinzug nichts. Diese Anordnungen wirken von sich aus nicht gegenüber den Sicherungs-
1 BGH v. 11. 7. 2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1800); Kemper in Kübler/Prütting, InsO, § 170 Rz. 5; vgl. auch BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (319), bei direkter Leistung an den absonderungsberechtigten Gläubiger. 2 BGH v. 20. 2. 2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 ff. = ZInsO 2003, 318 ff. m. Anm. Schumacher, EWiR 2003, 424. 3 BGH v. 16. 11. 2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. Anm. Bork, EWiR 2007, 119; BGH v. 20 11. 2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 f.
Drees/J. Schmidt
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368
§7
Rz. 369
Beratung des gesicherten Gläubigers
nehmern. Bereits abgetretene Forderungen sind nicht solche des Schuldners, wie sie der Beschluss meint; sie stehen vielmehr Dritten (dem Zessionar) zu, in deren Rechte das Insolvengericht nicht eingreifen kann. 369
Für die Verwertung sonstiger Rechte fällt hingegen kein Kostenbeitrag an, da diese durch die gesicherten Gläubiger selbst vorgenommen wird1 (siehe dazu Rz. 318). (bb) Umsatzsteuer
370
Eine Erstattung des der Masse entstehenden Umsatzsteuerbetrags kommt grundsätzlich weder bei der Verwertung von Forderungen noch bei der Verwertung von Rechten in Betracht.
370a
Zieht der Insolvenzverwalter des Sicherungszedenten die Forderung ein – wozu er nach § 166 Abs. 2 Satz 1 InsO (Rz. 309) berechtigt ist – findet hierbei kein steuerbarer Umsatz statt. Die Masse wird daher nicht mit einer Umsatzsteuerforderung belastet2. Verwertet der Gläubiger die Forderung selbst, so wird ebenfalls keine Umsatzsteuerabführungspflicht gemäß §§ 170, 171 InsO ausgelöst, da diese nur bei der Verwertung von Sicherungsgut eingreift, das der Verwalter auch selbst hätte verwerten dürfen3.
! Hinweis: Ein steuerbares Geschäft ist hingegen die Erbringung der Gegenleistung, für die das sicherungszedierte Entgelt gefordert wird. Werden die Leistungen noch vor Insolvenzeröffnung erbracht und entsteht die Umsatzsteuerschuld daher als bloße Insolvenzforderung, ist der verwertende Insolvenzverwalter nicht berechtigt, nur den Nettobetrag der von ihm eingezogenen Forderung an den absonderungsberechtigten Gläubiger abzuführen4. Die Abzugsberechtigung greift nur ein, wenn die Steuerforderung vom Insolvenzverwalter als Masseforderung bedient worden ist5. Dürfte der Insolvenzverwalter hiervon auch dann Gebrauch machen, wenn er auf die Steuerforderung nur die Insolvenzquote ausschütten müsste, würde er Gewinn machen. Dies erscheint nicht interessengerecht. In diesem Fall hat daher der Sicherungsgläubiger den vollen Betrag der USt an das Finanzamt abzuführen. Er ist daher in Höhe des Nettobetrages als befriedigt anzusehen. Vor diesem – je nach Insolvenzquote – in Höhe der Umsatzsteuerschuld drohenden Ausfall kann sich der Absonderungsberechtigte schützen, indem er von vornherein Sicherheiten verlangt, deren Nettowert bereits die gesicherten Forderungen abdeckt6.
370b
1 A.A. Marotzke, ZZP 1996, 429 (455). 2 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 112/06, ZInsO 2007, 374 m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 (8843 f.); BT-Drucks. 12/2443, S. 182. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.350; vgl. hierzu auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 171 Rz. 20. 4 Ganter, ZInsO 2007, 841 (843 f.); de Weerth, NZI 2006, 501 ff. 5 BGH v. 22. 2. 2007 – IX ZR 112/06, ZInsO 2007, 374. 6 Ganter, ZInsO 2007, 841 (843 f.).
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 372a
§7
dd) Die Ersatzabsonderung Wird ein Gegenstand, der mit einem Absonderungsrecht belastet ist, unberechtigt veräußert, so findet die Vorschrift über die Ersatzaussonderung in § 48 InsO auf die Ersatzabsonderung entsprechende Anwendung. Die Ersatzabsonderung ist in der Insolvenzordung nicht ausdrücklich geregelt, da mit Rücksicht auf die weitergehenden (Verwertungs-)Rechte des Insolvenzverwalters von einem geringeren Anwendungsbereich gegenüber der KO auszugehen war. Denn anders als unter der KO haben Insolvenzverwalter mit § 166 InsO ein eigenes Verwertungsrecht, so dass die Verwertung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands in der Regel keine Ersatzabsonderungsansprüche auslöst1.
371
Auch wenn der Regierungsentwurf mit § 60 RegEInsO eine Regelung der Ersatzabsonderung im Text der InsO vorsah und der Gesetzgeber sich gegen die Übernahme dieser Bestimmung entschieden hat, ist die entsprechende Anwendung allgemein anerkannt2, da die geplante Neuregelung aus Gründen der Gesetzesstraffung fallen gelassen wurde.
371a
Die weitere direkte bzw. analoge Anwendung3 der Ersatzaussonderungsregelung auf die Ersatzabsonderung sollte somit nicht ausgeschlossen werden und widerspricht mithin nicht dem Willen des Gesetzgebers4. Es fehlt an jedem inneren Grund, den Berechtigten bei der Vernichtung eines Pfand- oder sonstigen zur Absonderung berechtigenden Rechts schlechter zu stellen als bei der Vernichtung des Eigentums5.
371b
In entsprechender Anwendung des § 48 InsO entsteht ein Ersatzabsonderungsrecht des Sicherungsnehmers, wenn
372
–
der Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung6 oder
–
der (vorläufige) Insolvenzverwalter
–
ein mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand unberechtigt7 veräußert.
Der Veräußerungsbegriff bestimmt sich nach der Art des Gegenstandes, der mit einem Absonderungsrecht belastet ist. Erfasst sind insbesondere Übereig1 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 34. 2 Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 48 Rz. 15 ff. 3 Vgl. zu diesem Streit: Gundlach in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 48 Rz. 19 ff. m.w.N.; a.A. Harder, KTS 2001, 97 ff. 4 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 48 Rz. 26; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 441 (443 f.); Harder, KTS 2001, 97 (102 f.). 5 BGH v. 9. 12. 1970 – VIII ZR 52/69, KTS 1971, 194 = WM 1971, 71; Gundlach/Frenzel/ Schmidt, DZWIR 2001, 441 (444). 6 Dass das Ersatzabsonderungsrecht auch an Vereitelungshandlungen des Schuldners angeknüpft werden kann, hat der BGH ausdrücklich entschieden, vgl. BGH v. 19. 1. 2006 – 19. 1. 2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (494). 7 BGH v. 6. 4. 2006 – IX ZR 185/04, ZInsO 2006, 544 (545); BGH v. 19. 1. 2006 – 19. 1. 2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (495); BGH v. 25. 3. 1999 – IX ZR 223/07, ZIP 1999, 621 (623); BGH v. 17. 6. 2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509 (1510); BGH v. 4. 12. 2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326 (328) m. Anm. Pape, EWiR 2004, 349.
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372a
§7
Rz. 372b
Beratung des gesicherten Gläubigers
nung und Zession; dem geichzustellen ist der Forderungseinzug. Die Veräußerung muss rechtsgeschäftlich geschehen, darunter fallen auch Rechtsverluste durch Verbindung oder Vermischung, wenn dies in Erfüllung einer Vertragspflicht geschieht1. Somit führt die bloße Verarbeitung im schuldnerischen Unternehmen nicht zu Ersatzabsonderungsrechten2. Ebenso wenig sind Nutzung3, Beschädigung oder Zerstörung des Absonderungsguts vom Veräußerungsbegriff des § 48 InsO erfasst4. 372b
372c
Wesentlich ist stets, dass das Absonderungsrecht gerade durch die Veräußerung vereitelt wird5. Hieran fehlt es, wenn sich das Absonderungsrecht kraft Surrogation fortsetzt6. Dies ist daher stets vorrangig zu prüfen. Zu denken ist an die Fortsetzung des Absonderungsrechts –
am Erlös nach Pfandverwertung oder
–
an einem anderen Gegenstand kraft Vereinbarung, z.B. am Produkt beim verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Verarbeitungsklausel oder an der Forderung beim verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel.
Liegen die Voraussetzungen für eine solche Surrogation nicht vor, ist ferner zu prüfen, ob die Veräußerung unberechtigt war. Die lastenfreie Veräußerung von Absonderungsgut kann beispielsweise –
durch Verwertungsvereinbarungen oder
–
das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters oder des starken vorläufigen Insolvenzverwalters gerechtfertigt sein.
Liegt ein Verwertungsrecht vor, so dürften mangels unberechtigter Veräußerung keine Ersatzabsonderungsrechte entstehen. Das Absonderungsrecht wird vielmehr geschützt, in dem es sich am Erlös fortsetzt und dieser dann gemäß den §§ 165 InsO i.V.m §§ 10 ff. ZVG bzw. §§ 170, 171 InsO ausgekehrt wird. Die Verwertung im vorläufigen Insolvenzverfahren ist berechtigt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit dem Absonderungsberechtigten eine Verwertungsvereinbarung getroffen bzw. einer solchen mit dem Schuldner zugestimmt hat7. 372d
Ebenfalls liegt eine berechtigte Veräußerung vor, wenn diese durch eine Ermächtigung gedeckt ist, die der Absonderungsberechtigte dem Schuldner erteilt hat. Zu denken wäre hier an –
1 2 3 4 5 6 7
Weiterveräußerungsermächtigungen am Absonderungsgut, z.B. erweiterter Eigentumsvorbehalt, verlängerter Eigentumsvorbehalt nach Verarbeitung und Sicherungsübereignung.
Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 48 Rz. 3. Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 7. BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938. Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 7. Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 48 Rz. 17. Ganter, NZI 2005, 1 (8). Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 35.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 372g
§7
–
Einziehungsermächtigungen bei abgetretenen Forderungen, z.B. verlängerter Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel sowie Sicherungszession1.
–
Hat das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Einziehung ermächtigt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO), dürfte der Forderungseinzug durch den vorläufigen Insolvenzverwalter berechtigt sein, da die Einziehungsermächtigung nach herrschender Meinung erst mit Verfahrenseröffnung endet2; jedoch erlischt die Einziehungsermächtigung durch ihren Widerruf. Auch ist darauf zu achten, ob überhaupt eine Einziehungsermächtigung vorliegt. Denn ist hierzu keine gesonderte Regelung getroffen, steht dem Sicherungsnehmer die Einziehungsbefugnis zu.
Erst hiernach (Rz. 372a bis Rz. 372d) kann das Vorliegen einer unberechtigten Verwertungshandlung des Schuldners, des vorläufigen oder endgültigen Insolvenzverwalters beurteilt werden, wobei im Hinblick auf das sehr weitgehende Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 166 InsO3 eine analoge Anwendung des § 48 InsO vornehmlich auf Handlungen –
des Schuldners oder
–
des vorläufigen Insolvenzverwalters (Rz. 372g)
372e
in Betracht kommen. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Einziehungsermächtigung des Schuldners oder nach deren Widerruf Forderungen ein, so sind die Erlöse ohne Abzug von Kostenbeiträgen analog § 48 InsO auszukehren. Beruht der Forderungseinzug auf der gerichtlichen Anordnung i.S.v. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, richtet sich die Erlösverteilung nach §§ 170, 171 InsO. Handelt der vorläufige Insolvenzverwalter auf der Grundlage der fortbestehenden Einziehungsermächtigung, so gebühren die Erlöse der freien Insolvenzmasse. Es gilt dann weder § 48 InsO analog noch §§ 170, 171 InsO i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO4.
372f
Im eröffneten Verfahren ist an eine entsprechende Anwendung in erster Linie bei Verwertungen durch den Insolvenzverwalter ohne diesbezügliche Verwertungsberechtigung gemäß § 166 InsO zu denken, so etwa in den Fällen des § 173 InsO5. Dann kann analog § 48 InsO Auskehr des Erlöses verlangt werden, ohne dass der Insolvenzverwalter gemäß §§ 170, 171 InsO zum Abzug von Kostenbeiträgen gemäß §§ 170, 171 InsO berechtigt ist. Ob darüber hinaus auch ein Verfahrensfehler i.S.d. §§ 166 ff. InsO des an sich gemäß § 166 InsO zur
372g
1 Hierzu ausdrücklich: BGH v. 19. 1. 2006 – 19. 1. 2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (495). Zuvor bereits BGH v. 19. 3. 1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793 (797). Vgl. weiter Ganter, NZI 2005, 1 (8). 2 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 162, § 51 Rz. 181. 3 Ganter, NZI 2005, 1 (8). 4 BGH v. 6. 4. 2006 – IX ZR 185/04, ZInsO 2006, 544; BGH v. 19. 1. 2006 – IX ZR 154/03, ZInsO 2006, 493 m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 f.; Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 38. 5 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 48 Rz. 26 ff.; Ganter, NZI 2005, 1 (8).
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 372h
Beratung des gesicherten Gläubigers
Verwertung berechtigten Insolvenzverwalters zu Ersatzabsonderungsrechten führt, darf bezweifelt werden1. 372h
Im eröffneten Verfahren verbleiben im Wesentlichen lediglich –
die Veräußerung von Vorbehaltsware, wenn die Ermächtigung zur Weiterveräußerung von einer Sicherung abhängig war, die der Ermächtigende aber nicht erhält2, sowie
–
die Veräußerung von Grundstückszubehör, wenn dieses nach § 865 ZPO i.V.m. den §§ 1120 ff. BGB der Haftung für Grundpfandrechte unterliegt.
372i
Ergänzend zu den Ansprüchen aus § 48 InsO können zugunsten des Absonderungsberechtigten Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO oder Haftungsansprüche gegen den (vorläufigen) Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO entstehen3.
373
Voraussetzung für die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Ersatzabsonderung ist weiter, dass die Gegenleistung entweder noch aussteht bzw. sich nach ihrer Einziehung zur Masse noch unterscheidbar in dieser befindet.
374
Unterscheidbar ist die Gegenleistung immer bei einer Sachleistung4, bei Geldleistungen ist zu differenzieren: Kommt es zu einer Gutschrift auf dem Konto, so bleibt das gutgeschriebene Geld unterscheidbar, solange es durch Buchungen belegt und der positive Kontensaldo nicht durch Abbuchungen unter den Betrag der beanspruchten Leistung absinkt5. Wird das Konto zur Zeit der Gutschrift im Soll geführt, so wird die Gegenleistung in dieser Höhe zur Schuldentilgung verbraucht mit der Folge, dass insoweit eine gegenständlich fassbare Gegenleistung nicht mehr vorhanden ist6.
375
Ist die Gegenleistung nicht mehr unterscheidbar vorhanden, kommt dem ehemals Absonderungsberechtigten nur ein Masseanspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO, bzw. bei einer Vereitelung der Ersatzabsonderung durch den Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu7. ee) Die Ausfallhaftung (1) Verhältnis persönlicher zu dinglicher Haftung
376
Schuldrechtliche Leistungspflicht und dingliche Haftung können in unterschiedlichen Konstellationen und unter Einbeziehung mehrerer Rechtspersönlichkeiten bestehen. Haftet der Insolvenzschuldner beispielsweise nur dinglich (so genannte Dritthaftung), dann hat der Gläubiger zwar ein Absonderungsrecht an dem Sicherungsgegenstand, ist jedoch nicht zugleich Insolvenzgläubiger und kann daher auch keine Leistung aus der Insolvenzmasse beanspruchen. 1 Ganter, NZI 2005, 1 (8) m.w.N. 2 Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 48 Rz. 16; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 31. 3 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2006, § 48 Rz. 31 f. 4 Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 48 Rz. 9. 5 BGH v. 19. 1. 2006 – 19. 1. 2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (494). 6 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 48 Rz. 34. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 48 Rz. 32.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 380
§7
Soweit der Insolvenzschuldner nur persönlich haftet und sich die dingliche Haftung allein gegen einen Dritten richtet, kommt dem Gläubiger je nach Art seines Anspruchs nur die Stellung eines Insolvenz- bzw. Massegläubigers zu, und er unterliegt den entsprechenden insolvenzrechtlichen Regelungen1. Die Vorschriften über die Ausfallhaftung betreffen allein den Fall, dass der Insolvenzschuldner sowohl persönlich aufgrund einer schuldrechtlichen Verpflichtung, als auch dinglich mit einem massezugehörigen Vermögensgegenstand im Sinne der §§ 49 ff. InsO haftet. Nur in diesem Fall kommt eine Doppelstellung des Gläubigers als Absonderungsberechtigter und Insolvenzgläubiger in Betracht. § 52 InsO regelt für diesen Fall das Verhältnis der abgesonderten Befriedigung zur Befriedigung aus der persönlichen Insolvenzforderung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens2.
377
Grundsätzlich haftet der belastete Massegegenstand für das an ihm bestehende Absonderungsrecht unabhängig von einer gleichzeitigen persönlichen Schuld des Insolvenzschuldners. Auch soweit das Pfandrecht an einem Gegenstand der Insolvenzmasse eine fremde Schuld sichert, kann es im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Kommt es trotz der abgesonderten Befriedigung zu einem Ausfall des Absonderungsberechtigten, so kann er diesbezüglich keine anteilige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, sondern muss den Ausfall in voller Höhe gegenüber dem persönlichen Schuldner geltend machen3.
378
Gehört der die Forderung sichernde Absonderungsgegenstand selbst nicht zur Insolvenzmasse, sondern steht dieser im Eigentum eines Dritten, handelt es sich nur um eine persönliche Schuld des Insolvenzschuldners, so dass die gesamte Forderung im Insolvenzverfahren nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann. Es liegt dann ebenfalls kein Fall des § 52 InsO vor4. An der fehlenden Massezugehörigkeit scheitert die Anwendung des § 52 InsO daher auch dann, wenn das Absonderungsgut wegen Unpfändbarkeit massefrei ist5. Wird der Gegenstand hingegen erst durch den Insolvenzverwalter aus der Masse freigegeben, bleibt § 52 InsO anwendbar, so dass die Forderung weiterhin nur in Höhe des Ausfalls am Insolvenzverfahren teilnimmt6.
379
Haftet der Insolvenzschuldner zugleich dinglich und persönlich für die Forderung, so kann der Gläubiger frei wählen, welche Rechtsstellung er geltend machen und ob er allein aus seinem Absonderungsrecht oder der persönlichen Forderung vorgehen möchte7. Der absonderungsberechtigte Gläubiger ist in diesem Fall zugleich Insolvenzgläubiger (§ 52 Satz 1 InsO).
380
1 Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, Rz. 2 ff. 2 Vgl. hierzu Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 1 ff.; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 2. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 2; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 2. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 3; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 4; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 2. 5 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 R. 3; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 52 Rz. 14. 6 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2 Aufl. 2007, § 52 Rz. 3. 7 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 14 ff.; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 4.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 381
Beratung des gesicherten Gläubigers
381
Soweit der Gläubiger lediglich die persönliche Forderung geltend macht, kann er diese in voller Höhe zur Tabelle anmelden, wo sie vorbehaltlos festgestellt wird, unabhängig von dem gleichzeitigen Bestehen eines eventuellen Absonderungsrechts1. Er erhält sodann die volle Verteilungsquote auf die geltend gemachte Forderung, wenn er auf die Geltendmachung seines Absonderungsrechts verzichtet (vgl. hierzu Rz. 392 ff.).
382
Der Gläubiger kann sich andererseits aber auch nur aus den dinglichen Sicherheiten befriedigen und die Geltendmachung der persönlichen Haftung nicht ausüben.
383
Verzichtet er auf die Geltendmachung einer der beiden Rechtspositionen, bedarf es mangels Kollision keiner näheren Haftungsabgrenzung.
384
Beruft sich der Gläubiger hingegen auf seine beiden bestehenden Rechtspositionen, kann er sich zunächst aus den dinglichen Sicherheiten weitestmöglich befriedigen und im Anschluss daran auf den ausgefallenen Teil der Forderung die Insolvenzquote beanspruchen. Er kann hingegen nicht umgekehrt die Insolvenzquote auf die volle Forderung geltend machen und sich für den dann noch offen stehenden Forderungsanteil aus der dinglichen Sicherheit befriedigen2. (2) Ausfallhaftung
385
Auf die Insolvenzforderung der absonderungsberechtigten Gläubiger ist das besondere Forderungsfeststellungsverfahren der §§ 87, 174 ff. InsO anzuwenden. Beruft sich der Gläubiger sowohl auf seine Stellung als Insolvenzgläubiger als auch auf sein Absonderungsrecht, so hat er die Forderung als persönliche Forderung in voller Höhe für den Ausfall zur Tabelle anzumelden3. Nach Überprüfung der Forderung und Beseitigung eventueller Widersprüche wird die Forderung sodann „als Ausfallforderung“ oder „als Insolvenzforderung für den Ausfall“ in voller Höhe zur Tabelle festgestellt4. Die erfolgte Feststellung beinhaltet aufgrund ihrer Anmeldung und Feststellung als Ausfallforderung jedoch keinerlei Beschränkungen. Die Einschränkung („für den Ausfall“) hat mithin nur Bedeutung für das Verteilungsverzeichnis. Die Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO erstreckt sich mithin auf die gesamte Forderung, so dass auch für den Fall, dass sich später herausstellt, dass das Absonderungsrecht nicht besteht, eine erneute Anmeldung der Forderung nicht erforderlich wird.
386
Hat der Gläubiger sein Absonderungsrecht zumindest zum Teil erfolgreich geltend gemacht oder teilweise auf dieses verzichtet, so kann er auf die persönliche Forderung eine anteilige Befriedigung verlangen, aber nur in Höhe des Ausfalls, um insoweit eine doppelte Befriedigung des Gläubigers zu vermeiden (§ 52 Satz 2 InsO).
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 2. 2 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 4. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 2, 7; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 2. 4 Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 5; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 7.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 390
§7
Hierfür muss der absonderungsberechtigte Gläubiger innerhalb der Frist des § 189 Abs. 1 InsO den tatsächlichen Ausfall nachweisen. Andernfalls muss er auf sein Absonderungsrecht verzichten (§ 190 Abs. 1 Satz 1 InsO). Liegt das Verwertungsrecht beim Gläubiger, muss dieser den Ausfall durch den Beleg über die reale Verwertung oder die konkrete Darlegung der Gründe einer gescheiterten Verwertung nachweisen. Soweit der Gläubiger unter Verstoß gegen das Verwertungsrecht des Verwalters gemäß § 166 InsO das Sicherungsgut selbst verwertet hat, kann er einen möglichen Ausfall grundsätzlich nur dann zur Tabelle anmelden, wenn er zugleich den Nachweis erbringt, dass auch der Verwalter das Sicherungsgut nicht hätte günstiger verwerten können1. Liegt das Verwertungsrecht beim Insolvenzverwalter, stellt dieser den Ausfall selbst fest2. Ein Nachweis ist de jure nicht erforderlich, in der Praxis jedoch gleichwohl üblich (näheres zum Nachweis des Ausfalls unten Rz. 395 ff.).
387
Bei einer Abschlagsverteilung genügt es, wenn der Absonderungsberechtigte seinen Ausfall glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 Satz 1 InsO).
388
Diese zwingende Bestimmung des § 52 Satz 2 InsO gilt auch für den Fall, dass der Gläubiger formell Eigentümer bzw. Inhaber des Rechts ist, als Sicherungsnehmer im Insolvenzfall des Schuldners aber nur Absonderung verlangen kann. Eine anderweitige Vereinbarung derart, dass das Sicherungsgut seinerseits nur für den Ausfall nach der Verteilung der Masse haften soll, wäre mithin unwirksam. Bezüglich der Ausfallforderung kommt dem Gläubiger nur noch die Stellung eines einfachen Insolvenzgläubigers zu. Damit erhält er die Verteilungsquote auf die verbleibende Ausfallforderung berechnet, nicht hingegen auf den ursprünglichen Forderungsbetrag. Erweist sich bereits die dingliche Sicherung als unzureichend, kann der Gläubiger eine Befriedigung in voller Höhe nur bei einer Verteilungsquote von 100% erlangen.
389
Unklar ist die genaue Berechnung des Ausfalls, soweit es um die Berücksichtigung nachrangiger Insolvenzforderungen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Zinsen nach Insolvenzeröffnung) und Nr. 2 (Kosten durch Teilnahme am Insolvenzverfahren) geht. Teilweise3 wird der Verwertungserlös nur auf die vor Verfahrenseröffnung begründeten Insolvenz(haupt)forderungen angerechnet. Die Zinsen nach Verfahrenseröffnung sowie die Kosten durch Teilnahme am Insolvenzverfahren würden unberücksichtigt bleiben und weiter lediglich nachrangig zu befriedigen sein. Andere rechnen den Verwertungserlös in der Reihenfolge des § 367 Abs. 1 BGB auf Kosten, Zinsen und Hauptforderung an und berücksichtigen damit auch die nachrangigen Insolvenzforderungen bei der Berechnung des Ausfalls4. Der in § 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO angeordnete Nachrang hindere die Geltendmachung solcher Kosten beim Absonderungsrecht
390
1 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 33. 2 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 5, § 190 Rz. 3. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 8; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 28. 4 OLG Köln v. 27. 6. 2007 – 2 U 137/06 (nicht rechtskräftig); ZIP 2007, 1614 ff. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen. Die Revision wird beim BGH unter dem Az. XI ZR 132/07 geführt.
Drees/J. Schmidt
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833
§7
Rz. 391
Beratung des gesicherten Gläubigers
nicht1. Dies vermag nicht zu überzeugen. Es ist kein Grund ersichtlich, die gesetzgeberische Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO außer Acht zu lassen, wenn es um die Teilnahme von absonderungsberechtigten Gläubigern am Insolvenzverfahren in Höhe des erlittenen Ausfalls geht. Vielmehr müssen diese in Höhe ihres Ausfalls wie normale Insolvenzgläubiger behandelt werden. 391
Unstreitig erhöht sich die Ausfallforderung jedoch um die Kostenbeiträge gemäß § 171 InsO (Festsellungs- und Verwertungskosten sowie Umsatzsteuer)2. (3) Verzicht und Verwirkung (a) Verzicht
392
Es steht im Belieben des Berechtigten, auf das Absonderungsrecht gänzlich oder zumindest teilweise zu verzichten und im Insolvenzverfahren nur die persönliche Forderung unbeschränkt geltend zu machen3. In der Regel dürfte ein derartiger Verzicht wirtschaftlich nicht ratsam sein, weil der Gläubiger damit auf die Befriedigung aus dem Verwertungserlös des belasteten Gegenstands verzichtet und regelmäßig einen wesentlich höheren Ausfall hinzunehmen haben wird.
! Praktische Hinweis für den Berater bei der Entscheidung über einen Verzicht:
393
–
Ein Verzicht auf das Absonderungsrecht kann ratsam sein, wenn die Verwertung wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint, diese sich aussichtslos und schwierig gestaltet und der Gläubiger nur bei einem Verzicht seinen „Ausfall“ innerhalb der Ausschlussfrist der §§ 190 Abs. 1 Satz 1, 189 Abs. 1 InsO nachweisen und sodann auch an der Schlussverteilung teilnehmen kann4 (siehe dazu Rz. 396 ff.).
–
Der Verzicht ist gegenüber dem Insolvenzverwalter entsprechend den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zu erklären.
–
Die Verzichtserklärung muss verbindlich und vorbehaltlos sein und zu einer endgültigen Freigabe des Sicherungsguts zugunsten der Masse führen5. Allein die Abrede, ein Absonderungsrecht nicht geltend zu machen, genügt den Anforderungen, die an eine Verzichtserklärung zu stellen sind, nicht6.
–
Für die rechtsgeschäftliche Aufgabe von Rechten sind die gesetzlichen Formvorschriften zu beachten7.
1 OLG Köln v. 27. 6. 2007 – 2 U 137/06 (nicht rechtskräftig); Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 11 f.; Büchler in Hamburger Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 6. 2 Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 31; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 52 Rz. 17. 3 OLG Köln v. 3. 3. 2000 – 2 W 31/00, NZI 2001, 33 (34). 4 Vgl. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 9. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 16; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 4. 6 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 5. 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 16; Smid, InsO, § 52 Rz. 3.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 394
§7
–
Handelt es sich bei dem Absonderungsrecht um ein Recht an einem Grundstück, so ist für den Verzicht auf das Recht an dem Grundstück nach § 875 BGB die Erklärung des Berechtigten gegenüber dem Begünstigten bzw. dem Grundbuchamt in der entsprechenden Form des § 29 GBO erforderlich sowie die Eintragung im Grundbuch.
–
Soweit auf ein Pfandrecht an einem beweglichen Gegenstand oder an Wertpapieren verzichtet werden soll, genügt für diesen Verzicht die Rückgabe der Sache an den Insolvenzverwalter, verbunden mit einer formfreien Aufgabeerklärung (vgl. §§ 1255, 1257, 1293 BGB).
–
Soweit es sich nicht um ein Grundbuchrecht oder ein sonstiges Recht handelt, für das gesonderte Formvorschriften zu beachten wären, kommt ein Verzicht auch durch schlüssiges Verhalten in Betracht1. Die vorbehaltlose Geltendmachung der gesamten Forderung stellt jedoch noch keine Verzichtserklärung dar2. Allerdings kann die vorbehaltlose Annahme einer Vergleichsquote als Verzichtserklärung im Übrigen gedeutet werden3.
–
Auf einen Eigentumsvorbehalt kann der Berechtigte durch einseitige Erklärung verzichten, da der Verzicht praktisch zum Wegfall bzw. Eintritt der Bedingung und damit zum Rechtserwerb des Insolvenzschuldners führt.
–
Entsprechendes gilt auch für die auflösend bedingt vereinbarte Sicherungsübereignung oder -zession. Im Regelfall ist die einseitige Aufgabe analog §§ 959, 1255 BGB allerdings nicht als ausreichend anzusehen, weil insoweit für die Rückübertragung des Sicherungseigentums bzw. der Sicherungsforderung auf den Sicherungsgeber dessen Mitwirkung unablässig ist. Der Insolvenzverwalter kann eine Rückübereignungserklärung (§ 930 BGB) bzw. eine Rückabtretung (§ 398 BGB) allerdings seinerseits konkludent annehmen.
(b) Verwirkung Außerhalb einer gesetzlichen Regelung ist es anerkannt, dass das Absonderungsrecht auch verwirkt werden kann. Eine Verwirkung wird z.B. dann in Betracht zu ziehen sein, wenn der absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger in voller Kenntnis seines Absonderungsrechts ohne erklärten Vorbehalt Ratenzahlungen auf die gesamte Forderungssumme entgegen nimmt4.
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 16; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 4. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 16; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 39; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 4. 3 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 8. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 19; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 10; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 7.
Drees/J. Schmidt
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394
§7
Rz. 395
Beratung des gesicherten Gläubigers
(4) Nachweis des Ausfalls 395
Zur Teilnahme an der Abschlussverteilung (§ 196 InsO) ist der Absonderungsberechtigte nur dann berechtigt, wenn er bis zum Ablauf der Ausschlussfrist seinen Verzicht auf abgesonderte Befriedigung oder seinen Ausfall im Hinblick auf die bereits erfolgte abgesonderte Befriedigung nachweist (§§ 190 Abs. 1, 189 Abs. 1 InsO). Der Absonderungsberechtigte kann also auf seine persönliche Forderung gegenüber dem Schuldner nur dann eine Zahlung verlangen, wenn er den Nachweis seines Verzichts oder seines tatsächlichen Ausfalls rechtzeitig bis zum Ablauf der Ausschlussfrist erbringt1. Der Nachweis des Ausfalls kann nur durch –
die reale Verwertung bzw.
–
deren erfolglosen Versuch geführt werden2.
Der bloße Nachweis eines bestimmten Verkehrswertes des mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands ist nicht ausreichend. Allerdings kann in dem Nachweis, dass dem Pfandgegenstand nur ein gewisser Wert zukommt, konkludent der Wille des Gläubigers zum Ausdruck kommen, dass er jedenfalls nicht für einen höheren Betrag aus dem Pfandgegenstand Befriedigung suchen wird, mithin insoweit auf abgesonderte Befriedigung verzichtet3. Der zufällige Untergang der Sache oder ihr unerklärliches Abhandenkommen ist dem Ausfall gleichzusetzen4. 396
Die Nachweispflicht entfällt, wenn der Insolvenzverwalter die Verwertung des Absonderungsguts selbst betreibt (§ 190 Abs. 3 Satz 1 InsO)5. Der Insolvenzverwalter hat im Falle, dass die Verwertung noch nicht erfolgte, den Ausfall des Gläubigers zu schätzen und den auf die Forderung entfallenden Anteil zurückzubehalten (§ 190 Abs. 3 InsO). Lässt sich der Ausfall bis zur Verteilung nicht ermitteln, muss der Verwalter unter Zurückhaltung von Mitteln eine Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) durchführen. Zu einer solchen kommt es auch dann, wenn es bei Verwertung durch einen Absonderungsberechtigten zu einem nicht zu erwartenden Übererlös kommt6.
397
Handelt es sich zunächst nur um eine Abschlagsverteilung, so kommt es ebenfalls darauf an, wem das Verwertungsrecht zusteht. Soweit der Insolvenzverwalter gemäß § 166 InsO zur Verwertung berechtigt ist, obliegt es ihm, den möglichen Ausfall des Berechtigten zu schätzen und den auf die Forderung entfallenden Teil zurückzubehalten (§ 190 Abs. 3 Satz 2 InsO)7. Ist der Gläubiger selbst verwertungsbefugt (§ 173 InsO), so kann dieser bei einer Abschlagsver1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 18; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 22. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 18; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 11. 3 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 153 Rz. 2b. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 18; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 32. 5 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 8; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 18. 6 BGH v. 1. 12. 2005 – IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 (144). 7 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 18; Hess, InsO, 1995, § 52 Rz. 485.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 401
§7
teilung dann Berücksichtigung finden, wenn er dem Verwalter bis zum Ablauf der Ausschlussfrist das Betreiben der Verwertung nachweist und den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 Satz 2 InsO)1. Soweit der Gläubiger diese Vorgaben erfüllt, bekommt er den Abschlag aufgrund der weiterhin unsicheren Höhe des Ausfalls nicht ausbezahlt, sondern der Verwalter hält diesen Betrag nach § 190 Abs. 2 Satz 2 InsO für ihn zurück. Sollte es dem Gläubiger nicht gelingen, seinen Ausfall rechtzeitig vor der Abschlagsverteilung glaubhaft zu machen, sondern gelingt ihm das erst zu einem späteren Zeitpunkt, so wird er aus der Restmasse nachträglich soweit vorab befriedigt, dass er mit den übrigen Gläubigern gleichgestellt ist (§ 192 InsO). Soweit der Gläubiger den Nachweis über seinen tatsächlichen Ausfall gegenüber dem Insolvenzverwalter auch nicht innerhalb der Ausschlussfrist bis zur Schlussverteilung erbringt, fließen die zurückbehaltenen Beträge in die Gesamtschlussverteilungsmasse und werden für die Schlussverteilung unter den übrigen Insolvenzgläubigern frei (§§ 189 Abs. 3, 190 Abs. 2 Satz 2 InsO). Ersteht der absonderungsberechtigte Gläubiger den Absonderungsgegenstand im Rahmen der Verwertung selbst zu einem Betrag unterhalb des Verkehrswertes, so ist dem Absonderungsberechtigten dieser Vorteil bei der Ausfallberechnung nicht anzurechnen2.
398
! Hinweis: Handelt es sich allerdings um die Erstehung eines Grundstücks und bleibt das Gebot hinter dem 7/10-Gebot bezogen auf den Grundstückswert zurück, ist dies für die bis zu diesem Wert bestehende Differenz zu berücksichtigen (§ 114a ZVG)3.
399
Gehört der Sicherungsgegenstand nicht dem Insolvenzschuldner, sondern einem Dritten, entfällt die Beschränkung des § 52 Satz 2 InsO. Es liegt insoweit gar kein Fall abgesonderter Befriedigung vor. Entsprechend § 43 InsO kann der Gläubiger sowohl von dem persönlichen als auch von dem dinglichen Schuldner jeweils volle Befriedigung verlangen und zwar unabhängig davon, ob einer von beiden oder beide in Insolvenz gefallen sind. Bei lediglich dinglicher Dritthaftung gilt § 43 InsO analog4. Der Gläubiger erhält mithin eine Dividende auf seine volle persönliche Forderung und kann zudem durch eine zusätzliche Pfandverwertung gegebenenfalls zur vollen Befriedigung gelangen.
400
d) Nach Aufhebung des Verfahrens (§§ 200, 201 InsO) Wird das Insolvenzverfahren im Wege der Liquidation des Schuldnervermögens bis zur Schlussverteilung durchgeführt, so beschließt das Insolvenzgericht nach vollzogener Schlussverteilung und deren Nachweis seitens des Verwalters gemäß § 200 Abs. 1 InsO die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Mit Auf1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 18; Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 52 Rz. 22. 2 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 9. 3 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 52 Rz. 9; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 52 Rz. 8. 4 Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 12.
Drees/J. Schmidt
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401
§7
Rz. 402
Beratung des gesicherten Gläubigers
hebung des Insolvenzverfahrens endet das Amt des Insolvenzverwalters und der Schuldner erhält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die vormals vom Insolvenzbeschlag erfassten Vermögensgegenstände zurück, soweit es sich nicht um Massegegenstände handelt, die einer Nachtragsverteilung vorbehalten wurden1 (zur Nachtragsverteilung vgl. § 6 Rz. 367 f.). 402
Wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben, entfallen damit auch alle insolvenzspezifischen Beschränkungen und an die Stelle der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung tritt wieder die bürgerlich-rechtliche Haftungsordnung in der Gestalt, wie sie auch vor der Verfahrenseröffnung für das Schuldnervermögen Geltung beanspruchte2.
403
Damit fallen auch die durch die §§ 85 ff. InsO der individuellen Rechtsverfolgung durch die Gläubiger gegenüber dem Schuldner gezogenen Schranken fort. Der Schuldner haftet – vorbehaltlich einer möglichen Restschuldbefreiung – grundsätzlich wieder unbeschränkt für die Verbindlichkeiten, die er vor Eröffnung des Verfahrens begründet hat.
404
Korrelierend damit steht den im Verfahren nicht befriedigten Gläubigern – soweit keine Restschuldbefreiung angekündigt ist3 – ein freies Nachforderungsrecht zu, d.h., den Gläubigern steht es frei, ihre restlichen Forderungen gegenüber dem Insolvenzschuldner nach § 201 Abs. 1 InsO uneingeschränkt geltend zu machen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens eine Befriedigung im Hinblick auf ihre Forderung gar nicht erst beansprucht bzw. ihre Forderung nicht zur Tabelle angemeldet hatten oder ob ihre Forderung durch die ausgeschüttete Quote nicht vollständig gedeckt wurde. Sie müssen sich auf ihre Nachforderung allerdings die an sie im Rahmen der Verfahrensverteilungen (Abschlags- und/oder Schlussverteilung) zur Auszahlung gebrachten Anteile anrechnen lassen.
! Hinweis: 405
Als Haftungsmasse steht den Gläubigern auch das vom Schuldner nach Abschluss des Verfahrens neu hinzuerworbene Vermögen zur Verfügung (zu den hiermit verbundenen Problemen in der Insolvenz eines Freiberuflers vgl. § 17 Rz. 61 ff.).
406
Den Gläubigern, die an dem Insolvenzverfahren teilgenommen haben, ist nach Abschluss des Verfahrens eine beglaubigte auszugsweise Ausfertigung der Tabelle zu erteilen, soweit diese jeweils ihre Forderung betrifft. Aus diesem Tabellenauszug kann der Gläubiger nach Aufhebung des Verfahrens die Zwangsvollstreckung unmittelbar betreiben. Aufgrund der Feststellungswirkung des Tabelleneintrags gemäß § 178 Abs. 3 InsO kann die Vollstreckung aus der Ta1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 200 Rz. 10; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 200 Rz. 7. Nach BGH v. 1. 12. 2005 – IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 kommt es auch bei einem nicht zu erwartenden Übererlös nach Verwertung durch den Absonderungsberechtigten. 2 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 201 Rz. 2. 3 Vgl. zu der Frage der Beschränkung des Nachforderungsrechts bei Restschuldbefreiung: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 201 Rz. 5; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 201 Rz. 4.
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Drees/J. Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 408
§7
belle gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO „wie aus einem vollstreckbaren Urteil“ betrieben werden1. Absonderungsberechtigte Gläubiger, denen der Schuldner zugleich persönlich haftet, können mithin nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre persönliche Forderung gegenüber dem Schuldner, die sie in der Regel im Insolvenzverfahren in voller Höhe zur Tabelle angemeldet hatten, unmittelbar auf der Grundlage der Tabellenfeststellung vollstrecken.
407
Dass die Insolvenzforderung „nur für den Ausfall“ festgestellt worden ist, ändert an dieser uneingeschränkten Rechtskraftwirkung dem Schuldner gegenüber nichts. Grundsätzlich kann folglich nach Verfahrensaufhebung und Erteilung der Vollstreckungsklausel die Vollstreckung hinsichtlich der Forderung in voller Höhe betrieben werden. Hat während des Insolvenzverfahrens die Verwertung des Absonderungsguts stattgefunden, ist im Fall der Vollstreckung aus dem Tabellenauszug die durch die Verwertung bewirkte teilweise Erfüllung der Forderung im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 Abs. 1 ZPO) geltend zu machen.
407a
Konnte aus der Verwertung von Absonderungsgut ein Erlös erzielt werden, so erfolgt wegen der Regelung des § 190 InsO eine Eintragung in das Verteilungsverzeichnis nur in Höhe des Ausfalls. Dies beeinflusst aber nicht den Tabelleneintrag. Die in der Tabelle vermerkte Forderungshöhe wird nicht um den Verwertungserlös reduziert. Auch die bei Verteilungen erhaltenen Quoten werden lediglich auf dem vollstreckbaren Auszug vermerkt, beeinflussen aber nicht die in der Tabelle eingetragene Forderungshöhe2.
407b
In der Praxis darf die Vollstreckungsgegenklage als Ausnahmefall bezeichnet werden. Denn die Insolvenzverwalter sind darum bemüht, die zur Tabelle festgestellte Forderungshöhe nach erfolgter Verwertung an das Verteilungsverzeichnis anzupassen. Hierzu werden Absonderungsberechtigte mitunter aufgefordert, einen (teilweisen) Verzicht auf die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung in Höhe des Verwertungserlöses zu erklären. Wird der Verzicht erklärt, werden vollstreckbare Tabellenauszüge später lediglich über die verbleibende Restforderung erteilt und vollstreckungsrechtliche Folgeprobleme (§ 767 Abs. 1 ZPO) vermieden3.
407c
e) Bei Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) Ergibt sich im Verlauf des eröffneten Verfahrens die Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens dergestalt, dass die Insolvenzmasse nicht einmal zur Deckung der Verfahrenskosten ausreicht, so ist das Insolvenzgericht zur Verfahrenseinstellung mangels Masse verpflichtet (§ 207 Abs. 1 InsO). Der Verwalter hat vor der Einstellung des Verfahrens die vorhandenen Barmittel entsprechend Abs. 3 zu verteilen, wozu ihm seitens des Insolvenzgerichts vor der Einstellung Gelegenheit zu geben ist. Zur Verwertung vorhandener Massegegen1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 201 Rz. 6; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 201 Rz. 4. 2 Herchen in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 201 Rz. 71 und § 203 Rz. 2. 3 Herchen in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 201 Rz. 71.
Drees/J. Schmidt
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408
§7
Rz. 409
Beratung des gesicherten Gläubigers
stände ist der Verwalter nicht weiter verpflichtet, da seine Vergütung nicht gedeckt ist und ihm daher die Fortsetzung der Masseverwertung nicht zugemutet werden soll (Abs. 3 Satz 2)1. Bis zur Einstellungsentscheidung ist er jedoch noch zu Verwertungshandlungen berechtigt, wenngleich ihm im Hinblick auf eine drohende Schadensersatzpflicht für neu begründete Masseverbindlichkeiten nach § 61 InsO davon eher abzuraten ist2 (vgl. zu Neumasseschulden auch § 14 dieses Buches). Das unverwertete Vermögen wird dem Schuldner wieder zurückgegeben. 409
Mit der Einstellung des Verfahrens entfallen auch hier die insolvenzspezifischen Haftungsregularien. Der Schuldner erhält mit der Einstellung des Verfahrens die Verfügungsbefugnis über die Masse zurück (§ 215 Abs. 2 InsO). Die Gläubiger können ihre Ansprüche gegenüber dem Schuldner ohne Beschränkungen im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung nach den Regelungen der ZPO geltend machen3. Die Vorschriften über die freie Nachhaftung des Schuldners nach Aufhebung des Verfahrens gemäß § 201 Abs. 1 InsO finden auch nach einer Verfahrenseinstellung mangels Masse entsprechende Anwendung (§ 215 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das gilt auch für die gesicherten Gläubiger, die zum einen ihre persönliche Forderung nach den allgemeinen Vorschriften des BGB sowie des Prozessrechts geltend machen können, was jedoch nach einem mangels Masse eingestellten Insolvenzverfahren zumeist wenig erfolgversprechend sein dürfte. Zum anderen steht ihnen darüber hinaus aber auch das Recht zur Realisierung ihrer Sicherheit zu (auch zur Einstellungsmasse § 6 Rz. 347 ff.). f) Bei Anzeige von Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO)
410
Das Insolvenzverfahren wird im ausdrücklichen Gegensatz zur fehlenden Kostendeckung gemäß § 207 InsO bei Masseunzulänglichkeit nicht unmittelbar eingestellt (§ 208 InsO). Das Amt des Insolvenzverwalters mit seinen Rechten und Pflichten bleibt zunächst unangetastet. Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit besteht für den Verwalter nach § 208 Abs. 3 InsO weiterhin die Pflicht zur Verwaltung und Verwertung der Masse sowie zur Tilgung etwaiger Masseverbindlichkeiten, soweit die Masse dies zulässt4. Unabhängig von dem Verteilungsverfahren nach § 209 InsO hat der Insolvenzverwalter die Aus- und Absonderungsrechte zu befriedigen5. Damit unterliegen die gesicherten Gläubiger bei angezeigter Masseunzulänglichkeit weiterhin den insolvenzspezifischen Regelungen und der mit ihnen einhergehenden Beschränkungen.
411
Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit verwaltet und verwertet der Verwalter die Insolvenzmasse zunächst weiter und verteilt die Masse entsprechend § 209 InsO. Im Anschluss an die Masseverteilung wird das Verfahren nach § 211 InsO durch Beschluss des Gerichts eingestellt. Massegegenstände, die nicht ver1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 207 Rz. 11; Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 207 Rz. 22. 2 Westphal in Nerlich/Römermann, InsO, § 207 Rz. 34. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 207 Rz. 16; Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 207 Rz. 34. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 208 Rz. 19; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 208 Rz. 9 ff. 5 Prütting in Kübler/Prütting, InsO, § 208 Rz. 19 f.; Hess, InsO, 1995, § 209 Rz. 55.
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Drees/J. Schmidt
Sicherheitenpool
Rz. 414
§7
wertet werden konnten, sind dem Schuldner freizugeben. Mit der Einstellung des Verfahrens kommt dem Schuldner nach § 215 Abs. 2 InsO wieder das Recht zu, über die vormals dem Insolvenzbeschlag unterlegene Masse frei zu verfügen. Der Insolvenzbeschlag endet mit dem Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung. Den Insolvenzgläubigern steht auch hier nach § 215 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. § 201 Abs. 1 InsO das Recht zur freien Nachforderung zu, soweit dem Schuldner keine Restschuldbefreiung erteilt wurde. Die Absonderungsberechtigten, denen der Insolvenzschuldner zugleich persönlich haftet, sind daher als ehemalige Insolvenzgläubiger zur freien Nachforderung bezüglich ihrer persönlichen Forderung gegenüber dem Schuldner berechtigt, soweit sie diesbezüglich einen Ausfall erlitten haben. Diesen können sie im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung entsprechend den Bestimmungen der ZPO beanspruchen.
412
Bezüglich des Sicherungsrechts kommt es darauf an, ob es während des Insolvenzverfahrens noch zu einer Verwertung des Sicherungsguts kam oder nicht. War dies der Fall, dann steht dem Gläubiger das Recht zur abgesonderten Befriedigung aus dem Erlös zu. Soweit eine Verwertung in dem zwischenzeitlich eingestellten Verfahren nicht vorgenommen wurde, kann der gesicherte Gläubiger sein Sicherungsrecht entsprechend den allgemeinen gesetzlichen bzw. individualvertraglich vereinbarten Bedingungen realisieren und im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung in den Sicherungsgegenstand vollstrecken1 (zur Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit s. § 6 Rz. 350 ff.).
413
IV. Sicherheitenpool Im Rahmen der Rechtsentwicklung ist in den vergangenen Jahren die Bildung so genannter Sicherheitenpools aufgetreten. Der Begriff des Sicherheitenpools lässt vom Wort her verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Gemeinsam mit Gottwald spricht man von einem Sicherheitenpool, „wenn mehrere Gläubiger die Aussonderung und Absonderung ihrer Mobiliarsicherheiten gemeinsam wahrnehmen2“. Der BGH spricht mitunter auch von –
Sicherheitenverwertungsverträgen oder
–
Sicherheitenpoolverträgen
und meint hiermit nichts anderes3. Die rechtliche Zulässigkeit entsprechender Poolabreden ist unbestritten4. Grundformen derartiger Sicherheitenpools sind –
Lieferantenpools zwischen Warenkreditgläubigern (Rz. 415b) und
–
Bankenpools zwischen Geldkreditgläubigern (Rz. 415a).
In der Praxis treten auch Mischformen dieser beiden Gruppen auf5. 1 2 3 4
Joneleit-Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 208 Rz. 18. Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, 2. Aufl. 2006, § 44 Rz. 1. BGH v. 3. 11. 1988 – IX ZR 213/87, ZIP 1988, 1534. Ganter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 47 Rz. 189 ff.; Lwowski in Münchener Kommentar, InsO, 2001, § 166 Rz. 201 ff.; Riggert, NZI 2000, 525; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142 ff. 5 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 56.
Drees/J. Schmidt
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841
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§7
Rz. 415
Beratung des gesicherten Gläubigers
415
Der wirtschaftliche Hintergrund entsprechender Poolbildungen dürfte stets derselbe sein: Aus- und Absonderungsberechtigte stehen häufig vor der Schwierigkeit, dem Insolvenzverwalter gegenüber ihre Rechte nachzuweisen. Insbesondere der Nachweis der konkreten dinglichen Berechtigung stellt die Ausund Absonderungsberechtigten immer wieder vor erhebliche Schwierigkeiten, vornehmlich dann, wenn sich die Vereinbarungen der Lieferanten mit dem Schuldner überschneiden. Um diesen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art bei der Abgrenzung der verschiedenen Sicherheiten zu begegnen und die Durchsetzung und Verwertung der Sicherheiten zu vereinfachen, schließen sich die gesicherten Gläubiger zu einem so genannten Sicherheitenpool zusammen und bringen in diesen ihre Sicherheiten ein. Dadurch soll die Gesamtheit dieser Gläubiger gegenüber dem Insolvenzverwalter jedenfalls aus- und absonderungsberechtigt werden, unabhängig davon, ob sich die Rechte der Einzelnen überschneiden1.
415a
Bei einem Sicherheitenpool der Banken sind sehr verschiedene Ausgestaltungen denkbar. Eine Besonderheit ist sicherlich die kreditbegleitende – und damit krisenunabhängige – Poolbildung. Kommt es zu einer außergewöhnlich hohen Kreditgewährung, teilen sich in der Praxis regelmäßig mehrere Banken den Kredit (so genannter Konsortialkredit), um damit das Risiko der einzelnen Bank zu minimieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt kann es sinnvoll sein, einen Sicherheitenpool zu bilden. Bei einer solchen Vorgehensweise ist neben den Vorteilen der fortwährenden Kommunikation und effizienten Informationsgewinnung zu einem sehr frühen Zeitpunkt für den Fall einer später eintretenden Krise vorgesorgt. Abzugrenzen ist ein solcher Bankenpool vom bloßen Bassinvertrag, bei dem den einzelnen Banken gerade keine eigenen Sicherheitenrechte eingeräumt werden, sondern ein Treuhänder für das Unternehmen – im Einverständnis mit den beteiligten Banken – von vornherein sämtliche Sicherheiten verwaltet. Sieht man einmal von den fehlenden eigenen Sicherheiten ab, unterscheidet sich die Sicherheitenverwaltung und in der Krise deren Verwertung nicht von der in einem Sicherheitenpool. Als klassischer Sicherheitenpool von Banken dürfte letztlich ein solcher bezeichnet werden, der bei Eintritt der Krise des Unternehmens implementiert wird.
415b
Der so genannte Lieferantenpool wird oftmals auch als Sicherheitenpool der Sicherungsgläubiger bezeichnet. Er kann bereits zur Abwendung der Krise gebildet werden, regelmäßig geschieht die Poolbildung jedoch erst bei einer unmittelbar bevorstehenden oder gar schon eingetretenen Insolvenz. In den Reihen der Warenkreditgläubiger ist die Institution des Sicherheitenpools seit Beginn der 70-er Jahre ein vertrautes Instrumentarium zur gemeinsamen Interessenwahrnehmung und optimierten Sicherheitenverwertung. Die inzwischen eingetretene Verbreitung liegt unter anderem daran, dass auch (vorläufige) Insolvenzverwalter ein erhebliches Interesse an der Einrichtung solcher Pools haben. So bündeln Insolvenzverwalter die Kommunikation auf einen wirtschaftlich kompetenten Poolführer und müssen nicht mit jedem Lieferanten gesondert verhandeln. Auf diese Weise wird das laufende Insolvenzverfahren zudem nicht mit der notwendigen Abgrenzung der kollidierenden Sicherheiten belastet. 1 Vgl. hierzu näher Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 47 ff.
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Drees/J. Schmidt
Sicherheitenpool
Rz. 417b
§7
Vorteile einer Poolbildung:
416
–
umfassender und effizienterer Informationsaustausch zwischen den Poolmitgliedern untereinander sowie im Verhältnis zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter,
–
Möglichkeit der Krisenfrüherkennung,
–
institutionalisierte und gebündelte Kommunikation erhöht Sanierungschancen – Verwertung im Ganzen anstelle von Zerschlagung,
–
verbesserter Verwertungserlös durch geordnete Verwertung,
–
Kostenreduzierung bei der Feststellung und Durchsetzung von Sicherungsrechten,
–
Verlagerung der Auseinandersetzung konkurrierender Sicherheitenrechte auf einen späteren Zeitpunkt.
Neben dem beschriebenen wirtschaftlichen Hintergrund (Rz. 415) tritt der entscheidende rechtliche Vorteil einer Beweiserleichterung. Der Sicherheitenpool dient in erster Linie der Überwindung von Beweisschwierigkeiten, die auftreten, wenn die beteiligten Gläubiger ihre Rechte an den Sicherungsgegenständen einzeln gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen würden. Dies gilt sowohl für Aussonderungs- als auch Absonderungsberechtigte. Einem einzelnen Eigentumsvorbehaltslieferanten wird es kaum möglich sein, nachzuweisen, zu welchem Anteil sich die von ihm ausgelieferten Waren noch im Warenbestand des Schuldners befinden. Auch Lieferanten mit verlängertem Eigentumsvorbehalt und Vorausabtretungs- oder Verarbeitungsklausel werden entsprechende Nachweise nur schwer erbringen können. Verantwortlich für diese Schwierigkeiten ist stets der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz, wonach dingliche Rechte nur an einzelnen Sachen bestehen können, die sich als solche individualisieren bzw. spezifizieren lassen.
417
Auch wenn sowohl Aus- als auch Absonderungsrechte im Sicherheitenpool gebündelt werden können, bilden in der Praxis regelmäßig nur Absonderungsberechtigte einen Pool1. So wird das aus dem einfachen Eigentumsvorbehalt resultierende Aussonderungsrecht in der Regel von dem Vorbehaltslieferanten auch selbständig und außerhalb des Pools – sei es durch Abholung noch vorhandener Bestände oder deren Veräußerung an den Insolvenzverwalter – verfolgt.
417a
! Hinweis: Mit Rücksicht auf zu erwartende Abgrenzungsprobleme ist strikt davon abzuraten, einen Sicherheitenpool sowohl aus Ab- als auch Aussonderungsberechtigten zu bilden. Insolvenzverwalter werden regelmäßig der Aussonderung widersprechen, weil sie hinsichtlich der Absonderungsrechte Kostenbeiträge erwarten. Sind die Anteile der kollidierenden Sicherungsgläubiger nicht abgrenzbar, empfiehlt sich eine umfassende Verwertungsvereinbarung2. 1 Leiner, ZInsO 2006, 460 ff. 2 Herchen in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 58.
Drees/J. Schmidt
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417b
§7
Rz. 417c
Beratung des gesicherten Gläubigers
417c
Die beschriebenen Beweiserleichterungen haben jedoch eine feststehende Grenze: Der Pool kann nicht mehr Rechte haben als seine Mitglieder. Durch den bloßen Beitritt zu einem Sicherheitenpool können ungesicherte Gläubiger keine dinglichen Rechte an den gepoolten Sicherheiten erwerben1. Absonderungsrechte sind daher auch nur insoweit an einem Verwertungserlös zu beteiligen, als ihnen gesicherte Forderungen zugrunde liegen. Eine Umvalutierung durch Poolvereinbarungen ist unzulässig, wenn dadurch ungesicherte Forderungen gesichert oder Sicherheiten aufgefüllt werden2.
418
Der Pool stellt sich i.d.R. als Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar, die den Zweck verfolgt, die Sicherheiten der Gesellschafter im Sicherungsfall zu realisieren3. Im Außenverhältnis tritt für den Pool ein Treuhänder auf (so genannter Poolführer), auf den die Beteiligten ihre Rechte übertragen4. Im Rahmen des Poolvertrags wird pauschal vereinbart, dass jeder Lieferant, der dem Pool beitritt, eine bestimmte Quote erhält, ohne auf die Problematik des Einzelnachweises verwiesen zu werden. Ausschlaggebend für die Höhe der Quote der einzelnen Poolmitglieder werden in der Regel die einzelnen Anteile der Poolmitglieder an den eingebrachten Sicherheiten bzw. das Werteverhältnis der eingebrachten Sicherheiten der einzelnen Mitglieder zueinander sein.
418a
Sind die Anteile der einzelnen Mitglieder an den Gegenständen nicht bestimmbar, müssen sämtliche Gläubiger dem Pool beitreten5. Lediglich dann kann dem Pool die angestrebte Beweiserleichterung zuerkannt werden. Weiter muss bei fehlender Bestimmbarkeit der Anteile der einzelnen Mitglieder an den Sicherungsgegenständen jede gesicherte Forderung den Erlös aus der Verwertung des gesicherten Gegenstandes abdecken. Hat ein Mitglied eine geringere Forderung, ist nicht auszuschließen, dass der Verwertungserlös nicht durch die Absonderungsrechte der einzelnen Mitglieder gedeckt und daher zumindest teilweise freie Masse ist. In diesem Fall kann der Pool aus dem Verwertungserlös nur den Erlösanteil herausverlangen, der der geringsten gesicherten Forderung entspricht6.
418b
Poolmitglieder sind gut beraten, ihre Sicherheitenrechte nur mit solchen Sicherungsnehmern zu bündeln, deren Sicherheitenverträge wirksam sind. Ist etwa ein einzelner Sicherungsgläubiger anfänglich übersichert und trifft ihn auch die von der Rechtsprechung geforderte verwerfliche Gesinnung, so darf dieser Gläubiger nicht in den Pool aufgenommen werden. Die Forderung des betreffenden Gläubigers ist dann lediglich eine einfache Insolvenzforderung. Werden solche Gläubiger trotz der unwirksamen Sicherheitenbestellung in den Pool aufgenommen, verhilft dieser ihnen zur Durchsetzung ihrer vermeintlichen Sicherungsrechte. 1 BGH v. 2. 6. 2005 – IX ZR 181/03, ZIP 2005, 1651 (1652 f.) m. Bspr. Leiner, ZInsO 2006, 460 ff.; OLG Köln v. 24. 1. 2007 – 2 U 50/05, ZIP 2007, 391. 2 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 59; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 51 Rz. 47; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142. 3 Vgl. hierzu eingehend Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.127. 4 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 56. 5 Büchler in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 57. 6 Herchen in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 51 Rz. 59.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 422
§7
V. Personalsicherheiten 1. Allgemeines Im Gegensatz zu einer Sachsicherheit, bei der im Sicherungsfall der Wert der mit dem Sicherungsrecht belasteten Sache realisiert wird, der sodann der Befriedigung der abgesicherten Forderung dient, haftet bei einer so genannten Personalsicherheit eine andere Rechtspersönlichkeit mit ihrem Vermögen im Sicherungsfall. Im Rahmen der Bestellung einer Personalsicherheit gewährt eine dritte, von dem Schuldner fremde Person dem Gläubiger eine Sicherung des Anspruchs durch ein Befriedigungsrecht an ihrem Vermögen. Typische Formen der Personalsicherheiten sind –
Bürgschaften (Rz. 428 ff.),
–
Schuldmitübernahmen (Rz. 466 ff.),
–
Garantie- (Rz. 478 ff.) oder
–
Patronatserklärungen (Rz. 484 ff.)
419
2. Realisierung der Personalsicherheiten a) Vor und während der Krise Vor und während der finanziellen Krise des Hauptschuldners kann der Gläubiger den Dritten entsprechend der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen aus der Personalsicherheit in Anspruch nehmen. Insoweit gelten für die Inanspruchnahme des Dritten aufgrund der finanziellen Krise des Hauptschuldners keine besonderen Regularien. Soweit und sobald die allgemeinen Voraussetzungen der Inanspruchnahme der seitens des Dritten bestellten Personalsicherheit eingetreten sind, kann der Sicherungsnehmer auf diese zurückgreifen.
420
Handelt es sich bei der für die Hauptschuld bestellten Personalsicherheit um die Bürgschaft eines Dritten, so sind für die Inanspruchnahme das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 765 ff. BGB zu überprüfen. Da der Bürge vor und während der Krise nicht neben, sondern nach dem Hauptschuldner haftet, ist i.d.R. zunächst eine erfolglose Inanspruchnahme des Hauptschuldners erforderlich, es sei denn, es handelt sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft, einen Fall des § 349 HGB oder der Bürge hat ohnehin auf die Einrede der Vorausklage verzichtet. Die Einrede der Vorausklage entfällt gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB noch nicht während der Krise, sondern erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners1. Mithin ergeben sich während des Zeitraums der Krise keine Besonderheiten bei einer Inanspruchnahme des Bürgen.
421
Auf die sonstigen Personalsicherheiten findet ebenfalls weiterhin die allgemeine bürgerlich-rechtliche Haftungsordnung Anwendung. Treten die Voraussetzungen – seien sie gesetzlich normiert oder indivualvertraglich vereinbart – eines Sicherungsfalls ein, berechtigt dies den Sicherungsnehmer zur Rea-
422
1 Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335 (338).
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 422a
Beratung des gesicherten Gläubigers
lisierung der ihm für die Forderung gegen den Hauptschuldner bestellten Personalsicherheit.
! Hinweis für die Beratung bei Gesellschafter(personal-)sicherheiten: 422a
–
Hat ein Gesellschafter unter den Voraussetzungen des Eigenkapitalersatzrechts (hierzu ausführlich§ 4 Rz. 36 ff.) den Darlehensrückzahlungsanspruch eines Dritten gegen die GmbH durch Übernahme einer Bürgschaft oder eine andere Personalsicherheit gesichert, dann kann nach § 32a Abs. 2 GmbHG der Dritte als Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nur für den Betrag quotale Befriedigung erhalten, mit dem er bei Inanspruchnahme des Gesellschafters ausgefallen ist.
–
Damit beeinflusst die Haftung des zusätzlichen Schuldners unmittelbar die Geltendmachung der gegen den Schuldner gerichteten Forderung. Zwar besteht der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens materiellrechtlich in voller Höhe fort, seine Durchsetzung ist im Insolvenzverfahren der Gesellschaft jedoch insoweit beschränkt, als der Kreditgeber zunächst gegen den Gesellschafter vorgehen muss1.
–
Lebhaft umstritten ist nun, worauf der Sicherungsgläubiger eine Insolvenzquote erhält: Auf die Restforderung und damit nach Maßgabe des Ausfallprinzips oder aber im Sinne des Doppelberücksichtigungsprinzips auf den vollen Forderungsbetrag. Während die früher h.M. in Anlehnung an den Wortlaut des § 32a Abs. 2 GmbHG die Insolvenzquote nur auf die Restforderung berechnete2, wird mittlerweile überwiegend davon ausgegangen, dass der Kreditgeber durch den Zwang zur vorrangigen Inanspruchnahme des Gesellschafters nur verfahrensmäßig benachteiligt werden soll, aber nicht materiell, indem ihm die Quote auf die volle Forderung versagt wird, denn das Eigenkapitalersatzrecht richtet sich gegen den Gesellschafter und nicht gegen den Gläubiger3. Letztlich dürften die besseren Argumente für die analoge Anwendung des § 43 InsO sprechen, da wie in den Fällen des § 32a Abs. 3 GmbHG – und damit nicht wie bei § 52 InsO – Drittsicherheiten und nicht massezugehöriges Sicherungsgut erfasst sind.
–
Über die Eigenkapitalersatzhaftung hinaus ergibt sich für Gesellschafter(personal-)Sicherheiten eine Besonderheit aus § 93 InsO. Diese Norm schreibt für die Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft das Recht zur Geltendmachung der persönlichen Haftung des Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft allein deren Insolvenzverwalter zu. Unter Hinweis4 auf den Wortlaut der Vorschrift hatten Gerichte dem
1 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 32 Rz. 1, b, Rz. 128; Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335 (345 ff.) m. zahlr. w. N. 2 Noack/Bunke, FS Uhlenbruck, 2000, 335 (348 f.) m.w.N. 3 Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 16; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 23; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 6; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 27. 4 Vgl. ausführlich J. Schmidt, Die Gesellschafterbürgschaft in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft, S. 87 ff.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 426
§7
Bürgschaftsgläubiger die Geltendmachung des Bürgschaftsanspruchs gegen den (noch nicht insolventen) Gesellschafter versagt. Diese Problematik ist jedoch im Sinne der Bürgschaftsgläubiger durch die Entscheidung des BGH vom 4. 7. 2003 geklärt worden. Hiernach umfasst die Sperr- und Ermächtigungswirkung des § 93 InsO nur die persönliche Gesellschaftersicherheit kraft Gesetzes und nicht auch die Parallelsicherheiten1, so dass diese weiter gesondert geltend gemacht werden dürfen. Auswirkungen der Krise des Hauptschuldners auf den Bürgschaftsanspruch sind dann nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn der Bürgschaftsgläubiger den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners (mit-)verursacht hat. Denn Bürgschaftsgläubiger verwirken ihren Sicherungsanspruch, wenn sie den wirtschaftlichen Zusammenbruch schuldhaft verursachen2. Hieran ist insbesondere dann zu denken, wenn der Bürgschaftsgläubiger dem Hauptschuldner gegenüber bestehenden Vertragspflichten zuwider handelt und z.B. pflichtwidrig die Einlösung eines Schecks verweigert, obwohl sich die damit einhergehende Kontobelastung im Rahmen des vereinbarten Kontokorrents gehalten hätte3.
422b
b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren Auch im vorläufigen Insolvenzverfahren ergeben sich für die Realisierung einer, seitens eines am Insolvenzverfahren unbeteiligten Dritten bestellten Personalsicherheit keine Besonderheiten aufgrund des Eintritts des Hauptschuldners in das vorläufige Insolvenzverfahren.
423
Der Bürge haftet auch im vorläufigen Insolvenzverfahren nach und nicht neben dem Hauptschuldner. Der Gläubiger ist zur Inanspruchnahme des Bürgen unter den allgemeinen Voraussetzungen berechtigt. Eine direkte Inanspruchnahme ohne eine vorherige Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Hauptschuldner kommt nur in Betracht, wenn es sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft handelt, ein Fall des § 349 HGB vorliegt oder der Bürge auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die Einrede der Vorausklage entfällt nach § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB erst mit der tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners. Die Anordnung vorläufiger Maßnahmen im Antragsverfahren schließt die Einrede der Vorausklage ebenfalls noch nicht gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB aus.
424
Entsprechend richtet sich auch die Realisierung anderweitiger Personalsicherheiten nach den allgemeinen Vorschriften.
425
c) Im eröffneten Insolvenzverfahren Während die Einführung der InsO für die Realisierung von Sachsicherheiten an Vermögenswerken des Insolvenzschuldners erhebliche insolvenzspezifische 1 BGH v. 4. 7. 2002 – IX ZR 256/01, ZIP 2002, 1492 ff. im Anschluss an die h.M. Im Ergebnis ebenso J. Schmidt, Die Gesellschafterbürgschaft in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft, S. 150 ff. sowie Runkel/J. Schmidt, ZInsO 2007, 505 ff. 2 BGH v. 6. 7. 2004 – IX ZR 254/02, ZIP 2004, 1589 (1591); BGH v. 7. 2. 1966 – VIII ZR 40/64, WM 1966, 317 (319); BGH v. 23. 2. 1984 – III ZR 159/83, WM 1984, 586. 3 BGH v. 6. 7. 2004 – IX ZR 254/02, ZIP 2004, 1589 (1591).
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 427
Beratung des gesicherten Gläubigers
Einschränkungen mit sich gebracht hat, können die Gläubiger auf Personalsicherheiten Dritter auch während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners weitgehend unbehelligt von diesem Zugriff nehmen, soweit nicht auch der Dritte insolvent wird (Rz. 457 ff.).
! Hinweis: Die Realisierung persönlicher Drittsicherheiten bleibt von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners weitgehend unberührt1.
427
aa) Bürgschaft (1) Insolvenz des Hauptschuldners (a) Haftung des Bürgen 428
Wird über das Vermögen des Hauptschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und wird dieser zum Insolvenzschuldner, so steht es dem Gläubiger frei, seine persönliche Forderung als Insolvenzgläubiger entsprechend der allgemeinen insolvenzrechtlichen Regelungen im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Der Gläubiger hat die Hauptforderung wie alle anderen Gläubiger zur Tabelle gemäß § 174 InsO anzumelden (vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Er wird sodann – soweit das Insolvenzverfahren eröffnet und das Vermögen des Insolvenzschuldners liquidiert wird – nach Maßgabe der Insolvenzquote hinsichtlich seiner Hauptforderung befriedigt, natürlich nur insoweit, als er noch keine Befriedigung seitens des Bürgen erlangt hat2 (zur Bedeutung einer Bürgschaft für Banken vgl. § 9 Rz. 25 ff.).
429
Dass der Bürgschaftsgläubiger neben der Anmeldung der Hauptforderung zur Insolvenztabelle den Bürgen in voller Höhe in Anspruch nehmen kann, ermöglicht die Anwendung des § 43 InsO3. Nach dem dort geregelten Doppelberücksichtigungsprinzip4 kann ein Gläubiger, dem mehrere Personen für dieselbe Leistung auf das Ganze haften, im Insolvenzverfahren gegen jeden Schuldner bis zu seiner vollen Befriedigung den ganzen Betrag geltend machen, den er zur Zeit der Verfahrenseröffnung zu fordern hatte. Dass die in erster Linie für Gesamtschuldner5 geltende Regelung des § 43 InsO auch auf die Bürgschaft anwendbar ist, ergibt sich – wenn nicht ohnehin eine selbstschuldnerische Bürgschaft vorliegt – aus § 793 Abs. 1 Nr. 3 BGB6.
430
§ 43 InsO gibt sachlich unverändert die bereits in § 68 KO bzw. § 32 VerglO getroffene Regelung wieder7. Der Gläubiger kann daher die Insolvenzquote für 1 Obermüller, NZI 2001, 225; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.313. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 52 Rz. 3; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 778. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 43 Rz. 4; Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 4. 4 Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 (1079 ff.). 5 Sowohl echte als auch unechte Gesamtschuld, vgl. Lwowski/Bitter, InsO, § 43 Rz. 5; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 9. 6 Landfermann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 4. 7 Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335 (339 f.); BT-Drucks. 12/2443, S. 124.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 431
§7
die gesamte Hauptverbindlichkeit beanspruchen und trotzdem den Bürgen in Anspruch nehmen, solange die Befriedigungsquote den Gesamtbetrag der Hauptverbindlichkeit nicht überschreitet1. Insbesondere richtet sich auch das Stimmrecht des Gläubigers nach der vollen Höhe der angemeldeten Forderung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens2. Sinn und Zweck dieser Regelung ist die Privilegierung solcher Gläubiger, denen zwei Schuldner für dieselbe Leistung nebeneinander haften. Ohne den § 43 InsO wäre ein derart gesicherter Gläubiger im Fall von Teilleistungen eines Mithaftenden gezwungen, im Verfahren nur noch die Restforderung zu verfolgen und auf diese Weise einen höheren Ausfall hinzunehmen. Er liefe damit in der Insolvenz mehrerer Mithaftender Gefahr, mit einem Teil seiner Forderung auszufallen, obwohl die Quoten aller Verfahren zusammen zu seiner vollen Befriedigung führen würden, da er nach Ausschüttung in einem Verfahren in den übrigen Verfahren nur noch mit einer Restforderung teilnehmen dürfte3. Dies ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Der bei Insolvenzeröffnung bestehende Forderungsbetrag soll bis zur Vollbefriedigung für das gesamte Verfahren maßgeblich bleiben. Nach Insolvenzeröffnung vom Bürgen eingehende Teilzahlungen oder aus der Insolvenz eines weiteren Mithaftenden erzielte Quotenzahlungen verringern die angemeldete Forderung nicht. Nur so können die Vorteile des Gesamtschuldverhältnisses und der Bürgenhaftung auch im Insolvenzverfahren gesichert werden4.
430a
Es ist anerkannt, dass § 43 InsO auch dann Anwendung findet, wenn die Mitverpflichteten der Haftungsgemeinschaft jeweils nur für einen Teil der Gläubigerforderung haften und sie ihre Teilschulden nicht vollständig erfüllen (siehe hierzu unten Rz. 452)5.
430b
Handelt es sich um eine Ausfallbürgschaft, kann der Gläubiger in der Insolvenz des Hauptschuldners nicht parallel den Ausfallbürgen in Anspruch nehmen, da sich erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners beurteilen lässt, ob und in welcher Höhe er ausgefallen ist. Eine während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gegen den Ausfallbürgen erhobene Klage ist daher i.d.R. verfrüht und abzuweisen6.
430c
! Hinweis: Zu beachten ist allerdings die Ausnahmeregelung in § 773 Abs. 2 BGB, nach der sich der Bürge auf die Einrede der Vorausklage trotz des eröffneten Insolvenzverfahrens berufen kann, soweit dem Gläubiger noch ein Mobiliarsicherungsrecht an einer Sache des Hautpschuldners zur Befriedigung zu1 Hess, InsO, 1995, § 43 Rz. 3, 15; zu den Rechtswirkungen des außergerichtlichen Vergleichs zwischen Bürgschaftsgläubiger und Insolvenzverwalter vgl. BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 443/00, NJW 2003, 59. 2 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 2. 3 Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 12 f. 4 Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 339 (342) m.w.N. 5 Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 13. 6 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 9; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 68 Rz. 4e.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 432
Beratung des gesicherten Gläubigers
steht, das er im Wege der Absonderung im Insolvenzverfahren geltend machen könnte. 432
Da der Bürge die Einrede der Vorausklage im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners verliert, haftet er nunmehr neben dem Hauptschuldner auf dieselbe Leistung. Mithin kann der gesicherte Gläubiger von dem Bürgen dieselbe Leistung fordern, die ihm der Hauptschuldner schuldig geblieben ist. Dazu zählen auch die Zinsen einschließlich der Verzugszinsen, deren Einordnung in den Nachrang im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO) den Gläubiger insoweit unberührt lässt, als er seine Zinsansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen kann, wie dies bei der Bürgschaft der Fall ist1.
433
Die Inanspruchnahme des Bürgen im Fall der Insolvenz des Hauptschuldners ist davon abhängig, dass die allgemeinen Anspruchsbedingungen erfüllt sind, sprich die verbürgte Forderung muss fällig und der Gläubiger darf durch den Schuldner noch nicht befriedigt worden sein.
434
Die Fälligkeit der Hauptforderung kann durch Ablauf der vereinbarten Frist, durch Kündigung seitens der Bank oder des Kreditnehmers sowie kraft Gesetzes durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 41 InsO) eintreten. Die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots im Antragsverfahren reicht zur Fälligstellung der Forderung nicht aus. Während die Fälligkeit aufgrund Fristablaufs oder Kündigung stets auch gegenüber dem Bürgen Wirkung entfaltet, gilt es für die Rechtsfolgen der kraft Gesetzes eintretenden Fälligkeit zu unterscheiden, ob es sich um einen Kontokorrentkredit oder um einen Tilgungskredit handelt. –
Handelt es sich um einen Tilgungskredit des Insolvenzschuldners, tritt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen gemäß § 41 InsO die Fälligkeit des Kredits ein. § 41 InsO sieht nämlich auch betagte Forderungen mit der Eröffnung des Verfahrens als fällig an. Zu beachten gilt es hier jedoch, dass § 41 InsO nur das Verhältnis zwischen dem Insolvenzgläubiger und der Insolvenzmasse betrifft, nicht hingegen das Verhältnis zu Dritten wie dem Bürgen. Die Vorschrift will nämlich nur die Schuldenbereinigung im Rahmen des Insolvenzverfahrens durch die Einbeziehung betagter Forderungen fördern und dadurch jeden Fälligkeitsaufschub ausräumen. Den Gläubigern betagter Forderungen sollen die Mittel zur Befriedigung ihrer betagten Ansprüche nicht bereits vorweg entzogen werden und die Beträge sollen auch nicht bis zu ihrer Fälligkeit zurückbehalten werden müssen. Daher erstreckt sich die Fälligkeit nicht auch auf die Ansprüche des Gläubigers gegen den Bürgen.
–
Will der Gläubiger bei Vorliegen eines Tilgungskredits auch den Bürgen in Anspruch nehmen, ist insoweit der Ausspruch einer Kündigung zur Fälligstellung erforderlich.
–
Handelt es sich um eine Forderung aus einem Kontokorrentkredit, so werden die Forderungen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls kraft
1 Obermüller, NZI 2001, 225 m.w.N.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 437
§7
Gesetzes durch das Erlöschen des Kontokorrentverhältnisses fällig (§§ 116 i.V.m. 115 InsO)1. Dabei beschränkt sich die Wirkung dieser Fälligkeit nicht auf die am Insolvenzverfahren beteiligten Parteien, vielmehr erlöschen die in § 116 InsO genannten Verträge schlechthin und damit nicht nur gegenüber der Masse, sondern auch gegenüber dem Insolvenzschuldner. Dadurch wird die besicherte Kreditforderung aufgrund der bestehenden Akzessorietät auch im Verhältnis zum Bürgen fällig2 (zu den §§ 115, 116 InsO vgl. § 8 Rz. 273 ff.). –
Um sämtlichen Einwänden des Bürgen und sonstigen Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, empfiehlt es sich, rein vorsorglich auch bei diesen Krediten eine Kündigung auszusprechen3.
Liegen die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme des Bürgen vor, steht es dem Gläubiger frei, den Bürgen auf Zahlung in Anspruch zu nehmen, ohne vorher gegen den Hauptschuldner gerichtlich vorzugehen oder etwa den Ausgang des Insolvenzverfahrens abzuwarten. Dies entspricht dem Leitbild des § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
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! Hinweis: Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Gläubiger auch bei Vorliegen einer selbstschuldnerischen Bürgschaft regelmäßig für verpflichtet gehalten wird, den Hauptschuldner zunächst erfolglos unter Fristsetzung zur Zahlung aufzufordern, um den Bürgen sodann, nach fruchtlosem Fristablauf, in Anspruch nehmen zu können. Die Zahlungsaufforderung muss aber jedenfalls dann als entbehrlich angesehen werden, wenn der Hauptschuldner einen Insolvenzantrag gestellt hat, ein allgemeines Verfügungsverbot gegen ihn angeordnet oder sogar bereits das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden ist.
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Haftet für die durch die Bürgschaft abgesicherte Forderung zusätzlich eine Sachsicherheit mit Absonderungskraft und beruft sich der Bürge nicht auf § 773 Abs. 2 BGB, so mindert der Erlös aus der Verwertung des Absonderungsguts abzügl. der Kostenbeiträge grundsätzlich die Hauptforderung und damit den Umfang der Bürgschaft. Dies gebietet das Akzessoritätsprinzip (§ 767 Abs. 2 BGB). Verwertet der Insolvenzverwalter einen Gegenstand in der Weise, dass ihn der absonderungsberechtigte Gläubiger übernimmt (§ 168 Abs. 3 InsO; vgl. hierzu oben Rz. 308), wird ein durch die Weiterveräußerung erzielter Mehrerlös zwar nicht auf die Insolvenzforderung des gesicherten Gläubigers angerechnet, sehr wohl aber im Verhältnis zu einem für die Hauptforderung zusätzlich haftenden Bürgen berücksichtigt. D.h., der Gläubiger kann den Bürgen in Höhe des durch die Weiterveräußerung nach Abzug der Kosten erlangten Mehrerlöses nicht in Anspruch nehmen. Dies gebieten der Schutz des Bürgen sowie die Regelungen der §§ 767 Abs. 1 Satz 3, 776 BGB4. Dieses Verwertungs-
437
1 BGH v. 13. 11. 1990 – IX ZR 217/89, ZIP 1991, 155 (156); OLG Jena v. 5. 4. 2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550 (551 f.). 2 Obermüller, NZI 2001, 225 (226). 3 Obermüller, NZI 2001, 225 (226). 4 BGH v. 3. 11. 2005 – IX ZR 181/05, ZInsO 2005, 1270 (1272 f.).
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§7
Rz. 438
Beratung des gesicherten Gläubigers
szenario ist damit nicht anders zu behandeln als eine Sicherheitenaufgabe im Sinne des erwähnten § 776 BGB. 438
Eine solche Sicherheitenfreigabe dürfte im Übrigen auch dann vorliegen, wenn Insolvenzverwalter und gesicherter Gläubiger über die Pauschalsätze nach § 171 InsO hinausgehende Kostenbeiträge zu Gunsten der Masse vereinbaren. Dies hätte zur Konsequenz, dass ein Bürge bei einer Inanspruchnahme aus der Bürgschaft wegen der zumindest teilweisen Sicherheitenaufgabe die Einrede aus § 776 BGB gegenüber dem gesicherten Gläubiger einwenden kann1.
! Hinweis für den Abschluss von Verwertungsvereinbarungen: Insolvenzverwalter und Sicherungsgläubiger sind daher gut beraten, die Interessen weiterer (Dritt-)Sicherungsgeber zu berücksichtigen und sorgsam zu überprüfen, ob diesen gegenüber Treuepflichten im Hinblick auf die Aufgabe anderweitiger Sicherheiten bestehen. Dann nämlich könnte die Einbindung solcher (Dritt-)Sicherungsgeber ratsam sein. Eine für die Praxis ratsame Alternative könnte darin bestehen, die vereinbarten Kostenbeiträge mit einem erhöhten Aufwand und damit einem Fall des § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO zu rechtfertigen. Ebenso empfiehlt sich die Dokumentation möglicher Anfechtungsrisiken, infolge derer die Vereinbarung eines über die Pauschalsätze hinausgehenden Kostenbeitrags gerechtfertigt war.
439
(b) Zahlungen des Bürgen 440
Erbringt der Bürge seinerseits Zahlungen, so kommt es für die Wirkung seiner Zahlung entscheidend darauf an, ob er seine Leistung vor (Rz. 442) oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Rz. 447) über das Vermögen des Hauptschuldners erbringt.
441
Zahlt der Bürge bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners an den Gläubiger und befriedigt er diesen in voller Höhe, gehen die –
verbürgte Forderung sowie
–
die für sie bestellten akzessorischen Sicherheiten
kraft Gesetzes auf den Bürgen über (§§ 774, 401 BGB). In dem späteren Insolvenzverfahren steht es dem Bürgen sodann frei, die auf ihn übergegangene Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner unbeschränkt geltend zu machen und entsprechend zur Tabelle anzumelden2. Nachdem der Gläubiger in diesem Fall bereits in voller Höhe seiner Forderung befriedigt ist, steht einer Forderungsanmeldung durch ihn das Verbot der Doppelanmeldung durch Gläubiger und Bürgen gemäß § 44 InsO nicht mehr entgegen3. Allein der Bürge nimmt in Höhe der übergegangenen Forderung uneingeschränkt am Insolvenzverfahren teil. 1 OLG Dresden v. 15. 5. 2003 – 18 W 361/03, WM 2003, 2137 m. krit. Anm. Tetzlaff, EWiR 2003, 1259 f. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 1, 3; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 44 Rz. 8; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 4. 3 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 3.
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Personalsicherheiten
Rz. 445
§7
Soweit der Bürge den Gläubiger vor der Insolvenzeröffnung nur bezüglich einer Teilforderung befriedigt hat, können beide, der Gläubiger sowie der Bürge, an dem Insolvenzverfahren teilnehmen1. Der Gläubiger muss sich die bereits erhaltene Teilleistung auf seine Forderung anrechnen lassen und kann nur die ihm verbliebene Restforderung im Insolvenzverfahren anmelden2. Der Bürge selbst ist dazu berechtigt, den auf ihn übergegangenen Teil der Forderung ebenfalls im Insolvenzverfahren anzumelden, letztlich darf er den Forderungsübergang im Rahmen der Insolvenzverteilung aber nicht zum Nachteil des Gläubigers ausnutzen (§ 774 Abs. 1 Satz 2 BGB).
442
Dies führt dazu, dass der Bürge die auf ihn entfallende Quote zwar vereinnahmen kann, die vereinnahmte Quote aber insoweit wieder an den Gläubiger herausgeben muss, als dieser durch die Teilnahme des Bürgen an dem Insolvenzverfahren einen Nachteil erlitten hat. Letztlich muss dem Gläubiger die Quote verbleiben, die auf ihn entfallen wäre, wenn der Bürge am Verfahren nicht teilgenommen hätte3. Da der Bürge dadurch aber nur zur Auszahlung des Quotenminderungsbetrags, nicht hingegen zur Herausgabe der erlangten Dividende insgesamt verpflichtet ist, erscheint die zudem bestehende Möglichkeit des Gläubigers, aufgrund seiner noch offenen Restforderung einen Titel gegen den Bürgen zu erwirken und dessen Regressansprüche gegen den Insolvenzschuldner zu pfänden, soweit der Bürge dem Gläubiger seine vereinnahmte Quote bis zur vollständigen Erfüllung der Bürgschaftsforderungen nicht freiwillig überlässt, i.d.R. günstiger4.
443
! Hinweis: Für den Gläubiger bietet es sich i.d.R. an, aufgrund seiner offenen Restforderung einen Titel gegen den Bürgen zu erwirken und dessen Regressansprüche gegen den Insolvenzschuldner zu pfänden, um dadurch seine Befriedigungsquote im Rahmen eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners zu steigern.
444
Der Bürge selber ist zur Teilnahme an dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners aber nicht verpflichtet, ebenfalls kann ihn der Gläubiger nicht zu einer Teilnahme zwingen. Ob der Bürge letztlich zur Aufbesserung der Quote des Gläubigers beiträgt oder nicht, bleibt mithin seiner freien Entscheidung überlassen, die allerdings bereits durch den Umstand beeinflusst werden dürfte, dass dieser sich weiterhin der noch nicht vollständig bezahlten Bürgschaftsforderung ausgesetzt sieht und diese sich durch eine bessere Insolvenzquote des Gläubigers reduzieren ließe. Sollte die zur Verteilung anstehende Quote ausnahmsweise von wirtschaftlichem Interesse sein, so kann der Gläubiger die Teilzahlung gemäß § 266 BGB auch zurückweisen und die Verfahrenseröffnung abwarten, um sodann die volle Forderung zur Tabelle anzumelden.
445
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 3; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 4; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 44 Rz. 8. 2 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 39, § 44 Rz. 28. 3 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 29. 4 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 30.
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§7
Rz. 446
Beratung des gesicherten Gläubigers
! Hinweis: 446
Bei dieser Überlegung ist seitens des Gläubigers allerdings zu berücksichtigen, dass das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Bürgen im Laufe der Zeit möglicherweise zunimmt, so dass die Annahme der Teilzahlung gegenüber den Vorteilen einer höheren Quote eventuell günstiger sein kann.
446a
Unabhängig von dieser Differenzierung gilt: Zahlungen von Bürgen auf das Kontokorrentkonto der Schuldnerin führen zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Schuldners in Form einer Gutschrift (Gutschrift als Saldoanerkenntnis gemäß §§ 781, 812 Abs. 2 BGB), da es sich bei solchen Zahlungen um Leistungen des Bürgen an das Kreditinstitut handelt. Gelingt dem späteren Insolvenzverwalter nicht der Nachweis, dass den Zahlungen ein anderer Rechtsgrund als die Bürgenverpflichtung zugrunde lag, so können Kreditinstitute die Gutschriften insolvenzfest verrechnen. Einem Anfechtungsanspruch kann die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung des Schuldners (§§ 821, 812 Abs. 2 BGB) entgegengehalten werden1.
447
Soweit der Bürge den Gläubiger im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht befriedigt hat, kann und wird der Gläubiger seine Forderung in voller Höhe zur Tabelle anmelden. Leistet der Bürge nach Verfahrenseröffnung Zahlungen, so hindern diese den Gläubiger gemäß § 43 InsO nicht daran, seine Forderung unabhängig von der geleisteten Teilzahlung in Höhe ihres Standes bei Verfahrenseröffnung anzumelden und auch in dieser Höhe seiner Forderung an dem Verfahren teilzunehmen2. Dabei ist dieser Betrag nicht nur für die Anmeldung, sondern auch für sein Stimmrecht und die Verteilung maßgeblich, womit auch seine Mitwirkungsrechte im Verfahren von den Zahlungen des Bürgen nach Verfahrenseröffnung unberührt bleiben3. Eine Quotenkürzung tritt erst dann ein, wenn die Quote zusammen mit den Teilzahlungen des Bürgen den Gesamtbetrag seiner Forderung übersteigt4.
448
Der Bürge selbst kann seine Regressansprüche, die ihm wegen einer teilweisen Leistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwachsen (§ 774 Abs. 1 BGB), bis zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht anmelden (§ 44 InsO)5. Dabei kommt es auf die Höhe des offenen Restbetrags nicht an. Wird die auf die Gesamtforderung entfallende Quote nicht zur vollen Befriedigung des Gläubigers benötigt, besteht für den Bürgen ein Zugriffsrecht im Hinblick auf den überschießenden Betrag6. 1 OLG Celle v. 5. 4. 2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550 (551). 2 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 8; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 23; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 3; Bitter, ZInsO 2003, 490 m.w.N. Andere Auffassung insbesondere der BGH v. 19. 12. 1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 und Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 7. 3 Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 43 Rz. 10; Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 8. 4 Obermüller, NZI 2001, 225 (226); Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 43 Rz. 10. 5 BGH v. 11. 10. 1984 – IX ZR 80/83, NJW 1985, 1159; BGH v. 19. 12. 1996 – IX ZR 18/96, ZIP 1997, 372; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 1, 3; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 43 Rz. 11; Obermüller, NZI 2001, 225 (226). 6 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 44 Rz. 8.
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Personalsicherheiten
Rz. 452
§7
Hat der Bürge seinerseits den Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens voll befriedigt, scheidet der Gläubiger aus dem Verfahren aus und der regressberechtigte Bürge kann nunmehr die Forderung im Insolvenzverfahren geltend machen, soweit diese nach § 774 BGB auf ihn übergegangen ist. Für eine Anwendung des § 44 InsO, der dem Schutz des ursprünglichen, nunmehr aber befriedigten Gläubigers dient, verbleibt in diesem Fall kein Raum1. Allerdings ist die Geltendmachung nur insoweit statthaft, als der Bürge im Innenverhältnis auch einen Ausgleich vom Insolvenzschuldner zu fordern berechtigt ist. Da die Forderung des Gläubigers auf den Rückgriffsberechtigten übergeht und dieser mithin dieselbe Forderung geltend macht, bedarf es einer erneuten Anmeldung zur Tabelle nicht2. Die Rechtsnachfolge ist allerdings auf entsprechende Anzeige und Nachweis seitens des Bürgen in der Tabelle zu vermerken3.
449
Bestehen zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen Streitigkeiten über die Höhe der Zahlungspflicht und führen diese dazu, dass auch der Bürge seine Forderung im Verfahren mit der Begründung anmeldet, er habe den Gläubiger bereits vollständig befriedigt, sind diese außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären (§ 179 InsO)4. Insoweit ist im ordentlichen Verfahren Klage auf Feststellung gemäß § 180 InsO zu erheben. Die Zuständigkeit des Amts- bzw. Landgerichts am Ort des Insolvenzgericht ergibt sich aus § 180 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO.
450
Steht im Rahmen des Insolvenzverfahrens bereits eine Abschlags- oder Schlussverteilung an, so hat der Gläubiger, soweit seine Forderung aufgrund des Widerspruchs des Bürgen nicht festgestellt werden konnte, innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung der Verteilung dem Insolvenzverwalter die Erhebung der Feststellungsklage nach § 189 InsO nachzuweisen. Soweit der Nachweis geführt wurde, wird der auf die Forderung entfallende Teil für die Dauer des Rechtsstreits zurückbehalten5.
451
Auch auf das Verhältnis von Hauptschuldner und Teilbürge finden die §§ 43, 44 InsO Anwendung, dann jedoch beschränkt auf den Teil, für den die Gesamthaftung besteht6. Hat der Bürge lediglich eine Teilbürgschaft übernommen und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners den vollen Bürgschaftsbetrag gegenüber dem Gläubiger ausgeglichen, wird lebhaft gestritten, ob der Gläubiger seine Forderungsanmeldung in Höhe des empfangenen Betrags zurücknehmen muss. Berücksichtigt man, dass in Höhe des ihm nunmehr noch zustehenden Betrags keine Gesamthaftung mehr besteht, wäre eine Rücknahme konsequent. Die (noch7) h.M. verlangt eine solche daher auch8. Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht endet
452
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 3; Hess, InsO, 1995, § 44 Rz. 9 m.w.N. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 3; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 21. 3 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 21. 4 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 20. 5 Obermüller, NZI 2001, 225 (226). 6 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 9; Hess, InsO, 1995, § 44 Rz. 5. 7 So die Bewertung der aktuellen Meinungsbildung von Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 13. 8 BGH v. 19. 12. 1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 noch zu § 68 KO; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 13.
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§7
Rz. 453
Beratung des gesicherten Gläubigers
die Anwendbarkeit des § 43 InsO erst, wenn der Gläubiger vollständig befriedigt ist1. Um die wesentlich praktikablere Anwendung des § 43 InsO sicherzustellen, empfehlen sich formularvertragliche Vorkehrungen, deren Wirksamkeit sich an den §§ 305 ff. InsO messen lassen müssen. 453
Andernfalls steht es dem Bürgen frei, seine Regressansprüche entsprechend anzumelden, weil die gebotene Kürzung der Gläubigeranmeldung es gestattet, den Rückgriffsanspruch neben der restlichen Forderung des Gläubigers zu berücksichtigen2. Für eine Anwendung der §§ 43, 44 InsO verbliebe dann kein Raum3. Hat der Bürge auf die Teilbürgschaft hin nur einen Teilbetrag der verbürgten Forderung beglichen, so gelten bezogen auf den verbürgten Teil der Gläubigerforderung die oben zur Teilzahlung gemachten Ausführungen entsprechend.
! Hinweis für die Gestaltung von Sicherheitenverträgen: Sicherungsgläubiger sind mit Rücksicht auf diese Unsicherheiten gut beraten, durch AGB-Klauseln die bei Anwendung der herrschenden Meinung erforderliche Rücknahme der Forderungsanmeldung zu umgehen, indem sie klarstellen, dass die Rechte des Gläubigers erst nach seiner vollständigen Befriedigung auf den Sicherungsgeber übergehen und die Zahlungen bis dahin nur als Sicherheit gelten4.
454
(c) Rückgriffsansprüche des Bürgen 455
Neben dem Gläubiger ist es dem Bürgen gemäß § 44 InsO grundsätzlich verwehrt, seine Rückgriffsforderungen, die bereits mit Abschluss des Bürgschaftsvertrags in aufschiebend bedingter Form entstehen, mit den Einschränkungen der §§ 238 Abs. 1 Satz 3, 77 Abs. 2 und 3 Ziff. 1 und 191 InsO im Insolvenzverfahren anzumelden5. Seine Teilnahme hätte zur Folge, dass ein und dieselbe Forderung mehrfach in dem Verfahren geltend gemacht würde, da die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner sowie die Rückgriffsforderung des Bürgen, die dieser durch Befriedigung des Gläubigers erlangen würde, zumindest bei wirtschaftlicher Betrachtung identisch sind6. Demnach ist der Bürge, soweit er gegenüber dem Gläubiger noch keine Zahlungen erbracht hat, grundsätzlich daran gehindert, seine aufschiebend bedingten Regressansprüche im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners geltend zu machen (§ 44 InsO). 1 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 30 f.; Bitter, ZInsO 2003, 490; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 17. 2 Obermüller, NZI 2001, 225 (227). 3 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 6. 4 Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 14 unter Hinweis auf Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 32 und BGH v. 30. 10. 1984 – IX ZR 92/83, NJW 1985, 614. 5 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 2; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 44 Rz. 1 f. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 124; vgl. auch Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 44 Rz. 1; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 1.
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Personalsicherheiten
Rz. 460
§7
(d) Absonderungsrechte des Bürgen Soweit dem regressberechtigten Bürgen z.B. aufgrund einer dinglichen Sicherung des Rückgriffsanspruchs zugleich ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gegenüber der Insolvenzmasse zusteht, findet § 44 InsO im Hinblick auf dieses Absonderungsrecht keine Anwendung1. Lediglich sein Recht als Insolvenzgläubiger wird durch § 44 InsO beschränkt, soweit der Bürge nur sein Absonderungsrecht geltend macht, kann er dies ohne die Beschränkung des § 44 InsO tun. Der Bürge kann daher aus diesem Sicherungsrecht auch dann Befriedigung suchen, wenn der Hauptgläubiger noch nicht voll befriedigt ist und daher weiter nach § 43 InsO in voller Höhe seiner Forderung am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners teilnimmt2.
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(2) Insolvenz des Bürgen Für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bürgen ist zwischen dem Fall der alleinigen Insolvenz des Bürgen (Rz. 458 ff.) und dem Fall, dass sowohl der Bürge als auch der Hauptschuldner insolvent werden (Rz. 463 ff.), zu differenzieren.
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(a) Alleinige Insolvenz des Bürgen Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bürgen führt nicht zur Fälligkeit der Bürgschaftsforderung, solange der Hauptschuldner selbst seinen Verpflichtungen fristgerecht nachkommt. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bürgen eröffnet, kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als Eventualforderung anmelden3. Steht dem insolventen Bürgen die Einrede der Vorausklage zu, kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung daher als aufschiebend bedingte Forderung und zwar durch den Ausfall beim Hauptschuldner aufschiebend bedingte Insolvenzforderung (§ 191 InsO) geltend machen, und zwar in Höhe des Ausfalls4. Die Einrede der Vorausklage würde erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB entfallen.
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Wird eine Abschlagsverteilung vorgenommen, ist die Eventualforderung in Höhe ihres vollen Betrags zu berücksichtigen. Der auf sie entfallende Betrag kommt allerdings nicht zur Auszahlung, sondern wird gemäß § 191 Abs. 1 InsO bei der Verteilung zurückbehalten.
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Im Rahmen der vorzunehmenden Schlussverteilung findet die Bürgschaft in Höhe des Betrags Berücksichtigung, der auf die unbedingte Forderung bei einer berechtigten Inanspruchnahme des Bürgen entfallen würde, soweit der Insolvenzverwalter nicht nachweist, dass der Bedingungseintritt entsprechend
460
1 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 6; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 44 Rz. 4; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 31. 2 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 6; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 31. 3 Obermüller, NZI 2001, 225 (228) m.w.N.; Smid, InsO, § 43 Rz. 3. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 43 Rz. 6; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 11; Obermüller, NZI 2001, 225 (228).
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§7
Rz. 461
Beratung des gesicherten Gläubigers
§ 191 Abs. 2 InsO so weit entfernt liegt, dass der bedingten Forderung kein gegenwärtiger Vermögenswert zugeschrieben werden kann1. Kommt der bedingten Forderung bereits ein Vermögenswert zu, werden die auf sie entfallenden Anteile hinterlegt und bei Bedingungseintritt an den Gläubiger ausgezahlt. Entfällt die Auszahlung aufgrund des Bedingungsausfalls, wird der hinterlegte Betrag für eine Nachtragsverteilung frei. 461
Hat sich der Bürge hingegen selbstschuldnerisch verbürgt oder entfällt die Einrede der Vorausklage aus einem sonstigen Grund (§§ 773 BGB, 349 HGB), kommt es zu einer Haftung des Bürgen neben dem Hauptschuldner, so dass der Grundsatz der Doppelberücksichtigung gemäß § 43 InsO Anwendung findet2. Eine noch nicht fällige Forderung wird in diesem Fall nach § 41 InsO vorzeitig gegenüber dem Bürgen fällig gestellt3. Der Gläubiger kann in der Bürgeninsolvenz sodann die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch bestehende Forderung in voller Höhe anmelden. Zwischenzeitliche Zahlungen des Hauptschuldners oder anderer Mitverpflichteter berühren die Forderungsfeststellung nicht. Letztlich darf der Gläubiger einschließlich der zwischenzeitlichen Zahlungen nur nicht mehr erhalten, als ihm zu seiner vollen Befriedigung zusteht (siehe hierzu oben Rz. 429, 441).
462
In dem über das Vermögen des Ausfallbürgen eröffneten Insolvenzverfahren kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als durch den Ausfall im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners aufschiebend bedingte Forderung anmelden4. (b) Insolvenz des Bürgen und des Hauptschuldners
463
Werden sowohl der Bürge als auch der Hauptschuldner insolvent, kann der Gläubiger an beiden Insolvenzverfahren partizipieren und in beiden Verfahren seine Forderung jeweils in der gesamten Höhe, die ihr im Zeitpunkt der jeweiligen Insolvenzeröffnung zuzuschreiben ist, anmelden und die entsprechende Quote vereinnahmen5. Gemäß § 43 InsO haften beide, der Hauptschuldner sowie der Bürge, jeweils voll für die Befriedigung des Gläubigers6. Eine Kürzung der Quote findet erst dann statt, wenn die Summe der Insolvenzquoten aus beiden Insolvenzverfahren die Höhe der Gesamtforderung übersteigt7. Die Forderungshöhe ist dabei neben der Anmeldung sowohl für das Stimmrecht als auch die Verteilung bestimmend. Es ist weder eine Kündigung des Kredits noch eine Mahnung mit Fristsetzung gegenüber dem Bürgen oder dem Hauptschuldner
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Obermüller, NZI 2001, 225 (228). Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 11. Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 11. Smid, InsO, § 43 Rz. 3; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, § 68 KO Anm. 3. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 43 Rz. 4; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 3. 6 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 2a; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 783, 779; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 3. 7 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 2a; Andres in Nerlich/ Römermann, InsO, § 43 Rz. 3.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 467
§7
erforderlich1. Die Einrede der Vorausklage steht dem Bürgen gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB hier nicht mehr zu. In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Ausfallbürgen kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als durch den Ausfall im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners bedingte Forderung anmelden2.
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(3) Insolvenz des Gläubigers Fällt der Gläubiger seinerseits in Insolvenz, so ist der Insolvenzverwalter berechtigt, die Bürgschaftsforderung zugunsten der Insolvenzmasse bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Inanspruchnahme des Bürgen zu realisieren3. Problematisch stellt sich die Situation dann dar, wenn dem Bürgen seinerseits eine Forderung gegen den Gläubiger zusteht und er nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften zur Aufrechnung gegenüber dem Insolvenzschuldner berechtigt ist. Durch die Aufrechnung befriedigt der Bürge den Gläubiger als Insolvenzschuldner mit der Folge, dass die gesicherte Forderung gemäß § 774 Abs. 1 BGB auf ihn übergeht und der Bürge seine Ansprüche gegenüber dem Hauptschuldner geltend machen kann. Dadurch wird die Hauptverbindlichkeit der Insolvenzmasse entzogen und der Bürge erhält für seine Gegenforderung statt der quotalen Befriedigung nach Maßgabe der Insolvenzquote eine Befriedigung in voller Höhe. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Verwalter der Aufrechnung widersprechen kann4.
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bb) Schuldbeitritt (1) Haftung des Beitretenden Im Unterschied zur Bürgschaft haftet der Dritte im Rahmen eines Schuldbeitritts außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht lediglich akzessorisch für eine fremde Verbindlichkeit, sondern die Verpflichtung des Schuldbeitretenden entwickelt sich vom Zeitpunkt des Beitritts an als eigenständige Verpflichtung gemäß § 422 f. BGB5. Damit steht dem Beitretenden bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Einrede der Vorausklage nicht zu. Der Beitretende haftet von Anfang an neben und nicht nach dem Hauptschuldner. Es handelt sich um einen Fall der freiwillig begründeten Gesamtschuldnerschaft. Daran ändert sich auch aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners nichts.
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Auf das Gesamtschuldverhältnis zwischen Hauptschuldner und Beitretenden finden ebenfalls die Vorschriften der §§ 43, 44 InsO Anwendung6. Dadurch wird auch im Insolvenzverfahren dem in § 421 BGB enthaltenen Grundsatz
467
1 Obermüller, NZI 2001, 225 (227). 2 Smid, InsO, § 43 Rz. 3; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 68 Rz. 4e. 3 Zur Frage der Behandlung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern bei masselosen Verfahren vgl. BGH v. 4. 7. 2002 – IX ZR 97/99, KTS 2003, 111 (114). 4 Vgl. hierzu Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 784 m.w.N. 5 Vgl. Möschel in Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 414 Rz. 21. 6 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 43 Rz. 6.
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§7
Rz. 468
Beratung des gesicherten Gläubigers
Geltung verschafft, wonach der Gläubiger bis zur vollen Befriedigung seiner Forderung von jedem der Schuldner zu fordern berechtigt ist1. Der Gläubiger kann also im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners seine Forderung uneingeschränkt im Insolvenzverfahren geltend machen, ohne wegen der Mithaft seines anderen Schuldners eine Minderung seiner Insolvenzforderung oder eine Einschränkung seiner insolvenzrechtlichen Mitwirkungsrechte hinnehmen zu müssen2. 468
Erfolgen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zahlungen des Dritten, so bleiben diese zunächst unberücksichtigt, da der Schutzzweck des § 43 InsO dem Gläubiger „bis zu seiner vollen Befriedigung“ zuteil werden soll3. Der Schutzzweck des § 43 InsO endet erst in dem Augenblick, in dem der Gläubiger aufgrund der Zahlungen der Mitverpflichteten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der aus dem Insolvenzverfahren erhaltenen Quote, eine Befriedigung erlangt, die den Betrag seiner Forderung übersteigt. Erhält der Gläubiger seitens des Schuldbeitretenden freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung – die dieser neben der Teilnahme am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners gegen den Mithaftenden betreiben kann – Zahlungen, die ihn in Höhe seiner gesamten Forderung befriedigen, erfolgt eine Kürzung der Auszahlung seitens des Insolvenzverwalters, um die Überzahlung des Gläubigers zu verhindern4. Der Ausgleich unter den Mitschuldnern erfolgt sodann nach den für deren Rechtsbeziehung geltenden Vorschriften, der die Stellung des Gläubigers jedoch nicht berührt.
469
Hat der Mitverpflichtete den Gläubiger bereits vor der Verfahrenseröffnung in voller Höhe befriedigt, finden die §§ 43, 44 InsO keine Anwendung, da bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung kein Fall der Mithaft mehr gegeben ist. Der Regressberechtigte kann in diesem Fall von Anfang an in Höhe seiner Regressforderung als Gläubiger am Insolvenzverfahren teilnehmen5.
470
Kam es vor Verfahrenseröffnung zu einer teilweisen Befriedigung des Gläubigers durch den Mithaftenden, so erfolgt auch bereits vor Verfahrenseröffnung der Teilforderungsübergang in entsprechender Höhe auf diesen. Der Gläubiger kann daher nur noch den im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht befriedigten Restbetrag seiner Forderung im Insolvenzverfahren anmelden6.
471
Entsprechend dem oben Dargestellten für den Fall der Bürgschaft findet § 43 InsO auch für den Fall einer lediglich teilweisen Mithaft Anwendung, insoweit aber nur für den entsprechenden, durch den Schuldbeitritt gesicherten Teil1 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 1. 2 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 2; Holzer in Kübler/ Prütting, InsO, § 43 Rz.10; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 33. 3 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 8; Holzer in Kübler/ Prütting, InsO, § 43 Rz. 10; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 33. 4 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 36; Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 8; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 43 Rz. 10. 5 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 27. 6 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 28.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 473
§7
betrag1. Diese Anwendung des § 43 InsO ist allgemein anerkannt. Umstritten ist – wie auch bei der Bürgschaft – die weitere Anwendung von § 43 InsO, wenn einer der Teilbeträge nach Verfahrenseröffnung in vollem Umfang geleistet wird. Während die wohl h.M. für eine Anwendung des § 43 InsO keinen Raum mehr sieht und als Konsequenz hieraus den Gläubiger verpflichtet sieht, seine angemeldete Forderung um den bereits beglichenen Betrag der Teilmithaftung kürzen2, endet für eine im Vordringen befindliche Ansicht die Anwendbarkeit des § 43 InsO erst, wenn der Gläubiger vollständig befriedigt ist3.
471a
In Kenntnis dieser Unsicherheit sind Sicherungsgläubiger gut beraten, entsprechend dem oben zur Bürgschaft Gesagten (Rz. 447) die Rechte des Gläubigers erst nach seiner vollständigen Befriedigung auf den Sicherungsgeber übergehen und die Zahlungen bis dahin nur als Sicherheit gelten zu lassen4.
471b
(2) Rückgriffsansprüche des Beitretenden Im Falle der Gesamtschuldnerschaft steht dem, neben dem Hauptschuldner Mithaftenden, ein aufschiebend bedingter Anspruch gegen den insolventen Hauptschuldner auf Ausgleich der an den Gläubiger gezahlten Beträge zu, welcher sich nach den in deren Innenverhältnis geltenden Vorschriften richtet. Der Ausgleichsanspruch entsteht zwar erst, wenn der Schuldbeitretende den Gläubiger befriedigt und er dabei mehr leistet, als er dazu im Innenverhältnis zum Insolvenzschuldner verpflichtet ist, doch auch die aufschiebend bedingte Forderung könnte bereits im Insolvenzverfahren geltend gemacht und zur Tabelle angemeldet werden (§ 191 InsO).
472
Bei Vorliegen einer Gesamtschuldnerschaft ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich zwar rechtlich gesehen bei der aufschiebend bedingten Rückgriffsforderung des mithaftenden Gesamtschuldners und der Forderung des Gläubigers um zwei unterschiedliche Forderungen handelt. Wirtschaftlich gesehen liegen jedoch, entsprechend der Situation bei Rückgriffsansprüchen des Bürgen, identische Forderungen vor5. Daher untersagt es die Vorschrift des § 44 InsO, dass sowohl der Gläubiger als auch der mithaftende Gesamtschuldner – der Gesamtschuldner lediglich in Form eines aufschiebend bedingten Anspruchs – ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren geltend machen6. Dabei berührt der Ausschluss des Regressanspruchs von der Teilnahme am Insolvenzverfahren gemäß § 44 InsO den Bestand der Forderung selbst nicht7.
473
1 Smid, InsO, § 43 Rz. 12. 2 BGH v. 19. 12. 1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 noch zu § 68 KO; Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 43 Rz. 13; Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 43 Rz. 4. 3 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 30 f.; Bitter, ZInsO 2003, 490; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 17. 4 Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 14 unter Hinweis auf Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 32. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 124; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 1. 6 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 6. 7 Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 16.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 474
Beratung des gesicherten Gläubigers
474
Der Mithaftende kann seine Rückgriffsforderung im Insolvenzverfahren nur dann zur Tabelle anmelden, wenn der Gläubiger seinerseits auf die Geltendmachung seiner Forderung im Insolvenzverfahren verzichtet, z.B. weil er auf die Zahlungsfähigkeit des Mithaftenden vertraut1.
475
Macht der Gläubiger seine Forderung nicht geltend, kann der Mitverpflichtete seinen Rückgriffsanspruch als aufschiebend bedingte Forderung anmelden und unter den, für derartige Forderungen geltenden Beschränkungen, am Verfahren teilnehmen (§ 191 InsO).
476
Ist die Befriedigung des Gläubigers und damit auch die Bedingung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, verbleibt für eine Anwendung des § 44 InsO kein Raum mehr. Die Rückgriffsansprüche nehmen in diesem Fall am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners uneingeschränkt teil2.
477
Hat der Rückgriffsberechtigte seine Rückgriffsforderung hingegen z.B. durch ein Pfandrecht derart abgesichert, dass ihm ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zukommt (§ 50 InsO), so findet auf das Recht zur abgesonderten Befriedigung § 44 InsO keine Anwendung, d.h., der Mithaftende ist insoweit frei, seine Sicherungsrechte neben einer Forderungsanmeldung des Gläubigers im selben Insolvenzverfahren geltend zu machen3. cc) Garantien
478
Im Rahmen einer Garantieerklärung verpflichtet sich der Garant gegenüber dem Gläubiger, für einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg oder das Risiko eines zukünftig eintretenden Schadens einzustehen. In den Rechtsfolgen hat der Garantievertrag mit dem Schuldbeitritt im Unterschied zur Bürgschaft gemein, dass eine selbständige Verbindlichkeit begründet wird, die vom weiteren Schicksal der Forderung gegen den Hauptschuldner unabhängig ist.
479
Handelt es sich um eine Garantie „auf erstes Anfordern“, so ist der Gläubiger dem Garanten gegenüber im Falle der Inanspruchnahme nicht zu einem Nachweis der Fälligkeit der Hauptforderung verpflichtet. Es ist ebenfalls unerheblich, ob der Gläubiger vor der Inanspruchnahme des Garanten den Schuldner vergeblich zur Zahlung aufgefordert oder die Forderung gerichtlich beizutreiben versucht hat. Der Garant ist grundsätzlich auf Verlangen zur Zahlung an den Gläubiger verpflichtet, ohne geltend machen zu können, die Forderung sei im Valutaverhältnis nicht entstanden, nicht fällig oder erloschen. Hierfür wäre ein Rückforderungsprozess erforderlich, den nicht nur der Hauptschuldner, sondern auch der Garant anstrengen kann.
1 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2006, § 44 Rz. 1; Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, § 44 Rz. 12; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 2. 2 Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 44 Rz. 8. 3 Holzer in Kübler/Prütting, InsO, § 44 Rz. 4; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 6.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 483
§7
Allerdings unterliegt das Recht des Gläubigers trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen des Garantiefalls insoweit den Grenzen des Rechtsmissbrauchs, als anzunehmen ist, dass der Gläubiger allein wegen der wirtschaftlichen Krise des Hauptschuldners und nicht wegen des Eintritts des Garantiefalls Zahlung verlangt. Ein Rechtsmissbrauch kann jedoch dann nicht angenommen werden, wenn über das Vermögen des Hauptschuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein allgemeines Verfügungsverbot im Antragsverfahren angeordnet wurde.
480
Die insolvenzrechtlichen Konstellationen bei der gleichzeitigen Mithaft eines Garanten unterscheiden sich im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners nur unwesentlich von denen einer Mithaft des Bürgen bzw. des Schuldbeitretenden (Rz. 428 ff. bzw. 466 ff.). Auf diese finden ebenfalls die §§ 43, 44 InsO Anwendung1. Wird der Hauptschuldner mithin insolvent, haften dieser und der Garant nebeneinander im Sinne von § 43 InsO. Der Gläubiger muss sich daher die Zahlungen, die er seitens des Garanten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners erhält, nicht anrechnen lassen, sondern erhält seine Quote im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners in Höhe des im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehenden Forderungsbetrags2.
481
Liegt ein Fall der Doppelinsolvenz vor, kann der Gläubiger seine Forderung in beiden Insolvenzverfahren in voller Höhe anmelden und erhält auch die Quote jeweils auf die volle Forderung, unabhängig davon, welches Verfahren zuerst eröffnet bzw. beendet wird3. Insoweit gilt das oben zur Bürgschaft (Rz. 463 f.) Gesagte entsprechend.
482
Kommt es ausnahmsweise zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Garanten, kann dieser Fall nicht nach den Regeln über den selbstschuldnerischen Bürgen gelöst werden4, soweit es sich nicht um eine „Garantie auf erstes Anfordern“ handelt und die Haftung des Garanten damit durch die Nichterfüllung seitens des Hauptschuldner bedingt ist. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Garanten wird die Forderung des Gläubigers – im Gegensatz zu dem Fall einer selbstschuldnerischen Bürgschaft – nicht gemäß § 41 InsO vorzeitig fällig, sondern diese kann nur als durch den Eintritt des Garantiefalls aufschiebend bedingte Forderung angemeldet werden5. Erhält der Gläubiger mithin von dem Hauptschuldner zu dem vertraglich vorgesehenen Fälligkeitszeitpunkt eine Zahlung, kommt eine Geltendmachung des Betrags im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Garanten nicht in Betracht. Insoweit gilt das für den Fall der alleinigen Insolvenz des Bürgen Gesagte entsprechend.
483
dd) Patronatserklärung Ein weiteres persönliches Sicherungsinstrument ist die Abgabe einer so genannten Patronatserklärung. Eine solche ist ein spezielles Sicherungs- aber 1 2 3 4 5
Lüdtke in Hamburger Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 10 f. Eickmann in Heidelberger Kommentar, InsO, 4. Aufl. 2007, § 43 Rz. 2 f. Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 8. Lüdtke in Hamburger Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 11. Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 12.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 484
Beratung des gesicherten Gläubigers
auch Finanzierungsmittel1, das (Konzernmutter-)Gesellschaften die Möglichkeit eröffnet, Verbindlichkeiten einer von ihr beherrschten (Tochter-)Gesellschaft auf andere Weise als durch die beschriebenen Sicherheiten abzusichern. 484
Der Begriff der Patronatserklärung umfasst eine Vielzahl von Erklärungen, durch die zwar eine Gesellschaft veranlasst werden soll, für die Schulden einer beherrschten Gesellschaft einzustehen, die jedoch mangels Rechtsbindungswillen oftmals keine rechtliche Verpflichtung für die Muttergesellschaft begründen.
484a
In Rechtsprechung2 und Literatur3 hat sich die Unterscheidung von so genannten harten und weichen Patronatserklärungen herausgebildet. Letztere beinhaltet allenfalls eine mehr oder weniger solide Vertrauenshaftung, an die im Einzelnen hohe Anforderungen zu stellen und die im Rechtsstreit von derjenigen Partei darzulegen und zu beweisen sind, die aus ihr Vorteile ableitet4.
484b
Der Rechtsbindungswille einer harten Patronatserklärung erscheint im Gegensatz dazu klar. Typischer Wortlaut einer solchen5 ist etwa: „Hiermit verpflichtet sich die … als Mehrheitsgesellschafterin (zwecks Abwendung der Überschuldung der . . .) dafür zu sorgen, dass diese Gesellschaft so geleitet und finanziell gestellt wird, dass sie (stets) in der Lage ist, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Auf einen Rückgriff nach Inanspruchnahme durch diese Gesellschaft wird verzichtet.“
485
Sie beinhaltet nach gefestigter Auffassung eine vertraglich übernommene garantieähnliche Ausstattungsverpflichtung für einen Dritten, wobei ein bestimmter Erfolg geschuldet wird6. Erfüllungstauglich ist jede Maßnahme, die insbesondere zu einer Liquiditäts- und/oder Bonitätssicherung des Begünstigten führt. Hierzu gehören nicht nur liquide Mittel wie Geldzufluss etwa durch Darlehen, sondern auch Kapitalerhöhungen und die Bereitstellung von Kreditsicherheiten. Da lediglich aus harten Patronatserklärungen entsprechende Ausstattungsverpflichtungen sicher hergeleitet werden können, soll auf weiche Erklärungen nicht weiter eingegangen werden.
486
Innerhalb der (harten) Patronatserklärungen kann wiederum differenziert werden nach dem Erklärungsempfänger der Patronatserklärung, da diese sowohl gegenüber der
486a
–
auszustattenden (Tochter-)Gesellschaft („konzerninterne Patronatserklärung“) als auch
–
einem Gläubiger gegenüber („konzernexterne Patronatserklärung“) abgegeben werden kann.
Bei einer dem Gläubiger gegenüber abgegebenen konzernexternen Patronatserklärung („ … in der Lage ist, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verpflich1 2 3 4 5
Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.590. BGH v. 8. 5. 2003 – IX ZR 334/01, ZIP 2003, 1097 (1099) m. zahlr. w.N. Kiethe, ZIP 2005, 646 (647). Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 ff.; Kiethe, ZIP 2005, 646 (647). Vgl. die Erklärung, wie sie dem OLG München v. 22. 7. 2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 zur Entscheidung vorlag. 6 Rosenburg/Kruse, BB 2003, 641 ff.
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 486c
§7
tungen aus dem Kredit … gegenüber der … fristgemäß zu erfüllen“) handelt es sich um eine einseitige vertragliche Verpflichtung der Patronin, ohne dass ein Vertrag zu Gunsten des Schuldners im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB vorliegt. Im Rahmen dieser Ausstattungsverpflichtung kann die Schuldnerin frei über den Einsatz der genannten Maßnahmen (Rz. 485) entscheiden. Anders als bei einer Bürgschaft (Rz. 426 ff.), dem Schuldbeitritt (Rz. 466 ff.) und der Garantie (Rz. 478 ff.) besteht grundsätzlich keine unmittelbare Verpflichtung zur Zahlung an den Gläubiger1. Dies ändert sich jedoch mit der Insolvenz der begünstigten Gesellschaft. Dann besteht Einigkeit darüber, dass sich der Anspruch in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des begünstigten Gläubigers umwandelt2. Die Begründungsansätze für die Umwandlung des Primäranspruchs auf Ausstattung in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch sind unterschiedlich. Überwiegend wird von einer Schadenserersatzverpflichtung gemäß §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB ausgegangen, da die Ausstattungsverpflichtung mit der Insolvenz der Gesellschaft unmöglich geworden ist3. Konzerninterne Patronatserklärungen kommen regelmäßig dann zum Einsatz, wenn die (Tochter-)Gesellschaft in der Krise ist und die Geschäftsführung sich vor der Inanspruchnahme wegen drohender Insolvenzverschleppung schützen möchte4. Für sich genommen begründen solche Verpflichtungen keine Rechte der Gläubiger, sie stellen lediglich ein aufschiebend bedingtes Darlehensversprechen gegenüber der Tochtergesellschaft dar5. Der Geschäftsführung ist hiermit aber nur geholfen, wenn sie sich fortwährend davon vergewissert, ob die Patronin auch tatsächlich in der Lage ist, die bestehende oder mögliche Überschuldung zu beseitigen und die zugesagten Finanzmittel auch einfordert. In der Insolvenz der begünstigten Gesellschaft haftet die Patronin dieser bzw. deren Insolvenzverwalter gegenüber unmittelbar. Haftungsbegründend ist die – spätestens mit Insolvenzeröffnung – verletzte Ausstattungsverpflichtung. Inhaltlich ist der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gerichtet. Die Patronin hat den Zustand herzustellen, der bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Ausstattungsverpflichtung bestünde, d.h. der Schuldnerin die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigt, um ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber Dritten zu erfüllen, das Insolvenzverfahren zu beenden und den Geschäftsbetrieb fortzusetzen6. Geltend zu machen ist dieser massezugehörige Anspruch vom Insolvenzverwalter.
486b
Rechtlich gesichert sind diese für den Fall der Insolvenz der (Tochter-)Gesellschaft befürworteten Ansprüche entweder des Insolvenzverwalters (bei kon-
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1 Habersack in Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2005, vor § 765 Rz. 50; BGH v. 30. 1. 1992 – IX ZR 112/91, ZIP 1992, 338 (340). 2 BGH v. 8. 5. 2003 – IX ZR 334/01, ZIP 2003, 1097 (1099); BGH v. 30. 1. 1992 – IX ZR 112/91, ZIP 1992, 338 (340); Kiethe, ZIP 2005, 646 (649). 3 Kiethe, ZIP 2005, 646 (649). 4 Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 (914 f.). 5 Kiethe, ZIP 2005, 646 (649 f.). 6 OLG München v. 22. 7. 2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 (2104).
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§7
Rz. 486d
Beratung des gesicherten Gläubigers
zerninterner Patronatserklärung) oder eines einzelnen Gläubigers1 (bei konzernexterner Erklärung) keineswegs. Dies liegt in erster Linie an einem Urteil des OLG Celle vom 28.6.20002 zum Schicksal einer harten konzerninternen Patronatserklärung in der Insolvenz. Das Gericht konterkarriert die bei Insolvenz der (Tochter-)Gesellschaft von der herrschenden Meinung befürwortete Umwandlung der Ausstattungsverpflichtung in eine unmittelbare Zahlungsverpflichtung, indem es wörtlich ausführt3: „Ein gegebenenfalls zu bejahender Ausstattungsanspruch der Gesellschaft wandelt sich in einem solchen Fall insbesondere nicht in eine Verpflichtung des Erklärenden um, die im Vollstreckungsverfahren befindliche Gesellschaft mit Mitteln zur Befriedigung der Vollstreckungsgläubiger auszustatten.“ Komme es trotz Abgabe einer solchen Patronatserklärung zu einem Insolvenzantrag, könne der verfolgte Unterstützungszweck („Herr … verpflichtet sich gegenüber der Fa. … zur Abwendung der Überschuldung …) entfallen sein. Das ließe den Schluss zu, dass der Sicherungsgeber von seiner Erfüllungsverpflichtung befreit wäre. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Der Sinn der von der Beklagten abgegebenen Erklärung kann bei verständiger Würdigung des Erklärungsinhaltes, §§ 133, 157 BGB, nur darin gesehen werden, die Gesellschaft lebensfähig zu erhalten, mithin den Eintritt des Vermögensverfalls und die Eröffnung eines Konkurses oder Gesamtvollstreckungsverfahrens zu verhindern. Wenn aus welchen Gründen auch immer dieser mit der Erklärung verbundene Zweck nicht erreicht werden kann oder mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens wie hier vereitelt worden ist, besteht eine den Beklagten treffende Verpflichtung zur weiteren Stützung der Gesellschaft nicht mehr.“ 486d
Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, die Form der Patronatserklärung als geeignetes Sicherungs- und Finanzierungsinstrument zu empfehlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn mit Hilfe einer solchen Erklärung ein Ausstattungsanspruch im Überschuldungsstatus zur Abwendung der Überschuldung angesetzt werden soll4. Ungeachtet dieser rechtlichen Unsicherheit vermag das Urteil in der Sache nicht zu überzeugen. Sollte der Ausstattungsanspruch mit der Insolvenz der unterstützten Gesellschaft untergehen, widerspricht dies dem Wesen der Patronatserklärung als Sicherungsmittel, gerade im Fall der Insolvenz des Sicherungsnehmers seine Wirkung zu entfalten. Die Literatur kritisiert das Urteil daher – soweit ersichtlich – erfreulicherweise einhellig5.
486e
Ebenso hat sich das OLG München mit seiner Entscheidung vom 22. 7. 2004 gegen die Rechtsprechung des OLG Celle gewandt und klargestellt, dass ein Untergang der Ausstattungsverpflichtung mit Insolvenzeröffnung der unterstützten (Tochter-)Gesellschaft wegen Zweckvereitelung sinnwidrig sei. Der 1 Die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter könnte allenfalls die Regelung § 92 InsO rechtfertigen. Deren (analoge) Anwendung wird jedoch abgelehnt, vgl. OLG München v. 227.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 (2104 f.) m. zust. Anm. Tetzlaff, EWiR 2005, 31 (32). 2 OLG Celle v. 28. 6. 2000 – 9 U 54/00, NdsRpfl 2000, 309 (310). 3 OLG Celle v. 28. 6. 2000 – 9 U 54/00, NdsRpfl 2000, 309 (310). 4 Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 (914 f.). 5 Tetzlaff, EWiR 2005, 31 (32); Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 (914 f.); Kiethe, ZIP 2005, 646 (650); Paul, ZInsO 2004, 1327 (1328 f.); Wolf, ZIP 2006, 1885 (1891).
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Drees/J. Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 487b
§7
Sicherungszweck einer Patronatserklärung gebiete das Gegenteil und damit den Fortbestand der Ausstattungsverpflichtung in der Insolvenz bzw. deren Umwandlung in einen Schadensersatzanspruch – entweder des Insolvenzverwalters (konzerninterne Patronatserklärung) oder des jeweiligen Gläubigers (konzernexterne Patronatserklärung) – wegen Nichterfüllung. Wegen der Abweichung hatte das OLG München die Revision zugelassen, obwohl die Divergenz mit dem OLG Celle nicht die tragenden Gründe der Entscheidung betraf. Die Literatur hat vergeblich auf eine Klarstellung durch den BGH gehofft1. Denn dieser hat sich in seiner als Sportgate bekannt gewordenen Entscheidung vom 8. 5. 2006 lediglich mit einer ebenfalls streitbefangenen Verlustdeckungszusage befasst (Rz. 486 f) und die Gelegenheit verpasst, diese für die Beratungspraxis immens wichtige Frage zu klären2. Das Gericht hätte hierfür lediglich den für schuldrechliche Verlustdeckungszusagen bejahten Fortbestand in der Insolvenz der (Tochter-)Gesellschaft obiter dicta auf Patronatserklärungen ausweiten müssen. Dies hat es jedoch nicht getan. Teile der Literatur versuchen nun aus der Vergleichbarkeit von schuldrechtlichen Verlustdeckungszusagen auch für harte Patronatserklärungen den Fortbestand der Ausstattungsverpflichtung in der Insolvenz zu bejahen3. Dies mag ein fruchtbarer Erklärungsansatz sein, der jedoch die Bedenken, die Patronatserklärung als Sicherungsinstrument zu empfehlen, nicht ausräumen kann.
486f
d) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens kann der Gläubiger den Mithaftenden weiterhin nach den allgemeinen Regelungen in Anspruch nehmen. Handelt es sich bei dem Mithaftenden um einen Bürgen, so ist zugunsten des Gläubigers zu berücksichtigen, dass auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens die Einrede der Vorausklage, die seit dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB unzulässig war, nicht wieder auflebt.
487
Unbeschadet einer gewährten Restschuldbefreiung verbleiben den Gläubigern nach § 301 Abs. 2 InsO ihre Rechte gegenüber den Mitschuldnern und Bürgen4. Als Konsequenz hieraus verliert der Bürge daher auch die Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB, da die Bürgenhaftung im Rahmen der Restschuldbefreiung nicht zu verwirklichen wäre5.
487a
Nach Beendigung des Verfahrens kann der regressberechtigte Mithaftende seine Ansprüche gemäß § 201 InsO gegenüber dem Hauptschuldner verfolgen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn es zur Aufstellung und Durchführung eines Insolvenzplans oder einer Restschuldbefreiung im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners kam. Denn obwohl die Regressberechtigten nach § 44 InsO daran gehindert waren, neben den Gläubigern
487b
1 Tetzlaff, EWiR 2005, 31 (32). 2 BGH v. 8. 5. 2006 – II ZR 94/05, ZIP 2006, 1199 (Boris Becker/Sportgate) m. ausführl. Bspr. von Wolf, ZIP 2006, 1885 ff. 3 Wolf, ZIP 2006, 1885 ff. 4 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 301 Rz. 16 ff. 5 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 8 Rz. 309.
Drees/J. Schmidt
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§7
Rz. 487c
Beratung des gesicherten Gläubigers
ihre Forderungen im Insolvenzverfahren geltend zu machen, treten die Wirkungen des bestätigten Insolvenzplans gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2 InsO auch gegenüber dem Mitschuldner bzw. dem Bürgen ein1. Ebenfalls müssen die Rückgriffsberechtigten nach § 301 Abs. 2 Satz 2 InsO die Wirkungen der Restschuldbefreiung gegen sich gelten lassen2. Der Hauptschuldner selbst wird gegenüber dem Mitschuldner, dem Bürgen und den sonstigen Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber den Insolvenzgläubigern3.
VI. (Dritt-)Sachsicherheiten 487c
487d
Die für den Schuldbeitritt (Rz. 466) und die Bürgschaft dargestellte Regelung des § 43 InsO gilt nach einhelliger Ansicht auch dann, wenn der mithaftende Dritte neben der persönlichen Mithaftung –
auch dinglich oder
–
nur dinglich mit einem massefremden Gegenstand mithaftet4.
Für eine unterschiedliche Behandlung dieser Fälle im Vergleich zur reinen persönlichen Mithaftung gibt es schlechterdings keinen Grund. Dies ist – soweit ersichtlich – auch nie ernstlich bestritten worden.
VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht 488
Wer Schuldner einer erfüllbaren Verbindlichkeit, seinerseits aber Gläubiger einer fälligen und durchsetzbaren Gegenforderung ist, kann seine Verbindlichkeit durch Aufrechnung erfüllen, §§ 387 ff. BGB. Voraussetzung dafür ist die Gleichartigkeit der Forderungen zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung sowie das Fehlen eines vertraglichen oder gesetzlichen Aufrechnungsausschlusses. Diese allgemeinen Voraussetzungen gelten grundsätzlich auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort.
1. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen der §§ 94 ff. InsO 488a
Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, treten die §§ 94 ff. InsO neben die Regelungen der §§ 387 ff. BGB und schränken diese ein. a) Zeitlicher Anwendungsbereich
489
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bildet die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit der §§ 94 ff. InsO. Wegen des eindeutigen Wortlauts von § 94 InsO kommt eine Anwendung der Vorschriften im Eröffnungsverfahren – etwa in Analogie zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO – auch dann nicht in Betracht, wenn ein 1 2 3 4
Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 18. Lwowski/Bitter in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 44 Rz. 18. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 44 Rz. 8; Smid, InsO, § 44 Rz. 2. RG v. 30.11.1937, RGZ 156, 271 (278); Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 43 Rz. 3; Lüdtke in Hamburger Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 43 Rz. 12 jeweils m.w.N.
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Drees/J. Schmidt/Hoffmann
Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht
Rz. 494
§7
(starker) vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und ein Verfügungsverbot erlassen wurde1. b) Persönlicher Anwendungsbereich Die §§ 94 ff. InsO gelten für Insolvenzgläubiger im Sinne der §§ 38 f. InsO.
490
Keine Gültigkeit hingegen entfalten die Vorschriften für Massegläubiger. Dies gilt selbst dann, wenn ihre Stellung über § 55 Abs. 2 InsO durch den vorläufigen Insolvenzverwalter herbeigeführt wurde. Nach Eintritt bzw. Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 210 InsO) ist zu differenzieren: Für Verbindlichkeiten, die vor der Masseunzulänglichkeit vom Insolvenzverwalter begründet worden sind (Altmasseverbindlichkeiten), greift das Vollstreckungsverbot. Die Vorschriften der §§ 95 und 96 Abs. 1 InsO finden ohne dessen Nr. 3 Anwendung. Dem Gläubiger bleiben somit zumindest diejenigen Aufrechnungspositionen erhalten, welche bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Verwalter bereits bestanden. Demgegenüber können Gläubiger von Neumasseverbindlichkeiten ohne Rücksicht auf die einschränkenden Regelungen der §§ 94 ff. InsO aufrechnen.
491
Die §§ 94 ff. InsO sind nicht auf den Insolvenzverwalter anzuwenden. Seine Aufrechnungsbefugnis richtet sich allein nach den allgemeinen Vorschriften.
492
c) Sachlicher Anwendungsbereich Die §§ 94 ff. InsO finden sowohl auf gesetzliche als auch auf vertraglich vereinbarte Aufrechnungslagen Anwendung. Die Reichweite der zweiten Variante der Norm ist bislang ungeklärt und strittig. Der Begründung des Rechtsausschusses zu Folge sollte ihr nur klarstellende Funktion zukommen2. Da Aufrechnungsabreden im Einzelfall zur Schmälerung der Insolvenzmasse führen können3, befürwortet ein großer Teil der Literatur eine einschränkende Anwendung. Antizipierte Aufrechnungen, nach denen die Aufrechnung vor Verfahrenseröffnung sofort als vollzogen gelten soll, dürften jedenfalls nicht unter den Regelungsgehalt der Norm fallen. Richtigerweise ist die Bedeutung von § 94 2. Alt. InsO in der vertraglichen Modifizierung der Aufrechnungsvoraussetzungen zu sehen, vor allem dahingehend, dass das bloße Bestehen der Forderungen von Insolvenzgläubiger und -schuldner für die Aufrechnung genügt.
493
Die Vorschriften der §§ 94 ff. InsO erfassen nur die Aufrechnung, nicht hingegen die Verrechnung. Einer Verrechnung liegt regelmäßig eine Kontokorrentabrede zugrunde, nach der die einzelnen Ansprüche aus einer Geschäftsbeziehung als unselbstständige Rechnungsposten in den Saldo einer Rechnungsperiode eingehen sollen. Erst der Saldo am Ende der Verrechnungsperiode bestimmt, welcher Partei eine Forderung zusteht (Aktivsaldo). Wichtigster An-
494
1 BGH, Urteil v. 29. 6. 2004 – IX ZR 195/03, ZIP 2004, 1558. Ausführlich: Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 43 f. Anders die Rspr. zu KO und GesO, vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 4. 2. 1994 – 2 U 93/93, ZIP 1994, 798; OLG Dresden, Urteil v. 13. 11. 1997 – 4 U 1837/97, ZIP 1998, 432. 2 Begr. § 106. 3 Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 2, 24.
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§7
Rz. 495
Beratung des gesicherten Gläubigers
wendungsfall ist der Girovertrag des Kunden mit der Bank, in dem eine Verrechnungsvereinbarung getroffen wird, welche eine antizipierte Aufrechnung in Form einer Vorausverfügung enthält. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, regelmäßig aber bereits mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO im Insolvenzeröffnungsverfahren erlischt die Verrechnungsbefugnis. Hingegen bleibt die Berechtigung, mit einer Saldoforderung gegen eine anderen selbständigen Forderung aufzurechnen, im Insolvenzverfahren unter den Voraussetzungen der §§ 94 ff. InsO unberührt1.
2. Die Sicherung bestehender und künftiger Aufrechnungslagen nach §§ 94 f. InsO 495
Die Vorschrift des § 94 InsO erhält eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage aufrecht. Unter den Voraussetzungen des § 95 InsO wird die Aufrechnungsbefugnis des Insolvenzgläubigers auf eine künftige, d.h. nach Verfahrenseröffnung entstehende Aufrechnungslage erweitert. Weitere Regelungen finden sich in den §§ 110 Abs. 3 und 114 Abs. 2 InsO: nach § 110 Abs. 3 kann der Mieter als Gläubiger gegen den Vermieter als Schuldner trotz des Verbotes nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO aufrechnen, da die Vorschrift nur auf §§ 95 und 96 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 InsO verweist. Gleiches gilt gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 InsO für das Dienstverhältnis (Dienstherr als Schuldner) (zum insolvenzrechtlichen Schicksal der betreffenden Verträge vgl. § 8 Rz. 174 ff., 187 f.). a) Die zum Zeitpunkt der Eröffnung bestehende Aufrechnungslage, § 94 InsO
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Die Vorschrift des § 94 InsO schützt das Vertrauen des Forderungsinhabers in die bestehende Rechtslage und sichert seine Rechtsposition vor von ihm unabhängigen Beeinträchtigungen in der Schuldnerliquidität. Insbesondere soll der Gläubiger seine Leistung nicht voll zur Masse erbringen müssen und sich als Gegenleistung lediglich mit der (allzu oft unsicheren) Insolvenzquote zu begnügen haben2. Dies gilt freilich nur, soweit der Gläubiger diese Rechtsposition in unanfechtbarer Weise erlangt hat. aa) Anforderungen an Haupt- und Gegenforderung
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Die Aufrechnungslage besteht, wenn sich eine bereits entstandene und erfüllbare Forderung des Insolvenzschuldners und eine durchsetzbare fällige und einredefreie Gegenforderung des Insolvenzgläubiers gegenüberstehen. Hingewiesen sei darauf, dass die Einrede der Verjährung die Aufrechnung nach Maßgabe des § 215 BGB nicht hindert. bb) Gegenseitigkeitsverhältnis der Forderungen
498
Die Forderungen stehen im Gegenseitigkeitsverhältnis, wenn der Aufrechnende Gläubiger der Gegenforderung und der Schulder Gläubiger der Hauptfor1 Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 9, 28 m.w.N. 2 BGH, Urteil v. 20. 6. 1951 – GSZ 1/51, BGHZ 2, 300, 304 f.
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Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht
Rz. 500
§7
derung ist. Ausnahmen vom Gegenseitigkeitserfordernis in den allgemeinen Vorschriften, etwa in §§ 406, 409 BGB, gelten auch im Insolvenzverfahren. Die Zulassung von vertraglichen Aufrechnungsabreden durch § 94 Alt. 2 InsO lässt auch die Aufrechnung mit der Forderung eines Dritten möglich erscheinen. Der Dritte selbst hingegen ist nur dann aufrechnungsberechtigt, wenn er Träger eines Ablösungsrechts ist, etwa nach § 35b VVG. Den wichtigsten Anwendungsfall bilden die Konzernverrechnungsklauseln, durch welche das Gegenseitigkeitserfordernis zu Gunsten anderer Konzernmitglieder des Gläubigers abbedungen und so die Drittaufrechnung ermöglicht wird. In Literatur und instanzengerichtlicher Rechtsprechung werden derartige Klauseln teilweise für zulässig gehalten1. Der BGH tritt dem mit der herrschenden Literatur2 entgegen und verneint das Vorliegen der Aufrechnungsvoraussetzungen nach den §§ 94 ff. InsO: Die Aufrechnungslage tritt danach erst mit Abgabe der Aufrechnungserklärung durch das entsprechende Konzernmitglied ein, also regelmäßig nach Einleitung des Insolvenzverfahrens3. Das aufrechnende Konzernmitglied ist demnach so zu behandeln, als habe es die zur Aufrechnung gestellte Forderung erst im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung und damit nach Insolvenzeröffnung erworben. Letztlich bringt der BGH damit den in § 96 Abs. 1 InsO niedergelegten Rechtsgedanken von der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger zum Tragen4.
499
cc) Gleichartigkeit der Forderungen Die Forderungen müssen gleichartig sein. Den Maßstab der Gleichartigkeit bildet die Verkehrsanschauung. Begründen währungsverschiedene Forderungen nach den allgemeinen Vorschriften mangels Gleichartigkeit regelmäßig keine Aufrechnungslage5, lässt § 95 Abs. 2 InsO eine Aufrechnung hier ausdrücklich zu, wenn die Währungen am Zahlungsort der Gegenforderung frei tauschbar sind. Die Umrechnung erfolgt nach dem dortigen Kurswert zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung. Entgegen der systematischen Verortung gilt diese Regelung auch für die vor Einleitung des Eröffnungsverfahrens entstandene Aufrechnungslage nach § 94 InsO6.
1 OLG Frankfurt/M., Beschluss v. 22. 1. 2003 – 21 U 7/02, NZI 2003, 346; Brandes in Münchener Kommentar zum InsO, § 94 Rz. 39. 2 Kroth in Braun, InsO § 94 Rz. 33. 3 Lüke in Kübler/Prütting, InsO § 94 Rz. 77. 4 BGH, Urteil v. 15. 7. 2004 – IX ZR 224/03, NJW 2004, 3185, 1764 im Anschluss an BGH, Urteil v. 3. 6. 1981 – VIII ZR 171/80, BGHZ 81, 15; BGH, Urteil v. 13. 7. 2006 – IX ZR 152/04, DZWiR 2007, S. 29, zustimmend Lieder, DZWiR 2007, 13, 15. Rendels/ Tetzlaff, EWiR 2003, 773, 774; Rendels, ZIP 2003, 1583, 1586 f; Adam, WM 1998, 801, 803 f.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl., Rz. 6.146; Kroth in Braun, InsO § 94 Rz. 24. 5 Strittig: für eine Anwendung des Rechtsgedankens von § 95 Abs. 2 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens: Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 95 Rz. 42. 6 Adam, WM 1998, 801, 803; Blersch/von Olshausen in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsR, § 95 Rz. 12; Brandes in MünchKomm, § 95 Rz. 35; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 16.
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§7
Rz. 501
Beratung des gesicherten Gläubigers
b) Eintritt der Aufrechnungslage im Verfahren, § 95 InsO 501
Die Vorschrift des § 95 InsO soll denjenigen Inhaber einer bestehenden, aber bedingten oder noch nicht fälligen Forderung schützen, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf vertrauen durfte, dass er sich durch eine später eintretende Aufrechnungslage Befriedigung verschaffen kann. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO gilt dies allerdings nur dann, wenn die Aufrechnungsvoraussetzungen in der Gegenforderung des Insolvenzgläubigers vor Fälligkeit und Unbedingtheit der Hauptforderung eintreten1.
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§ 95 Abs. 1 Satz 1 InsO erlaubt dem Insolvenzgläubiger die Aufrechnung auch dann, wenn die Fälligkeit zwar erst nach Verfahrenseröffnung aber vor der Fälligkeit der Forderung des Schuldners eintritt (§ 95 Abs. 1 Satz 3 InsO). Die Vorschrift des § 41 InsO findet keine Anwendung, vgl. § 95 Abs. 1 S. 2 InsO.
503
Darüber hinaus hält § 95 Abs. 1 2. Fall InsO auch für das Insolvenzverfahren die Aufrechnungsmöglichkeit nach Bedingungseintritt offen. Nach dem Rechtsgedanken des § 96 Abs. 1 InsO soll dies für gesetzlich bedingte Forderungen allerdings nur dann gelten, wenn das Rechtsverhältnis dem Grunde nach bereits vor Insolvenzeröffnung angelegt war und Vorwirkungen entfaltete2.
504
Wegen § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO, der zwar auf die §§ 41 und 45 InsO verweist, nicht aber auf § 42 InsO,werden auflösend bedingte Forderungen des Insolvenzgläubigers nicht erfasst.
505
Die Zulassung von nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretender Gleichartigkeit durch § 95 Abs. 1 S. 1 InsO stößt weitgehend auf Kritik, da der Gläubiger gerade nicht auf den Eintritt der Gleichartigkeit vertrauen kann3. Eine Umrechnung ungleichartiger Forderungen nach § 45 Satz 1 InsO jedenfalls wird durch § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO ausgeschlossen. Der Insolvenzgläubiger sollte prüfen, ob er die Gleichartigkeit der Forderungen durch eine Gestaltungserklärung herbeiführen kann. Allerdings hat er dabei die Grenze der missbräuchlichen Rechtsausübung zu beachten, die im Falle einer unberechtigten Kündigung zur Herstellung der Gleichartigkeit von Haupt- und Gegenforderung überschritten sein dürfte. Gleiches gilt für den Fall, des Vertragsbruchs durch den Insolvenzgläubiger, um seine geschuldete Naturalleistung in eine auf Geld gerichtete und somit aufrechenbare Schadenersatzforderung umzuwandeln4. In Frage kommt damit die Aufrechnung regelmäßig nur bei vertragsverletzenden Handlungen, die einen ursprünglich nicht auf Geld gerichteten Anspruch in einen solchen umwandeln5.
1 Speziell zur Lage bei Abtretungen: BGH, Urteil v. 15. 10. 2003 – VIII ZR 358/02, WuB VI C § 95 InsO 1.04 mit Anm. Mankowski. 2 Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 95 Rz. 4; Lüke in Kübler/Prütting, § 95 Rz. 18. 3 Hess, InsO, § 95 Rz. 25; Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 95 Rz. 36. 4 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 95 Rz. 22; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 95 Rz. 8. 5 Kroth in Braun, InsO, § 95 Rz. 15; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 95 Rz. 8.
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Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht
Rz. 510
§7
3. Aufrechnungserklärung Die Aufrechnung erfordert eine unbedingte und zeitlich unbestimmte Aufrechnungserklärung, § 388 BGB. Sie kann auch konkludent abgegeben werden, etwa durch die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts bei beiderseitigen Geldforderungen1.
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Zeitlich kann die Aufrechnungserklärung erst mit Eintritt der Aufrechnungslage wirksam abgegeben werden. Eine vom Insolvenzgläubiger vor Eintritt der Aufrechnungslage abgegebene Aufrechnungserklärung ist daher unbedingt zu wiederholen2, was insbesondere für die Aufrechnungslage nach § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO von Bedeutung ist. Ein zeitlicher Druck, die Aufrechnungserklärung schnellstmöglich abzugeben, besteht allerdings nicht. Eine Ausnahme mag für die Aufrechnung durch den konzerninternen Nichtgläubiger gelten, der sich vor Einleitung des Eröffnungsverfahrens erklären sollte.
507
Als Verfügungsgeschäft setzt die Aufrechnungserklärung Verfügungsbefugnis des Erklärenden bei ihrer Abgabe voraus. Geht die Verfügungsbefugnis nach Eintritt der Aufrechnungslage auf den Insolvenzverwalter über, so ist nur dieser zur Aufrechnung befugt. Gleiches gilt für die Empfangszuständigkeit: Nach der Verfahrenseröffnung oder der Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach §§ 21 Abs. 2, 22 Abs. 1 InsO ist die Aufrechnungserklärung gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter abzugeben, nicht mehr gegenüber dem Schuldner.
508
Im Übrigen gelten die allgemeinen Vorschriften auch im Insolvenzverfahren: Hat der Insolvenzgläubiger mehrere Forderungen, kann er bestimmen, mit welcher er die aufrechnet, § 396 Abs. 1 Satz 1 BGB. Wird die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt oder widerspricht der Aufrechnungsgegner unverzüglich, so gilt gemäß § 396 Abs. 1 Satz 2 BGB die Vorschrift des § 366 Abs. 2 BGB. Besteht die Hauptforderung des Insolvenzgläubigers aus Hauptleistung, Zinsen und Kosten, greift gemäß § 396 Abs. 2 BGB die Regelung des § 367 BGB ein.
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4. Aufrechnungverbote, insbesondere § 96 InsO An der Aufrechnungsbefugnis mangelt es, wenn der Aufrechnung ein gesetzliches oder vertragliches Aufrechnungsverbot entgegensteht. a) Anwendbarkeit der allgemeinen Regelungen Die allgemeinen Vorschriften hierzu gelten im Insolvenzverfahren uneingeschränkt fort3.
1 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 33. 2 BGH, Urteil v. 12.10. 1983, WM 1983, 1359. 3 Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 94 Rz. 18; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 22.
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§7
Rz. 511
Beratung des gesicherten Gläubigers
aa) Gesetzliche Aufrechnungsverbote 511
Vor allem bei vertraglich vereinbarten Aufrechnungsbefugnissen i.S.v. § 94 2. Alt InsO sind gesetzliche Aufrechungsverbote mit drittschützender Wirkung zu beachten, die unbedingt zur Unzulässigkeit der Aufrechnung führen1. Unzulässig ist etwa die Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung, § 393 BGB2, oder gegen unpfändbare Forderungen, § 394 BGB.
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In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht ist die Aufrechnung der Gesellschafter gegen die Einlageforderung einer Kapitalgesellschaft unstatthaft, vgl. § 19 Satz 2 Abs. 2 GmbHG, §§ 66 Abs. 1 Satz 2, 278 Abs. 3 AktG, § 22 Abs. 5 GenG. Auch gegen den Rückforderungsanspruch der Gesellschaft aus §§ 30, 31 Abs. 1 GmbHG (vgl. § 4 Rz. 277 ff.) kann der Gesellschafter nicht aufrechnen3. Nach zutreffender Ansicht ist dem Gesellschafter in der Insolvenz des Unternehmens darüber hinaus die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Rückgewähr eines kapitalersetzenden Darlehens verwehrt. Gleiches gilt für den selbstschuldnerisch für die Gesellschaft bürgenden Gesellschafter4. Ableiten lässt sich dieses Verbot nicht nur aus den Vorschriften über den Kapitalersatz, sondern auch aus § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO i.V.m. § 390 BGB. bb) Vertragliche Aufrechnungsverbote
513
Die Parteien können auch individualvertraglich Aufrechnungsverbote vereinbaren. Übliche Handelsklauseln wie etwa „zahlbar netto Kasse gegen Rechnung und Verladepapiere“ oder „zahlbar innerhalb von 30 Tagen dato Faktura rein netto Kasse“ oder „cash on delivery“ schließen die Aufrechnung aus5. Wird bei Einrichtung eines Kontos vom Kontoinhaber offen gelegt, dass das Konto treuhänderisch geführt wird, um Fremdgelder aufzunehmen, ist die Aufrechnung regelmäßig abbedungen6. Im Einzelfall ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein vertragliches Aufrechnungsverbot auch für den Fall der Insolvenz des Aufrechnungsgegners gelten soll. Führt ein solches Verbot dazu, dass der Schuldner seine Gegenforderung wegen des Vermögensverfalls des Gläubigers 1 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 40. 2 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 22; Bernsau in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 17; BGH, Urteil v. 24. 11. 1998 – VI ZR 388/97, ZIP 1999, 105 = MDR 1999, 228. 3 BGH, Urteil v. 27. 11. 2000 – II ZR 83/00, BGHZ 146, 105 = ZIP 2001, 157 = MDR 2001, 463; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 19. 4 BGH, Urteil v. 6. 11. 1989 – II ZR 62/89, ZIP 1990, 53 = MDR 1990, 517; OLG München, Urteil v. 16. 12. 1987 – 15 U 3748/87, ZIP 1989; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 94 Rz. 25; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 19; Brandes in MünchKomm, § 94 Rz. 24 m.w.N.; Bernsau in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 23; a.A. Eickmann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 14. 5 BGH, Urteil v. 15. 6. 1954 – I ZR 6/53, BGHZ 14, 61; BGH, Urteil v. 22. 1. 1957 – VIII ZR 72/56, BGHZ 23, 131; BGH, Urteil v. 19. 9. 1984 – VIII ZR 108/83, ZIP 1984, 1497 = MDR 1985, 667 = WM 1984, 1572; Bernsau in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 18; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 27 m.w.N. 6 BGH, Urteil v. 25. 6. 1973 – II ZR 104/71, BGHZ 61, 72; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.87 f.
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Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht
Rz. 517
§7
später nicht mehr durchsetzen kann, wird man dies regelmäßig bejahen müssen1. Wird ein Aufrechnungsverbot in AGB vereinbart, so hängt die Wirksamkeit der Klausel von §§ 307 Abs. 1 u. 2, 309 Nr. 3 BGB ab. Der Ausschluss der Aufrechnung mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen ist unwirksam. Ebensowenig entfalten für den Fall der Insolvenz des Klauselverwenders vereinbarte Aufrechnungsverbote Wirksamkeit2. Dies gilt im Übrigen auch für Individualvereinbarungen, sofern die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung entscheidungsreif ist3.
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b) Die besonderen Aufrechnungsverbote des § 96 InsO Die unabdingbare Vorschrift des § 96 InsO schließt die Aufrechnung für Konstellationen aus, in denen ihre Voraussetzungen bei Verfahrenseröffnung noch nicht in dem durch § 95 InsO geschützten Kern vorlagen. Dadurch soll die Insolvenzmasse geschützt und eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung ermöglicht werden. Zum anderen wird dem Gesichtspunkt der Trennung von Insolvenzmasse und freien Vermögen des Schuldners Rechnung getragen.
515
Die Aufrechnungsbefugnis der Gläubiger von Masseverbindlichkeiten bleibt davon unberührt. Doch greift § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO nach Eintritt und Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 208 ff. InsO) für Neumasseansprüche: Die Aufrechnung des Massegläubigers mit vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstandenen Forderungen gegen Neumasseansprüche ist ausgeschlossen (näheres zu § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO siehe Rz. 520 ff.)4.
516
Nach zutreffender Auffassung gelten die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 InsO nicht für Aufrechnungslagen, die im Eröffnungsverfahren geschaffen worden sind5. Für das allgemeine Aufrechnungsverbot des § 55 Nr. 1 KO hatte der BGH dies schon vor Inkrafttreten der InsO unter Hinweis auf die Neuregelung in § 96 InsO entschieden6.
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1 BGH, Urteil v. 20. 12. 1956 – II ZR 177/55, BGHZ 23, 17 zur Schiedsklausel; BGH, Urteil v. 6. 7. 1978 – II ZR 65/77, NJW 1978, 2244 = MDR 1979, 37; BGH, Urteil v. 12. 10. 1983 – VIII ZR 19/82, ZIP 1983, 1473 = MDR 1984, 482; Bernsau in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 21; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 28 m.w.N. 2 BGH, Urteil v. 14. 12. 1983 – VIII ZR 352/82, BGHZ 89, 189 = ZIP 1984, 190 = MDR 1984, 574; OLG Hamm, Urteil v. 18. 10. 1982 – 2 W 29/82, ZIP 1983, 187; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 94 Rz. 22; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 28, jew. m.w.N. 3 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 28. 4 BGH, Urteil v. 18. 5. 1995 – IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38 = ZIP 1995, 1204 = MDR 1995, 1225; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 96 Rz. 16; Kroth in Braun, InsO, § 96 Rz. 3. 5 BGH, Urteil v. 29. 6. 2004 – IX ZR 195/03, ZIP 2004, 1558; Kroth in Braun, InsO, § 96 Rz. 4; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 96 Rz. 23; Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 94 Rz. 80 ff. 6 BGH, Urteil v. 4. 6. 1998 – IX ZR 165/97, ZIP 1998, 1319 = NJW 1998, 2538.
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§7
Rz. 518
Beratung des gesicherten Gläubigers
aa) Gegenseitigkeit nach Eröffnung (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO) 518
Die Aufrechnung ist unzulässig, wenn die Hauptforderung des Schuldners gegen den Gläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). In diesem Falle fehlt es an schutzwürdigem Vertrauen des Insolvenzgläubigers, da er bei Insolvenzeröffnung nicht mit einer Aufrechnungslage rechnen konnte.
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Hauptanwendungsfall ist die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO. Eine Aufrechnung mit einem vor Verfahrenseröffnung begründeten Anspruch lässt der BGH nicht zu1. Anderes gilt hingegen bei teilweiser Vertragserfüllung: Hat der Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung die ihm aufgrund eines gegenseitigen Vertrages obliegende Leistung teilweise erbracht, wird der dieser Teilleistung entsprechende Anspruch auf die Gegenleistung durch die Verfahrenseröffnung nicht berührt2. Lehnt der Insolvenzverwalter nach § 103 InsO die Erfüllung eines Kaufvertrages ab, für den der Schuldner bereits vor Verfahrenseröffnung eine Anzahlung geleistet hat, so ist der Rückzahlungsanspruch bereits zu diesem Zeitpunkt – also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – aufschiebend bedingt entstanden. Eine Aufrechnung mit dieser Forderung ist daher nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 ausgeschlossen3. Gleiches gilt nach zutreffender Auffassung auch für den Anspruch des Insolvenzverwalters auf Herausgabe des Übererlöses aus der Verwertung eines zur Sicherheit übertragenen Grundstücks4 (ausführlich zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters § 8 Rz. 10 ff.). bb) Erwerb der Gegenforderung nach Eröffnung (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO)
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Zur Verhinderung von Manipulationen zum Nachteil der Insolvenzmasse schließt § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Aufrechnung mit einer Forderung aus, die der Gläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworben hat. Dies gilt auch für Gegenforderungen, die vor Verfahrenseröffnung an einen Dritten abgetreten und erst nach Verfahrenseröffnung zurückerworben wurden5. Eine Ausnahme soll nach vereinzelt vertretener Auffassung dann gelten, wenn der Rückerwerb – wie etwa bei der Sicherungszession oder dem Factoring – von vornherein vorgesehen war6. Dem Zweck der Vorschrift dürfte dies entsprechen.
521
Anderes gilt jedoch dann, wenn Erwerb und Rückerwerb im Rahmen einer Sicherungsabrede nach Verfahrenseröffnung liegen. Hier wird durch den Rück1 BGH, Urteil v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99; BGHZ 150, 353 ff. 2 BGH, Urteil v. 4. 5. 1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 = ZIP 1995, 926 = WM 1995, 1116; BGH, Urteil v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99; BGHZ 150, 353 ff. 3 BGH, Urteil v. 3. 12. 1954 – V ZR 96/53, BGHZ 15, 333; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 96 Rz. 9. 4 OLG Stuttgart, Urteil v. 21. 9. 1988 – 1 U 23/88, ZIP 1988, 1379 = WM 1989, 945 für den Fall der treuhänderisch zur Sicherheit übertragenen Grundschuld an eine Bank; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 96 Rz. 9. 5 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 96 Rz. 21; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 96 Rz. 15; Kroth in Braun, InsO, § 96 Rz. 11. 6 Bernsau in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 96 Rz. 13.
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Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht
Rz. 525
§7
erwerb die Lage hergestellt, die bei Verfahrenseröffnung bestand. Gleiches gilt für das Factoring1. Darüber hinaus muss die Aufrechnung zulässig sein, wenn eine Forderung zurückerworben wird, die vor Verfahrenseröffnung zum Inkasso oder aufgrund einer vergleichbaren uneigennützigen Treuhandabrede übertragen worden ist, da eine solche Forderung wirtschaftlich beim Zedenten verbleibt2. cc) Forderungserwerb durch anfechtbare Rechtshandlung (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO) Die Herbeiführung der Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung führt ebenfalls zum Aufrechungsausschluss, vgl. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gläubiger selbst oder ein Dritter die Rechtshandlung vornahm. Der Kern der Regelung liegt damit im Anfechtungsrecht nach den §§ 129 ff. InsO, nicht etwa nur nach § 130 InsO3, aus denen sich die materielle Anfechtbarkeitswertung ergibt. Gleichwohl bedarf es einer Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nicht. Die Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung ergibt sich vielmehr ipso iure mit Verfahrenseröffnung4.
522
dd) Vermögenstrennung (§ 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO) Die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO dient der Klarstellung: Der Gläubiger kann gegenüber der Insolvenzmasse – selbstverständlich – nicht mit einer Forderung aufrechnen, die aus dem freien Vermögen des Schuldners zu bedienen ist. Eine Aufrechnung scheidet bereits nach § 80 InsO aus.
523
ee) Ausnahme nach § 96 Abs. 2 InsO § 96 Abs. 2 InsO nimmt Verfügungen über Finanzsicherheiten sowie Verrechnungen aus bankrechtlichen Verträge von den dargestellten Aufrechnungsbeschränkungen aus und verfolgt somit das Ziel, die Funktionsfähigkeit von Zahlungs- und Abrechnungssystemen von Gläubigerbanken im Interbankenverkehr aufrechtzuerhalten5. Der Terminus Verrechnung erfasst dabei sowohl gesetzliche als auch vertraglich herbeigeführte Aufrechnungslagen. Die Verrechnung hat allerdings spätestens bei Verfahrenseröffnung zu erfolgen6.
524
5. Rechtsfolgen der Aufrechnung a) Auswirkungen auf Forderung und Nebenrechte Durch die Aufrechnungserklärung erlöschen die Forderungen des Insolvenzgläubigers und die gegen ihn bestehende Forderung des Schuldners (Aufrech1 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 96 Rz. 22; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 96 Rz. 15. 2 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 96 Rz. 23. 3 OLG Dresden, Urteil v. 30. 8. 2001 – 13 U 953/01, DZWIR 2001, 470 m.w.N. auch zur Gegenmeinung. 4 BGH, Urteil v. 12. 7. 2007 – IX ZR 120/04, ZIP 2007, 1467, 1468. 5 Hess, InsO, § 96 Rz. 89. 6 Kroth in Braun, InsO, § 96 Rz. 16.
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525
§7
Rz. 526
Beratung des gesicherten Gläubigers
nungsgegners) rückwirkend zum Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage in der Höhe, in der sie sich decken, § 389 BGB. Hieraus folgt zugleich, dass sich die Forderungen bis zur Aufrechnungserklärung selbstständig gegenüberstehen. Hat also der Gläubiger an den Insolvenzverwalter im Unwissen um das Bestehen der Aufrechnungslage geleistet, so ist ihm die Rückforderung der Leistung verwehrt, da der Gläubiger mit Rechtsgrund – nämlich auf die Forderung des Schuldners – geleistet hat. Die Aufrechnung ist keine Einrede im Sinne des § 813 BGB, sondern ein Gestaltungsrecht. 526
Wegen der Rückwirkung der Aufrechnungserklärung auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage entfallen eine vertragliche Verzinsung und Verzug ebenfalls rückwirkend zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage. Rücktritt und Kündigung wegen Nichterfüllung werden unwirksam, wenn eine Aufrechnungslage bestand und die Aufrechnung unverzüglich nachgeholt wird1. Etwa bezahlte Verzugszinsen sind nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts zurückzuzahlen2.
527
Grundsätzlich setzt die zulässige Aufrechnungserklärung das Fortbestehen der Aufrechnungslage voraus. Die allgemeinen Vorschriften kennen hierzu jedoch Ausnahmen zum Schutz des Vertrauens in die Aufrechnungslage. So bleibt die Aufrechnungsmöglichkeit bei Eintritt von Umständen erhalten, auf die der Berechtigte ohne Einfluss ist (vgl. etwa §§ 392 und 406 BGB). So sind Mithaftende berechtigt, ihre Leistung zu verweigern, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegenüber dem Hauptschuldner befriedigen kann, etwa der Bürge nach § 770 Abs. 2 BGB, der Gesellschafter einer Personengesellschaft nach § 129 HGB sowie der Hypothekenschuldner und Verpfänder nach §§ 1137 Abs. 1 bzw. 1211 Abs. 1 BGB. b) Auswirkungen auf die Beteiligung am Insolvenzverfahren
528
Der aufrechnungsberechtigte Insolvenzgläubiger muss seine Forderung nicht zur Tabelle anmelden. Seine Teilnahme am Insolvenzverfahren (vgl. § 6 Rz. 278 ff.) bleibt jedoch unbeschadet der Selbstexekutionsbefugnis möglich3 und hat den Vorteil, dass ihm für den Fall des Bestreitens der Aufrechnungsbefugnis bzw. bei einer nur partiellen Schuldtilgung durch die Aufrechnung für den übrigen Teil die Aussicht auf die Quote verbleibt. Darüber hinaus können für ihn auch die allgemeinen Informations- und Einsichtrechte von Interesse sein.
529
Übersteigt die Forderung des Insolvenzgläubigers die Forderung der Masse, so dass die Insolvenzforderung nur teilweise getilgt wird, kann der zur Aufrechnung berechtigte Insolvenzgläubiger auch seine volle Forderung anmelden, hierauf die Quote erhalten und erst dann aufrechnen. Eine der Vorschrift des § 52 InsO vergleichbare Regelung, die den zur Tabelle angemeldeten Anspruch auf den Ausfall beschränken würde, existiert für die Aufrechnung nicht. In diesem Falle sollte der Insolvenzverwalter die Initiative ergreifen und die Aufrechnung 1 Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 34. 2 Bernsau in Frankfurter Kommnentar zur InsO, § 94 Rz. 29. 3 Nerlich/Römermann/Wittkowskij, InsO, Rz. 32.; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 Rz. 30.
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Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht
Rz. 531
§7
erklären, um die Quote des Insolvenzgläubigers auf den überschießenden Teil seiner Forderung zu beschränken1. Andernfalls bleibt er auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs beschränkt, dessen Eingreifen schon deshalb zweifelhaft erscheint, weil der Insolvenzgläubiger lediglich von den ihm verliehenen gesetzlichen Rechten Gebrauch macht.
6. Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz Von der Aufrechnung zu unterscheiden ist das Zurückbehaltungsrecht des Schuldners. Es gibt dem Schuldner eine aufschiebende Einrede, § 273 Abs. 1 BGB, und führt nicht zum Erlöschen der Schuld. Wegen dieses Unterschieds zur Aufrechnung führen gesetzliche Aufrechnungsverbote nicht zwangsläufig zum Verbot der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts. Abzustellen ist vielmehr auf den Zweck des Aufrechnungsverbotes. Soll es die Wirkungen der Zurückbehaltung ausschließen, erstreckt sich das Verbot auch auf die Einrede. Für § 393 BGB ist diese Wirkung anerkannt. Im Übrigen ist darauf abzustellen, ob die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes der Aufrechnung gleichkäme. Dann ist auch die Einrede unzulässig2.
530
Abgesehen davon, dass bestimmte Zurückbehaltungsrechte nach § 51 Nr. 2 und 3 InsO zu einem Absonderungsrecht führen können (siehe oben Rz. 488 ff.), ist das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB nicht insolvenzfest, d.h. im Insolvenzverfahren ohne Wirkung3.
531
1 Eckardt, ZIP 1995, 257; Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 94 Rz. 109 f.; Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, § 94 InsO Rz. 35 m.w.N. 2 Heinrichs in Palandt, BGB, § 273 Rz. 14 m.w.N. 3 BGH, Urteil v. 7. 3. 2002 – IX ZR 457/99, BGHZ 150, 138 = ZIP 2002, 858 = MDR 2002, 907 = WM 2002, 971; Heinrichs in Palandt, BGB, § 273 Rz. 20.
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§ 8 Beratung bei gegenseitigen Verträgen Rz.
Rz.
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Allgemeines/Problemstellung . 2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 91 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . 95 a) Teilbare Leistungen . . . . . . . 95 b) Vorleistung des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO . . 107 5. Praxistipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
7
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO . . . 10 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . a) Gegenseitiger Vertrag . . . . . . aa) Begriff der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht . . . . . . . . . . . . . cc) Nicht von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht . . . . . . b) Beiderseits nicht vollständige Erfüllung . . . . . . . . . 3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufforderung zur Wahlrechtsausübung . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Praxistipp/Musterschreiben . . .
10 15 15 15
16
17 20 28 35 40 47 54 64
III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO . 68 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 2. Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzleistungen . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . .
68 71 71 75 80 80 87
IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO . . . . . . . 114 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 114 2. Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO . . . . . . 141 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . 142 VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 144 2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO . . . . 148 3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO . . . . 152 4. Praxistipp/Musterschreiben . . . 172 VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 174 2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . 181 a) Miete und Pacht von Immobilien und Räumen . . 181 b) Dienstverträge . . . . . . . . . . . . 187 c) Finanzierte Mobilienmietund Pachtverträge (Leasing) 189
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§8
Rz. 1
Beratung bei gegenseitigen Verträgen Rz.
Rz.
d) Darlehensverträge . . . . . . . . 192a 8. Zwischenvermietung . . . . . . . . 268b 3. Rang der Ansprüche, § 108 9. Praxistipp/Musterschreiben . . . 269 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 VIII. Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, 4. Insolvenz des Mieters oder §§ 115, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . 273 Pächters, § 109 InsO . . . . . . . . . 203 a) Kündigungsrecht des 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 273 Insolvenzverwalters . . . . . . . 203 2. Tatbestandsvoraussetzungen, b) Schadensersatzanspruch §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO 275 des Vermieters nach § 109 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . . . . . . . 214 4. Notgeschäftsführung, §§ 115 aa) Vorzeitige Beendigung . 214a Abs. 2, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . 285 bb) Abwicklungsverhältnis 216a 5. Unverschuldete Unkenntnis c) Wohnraummiete des der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . 217 116 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . 288 d) Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . 222 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . 289 e) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 IX. Erlöschen von Vollmachten, Abs. 2 Satz 2 InsO . . . . . . . . . 226 § 117 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 f) Erklärungsverlangen . . . . . . . 227 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 292 5. Insolvenz des Vermieters oder 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . 294 Verpächters, § 110 InsO . . . . . . 228 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Verfügungsverbote . . . . . . . . 228 4. Notgeschäftsführung und b) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . 235 Insolvenzunkenntnis . . . . . . . . . 302 6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO . . . . . 238 X. Unwirksamkeit abweichender a) TatbestandsvorausVereinbarungen, § 119 InsO . . 308 setzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Sonderkündigungsrecht 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . 308 des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . 243 2. Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . 309 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Grundsätzliche (Un-) 7. Kündigungssperre, § 112 InsO . 250 Zulässigkeit von Lösungsa) Reichweite des Kündigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . 323 aa) Miet- und Pachtaa) Kündigungsrecht gemäß verträge . . . . . . . . . . . . . . . 251 § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B . 323 bb) Ausgeschlossene bb) Gesetzliche LösungsKündigungsgründe . . . . . 256 möglichkeiten . . . . . . . . . 326 b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . 258 cc) Verstoß gegen §§ 108, c) Analoge Anwendung . . . . . . 266 109, 112 InsO . . . . . . . . . . 327
I. Grundlagen 1. Allgemeines/Problemstellung 1
Sofern nicht bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren ein vorläufiger „starker“ Insolvenzverwalter gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 Abs. 1 InsO bestellt wurde, geht spätestens nach § 80 Abs. 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen 882
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Grundlagen
Rz. 6
§8
zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (vgl. auch § 6 Rz. 147). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bringt es dabei mit sich, dass auch der von Gläubiger und Schuldner ursprünglich verabredete Leistungsaustausch gefährdet wird und es zu einer Leistungsstörung kommen kann1. Das so genannte Insolvenzvertragsrecht, das in den §§ 103 ff. InsO gesetzlich fixiert ist, enthält Regelungen, die es dem Insolvenzverwalter im Interesse der Insolvenzmasse ermöglichen, auf gegenseitigen Verträgen beruhende laufende Vertragsbeziehungen des Schuldners fortzuführen, oder aber – sofern möglich – die Erfüllung zu verweigern2. Das in § 103 InsO enthaltene Wahlrecht modifiziert dabei die im Privatrecht geltende Maxime, dass Verträge gehalten werden müssen (pacta sunt servanda), für den Insolvenzfall dahin gehend, dass dem Insolvenzverwalter ein dem Schuldner nicht zustehendes Gestaltungsrecht zuerkannt wird3, von dessen Ausübung es in der Regel abhängt, ob der Vertrag durchgeführt wird oder nicht.
2
Ist der gegenseitige Vertrag hingegen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Seiten vollständig erfüllt worden, berühren die §§ 103 ff. InsO das Vertragsverhältnis nicht. Vielmehr bleibt es dabei, dass das Schuldverhältnis durch Erfüllung erloschen ist und die erbrachten Leistungen bei der jeweils anderen Vertragspartei verbleiben. Anderes kann freilich dann gelten, wenn mit der Vermögensverschiebung zugunsten des Vertragspartners des späteren Schuldners einer der in den §§ 129 ff. InsO geregelten Anfechtungstatbestände verwirklicht worden ist4 (zur insolvenzrechtlichen Anfechtung vgl. § 10).
3
Auch in den Fällen, in denen der gegenseitige Vertrag bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von wenigstens einer Vertragspartei vollständig erfüllt wurde, bleibt es bei den allgemeinen Regeln und die §§ 103 ff. InsO finden grundsätzlich keine Anwendung.
4
Hat lediglich der spätere Schuldner seine Leistungspflichten bereits vor Verfahrenseröffnung vollständig erbracht, darf sie der Vertragspartner behalten, ist aber seinerseits gehalten, die Gegenleistung in die Masse zu erbringen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 82 Abs. 1 Satz 1 InsO. Leistet der Gläubiger nach Verfahrenseröffnung zur Erfüllung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit an den Schuldner, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird er von seiner Leistungspflicht nur dann befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte.
5
Ist lediglich der Vertragspartner des späteren Schuldners seinen Leistungsverpflichtungen aus dem gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung vollständig nachgekommen, fällt die Leistung in die Masse. Den ihm zustehen-
6
1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 103 InsO Rz. 2; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 35 Rz. 5. 2 Ausführlich zum Ganzen: Marotzke, Gegenseitige Verträge im neuen Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2001. 3 Kilger/K. Schmidt, § 17 KO Anm. 4a. 4 Siehe zum Anfechtungsrecht die Erläuterungen von Graf/Wunsch in § 10 dieses Buches.
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§8
Rz. 7
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
den Anspruch auf die Gegenleistung kann der Vertragspartner aber nicht realisieren. § 105 Satz 2 InsO ordnet insofern unmissverständlich an, dass der andere Teil nicht berechtigt ist, wegen der Nichterfüllung seines Anspruchs auf die Gegenleistung die Rückgabe einer vor Verfahrenseröffnung in das Vermögen des Schuldners übergegangenen Leistung aus der Insolvenzmasse zu verlangen. Dem Vertragspartner des Schuldners bleibt daher keine andere Möglichkeit, als seinen Anspruch auf die Gegenleistung als Insolvenzforderung weiterzuverfolgen und zur Insolvenztabelle anzumelden.
2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO 7
Gerade für die Praxis scheint es sinnvoll, zunächst eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche der einzelnen Regelungen innerhalb der §§ 103 ff. InsO vorzunehmen. Dabei gilt, dass die Regelung des § 103 InsO bei zur Zeit der Verfahrenseröffnung weder vom Schuldner noch vom anderen Teil erfüllten oder nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen als Grundsatznorm immer dann zur Anwendung kommt, wenn keine speziellere Vorschrift eingreift.
8
Solche Sondervorschriften sind in den §§ 104–128 InsO enthalten: § 104 InsO für Fix- und Finanztermingeschäfte, § 105 InsO für teilbare Leistungen, § 106 InsO für Vormerkungsansprüche, § 107 InsO für den Kauf unter Eigentumsvorbehalt, §§ 108–112 InsO für Miete, Pacht und Darlehen in der Insolvenz des Darlehensgebers, § 115 InsO für Auftragsverhältnisse, § 116 InsO für Geschäftsbesorgungsverträge, § 117 für Vollmachten, § 118 InsO für die Auflösung von Gesellschaften sowie die §§ 113, 114, 120–128 InsO für die Dienstund Arbeitsverträge.
9
Im vorliegenden Kapitel werden die Vorschriften der §§ 103–112 InsO und §§ 115–117 sowie § 119 InsO näher erläutert, während die in den §§ 113, 114 und §§ 120–128 InsO enthaltenen arbeitsrechtlichen Regelungen in § 12 (Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz) behandelt werden.
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO 1. Allgemeines/Normzweck1 10
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verlieren Ansprüche und Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Wirkung, da durch die Insolvenzeröffnung das Rechtsverhältnis zwischen dem Gemeinschuldner und seinem Vertragspartner umgestaltet wird.
11
§ 103 InsO dient dazu, einen Ausgleich der Interessen der Vertragspartner bei beiderseits nicht erfüllten Verträgen herbeizuführen und dabei einen doppelten Zweck zu erreichen2. Während einerseits dem Vertragspartner der Schutz des 1 Ausführlich zu den dogmatischen Grundlagen: Kreft in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 8 ff. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 3 m.w.N.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 14a
§8
funktionalen Synallagmas auch in der Insolvenz erhalten bleiben und er nur zur Leistung verpflichtet sein soll, wenn der Insolvenzverwalter ihm im Gegenzug eine vollwertige Gegenleistung anbieten kann, soll andererseits dem Verwalter die Möglichkeit eingeräumt werden, im Interesse der Insolvenzmasse beiderseits nicht erfüllte Verträge zu erfüllen und den entsprechenden Gegenwert für die Masse zu realisieren. Nach der bisherigen (seit 1988) ständigen Rechtsprechung des BGH1 erlöschen mit Insolvenzeröffnung die gegenseitigen Erfüllungsansprüche und können nur durch die Erklärung des Insolvenzverwalters, er wähle gemäß § 103 InsO die Erfüllung, wieder entstehen.
12
Nach neuer Rechtsprechung des BGH2 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind.
13
Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der Masse einerseits und gegen die Masse andererseits. Hierbei sind die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen nach Auffassung des BGH3 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Der BGH schlägt daher für einen Werkvertrag vor, die vor und nach Eröffnung des Verfahrens erfolgten Leistungen der Schuldnerin gesondert abzurechnen, wobei dieselben Maßstäbe anzuwenden sind, wie wenn der Bauvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus wichtigem Grund gekündigt worden wäre4.
14
Da der materiell-rechtliche Inhalt des Vertrages durch das Erfüllungsverlangen nicht verändert wird, ist auf gegenseitige Verträge, die vor Inkrafttreten des neuen Schuldrechts am 1. 1. 2002 abgeschlossen wurden, das bisherige Recht gemäß Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB auch dann anzuwenden, wenn das Erfüllungsverlangen durch den Insolvenzverwalter erst nach dem 1. 1. 2002 ausgesprochen wurde5.
14a
1 BGH v. 11. 2. 1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 (252) = NJW 1988, 1790; BGH v. 20. 12. 1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 (242) = NJW 1989, 1282; BGH v. 21. 11. 1991 – IX ZR 290/90, BGHZ 116, 156 (158) = NJW 1992, 507; BGH v. 4. 5. 1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966; BGH v. 27. 2. 1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25 (26) = ZIP 1997, 688; siehe dazu auch Kreft, ZIP 1997, 865. 2 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; seither ständige Rspr., BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 162/04, ZInsO 2006, 35; siehe dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 3 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. 4 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. 5 Kreft, ZInsO 2003, 1120.
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§8
Rz. 15
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Gegenseitiger Vertrag aa) Begriff der Gegenseitigkeit 15
Der in § 103 Abs. 1 InsO enthaltene Begriff „gegenseitiger Vertrag“1 wird in demselben Sinne wie bei §§ 320 ff. BGB verwendet. Gemeint ist damit ein Vertrag, bei dem die Verpflichtungen der Vertragsparteien synallagmatisch verknüpft sind, also im gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen und die eine somit um der anderen willen erbracht wird (Austauschvertrag: „do, ut des“)2. Eine darüber hinausgehende objektive Gleichwertigkeit der sich gegenüberstehenden Leistungen ist nicht erforderlich3, da insofern in den Grenzen des § 138 BGB allein der Parteiwille maßgeblich ist4. bb) Von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht5
16
Als unter § 103 InsO fallend können beispielhaft folgende Vertragstypen aufgezählt werden: –
Bauverträge als Werkverträge im Sinne des § 631 BGB sowie als Werklieferungsverträge nach § 651 BGB, auf die Kaufvertragsrecht Anwendung findet6;
–
Auf Bauträgerverträge ist § 103 InsO dann anwendbar, wenn der Bauträger auf seinem Grundstück für eigene Rechnung baut;
–
Darlehensverträge (§§ 488 ff. BGB), soweit es sich um verzinsliche Darlehen handelt und die Darlehensauszahlung bei Verfahrenseröffnung noch nicht oder jedenfalls nicht vollständig erfolgt ist;
–
Energielieferungsverträge;
–
Beim Factoring gilt § 103 InsO in der Insolvenz des Factors sowie bei Insolvenz des Anschlusskunden nur für bereits vereinbarte Foderungsankäufe, soweit die Forderungen nicht bereits abgetreten und vom Factor bezahlt sind7;
–
Frachtverträge in der Insolvenz des Frachtführers. Bei Insolvenz des Geschäftsherrn findet wegen des Geschäftsbesorgungscharakters § 116 InsO Anwendung;
1 Vgl. hierzu auch Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 5 ff. 2 RG v. 5. 4. 1935 – II 327/34, RGZ 147, 340 (342). 3 RG v. 17. 2. 1913 – IV 556/12, RGZ 81, 364 (365). 4 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 55; Kuhn-Uhlenbruck, § 17 KO Rz. 1a. 5 Vgl. dazu auch Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 66 ff.; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 7. 6 Zu den besonderen Problemen bei Bauverträgen in der Insolvenz vgl.: Kreft, FS Uhlenbruck, 2000, S. 387 ff.; Heidland, FS Uhlenbruck, 2000, S. 423 ff.; Claus Schmitz, ZIP 2001, 765 ff. 7 Vgl. dazu Obermüller, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 985 ff.; Sinz, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 593 ff.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 16
§8
–
Kaufverträge (§ 433 BGB) einschließlich des Handelskaufs (§§ 373 ff. HGB) und der Tauschverträge (§ 480 BGB);
–
Bei Kommissionsverträgen (§§ 383 ff. HGB) gilt § 103 InsO in der Insolvenz des Kommissionärs; bei Insolvenz des Kommittenten findet grundsätzlich § 116 InsO Anwendung;
–
Leasingverträge über bewegliche Sachen, soweit nicht in der Insolvenz des Leasinggebers § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO vorrangig ist. Für das Immobilarleasing gilt § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO;
–
Lizenzverträge, insbesondere für Patente, Filme oder Software1;
–
Maklervertrag bei Verpflichtung des Maklers, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen und dafür einzustehen; sonst gilt § 116 InsO;
–
Miet- und Pachtverträge über bewegliche Sachen und Rechte. Für unbewegliche Sachen oder Räume gelten die in den §§ 108 ff. InsO enthaltenen Sondervorschriften;
–
Reiseverträge;
–
Sicherungsverträge, in denen sich der Darlehensnehmer zur Bestellung von Sicherheiten für den gewährten Kredit verpflichtet;
–
Speditionsverträge (§§ 453 ff. HGB) in der Insolvenz des Spediteurs; in der Insolvenz des Versenders gilt demgegenüber § 116 InsO;
–
Vergleiche grundsätzlich dann, wenn die von den Parteien übernommenen Verpflichtungen gegenseitig voneinander abhängen2;
–
Versicherungsverträge, die vom Schuldner als Versicherungsnehmer abgeschlossen wurden3, wobei § 103 Abs. 1 InsO die Vorschrift des § 14 Abs. 1 VVG unberührt lässt4;
–
Die entgeltliche Verwahrung (§§ 688, 689 BGB) sowie das Lagergeschäft (§§ 467 ff. HGB);
–
Werk- und Werklieferungsverträge nach §§ 631, 651 BGB, soweit ihnen kein Geschäftsbesorgungscharakter zukommt, der die Anwendbarkeit des § 116 InsO begründen würde;
1 LG Mannheim v. 27. 6. 2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; vgl. dazu auch Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79; McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int 2006, 682; Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677; Berger, NZI 2006, 380; Huber/Riewe, ZInsO 2006, 290; Hombrecher, WRP 2006, 219; Bausch, NZI 2005, 289; Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 743; 830; Abel, NZI 2003, 121 ff.; Wallner, ZIP 2004, 2073; ders., NZI 2002, 70 ff.; Brandt, NZI 2001, 337; Paulus, ZIP 1996, 2 ff.; v. Frentz/ Marrder, ZUM 2003, 94 ff.; Stickelbrock, WM 2004, 549 (555 ff.); allgemein zu Immaterialgüterrechten in der Insolvenz Hoffmann, ZInsO 2003, 732 ff. 2 BGH v. 12. 12. 1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = NJW 1992, 967 (970); die Gerichtskosten eines Vergleichs sind grundsätzlich Insolvenzforderung, OLG Köln v. 10. 9. 2004 – 17 W 150/04, ZIP 2004, 2247 = ZInsO 2004, 1317 = NZI 2004, 665. 3 Vgl. dazu Stegmann/Lind, NVersZ 2002, 193 ff.; Stegmann, VersR 2000, 1467 ff.; Janca, ZInsO 2003, 449 ff. 4 BGH v. 26. 11. 2003 – IV ZR 6/03, NZI 2004, 144 = ZIP 2004, 176.
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§8 –
Rz. 17
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Schließlich findet § 103 InsO zumindest analog Anwendung auf so genannte Rückabwicklungsschuldverhältnisse, insbesondere aus Rücktritt oder Wandelung1.
cc) Nicht von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht 17
Nicht in den Anwendungsbereich der Grund- und Auffangnorm des § 103 InsO fallen zunächst die Schuldverhältnisse, deren Regelung eigens dafür geschaffenen Sondervorschriften vorbehalten ist, z.B.: –
Fix- und Finanztermingeschäfte, § 104 InsO;
–
Verträge über teilbare Leistungen, § 105 InsO;
–
Vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO;
–
Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO;
–
Miet- und Pacht sowie ähnliche Schuldverhältnisse, §§ 108–112 InsO;
–
Dienstverhältnisse, §§ 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 113, 114, 120–128 InsO;
–
Auftrag und Geschäftsbesorgungsverträge, §§ 115, 116 InsO;
–
Vollmachten, § 117 InsO;
–
Auflösung von Gesellschaften, § 118 InsO;
–
Darlehensverträge in der Insolvenz des Darlehensgebers, § 108 Abs. 2 InsO;
18
§ 119 InsO bestimmt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103–118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam sind.
19
Unabhängig davon findet § 103 InsO keine Anwendung bei: –
schon vor Insolvenzeröffnung beiderseits oder einseitig voll erfüllten gegenseitigen Verträgen2;
–
lediglich einseitig verpflichtenden Verträgen wie Schenkung (§ 516 BGB), Schenkungsversprechen (§ 518 BGB), Auslobung (§ 657 BGB); Bürgschaftsvertrag (§ 765 BGB), sofern nicht der Bürgschaftsgläubiger ausnahmsweise eine Gegenleistung übernimmt;
–
unvollkommen zweiseitigen Verträgen, bei denen nur eine Partei die vertragstypische Leistung erbringen muss, wie unverzinsliche Darlehen (§ 607 BGB), Leihe (§ 598 BGB) und unentgeltliche Verwahrung (§ 688 BGB) mit Ausnahme des Auftrags, für den § 115 InsO gilt;
–
unvollkommenen Verbindlichkeiten, die keine erzwingbaren Verbindlichkeiten begründen, wie Spiel/Wette (§ 763 BGB) und Heiratsvermittlung (§ 656 BGB);
1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 103 InsO Rz. 11; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 15; siehe dazu auch Häsemeyer, KTS 2002, 603 ff. 2 Siehe dazu bereits oben Rz. 3 ff.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 20
§8
–
einem Grundstückserwerb in der Zwangsversteigerung;
–
Erbbaurechtsverträge1;
–
der Übernahme der Aktien durch die Gründer einer Aktiengesellschaft (§§ 23 ff. AktG) oder der Zeichnung neuer Aktien bzw. dem Verlangen neuer Aktien bei Kapitalerhöhung gegen Einlage (§§ 182 ff. AktG);
–
Tarifverträgen;
–
Vereinsmitgliedschaften im Hinblick auf die Beitragspflichten des Mitglieds;
–
Gesellschaftsverträgen, weil nach vorherrschender Ansicht die Leistungspflichten der Gesellschafter nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander stehen2;
–
Versicherungsverhältnissen in der Insolvenz des Versicherers: Lebens-, Unfall- und Krankenversicherungen erlöschen gemäß § 13 Satz 2 VVG i.V.m. §§ 77 Abs. 3, 79 VAG mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens; gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherungen sowie die Pflichtversicherung für Kfz-Halter erlöschen mit Ablauf eines Monats, nachdem der Versicherer die Verfahrenseröffnung der zuständigen Stelle angezeigt hat (§§ 158c Abs. 2 VVG, 3 Nr. 5 PflVG); in allen anderen Fällen endet das Vertragsverhältnis mit dem Ablauf eines Monats seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 13 VVG); in der Insolvenz des Versicherungsnehmers bleibt § 103 InsO jedoch anwendbar3, lässt aber die Vorschrift des § 14 Abs. 1 VVG unberührt4;
–
Verlagsverträgen in der Insolvenz des Verfassers, es sei denn das Urheberrecht fällt in die Insolvenzmasse, wofür gemäß § 113 UrhG die Einwilligung des insolventen Verfassers, bei bloßer Miturheberschaft überdies die Einwilligung aller übriger Urheber notwendig ist; in der Insolvenz des Verlegers kann der Verfasser nach § 36 Abs. 3 VerlG vom Vertrag zurücktreten, wenn mit der Vervielfältigung des Werks noch nicht begonnen wurde, ansonsten gilt § 103 InsO;
–
Schiedsabreden, die der Schuldner getroffen hat5.
b) Beiderseits nicht vollständige Erfüllung Das Schuldverhältnis darf von keiner Seite bei Eröffnung des Verfahrens vollständig erfüllt sein, wobei für die Erfüllung maßgeblich ist, ob der vertraglich geschuldete Leistungserfolg eingetreten ist, weshalb die bloße Vornahme aller 1 BGH v. 20. 10. 2005 – XI ZR 145/04, ZIP 2005, 2267 = NZI 2006, 97; hierzu Tintelnot, EWiR 2006, 313. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 22 m.w.N.; Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 114 ff. m.w.N. 3 Vgl. dazu Stegmann/Lind, NVersZ 2002, 193 ff.; Stegmann, VersR 2000, 1467 ff.; Janca, ZInsO 2003, 449 ff. 4 BGH v. 26. 11. 2003 – IV ZR 6/03, NZI 2004, 144 = ZIP 2004, 176. 5 BGH v. 20. 11. 2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88; siehe dazu auch Kück, ZInsO 2006, 11; Schulte-Frohlinde/Wilts, ZInsO 2006, 196.
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§8
Rz. 21
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
für die Herbeiführung des Erfolges erforderlichen Leistungshandlungen allein nicht ausreichend ist1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Vollständigkeit der Erfüllung ist derjenige der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 21
Ob Erfüllung im Sinne des § 103 InsO danach eingetreten ist, ist allgemeiner Ansicht2 nach am Erfüllungsbegriff des § 362 Abs. 1 BGB zu messen, wobei die vom BGB anerkannten Erfüllungssurrogate wie insbesondere die Aufrechnung (§ 389 BGB), die Annahme an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) und die schuldbefreiende Hinterlegung (§ 378) der Erfüllung ebenso gleichstehen wie der Erwerb im Wege der Zwangsvollstreckung und der Erlass (§ 397 BGB). Die Leistung erfüllungshalber, wie etwa bei Hingabe von Schecks oder Wechseln, schließt das Wahlrecht demgegenüber nicht aus. Die Erfüllung muss zudem vollständig sein, bei bloßen Teilleistungen bleibt § 103 InsO, ggf. i.V.m. § 105 InsO, anwendbar.
22
Andererseits ist Erfüllung selbst dann nicht gegeben, wenn auch nur eine Nebenleistung aussteht3. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters besteht daher auch dann, wenn der Käufer die Kaufsache noch nicht abgenommen hat, das vor Verfahrenseröffnung erstellte Werk mit Sach- oder Rechtsmängeln behaftet ist oder ein vor Verfahrenseröffnung verwirkter Verzugsschaden oder eine Vertragsstrafe ausstehen4.
23
Beim Versendungskauf nach § 447 BGB tritt Erfüllung nicht schon bei Versendung der Ware, sondern erst bei Eigentumserwerb des Käufers ein5. Bei einem durchgeführten Werkvertrag hat der Unternehmer durch Herstellung des mangelfreien Werkes oder nach Beseitigung sämtlicher Mängel seine Verpflichtung erfüllt, wobei die Erfüllungswirkung in der Regel erst mit Abnahme eintritt6, sofern Letztere nicht durch die Beschaffenheit des Werkes ausgeschlossen ist7. Ein Lizenzvertrag gilt solange nach § 103 InsO als nicht erfüllt, wie z.B. die vertraglich versprochene Weiterentwicklung des Produkts für einen bestimmten Zeitraum vollständig erfüllt ist8.
24
Bei einer Grundstücksveräußerung ist entscheidend, dass nach Auflassung auch die tatsächliche Eintragung des Erwerbers im Grundbuch erfolgt ist9. Ist 1 Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 58, 59 m.w.N. 2 OLG Naumburg v. 20. 2. 2002 – 5 U 153/01, ZInsO 2002, 677; Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 122 m.w.N.; Tintelnot in Kübler/ Prütting, § 103 InsO Rz. 32; Braun/Kroth, § 103 InsO Rz. 24; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 28. 3 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 123; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 33. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 34; Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 135 ff. 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 27. 6 A.A. OLG Düsseldorf v. 28. 1. 2005 – I-23 U 150/04, ZIP 2005, 668 (669), das trotz noch erforderlicher Nachbesserung aufgrund erfolgter Abnahme das Wahlrecht nach § 103 InsO ausschließt. 7 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 134. 8 LG Mannheim v. 27. 6. 2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; vgl. auch Hölder/Schmoll, GRUR 2004, 830. 9 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 132.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 27
§8
der Anspruch des Käufers auf Übertragung des Eigentums hingegen durch eine Vormerkung gesichert, gilt § 106 InsO. Auch dann, wenn die Vertragsparteien vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verkäufers die Auflassung erklärt und beide einen Eintragungsantrag gestellt haben, hat der Käufer ein unentziehbares Anwartschaftsrecht erlangt, so dass § 103 InsO nicht mehr anwendbar ist1. Nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Verkäufer beim Kaufvertrag dem Käufer die Sache frei von Rechtsmängeln zu verschaffen. § 103 greift daher immer auch dann ein, wenn der Schuldner vorinsolvenzlich eine mangelhafte Sache ge- oder verkauft hat und der Kaufpreis im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig entrichtet ist.
25
Für den Insolvenzverwalter bedeutet dies einen größeren Handlungsspielraum bei der Abwicklung von in den Anwendungsbereich des § 103 InsO fallender Verträge. Hat etwa der Schuldner eine mangelhafte Sache gekauft und wählt der Verwalter Erfüllung, kann er nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB die von ihm gewünschte Form der Nacherfüllung verlangen, muss dann aber den Restkaufpreis Zug um Zug gegen die Nacherfüllung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO aus der Masse entrichten und bei Verlangen der Nachlieferung nach §§ 439 Abs. 4, 346 ff. BGB die mangelhafte Sache zurückgeben2. Wählt der Verwalter hingegen Nichterfüllung, ist der Verkäufer mit seiner Forderung wegen Nichterfüllung gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO Insolvenzgläubiger und die in der Masse verbleibende mangelhafte Sache und der an ihn bereits bezahlte Kaufpreisteil sind Rechnungsposten bei der Berechnung seiner Schadensersatzforderung. Nur dann, wenn der vom Schuldner gezahlte Kaufpreis den dem Verkäufer durch die Erfüllungsverweigerung entstandenen Schaden übersteigt, kann der Verwalter – gegen Rückgabe der Kaufsache – den Kaufpreis zur Masse zurückverlangen3.
26
Wählt der Verwalter in der entgegengesetzten Konstellation der Verkäuferinsolvenz die Nichterfüllung, muss er zwar nicht nacherfüllen, kann aber auch den Restkaufpreis nicht zur Masse ziehen. Die mangelhafte Sache verbleibt beim Käufer und ihr Wert ist lediglich ein Rechnungsposten bei der Berechnung seines Schadensersatzes wegen Nichterfüllung4. Wählt er hingegen Erfüllung, muss er ordnungsgemäß in der vom Käufer beanspruchten Alternative nacherfüllen und kann dafür den Restkaufpreis zur Masse ziehen und im Falle der Nachlieferung einer mangelfreien Sache die mangelhafte Sache gemäß §§ 346 ff., 439 Abs. 4 BGB wieder zur Masse zurückverlangen5.
27
1 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 132 m.w.N.; a.A. Braun/Kroth, § 103 InsO Rz. 24. 2 Scherer, NZI 2002, 356 (361); siehe auch Ringstmeier/Homann, ZIP 2002, 505 (507); Thomas B. Schmidt, ZInsO 2002, 103 ff.; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 13; ausführlich hierzu Wegener, Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters unter dem Einfluss des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Rz. 477. 3 Scherer, NZI 2002, 356 (361 m.w.N.). 4 Scherer, NZI 2002, 356 (358). 5 Scherer, NZI 2002, 356 (358).
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§8
Rz. 28
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters 28
Nach neuer Rechtsprechung des BGH1 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind2.
29
Dem Insolvenzverwalter kommt danach ein Wahlrecht nur insoweit zu, als er sich entweder dafür entscheiden kann, den Vertrag anstelle des Schuldners zu erfüllen und gleichzeitig die Erfüllung vom Vertragspartner zu verlangen oder ob er es bei der mit der Eröffnung des Verfahrens eintretenden Wirkung belassen will. Ob der Verwalter Erfüllung wählt oder nicht, liegt in seinem Ermessen. Er wird sich hierbei davon leiten lassen, ob die Erfüllungswahl im Interesse der Gesamtgläubigerschaft wirtschaftlich zu einer Massemehrung führen wird3.
30
Auch bei bereits weitgehender Vertragserfüllung ist der Insolvenzverwalter in seiner Entscheidung über die Erfüllungswahl frei; die in §§ 38, 55 Abs. 1 InsO vorgegebene Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten unterliegt nicht der Korrektur durch § 242 BGB4.
31
Das Wahlrecht steht ausschließlich dem Insolvenzverwalter selbst zu und kann nicht auf Dritte delegiert werden. Hierbei kann das Wahlrecht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 103 Abs. 1 Satz 1 InsO erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht etwa bereits durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren ausgeübt werden5.
32
Erteilt der vorläufige Insolvenzverwalter auf Anfrage des Vertragspartners des Schuldners seine Zustimmung zur Fortsetzung des Schuldverhältnisses, so beinhaltet das gleichwohl kein rechtlich verbindliches Erfüllungsverlangen nach § 103 InsO, so dass dem endgültigen Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren sowohl die Rechte aus §§ 103 ff. InsO als auch die Anfechtungsrechte nach den §§ 129 ff. InsO (vgl. § 10 Rz. 11 ff.) erhalten bleiben.
33
Der Vertragspartner handelt daher auf eigenes Risiko, wenn er sich dennoch auf die Fortsetzung des Vertrages einlässt. Um entsprechende Risiken zu vermeiden, sollte der Vertragspartner des Schuldners daher im Eröffnungsverfahren das Vertragsverhältnis nur gegen Vorkasse fortführen, jedenfalls aber darauf achten, dass die Voraussetzungen eines Bargeschäfts im Sinne des § 142 InsO erfüllt sind (zu diesen Voraussetzungen vgl. § 10 Rz. 299 ff.). Einen weiteren Weg zur Sicherung des Vertragspartners hat der BGH in seiner Entscheidung 1 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; siehe dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 2 Bärenz, NZI 2006, 71. 3 OLG Greifswald v. 28. 4. 2004 – 9 K 17/03, ZInsO 2004, 1152 f. 4 OLG Dresden v. 24. 1. 2002 – 13 U 2215/01, ZIP 2002, 815. 5 BGH v. 8. 11. 2007 – IX ZR 53/04, NZI 2008, 36; Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 62 m.w.N.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 35
§8
vom 18. 7. 2002 aufgezeigt: Das Insolvenzgericht kann dem – ansonsten „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter eine beschränkte Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Einzelfall erteilen1. Macht der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter von dieser Ermächtigung Gebrauch, sind die Ansprüche aus solchen Verträgen im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen. Unsicher, weil umstritten, ist demgegenüber der in der Praxis häufig anzutreffende Versuch des vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters, die Gläubiger des Schuldners durch die Einrichtung eines Treuhandkontos zu sichern2. Hierbei setzt der Insolvenzverwalter einen Treuhänder ein, an den er etwa die für die Lieferanten benötigten Beträge mit der Anweisung zahlt, diese nach Leistungserbringung und Rechnungsstellung zur Befriedigung der Lieferanten auszukehren (ausführlich hierzu § 14 Rz. 75 ff.). Sofern ein verfügungsbefugter „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden sein sollte, können mit diesem auch eigenständige Verträge – etwa über eine entsprechende Weiterbelieferung – abgeschlossen werden. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO ordnet insoweit unmissverständlich an, dass Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Verwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten (vgl. § 14 Rz. 11 ff.).
33a
Sondervorschriften bestehen bei der Eigenverwaltung, in der kein Insolvenzverwalter bestellt wird. Da der Schuldner gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen unter Aufsicht eines Sachwalters behält, sind nach § 279 Satz 1 InsO die Vorschriften über die in §§ 103 ff. InsO geregelte Erfüllung der Rechtsgeschäfte mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner tritt und das Wahlrecht ausübt (zur Eigenverwaltung ausführlich vgl. § 13 Rz. 354 ff.).
34
a) Erklärung des Insolvenzverwalters Der Insolvenzverwalter übt das Wahlrecht durch eine einseitige, empfangsbedürftige, bedingungsfeindliche und unwiderrufliche Willenserklärung aus, die er selbst dann formlos abgeben kann, wenn der unerfüllte Vertrag gemäß § 313 BGB formbedürftig ist3. Verbindet der Insolvenzverwalter das Erfüllungsverlangen mit einem Vorbehalt oder verlangt er Erfüllung zu veränderten Bedingungen, so ist dies als Ablehnung auszulegen4. Eine Anfechtung der Erklärung wegen Irrtums ist möglich, falls der Verwalter einen unrichtigen Stand der Verfahrensabwicklung angenommen hat, nicht dagegen bei bloßer Un1 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; siehe dazu auch Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845; Heidrich/Prager, NZI 2002, 653; Pape, NZM 2004, 401, 403 f.; Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608 und Smid, DZWIR 2002, 444. 2 Ablehnend etwa AG Hamburg v. 1. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153 = ZIP 2003, 43; befürwortend demgegenüber Bork, ZIP 2003, 1421 (1423 ff.). 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 39; Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 64; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 18; Breitenbücher in Graf-Schlicker, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 Rz. 11 ff. 4 BGH v. 11. 2. 1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 = NJW 1988, 1790.
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§8
Rz. 36
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
kenntnis der Sachlage oder bei einem bloßen Irrtum über die Rechtsfolgen seines Handelns1. 36
Da das Gesetz keine konkrete Form vorschreibt, kann der Insolvenzverwalter seine Erklärung auch konkludent abgeben. Für die Auslegung eines solchen Verhaltens ist allgemein maßgebend, welche Bedeutung ihm der Vertragspartner nach der Verkehrssitte und den Gesamtumständen beimessen musste2. Ein Verhalten des Insolvenzverwalters löst deshalb die Rechtswirkungen des § 103 InsO nur aus, wenn der Vertragspartner hieraus entnehmen konnte und musste, dass der Verwalter die Erfüllung wählen wollte3. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Insolvenzverwalter bewusst ist, dass er eine derartige Erklärung abgibt4.
37
Nicht zuletzt wegen der Empfangsbedürftigkeit der Erklärung liegt ein konkludentes Erfüllungsverlangen indes nicht bei einer bloßen Weiterveräußerung oder Verarbeitung von Vorbehaltsware vor5, es sei denn, der Verkäufer hat zuvor Herausgabe der Vorbehaltsware verlangt6. Anzunehmen ist eine konkludente Erfüllungswahl aber dann, wenn der Verwalter vom Werkunternehmer Nachbesserung verlangt oder eine Frist zur Mängelbeseitigung setzt, sowie dann, wenn er in Absprache mit dem Besteller das vom Schuldner angefangene Werk beenden lässt7. Leistet der Insolvenzverwalter selbst auf einen von dem Gesamtschuldner geschlossenen Leasingvertrag zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt der Leasingraten, so soll er konkludent die Erfüllung des Leasingvertrages im Sinne des § 103 InsO gewählt haben8.
38
Eine Zahlungsaufforderung durch den Insolvenzverwalter ist nur dann als konkludente Erfüllungswahl auszulegen, wenn sie klar und eindeutig erkennen lässt, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrags begehrt9. Lässt die Zahlungsaufforderung hingegen erkennen, dass der Insolvenzverwalter von bereits vollständiger Vertragserfüllung durch den Insolvenzschuldner ausgeht und nur noch die fällige Gegenleistung des Drittschuldners abfordern will, liegt keine konkludente Erfüllungswahl vor10.
39
Ein konkludentes Erfüllungsverlangen aufgrund eines bloßen Weiterbezugs von Strom, Gas, Wasser oder Fernwärme ist schließlich im Hinblick auf die Regelung des § 105 Satz 1 InsO abzulehnen11.
1 Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (549 m.w.N.). 2 BGH v. 14. 3. 1963 – VII ZR 257/61, NJW 1963, 1248; OLG Düsseldorf v. 24. 1. 2003 – 16 U 112/02, NZI 2003, 379 (380) = ZIP 2003, 1306 (1307). 3 Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 65. 4 OLG Naumburg v. 4. 2. 2004 – 5 U 129/03, ZInsO 2004, 1145 ff. 5 BGH v. 8. 1. 1998 – IX ZR 131/97, NJW 1998, 992; OLG Düsseldorf v. 24. 1. 2003 – 16 U 112/02, NZI 2003, 379 (380) = ZIP 2003, 1306 (1307). 6 OLG Celle v. 28. 10. 1987 – 3 U 11/87, ZIP 1988, 384. 7 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 42 m.w.N. 8 AG Zweibrücken v. 27. 8. 2004 – 1 C 385/04, ZIP 2005, 679. 9 OLG Dresden v. 24. 1. 2002 – 13 U 2215/01, ZIP 2002, 815. 10 OLG Dresden v. 24. 1. 2002 – 13 U 2215/01, ZIP 2002, 815; OLG Stuttgart v. 22. 2. 2005 – 10 U 242/04, ZIP 2005, 588, 589. 11 Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 66 m.w.N.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 44
§8
Endlich tritt der Insolvenzverwalter auch nicht dadurch automatisch in das Veräußerungsgeschäft im Übrigen ein, wenn er der Übereignung einer Immobilie zustimmt, die durch Eintragung einer Vormerkung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO gesichert war1.
39a
b) Aufforderung zur Wahlrechtsausübung Der Insolvenzverwalter ist bei der Ausübung des Wahlrechts grundsätzlich an keine Frist gebunden, so dass er von dem Wahlrecht auch noch lange nach Verfahrenseröffnung Gebrauch machen kann, ohne dabei zu riskieren, wegen Verspätung seiner Erklärung Rechte der Insolvenzmasse zu verlieren und sich schadensersatzpflichtig zu machen2.
40
Zwecks Beseitigung der hieraus resultierenden Rechtsunsicherheit gibt § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Vertragspartner des Schuldners das Recht, den Verwalter zur Ausübung seines Wahlrechts mit der Folge aufzufordern, dass dieser sich unverzüglich (= ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 2 Satz 2 BGB) zu erklären hat, wenn er nicht seines Rechts, Erfüllung zu verlangen, verlustig gehen will. Übt der Verwalter sein Wahlrecht nicht oder nicht unverzüglich aus, kann er gemäß § 103 Abs. 2 Satz 3 InsO auf der Erfüllung nicht bestehen, so dass es bei der Nichterfüllung des Vertrages bleibt. Es ergeben sich die gleichen Rechtsfolgen wie bei einer ausdrücklich erfolgten Erfüllungsablehnung.
41
Lediglich für den Sonderfall des § 107 Abs. 2 InsO ist ausdrücklich geregelt, wie lange der Verwalter mit der Abgabe seiner Erklärung nach entsprechender Aufforderung durch den Vertragspartner warten darf. Nach dieser Regelung ist es dem Verwalter erlaubt, die Erklärung erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben, es sei denn der Gläubiger hat den Verwalter darauf hingewiesen, dass bis zum Berichtstermin eine erhebliche Verminderung des Wertes der Sache zu erwarten ist. Zweck der Regelung ist es dort, dem Verwalter bis zur Entscheidung der Gläubiger im Berichtstermin über Zerschlagung oder Fortführung die Möglichkeit zu gewähren, das Unternehmen zu erhalten3.
42
Der Begründung zu § 107 Abs. 2 InsO kommt generelle Bedeutung auch für die meisten übrigen Wahlrechtsfälle zu. Zumindest bei Verträgen, deren Fortbestand für eine Fortführung des Unternehmens notwendig ist, ist eine entsprechende Ausdehnung der Überlegungsfrist des Verwalters in analoger Anwendung des § 107 Abs. 2 InsO geboten4.
43
In allen übrigen Fällen muss dem Verwalter eine angemessene Überlegungsfrist eingeräumt werden, also diejenige Zeitspanne, die im Einzelfall objektiv benötigt wird, um Klarheit über die Maßstäbe der Wahlrechtsausübung und de-
44
1 2 3 4
BayObLG v. 3. 9. 2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143 (1144). Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (548). Begr. zu § 107 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 146. Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (551 f.); Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 45; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 26; ähnlich Tintelnot, ZIP 1995, 616 (617); im Ergebnis ebenso: OLG Köln v. 2. 12. 2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543.
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§8
Rz. 45
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
ren Bewertung zu erlangen1. Der Insolvenzverwalter ist insbesondere bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gemäß § 160 InsO schon gesetzlich gehalten, vor Abgabe seiner Erklärung die Zustimmung des zuständigen Gläubigerorgans, etwa des Gläubigerausschusses, einzuholen2. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Wahlrechtsausübung die Masse mit nicht unerheblichen Masseverbindlichkeiten belastet. 45
Dem Vertragspartner ist es demgegenüber nicht möglich, die angemessene Frist einseitig durch Vorgabe einer Erklärungsfrist in seiner Aufforderung zu bestimmen, da ihm die maßgeblichen Umstände der Entscheidungsfindung des Verwalters regelmäßig nicht bekannt sind3. Der Vertragspartner kann die Überlegungsfrist auch nicht dadurch verkürzen, dass er den Verwalter bereits in dessen Funktion als vorläufiger Verwalter zur Ausübung des Wahlrechts „für den Fall der Verfahrenseröffnung“ auffordert4.
46
Klagt der Verwalter die Gegenleistung ein, so obliegt dem Vertragspartner die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Erklärung des Insolvenzverwalters verspätet war5.
4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens 47
Wählt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages, so hat er gemäß § 103 Abs. 1 InsO den Vertrag anstelle des Schuldners zu erfüllen und kann auch vom anderen Teil Erfüllung verlangen. Die Verbindlichkeiten des Schuldners werden, sofern keine teilbare Leistung gemäß § 105 InsO vorliegt, gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO Masseverbindlichkeiten (hierzu vgl. § 6 Rz. 267). Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Vertragspartner für Leistungen, die er nach Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse erbringt, einen vollwertigen Gegenanspruch erhält6. Zur Vermeidung einer persönlichen Haftung gemäß § 61 InsO hat der Insolvenzverwalter überdies vor Ausübung des Wahlrechts zu prüfen, ob er die Ansprüche des Vertragspartners aus der Masse erfüllen kann (zur Haftung nach § 61 InsO vgl. § 6 Rz. 21). Für die Haftung des Insolvenzverwalters aus § 61 Satz 1 InsO kommt es nicht darauf an, ob die Forderung des Massegläubigers am Ende des Insolvenzverfahrens aus der Masse beglichen werden kann. Sie tritt bereits dann ein, wenn eine Erfüllung bei Fälligkeit nicht möglich ist7. Dabei ist die Haftung des Insolvenzverwalters auf das negative Interesse begrenzt8. 1 2 3 4 5
Balthasar in Nerlich/Römermann, § 107 InsO Rz. 46. Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 173. OLG Köln v. 2. 12. 2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543. BGH v. 8. 11. 2002 – IX ZR 53/04, NZI 2008, 36. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 47; Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 70. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 51. 7 OLG Hamm v. 16. 1. 2003 – 27 U 45/02, NZI 2003, 263; OLG Hamm v. 28. 11. 2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 = ZIP 2003, 1165; offen gelassen im BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107. 8 BGH v. 6. 5. 2004 – IX ZR 48/03, ZInsO 2004, 609; BGH v. 17. 12. 2004 – IX ZR 185/03, ZInsO 2005, 205; BAG v. 19. 1. 2006 – 6 AZR 600/04; Weitzmann in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 61 InsO Rz. 10.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 50
§8
Wird eine vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingegangene Verbindlichkeit erst durch ein Erfüllungsverlangen nach § 103 Abs. 1 InsO zu einer Masseverbindlichkeit, so ist dies der für eine Entlastung nach § 61 Satz 2 InsO maßgebliche Zeitpunkt der Begründung der Masseverbindlichkeit1. Die Erfüllungswahl führt weder inhaltlich noch sonst zu einer Veränderung des Vertrages, so dass nicht nur die Haupt-, sondern auch die Nebenpflichten grundsätzlich zu Masseverbindlichkeiten werden2. Dies betrifft zunächst Gewährleistungsansprüche3, selbst wenn sie aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung herrühren. Stundungen und die Vereinbarung von Lieferterminen durch den Schuldner sind auch gegenüber dem Insolvenzverwalter wirksam, während Schadensersatzansprüche und Rückgewähransprüche wegen zu vertretender Pflichtverletzung nur dann Masseansprüche nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO darstellen, wenn der Insolvenzverwalter sie zu vertreten hat4. Auch eine frühere Vertragsuntreue des Schuldners braucht sich der Insolvenzverwalter nicht zurechnen zu lassen5.
48
Eine dem Schuldner vor Verfahrenseröffnung gesetzte Nachfrist nach §§ 281 Abs. 1, 323 Abs.1 BGB läuft, wenn sie im Zeitpunkt der Eröffnung noch nicht abgelaufen war, gegenüber dem Verwalter weiter, ist jedoch mit Rücksicht auf die durch die Insolvenzeröffnung veränderten Umstände angemessen zu verlängern6. Ansprüche auf Vertragsstrafe oder nicht rechtzeitige Erfüllung durch den Insolvenzverwalter sind ebenfalls als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren7, nicht jedoch bereits vor Verfahrenseröffnung entstandene Verzugsschäden und Vertragsstrafen8.
49
Ist der Vertragspartner des Schuldners Gläubiger einer Insolvenzforderung, kann er gegen eine Zahlungsverpflichtung, die aus der Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters resultiert, gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht aufrechnen9, da die Aufrechnungslage vor dem Erfüllungsverlangen des Verwalters nicht werthaltig war und eine entsprechende Aufrechnungsberechtigung dem Vertragspartner infolgedessen eine ihm nicht gebührende Besserstellung gegenüber anderen Insolvenzgläubigern verschaffen würde10 (hierzu § 7 Rz. 518 f.). Gleichzeitig würden dadurch für die Masse sinnvolle Vertragsfortführungen
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1 OLG Hamm v. 28. 11. 2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150. 2 Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 76. 3 Ausführlich zum neuen Kaufgewährleistungsrecht und § 103 InsO: Scherer, NZI 2002, 356 ff.; Thomas B. Schmidt, ZInsO 2002, 103 ff.; Ringstmeier/Homann, ZIP 2002, 505 ff.; siehe auch Kreft, ZInsO 2003, 1120 ff. 4 Kuhn-Uhlenbruck, § 17 KO Rz. 23c. 5 OLG Rostock v. 26. 6. 2006 – 3 U 237/03, ZIP 2006, 1882. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 52. 7 Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 77. 8 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 103 InsO Rz. 76; Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (555); a.A. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 52. 9 BGH v. 11. 2. 1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 = NJW 1988, 1790; BGH v. 23. 2. 1989 – IX ZR 143/88, NJW 1989, 1353; BGH v. 21. 11. 1991 – IX ZR 290/90, BGHZ 116, 156 = NJW 1992, 507; siehe dazu auch Wieser, JZ 2003, 231. 10 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 56.
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§8
Rz. 51
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
vereitelt1, da nicht anzunehmen ist, dass sich ein Insolvenzverwalter für eine Vertragserfüllung entscheidet, wenn bereits vorher sicher feststeht, dass aufgrund der Aufrechnungslage nicht mit einem Massezufluss zu rechnen ist2. 51
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Schuldner vor Verfahrenseröffnung bereits teilweise vorgeleistet hat, weil der dieser Teilleistung entsprechende Anspruch auf die Gegenleistung von der Verfahrenseröffnung nicht berührt wird3, so dass dem Vertragspartner entsprechend der auch in § 105 InsO enthaltenen gesetzlichen Wertung ein Aufrechnungsanspruch nicht versagt werden kann.
52
Nach neuer Rechtsprechung des BGH4 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, dass die noch offenen Ansprüche aus von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen ihre Durchsetzbarkeit verlieren, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind. Das weitere Schicksal der Ansprüche ist daher allein davon abhängig, ob der Verwalter Vertragserfüllung wählt. Dementsprechend verlieren mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners auch Zessionen von Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Wirkung und können wegen § 91 Abs. 1 InsO nach Eröffnung nicht wirksam neu erworben werden5.
53
Soweit der Gemeinschuldner jedoch bei einem gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung Vorleistungen erbracht hat, bleiben Abtretungen, Verpfändungen und Anweisungen entsprechend den zur Aufrechnung entwickelten Grundsätzen bestehen6. Entsprechend der auch in § 105 InsO enthaltenen gesetzlichen Wertung ist es angezeigt, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters verbundenen Rechtsfolgen auf den Teil der Gegenleistung zu beschränken, der auf die bei Verfahrenseröffnung noch ausstehende Erfüllungsleistung der Masse entfällt. Bei teilweise erbrachten Leistungen des Gemeinschuldners wird mithin die auf diesen Teil entfallende Gegenleistung weder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch das Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters berührt, so dass der Anspruch auf die der erbrachten Teilleistung entsprechende Gegenleistung ebenso bestehen bleibt wie etwa daran begründete Drittrechte7.
1 Kreft, ZIP 1997, 865 (868). 2 Jacoby in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 95 InsO Rz. 35. 3 BGH v. 27. 2. 1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25 (26) = ZIP 1997, 688; siehe dazu auch Kreft, ZIP 1997, 865. 4 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; siehe dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 5 BGH v. 20. 12. 1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 = NJW 1989, 1282; BGH v. 14. 12. 1989 – IX ZR 283/88, NJW 1990, 1113. 6 BGH v. 4. 5. 1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 = NJW 1995, 1966. 7 BGH v. 27. 2. 1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25 = ZIP 1997, 688; Kreft, ZIP 1997, 865 (870); a.A. Tintelnot in Kübler/Prütting, § 103 InsO Rz. 91.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 57
§8
5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung Als Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlieren die noch offenen Ansprüche aus von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen ihre Durchsetzbarkeit1. Der Erklärung des Insolvenzverwalters, er lehne die Erfüllung ab, kommt daher lediglich deklaratorische Bedeutung dahin gehend zu, dass es bei den mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Folgen bleiben soll.
54
Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, kann keine der beiden Parteien mehr Erfüllung verlangen. Statt dessen gewährt § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO dem Vertragspartner einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, den er als Insolvenzgläubiger zur Tabelle anmelden muss und der im Verfahren in Höhe der Quote bedient wird2.
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Die wechselseitigen Erfüllungsansprüche werden bei Erfüllungsablehnung durch ein Abrechnungsverhältnis ersetzt3. In dieses Abrechnungsverhältnis werden sämtliche Ansprüche beider Vertragsparteien inklusive Gewährleistungsansprüchen und Folgeschäden aus bereits erbrachten Teilleistungen als unselbständige Rechnungsposten eingestellt. Nicht in das Abrechnungsverhältnis einzustellen ist nach vorherrschender Auffassung der entgangene Gewinn des Vertragspartners4. Auch steht diesem bei einem Bauvertrag ein Zurückbehaltungsrecht in dreifacher Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten gegenüber dem Insolvenzverwalter, der die Nachbesserung aus einem Werkvertrag abgelehnt hat, nicht zu; vielmehr ist er darauf beschränkt, den einfachen Abzug der festgestellten Beseitigungskosten geltend machen zu können5.
56
Haben die Vertragspartner teilweise erfüllt, so stellen die erbrachten Teilleistungen Rechnungsposten bei der Ermittlung des dem Vertragspartner zustehenden Schadensersatzanspruchs dar6. Ist dem Vertragspartner kein Schaden entstanden, oder ist der Schaden niedriger als der Wert der vom Schuldner erbrachten Leistungen, hat der Insolvenzverwalter einen etwa zugunsten der Insolvenzmasse verbleibenden Differenzbetrag einzuziehen7.
57
1 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; siehe dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWir 2003, 1. 2 OLG Düsseldorf v. 7. 4. 2005 – I-10 U 161/04, ZInsO 2005, 820 ff. 3 BGH v. 5. 5. 1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345; BGH v. 29. 1. 1987 – IX ZR 205/85, NJW 1987, 1702; BGH v. 11. 3. 1997 – X ZR 146/94, NJW 1997, 3434; BGH v. 16. 12. 1999 – IX ZR 197/99, NZI 2000, 115 = ZIP 2000, 237. 4 Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 88 m.w.N.; a.A. Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 103 InsO Rz. 190 m.w.N. 5 AG Witten v. 9. 4. 2003 – 15 C 284/02, ZInsO 2003, 479. 6 BGH v. 5. 5. 1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345. 7 BGH v. 29. 1. 1987 – IX ZR 205/85, NJW 1987, 1702; BGH v. 7. 6. 1991 – V ZR 17/90, NJW 1991, 2897.
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§8
Rz. 58
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
58
Die Verjährung für die Forderung wegen Nichterfüllung beginnt mit der Erfüllungsablehnung des Verwalters neu und richtet sich nach der für den ursprünglichen vertraglichen Hauptleistungsanspruch geltenden Verjährungsfrist1.
59
Hat der Verwalter gegen den Vertragspartner eine zur Masse gehörende Forderung, so kann der Vertragspartner dagegen mit seiner aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO resultierenden Forderung wegen Nichterfüllung aufrechnen, da der Anspruch schon vor Verfahrenseröffnung aufschiebend bedingt entstanden war, so dass das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht gegeben ist2 (zu diesem siehe § 7 Rz. 501 ff.).
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Da mit der Erfüllungsablehnung ein Recht zum Besitz wegfällt, hat der Insolvenzverwalter im Wege der Aussonderung dasjenige herauszugeben, was der Vertragspartner in die Insolvenzmasse eingebracht hat, ohne dass es dem Schuldner bereits übereignet worden ist3. So ist der Insolvenzverwalter in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters einer beweglichen Sache von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an zur Herausgabe an den Vermieter verpflichtet, wenn er nicht die Erfüllung des Mietvertrages wählt. Der Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Rückgabe der Mietsache ist grundsätzlich eine Insolvenzforderung. Hat der Verwalter die Mietsache nach der Verfahrenseröffnung genutzt, ohne die Erfüllung des Mietvertrages zu verlangen, stellt der Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung eine Masseforderung dar4.
60a
Auch hinsichtlich sonstiger Teilleistungen ist rückabzuwickeln, wenn der Rechtsgrund durch die Erfüllungsablehnung entfallen ist. So muss der Verwalter dem Vertragspartner etwa eine Löschungsbewilligung erteilen, wenn dem Schuldner für den erloschenen Übereignungsanspruch eine Vormerkung erteilt worden ist5.
61
Hat der Schuldner vor Verfahrenseröffnung an seinen Vertragspartner vorgeleistet und übersteigt der Wert dieser Vorleistung dessen Nichterfüllungsanspruch, so hat ein Ausgleich stattzufinden, da die Nichterfüllung nicht zu einer Vermögensmehrung beim Vertragspartner führen darf, auf die er auch im Falle der Erfüllung keinen Anspruch hätte. Nach Ansicht des BGH kann der Verwalter die Vorleistung des Schuldners über die Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung wieder herausverlangen, da mit der Erfüllungsablehnung der Rechtsgrund für die Leistung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB entfallen ist6.
62
Eine Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO gegenüber dem Rechtsschutzversicherer, die weitere Erfüllung des Vertrages abzulehnen, lässt dessen Gefahrtragungspflicht für vergangene Versicherungsperioden nicht ent1 2 3 4 5 6
Berscheid in Uhlenbruck, § 103 InsO Rz. 90. Tintelnot, KTS 2004, 339 (345); Balthasar in Nerlich/Römermann, § 103 InsO Rz. 65. Braun/Kroth, § 103 InsO Rz. 72. BGH v. 1. 3. 2007 – IX ZR 81/05, ZIP 2007, 778 ff. Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (555). BGH v. 5. 5. 1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345; BGH v. 11. 3. 1997 – X ZR 146/94, NJW 1997, 3434.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 63e
§8
fallen, wenn für den zurückliegenden Zeitraum die Versicherungsprämien geleistet worden sind1. Wegen der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens enthält die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags gleichzeitig auch den Widerruf des Bezugsrechts2. Eine Klausel in den AVB Warenkreditversicherung, wonach der Anspruch auf eine Mindestprämie bei einer Vertragsbeendigung unberührt bleibt, verstöß im Falle der Kündigung durch den Insolvenzverwalter gem. § 103 Abs. 1 InsO gegen § 119 InsO und ist daher unwirksam3.
63
Wählt der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung eines Lizenzvertrages, erlischt mit Beendigung des Vertrages – analog § 9 VerlG – die ausschließliche Lizenz4. Hierbei soll der über das Vermögen einer Lizenzgeberin bestellte Insolvenzverwalter wegen der Vorschrift des § 119 InsO die Erfüllung des Lizenzvertrags selbst dann ablehnen können, wenn die Vertragsparteien zuvor vereinbart hatten, dass die ausschließliche Lizenz als Sacheinlage der Lizenznehmerin „durch den Einbringenden bzw. Eigentumsnachfolger nicht wieder entzogen“ werden kann5.
63a
Wegen dieser Folge stellt sich die Frage, ob für einen Lizenznehmer die Möglichkeit besteht, eine insolvenzfeste Lizenz zu erhalten6. Zum Teil wird in der Literatur vertreten, jedenfalls die exklusive Lizenz gebe in der Insolvenz des Lizenzgebers ein Aussonderungsrecht7 oder es sei auf Lizenzverträge § 108 Abs. 1 S. 1 InsO analog anwendbar8.
63b
Nach einer Ende 2005 ergangenen Entscheidung des BGH9 ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich diese Ansichten in der Praxis durchsetzen werden. Die analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO hat der BGH in einem Satz mit der Begründung abgelehnt, Gegenstand von Lizenzverträgen sei kein unbewegliches Vermögen10. Die Ansichten, wonach dem Lizenznehmer ein Aussonderungsrecht zustehen kann, hat der BGH nicht einmal erwähnt.
63c
Insofern kann die Insolvenzfestigkeit von Lizenzen allenfalls durch Vertragsgestaltung erreicht werden. Dabei ist jedoch stets die Vorschrift des § 119 InsO zu beachten. Das dem Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO zustehende Wahlrecht darf weder ausdrücklich noch faktisch ausgeschlossen werden.
63d
Der BGH hat im o.g. Urteil für einen Softwarelizenzvertrag, mit dem eine ausschließliche Lizenzvergeben wurde, folgende – etwas umständlich anmutende
63e
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
OLG Karlsruhe v. 7. 3. 2002 – 12 U 290/01, NZI 2002, 316. OLG Köln v. 20. 12. 2000 – 5 U 116/00, ZInsO 2002, 534. AG Hamburg v. 19. 10. 2004 – 316 C 252/04, ZInsO 2005, 502. LG Mannheim v. 27. 6. 2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; v. Frentz/Marrder, ZUM 2003, 94, 101; a.A. Wallner, NZI 2002, 70, 74; Abel, NZI 2003, 111, 126; Stickelbrock, WM 2004, 549, 559. LG Mannheim v. 27. 6. 2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479. Hierzu Wallner, ZIP 2004, 2073 ff. Bausch, NZI 2005, 289; Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (82). Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (82); a.A. Abel, NZI 2003, 121 (127); McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682 (692). BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 162/04, ZIP 2006, 87 = ZInsO 2006, 35 = NZI 2006, 229. BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 162/04, NZI 2006, 229 (230).
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901
§8
Rz. 63f
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
– Konstruktion vor § 119 InsO bestehen lassen1: Dem Lizenznehmer stand nach dem Lizenzvertrag ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zu, wobei ein wichtiger Grund insbesondere die Nichterfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter sein sollte. Durch die Ausübung des Kündigungsrechts standen dem Lizenznehmer die Nutzungsrechte an der Software samt Quellcodes zu; im Gegenzug hatte der Lizenznehmer eine einmalige Vergütung zu zahlen. Dieses Urteil wird teilweise als ein „wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen“2 angesehen. Es ist jedoch unsicher, inwieweit die Entscheidung auf die diversen unterschiedlichen Lizenzvertragstypen übertragbar ist. Jedenfalls bei einer einfachen, nicht-exklusiven Lizenz, ist eine derartige Vertragsgestaltung undenkbar3. 63f
Einige Stimmen in der Literatur sehen einen sinnvollen Ausweg für den Lizenznehmer darin, dass dieser sich Sicherheiten an dem lizenzierten Schutzrecht einräumen lässt. Diskutiert werden beispielsweise ein Pfandrecht zur Sicherung des Schadensersatzanspruchs aus § 103 Abs. 2 S. 1 InsO bzw. eine Sicherungsabtretung4 sowie ein Sicherungsnießbrauch5. Gegen die Zulässigkeit derartige Vereinbarungen bestehen jedoch wegen § 119 InsO erhebliche Bedenken. Insbesondere dürfte die Einräumung einer Sicherheit für den Schadensersatzanspruch aus § 103 Abs. 2 S. 1 InsO gegen § 119 InsO verstoßen. Ebenso ist die Gefahr der Anfechtbarkeit zu beachten. Darüber hinaus ist der praktische Nutzen der genannten Sicherheiten im Insolvenzfall fraglich6. Nicht zuletzt muss bezweifelt werden, ob sich ein Lizenzgeber überhaupt auf solche Sicherungsvereinbarungen einlässt7, insbesondere bei nicht-ausschließlichen Lizenzen. Mittlerweile stuft auch der Gesetzgeber die ungünstige Stellung des Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers als problematisch ein. Am 29. 6. 2007 hatte das BMJ in einer Pressemitteilung8 angekündigt, einen Regelungsvorschlag zum besseren Schutz der berechtigten Interessen des Lizenznehmers in einer solchen Situation vorzulegen. Inzwischen liegt bereits ein Regierungsentwurf vor, der die Einfügung eines neuen § 108a in die InsO vorsieht9. § 108a RegE soll folgenden Wortlaut haben:
1 2 3 4 5 6
Vgl. hierzu Bärenz, EWiR 2006, 119; kritisch Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (80). So Berger, NZI 2006, 380 (383). Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677 (679 ff.). Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 830 (831 f.). Berger, GRUR 2004, 20. Vgl. Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677 (680 f.); McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682 (695); Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 830 (832 f.). 7 Vgl. Bausch, NZI 2005, 289; Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677 (681). 8 Einzusehen unter http://www.bundesjustizministerium.de/enid/50087277e1fdec 8810 d76312a92cb095,8267ac706d635f6964092d0934353431093a0979656172092d09323030 37093a096d6f6e7468092d093036093a095f7472636964092d0934353431/Pressestelle/Pr essemitteilungen_58.html. 9 RegE eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen, einzusehen unter http://www.bmj.de/files/-/2368/RegE%20Entschuldung%20mittelloser%20Per sonen.pdf.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 63f
§8
„Ein vom Schuldner als Lizenzgeber abgeschlossener Lizenzvertrag über ein Recht am geistigen Eigentum besteht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Dies gilt für vertragliche Nebenpflichten nur in dem Umfang, als deren Erfüllung zwingend geboten ist, um dem Lizenznehmer eine Nutzung des geschützten Rechts zu ermöglichen. Besteht zwischen der im Lizenzvertrag vereinbarten Vergütung und einer marktgerechten Vergütung ein auffälliges Missverhältnis, so kann der Insolvenzverwalter eine Anpassung der Vergütung verlangen; in diesem Fall kann der Lizenznehmer den Vertrag fristlos kündigen.“ Nach den Vorstellungen des BMJ soll das Gesetzgebungsverfahren bis Frühjahr 2008 abgeschlossen sein1. Gemäß § 108a S. 1 RegE sollen Lizenzverträge also grundsätzlich insolvenzfest sein. Dies ist angesichts der geschilderten drohenden Folgen für den Lizenznehmer2 zu begrüßen. Demgegenüber soll § 108a S. 2 RegE einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse des Lizenznehmers am Fortbestand des Vertrags und dem Interesse der Gläubiger des Lizenzgebers am Erhalt der Insolvenzmasse schaffen3. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte jedoch der Begriff der „Nebenpflichten, deren Erfüllung zur Nutzung des geschützten Rechts zwingend geboten ist“ zumindest in der Gesetzesbegründung noch konkretisiert werden. Der Begründung zum RegE lässt sich lediglich entnehmen, dass die Pflicht zur Zahlung von Gebühren zur Aufrechterhaltung des Schutzrechts wohl die Insolvenzmasse treffen soll4. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren sollte jedoch bedacht werden, ob es nicht – zumindest bei exklusiven Lizenzen – vorzugswürdig ist, die Verpflichtung der Insolvenzmasse auf die passive Duldung der Nutzung des geschützten Rechts zu beschränken und die Pflicht zur Gebührenzahlung zur Aufrechterhaltung des Schutzrechts den Lizenznehmer treffen zu lassen5. § 108a S. 3 RegE soll regeln, wie bei einem „auffälligen Missverhältnis“ (so der Gesetzeswortlaut) bzw. einem „krassen Missverhältnis“ (so die Gesetzesbegründung6) zwischen der vereinbarten und einer marktgerechten Vergütung zu verfahren ist. Bei einem derartigen Missverhältnis stellt sich zunächst die Frage nach einer Nichtigkeit gemäß § 138 BGB. Da jedoch die Anpassung eines nichtigen Vertrages ausscheidet, wird § 108a S. 3 RegE Fälle erfassen wollen, die sich unterhalb der Sittenwidrigkeitsschwelle abspielen. Unter systematischen Gesichtspunkten ist hierzu anzumerken, dass bislang die Frage, ob Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis stehen, nicht in den §§ 103 ff. InsO geregelt wird, sondern derzeit ausschließlich Gegenstand 1 Pressemitteilung des BMJ v. 22. 8. 2007, einzusehen unter http://www.bmj.de/enid/ 5c2d6c6fd4bdead32dd578b4ffadad6a,68ce3b706d635f6964092d0934363036093a097965 6172092d0932303037093a096d6f6e7468092d093038093a095f7472636964092d0934363 036/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html. 2 Auch die Begründung zum RegE (S. 56) erwähnt die „geradezu ruinösen Auswirkungen bei dem Lizenznehmer“. 3 Begründung zum RegE (S. 58 f.). 4 Begründung zum RegE (S. 58). 5 Vgl. Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677 (684). 6 Begründung zum RegE (S. 59).
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§8
Rz. 63f
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
der Vorschriften über die Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) sind. Bei einem „auffälligen Missverhältnis“, wie es der Tatbestand des geplanten § 108a S. 3 RegE vorsieht, kommen bereits nach geltendem Recht folgende Konsequenzen in Betracht: –
Anfechtbarkeit gemäß § 134 InsO: Eine Leistung ist als teilweise unentgeltlich anzusehen, wenn die Parteien „den ihnen zustehenden Bewertungsspielraum überschritten“1 haben. Dies ist bei einer Gegenleistung, die „auffällig“ weit den Bereich des Marktgerechten verlässt, der Fall.
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Anfechtbarkeit wegen unmittelbarer Benachteiligung: Eine unmittelbare Benachteiligung des Insolvenzschuldners ist stets gegeben, wenn dieser einseitige Vermögensopfer, insbesondere Leistungen ohne ausgleichende Gegenleistungen, erbringt2 .Liegen auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen vor, besteht das Risiko einer Anfechtbarkeit gemäß § 132 oder § 133 Abs. 2 InsO.
–
Anfechtbarkeit gemäß § 133 Abs. 1 InsO: Nimmt der Schuldner unentgeltliche Zuwendungen vor, veräußert er also z.B. Gegenstände aus seinem Vermögen unter Wert, so kann dies sowohl ein Beweisanzeichen für seinen Benachteiligungsvorsatz wie auch für die Kenntnis des anderen Teil sein3. Schließt der Lizenzgeber also einen Lizenzvertrag mit einer erheblich unter dem Marktwert liegenden Vergütung, spricht einiges dafür, dass auch eine Anfechtbarkeit gemäß § 133 Abs. 1 InsO gegeben ist.
Aus der Begründung zum RegE ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese Anfechtungsproblematik im Blick hatte. Soweit sich als Rechtsfolge einer Anfechtung jedoch die Rückabwicklung des Lizenzvertrags ergibt, bleibt für eine Vertragsanpassung, wie es § 108a S. 3, HS 1 RegE vorsieht, kein Raum. Insofern bleibt zu bezweifeln, ob der Vorschrift ein nennenswerter Anwendungsbereich verbleibt. Unabhängig davon überzeugt das dem Lizenznehmer gemäß § 108a S. 3, HS 2 RegE eingeräumte außerordentliche Kündigungsrecht nicht. Es ist nicht ersichtlich, warum der Lizenznehmer, der in der Vergangenheit das Recht zu auffällig weit unter dem Marktwert liegenden Konditionen nutzen durfte, davor geschützt werden soll, infolge der Vertragsanpassung nunmehr eine marktgerechte Vergütung zahlen zu müssen. In diesen von § 108a S. 3, HS 2 RegE erfassten Fällen dürften vielmehr die Interessen der Gläubigergesamtheit bzw. der Insolvenzmasse denen des Lizenznehmers vorgehen. Insofern ist auch zu überlegen, ob es nicht eher sachgerecht ist, dem Verwalter seinerseits ein außerordentliches Kündigungsrecht statt einem Anspruch auf Vertragsanpassung einzuräumen, um diesem einen größeren Spielraum bei der Verwertung des geschützten Rechts zur Verfügung zu stellen. Zumindest sollte aber das Sonderkündigungsrecht des Lizenznehmers gestrichen werden.
1 St. Rspr., vgl. BGH v. 1. 4. 2004 – IX ZR 305/00, ZIP 2004, 957 (960) m.w.N.; vgl. dazu auch Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 134 Rz. 42. 2 Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 129 Rz. 114. 3 Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 133 Rz. 32.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 67
§8
6. Praxistipp/Musterschreiben Bevor der Insolvenzverwalter eine Entscheidung darüber trifft, ob er Vertragserfüllung wählt oder die Erfüllung ablehnt, ist er gehalten, die Auswirkungen seiner Entscheidung eingehend im Hinblick auf die Vorteilhaftigkeit für die Insolvenzmasse zu prüfen, wobei er auch die steuerlichen Folgen bedenken muss. Gerade bei umfangreichen Vertragsverhältnissen kann dies schwierig und entsprechend zeitaufwendig sein.
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Ist der Vertragspartner demgegenüber daran interessiert, möglichst zügig Klarheit über den weiteren Verlauf des Vertragsverhältnisses zu erhalten, sollte er die ihm in § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO eingeräumte Möglichkeit nutzen und den Verwalter unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auffordern, sich unverzüglich darüber zu erklären, ob er die Erfüllung verlangen will.
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Musterschreiben für den Insolvenzverwalter bei Erfüllungswahl:
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Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00. 00. 00 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XYZ eröffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Nach den mir vorliegenden Geschäftsunterlagen besteht zwischen der Schuldnerin und Ihnen der anliegend beigefügte Vertrag über die Lieferung von (Vertragsgegenstand bezeichnen). Gemäß §§ 103, 105 InsO verlange ich für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Erfüllung des bestehenden Vertrages. Ich mache darauf aufmerksam, dass Ansprüche auf die Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können und zur Insolvenztabelle anzumelden sind. Mit freundlichen Grüßen
Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO: Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantschaft besteht der ebenfalls anliegende Vertrag über die Lieferung von (Bezeichnung des Vertragsgegenstandes). Die Ware wurde dem Schuldner bereits teilweise von meiner Mandantschaft am 00. 00. 00 geliefert und von diesem auch bereits teilweise bezahlt. Dahl
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§8
Rz. 68
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Im Hinblick auf die noch ausstehende weitere Vertragsabwicklung fordert meine Mandantschaft Sie gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO auf, sich in Ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter unverzüglich darüber zu erklären, ob Erfüllung verlangt wird. Mit freundlichen Grüßen
III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 68
Zweck der Ausnahmeregelungen in § 104 InsO1 ist es, den Vertragspartner vor Unsicherheiten und Nachteilen, die aus dem Wahlrecht des Verwalters in § 103 InsO entstehen, zu schützen. Hierbei trägt die Regelung dem Umstand Rechnung, dass die Zeitspanne der Ungewissheit, die erst mit der Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter endet, nicht bei allen Vertragstypen hingenommen werden kann.
69
Bei Fix- und Finanztermingeschäften kommt es schon im Hinblick auf die erheblichen Preisschwankungen an Markt und Börse auf die exakte Einhaltung der vertraglich vereinbarten Lieferzeit bzw. des vertraglich festgelegten Zeitraums an, so dass der Vertragspartner bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein schutzwürdiges Interesse daran hat, umgehend Klarheit über die Rechtslage zu erhalten, um gegebenenfalls unmittelbar Ersatzgeschäfte tätigen zu können.
70
Um diese Probleme zu lösen, ordnet die Vorschrift des § 104 InsO für bestimmte Fix- und Finanztermingeschäfte zwingend an, dass Erfüllung nicht verlangt werden kann. Dem Insolvenzverwalter soll hiermit schließlich auch die Möglichkeit genommen werden, sein ihm in § 103 InsO eingeräumtes Wahlrecht für zu Lasten des Vertragspartners gehenden Spekulationen auszunutzen.
70a
Im Zuge der Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie2 wurde durch Gesetz vom 5. 4. 2004 (BGBl. I, 502) die amtliche Überschrift des § 104 InsO geändert und der Terminus „Finanztermingeschäfte“ durch den Terminus „Finanzleistungen“ ersetzt. Der Begriff „Finanztermingeschäfte“ erschien insoweit zu eng, als § 104 Abs. 2 InsO auch Kassageschäfte erfasst, bei denen fraglich ist, ob sie zu den eigentlichen Finanztermingeschäften gehören3.
1 Ausführlich dazu: Bosch in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 1009 ff.; von Wilmowsky, WM 2002, 2264 ff.; Ehricke, ZIP 2003, 273 ff. 2 Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6. 6. 2002 über Finanzsicherheiten, ABl. L 168, 43. 3 Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1565).
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Fixgeschäfte und Finanztermingeschäfte, § 104 InsO
Rz. 76
§8
2. Fixgeschäfte a) Tatbestandsvoraussetzungen § 104 Abs. 1 InsO setzt einen Liefervertrag voraus, der bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllt ist. Liegt es anders, so gelten die allgemeinen Regeln: Hat der Vertragspartner bereits vollständig geleistet, so kann er seinen Anspruch auf die Gegenleistung zur Insolvenztabelle anmelden; hat der Schuldner seine Leistung bereits vollständig erbracht, so hat der Vertragspartner seine Gegenleistung in die Insolvenzmasse zu erbringen.
71
Gegenstand des Liefervertrages müssen Waren sein. Der Begriff der Waren, der früher in § 1 Abs. 2 Nr. 1 HGB gesetzlich definiert war, umfasst bewegliche Sachen und körperliche Gegenstände, nicht aber Forderungen und Rechte1.
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Die Waren müssen einen Markt- oder Börsenpreis haben, es muss sich also um vertretbare Sachen i.S. des § 91 BGB handeln. Der Begriff des Marktpreises ist weit auszulegen, wobei es genügt, wenn sich der Preis durch Durchschnittsberechnungen oder Sachverständigengutachten ermitteln lässt2. Erforderlich ist allerdings, dass die Ware zu diesem Preis tatsächlich in nennenswertem Umfang gehandelt wird, weil nur dann gewährleistet ist, dass sich die Vertragspartner tatsächlich am Markt zu einem objektiv feststellbaren Preis neu eindecken können3.
73
Schließlich muss es sich um ein Fixgeschäft i.S. der §§ 323 Abs. 2 Ziff. 2 BGB, 376 HGB handeln. Wesensmerkmal solcher Fixgeschäfte ist die Vereinbarung einer Lieferung „genau“ zu einer „fest“bestimmten Zeit oder innerhalb einer „fest“bestimmten Frist. Die Bestimmung des Liefertermins oder der Lieferfrist muss nach dem Willen der Parteien also so wesentlich sein, dass der Vertrag mit der Einhaltung oder Versäumung des Termins bzw. der Frist steht oder fällt4.
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b) Rechtsfolgen Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt ein im Sinne des § 104 Abs. 1 InsO von beiden Seiten noch nicht vollständig erfülltes Fixgeschäft von Gesetzes wegen und die beiderseitigen Erfüllungsansprüche gehen unter.
75
Statt des Erfüllungsanspruchs entsteht ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Geschäfts, der nach § 104 Abs. 3 InsO berechnet wird und sowohl vom Vertragspartner als auch vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann5. Die hierdurch herbeigeführte Umwandlung bleibt auch dann bestehen, wenn das Verfahren später wieder aufgehoben wird, weil nur auf diese
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1 2 3 4 5
Braun/Kroth, § 104 InsO Rz. 4. Bosch, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 1009 (1023). Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104 InsO Rz. 15 m.w.N. BGH v. 17. 1. 1990 – VIII ZR 292/88, BGHZ 110, 88 (96) = NJW 1990, 2065. Zu Einzelheiten vgl. Ehricke, NZI 2006, 564, 565.
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§8
Rz. 77
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Weise dem Bedürfnis des Vertragspartners nach Rechtssicherheit hinreichend Rechnung getragen wird1. 77
Gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 InsO richtet sich die Forderung wegen der Nichterfüllung auf den Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Markt- oder Börsenpreis, der am zweiten Tag nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Erfüllungsort für einen Vertrag mit der vereinbarten Erfüllungszeit maßgeblich ist (sog. Differenzgeschäft). Die 2-Tages-Frist ist in der Literatur als unter heutigen Marktverhältnissen nicht mehr zeitgemäß kritisiert worden2. Das Gesetz zur Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie vom 5. April 2004 (BGBl. I, 502) änderte die Vorschrift des § 104 Abs. 3 Satz 1 InsO dahin gehend, dass die Parteien den maßgebenden Zeitpunkt festlegen können, sofern er nicht später als der fünfte Werktag nach Verfahrenseröffnung liegt. Lassen die Parteien diese Frage ungeregelt, so ist wie bisher der zweite Werktag nach der Eröffnung des Verfahrens maßgeblich3.
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Die einzelne Berechnung erfolgt abstrakt, d.h. ausschließlich anhand des objektiven Marktpreises und ohne Rücksicht darauf, ob der Vertragspartner sich tatsächlich zu einem höheren Preis eingedeckt oder verkauft hat. Ebenso unerheblich sind der entgangene Gewinn, der über die Preisdifferenz hinausgeht, sowie Gebühren oder Provisionen4, die nur dann anfallen, wenn der Vertragspartner oder Verwalter tatsächlich ein Gegengeschäft zur Glattstellung abschließt.
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Übersteigt der Marktpreis den vertraglich vereinbarten Preis, kann der Vertragspartner diesen gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 InsO als Insolvenzforderung geltend machen. Unterschreitet umgekehrt der Marktpreis den vertraglich vereinbarten Preis, hat der Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Erstattung der Differenz zur Insolvenzmasse.
3. Finanzleistungen a) Tatbestandsvoraussetzungen 80
In § 104 Abs. 2 InsO werden so genannte Finanzleistungen dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters entzogen.
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§ 104 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt zunächst allgemein, dass dann, wenn für Finanzleistungen, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte Frist vereinbart war und die Zeit oder der Ablauf der Frist erst nach Verfahrenseröffnung eintritt, Erfüllung nicht verlangt werden kann.
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104 InsO Rz. 18; Köndgen in Kübler/Prütting, § 104 InsO Rz. 16; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 38 Rz. 9. 2 Bosch, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 1009 (1038). 3 Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1565). 4 Wie hier Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104 InsO Rz. 19; a.A. Braun/Kroth, § 104 InsO Rz. 13.
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Fixgeschäfte und Finanztermingeschäfte, § 104 InsO
Rz. 85
§8
Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die von den Finanzmärkten entwickelten neueren (derivativen) Finanzinstrumente1. Der Begriff der Finanzleistungen entspricht somit den im Sprachgebrauch „Finanz-Derivate“ genannten Termingeschäften mit den Grundformen Festgeschäfte, Swap-Geschäfte und Optionsgeschäfte2. Er schließt zudem auch Termingeschäfte über Geldmarktinstrumente ein, die von § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1-5 InsO nicht erfasst werden3.
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Der in § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO verwendete Begriff des Markt- und Börsenpreises ist ebenso wie in § 104 Abs. 1 InsO weit zu fassen. Entscheidend ist, dass sich ein objektiver Marktwert, etwa über eine Börsennotierung, errechnen lässt. Ausreichend ist aber auch, wenn sich der Preis durch einen Sachverständigen feststellen lässt.
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Schließlich bestimmt § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO, dass für die Finanzleistung eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte Frist vereinbart wurde. Aus der Formulierung ergibt sich, dass die Zeitbestimmung im Unterschied zu § 104 Abs. 1 InsO nicht den Anforderungen eines Fixgeschäfts im Sinne der §§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB, 378 HGB genügen muss. Geschäfte, die auf unbestimmte Zeit abgeschlossen sind, werden von der Regelung nicht erfasst; ausreichend ist aber die Vereinbarung eines Spätest-Zeitpunkts4.
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§ 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1-5 InsO enthält eine – freilich nicht abschließende – Liste von Regelbeispielen, in denen die wichtigsten Finanzleistungen in ihren Grundformen enthalten sind:
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–
Lieferung von Edelmetallen (Nr. 1) wie Gold, Silber und Platin.
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Lieferung von Wertpapieren oder vergleichbaren Rechten (Nr. 2) wie Aktien, Investmentzertifikate, Schuldverschreibungen, Obligationen und äquivalente Wertrechte; außerdem handelbare Register-, Schuldbuch- und Schuldscheinforderungen sowie die neueren Wertpapierformen der internationalen Geld- und Kapitalmärkte, nicht jedoch Schecks, Wechsel, Konnossemente und andere Wertpapiere, für die ein Markt nicht besteht, sowie Geschäfte, die dazu dienen, eine Beteiligung herzustellen.
–
Geldleistungen in ausländischer Währung oder in Rechnungseinheit (Nr. 3), wie Devisentermingeschäfte und Devisenswapgeschäfte.
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Geldleistungen, deren Höhe durch Kurs, Zinssatz oder Preis mittelbar oder unmittelbar bestimmt wird (Nr. 4), also sämtliche sonstigen Termingeschäfte, denen gemeinsam ist, dass bei Fälligkeit statt einer effektiven Lieferung ein Differenzausgleich vorzunehmen ist.
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104 InsO Rz. 21; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 104 InsO Rz. 6. 2 Jahn in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 104 InsO Rz. 49; Köndgen in Kübler/Prütting, § 104 InsO Rz. 18 ff.; Bosch, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 1013 ff. 3 Jahn in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 104 InsO Rz. 48. 4 Bosch, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 1009 (1023).
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§8
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Rz. 86
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
–
Optionen und andere Rechte (Nr. 5), wenn sie sich auf Finanzleistungen der in § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1–4 InsO benannten Art beziehen.
–
Im Zuge der Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie durch Gesetz vom 5. April 2004 (BGBl. I, 502) wurde die Liste der in § 104 Abs. 2 Satz 2 enthaltenen Regelbeispiele um eine Nr. 6 erweitert, so dass künftig auch Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Abs. 17 des Kreditwesengesetzes (KWG) erfasst werden1.
Außer den vorstehend genannten gesetzlich geregelten Geschäften unterfallen dem Anwendungsbereich des § 104 Abs. 2 InsO unter anderen2: –
Kassageschäfte, nicht aber Bargeschäfte;
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Börsentermingeschäfte im engeren Sinne, wie börsengehandelte Finanzleistungen;
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Wertpapierleihe und Wertpapierdarlehen;
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echte und unechte Wertpapierpensionsgeschäfte.
b) Rechtsfolgen 87
Die Rechtsfolgen nach § 104 Abs. 2 InsO entsprechen grundsätzlich jenen des § 104 Abs. 1 InsO, d.h. mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen die beiderseitigen Erfüllungsansprüche und werden durch einen Differenzanspruch ersetzt, der gemäß § 104 Abs. 3 InsO zu berechnen ist.
88
Besonderheiten ergeben sich aber dann, wenn zwischen den Parteien mehrere Finanzgeschäfte bestehen, die in einem Rahmenvertrag dergestalt zusammengefasst sind, dass vereinbarungsgemäß bei Vertragsverletzungen nur eine einheitliche Beendigung erfolgen kann. Für diesen Fall ordnet § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO an, dass die Gesamtheit dieser Geschäfte als ein gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 103, 104 InsO anzusehen ist. Derartige Rahmenverträge sind in der bankbetrieblichen Praxis weit verbreitet (z.B. Verrechnungspraxis des „close-out netting“)3.
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Die Regelung des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO verfolgt den Zweck, sicherzustellen, dass bei vollständiger Erfüllung eines einzelnen Geschäfts auf Seiten einer Vertragspartei die Saldierungsmöglichkeit des § 104 InsO zur Risikominimierung erhalten bleibt. Gleichzeitig bewirkt die Fiktion der Geschäfte als Einheit, dass es keiner der Parteien möglich ist, die allein für sie vorteilhaften einzelnen Geschäftsabschlüsse herauszusuchen (so genanntes cherry picking)4.
1 Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1568). 2 Ausführlich dazu Jahn in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 104 InsO Rz. 73 ff. 3 Ausführlich dazu Jahn in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 104 InsO Rz. 123 ff.; Köndgen in Kübler/Prütting, § 104 InsO Rz. 36 ff.; Berger, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 499 (518 ff.); Bosch, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 1009 (1030 ff.). 4 Braun/Kroth, § 104 InsO Rz. 10; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 104 InsO Rz. 46.
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Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO
Rz. 94
§8
Die einheitliche Beendigung der Geschäfte gilt im Übrigen auch dann, wenn zwar die Voraussetzungen des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO erfüllt sind, nicht aber die des § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO, so dass § 103 Anwendung findet. Der Insolvenzverwalter kann dann nur die Erfüllung des gesamten zusammengefassten Geschäfts verlangen1.
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Im Zuge der Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie durch Gesetz vom 5. April 2004 (BGBl. I, 502) wurde die Vorschrift des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO geändert und das Wort „Vertragsverletzungen“ durch die Wörter „Vorliegen eines Insolvenzgrundes“ ersetzt. Hierdurch soll einerseits die in der bisherigen Gesamtbeendigungsklausel nicht gegebene Möglichkeit geschaffen werden, einzelne Geschäfte bei Liefer- oder Zahlungsverzug glattzustellen, andererseits aber auch verhindert werden, dass eine Partei in der Insolvenz die Möglichkeit erhält, sich lediglich die vorteilhaften Geschäfte herauszusuchen2.
90a
IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO 1. Allgemeines/Normzweck § 105 Satz 1 InsO dient dem Schutz der Masse und gewährleistet, dass der Verwalter bei teilbaren Leistungen nur in der Höhe zu Leistungen aus der Masse verpflichtet ist, wie der Masse aus der noch unerfüllten Leistungsbeziehung nach Verfahrenseröffnung Gegenleistungen zufließen3.
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Der Insolvenzverwalter kann daher die Erfüllung von Verträgen über teilbare Leistungen verlangen ohne hierbei Gefahr zu laufen, damit gleichzeitig auch die rückständige Gegenleistung für bereits vor Eröffnung erbrachte Teilleistungen des Vertragspartners erbringen zu müssen. Dem Gesetzeszweck entsprechend wird hiermit dem Insolvenzverwalter die Fortführung des Unternehmens erleichtert, freilich nicht ohne dem Vertragspartner des Schuldners das Ausfallrisiko dafür aufzubürden, dem Schuldner durch das Erbringen der Vorleistung gewissermaßen Kredit gewährt zu haben4.
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§ 105 Satz 2 InsO nimmt dem Vertragspartner überdies die Möglichkeit, die Beschränkung seiner Rechtsstellung als einfacher Insolvenzgläubiger durch Rückgabeverlangen hinsichtlich der bereits erbrachten Teilleistungen zu kompensieren5.
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Auch die neue dogmatische Einordnung zum Insolvenzvertragsrecht in der Rechtsprechung des BGH6 nimmt unmittelbar Bezug auf den Begriff der Teil-
94
1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 104 InsO Rz. 7; Braun/Kroth, § 104 InsO Rz. 10. 2 Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1565). 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 105 InsO Rz. 4. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 105 InsO Rz. 4. 5 Braun/Kroth, § 105 InsO Rz. 3. 6 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; siehe dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1.
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§8
Rz. 95
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
barkeit. So bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiellrechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind.
2. Anwendungsbereich a) Teilbare Leistungen 95
Die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen sind nach der Rechtsprechung des BGH1 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Bereits zuvor hatte der BGH angenommen, dass dies fast immer so ist2. Im Einklang hiermit ist daher von dem denkbar weitesten Teilbarkeitsbegriff auszugehen.
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Besonders häufig liegen teilbare Leistungen bei den nachfolgend aufgezählten Vertragstypen vor:
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–
Leistungen aus einem Kaufvertrag, wenn mehrere Sachen geschuldet werden, unabhängig davon, ob diese Sachen gleichartig oder ungleichartig sind;
–
Leistungen aus einem Werkvertrag, insbesondere auch bei Bauleistungen3;
–
Leistungen aus Miet- und Pachtverträgen und Dienstleistungen (beachte hierzu aber die in den §§ 108 ff. InsO geregelten Sondervorschriften);
–
Leistungen aufgrund sonstiger Dauerschuldverhältnisse, etwa bei Lizenzverträgen und selbst bei entgeltlichen Kreditverträgen, wenn der Darlehensgeber vor Eröffnung erst teilweise valutiert hatte und der Verwalter des Darlehensnehmers ausnahmsweise Erfüllung verlangt, um die Restvalutierung zu erhalten;
–
Leistungen aus Sukzessivlieferungsverträgen über Energie- und andere Versorgungsleistungen sowie Warenlieferungen.
Demgegenüber kann von unteilbaren Leistungen4 nur ausnahmsweise ausgegangen werden, etwa bei höchstpersönlichen Leistungen sowie bei der Lieferung von mehrteiligen Unikaten. Ein Kaufpreisanspruch ist nicht in den rechtsmangelhaften und rechtsmangelfreien Teil zu unterteilen5.
1 BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; vgl. auch Kreft, FS Uhlenbruck, 2000, 387 (396 m.w.N.). 2 BGH v. 21. 10. 1976 – VII ZR 335/75, BGHZ 67, 242 (249). 3 Heidland, FS Uhlenbruck, 2000, S. 423 ff.; Kreft, FS Uhlenbruck, 2000, S. 387 ff.; Claus Schmitz, ZIP 2001, 765 ff. 4 Ausführlich dazu: Kreft in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 105 InsO Rz. 21 ff. 5 BGH v. 9. 3. 2006 – IX ZR 55/04, NZI 2006, 350 (351).
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Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO Rz. 102
§8
b) Vorleistung des Vertragspartners Eine teilweise Leistung des anderen Teils im Sinne des § 105 Satz 1 InsO setzt voraus, dass der Vertragspartner bereits eine Vorleistung erbracht hat, der Schuldner hingegen entweder noch nichts oder aber erst in geringerem Umfang geleistet hat.
98
3. Rechtsfolgen Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der Masse und gegen die Masse. Hierbei sind die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen nach Auffassung des BGH1 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Der BGH schlägt daher für einen Werkvertrag vor, die vor und nach Eröffnung des Verfahrens erfolgten Leistungen der Schuldnerin gesondert abzurechnen, wobei dieselben Maßstäbe anzuwenden sind, wie wenn der Bauvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus wichtigem Grund gekündigt worden wäre2.
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Der Vertragspartner bleibt daher bei Teilbarkeit mit seinem Anspruch auf die Gegenleistung für bereits erbrachte Vorleistungen stets Insolvenzgläubiger. Demgegenüber begründen die bei Erfüllungswahl vom Vertragspartner noch in die Masse zu erbringenden Leistungen Masseforderungen gemäß § 103 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
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Die Rechtsfolgen bei teilbaren Leistungen haben über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus auch Auswirkungen auf etwa bestehende Sicherungsrechte. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verlieren Zessionen von Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Wirkung.
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Der BGH3 hat dabei im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Sicherungsrechten erst jüngst seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Der BGH4 hatte bereits zu § 17 KO (jetzt § 103 InsO) entschieden, dass dann, wenn man den die Masse schützenden Zweck des § 17 KO konsequent auf den Gedanken zurückführt, dass der Masse für die von ihr erbrachte Leistung auch die Gegenleistung zustehen soll, dies in dem Fall, dass zur Zeit der Verfahrenseröffnung ein gegenseitiger Vertrag vom Gemeinschuldner bereits teilweise erfüllt ist, nur für den Teil der (teilbaren) Gegenleistung gelten kann, der auf die noch ausstehende und mit Mitteln der Masse zu leistende Vertragserfüllung entfällt. Nur insoweit hat die Masse Aufwendungen zu erbringen und nur insoweit würde der Sinn des § 17 KO in sein Gegenteil verkehrt, wenn der Anspruch auf die
102
1 2 3 4
BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. BGH v. 25. 4. 2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. BGH v. 4. 5. 1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966.
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§8
Rz. 103
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Gegenleistung infolge einer bereits vor Verfahrenseröffnung vereinbarten Abtretung dem Zessionar zufiele. 103
Soweit der Gemeinschuldner jedoch einen gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung erfüllt hat, greift der erwähnte Rechtsgedanke nicht ein. Insoweit hat die Masse keine Leistungen mehr zu erbringen, so dass es nicht geboten und nicht gerechtfertigt ist, die Masse vor einer Abtretung des Teils der Gegenleistung, die auf die vom Gemeinschuldner erbrachten Leistungen entfällt, zu schützen.
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Vielmehr ist es angezeigt, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters verbundenen Rechtsfolgen auf den Teil der Gegenleistung zu beschränken, der auf die bei Verfahrenseröffnung noch ausstehende Erfüllungsleistung der Masse entfällt. Bei teilweise erbrachten Leistungen des Gemeinschuldners wird mithin die auf diesen Teil entfallende Gegenleistung weder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch das Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters berührt, so dass der Anspruch auf die der erbrachten Teilleistung entsprechende Gegenleistung bestehen bleibt1.
105
Unberührt hiervon bleibt aber, dass der Insolvenzverwalter in allen Fällen der Sicherungszession nach § 166 Abs. 2 InsO zur Einziehung der Forderung befugt bleibt2. Der Insolvenzverwalter hat daher Anspruch auf die in § 171 InsO festgelegte Verwertungskostenpauschale.
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Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, gilt die allgemeine Regelung des § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO, die den Vertragspartner auf die Insolvenzquote verweist.
4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO 107
§ 105 Satz 2 InsO bestimmt, dass der andere Teil, also der Vertragspartner des Gemeinschuldners, nicht berechtigt ist, wegen der Nichterfüllung seines Anspruchs auf die Gegenleistung die Rückgabe einer vor der Eröffnung des Verfahrens in das Vermögen des Schuldners übergegangenen Teilleistung aus der Insolvenzmasse zu verlangen.
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Trotz ihrer systematischen Stellung bezieht sich die Norm nicht nur auf teilbare Leistungen, sondern schließt allgemein jede Rückforderung von Teilleistungen wegen einer auf der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhenden Nichterfüllung aus; unerheblich ist hierbei, ob die geschuldete Leistung teilbar ist oder nicht3.
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Gleichzeitig ist der Rückgabeanspruch unabhängig davon ausgeschlossen, ob der Insolvenzverwalter nach bereits vor Verfahrenseröffnung erbrachter teilweiser Vorleistung des Vertragspartners die Erfüllung ablehnt oder aber Erfül1 BGH v. 4. 5. 1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966. 2 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 103 InsO Rz. 49. 3 Kreft in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 105 InsO Rz. 38; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 105 InsO Rz. 21; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 105 InsO Rz. 18; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 105 InsO Rz.11.
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Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO Rz. 113
§8
lung wählt und der Vertragspartner seinen Anspruch auf die anteilige Gegenleistung für die vor Verfahrenseröffnung erbrachte Vorleistung trotz des Erfüllungsverlangens nur als Insolvenzforderung geltend machen und zur Tabelle anmelden kann. Voraussetzung des § 105 Satz 2 InsO ist, dass die Teilleistung in das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Die Norm schließt daher weder die Aussonderung (§§ 47, 48 InsO) einer noch nicht an den Schuldner übereigneten Sache noch die Rechtsfolgen einer nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften (§§ 119, 123, 142 Abs. 1 BGB) mit ex tunc-Wirkung erfolgreich durchgeführten Anfechtung aus1.
110
5. Praxistipp Die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters kann insbesondere bei VOB-Bauverträgen zu erheblichen steuerlichen Konsequenzen führen2. So scheint es für den Insolvenzverwalter auf den ersten Blick verlockend, gerade dann Vertragserfüllung zu wählen, wenn der Schuldner seine Leistungen weitgehend erbracht hat, so dass mit Ausführung der Restarbeiten der Anspruch auf die Gegenleistung vollständig zur Masse gezogen werden kann.
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Bei der Vollendung des Gewerks durch den Schuldner handelt es sich nach § 3 Abs. 3 UStG umsatzsteuerlich um eine Lieferung, mit deren vollständiger Erfüllung nach Verfahrenseröffnung auch bei teilbaren Leistungen die Umsatzsteuerpflicht insgesamt als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entsteht. Je nach Sachlage kann daher die als Masseverbindlichkeit zu betrachtende Umsatzsteuer den durch die Erfüllungswahl realisierten Zahlungsanspruch übersteigen und im Ergebnis zu einer Masseverkürzung führen.
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Um dieses für den Insolvenzverwalter ungünstige und nach der Regelung des § 105 InsO unverständliche Ergebnis zu vermeiden, wird vorgeschlagen, die Erfüllung des Vertrages abzulehnen, um im Anschluss daran über die ausstehende Teilleistung einen neuen eigenständigen Vertrag mit dem Vertragspartner mit der Folge abzuschließen, dass die bis Verfahrenseröffnung begründeten Steuerverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen werden und lediglich die mit dem neuen Vertragsschluss verbundenen Steuerverpflichtungen als Masseverbindlichkeiten anzusehen sind3. Ob damit tatsächlich eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 42 AO vermieden werden kann, scheint indes äußerst zweifelhaft.
113
1 Kuhn in Uhlenbruck, § 26 KO Rz. 2a, 4. 2 Ausführlich Braun/Kroth, § 105 InsO Rz. 13 ff. 3 Braun/Kroth, § 105 InsO Rz. 15.
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§8
Rz. 114
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 114
Die Regelung des § 106 InsO bezweckt, die Sicherungsfunktion der Vormerkung auch im Insolvenzverfahren zu wahren. Der Vormerkungsberechtigte kann damit seinen Anspruch so durchsetzen, wie es ihm unter Wahrung seines Ranges möglich gewesen wäre, wenn über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre. Er erhält damit eine Sonderstellung vor den einfachen Insolvenzgläubigern, die vergleichbar ist mit der Stellung der in § 47 InsO geregelten aussonderungsberechtigten Gläubiger.
2. Vormerkung 115
Die Vormerkung im Sinne der §§ 883 BGB, 16 Abs. 1, 77, 81a SchiffsRG, 10, 98 Abs. 3 LuftfzRG ist ein dem dinglichen Recht ähnliches Sicherungsrecht eigener Art und dient dazu, schuldrechtliche Ansprüche auf eine dingliche Rechtsänderung abzusichern, indem sie insbesondere dem Vormerkungsberechtigten gegenüber solche Verfügungen unwirksam sein lässt, die seinen schuldrechtlichen Anspruch gefährden.
116
§ 106 InsO setzt zunächst voraus, dass der Anspruch sich auf ein eintragungsfähiges Recht bezieht. Das sind alle rechtswirksamen privatrechtlichen Ansprüche auf eine dingliche Rechtsänderung an einem Grundstück oder Grundstücksrecht, Schiff oder Luftfahrzeug1. Beispielhaft angeführt seien in diesem Zusammenhang der Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück und der Anspruch auf Eintragung von Grundpfandrechten wie Grundschuld, Nießbrauch und Hypothek. Ferner fällt auch der gesetzliche Löschungsanspruch gem. § 1179a BGB in den Anwendungsbereich des § 106 InsO. Dessen Gleichbehandlung mit der eingetragenen Vormerkung ergibt sich aus § 1179a Abs. 1 S. 3 BGB2. Die Insolvenzfestigkeit dieses Löschungsanspruchs hat der BGH indes für den Falle abgelehnt, dass eine vorrangige Sicherungsgrundschuld zwar zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr valutierte, das Eigentum an dem Grundstück und die Grundschuld jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht zusammengefallen waren3.
117
Nicht erfasst werden dagegen Ansprüche gegen staatliche Organe auf Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen, denen keine Verpflichtung des Schuldners entspricht, eine solche Rechtsänderung herbeizuführen, weshalb Rechtsänderungen im Wege der Zwangsvollstreckung nicht durch eine Vormerkung gesichert werden können4. So hat der BGH bereits mehrfach fest1 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 106 InsO Rz. 4 m.w.N. 2 OLG Köln v. 22. 12. 2004 – 2 U 103/04, ZIP 2005, 1038 ff. = ZInsO 2005, 268 mit kritischer Anmerkung Kesseler, ZIP 2005, 1041 ff. 3 BGH v. 9. 3. 2006 – IX ZR 11/05, ZIP 2006, 1141 = ZInsO 2006, 599 = NZI 2006, 395; vgl. hierzu auch LG Hamburg v. 19. 7. 2006 – 332 O 37/05, ZInsO 2006, 837. 4 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 106 InsO Rz. 4 m.w.N.
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Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche
Rz. 123
§8
gestellt, dass Vormerkungen, die in Vollziehung einer einstweiligen Verfügung eingetragen worden sind, in der Gesamtvollstreckung ihre Wirksamkeit verlieren und generell keinen Bestand haben1. Aus der Akzessorietät der Vormerkung folgt, dass der durch sie gesicherte Anspruch tatsächlich bestehen muss. Erlischt der Anspruch oder besteht er zu Unrecht, hat der Insolvenzverwalter das Recht, die Löschung der Vormerkung oder die Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch zu verlangen2.
118
Fordert der Insolvenzverwalter die Löschung einer Auflassungsvormerkung, die vor Verfahrenseröffnung über das Vermögen des Grundstückseigentümers auf Grund eines formnichtigen Kaufvertrags zugunsten des Käufers eingetragen wurde, kann dieser wegen der von ihm vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den verkaufenden Eigentümer erbrachten Kaufpreiszahlungen dem Verlangen kein Zurückbehaltungsrecht entgegensetzen3.
119
Gemäß § 883 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Eintragung einer Vormerkung auch zur Sicherung eines künftigen oder eines bedingten Anspruchs zulässig. Demgemäß fallen auch Vormerkungen zur Sicherung von künftigen Ansprüchen in den Anwendungsbereich des § 106 InsO. Voraussetzung dafür ist aber, dass für die Entstehung des Anspruchs bereits eine feste, die Gestaltung des Anspruchs bestimmende Grundlage, nicht nur eine mehr oder weniger aussichtsreiche tatsächliche Möglichkeit besteht4.
120
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH können künftige Ansprüche Vormerkungsschutz jedenfalls dann genießen, wenn bereits der Rechtsboden für ihre Entstehung durch ein rechtsverbindliches Angebot soweit vorbereitet ist, dass die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des künftigen Berechtigten abhängt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ein unwiderrufliches formgültiges Verkaufsangebot abgegeben wurde5.
121
In der Literatur wird demgegenüber zu Recht gefordert, dass es für die Vormerkbarkeit von künftigen Ansprüchen genügen muss, wenn sich der Schuldner nicht mehr einseitig von der bereits eingetretenen Bindung lösen kann6.
122
Ist das Grundstück des Schuldners mit einem dinglichen Vorkaufsrecht belastet, so hat dies gemäß § 1098 Abs. 2 BGB Dritten gegenüber die Wirkung einer Vormerkung zur Sicherung des durch die Ausübung des Rechtes entstehenden Anspruchs auf Übertragung des Eigentums. § 1098 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt darüber hinaus, dass das Vorkaufsrecht auch dann ausgeübt werden kann, wenn das Grundstück vom Insolvenzverwalter aus freier Hand verkauft wird.
123
1 BGH v. 6. 4. 2000 – V ZB 56/99, NZI 2000, 311 = ZIP 2000, 931; BGH v. 15. 7. 1999 – IX ZR 239/98, NZI 1999, 407 = ZIP 1999, 1490. 2 Braun/Kroth, § 106 InsO Rz. 3. 3 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 457/99, ZIP 2002, 858. 4 BGH v. 5. 12. 1996 – V ZB 27/96, BGHZ 134, 182 (185) = NJW 1997, 861 (862). 5 BGH v. 14. 9. 2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 (31 m.w.N.) = ZIP 2001, 2008. 6 Assmann, ZfIR 2002, 11 (12 m.w.N.).
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§8
Rz. 124
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
124
War das Grundstück vom Schuldner bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert worden, kommt es darauf an, ob das Vorkaufsrecht bereits ausgeübt wurde1. Im Falle der bereits erfolgten Ausübung des Vorkaufsrechts bleibt es bei der Vormerkungswirkung und dem Schutz des § 106 InsO.
125
Umgekehrt steht dann, wenn das Vorkaufsrecht noch nicht ausgeübt wurde, dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO zu, es sei denn, der Schuldner hatte den Kaufvertrag bereits vor Eröffnung erfüllt. Wählt der Verwalter Erfüllung, bleibt auch das Vorkaufsrecht erhalten, lehnt er die Erfüllung gegenüber dem Erwerber hingegen ab, geht auch das Vorkaufsrecht unter. Freilich kann der Dritte dann wegen § 1098 Abs. 1 Satz 2 BGB sein Vorkaufsrecht wieder ausüben, wenn der Insolvenzverwalter das infolge der Erfüllungsablehnung wieder zur Insolvenzmasse gehörende Grundstück danach freihändig verkauft2.
126
Das schuldrechtliche Vorkaufsrecht kann demgegenüber gemäß § 471 BGB in der Insolvenz nicht ausgeübt und durchgesetzt werden.
3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung 127
Damit sich eine – rechtsgeschäftlich begründete – Vormerkung in der Insolvenz durchsetzen kann, ist es grundsätzlich erforderlich, dass sie vor der Eröffnung des Verfahrens sowie gegebenenfalls vor Erlass eines etwa im Insolvenzeröffnungsverfahren verhängten vorläufigen richterlichen Veräußerungs- und Verfügungsverbots im Grundbuch eingetragen worden ist.
128
Wie sich aus den auf die Vormerkung entsprechend anwendbaren §§ 878 BGB, 3 Abs. 3 SchiffsRG, 5 Abs. 3 LuftfzRG ergibt, genießt eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetragene Vormerkung nur dann den Schutz des § 106 InsO, wenn die Eintragung vor der Eröffnung bewilligt und der Antrag auf Eintragung beim Grundbuchamt bzw. Registergericht eingegangen ist3.
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Bezüglich der Vormerkung für künftige Ansprüche stellt sich die Frage, ob eine Vormerkung im Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung oder erst im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs entsteht.
130
Nach einer Grundsatzentscheidung des BGH4, die einen in der Literatur seit langem bestehenden Streit beenden dürfte, steht der Insolvenzfestigkeit nicht entgegen, dass der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch auf Eigentumsverschaffung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Angebotsannahme entstanden ist, weil ansonsten der vom Gesetzgeber zugelassene Vormerkungsschutz für künftige Ansprüche – wie er etwa in § 883 Abs. 1 Satz 2 1 Siehe dazu Balthasar in Nerlich/Römermann, § 106 InsO Rz. 6 f. 2 Zum dinglichen Vorkaufsrecht vgl. Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 106 InsO Rz. 10 ff. 3 BGH v. 19. 3. 1998 – IX ZR 242/97, BGHZ 138, 179 (187) = NJW 1998, 2134 (2136) = ZIP 1998, 836; BGH v. 10. 2. 2005 – IX ZR 100/03, ZIP 2005, 627, 628; OLG Frankfurt v. 21. 11. 2005 – 20 W 462/04, ZInsO 2006, 269 ff. 4 BGH v. 14. 9. 2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 = ZIP 2001, 2008; vgl. dazu auch Assmann, ZfIR 2002, 11 und Fritsche, DZWIR 2002, 92.
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Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche
Rz. 135
§8
BGB geregelt ist – sinnentleert würde, wenn man ihn erst von dem Zeitpunkt an eintreten lassen wollte, in dem die gesicherten Ansprüche entstehen. Der BGH stellt fest, dass der Gemeinschuldner im Insolvenzverfahren trotz der Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO seine Verpflichtungsfähigkeit nicht verliert, so dass ein von ihm gemachtes Kaufangebot auch noch nach Verfahrenseröffnung angenommen werden kann1.
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Zwar können die vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens eingegangenen Verpflichtungen nicht zu einer Verkürzung der Masse führen. Da die Wirkungen der Auflassungsvormerkung trotz des Insolvenzverfahrens erhalten bleiben und mit rückwirkender Kraft auf den Zeitpunkt der Eintragung geltend gemacht werden können, zählt die betroffene Vermögensposition aber von Anfang an nicht zu den Bestandteilen der Masse2.
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Aus diesen Überlegungen folgt, dass ein vormerkungsgesicherter künftiger Auflassungsanspruch Insolvenzfestigkeit erlangt und auch nach seinem Ent stehen erst während des Insolvenzverfahrens ungehindert von der Vorschrift des § 103 InsO vom Insolvenzverwalter zu erfüllen ist3. Sobald die Vormerkung also zur Sicherung des künftigen Auflassungsanspruchs wirksam entstanden ist, erlaubt die gesetzliche Regelung auch im Falle der Insolvenz des Schuldners keine Ausnahme von dem in § 106 InsO angeordneten Vormerkungsschutz.
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Verzichten die Beteiligten demgegenüber im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages auf die Eintragung einer Auflassungsvormerkung, so besteht nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes kein Anspruch des Erwerbers auf Eigentumsumschreibung, weil der einfache Grundstückserwerb mangels Eintragung einer Auflassungsvormerkung nicht insolvenzfest ist und der noch nicht vollständig erfüllte Vertrag dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters unterliegt4. Die bindende Bewilligung der Eigentumsumschreibung ist keine mit dem Eigentumserwerb vergleichbare insolvenzfeste Rechtsposition, sie wird dies vielmehr frühestens durch eine entsprechende Antragstellung beim zuständigen Grundbuchamt5.
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Gleichzeitig sind im Hinblick auf die Wirksamkeit der Vormerkung sowohl die Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO (vgl. § 10 Rz. 11 ff.) als auch die Rückschlagsperre nach § 88 InsO zu beachten. So wird eine innerhalb des letzten Monats vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Grundbuch eingetragene Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek mit Verfahrenseröffnung absolut unwirksam6 (zur Rückschlagsperre vgl. auch § 6 Rz. 155). Hierbei ist allein auf den Zeitpunkt der Eintragung ins Grundbuch abzustellen und nicht etwa auf den Zeitpunkt
135
1 BGH v. 14. 9. 2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 (31) = ZIP 2001, 2008. 2 BGH v. 14. 9. 2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 (31) = ZIP 2001, 2008. 3 BGH v. 14. 9. 2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 = ZIP 2001, 2008; vgl. dazu auch Assmann, ZfIR 2002, 11 und Fritsche, DZWIR 2002, 92. 4 LG Aachen v. 6. 8. 2002 – 1 O 67/02, ZInsO 2002, 937. 5 LG Aachen v. 6. 8. 2002 – 1 O 67/02, ZInsO 2002, 937. 6 LG Meiningen v. 10. 2. 2000 – 4 T 277/99, ZIP 2000, 416.
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§8
Rz. 136
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
der Antragstellung, wobei § 140 Abs. 2 InsO keine Anwendung finden soll1 (zu § 140 Abs. 2 InsO s. § 10 Rz. 284).
4. Rechtsfolgen 136
Als Rechtsfolge bestimmt § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass der Vormerkungsberechtigte vom Verwalter Erfüllung in derselben Art und Weise verlangen kann, wie er sie außerhalb des Insolvenzverfahrens vom Schuldner hätte beanspruchen können2. Der Insolvenzverwalter hat alle Handlungen vorzunehmen, die zum Eintritt der geschuldeten Rechtsänderung erforderlich sind, bei einer Eigentumsvormerkung also die Auflassung zu erklären und die Eintragung zu bewilligen. Der Insolvenzverwalter tritt hierdurch aber nicht automatisch in das Veräußerungsgeschäft im Übrigen ein, so dass für eine gleichzeitig mit der Eigentumsumschreibung vorgenommene Löschung von Grundpfandrechten keine Kostenschuld zu Lasten der Insolvenzmasse ausgelöst wird3.
137
Hat der Insolvenzverwalter trotz der Vormerkung über den von ihr betroffenen Gegenstand verfügt, so ist das gemäß § 883 Abs. 2 BGB dem Vormerkungsberechtigten gegenüber unwirksam und der Verwalter ist weiterhin zur Auflassung an diesen verpflichtet und kann dazu gegebenenfalls im Klagewege angehalten werden4.
138
Der Insolvenzverwalter kann andererseits dem vorgemerkten Anspruch alle Einwendungen und Einreden entgegenhalten, die dem Schuldner außerhalb der Insolvenz zugestanden hätten, gegebenenfalls kann er auch die Beseitigung der Vormerkung nach § 886 BGB verlangen, wenn gegenüber dem vorgemerkten Anspruch eine dauerhafte Einrede gegeben ist5. Unterlässt der Insolvenzverwalter die Geltendmachung dieser Rechte, macht er sich schadensersatzpflichtig nach § 60 InsO (Haftung des Insolvenzverwalters s. § 6 Rz. 206 ff.).
139
Wird hingegen über das Vermögen des Auflassungsempfängers, zu dessen Gunsten die Eintragung einer Auflassungsvormerkung im Range nach einer Finanzierungsgrundschuld bewilligt ist, das Insolvenzverfahren eröffnet und beantragt der Urkundsnotar danach die Eintragung der Vormerkung, so erwirbt der Insolvenzverwalter die Vormerkung nicht unbelastet von einer Vormerkung zugunsten des Grundpfandgläubigers, wenn diesem das Grundpfandrecht im Range vor der Auflassungsvormerkung und eine den Anspruch auf Einräumung des Grundpfandrechts – auch – vom noch eingetragenen Eigentümer des Grundstücks bewilligt worden ist6.
140
Daran ändert der Wegfall der Verfügungsbefugnis des Auflassungsempfängers nichts, weil diejenige des eingetragenen Veräußerers fortbesteht; gleichzeitig ist unerheblich, ob der Antrag des Grundpfandgläubigers auf Eintragung des 1 2 3 4 5 6
LG Berlin v. 20. 11. 2000 – 86 T 574, 581, 582/01, ZIP 2001, 2293. Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 38 Rz. 16. BayObLG v. 3. 9. 2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143 (1144). Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 38 Rz. 16. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 106 InsO Rz. 16 m.w.N. OLG Brandenburg v. 17. 10. 2001 – 8 Wx 7/01, InVo 2002, 251.
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Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche
Rz. 143
§8
Grundpfandrechts bzw. der Vormerkung später beim Grundbuchamt eingeht als der Antrag auf Eintragung der Auflassungsvormerkung1.
5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO stellt klar, dass der Vormerkungsschutz auch bei Übernahme weiterer, noch nicht vollständig erfüllter Pflichten eingreift2, schließt aber bezüglich dieser Pflichten § 103 InsO nicht aus3.
141
6. Praxistipp/Musterschreiben Bereits der vorläufige Insolvenzverwalter sollte bestehende Rechtspositionen Dritter durch entsprechende Einsichtnahme in die Grundbücher feststellen und gemäß §§ 32 Abs. 1, 23 Abs. 3 InsO auf die Eintragung des Insolvenzvermerks hinwirken.
142
Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter zur Geltendmachung eines Anspruchs nach § 106 Abs. 1 InsO:
143
Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Gemäß anliegend beigefügtem notariellen Kaufvertrag vom 00. 00. 00 hat mein Mandant von der Schuldnerin das im Grundbuch von … eingetragene Grundstück (genaue Bezeichnung), Blatt Nr. …, Flur Nr. …zu einem Kaufpreis von … erworben. Zur Sicherung des Anspruchs meines Mandanten auf Einräumung des Eigentums ist im Grundbuch eine Vormerkung eingetragen worden. Einen aktuellen Grundbuchauszug füge ich anliegend bei. Mein Mandant macht hiermit von den ihm in § 106 Abs. 1 InsO eingeräumten Rechten Gebrauch und verlangt Befriedigung aus der Insolvenzmasse. Mit freundlichen Grüßen
1 OLG Brandenburg v. 17. 10. 2001 – 8 Wx 7/01, InVo 2002, 251. 2 OLG Stuttgart v. 18. 8. 2003 – 5 U 62/03, ZInsO 2004, 1087, 1089. 3 Braun/Kroth, § 106 InsO Rz. 6.
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§8
Rz. 144
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 144
Die wegen § 119 InsO unabdingbare Regelung des § 107 InsO dient dem Zweck, die insolvenzrechtliche Behandlung von Kaufverträgen mit dem Schuldner zu regeln, bei denen der Kaufgegenstand vor Verfahrenseröffnung unter Eigentumsvorbehalt veräußert worden ist1. Die Vorschrift erfasst neben den reinen Kaufverträgen im Sinne des § 433 BGB, bei denen der Eigentumsvorbehalt in § 449 BGB geregelt ist, auch Werklieferungsverträge, auf die gemäß § 651 BGB Kaufrecht anzuwenden ist.
145
Die Vorschrift des § 107 Abs. 1 InsO betrifft dabei den Fall, dass der Schuldner als Verkäufer den Kaufgegenstand vor Insolvenzeröffnung unter Eigentumsvorbehalt an seinen Vertragspartner verkauft und diesem bereits den Besitz an der Sache übertragen hat. Die Norm dient dem Schutz des Käufers in der Insolvenz des Verkäufers und stellt klar, dass das Anwartschaftsrecht des Käufers eine dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters entzogene insolvenzfeste Rechtsposition ist, die dem Käufer bei Vertragstreue die Möglichkeit des Vollrechtserwerbs erhält.
146
In § 107 Abs. 2 InsO ist demgegenüber die Rechtslage für den Fall geregelt, dass der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Käufer einen unter Eigentumsvorbehalt stehenden Gegenstand erworben und den Besitz an diesem bereits übertragen bekommen hat. Hierbei dient die Vorschrift im Interesse einer wünschenswerten Unternehmensfortführung und Sanierung dem Zweck, zu verhindern, dass es in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers bereits unmittelbar nach Verfahrenseröffnung zu einer Aussonderung des Vorbehaltsguts kommt.
147
Dem Insolvenzverwalter wird eine Überlegungsfrist verschafft und er ist berechtigt, die Vorbehaltsware bis zum Berichtstermin, der gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO etwa zwischen sechs Wochen und drei Monaten nach Insolvenzeröffnung stattfindet, zu behalten. Er muss sich auf Aufforderung erst unverzüglich nach dem Berichtstermin dazu erklären, ob er die Erfüllung des Vertrages verlangt (zum Berichtstermin vgl. § 6 Rz. 186 ff.).
2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO 148
§ 107 Abs. 1 InsO setzt zunächst den Verkauf einer beweglichen Sache durch den Schuldner unter Eigentumsvorbehalt voraus, d.h. neben dem Vorliegen eines entsprechenden Kaufvertrags ist erforderlich, dass der Schuldner die Sache unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung bereits an den Käufer übereignet hat2. Unter den Eigentumsvorbehaltsbegriff im Sinne 1 Ausführlich dazu: Kupka, InVo 2003, 213 ff. 2 Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (561); Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 36 Rz. 13.
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Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO
Rz. 152
§8
der Norm fallen sowohl der einfache als auch der verlängerte Eigentumsvorbehalt1. Sachenrechtlich setzt § 107 Abs. 1 InsO die Übertragung des Besitzes voraus. Hierbei bleibt offen, ob unmittelbarer Besitz erforderlich ist oder mittelbarer Besitz genügt. Da es Zweck der Regelung des § 107 Abs. 1 InsO ist, eine erworbene Rechtsposition, nicht aber die Verfügungsgewalt zu schützen, ist jede Form der Besitzverschaffung ausreichend2.
149
Als Rechtsfolge stellt § 107 Abs. 1 InsO – wie auch bereits § 106 Abs. 1 InsO – eine Durchbrechung des Grundsatzes dar, dass die Hauptleistungspflichten aus bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen nicht mehr durchsetzbar sind und bis zur Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter nur noch Abwicklungsansprüche in Betracht kommen. Das bei Vorliegen der oben näher erläuterten Voraussetzungen gegebene Anwartschaftsrecht des Käufers beinhaltet eine insolvenzfeste Rechtsposition, die dem Wahlrecht des Verwalters entzogen ist und dem Käufer die Möglichkeit einräumt, durch vertragstreues Verhalten (= vollständige Kaufpreiszahlung) den Eigentumsübergang herbeizuführen3.
150
§ 107 Abs. 1 Satz 2 InsO ordnet überdies an, dass die Insolvenzfestigkeit des Anwartschaftsrechts auch dann bestehen bleibt, wenn der Schuldner dem Käufer gegenüber weitere Verpflichtungen übernommen hat und diese nicht oder nicht vollständig erfüllt sind. Zwar kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages hinsichtlich der weiteren Verpflichtung mit der Folge ablehnen, dass insoweit ein Anspruch des Erwerbers wegen Nichterfüllung entsteht. Dem Käufer bleibt es aber unbenommen, den Eigentumsübergang durch Zahlung des Kaufpreises, den er im Übrigen um den Wert der ausstehenden Leistungen des Schuldners kürzen darf, herbeizuführen4.
151
3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO Gläubiger, die Sachen unter einfachem Eigentumsvorbehalt geliefert haben, können im nachfolgenden Insolvenzverfahren des Vorbehaltskäufers ein Aussonderungsrecht nach §§ 47 InsO, 985 BGB geltend machen, soweit dem Verwalter nach § 986 BGB kein Recht zum Besitz zusteht. Die Regelung des § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet ein sonstiges Recht zum Besitz im Sinne des
1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 4; Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 3; Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 107 InsO Rz. 8. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 107 InsO Rz. 8; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 6; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 107 InsO Rz. 7; Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 4. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 107 InsO Rz. 9; Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 5; Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (562). 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 107 InsO Rz. 10; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 10; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 107 InsO Rz. 12; Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 6.
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§8
Rz. 153
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
§ 986 Abs. 1 BGB1 (zur Aussonderungsberechtigung des Vorbehaltsverkäufers s. § 7 Rz. 17 ff.). 153
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH entfällt das Besitzrecht des Verwalters erst mit der Verfahrenseröffnung automatisch2, kann jedoch dann erhalten werden, wenn der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung nach §§ 107 Abs. 2, 103 Abs. 1 Satz 1 InsO wählt.
154
Hat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldner eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft und vom Verkäufer Besitz an der Sache erlangt, so braucht gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO der Insolvenzverwal ter, den der Verkäufer zur Ausübung seines Wahlrechtes aufgefordert hat, die Erklärung nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben. Bis zum gleichen Zeitpunkt besteht überdies kein Auskunftsanspruch des Eigentumsvorbehaltsverkäufers gegenüber dem Insolvenzverwalter3.
155
Die bedeutet indes nicht, dass der Verwalter seine Entscheidung sofort nach dem Berichtstermin zu treffen hat. Ebenso wie bei § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO ist ihm eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, innerhalb der er zu prüfen hat, ob er das Vorbehaltsgut benötigt, um das von der Gläubigerversammlung vorgegebene Verfahrensziel zu erreichen4.
156
Schon dem eindeutigen Wortlaut nach kann mithin auch der Vorbehaltsverkäufer die Sache vom Insolvenzverwalter nicht bereits unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens aus dem schuldnerischen Unternehmen herausverlangen, sondern ist im Hinblick auf die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die dem Verwalter einzuräumende Überlegungsfrist faktisch bis zu drei Monaten an der Ausübung des Aussonderungsrechts gehindert.
157
Die Regelung des § 107 Abs. 2 InsO wird den Besonderheiten des reformierten Insolvenzrechts insoweit gerecht, als auch und gerade die Fortführung des Unternehmens ermöglicht werden soll, was aber dann ad absurdum geführt würde, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter bereits in der Eröffnungsphase die Aussonderungsansprüche zu befriedigen und daher z.B. Eigentumsvorbehaltsware herauszugeben hätte, die er als vorläufiger und endgültiger Verwalter für die Betriebsfortführung benötigt5.
158
Das Interesse des Vorbehaltslieferanten kann auch für das Eröffnungsverfahren nicht über diesen, die Fortführung insolventer Unternehmen fördernden Grundsatz des § 107 Abs. 2 InsO hinausgehen, soll durch die Anordnung der vorläufigen Verwaltung nicht ein Einfallstor zur Umgehung der §§ 103 ff. InsO geöffnet werden.
159
Insoweit besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO erst nach Eröffnung des Verfahrens gegen den Verwalter geltend 1 2 3 4 5
Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 7. BGH v. 22. 12. 1995 – V ZR 52/95, ZIP 1996, 426 (427). AG Düsseldorf v. 11. 5. 2000 – 27 C 18 049/99, DZWIR 2000, 347. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 107 InsO Rz. 15. Haarmeyer in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 22 InsO Rz. 49.
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Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO
Rz. 164
§8
gemacht werden kann, es sei denn, dass gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO eine erhebliche Minderung des Wertes der Sache zu erwarten ist und der Gläubiger den vorläufigen Verwalter auf diesen Umstand hingewiesen hat1. Hierbei geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine unzumutbare Wertminderung vor allem bei leicht verderblicher Ware und Saisonartikeln in Betracht kommt2. Die vorgenannten Regelungen für das eröffnete Verfahren haben mithin für das Eröffnungsverfahren zur Folge, dass der vorläufige Insolvenzverwalter sich weder zur Vertragserfüllung zu erklären braucht noch der Verkäufer berechtigt ist, sein vorbehaltenes Eigentum bei dem Schuldner herauszuholen3. Macht der aussonderungsberechtigte Gläubiger trotz der Regelung in § 107 Abs. 2 InsO seinen Herausgabeanspruch geltend, so kann auf Anregung des Verwalters das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO das Herausholen des Gegenstandes untersagen4.
160
Die Möglichkeit der Erfüllungswahl hat der Insolvenzverwalter – der den Vertrag so hinnehmen muss, wie er bei Verfahrenseröffnung zwischen den Vertragsparteien bestand – nicht immer.
161
War der Käufer schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Zahlungsverzug und der Vorbehaltsverkäufer deswegen nach § 455 BGB a.F. vom Kaufvertrag zurückgetreten, kann der Insolvenzverwalter nicht mehr Erfüllung wählen5. Wegen eines nach dem Antrag auf Verfahrenseröffnung eingetretenen Verzuges darf der Vorbehaltsverkäufer aber vor Verfahrenseröffnung nicht zurücktreten6.
162
Ob er es nach Verfahrenseröffnung darf, wenn der Verzug schon vorher eingetreten war, ist umstritten. Unter der Geltung des § 17 KO wurde die Auffassung vertreten, die Ausübung eines vor Verfahrenseröffnung entstandenen Rücktrittsrechts werde durch das Wahlrecht des Verwalters nicht ausgeschlossen7. Ob das für § 103 InsO ebenso gilt, mag zunächst dahinstehen.
163
Auch zum neuen Schuldrecht8 wird die Ansicht vertreten, der Vorbehaltsverkäufer könne vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn der Vorbehaltskäufer nach Zahlung mehrerer Raten, aber vor vollständiger Tilgung des Restkaufpreises insolvent wird9. Hierbei soll das Erfordernis einer Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich sein, weil bereits feststeht, dass diese Fristset-
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1 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 22 InsO Rz. 49. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 107 InsO Rz. 17. 3 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 22 InsO Rz. 49; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 21 InsO Rz. 20; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 325 (351). 4 Uhlenbruck, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 325 (351). 5 Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 InsO Rz. 66; Henckel, Aktuelle Probleme der Warenlieferanten im Konkurs, (1984), 25. 6 Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 InsO Rz. 66; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 32. 7 RG v. 20. 2. 1915 – V 389/14, RGZ 86, 247 (250). 8 Ausführlich hierzu Wegener, Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters unter dem Einfluss des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Köln 2007. 9 Ausführlich zu dem Thema: Marotzke, KTS 2002, 1 ff.; Mossler, ZIP 2002, 1831 ff.; Huber, NZI 2004, 57 ff.
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§8
Rz. 165
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
zung sinnlos ist. Der Vorbehaltsverkäufer soll vielmehr unmittelbar nach Verfahrenseröffnung gemäß § 323 Abs. 4 BGB zurücktreten können, weil spätestens dann offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden, selbst wenn weitere Zahlungen noch nicht fällig sind. 165
Für den Bereich der Unternehmensinsolvenz können die vorstehend beschriebenen Überlegungen keine Anerkennung finden1. Jedenfalls für das Verhältnis zwischen dem Vorbehaltsverkäufer und dem insolventen Vorbehaltskäufer dürfen die Wertungen der §§ 107 Abs. 2, 112 InsO nicht außer Acht gelassen werden.
166
Insbesondere kommt nach vorherrschender Auffassung eine analoge Anwendung des § 112 Nr. 1 InsO in Betracht2. § 112 Nr. 1 InsO bestimmt sinngemäß, dass nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Schuldverhältnis nicht mehr wegen eines Verzuges, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, gekündigt werden kann. Eine andere Ansicht entnimmt § 112 Nr. 2 InsO einen verallgemeinerungswürdigen Rechtsgedanken, wonach eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist3.
167
Sowohl die Vorschrift des § 112 InsO als auch die Regelung des § 107 InsO beruhen auf dem Gedanken, „dass die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinander gerissen werden darf“4. Hieraus darf geschlossen werden, dass eine „Rücktrittssperre“ für den Vorbehaltsverkäufer zumutbar ist, weil sie ihm außer einer zeitlichen Verzögerung keine Nachteile bringt: Er kann aussondern, sobald sich der Verwalter für die Nichterfüllung entschieden hat; hat dieser die Erfüllung gewählt, bekommt der Vorbehaltsverkäufer den (Rest-)Kaufpreis aus der Masse5. Ließe man demgegenüber ein unbeschränktes Rücktrittsrecht des Vorbehaltsverkäufers zu, würde die Regelung des § 107 Abs. 2 InsO insgesamt leer laufen6.
168
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat ein aus dem Vorbehaltskaufvertrag abgeleitetes vertragliches Nutzungsrecht, und zwar auch dann, wenn dem Schuldner vertraglich verboten wurde, die Sache an Dritte weiterzugeben7, oder wenn generell der Wegfall des Nutzungsrechts durch den Vermögensverfall des Schuldners oder die Antragstellung vereinbart wurde.
169
Befindet sich das Vorbehaltsgut noch unverändert im schuldnerischen Vermögen, so richtet sich die Befugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters nach 1 So ausdrücklich: Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 8. 2 AG Düsseldorf v. 11. 5. 2000 – 27 C 18049/99, DZWIR 2000, 347 (348); Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 InsO Rz. 66; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 31; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 112 InsO Rz. 5; a.A. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 112 InsO Rz. 16; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 476; Huber, NZI 2004, 57 (60). 3 Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 8. 4 Vgl. zu § 126 RegE BT-Drucks. 12/2443, S. 148. 5 Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 InsO Rz. 66. 6 Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 8. 7 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 33.
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Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO
Rz. 172
§8
der vertraglichen Abrede1. Regelmäßig wird die Verarbeitungsbefugnis nach dem ausdrücklich erklärten oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelten Wil len der Parteien mit Stellung des Antrags erlöschen2. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist damit auf zusätzliche Vereinbarungen mit den Vorbehaltseigentümern angewiesen, wenn er unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Waren verarbeiten will. Die Vorschrift des § 172 Abs. 2 InsO, wonach der Insolvenzverwalter eine Sache verbinden, vermischen und verarbeiten darf, soweit dadurch die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers nicht beeinträchtigt wird, ist auf Sachen, die der Schuldner unter Eigentumsvorbehalt erworben und noch nicht vollständig bezahlt hatte, weder unmittelbar noch analog anwendbar3. Anders liegen die Dinge jedoch beim „erweiterten“ Eigentumsvorbehalt nach Eintritt des Erweiterungsfalls, da der Verkäufer dann nicht mehr aus-, sondern nur noch absonderungsberechtigt ist.
170
Erleidet der Eigentumsvorbehaltsgläubiger durch eine Bearbeitung gemäß §§ 946 ff. BGB einen Rechtsverlust, kann vom demjenigen, zu dessen Gunsten die Rechtsänderung eintritt, Vergütung in Geld gemäß §§ 812 ff. BGB verlangt werden. Ferner bleiben die Verpflichtung zum Schadensersatz nach § 823 ff. BGB sowie die Vorschriften über den Ersatz von Verwendungen und über das Recht zur Wegnahme einer Einrichtung unberührt. Dementsprechend hat der Eigentumsvorbehaltsverkäufer, dessen Eigentumsvorbehaltsgut mit der Folge des Eigentumsverlusts verbunden, vermischt oder verarbeitet wird, gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO i.V.m. § 951 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen die Masse wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Überdies ist der Insolvenzverwalter im Rahmen des § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er Ansprüche von Aussonderungsberechtigten vereitelt (zur Haftung des Verwalters gegenüber Aussonderungsberechtigten vgl. § 6 Rz. 212).
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4. Praxistipp/Musterschreiben Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 107 Abs. 1 InsO bei Insolvenz des Eigentumsvorbehaltsverkäufers: Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Kaufvertrag über (Bezeichnung des Gegenstandes), in dem Ratenzahlung 1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 35. 2 Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 451 f. 3 Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 InsO Rz. 65; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 35; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 455.
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§8
Rz. 173
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
vereinbart wurde. Der (Gegenstand) wurde meiner Mandantin am 00. 00. 00 übergeben und wird seither von ihr genutzt. Die Schuldnerin hat sich laut Ziffer … ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Eigentum an dem (Gegenstand) bis zur vollständigen Bezahlung vorbehalten. Meine Mandantin macht hiermit von dem ihr in § 107 Abs. 1 InsO zustehenden Rechten Gebrauch und verlangt Erfüllung des Kaufvertrages. Mit freundlichen Grüßen
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Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO bei Insolvenz des Eigentumsvorbehaltskäufers: Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Kaufvertrag über die Lieferung verschiedener Obstsorten. Die Ware wurde dem Schuldner von meiner Mandantin am 00. 00. 00 übergeben und befindet sich seither in den Lagerräumen der Schuldnerin. Meine Mandantin hat sich gemäß Ziffer … ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Eigentum an dem gelieferten Obst bis zur vollständigen Bezahlung vorbehalten und fordert Sie auf, sich in Ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter unverzüglich über die Ausübung des gesetzlich bestehenden Wahlrechts zu erklären. Gleichzeitig weist meine Mandantin gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich darauf hin, dass mit der Ausübung des Wahlrechts nicht bis zum Berichtstermin zugewartet werden kann, da bis dahin wegen der Verderblichkeit der Ware mit einer erheblichen Verminderung des Wertes zu rechnen ist. Mit freundlichen Grüßen
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 179
§8
VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO 1. Allgemeines/Normzweck Die wegen § 119 InsO unabdingbaren §§ 108–112 InsO enthalten Sonderbestimmungen betreffend die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen in der Insolvenz.
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§ 108 InsO ordnet generell das Fortbestehen einiger bestimmter Dauerschuldverhältnisse (Miet- und Pachtverhältnisse von Immobilien und Räumen, Dienstverhältnisse und Leasing) mit Wirkung für die Insolvenzmasse an und entzieht diese damit als lex specialis dem aus § 103 InsO resultierenden Wahlrecht des Insolvenzverwalters (hierzu oben Rz. 10 ff.)1.
175
§ 109 InsO enthält Regelungen für den Fall, dass der Schuldner ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume als Mieter oder Pächter eingegangen war. Das insbesondere dem Insolvenzverwalter in dieser Norm eingeräumte vorzeitige Kündigungsrecht soll im Interesse der Gläubiger die Masse davor schützen, mit Miet- und Pachtzinsansprüchen belastet zu werden, obgleich eine wirtschaftlich angemessene Nutzung des Mietobjekts in Anbetracht der Insolvenz nicht mehr möglich ist.
176
Die §§ 110, 111 InsO behandeln demgegenüber die Rechtslage bei Vermieterstellung des Schuldners. Hierbei ist es Zweck des § 110 InsO, der Masse die Erträge aus der Vermietung und Verpachtung von massezugehörigen Immobilien und Räumen zu sichern. § 111 InsO zielt darauf ab, dem Insolvenzverwalter eine Veräußerung unbeweglicher Miet- und Pachtobjekte aus der Insolvenzmasse zu erleichtern, indem die Beendigung bestehender Vertragsverhältnisse dadurch vereinfacht wird, dass der Bestandsschutz des Miet- und Pachtverhältnisses auf die gesetzliche Kündigungsfrist beschränkt wird.
177
In § 112 InsO finden sich schließlich Aussagen über die Kündigungssperre bei bestehenden Miet- und Pachtverhältnissen des Schuldners. Um die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinanderzureißen, soll es dem Insolvenzverwalter ermöglicht werden, das Unternehmen so lange fortzuführen, bis eine Entscheidung über das Verfahrensziel getroffen werden kann. § 112 InsO dient daher dem Zweck, zu verhindern, dass dem schuldnerischen Unternehmen durch dessen Vermieter oder Verpächter betriebsnotwendige Pacht- und Mietgegenstände entzogen werden (zur Kündigungssperre ausführlich vgl. Rz. 250 ff.).
178
Mietverträge, die der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung abschließt, fallen ebenso wenig in den Anwendungsbereich der §§ 108 ff. InsO wie Verträge, die der vorläufige Insolvenzverwalter nach Beantragung des Insolvenzverfahrens abschließt (zur Rechtsstellung der Geschäftspartner des [vorläufigen] Insolvenzverwalters vgl. § 14 dieses Buches). Im Unterschied dazu ist ein Miet-
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1 OLG Frankfurt v. 16. 11. 2004 – 2 W 39/04, ZInsO 2005, 378 f.
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§8
Rz. 180
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
verhältnis, das der Schuldner nach Beantragung des Insolvenzverfahrens mit Zustimmung des so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis abschließt, ausschließlich der Handlungssphäre des Schuldners zuzuordnen und wird von den §§ 108 ff. InsO erfasst. 180
Vor Verfahrenseröffnung beendete Miet- und Pachtverhältnisse werden ebenfalls von den §§ 108 ff. InsO nicht erfasst. Maßgeblich ist insofern der Termin, zu dem das Mietverhältnis durch Zeitablauf endet oder zu dem eine Kündigung wirksam wird.
2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO a) Miete und Pacht von Immobilien und Räumen 181
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort1. Die Regelung betrifft Miet- und Pachtverhältnisse, ohne nach Vermieter- oder Mieterinsolvenz zu unterscheiden. Entgegen der bislang ganz h.M. in der Literatur2 soll nach neuer Rechtsprechung § 108 InsO nur einschlägig sein, wenn dem Mieter die Mietsache vor Verfahrenseröffnung bereits überlassen war3. Dannach steht dem Insolvenzverwalter, wenn die Mietsache noch nicht überlassen wurde, das Wahlrecht aus § InsO zu.
182
Unbewegliche Gegenstände sind nach der Legaldefinition des § 49 InsO alle Gegenstände, die den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen unterliegen. Hierunter fallen sowohl Grundstücke als auch Schiffe und Flugzeuge (§§ 864 Abs. 1, 870a ZPO, 47, 99 LuftfzG). Der Begriff der Räume ist entsprechend der mietrechtlichen Vorschriften des BGB zu bestimmen. Gemeint sind sowohl Wohn- und Geschäftsräume als auch sonstige Räume. Auch nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtete Baulichkeiten sind unabhängig von ihrer Bauweise hierunter zu fassen, solange nur der Wille des Errichtenden auf die vorübergehende Nutzung geht4.
183
Unerheblich ist, ob es sich bei dem Miet- oder Pachtvertrag um einen Hauptoder Untermietvertrag handelt, da es auf die eigene Nutzung nicht ankommt und § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nach Wortlaut und Sinn alle Miet- und Pachtverhältnisse erfasst5.
1 Ausführlich dazu: Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, 2. Aufl. 2006. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 108 InsO Rz. 9; Berscheid in Uhlenbruck, § 108 InsO Rz. 24; Eckert in Münchener Kommentar zur InsO, § 108, Rz. 64; Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, Kap. 6 Rz. 175; Huber in Gottwald, § 37 Rz. 24, 42. 3 BGH v. 5. 7. 2007 – IX ZR 185/06, NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/Schmitz. 4 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 InsO Rz. 13; Braun/ Kroth, § 108 InsO Rz. 9. 5 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 6.
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Rz. 186
§8
Bei Mischverträgen, die sowohl Mobilien als auch Immobilien zum Gegenstand haben oder aber miet- oder pachtfremde Leistungen enthalten, ist maßgeblich, welche Leistung dem Vertrag sein typisches Gepräge gibt1.
184
Als Miet- bzw. Pachtvertrag zu qualifizieren sind beispielsweise2:
185
–
gegenseitige „unentgeltliche“ Überlassung von Grundstücken zur Nutzung;
–
Überlassung von Wohnraum mit Rücksicht auf ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis;
–
Beherbergung oder Hotelaufnahme;
–
Überlassung eines Standplatzes in einer Messehalle;
–
Grundstücksüberlassung mit Verpflichtung des Mieters, das Mietobjekt zu verändern;
–
Überlassung einer Wandfläche für Werbung oder Anbringung von Automaten;
–
Unterbringung in einem Heim, wenn die Überlassung von Wohnraum im Vordergrund steht;
–
Verpachtung einer Kantine, sofern der Pächter trotz Weisungsgebundenheit bezüglich des Warenangebots und der Preise sozial unabhängig ist;
–
Überlassung eines Bankschließfaches;
–
Benutzung eines Postfachs der Deutschen Post AG;
–
die externe Online-Benutzung eines Großrechners.
Im Hinblick auf vorrangige dienst- oder werkvertragliche Elemente sind insbesondere der Heimpflegevertrag, der Internatsvertrag und der Tankstellenvertrag als zwischen Mineralölunternehmen und Betreiber geschlossener Stationärvertrag nicht als Miet- oder Pachtverhältnis zu behandeln. Zum Teil wird eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO auf Lizenzverträge befürwortet3. Dies ist jedoch aufgrund des Ausnahmecharakters des § 108 InsO abzulehnen4. Auch der BGH5 hat eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO verneint, da bei Lizenzverträgen kein unbewegliches Vermögen betroffen ist (s. Rz. 63c). Setzt sich hingegen der geplante § 108a RegE (s. Rz. 63g ff.) im Gesetzgebungsverfahren durch, werden in Zukunft auch Lizenzverträge grundsätzlich insolvenzfest sein.
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 108 InsO Rz. 8; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 13; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 InsO Rz. 19. 2 Vgl. dazu ausführlich Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 InsO Rz. 19 ff. 3 Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (82). 4 McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682 (692) m.w.N. 5 BGH v. 17. 11. 2005 – IX ZR 162/04, NZI 2006, 229.
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§8
Rz. 187
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
b) Dienstverträge 187
Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters ist ferner auch bei Dienstverträgen ausgeschlossen, die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO ebenfalls mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen1. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Dienstvertrag eine Geschäftsbesorgung für den Schuldner zum Inhalt hat und demzufolge § 116 InsO Anwendung findet.
188
Unerheblich ist, ob der Schuldner aus dem Vertrag zur Erbringung von Diensten verpflichtet oder zu deren Empfang berechtigt ist, da die Norm anders als § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht danach differenziert, ob der Schuldner berechtigt oder verpflichtet ist2. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob der Dienstvertrag vom Verpflichteten bereits angetreten wurde, zumal ansonsten bei Erfüllungsablehnung jeglicher Kündigungsschutz entfiele3. c) Finanzierte Mobilienmiet- und Pachtverträge (Leasing)
189
§ 108 Abs. 1 Satz 2 InsO erweitert den Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Miet- und Pachtverhältnisse, die der Schuldner als Vermieter oder Verpächter eingegangen war und die sonstige Gegenstände betreffen, die einem Dritten, der ihre Anschaffung oder Herstellung finanziert hat, zur Sicherheit übertragen wurden. Die Regelung betrifft daher so genannte finanzierte Miet- und Pachtverträge über Mobilien und bezieht sich vorrangig auf Leasingverträge4.
190
Gegenstand des Miet- oder Pachtverhältnisses muss ein sonstiger Gegenstand sein. Der Begriff ist weit zu verstehen und umfasst sowohl Sachen als auch Rechte und Forderungen, so dass namentlich auch das Softwareleasing in den Anwendungsbereich fällt5.
191
Die Anschaffung oder Herstellung des Leasinggutes muss von einem Dritten finanziert und diesem dann zur Sicherheit übertragen, also übereignet oder abgetreten worden sein. Eine Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung liegt nur dann vor, wenn zwischen Finanzierungsgeschäft und Herstellung oder Anschaffung eine kausale Beziehung besteht, so dass es nicht genügt, wenn die Finanzierung aus einem allgemeinen Betriebsmittelkredit ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem konkreten Leasinggut erfolgt6.
192
Nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift soll mangels Zusammenhangs zwischen Sicherungsübertragung und Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung auch die erst nachträglich oder aufgrund späterer Umfinanzierung erfolgte Sicherungsübertragung fallen7. Richtiger Ansicht nach ist allein maßgeblich, dass das Leasinggut als Sicherheit für die Finanzierung seiner Anschaffung 1 2 3 4
Vgl. hierzu Wente, ZIP 2005, 335 ff. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 108 InsO Rz. 10; Braun/Kroth, § 108 InsO Rz. 12. Berscheid in Uhlenbruck, § 108 InsO Rz. 42 f. Ausführlich dazu: Sinz, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 593 ff.; Fehl, DZWIR 1999, 89. 5 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 21 m.w.N. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 108 InsO Rz. 13. 7 Braun/Kroth, § 108 InsO Rz. 15.
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oder Herstellung dient, so dass es dann, wenn diese kausale Beziehung hergestellt ist, auf die zeitliche Abfolge nicht ankommen kann1. d) Darlehensverträge Durch das „Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens“ vom 13. 4. 2007 wurde § 108 InsO ein neuer Abs. 2 eingefügt: „Ein vom Schuldner als Darlehensgeber eingegangenes Darlehensverhältnis besteht mit Wirkung für die Masse fort, soweit dem Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde.“ Mit seinem neu eingefügten Absatz enthält § 108 InsO nunmehr also auch Vorschriften über Darlehensverhältnisse2. Im Schrifttum bestand Uneinigkeit darüber, ob § 103 InsO auf Darlehensverträge anwendbar ist, wenn der Darlehensgeber die Darlehensvaluta vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausbezahlt hat3. Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert zu dieser Frage nicht4. Mit Einfügung des neuen Abs. 2 wird die Rechtsunsicherheit beseitigt Auf diese Weise sollen Risikoaufschläge am Kapitalmarkt verhindert und damit unnötige Finanzierungskosten in Deutschland vermieden werden. Ist der Schuldner als Darlehensgeber ein entgeltliches Darlehensverhältnis eingegangen, so wird durch den neuen Absatz 2 nunmehr klargestellt, dass dieses mit Wirkung für die Masse fortbesteht, soweit dem Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde. Der Gesetzgeber geht damit davon aus, dass der Darlehensgeber mit der Auszahlung der Darlehensvaluta seine Hauptleistungspflicht erfüllt hat und § 103 InsO damit nicht anwendbar ist5. Im Falle einer Insolvenz eines Kreditinstitutes hat die Regelung den Vorteil, dass durch den Insolvenzverwalter nicht zahlreiche Darlehensverträge beendet werden können mit der Folge, dass einige Darlehensnehmer selbst in Zahlungsschwierigkeiten geraten, wenn sie nach der Beendigung nicht kurzfristig eine Umschuldung erreichen können. Daneben wird sichergestellt, das vorinsolvenzliche Zessionen an Zweckgesellschaften im Falle der Insolvenz von Refinanzierungsunternehmen insolvenzfest sind6. Die Neuregelung des § 108 Abs. 2 InsO lässt die Anwendbarkeit des § 116 InsO auf Kontokorrentkredite unberührt7. Die neu eingebrachte Vorschrift des § 108 Abs. 2 InsO ist gem. Art. 103c EGInsO nur auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 1. 7. 2007 eröffnet worden sind.
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 108 InsO Rz. 14; Sinz, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 593 (614 f.). 2 Zum Insolvenzvereinfachungsgesetz vgl. Marotzke, ZInsO 2004, 1273 ff. (1276); Pannen/Riedemann, NZI 2006, 193. 3 Dafür Tintelnot in Kübler/Prütting, § 103 InsO Rz. 19; Lind, ZInsO 2004, 580; Laudenklos/Sester, ZIP 2004, 1757. 4 Offen gelassen BGH v. 5. 10. 1989 – III ZR 34/88, NJW 1990, 1356. 5 Breitenbücher in Graf-Schlicker, InsO, § 108 Rz. 12. 6 Marotzke, ZInsO 2006, 300 (302); Breitenbücher in Graf-Schlicker, InsO, § 108 Rz. 12. 7 Begründung, RegE BR-Drucks. 549/06, S. 36.
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Rz. 193
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) 193
§ 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) bestimmt, dass der Vertragspartner des Schuldners Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur als Insolvenzgläubiger geltend machen kann. Zum Teil wird hieraus geschlossen, dass die Vorschrift des § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) der Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen im Eröffnungsverfahren generell entgegensteht, also auch dann, wenn zur Sicherung der Masse ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird.
194
Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten demgegenüber Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ordnet darüber hinaus an, dass Gleiches für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis gilt, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (hierzu und auch zu der nachstehenden Problematik s. § 14 Rz. 1, 36 ff., 80 ff.).
195
Herrschender Auffassung nach werden durch den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet. Bereits die obergerichtliche Rechtsprechung hat § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO für nicht anwendbar erklärt, so dass durch den vorläufigen Verwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet werden1. Dem wird von den Instanzgerichten insbesondere in den zum „Bast-Bau-Verfahren“ ergangenen Entscheidungen, die sämtlich gleichgelagerte Sachverhaltskonstellationen (bloße Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts) zum Inhalt haben, durchweg gefolgt2. Auch in der Literatur herrscht die Ansicht vor, dass durch den vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet werden3.
196
Uneinheitlich gestaltet sich die Beurteilung aber bereits dann, wenn der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht zugleich ermächtigt wird, mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln. Neuerdings sind offenbar einige Insolvenzgerichte zu dieser Verfahrenspraxis übergegangen. Sowohl das OLG Hamm4 als auch das AG Neumünster5 halten § 55 Abs. 2 InsO in diesem Fall auf den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwal1 OLG Köln v. 29. 6. 2001 – 19 U 199/00, NZI 2001, 554 = ZIP 2001, 1422; OLG Frankfurt/M. v. 29. 1. 2002 – 5 U 170/00, ZIP 2002, 2185. 2 LG Leipzig v. 30. 8. 2001 – 11 O 2044/01, ZIP 2001, 1778; AG Leipzig v. 4. 9. 2001 – 08 C 2818/01, ZIP 2001, 1780; AG Wuppertal v. 13. 6. 2001 – 96 C 96/01, ZIP 2001, 1335; a.A. LG Essen v. 10. 1. 2001 – 16 O 534/00, NZI 2001, 217, das die Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt analog anwendet. 3 Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 55 InsO Rz. 216; Braun/Bäuerle, § 55 InsO Rz. 41. 4 OLG Hamm v. 17. 1. 2002 – 27 U 150/01, NZI 2002, 259 = ZIP 2002, 676. 5 AG Neumünster v. 15. 3. 2002 – 31 C 1750/01, ZInsO 2002, 387 = ZIP 2002, 720.
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Rz. 200
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ter für analog anwendbar, so dass durch diesen Masseverbindlichkeiten begründet werden können. Demgegenüber hält das Landgericht Karlsruhe1 auch bei einer solchen Sachverhaltsgestaltung eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO nicht für gerechtfertigt. Schließlich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass bei Bestellung eines vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters die speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO im Eröffnungsverfahren Anwendung findet und auch § 108 Abs. 2 InsO insofern der Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen nicht entgegensteht2.
197
Letzterer Auffassung hat sich nunmehr auch der BGH zu Recht angeschlossen und entschieden, dass Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen im Sinne des § 108 InsO unter der Voraussetzung des § 55 Abs. 2 InsO schon für die Zeit des Eröffnungsverfahrens zu Masseverbindlichkeiten werden3. Hierbei verweist der BGH darauf, dass es sich bei § 55 Abs. 2 InsO um eine speziell im Eröffnungsverfahren geltende Vorschrift handelt, deren Satz 2 inhaltlich gegenstandslos wäre, wenn § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) dafür ausnahmslos Abweichendes anordnen würde.
198
Ergänzend stellt der BGH klar, dass insbesondere § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO weder unmittelbar noch entsprechend auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters anzuwenden ist, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergegangen ist4. Nur auf Grund des Erlasses eines allgemeinen Verfügungsverbots kann der vorläufige Insolvenzverwalter umfassend für den Schuldner handeln, während er bei Anordnung eines bloßen Zustimmungsvorbehalts rechtlich nicht in der Lage ist, den Schuldner gegen dessen Willen zu bestimmten Handlungen anzuhalten, insbesondere kann er ihn ohne ergänzende gerichtliche Anordnung nicht an der tatsächlichen Nutzung gemieteter Räume hindern.
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Schließlich erklärt der BGH die Praxis einiger Insolvenzgerichte, im Eröffnungsverfahren zwar kein allgemeines Verfügungsverbot anzuordnen, den vorläufigen Verwalter aber zu ermächtigen, „mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln“, gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO für unzulässig und gibt
200
1 LG Karlsruhe v. 17. 10. 2001 – 6 O 319/01, DZWIR 2002, 215. 2 LAG Köln v. 25. 2. 2000 – 12 Sa 1512/99, NZI 2000, 288 = ZIP 2000, 805; LG Essen v. 10. 1. 2001 – 16 O 534/00, NZI 2001, 217; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 InsO Rz. 189; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 108 InsO Rz. 20; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 28a; Andres in Nerlich/Römermann, § 55 InsO Rz. 134 f.; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 InsO Rz. 25; Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 578. 3 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; siehe dazu auch Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845, Heidrich/Prager, NZI 2002, 653, Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608 und Smid, DZWIR 2002, 444. 4 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625.
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§8
Rz. 201
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
den Insolvenzgerichten auf, entsprechende Befugnisse des Verwalters für den Einzelfall genau festzulegen1. 201
Als Fazit bleibt daher festzuhalten: –
Der Vertragspartner des Schuldners kann Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen, die aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens resultieren, grundsätzlich nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
–
Nur dann, wenn im Insolvenzeröffnungsverfahren durch das Insolvenzgericht ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergeht, kann der Vertragspartner seine aus einem Dauerschuldverhältnis herrührenden Ansprüche ausnahmsweise als Massegläubiger geltend machen.
202
Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Dienstverhältnissen, die nach Verfahrenseröffnung entstehen, werden dagegen immer zu Masseverbindlichkeiten2. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO ordnet insoweit ausdrücklich an, dass Masseverbindlichkeiten insbesondere auch die Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen sind, deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Ist hingegen in der Insolvenz des Mieters das Mietverhältnis bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst, kommt dem Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung für die Zeit ab Insolvenzeröffnung grundsätzlich nicht der Rang einer Masseverbindlichkeit zu3.
202a
Besonderheiten ergeben sich, wenn der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO angezeigt hat. Die – anteilige – Befriedigung der Massegläubiger erfolgt dann nach Maßgabe der in § 209 Abs. 1 InsO angeordneten Rangfolge, d.h. zunächst werden die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO), des weiteren die Neumasseverbindlichkeiten und schließlich die Altmasseverbindlichkeiten berichtigt. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist der maßgebliche Zeitpunkt in Hinblick auf die Unterscheidung von Alt- und Neumasseverbindlichkeiten4. Als Neumasseverbindlichen gelten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. Die übrigen Masseverbindlichkeiten sind Altmasseverbindlichkeiten, § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Hat der Insolvenzverwalter den Rechtsgrund für das Schuldverhältnis erst nach der Anzeige des Masseunzulänglichkeit gelegt hat, so handelt es sich um eine Verbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, während die pflichtwidrig nicht verhinderte Nutzung eine Verbindlichkeit nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 begründet5. Wegen Altmasseverbindlichkeiten kann nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr in die Insolvenzmasse vollstreckt werden, § 210 InsO, dem Gläubiger bleibt nur 1 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; so nunmehr auch OLG Hamm v. 28. 11. 2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 = ZIP 2003, 1165; siehe auch AG Duisburg v. 28. 7. 2002 – 62 IN 167/02, NZI 2002, 614 = ZIP 2002, 1700. 2 Nerlich/Kreplin/Christiani, § 33 Rz. 117. 3 BGH v. 21. 12. 2006 – IX ZR 66/05, NZI 2007, 287 = ZIP 2007, 340. 4 Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 209 Rz. 3. 5 BGH v. 29. 4. 2004 – IX ZR 141/03, ZInsO 2004, 674.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 202c
§8
die Möglichkeit, auf Feststellung seiner Forderung zu klagen1. Die mit der Anzeige verbundenen Folgen treten unabhängig davon ein, ob die Voraussetzungen einer solchen Anzeige nach § 208 InsO tatsächlich vorgelegen haben2. Eine Prüfung der Richtigkeit der Anzeige durch das Insolvenzgericht oder andere Verfahrensbeteiligte sieht das Gesetz nicht vor3. Gläubigern steht nur der Weg offen, zum Ausgleich von Schäden wegen einer fehlerhaften – zu frühen oder zu späten – Anzeige einen individuellen Haftungsprozess gegen den Insolvenzverwalter einzuleiten4. Die Vorschrift des § 208 InsO erfasst hierbei nicht nur den Fall, dass sich die Masseunzulänglichkeit erst im Laufe des Verfahrens herausstellt. Vielfach wird schon bei Verfahrenseröffnung klar sein, dass außer den für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens notwendigen, aber auch hinreichenden Kosten des Insolvenzverfahrens (§§ 26 Abs. 1, 54 InsO) nicht alle sonstigen Masseverbindlichkeiten gedeckt werden können. In diesem Fall wird es eine der ersten Amtshandlungen des Verwalters sein, dem Gericht die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, weil er damit erreichen kann, dass die Ansprüche aus fortbestehenden Dauerschuldverhältnissen für die Zeit nach dieser Anzeige bis zur Wirksamkeit einer sofort ausgesprochenen Kündigung nur anteilig als „Altmasseverbindlichkeiten“ im Sinne der §§ 209 Abs. 1 Nr. 3, 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu befriedigen sind5.
202b
Der Insolvenzverwalter ist gehalten, das Dauerschuldverhältnis nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit zum frühest möglichen Zeitpunkt zu kündigen. Versäumt er dies, stellen die Ansprüche des Vertragspartners für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit hätte kündigen können, nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorrangig zu bedienende „Neumasseverbindlichkeiten“ unabhängig davon dar, ob der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch nimmt oder nicht6. Dies gilt auch für solche Dauerschuldverhältnisse, die der Verwalter erst nach Verfahrenseröffnung begründet hat. Hier soll zwar kein Sonderkündigungsrecht bestehen, weil die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht zur Begründung eines neuen außerordentlichen Kündigungsrechts führt7. Der Verwalter muss aber gleichwohl mit der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen, will er die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten vermeiden8. Unterlässt der Verwalter eine solche Kündigung, obwohl er das Vertragsver-
202c
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OLG Koblenz v. 11. 5. 2007 – 8 U 1776/05 (bislang unveröffentlicht). Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 209 Rz. 20. Siehe dazu Pape in Kübler/Prütting, § 208 InsO Rz. 5d. Vgl. LG Hamburg v. 23. 11. 2005 – 306 C 362/04, ZInsO 2005, 1279; Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 209 Rz. 20. Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 208 Rz. 6; Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 209 Rz. 31; Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 209 Rz. 14. Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 209 Rz. 32; Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 209 Rz. 14. Pape in Kübler/Prütting, § 209 InsO Rz. 15; Westphal in Nerlich/Römermann, § 209 InsO Rz. 8. Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 209 Rz. 14; Pape in Kübler/Prütting, § 209 Rz. 15.
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§8
Rz. 202d
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
hältnis für die Masse nicht mehr benötigt, kann er sich schadensersatzpflichtig machen1. 202d
Nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 209 Abs. 2 Nr. 3 vorrangig zu bedienende „Neumasseverbindlichkeiten“ bestehen ebenfalls dann, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die aus einem Dauerschuldverhältnis geschuldete Gegenleistung des Vertragspartners für die Insolvenzmasse in Anspruch nimmt. Ob das Vertragsverhältnis gekündigt wurde, ist hierbei ohne Belang2. Der Insolvenzverwalter nimmt die Gegenleistung aus einem Dauerschuldverhältnis dann in Anspruch, wenn er die Leistung nutzt, obwohl er das pflichtgemäß hätte verhindern können3. Die bloße Entgegennahme einer im Voraus fälligen Mietzinszahlung kann aber nicht schon als Nutzung für den gesamten Vorauszahlungszeitraum angesehen werden. Der Insolvenzverwalter hat daher den Vermieter von seiner Leistungspflicht freizustellen und seine eigene Verfügungsmacht über den Mietgegenstand aufzugeben, um das Entstehen von Neumasseverbindlichkeiten zu vermeiden. Durch die Freigabeerklärung werden die zu bezeichnenden Gegenstände wieder der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterstellt4. Die Freigabeerklärung ist gegenüber dem Schuldner abzugeben, hat aber für den Vermieter als Gläubiger insoweit Bedeutung, als freigegebene Gegenstände nun wieder der Einzelvollstreckung unterliegen und insbesondere der Vermieter die Verwertung seinem Pfandrecht unterliegender Gegenstände betreiben kann.
4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO a) Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters 203
Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 109 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter ein Sonderkündigungsrecht. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. konnte der Insolvenzverwalter ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen. Obgleich eine diesbezügliche Klarstellung – wie sie § 19 S. 2 KO enthielt – in § 109 Abs. 1 InsO a.F. fehlte5, war eine zwischen den Parteien vereinbarte längere Kündigungsfrist ist ebenso unbeachtlich wie eine die ordentliche Kündigung ausschließende Befristung des Mietverhältnisses. Bei wirksamer Vereinbarung einer kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist ist diese maßgeblich6.
203a
Das Sonderkündigungsrecht des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO steht nur dem Insolvenzverwalter, nicht aber dem vorläufigen Insolvenzverwalter zu. Dies ergibt sich schon aus der Stellung der Norm im Dritten Teil der InsO, der auf Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bezug nimmt. Auch der sogen. 1 2 3 4 5 6
Kießner in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 209 InsO Rz. 31. Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 209 Rz. 15. BGH v. 3. 4. 2003 – IX ZR 101/02, NZI 2003, 369 = ZIP 2003, 914. Lwowski in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 35 Rz. 103. Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 37 Rz. 35. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 3.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 207
§8
„starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, der gerichtlich mit einer allgemeinen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet wurde, kann das Sonderkündigungsrecht des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO nicht ausüben, da erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Dauerschuldverhältnisse der Modifikation gem. §§ 103 ff. InsO unterliegen und nach diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über Weiterführung oder Abwicklung dieser Vertragsverhältnisse getroffen wird1. Im Gegensatz zu § 111 InsO ist das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters nicht auf den ersten zulässigen Kündigungstermin beschränkt, sondern kann vom Verwalter jederzeit – ohne dass er sich treuwidrig verhielte – wenn es ihm sachdienlich erscheint2 während des Insolvenzverfahrens unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen ausgeübt werden3. Als maßgebliche Vorschrift ist in diesem Zusammenhang insbesondere § 580a BGB anzusehen. § 580a Abs. 4 BGB bestimmt hierbei insbesondere, wann ein Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt werden kann. Hierunter fällt allgemeiner Ansicht nach auch das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 InsO4.
204
Bei einem Mietverhältnis über Geschäftsräume5 ist nach § 580a Abs. 2 BGB die ordentliche Kündigung spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres zulässig.
205
Nur am Rande erwähnt sei in diesem Zusammenhang der im Anwendungsbereich des „alten“ Rechts geführte Streit, wie die gesetzliche Kündigungsfrist bei einem Mietverhältnis über Geschäftsräume zu bestimmen ist6. Der BGH hat hierzu mittlerweile ausdrücklich festgestellt, dass dann, wenn ein Mietverhältnis über Gewerberäume außerordentlich mit der gesetzlichen Frist gekündigt werden kann, für die Zeit vor Anwendbarkeit der Bestimmungen des Mietrechtsreformgesetzes die „lange“ Kündigungsfrist des § 565 Abs. 1a BGB a.F. gilt7. Nach der Neufassung des § 580a Abs. 4 BGB gilt die längere Frist des § 580a Abs. 2 BGB nunmehr jedenfalls auch bei der Kündigung durch den Insolvenzverwalter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO.
206
Nach § 580a Abs. 1 Nr. 3 BGB ist die ordentliche Kündigung bei einem Mietverhältnis über Grundstücke zulässig, wenn die Miete nach Monaten oder längeren Zeitabschnitten bemessen ist, spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats, bei einem Mietverhältnis über gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke jedoch nur zum Ablauf eines Kalendervierteljahres. Ein Mietverhältnis über gewerblich genutzte unbebaute
207
1 Haarmeyer in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 22 Rz. 59; Andres/ Leithaus, § 109 InsO Rz. 3; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 8; a.A. Eckert, ZIP 1996, 897, 899 f. 2 Andres/Leithaus, § 109 InsO Rz. 3; Minuth/Wolf, NZM 1999, 289, 291. 3 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 25; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 4; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 3; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 37 Rz. 34. 4 Vgl. nur Palandt/Weidenkaff, § 565 BGB Rz. 27. 5 Breitenbücher in Graf-Schlicker, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 Rz. 4 ff. 6 Vgl. dazu OLG Hamm v. 29. 3. 2000 – 30 U 192/99, NZI 2000, 372; OLG Naumburg v. 29. 3. 2000 – 5 U 2/00, ZInsO 2000, 287. 7 BGH v. 8. 5. 2002 – XII ZR 323/00, NZI 2002, 429 = ZIP 2002, 1811.
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§8
Rz. 208
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Grundstücke kann demnach mit dreimonatiger Frist, aber nur zum Quartalsende gekündigt werden1. 208
Auf einen Pachtvertrag sind gemäß § 581 Abs. 2 BGB die Vorschriften über den Mietvertrag entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht aus den §§ 582-584b BGB etwas anderes ergibt. § 584 Abs. 1 BGB enthält eine ausdrückliche Kündigungsregelung für Pachtverhältnisse über Grundstücke. Die Vorschrift des § 584 Abs. 1 BGB geht hierbei – wie sowohl in der zivilrechtlichen2 als auch der insolvenzrechtlichen Literatur3 anerkannt wird – den mietrechtlichen Regelungen und hierbei insbesondere § 580a BGB vor.
209
Dem Wortlaut nach ist § 584 Abs. 1 BGB lediglich bei Grundstückspachtverträgen, deren Pachtzeit nicht bestimmt ist, einschlägig. Nach § 584 Abs. 2 BGB gilt die Vorschrift aber auch für die Fälle, in denen das Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt werden kann. Gemeint ist hiermit etwa auch der in § 109 InsO geregelte Fall und zwar auch dann, wenn der Pachtvertrag auf bestimmte Zeit geschlossen wurde4.
210
Hält man daher vorliegend richtiger Ansicht nach § 584 Abs. 1 BGB in beiden Fällen für einschlägig, so ist die Kündigung nur für den Schluss eines Pachtjahres zulässig, wobei sie spätestens am dritten Werktag des halben Jahres zu erfolgen hat, mit dessen Ablauf die Pacht enden soll. Das Pachtjahr ist das im Vertrag festgelegte; sofern nichts bestimmt ist, beginnt das Pachtjahr mit dem Beginn des Pachtverhältnisses5.
210a
Für Insolvenzverfahren, die nach dem 1. 7. 2007 eröffnet wurden6, ordnet § 109 Abs. 1 S. 1 InsO eine Frist von nunmehr drei Monaten zum Monatsende an, wenn nicht ohnehin eine kürzere Frist maßgeblich ist. Schon die ursprüngliche Regelung des § 109 Abs. 1 InsO a.F. diente dem Ziel, die Masse nicht mit Mietansprüchen zu belasten, wenn eine wirtschaftliche Nutzung des Objekts nicht mehr möglich ist. Dieser Anspruch wurde aber nur unvollkommen eingelöst, da sich z.B. die Kündigungsfrist für gewerblichen Mietraum nach § 580a Abs. 2, 4 BGB von bis zu fast neun Monaten maßgebend sein konnte. Hierin erkannte der Gesetzeber eine Aushöhlung der Masse und eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung insbesondere von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis nach § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO mit einer Kündigungsfrist von höchstens drei Monaten beendet werden kann7. Die Verkürzung der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 InsO auf drei Monate wirkt sich insbesondere auf Pachtverhältnisse erheblich aus. 1 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 21; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 9b. 2 MünchKommBGB/Voelskow, § 584 BGB Rz. 2; Palandt/Putzo, § 581 BGB Rz. 15. 3 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 23; Tintelnot in Kübler/Prütting; § 109 InsO Rz. 9b; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 8; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 37 Rz. 35. 4 Palandt/Putzo, § 584 BGB Rz. 3. 5 MünchKommBGB/Voelskow, § 584 BGB Rz. 3; Palandt/Putzo, § 584 BGB Rz. 2. 6 Vgl. Art. 103c EGInsO; § 108 Abs. 3 InsO wurde durch das „Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens“ v. 13. 4. 2007 geändert. 7 Begründung, RegE BR-Drucks. 549/06, S. 37.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 213
§8
Unberührt bleiben die Vorschriften zur fristlosen Kündigung, im Mietrecht also beispielsweise die §§ 543, 569 BGB. Grundsätzlich ist die Kündigung formfrei möglich. Formzwänge können sich aber einerseits aufgrund vertraglicher Regelungen ergeben, denen auch der Insolvenzverwalter unterworfen ist1. Andererseits kann die Beachtung einer Form auch aufgrund gesetzlicher Vorschriften erforderlich sein, so etwa gem. § 568 Abs. 1 BGB (Wohnraummiete), Land- oder Kleingartenpacht (§ 594 f. BGB, § 7 BundeskleingartenG). Im Übrigen ist die Schriftform schon aus Beweiszwecken nahe liegend und empfehlenswert. Der Vermieter sollte bereits in seinem Kündigungsschreiben aus Gründen der Vorsicht ausdrücklich einer Verlängerung des Mietverhältnisses gemäß § 545 BGB widersprechen.
210b
Sind an dem Mietverhältnis neben dem Schuldner noch weitere Personen als Mieter beteiligt, stellt sich für die Kündigung die Frage der Gesamtwirkung. Einer Ansicht nach ist bei Kündigung des Insolvenzverwalters danach zu unterscheiden, ob der oder die anderen Mieter oder Pächter nur sicherungshalber mitverpflichtet wurden oder ein gleichrangiges Nutzungsrecht erhalten sollten. Im ersten Fall soll Gesamtwirkung, im zweiten hingegen lediglich Einzelwirkung gegeben sein2.
211
Demgegenüber muss richtiger Ansicht nach für das Kündigungsrecht eine Befugnis des Verwalters bejaht werden, sich mit Wirkung für alle übrigen Mitmieter von dem Vertrag zu lösen3. Die Kündigungserklärung kann sich schon ihrer Natur nach nur auf das gesamte Rechtsverhältnis beziehen. Aus diesem Grunde sind auch Teilkündigungen grundsätzlich unzulässig4. Überdies muss sich der Vermieter auf eine ihm gegenüber erklärte Kündigung verlassen können. Es kann ihm als in der Regel juristischem Laien nicht zugemutet werden, die Wirkungen eines Kündigungserklärung im Hinblick auf ein bestehendes Insolvenzverfahren des Mieters differenziert beurteilen zu müssen. Das gebietet schon die Eindeutigkeit und Sicherheit des Rechtsverkehrs. Oftmals wird der Vermieter zudem von einem solchen Verfahren eines seiner Mieter keine Kenntnis haben.
212
Schließlich hat das Interesse des oder der nicht insolventen Mitmieter an der Vertragsfortführung hinter den Schutz der Masse zurückzutreten. Diese würde aber schon allein dadurch laufend belastet, weil Mietzinsforderungen aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung gemäß §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO Masseverbindlichkeiten sind5. Im Übrigen können sich sowohl die Mitmieter des Schuldners als auch der Vermieter gegen diese Rechtsfolge
213
1 OLG Naumburg, ZMR 1999, 708; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 Rz. 20; Andres/Leithaus, § 109 InsO Rz. 5. 2 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 24; Berscheid in Uhlenbruck, § 109 InsO Rz. 22; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 36 ff. 3 So auch Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 19. 4 H.M.; vgl. nur Palandt/Putzo, § 564 BGB Rz. 11. 5 Im Ergebnis ebenso: OLG Celle v. 15. 2. 1974 – 2 U 62/73, NJW 1974, 2012; Braun/ Kroth, § 109 InsO Rz. 24; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 11; Smid, § 109 InsO Rz. 5; Kuhn/Uhlenbruck, § 19 KO Rz. 10; Kilger/K. Schmidt, § 19 KO Anm. 7; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246, 247.
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§8
Rz. 213a
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
durch eine mietvertragliche Vereinbarung schützen, die vorsieht, dass im Falle einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter das Vertragsverhältnis mit den übrigen Mietern fortgesetzt wird1. Mithin bewirkt die Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters die Beendigung des gesamten Vertragsverhältnisses2. 213a
Ein anderes gilt nur bei Jagdpachtverhältnissen. Hier bleibt gem. § 13a BJagdG das Vertragsverhältnis mit den übrigen Pächtern bestehen, die aber für den Fall der Unzumutbarkeit kündigen können3.
213b
Lässt der Insolvenzverwalter die erste Kündigungsmöglichkeit gem. § 109 InsO verstreichen, so stellen die Mietforderungen ab diesem Zeitpunkt Masseverbindlichkeiten dar4. b) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO
214
§ 109 Abs. 1 Satz 3 InsO verhilft dem Vermieter im Falle der Kündigung durch den Insolvenzverwalter und der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses zu einem Schadensersatzanspruch, den er als Insolvenzgläubiger geltend machen kann (zur Geltendmachung einer Insolvenzforderung § 6 Rz. 278 ff.). Allerdings ist zwischen Schadensersatzansprüchen wegen der vorzeitigen Beendigung und solchen aus dem Abwicklungsverhältnis zu differenzieren: aa) Vorzeitige Beendigung
214a
Der vom Vermieter zu beweisende und ihm zu ersetzende Schaden besteht in dem Mietzins, der dem Vermieter durch die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses entgeht. Abgesehen von bereits eingetretenen Beschädigungen der Mietsache selbst kann der Vermieter daher grundsätzlich als Schaden nur die Mietforderungen geltend machen, die bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietdauer entstanden wären.
215
Gleichwohl ist der Vermieter im Rahmen seiner aus § 254 BGB resultierenden Schadensminderungspflicht gehalten, sich um eine anderweitige Vermietung der Mietsache zu bemühen5. Gleichfalls muss er sich schadensmindernd die Aufwendungen entgegenhalten lassen, die er durch die unterbliebene Gebrauchsüberlassung oder die eigene Nutzung der Mietsache erspart hat. § 119 InsO steht im Übrigen einer für den Fall der vorzeitigen Vertragskündigung vom Vermieter ausbedungenen Vertragsstrafe entgegen.
215a
Soweit der Insolvenzmasse noch ein Auszahlungsanspruch aus Guthaben der Nebenkostenabrechnung zusteht, ist für eine Aufrechnung des Vermieters 1 OLG Celle v. 15. 2. 1974 – 2 U 62/73, NJW 1974, 2012. 2 Im Ergebnis ebenso: OLG Celle v. 15. 2. 1974 – 2 U 62/73, NJW 1977, 2012; Braun/ Kroth, § 109 InsO Rz. 24; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 11; Smid, § 109 InsO Rz. 5; Kuhn in Uhlenbruck, § 19 KO Rz. 10; Kilger/K. Schmidt, § 19 KO Anm. 7; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246 (247). 3 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 11. 4 OLG Stuttgart v. 23. 6. 2007 – 5 W 11/07, ZIP 2007, 1616; Berscheid in Uhlenbruck, § 55 InsO Rz. 54. 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 12.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 216b
§8
hiermit der Abschluss des Mietvertrages maßgebliche Rechtshandlung im Sinne der §§ 95, 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO1. Der Vermieter oder Verpächter kann schließlich sein ihm zustehendes Vermieter- oder Verpächterpfandrecht gemäß §§ 581 Abs. 2, 562 BGB gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO nur wegen rückständiger Miet- und Pachtzinsen für das letzte Jahr vor Verfahrenseröffnung ausüben, nicht jedoch hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs, der aus der Kündigung des Insolvenzverwalters resultiert2 (zum Vermieter- und Verpächterpfandrecht als Absonderungsrecht s. § 7 Rz. 151, 160 ff.). Das Vermieter- oder Verpächterpfandrecht ist bereits frühzeitig auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter gegenüber anzuzeigen. Anderenfalls soll ein Vermieterpfandrecht nämlich auch dann gemäß § 562a BGB erlöschen können, wenn der über das Vermögen des Mieters bestellte vorläufige Insolvenzverwalter die Entfernung der Sachen von dem vermieteten Grundstück verfügt3.
216
bb) Abwicklungsverhältnis Zwar richtet sich der Herausgabeanspruch gem. § 47 InsO, § 985 BGB gegen die Masse, nicht aber der Räumungsanspruch. Dieser ist Insolvenzforderung. Ein anderes gilt, wenn eine Insolvenzverwalterhandlung die Qualifikation als Masseforderung rechtfertigt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 InsO). Ein betagter Anspruch auf Nutzungsentschädigung4 aus einem bereits beendeten Mietverhältnis wird aber nicht dadurch zur Masseverbindlichkeit, dass der nicht besitzende Insolvenzverwalter auf das Herausgabeverlangen des Vermieters nicht eingeht5. Die bloße Räumung im Rahmen der Abwicklung stellt indes keine solche Verwalterhandlung dar6. § 55 InsO bezweckt nämlich, dass, wer etwas zur Masse beisteuert, auch die vereinbarte Gegenleistung dafür erhalten soll. Die bloße Abwicklung stellt aber keinen Beitrag zur Masse dar7. Wie der Räumungsanspruch ist auch der Anspruch auf Erfüllung etwaiger Rückbauverpflichtungen zu behandeln8.
216a
Im Falle der Nutzung der Mietsache ergibt sich indes eine andere Betrachtungsweise. Um eine Nutzung handelt es sich, wenn der Insolvenzverwalter einen Gegenstand nutzt, obwohl er dies pflichtgemäß verhindern konnte9. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Insolvenzverwalter nicht zum frühesten gem.
216b
1 BGH v. 11. 11. 2004 – IX ZR 237/03, ZIP 2005, 181 = NZI 2005, 164 f. 2 Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 582; vgl. auch LG Mönchengladbach v. 28. 2. 2003 – 2 O 111/02, ZIP 2003, 1311. 3 LG Mannheim v. 30. 10. 2003 – 10 S 38/03, ZIP 2003, 2374. 4 Hierzu BGH v. 5. 7. 2001 – IX ZR 327/99, NZI 2001, 531 ff.; Pape, NZI 2004, 401, 406. 5 BGH v. 21. 12. 2006 – IX ZR 66/05, ZIP 2007, 340. 6 BGH v. 24. 11. 1993 – VIII ZR 240/92, ZIP 1993, 1874, 1875; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 InsO Rz. 106. 7 BGHZ 72, 263, 266; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 37 Rz. 36. 8 OLG Celle v. 20. 7. 2007 – 2 U 85/07, ZIP 2007, 1914. 9 Pape in Kübler/Prütting, § 209 InsO Rz. 17a; ders., NZI 2004, 410, 408 f.; zum Meinungsstand Eckert, NZM 2003, 42, 47 ff.
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§8
Rz. 216c
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
§ 109 Abs. 1 S. 1 InsO zulässigen Zeitpunkt das Mietverhältnis kündigt1. Auch die (fortgesetzte) Lagerung von Rohstoffen/Halbfertigprodukten bedeutet Nutzung2. Dementsprechend schuldet der Insolvenzverwalter dem Vermieter auch dann eine Nutzungsentschädigung, wenn er bei Mietvertragsende das Mietobjekt nicht räumt, sondern es als Lager für an Gegenständen des Schuldners interessierte Dritte benutzt3. Hat der Insolvenzverwalter den Gegenstand noch nach Verfahrenseröffnung weiter genutzt und sind durch die schuldnerische Mieterin Schönheitsreparaturen durchzuführen, so ist der Anspruch zeitanteilig Insolvenz- bzw. Masseforderung4. Entsprechend werden vorzunehmende Rückbauverpflichtungen behandelt. Soweit Veränderungen während des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter vorgenommen werden, stellt der Anspruch auf Wiederherstellung des vertraglichen Zustands eine Masseforderung dar5. 216c
Im Fall eines Masseanspruchs nach § 55 InsO kann sich der Insolvenzverwalter auch nicht durch die Freigabe von einem titulierten Räumungsanspruch als Masseverpflichtung lösen6. Die Freigabe kann sich nämlich nur auf Aktiva beziehen, nicht aber eine Befreiungen von Verpflichtungen/Passiva bewirken7. Auch wenn der Verwalter durch die Freigabe die Verfügungsmacht über die zu räumenden Gegenstände verliert, bleibt er doch Schuldner des Räumungsanspruchs aus dem Mietverhältnis8. Wie die Räumung sind auch andere Ansprüche aus dem Abwicklungsverhältnis zu behandeln, nämlich insbesondere Schönheitsreparaturen durch den Mieter, Rückbauverpflichtungen und Verschlechterungen der Mietsache, die vor Verfahrenseröffnung eingetreten sind9. c) Wohnraummiete des Schuldners
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Wiederholt war in der Praxis vorwiegend im Rahmen von Verbraucherinsolvenzverfahren zu beobachten, dass Insolvenzverwalter oder Treuhänder das Mietverhältnis über die Wohnung des Schuldners kündigen, um einerseits die Insolvenzmasse von künftigen Mietzinsforderungen freizustellen und andererseits die Mietkaution für die Insolvenzmasse zu vereinnahmen10. Auch in die1 Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 55 Rz. 151; OLG Stuttgart v. 23. 6. 2007 – 5 W 11/07, ZIP 2007, 1616. 2 BGH v. 5. 7. 2001 – IX ZR 327/99, ZInsO 2001, 751, 752. 3 OLG Düsseldorf v. 9. 5. 2006 – I-24 U 180/05, InVo 2006, 429. 4 Kübler, ZIP 1981, 755, 756; Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 55 Rz. 151; für Fälle nur kurzfristiger Nutzung durch den Insolvenzverwalter vgl. aber BGH v. 10. 3. 1994 – IX ZR 236/93, ZIP 1994, 715 ff.; KG v. 26. 3. 1981 – 8 U 2438/80, ZIP 1981, 753. 5 Hefermehl in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 55 Rz. 151; OLG Celler v. 20. 7. 2007 – 2 U 85/07, ZIP 2007, 1914. 6 BGH v. 2. 2. 2006 – IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583 ff. = ZInsO 2006, 326; hierzu Henkel, EWiR 2006, 311; a.A. OLG Stuttgart v. 10. 2. 2005 – 13 U 167/04, ZInsO 2005, 498 ff. 7 Henkel, ZInsO 2005, 1311, 1313. 8 BGH v. 5. 7. 2001 – IX ZR 327/99, ZInsO 2001, 751, 752; früher schon BGH v. 5. 10. 1994 – XII ZR 53/93, ZIP 1994, 1700, 1704. 9 Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 37 Rz. 36. 10 Vgl. dazu Vallender/Dahl, NZI 2000, 246 ff.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 220a
§8
sen Fällen ist es den schuldnerischen Mietern nicht möglich, sich auf die Schutzvorschriften der §§ 573, 574-574c BGB zu berufen, da diese Vorschriften nur unmittelbar im Verhältnis der Mietvertragsparteien gelten1 (zu den Besonderheiten eines Verbraucherinsolvenzverfahrens im Übrigen vgl. § 16). Diese Verfahrensweise wurde bereits deshalb allgemein als misslich empfunden, weil es nicht Sinn eines auf Restschuldbefreiung angelegten Verbraucherinsolvenzverfahrens sein kann, den zumeist mittellosen Schuldner zugunsten der beteiligten Gläubiger der öffentlichen Fürsorge anheim zu geben und den vielbeschworenen „Neuanfang“, der den überschuldeten Privathaushalten auf diese Weise ermöglicht werden sollte, nahezu unmöglich zu machen.
218
Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sieht § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nunmehr vor, dass dann, wenn die Wohnung des Schuldners Gegenstand des Mietvertrags ist, der Insolvenzverwalter – statt zu kündigen – berechtigt ist zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Damit wird einerseits die Massezugehörigkeit des Wohnungsmietverhältnisses klargestellt, andererseits eine beschränkte Freigabe des Mietverhältnisses ohne Zustimmung des Vermieters anerkannt2. Die Erklärung des Verwalters, die an den Vermieter zu richten ist, unterliegt der Schriftform des § 568 Abs. 1 BGB und hat entsprechend §§ 573d Abs. 2, 575a Abs. 3 BGB den mit dem Ablauf der Kündigungsfrist identischen Zeitpunkt anzugeben, ab dem die Ansprüche aus dem Mietverhältnis nicht mehr als Masseverbindlichkeiten geltend gemacht werden können3.
219
Die gesetzliche Freigabe des Wohnraummietverhältnisses soll die Insolvenzmasse nicht voll enthaften, denn der Vermieter kann nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO wegen der Folgen der Erklärung als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen. Nach Sinn und Zweck der Regelung kann der Schaden nur die Ansprüche erfassen, die dem Vermieter zustehen würden, wenn der Verwalter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO das Mietverhältnis hätte kündigen können. Abgesehen von bereits eingetretenen Beschädigungen der Mietsache selbst kann der Vermieter daher grundsätzlich als Schaden nur die Mietforderungen geltend machen, die bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietdauer entstanden wären, während Ansprüche, die aus der darüber hinausgehenden Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem Schuldner oder aus nach der Freigabeerklärung zu Schadensersatzansprüchen führenden Handlungen des Schuldners resultieren, nicht berücksichtigt werden können, da sie ihren Rechtsgrund nicht mehr in der Erklärung des Insolvenzverwalters haben4.
220
Der Begriff des Wohnraums bezeichnet jeden zum Wohnen bestimmten Raum, insbesondere solche zum Schlafen, Essen und Kochen, darüber hinaus aber auch Nebenräume. Dabei erscheint eine Einschränkung dahingehend zweckgerecht, dass nur der Lebensmittelpunkt des Schuldners als Wohnraum anzuse-
220a
1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 109 InsO Rz. 6; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 3. 2 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 7b. 3 Braun/Kroth, § 109 InsO Rz. 16. 4 Braun/Kroth, § 109 InsO Rz. 18.
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§8
Rz. 221
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
hen ist; Nebenwohnsitze, Ferienwohnungen etc. bedürfen hingegen nicht des durch diese Regelung bezweckten Schutzes1. Der Wohnraum muss nicht zwingend wesentlicher Bestandteil des Grundstücks sein. Erfasst werden auch transportable Baracken2, nicht aber bewegliche Räume wie beispielsweise Wohnwagen. Der Raum muss zu Wohnzwecken vermietet sein3. Überwiegt die Wohnnutzung gegenüber der gewerblichen, so findet § 109 Abs. 1 S. 2 InsO Anwendung4. Die Untermiete von Wohnraum ist daher Wohnraummietverhältnis, die Zwischenmiete (also Vermietung zum Zweck der gewerblichen Weitervermietung) von Wohnraum ist hingegen nur im (End-)Mietverhältnis mit dem zu Wohnzwecken nutzenden Mieter ein Wohnraummietverhältnis5. 221
Ist der Schuldner nicht in der Lage, künftig den Mietzins aus seinem pfändungsfreien Einkommen zu bezahlen, so ist der Vermieter berechtigt, wegen eines nach Ablauf der Erklärungsfrist des § 109 Abs.1 Satz 2 InsO fortbestehenden Zahlungsverzuges nach Maßgabe des § 569 Abs. 3 BGB zu kündigen, wobei dem Schuldner das Widerspruchsrecht bei sozialer Härte gemäß §§ 574–574c BGB zusteht6.
221a
Bewohnt der Schuldner ein zur Insolvenzmasse gehörendes Haus selbst, so hat er an die Masse eine Nutzungsentschädigung zu leisten. Seine Angehörigen trifft diese Pflicht nur, wenn sie unterhaltspflichtig sind und eine Leistung gesondert vereinbart ist7. d) Rücktrittsrechte
222
Nach § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO sind sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Vermieter berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten, wenn dem Schuldner der unbewegliche Gegenstand oder die Räume bei Verfahrenseröffnung noch nicht überlassen waren. Auf den Rücktritt finden die Vorschriften der § 346 ff. BGB uneingeschränkt Anwendung. Die Ausübung des Rücktrittsrechts hat daher gemäß § 349 BGB durch eine eindeutige, unwiderrufliche und bedingungsfeindliche Erklärung zu erfolgen8. Die Rücktrittserklärung wird gemäß § 130 BGB mit Zugang wirksam.
223
Dem Rücktritt steht nicht entgegen, dass der Schuldner an den Vermieter ganz oder teilweise vorgeleistet oder der Vermieter seinerseits Nebenleistungen bereits erbracht hatte; im Rahmen der Rückgewähr ist die Haftung des Vermieters gemäß § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 BGB auf die verbliebene Bereiche-
1 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 7b, ferner zum Sonderproblem der Zweitwohnung getrennt lebender Ehepartner. 2 Weidenkaff in Palandt, Einf. v. § 535 Rz. 89; a.A. Schilling in Münchener Kommentar zum BGB, § 549 Rz. 3. 3 Schilling in Münchener Kommentar zum BGB, § 549 Rz. 5. 4 Andres/Leithaus, § 109 InsO Rz. 9; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 7c. 5 BGHZ 94, 11, 14; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 109 InsO Rz. 6; Weidenkaff in Palandt, § 549 Rz. 5. 6 Berscheid in Uhlenbruck, § 109 InsO Rz. 16. 7 OLG Nürnberg, NZI 2006, 44. 8 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 15.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 226a
§8
rung beschränkt1. Aus § 572 Abs. 1 BGB ist zu schließen, dass Wohnraumkündigungsschutz vor Überlassung des Mietobjekts nicht besteht. Sind an dem Mietverhältnis neben dem Schuldner noch weitere Personen als Mieter beteiligt, stellt sich für den Rücktritt die Frage der Gesamtwirkung. Wie oben (Rz. 203) bereits ausführlich erörtert, muss richtiger Ansicht nach für das Rücktrittsrecht eine Befugnis des Verwalters bejaht werden, sich mit Wirkung für alle übrigen Mitmieter von dem Vertrag zu lösen. Dagegen kann sich der Vermieter oder Verpächter, wenn sich nur einer von mehreren Mitmietern oder Mitpächtern in der Insolvenz befindet, wegen der fortbestehenden gesamtschuldnerischen Haftung der Mitmieter oder Mitpächter gemäß § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO durch Rücktritt vom Vertrag nicht lösen2.
224
Gänzlich ausgeschlossen ist das Rücktrittsrecht des Vermieters dann, wenn er die gesetzliche Voraussetzung, dass das Miet- oder Pachtobjekt zur Zeit der Verfahrenseröffnung noch nicht überlassen war, in einer den Tatbestand des Verzuges begründenden Weise selbst herbeigeführt hat und die Inanspruchnahme der ihm gesetzlich eingeräumten Wohltat des Rücktrittsrechts als unzulässige Rechtsausübung gewertet werden muss3.
225
e) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO § 109 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, dass der Vermieter wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen kann, wenn der Insolvenzverwalter vom Vertrag zurücktritt. Übt hingegen der Vermieter oder Verpächter das Rücktrittsrecht aus, so steht weder ihm noch dem Insolvenzverwalter ein Schadensersatzanspruch zu.
226
In der Höhe entspricht der Schadensersatzanspruch zunächst dem Mietausfall, der im Zeitraum ab Rücktrittserklärung des Insolvenzverwalters bis zum frühesten Wirksamwerden einer möglichen Kündigung des Mieters4 oder einer vorgenommenen Kündigung des Vermieters entstanden wäre5. Der Vermieter ist so zu stellen, als wäre das Mietverhältnis durch den Insolvenzschuldner nach dessen Kündigung zum erstmöglichen Zeitpunkt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden6. Ferner sind Folgeschäden ersatzfähig, beispielsweise der ohne Anlage der erhofften Miete entstandene Gewinnausfall7. Ersparte Aufwendungen (z.B. Nebenkosten) sind indes anzurechnen, vgl. § 537
226a
1 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 23, Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 17. 2 Berscheid in Uhlenbruck, § 109 InsO Rz. 22; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 16; a.A. Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 20. 3 Vgl. dazu Berscheid in Uhlenbruck, § 109 InsO Rz. 19. 4 BGH, ZMR 1955, 105. 5 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 Rz. 28; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 19. 6 Andres/Leithaus, § 109 InsO Rz. 7; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 7. 7 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 29, wobei die Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Vermieter beachtlich sein kann, Andres/Leithaus, § 109 InsO Rz. 7.
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§8
Rz. 227
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Abs. 1 S. 2 BGB1. Eine Vertragsstrafe wegen der vorzeitigen Vertragskündigung ist nicht ersatzfähig, sie steht im Widerspruch zu § 119 InsO2. f) Erklärungsverlangen 227
Nach § 109 Abs. 2 Satz 3 InsO kann jede Seite den Vertragspartner zur Ausübung des Rücktrittsrechts auffordern. Gleichwohl existiert eine Pflicht zur Ausübung des Rücktrittsrechts innerhalb einer bestimmten Frist nach Verfahrenseröffnung weder für den Insolvenzverwalter noch für den Vermieter. Erfolgt jedoch die Aufforderung zur Erklärung über das Rücktrittsrecht, ist der jeweils andere Teil gehalten, sich innerhalb von zwei Wochen zu erklären, wenn er seines Rechts nicht verlustig gehen will. Wird die Frist versäumt, folgt daraus die Invollzugsetzung des Vertrages mit der Wirkung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO. Freilich bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, sich durch Kündigung nach § 109 Abs. 1 InsO von dem Vertragsverhältnis zu lösen3, wobei die dreimonatige Kündigungsfrist bzw. bei Verfahrenseröffnung vor dem 1. 7. 2007 die gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten ist.
5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO a) Verfügungsverbote 228
Hatte der Schuldner als Vermieter oder Verpächter eines unbeweglichen Gegenstands oder von Räumen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Miet- oder Pachtforderung für die spätere Zeit verfügt, so bestimmt § 110 Abs. 1 InsO, dass diese Verfügung nur wirksam ist, soweit sie sich auf die Miete oder Pacht für den zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht. Ist die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats erfolgt, so ist die Verfügung auch für den folgenden Kalendermonat wirksam. Da der Mietzinsanspruch zeitlich mit der Gebrauchsüberlassung entsteht, kann § 110 InsO nur eine klarstellende Funktion zukommen; die Unwirksamkeit von Vorausverfügungen über den Eröffnungszeitpunkt hinaus ergibt sich bereits aus § 91 Abs. 1 InsO. Eine solche Vorauszahlung ist aber gegenüber der Masse wirksam, wenn sie vertraglich vereinbart ist4. Freilich bleibt hierbei die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung der Vorausverfügung ebenso unberührt wie deren Unwirksamkeit nach § 138 BGB5.
1 OLG Frankfurt/M. v. 8. 6. 1979 – 5 U 211/78, DB 1979, 2125, 2126. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 13. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 109 InsO Rz. 20; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 109 InsO Rz. 3; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 109 InsO Rz. 31; Braun/Kroth, § 109 InsO Rz. 22; Berscheid in Uhlenbruck, § 109 InsO Rz. 28; Eckert, ZIP 1996, 897 (901); a.A. Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 109 InsO Rz. 4. 4 Z.B. bei Fälligkeit zu Quartalsbeginn im Voraus; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 Rz. 12; ebenso bei Einmal-Zahlung zu Vertragsbeginn, BGH v. 5. 11. 1997 – VIII ZR 55/97, NZM 1998, 105. 5 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 4; Andres/Leithaus, § 110 InsO Rz. 4.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 231
§8
§ 110 Abs. 1 InsO erfasst nur Verfügungen des Schuldners, nicht dagegen Verfügungen des Insolvenzverwalters oder des verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters. Sie sind nicht der Handlungssphäre des Schuldners zuzurechnen. Anderenfalls wären Mieter wohl auch kaum bereit, der Masse durch Mietvorauszahlungen Kredit zu gewähren1. Auch Vorausverfügungen des Schuldners mit Zustimmung des nicht verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters sollen § 110 Abs. 1 InsO nicht unterfallen2. Hiergegen spricht aber der Wortlaut der Norm.
228a
Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 110 InsO ist notwendige Folge des in § 108 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse angeordneten Fortbestehens von Miet- und Pachtverhältnissen und schützt die Masse vor Nachteilen, die zweifellos entstehen würden, wenn bei Vorausverfügungen des Schuldners über die Miet- und Pachtforderungen der Gegenstand vom Vertragspartner genutzt werden dürfte, ohne dass der Masse eine entsprechende Gegenleistung zufließen würde3. Im Ergebnis erfährt die Insolvenzmasse damit denselben Schutz, den Hypothekengläubiger gemäß §§ 1124, 1125 BGB genießen.
229
Die Rechtsprechung, wonach § 108 InsO nur bei bereits überlassenen Mietoder Pachtobjekten Anwendung findet4, führt konsequenterweise dazu, dass es auch für die Anwendbarkeit des § 110 InsO auf die Frage der Überlassung ankommt. Hingegen begründet der Anspruch des Mieters auf Herstellung eines zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustands der Mietsache bei fortdauernden Mietverhältnis unabhängig davon eine Masseschuld, ob der mangelhafte Zustand vor oder nach Eröffnung des Verfahrens entstanden ist5. Dieser Verpflichtung kann sich der Insolvenzverwalter richtiger Ansicht nach allenfalls noch durch Freigabe des Miet- oder Pachtobjektes an den Schuldner entziehen, wenn der Gegenstand die Insolvenzmasse nur belastet6.
230
§ 110 Abs. 1 InsO bezieht sich seinem Wortlaut nach auf Mietverhältnisse über unbewegliche Gegenstände und Räume. Gleichermaßen werden aber auch Pacht und Leasing (von Immobilien7) insolvenzrechtlich als Miete behandelt8. Vom Verfügungsverbot erfasst werden alle Miet- und Pachtzinsforderungen, also nicht nur Geldforderungen, sondern auch sämtliche sonstigen Forderungen, die aus der Überlassung der Miet- oder Pachtsache resultieren, unab-
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Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 Rz. 9. Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 Rz. 9. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 110 InsO Rz. 2; Braun/Kroth, § 110 InsO Rz. 2. BGH v. 5. 7. 2007 – IX ZR 185/06, NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/Schmitz. BGH v. 3. 4. 2003 – IX ZR 163/02, ZIP 2003, 854. Berscheid in Uhlenbruck, § 110 InsO Rz. 1; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 108 InsO Rz. 16; Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (586); Kuhn/Uhlenbruck, § 21 KO Rz. 3; a.A. mit Blick auf die Aufrechterhaltung der Energieversorgung LG Dortmung v. 12. 5. 2005 – 11 S 34/05, ZInsO 2005, 724 mit Besprechung Mork/Hess, ZInsO 2005, 1206 ff.; ferner Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 InsO Rz. 26; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 16c; Kilger/K. Schmidt, § 21 KO Anm. 3. 7 Ausführlich dazu: Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, Köln 2003. 8 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 110 InsO Rz. 4; weiterführend Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 110 InsO Rz. 5 zur Erbpacht.
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§8
Rz. 232
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
hängig davon, ob sie regelmäßig oder einmal anfallen1. Vorausverfügungen im Sinne der Vorschrift sind zunächst alle Rechtsgeschäfte, durch die der Anspruch des Schuldners auf Miet- oder Pachtzins aufgehoben, übertragen, belastet oder verändert wird2. 232
232a
§ 110 InsO erstreckt sich auf alle Verfügungen. Verfügungen sind diejenigen Rechtsgeschäfte, die den Bestand der Leistung oder die Berechtigung des Vermieters hierauf beeinträchtigen3. Vom Begriff der Vorausverfügung werden daher erfasst: –
Abtretung (§ 398 BGB);
–
Nießbrauchsbestellung (§ 1074 BGB);
–
Verpfändung (§ 1279 BGB);
–
Erlass (§ 397 BGB);
–
Stundung oder sonstige Zahlungserleichterung, soweit sie sich auf den Miet- oder Pachtzins für einen späteren Zeitraum als den Eröffnungsmonat oder den Folgemonat beziehen4;
–
Einziehung der Miete oder Pacht sowie Miet- und Pachtvorauszahlungen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 InsO); der Vertragspartner trägt das Risiko dafür, dass er sich zu einer Kreditierung des Schuldners bereit gefunden hat. Damit unterfallen sämtliche Vorleistungen des Mieters oder Pächters an den Schuldner für künftige Miet- oder Pachtperioden dem Verfügungsverbot5; nur dann, wenn ausnahmsweise der Miet- oder Pachtzins nicht nach wiederkehrenden Zeitabschnitten bemessen, sondern vertragsgemäß als Einmalbetrag zu zahlen war, wird die Vorauszahlung in Anlehnung an § 566 BGB unbeschränkt anerkannt6;
–
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in künftige Miet- oder Pachtforderungen (§ 110 Abs. 2 Satz 2 InsO), wobei sämtliche in den §§ 704-795 ZPO geregelten Maßnahmen, also auch Arreste und einstweilige Verfügungen, erfasst werden7.
Neben dem Hauptfall periodischer Leistungen des Miet- bzw. Pachtzinses unterliegen gleichermaßen einmalige Zahlungen der Unwirksamkeit der Verfügung. In beiden Fällen ist allein entscheidend, dass der Anspruch eine Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung darstellt8. Zu diesen Ansprüchen wegen
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 110 InsO Rz. 7. 2 Berscheid in Uhlenbruck, § 110 InsO Rz. 2. 3 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 8; Andres/Leithaus, § 110 InsO Rz. 3. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 110 InsO Rz. 8; Berscheid in Uhlenbruck, § 110 InsO Rz. 3. 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 110 InsO Rz. 9; Berscheid in Uhlenbruck, § 110 InsO Rz. 4. 6 BGH v. 5. 11. 1997 – VIII ZR 55/97, NJW 1998, 595. 7 Berscheid in Uhlenbruck, § 110 InsO Rz. 7 m.w.N. 8 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 Rz. 4.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 232c
§8
Gebrauchsgewährung zählt auch die vom Mieter übernommene Schönheitsreparatur, wenn der Vermieter hierauf verzichtet1. Keine Anwendung soll § 110 InsO entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 110 Abs. 2 InsO entfalten, wenn die Vollstreckung von einem Grundpfandgläubiger ausgeht2. Demgegenüber hat der BGH jüngst klargestellt, dass der Grundpfandgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann einen Zugriff auf die im hypothekarischen Haftungsverband stehenden Mieten und Pachten hat, wenn er den in § 49 InsO vorgesehenen Weg der Zwangsverwaltung wählt3. Ansonsten stehen die Einnahmen der Insolvenzmasse zu, die – wie der BGH ausführt – auch die öffentlichen Lasten des Grundeigentums und die laufenden Kosten der Gebäudeinstandhaltung als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen hat.
232b
Ähnliches gilt im Falle der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung. Eine Nutzungsüberlassung eines Gesellschafters an seine Gesellschaft – etwa aufgrund Mietvertrags – wird in der Krise der Gesellschaft regelmäßig zu funktionalem Eigenkapital umqualifiziert. Nach gefestigter Rechtsprechung hat dies zur Folge, dass der vermietende Gesellschafter, der die Gesellschaft weder liquidiert noch ihr neues haftendes Kapital zugeführt, sondern durch die fortdauernde Gebrauchsüberlassung das Überleben der Gesellschaft ermöglicht hat, von der Mieterin die vereinbarte Miete so lange nicht fordern kann, wie diese nicht aus ungebundenem Vermögen der Gesellschaft bezahlt werden kann4. Sind an dem vermieteten oder verpachteten Grundstück indes Grundpfandrechte bestellt, in deren Haftungsverband auch die Miet-/Pachtansprüche fallen (§§ 1123, 1124 BGB), so kann die Haftungserstreckung zugunsten des grundpfandrechtlich gesicherten Gläubigers5 mit dem zugunsten des Mieters wirkenden Eigenkapitalersatzrecht kollidieren. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 7.12.19986 entschieden, dass in entsprechender Anwendung der §§ 146 ff. ZVG, §§ 1123, 1124 Abs. 2 BGB die Wirkung der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung mit dem Wirksamwerden des im Wege der Zwangsverwaltung erlassenen Beschlagnahmebeschlusses endet, ohne dass es eines weiteren Tätigwerdens des Zwangsverwalters bedarf. Ab diesem Zeit-
232c
1 BGH v. 25. 6. 1980 – VIII ZR 260/79, BGHZ 77, 301 = NJW 1980, 2347; BGH v. 6. 7. 1988 – VIII ARZ 1/88, BGHZ 105, 71, 79 = NJW 1988, 2790, 2793. 2 Die gilt auch für Mietzinsansprüche, die vor Begründung des Grundpfandrechtes abgetreten wurden, BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 160/04, ZIP 2005, 1452; ausführlich dazu: Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 110 InsO Rz. 10. 3 BGH v. 13. 7. 2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 873 = ZIP 2006, 1554 = NZI 2006, 577; so bereits LG Stendal v. 7. 2. 2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800 f. = ZInsO 2005, 614 f.; AG Hamburg v. 16. 9. 2005 – 68a IK 196/04, ZIP 2005, 1801 ff.; AG Hamburg v. 16. 9. 2005 – 617b M 680/05, ZInsO 2005, 1058; a.A. LG Münster v. 24. 1. 2005 – 5 T 1294/04, ZIP 2005, 2331. 4 BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55, 66 = NJW 1990, 516; BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1, 7 = NJW 1994, 2349; BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 162/92 , BGHZ 127, 17, 21 = NJW 1994, 2760; BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, NJW 1997, 3026 = ZIP 1997, 1375; BGH v. 15. 6. 1998 – II ZR 17-97, NJW 1998, 3200 = ZIP 1998, 1352. 5 Vgl. zu deren Durchsetzung AG Hamburg v. 16. 9. 2005 – 617b M 680/05, ZInsO 2005, 1058; LG Stendal v. 12. 1. 2005 – 21 O 293/04, ZInsO 2005, 614. 6 BGH v. 7. 12. 1998 – II ZR 382/96, ZIP 1999, 65 ff.
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§8
Rz. 233
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
punkt kommt dem Sicherungsinteresse der dinglich gesicherten Gläubigers also der Vorrang vor dem Nutzungsinteresse des Mieters zu, der insofern wieder – trotz Krise – zur Miet-/Pachtzahlung an den Zwangsverwalter verpflichtet ist. Der Mieter bzw. seinem Insolvenzverwalter steht dann indes ein Erstattungsanspruch gegenüber dem vermietenden Gesellschafter zu1. Ein Sonderkündigungsrecht des Zwangsverwalters lehnte der BGH ausdrücklich ab. Das Recht der mietenden Gesellschaft bzw. ihres Insolvenzverwalters zur unentgeltlichen Nutzung des Grundstücks entfällt darüber hinaus nach überwiegender Auffassung in entsprechender Anwendung des § 110 Abs. 1 InsO mit dem Eröffnungs- bzw. Folgemonat, wenn über das Vermögen des Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet wird2. 233
Zu den durch § 110 InsO in ihrer Wirksamkeit begrenzten Verfügungen zählen lediglich Vorausverfügungen, die über die gesetzlich festgelegte zeitliche Grenze hinauswirken und sich auf künftige Ansprüche beziehen3. Verfügungen über bestehende Ansprüche mögen indes einer Anfechtung unterliegen4 (zur Anfechtbarkeit von Vorausverfügungen vgl. Rz. 234a). Keine Verfügungen über Miet- oder Pachtzinsforderungen liegen insbesondere vor: –
wenn die Laufzeit oder die Miethöhe für einen nach Verfahrenseröffnung liegenden Zeitraum abgeändert oder die dingliche Rechtslage am Grundstück verändert wird; können diese Verfügungen nicht nach den §§ 129 ff. InsO angefochten werden, dann ist die daraus resultierende Kürzung der Miet- und Pachtzinsforderung auch in der Insolvenz bindend5;
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bei einem verlorenen Baukostenzuschuss, wenn die Ausbauarbeiten eine Wertsteigerung des Grundstücks oder Gebäudes bewirkt haben, so dass eine Verrechnung mit späteren Mietzahlungen zulässig ist6; dagegen ist der abwohnbare Baukostenzuschuss als vorausbezahlter Miet- oder Pachtzins zu behandeln7;
1 BGH v. 31. 1. 2005 – II ZR 240/02 , NZI 2005, 347 = ZIP 2005, 484; Michalski/Barth NZG 1999, 277, 280 m.w.N.; Jungmann, ZIP 1999, 606 f.; Welsch, DZWIR 2000, 139, 141; Habersack, ZGR 1999, 427, 437; in diesem Sinne auch OLG Dresden v. 6. 3. 2002 – 11 U 2463/01, ZIP 2002, 1194. 2 OLG Brandenburg v. 12. 7. 2006 – 3 U 220/05, ZIP 2006, 1582 ff.; LG Cottbus v. 22. 6. 2005 – 1 O 66/04, ZIP 2005, 1608; LG Erfurt v. 2. 6. 2004 – 3 O 595/03, NZI 2004, 599; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 8; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 Rz. 6; Förster, ZInsO 2002, 366; a.A. LG Zwickau v. 9. 5. 2005 – 1 O 1360/04, ZInsO 2006, 110 = ZIP 2005, 1151; Rendels, ZIP 2006, 1273. 3 Zur Wirksamkeit eines Vermieterpfandrechts auch zur Sicherung künftig entstehender Forderungen vgl. BGH v. 14. 12. 2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 = NZI 2007, 158 = ZInsO 2007, 91 mit zustimmender Anm. Neuenhahn, NZI 2007, 160. 4 Zur Anfechtbarkeit von Mietzahlungen generell OLG Stuttgart v. 23. 1. 2005 – 5 U 144/05, ZInsO 2006, 274 ff. 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 110 InsO Rz. 8; Berscheid in Uhlenbruck, § 110 InsO Rz. 3; ähnlich Tintelnot in Kübler/Prütting, § 110 InsO Rz. 4. 6 Braun/Kroth, § 110 InsO Rz. 4; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 InsO Rz. 8. 7 Berscheid in Uhlenbruck, § 110 InsO Rz. 5; Kuhn/Uhlenbruck, § 21 KO Rz. 9; krit.: Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 110 InsO Rz. 11; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 110 InsO Rz. 6; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 110 InsO Rz. 9.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
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Rz. 235
§8
bei Hinterlegung der Mietkaution (§ 551 BGB), die keine Vorauszahlung des Mietzinses und daher keine Vorausverfügung im Sinne des § 110 InsO darstellt1. Die Kaution ist hingegen keine Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung, eine diesbezügliche Verfügung wirkt daher gegen die Masse2.
Als Folge des Verfügungsverbots ist der Mieter oder Pächter gehalten, die Gegenleistung für die in der betroffenen Zeitspanne erfolgten Nutzung des Objekts noch einmal zur Masse zu erbringen. Gleichwohl steht ihm für den an einen Dritten oder den Schuldner vorgeleisteten Betrag ein Bereicherungsanspruch zu, der bei Entrichtung an den späteren Gemeinschuldner als Insolvenzforderung geltend zu machen und zur Insolvenztabelle anzumelden ist3.
234
Maßgeblicher Zeitpunkt für die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Vorausverfügungen durch den Schuldner zugunsten eines Dritten ist nach Auffassung des OLG Hamm4 der Beginn des Monats, auf den sich die Mietzahlung bezieht, nicht hingegen der Zeitpunkt der Vorausabtretung. Aufgrund dieser zeitlichen Streckung stelle die Vorausabtretung als Gewährung einer Sicherheit auch kein (unmittelbares) Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO dar. Schließlich erkennt das OLG Hamm in der Vorausabtretung eine Gläubigerbenachteiligung unbeschadet einer sonst der Vorausabtretung entsprechenden Hypothekenhaftung, da sich Letztere nur auf noch offene Mietforderungen erstreckt. Der BGH ist einer solchermaßen durch das OLG Hamm vertretenen Anfechtbarkeit jüngst entgegengetreten. Seiner Auffassung nach liegt bereits eine für alle insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestände notwendige Gläubigerbenachteiligung nicht vor, wenn der Grundschuldgläubiger, dem der Schuldner die Mietzinsforderungen abgetreten hat, bis zur Insolvenzeröffnung eingehende Mietzahlungen mit einer Forderung gegen den Schuldner verrechnet, und der Grundschuldgläubiger das Absonderungsrecht zuvor unanfechtbar erworben hat5. Die Entscheidung sieht sich dahingehend Kritik ausgesetzt, dass die Hypothekenhaftung nur aufschiebend bedingt ab dem Zeitpunkt der Beschlagnahme wirke und die relevanten Forderungen vor diesem Zeitpunkt zur Befriedigung allen Gläubigern bestimmt sei6.
234a
b) Aufrechnung Mit Gegenforderungen kann der Mieter oder Pächter gemäß § 110 Abs. 3 InsO gegenüber den Miet- und Pachtzinsforderungen der Insolvenzmasse für den Zeitraum nach Verfahrenseröffnung nur innerhalb der beiden Zeitgrenzen des § 110 Abs. 1 InsO aufrechnen. Dabei ist es unerheblich, woraus die Gegenforderung resultiert. 1 2 3 4 5
Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 InsO Rz. 9. Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 110 Rz. 4. Braun/Kroth, § 110 InsO Rz. 7. OLG Hamm v. 14. 6. 2005 – 27 U 85/04, ZIP 2006, 433, 434 = ZInsO 2006, 776. BGH v. 9. 11. 2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 mit Anm. Neußer, EWiR 2007, 83; Wazlawik, NZI 2007, 320; Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 129 Rz. 158; Uhlenbruck/Hirte, § 129 Rz. 121. 6 Mitlehner, ZIP 2007, 804, 806.
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§8
Rz. 236
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
236
Der Mieter oder der Pächter kann nach § 110 Abs. 3 S. 1 gegen die Miet- oder Pachtforderung für den in § 110 Abs. 1 bezeichneten Zeitraum eine Forderung aufrechnen, die ihm gegen den Schuldner zusteht. Unberührt hiervon bleiben die §§ 95 und 96 Nr. 2 – 4. Die Vorschrift beschränkt nicht die Möglichkeit der Aufrechnung nach § 95, sondern schließt lediglich die Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 für den dort bezeichneten Zeitraum aus. Sie gewährt ein besonderes zusätzliches Aufrechnungsrecht und erweitert damit die Aufrechnungsmöglichkeiten. Infolgedessen kann der Mieter zu seinen Gunsten bestehende Nebenkostenguthaben aus der Zeit vor Insolvenz des Vermieters gegen Mietzinsansprüche der Masse für danach liegende Zeiträume aufrechnen1.
237
Unberührt davon bleiben aber die in § 95 InsO beschriebenen allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen sowie die sonstigen Aufrechnungsverbote des § 96 InsO, die weiterhin Anwendung finden. Vertraglich vorgesehene Aufrechnungsverbote verlieren mit Verfahrenseröffnung ihre Wirkung und stehen § 110 Abs. 3 InsO nicht entgegen2 (zu den Besonderheiten einer Aufrechnung in der Insolvenz und den insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverboten vgl. § 7 Rz. 510 ff.).
6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO a) Tatbestandsvoraussetzungen 238
Der Insolvenzverwalter kann eine Immobilie entweder dadurch verwerten, dass er gemäß §§ 172 ff. ZVG, 165 InsO die Zwangsversteigerung beantragt oder aber das Grundstück mit Zustimmung der Gläubigerversammlung freihändig veräußert. Bei der Zwangsversteigerung können die an dem Grundstück haftenden Miet- und Pachtverhältnisse nach § 57a ZVG mit gesetzlicher Frist gekündigt werden. Diese Regelung schafft einen Anreiz für potentielle Erwerber, entsprechend hohe Gebote abzugeben. Um eine möglichst günstige freihändige Verwertung von Immobilien durch den Insolvenzverwalter zu ermöglichen, übernimmt die wegen § 119 InsO unabdingbare Regelung des § 111 InsO die Vorschrift des § 57a ZVG für den freihändigen Verkauf im Insolvenzverfahren (zur Verwertung unbeweglichen Vermögens s. § 7 Rz. 244 ff.).
239
Erfasst werden nur Miet- und Pachtverhältnisse, die der Schuldner als Alleineigentümer eingegangen war. War der Schuldner Miteigentümer und veräußert der Insolvenzverwalter den Gegenstand mit Zustimmung der weiteren Eigentümer, steht dem Erwerber ebenso wie bei der Zwangsvollstreckung nach § 183 ZVG ein Sonderkündigungsrecht nicht zu3.
240
§ 111 InsO setzt die Veräußerung eines unbeweglichen Miet- oder Pachtobjekts durch den Insolvenzverwalter sowie den Eintritt des Erwerbers in das 1 BGH v. 21. 12. 2006 – IX ZR 7/06, ZIP 2007, 239 = ZInsO 2007, 239 = NZI 2007, 164 mit Anm. Gundlach. 2 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 110 InsO Rz. 10. 3 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 InsO Rz. 3; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 111 InsO Rz. 3; Berscheid in Uhlenbruck, § 111 InsO Rz. 2.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 242a
§8
Mietverhältnis anstelle des Schuldners voraus. Der Gleichstellung des Leasings mit der Miete entsprechend fällt auch das Immobilienleasing in der Insolvenz des Leasinggebers in den Anwendungsbereich des § 111 InsO1. Über § 49 InsO werden außerdem Schiffs- und Luftfahrzeuge von der erleichterten Kündigungsmöglichkeit des § 111 InsO erfasst. Der Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis erfolgt hierbei kraft Gesetzes wie in § 566 BGB vorgesehen. Eine Veräußerung liegt daher entsprechend § 566 BGB nicht schon mit Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts, sondern erst mit Vollendung des Eigentumserwerbs durch Auflassung und Grundbucheintragung vor2. Die Vermietung muss durch den Schuldner selbst vor Verfahrenseröffnung erfolgt sein. Hat der Insolvenzverwalter selbst den Mietvertrag abgeschlossen, findet § 111 InsO mit Rücksicht auf den Mieter oder Pächter, der in diesem Fall Massegläubiger nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, keine Anwendung3. Vielmehr bleibt es dann bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften der §§ 566 ff., 578 BGB. Der Insolvenzverwalter muss sich daher bewusst sein, dass sein Bestreben, die Masse durch Neuverträge und entsprechende Mieteinnahmen anzureichern, möglicherweise Verwertungshindernisse begründet.
241
Streitig ist, wann die Überlassung des Miet- oder Pachtobjekts an den Mieter oder Pächter erfolgt sein muss. Die Vorschrift verlangt ihrem Wortlaut nach nicht, dass das Objekt dem Mieter oder Pächter schon bei Verfahrenseröffnung überlassen war4. Unabhängig von der neuen Rspr. des BGH5 ist aber im Rahmen von § 111 InsO auf jeden Fall erforderlich, dass die Miet- oder Pachtsache im Zeitpunkt der Veräußerung dem Mieter oder Pächter überlassen war, da die Rechtsfolge des § 566 BGB, also der Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis, sonst nicht gegeben ist6.
242
Wurde die Kaution vom schuldnerischen Vermögen getrennt angelegt, so kann der Mieter nur die Weiterleitung an den Erwerber verlangen, soweit nicht Ansprüche der Masse gegen den Mieter bestehen. Da das Mietverhältnis übergegangen ist, kann er aber nicht die Rückerstattung an sich selbst begehren oder gem. § 95 InsO mit Ansprüchen gegen die Masse aufrechnen7. Wurde die Kaution aber nicht getrennt von der Masse angelegt, so kann der Mieter seinen Weiterleitungsanspruch nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. In diesem Fall ist er dem Erwerber gegenüber aber nicht zur Auffüllung der Kaution verpflichtet8.
242a
1 Sinz, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 593 (619); ausführlich zum Immobilienleasing Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, Köln 2003. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111 InsO Rz. 4. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111 InsO Rz. 6; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 111 InsO Rz. 3. 4 Braun/Kroth, § 111 InsO Rz. 15; Berscheid in Uhlenbruck, § 111 InsO Rz. 3; a.A. Tintelnot in Kübler/Prütting, § 111 InsO Rz. 4. 5 BGH v. 5. 7. 2007 – IX ZR 185/06, NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/Schmitz. 6 Braun/Kroth, § 111 InsO Rz. 15; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111 InsO Rz. 7. 7 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 10. 8 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 11.
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§8
Rz. 242b
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
242b
Vorausverfügungen des Verwalters unterliegen den Regelungen der §§ 566b, 566c BGB; der Erwerber muss sie gegen sich gelten lassen. Dies gilt auch für Vorausverfügungen des Schuldners. Die Unwirksamkeitsfolge für den Eröffnungs- bzw. Folgemonat gem. § 110 InsO schützt nur die Masse1. Der Erwerber kann sich daher nicht auf § 566b BGB berufen, da nicht der Vermieter, sondern der Verwalter das Objekt veräußert und dieser nicht über die Miete im Voraus verfügt hat.
242c
Ist – wie im Falle einer gewerblichen Vermietung möglich – der Übergang des Mietverhältnisses wirksam abbedungen und besteht dieses infolgedessen zwischen dem Mieter und der Masse fort, so ist der Erwerber dem Mieter gegenüber nicht zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet. Die Masse haftet für diesen Rechtsmangel. Dieser wurde nämlich durch ein Verwalterhandeln gem. § 55 Abs. 1 S. 1 InsO hervorgerufen. Der Ausschluss des Vertragsübergangs enthält im Zweifel keinen Verzicht auf die Rechtsmängelhaftung des Vermieters2. b) Sonderkündigungsrecht des Erwerbers
243
Nach § 111 Satz 1 InsO ist der Erwerber berechtigt, das Miet- oder Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zu kündigen. Dem Mieter oder Pächter ist es daher verwehrt, sich auf die vertragsmäßig ausbedungene verlängerte Kündigungsfrist oder eine die ordentliche Kündigung ausschließende Vertragsbefristung zu berufen. War in dem mit dem Schuldner abgeschlossenen Vertrag hingegen wirksam eine kürzere als die gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist vereinbart, so gilt diese auch für den Erwerber.
243a
Das Kündigungsrecht steht dem Erwerber nicht zu, wenn der Mietgegenstand dem Mieter noch nicht im Zeitpunkt seines Erwerbs überlassen war3. In dem Erwerbszusammenhang kommt dem Erwerber nämlich ein Wahlrecht zu, ob er in das Mietverhältnis eintreten möchte. Seine Situation ist mithin eine andere als die des Insolvenzverwalters. Hat er sich dazu einmal entschieden, so bedarf es eines Sonderkündigungsrechts nicht4. Im Unterschied zur Kündigungsmöglichkeit durch den Insolvenzverwalter ist die Kündigungsmöglichkeit des Erwerbers ausdrücklich durch § 111 S. 2 InsO auf den ersten möglichen Kündigungstermin beschränkt5. Maßgeblicher Termin in diesem Sinne ist das Datum der Veräußerung, so dass mit der auf die Auflassung folgenden Grundbucheintragung des Erwerbers die Kündigung ohne schuldhaftes Zögern zu erklären ist6. Darauf kann der Erwerber aber nicht Einfluss nehmen, sondern er wird erst nach einigen Tagen von Amts wegen informiert. Es erscheint daher sachgerecht, dem Erwerber eine fristwahrende Kündigung zum nächstmöglichen Termin zu gestatten, wenn er zumutbare Anstrengungen zur Kenntnis-
1 2 3 4 5
Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 12. Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 34. Tintelnot in Kübler/Prütting, § 111 InsO Rz. 4. Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 8. Einschränkend Andres/Leithaus, § 111 Rz. 7, der eine angemessene Zeit zur Prüfung der Sach- und Rechtslage zubilligen will. 6 Braun/Kroth, § 111 InsO Rz. 9.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 245a
§8
nahme unternimmt1. Kann der Erwerber nachweisen, dass ihm die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt nicht möglich war, bleibt es bei den zwischen dem Schuldner und seinem Vertragspartner vereinbarten Bedingungen des Miet- oder Pachtvertrages2. Für Wohnraummietverträge bleiben die aus den allgemeinen Bestimmungen der §§ 573–575a BGB resultierenden Kündigungsbeschränkungen anwendbar. Tritt eine Kündigungsvoraussetzung des § 573 Abs.2 BGB – beispielsweise Eigenbedarf – erst nach Erwerb ein, so würde nach dem Wortlaut des § 111 InsO der spätere Eintritt der Kündigungsvoraussetzung für den ersten Kündigungstermin maßgeblich sein. Der Erwerber konnte sich aber bereits vor Eigentumserwerb auf die Kündigungsvoraussetzungen und seine Nutzungsmöglichkeiten einstellen. Es wird daher als interessengerecht angesehen, nicht auf den Eintritt der Kündigungsvoraussetzungen, sondern auf den Erwerbsvorgang abzustellen3.
244
Als weitere den Erwerber bindende Kündigungsschutzvorschriften sind die Sonderregelungen für die Wohnungsumwandlung (§ 577a BGB), für öffentlich geförderte Wohnungen (die Befreiung des § 17 WoBindG bei Zwangsversteigerung gilt nicht bei freihändigem Verkauf durch den Insolvenzverwalter) sowie für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke (§§ 585, 595 BGB) zu nennen.
244a
§ 111 Satz 3 InsO erklärt § 57c ZVG für entsprechend anwendbar. § 57c ZVG schränkt das Sonderkündigungsrecht für den Fall ein, dass der Mieter oder Pächter dem Schuldner einen Baukostenzuschuss oder eine Mietvorauszahlung entrichtet hat. Das Sonderkündigungsrecht des Erwerbers ruht in diesem Fall, bis der Zuschuss oder die Vorauszahlung durch Zeitablauf getilgt sind4. Ein verlorener Baukostenzuschuss hindert nach § 57c Abs. 2 ZVG das Kündigungsrecht allerdings nur, wenn er wenigstens eine Jahresmiete ausmacht. Hat der Mieter oder Pächter sowohl einen Baukostenzuschuss als auch eine Vorauszahlung geleistet, bestimmt § 57c Abs. 3 ZVG, dass die sich hieraus ergebenden Tilgungszeiträume zusammenzurechnen sind.
245
Der Kündigungsschutz setzt indes die Auskunft des Mieters über seine Finanzierungsleistung voraus, er ist insofern mitwirkungspflichtig. Eine gesonderte Aufforderung des Erwerbers ist nicht erforderlich. Der Mieter verliert den Kündigungsschutz, wenn er schuldhaft die Auskunft nicht erteilt. Ein Schadensersatzanspruch steht ihm in diesem Falle ebenfalls nicht zu (MünchKommInsO-Eckert, § 111 Rz. 20).
245a
1 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 14; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111 InsO Rz. 10. 2 RG v. 26. 3. 1920 – III-388/19, RGZ 98, 273; OLG Düsseldorf v. 5. 9. 2002 – 10 U 66/02, InVo 2003, 169. 3 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 22. 4 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 InsO Rz. 9; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 111 InsO Rz. 7; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111 InsO Rz. 12; Berscheid in Uhlenbruck, § 111 InsO Rz. 7.
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§8
Rz. 246
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
c) Rechtsfolgen 246
Macht der Erwerber von dem ihm in § 111 InsO eingeräumten Sonderkündigungsrecht Gebrauch, so kann der Mieter oder Pächter in entsprechender Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO wegen der vorzeitigen Vertragsbeendigung Schadensersatzanspüche geltend machen, die als einfache Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden sind1 (zur Anmeldung einer Insolvenzforderung zur Tabelle s. § 6 Rz. 278 f.).
247
Inhaltlich ist der Anspruch entsprechend § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO auf den bloßen Differenzschaden, also den Unterschied zwischen dem vertraglich geschuldeten Mietzins und dem Marktwert der Mietsache beschränkt, was regelmäßig dem Mehraufwand für ein anderes gleichwertiges Objekt entspricht; Folgeschäden, wie insbesondere Umzugskosten, sind dagegen nicht zu ersetzen, da auch sonstige Insolvenzgläubiger keine Folgeschäden verlangen können2.
248
Ein Ersatzanspruch, der sich demgegenüber gemäß § 566 Abs. 2 BGB darauf stützt, dass der in das Miet- und Pachtverhältnis eingetretene Erwerber seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt hat, ist ein Masseanspruch im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da er in einem Geschäft des Insolvenzverwalters seinen Grund hat3. Diese Haftung ist aber auf den Zeitraum bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit durch den Mieter beschränkt, wenn der Vermieter den Mieter auf den Eigentumsübergang hingewiesen hat, § 566 Abs. 2 S. 2 BGB4.
249
Gegenüber Forderungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung kann der Mieter oder Pächter mit seiner Schadensersatzforderung aufrechnen, da diese nach der insoweit fortgeltenden Rechtsprechung des BGH5 bereits vor Insolvenzeröffnung aufschiebend bedingt entstanden sind6.
7. Kündigungssperre, § 112 InsO a) Reichweite des Kündigungsverbots 250
Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 112 InsO bezweckt, die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinander zu reißen7 und dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit zu geben, ein Unternehmen unter Nutzung der wesentlichen Betriebsmittel so lange fortzuführen, bis in der Gläubigerversammlung eine Entscheidung über das Verfahrensziel getroffen werden kann. Die Norm korrespondiert dabei insbesondere mit der Vorschrift des § 107 Abs. 2 InsO, die den Insolvenzverwalter berechtigt, sein 1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 111 InsO Rz. 7; Berscheid in Uhlenbruck, § 111 InsO Rz. 9 m.w.N. 2 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 111 InsO Rz. 8; Balthasar in Nerlich/Römermann, § 111 InsO Rz. 15; Berscheid in Uhlenbruck, § 111 InsO Rz. 10. 3 Berscheid in Uhlenbruck, § 111 InsO Rz. 12; Kuhn/Uhlenbruck, § 21 KO Rz. 16. 4 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 Rz. 9; Weidenkaff in Palandt, § 566 Rz. 25. 5 BGH v. 5. 5. 1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345 (1346). 6 Braun/Kroth, § 111 InsO Rz. 13; Berscheid in Uhlenbruck, § 111 InsO Rz. 13. 7 Hierzu kritisch von Wilmowsky, ZInsO 2004, 882 (883).
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 254
§8
ihm nach § 103 InsO zustehendes Wahlrecht auch bei Lieferung von Eigentumsvorbehaltsware und bestehendem Aussonderungsrecht des Lieferanten nach dem Berichtstermin auszuüben. In ähnlicher Weise verhindert § 112 InsO, dass dem schuldnerischen Unternehmen durch dessen Vermieter oder Verpächter betriebsnotwendige Pacht- oder Mietgegenstände entzogen werden. aa) Miet- und Pachtverträge Erfasst werden von der Regelung sämtliche Miet- und Pachtverhältnisse über bewegliche und unbewegliche Gegenstände sowie Leasingverträge.
251
Ob auch Verträge mit gemischtem Inhalt in den Anwendungsbereich fallen, hängt von dem den Vertragsinhalt prägenden Leistungselement sowie davon ab, ob ihrem Sinn und Zweck nach die Anwendung auf das fragliche Dauerschuldverhältnis geboten ist1. Angenommen werden darf, dass jedenfalls Lizenzverträge, die die Ausnutzung und wirtschaftliche Verwertung der geistigen, technischen oder künstlerischen Schöpfung eines Dritten beinhalten, ebenso von § 112 InsO erfasst werden2 wie Know-how-Verträge3 und Softwarenutzungsverträge4.
252
Streitig ist, ob § 112 InsO auch dann anwendbar ist, wenn die Miet- oder Pachtsache dem Schuldner noch nicht überlassen war. Daraus, dass § 112 InsO anders als § 109 Abs. 2 InsO seinem Wortlaut nach nicht darauf abstellt, ob dem Schuldner als Mieter oder Pächter das Miet- oder Pachtobjekt bereits überlassen war und insoweit lediglich die Kündigung eines vom Schuldner eingegangenen Miet- oder Pachtverhältnisses verbietet, wird gefolgert, dass auch nicht vollzogene Miet-, Pacht- und Leasingverträge der Kündigungssperre des § 112 InsO unterliegen5.
253
Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. So spricht schon die Gesetzesbegründung eindeutig davon, die wirtschaftliche Einheit „im Besitz“ des Schuldners zu erhalten6. Daraus ergibt sich, dass in die Vermögensgegenstände des Vermieters oder Verpächters nur dann eingegriffen werden soll, wenn dieser den Besitz bereits aufgegeben hatte. Die Vorschrift bezweckt, die wirtschaftlich sinnvolle Vermögensallokationen zu erhalten (Begr. zu § 125 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 148) und dem Insolvenzverwalter die Fortführung zu ermöglichen (s.o.). Abgesehen davon wäre die Anwendung des § 112 InsO auf Miet- oder Pachtverträge vor Überlassung zumindest bei Immobilien und Räumen systemwidrig, weil § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO dem Vermieter für den Fall des Nichtvollzuges ausdrücklich ein Rücktrittsrecht einräumt. Schließlich ist
254
1 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 InsO Rz. 6. 2 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 InsO Rz. 5; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 37 Rz. 3. 3 BGH v. 3. 6. 1981 – VIII ZR 153/90, NJW 1981, 2684; Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 InsO Rz. 8 m.w.N. 4 BGH v. 4. 11. 1987 – VIII ZR 414/86, NJW 1988, 406. 5 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 InsO Rz. 11 ff. m.w.N.; Eckert, ZIP 1996, 897 (899); Sinz, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 593 (598); von Wilmowsky, ZInsO 2004, 882 (884); Braun/Kroth, § 112 InsO Rz. 4. 6 Begr. zu § 125 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 148.
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§8
Rz. 255
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
im Insolvenzeröffnungsverfahren eine Vorleistung durch Übergabe dem Vermieter jedenfalls bei einem „schwachen“ vorläufigen Verwalter nicht zuzumuten1. 255
Nach der hier vertretenen Ansicht ist der Vermieter oder Verpächter vor Überlassung des Miet- oder Pachtobjektes daher berechtigt, das Vertragsverhältnis insolvenzbedingt zu kündigen2. Lediglich für den Fall, dass der Vermieter sich mit der Überlassung der Mietsache in Verzug befindet, findet die Kündigungssperre ausnahmsweise Anwendung, da es nicht angehen kann, dass sich der Vermieter durch vertragswidriges Verhalten die Wohltat der Nichtanwendung der Kündigungssperre eigenmächtig verschaffen kann3. bb) Ausgeschlossene Kündigungsgründe
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§ 112 InsO schränkt die Rechte von Vermietern oder Verpächtern in der Weise ein, dass eine Kündigung wegen vor dem Eröffnungsantrag eingetretenen Zahlungsverzugs oder Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist.
257
Erfasst wird damit jede auf Miet- oder Pachtrückstand gestützte fristlose Kündigung im Sinne der §§ 543 Abs. 2, 581 Abs. 2, 569 Abs. 3 BGB4. Im Hinblick auf den Kündigungsgrund der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse knüpft die Vorschrift unmittelbar an die aus § 119 InsO zu entnehmende Unwirksamkeit vertraglicher Lösungsklauseln an und erfasst jedes individuell ausgehandelte5 oder in vorformulierten Vertragsklauseln6 enthaltene Kündigungsrecht bei Anzeichen eines Vermögensverfalls7, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Vertragspartner das Recht zur einseitigen Vertragsaufhebung als Kündigung oder Rücktritt bezeichnen8. Um Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen, ist die Regelung des § 112 Nr. 2 InsO weit auszulegen9.
1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 112 InsO Rz. 5 f. m.w.N.; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 112 InsO Rz. 4; a.A. Braun/Kroth, § 112 InsO Rz. 4. 2 Wie hier: Balthasar in Nerlich/Römermann, § 112 InsO Rz. 11; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 Rz. 3; Berscheid in Uhlenbruck, § 112 InsO Rz. 10; Andres/Leithaus, § 112 Rz. 4. 3 Berscheid in Uhlenbruck, § 112 InsO Rz. 11; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 112 InsO Rz. 5 f.; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 398. 4 Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 37 Rz. 16; Eckert, ZIP 1996, 897 (898); Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 470. 5 Vgl. dazu: LG Stendal v. 18. 7. 2000 – 31 O 28/00, ZInsO 2001, 524 = DZWIR 2001, 166. 6 Vgl. dazu: OLG Rostock v. 6. 10. 1998 – 3 U 146/98, DZWIR 1999, 294. 7 Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 Rz. 42; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 112 InsO Rz. 6. 8 Berscheid in Uhlenbruck, § 112 InsO Rz. 15 m.w.N. 9 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 112 InsO Rz. 14.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 262
§8
b) Rechtsfolgen Eine Kündigung des Vermieters oder Verpächters, die entgegen dem gesetzlichen Kündigungsverbot des § 112 InsO nach Antragstellung erfolgt, ist rechtsunwirksam1.
258
Eine vor Antragstellung zugegangene begründete Kündigung des Mietverhältnisses bleibt demgegenüber wirksam, auch wenn der vorläufige Verwalter umgehend für den Ausgleich des Zahlungsrückstandes sorgt2. Bei der Wohnraummiete gilt allerdings die Vorschrift des § 569 Abs. 3 BGB, wonach die fristlose Kündigung durch nachträgliche Tilgung des Rückstandes hinfällig wird.
259
Vermieter und Verpächter müssen daher zwar mit einem weiteren Ausfall der Nutzungsentschädigung rechnen; diese ist jedoch längstens auf zwei Monate begrenzt, weil die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdenden Raten aus dem Schuldnervermögen wieder vertragsgerecht gezahlt werden müssen, wenn die Nutzungsmöglichkeit für die Insolvenzmasse erhalten bleiben soll. Sind von der Aufrechterhaltung des Miet- und Pachtverhältnisses mehr Vor- als Nachteile für die Insolvenzmasse zu erwarten, so ist auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter ohne begleitendes Verfügungsverbot berechtigt, die dazu nötigen Ausgaben zu erbringen3.
260
Gleichwohl muss die Zahlung des Mietzinses möglichst zeitnah erfolgen, da dem Vermieter oder Verpächter ansonsten die Gefahr droht, den erhaltenen Betrag bei einer nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erhobenen Anfechtung, zu der er grundsätzlich dann berechtigt ist, wenn er im Eröffnungsverfahren bloßer „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter war4, wieder an die Insolvenzmasse herausgeben zu müssen, sofern nicht ein nach § 142 InsO unanfechtbares Bargeschäft vorliegt (zu den Voraussetzungen eines solchen Geschäfts s. § 10 Rz. 299 f.). Unterliegen die Zahlungen der Anfechtung, wird man dem Vermieter oder Verpächter aber die Berechtigung nicht versagen können, die mit diesem Mangel behafteten Zahlungen als nicht vertragsgemäß zurückzuweisen, um dann wenigstens kündigen zu dürfen5.
261
Wird hingegen die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdende Miete oder Pacht nicht vertragsgemäß gezahlt, etwa weil sich der vorläufige Insolvenzverwalter aus Zweckmäßigkeitserwägungen gegen eine Fortsetzung des Nutzungsvertrages entscheidet, steht § 112 InsO einer Kündigung des Vertragsverhältnisses gemäß den allgemeinen Regeln nicht entgegen6. Der Herausgabeanspruch des Vermieters begründet dann im Insolvenzverfahren über das
262
1 2 3 4 5 6
Hierzu kritisch Pape, NZM 2004, 401, 402 f. Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, 2. Aufl. 2006, S. 56. BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 (547) = ZIP 2002, 1625. OLG Stuttgart v. 24. 7. 2002 – 3 U 14/02, ZIP 2002, 1900. Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 112 InsO Rz. 8. BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; OLG Köln v. 2. 12. 2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543; OLG Celle v. 24. 6. 2003 – 2 W 73/03, ZInsO 2004, 207; LG Karlsruhe v. 13. 2. 2003 – 5 S 149/02, ZIP 2003, 677.
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§8
Rz. 263
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Vermögen des Mieters ein Aussonderungsrecht im Sinne des § 47 InsO1 (vgl. § 7 Rz. 17 ff.). 263
Ein Verzug des vorläufigen Insolvenzverwalters im Sinne der §§ 543 Abs. 2 Nr. 3, 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 BGB wird hierbei insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass regelmäßig erst der für das eröffnete Verfahren bestellte endgültige Insolvenzverwalter nach den §§ 103 ff. InsO über das rechtliche Schicksal von Verträgen in der Insolvenz entscheidet2. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat mit Bezug auf die Dauerschuldverhältnisse im Eröffnungsverfahren lediglich zu entscheiden, ob er sich die Option für eine Fortdauer des Vertragsverhältnisses für ein zu eröffnendes Verfahren offen hält, indem er das laufende Entgelt zahlt3.
264
Ist ein vorläufiger starker Insolvenzverwalter mit entsprechender Verwaltungsund Verfügungsbefugnis bestellt worden, so unterfallen Forderungen aus der weiteren Nutzung des Miet- und Pachtgegenstandes im Übrigen ohnehin § 25 Abs. 2 Satz 2 InsO und nach Verfahrenseröffnung § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO, so dass der Vermieter oder Verpächter regelmäßig einen werthaltigen Masseanspruch für die durch § 112 InsO bedingte Überlassung des Miet- oder Pachtgegenstandes erhält (zum vorläufigen starken Insolvenzverwalter vgl. § 14 Rz. 11 f.). Wird hingegen kein vorläufiger Verwalter bestellt oder nutzt dieser den Miet- oder Pachtgegenstand nicht, so ist der Miet- oder Pachtzins bis zur Verfahrenseröffnung gemäß § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) bloße Insolvenzforderung. Gleiches gilt für Räumungskosten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind; von der Masse zu tragen sind demgegenüber nur zusätzliche nach Verfahrenseröffnung durch Handlungen des Insolvenzverwalters verursachte Kosten4.
265
Gesetzlich geschützt bleiben Vermieter oder Verpächter im Hinblick auf ihren Forderungsausfall durch das Vermieter- oder Verpächterpfandrecht gemäß §§ 562, 578 BGB, das nach § 50 InsO auch im Insolvenzfall erhalten bleibt (zur Rechtsstellung eines solchen Absonderungsberechtigten s. § 7 Rz. 168 ff., 203 ff.). Zur Absicherung weiterer Risiken werden dem Mieter oder Pächter regelmäßig entsprechende Kautionen abverlangt, die auch im Falle einer insolvenzbedingten Auflösung des Vertragsverhältnisses nach den allgemeinen Grundsätzen vom Vermieter abgerechnet werden dürfen.
265a
Wurde die Kaution entsprechend den mietvertraglichen Vorschriften (§ 551 Abs. 3 BGB) insolvenzfest, d.h. getrennt vom Vermögen des Vermieters treuhänderisch angelegt und ist sie noch bei Insolvenzeröffnung vorhanden, steht dem Mieter bei Vertragsende hinsichtlich der nicht verbrauchten Kaution ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO zu. Hat dagegen der Vermieter die gem. 1 BGH v. 5. 7. 2001 – IX ZR 327/99, NZI 2001, 531 = ZIP 2001, 1469; OLG Celle v. 6. 10. 2003 – 2 W 107/03, ZInsO 2003, 948; LG Stendal v. 4. 12. 2002 – 23 O 1/02, ZInsO 2003, 813. 2 A.A. Tintelnot in Kübler/Prütting, § 112 InsO Rz. 12. 3 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 (547) = ZIP 2002, 1625; OLG Köln v. 2. 12. 2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543. 4 BGH v. 5. 7. 2001 – IX ZR 327/99, NZI 2001, 531 = ZIP 2001, 1469; LG Stendal v. 4. 12. 2002 – 23 O 1/02, ZInsO 2003, 813.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 268
§8
§ 551 Abs. 3 S. 3 BGB vorgeschriebene Trennung der Kaution von seinem übrigen Vermögen unterlassen, handelt es sich bei dem Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters nicht um eine Masseverbindlichkeit, sondern um eine Insolvenzforderung1, die gem. § 174 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden ist. c) Analoge Anwendung Dem Wortlaut nach betrifft § 112 InsO nur Kündigungen des Vermieters oder Verpächters. Die Vorschrift ist jedoch insbesondere auf Kaufverträge analog anzuwenden, wenn die Kaufsache bereits an den Schuldner übergeben worden und für die Fortführung des Betriebes notwendig ist2.
266
Wenn auch § 107 Abs. 2 InsO entnommen werden kann, dass der Gesetzgeber die Problematik gesehen und dennoch für Verzugsfälle im Kaufrecht keine dem § 112 InsO entsprechende Regelung geschaffen hat, ist eine analoge Anwendung erforderlich, um den insolvenzvertragsrechtlichen Vorschriften im Hinblick auf die durch die Schuldrechtsreform eingeführten erleichterten Rücktrittsregeln Geltung zu verschaffen3. So ist insbesondere nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine dem Rücktritt vorausgehende Fristsetzung dann entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen einen sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Obwohl der Auffangtatbestand des § 323 Abs. 2 Nr. 3 InsO bei Vermögensverschlechterung des Schuldners aus Sicht des Gläubigers stets gegeben sein dürfte, kann diese Sichtweise für den Bereich der Unternehmensinsolvenz keine Anerkennung finden4.
267
Insbesondere kommt nach vorherrschender Auffassung eine analoge Anwendung des § 112 Nr. 1 InsO in Betracht5. Eine andere Ansicht entnimmt § 112 Nr. 2 InsO einen verallgemeinerungswürdigen Rechtsgedanken, wonach eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist6. Sowohl die Vorschrift des § 112 InsO als auch die Regelung des § 107 InsO beruhen auf dem Gedanken, „dass die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinandergerissen werden darf“7. Dem Insolvenzverwalter muss es daher möglich bleiben, sein Wahlrecht auszuüben, so dass der Ausnahmetatbestand des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ohne Nachfrist nicht
268
1 Uhlenbruck, § 55 Rz. 58; Braun/Bäuerle, § 47 Rz. 72; Mohrbutter/Ringstmeier, § 24 Rz. 6; BGH, Urt. v. 20. 12. 2007 – IX ZR 132/06. 2 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 112 InsO Rz. 19; Berscheid in Uhlenbruck, § 112 InsO Rz. 20; a.A. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 112 InsO Rz. 16. 3 Ausführlich dazu Marotzke, KTS 2002, 1 ff.; Mossler, ZIP 2002, 1831 ff. 4 So ausdrücklich: Berscheid in Uhlenbruck, § 112 InsO Rz. 20. 5 AG Düsseldorf v. 11. 5. 2000 – 27 C 18049/99, DZWIR 2000, 347 (348); Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 InsO Rz. 66; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 107 InsO Rz. 31; Marotzke, KTS 2002, 1 (9); Tintelnot in Kübler/Prütting, § 112 InsO Rz. 5; a.A. Balthasar in Nerlich/Römermann, § 112 InsO Rz. 16; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 476. 6 Berscheid in Uhlenbruck, § 107 InsO Rz. 8. 7 Vgl. zu § 126 RegE BT-Drucks. 12/2443, S. 148.
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§8
Rz. 268a
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
allein wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners als erfüllt anzusehen ist. 268a
Wegen des pachtähnlichen Charakters und der vergleichbaren Interessenlage wird insbesondere in der Literatur auch eine analoge Anwendung des § 112 InsO auf Lizenzverträge überwiegend bejaht1. Eine Kündigungssperre ist für den Lizenzgeber jedoch insbesondere problematisch, wenn eine umsatzabhängige Lizenzgebühr vereinbart worden ist2. Zum Teil wird vorgeschlagen, der Lizenzgeber könne sich dadurch absichern, indem vereinbart wird, dass eine Ausübungspflicht des Lizenznehmers besteht und ein Verstoß gegen diese Pflicht einen Kündigungsgrund darstellt3. Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine solche Vereinbarung nicht als Umgehung des § 112 InsO anzusehen ist und somit gegen § 119 InsO verstößt.
8. Zwischenvermietung 268b
Einen Sonderfall stellt der Fall der Zwischenvermietung dar. Gemeint ist damit, dass der künftige Schuldner Räumlichkeiten anmietet und dann an einen Dritten untervermietet4. Nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO bestehen Haupt- und Untermietverhältnis zunächst fort. Nach einer Entscheidung des allerdings nicht für das Insolvenzrecht zuständigen VIII. Senats des BGH soll der (vorläufige) Insolvenzverwalter der Zwischenmieterin verpflichtet sein, die von dem Endmieter eingezogene Miete an den Hauptvermieter weiterzuleiten. Erklärt er dennoch, er werde die Miete nicht weiterleiten, so ist der Hauptvermieter zur fristlosen Kündigung des Zwischenmietverhältnisses berechtigt, auch wenn ein Zahlungsrückstand i.S.d. § 543 Abs.2 Nr. 3 BGB noch nicht entstanden ist5. Während dem Insolvenzverwalter selbst als Vermieter ein Sonderkündigungsrecht gegenüber seinem Untermieter nicht zusteht, kann er – und muss im Interesse der Insolvenzmasse gegebenenfalls – das Hauptmietverhältnis nach § 109 InsO kündigen. Auch besteht das Risiko einer von § 112 InsO unabhängigen Kündigung des Hauptmietverhältnisses durch den Vermieter. Der Anspruch des Untermieters gegen den Schuldner auf Überlassung des Mietobjektes kann dann durch letzteren bzw. dessen Insolvenzverwalter nicht mehr erfüllt werden. Im Falle der vereinbarten, gewerblichen Weitervermietung zu Wohnzwecken ergibt sich die Rechtsfolge unmittelbar aus § 565 BGB: Der Hauptvermieter tritt in das Untermietverhältnis ein ohne dass ein Schaden entsteht6. Die Regelung ist indes nicht auf nicht Wohnzwecken dienende oder
1 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 Rz. 23; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 112 Rz. 5; Abel, NZI 2003, 121 (127); v. Frentz/Marrder, ZUM 2003, 94 (99); Hoffmann, ZInsO 2003, 732 (736); wohl auch Stickelbrock, WM 2004, 549 (555 ff.). 2 Vgl. hierzu Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 743 (745 ff.). 3 Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 743 (746). 4 Hierzu ausführlich Marotzke, ZInsO 2007, 1 ff. 5 BGH v. 9. 3. 2005 – VIII ZR 394/03, ZIP 2005, 1085 ff. = NZI 2005, 450; siehe dazu auch Drasdo, NZI 2005, 452. 6 Ringstmeier in Mohrbutter/Ringstmeier, § 40 Rz. 16.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 268c
§8
gewerbliche Untervermietungen anwendbar1. In der Folge ist daher umstritten, ob der sich daraus ergebende Schadensersatzanspruch des Untermieters gegen seinen Vermieter, den Schuldner, eine Masseverbindlichkeit ist oder eine schlichte Insolvenzforderung darstellt. Den Schadensersatzanspruch des Untermieters haben Reichsgericht und Bundesgerichtshof unter der Geltung der Konkursordnung als einfache Konkursforderung eingeordnet2; als mittelbare Folge der Konkurseröffnung, so die Begründung, falle er unter § 26 Satz 2 KO. Dem hat sich das konkursrechtliche Schrifttum – soweit ersichtlich – allgemein angeschlossen3. Ob der vorgenannten Auffassung auch noch unter dem Geltungsbereich der Insolvenzordnung gefolgt werden kann, ist in der Literatur umstritten, Rechtsprechung zu der Frage existiert – soweit ersichtlich – nicht. Eine Stimme in der Literatur hält die zu § 26 Satz 2 KO entwickelte Rechtsprechung für nicht auf die Insolvenzordnung übertragbar und betrachtet den Schadensersatzanspruch als Masseverbindlichkeit4. Zur Begründung führt sie an, dass der Ersatzanspruch auf einer Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO beruhe. Das Untermietverhältnis, das der Schuldner als Vermieter eingegangen sei, könne der Verwalter nicht auflösen. Durch die Verwaltungsmaßnahme – Kündigung des Hauptmietverhältnisses – werde es nicht betroffen, da es unabhängig von dessen Bestand fortdauere. Eine dem § 26 Satz 2 KO entsprechende Vorschrift fehle in der InsO. § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) greife nicht ein, da der Rechtsmangel im Untermietverhältnis erst nach der Verfahrenseröffnung entstehe5. Anderer Auffassung nach ist der Schadensersatzanspruch auch im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung nur als einfache Insolvenzforderung anzusehen6. Wenn der Eigentümer den Mietgegenstand herausverlange, realisiere sich nur ein im Vorfeld der Insolvenz eingegangenen Risikos des Vertragspartners (= Untermieter)7. Wie der Verwalter des Eigentümer-Vermieters das Mietverhältnis durch freihändige Veräußerung des Mietgrundstücks mit der Folge einer bloßen Insolvenzforderung zu Ende bringen kann, da die infolge einer Kündigung des Erwerbers nach § 111 InsO entstehenden Ersatzansprüche des Mieters ganz herrschender Auffassung nach lediglich Insolvenzforderungen darstellen8, müsse dem Insolvenzverwalter des 1 Weidenkaff in Palandt, § 565 BGB Rz. 2, 4. 2 RGZ 67, 372; BGH v. 15. 4. 1955 – V ZR 22/54, NJW 1955, 948. 3 Jaeger/Henckel, § 21 KO Rz. 5; Kuhn/Uhlenbruck, § 21 KO Rz. 4; Kilger/K.Schmidt, § 19 KO Anm. 6. 4 Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl. 2000, Rz. 1567. 5 Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl. 2000, Rz. 1567. 6 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 16b; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 17. 7 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 16b. 8 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 108 InsO Rz. 7; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 111 InsO Rz. 13; Uhlenbruck/Berscheid, § 111 InsO Rz. 9; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 111 InsO Rz. 8; Balthasar in Nerlich/ Römermann, § 111 InsO Rz. 14; kritisch Ringstmeier in Mohrbutter/Ringstmeier, § 40 Rz. 17; a.A. wohl nur Eckert in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 108 Rz. 29 ff., der den Schadensersatzanspruch als Masseverbindlichkeit einordnet.
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268c
§8
Rz. 268d
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Zwischenvermieters durch Kündigung gegenüber dem Vermieter nach § 109 Abs. 1 InsO dieselbe Möglichkeit offen stehen1. Zudem sei die restriktive Auslegung des § 21 KO, die dessen Anwendung nur auf Fälle der Zugehörigkeit der Mietsache zur Konkursmasse beschränkte, auf die Insolvenzordnung zu übertragen. Auch die Anwendung des § 108 Abs. 1 InsO sei daher auf den Fall zu beschränken, dass die vom Schuldner vermietete Sache zur Insolvenzmasse gehört2. Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen, die §§ 21 KO und 108 InsO entsprechen einander dem Inhalt nach, eine Auslegung des § 108 InsO nach den Kriterien, die bereits bei § 21 KO angewendet wurden, ist sinnvoll3. Zudem ist nicht einzusehen, warum – wie die Gegenseite anführt – der zu § 26 KO entwickelten Rechtsprechung nicht mehr gefolgt werden dürfe: Bereits im Geltungsbereich der KO verhinderte die restriktive Auslegung des § 21 KO dessen Anwendung für den Fall, dass das Mietobjekt nicht der Insolvenzmasse zuzurechnen war. 268d
Vermietet der Insolvenzverwalter – unter Verletzung der mietvertraglichen Pflicht, vor einer Untervermietung die Zustimmung des Vermieters einzuholen – eine vom Schuldner angemietete Immobilie an einen unzuverlässigen Untermieter und gefährdet er dadurch den Rückgabeanspruch des aussonderungsberechtigten Vermieters, kann dies seine persönliche Haftung begründen4.
9. Praxistipp/Musterschreiben 269
Musterschreiben für eine Kündigung des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO: Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00. 00. 00 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XYZ eröffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Zwischen der Schuldnerin und Ihnen besteht eine Mietvertrag über Geschäftsräume in dem Mietobjekt (Adresse) vom 00. 00. 00. Nach § 109 Abs. 1 InsO bin ich berechtigt, das Mietverhältnis ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer unter Einhaltung der dreimonatigen (bzw. der gesetzlichen) Frist zu kündigen. Ich kündige daher das Mietverhältnis form- und fristgerecht zum 00. 00. 00 Mit freundlichen Grüßen
1 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 108 InsO Rz. 16b. 2 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, §108 Rz. 17. 3 So auch Marotzke, ZinsO 2007, 1, 7, der überdies die nunmehr geltende Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO analog gegenüber dem Untermieter anwenden möchte. 4 BGH v. 25. 1. 2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539 = NZI 2007, 286.
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Behandlung von Dauerschuldverhältnissen
Rz. 271
§8
Musterschreiben für eine Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO
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Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00. 00. 00 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XYZ eröffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Zwischen der Schuldnerin und Ihnen besteht ein Mietvertrag über Wohnräume in dem Mietobjekt (Adresse) vom 00. 00. 00. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO bin ich grundsätzlich berechtigt, Mietverhältnisse ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zu kündigen. Eine Ausnahme gilt jedoch für Wohnraummietverhältnisse des Schuldners, die nicht gekündigt werden können. Gleichwohl bin ich nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO stattdessen berechtigt zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – hier also nach dem 00. 00. 00 – fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Ich erkläre daher, dass nach dem 00. 00. 00 fällig werdende Ansprüche nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Mit freundlichen Grüßen
Musterschreiben des Insolvenzverwalters an einen Vermieter wegen Kündigungssperre nach § 112 InsO Sehr geehrter Herr ABC, bekanntlich ist mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00. 00. 00 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XYZ eröffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Der gerichtlichen Insolvenzakte zu Az … ist zu entnehmen, dass der Schuldner am 00. 00. 00 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat. Zwischen der Schuldnerin und Ihnen besteht ein Mietvertrag über Geschäftsräume vom 00. 00. 00, den Sie am 00. 00. 00 und damit nach Insolvenzantrag wegen Verzugs des Schuldners mit der Entrichtung des Mietzins gekündigt haben. Hierbei beziehen Sie sich ausdrücklich auf Mietzinsen für die Zeit vor dem Insolvenzantrag. Ich weise darauf hin, dass gemäß § 112 Nr. 1 InsO ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, gekündigt werden kann. Mit freundlichen Grüßen
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271
§8 272
Rz. 272
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Musterschreiben des Gläubigervertreters an den Insolvenzverwalter wegen Rücktritts vom Vertrag nach § 109 Abs. 2 InsO: Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Mietvertrag über die Geschäftsräume in der (genaue Bezeichnung von Straße und Ort). Die Räume sollen der Schuldnerin am 00. 00. 00 von meiner Mandantin übergeben werden. Zwischenzeitlich wurde aber am 00. 00. 00 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet. Meine Mandantin macht daher hiermit von den ihr in § 109 Abs. 2 InsO eingeräumten Rechten Gebrauch und tritt vom Vertrag zurück. Mit freundlichen Grüßen
VIII. Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, §§ 115, 116 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 273
Der Schuldner verliert gemäß § 80 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse (hierzu § 6 Rz. 147). Dementsprechend soll auch ein Dritter, der sein Recht vom Schuldner ableitet, auf die Insolvenzmasse nicht mehr einwirken können.
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Beide Vorschriften, die wegen § 119 InsO zwingendes Recht sind1, verfolgen daher den Zweck, zu verhindern, dass Dritte unter Berufung auf entsprechende vertragliche Bindungen Geschäfte für den Schuldner besorgen und dadurch den Insolvenzverwalter in der Erfüllung seiner Aufgaben behindern.
2. Tatbestandsvoraussetzungen, §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO 275
Für die Einordnung des Rechtsgeschäfts als Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag sind die bei §§ 662, 675 BGB anerkannten Grundsätze maßgebend2. Der Begriff der Geschäftsbesorgung setzt auch im Bereich der §§ 115, 116 InsO eine aufgrund Dienst- oder Werkvertrag in fremdem Interesse ausgeübte, selbständige, entgeltliche Tätigkeit wirtschaftlicher Art voraus, wobei es auf eine genaue Abgrenzung zwischen Dienst- und Werkvertrag angesichts des Umstandes, 1 BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZInsO 2006, 1055. 2 Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 36 Rz. 37.
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Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen
Rz. 278
§8
dass beide Vertragstypen unter den Anwendungsbereich der Bestimmung fallen, nicht ankommt. Mit der Besorgung eines Geschäfts i.S. des § 662 BGB ist demgegenüber eine unentgeltliche Tätigkeit jedweder Art in fremdem Interesse, sei sie rechtlicher oder tatsächlicher, selbständiger oder unselbständiger, wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Art, gemeint. Da vermögensbezogene Aufträge kaum unentgeltlich vorkommen, erlangt § 115 InsO seinen Anwendungsbereich fast ausschließlich aus der Verweisung auf § 116 InsO1.
276
Beispiele für Auftragsverhältnisse i.S. des § 115 InsO mit Bezug auf das Vermögen des Schuldners betreffen die unentgeltlich übernommene Verpflichtung zur Übernahme einer Bürgschaft, zur Erteilung eines Gefälligkeitsakzepts oder zur Bestellung von sonstigen Sicherheiten.
277
Als unter § 116 InsO fallend können beispielhaft folgende Vertragstypen aufgezählt werden:
278
–
Agenturverträge;
–
Baubetreuungsverträge, weil hierfür kennzeichnend ist, dass der Baubetreuer im Namen und für Rechnung des Bauherrn die planerische Gestal tung sowie die Durchführung, Beaufsichtigung und Abrechnung des Bauprojekts wahrnimmt;
–
Beratungsverträge wie die Verträge des Schuldners mit seinem Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer.
Hinzuweisen ist darauf, dass der BGH im Geltungsbereich der KO einen Anspruch des Konkursverwalters gegen den Steuerberater des Gemeinschuldners auf Herausgabe der Hauptabschlussübersicht bei Verweigerung des Honorars verneint hat2. Im Anschluss daran wird zum Recht der InsO die Auffassung vertreten, dass Steuerberater wegen ausstehender Honorare, die als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen, berechtigt sind, ihre Arbeitsergebnisse zurückzuhalten, nicht aber Mandantenunterlagen3. So könne der Insolvenzverwalter von dem Steuerberater des Gemeinschuldners etwa im Wege der einstweiligen Verfügung die Herausgabe aller Buchhaltungsausdrucke verlangen4. Eine andere Ansicht erkennt ebenfalls ein Zurückbehaltungsrecht des bevollmächtigten Steuerberaters wegen unbezahlter fälliger Forderungen an, hält den Steuerberater aber generell zur Auskunft sowie dazu verpflichtet, den Auskunftsberechtigten Einsicht in die Handakten zu gewähren oder Gelegenheit zur Fertigung von Kopien zu geben5. 1 Tintelnot in Kübler/Prütting, §§ 115, 116 InsO Rz. 4. 2 BGH v. 25. 10. 1988 – XI ZR 3/88, ZIP 1988, 1474. 3 Tintelnot in Kübler/Prütting, §§ 115, 116 InsO Rz. 18; Kießner in Nerlich/Römermann, § 116 InsO Rz. 23; Braun/Kroth, § 116 InsO Rz. 8. 4 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 116 InsO Rz. 27; Kießner in Nerlich/Römermann, § 116 InsO Rz. 23; Braun/Kroth, § 116 InsO Rz. 8. 5 Passauer in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 97 InsO Rz. 26.
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§8
Rz. 278
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Demgegenüber kann nach einer dritten Ansicht der Steuerberater, sofern er gegenüber dem Gemeinschuldner noch Vergütungsansprüche besitzt, diese nicht mit einem daraus resultierenden Zurückbehaltungsrecht durchsetzen, da ein persönliches Recht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht berücksichtigungsfähig ist1. Letztlich muss der Steuerberater nach dieser Ansicht auch die Gegenstände herausgeben, die er von Dritten erhalten hat, wie z.B. den Steuerbescheid, wobei Gleiches auch für Arbeitsunterlagen gilt, die er selbst erstellt hat2. In letztere Richtung zielt auch eine neuere Entscheidung des Landgerichts Cottbus3. Danach steht einem Steuerberater nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Mandanten an von ihm im Rahmen der Finanzbuchhaltung erstellten Kontenblättern und damit an eigenen Arbeitsergebnissen weder ein Zurückbehaltungsrecht nach § 66 Abs. 4 StBerG, dessen Insolvenzfestigkeit verneint wird, noch nach den §§ 320, 273 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter zu. –
Das öffentlich-rechtliche Sonderverhältnis zwischen Notar und Urkundspartei in Ansehung der Verpflichtung des Notars, gegenüber dem Grundbuchamt durch Stellung von Anträgen tätig zu werden4.
–
Einziehungs- und Inkassoverträge, weil der Zessionar verpflichtet ist, die Forderung für Rechnung und im Interesse des Zedenten einzuziehen und Weisungen des Zedenten Folge zu leisten.
–
Der Factoring-Vertrag5 wird allgemein als ein gemischt typischer Vertrag mit Elementen einer Geschäftsbesorgung angesehen, so dass in der Insolvenz des Anschlusskunden § 116 InsO Anwendung findet. Gleiches gilt für den Rahmenvertrag.
–
Girovertrag als Rahmenvertrag nebst Neben- oder Folgevereinbarungen oder -aufträgen. Die Bank ist aber in Nachwirkung des Girovertrags befugt und verpflichtet, noch eingehende Überweisungsbeträge für den Schuldner entgegenzunehmen und seinem Konto gutzuschreiben.
–
Handelsrechtliche Vertragstypen sind Geschäftsbesorgungsverträge, soweit sie nicht den Güter- und Leistungsaustausch selbst, sondern dessen Vorbereitung und Unterstützung betreffen. Hierunter fallen Absatzmittlerverträge wie der Handelsvertretervertrag6, Ein- und Verkaufskommissionen sowie Speditionsverträge in der Insolvenz des Versenders.
1 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 116 InsO Rz. 26. 2 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 116 InsO Rz. 27; Hess, § 23 KO Rz. 6. 3 LG Cottbus v. 23. 5. 2001 – 1 S 42/01, ZInsO 2002, 635. 4 BayObLG v. 3. 9. 2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143 (1145). 5 Ausführlich dazu Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 116 InsO Rz. 13 ff. 6 BGH v. 10. 12. 2002 – X ZR 193/99, ZIP 2003, 216.
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Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen
Rz. 281
§8
–
Kautionsversicherungsvertrag1; bei Erfüllungsablehnung kann der Versicherer keine Prämien für die Zeit nach Insolvenzeröffnung verlangen2.
–
Kommissionsvertrag in der Insolvenz des Kommittenten sowie der Kommissionsverlagsvertrag in der Insolvenz des Verfassers.
–
Kontokorrentvertrag mit der Maßgabe, dass bei Verfahrenseröffnung ein außerordentlicher Saldenabschluss vorzunehmen ist. Die Eröffnung eines Verfahrens über das Vermögen einer Lieferantin führt automatisch zu Beendigung des Kontokorrentverhältnisses3.
–
Maklervertrag, da der Makler die Herbeiführung der Bereitschaft eines Dritten zum Abschluss eines Vertrages mit dem Auftraggeber schuldet4.
–
Projektsteuerungs- und Projektentwicklungsverträge5.
–
Treuhandverträge, wenn der Treuhänder – wie bei der fremdnützigen Treuhand – Vermögensinteressen des Treugebers wahrzunehmen hat. Auch die Doppeltreuhand fällt aus diesem Grund in den Anwendungsbereich des § 116 InsO, nicht dagegen die eigennützige Treuhand.
Ausgenommen vom Anwendungsbereich der §§ 115, 116 InsO sind jedoch Überweisungsverträge (§§ 676a–676c BGB) sowie Zahlungs- und Übertragungsverträge (§§ 676d ff. BGB), die gemäß § 116 Satz 3 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen.
279
3. Rechtsfolgen Nach §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO6 erlöschen die von dieser Vorschrift erfassten Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens automatisch, und zwar schlechthin, also nicht etwa nur im Verhältnis zur Masse, sondern auch gegenüber dem Schuldner persönlich und für die Zeit nach dem Insolvenzverfahren7.
280
Der andere Teil ist zur weiteren Wahrnehmung von Schuldnerinteressen grundsätzlich weder berechtigt noch verpflichtet und erlangt keine Rechte mehr gegen die Masse. Seine Ansprüche auf die ausdrücklich oder stillschweigend vereinbarte Vergütung bzw. auf Verwendungsersatz gemäß §§ 670, 675 BGB ist bloße Insolvenzforderung. Ansonsten gelten die allgemeinen Vor-
281
1 BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637 ff.; OLG Frankfurt a.M. v. 2. 6. 2005 – 3 U 185/04, ZIP 2005, 1245 ff. 2 BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637 ff.; KG v. 4. 6. 2004 – 7 U 363/03, ZInsO 2004, 979 f. 3 OLG Köln v. 19. 4. 2004 – 2 U 187/03, NZI 2004, 668. 4 OLG Karlsruhe v. 12. 7. 1990 – 11 U 8/90, ZIP 1990, 1143. 5 Ausführlich dazu Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 116 InsO Rz. 11. 6 Dem entspricht § 23 Abs. 1 S. 1 KO, den der BGH auch auf nach § 9 Abs. 1 GesO zu behandelnde Fälle analog anwendet, BGH v. 18. 1. 2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543. 7 Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 36 Rz. 41 m.w.N.; BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZInsO 2006, 1055; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 115 InsO Rz. 6.
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§8
Rz. 282
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
schriften. So bleibt der andere Teil der Masse vertraglich gemäß §§ 667, 675 BGB zur Herausgabe alles aus der Geschäftsführung Erlangten verpflichtet. Außerdem trifft ihn die in § 666 BGB angeordnete Auskunftserteilungs- und Rechenschaftspflicht. 282
Ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Herausgabeverlangen des Insolvenzverwalters steht dem anderen Teil demgegenüber genauso wenig zu wie Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung, da das Erlöschen des Vertrages nicht auf einer Leistungsstörung bürgerlichen Rechts, sondern auf autonomen Insolvenzvertragsrecht beruht1. Die Zulässigkeit einer etwa möglichen Aufrechnung richtet sich nach den §§ 94-96 InsO (hierzu ausführlich § 7 Rz. 488 ff.).
283
Schließlich sind die §§ 115, 116 InsO lex specialis zu § 103 InsO. Der Insolvenzverwalter kann daher nicht einseitig durch Erfüllungswahl die Fortführung des Vertrages bewirken. Hat der Verwalter im Einzelfall Interesse daran, die Tätigkeit eines Dritten (z.B. Steuerberater), die für die Insolvenzmasse von Vorteil ist, weiter zu nutzen, kommt es zu dem Neuabschluss eines Rechtsgeschäfts mit der Folge, dass die daraus resultierenden Forderungen Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellen (zur Rechtsstellung von Geschäftspartnern des Verwalters s. § 14 Rz. 88 ff.).
284
Handelt der Beauftragte trotz Erlöschens des Auftrags weiter, so kommen die Grundsätze über die Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. BGB, und die Vorschriften der §§ 177 ff. BGB zur Anwendung. Die dem Beauftragten hieraus entstehenden Aufwendungsersatzansprüche stellen freilich lediglich Insolvenzforderungen i.S. des § 38 InsO dar2.
4. Notgeschäftsführung, §§ 115 Abs. 2, 116 InsO 285
Sinn und Zweck der Notgeschäftsführung ist der Schutz der Insolvenzmasse vor Schäden, die durch das Unterlassen von notwendigen Maßnahmen entstehen können3. § 115 Abs. 2 Satz 1 InsO, auf den § 116 InsO Bezug nimmt, ordnet daher an, dass der Beauftragte dann die Besorgung des übertragenen Geschäfts bis der Insolvenzverwalter anderweitige Fürsorge treffen kann fortzusetzen hat, wenn mit einem Aufschub Gefahr verbunden ist.
286
Mit dem Aufschub ist immer dann Gefahr verbunden, wenn der Insolvenzmasse bei objektiver Betrachtung Nachteile drohen, was regelmäßig dann angenommen werden kann, wenn der Insolvenzverwalter das Geschäft nicht rechtzeitig selbst besorgen kann4.
287
Da der Auftrag insoweit nach §§ 115 Abs. 2 Satz 1 und 2, 116 Satz 1 InsO als fortbestehend gilt, ordnen §§ 115 Abs. 2 Satz 3, 116 Satz 1 und 2 InsO an, dass
1 Tintelnot in Kübler/Prütting, §§ 115, 116 InsO Rz. 11; Braun/Kroth, § 115 InsO Rz. 6. 2 Kießner in Nerlich/Römermann, § 115 InsO Rz. 17. 3 BGH v. 6. 7. 2006 – IX ZR 121/05, ZInsO 2006, 1055; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 115 InsO Rz. 7. 4 Braun/Kroth, § 115 InsO Rz. 7.
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Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen
Rz. 291
§8
die Insolvenzmasse für den auf diese Weise nach Insolvenzeröffnung entstehenden Ersatzanspruch bzw. Vergütungsanspruch einzustehen hat.
5. Unverschuldete Unkenntnis der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 2 InsO Kennt der Beauftragte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Verschulden nicht, gilt der Auftrag gemäß §§ 115 Abs. 3 Satz 1, 116 Satz 2 InsO als fortbestehend. Da nach dem Verschuldensmaßstab des § 276 Abs. 1 BGB einfache Fahrlässigkeit genügt, hat sich zumindest derjenige, der Kenntnis von einem Eröffnungsantrag hat, über die am Ende des Eröffnungsverfahrens getroffene Entscheidung des Gerichts zu erkundigen1. Die dem Beauftragten aus der Fortsetzung des Auftrags entstehenden Ersatzansprüche sind gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 InsO als Insolvenzforderungen zu behandeln.
288
6. Praxistipp/Musterschreiben § 116 Satz 3 InsO bestimmt, dass Überweisungsverträge sowie Zahlungs- und Übertragungsverträge mit Wirkung für die Masse fortbestehen. Der Insolvenzverwalter sowie der im Eröffnungsverfahren bestellte vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 Abs. 1 InsO) muss daher im Interesse der Masse die Kündigung der bestehenden Verträge herbeiführen.
289
In der Praxis werden insbesondere bei Beratungsverträgen mit Steuerberatern oder Rechtsanwälten Vorschüsse geleistet. Der Insolvenzverwalter sollte daher die vom Schuldner beauftragten Berater nach Insolvenzeröffnung zur Rechnungslegung auffordern und etwa entstehende Überschüsse zur Masse ziehen.
290
Musterschreiben des Insolvenzverwalters an Rechtsanwälte, die den Schuldner beraten haben:
291
Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00. 00. 00 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XYZ eröffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Aus den Geschäftsunterlagen der Schuldnerin ergibt sich, dass Sie die Schuldnerin in verschiedenen rechtlichen Fragen beraten und gerichtliche Verfahren betreut haben. Ich weise darauf hin, dass gemäß §§ 115, 116, 117 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner übernommene Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge ebenso erlöschen wie vom Schuldner erteilte Vollmachten.
1 Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 36 Rz. 45.
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§8
Rz. 292
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Ich möchte Sie höflichst bitten, über die Ihnen erteilten Mandate Rechnung zu legen und etwa vorhandene Einnahmen sowie nicht verbrauchte Vorschüsse auf das von mir bei der B-Bank eingerichtete Insolvenzverwalteranderkonto Nr. … zu überweisen. Schließlich darf ich darum bitten, mir die Handakten der noch laufenden Verfahren zu überlassen und, soweit erforderlich, die das Mandat betreffenden notwendigen Auskünfte zu erteilen. Rein vorsorglich weise ich darauf hin, dass ein Zurückbehaltungsrecht an den Handakten wegen eines die Insolvenzmasse betreffenden Mandats nicht besteht. Mit freundlichen Grüßen
IX. Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 292
Wie schon die §§ 115, 116 InsO soll auch die wegen § 119 InsO ebenfalls zwingende Norm des § 117 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach Verfahrenseröffnung sicherstellen. Beruht die Vollmacht auf einem Auftrag oder einer Geschäftsbesorgung, ergibt sich die Folge des Erlöschens bereits aus § 168 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 115, 116 InsO.
293
Eigenständige Bedeutung gewinnt die Vorschrift aber zum einen hinsichtlich solcher Vollmachten, die auf Grundlage eines Dienstverhältnisses, auf das die Verfahrenseröffnung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO ohne Einfluss bleibt, erteilt worden sind. Zum anderen fallen in den Anwendungsbereich des § 117 InsO die so genannten isolierten Vollmachten, bei denen das ihnen zugrunde liegende Rechtsverhältnis unwirksam ist oder gänzlich fehlt.
2. Tatbestandsvoraussetzungen 294
Ähnlich wie bei §§ 115, 116 InsO erfasst auch § 117 InsO nur Vollmachten, die vom Schuldner erteilt worden sind, während Vollmachten, die dem Schuldner erteilt worden sind, von der Verfahrenseröffnung grundsätzlich unberührt bleiben.
295
Die vom Schuldner erteilte Vollmacht muss sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen. Vollmachten, die sich auf unpfändbare und daher nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegende Gegenstände beziehen, werden von § 117 Abs. 1 InsO daher ebenso wenig erfasst wie Vollmachten, die in anderen als Vermögensangelegenheiten erteilt worden sind.
296
Die Vorschrift des § 117 Abs. 1 InsO erfasst alle Arten von Vollmachten. Beispielhaft lassen sich aufzählen:
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Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO
Rz. 301
§8
–
Generalvollmacht;
–
Spezialvollmacht;
–
Handelsrechtliche Sonderformen, wie Prokura oder Handlungsvollmacht;
–
Unwiderrufliche Vollmachten;
–
Isolierte Vollmachten, die ohne Bezug zu einem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis erteilt wurden;
–
Prozessvollmachten1, nicht aber die vom Schuldner vorinsolvenzlich einem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht zur Vertretung im Insolvenzverfahren, die für Rechtsbehelfe fortbesteht, die dem Schuldner im Insolvenzverfahren persönlich zustehen2;
–
Untervollmachten, die vom Vertreter des Schuldners erteilt worden sind;
–
gewillkürte Prozessstandschaft3.
Keine Vollmacht stellen demgegenüber Einziehungsermächtigungen sowie Verfügungsermächtigungen dar, die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 117 Abs. 1 InsO bedarf4.
297
Schließlich wird von § 117 Abs. 1 InsO nicht erfasst eine gesetzliche oder organschaftliche Vertretungsmacht, deren Beendigung sich nach den besonderen, für das gesetzliche oder organschaftliche Vertretungsverhältnis geltenden Vorschriften richtet5.
298
3. Rechtsfolgen § 117 Abs. 1 InsO ordnet an, dass vom Schuldner erteilte Vollmachten durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen, sofern sie sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen. Maßgeblich ist hierbei der Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses.
299
Ist im Eröffnungsverfahren ein vorläufiger Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO bestellt worden und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf ihn übergegangen, ist der vorläufige Verwalter berechtigt, die zuvor vom Schuldner erteilte Vollmacht zu widerrufen6.
300
Die vom Schuldner erteilte Vollmacht erlischt darüber hinaus auch dann, wenn das Insolvenzgericht mit Insolvenzeröffnung die Eigenverwaltung anord-
301
1 OLG Brandenburg v. 29. 9. 2000 – 7 W 47/00, NZI 2001, 255; OLG Köln v. 15. 11. 2002 – 2 U 79/02, ZInsO 2002, 1185. 2 OLG Dresden v. 23. 7. 2002 – 13 W 1466/01, ZIP 2002, 2000. 3 BGH v. 10. 11. 1999 – VIII ZR 78/98, ZIP 2000, 149. 4 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 11, Rz. 15. 5 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 4. 6 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 12; Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 5; Kießner in Nerlich/ Römermann, § 117 InsO Rz. 12a.
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§8
Rz. 302
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
net, und zwar unabhängig davon, ob dies bereits im Eröffnungsbeschluss gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO oder erst nachträglich nach § 271 Satz 1 InsO erfolgt1 (zur Anordnung der Eigenverwaltung s. § 13 Rz. 446 ff.). Nachdem das Beschwerdegericht eine Pflicht der Registergerichte, das Erlöschen in das Handelsregister von Amts wegen einzutragen, z.T. ausdrücklich abgelehnt2 oder zumindest eine darauf gerichtete Antragspflicht des Insolvenzverwalters verneint3 hatten, ist nun nach § 144c FGG4 vorgesehen, dass die Registergesichte eine bereits bestehende Prokura im Falle der Insolvenzeröffnung als erloschen markieren, da auch die Insolvenzeröffnung selbst von Amts wegen einzutragen ist und auch das Erlöschen der Prokura hierdurch herbeigeführt wird5.
4. Notgeschäftsführung und Insolvenzunkenntnis 302
Besteht ein Auftrag oder ein Geschäftsbesorgungsvertrag wegen Gefahr in Verzug nach §§ 115 Abs. 2, 116 InsO fort, gilt dies gemäß § 117 Abs. 2 InsO auch für die Vollmacht mit der Folge, dass die im Rahmen einer berechtigten Notgeschäftsführung getätigten Geschäfte von der Wirkung der Insolvenzeröffnung nicht erfasst werden und die Masse binden6. Auch der Bevollmächtigte selbst ist mit seinen Ersatz- bzw. Vergütungsansprüchen gemäß §§ 117 Abs. 2, 115 Abs. 2 Satz 3, 116 Satz 2 InsO Massegläubiger.
303
Daraus, dass der Gesetzgeber in § 117 Abs. 2 InsO lediglich auf § 115 Abs. 2 InsO Bezug nimmt und ausschließlich Auftrag und Geschäftsbesorgungsvertrag benannt werden, lässt sich schließen, dass die Fiktion des Fortbestehens nicht für Vollmachten gilt, die – wie die isolierte Vollmacht – ohne einen rechtlichen Grund bestehen oder auf einem anderen Grundverhältnis, insbesondere einem Dienstverhältnis, beruhen7.
304
Gilt der Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag nach §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 1 InsO zugunsten des gutgläubigen Beauftragten als fortbestehend, erlischt die vom Schuldner erteilte Vollmacht gleichwohl, da eine entsprechende Verweisung in § 117 Abs. 2 InsO auf § 115 Abs. 3 InsO fehlt. § 117 Abs. 3 InsO ordnet insoweit an, dass der Bevollmächtigte, solange ihm die Eröffnung
1 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 14, Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 117 InsO Rz. 2; Kießner in Nerlich/Römermann, § 117 InsO Rz. 12b. 2 LG Halle v. 1. 9. 2004 – 11 T 8/04, ZIP 2004, 2294 f. 3 LG Leipzig v. 21. 11. 2006 – 01HK T 407/05, ZInsO 2007, 279, dass sich zur Eintragungspflicht von Amts wegen nicht äußert. 4 Eingefügt durch das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10. 11. 2006 (BGBl. I S. 2553, 2580). 5 Vgl. Kellner, ZInsO 2007, 280. 6 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 16; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 117 InsO Rz. 8. 7 Braun/Kroth, § 117 InsO Rz. 5; a.A. wohl Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 117 InsO Rz. 6.
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Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen
Rz. 308
§8
des Verfahrens ohne Verschulden unbekannt geblieben ist, nicht der Haftung gemäß § 179 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht unterliegen soll. Handelt der Bevollmächtigte in diesen Fällen weiterhin auf Grund der ihm vom Schuldner erteilten Vollmacht, wird er als vollmachtloser Vertreter tätig. Das Vertretergeschäft wirkt hierbei weder gegen die Insolvenzmasse noch gegen den Schuldner persönlich, es sei denn, der Insolvenzverwalter genehmigt das Geschäft nach § 177 Abs. 1 BGB1.
305
Ohne Genehmigung ist es dem Vertragspartner des Vertreters verwehrt, entsprechende vertragliche Ansprüche geltend zu machen, da er nicht schützenswerter ist als wenn der Schuldner, der gemäß den in den §§ 80, 81 InsO enthaltenen Regelungen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen verloren und diese nicht mehr wirksam verpflichten kann, selbst gehandelt hätte2. Darüber hinaus werden die gesetzlichen Bestimmungen über die Rechtsscheinhaftung des Vertretenen sowie die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht durch die Regelungen der InsO verdrängt3.
306
Hat der Vertreter die Eröffnung des Verfahrens schuldhaft nicht gekannt, so greift der in § 117 Abs. 3 InsO angeordnete Haftungsausschluss nicht ein. Eine Haftung des Vertreters auf das Erfüllungsinteresse ist aber ebenso wenig gegeben wie eine Haftung auf den Vertrauensschaden, weil der Schaden des Vertragspartners nicht ursächlich darauf beruht, dass er auf die Vertretungsmacht des Bevollmächtigten vertraut hat, sondern darauf, dass der Schuldner wegen der Verfahrenseröffnung keine rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen mit Bezug auf die Masse eingehen konnte4. Die Haftung des Bevollmächtigten beschränkt sich daher auf das negative Interesse5.
307
X. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO 1. Allgemeines/Normzweck § 119 InsO bestimmt, dass die Vorschriften der §§ 103-118 InsO über die Behandlung gegenseitiger Verträge in der Insolvenz zwingendes Recht darstellen. Insbesondere das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO, das als zentrale Vorschrift des Insolvenzvertragsrechts der Anreicherung der Masse und damit der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung dient, darf weder ausgeschlossen noch beschränkt werden.
1 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 18; Tintelnot in Kübler/Prütting, § 117 InsO Rz. 9; Kießner in Nerlich/Römermann, § 117 InsO Rz. 15. 2 Braun/Kroth, § 117 InsO Rz. 6; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 36 Rz. 50. 3 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 8; Kießner in Nerlich/Römermann, § 117 InsO Rz. 16. 4 Ott in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 19 m.w.N. 5 Wegener in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 117 InsO Rz. 9.
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308
§8
Rz. 309
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
2. Lösungsklauseln 309
Höchst umstritten ist, ob sog. Lösungsklauseln vor § 119 InsO Bestand haben oder nicht. Unter Lösungsklauseln sind Vereinbarungen zu verstehen, wonach einer Partei für den Fall der Insolvenz ihres Vertragspartners eine einseitige Lösungsmöglichkeit vom Vertrag (etwa durch Kündigung oder Rücktritt) zusteht bzw. wonach der Eintritt der Insolvenz eine auflösende Bedingung des Vertrages darstellt. a) Grundsätzliche (Un-)Zulässigkeit von Lösungsklauseln
310
§ 137 Abs. 2 S. 1 RegE InsO1 hatte noch Lösungsklauseln für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausdrücklich verboten. Infolge der Stellungnahme des Rechtsausschusses, wonach ein Verbot von Lösungsklauseln die Privatautonomie zu sehr einschränken würde und sanierungsfeindliche Wirkung habe2, fand die Vorschrift des § 137 Abs. 2 S. 1 RegE InsO keine Aufnahme in die InsO. Es verblieb bei der Regelung des § 137 Abs. 1 RegE InsO, die dem heutigen § 119 InsO entspricht.
311
Zum Teil wird aus der Streichung des § 137 Abs. 2 S. 1 RegE InsO geschlossen, der Gesetzgeber habe eine eindeutige Entscheidung für die grundsätzliche Zulässigkeit von Lösungsklauseln getroffen3. Zudem berufen sich die Befürworter der Zulässigkeit von Lösungsklauseln auf zwei noch zur KO ergangenen Urteile des BGH: Zum einen hatte der BGH das Kündigungsrecht des Auftraggebers wegen Insolvenz des Auftragnehmers gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B als zulässig erachtet4.
312
Zum anderen hatte der BGH5 Ende 1993 einen Fall zu beurteilen, in dem eine Gemeinde der späteren Schuldnerin gestattet hatte, öffentliche Verkehrsflächen unterirdisch zum Errichten und Betreiben einer Breitbandverteilanlage zu nutzen. Im Gegenzug hatte sich die Schuldnerin verpflichtet, die Anlage innerhalb von 3 Jahren ab Vertragsschluss fertig zu stellen und Einwohnern des Vertragsgebietes Kabelanschlüsse anzubieten. Der Gemeinde stand nach dem Vertrag ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zu, bei dessen Ausübung die Anlage entschädigungslos in das Eigentum der Gemeinde übergehen sollte. Der BGH hatte im Ergebnis die Anfechtbarkeit des vereinbarten außerordentlichen Kündigungsrechts wegen Gläubigerbenachteiligung bejaht. Dabei hatte er in zwei knappen Sätzen ausgeführt, eine Benachteiligung entfalle, wenn die Vertragsbestimmung bereits aus anderen Gründen rechtsunwirksam wäre. 1 BT-Drs. 12/2443, S. 30. 2 BT-Drs. 12/7302, S. 170. 3 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 InsO Rz. 28 ff.; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 InsO Rz. 9 ff.; Gottwald/ Huber, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl. (2006), § 35 Rz. 13; Socher, Die Vereinbarkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln mit dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters (2003), S. 65 ff.; von Wilmowsky, ZIP 2007, 553 (554). 4 BGH v. 26. 9. 1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509. 5 BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 257/92, ZIP 1994, 40.
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Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen
Rz. 318
§8
Dies sei unter der Geltung der KO nicht der Fall, etwas anderes ergebe sich jedoch aus dem zur Zeitpunkt der Entscheidung bereits vorliegenden § 137 Abs. 2 S. 1 RegE InsO1. Teile der Literatur sind der Ansicht, der BGH habe damit im Rahmen der KO die streitige Frage der Zulässigkeit von Lösungsklauseln entschieden2. Da durch die Streichung des § 137 Abs. 2 S. 1 RegE InsO die Rechtslage so beibehalten werden solle, wie sie sich unter der KO dargestellt habe, sei somit auch im Rahmen der InsO von der Zulässigkeit von Lösungsklauseln auszugehen3.
313
Richtigerweise sind Lösungsklauseln jedoch als grundsätzlich unzulässig anzusehen. Zunächst ist der Ansicht entgegenzutreten, die o.g. Urteile des BGH präjudizierten die Frage der Zulässigkeit von Lösungsklauseln:
314
Hinsichtlich des Kündigungsrechts gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B hat der BGH zutreffend ausgeführt, dass der Auftraggeber bzw. Besteller ohnehin stets gemäß § 649 BGB kündigen kann4. § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B stellt demzufolge lediglich klar, dass dieses gesetzliche Kündigungsrecht auch bei Insolvenz des Auftragnehmers besteht. Somit handelt es sich bei § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B schon überhaupt nicht um eine vertraglich vereinbarte Abweichung im Sinne des § 119 InsO5.
315
Mit Blick auf die Entscheidung von 1993 muss in hohem Maße bezweifelt werden, ob der BGH tatsächlich eine derart umstrittene Frage wie die Zulässigkeit von Lösungsklauseln in extrem knapper Weise und ohne auf die einzelnen Meinungen und Argumente einzugehen, entscheiden wollte. Da der BGH im Ergebnis zur Anfechtbarkeit der Lösungsklausel gelangte, kam es ihm offensichtlich nicht entscheidend darauf an, eine Aussage zur grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Klauseln zu treffen6. Wie der Verweis im Urteil auf § 137 Abs. 2 S. 1 RegE InsO zeigt, ging der BGH vielmehr davon aus, dass ein Verbot von Lösungsklauseln kodifiziert werde, sodass ihm möglicherweise eine Streitentscheidung zur Rechtslage unter der KO auch entbehrlich erschien.
316
Soweit behauptet wird, der Gesetzgeber habe sich eindeutig für die Zulässigkeit von Lösungsklauseln entschieden, so hat dieser vermeintliche Wille des Gesetzgebers keinen Niederschlag im Gesetz gefunden7: Aus dem Wortlaut von § 119 InsO lässt sich sowohl eine Zulässigkeit wie auch eine Unzulässigkeit von Lösungsklauseln herleiten8.
317
Die Zulassung von Lösungsklauseln wäre vielmehr systemwidrig zu den sonstigen Vorschriften des Insolvenzvertragsrechts, insbesondere zur Grundsatz-
318
1 BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 257/92, ZIP 1994, 40 (42). 2 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 Rz. 33; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 InsO Rz. 9. 3 Vgl. Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 Rz. 34. 4 BGH v. 26. 9. 1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 (1510). 5 Siehe dazu näher Rz. 323 ff. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 119 InsO Rz. 15; Berger, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 499 (505). 7 Tintelnot in Kübler/Prütting, § 119 InsO Rz. 15. 8 Blank/Möller, ZInsO 2003, 437 (442).
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§8
Rz. 319
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
regelung des § 103 InsO1. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters wäre in erheblichem Maße ausgehöhlt, wenn sich der andere Teil unter Berufung auf den Insolvenzfall einseitig vom Vertrag lösen könnte2. Gerade das Wahlrecht nach § 103 InsO ist aber ein zentrales Mittel, um die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger als oberstes Ziel des Insolvenzverfahrens zu erreichen. 319
Auch die vom Rechtsausschuss angeführten Argumente der Privatautonomie und der Sanierungsfeindlichkeit des Verbots von Lösungsklauseln3 sind widersprüchlich zu der Zielrichtung der InsO. Zum einen ist gerade Charakteristikum der § 103 ff. InsO, dass die Privatautonomie nicht unerheblich eingeschränkt wird, um die Insolvenzmasse zu stärken4. Zum anderen ist die Sanierung nach dem Konzept der InsO gerade ein Ziel, das innerhalb eines einheitlichen Insolvenzverfahrens erreicht werden soll5. Gerade die Vorschrift des § 103 InsO dient dazu, Sanierungsbemühungen zu stärken: Die Möglichkeit des Verwalters, bei beiderseitig noch nicht erfüllten Verträgen Erfüllung zu wählen und die Leistungen des Vertragspartners zur Masse zu ziehen, ist essentiell für die Fortführung eines Unternehmens6. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit der Begründung des Rechtsausschusses muss dieser mithin bei der Auslegung von § 119 InsO nicht gefolgt werden7.
320
Letztlich kommen auch die Befürworter der grundsätzlichen Zulässigkeit von Lösungsklauseln nicht zu dem Ergebnis, dass sich der Vertragspartner, zu dessen Gunsten eine Lösungsklausel besteht, im Insolvenzfall stets unproblematisch vom Vertrag lösen kann. Größtenteils wird von den Vertretern dieser Ansicht eine Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 Abs. 1 InsO für möglich gehalten8. Dabei gestehen diese teilweise selbst zu, dass die Beschränkung der Anfechtbarkeit gemäß § 133 Abs. 1 InsO auf Rechtshandlungen in den letzten 10 Jahren vor Stellung des Insolvenzantrags für vertraglich vereinbarte Lösungsklauseln eigentlich wenig sachgerecht ist9. 1 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 119 InsO Rz. 15; Berger, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 499 (515); Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (569). 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 119 InsO Rz. 15; Berger, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 499 (515); Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (569); Tintelnot in Kübler/Prütting, § 119 InsO Rz. 16; Goetsch in Breutigam/Blersch/Goetsch, § 119 InsO Rz. 15. 3 BT-Drs. 12/7302, S. 170. 4 Goetsch in Breutigam/Blersch/Goetsch, § 119 InsO Rz. 6; Blank/Möller, ZInsO 2003, 437 (443). 5 Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (571). 6 Blank/Möller, ZInsO 2003, 437 (443). 7 Balthasar in Nerlich/Römermann, § 119 InsO Rz. 15; Pape, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 531 (571); Blank/Möller, ZInsO 2003, 437 (443). 8 Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 Rz. 56; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 InsO Rz. 11; von Wilmowsky, ZIP 2007, 553 (561 f.). 9 von Wilmowsky, ZIP 2007 553 (562) schlägt demgemäß eine eigenständige gesetzliche Regelung über die Anfechtbarkeit von Lösungsklauseln, die „keinem wesentlichen Gestaltungsinteresse der Vertragsparteien dienen“, vor.
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Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen
Rz. 324
§8
Ein anderer Ansatz ist es, Lösungsklauseln so auszulegen, dass diese nur Anwendung fänden, soweit dem Vertragspartner ein Festhalten am Vertrag wegen drohender Beeinträchtigung seiner Rechte unzumutbar sei1. Dies sei in der Regel bei beiderseitig nicht erfüllten Verträgen nicht der Fall, da für den Vertragspartner, der bei Erfüllungswahl durch den Verwalter eine Masseforderung und ggf. einen Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter gemäß § 61 InsO erhalte, ausreichend sichergestellt sei, dass er seine Gegenleistung erhalte2. Unabhängig davon, dass mit diesem Ansatz die Grenzen der Auslegung überschritten sein dürften, stellt sich die Frage, welchen Nutzen ein Lösungsrecht überhaupt haben soll, wenn es im Regelfall nicht zu einer Lösung vom Vertrag führt.
321
Nach Systematik und Sinn und Zweck der § 103 ff. InsO sind Lösungsklauseln vielmehr nach dem oben Gesagten als grundsätzlich unzulässig anzusehen. Im Fall der Erfüllungswahl durch den Verwalter erhält der Vertragspartner ausreichend Schutz, indem er eine Masseverbindlichkeit erhält, bei deren Nichterfüllung ihm der Verwalter persönlich haftet.
322
b) Sonderfälle aa) Kündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B Da dem Besteller bzw. Auftraggeber gemäß § 649 BGB ohnehin das Recht zusteht, zu jeder Zeit den Werkvertrag zu kündigen, hat der BGH § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B – noch unter der Geltung der KO – als zulässig erachtet3. Unter der Geltung der InsO ergibt sich nichts anderes: Die bloße Konkretisierung eines gesetzlichen Kündigungsrechts stellt keine „abweichende Vereinbarung“ im Sinne des § 119 InsO dar4.
323
Sogar in der Begründung zum RegE InsO, der noch ein Verbot von Lösungsklauseln ausdrücklich vorsah, wurde das Kündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B hiervon ausgenommen5. Dementsprechend hat auch die jüngere Rechtsprechung der Obergerichte auf § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B gestützte Kündigungen zugelassen6. Die entscheidende Frage im Rahmen des § 8 Nr. 2 VOB/B ist jedoch, ob auch die Rechtsfolge einer Kündigung nach § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B, nämlich der Schadensersatzanspruch des Auftraggebers wegen Nichterfüllung gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B vor § 119 InsO Bestand hat. Dies hat die Begründung zum RegE ausdrücklich für die Klärung durch die Rechtsprechung offen gelassen7. 1 Socher, Die Vereinbarkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln mit dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters (2003), 90 ff.; ähnlich differenzierend Deger, InVo 2004, 433 (436 f.). 2 Socher, Die Vereinbarkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln mit dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters (2003), 99. 3 BGH v. 26. 9. 1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 (1510). 4 Marotzke in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 Rz. 5. 5 BT-Drs. 12/2443, S. 152 f. 6 OLG Karlsruhe v. 26. 7. 2002 – 14 U 207/00, IBR 2006, 398 m. Anm. Hörmann; OLG Düsseldorf v. 8. 9. 2006 – 23 U 35/06, IBR 2006, 674 m. Anm. Schmitz. 7 BT-Drs. 12/2443, S. 153.
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§8 325
Rz. 325
Beratung bei gegenseitigen Verträgen
Der BGH hat im o.g. Urteil § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B als konkursrechtlich zulässig angesehen1. In der Literatur ist die Wirksamkeit des § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B – wie schon unter der Konkursordnung – weiterhin umstritten2. Für die Praxis ist zu vermuten, dass der BGH aufgrund der von ihm konstatierten Besonderheiten des Bauvertrages, bei dem ein erhebliches Bedürfnis des Auftraggebers nach einem Lösungsrecht bei Insolvenz des Aufragnehmers bestehe3, an seiner Rechtsprechung zu § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B festhalten wird4. bb) Gesetzliche Lösungsmöglichkeiten
326
Auch für andere Verträge, bei denen schon kraft Gesetzes eine Lösungsmöglichkeit besteht, liegt keine vereinbarte Abweichung von den §§ 103–118 InsO vor, sodass § 119 InsO der Lösung vom Vertrag nicht entgegensteht. Beispiele für gesetzliche Lösungsmöglichkeiten sind etwa § 14 VVG5, § 89a HGB6 und § 36 VerlG. cc) Verstoß gegen §§ 108, 109, 112 InsO
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Unstreitig unwirksam gemäß § 119 InsO sind Klauseln, die gegen die ausdrücklichen Kündigungsverbote der §§ 108, 109, 112 InsO verstoßen7. Dies gilt auch für Umgehungen der Kündigungsverbote, etwa durch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung8.
1 BGH v. 26. 9. 1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509. 2 Für Wirksamkeit Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 Rz. 24; 51; dagegen Balthasar in Nerlich/Römermann, § 119 InsO Rz. 16; Marotzke in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 Rz. 5. 3 Vgl. BGH v. 26. 9. 1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 f. 4 Vgl. Berger, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (2000), 499 (504). 5 BGH v. 26. 11. 2003 – IV ZR 6/03, NZI 2004, 144 = ZIP 2004, 176; zur Thematik der Sonderkündigungsrechte zustimmend Baldringer, ZInsO 2004, 1117, 1120 f.; OLG Hamburg v. 11. 5. 2004 – 9 U 136/03, ZInsO 2004, 812 f. 6 OLG München v. 26. 4. 2006 – 7 U 5350/05, ZIP 2006, 1916. 7 Siehe hierzu OLG Düsseldorf v. 17. 8. 2006 – 10 U 62/06, ZInsO 2007, 52; OLG Hamm v. 7. 3. 2001 – 30 U 192/00, NZI 2002, 162. 8 Vgl. Huber in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 119 Rz. 69.
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§ 9 Beratung von Banken Rz.
Rz.
b) Forderungsentstehung nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . 92 4. Immobiliarsicherheiten . . . . . . . 93 5. Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6. Vertragliche Pfandrechte . . . . . . 98 a) Revolvierendes Pfandrecht . 99 b) Pfandrecht an einzelnen Vermögenswerten . . . . . . . . . 100 7. Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 8. Atypische Sicherheiten . . . . . . . 104 a) Patronatserklärungen . . . . . . 104 b) Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Verlustübernahmeerklärung 108 d) Negativerklärung . . . . . . . . . 110 9. Sicherheiten-Poolverträge . . . . . 111
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Kreditgeschäft . . . . . . . . . . . . . . .
4
1. Kreditgeschäft in der Krise . . . . a) Bestehende Kredite . . . . . . . . aa) Stillhalten . . . . . . . . . . . . bb) Kündigung . . . . . . . . . . . . b) Neugeschäft: Sanierungskredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit . . . . . . . . . bb) Zivilrechtliche Haftung cc) Strafrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . c) Kontroll- und Steuerungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . aa) Eingriffe in die Geschäftsführung . . . . . . . . bb) Gesellschafterstellung . 2. Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . a) Bestehende Kredite . . . . . . . . b) Neukreditvergabe . . . . . . . . . aa) Massekredite . . . . . . . . . . bb) Insolvenzgeldvorfinanzierung . . . . . . . 3. Kreditgeschäft im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . .
5 6 6 13 20 22 24 30 31 32 35 40 42 44 45 53 60
III. Sicherheitenbestellung in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Nachbesicherung bestehender Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Besicherung neu ausgereichter Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 IV. Sicherheiten in der Krise und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generelle Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwertungspauschalen in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherungsübereignung . . . . . . . 3. Globalzessionen . . . . . . . . . . . . . a) Forderungsentstehung vor Insolvenzeröffnung . . . . . . . .
76 77 80 82 87 88
V. Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz . . . . . . . . 114 1. Geschäftsbeziehung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Girovertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Kontokorrentvertrag . . . . . . . . . 120 a) Kontokorrentvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Kontokorrentvertrag im Insolvenzverfahren . . . . . . . . 125 4. Sonderkonten . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Gemeinschaftskonto . . . . . . 126 b) Treuhandkonto . . . . . . . . . . . 131 c) GbR-Konto . . . . . . . . . . . . . . . 136 VI. Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . 138 1. Überweisungsverkehr . . . . . . . . 139 a) Insolvenz des Überweisungsauftraggebers . . . . . . . . 140 aa) Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Insolvenzverfahren . . . . . 152 b) Insolvenz des Überweisungsbegünstigten . . . . . . . . . 155 aa) Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Insolvenzverfahren . . . . . 156 2. Lastschriftverkehr . . . . . . . . . . . 158 a) Insolvenz des Zahlungspflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . 159
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§9
Rz. 1
Beratung von Banken Rz.
Rz.
aa) Abbuchungsverfahren . . 160 bb) Einzugsermächtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Widerspruch gegen die Belastung . . . . . . . . . . . . . 162
(2) Einlösung im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . 165 (3) Einlösung im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . 168 b) Insolvenz des Zahlungsempfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
I. Einführung 1
Als Kreditgeber sind Banken und Sparkassen (nachfolgend „Kreditinstitute“) in nahezu jedem Insolvenzverfahren beteiligt, zumeist als größte Einzelgläubiger. Dabei haben nicht erst das Insolvenzeröffnungsverfahren (§§ 11 ff. InsO) und das Insolvenzverfahren (§§ 80 ff. InsO) Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen dem Kreditinstitut und seinem Kunden. Bereits der Eintritt der Krise als Vorstufe zur (drohenden) Zahlungsunfähigkeit (§§ 17, 18 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO), berührt die zwischen dem Kreditinstitut und dem Kunden bereits abgeschlossenen wie noch abzuschließenden Verträge (vgl. zu den Insolvenzeröffnungsgründen umfassend § 1 Rz. 45 ff.).
2
Die Unternehmenskrise ist nicht nur ein Begriff der Betriebswirtschaft, sondern seit langem auch der Rechtswissenschaft. Trotz der Legaldefinition in § 32a Abs. 1 GmbHG bereitet die Bestimmung der Krise aber nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten1. Das wesentliche von der Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitete Kriterium für die Krise ist die Kreditunwürdigkeit. Eine auf Kreditunwürdigkeit beruhende Krise des Kunden liegt vor, wenn er von einem Dritten keinen Kredit zu marktüblichen Konditionen erhält und ohne Kapitalzufuhr liquidiert werden müsste2 (zum Begriff der Krise vgl. auch § 4 Rz. 68, 239 ff.).
3
Gegenstand dieses Kapitels sind die rechtlichen Auswirkungen der Krise, des Insolvenzeröffnungsverfahrens und des Insolvenzverfahrens auf das Kreditgeschäft, die persönlichen und dinglichen Sicherungsrechte, die Geschäftsund Kontobeziehungen und den Zahlungsverkehr.
II. Kreditgeschäft 4
Erlangt ein Kreditinstitut Kenntnis von wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Kunden, muss es entscheiden, welche geeigneten Maßnahmen im Hinblick auf bestehende und zukünftige Kreditengagements zu treffen sind. Die Entscheidung wird in der Regel durch das wirtschaftliche Ziel bestimmt, das Ausfallrisiko zu minimieren. Allerdings sind auch rechtliche Gesichtspunkte zu 1 Vgl. die Darstellung bei Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., § 32a Rz. 18. 2 Roth/Altmeppen, GmbHG, 4. Aufl., § 32a Rz. 19 m.w.N.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., § 32a Rz. 18. Zu den Möglichkeiten der Krisenfrüherkennung für Kreditinstitute vgl. Wittig, Insolvenzfrüherkennung, in: Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 140 ff.
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Kreditgeschäft
Rz. 8
§9
beachten. Eine sofortige Kreditkündigung kann zu Schadensersatzansprüchen des Kreditnehmers führen, wenn sie zur Unzeit erfolgt. Andererseits werden Kreditinstitute mit dem Vorwurf der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung sowie mit Schadensersatzansprüchen Dritter konfrontiert, falls eine Sanierung scheitert. Die rechtlichen Anforderungen, die ein Kreditinstitut beachten muss, hängen davon ab, ob es bestehende Kredite aufrechterhalten oder kündigen oder ob es neue Kredite gewähren will. Zeitlich ist zu unterscheiden zwischen der vorinsolvenzlichen Krise, dem Insolvenzeröffnungsverfahren sowie dem Insolvenzverfahren.
1. Kreditgeschäft in der Krise Den rechtlichen Rahmen für das Handeln des Kreditinstituts bilden die Vorschriften über die Sittenwidrigkeit im BGB1: Nach § 138 BGB sind Abreden zwischen der Bank und ihrem Kunden nichtig, wenn sie gegen die guten Sitten verstoßen. Nach § 826 BGB schuldet die Bank Schadensersatz, wenn sie durch ihr vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten einen Schaden verursacht hat.
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a) Bestehende Kredite aa) Stillhalten Besteht aus Sicht des Kreditinstituts kein Handlungsbedarf z.B. weil ausreichende Sicherheiten bestehen, kann das Kreditinstitut zunächst stillhalten, bis die Entscheidung zwischen Sanierung oder Liquidation getroffen werden kann.
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Unter dem vielschichtigen Begriff des Stillhaltens ist nicht nur der Verzicht auf ein gesetzliches oder vertragliches Kündigungsrecht bei einem schon voll ausgezahlten Kredit mit einer fest vereinbarten und noch nicht beendeten Laufzeit zu verstehen, sondern auch die Aufrechterhaltung einer Kreditlinie, die unbefristet gewährt wurde.
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Das Kreditinstitut ist zum Stillhalten berechtigt. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, durch Fälligstellen der Kredite die Insolvenzantragspflicht des Kreditnehmers herbeizuführen oder selbst Insolvenzantrag zu stellen2. Das Kreditinstitut muss ein bestehendes Engagement auch nicht durch Kündigung beenden3. Bloßes Stillhalten birgt noch nicht die Gefahr, von anderen Gläubigern erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden oder der Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung ausgesetzt zu sein. Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, wenn das Kreditinstitut einen bereits vor der Krise des Kunden zugesagten aber bisher noch nicht voll ausgeschöpften Kredit in der Krise des Kunden auszahlt. Wenn die Auszahlung des zusätzlichen Kapitals den Zusammenbruch des Kunden nur hinauszögert, ist die Nähe zu einem sittenwidrigen „Scheinsanierungs“-Kredit groß, bei dem sich das Kreditinstitut
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1 Ausführlich: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.14 ff. 2 BGH v. 9. 12. 1969 – VI ZR 50/68, NJW 1970, 657. 3 BGH v. 29. 5. 2001 – VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632.
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Rz. 9
Beratung von Banken
schadensersatzpflichtig macht1. Von der vertraglichen Verpflichtung zur Auszahlung der Valuta sollte sich das Kreditinstitut daher bei wesentlicher Verschlechterung der Vermögenslage des Kunden durch außerordentliche Kündigung lösen, wenn durch die Auszahlung eine Sanierung nicht erreicht werden kann. 9
Eine sittenwidrige Schädigung anderer Gläubiger kann aber dann vorliegen, wenn das Kreditinstitut nicht nur abwartend stillhält, sondern auf die Unternehmensführung des in der Krise befindlichen Kunden zu eigenem Nutzen konkret Einfluss nimmt, indem es durch Kontroll- und Steuerungsmechanismen die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Kunden weitgehend einschränkt2.
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Eine besondere Situation tritt ein, wenn ein anderer Kunde des Kreditinstituts mit dem Kunden in der Krise ein Geschäft abschließen und hierfür seinerseits einen Kredit bei demselben Kreditinstitut in Anspruch nehmen will. Grundsätzlich gibt es, ungeachtet der bestehenden vertraglichen Beziehung, keine allgemeine Beratungs- und Aufklärungspflicht des Kreditinstituts gegenüber einem Kunden. Das Kreditinstitut muss nicht auf die Risiken des Geschäftsabschlusses oder auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des in der Krise befindlichen Kunden hinweisen3.
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Ausnahmsweise ergeben sich im Einzelfall nach Treu und Glauben Aufklärungs- und Warnpflichten des Kreditinstituts, deren Verletzung zu einer Ausfallhaftung gemäß § 826 BGB führen kann4. Ein solcher Fall liegt vor, wenn sich das Kreditinstitut aktiv in die Bemühungen des in der Krise befindlichen Kunden, neue Geldgeber zu finden, einschaltet oder selbst oder durch Dritte Geschäftspartner anwirbt. Dann muss es auf die Risiken des Geschäftsabschlusses hinweisen5. Dies gilt auch, wenn das Kreditinstitut andere Gläubiger ebenfalls mit der Erklärung zum Stillhalten bewegt, die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte sei wegen des Einflusses des Kreditinstituts auf den Kunden in Zukunft sichergestellt6. Ein weiterer Ausnahmefall kann sich aus einem konkreten Wissensvorsprung über spezielle Risiken des zu finanzierenden Vorhabens gegenüber dem Kreditnehmer ergeben. Die Kenntnis über die Unrentabilität des Geschäfts ist hierfür jedoch nicht ausreichend. Erforderlich 1 So auch Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen, Nr. 19 AGB-Banken, Rz. 472; a. A. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.20, 5.105; Schäffler, BB 2006, 56, die auch in der Auszahlung der Valuta in der Krise des Kunden keine Haftungsrisiken des Kreditinstituts wegen der sittenwidrigen Gewährung eines Neukredits sehen, da keine Verpflichtung zur Kündigung besteht. Vgl. zu den rechtlichen Risiken bei Gewährung eines Neukredits unter Rz. 20. 2 Vgl. hierzu Kontroll- und Steuerungsmechanismen, Rz. 31 ff. 3 BGH v. 9. 3. 1961 – II ZR 105/60, WM 1961, 510; BGH v. 18. 9. 1963 – VIII ZR 46/62, NJW 1963, 2270; BGH v. 9. 12. 1969 – VI ZR 50/68, NJW 1970, 657; BGH v. 29. 5. 1978 – II ZR 173/77, NJW 1978, 2547. 4 BGH v. 27. 11. 1990 – XI ZR 308/89, NJW 1991, 693. 5 BGH v. 29. 5. 1978 – II ZR 173/77, NJW 1978, 2547; BGH v. 29. 5. 2001 – VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632. Um damit nicht das dem notleidenden Kunden zustehende Bankgeheimnis zu verletzen, kann dies nur in Abstimmung mit dem Kunden erfolgen. 6 BGH v. 9. 7. 1984 – II ZR 193/83, NJW 1985, 2584.
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ist vielmehr die Kenntnis des Kreditinstituts, dass das Vorhaben überdurchschnittlich risikobehaftet ist, oder dass der Kunde arglistig getäuscht wurde1. Entschließt sich das Kreditinstitut zur Fortführung ihres bestehenden Engagements, wird dies nicht zuletzt auf Wunsch des Kunden regelmäßig schriftlich fixiert. Häufig wird ein solches „Stillhalteabkommen“ „Prolongation“ genannt2. Tatsächlich handelt es sich bei der Prolongation aber um die Verlängerung einer bereits fälligen Kreditforderung. Das Kreditinstitut schiebt in diesem Fall die Fälligkeit hinaus, stundet also die Zins- bzw. Tilgungsraten, während ein Stillhalten vorliegt, wenn das Kreditinstitut ohne Fälligkeit der Kredite einfach nichts unternimmt. Die Prolongation begegnet, genau wie das Stillhalten, keinen grundsätzlichen haftungsrechtlichen Bedenken. Sie ist nicht mit einer Neukreditvergabe gleichzusetzen, denn durch das Hinausschieben vereinbarter Fälligkeiten durch Stundung werden keine neuen Kreditmittel ausgereicht3.
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bb) Kündigung Die unberechtigte Kündigung eines Kreditverhältnisses stellt eine Vertragsverletzung dar, die den Kündigenden zum Schadensersatz verpflichtet4. Das Vorliegen eines Kündungsgrundes sollte deshalb immer sorgfältig geprüft werden.
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Neben den gesetzlichen Kündigungsgründen der §§ 314, 490, 498 BGB berechtigt die sich in der Krise regelmäßig abzeichnende oder bereits eingetretene Vermögensverschlechterung5 des Kunden das Kreditinstitut zur außerordentlichen Kündigung nach Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken sowie Nr. 26 Abs. 2 AGBSparkassen.
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Das Kreditinstitut ist darüber hinaus zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, sollte der Kreditnehmer seiner Verpflichtung zur Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten für bestehende Kredite nach Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken und Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen trotz entsprechender Aufforderung nicht nachkommen. Voraussetzung für diesen Anspruch des Kreditinstituts ist die drohende oder eingetretene nachteilige Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden. Eine wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigen würde, ist nicht erforderlich. Dies ermöglicht dem Kreditinstitut ein „abgestuftes Vorgehen“6. Hat sich die
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1 BGH v. 11. 2. 1999 – IX ZR 352/97, NJW 1999, 2032; BGH v. 21. 1. 1988 – III ZR 179/86, NJW 1988, 1583. 2 Vgl. etwa Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.50. 3 A.A. Zuleger, Bankenverhalten und Bankengeschäfte, in: Beck/Depré (Hrsg.), Praxis der Insolvenz – Ein Handbuch für die Beteiligten und ihre Berater, § 18 Rz. 15. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.95 m.w.N. 5 BGH v. 20. 5. 2003 – XI ZR 50/02, WM 2003, 1416 zur unmittelbaren Gefahr der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit detaillierten Ausführungen auch zu den Berechnungsmodalitäten; BGH v. 26. 9. 1985 – III ZR 213/84, WM 1985, 1437 zur Androhung des Kunden, er werde seine Zahlungen einstellen und Insolvenzeröffnung beantragen; OLG Frankfurt v. 10. 1. 2003 – 10 U 122/02, ZInsO 2003, 284 zur Pfändung durch einen anderen Gläubiger. 6 Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen, Nr. 13, Rz. 314.
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Vermögenslage bereits wesentlich verschlechtert, steht dem Kreditinstitut ein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung des Nachbesicherungsanspruchs und der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts zu. Zu beachten ist allerdings, dass Nachbesicherungen erheblichen Anfechtungsrisiken in der Insolvenz ausgesetzt sind1. Das Kreditinstitut sollte die Bestellung und Verstärkung von Sicherheiten nur verlangen und von einer Kündigung absehen, wenn es davon überzeugt ist, dass ein Insolvenzverfahren vermieden werden kann. 16
Steht dem Kreditinstitut ein vertraglich oder gesetzlich eingeräumtes Kündigungsrecht zu, kann es davon auch dann Gebrauch machen, wenn dadurch die Insolvenz des Kunden herbeigeführt wird. Es gibt keine Verpflichtung – auch nicht im Verhältnis zu anderen Gläubigern – eine berechtigte Kündigung zu unterlassen2.
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Entscheidet sich das Kreditinstitut zur Ausübung der außerordentlichen Kündigung, unterliegt es Einschränkungen. So ist dem Kunden eine angemessene Abwicklungs- und Rückzahlungsfrist einzuräumen, innerhalb derer ihm die Beschaffung des fälligen Kapitals, z.B. durch eine Umschuldung, ermöglicht wird3. Die Bemessung der Frist hat sich daran zu orientieren, wie lange bei Kreditinstituten üblicherweise eine Entscheidung über eine Kreditvergabe in der betreffenden Art und Größe dauert4. Ferner kann sich ausnahmsweise eine Pflicht zur Abmahnung vor Ausübung der Kündigung ergeben, wenn der Kunde wegen Ungenauigkeiten bisheriger Abreden oder stillschweigendem Entgegenkommen des Kreditinstituts darauf vertrauen durfte, es werde auch bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kreditnehmers von einer Kündigung absehen5. Darüber hinaus ist die Kündigung wegen Vermögensverschlechterung unzulässig, wenn das Kreditinstitut über ausreichende Sicherheiten verfügt und der Kunde sanierungsfähig ist. Fehlt hingegen die Sanierungsfähigkeit und ist die Insolvenz unvermeidbar, kann dem Kreditinstitut nicht zugemutet werden, die Rückführung des Kredits durch Sicherheitenverwertung bis zur Insolvenzeröffnung zu verschieben und damit das Risiko der Wertminderung der Sicherheiten in Kauf zu nehmen6. Die Kündigung ist jedoch unberechtigt, wenn die zu ihrer Begründung herangezogenen Umstände bereits im Zeitpunkt der Kreditgewährung bekannt waren7.
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Soweit es sich bei dem Kreditnehmer um einen Verbraucher handelt, muss das Kreditinstitut verbraucherrechtliche Sonderbestimmungen beachten. Nach § 498 BGB muss der Kreditnehmer mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise und mindestens 10%, bei einer Kreditlaufzeit von über drei Jahren mit 5% des Nennbetrags des Kredits oder des Teilzah1 Vgl. „Nachbesicherung bestehender Kredite“ (Rz. 63 ff.). 2 BGH v. 3. 3. 1956 – IV ZR 301/55, NJW 1956, 945; OLG Frankfurt v. 13. 1. 1992 – 4 U 80/90, WM 1992, 1018. 3 OLG Düsseldorf v. 9. 2. 1989 – 6 U 90/88, NJW-RR 1989, 1519. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.60 5 BGH v. 10. 11. 1977 – III ZR 39/76, NJW 1978, 947. 6 OLG Celle v. 30. 6. 1982 – 3 U 258/81, ZIP 1982, 942 zur alten Rechtslage; Wittig, NZI 2002, 633; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.213a; Sonnenhol, WM 2002, 1259 zur neuen Rechtslage. 7 BGH v. 7. 5. 2002 – XI ZR 236/01, WM 2002, 1345.
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lungspreises in Verzug sein. Das Kreditinstitut muss dem Kreditnehmer außerdem erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrags mit der Erklärung setzen, dass es bei Nichtzahlung innerhalb der Frist die gesamte Restschuld verlange. Um die Vollstreckung bereits vorbereiten und ggf. auch einleiten zu können, reicht jedoch eine fällige Teilforderung. Dies kann sinnvoll sein, wenn es sich um einen bereits länger laufenden Kredit handelt, bei dem einige Raten auflaufen müssen, bis die 5% des ursprünglichen Betrages erreicht sind. Die Vollstreckung darf in solchen Fällen jedoch nur wegen der fälligen Teilforderung erfolgen. Besonderheiten bestehen schließlich bei der Kündigung von Sanierungskrediten. Die ordentliche Kündigung ist bei ihnen durch den von den Vertragspartnern vereinbarten Sanierungszweck zumindest konkludent ausgeschlossen1. Ein die außerordentliche Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund liegt nur vor, wenn in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers seit dem Zeitpunkt, in dem das Kreditinstitut seine Mitwirkung an der Sanierung zugesagt hat, eine wesentliche Verschlechterung eingetreten ist, die die Sanierung als nicht mehr aussichtsreich erscheinen lässt2.
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Ist ein Kredit zur Rückzahlung fällig, gibt es auch in Zeiten der Krise keine Verpflichtung des Kreditinstituts zur Kreditbelassung oder Sanierung eines Kunden, selbst bei Stellung ausreichender Sicherheiten oder wenn das Kreditinstitut mit dem Kunden in ständigen Geschäftsbeziehungen steht3. b) Neugeschäft: Sanierungskredit Das Kreditinstitut ist auch in der Krise des Kunden unter bestimmten Voraussetzungen zur Vergabe neuer Kredite berechtigt.
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Beteiligt sich das Kreditinstitut aktiv am Sanierungsversuch des Kunden, muss es sorgfältig prüfen, ob die Vergabe eines neuen Kredits als erlaubter Sanierungskredit zu werten ist. Andernfalls bestehen erhebliche zivil- und strafrechtliche Risiken. Kommt es zu einer Täuschung anderer Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Kunden, setzt sich das Kreditinstitut Schadensersatzansprüchen aus, wenn den Gläubigern ein konkreter Schaden entstanden ist. Der Kreditvertrag sowie die Sicherheitenbestellung4 können gemäß § 138 BGB nichtig sein. Führt die Vergabe zusätzlicher Kreditmittel zu einer Insolvenzverschleppung, können Mitarbeiter des Kreditinstituts wegen sittenwidriger Beihilfe oder Anstiftung zur Insolvenzverschleppung strafrechtlich verantwortlich sein.
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aa) Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit Voraussetzung eines zulässigen Sanierungsversuchs und damit der Gewährung eines Sanierungskredits ist die Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit des Kun1 2 3 4
BGH v. 6. 7. 2004 – XI ZR 254/02, NJW 2004, 3779. BGH v. 14. 9. 2004 – XI ZR 184/03, NJW 2004, 3782. OLG München v. 14. 10. 1993 – 19 U 3437/93, WM 1994, 1028. Vgl. „Besicherung neu ausgereichter Kredite“ Rz. 73 ff.
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den. Die Vergabe zusätzlicher Kreditmittel darf zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit und zur Verhinderung der Insolvenz des Kunden nicht von vornherein aussichtslos, die Krisenursachen müssen behebbar sein. Ein zulässiger Sanierungsversuch setzt die Prüfung der Erfolgsaussichten des Sanierungsvorhabens durch ein schlüssiges Sanierungskonzept voraus1. Dort ist den Ursachen der Krise nachzugehen und darzustellen, mit welchen Mitteln eine wirtschaftliche Gesundung erreicht werden kann. Die Prüfung hat auf der Grundlage eines schriftlich dokumentierten Sanierungskonzeptes durch einen objektiven, jedoch nicht notwendigerweise unbeteiligten Dritten zu erfolgen2. Liegt ein schlüssiges Sanierungskonzept vor, hat das Kreditinstitut alles ihm Zumutbare getan, um Schädigungen anderer Gläubiger und damit Haftungsrisiken durch von vornherein aussichtslose Sanierungsaktionen zu vermeiden. Fällt die Sanierungsprognose des Gutachtens positiv aus, ist unerheblich, ob die Sanierung am Ende scheitert. Entscheidend ist vielmehr, ob ein sachkundiger, vernünftiger Dritter realistisch vom Erfolg ausgehen konnte. Ein unternehmerisches Risiko steht dem nicht entgegen. Verzichtet das Kreditinstitut hingegen auf die erforderliche Sanierungsprüfung, so trifft es im Falle der späteren Insolvenz schnell der Vorwurf, leichtfertig die Gefährdung der anderen Gläubiger in Kauf genommen zu haben3. Die Honorierung eingeschalteter Berater kann durch den Kreditnehmer erfolgen, was mit ihm vereinbart und in den Sanierungs- und Liquiditätsplan eingearbeitet werden muss. Werden wesentliche Teile der neu zu vergebenden Mittel allerdings durch die Berater verbraucht, kann dies das gesamte Sanierungskonzept in Frage stellen. Die Honorierung der Berater ist, falls der Sanierungsversuch scheitert, im anschließenden Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter nicht anfechtbar, soweit die Grundsätze über das Bargeschäft (§ 142 InsO) Anwendung finden4. 23
Besonderheiten bestehen hinsichtlich so genannter Überbrückungskredite. Während des Prüfungszeitraums kann das Kreditinstitut ohne Haftungsrisiken Kredite gewähren, auch wenn die Voraussetzungen für einen Sanierungskredit noch nicht vorliegen5. Dies dient zur kurzfristigen Sicherstellung der Liquidität, um die Erstellung eines Sanierungsgutachtens überhaupt erst zu ermöglichen und nicht von vornherein die Chancen einer Sanierung zu vereiteln. Voraussetzung ist, dass (a) durch den Überbrückungskredit alle Insolvenzantragsgründe beseitigt werden und bis zum Abschluss der Sanierungsprüfung auch nicht erneut auftreten können und (b) eine Sanierung nicht offensichtlich von vornherein ausgeschlossen ist. Das Kreditinstitut trägt für das Vorliegen der Voraussetzungen eines zulässigen Überbrückungskredits die Beweislast. Daher sollte er auch als solcher bezeichnet werden. Zusätzlich sollte das Kreditinstitut die Beauftragung zur Erstellung eines Sanierungskonzeptes zur Vo1 BGH v. 9. 7. 1953 – IV ZR 242/52, NJW 1553, 1665; BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 284. 2 BGH v. 21. 11. 2005 – II ZR 277/03, NJW 2006, 1283; BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 284. 3 BGH v. 16. 3. 1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668. 4 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 480/00, NJW 2002, 3252. 5 BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561.
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raussetzung der Gewährung eines Überbrückungskredits machen. Dies sowie die Befristung des Kredits bis zum voraussichtlichen Abschluss der Prüfung der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit dokumentieren den Überbrückungscharakter und vermeidet Haftungsrisiken, wenn eine Sanierung nicht mehr möglich ist. bb) Zivilrechtliche Haftung Sind die Voraussetzungen der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit nicht erfüllt, kann die Gewährung eines Neukredits in der Krise sittenwidrig und der Kreditvertrag nach § 138 BGB nichtig sein. Das Kreditinstitut kann sich darüber hinaus gegenüber anderen Gläubigern des Kunden nach § 826 BGB schadensersatzpflichtig machen. Zudem sind die Vorschriften über die Insolvenzantragspflicht Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, so dass eine strafrechtliche Gehilfenhaftung1 auch eine Schadensersatzpflicht zur Folge hat.
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Grundsätzlich begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn ein Kreditinstitut durch die Vergabe zusätzlicher Kreditmittel an seinen in der Krise befindlichen Kunden eigene wirtschaftliche Ziele verfolgt. Hauptgrund einer Sanierungsbeteiligung ist natürlich die Erwartung des Kreditinstituts die eigenen Befriedigungsaussichten für bereits ausgereichte Kreditmittel zu verbessern. Demnach handelt das Kreditinstitut immer auch eigennützig, wenn es sich durch die Vergabe weiterer Kreditmittel an dem Sanierungsversuch des Kunden beteiligt. Dieser Hintergrund allein kann daher den Vorwurf des sittenwidrigen Beitrages zur Insolvenzverschleppung nicht begründen. Will der Kreditgeber den Schuldner tatsächlich sanieren und ist die erneute Kapitalzufuhr hierfür auch geeignet, handelt es sich um einen zulässigen Sanierungskredit, auch wenn der Sanierungsversuch misslingt2.
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Einstweilen frei.
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Ein sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung liegt erst vor, wenn das Kreditinstitut aus eigensüchtigen Beweggründen dem sanierungsbedürftigen Kunden keinen Kredit einräumt, den er zur Sanierung benötigt, sondern durch eine weitere unzureichende Kapitalzufuhr den Zusammenbruch des Kunden nur verzögert, um sich gegenüber anderen Gläubigern Vorteile zu verschaffen3. Der Kredit dient dann nicht der Behebung einer überwindbaren und vorübergehenden Krise, sondern nur dazu, den erforderlichen Insolvenzantrag des Kunden hinauszuschieben, um sich in der so gewonnenen Zeit aus der verbliebenen Liquidität und den Sicherheiten ungehindert und besser befriedigen oder ihre Sicherheitenposition weiter ausbauen zu können4. Täuscht und schädigt das Kreditinstitut hierbei andere Gläubiger des Kunden, weil sie im Vertrauen auf die scheinbare Kreditwürdigkeit neue Geschäfte mit dem Kunden einge-
27
1 Vgl. „Strafrechtliche Verantwortlichkeit“, Rz. 30. 2 BGH v. 11. 11. 1985 – II ZR 109/84, NJW 1986, 837. Zum erforderlichen Sanierungskonzept vgl. „Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit“, Rz. 22. 3 RG v. 9. 4. 1932 – IX 74/73, RGZ 136, 247; BGH v. 16. 3. 1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668; BGH v. 17. 6. 2004 – IX ZR 2/01, ZIP 2004, 1464; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.108 m.w.N. 4 BGH v. 9. 12. 1969 – VI ZR 50/68, NJW 1970, 657.
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hen, macht sich das Kreditinstitut gemäß § 826 haftbar1. § 826 BGB begründet allerdings nur bei Vorsatz eine Schadensersatzpflicht, so dass das Kreditinstitut eine Schädigung der Gläubiger als möglich erkannt und gebilligt oder zumindest ernste Zweifel an dem Gelingen des Sanierungsversuchs haben muss2. 28
Fallen Gläubiger infolge der durch das Kreditinstitut begründeten Fehlvorstellung über die Kreditwürdigkeit des Kunden mit ihren Forderungen aus, ist hinsichtlich des Umfangs der Schadensersatzpflicht zwischen Altgläubigern und Neugläubigern zu unterscheiden. Während Altgläubigern der so genannte Quotenschaden, der in der durch Insolvenzverschleppung bedingten Masse- und Quotenverminderung besteht, ersetzt wird, haben Neugläubiger einen Anspruch auf Ersatz des vollen Schadens, den sie dadurch erleiden, dass sie in Geschäftsbeziehung zu dem insolvenzreifen Kunden des Kreditinstituts treten3. Der Schadensersatzanspruch der Neugläubiger ist dabei nicht um die auf diese entfallende Insolvenzquote zu kürzen, so dass der Ersatzanspruch nicht erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann. Um einen doppelten Ausgleich des Neugläubigers zu vermeiden, muss er entsprechend § 255 BGB seine Insolvenzforderung an das in voller Höhe ersatzpflichtige Kreditinstut abtreten4.
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Ein Kunde kann nach einer überstandenen Krise erneut in eine Krise geraten. Ein Sanierungskredit, der einmal über die Krise hinweggeholfen hat, kann dann nicht zeitlich unbegrenzt weiterhin als Sanierungskredit bewertet werden. Vielmehr müssen in dieser Situation die Grundsätze über das Stillhalten in der Krise herangezogen werden5. cc) Strafrechtliche Verantwortlichkeit
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Kapital- und Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet, haben spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Eine Täterschaft kommt nach dem Wortlaut der anwendbaren Vorschriften nur für Geschäftsführer6, Vorstandsmitglieder, Vertretungsorgane, Abwickler oder Liquidatoren in Betracht7. Wecken oder bestärken Mitarbeiter des Kreditinstituts den Tatentschluss des Täters oder fördern sie durch einen Sanierungsbeitrag die tatbestandsmäßige Handlung, kommt eine Teilnehmerhaftung zur Vorsatztat der Normadressaten in Betracht. Subjektiv erfordert der Vorsatz die Erkenntnis des 1 BGH, 29. 5. 2001 – VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632; BGH v. 9. 7. 1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.140 m.w.N. 3 BGH v. 6. 6. 1994 – II ZR 292/91, NJW 1994, 2220. 4 BGH v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, NJW-RR 2007, 759. 5 Dörrie, ZIP 1999, 12. 6 Nach dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), das in der ersten Hälfte des Jahres 2008 in Kraft treten soll, werden, wenn die GmbH keinen Geschäftsführer mehr hat, die Gesellschafter an dessen Stelle verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. 7 §§ 64, 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG; 92 Abs. 2, 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG; 130a Abs. 1, 130b, 177a HGB.
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Mitarbeiters des Kreditinstituts von der pflichtwidrigen Unterlassung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens1. c) Kontroll- und Steuerungsmechanismen In der Sanierungsphase besteht häufig der Wunsch des Kreditinstituts, auf die Geschäftsführungs- und Gesellschafterbefugnisse des Kunden durch Kontrollund Steuerungsmechanismen Einfluss zu nehmen. Das Kreditinstitut bewegt sich dabei auf dem schmalen Grat der zulässigen Informationsbeschaffung und der unzulässigen Anmaßung von Geschäftsführungs- und Gesellschafterbefugnissen.
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aa) Eingriffe in die Geschäftsführung Behält sich das Kreditinstitut das Recht zur Überprüfung der geschäftlichen Unterlagen des Kunden vor, ist dies nicht zu beanstanden. Da das Kreditinstitut überwiegend mit Fremdgeldern arbeitet, darf es Kredite nur nach sorgfältiger Prüfung der Bonität eines Kunden gewähren und muss bei bestehenden Kreditverhältnissen die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden überwachen2. Dem entspricht die Pflicht des Kunden, das Kreditinstitut über seine tatsächlichen Vermögensverhältnisse vollständig zu informieren3. Zulässig ist es ferner, wenn das Kreditinstitut auf den Einsatz von „Vertrauensleuten“ während der Sanierungsphase besteht. Es ist nicht unüblich, dass das Kreditinstitut die Einschaltung professioneller Berater empfiehlt. In diesem Fall ist darauf zu achten, dass der Auftrag zwischen dem Berater und dem Kunden zustande kommt und der Berater nicht als Beauftragter des Kreditinstituts im Unternehmen tätig wird.
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Das Kreditinstitut schränkt die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Kunden hingegen in sittenwidriger Weise ein, wenn es die Geschäftsführungsorgane des Kunden praktisch entmachtet, und der Kunde nur noch nach außen als Inhaber des Geschäftes erscheint, während er gegenüber dem Kreditinstitut nur noch die Stellung eines abhängigen Verwalters hat. Dies ist der Fall, wenn der gesamte Gewinn des Geschäfts dem Kreditinstitut zufließt, ein Verlust von ihm aber nicht getragen und jede Haftung für Geschäftsschulden von ihm abgelehnt wird4. Das Kreditinstitut handelt insbesondere sittenwidrig, wenn es jede Verfügung über Vermögenswerte an seine vorherige Zustimmung knüpft und derart die Geschäftsführung des Kunden einseitig zu seinen Gunsten lenkt, dass es auf die Entscheidung über das Ob und das Ausmaß der Rückführung sonstiger Verbindlichkeiten Einfluss nimmt5.
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Maßt sich das Kreditinstitut durch Kontrollmaßnahmen und den Einsatz von Vertrauensleuten weitreichende Geschäftsführungsbefugnisse an und über-
34
1 BGH v. 25. 7. 2005 – II ZR 390/03, ZinsO 2005, 1043. 2 Reischauer/Kleinhaus, Kreditwesengesetz (KWG) Kommentar, § 18 Rz. 1; Beck/ Samm/Kokemoor, Früh, Gesetz über das Kreditwesen, § 18 Rz. 4. 3 BGH v. 26. 9. 1985 – III ZR 229/84, WM 1985, 1437. 4 Vgl. Grundsatzentscheidung RG v. 9. 4. 1932 – IX 74/31, RGZ 136, 247. 5 BGH v. 14. 4. 1964 – VI ZR 219/62, WM 1964, 671.
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nimmt damit faktisch die Geschäftsführung des Kunden, setzt es sich dem Vorwurf der sittenwidrigen Schuldnerknebelung aus. Im Innenverhältnis sind die im Zusammenhang mit der Knebelung abgeschlossenen Kreditverträge und die Verträge über die Bestellung von Sicherheiten gemäß § 138 BGB nichtig. Fallen andere Gläubiger infolge der Einwirkung auf die Geschäftsführung durch das Kreditinstitut mit ihren Forderungen gegen den Kunden aus, besteht eine Verpflichtung zum Schadensersatz im Außenverhältnis gemäß § 826 BGB. bb) Gesellschafterstellung 35
Nimmt ein Kreditinstitut bereits vor der Krise die Stellung eines Gesellschafters ein, unterliegen Kredite in der Krise der Gesellschaft unabhängig davon, ob sie zu diesem Zeitpunkt gewährt oder stehengelassen werden, den Regeln über den Eigenkapitalersatz nach § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG (hierzu umfassend § 3). Diese Regelungen gelten nicht nur für die GmbH, sondern gemäß §§ 129a, 172a HGB auch für die oHG und KG, sofern kein Gesellschafter eine natürliche Person ist. Entsprechende Anwendung finden die Bestimmungen auf die Aktiengesellschaft, weil auch dort die gesetzlichen Kapitalschutzvorschriften durch die Gewährung von Darlehen anstelle von Eigenkapital unterlaufen werden können1. Von den Eigenkapitalersatzregeln ausgenommen, sind Gesellschafter einer GmbH, oHG oder KG, deren Beteiligung 10% nicht übersteigt2. Bei einer Aktiengesellschaft führt erst eine Beteiligung von mehr als 25% zur Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln3.
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Gewährt ein Gesellschafter als Ersatz für fehlendes Eigenkapital einen Kredit, ist eine Rückzahlung unzulässig, solange die Krise andauert4. Der Gesellschafter kann während dieser Zeit auch die für den Kredit bestellten Sicherheiten nicht in Anspruch nehmen5. Im Insolvenzverfahren unterliegen Kreditrückzahlungen und Sicherheitenbestellungen der Insolvenzanfechtung nach § 135 InsO. Darüber hinaus werden Forderungen aus eigenkapitalersetzenden Leistungen der Gesellschafter im Insolvenzfall gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig behandelt6.
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Diese Grundsätze gelten nicht nur für die direkte Beteiligung, sondern auch für alle Formen indirekter oder faktischer Beteiligung des Kreditinstuts an der Gesellschaft. Erwirbt ein von dem Kreditinstitut beherrschtes Unternehmen die Mehrheit der Geschäftsanteile des Kreditnehmers, können danach die an ihn 1 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, NJW 1984, 1893. 2 Besteht vor Eintritt der Krise eine Beteiligung von weniger als 10% und stockt sie das Kreditinstitut zum Zwecke der Unternehmenssanierung nach Eintritt der Krise auf über 10% auf, steht dies der Anwendbarkeit des Sanierungsprivilegs gemäß § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG nicht entgegen. Besaß es allerdings schon bei Eintritt der Krise eine Beteiligung an dem Unternehmen von über der geltenden Grenze von 10%, so gelten für alle – auch die neu ausgereichten Kredite – die Vorschriften über den Eigenkapitalersatz (vgl. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.346g). 3 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, NJW 1984, 1893. 4 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 14/84, NJW 1984, 1891. 5 Neuhof, NJW 1998, 3225. 6 Wegen der anstehenden Gesetzesänderungen vgl. nachstehend Rz. 39.
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ausgereichten Kredite wegen mittelbarer Beteiligung des Kreditinstituts als kapitalersetzende Gesellschafterleistung zu behandeln sein1. Darüber hinaus kann sich eine faktische Gesellschafterstellung des Kreditinstituts bei Verpfändung von Geschäftsanteilen ergeben. Das Pfandrecht gewährt dem Kreditinstitut als Pfandgläubiger grundsätzlich keinen Einfluss auf die Gesellschafterstellung des Verpfändenden. Lässt sich das Kreditinstitut jedoch über die Geschäftsanteile hinaus Gewinnbezugs-, Auszahlungs- und Entnahmerechte, Abfindungsansprüche und Liquidationserlöse mitverpfänden und sich damit weitreichende Befugnisse zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung und Gestaltung der Gesellschaft einräumen, ist es für die Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln einem Gesellschafter gleichzustellen2. Auch Treuhandvereinbarungen verschaffen den Kreditinstituten häufig, bewusst oder unbewusst, die Stellung als Gesellschafter. Hält ein Gesellschafter des Kreditnehmers den Geschäftsanteil treuhänderisch für das außenstehende Kreditinstitut, ist es indirekt beteiligt3. Einen Ausweg bietet die in der Praxis weit verbreitete so genannte „doppelnützige Treuhand an Geschäftsanteilen“. Kreditinstitute veranlassen hierbei die Gesellschafter, ihre Geschäftsanteile auf einen Treuhänder zu übertragen. Dadurch soll eine bessere Veräußerung der Geschäftsanteile des Kunden im Rahmen des Sanierungsversuchs ermöglicht werden. Bei der Ausgestaltung der Treuhandvereinbarung muss aber darauf geachtet werden, dass kein unternehmerischer Einfluss auf den Kunden erfolgen kann, da das Kreditinstitut andernfalls die für die Anwendung der Eigenkapitalersatzvorschriften erforderliche gesellschaftergleiche Position einnimmt. Die Risiken einer Beteiligung der Kreditinstitute an seinen Kreditnehmern nach Kriseneintritt können ein Sanierungshindernis sein. Daher hat der Gesetzgeber durch das so genannte Sanierungsprivileg in § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG eine Ausnahmeregelung eingeführt. Danach begründet der Erwerb von Geschäftsanteilen durch einen Kreditgeber in der Krise der Gesellschaft zum Zwecke der Überwindung der Krise nicht die Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln für seine bestehenden und neu gewährten Kredite. Das Sanierungsprivileg ist nicht auf den direkten Erwerb von Geschäftsanteilen beschränkt, sondern findet auch auf die Formen indirekter und faktischer Beteiligung Anwendung, sofern es sich bei dem gewährten Kredit um einen Sanierungskredit handelt. Der spätere Insolvenzverwalter ist aber gehalten, von der Anwendbarkeit der Kapitalersatzregeln auszugehen, wird ihm nicht die Eigenschaft des Sanierungskredits belegt. Daher ist auch hier die Prüfung der Erfolgsaussichten des Sanierungsvorhabens durch ein schriftlich dokumentiertes Sanierungskonzept dringend zu empfehlen.
38
Nach dem MoMiG4 wird das Recht der Gesellschafterdarlehen neu geregelt. § 32a und § 32b GmbHG werden aufgehoben. Eine Sonderregelung für Gesellschafterdarlehen wird es in der Insolvenzordnung und damit rechtsformneutral
39
1 BGH v. 21. 9. 1981 – II ZR 104/80, NJW 1982, 383; BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 179/99, NJW 2001, 1490. 2 BGH v. 13. 7. 1992 – II ZR 251/91, NJW 1992, 3035. 3 BGH v. 14. 11. 1988 – II ZR 115/88, NJW 1989, 1219. 4 „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“, BT-Drucks. 16/6140 v. 25. 7. 2007.
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§9
Rz. 40
Beratung von Banken
geben. Darlehensansprüche und gleichgestellte Forderungen von Gesellschaftern einer Gesellschaft, bei denen es keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter gibt, werden danach im Insolvenzfall nachrangig behandelt (§ 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4, 5 n.F.). Werden die Ansprüche im letzten Jahr vor dem Insolvenzeröffnungsantrag durch die Gesellschaft erfüllt, so können die Beträge durch Insolvenzanfechtung wieder zur Masse gezogen werden (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO n.F.). Das in § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG geregelte Sanierungsprivileg bleibt jedoch – an neuer Stelle – erhalten (§ 39 Abs. 4 Satz 2 InsO n.F.).
2. Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren 40
Gemäß §§ 20 ff. InsO ist ein Insolvenzeröffnungsverfahren vorgesehen, weil auf einen zulässigen Insolvenzeröffnungsantrag des Schuldners oder eines Gläubigers regelmäßig keine sofortige Entscheidung über die Verfahrenseröffnung erfolgt, sondern die Prüfung der Voraussetzungen für die Durchführung des Insolvenzverfahrens (Insolvenzeröffnungsgrund und verfahrenskostendeckende Masse) einige Zeit erfordert. Im Eröffnungsverfahren hat das Insolvenzgericht gemäß § 21 InsO die für die Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Zu den möglichen Sicherungsmaßnahmen zählen die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO, der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes sowie die Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO.
41
Die Auswirkungen des Eröffnungsverfahrens auf bestehende und neue Kredite hängen davon ab, welche dieser Sicherungsmaßnahmen das Insolvenzgericht getroffen hat. a) Bestehende Kredite
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Bestehende Kreditverträge werden weder durch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes noch durch die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters beendet. Die Wirkungen eines gerichtlich angeordneten Verfügungsverbotes richten sich gemäß § 24 Abs. 1 InsO nach den für Verfügungen des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltenden Vorschriften der §§ 81, 82 InsO. Dies hat die Unwirksamkeit von Tilgungsleistungen des Schuldners während des Insolvenzeröffnungsverfahrens zur Folge. Hingegen wird auf §§ 103 ff. InsO, die das Schicksal noch nicht vollständig abgewickelter gegenseitiger Rechtsgeschäfte sowie die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen regeln, nicht verwiesen. Daher werden Kreditverträge auch von der Einsetzung eines Insolvenzverwalters mit daneben angeordnetem Verfügungsverbot nicht berührt. Wenn wie regelmäßig kein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet wird, sind Rückzahlungen des Kunden wirksam, unterliegen allerdings im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO. Der Zinslauf wird durch die Stellung des Insolvenzantrages nicht unterbrochen, so dass das Kreditinstitut im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 996
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Kreditgeschäft
Rz. 46
§9
die bis dahin auflaufenden Zinsen gleichermaßen wie die Hauptforderung als Insolvenzforderung geltend machen kann. Das Kreditinstitut sollte sich im Insolvenzeröffnungsverfahren von bestehenden Kreditverträgen durch die Ausübung der außerordentlichen Kündigung gemäß Nr. 19 Abs. 3 AGB Banken und Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen wegen wesentlicher Vermögensverschlechterung lösen. Einerseits kann so die Ausnutzung offener Kreditlinien im Rahmen bestehender Kreditverträge verhindert werden, andererseits kann das Kreditinstut – für den seltenen Fall, dass kein AGB-Pfandrecht nach Nr. 14 AGB-Banken und Nr. 21 AGB-Sparkassen an Vermögenswerten des Kunden vereinbart wurde – mit der durch Kündigung fällig gestellten Kreditforderung gegen eine Guthabenforderung des Kunden aufrechnen. Die Aufrechnung (hierzu umfassend § 7 Rz. 488 ff.) ist nämlich gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen, wenn das Kreditinstut erst nach Verfahrenseröffnung kündigt und die Guthabenforderung des Kunden bereits vor der Kündigung fällig war, da die Fälligkeitsfiktion des § 41 InsO nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Aufrechnung nicht anzuwenden ist1. Trotz berechtigter Kündigung des Kreditvertrages bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren kann allerdings die Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sein, wenn die Aufrechnungslage anfechtbar herbeigeführt wurde.
43
b) Neukreditvergabe Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist die Aufnahme neuer Kredite oft notwendig, um die für die Unternehmensfortführung erforderliche Liquidität jedenfalls bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sicherzustellen. Wie im eröffneten Insolvenzverfahren selbst, ist auch im Insolvenzeröffnungsverfahren die Gewährung von so genannten Massekrediten möglich. Eine Besonderheit des Eröffnungsverfahrens stellt darüber hinaus die Insolvenzgeldvorfinanzierung dar.
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aa) Massekredite Bei der Entscheidung über die Vergabe neuer Kredite ist für das Kreditinstitut von entscheidender Bedeutung, dass die Forderung aus dem Kreditvertrag, den der vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren abschließt, als Masseverbindlichkeit im eröffneten Verfahren privilegiert wird.
45
Der wirtschaftliche Nutzen der Einordnung einer Kreditforderung als Masseverbindlichkeit ergibt sich aus § 53 InsO. Danach werden Masseverbindlichkeiten „vorweg“, also vor den Insolvenzforderungen nach § 38 InsO berichtigt. Sie werden außerhalb des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht, ohne dass es einer Anmeldung zur Insolvenztabelle oder eines gerichtlichen Prüfungsverfahrens bedarf2.
46
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.214. 2 BGH v. 11. 7. 1996 – IX ZR 304/95, NJW 1996, 3308; Uhlenbruck/Berscheidt, § 53 Rz. 3.
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§9
Rz. 47
Beratung von Banken
47
Die Voraussetzungen zur Begründung privilegierter Massekredite ergeben sich aus § 55 Abs. 2 InsO. Erforderlich ist die Einsetzung eines so genannten „starken vorläufigen Insolvenzverwalters“, dem infolge der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes gegen den Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Schuldnervermögens übertragen wurde, §§ 22 Abs. 1 InsO i.V.m. 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Wird, wie in der Praxis üblich, nur ein so genannter „schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter“ ohne gleichzeitiger Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes bestellt, ist § 55 Abs. 2 InsO wegen der klaren gesetzgeberischen Wertung weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Dies gilt selbst dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen eines ihm eingeräumten Zustimmungsvorbehaltes gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO einer Verfügung des Schuldners zugestimmt hat, da allein die Möglichkeit Verfügungsgeschäfte des Schuldners zu verhindern, dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht die Befugnis verleiht, Masseverbindlichkeiten zu begründen1. Dem schwachen Insolvenzverwalter kann allerdings das Eingehen von Masseverbindlichkeiten gestattet werden, indem ihn das Insolvenzgericht zur Kreditaufnahme als Massekredit für den konkreten Einzelfall ermächtigt. Eine pauschale gerichtliche Ermächtigung „mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln, reicht dafür jedoch noch nicht aus2.
48
Bei der Vergabe von Massekrediten ist zwischen zwei Finanzierungsformen zu unterscheiden. Um einen echten Massekredit handelt es sich, wenn das Kreditinstitut tatsächlich neue Kreditmittel als „fresh money“ zur Verfügung stellt. Hingegen ermöglicht das Kreditinstitut dem vorläufigen Insolvenzverwalter beim unechten Massekredit, Sicherheitenerlöse aus z.B. einer zugunsten des Kreditinstituts eingeräumten Globalzession als Mittel zur Unternehmensfortführung zu verwenden. In Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel wird dem Kunden ein neuer Kredit eingeräumt, indem die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Sicherheitenverwertung gemäß §§ 165 ff. InsO auf das Eröffnungsverfahren vorverlagert und so die Auskehrung von Sicherheitenerlöse kreditiert wird. Das Kreditinstitut muss darauf achten, dass die Befugnis zur Verwendung der Sicherheitenerlöse ausdrücklich im Wege eines Kredites eingeräumt wird und nicht etwa durch Freigabe der Sicherheiten. So kann die Einordnung der Rückzahlungsverpflichtungen als Masseverbindlichkeit sichergestellt werden3.
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Trotz der bevorrechtigten Befriedigung der Masseverbindlichkeiten gegenüber Insolvenzforderungen besteht ein Ausfallrisiko mit der Kreditforderung, wenn (a) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse gemäß § 26 InsO abgelehnt oder (b) das eröffnete Insolvenzverfahren gemäß § 207 Abs. 1 InsO mangels Masse eingestellt werden muss. Bei Einstellung des Verfahrens konkurrieren alle Masseverbindlichkeiten und werden nach dem zwingenden Verteilungsschlüssel des § 209 InsO befriedigt. Masseverbindlichkeiten aus im Insolvenzeröffnungsverfahren geschlossenen Kreditverträgen nehmen dabei nur den 3. Rang nach den Kosten des Insolvenzverfahrens und den Masseverbind1 Str., so BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NJW 2002, 3326. 2 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, NJW 2002, 3326. 3 Schönfelder, WM 2007, 1498.
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Kreditgeschäft
Rz. 54
§9
lichkeiten, die nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige begründet worden sind, ein. Selbst wenn die vorrangigen Masseverbindlichkeiten berichtigt werden können, werden alle Übrigen nur quotal befriedigt. Lehnt das Insolvenzgericht bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, werden die Verbindlichkeiten überhaupt nicht nach einer Rangfolge befriedigt und das Kreditinstitut fällt mit seiner Forderung aus dem Kreditvertrag aus. Auch die Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 61 InsO wegen Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten kann das Ausfallrisiko nur in Grenzen reduzieren. Einerseits kann sich der Verwalter gemäß § 61 Satz 2 InsO entlasten, wenn er bei Begründung der Verbindlichkeit trotz einer plausiblen sowie ständig überprüften und aktualisierten Liquiditätsrechnung die Masseunzulänglichkeit nicht erkennen konnte1. Andererseits kann die Haftung wegen des regelmäßig bestehenden Missverhältnisses zwischen der Kreditsumme und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Insolvenzverwalters oft keinen Ausgleich bieten2. Es empfehlt sich daher, den Insolvenzverwalter eine ausreichende Haftpflichtversicherung nachweisen zu lassen.
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Somit dürfte die Vergabe neuer Kredite im Eröffnungsverfahren wegen des wirtschaftlichen Risikos trotz Einordnung als Masseverbindlichkeit regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn Sicherheiten aus noch vorhandenen Vermögenswerten gestellt werden können. Die Sicherheitenbestellung kann als Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO ausgestaltet werden, so dass deren Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO ausscheidet3.
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Eine weitere Möglichkeit die während eines Insolvenzeröffnungsverfahrens begründeten Kreditforderungen „insolvenzfest“ zu gestalten, besteht in dem so genannten Treuhandkontenmodell. Danach werden vorhandene Mittel, z.B. aus der Erfüllung von Forderungen des Schuldners gegen Dritte, im Rahmen eines echten Treuhandvertrages zwischen dem Schuldner und einem Treuhänder unter Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters auf ein Treuhandkonto separiert, um hieraus Verbindlichkeiten aus Kreditverträgen erfüllen zu können4. Das Kreditinstitut trägt allerdings auch hier das Risiko, dass die Gelder auf dem Treuhandkonto zur Befriedigung der Ansprüche nicht ausreichen.
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bb) Insolvenzgeldvorfinanzierung Wird der Geschäftsbetrieb im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht stillgelegt, sondern fortgeführt, kann die erforderliche Liquidität durch die in der Praxis häufig vorkommende Insolvenzgeldvorfinanzierung geschaffen werden.
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Gemäß § 183 Abs. 1 SGB III hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld gegen die Bundesagentur für Arbeit. Sofern der Arbeitnehmer für bis zu drei Monaten vor Eintritt eines Insolvenzereignisses, namentlich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse
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1 BGH v. 17. 12. 2004 – IX ZR 185/03, NJW-RR 2005, 488. 2 Wittig, Kredite und Kreditsicherheiten im Insolvenzeröffnungsverfahren, in: Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1081. 3 Hierzu ausführlich unter „Besicherung neu ausgereichter Kredite“, Rz. 73 ff. 4 Undritz, NZI 2003, 136; BGH v. 12. 10. 1989 – IX ZR 184/88, NJW 1990, 45.
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§9
Rz. 55
Beratung von Banken
oder die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit, kein Arbeitsentgelt erhalten hat, erfolgt auf seinen Antrag die staatlich garantierte Zahlung des Insolvenzgeldes. Bis zur Auszahlung vergeht jedoch meist einige Zeit. Zur Sicherstellung der Fortführung des Geschäftsbetriebes des insolventen Unternehmens ist die Finanzierung der Lohn- und Gehaltsforderungen bereits zwischen der Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung und dem Eintritt des Insolvenzereignisses erforderlich. Ohne pünktliche Zahlung der Löhne und Gehälter dürften die Arbeitnehmer zur Weiterarbeit in dem insolventen Unternehmen kaum noch motiviert werden können1. 55
Die Insolvenzgeldvorfinanzierung kann durch zwei Finanzierungsformen, das kollektive Forderungskaufverfahren oder das individuelle Verfahren, ermöglicht werden.
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Bei dem so genannten kollektiven Forderungskaufverfahren kauft das Kreditinstitut den Arbeitnehmern ihre Lohn- oder Gehaltsforderungen ab und lässt sich gegen Zahlung des Kaufpreises in Höhe des Nettolohnes die Forderungen abtreten. Bis zur Stellung des Antrages auf Zahlung des Insolvenzgeldes ist der Arbeitgeber Schuldner der abgetretenen Lohn- oder Gehaltsforderung. Nach Eintritt des Insolvenzereignisses und Stellung des Antrages auf Zahlung von Insolvenzgeld geht der Anspruch auf das Arbeitsentgelt gegen den Arbeitgeber auf die Bundesagentur für Arbeit über und das vorfinanzierende Kreditinstitut erhält den Anspruch auf Insolvenzgeld gemäß §§ 187, 188 Abs. 1 SGB III. Voraussetzung ist allerdings nach § 188 Abs. 4 SGB III, dass die Bundesagentur für Arbeit der Abtretung der Arbeitsentgelte zugestimmt hat. Dies setzt die Prognose voraus, dass durch die Vorfinanzierung ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Das Kreditinstitut trägt bei diesem Verfahren das Risiko der tatsächlichen Auszahlung des Insolvenzgeldes2.
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Das in der Vergangenheit häufig praktizierte so genannte kollektive Kreditierungsverfahren kommt hingegen nicht mehr in Betracht. Dabei räumt das Kreditinstitut den Arbeitnehmern einen Kredit anstelle der fälligen Löhne und Gehälter ein und lässt sich zur Sicherheit die Forderungen gegen den Arbeitgeber abtreten. Diese Abtretung ist allerdings wegen § 400 BGB in Höhe des Pfändungsfreibetrages unwirksam, so dass das Kreditinstitut keinen Anspruch auf Zahlung des Insolvenzgeldes gemäß §§ 187, 188 Abs. 1 SGB III gegen die Bundesagentur für Arbeit erlangen kann. Auch die anerkannte Einschränkung des § 400 BGB für den Fall, dass der Arbeitnehmer für die Abtretung eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung erhält3, ist bei dieser Finanzierungsart nicht anwendbar. Denn der Arbeitnehmer ist als Schuldner der Kreditforderung einem Rückzahlungsrisiko ausgesetzt. Daher ist trotz Auszahlung des nicht pfändbaren Teils der Lohn- oder Gehaltsforderung wirtschaftliche Gleichwertigkeit nicht gewährleistet und die Abtretung in dieser Höhe ausgeschlossen4. 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.238; Wittig, Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, in: Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1095. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.244. 3 Palandt/Grüneberg, § 400 Rz. 2. 4 Ankündigungsrechtsprechung des BSG v. 8. 4. 1992 – 10 RAr 12/94, ZIP 1992, 941; Wittig, Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, in: Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1112.
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Kreditgeschäft
Rz. 60
§9
Die Bundesagentur für Arbeit wendet § 400 BGB allerdings nur für kollektive Vorfinanzierungen an. Bei individuellen Kreditierungsverfahren, bei denen jeder Arbeitnehmer mit dem Kreditinstitut eine individuelle Vereinbarung trifft, nach der er sein Konto bis zu drei Monatsgehälter überziehen kann, geht sie auch hinsichtlich der Pfändungsfreibeträge von der Wirksamkeit der Abtretung der Lohn- oder Gehaltsforderungen aus1.
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Entscheidet sich das Kreditinstitut zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes unter Erwerb der Insolvenzgeldansprüche gegen die Bundesagentur für Arbeit, muss es jedoch berücksichtigen, dass nach der ausdrücklichen Regelung des § 183 Abs. 1 SGB III Insolvenzgeldansprüche nur für die letzten drei Monate vor dem Eintritt eines Insolvenzereignisses bestehen. Zieht sich das Eröffnungsverfahren länger als drei Monate hin, kann das Kreditinstitut auch weitere Monate finanzieren, indem sie die Lohnforderungen in revolvierender Weise erwirbt. Dabei lässt es sich Forderungen für einen Monat nur abtreten, wenn der Arbeitgeber die Lohnforderungen jedenfalls für den dritten vorausgehenden Monat befriedigt hat2.
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3. Kreditgeschäft im eröffneten Insolvenzverfahren Hinsichtlich bestehender Kredite ist im Insolvenzverfahren zwischen Kontokorrentkrediten und Fest- bzw. Tilgungskrediten zu unterscheiden. Der Kontokorrentvertrag erlischt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 115, 116 InsO. Im Rahmen des Kontokorrentvertrages bereits in Anspruch genommene Kredite werden sofort fällig, noch nicht ausgeschöpfte Kreditrahmen können nicht mehr in Anspruch genommen werden. Sonstige, insbesondere Fest- und Tilgungskredite, gelten ebenfalls sofort mit Verfahrenseröffnung als fällig. Dies ergibt sich aus § 41 Abs. 1 InsO, wonach diejenigen Forderungen, welche im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung entstanden, aber noch nicht fällig sind, und bei denen der Fälligkeitseintritt gewiss ist, zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung als fällig gelten3. Soweit Kreditlinien jedoch nicht oder nicht vollständig ausgeschöpft sind, steht dem Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO ein Wahlrecht zu, ob der Kreditvertrag erfüllt werden soll. Im Falle der vollständigen Inanspruchnahme noch nicht ausgeschöpfter Kreditlinien durch den Insolvenzverwalter ist der Rückzahlungsanspruch gemäß § 105 InsO für die vor Verfahrenseröffnung ausgezahlten Teilvaluta gleichwohl keine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, sondern eine quotal zu befriedigende Insolvenzforderung. Regelmäßig wird das Kreditinstitut die volle Inanspruchnahme noch nicht ausgeschöpfter Kreditlinien durch die Ausübung der außerordentlichen Kündigung bereits im Eröffnungsverfahren verhindern.
1 Vgl. Durchführungsanweisungen zum Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit (DA-InsG), § 185 SGB III, 2. (4). 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.247. 3 Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 41 Rz. 1; Hess, Insolvenzrecht, Großkommentar, Bd. I, § 41 Rz. 8.
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§9 61
Rz. 61
Beratung von Banken
Neue Kreditverträge1 können nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem nunmehr ausschließlich verfügungs- und verwaltungsberechtigten Insolvenzverwalter abgeschlossen werden, § 80 InsO. Der Rückzahlungsanspruch wird als privilegierte Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorab berichtigt2.
III. Sicherheitenbestellung in der Krise 62
Vor allem in der Krise des Kunden hat das Kreditinstitut ein Interesse an der Bestellung oder Verstärkung von Kreditsicherheiten, um so das Ausfallrisiko für bestehende oder zukünftige Kredite zu minimieren. Gehört der zur Besicherung verwendete Gegenstand zum Vermögen des Schuldners, verkürzt dies die Insolvenzmasse und damit die Zugriffsmöglichkeit anderer Gläubiger, wenn eine Sanierung scheitert. Der in der Insolvenzordnung geltende Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger erfordert hingegen, dass die Besserstellung Einzelner weitgehend vermieden wird. Daher unterliegt das Kreditinstitut bei der Besicherung von Krediten in der Krise des Kunden Einschränkungen. Sie ergeben sich aus den auf Anreicherung der Insolvenzmasse abzielenden Anfechtungsvorschriften der § 129 ff. InsO. Zu unterscheiden ist zwischen der Nachbesicherung bestehender Kredite und der Besicherung neu ausgereichter Sanierungskredite.
1. Nachbesicherung bestehender Kredite 63
Hat das Kreditinstitut dem Kunden einen ungesicherten oder einen nicht ausreichend gesicherten Kredit eingeräumt, muss es bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten überlegen, ob es von dem notleidenden Kunden die erstmalige Bestellung oder die Verstärkung bestehender Sicherheiten verlangen kann.
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Der Anspruch des Kreditinstituts auf Nachbesicherung kann mit dem Kunden individuell vereinbart werden. Diese so genannte Positiverklärung verpflichtet den Kunden, dem Kreditinstitut auf erstes Anfordern eine ihm genehme – regelmäßig eine ganz bestimmte – Sicherheit zu bestellen. Soweit zusätzlich eine so genannte Gleichrangklausel aufgenommen wurde, entsteht der Besicherungsanspruch in dem Zeitpunkt, in dem der Schuldner auch anderen Gläubigern Sicherheiten bestellt. Der schuldrechtliche Anspruch auf Bestellung der Sicherheit führt im Falle der Insolvenz des Kunden allerdings nicht zu einer Erhöhung der Quote, da ihm neben der Kreditforderung keine selbstständige Bedeutung zukommt3.
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Der Anspruch auf Nachbesicherung kann sich ferner aus Nr. 13 Abs. 2 AGBBanken oder Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen ergeben, wenn das Kreditinstitut zunächst von der Bestellung von Sicherheiten abgesehen hat, sich aber die 1 Kreditverbindlichkeiten, die die Insolvenzmasse erheblich belasten, bedürfen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Allerdings berührt deren Nichtvorliegen nicht die Wirksamkeit des Kreditvertrages, § 164 InsO. 2 Zu den Masseverbindlichkeiten bereits unter „Massekredite“, Rz. 45 ff. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.234.
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Sicherheitenbestellung in der Krise
Rz. 69
§9
wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden nachteilig verändert haben oder sich zu verändern drohen1. Dieser Anspruch ist gemäß Nr. 13 Abs. 2 Satz 4 AGBBanken ausgeschlossen, wenn ausdrücklich vereinbart ist, dass der Kunde keine oder nur die abschließend benannten Sicherheiten zu bestellen hat. Allerdings kann allein aus der Vereinbarung bestimmter Sicherheiten nicht auf eine Abbedingung der Regelung geschlossen werden. Hinzukommen muss die Erklärung des Kreditinstituts, auf andere Vermögenswerte des Kunden nicht oder nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgreifen zu wollen2. Entscheidet sich das Kreditinstitut, sein ihm in der Krise des Kunden zustehendes Kündigungsrecht nicht auszuüben und stattdessen seinen Anspruch auf Nachbesicherung geltend zu machen, setzt es sich der erheblichen Gefahr der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO aus (hierzu umfassend § 10), sofern eine Sanierung scheitert3. Hat die Anfechtung Erfolg, muss das Kreditinstitut gemäß § 143 InsO die Sicherheit zur Insolvenzmasse zurückgeben und ist wegen der Kreditforderung auf die Insolvenzquote beschränkt.
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Grundvoraussetzung aller anfechtungsrechtlichen Rückgewähransprüche ist nach § 129 InsO die Benachteiligung der Gläubiger in ihrer Gesamtheit durch Verkürzung der Insolvenzmasse (vgl. § 10 Rz. 42 ff.)4. Die Insolvenzmasse ist das gesamte Vermögen, das dem Kunden zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Legaldefinition des § 35 Abs. 1 InsO). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach § 36 InsO mit bestimmten Ausnahmen nicht zur Insolvenzmasse. Eine Verfügung über diese Gegenstände kann der Insolvenzverwalter demnach nicht anfechten. Eine Anfechtung ist zudem ausgeschlossen, wenn die Sicherheiten nicht zum Vermögen des Schuldners gehören, sondern aus dem Vermögen eines Dritten bestellt werden. Darüber hinaus ist eine Gläubigerbenachteiligung zu verneinen, wenn Verfügungen des Schuldners für die Insolvenzmasse wirtschaftlich neutral sind5. Dies ist z.B. der Fall, wenn gleichwertige Sicherheiten bloß ausgetauscht werden6, so etwa wenn bei Vereinbarung eines Eigentumsvorbehaltes anstelle des Gegenstandes bei dessen Weiterveräußerung „vermögensmäßig“ die künftige Forderung tritt7.
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Die Anfechtung der Bestellung bzw. Verstärkung der Sicherheiten kann wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung gemäß §§ 130, 131 InsO erfolgen (vgl. § 9 Rz. 50 ff.). Diese Anfechtungstatbestände erfassen Rechtshandlungen, die innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Verfahrenseröffnung vorgenommen werden und die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewähren.
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Handelt es sich um eine kongruente Deckung gemäß § 130 InsO ist die Anfechtung nur möglich, wenn der Kunde zur Zeit der Rechtshandlung zahlungs-
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Vgl. „Kündigung“, Rz. 13 ff. BGH v. 6. 6. 1983 – III ZR 105/82, NJW 1983, 2701. Vgl. „Kündigung“, Rz. 13 ff. BGH v. 23. 9. 1981 – VIII ZR 245/80, ZIP 1981, 1229. Kirchhof, Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, § 129 Rz. 108. BGH v. 14. 6. 1978 – VIII ZR 149/77, NJW 1978, 1923. BGH v. 14. 5. 1975 – VIII ZR 254/73, NJW 1975, 1226.
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1003
§9
Rz. 70
Beratung von Banken
unfähig war und das Kreditinstitut zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit positiv kannte. Sofern die Rechtshandlung nach Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages vorgenommen wurde, ist ebenfalls positive Kenntnis des Kreditinstituts von der Zahlungsunfähigkeit des Kunden oder dem Eröffnungsantrag erforderlich. Dem steht gemäß § 130 Abs. 2 InsO die Kenntnis der Umstände, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, gleich. Die kongruente Deckung setzt einen Anspruch des Kreditinstituts auf gerade die von dem Kunden konkret bestellte Sicherheit voraus1. Dieser Anspruch ergibt sich aus einer auf ein konkretes Sicherungsobjekt bezogenen Postiverklärung des Kunden. 70
Eine inkongruente Deckung ist allerdings gegeben, wenn die Sicherheitenbestellung aufgrund des allgemeinen Anspruchs der Kreditinstitute aus ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Bestellung bankenmäßiger Sicherheiten erfolgt. Denn vertragliche Vereinbarungen, die Umfang und Art der Sicherheit oder die Auswahl der Sicherungsgegenstände noch offenlassen, reichen inhaltlich nicht aus2. Dieser Anspruch begründet auch dann keine kongruente Deckung, wenn im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung nur noch eine werthaltige Sicherheit im Vermögen des Kunden vorhanden war, weil sich der allgemeine Anspruch des Kreditinstituts auf Bestellung von Sicherheiten nur zufällig und nicht vorausschauend auf das letzte verbliebene Sicherungsgut konkretisiert3. Etwas anderes gilt dann, wenn sowohl im Zeitpunkt des Abschlusses der Sicherheitenvereinbarung als auch im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung nur ein bestimmtes Sicherungsobjekt vorhanden ist. Über derartige Voraussetzungen kann allerdings im Einzelfall Streit entstehen, so dass die Hereinnahme einer Positiverklärung über genau diesen Gegenstand zu empfehlen ist4. Zu beachten ist außerdem, dass die Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten mittels Zwangsvollstreckung (z.B. durch Eintragung einer Sicherungshypothek) immer eine inkongruente Deckung darstellt, auch wenn sie auf einer Positiverklärung beruht5.
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Liegt danach eine inkongruente Deckung vor, ist die nachträgliche Bestellung und Verstärkung der Sicherheiten meist nicht insolvenzfest. Der Anfechtungstatbestand des § 131 InsO verzichtet auf die Kenntnis des Kreditinstituts, wenn der Kunde bereits zahlungsunfähig war. War die Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten, ist Kenntnis des Kreditinstituts von der aus der Vornahme der Rechtshandlung resultierenden Gläubigerbenachteiligung erforderlich. Die Kenntnis der Umstände, die zwingend auf die Gläubigerbenachteiligung schließen lassen, ist gemäß § 131 Abs. 2 InsO ausreichend. Inkongruente Rechtshandlungen, die innerhalb des letzten Monats vor der Stellung des Eröffnungsantrages bis zur Verfahrenseröffnung vorgenommen werden, sind ohne weitere objektive oder subjektive Voraussetzungen anfechtbar.
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BGH v. 2. 12. 1999 – IX ZR 412/98, NJW 2000, 957. BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561. BGH v. 3. 12. 1998 – IX ZR 313/97, NJW 1999, 645. Kulke, Sicherheitenverstärkung, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 11 A Rz. 37. 5 BGH v. 20. 3. 2003 – IX ZR 166/02, NJW 2003, 2171.
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Sicherheitenbestellung in der Krise
Rz. 74
§9
Die Anfechtung der Bestellung oder Verstärkung der Sicherheiten kann ferner unter den engen Voraussetzungen des § 133 InsO wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung erfolgen. Danach sind Rechtshandlungen in den letzten zehn Jahren vor der Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung anfechtbar, wenn der Kunde sie mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen und das Kreditinstitut diesen Vorsatz kannte (§ 10 Rz.167 ff.). Dabei wird eine inkongruente Sicherheitenbestellung als Indiz für eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung gewertet.
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2. Besicherung neu ausgereichter Kredite Die Bestellung von Sicherheiten für ein in der Krise des Kunden neu ausgereichten Kredit ist im Hinblick auf die Anfechtungsvorschriften für das Kreditinstitut ungefährlich, wenn die Voraussetzungen des so genannten Bargeschäfts vorliegen.
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Gemäß § 142 InsO liegt ein Bargeschäft vor, wenn der Kunde für die Bestellung der Sicherheit unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung erhält (§ 10 Rz.293 ff.). Gewährt demnach das Kreditinstitut dem notleidenden Kunden einen Sanierungskredit, ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Wert der für diesen Kredit bestellten Sicherheiten die Höhe des Kredits nicht wesentlich übersteigt1. Bei beweglichen Gegenständen ist der übliche Risikozuschlag von etwa 50% auf den Nennwert des Kredites als angemessen anzusehen2. In zeitlicher Hinsicht sind die Leistungen in einem engen zeitlichen Zusammenhang auszutauschen, wobei eine höchstzulässige Zeitspanne nicht allgemein festgelegt werden kann. Entscheidendes Abgrenzungsmerkmal ist, ob die Leistung unter Berücksichtigung der üblichen Zahlungsbräuche noch als Bardeckung oder bereits als Kreditgeschäft beurteilt wird. Ein Austausch der Leistungen Zug-um-Zug ist jedenfalls nicht erforderlich3 (ausführlich zu den zeitlichen Anforderungen § 10 Rz. 309 ff.). Das Kreditinstitut muss ferner beachten, dass eine Bardeckung trotz unmittelbar zeitlichem Austausch der Leistungen nicht vorliegt, wenn zunächst der Kredit ausgezahlt und sodann einvernehmlich eine andere als die vereinbarte Sicherheit bestellt wird. Leistung und Gegenleistung müssen vielmehr durch Parteivereinbarung verknüpft sein. Den Inhalt ihrer Vereinbarungen können die Beteiligten ohne Auswirkungen auf das Bargeschäft nur bis zu dem Zeitpunkt ändern, in dem die zeitlich erste Leistung eines Vertragsteils erbracht wird4. Eine unanfechtbare Bardeckung ist darüber hinaus ausgeschlossen, wenn das Kreditinstitut keinen Anspruch auf Bestellung der Sicherheiten hat. Dies ist der Fall, wenn die Sicherheiten nicht nur den neu ausgereichten Sanierungskredit, sondern auch einen bereits bestehenden Kredit abdecken sollen. Es liegt dann ein in vollem Umfang anfechtbares inkongruentes Deckungsgeschäft vor, es sei denn, es kann festgestellt werden,
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1 Hirte, Uhlenbruck, § 142 Rz. 10. 2 Kirchhof, Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, § 142 Rz. 13. 3 Wittig, Bankgeschäfte in der Krise, in: Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 293; Kirchhof, Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, § 142 Rz. 16. 4 BGH v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/92, NJW 1993, 3267; Wittig, Bankgeschäfte in der Krise, in: Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 292.
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§9
Rz. 75
Beratung von Banken
ob und in welchem Umfang sich die Sicherungen auf bestimmte Ansprüche beziehen1. Wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten2 sollte sicherheitshalber auf die zusätzliche, auch nachrangige Besicherung früherer Kredite ganz verzichtet werden. 75
Liegt ein Bargeschäft vor, kann es ausnahmsweise anfechtbar sein, wenn der Tatbestand der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO vorliegt. Ein ernsthafter, auf einem schlüssigem Konzept beruhender Sanierungsversuch des notleidenden Kunden schließt allerdings eine Gläubigerbenachteiligung bereits objektiv aus, selbst wenn er letztlich scheitert3. Handelt es sich dagegen um einen unzulässigen „Schein“-Sanierungskredit, ist die Bestellung der Sicherheiten bereits gemäß § 138 BGB nichtig4. In diesem Fall sind die Sicherheiten und nach deren Verwertung der Verwertungserlös nach § 812 BGB an den Insolvenzverwalter herauszugeben.
IV. Sicherheiten in der Krise und Insolvenz (hierzu umfassend auch § 7: Beratung des gesicherten Gläubigers)
1. Allgemein 76
Durch die Sicherungszweckvereinbarung wird der Umfang der von Kreditsicherheiten abgedeckten Forderungen bestimmt und so das Sicherungsrecht mit der zu sichernden Forderung verknüpft. Kreditsicherheiten sollen dem Kreditinstitut regelmäßig für alle aus dem zugrunde liegenden Kreditgeschäft folgenden Forderungen eine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit verschaffen. Danach steht dem absonderungsberechtigten Kreditinstitut im Falle der Verwertung der Sicherheit der Erlös bis zur vollen Höhe seines Anspruchs zu, bestehend aus Hauptforderung, Zinsen und Kosten5, die das Kreditinstitut zur Durchsetzung seines Anspruchs gemacht hat. Das Absonderungsrecht bezieht sich auch auf diejenigen Zinsen und Kosten, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Verwertung des Gegenstandes entstehen. Dieser im Rahmen der Konkursordnung anerkannte Grundsatz6 hat sich auch nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung nicht geändert7. Durch die Neufassung der Vorschrift des § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wonach die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen erst nach allen übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger zu berichtigen sind, sollte nicht verhindert werden, dass absonderungsberechtigte Gläubiger ihre nach Insolvenzeröffnung entstehenden 1 2 3 4 5 6
BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, NJW 1993, 238. Vgl. BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 237/91, NJW-RR 1993, 235. BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561. Vgl. „Neugeschäft: Sanierungskredit“, Rz. 20 ff. Ganter, Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, Vorbem. §§ 49 bis 52 Rz. 59. BGH v. 5. 12. 1996 – IX ZR 53/96, NJW 1997, 522: Die abgesonderte Befriedigung erfolgte nach § 4 Abs. 2 KO außerhalb des Konkursverfahrens, so dass sich die Norm des § 63 Nr. 1 KO, wonach die seit Eröffnung des Konkursverfahrens auflaufenden Zinsen nicht mehr geltend gemacht werden können, nicht auf Absonderungsrechte bezieht. 7 OLG Köln v. 27. 6. 2006 – 2 U 137/06, ZIP 2007, 1614.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 78
§9
Zinsen und Kosten in die dingliche Haftung einbringen. Denn § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO gestattet nunmehr – anders als noch die Konkursordnung –, diese Zinsen und Kosten, wenn auch mit Nachrang, zu berücksichtigen, wertet sie also auf1. Dieser gesetzlichen Wertung stünde es entgegen, würden diese Zinsforderungen im Rahmen der Absonderung wieder schlechter behandelt. a) Generelle Sicherungsmaßnahmen Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Kunden eröffnet, muss das Kreditinstitut dem Insolvenzverwalter nach gerichtlicher Aufforderung gemäß § 28 Abs. 2 InsO unverzüglich mitteilen, welche Sicherungsrechte es an beweglichen Sachen oder an Rechten des Kunden in Anspruch nimmt. Kommt das Kreditinstitut der Mitteilungspflicht nicht nach, setzt es sich gemäß §§ 28 Abs. 2 S. 3 InsO, 249 ff. BGB Schadensersatzansprüchen aus, die der Insolvenzverwalter für die Insolvenzmasse geltend machen kann. Der Schaden kann z.B. darin bestehen, dass durch die nachträgliche Veräußerung und Verteilung Kosten entstehen oder eine Wertminderung eintritt, weil die Ware inzwischen nicht mehr veräußerlich ist2.
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Bedeutung erlangt die Mitteilungspflicht zudem für die Möglichkeit des Kreditinstituts, den Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO persönlich in Anspruch zu nehmen, wenn er Absonderungsrechte durch Verwertungshandlungen schuldhaft verletzt. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, die in seinem Besitz befindlichen beweglichen und mit Absonderungsrechten belasteten Sachen zu verwerten. Die Verwalterhaftung kommt in Betracht, wenn er gegen die gemäß §§ 166 ff. InsO bestehenden Verfahrenspflichten verstößt. Führt er z.B. den gesamten Verwertungserlös ununterscheidbar zur Masse, ist die Befriedigung des absonderungsberechtigten Kreditinstituts gemäß § 170 Abs. 1 S. 2 InsO ausgeschlossen, da es an einem konkreten Gegenstand fehlt3. Das Kreditinstitut ist dann auf seinen Anspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 InsO beschränkt und kann den aus dieser Entwertung seiner Rechtsposition entstehenden Schaden beim Inolvenzverwalter liquidieren. Die persönliche Haftung des
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1 So auch Ganter, Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, Vorbem. §§ 49 bis 52, Rz. 60; a. A. Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 52 Rz. 8. 2 Zum Umfang der Schadensersatzpflicht, Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 28 Rz. 6. 3 Für den Fall der unberechtigten Verwertung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstandes durch den Insolvenzverwalter kann der Gläubiger gem. § 48 Abs. 1 InsO analog bereits die Abtretung des Rechts auf Gegenleistung verlangen. Im Gegensatz zu § 170 Abs. 1 S. 2 InsO muss er nicht den Abschluss der Verwertung durch den Insolvenzverwalter abwarten und ist zudem von der Pflicht zur Entrichtung der Kostenbeiträge nach §§ 170 Abs. 1 S. 1, 171 InsO befreit. Eine unberechtigte Verwertung in diesem Sinne liegt allerdings nur in dem praktisch seltenen Fall vor, dass nicht der Verwalter sondern der Absonderungsberechtigte selbst nach den Vorschriften der §§ 165 ff. InsO zur Verwertung berufen ist. Eine verfahrensfehlerhafte Verwertung durch den kraft Gesetzes zur Verwertung befugten Verwalter begründet dagegen nicht die analoge Anwendung des § 48 InsO, so dass der Gläubiger verpflichtet bleibt, den Abschluss der Verwertung abzuwarten, die Kostenbeiträge zu entrichten und ggf. einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen (Ganter/Bitter, Rechtsfolgen berechtigter und unberechtigter Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten durch den Insolvenzverwalter, ZIP 2005, 93).
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§9
Rz. 79
Beratung von Banken
Insolvenzverwalters kann sich zudem daraus ergeben, dass er dem absonderungsberechtigten Kreditinstitut seine Veräußerungsabsicht nicht mitteilt und dieser deshalb sein Recht aus § 168 InsO – Hinweis auf günstigere Verwertungsmöglichkeiten – nicht wahrnehmen kann. Die Haftung des Verwalters setzt allerdings voraus, dass ihm bestehende Absonderungsrechte schuldhaft unbekannt sind. Kommt das Kreditinstitut seiner Mitteilungspflicht nicht oder nicht rechtzeitig nach, entlastet dies den Insolvenzverwalter. 79
Die Einrichtung eines gesonderten Sicherheitenerlöskontos bietet sich an, um Zahlungseingänge aus Sicherheitenerlösen von solchen Zahlungseingängen zu unterscheiden, die für den Kunden bestimmt und an den Insolvenzverwalter herauszugeben sind. b) Verwertungspauschalen in der Insolvenz
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Erfolgt die Verwertung einer Sicherheit nach dem Regelfall des § 166 InsO durch den Insolvenzverwalter, sind vor der Befriedigung des Kreditinstituts gemäß § 170 Abs. 1 InsO die Kosten der Feststellung und der Verwertung von dem Verwertungserlös abzuziehen (hierzu umfassend § 7 Rz. 317 ff.). Überlässt der Insolvenzverwalter dem Kreditinstitut selbst die Verwertung, sind die Kosten der Feststellung sowie der Umsatzsteuerbetrag1 gemäß § 170 Abs. 2 InsO vorweg an die Masse abzuführen. Verwertungskosten entstehen dem Kreditinsitut in diesem Fall regelmäßig selbst. Der Kostenbeitrag für die Feststellungsund Verwertungskosten wird zur Beschleunigung des Verfahrens und zur Begrenzung der Belastung des Gläubigers gemäß § 171 InsO durch Pauschalen bestimmt. Während die für die Feststellungkosten bestimmte Pauschale in Höhe von 4% des Verwertungserlöses fest ist, kann für die Verwertungskosten im Einzelfall ein höherer oder niedrigerer Betrag als die festgelegte Pauschale in Höhe von 5% in Betracht kommen (vgl. § 7 Rz. 345 ff.).
81
Auch die Einziehung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen obliegt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter, § 166 Abs. 2 InsO2. Will das Kreditinstitut die aus dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters resultierende Pflicht zur Entrichtung des Kostenbeitrages vermeiden, muss sie sich zur Kreditsicherung Forderungen des Kunden gegen Dritte (Drittschuldner) verpfänden lassen. Im Gegensatz zur Sicherungsabtretung ist allerdings zur Wirksamkeit der Verpfändung eine Verpfändungsanzeige an den Drittschuldner erforderlich (§ 1280 BGB), womit dem Geheimhaltungsinteresse des Kunden nicht Rechnung getragen werden kann. Neben Pfandrechten unterliegen auch sonstige Rechte, insbesondere Gesellschaftsanteile, Marken, Patente oder Urheberrechte, nicht dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwal-
1 Bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter fällt der Umsatzsteuerbetrag in die Verwertungskosten. 2 Bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren kann das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO anordnen, dass der Forderungseinzug hinsichtlich abgetretener Forderungen dem Insolvenzverwalter übertragen und eine Verwertung durch das Kreditinstitut verboten wird. In diesem Fall finden §§ 170, 171 InsO entsprechende Anwendung, so dass die Kostenpauschalen schon im Eröffnungsverfahren anfallen.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 86
§9
ters, da sie nicht in den Anwendungsbereich des § 166 Abs. 2 InsO fallen1 (vgl. hierzu § 7 Rz. 239).
2. Sicherungsübereignung Übereignet der Kunde dem Kreditinstitut zur Sicherheit einen Vermögensgegenstand, so steht diesem im Falle der Insolvenz des Kunden ein Recht zur abgesonderten Befriedigung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu (hierzu umfassend § 7 Rz. 169 ff., zur Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände vgl. Rz. 270 ff.).
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Werden nicht nur vorhandene, sondern auch zukünftige Vermögensgegenstände übereignet, z.B. durch Übereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand, erlangt der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs Bedeutung für die an verschiedene Zeiträume vor Insolvenzantragsstellung anknüpfenden Anfechtungstatbestände der §§ 129 ff. InsO. Hinsichtlich der bei Vertragsschluss bereits im Warenlager befindlichen Gegenstände ist das Kreditinstitut unmittelbar, hinsichtlich der hinzukommenden Gegenstände mit deren Einbringung in das Warenlager (Raumsicherungsvertrag) oder mit vereinbarungsgemäßer Kennzeichnung der Ware (Markierungsvertrag) Vollrechtsinhaber geworden.
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Ist der Kunde Käufer eines unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Gegenstandes, erwirbt das Kreditinstitut daran zunächst nur ein (Sicherungs-)Anwartschaftsrecht. Erst bei vollständiger Bezahlung des Kaufpreises an den Lieferanten wird es Vollrechtsinhaber. Für die Ausübung der Insolvenzanfechtung ist gleichwohl der Zeitpunkt der Begründung des Anwartschaftsrechts maßgebend, da mit dessen Übertragung der Vermögensgegenstand nicht mehr zum Schuldnervermögen gehört.
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Nach Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages und Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 24 InsO kann der Eigentumserwerb durch das Kreditinstitut selbst herbeigeführt werden, indem es als Dritter gemäß § 267 BGB den Kaufpreis zahlt.
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Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kunden greift hinsichtlich des Kaufvertrages zwischen dem Vorbehaltsverkäufer und dem Kunden als Vorbehaltskäufer das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO. Welche Auswirkungen eine Nichterfüllungswahl für die Sicherungsposition des Kreditinstituts hat, ist noch nicht eindeutig geklärt. Nach der Aufgabe der Erlöschenstheorie bei Insolvenzeröffnung2 dürfte richtig sein, dass unabhängig von der Wahl des Insolvenzverwalters das Kreditinstitut in entsprechender Anwendung des § 268 BGB den noch ausstehenden Kaufpreis an den Vorbehaltsverkäufer zahlen und damit Vollrechtserwerb herbeiführen
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1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.347; Wallner, ZInsO 1999, 453. Str. – zum Streitstand: Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 166 Rz. 14. 2 BGH, Urteil v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, NJW 2006, 915.
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§9
Rz. 87
Beratung von Banken
kann. Das Kreditinstitut erwirbt in diesem Falle wie geplant Sicherungseigentum, an dem das Absonderungsrecht besteht1.
3. Globalzessionen 87
Als Kreditsicherheit können das Kreditinstitut und der Kunde Globalzessionen vereinbaren, bei dem alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen des Kunden durch ein umfassendes Verfügungsgeschäft auf das Kreditinstitut übertragen werden (vgl. hierzu sowie zur Abtretung von Einzelforderungen § 7 Rz. 175 ff.; zur Verwertung vgl. Rz. 309 ff.). Während die Übertragung der gegenwärtigen Forderungen mit dem Abschluss des Zessionsvertrages wirksam ist, gehen die künftigen Forderungen in dem Zeitpunkt auf das Kreditinstut über, in dem sie entstehen2. a) Forderungsentstehung vor Insolvenzeröffnung
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Entsteht die Forderung in der Krise des Kunden, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist der Rechtserwerb des Kreditinstituts wirksam. Dies gilt auch, wenn nach Stellung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Kunden nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird. § 24 InsO, der die Wirkungen des Verfügungsverbotes festlegt, verweist zwar auf § 81 InsO, so dass nach Antragsstellung vorgenommene Verfügungen des Kunden unwirksam sind. Allerdings ist die Entstehung einer von der Globalzession erfassten Forderung keine Verfügungshandlung des Kunden. Der Forderungserwerb des Kreditinstituts richtet sich demnach allein nach § 91 Abs. 1 S. 1 InsO, wonach Rechte an Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden können. Auf diese Rechtsfolge verweist § 24 InsO aber gerade nicht, so dass das Kreditinstitut bis zur Insolvenzeröffnung entstehende Forderungen wirksam erwirbt.
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Der wirksame Rechtserwerb des Kreditinstituts kann allerdings der Insolvenzanfechtung (hierzu umfassend § 10 Rz. 127 ff.) unterliegen, sofern es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt. Für die Anfechtbarkeit der Globalzession kommt es nicht auf den Zeitpunkt an, zu dem die Globalzession zwischen Kreditinstitut und Kunde vereinbart wurde. Entscheidend ist nach § 140 Abs. 1 InsO vielmehr der Zeitpunkt, zu dem die rechtlichen Wirkungen der Globalzession eintreten. Dies ist der Fall, wenn die einzelnen von der Globalzession erfassten Forderungen entstehen. Werden diese Forderungen zeitlich nach dem Vertragsschluss mit dem Drittschuldner durch Erfüllungshandlungen wie die Herstellung des Werkes bei einem Werkvertrag oder die Übergabe der Kaufsache bei einem Kaufvertrag „werthaltig“ gemacht, liegt darin eine selbständige anfechtbare Rechtshandlung3.
1 MüKo/Ganter, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 51 Rz. 86; Nerlich/Römermann/ Andres, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 51 Rz. 10; Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 43 Rz. 53. 2 BGH v. 11. 12. 1986 – IX ZR 78/86, NJW 1987, 1268. 3 BGH, Urteil v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 91
§9
Der Erwerb einer Forderung durch ein Kreditinstitut im Rahmen der Globalzession in dem Zeitraum der letzten drei Monate vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages ist in der Regel nur als kongruente Deckung gemäß § 130 InsO anfechtbar1. Auch bei dem zeitlich nachfolgenden „Werthaltigmachen“ der Forderung handelt es sich um eine kongruente Deckung, wenn dies für das Entstehen der Forderung zutrifft2. Die Qualifizierung als kongruente Deckung erfordert eine bestimmte, auf identifizierbare Gegenstände gerichtete Vereinbarung, die es nicht dem Ermessen oder dem Zufall überlässt, welche konkrete Sicherheit erfasst wird3. Die Entstehung künftiger, anhand des Inhalts der getroffenen Vereinbarung nicht von Anfang an identifizierbarer Rechte, begründet allerdings nicht generell eine inkongruente Deckung. Ist bei Abschluss des Globalzessionsvertrages das dingliche Rechtsgeschäft bereits vollzogen und zugleich die schuldrechtliche Seite derart konkretisiert, dass die abgetretenen Forderungen zumindest bestimmbar sind, liegt vielmehr eine kongruente Deckung vor. Der Umfang der in Zukunft im Rahmen der Globalzession auf das Kreditinstitut übergehenden Forderungen ist dann in abstrakter Form bereits rechtlich bindend festgelegt4. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Globalzession von dem AGB-Pfandrecht der Kreditinstitute (Nr. 14 Abs. 1 AGB-Banken und Nr. 21 Abs. 1 AGB-Sparkassen). Die Verpfändung von Forderungen durch das AGB-Pfandrecht erfolgt nicht aufgrund einer bestimmten, auf einen konkreten Gegenstand gerichteten Vereinbarung und ist daher als inkongruent zu qualifizieren5. Der Kunde kann nämlich selbst bestimmen, welche Vermögensgegenstände in den Zugriffsbereich des Kreditinstituts gelangen. Bei der Globalzession ist dies anders. Durch die schuldrechtliche Verpflichtung, an das Kreditinstitut als Sicherheit bestimmte Forderungen (regelmäßig alle Forderungen aus Lieferung und Leistung) abzutreten, steht dem Kreditinstitut ein Anspruch auf Abtretung genau dieser Forderung zu und es steht nicht im Ermessen des Kunden, ob er diese Forderung tatsächlich abtritt6.
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Eine Insolvenzanfechtung wegen kongruenter Deckung kommt nur in Betracht, wenn das Kreditinstitut im Zeitpunkt der Entstehung oder des „Werthaltigmachens“ der gesicherten Forderung die Zahlungsunfähigkeit des Kunden oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kannte. Ein wegen des revolvierenden Charakters der Globalzession vertretbares und die Anfechtung ausschließendes Bargeschäft nach § 142 InsO liegt nach Auffassung des
91
1 BGH, Urteil v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07. Mit diesem Urteil hat der BGH den Sicherungswert der Globalzessionen zu Gunsten der Kreditinstitute wieder deutlich gestärkt und die u.a. durch die anderslautenden Urteile des OLG Karlsruhe v. 8. 4. 2005 – 14 U 200/03, ZIP 2005, 1248 und OLG München v. 8. 6. 2006 – 19 U 5587/05, ZIP 2006, 2277 verursachte erhebliche Verunsicherung in der Praxis beseitigt. 2 BGH, Urteil v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07. 3 BGH, Urteil v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, NJW 2002, 1722 zur Anfechtbarkeit des AGBPfandrechtes wegen inkongruenter Deckung. 4 BGH, Urteil v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07. 5 BGH, Urteil v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, NJW 2002, 1722. 6 So bereits zutreffend Blum, ZInsO 2007, 528.
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§9
Rz. 92
Beratung von Banken
BGH allerdings nicht vor1. Denn die von dem Kreditinstitut zu erbringende Gegenleistung ist nach dieser Rechtsprechung nicht darin zu sehen, dass auf die Einziehung der abgetretenen Forderungen zugunsten des Kunden verzichtet wird, weil im Gegenzug neue Forderungen entstehen, sondern nur darin, dass es gewährte Kredite stehenlässt. Letzteres stellt allerdings keine gleichwertige Leistung im Sinne des § 142 InsO dar. Näheres zum Bargeschäft unter § 10 Rz. 293 ff. b) Forderungsentstehung nach Insolvenzeröffnung 92
Der Erwerb von nach Insolvenzeröffnung entstehenden Forderungen durch das Kreditinstitut ist gemäß § 91 Abs. 1 InsO nicht mehr möglich.
4. Immobiliarsicherheiten 93
Die Verwertung von Immobiliarsicherheiten können einerseits der Insolvenzverwalter nach § 165 InsO und andererseits das Kreditinstitut als Grundpfandrechtsgläubigerin nach § 49 InsO durch Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung betreiben (umfassend zu den Immobiliarsicherheiten, § 7 Rz. 141 ff.; zur Verwertung Rz. 24 ff.). Das Verwertungsrecht der Grundpfandrechtsgläubiger ist allerdings durch die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 30d, 153b ZVG (hierzu § 7 Rz. 250 ff.) eingeschränkt.
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Bei Durchführung eines gerichtlichen Zwangsverwaltungsverfahrens entsteht eine Kollisionslage zwischen den Rechten des Insolvenzverwalters zur Verwaltung der Insolvenzmasse nach § 80 Abs. 1 InsO und der Befugnis des Zwangsverwalters zur Verwaltung des Grundstücks nach § 152 ZVG2. Allerdings eröffnet § 153b ZVG die Möglichkeit, zugunsten einer wirtschaftlich sinnvollen Nutzung der Insolvenzmasse die Zwangsverwaltung auf Antrag des Insolvenzverwalters einstweilen einzustellen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zwangsverwaltung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits anhängig war oder erst nach Insolvenzeröffnung angeordnet wurde.
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Statt des gerichtlichen Zwangsverwaltungsverfahrens können die Grundpfandrechtsgläubiger und der Insolvenzverwalter vereinbaren, dass der Insolvenzverwalter selbst für die Grundpfandrechtsgläubiger die vermietete bzw. verpachtete Immobilie bewirtschaftet, die Miet- und Pachtzinsen einzieht („kalte Zwangsverwaltung“) und als Gegenleistung einen Anteil dessen als Vergütung für die Insolvenzmasse erhält3.
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Der Insolvenzverwalter kann zudem eine freihändige Verwertung des Grundstücks vornehmen. So kann im Interesse der Grundpfandgläubiger das kostenintensive und langwierige Zwangsversteigerungsverfahren vermieden und der höchste Erlös erzielt werden. Die Grundpfandrechtsgläubiger haben allerdings keinen Anspruch auf Durchführung der freihändigen Verwertung, die Entschei1 BGH, Urteil v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07 entgegen LG Berlin, Urteil v. 26. 1. 2007 – 23 O 32/06, ZinsO 2007, 555. 2 Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, § 153b Rz. 2. 3 Zu den Einzelheiten: Tetzlaff, ZinsO 2004, 521.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 100
§9
dung darüber obliegt allein dem Insolvenzverwalter. Entscheidet er sich dazu, muss regelmäßig eine Zusammenarbeit mit den Grundpfandrechtsgläubigern erfolgen, da es dem Insolvenzverwalter ohne deren Löschungsbewilligungen schwer fallen wird, Erwerber zu finden. Als Gegenleistung für die Verwertungsbemühungen des Insolvenzverwalters haben die Grundpfandrechtsgläubiger einen vereinbarten Kostenbeitrag aus dem Verwertungserlös an die Masse zu zahlen, der in der Praxis regelmäßig zwischen 1% und 10% liegt.
5. Bürgschaft Zur Bürgschaft und deren Verwertung in der Insolvenz des Hauptschuldners bzw. des Bürgen selbst wird vollumfänglich auf die Ausführungen unter § 7 Rz. 426 ff. verwiesen.
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6. Vertragliche Pfandrechte Vertragliche Pfandrechte können nach §§ 1204 ff. BGB als akzessorische Sicherheit an beweglichen Sachen, Forderungen oder Rechten bestellt werden (hierzu umfassend § 7 Rz. 151 ff.; zur Verwertung Rz. 265 ff.; zur Anfechtbarkeit des Vertragspfandrechts – auch des AGB-Pfandrechts – vgl. § 10 Rz. 67).
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a) Revolvierendes Pfandrecht Nr. 14 AGB-Banken und Nr. 21 AGB-Sparkassen enthalten als praktisch bedeutendste Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vereinbarung eines Pfandrechtes an den jeweiligen, der Verfügungsmacht des Kreditinstituts unterliegenden Vermögensgegenständen des Kunden. Die zur Begründung des Pfandrechts erforderliche dingliche Einigung nach §§ 1205 Abs. 1, 1274 Abs. 1 BGB liegt bereits in der Einbeziehungsvereinbarung der AGB bei Vertragsschluss1. Dies ermöglicht die automatische Sicherung auch kurzfristig entstehender Forderungen und damit die flexible und schnelle Krediteinräumung, z.B. durch Überziehung des Kontos2. Durch die vorweggenommene dingliche Einigung kommt insbesondere die Verpfändung der jeweiligen Kontoguthaben des Kunden in Betracht, die den Regelungen für die Bestellung und Verwertung eines Pfandrechts an Forderungen unterliegt. Handelt es sich dabei allerdings um ein Kontokorrentkonto ist die Entstehung des AGB-Pfandrechts regelmäßig inkongruent und daher regelmäßig – zumindest im 3-Monatszeitraum – anfechtbar.
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b) Pfandrecht an einzelnen Vermögenswerten Pfandrechte an beweglichen Sachen sind weitgehend durch die Sicherungsübereignung verdrängt worden, da der Eigentümer anders als bei der Verpfändung (§1205 BGB) den unmittelbaren Besitz an dem Gegenstand behalten darf 1 BGH v. 9. 6. 1983 – III ZR 105/82, NJW 1983, 2701. 2 Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen, Nr. 14 Rz. 320.
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§9
Rz. 101
Beratung von Banken
und die Übergabe durch die Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses ersetzt werden kann. 101
Gegenüber der Verpfändung von Forderungen hat sich weitgehend die Sicherungszession durchgesetzt, da es zur wirksamen Begründung keiner Anzeige an den Drittschuldner bedarf und sie still erfolgen kann. Nachteil der Sicherungszession ist allerdings das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 Abs. 2 InsO, welches die Kostenpauschalen nach § 171 InsO nach sich zieht.
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Die Verpfändung von Rechten nach § 1273 BGB betrifft regelmäßig die Verpfändung von Unternehmensbeteiligungen. Handelt es sich um eine Personengesellschaft ist die Verpfändung der Mitgliedschaft gemäß § 1274 Abs. 2 BGB nur möglich, wenn sie nach dem Gesellschaftsvertrag übertragbar ausgestaltet ist oder alle Gesellschafter einer Verpfändung zustimmen1. Erfolgt die Pfandverwertung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form durch öffentliche Versteigerung der Beteiligung nach § 1235 Abs. 1 BGB, kommt mit dem Zuschlag ein Kaufvertrag zwischen dem Kreditinstitut als Verkäufer und dem Bieter als Käufer zustande. Die sich daran anschließende Übereignung kann das Kreditinstitut als Pfandgläubiger im eigenen Namen vornehmen2. Wird dem Pfandgläubiger dagegen der Zuschlag selbst erteilt, bewirkt dies bereits die Übereignung3. Durch die Verpfändung von Unternehmensbeteiligungen und anschließender öffentlicher Versteigerung kann daher ein Gesellschafterwechsel erzwungen werden. Dies kann in der Krise des Kunden nützlich sein, um zur Umsetzung eines Sanierungsplans das Ausscheiden eines unliebsamen Gesellschafters zu erzwingen.
7. Wertpapiere 103
Wertpapiere (Aktien, Schatzbriefe, etc.) haben einen Börsen- oder Marktpreis. Sie können deshalb durch freihändigen Verkauf realisiert werden (§§ 1221, 1235 Abs. 2 BGB). Gerade bei Aktien stellt sich die Frage der Pfandverwertung wegen drohenden Verderbs (§ 1219 BGB). Der Vorteil liegt darin, dass die Verwertung nicht erst angedroht werden muss (§ 1220 BGB). Hat das Pfand einen Börsen- oder Marktpreis, steht dem dem Pfandgläubiger ein Wahlrecht zwischen freihändigem Verkauf nach § 1221 BGB und der Versteigerung nach § 1219 BGB zu4.
1 Palandt/Bassenge, BGB, § 1274 Rz. 6. 2 Dies ergibt sich aus § 1242 Abs. 1 BGB, wonach der Erwerber durch rechtmäßige Veräußerung des Pfandes die gleichen Rechte erlangt, wie wenn er die Sache vom Eigentümer erworben hätte. 3 Palandt/Bassenge, BGB, § 1239 Rz. 1. 4 Palandt/Bassenge, BGB, § 1221 Rz. 1; Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, § 93 Rz. 261.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 108
§9
8. Atypische Sicherheiten a) Patronatserklärungen Bei einer „harten Patronatserklärung“ verpflichtet sich eine Muttergesellschaft (Patron) gegenüber dem Kreditinstitut dazu, ihre Tochtergesellschaft ausreichend mit Kapital auszustatten, so dass die ihr gewährten Kredite fristgerecht zurückgeführt werden können.
104
Sollte es trotzdem zur Insolvenz des Kunden kommen, besitzt die Bank einen Zahlungsanspruch gegen die Muttergesellschaft, da diese ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ist1. Die Haftung der Muttergesellschaft ist nicht auf den Ausfall in dem Insolvenzverfahren des Kunden begrenzt, sondern der Patron und der Kunde haften dem Kreditinstitut nebeneinander auf das Ganze2. Näheres vgl. unter § 7 Rz. 484 ff.
105
Für „weiche Patronatserklärungen“ existieren eine Vielzahl von Formulierungen. Zumeist wird das Einverständnis mit einer Kreditaufnahme erklärt, das Vertrauen in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft bestätigt oder die Kontrolle der Tochter versichert. Aus solchen oder ähnlich lautenden Erklärungen kann das Kreditinstitut im Fall der Insolvenz der Tochtergesellschaft keine Ansprüche gegen die Muttergesellschaft herleiten. Sie sind daher als Kreditsicherheit nicht geeignet. Zu weiteren Einzelheiten vgl. § 7 Rz. 484 ff.
106
b) Garantie Steht dem Kreditinstitut eine Garantie auf erstes Anfordern zu, kann es den Garanten jederzeit zur Zahlung auffordern. Der Garant muss auf die bloße Zahlungsaufforderung hin leisten und ist weder berechtigt noch verpflichtet, zu prüfen, ob der Garantiefall eingetreten ist. Er kann sich im Gegensatz zum Bürgen nicht auf diejenigen Einwendungen berufen, die auch dem Hauptschuldner zustehen. Eine unberechtigte Inanspruchnahme kann der Garant vom Kreditinstitut nur im Rahmen eines Rückforderungsprozesses geltend machen. Kann die Inanspruchnahme allerdings sofort durch liquide Beweismittel als unberechtigt nachgewiesen werden, muss der Garant nicht zahlen. Ein Kreditinstitut sollte wegen des Risikos des Rückforderungsprozesses eine ihr als Sicherheit gegebene Garantie gleichwohl nur in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzungen hierfür auch tatsächlich vorliegen, d.h. wenn die durch die Garantie gesicherte Forderung fällig ist.
107
c) Verlustübernahmeerklärung Aufgrund einer Verlustübernahmeerklärung ist die Muttergesellschaft gegenüber den Gläubigern der Tochtergesellschaft zum Verlustausgleich (§ 302 1 BGH v. 25. 11. 1991 – III ZR 199/90, BGHR BGB § 305 Patronatserklärung 1, geht von einem Erfüllungsanspruch aus, während BGH v. 30. 1. 1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093 von einem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ausgeht. 2 BGH v. 30. 1. 1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093; a. A. OLG Celle v. 28. 6. 2000 – 9 U 54/00, OLGR Celle 2001, 39, wonach der Gläubiger nur den Quotenschaden geltend machen kann.
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1015
108
§9
Rz. 109
Beratung von Banken
AktG) und zur Sicherstellung (§ 303 AktG) verpflichtet. Der Anspruch auf Sicherstellung entsteht jedoch erst nach Beendigung des Organschaftsverhältnisses1. Zum insolvenzrechtlichen Schicksal vgl. § 7 Rz. 486. 109
Einstweilen frei. d) Negativerklärung
110
Durch eine Negativerklärung2 verpflichtet sich der Kunde, über ein bestimmtes Sicherungsgut, z.B. ein Grundstück, nicht zu verfügen oder andere Gläubiger besser zu stellen. Die Negativerklärung verfolgt das Ziel, das Vermögen des Kunden lastenfrei zu erhalten und eine Bevorzugung anderer Gläubiger bei der Bestellung von Sicherheiten zu verhindern3. Soweit der Kunde gegen die Verpflichtung verstößt und trotzdem über den Gegenstand verfügt, ist die Verfügung wirksam und er macht sich schadensersatzpflichtig. Diese Forderung ist eine einfache Insolvenzforderung und daher keine „echte“ Sicherheit.
9. Sicherheiten-Poolverträge 111
In der Krise des Kunden können sich mehrere Kreditinstitute durch Gründung eines so genannten Sicherheitenpools zur gemeinsamen Verwaltung von Sicherungsrechten zusammenschließen (vgl. § 7 Rz. 414 ff.). So können für eine aussichtsreiche Sanierung günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, indem sich die Mitglieder zu gemeinsamen Sanierungsmaßnahmen verpflichten. Durch Stillhaltevereinbarungen wird vermieden, dass durch Kündung einzelner Kreditverträge eine Sanierung unmöglich wird. Ferner ermöglicht regelmäßig erst die Einrichtung eines Sicherheitenpools eine Sanierungskreditvergabe durch Aufteilung der Valuta auf die verschiedenen Kreditinstitute4. In diesem Fall wird das Risiko einer hohen Kreditierung auf die einzelnen Vertragspartner verteilt und die Vergabebereitschaft gefördert. Im Falle der Insolvenz kann durch gemeinsame Geltendmachung und Verwertung der Sicherheiten eine bestmögliche Aufstellung der Sicherungsnehmer erreicht werden, indem unter ihnen Abgrenzungsschwierigkeiten verschiedener Sicherheiten minimiert werden können. Durch eine geordnete Verwertung kann zudem eine Steigerung des Verwertungserlöses erreicht werden.
112
In einem solchen Pool hält regelmäßig ein Poolführer die Sicherheiten treuhänderisch für alle Mitglieder. Als Vollrechtstreuhänder (fiduziarische Treuhand) liegt die dingliche Berechtigung an den Sicherheiten bei ihm. Das Treuhandverhältnis ist offen doppelseitig ausgestaltet: Im Innenverhältnis zu den Mitgliedern ist der Poolführer schuldrechtlich als Verwaltungstreuhänder aus dem Sicherheitenpoolvertrag, gegenüber dem Kreditnehmer ist er als Sicherungs1 2 3 4
Vgl. § 303 Abs. 1 AktG. Zur Positiverklärung bereits unter „Nachbesicherung bestehender Kredite“, Rz. 63 ff. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.228. Vgl. zu den Anforderungen an einen zulässigen Sanierungskredit die Ausführungen unter „Neugeschäft: Sanierungskredit“, Rz. 20 ff. Die Neukreditvergabe durch einen Pool unterliegt denselben Voraussetzungen wie die Kreditvergabe durch ein einzelnes Kreditinstitut.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 113
§9
treuhänder aus der getroffenen Sicherungsabrede gebunden. Erfolgt eine originäre Bestellung der Sicherheiten an einen Poolführer, übernimmt er als Sicherungsnehmer von Beginn an die treuhänderische Verwaltung und Verwertung. Wurden die Sicherheiten zunächst zu Gunsten einzelner Kreditinstitute bestellt, ist ihre nachträgliche Einbringung in einen Sicherheitenpool durch Übertragung auf den Sicherheitenpoolführer möglich. Es findet also ein Wechsel im Sicherungsnehmer statt. Zu beachten ist, dass akzessorische Sicherheiten wegen der notwendigen Identität zwischen Forderungsgläubiger und Sicherungsnehmer nur dann auf den Poolführer übertragen werden können, wenn zugleich die zu sichernden Forderungen treuhänderisch an ihn zediert werden1. Bei der Einbringung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen in den Pool ist Folgendes zu beachten: Zahlt ein Schuldner des Kunden (Drittschuldner) in Unkenntnis der treuhänderischen Abtretung an ein anderes als das poolführende Kreditinstitut, ist es regelmäßig verpflichtet, die bei ihm eingehende Zahlung dem Pool zur Verfügung zu stellen. Das Risiko des Sicherheitenverlustes kann somit durch die Poolvereinbarung minimiert werden, erfährt allerdings durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Einschränkung2. Im Falle der Insolvenz des Kunden kann der Insolvenzverwalter die Rückführung debitorischer Kontokorrentlinien anfechten und Gutschrift des Betrages verlangen, wenn der Drittschuldner an ein nicht-poolführendes Kreditinstitut zahlt. Ein insolvenzfestes Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 1 InsO, welches diesem Anspruch entgegenstünde, steht dem Kreditinstitut nicht zu. Die treuhänderische Abtretung der Sicherungsrechte an den Poolführer führen zu dessen alleiniger dinglicher Berechtigung. Allein die auf dem Treuhandverhältnis beruhende schuldrechtliche Berechtigung der übrigen Kreditinstitute rechtfertigt keine Behandlung des nicht-poolführenden Kreditinstituts als Absonderungsberechtigten im Sinne des § 51 Nr. 1 InsO3. Müssen sich die Kreditinstitute die Rechtshandlung des Drittschuldners nach § 407 Abs. 1 BGB zurechnen lassen, erlischt die zur Sicherung abgetretene Forderung nach § 362 Abs. 1 BGB und sie ist als Sicherheit für den Pool verloren. Dies kann verhindert werden, indem die Abtretung an das poolführende Kreditinstitut dem Drittschuldner angezeigt wird. Zahlt der Drittschuldner in diesem Fall gleichwohl an ein anderes Kreditinstitut, wird er von seiner Verbindlichkeit nicht befreit.
1 Aus dem angelsächsischen Rechtskreis stammt das Konzept der „parallel debt“, bei dem der Kreditnehmer ein abstraktes Schuldanerkenntnis in Höhe des Gesamtkredits gegenüber dem Sicherheitenpoolführer abgibt, für das die akzessorischen Sicherheiten bestellt werden. 2 BGH v. 2. 6. 2005 – IX ZR 181/03, DZWir 2006, 29. 3 Der Eingang der Zahlung eines Drittschuldners auf das Konto des Schuldners lässt auch kein insolvenzfestes Pfandrecht nach Nr. 14 AGB-Banken und Nr. 21 AGB-Sparkassen bzw. einer speziellen Pfandrechtsklausel in der Sicherungsabrede entstehen. Dieses kann erst bei hinreichender Konkretisierung entstehen, was nach Insolvenzeröffnung zu dessen Anfechtbarkeit führt. Die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, NJW 2003, 360) zur Insolvenzfestigkeit wegen des Austauschs gleichwertiger Sicherungsrechte – zur Sicherung abgetretene Forderung und Pfandrecht – findet mangels Identität von Forderungsinhaber (Poolführerin) und Pfandrechtsinhaber (kontoführende Bank) keine Anwendung.
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113
§9
Rz. 114
Beratung von Banken
Die Befürchtung, dass diese Rechtsprechung insgesamt der Bildung von Sicherheitenpools entgegensteht, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt und dürfte durch eine neuere Entscheidung zur Sicherungszweckerklärung bei Grundschulden ausgeräumt sein1.
V. Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz 114
Zur Beurteilung der Auswirkungen der Insolvenz eines Kunden auf die Geschäftsverbindung zu dem Kreditinstitut ist zwischen der Geschäftsbeziehung im Allgemeinen und den einzelnen Kontoverträgen zu unterscheiden.
1. Geschäftsbeziehung im Allgemeinen 115
Mit Aufnahme der Geschäftsverbindung zwischen dem Kreditinstitut und ihrem Kunden entsteht, sofern die Geschäftsverbindung auf den Abschluss einer Vielzahl von Einzelverträgen gerichtet ist, ein gesetzliches Schuldverhältnis mit Schutz- und Verhaltenspflichten, wozu insbesondere die Einhaltung des Bankgeheimnisses und die Wahrung der gegenseitigen Vermögensinteressen zählen.
116
Die Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages über das Vermögen des Kunden sowie die gerichtliche Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen und schließlich auch die Insolvenzeröffnung beenden nicht das auf der Gesamtgeschäftsbeziehung des Kreditinstituts zu ihrem Kunden beruhende gesetzliche Schuldverhältnis mit seinen Schutz- und Verhaltenspflichten2.
117
Sofern nach einem Teil der Literatur3 die Grundlage der Gesamtgeschäftsverbindung zwischen dem Kreditinstitut und dem Kunden ein eigenständiger allgemeiner Bankvertrag als Grund- oder Rahmenvertrag bildet, ergeben sich hieraus keine wesentlichen Unterschiede4. Ein solcher allgemeiner Bankvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter erlischt nach §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Verpflichtung des Kreditinstituts zur Verschwiegenheit sowie die Pflicht zur gegenseitigen Wahrung der Vermögensinteressen bleiben davon allerdings unberührt.
2. Girovertrag 118
Der gemäß §§ 676 f. BGB geregelte Girovertrag ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter, der als Rahmenvertrag auf Abwicklung bargeldlosen Zahlungsverkehrs des Kunden gerichtet ist. Das Kreditinstitut ver1 2 3 4
BGH v. 21. 2. 2008 – IX ZR 255/06, ZInsO 2008, 317. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.12, 2.54. Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski/Bunte, Bankrechtshandbuch, § 2 Rz. 2. BGH v. 24. 9. 2002 – XI ZR 345/01, NJW 2002, 3695 hält die Annahme eines allgemeinen Bankvertrages als Rahmenvertrag mit Blick auf das gesetzliche Schuldverhältnis für überflüssig und hat sich gegen seine Existenz ausgesprochen.
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Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz
Rz. 122
§9
pflichtet sich zur Führung eines laufenden Kontos, zur Gutschrift eingehender Zahlungen sowie zur Ausführung von Überweisungsaufträgen zu Lasten des Kontos. Im Gegenzug verpflichtet sich der Kunde zur Erstattung von Aufwendungen des Kreditinstituts für weisungsgemäß erledigte Zahlungsausgänge1. Durch die Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung wird der Girovertrag nicht berührt. Erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen nach §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO alle Geschäftsbesorgungsverträge und somit auch der Girovertrag. Abgesehen von der Notgeschäftsführung nach § 115 Abs. 2 InsO ist das Kreditinstitut zur weiteren Wahrnehmung der Schuldnerinteressen nicht mehr berechtigt und kann Forderungen gegen die Insolvenzmasse nicht mehr erlangen2. Kannte das Kreditinstitut allerdings ohne sein Verschulden die Verfahrenseröffnung nicht, gilt der Girovertrag nach § 115 Abs. 3 S. 1 InsO als fortbestehend. Das Kreditinstitut erlangt aus dieser Fortsetzung gemäß § 115 Abs. 3 S. 2 InsO Ersatzansprüche als einfache Insolvenzforderungen.
119
3. Kontokorrentvertrag Das Girokonto wird regelmäßig als Kontokorrentkonto geführt. Die beiderseitigen aus der Geschäftsverbindung herrührenden Ansprüche und Leistungen werden fortlaufend in eine zusammengefasste Rechnung mit dem Ziel der periodischen Verrechnung und der Feststellung eines Saldos eingestellt und können somit nicht mehr selbständig geltend gemacht und getilgt werden, so genannte antizipierte Verfügungs- und Verrechnungsvereinbarung3. Mit Anerkennung des Saldos – regelmäßig durch Genehmigungsfiktion in Nr. 7 Abs. 2 S. 2 AGB-Banken bzw. Nr. 7 Abs. 3 S. 2 AGB-Sparkassen – erlöschen die in die Rechnung aufgenommenen Ansprüche und es entsteht ein Saldo als abstraktes Schuldanerkenntnis4, welcher als erster Anspruch in die nächste Rechnungsperiode eingeht.
120
a) Kontokorrentvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren Die Auswirkungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens auf die Kontokorrentabrede hängen davon ab, ob das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Kunden nach § 21 InsO anordnet.
121
Verhängt das Insolvenzgericht keine vorläufigen Maßnahmen, besteht die Verfügungsbefugnis des Kunden unverändert fort. Das Kreditinstitut muss daher – wenn es von seinem Kündigungsrecht nach Nr. 19 AGB-Banken bzw. Nr. 26 AGB-Sparkassen keinen Gebrauch macht – den Zahlungsverkehr weisungsgemäß ausführen, während Zahlungseingänge nach gewissen Zeitabschnitten im Kontokorrent verrechnet werden können.
122
1 2 3 4
Palandt/Sprau, § 676 f. Rz. 4; 16. Uhlenbruck/Berscheid, §§ 115, 116 Rz. 11. Schimansky in Schimansky/Bunte/Lwowski/Bunte, Bankrechtshandbuch, § 2 Rz. 2. BGH v. 4. 7. 1985 – IX ZR 135/84, NJW 1985, 3007.
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§9
Rz. 123
Beratung von Banken
123
Ordnet das Insolvenzgericht allerdings ein allgemeines Verfügungsverbot an, sind alle nach seiner Anordnung vorgenommenen rechtsgeschäftlichen Verfügungen des Kunden über die zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände nach §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 S. 1 InsO unwirksam. Dies hat zur Folge, dass der Kunde Verrechnungsvereinbarungen nicht mehr schließen darf. Die dem Kontokorrentvertrag zugrundeliegende antizipierte Verrechnungsvereinbarung ist allerdings eine Vorausverfügung, die der Kunde vor Erlass des Verfügungsverbotes vorgenommen hat. Vorausverfügungen werden von der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes nicht berührt, denn die Insolvenzmasse ist vor damit verbundenen Schmälerungen im Eröffnungsverfahren durch die Anfechtungsvorschriften geschützt1. Das Kreditinstitut kann demnach weiterhin Zahlungseingänge mit einem debitorisch geführten Konto verrechnen2. Da auch der Girovertrag trotz Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes nicht erlischt, muss das Kreditinstitut das Konto für Zahlungseingänge auch weiterhin offen halten.
124
Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann die Verrechnung der Zahlungseingänge im Rahmen der Kontokorrentabrede während des Insolvenzeröffnungsverfahrens allerdings nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig und damit im Ergebnis nicht insolvenzfest sein, wenn das Kreditinstitut die Möglichkeit der Verrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO erlangt hat (hierzu umfassend § 10 Rz. 127 ff.)3. Die Anfechtbarkeit ist aber ausgeschlossen, wenn der Kunde dem Kreditinstitut die Forderung, die der Zahlungsauftraggeber begleichen wollte, zur Sicherheit abgetreten hatte, weil es in diesem Fall an der gemäß § 129 Abs. 1 InsO für sämtliche Anfechtungstatbestände zwingend erforderlichen Gläubigerbenachteiligung fehlt (hierzu § 10 Rz. 45). Etwas anderes gilt allerdings, wenn das Kreditinstitut bereits sein Absonderungsrecht in anfechtbarer Weise erlangt hat. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Erwerb von künftigen Forderungen, die der Kunde im Wege einer Globalzession an die Bank abgetreten hatte, eine kongruente Deckung im Sinne des § 130 InsO darstellt und die Anfechtbarkeit demnach von dem Kenntnisstand des Kreditinstitutes von der Zahlungsunfähigkeit des Kunden abhängt4. Die Anfechtbarkeit ist zudem nach den Grundsätzen des Bargeschäfts nach § 142 InsO ausgeschlossen, wenn das Kreditinstitut eine bestehende Kontokorrentkreditlinie offen hält und dem Kunden in 1 BGH v. 20. 3. 1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737; OLG Celle v. 7. 1. 1998 – 13 U 78/97, ZinsO 1998, 235; LG Rostock v. 30. 10. 2001 – 10 O 203/01, ZIP 2002, 270; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.136; a. A. OLG Koblenz v. 29. 11. 1983 – 3 U 1638/82, ZIP 1984, 164; OLG Düsseldorf v. 14. 11. 1985 – 6 U 95/85, NJW-RR 1986, 1239. 2 Die Gegenansicht, nach der die Anordnung eines Verfügungsverbotes die Beendigung der antizipierten Verrechnungsabrede bewirkt, führt wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis, da das Kreditinstitut weiterhin zur Aufrechnung nach § 387 ff. BGB befugt ist. Die Aufrechnungsbefugnis wird vom Verfügungsverbot nicht berührt und richtet sich abschließend nach den Regelungen der §§ 94 ff. InsO, die erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung finden. 3 Nach BGH v. 12. 7. 2007 – IX ZR 120/04, ZIP 2007, 1467 ist es für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unerheblich, ob eine vertraglich vereinbarte Verrechnung aufgrund der Kontokorrentabrede erfolgt oder das Kreditinstitut die Aufrechnung erklärt. 4 Str., vgl. hierzu umfassend unter „Globalzession“, 87 ff.
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Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz
Rz. 127
§9
Höhe der eingegangenen Beträge Verfügungen gestattet hat (hierzu umfassend § 10 Rz. 135 ff.). b) Kontokorrentvertrag im Insolvenzverfahren Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt die Kontokorrentabrede, da es mit dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens, eine gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger herbeizuführen, unvereinbar wäre, das Weiterbestehen der antizipierten Verfügungsvereinbarungen über den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hinaus anzunehmen1. Eingehende Zahlungen kann das Kreditinstitut trotz des aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschenen Girovertrages wegen dessen Nachwirkungen weiterhin entgegennehmen, muss sie dann aber auf dem Konto gutschreiben bzw. herausgeben2. Eine Verrechnung mit dem debitorischen Konto ist unzulässig. Das Kreditinstitut darf mit seiner Forderung aus dem Debetsaldo auch nicht gegen die Forderung des Kunden auf Herausgabe des Geldbetrages aufrechnen (zur Aufrechnung umfassend § 7 Rz. 488 ff.). Dem steht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen, wenn das Kreditinstitut erst nach Insolvenzeröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist. Der Anspruch auf Herausgabe des Zahlungsbetrages entsteht in dem Zeitpunkt, indem das Kreditinstitut buchmäßige Deckung erhalten hat3.
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4. Sonderkonten a) Gemeinschaftskonto Das Gemeinschaftskonto als solches wird durch das Eröffnungsverfahren selbst noch nicht berührt, eine Saldierung ist auch bei Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots gegen einen der Mitinhaber nicht erforderlich. Beim Gemeinschaftskonto mit Einzelverfügungsbefugnis (Oder-Konto) darf der vom Verfügungsverbot nicht betroffenen Mitinhaber weiter über das Konto verfügen4. Bei einem Gemeinschaftskonto mit gemeinsamer Verfügungsbefugnis (Und-Konto) verhindert das Verfügungsverbot für einen der Berechtigten freilich jegliche weitere Verfügung5, ohne Einbeziehung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters.
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Auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens berührt den Girovertrag und die Kontokorrentabrede als solche nicht. Das Gemeinschaftskonto als ist nicht Bestandteil der Insolvenzmasse, ihr ist allein der Auseinandersetzungsanspruch des Insolvenzschuldners zugehörig. Das Kreditinstitut ist dementsprechend berechtigt, auch weiterhin Zahlungseingänge in das Kontokorrent einzustellen und mit einem debitorischen Saldo zu verrechnen6. Die Auseinandersetzung
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1 BGH v. 4. 5. 1979 – I ZR 127/77, MDR 1979, 821. Das Kontokorrentverhältnis erlischt mangels Geschäftsbesorgungscharakter nicht nach §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO, so dass die Fortbestehensfiktion nach §§ 116 S. 1, 115 Abs. 3 S. 1 InsO nicht gilt. 2 BGH v. 5. 12. 2006 – XI ZR 21/06, NJW 2007, 914. 3 BGH v. 20. 6. 2002 – IX ZR 177/99, NJW-RR 2002, 1419. 4 Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 761. 5 Obermüller/Wunderer in BuB Rz. 15/163. 6 BGH v. 10. 6. 1985 – III ZR 63/84, WM 1985, 1059.
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§9
Rz. 128
Beratung von Banken
findet nach Maßgabe des § 84 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens statt, so dass sich die Begünstigung der Insolvenzmasse durch das Guthaben nach der materiellen Berechtigungen der Kontoinhaber bemisst1. 128
Aus §§ 427, 421 ergibt sich die gesamtschuldnerische Haftung der Inhaber für alle Ansprüche des Kreditinstituts aus dem debitorischen Gemeinschaftskonto; regelmäßig wird diesbezüglich auch eine ausdrückliche Abrede getroffen2. Der Insolvenzverwalter muss Zahlung von dem Mitinhaber verlangen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Gemeinschaftskonto als Und-Konto oder als Oder-Konto geführt wird3. Die Befugnis des Insolvenzverwalters, mögliche Verrechnungen mit Zahlungseingängen anzufechten, bleibt davon unberührt.
129
Bei einem Guthaben aufweisenden Oder-Konto tritt der Insolvenzverwalter an die Stelle des Schuldners, § 80 Abs. 1 InsO, und kann daher die Auszahlung des Guthabens an sich verlangen. Die gleiche Berechtigung haben allerdings auch die nicht insolventen Kontoinhaber inne. Solange nicht einer der Kontoinhaber die Einzelverfügungsbefugnis widerruft4, leistet das Kreditinstitut nach zutreffender Ansicht mit befreiender Wirkung an denjenigen, der zuerst Auszahlung verlangt5.
130
Eine Leistung von einem Und-Konto kann der Insolvenzverwalter nur unter Mitwirkung der übrigen Mitinhaber verlangen. Inwieweit die Mitinhaber hierzu verpflichtet sind, hängt vom Innenverhältnis ab, das dem Kreditinstitut regelmäßig unbekannt sein wird6. Nach zutreffender Ansicht kann das Kreditinstitut die Auskehrung eines Guthabens bei fehlender Zustimmung aller Mitinhaber selbst dann verweigern, wenn sie um die Verpflichtung der Mitinhaber zur Zustimmung weiß. Es ist Sache des Insolvenzverwalters, die Zustimmung beizubringen, notfalls mit gerichtlicher Hilfe. b) Treuhandkonto
131
Beim Treuhandkonto ist ein allgemeine Verfügungsverbot im Eröffnungsverfahren nur von Bedeutung, soweit es sich gegen den Treuhänder richtet7. Die von ihm betreuten Treuhandkonten sind vom Verfügungsverbot nicht ausgenommen. Ob es sicht um eine offene Treuhand handelt, bei der der Treuhänder den Fremdverwaltungscharakter bei Kontoeröffnung angezeigt hat, oder 1 BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 16/85, WM 1985, 1059; OLG Rostock v. 11. 9. 2003 – 7 W 54/03, ZInsO 2003, 1002; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 63; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.68 ff.; Kohte in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 313 Rz. 39. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.70. 3 BGH v. 8. 7. 1985 – II ZR 16/85, WM 1985, 1059; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 63; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.68 ff.; Kohte in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 313 Rz. 39. 4 Dies wird in den Kontoverträgen regelmäßig zugelassen. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.72; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 28, jew. m.w.N.; vgl. auch BGH v. 29. 11. 1989 – IVb ZR 4/89, ZIP 1990, 86 zur Ausgleichspflicht nach § 430 BGB unter Ehegatten. 6 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.77; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 73 f., jew. m.w.N. 7 Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 43 f.
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Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz
Rz. 137
§9
um eine verdeckte Treuhand, ist ohne Belang. Dies gilt auch für Anderkonten als Unterform der offenen Treuhandkonten. Die Insolvenz des Treugebers bringt das Treuhandverhältnis gemäß §§ 115, 116 InsO zum Erlöschen. Davon bleibt das Rechtsverhältnis zwischen Kreditinstitut und Treuhänder allerdings unberührt, sodass der Insolvenzverwalter lediglich einen Anspruch auf Herausgabe des Guthabens gegen den Treuhänder innehat, nicht aber unmittelbar gegen das Kreditinstitut. Der Aufwendungsersatzanspruch des Treuhänders ist Insolvenzforderung. Für ein debitorisch geführtes Konto haftet der Treuhänder dem Kreditinstitut aus dem Kontoverhältnis, und zwar einschließlich der Sollzinsen1.
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In der Insolvenz des Treuhänders rückt der Insolvenzverwalter in die Stellung des Schuldners gegenüber dem Kreditinstitut ein. Dessen Anweisungen und Verfügungen sind für das Kreditinstitut beachtlich. Dies gilt unabhängig von ihrer Vereinbarkeit mit dem Inhalt des Treuhandverhältnisses. Der Treugeber kann allerdings ein Aussonderungsrecht gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen2. Dies gilt etwa für Mietkautionskonten auf den Namen des Vermieters. Bei Konten nach der Makler- und Bauträgerverordnung haben sich die Kreditinstitute nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MaBV überdies verpflichtet, den Auftraggeber über das eröffnete Insolvenzverfahren zu informieren3.
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Einstweilen frei.
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Beim Anderkonto sollen die standesrechtlich orientierten Regelungen der Anderkontobedingungen das Insolvenzrecht überlagern4. Danach soll das Guthaben auf einen von der Kammer bestellten Sonderrechtsnachfolger übergehen. Obermüller5 weist zutreffend darauf hin, dass dies zumindest dann problematisch ist, wenn nicht eindeutig feststeht, dass die auf dem Anderkonto gebuchten Zahlungen ausschließlich Treugut sind.
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c) GbR-Konto Für das Konto einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gelten im Eröffnungsverfahren bzw. im Insolvenzverfahren die Ausführungen zum Einzelkonto entsprechend.
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Die Insolvenz nur eines der Gesellschafter betrifft die Beziehungen der Gesellschaft zum Kreditinstitut nicht unmittelbar. Im Eröffnungsverfahren sind die übrigen Gesellschafter allerdings zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt. Mit Verfahrenseröffnung wird die Gesellschaft von Rechts wegen aufgelöst, § 728 Abs. 2 BGB, sofern keine Fortsetzungsvereinbarung im Gesellschaftsvertrag getroffen wurde, § 736 BGB. In diesem Falle ordnet das Gesetz unabhängig von den Abreden im Gesellschaftsvertrag Gesamtvertretung an,
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1 OLG Düsseldorf v. 19. 5. 1988 – 6 U 215/87, NJW-RR 1989, 434; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 70. 2 Obermüller/Wunderer in BuB, Rz. 15/327; Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 759. 3 Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 759. 4 Gößmann, WM 2000, 857 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.90.
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§9
Rz. 138
Beratung von Banken
§ 730 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BGB, wobei die Rolle des Insolvenzschuldners vom Insolvenzverwalter wahrgenommen wird.
VI. Zahlungsverkehr 138
Die Auswirkungen der einzelnen Insolvenzstadien eines Kunden auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr richten sich nach der Art des konkreten Zahlungsmittels, also danach ob es sich um Überweisungen oder Lastschriften handelt.
1. Überweisungsverkehr 139
Der Überweisungsvertrag ist ein durch §§ 676a – 676c BGB geregelter Einzelvertrag, durch den der Kunde sein kontoführendes Kreditinstitut beauftragt, eine bestimmte Überweisung zur Gutschrift auf das Konto des Überweisungsempfängers durchzuführen1. Die insolvenzrechtlichen Auswirkungen sind danach zu beurteilen, ob der insolvente Kunde der Überweisungsauftraggeber oder der Überweisungsempfänger ist. a) Insolvenz des Überweisungsauftraggebers aa) Insolvenzeröffnungsverfahren
140
Sofern das Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen im Sinne des § 21 InsO anordnet, besteht die Verfügungsbefugnis des Kunden unverändert fort, so dass er weiterhin unbeschränkt Überweisungsverträge abschließen kann.
141
Hat das Kreditinstitut keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Insolvenzantrag, wird es den Überweisungsauftrag ausführen und das Konto in der Höhe des Überweisungsbetrages belasten. Entsteht so ein debitorischer Saldo, muss das Kreditinstitut seine Forderung im Falle der Insolvenzeröffnung als einfache Insolvenzforderung geltend machen, sofern keine Sicherheiten zur abgesonderten Befriedigung berechtigen. Hat das Kreditinstitut Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Insolvenzantrag muss es den Auftrag gemäß § 676a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 3 BGB gleichwohl ausführen, sofern ausreichendes Guthaben vorhanden ist. Entsteht durch die Kontoverfügung ein debitorischer Saldo oder erhöht sich dieser, kann das Kreditinstitut den Überweisungsauftrag nach § 676a Abs. 3 S. 1 BGB kündigen, sofern es dem Kunden keine Überziehungsmöglichkeit eingeräumt oder einen Kredit zugesagt hat. Bewegt sich der Auftrag hingegen innerhalb einer zugesagten Kreditlinie muss das Kreditinstitut ihn ausführen. Um die Ausführung der Überweisung verweigern zu dürfen, sollte es nach §§ 676a Abs. 3 S. 1, 490 Abs. 1 BGB von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht2 wegen wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kunden Gebrauch machen. Regelmäßig kann
1 Palandt/Sprau, § 676a Rz. 1. 2 Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken, Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen.
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Zahlungsverkehr
Rz. 148
§9
die Ausführung aber auch schon vor Kündigung nach § 321 BGB (Unsicherheiteneinrede) verweigert werden. Ordnet das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO an, ist wiederum zu unterscheiden, ob das Kreditinstitut Kenntnis vom Verfügungsverbot hatte.
142
Bei Kenntnis vom Verfügungsverbot, ist eine nach dem Stand der Bearbeitung des Überweisungsauftrags differenzierte Beurteilung erforderlich:
143
Hat das Kreditinstitut das Angebot auf Abschluss des Überweisungsvertrages noch nicht angenommen, kann es den Abschluss ohne Angabe von Gründen nach § 676a Abs. 3 S. 1 BGB verweigern1.
144
Erlangt das Kreditinstitut erst nach Abschluss des Überweisungsvertrages Kenntnis vom allgemeinen Verfügungsverbot, ist weiter zu differenzieren:
145
Das Kreditinstitut muss die Überweisung ausführen, wenn das Konto Guthaben aufweist. Zur Kündigung des Überweisungsvertrages ist das Kreditinstitut gemäß § 676a Abs. 3 S. 1 BGB nur berechtigt, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Überweisungsauftraggebers eröffnet wurde. Die Anordnung eines Verfügungsverbotes kann aber wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung nicht mit der Verfahrenseröffnung gleichgesetzt werden2. Der Aufwendungsersatzanspruch des Kreditinstituts kann gegen die Guthabenforderung des Kunden verrechnet werden. Die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 InsO finden keine Anwendung. Eine Anfechtung der Verrechnung scheidet gegenüber dem Kreditinstitut aus und ist nur gegenüber dem Überweisungsbegünstigen möglich3.
146
Ist das Konto debitorisch geführt oder entstünde ein debitorischer Saldo, kann das Kreditinstitut gemäß § 676a Abs. 3 S. 1 BGB die Ausführung der Überweisung verweigern, wenn sie die zugesagte Kreditlinie kündigt. Entscheidet es sich gleichwohl zur Ausführung der Überweisung, kann es im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens seinen Aufwendungsersatzanspruch, falls Sicherheiten bestellt sind, im Wege der abgesonderten Befriedigung, andernfalls als einfache Insolvenzforderung geltend machen.
147
Führt das Kreditinstitut in Unkenntnis des Verfügungsverbotes die Überweisung aus, wird es durch die Zahlung an den Überweisungsempfänger nach §§ 24 Abs. 1, 82 InsO von seiner Schuld gegenüber dem Kunden befreit. Die ordnungsgemäße Ausführung eines Überweisungsauftrages stellt nämlich eine Leistung an den überweisenden Kunden dar4. Sofern durch die Überweisung ein debitorischer Saldo entsteht oder erhöht wird, muss das Kreditinstitut seinen Aufwendungsersatzanspruch als einfache Insolvenzforderung geltend
148
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.12 f. 2 Uhlenbruck/Berscheid, Kommentar zur Insolvenzordnung, §§ 115, 116 Rz. 33; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.13d mit ausführlicher Argumentation unter Hinweis auf das Überweisungsgesetz. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.13 f. 4 BGH v. 15. 11. 2005 – XI ZR 265/04, WM 2006, 28.
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§9
Rz. 149
Beratung von Banken
machen1, kann aber aus bestellten Sicherheiten abgesonderte Befriedigung verlangen. 149
Bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis, kann der weiterhin verfügungsbefugte Kunde uneingeschränkt Überweisungsverträge schließen. Das Kreditinstitut kann sich unter den selben Voraussetzungen vom Überweisungsvertrag lösen, die ohne Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen gelten.
150
Ist hingegen ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, wird dieser die bestehende Kontobeziehung regelmäßig nicht fortsetzen, sondern zum Zwecke der Abwicklung des Zahlungsverkehrs ein neues Konto einrichten. Vereinbaren das Kreditinstitut und der Insolvenzverwalter eine Überziehungsmöglichkeit, entstehen im Falle der Insolvenzeröffnung entweder vorab zu berichtigende Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO (sofern das Konto auf den Namen des Kunden lautet) oder der Insolvenzverwalter wird persönlich verpflichtet (sofern das Konto als Anderkonto auf seinen Namen lautet)2.
151
Überweisungen, die der Bankkunde noch vor Einsetzung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters beauftragt hat, kann dieser gemäß § 676a Abs. 4 BGB kündigen, demnach vor Beginn der Ausführungsfrist jederzeit, danach nur noch, wenn die Kündigung dem Kreditinstitut des Überweisungsempfängers vor dem Zeitpunkt zugeht, zu dem ihr der Überweisungsbetrag zur endgültigen Gutschrift auf dem Konto des Überweisungsempfängers zur Verfügung gestellt wird. Versäumt der Insolvenzverwalter diesen Zeitpunkt, muss er die Zahlung gegenüber dem Überweisungsempfänger nach §§ 129 ff. InsO anfechten. bb) Insolvenzverfahren
152
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet der das Kreditinstitut zur Ausführung von Überweisungsverträgen verpflichtende Girovertrag nach §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO. Ein zu diesem Zeitpunkt bereits zustandegekommener Überweisungsvertrag erlischt gemäß § 116 S. 3 InsO nicht infolge der Insolvenzeröffnung. Der Insolvenzverwalter kann die Ausführung des Überweisungsauftrages nur durch Ausübung des Kündigungsrechtes nach § 676a Abs. 4 InsO verhindern. Auch das Kreditinstitut kann den Überweisungsvertrag gemäß § 676a Abs. 3 S. 1 BGB kündigen. Entscheidet es sich zur Ausführung des Überweisungsvertrages, erwirbt es einen als Masseforderung vorab zu berichtigenden Anspruch, § 116 S. 3 Hs. 2 InsO.
153
Neue Überweisungsverträge kann der Kunde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr abschließen, da seine Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen ist. Weist das Konto ein Guthaben auf und nimmt das Kreditinstitut in Unkenntnis der Insolvenzeröffnung das Angebot auf Abschluss des Überweisungsvertrages an und führt es die Überweisung aus, kann es gemäß § 82 InsO mit befreiender Wirkung gegenüber dem Kontoinhaber leisten ohne vom Insolvenzverwalter ein weiteres Mal 1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.15a. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.18.
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Zahlungsverkehr
Rz. 156
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in Anspruch genommen werden zu können1. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes im Eröffnungsverfahren. Wurde das Konto debitorisch geführt, erlangt das Kreditinstitut einen nach §§ 116 S. 1, 115 Abs. 3 InsO als einfache Insolvenzforderung geltend zu machenenden Anspruch. Einen Absonderungsanspruch erhält das Kreditinstitut, wenn ihm für diese Forderungen Sicherheiten haften2. Hatte das Kreditinstitut hingegen Kenntnis von der Insolvenzeröffnung und führt es die Überweisung dennoch aus, erwirbt es keine Rechte gegen die Masse. Eine Verrechnung mit einem etwa vorhandenen Guthaben ist unzulässig. Nach überwiegender Auffassung steht der Bank jedoch ein Anspruch aus Durchgriffskondiktion gegen den Überweisungsempfänger zu3.
154
b) Insolvenz des Überweisungsbegünstigten aa) Insolvenzeröffnungsverfahren Im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Überweisungsbegünstigten ist das Kreditinstitut weiterhin zur Gutschrift eingehender Zahlungsbeträge verpflichtet, weil erst die Insolvenzeröffnung nach §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO zum Erlöschen des Girovertrages führt. Hat das Kreditinstitut Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Kunden kann nach Treu und Glauben eine Hinweispflicht des die Zahlung empfangenden Kreditinstituts gegenüber dem Überweisungsauftraggeber bestehen. Unter welchen Umständen sich eine solche Warnpflicht ergibt, kann nicht generell, sondern nur für den Einzelfall festgelegt werden, wobei die Interessen des Überweisungsbegünstigten, des Überweisungsauftraggebers sowie des Kreditinstituts abzuwägen sind4. Verwendet das Kreditinstitut die Gutschrift zur Rückführung eines Debetsaldos – wozu es auch im Insolvenzeröffnungsverfahren weiterhin berechtigt ist – droht im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Insolvenzanfechtung5.
155
bb) Insolvenzverfahren Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt der Girovertrag gemäß §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO. Das Kreditinstitut ist in Nachwirkung des Girovertrages allerdings weiterhin befugt, eingehende Zahlungen zugunsten des ehemaligen Kunden entgegenzunehmen6. Eine Verpflichtung zur Gutschrift besteht, wenn Überweisungsaufträge noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingehen, d.h. wenn das Kreditinstitut buchmäßige Deckung erhalten hat7. Erlangt es erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens buchmäßige Deckung, ist es zur Gutschrift grundsätzlich nicht mehr verpflichtet. Eine Ausnahme kann 1 BGH v. 15. 12. 2005 – IX ZR 227/04, NJW-RR 2006, 771. 2 Zum AGB-Pfandrecht zur Besicherung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandener Forderungen: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.28 f. 3 Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 183; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.31, jew. m.w.N. 4 Zu den Einzelheiten hierzu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.54 ff. 5 Vgl. „Kontokorrentvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren“, 120 ff. 6 BGH v. 15. 11. 2005 – XI ZR 265/04, WM 2006, 28. 7 BGH v. 15. 3. 2005 – XI ZR 338/03, WM 2005, 1019.
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§9
Rz. 157
Beratung von Banken
sich aus §§ 116 S. 1, 115 Abs. 2 InsO ergeben, wonach das Kreditinstitut zur Gutschrift verpflichtet ist, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Diese Gefahr kann bestehen, wenn auch der Überweisungsauftraggeber in die wirtschaftliche Krise zu geraten droht1. 157
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Erlöschen der Kontokorrentabrede zur Folge2, so dass das Kreditinstitut eingehende Zahlungen nicht mehr mit einem debitorischen Saldo verrechnen darf.
2. Lastschriftverkehr 158
Auch im Lastschriftverkehr sind die insolvenzrechtlichen Auswirkungen unterschiedlich danach zu beurteilen, ob der Zahlungspflichtige oder der Zahlungsempfänger insolvent ist. a) Insolvenz des Zahlungspflichtigen
159
Das Lastschriftverfahren kann im Wege des Abbuchungsverfahrens oder im Wege des Einzugsermächtigungsverfahrens erfolgen. aa) Abbuchungsverfahren
160
Beim Abbuchungsverfahren erteilt der zahlungspflichtige Kunde seinem Kreditinstitut den Auftrag, Lastschriften eines bestimmten Gläubigers unbeschränkt oder auf einen Höchstbetrag begrenzt einzulösen. Da der Zahlungspflichtige seine Bank ermächtigt, eine Lastschrift auf seine Rechnung einzulösen, bestehen gegenüber der Insolvenz des Überweisungsauftraggebers keine Besonderheiten. bb) Einzugsermächtigungsverfahren
161
Beim Einzugsermächtigungsverfahren erteilt der Zahlungspflichtige dem Zahlungsempfänger eine Ermächtigung, bestimmte Zahlungen zu Lasten seines Kontos einzuziehen. Gegenüber seinem Kreditinstitut fehlt es an einer Weisung des zahlungspflichtigen Kunden, so dass das Konto zunächst unberechtigt belastet wird. Daher kann der Kunde ohne Angabe von Gründen sowie unabhängig von dem Bestehen einer Verpflichtung im Verhältnis zu dem Zahlungsempfänger der Belastung seines Kontos jederzeit widersprechen. Erst die Erteilung einer Genehmigung ergibt die Berechtigung des Kreditinstituts des Kunden zur Einlösung der Lastschrift3. Der Kunde kann die Genehmigung der Belastung entweder ausdrücklich oder konkludent erteilen. Häufig wird sie gemäß Nr. 7 Abs. 3 AGB-Banken bzw. Nr. 7 Abs. 4 AGB-Sparkassen fingiert, wenn der Kunde der Lastschrift nicht innerhalb vor Ablauf von sechs Wochen nach Zugang des Rechnungsabschlusses widersprochen hat.
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.85. 2 Vgl. Kontokorrentvertrag im Insolvenzverfahren, 120 ff. 3 BGH v. 11. 4. 2006 – XI ZR 220/05, NJW 2006, 1965.
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Zahlungsverkehr
Rz. 165
§9
(1) Widerspruch gegen die Belastung Die Belastungen des Kontos aufgrund von Lastschriften im Einzugsermächtigungsverfahren können rückgängig gemacht werden, wenn der zahlungspflichtige Kunde ihnen widerspricht. Der Widerspruch ist allerdings nur berechtigt, wenn der Kunde überhaupt keine Lastschriftermächtigung erteilt hat oder – im Falle der generellen Ermächtigung – den Lastschriftbetrag nicht schuldet1.
162
Die Berechtigung zur Ausübung des Widerspruchsrechts geht im Insolvenzeröffnungsverfahren auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über, sofern gleichzeitig ein allgemeines Verfügungsverbot gegen den Kunden angeordnet wurde. Ist der vorläufige Insolvenzverwalter mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet, kann er der Genehmigung seine Zustimmung versagen. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann dann der allein berechtigte Insolvenzverwalter den Widerspruch ausüben. Während der zahlungspflichtige Kunde grundsätzlich nur zum Widerspruch berechtigt ist, wenn „anerkennenswerte Gründe“ vorliegen, ist der Insolvenzverwalter nicht beschränkt. Er ist zur Sicherung und Erhaltung der zukünftigen Masse berechtigt (und wohl zur Sicherung der Masse sogar verpflichtet), die auf einer Einzugsermächtigung beruhende noch nicht genehmigte Lastschrift zu widerrufen, auch wenn sachliche Einwendungen nicht erhoben werden können2. Der Insolvenzverwalter, der Belastungen des im Soll geführten Kontos des Kunden widerspricht, kann lediglich deren Beseitigung verlangen; ein Auszahlungsanspruch steht ihm nicht zu3.
163
Nicht entschieden hat der Bundesgerichtshof bislang die Frage, ob der in den AGB-Banken und AGB-Sparkassen geregelte Ausschluss der Widerspruchsmöglichkeit des Kunden nach Ablauf von sechs Wochen nach Rechnungsabschluss auch gegenüber dem Insolvenzverwalter wirksam ist. Nach einer neueren Entscheidung des Oberlandesgerichts München4 gilt der Ausschluss der Widerspruchsmöglichkeit auch für den Insolvenzverwalter, womit der pauschale Widerruf von Lastschriften auf sechs Wochen nach Rechnungsabschluss begrenzt ist5.
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(2) Einlösung im Insolvenzeröffnungsverfahren Das Insolvenzeröffnungsverfahren hat keine Auswirkungen auf bestehende Einzugsermächtigungen. Hat das Insolvenzgericht keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen im Sinne von § 21 Abs. 2 InsO getroffen, kann der weiterhin 1 BGH v. 28. 5. 1979 – II ZR 85/78, NJW 1979, 1652. 2 BGH v. 4. 11. 2004 – IX ZR 22/03, NJW 2005, 675; bestätigt durch BGH v. 21. 9. 2006 – IX ZR 173/02, NJW-RR 2007, 118; a. A. OLG Hamm v. 11. 12. 2003 – 27 U 130/03; AG München v. 7. 3. 2008 – 1506 IK 3260/07; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.452a, wonach der Insolvenzverwalter keine weitergehenden Rechte als der Insolvenzschuldner beanspruchen kann. 3 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 125/02, ZIP 2002, 2184. 4 OLG München v. 26. 10. 2006 – 19 U 2327/06, ZinsO 2006, 1279. 5 Das OLG München hat die Revision zugelassen, so dass der BGH erneut Gelegenheit haben wird, zur Behandlung des Lastschriftverfahrens in der Insolvenz Stellung zu nehmen.
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§9
Rz. 166
Beratung von Banken
unbeschränkt verfügungsberechtigte Kunde neue Einzugsermächtigungen erteilen. Weist das Konto Guthaben auf, kann das Kreditinstitut bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingehende Einzugsermächtigungen ohne rechtliche oder wirtschaftliche Bedenken einlösen. Seinen Aufwendungsersatzanspruch kann es mit einem Guthabensaldo verrechnen. Die Einlösung der Lastschrift ist gegenüber dem Kreditinstitut nach § 129 ff. InsO nicht anfechtbar, sondern allenfalls gegenüber dem Zahlungsempfänger1. Ist das Konto debitorisch, muss das Kreditinstitut die Lastschrift nur einlösen, wenn sie sich im Rahmen einer zugesagten Kreditlinie hält. In diesem Fall sollte das Kreditinstitut die bestehende Kreditlinie kündigen, da es die Forderung gegen den Kunden nur als einfache Insolvenzforderung geltend machen kann. 166
Seinen unbedingten Aufwendungsersatzanspruch erwirbt es allerdings erst mit der Genehmigung der Einlösung. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Kunden zwischen der Einlösung und der Genehmigung der Einzugsermächtigung eröffnet, kann sie nur noch vom Insolvenzverwalter erteilt werden. Erteilt er sie, gilt die Belastung des Kontos wegen der rückwirkenden Kraft der Genehmigung schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens als erfolgt2. Die Einstellung des Lastschriftbetrages in das Kontokorrent sowie die anschließende Verrechnung mit einer Guthabenforderung sind demnach wirksam.
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Ordnet das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot an, darf das Kreditinstitut Lastschriften nicht mehr einlösen. Führt es die Lastschrift trotz Kenntnis gleichwohl aus, kann es seinen Aufwendungsersatzanspruch nicht gegen eine Guthabenforderung verrechnen oder eine Insolvenzforderung anmelden. Dem Kreditinstitut steht nur ein bereicherungsrechtlicher Ausgleichsanspruch aus einer Durchgriffshaftung gegen den Lastschriftempfänger zu3. Löst das Kreditinstitut die Lastschrift in Unkenntnis des Verfügungsverbotes aus, kann es mit befreiender Wirkung aus einem Guthaben des Kunden leisten, §§ 24 Abs. 1, 82 InsO. Die Verrechnung im Kontokorrent ist wirksam, da die Kontokorrentabrede mit Erlass des Verfügungsverbotes nicht erlischt. Wird das Konto debitorisch geführt, kann das Kreditinstitut den Aufwendungsersatzanspruch als einfache Insolvenzforderung oder, sofern Sicherheiten bestellt sind, ein abgesondertes Befriedigungsrecht geltend machen. (3) Einlösung im Insolvenzverfahren
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Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt der Girovertrag, der das Kreditinstitut zur Abbuchung von Lastschriften verpflichtet4. Im Übrigen bestehen keine Besonderheiten gegenüber der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes im Eröffnungsverfahren.
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.457 ff. m.w.N. 2 BGH v. 18. 10. 2001 – IX ZR 493/00, NJW-RR 2002, 191. 3 Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 82 Rz. 20; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.464 i.V.m. Rz. 3.31; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 280. 4 BGH v. 8. 11. 2005 – XI ZR 74/05, NJW 2006, 430.
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Zahlungsverkehr
Rz. 172
§9
b) Insolvenz des Zahlungsempfängers Für die Insolvenz des Zahlungsempfängers gelten im Wesentlichen die für die Insolvenz des Überweisungsempfängers dargelegten Grundsätze. Auch hier können im Einzelfalle besondere Informations- und Warnpflichten der Zahlstelle gegenüber dem Zahlungspflichtigen erwachsen1. Regelmäßig wird das Kreditinstitut seinen Kunden im Insolvenzfalle vom Lastschriftverfahren ausschließen. Insbesondere ist das Kreditinstitut nicht verpflichtet, dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter die Teilnahme am Lastschriftverfahren zu gestatten.
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Dennoch bleibt im Eröffnungsverfahren grundsätzlich die weitere Erteilung von Einzugsaufträgen möglich, soweit kein allgemeines Verfügungsverbot besteht oder die Verfügungsberechtigung auf einen vorläufigen Verwalter übergegangen ist. Hinsichtlich der Gutschriften, deren Verrechnung im Kontokorrent sowie der mit der Lastschrifteinreichung verbundenen Sicherheitsabtretung der zu Grunde liegenden Forderung besteht freilich das Risiko der Anfechtung nach Verfahrenseröffnung. Insoweit sei auf die Ausführungen zu den Anfechtungstatbeständen verwiesen.
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Hinsichtlich der Behandlung von Lastschriften nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Lastschriftverpflichteten erlöschen noch nicht ausgeführte Lastschriftaufträge nach den §§ 116, 115 InsO. Laufende Aufträge sind gutzuschreiben; seine Vergütungsansprüche kann das Kreditinstitut unbeschadet der Einschränkungen des § 96 Abs. 1 InsO durch Aufrechnung befriedigen, da es sich hier um einen mit Annahme des Auftrags entstandenen aufschiebend bedingten Anspruch handelt. Sowohl für laufende Lastschriftverfahren als auch für bereits eingezogene Lastschriftbeträge wird die Bank bei fehlender Kenntnis um die Verfahrenseröffnung durch § 82 InsO geschützt2. Hier kann auf die Ausführungen zur Überweisung verwiesen werden.
171
Die Bank muss vermeiden, an den Insolvenzverwalter Beträge auszukehren, die sie vielleicht noch an den Schuldner der Lastschrift zurückgeben muss. Mit der Auskehrung von Guthaben, die durch Gutschriften aufgrund von Einzugsermächtigungen erfolgt sind, muss die Bank deshalb abwarten, bis die sechswöchige Widerspruchsfrist durch den Schuldner bzw. diejenige nach Ziffer 7 Abs. 3 der neuen AGB-Banken von 6 Wochen nach dem Rechnungsabschluss abgelaufen ist. Soweit nämlich eine Rückbelastung erfolgt, muss die Bank den Betrag zu Lasten des Kontos des Zahlungsempfängers zurückerstatten.
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1 Einzelheiten bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.480 f., 3.53 ff. 2 Obermüller/Wunderer in BuB, Bd. V, Rz. 15/348; ausführlich: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.430; Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 775 ff.; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 233 ff.
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§ 10 Insolvenzanfechtung Rz.
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausübung der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich, Abgrenzung und Konkurrenzen zu anderen Arten der Anfechtung . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . b) Abgrenzung und Konkurrenzen zu anderen Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übersicht über die Anfechtungstatbestände . . . . . . . . . . . . . 5. Gegenstand der Insolvenzanfechtung: die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung . . . . a) Rechtshandlung . . . . . . . . . . . aa) Art der Handlung . . . . . . bb) Person des Handelnden . cc) Unterlassen als Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . b) Gläubigerbenachteiligung . . c) Ausnahme von der Anfechtbarkeit gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen: Bargeschäfte, § 142 InsO . . . 6. Typische Beratungskonstellationen für den Rechtsanwalt . .
1 1 2 3 8
11 11
12 18
25 26 26 33 39 42
47 48
II. Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers (kongruente oder inkongruente Deckung, §§ 130, 131 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers . . . . . . . a) Begriff der Befriedigung . . . . b) Begriff der Sicherung . . . . . . . c) Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers . . 2. Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 53 56 59
60
Rz.
a) Nicht zu beanspruchende Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nicht zu beanspruchende Befriedigung . . . . bb) Nicht zu beanspruchende Sicherung . . . . . . cc) Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung oder deren Androhung . . . . . . . . . . . . b) Nicht in der Art zu beanspruchende Deckung . . . . . . aa) Befriedigung . . . . . . . . . . . bb) Sicherung . . . . . . . . . . . . . c) Nicht zu der Zeit zu beanspruchende Deckung . . . . aa) Befriedigung . . . . . . . . . . . bb) Sicherung . . . . . . . . . . . . .
63 63 65
74 75 75 77 78 78 79
3. Anfechtung einer kongruenten Deckung, § 130 InsO . . . . . . . . . 80 a) Rechtshandlungen vor Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Anfechtungszeitraum . . 83 bb) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners . . . . . . . . 87 cc) Kenntnis des Gläubigers 93 b) Rechtshandlungen nach Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Eröffnungsgrund . . . . . . . 105 bb) Kenntnis des Gläubigers . . . . . . . . . . . . 107 c) Besonderheiten bei der Anfechtung von Wechseloder Scheckzahlungen des Schuldners (§ 137 InsO) . . . . 110 aa) § 137 Abs. 1 InsO . . . . . . 111 bb) § 137 Abs. 2 InsO . . . . . . 115 4. Anfechtung einer inkongruenten Deckung, § 131 InsO . . . . . 118 a) Rechtshandlungen innerhalb des letzten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags oder danach, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . 119
Graf/Wunsch
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§ 10
Insolvenzanfechtung Rz.
Rz.
b) Rechtshandlungen innerhalb des zweiten und dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags, § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO . . . . 120 aa) Objektive Zahlungsunfähigkeit, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . . . . 121 bb) Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung, § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO . . . . . . 122 5. Sonderproblem: Anfechtung einer Aufrechnung nach §§ 130, 131 InsO, insbesondere bei Verrechnung durch Banken 127
IV. Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
III. Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte des Schuldners, § 132 InsO . . . . . . . . . . . . . 144 1. Anwendungsbereich und Überblick über die Tatbestandsalternativen . . . . . . . . . . . 144 2. Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, § 132 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . 146 a) Begriff des Rechtsgeschäfts . 147 b) Rechtsgeschäft des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Andere Rechtshandlungen des Schuldners im Sinne des § 132 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Begriff der Rechtshandlung . 157 b) Weitere Voraussetzungen . . 158 aa) Verlust eines Rechts . . . 159 bb) Sonderfall: Kündigung durch Vermieter des Schuldners . . . . . . . . . . . . 160 cc) Erhaltung eines Anspruchs gegen den Schuldner . . . . . . . . . . . . . 161 4. Anfechtungszeiträume . . . . . . . 162 a) Rechtshandlungen im Zeitraum von drei Monaten vor Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . 163 b) Rechtshandlungen nach Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . 165
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1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Rechtshandlungen des Schuldners bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Rechtshandlung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Gläubigerbenachteiligung und dahin gehender Vorsatz des Schuldners . . . . . . . . . . . . 170 aa) Objektive Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Benachteiligungsvorsatz . . . . . . . . . . 178 d) Anfechtungszeitraum . . . . . . 184 3. Entgeltliche Verträge mit nahe stehenden Personen bei unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung, § 133 Abs. 2 InsO . . . 185 a) Entgeltlicher Vertrag mit einer dem Schuldner nahe stehenden Person . . . . . . . . . . . . 186 b) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . 188 c) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis des Anfechtungsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Anfechtungszeitraum . . . . . . 190 V. Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Unentgeltliche Leistung des Schuldners, § 134 Abs. 1 InsO . 192 a) Leistung des Schuldners . . . 192 b) Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . 194 c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Ausnahme: gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts, § 134 Abs. 2 InsO . . 205 3. Anfechtungszeitraum . . . . . . . . 208 VI. Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen, §§ 135 InsO, 32b GmbHG . . . . 212
§ 10
Insolvenzanfechtung Rz.
Rz.
1. Überblick über das Eigenkapi4. Anfechtung von Rechtshandtalersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 212 lungen, die dem Gläubiger der aus einer kapitalersetzenden a) Regelungszweck . . . . . . . . . . 213 Leistung resultierenden Fordeb) Zweigleisigkeit: Rechtrung Befriedigung gewähren, sprechungs- und Novellen§ 135 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . 249 regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Anwendungsbereich . . . . . . . 218 5. Anfechtung bei der Rückgewähr gesellschafterbesicherd) Reformüberlegungen . . . . . .218a ter Drittdarlehen, § 32b 2. Die Begriffe des „kapitalGmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 ersetzenden Gesellschafter6. Checkliste „Eigenkapitalersatz darlehens“ und der „gleichin der Insolvenz“ . . . . . . . . . . . . . 258 gestellten Forderung“ im Sinne des § 135 InsO . . . . . . . . . 219 VII. Stille Gesellschaft: Anfechtung a) Das kapitalersetzende der Einlagenrückgewähr und Gesellschafterdarlehen . . . . 220 des Erlasses eines Verlustaa) Sachlicher Anwenanteils, § 136 InsO . . . . . . . . . . . 259 dungsbereich . . . . . . . . . . 221 bb) Persönlicher Anwen1. Anwendungsbereich: Stille dungsbereich . . . . . . . . . . 224 Gesellschaft, Abgrenzung . . . . . 259 (1) Differenzierung nach 2. Anfechtbare Rechtshandlunder Rechtsform der gen: Einlagenrückgewähr und Gesellschaft . . . . . . . . . . . 225 Erlass eines Verlustanteils . . . . 264 (2) Darlehen von „gesella) Einlagenrückgewähr . . . . . . . 265 schafterähnlichen“ b) Erlass eines Verlustanteils . 270 Personen . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Anfechtungszeitraum . . . . . . . . 272 (3) GmbH-Gesellschafter 4. Ausschluss der Anfechtung ohne Geschäftsfühnach § 136 Abs. 2 InsO . . . . . . . 274 rungsbefugnis mit bis zu 10% Beteiligung, VIII. Zeitpunkt, in dem eine Rechts§ 32a Abs. 3 Satz 2 handlung als vorgenommen GmbHG . . . . . . . . . . . . . . 230 gilt, § 140 InsO . . . . . . . . . . . . . . 276 (4) Sanierungsprivileg . . . . . 231 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (5) Konzern . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Die Grundregel des § 140 cc) EigenkapitalersatzAbs. 1 InsO: Maßgeblichkeit charakter des Geselldes Eintretens der Rechtsschafterdarlehens . . . . . . 233 wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Der Begriff der gleichgestell3. Eintragungsbedürftige mehrten Forderung . . . . . . . . . . . . . 237 aktige Rechtsgeschäfte, § 140 aa) Sachlicher AnwenAbs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 dungsbereich . . . . . . . . . . 238 4. Bedingte und befristete Rechtsbb) Persönlicher Anwenhandlungen, § 140 Abs. 3 InsO 290 dungsbereich . . . . . . . . . . 242 cc) EigenkapitalersatzIX. Unanfechtbarkeit von Barcharakter der gleichgeschäften, § 142 InsO . . . . . . . 293 gestellten Forderung . . . 243 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Anfechtung von Rechtshand2. Der Begriff des Bargeschäfts lungen, die dem Gläubiger der im Sinne des § 142 InsO . . . . . . 297 aus einer kapitalersetzenden a) Gleichwertige GegenLeistung resultierenden Fordeleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 rung Sicherheit gewähren, aa) Gegenleistung . . . . . . . . . 298 § 135 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . 244
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Rz. 1
Insolvenzanfechtung Rz.
Rz.
bb) Gleichwertigkeit . . . . . . 303 b) Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs . . . . . . . . . . 309 c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . 313 aa) Verrechnung von Zahlungen auf debitorischen Schuldnerkonten . . . . . . . . . . . . . . . . 313 bb) Grundstücks schenkung . . . . . . . . . . . . 315 cc) Kredit gegen Sicherheit . 316 dd) Beraterhonorare . . . . . . . 317 ee) Verneinung des Bargeschäfts . . . . . . . . . . . . . . 319
(2) Gutgläubiger Empfang einer unentgeltlichen Leistung . . . . . . . . . . . . . . 347 b) Anspruchsgegner . . . . . . . . . . 351 aa) Primärer Anfechtungsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . 353 bb) Anfechtung gegen einen Rechtsnachfolger, § 145 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (1) Gesamtrechtsnachfolge 356 (2) Einzelrechtsnachfolge . . 358 c) Verjährung des Anfechtungsanspruchs, § 146 InsO 362 aa) Fristberechnung und Unterbrechung der Verjährung . . . . . . . . . . . . 363 bb) Rechtsfolgen der eingetretenen Verjährung . . . . 366 2. Gegenansprüche des Anfechtungsgegners, § 144 InsO . . . . . 370 a) Wiederaufleben von Forderungen nach § 144 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 b) Rückgewähr von Gegenleistungen nach § 144 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 aa) Noch vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO . . . . . 379 bb) Nicht mehr vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO . . . . . 383 cc) Beweislast . . . . . . . . . . . . 385
X. Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1. Rückgewähranspruch der Masse, §§ 143, 145, 146 InsO . . 321 a) Inhalt und Ausgestaltung des Rückgewähranspruchs, § 143 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . 321 aa) Rückgewähr in Natur, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (1) Umfang der Rückgewährpflicht . . . . . . . . . 326 (2) Umfang der Rückgewährhandlungen . . . . . 327 bb) Sekundäransprüche, § 143 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . 342 (1) Bereicherungsrecht . . . . 342
I. Einleitung 1. Zweck der Insolvenzanfechtung 1
Das Insolvenzanfechtungsrecht (§§ 129–147 InsO) dient dem Zweck, Vermögensverschiebungen zu Lasten der Masse aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückgängig zu machen, soweit diese Vermögensverschiebungen vom Gesetzgeber als ungerechtfertigt angesehen werden. Letzteres kann sowohl aufgrund objektiver (Unentgeltlichkeit, § 134 InsO) als auch subjektiver Merkmale (Benachteiligungsabsicht, § 133 InsO) der Fall sein. Im Einzelfall kann dieser Gesetzeszweck insoweit eine Argumentationshilfe gegen die Anfechtbarkeit sein, als das Gesetz nur einen Nachteil für die Insol-
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Einleitung
Rz. 5
§ 10
venzmasse beseitigen, dieser aber niemals einen Vorteil verschaffen will, der ohne die anfechtbare Rechtshandlung nicht bestanden hätte1.
2. Rechtsnatur der Insolvenzanfechtung Während die §§ 81, 91 InsO die Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften nach Verfahrenseröffnung bedingen, sehen die §§ 129 ff. InsO für Rechtshandlungen vor diesem Zeitpunkt nur die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit vor. Über § 147 InsO gilt Nämliches auch für Rechtshandlungen nach Verfahrenseröffnung, die ausnahmsweise gemäß §§ 892, 893 BGB aufgrund des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs wirksam sind.
2
Diese Anfechtbarkeit hat wenig mit derjenigen nach §§ 119 ff., 142 f. BGB gemein. Die Insolvenzanfechtung ist weder ein Gestaltungsrecht, noch hat sie die Nichtigkeit der angefochtenen Rechtshandlung zur Folge. a) Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung Die Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung sind in §§ 143 ff. InsO geregelt. Die Vorschrift sieht einen Anspruch auf Rückgewähr zur Masse vor. Die genauen Modalitäten dieses Anspruchs werden hier in einem gesonderten Abschnitt behandelt (unten Rz. 321 ff.).
3
Trotz dieser gesetzlichen Regelung herrscht über Rechtsnatur und Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung ein schwer überschaubarer Meinungsstreit2, der für die Praxis allerdings nur partiell relevant wird. Der Gesetzgeber hat sich einer diesbezüglichen Entscheidung bewusst enthalten3. Als gesichert kann angesichts des § 143 InsO aber angesehen werden, dass die Insolvenzanfechtung nicht generell zur Nichtigkeit (dingliche Theorie) oder relativen Unwirksamkeit der angefochtenen Handlung führt4. Die Anfechtungstatbestände stellen keine Verbotsgesetze dar, so dass sich auch über § 134 BGB keine Nichtigkeitsfolge begründen lässt.
4
Als herrschende Meinung wird zumeist die schuldrechtliche Theorie5 genannt, der unter Geltung der KO auch der BGH6 gefolgt war. Danach entsteht gemäß § 143 InsO bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens – also ohne dass es
5
1 Amtl. Begr. zu § 162 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 167; BGH v. 12. 11. 1998 – IX ZR 199/97, ZIP 1998, 2165 (2166); BGH v. 26. 5. 1971 – VIII ZR 61/70, MDR 1971, 837 (838). 2 Vgl. die Übersicht bei Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 10 ff. 3 Amtl. Begr. zu § 144 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 157. 4 BGH v. 21. 9. 2006 – IX ZR 235/04, ZIP 2006, 2176; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, vor §§ 129 bis 147 Rz. 26 ff., 33 f. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 9. Auch Zeuner geht in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 129 Rz. 6 von der schuldrechtlichen Theorie aus, ohne sich ausdrücklich für diese zu entscheiden. 6 BGH v. 11. 1. 1990 – IX ZR 27/89, NJW 1990, 990 (991 f.); BGH v. 1. 12. 1988 – IX ZR 112/88, MDR 1989, 349.
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§ 10
Rz. 6
Insolvenzanfechtung
einer Anfechtungserklärung bedürfte1 – ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr des durch die anfechtbare Rechtshandlung Erlangten zur Insolvenzmasse. Die eigentliche „Anfechtung“ durch den Insolvenzverwalter ist also nichts anderes als die gerichtliche Geltendmachung dieses Anspruchs2. 6
Gleiches nimmt im Grundsatz auch die haftungsrechtliche Theorie3 an. Sie geht allerdings davon aus, dass der durch die anfechtbare Handlung übertragene Gegenstand nur dinglich zum Vermögen des Erwerbers (Anfechtungsgegners) gehört, haftungsrechtlich aber ab dem Moment der Verfahrenseröffnung zum Vermögen des Schuldners.
7
Dieser Theorienstreit wurde nach der älteren Rspr. vor allem dann relevant, wenn auch über das Vermögen des Anfechtungsgegners ein Insolvenzverfahren eröffnet wird: Der Rückgewähranspruch, der aus der Anfechtbarkeit der Übertragung entsteht, stellt dann nach der haftungsrechtlichen Theorie ein Aussonderungsrecht dar4. Die Rechtsprechung hatte sich insoweit ursprünglich gegen die haftungsrechtliche Theorie gewandt und den Rückgewähranspruch aus § 143 InsO in der Insolvenz des Anfechtungsgegners als normale Insolvenzforderung angesehen5. Diese Rechtsprechung hat der BGH jedoch geändert und gesteht dem Insolvenzverwalter in der Insolvenz des Anfechtungsgegners nunmehr grundsätzlich ein Aussonderungsrecht zu6. Im Falle der Einzelzwangsvollstreckung in den anfechtbar erlangten Gegenstand steht dem Insolvenzverwalter nach der haftungsrechtlichen Theorie die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zur Verfügung7. Dagegen begründet der Rückgewähranspruch aus § 143 InsO auf Grundlage der schuldrechtlichen Theorie als bloßer schuldrechtlicher Verschaffungsanspruch nicht die Drittwiderspruchsklage8. Die aktuelle Tendenz des BGH und der h. Lit. geht wohl dahin, die Insolvenzanfechtung als Rechtsinstitut eigener Art anzusehen und die o.g. Fragen nicht auf Grundlage der dogmatischen Einstufung, sondern nach den Regelungen der §§ 143 ff. InsO zu beantworten. Nach diesem Ansatz richtet sich die Haftung desjenigen, der beim Anfechtungsgegner in einen anfechtbar erworbenen Gegenstand vollstrecket hat, nach § 145 InsO9 (dazu unten Rz. 358 ff.). 1 BGH v. 20. 3. 1997 – IX ZR 71/96, MDR 1997, 557 (558). 2 BGH v. 20. 3. 1997 – IX ZR 71/96, MDR 1997, 557 (558). 3 De Bra in Braun, InsO, 2. Aufl. 2004, § 129 Rz. 10; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 10 (3/2003); K. Schmidt, JZ 1990, 619 ff. 4 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 10 (3/2003). 5 BGH v. 11. 1. 1990 – IX ZR 27/89, NJW 1990, 990 (992); a.A. bezüglich dieser Folgerung aus der schuldrechtlichen Theorie Haas/Müller, ZIP 2003, 49, 52. 6 BGH v. 23. 10. 2003 – IX ZR 252/01, WM 2003, 2479 (2482 f.). Dies soll allerdings nicht für den Anspruch auf Wertersatz für einen nicht mehr im Vermögen des Anfechtungsgegners vorhandenen Gegenstand gelten. 7 De Bra in Braun, InsO, 2. Aufl. 2004, § 129 Rz. 8, 10. 8 BGH v. 11. 1. 1990 – IX ZR 27/89, NJW 1990, 990 (992) ; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 9; a.A. K. Schmidt, JZ 1990, 619 (622); unklar BGH v. 20. 3. 1997 – IX ZR 71/96, NJW 1997, 1857 (1858 f.). 9 So Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 9; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, vor §§ 129 bis 147 Rz. 23, 39, § 145 Rz. 15, 21, 30.
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Rz. 10 § 10
b) Ausübung der Insolvenzanfechtung Die Ausübung des Anfechtungsrechts obliegt grundsätzlich dem Insolvenzverwalter (nicht aber dem vorläufigen Insolvenzverwalter). Etwas anderes gilt nur in den Verfahren, in denen ein solcher nicht existiert: Im Falle der Eigenverwaltung macht der Sachwalter die Anfechtung geltend (§ 280 InsO), im Verbraucherinsolvenzverfahren die einzelnen Gläubiger (§ 313 Abs. 2 InsO).
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Der einzelne Gläubiger hat – abgesehen vom Ausnahmefall des Verbraucherinsolvenzverfahrens – keine unmittelbare Möglichkeit, die Insolvenzanfechtung geltend zu machen. Wenn sich der Insolvenzverwalter weigert, eine Anfechtung geltend zu machen, so bleibt dem Gläubiger bzw. seinem Anwalt nur die Möglichkeit der Anrufung des Insolvenzgerichts nach Maßgabe der §§ 58, 59 InsO, wobei ihm jedoch gegen ein Untätigbleiben des Insolvenzgerichts in diesem Fall kein Rechtsmittel zusteht. Das Anfechtungsrecht ist nicht übertragbar und kann nach Beendigung des Insolvenzverfahrens – auch im Falle eines noch anhängigen Prozesses – nicht etwa durch den Schuldner geltend gemacht werden1. Im Anfechtungsprozess tritt vielmehr in der Regel Erledigung ein2 (Ausnahmen: gerichtlich vorgesehene Nachtragsverteilung nach § 200 InsO, entsprechende Klausel im Insolvenzplan beim Insolvenzplanverfahren, s. unten Rz. 11). Die Insolvenzanfechtung ist kein Gestaltungsrecht und keine empfangsbedürftige Willenserklärung, da der Rückgewähranspruch nach ganz h.M. ipso iure mit der Verfahrenseröffnung entsteht. Sie erfolgt durch die gerichtliche Geltendmachung des Rückgewähranspruchs. Ebenso kann die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung aber auch einem Anspruch des Anfechtungsgegners im Passivprozess als Einrede entgegengehalten werden, wenn dieser z.B. eine anfechtbar erworbene Forderung gegen die Masse geltend macht.
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Selbstverständlich kann – und wird – der Insolvenzverwalter die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung zunächst auch außergerichtlich geltend machen. Dies muss er sogar (substantiiert) tun, um dem Anfechtungsgegner im nachfolgenden Prozess nicht die Möglichkeit eines sofortigen Anerkenntnisses mit der Kostenfolge des § 93 ZPO zu geben3. Im Prozess gilt Folgendes: Die Zuständigkeit des Gerichts richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Dies gilt jedenfalls außerhalb der EU auch für die internationale Zuständigkeit, so dass der Insolvenzverwalter ggf. auf eine Klage im Ausland verwiesen ist4. Es gibt also nicht etwa eine Art „Anfechtungsklage“ zum Insolvenzgericht. Vielmehr entscheidet das mit dem betreffenden Verfahren befasste Gericht eigenständig über alle rechtlichen Gesichtspunkte, selbst wenn deren Feststellung im Insolvenzverfahren Sache des Insol1 2 3 4
BGH v. 10. 2. 1982 – VIII ZR 158/80, NJW 1982, 1765 (1766). Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 211. OLG Koblenz v. 8. 6. 2006 – 6 W 275/05, ZInsO 2005, 938 (939). BGH v. 27. 5. 2003 – IX ZR 203/02, MDR 2003, 1256; die Frage, ob dies auch innerhalb der EU gilt oder ob hier eine Klage am Gerichtsstand des Insolvenzschuldners möglich ist, hat der BGH dem EuGH vorgelegt, vgl. BGH v. 21. 6. 2007 – IX ZR 39/06, ZIP 2007, 14, 15 ff.
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Insolvenzanfechtung
venzgerichts ist (z.B. die Frage, ob ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig und begründet war). Wenn der Insolvenzverwalter die Anfechtung – also den Rückgewähranspruch – klageweise geltend macht, so ist er auch insoweit selbst Partei. (Eine Geltendmachung im Prozess zwischen zwei anderen Parteien durch den Insolvenzverwalter als Streithelfer einer Partei ist unstatthaft1.) Das bedeutet, dass der Schuldner ebenso als Zeuge fungieren kann wie die Insolvenzgläubiger2. Der Insolvenzverwalter darf dabei streng genommen nicht Leistung an sich selbst verlangen, sondern lediglich an die Masse. Die Rechtsprechung nimmt es jedoch auch hin, wenn der Klageantrag auf Leistung an den Verwalter lautet, soweit dieser dabei erkennbar in seiner Funktion als solcher auftritt3. Der einzelne Gläubiger hat im Anfechtungsprozess die Möglichkeit, dem Insolvenzverwalter als Nebenintervenient beizutreten4.
3. Anwendungsbereich, Abgrenzung und Konkurrenzen zu anderen Arten der Anfechtung a) Anwendungsbereich 11
Voraussetzung für das Eingreifen der Insolvenzanfechtung ist nach § 129 InsO, der Grundnorm für die Insolvenzanfechtung, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde5. Dagegen spielt die Verfahrensart für die Anwendbarkeit der §§ 129 ff. InsO keine Rolle; diese greifen also insbesondere auch bei einem Insolvenzplanverfahren. Die Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO ist auch nur so lange möglich, wie das Verfahren geführt wird. Das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters endet also mit der Aufhebung (§ 200 InsO) oder Einstellung des Insolvenzverfahrens (§ 207 InsO). Zur Eröffnung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens vgl. § 6 Rz. 142 ff., 340 ff. Im Falle der Aufhebung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans gemäß § 258 InsO kann aber im Insolvenzplan selbst vorgesehen werden, dass der Verwalter auch nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens berechtigt ist, anhängige Anfechtungsprozesse weiterzuführen, § 259 Abs. 3 InsO. Einzelheiten zur Aufhebung des Insolvenzplans nach dessen Bestätigung s. § 13 Rz. 251 ff. b) Abgrenzung und Konkurrenzen zu anderen Tatbeständen
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Mit der Anfechtung einer Willenserklärung nach §§ 119 ff. BGB hat die Insolvenzanfechtung, wie bereits eingangs erwähnt, wenig gemein. Beide Institute 1 2 3 4 5
BGH v. 1. 12. 1988 – IX ZR 112/88, MDR 1989, 349. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 24 (3/2003). BGH v. 11. 1. 1961 – VIII ZR 203/59, DB 1961, 469. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 27 (3/2003). Dies lässt sich daraus ableiten, dass § 129 Abs. 1 InsO eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger verlangt, vgl. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 Rz. 4.
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Einleitung
Rz. 16 § 10
stehen selbständig nebeneinander. Sollte eine Rechtshandlung des Schuldners sowohl der Insolvenzanfechtung als auch der Anfechtung z.B. aufgrund eines Willensmangels des Schuldners unterliegen, so sind beide Arten der Anfechtung möglich1. Auch die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts kann der Insolvenzverwalter neben der Anfechtung geltend machen2. Dies kann spezifisch insolvenzrechtliche Sachverhalte wie z.B. die Unwirksamkeit von Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund der sog. Rückschlagsperre des § 88 InsO (dazu § 6 Rz. 155 ff.) oder die Nichtigkeit von Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters wegen Insolvenzweckwidrigkeit betreffen, aber auch die Nichtigkeit nach allgemeinen Grundsätzen wie § 138 BGB. Eine Sittenwidrigkeit ergibt sich dabei allerdings grundsätzlich nicht allein aus der Gläubigerbenachteiligung.
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Vielmehr muss diese z.B. mit einer Täuschungsabsicht oder einem Schädigungsvorsatz einhergehen3. Auf Seiten des Anfechtungsgegners reichen dabei die billigende Inkaufnahme4 der Täuschung und Schädigung der Gläubiger oder das grob fahrlässige Hinwegsetzen über diese Umstände5 aus. Ähnliche Grundsätze gelten für die Frage, ob in der anfechtbaren Rechtshandlung zugleich eine unerlaubte Handlung – insbesondere im Sinne des § 826 BGB – liegt: Auch hier müssen weitere, besonders erschwerende Umstände hinzukommen6.
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Die Anfechtung nach dem AnfG weist große Ähnlichkeiten mit der Insolvenzanfechtung auf: Auch sie dient dazu, die Folgen gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen rückgängig zu machen; die Anfechtungstatbestände sind überwiegend ähnlich aufgebaut, und Rechtsfolge einer Anfechtung nach dem AnfG ist ebenfalls das Entstehen eines schuldrechtlichen Rückgewähranspruchs. Anwendungsbereich des AnfG ist jedoch – in Abgrenzung zur Insolvenzanfechtung – nur die Anfechtung außerhalb eines Insolvenzverfahrens, vgl. § 1 Abs. 1 AnfG. Das AnfG schützt nicht die Gesamtheit der Gläubiger, sondern den einzelnen Gläubiger, der erfolglos die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel betrieben hat. Deshalb wird die Anfechtung nach dem AnfG auch als „Einzelanfechtung“ bezeichnet.
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Diese Einzelanfechtung nach dem AnfG ist zur Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO subsidiär. Der einzelne Gläubiger kann nur dann die Anfechtung nach dem AnfG erklären, wenn
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–
ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners oder einer Personengesellschaft, deren persönlich haftender Gesellschafter der Schuldner ist7, noch nicht oder nicht mehr eröffnet ist;
1 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, vor §§ 129 bis 147 Rz. 41. 2 BGH v. 11. 6. 1992 – IX ZR 255/91, MDR 1992, 958 f.; BGH v. 18. 2. 1993 – IX ZR 129/92, MDR 1993, 437 = ZIP 1993, 521 (522). 3 BGH v. 19. 3. 1998 – IX ZR 22/97, NJW 1998, 2592 (2594); BGH v. 16. 3. 1995 – IX ZR 72/94, MDR 1996, 61. 4 BGH v. 19. 3. 1998 – IX ZR 22/97, NJW 1998, 2592 (2595). 5 BGH v. 13. 3. 1995 – IX ZR 72/94, MDR 1996, 61. 6 BGH v. 12. 2. 1996 – II ZR 279/94, MDR 1996, 587 (588); BGH v. 9. 5. 1996 – IX ZR 50/96, MDR 1996, 1062 (1063) zur Anfechtbarkeit nach dem AnfG. 7 OLG Stuttgart v. 14. 5. 2002 – 1 U 1/2, BB 2002, 2086 (2087 f.).
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1041
§ 10
17
Rz. 17
Insolvenzanfechtung
–
ein Insolvenzverfahren zwar eröffnet ist, der anfechtende Gläubiger aber nicht Insolvenzgläubiger (vgl. zum Begriff § 6 Rz. 278) ist;
–
ein Insolvenzverfahren zwar eröffnet ist, der anfechtende Gläubiger aber als absonderungsberechtigter Gläubiger (vgl. zum Begriff § 7 Rz. 135 ff.) außerhalb des Insolvenzverfahrens zu befriedigen ist. In diesem Fall kann der Insolvenzverwalter neben dem anfechtenden Gläubiger zusätzlich die Insolvenzanfechtung geltend machen, wenn der Insolvenzmasse der Übererlös zustehen würde1.
Ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits anhängiger Anfechtungsprozess eines Einzelgläubigers nach dem AnfG wird durch die Verfahrenseröffnung unterbrochen und kann nach Wahl des Insolvenzverwalters aufgenommen werden, § 17 Abs. 1 AnfG.
4. Übersicht über die Anfechtungstatbestände 18
Die einzelnen Anfechtungstatbestände der InsO entsprechen überwiegend den Vorschriften der KO. Rechtsprechung und Schrifttum aus der Zeit vor Inkrafttreten der InsO sind also zum Großteil noch verwertbar. Teilweise ist das Anfechtungsrecht gegenüber der KO aber auch inhaltlich verschärft worden.
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In diesen Fällen ist zu beachten, dass Rechtshandlungen, die vor dem 1. 1. 1999 vorgenommen wurden (zum Zeitpunkt der Vornahme siehe unten Rz. 276 ff.), gemäß Art. 106 EGInsO nur dann anfechtbar sind, wenn der betreffende Anfechtungstatbestand sowohl nach der KO als auch nach der InsO erfüllt ist.
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Die Tatbestände der Insolvenzanfechtung lassen sich folgendermaßen einteilen:
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–
§§ 130–132 InsO: Besondere Insolvenzanfechtung;
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§ 133 InsO: Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligungsabsicht;
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§ 134 InsO: Anfechtung von Schenkungen;
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§ 135 InsO: Anfechtung der Rückgewähr (oder Sicherung) eigenkapitalersetzender Leistungen (zum Eigenkapitalersatzrecht siehe § 4 dieses Buches. Speziell zu § 135 InsO vgl. § 4 Rz. 275 ff. Zu § 135 InsO-RegE vgl. § 4 Rz. 365 ff.).
Die Tatbestände der „Besonderen Insolvenzanfechtung“ nach §§ 130–132 InsO sind Spezifika der Insolvenzanfechtung und finden keine Entsprechung im AnfG. Das beruht darauf, dass diese Tatbestände nur Rechtshandlungen innerhalb eines Zeitraums von (maximal) drei Monaten vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags bis zur Verfahrenseröffnung erfassen. Sie dienen dazu, Vermögensverschiebungen aus der Zeit kurz vor dem Insolvenzverfahren rückgängig zu machen.
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, vor §§ 129 ff. InsO Rz. 28.
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Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 25 § 10
Dies betrifft zum einen die Befriedigung oder Sicherung von Insolvenzgläubigern (§§ 130, 131 InsO) und zum anderen sonstige Rechtshandlungen mit unmittelbar gläubigerbenachteiligender Wirkung (§ 132 InsO). Zusätzlich zu der relativ kurzen Frist sind die einzelnen Tatbestände der §§ 130-132 InsO überwiegend auch davon abhängig, dass zur Zeit der Vornahme der Rechtshandlung bereits entweder Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vorlag oder der Insolvenzeröffnungsantrag bereits gestellt war, und dass der Anfechtungsgegner hiervon Kenntnis hatte. Demgegenüber geht es bei den übrigen drei Anfechtungstatbeständen, §§ 133–135 InsO, nicht um den zeitlichen Aspekt, sondern um die Art der Vermögensverschiebung, nämlich gläubigerbenachteiligende Handlungen, Schenkungen und die Rückgewähr eigenkapitalersetzender Leistungen. Diese Tatbestände finden jeweils ihre Entsprechung auch bei der Einzelanfechtung nach dem AnfG. Auch diese aufgrund ihrer Natur als anfechtbar eingestuften Rechtshandlungen können zwar nicht zeitlich unbegrenzt angefochten werden, die Fristen hierfür sind indes wesentlich länger, sie reichen von vier bis zu zehn Jahren.
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Die einzelnen Anfechtungstatbestände sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Lediglich die §§ 130, 131 InsO verdrängen als leges speciales den Auffangtatbestand des § 132 InsO1.
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Die Beweislast für die Tatbestandsmerkmale einer Anfechtungsnorm trägt grundsätzlich der Insolvenzverwalter als derjenige, der sich auf die Anfechtung beruft. Teilweise enthalten die einzelnen Tatbestände allerdings Vermutungsregeln für bestimmte innere Tatsachen. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung Beweiserleichterungen für den Insolvenzverwalter entwickelt. Auf diese Besonderheiten wird nachfolgend beim jeweiligen Anfechtungstatbestand hingewiesen.
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5. Gegenstand der Insolvenzanfechtung: die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung Anfechtbar sind nach § 129 Abs. 1 InsO nur gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen. Grundvoraussetzung jeder Anfechtung ist also eine Rechtshandlung, wobei die Unterlassung nach § 129 Abs. 2 InsO gleichgestellt ist. Hinzu kommen muss, dass diese Rechtshandlung oder Unterlassung die Insolvenzgläubiger benachteiligt.
1 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 132 Rz. 5.
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1043
25
§ 10
Rz. 26
Insolvenzanfechtung
a) Rechtshandlung aa) Art der Handlung 26
Unter den Begriff der Rechtshandlung fällt jedes Handeln oder Unterlassen, das eine rechtliche Wirkung auslöst1. Dieser Begriff ist weiter als derjenige des Rechtsgeschäfts bzw. der Willenserklärung. Er umfasst unter anderem: –
Willenserklärungen, die auf den Abschluss schuldrechtlicher Verträge gerichtet sind, ebenso wie einseitige Willenserklärungen;
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dingliche Verfügungen;
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die Einräumung eines Bezugsrechts für eine Lebensversicherung2;
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Rechtshandlungen, deren Erfolg kraft Gesetzes eintritt (z.B. Mahnungen, Mängelrügen);
–
so genannte rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, z.B. die Anzeige einer Abtretung nach § 409 BGB3, die Genehmigung einer zwischen Alt- und Neuschuldner vereinbarten befreienden Schuldübernahme nach § 415 BGB4;
–
Verwendungen auf eine fremde oder jedenfalls in Miteigentum eines Dritten stehende Sache5;
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die Einstellung eines Geschäftsbetriebs6;
–
prozessuale Handlungen (z.B. Anerkenntnis, Klageverzicht oder -rücknahme, Aushändigung einer vollstreckbaren Urkunde7).
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Selbst Realakte können Rechtshandlungen darstellen, wenn sie eine rechtliche Wirkung auslösen. Dies gilt etwa für die Tatbestände der Verbindung und Vermischung sowie der Verarbeitung von Sachen nach §§ 946 ff. BGB, die einen Eigentumsübergang bewirken oder jedenfalls Miteigentum des Eigentümers der anderen Sache begründen.
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Die Rechtshandlung muss sich auf das Vermögen des Schuldners beziehen. Bei einer natürlichen Person als Schuldner können sich hieraus Einschränkungen ergeben: Personenrechtliche Vorgänge wie die Eingehung einer Ehe oder die Adoption eines Kindes sind der Anfechtung entzogen, auch wenn durch sie das Vermögen des Schuldners verringert wird8. Darunter fallen allerdings nur die sich aus rein personenrechtlichen Vorgängen mittelbar ergebenden unselbständigen vermögensrechtlichen Folgen, z.B. Unterhaltspflichten. Güterrechtliche Vereinbarungen unter Eheleuten sind zwar nach wohl h.M. selbst nicht anfecht1 2 3 4 5 6 7 8
Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 f. InsO Rz. 5. BGH v. 23. 10. 2003 – IX ZR 252/01, WM 2003, 2479 (2480). Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 InsO Rz. 11. OLG Nürnberg v. 29. 11. 1966 – 3 U 84/66, KTS 1967, 170 (171). BGH v. 20. 2. 1980 – VIII ZR 48/79, MDR 1980, 575. BGH v. 12. 2. 1996 – II ZR 279/94, MDR 1996, 587 (588). RG v. 13. 12. 1929 – VII 169/29, RGZ 126, 304 (307). Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 InsO Rz. 53.
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Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 30 § 10
bar, jedoch kann z.B. die einer Änderung des Güterstands nachfolgende Auseinandersetzung sehr wohl der Anfechtung unterliegen1. Auch haben die Gläubiger keinen Anspruch auf (bestmöglichen) Einsatz der Arbeitskraft des Schuldners2. Rechtshandlungen, die sich hierauf beziehen, sind daher ebenfalls nicht anfechtbar. Dies gilt z.B. für die Aufgabe einer gutbezahlten Arbeitsstelle3, nicht aber für Abreden, durch die das Arbeitseinkommen des Schuldners an der Insolvenzmasse vorbei umgeleitet wird4 oder der Schuldner unentgeltlich bzw. zu einem unangemessen niedrigen Verdienst für eine nahestende Person tätig wird5. Die Aufgabe einer freiberuflichen Praxis ist – da auch diese auf der persönlichen Arbeitskraft des Schuldners beruht, nicht anfechtbar – wohl aber deren Veräußerung6 oder die unentliche Übertragung des Mandanten- bzw. Patientenstamms. Die Wirksamkeit einer Rechtshandlung als Rechtsgeschäft ist nicht Voraussetzung für die Insolvenzanfechtung7. Zwar haben unwirksame Rechtsgeschäfte regelmäßig keine Rechtsfolgen, die durch die Anfechtung wieder rückgängig gemacht werden könnten. Jedoch steht es dem Insolvenzverwalter frei, die Anfechtung anstelle oder neben der Nichtigkeit geltend zu machen (vgl. auch Rz. 13). Dies wird er insbesondere dann tun, wenn die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit einfacher darzulegen und/oder zu beweisen sind als diejenigen der Nichtigkeit.
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Dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Vornahme der Rechtshandlung bestand, steht ihrer Anfechtung nicht entgegen. So kann z.B. auch der Einzug von Sozialversicherungsbeiträgen anfechtbar sein8, ebenso das Abführen von Lohnsteuer9. Ein Gesetzesentwurf, der die anfechtungsrechtliche Privilegierung von
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1 BGH v. 20. 10. 1971 – VIII ZR 212/69, BGHZ 57, 123 (124) = NJW 1972, 48; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 89. 2 BGH v. 27. 11. 1963 – VII ZR 278/62, WM 1964, 114 (116) zum AnfG; RG v. 3. 3. 1908 – Rep. VII. 286/07, RGZ 69, 59 (63); RG v. 26. 1. 1909 – Rep. VII 146/08, RGZ 70, 226 (230). 3 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 91. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 20. 5 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 91. 6 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 93; a.A. zur Veräußerung Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 93 (3/2003) mit Verweis auf das Urteil des BGH v. 27. 11. 1963 – VII ZR 278/62, WM 1964, 114 (116) zum AnfG. Diese Rechtsprechung dürfte indes durch den grundsätzlichen Insolvenzbeschlag der freiberuflichen Praxis unter Geltung der InsO überholt sein. 7 BGH v. 11. 7. 1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 (3148); BGH v. 11. 6. 1992 – IX ZR 255/91, MDR 1992, 958 f. 8 BGH v. 11. 1. 2007 – IX ZR 31/05, ZIP 2007, 435; BGH v. 8. 12. 2005 – IX ZR 182/01, WM 2006, 190 ff; BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1234; BGH v. 10.7. 2003 – IX ZR 89/02, WM 2003, 1776 (1777). 9 BGH v. 22. 1. 2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513 (517).
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§ 10
Rz. 31
Insolvenzanfechtung
Sozialversicherungsträgern und Fiskus vorsieht, liegt vor, wurde jedoch bis Redaktionsschluss nicht verabschiedet1. 31
Eine Sonderstellung nimmt die Aufrechnung ein. Eine Anfechtung ist unter Geltung der InsO im technischen Sinne nicht mehr vonnöten, weil eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit der Verfahrenseröffnung ex tunc unwirksam wird, sofern die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung geschaffen wurde2. Die Entbehrlichkeit der Anfechtung ändert in der Praxis wenig, da der Insolvenzverwalter bei Streit über die Wirksamkeit einer Aufrechnung dennoch wird Klage erheben müssen. Er ist hierbei auch an die Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO gebunden3. Die Frage, wann die Schaffung einer Aufrechnungslage in diesem Sinne anfechtbar ist – wann die Aufrechnung also nach § 96 Nr. 3 InsO unwirksam ist – wird hier im Rahmen der einzelnen Anfechtungstatbestände mitbehandelt. Praxisrelevant ist insbesondere der Fall von Zahlungseingängen auf ein debitorisches Konto des Schuldners, vgl. im Einzelnen unten Rz. 127 ff. In jedem Fall muss die Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage nicht auf einer Rechtshandlung des Schuldners, sondern kann auch auf einer Rechtshandlung eines Dritten beruhen4 (zur Aufrechnung ausführlich § 7 Rz. 488 ff.).
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Teilanfechtung: Eine Rechtshandlung ist zwar – wenn sie nicht teilbar ist – nur als Ganzes anfechtbar, so dass z.B. die Anfechtung einer einzelnen gläubigerbenachteiligenden Klausel aus einem ansonsten ausgeglichenen Vertrag ausscheidet. Jedoch kann in einem solchen Fall der ganze Vertrag angefochten werden, wobei sich die Rechtsfolgen der Anfechtung dann darauf beschränken, dass dasjenige gemäß § 143 InsO zurückzugewähren ist, das aus der gläubigerbenachteiligenden Klausel erlangt wurde. Dem kann der Anfechtungsgegner nicht entgegenhalten, dass er den Vertrag ohne die betreffende Klausel nicht abgeschlossen hätte5. bb) Person des Handelnden
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Wer die Rechtshandlung vorgenommen hat, spielt keine Rolle, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht: Anfechtbar sind grundsätzlich 1 Von dem ursprünglichen Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung v. 8. 3. 2006 (BT-Drucks. 12/886) wurde zunächst nur der erstgenannte Teil verabschiedet, das Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge (BT-Drucks. 16/3844). Die Umsetzung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Teils wurde verschoben. 2 Der Wortlaut des § 96 Nr. 3 InsO könnte auch einschränkend so zu verstehen sein, dass dies nur dann gilt, wenn die Forderung des aufrechnenden Gläubigers vor der Gegenforderung des Schuldners bestanden hat. Aufgrund der Gesetzesmaterialien (Begründung zu § 108 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 141) entspricht es indes der ganz h.M., dass die Vorschrift auch den umgekehrten Fall erfasst, vgl. OLG Köln v. 17. 11. 2000 – 19 U 206/99, BB 2002, 223; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 57 (3/2003); Brandes in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 96 Rz. 27; von Olshausen, ZIP 2003, 893. 3 BGH v. 12. 7. 2007 – IX ZR 120/04, MDR 2007, 1281; a.A. Feuerborn, ZIP 2002, 290. 4 OLG Köln v. 17. 11. 2000 – 19 U 206/99, BB 2002, 223. 5 BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (452).
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Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 37 § 10
sowohl Rechtshandlungen des Schuldners als auch solche von Gläubigern oder Dritten. Anfechtbare Rechtshandlungen des Schuldners sind typischerweise die Eingehung schuldrechtlicher Verpflichtungen, Übereignungen (auch Sicherungsübereignungen), Forderungsabtretungen und ähnliche vermögensschmälernde Vorgänge. Handlungen von gesetzlichen oder gewillkürten Vertretern des Schuldners stehen insoweit seinen eigenen Handlungen gleich.
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Gemäß § 141 InsO steht es der Anfechtbarkeit solcher Rechtshandlungen des Schuldners nicht entgegen, dass ein auf Vornahme der betreffenden Rechtshandlung gerichteter vollstreckbarer Titel bestand oder dass sie gar durch Vollstreckungszwang erwirkt wurde. Als anfechtbare Rechtshandlungen von Gläubigern kommen z.B. Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht (beachte insoweit aber auch die Rückschlagsperre des § 88 InsO, siehe § 6 Rz. 155). Dass auch Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich der Anfechtung unterliegen, wird ebenfalls durch § 141 InsO klargestellt.
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Im Bereich der Rechtshandlungen von Dritten ist dabei zu beachten, dass der Eigentumserwerb eines Dritten im Rahmen einer Zwangsversteigerung nicht anfechtbar ist, weil weder das Meistgebot noch der Zuschlag Rechtshandlungen im Sinne des Anfechtungsrechts sind1 (str.). Vielmehr stellt der Zuschlag einen konstitutiv wirkenden, anfechtungsfesten staatlichen Hoheitsakt dar2. Dagegen kann im Fall der Forderungspfändung neben dieser selbst auch die nachfolgende Zahlung des Drittschuldners anfechtbar sein3.
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Bei Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters ist zu unterscheiden: Nach überwiegender Auffassung scheidet die Anfechtung von Handlungen des sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. § 6 Rz. 88) jedenfalls insoweit aus, als dieser gemäß § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten begründet, besichert oder tilgt. Rechtshandlungen des vorläufigen Verwalters ohne allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter, vgl. § 6 Rz. 75 ff. und § 14 Rz. 11 ff., 36 ff.) bzw. Rechtshandlungen, an denen dieser mitgewirkt hat, können dagegen anfechtbar sein4. Dies gilt grund-
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1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 7; a.A. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 20: Meistgebot ist Rechtshandlung, die allerdings in der Regel nicht gläubigerbenachteiligend wirkt. 2 BGH v. 15. 5. 1986 – IX ZR 2/85, MDR 1986, 1022 zum AnfG; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 11. 3 BGH v. 21. 3. 2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898. 4 So Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 InsO Rz. 39 ff. und § 130 Rz. 100; Malitz, DZWIR 1997, 26; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 44 ff. (3/2003) und § 130 Rz. 34 f. (3/2003); OLG Celle v. 12. 12. 2002 – 13 U 56/02, ZIP 2003, 412 (413); OLG Stuttgart v. 24. 7. 2002 – 3 U 14/02, ZIP 2002, 1900 (1901).
Graf/Wunsch
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§ 10
Rz. 38
Insolvenzanfechtung
sätzlich auch beim vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt für Rechtsgeschäfte, zu denen dieser seine Zustimmung erteilt hat1. 38
Die Anfechtungsmöglichkeit besteht nach allgemeiner Auffassung auch dann, wenn Verwalter und vorläufiger Verwalter personenidentisch sind. Der Insolvenzverwalter kann in diesem Fall also auch seine eigenen Handlungen bzw. Handlungen des Schuldners, denen er selbst zugestimmt hatte, anfechten2. Unabhängig von einer Personenidentität3 besteht die Anfechtungsmöglichkeit allerdings nur unter dem Vorbehalt von Vertrauensschutz bzw. Treu und Glauben4. Gerade der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt setzt durch seine Zustimmung in der Regel einen Vertrauenstatbestand5. Nicht anfechtbar sind dabei regelmäßig Leistungen des Schuldners auf Altverbindlichkeiten, denen der vorläufige Verwalter im Zusammenhang mit neuen Leistungen des Gläubigers vorbehaltlos zugestimmt hat6. Aus diesem Grund kommt es in der Praxis vor, dass der vorläufige Verwalter Geschäfte „unter dem Vorbehalt der Anfechtung“ abschließt bzw. genehmigt. In diesem Fall ist natürlich besondere Vorsicht geboten. Dass in einem späteren Stadium desselben Geschäfts auf diesen Vorbehalt nunmehr verzichtet wird, begründet nach einer Entscheidung des OLG Köln allein noch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn die Anfechtung später doch geltend gemacht wird7. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein Verstoß gegen Treu und Glauben auch dann nicht vor, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter auf Druck des Anfechtungsgegners gezwungen war, seine Zustimmung zu erteilen, weil eine Betriebsfortführung sonst nicht möglich gewesen wäre (z.B. bei Zahlung rückständiger Beträge an ein Energieversorgungsunternehmen unter dem Druck der angedrohten Einstellung der Energielieferungen). In diesem Fall muss also derjenige, der Druck auf den vorläufigen Verwalter ausübt – jedenfalls dann, wenn Letzterer einen Vorbehalt erklärt oder in sonstiger Weise zum Ausdruck gebracht hat, dass er den durch die Ausnutzung der Marktposition erlangten Sondervorteil nicht für gerechtfertigt hält – damit rechnen, dass er den erlangten Vorteil durch Anfechtung wieder verliert8, sofern ein Anfechtungsgrund vorliegt. 1 BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244 f.); BGH v. 9. 12. 2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219); zustimmend Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 30. 2 BGH v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, WM 2003, 893, 896; BGH v. 11. 6. 1992 – IX ZR 255/91, BB 1992, 1590 (1691) = MDR 1992, 958 (959); BGH v. 11. 6. 1992 – IX ZR 147/91, BB 1992, 1457 f. = MDR 1992, 959; BGH v. 22. 12. 1982 – VIII ZR 214/81, NJW 1983, 887 (889); OLG Köln v. 7. 5. 1996 – 22 U 217/95, WM 1996, 2129. 3 BGH v. 9. 12. 2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219). 4 BGH v. 13. 3. 2003 – IX ZR 64/02, BB 2003, 979 (982) = MDR 2003, 775 (776); BGH v. 11. 6. 1992 – IX ZR 255/91, BB 1992, 1590 (1691) = MDR 1992, 958 (959); BGH v. 22. 12. 1982 – VIII ZR 214/81, NJW 1983, 887 (889); OLG Köln v. 7. 5. 1996 – 22 U 217/95, WM 1996, 2129. 5 BGH v. 15. 12. 2005 – IX ZR 156/04, NZI 2006, 227 (228). 6 Vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 469. 7 OLG Köln v. 7. 5. 1996 – 22 U 217/95, WM 1996, 2129; offen gelassen von BGH v. 9. 12. 2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219). 8 BGH v. 15. 12. 2005 – IX ZR 156/04, NZI 2006, 227 (228); BGH v. 30. 1. 1986 – IX ZR 79/85, MDR 1986, 580 (581). Die Beweislast für eine solche „Drucksituation“ liegt nach der erstgenannten Entscheidung des BGH beim Insolvenzverwalter.
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Graf/Wunsch
Rz. 41 § 10
Einleitung
Schließlich soll auch dann kein Vertrauensschutz greifen, wenn der vorläufige Verwalter der Erfüllung einer Insolvenzforderung zugestimmt hat, die nicht im Zusammenhang mit noch zu erbringenden Leistungen des Gläubigers stand1. Greift die Anfechtung in einer der vorgenannten Fallgruppen trotz eines gewissen widersprüchlichen Verhaltens des Insolvenzverwalters durch, so ist aufgrund dieser Widersprüchlichkeit aus der Sicht des Anfechtungsgegners an einen Schadensersatzanspruch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter aus § 60 InsO zu denken2. Dieser ist freilich nur auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet. cc) Unterlassen als Rechtshandlung Soweit ein Unterlassen Gegenstand der Anfechtung sein soll, ist Voraussetzung hierfür, dass das Unterlassen wissentlich und willentlich erfolgt ist3. Die hiernach erforderliche Kenntnis von den zugrunde liegenden Umständen muss innerhalb der jeweils einschlägigen zeitlichen Schranken der Anfechtung vorgelegen haben. (Zum Zeitpunkt, an dem eine Unterlassung als vorgenommen gilt, vgl. unten Rz. 283.)
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Gegenstand des Unterlassens können alle Rechtshandlungen sein. Dies gilt insbesondere für:
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die unterlassene Anfechtung einer Willenserklärung4;
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jegliche Unterlassung von Rechtsbehelfen;
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unterlassene Prozesshandlungen wie das Nichtbestreiten im Sinne des § 138 Abs. 3 ZPO, rügeloses Einlassen nach § 39 ZPO oder § 295 ZPO oder das nicht rechtzeitige Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln mit der Folge der Präklusion5;
–
unterlassene rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (Mahnungen, Mängelrügen) oder ein unterlassener Wechselprotest6;
–
die Nichtunterbrechung einer Ausschluss- oder Ersitzungsfrist oder die Nichtherbeiführung einer Hemmung oder eines Neubeginns der Verjährung7.
Allerdings ist bei Unterlassungen insbesondere auf Seiten des Schuldners eine Einschränkung zu beachten: Relevant sind nur Unterlassungen, die das Vermögen des Schuldners schmälern, nicht aber solche, durch die eine mögliche Vermögensmehrung nicht realisiert wird. Mit anderen Worten: Nicht anfechtbar sind „verpasste Chancen“ wie die Nichtannahme eines Schenkungserbietens oder der Nichtabschluss eines günstigen Geschäfts. Das gilt – unabhängig davon, ob man diese als Rechtshandlungen oder als Unterlassungen einordnet 1 BGH v. 9. 12. 2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219). 2 BGH v. 11. 6. 1992 – IX ZR 255/91, ZIP 1992, 1005 (1007); BGH v. 11. 6. 1992 – IX ZR 147/91, ZIP 1992, 1008 (1009). 3 BGH v. 24. 10. 1996 – IX ZR 284/95, WM 1996, 2250 (2252). 4 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 25. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 24. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 26. 7 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 25.
Graf/Wunsch
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1049
41
§ 10
Rz. 42
Insolvenzanfechtung
– selbst für Erklärungen wie die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses oder den Erbverzicht1. Dagegen können z.B. die Nichtausübung einer Option oder eines Vorkaufsrechts anfechtbar sein2. Denn in diesen Fällen lag bereits eine rechtlich gesicherte Position vor, derer der Schuldner sich durch Unterlassen wieder begeben hat. b) Gläubigerbenachteiligung 42
Entsprechend der Zielsetzung der Insolvenzanfechtung ist nur diejenige Rechtshandlung anfechtbar, die die Insolvenzgläubiger benachteiligt (§ 129 Abs. 1 InsO). Gemeint sind damit die Gläubiger in ihrer Gesamtheit3, die Benachteiligung einzelner Gläubiger reicht nicht aus.
43
Gläubigerbenachteiligung liegt dann vor, wenn die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt, d.h. vereitelt, vermindert, erschwert oder auch nur verzögert wird4. Dies kann geschehen durch Verminderung der Aktivmasse, Vermehrung der Passivmasse oder Erschwerung oder Verzögerung der Verwertbarkeit. Beispiele für Gläubigerbenachteiligung sind Verfügungen über Aktiva, die Eingehung von Verbindlichkeiten, die Schaffung einer Aufrechnungslage, aber auch das bloße Erschweren des Zugriffs auf einen Gegenstand z.B. durch Übertragung des Besitzes5. Im Einzelfall ist dabei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten: Die Verfügung über ein Grundstück ist dann – ausnahmsweise – nicht gläubigerbenachteiligend, wenn dieses über seinen Wert hinaus dinglich belastet ist6, es sei denn, die betreffenden Grundpfandrechte waren nicht mehr (voll) valutiert7.
44
Eine Gläubigerbenachteiligung liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Insolvenzmasse (§ 35 f. InsO) verkürzt wird. Dass damit auch eine Verkürzung der Insolvenzquote einhergeht, ist trotz des o.g. Erfordernisses der Benachteiligung der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger allerdings nicht erforderlich: Den Einwand, eine Gläubigerbenachteiligung liege deshalb nicht vor, weil auch ohne die betreffende Rechtshandlung Masseunzulänglichkeit eingetreten wäre bzw. die Insolvenzquote in jedem Fall Null betragen hätte, lässt der BGH nicht zu8. 1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 InsO Rz. 24; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2002, § 129 Rz. 90. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 InsO Rz. 26. 3 BGH v. 23. 9. 1981 – VIII ZR 245/80, ZIP 1981, 1229 (1231). 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 129 InsO Rz. 50. 5 BGH v. 4. 2. 1954 – IV ZR 120/53, BGZ 12, 238 (240); Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz. 136, a.A. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 102 (3/2003). 6 BGH v. 11. 7. 1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 (3149) = ZIP 1996, 1516 (1519). 7 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 83. 8 BGH v. 19. 7. 2001 – IX ZR 36/99, MDR 2002, 172 (173); so auch OLG Brandenburg v. 30. 5. 2002 – 8 U 101/01, ZIP 2002, 1698 (1699); OLG Hamburg v. 22. 3. 2002 – 1 U 55/01, ZIP 2002, 1360 (1361) und vorangehend LG Hamburg v. 16. 3. 2001 – 303 O 310/00, ZIP 2001, 711 (713); a.A. LG Stralsund v. 15. 2. 2001 – 6 O 342/99, ZIP 2001, 936 (940 f.).
1050
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Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 46 § 10
Der BGH bejaht die Gläubigerbenachteiligung auch dann, wenn der Schuldner zur Ausführung einer von ihm geschuldeten Zahlung einen ihm von der Bank eingeräumten (Kontokorrent-)Kredit in Anspruch nimmt, z.B. indem er eine Überweisung von einem debitorischen Konto tätigt. Hier liegt zwar aus Sicht der Masse im Ergebnis ein bloßer Passivtausch vor (die Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber dem Zahlungsempfänger verringern sich um den Betrag, um den gleichzeitig seine Verbindlichkeiten gegen die Bank anwachsen). Eine Gläubigerbenachteiligung wird jedoch darin gesehen, dass der Kreditrahmen des Schuldners in Anspruch genommen wird und damit nicht mehr anderweitig zur Verfügung steht1. Etwas anderes gilt allerdings nach Auffassung des BGH – entgegen der zuvor ergangenen Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte – dann, wenn es einen solchen Kreditrahmen vor der betreffenden Belastung des Kontos nicht gegeben hat, mit anderen Worten im Falle einer bloß geduldeten Überziehung2. Entscheidend ist somit, ob eine konkludente Einigung über die Einräumung bzw. Erweiterung einer Kreditlinie vorlag (deren Inanspruchnahme in der Regel gläubigerbenachteiligend ist) vorlag oder eine bloße Duldung der Überziehung. Letztere ist nicht per se gläubigerbenachteiligend, sondern lediglich dann, wenn der Bank als neuer Gläubigerin bessere Sicherheiten zur Verfügung stehen als dem durch die Überziehung befriedigten alten Gläubiger. An der Gläubigerbenachteiligung fehlt es, wenn eine Masseverbindlichkeit3 oder ein Aussonderungsanspruch erfüllt wird4. Gleiches gilt, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger (also z.B. der Inhaber einer Grundschuld) befriedigt wird, so lange dieser nicht mehr erhält, als er auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens erhalten hätte5. Dagegen stellt die anderweitige Verfügung über einen Gegenstand, an dem ein Absonderungsrecht besteht, in der Regel eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger dar6 (zu Aus- und Absonderungsrecht vgl. § 7 Rz. 17 ff. und 135 ff.). Dies gilt auch im Falle der Einziehung einer sicherungsabgetretenen Forderung und anschließenden Auskehr des Erlöses an den Sicherungsnehmer, es sei denn dieser hatte durch die Einziehung ein Ersatzabsonderungsrecht (dazu siehe § 7 Rz. 371 ff.) erworben7.
45
Im Umkehrschluss aus einigen Ausnahmevorschriften, in denen die InsO eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung verlangt, reicht grundsätzlich eine
46
1 BGH v. 7. 2. 2002 – IX ZR 115/99, ZIP 2002, 489 (490); OLG Hamburg v. 22. 3. 2002 – 1 U 55/01, ZIP 2002, 1360 (1363). 2 BGH v. 11. 1. 2007 – IX ZR 31/05, ZIP 2007, 435 (436 f.); anders noch OLG München v. 18. 5. 2006 – 6 U 4216/05, EWiR 2006, 535; OLG Hamburg v. 20. 7. 2005 – 8 U 39/05, ZIP 2006, 44 und OLG Stuttgart v. 13. 1. 2005 – 2 U 164/04, ZIP 2005, 1837 (1839). 3 BGH v. 19. 2. 1998 – VII ZR 105/97, WM 1998, 1036 (1041) = ZIP 1998, 830 (834). 4 BGH v. 19. 2. 1998 – VII ZR 105/97, WM 1998, 1036 (1042) = ZIP 1998, 830 (834). 5 BGH v. 9. 11. 2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (36); BGH v. 19. 2. 1998 – VII ZR 105/97, WM 1998, 1036 (1042); OLG Düsseldorf v. 30. 3. 1995 – 12 U 280/93, WM 1997, 913 (918). 6 BGH v. 9. 10. 2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370 (2372); BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2184); anders noch BGH v. 5. 12. 1985 – IX ZR 165/84, MDR 1986, 404 (405). 7 BGH v. 6. 4. 2006 – IX ZR 185/04, ZIP 2006, 1009 ff. = EWiR 2006, 501; BGH v. 19. 1. 2006 – IX ZR 154/03, ZIP 2006, 959 ff. = EWiR 2006, 503 f.
Graf/Wunsch
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1051
§ 10
Rz. 47
Insolvenzanfechtung
mittelbare Beeinträchtigung aus. Sie liegt vor, wenn die Gläubigerbenachteiligung erst nach Abschluss der Rechtshandlung aus dem Hinzutreten weiterer Umstände entsteht1. Ein Beispiel hierfür ist der Abschluss und die Durchführung eines an sich ausgeglichenen gegenseitigen Vertrages, wenn der Schuldner die erlangte Gegenleistung anschließend verbraucht oder beiseite schafft2. Eine mittelbare Beeinträchtigung liegt auch bei der Veräußerung eines Gegenstands vor, wenn der Veräußerungspreis zwar zum Zeitpunkt des Geschäfts angemessen war, zum Anfechtungszeitpunkt aber zu niedrig wäre (z.B. aufgrund eines Kursanstiegs von Wertpapieren)3. c) Ausnahme von der Anfechtbarkeit gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen: Bargeschäfte, § 142 InsO 47
Zu beachten ist, dass unmittelbar erfüllte Bargeschäfte nach § 142 InsO von der Insolvenzanfechtung ausgeschlossen sind, soweit es nicht um den Anfechtungstatbestand des § 133 InsO (vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung) geht. Auf diese Vorschrift und auf den Begriff des Bargeschäfts wird hier in einem gesonderten Abschnitt einzugehen sein (unten Rz. 293 ff.).
6. Typische Beratungskonstellationen für den Rechtsanwalt 48
Überwiegend wird der Rechtsanwalt als Berater des (potentiellen) Anfechtungsgegner hinzugezogen. Der Berater wird dabei ohne weiteres auf die Thematik des Insolvenzanfechtungsrechts aufmerksam, wenn sich sein Mandant erst an ihn wendet, nachdem ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und der Insolvenzverwalter Ansprüche gegen ihn geltend gemacht oder gar bereits Klage erhoben hat.
48a
Eine nicht zu unterschätzende – wenngleich oftmals vernachlässigte – Rolle spielt das Insolvenzanfechtungsrecht jedoch auch in der Beratung außerhalb eines Insolvenzverfahrens: Dies betrifft zum einen bereits in der Phase der Vertragsgestaltung ohne ein konkret drohendes Insolvenzverfahren diejenigen Klauseln, die den eigenen Mandanten abstrakt im Fall der Insolvenz der anderen Vertragspartei(en) schützen sollen. Solche Klauseln müssen standardmäßig auf ihre „Insolvenzfestigkeit“ im Allgemeinen und dabei auch auf ihre „Anfechtungsfestigkeit“ überprüft werden. Zum anderen wendet sich oftmals ein Gläubiger ratsuchend an seine rechtlichen Berater, wenn die Insolvenz seines Schuldners absehbar wird oder zumindest zu befürchten ist. In dieser Phase geht es darum, bei der Durchführung der bestehenden Verträge und u.U. auch bei der (Neu-) Gestaltung der Vertrags1 BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (450); BGH v. 3. 3. 1960 – VIII ZR 86/59, WM 1960, 381 (382). 2 BGH v. 2. 6. 1959 – VIII ZR 182/58, WM 1959, 888 (890). 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 80 (3/2003).
1052
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Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 49 § 10
beziehungen das Anfechtungsrisiko zu minimieren. Hier sollte der Berater z.B. wissen, dass die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung anfechtungsrechtlich sicherer sein kann als eine freiwillige Zahlung (dazu unten Rz. 169a, Rz. 183). Ein anderes typisches Beispiel ist der Lieferant, der ein in Schwierigkeiten geratenes Unternehmen nach wie vor laufend beliefert und auch laufend Zahlungen erhält, wobei diese jedoch nicht pünktlich und nicht vollständig erfolgen, so dass sich ein hoher Zahlungsrückstand angesammelt hat. Der Schuldner wird in diesem Fall regelmäßig jeweils die ältesten offenen Forderungen begleichen. Hier ist dem Mandanten oftmals dazu zu raten, stattdessen jeweils auf unmittelbare Zahlung der jeweils letzten Lieferung zu bestehen, um so ein der Anfechtung in der Regel entzogenes Bargeschäft herbeizuführen (dazu unten Rz. 295). Ebenso kommt es vor, dass sich ein Insolvenzgläubiger durch Vermögensverschiebungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens benachteiligt fühlt und sich mit der Frage nach möglichen Maßnahmen an seinen Rechtsanwalt wendet. Dies betrifft sowohl Fälle der Bevorzugung anderer Gläubiger als auch Vermögensverschiebungen an den Unternehmensinhaber, nahestehende Personen oder verbundene Unternehmen. In dieser Situation obliegt es dem Berater des (vermeintlich oder tatsächlich) benachteiligten Gläubigers, etwaige Anfechtungsmöglichkeiten jedenfalls summarisch zu prüfen und gegebenenfalls dem Insolvenzverwalter – der eventuell bei nicht „aktenkundigen“ Vorgängen nicht über den Kenntnisstand des Gläubigers verfügt – entsprechende Hinweise zu geben. Nicht sinnvoll ist in dieser Situation ein Hinweis an das Insolvenzgericht. Für den weiteren Fortgang einer solchen Angelegenheit ist zu beachten, dass dem einzelnen Gläubiger gegenüber dem Verwalter kein Auskunftsanspruch zusteht. Sachstandsanfragen des rechtlichen Beraters werden daher gerade in großen Verfahren oftmals unbeantwortet bleiben. Unternimmt der Insolvenzverwalter nach erfolgtem Hinweis auf eine Anfechtungsmöglichkeit nichts, so äußert der Mandant gelegentlich den Wunsch, hiergegen rechtlich vorzugehen. Insoweit wird jedoch eine Anrufung des Insolvenzgerichts mit dem Ziel der Ausübung der Aufsicht über den Verwalter (§§ 58, 59 InsO) nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen, da die Erfolgsaussichten in der Regel beschränkt und Rechtsmittel gegen eine Untätigkeit des Gerichts nicht gegeben sind. Sinnvoller ist es aus Sicht des (Groß-) Gläubigers oftmals, die Angelegenheit im Rahmen der Gläubigerversammlung vorzubringen oder sich in den Gläubigerausschuss mit seinen gegenüber dem einzelnen Gläubigern erweiterten Kontrollbefugnissen wählen zu lassen (zu diesen Organen s. § 6 Rz. 222 ff. und 249 ff.).
Graf/Wunsch
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1053
49
§ 10
Rz. 50
Insolvenzanfechtung
II. Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers (kongruente oder inkongruente Deckung, §§ 130, 131 InsO) 1. Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers 50
Unter einer kongruenten oder inkongruenten „Deckung“ versteht das Gesetz die Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers.
51
Erfasst werden dabei nicht nur die Fälle, in denen eine Befriedigung oder Sicherung gewährt wird, sondern auch diejenigen, in denen diese ermöglicht wird. Der Schuldner kann eine Sicherung z.B. dadurch ermöglichen, dass er Wertpapiere bei einer Bank einlagert und dadurch deren AGB-Pfandrecht auslöst; eine Befriedigung kann er durch Anerkenntnis im Prozess ermöglichen1. Der Erwerb eines vollstreckbaren Titels durch einen Gläubiger ist dagegen nach wohl h.M. kein Fall des Ermöglichens der Befriedigung, sondern kann nicht isoliert angefochten werden (str.)2.
52
Die Abgrenzung zwischen Sicherung und Befriedigung ist in der Praxis sekundär, da beide Begriffe in allen Alternativen der §§ 130, 131 InsO nebeneinander stehen. Auf die Unterscheidung kommt es im Ergebnis also nicht an, sie spielt lediglich insofern eine Rolle, als sich für beide Kategorien eine gewisse Kasuistik entwickelt hat. a) Begriff der Befriedigung
53
Die Befriedigung eines Gläubigers im Sinne der §§ 130, 131 InsO liegt vor, wenn ein materiellrechtlicher Anspruch erfüllt wurde. Dies gilt – gerade im Hinblick auf den Fall des Ermöglichens der Befriedigung durch prozessuales Anerkenntnis – auch dann, wenn der betreffende Anspruch in Wahrheit gar nicht bestanden hat3. In diesem Fall kann der Insolvenzverwalter dem rechtskräftig festgestellten Anspruch des Gläubigers die Einrede der Anfechtbarkeit entgegenhalten4. Eine Befriedigung eines Gläubigers kann nicht nur Rechtshandlungen des Schuldners erfolgen, sondern z.B. auch in einer Vollstreckungsmaßnahme des Gläubigers liegen.
54
Eine Befriedigung des Gläubiger liegt auch im Falle einer nur mittelbaren Zuwendung durch den Schuldner vor. Eine solche ist gegeben beim Vertrag zugunsten Dritter, vor allem aber bei Zahlungsaufträgen oder Anweisungen (der Schuldner weist z.B. einen seiner Schuldner an, unmittelbar an einen seiner 1 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 13 a. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 141 Rz. 4; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 141 InsO Rz. 6; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 141 Rz. 4 (3/2003); a.A. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 14. 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 46 (3/2003). 4 Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 813 (822), Rz. 23; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 46 (3/2003).
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 59 § 10
Gläubiger zu zahlen)1 oder bei anderen Fällen der Zwischenschaltung einer Mittelsperson. Anfechtungsgegner ist dann in der Regel der letztendliche Empfänger der Zuwendung2. Er muss den empfangenen Vermögenswert zur Masse zurückgewähren, und im Rahmen des jeweiligen Anfechtungstatbestands ist hinsichtlich der subjektiven Merkmale (z.B. Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bei §§ 130, 131 InsO) auf ihn abzustellen.
55
b) Begriff der Sicherung Unter der Sicherung eines Gläubigers versteht man dagegen das Verschaffen einer zusätzlichen Rechtsposition, die den Leistungsanspruch dieses Gläubigers unberührt lässt, dessen Durchsetzbarkeit jedoch verstärkt oder erleichtert3.
56
Beispiele für eine Sicherung im Sinne der §§ 130, 131 InsO sind Kreditsicherheiten wie Sicherungseigentum, Grundpfandrechte, eine (auch antizipierte) Sicherungszession usw.
57
Bezüglich der Vormerkung ist strittig, ob diese eine Sicherung im Sinne des Gesetzes darstellt (zur Vormerkung in der Insolvenz ausführlich § 8 Rz. 114 ff.). Nach einer Auffassung ist dies zu bejahen4. Danach stellt die Vormerkung stets eine kongruente Deckung dar, wenn der zu sichernde Anspruch vor dem Dreimonatszeitraum entstanden ist. Nach a.A. unterfällt die Vormerkung erst gar nicht den §§ 130, 131 InsO5.
58
Von der Anfechtung der Vormerkung zu unterscheiden ist die Anfechtung des dem vormerkungsgesicherten Anspruch zugrunde liegenden schuldrechtlichen Geschäfts, z.B. des Kaufvertrags. Diese führt dazu, dass sich der Anfechtungsgegner auf die Vormerkung gegenüber der Masse nicht mehr berufen kann. Ebenso von der Anfechtung der Vormerkung zu unterscheiden ist die Anfechtung des nachfolgenden Vollrechtserwerbs bzw. der Auflassung. Dabei ist zu beachten, dass die Existenz der Vormerkung alleine nicht etwa dazu führt, dass die Auflassung als konkludent erfolgt anzusehen ist6. Vielmehr kann auch eine vormerkungsgesicherte Auflassung nach allgemeinen Regeln der Anfechtung nach 131 InsO unterliegen. c) Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers Die §§ 130, 131 InsO betreffen nur die Fälle der Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers (zum Begriff des Insolvenzgläubigers s. § 6 Rz. 278 ff.). Das bedeutet, 1 OLG Brandenburg v. 3. 3. 1999 – 7 U 229/98, ZIP 1999, 1012 (1013). 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 129 Rz. 32; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 130 InsO Rz. 10. 3 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 8. 4 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 8. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 15, der auch BGH v. 21. 12. 1960 – VIII ZR 204/59, BGHZ 34, 254 = WM 1961, 174 dahin gehend interpretiert. 6 OLG Stuttgart v. 22. 2. 2005 – 10 U 242/04, ZIP 2005, 588 (599).
Graf/Wunsch
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1055
59
§ 10
Rz. 60
Insolvenzanfechtung
–
dass auch die Befriedigung oder Sicherung eines nachrangigen Gläubigers (§ 39 InsO, zum Begriff vgl. § 6 Rz. 280) erfasst wird1;
–
dass die Befriedigung oder Sicherung eines Massegläubigers oder eines aussonderungsberechtigten Gläubigers (zum Begriff vgl. § 7 Rz. 17 ff.) nie erfasst wird2;
–
dass die Befriedigung oder Sicherung eines absonderungsberechtigten Gläubigers (zum Begriff vgl. § 7 Rz. 135 ff.) zwar erfasst wird, wenn dieser zugleich persönlicher Gläubiger des Schuldners ist (§ 52 InsO). Insoweit fehlt es aber am Merkmal der Gläubigerbenachteiligung, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger die betreffende Befriedigung auch aus dem Sicherungsgegenstand hätte erlangen können (vgl. oben Rz. 45).
2. Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung 60
Die §§ 130 und 131 InsO betreffen beide den Fall der Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers innerhalb kurzer Zeit (je nach Alternative drei Monate oder einen Monat) vor der Stellung des Insolvenzantrags oder danach bis zur Verfahrenseröffnung. Für die Frage, ob in einem solchen Fall nun § 130 oder § 131 InsO eingreift, muss zunächst entschieden werden, ob es sich um eine kongruente oder eine inkongruente Deckung handelt.
61
Was das bedeutet, ergibt sich aus § 131 Abs. 1 InsO: Eine inkongruente Deckung liegt vor, wenn der betreffende Insolvenzgläubiger die ihm gewährte Sicherung oder Befriedigung –
gar nicht,
–
nicht in der Art, oder
–
nicht zu der Zeit
verlangen konnte, wie sie ihm tatsächlich gewährt worden ist. Wurde die gewährte Sicherung oder Befriedigung allerdings nur nicht in der Art oder nicht zu der Zeit geschuldet, ist zu beachten, dass ganz geringfügige Abweichungen vom Geschuldeten nicht zur Inkongruenz führen (s. unten Rz. 77, Rz. 78). 62
Die weiteren Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit sind bei § 131 InsO wesentlich geringer als bei der Anfechtung einer kongruenten Deckung nach § 130 InsO (bei der der Gläubiger ja nur das bekommen hat, was ihm zustand). Aus diesem Grund ist die Frage, ob eine kongruente oder inkongruente Deckung vorliegt, oftmals entscheidend für die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung.
1 Dies ergibt sich – in Abweichung zur KO – aus § 38 InsO, vgl. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 130 InsO Rz. 12; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 45 (3/2003). Dagegen geht Henckel in der Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 813 (821 f.), Rz. 22, davon aus, dass die §§ 130, 131 InsO für Gläubiger kapitalersetzender Darlehen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO von § 135 InsO als lex specialis verdrängt werden. 2 BGH v. 15. 12. 2005 – IX ZA 3/04, FamRZ 2006, 411.
1056
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 67 § 10
a) Nicht zu beanspruchende Deckung aa) Nicht zu beanspruchende Befriedigung Eine nicht zu beanspruchende Befriedigung im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn der Anspruch des Gläubigers nicht bestanden hatte oder dauerhaft nicht durchsetzbar gewesen war. Das ist z.B. der Fall bei: –
dauerhaften Einreden, z.B. Verjährung oder Anfechtbarkeit nach §§ 119 ff. BGB1;
–
unklagbaren Verbindlichkeiten2;
–
der heilenden Erfüllung formunwirksamer Geschäfte, z.B. nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB, oder die Tilgung einer anwaltlichen Honorarrechnung ohne wirksame Gebührenvereinbarung, § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG3.
Außerdem hat das OLG Düsseldorf eine inkongruente Deckung im Fall der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gegen unangemessen hohe Abfindung bejaht4. Die „Angemessenheit“ in diesem Sinne wurde dabei an den §§ 9, 10 KSchG festgemacht und die Anfechtung nur hinsichtlich des überschießenden Betrags zugelassen.
63
64
bb) Nicht zu beanspruchende Sicherung Eine Sicherung kann schlicht und einfach dann nicht beansprucht werden, wenn der Gläubiger keinen Anspruch auf sie hat. Eine Sicherung ist also nur dann kongruent,
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–
wenn auf sie ein gesetzlicher Anspruch bestanden hatte, z.B. beim Werkunternehmer- oder Vermieterpfandrecht (Ausnahme: wenn sich die Einbringung von Sachen durch den Mieter nicht mehr im Rahmen des Üblichen hält5), bei der Vormerkung, der Bauhandwerkersicherungshypothek, dem kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht usw., oder
66
–
wenn sie vertraglich – auch durch AGB – vereinbart war. Hier zählt allerdings nur ein hinreichend bestimmter vertraglicher Anspruch auf eine konkrete Sicherheit6, nicht aber z.B. Nr. 13 AGB-Banken/Nr. 22 Abs. 1
67
1 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 14 a. 2 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 14 a. 3 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 14. Weitere Beispiele für heilende Erfüllungsgeschäfte: § 766 Abs. 2 BGB, § 15 Abs. 4 Satz 2 GmbHG. 4 OLG Düsseldorf v. 13. 4. 1989 – 12 U 81/88, ZIP 1989, 1072 (1073 f.); zust. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 12. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 21; nach a.A. soll auch in diesem Fall (nur) § 133 InsO in Betracht kommen, vgl. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 24. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 17; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 20, 39; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 131 Rz. 26.
Graf/Wunsch
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1057
§ 10
Rz. 68
Insolvenzanfechtung
AGB-Sparkassen, wonach das Kreditinstitut Anspruch auf Bestellung „bankmäßiger Sicherheiten“ hat1. Gleiches gilt für das globale AGB-Pfandrecht von Kreditinstituten nach Nr. 14 AGB-Banken/Nr. 21 AGB-Sparkassen2. Kongruent ist dagegen die Entstehung und Abtretung von Forderungen im Rahmen einer Globalzession3. Gleiches dürfte für andere revolvierende Globalsicherheiten gelten4.
! Hinweis: 68
Die Gewährung nachträglicher Sicherheiten für bereits bestehende Forderungen ist stets inkongruent und wird darüber hinaus oftmals auch der Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO unterliegen (zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei Drucksituationen siehe unten Rz. 177, Rz. 181). Bietet ein mit Zahlungen rückständiger Schuldner daher im Gegenzug für ein „Stillhalten“ des Gläubigers (weitere) Sicherheiten an, so muss der Berater des Gläubigers auf die Gefahr der Anfechtung hinweisen. In geeigneten Fällen lässt sich diese Gefahr verringern, indem die Sicherheit nicht als nachträgliche Sicherheit für bestehende Forderungen ausgestaltet wird, sondern als anfängliche Sicherheit für eine neue Forderung im Rahmen einer Umgestaltung der Vertragsverhältnisse, z.B. durch Umwandlung fälliger Forderungen aus Lieferungen oder Leistungen des Gläubigers in ein Darlehen. Selbstverständlich muss dann diese Umgestaltung der Vertragsverhältnisse ihrerseits auf Anfechtungsrisiken hin überprüft werden, insbesondere im Hinblick auf die Anfechtung nach §§ 132, 133 InsO. Diese Anfechtungsrisiken dürften jedoch oftmals deutlich geringer ausfallen. Lediglich wenn der urprüngliche Anspruch bereits wirtschaftlich wertlos war, ist die Gewährung von Sicherheiten im Gegenzug zu einer Umwandlung in ein Darlehen als unentgeltlich anzusehen und somit für die Dauer von vier Jahren nach § 134 InsO anfechtbar5 und zudem für die Dauer von zehn Jahren von der Anfechtung nach § 133 InsO bedroht.
69
Inkongruent ist das durch Hereinnahme eines Inkassoschecks erlangte Sicherungseigentum der Bank am Scheck6. Verwertet die Bank mit dem Einzug auch ihr Sicherungsrecht, so wird die Inkongruenz hierdurch nicht beseitigt7.
1 BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (184); BGH v. 3. 12. 1998 – IX ZR 313/97, NJW 1999, 645; BGH v. 18. 12. 1980 – III ZR 157/78, DB 1981, 523 f. Nach Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, Rz. 6.102, soll ausnahmsweise eine kongruente Deckung vorliegen, wenn der Schuldner bereits bei Vertragsschluss nur über eine mögliche Sicherheit verfügt hatte. 2 BGH v. 12. 2. 2004 – IX ZR 98/03, BB 2004, 732 (734); BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960; a.A. Eckardt, ZIP 1999, 1417 (1419 f.). 3 BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (185). 4 Kuder, ZIP 2008, 289 (293 f.). 5 BGH v. 1. 6. 2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 (1362). 6 BGH v. 30. 4. 1992 – IX ZR 176/91, NJW 1992, 1960 (1961) = ZIP 1992, 778 (780); Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 66. 7 BGH v. 30. 4. 1992 – IX ZR 176/91, NJW 1992, 1960 (1961) = ZIP 1992, 778 (780); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 19.
1058
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 74 § 10
Außerdem ist eine Sicherung im Falle des nachträglichen „Ausfüllens“ einer Sicherungsabrede durch eine zu sichernde Forderung inkongruent1. Das betrifft z.B. Fälle, in denen ein vertraglich sicherungsberechtigter Gläubiger – in der Regel eine Bank – sich die ungesicherte und nicht mit einem Anspruch auf Sicherung behaftete Forderung eines anderen Gläubigers abtreten lässt, so dass die Forderung nunmehr in den Bereich der mit dem Schuldner vereinbarten Sicherungsabrede fällt. In diesem Fall ist die Abtretung der maßgebliche Akt, mit dem die Sicherung erlangt wurde, und es handelt sich dabei um eine inkongruente Sicherung. Das gilt auch für den Abschluss bzw. die Erweiterung eines Sicherheiten-Poolvertrags2.
70
Inkongruent ist auch diejenige Sicherheit, auf die nur für den Fall der Zahlungsunfähigkeit ein vertraglicher Anspruch eingeräumt wurde3. Ansonsten könnte § 131 InsO durch solche Klauseln umgangen werden.
71
! Hinweis: Klauseln, die den eigenen Mandanten vor der Zahlungsunfähigkeit der anderen Vertragspartei schützen sollen, sollten weiter gefasst werden und keinesfalls ausschließlich bzw. erst bei Zahlungsunfähigkeit greifen (zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit s. § 1 Rz. 49 ff.).
72
Ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf die Sicherung macht diese nur dann zur kongruenten Deckung, wenn dieser Anspruch vor Beginn des jeweils nach § 131 InsO einschlägigen Zeitraums entstanden ist. Entsteht der Anspruch auf Bestellung der Sicherheit erst innerhalb dieses Zeitraums, so liegt eine inkongruente Sicherung vor4.
73
cc) Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung oder deren Androhung Sowohl die Befriedigung als auch die Sicherung eines Gläubigers sind stets inkongruent, wenn der Gläubiger sie sich im Wege der Zwangsvollstreckung ver-
1 BGH v. 25. 9. 1972 – VIII ZR 216/71, BGHZ 59, 230 (233 ff.); BGH v. 25. 6. 1975 – VIII ZR 71/74, WM 1975, 947 (948); BGH v. 30. 10. 1974 – VIII ZR 81/73, NJW 1975, 122 (123); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 41 (3/2003). Nach a.A. soll hierin ein Fall des § 132 InsO (unmittelbare Gläubigerbenachteiligung) liegen, vgl. Jaeger/ Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 30 Rz. 227; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 20. 2 OLG Köln v. 29. 4. 1994 – 20 U 168/90, ZIP 1994, 1461 (1462); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 57. 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 40 (3/2003). 4 BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1563); BGH v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/92, WM 1993, 2099; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 15 (für vertragliche Ansprüche auf Sicherung); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 51 (3/2003).
Graf/Wunsch
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1059
74
§ 10
Rz. 74a
Insolvenzanfechtung
schafft hat1. Insoweit spielt die Anfechtung allerdings in der Regel nur dann eine Rolle, wenn die betreffende Vollstreckungsmaßnahme nicht bereits aufgrund der sog. Rückschlagsperre des § 88 InsO unwirksam ist, siehe dazu § 6 Rz. 155. Die Inkongruenz wird damit begründet, dass sich der Gläubiger mit Hilfe von staatlichen Zwangsmitteln eine Priorität vor anderen Gläubigern beschafft hat2. Dass die Vollstreckungsmaßnahme als solche völlig legitim war und der zugrunde liegende Anspruch dem vollstreckenden Gläubiger auch tatsächlich zustand, d.h. dass es sich im Falle einer freiwilligen Zahlung des Schuldners um eine kongruente Deckung gehandelt hätte, spielt insoweit keine Rolle. Dies gilt selbst dann, wenn der Vollstreckungsgläubiger z.B. als Sozialversicherungsträger oder Fiskus gesetzlich zur notfalls zwangsweisen Durchsetzung seiner Ansprüche verpflichtet ist3. Allein die Tatsache der Zwangsvollstreckung begründet die Inkongruenz. Das betrifft, entgegen einer Mindermeinung, nach Auffassung des BGH und der h.M. auch den Fall der Pfändung und Auszahlung von Geld nach § 815 Abs. 3 ZPO4. Da § 131 InsO nicht nur Rechtshandlungen des Schuldners erfasst, kommt es hierbei nicht darauf an, ob der Schuldner bei der Vollstreckungshandlung mitgewirkt hat5 (anders bei § 133 InsO, unten Rz. 169). 74a
Umgekehrt liegt allerdings auch dann – ohne Zwangsvollstreckungsmaßnahme – eine inkongruente Deckung vor, wenn der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet hat, sofern er nach dem bevorstehenden Ablauf einer letzten vom Gläubiger gesetzten Zahlungsfrist mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen musste6 oder bereits eine Vorpfändung erfolgt war7. Gleiches gilt, wenn der Gläubiger mit Insolvenzantrag gedroht hat8.
1 BGH v. 20. 3. 2003 – IX ZR 166/02, WM 2003, 896, 897; BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228 (229); BGH v. 21. 3. 2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898; BGH v. 15. 12. 1994 – IX ZR 24/94, ZIP 1995, 293 (295); BGH v. 3. 7. 1984 – IX ZR 82/83, KTS 1984, 680; BGH v. 27. 11. 1974 – VIII ZR 21/73, WM 1975, 6; LG Frankfurt/M. v. 18. 10. 1999 – 6 T 769/99, InVo 2000, 20 (21); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 16. 2 BGH v. 9. 9. 1997 – IX ZR 14/97, NJW 1997, 3445 (3446) = ZIP 1997, 1729. 3 BGH v. 11. 1. 2007 – IX ZR 31/05, ZIP 2007, 435; OLG Hamm v. 14. 3. 2006 – 27 U 169/05, ZIP 2006, 1104 (1105). Zur Anfechtbarkeit von Zahlungen an Sozialversicherungsträger siehe auch oben Rz. 30. 4 BGH v. 9. 9. 1997 – IX ZR 14/97, NJW 1997, 3445 = ZIP 1997, 1929; Nerlich in Nerlich/ Römermann, InsO, § 131 Rz. 44 (3/2003). 5 Vgl. BGH v. 21. 3. 2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898. 6 BGH v. 7. 12. 2006 – IX ZR 157/05, NZI 2007, 161 (162 f.); BGH v. 15. 5. 2003 – IX ZR 149/02, DB 2003, 1901; BGH v. 11. 4. 2002 – IX ZR 211/01, DB 2002, 1993; BGH v. 9. 9. 1997 – IX ZR 14/97, NJW 1997, 2445 f. = ZIP 1997, 1929 f.; OLG Brandenburg v. 30. 5. 2002 – 8 U 101/01, ZIP 2002, 1698 (1699); OLG Karlsruhe v. 27. 3. 2002 – 6 U 150/01, ZIP 2002, 1591 (1592); LG Bonn v. 26. 11. 1996 – 13 O 68/96, ZIP 1997, 82 (83); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 52; a.A. BAG v. 17. 6. 1997 – 9 AZR 753/95, BB 1997, 1415 (Pressemitteilung) = ZIP 1998, 33 (35). 7 LG München v. 26. 9. 2005 – 10 HKO 11198/05, ZIP 2006, 199. 8 BGH v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, DB 2004, 810 (811); OLG Koblenz v. 28. 4. 2005 – 10 U 1246/04, ZInsO 2005, 1111 (1112).
1060
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 74c § 10
Nicht ausreichend für eine die Inkongruenz darauffolgender Zahlungen auslösende Drohung mit der Zwangsvollstreckung ist dagegen das bloße Vorliegen oder die Zustellung eines vollstreckbaren Titels, insbesondere eines Vollstreckungsbescheids, so lange nicht zusätzlich mit der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gedroht wurde1.
74b
Ebenso nicht ausreichend ist die Ausübung von Druck auf sonstige Weise, insbesondere die Drohung mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehung bzw. der Einstellung von Lieferungen oder Leistungen, z.B. im Fall des Rechtsanwalts die Drohung mit der Mandatsniederlegung2. Allerdings fällt die Zahlung rückständiger Mietzinsen anlässlich der Drohung des Vermieters mit einer Zwangsräumung nach Auffassung des OLG Stuttgart (auch ohne angedrohte Zwangsvollstreckung aus der Mietzinsforderung) unter die Fallgruppe der Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung3.
! Hinweis: Rechnen Berater und Mandant mit der Insolvenz eines Schuldners, ist es daher grundsätzlich nicht ratsam, in der Hoffnung auf „freiwillige“ Zahlungen unter Fristsetzung mit Vollstreckungsmaßnahmen zu drohen. Nach einer solchen Drohung bringt ein weiteres Zuwarten anfechtungsrechtlich keine Vorteile mehr, sondern im Falle einer baldigen Insolvenz im Hinblick auf § 88 InsO und die in §§ 130, 131 InsO vorgesehenen Fristen lediglich Nachteile. Die besseren Wege bestehen darin, –
entweder zunächst nach Erlangung eines Vollstreckungstitels kurze Zeit abzuwarten, ob der Schulder seine Verpflichtungen nicht ohne jede weitere Maßnahme seitens des Gläubigers erfüllt, und/oder
–
die Zwangsvollstreckung möglichst frühzeitig einzuleiten. Damit wird zwar eine Anfechtung nach § 131 InsO im Falle einer Insolvenzantragstellung innerhalb des Dreimonatszeitraums in Kauf genommen. Falls der Insolvenzantrag aber erst später außerhalb dieser Frist gestellt wird, besteht dann jedoch insbesondere bei einem sog. „anfechtungsresistenten Vollstreckungsauftrag“ (dazu unten Rz. 169a) eine wesentlich bessere Chance der Anfechtung nach § 133 InsO zu entgehen, als es bei einer „freiwilligen“ Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung der Fall gewesen wäre4. Die ausdrückliche Drohung mit der Stellung eines Insolvenzantrags empfiehlt sich als Druckmittel so gut wie nie: Durch sie wird nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit die Inkongruenz einer nachfolgenden Zahlung begründet. Darüber hinaus wird auch noch ein Indiz für die Kenntnis vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes geschaffen, wodurch dem Insolvenzverwalter im späteren Anfechtungsprozess u.U. unnötig die Beweisführung hinsichtlich der subjektiven Seite diverser Anfechtungstatbestände – einschließlich § 133 InsO – erleichtert wird. 1 2 3 4
BGH v. 7. 12. 2006 – IX ZR 157/05, NZI 2007, 161 (162 f.) Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 25. OLG Stuttgart v. 3. 2. 2006 – 18 O 619/ 05, ZInsO 2006, 382 (383). Huber, NZI 2007, 163 (164).
Graf/Wunsch
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1061
74c
§ 10
Rz. 75
Insolvenzanfechtung
b) Nicht in der Art zu beanspruchende Deckung aa) Befriedigung 75
Eine nicht in der Art zu beanspruchende Befriedigung ist dann gegeben, wenn der erlangte Gegenstand nicht dem geschuldeten entspricht1. Das ist der Fall bei: –
Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber, z.B. bei der Lieferung von Waren2 oder der Abtretung einer Forderung3 anstelle einer Geldleistung (Letzteres insbesondere auch im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wenn hierdurch eine Aufrechnungslage geschaffen wird4; vgl. § 7 Rz. 522 ff.);
–
Rückgabe der vom Gläubiger gelieferten Waren anstelle der Zahlung des Kaufpreises5 (es sei denn, es bestand ein Eigentumsvorbehalt des liefernden Gläubigers6).
Soweit die Hingabe einer (ursprünglich) nicht in der Art geschuldeten Leistung auf einer entsprechenden vertraglichen Abrede beruht, lässt dies die Inkongruenz nur dann entfallen, wenn diese Abrede bereits vor Beginn des Dreimonatszeitraums erfolgt ist. 76
Bei Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis liegt keine inkongruente Deckung vor, wenn Schuldner oder Gläubiger von ihrem Wahl- bzw. Ersetzungsrecht Gebrauch gemacht haben7. Das gilt auch für die verkehrsübliche Begleichung einer Geldschuld durch eigenen Wechsel8 oder eigenen Scheck9, durch Überweisung10, Anweisung oder Abbuchung im Lastschriftverfahren11. Inkongruent ist dagegen die Hingabe eines Kundenwechsels12 oder -schecks, selbst wenn der Gläubiger als Schecknehmer bezeichnet ist13 (Ausnahme: bei 1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 17 (3/2003). 2 BGH v. 26. 5. 1971 – WM 1971, 908 (909); OLG Brandenburg v. 26. 2. 1998 – 8 U 73/97, ZIP 1998, 1367 (1368); Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 32. 3 OLG Schleswig v. 24. 11. 1981 – 3 U 43/81, ZIP 1982, 82 (83); OLG Zweibrücken v. 8. 2. 1984 – 2 U 43/83, KTS 1984, 492 (493). 4 OLG Köln v. 17. 11. 2000 – 19 U 206/99, BB 2002, 223 f. 5 RG v. 11. 7. 1893 – Rep. II 114/93, RGZ 31, 134 (136); Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 34. 6 In diesem Fall ist der Gläubiger aussonderungsberechtigt, und es fehlt nach dem oben (Rz. 45) Gesagten an der Gläubigerbenachteiligung, vgl. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 18. 7 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 32. 8 BGH v. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010); a.A. Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 30 Rz. 211. 9 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2223). 10 BGH v. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010). 11 BGH v. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010). 12 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 43. 13 LG Heilbronn v. 13. 2. 1996 – 6 O 2758/95, ZIP 1996, 601 (602) m. Anm. Tappmeier, EWiR 1996, 469 f. und nachfolgend OLG Stuttgart v. 3. 7. 1996 – 1 U 41/96, ZIP 1996, 1621 (1622) m. Anm. Pape, EWiR 1996, 989 f.; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 43.
1062
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 78a § 10
unanfechtbar vereinbarter Verpflichtung der Bank zur Inzahlungnahme von Kundenwechseln, da dann eine Ersatzungsbefugnis des Schuldners vorliegt1). Ebenso inkongruent ist die Zahlung durch einen Dritten auf Weisung des Schuldners2. bb) Sicherung Eine nicht in der Art zu beanspruchende Sicherung liegt vor, wenn eine andere als die gesetzlich geschuldete oder vertraglich vereinbarte Sicherheit gestellt wird3.
77
Dabei führt jedoch nicht jede Abweichung dazu, dass eine inkongruente Deckung vorliegt; geringfügige Abweichungen werden hingenommen. Als Beispiel für ein solche unbeachtliche Abweichung wird im Schrifttum die Bestellung einer Grundschuld anstelle einer Hypothek genannt4. c) Nicht zu der Zeit zu beanspruchende Deckung aa) Befriedigung Die Befriedigung eines Gläubigers kann nicht zu der Zeit beansprucht werden, wenn der Anspruch des Gläubigers noch nicht fällig, noch nicht durchsetzbar, aufschiebend bedingt oder betagt war5.
78
Auch hier gilt allerdings – insbesondere für noch nicht fällige Forderungen – die Einschränkung, dass ganz geringfügige Abweichungen nicht zur Inkongruenz führen. Der BGH sieht eine um bis zu fünf (Bank-)Arbeitstage „verfrühte“ Zahlung noch als kongruent an6. Wird eine vorzeitig erfüllte Forderung noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig, so können im Wege der Anfechtung nur die bis dato aufgelaufenen Zwischenzinsen zurückverlangt werden7, es sei denn es wurde noch vor Eintritt der Fälligkeit ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (dazu § 5 Rz. 88) bestellt8.
1 2 3 4
5 6 7 8
Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 35. BGH v. 9. 1. 2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010). Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 37. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 49 (3/2003). Für den umgekehrten Fall (Hypothek anstelle einer Grundschuld) für Inkongruenz Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 23. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 22 geht zwar ebenfalls von Inkongruenz aus, lässt die Anfechtung aber an der mangelnden Gläubigerbenachteiligung scheitern. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 14; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 31 (3/2003). BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244). BGH v. 6. 4. 1995 – IX ZR 61/94, ZIP 1995, 1021 (1023); LG Münster v. 14. 1. 2005 – 11 O 199/04, NZI 2005, 563 (564); offengelassen von BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244). BGH v. 9. 6. 2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244).
Graf/Wunsch
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1063
78a
§ 10
Rz. 79
Insolvenzanfechtung
bb) Sicherung 79
Eine Sicherung konnte dann nicht zu der Zeit beansprucht werden, wenn der gesetzliche oder vertragliche Anspruch auf eine Sicherheit zur Zeit ihrer Bestellung noch nicht fällig war1.
3. Anfechtung einer kongruenten Deckung, § 130 InsO 80
Steht fest, dass eine kongruente Deckung vorliegt, so richtet sich deren Anfechtbarkeit nach den strengeren Voraussetzungen des § 130 InsO. Die Vorschrift beinhaltet zwei Alternativen, nämlich
81
–
Rechtshandlungen innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, und
–
Rechtshandlungen nach Antragstellung (vor Eröffnung des Verfahrens), § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
Der Unterschied zwischen beiden Alternativen liegt darin, dass der Gläubiger im Falle der Nr. 1 die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gekannt haben muss (nach § 130 Abs. 2 InsO steht dem die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen), während im Falle der Nr. 2 alternativ dazu auch die Kenntnis vom Insolvenzantrag ausreicht (auch insoweit steht nach Abs. 2 wiederum die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Antragstellung schließen lassen). a) Rechtshandlungen vor Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO
82
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind: –
Vornahme der Rechtshandlung innerhalb des Dreimonatszeitraums,
–
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zum Zeitpunkt der Vornahme, und
–
Kenntnis des Gläubigers von dieser Zahlungsunfähigkeit bzw. von entsprechenden Umständen.
aa) Anfechtungszeitraum 83
Die erste Alternative setzt also zunächst voraus, dass die betreffende Rechtshandlung in den letzten drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags vorgenommen worden ist.
84
Für die Berechnung dieser Frist gilt – wie für die Berechnung aller Fristen, die die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung innerhalb eines bestimmten Zeitraums vor Stellung des Insolvenzantrags bedingen – § 139 InsO. Danach beginnt die Frist mit dem Anfang des Tages, der durch seine Zahl demjenigen Tag entspricht, an dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde. 1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 50 (3/2003).
1064
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 88 § 10
Beispiel: Wurde der Eröffnungsantrag am 24. 5. gestellt, so beginnt die Dreimonatsfrist am 24. 2., 0.00 Uhr.
Fehlt ein solcher Tag, der dem der Antragstellung entspricht (weil der betreffende Monat kürzer war), so ist gem. 139 Abs. 1 Satz 2 InsO der nächstfolgende Tag für den Fristbeginn maßgeblich. Beispiel: Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde am 31. 5. gestellt. Da ein 31. 2. nicht existiert, beginnt die Frist des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO am 1. 3.
Für die Frage, wann eine Rechtshandlung im Sinne dieser Frist als vorgenommen gilt, ist § 140 InsO einschlägig, vgl. dazu unten Rz. 276 ff.
85
Wurden mehrere Eröffnungsanträge gestellt, so ist nach § 139 Abs. 2 Satz 1 InsO der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich, auch wenn das Verfahren tatsächlich aufgrund eines anderen Antrags eröffnet worden ist.
86
Wurde ein früherer Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen, so gilt Folgendes: Der frühere Antrag ist grundsätzlich ausschlaggebend, § 139 Abs. 2 Satz 2 InsO, es sei denn der Insolvenzgrund wäre in der Zwischenzeit behoben worden und erst später erneut eingetreten1. Dies wird bei Masseunzulänglichkeit allerdings selten der Fall sein. Eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinne wäre auch erst dann zu bejahen, wenn eine mehr als nur kurzfristige Tilgung vorliegt. Es reicht also z.B. nicht aus, wenn der Schuldner vorübergehend bei seinen Arbeitnehmern Gehaltsrückstände beglichen hat, aber anderen Großgläubigern jede Zahlung schuldig geblieben ist2. bb) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Weiterhin greift die Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur dann, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Vornahme der fraglichen Rechtshandlung beim Schuldner bereits zahlungsunfähig war. Nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit ausführlich § 1 Rz. 49 ff., zur gesetzlichen Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung – die auch im Rahmen des § 130 Abs.1 Nr. 1 InsO anwendbar ist3 § 1 Rz. 83 ff.
87
Dagegen reicht die drohende Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 InsO (vgl. § 1 Rz. 99 ff.) nicht aus; ebenso wenig die Überschuldung, § 19 InsO (vgl. § 1 Rz. 106 ff.). Das kann bei einem auf §§ 18, 19 InsO gestützten Insolvenzantrag dazu führen, dass kongruente Deckungsgeschäfte mangels Zahlungsunfähigkeit überhaupt nicht anfechtbar sind.
88
1 BGH v. 15. 11. 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235 (236); Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 813 (847), Rz. 75; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 139 Rz. 6 (3/2003). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 22 (3/2003). 3 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2223).
Graf/Wunsch
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1065
§ 10
Rz. 89
Insolvenzanfechtung
89–92 Einstweilen frei. cc) Kenntnis des Gläubigers 93
Lag eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach den genannten Kriterien zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung vor, so ist die Kenntnis des Gläubigers entscheidend: Dieser muss entweder die Zahlungsunfähigkeit selbst gekannt haben oder Umstände, die zwingend auf sie schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).
94
Für die erforderliche Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit genügt es, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen und aus dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise den Schluss gezogen hat, dass der Schuldner wesentliche Teile – d.h. mindestens 10% – seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht aus eigener Kraft innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen wird tilgen können1 (zu dieser „10%-/3 Wochen- Formel“ siehe § 1 Rz. 73 ff.). Grobfahrlässige Unkenntnis reicht dabei zwar nicht aus, jedoch stellt § 130 Abs. 2 InsO die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Eine solche Kenntnis liegt vor, wenn sich ein redlich Denkender angesichts der ihn betreffenden Tatsachen der Einsicht nicht verschließen konnte, der Schuldner sei zahlungsunfähig2. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Schuldner selbst – z.B. im Zusammenhang mit einer Bitte um längerfristige Stundung – erklärt hat, er könne einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bedienen. Erfolgt diese Erklärung nach Fälligkeit bzw. gar erst nach Einleitung von Vollstreckungsversuchen, kann dem Gläubiger in aller Regel Kenntnis von einer Zahlungseinstellung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO unterstellt werden. Eine ähnliche Vermutung besteht aber auch dann, wenn der Schuldner rechtzeitig, d.h. noch vor Fälligkeit der betreffenden Forderung, um Stundung gebeten und dabei darauf hingewiesen hat, dass er nicht in der Lage sein wird, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen, wenn der Gläubiger keine Stundung gewährt bzw. nur tatsächlich stillhält3.
! Hinweis: 95
Der Berater eines Gläubigers sollte im Falle drohender Insolvenz zum einen darauf achten, dass die Kenntnis der Mandanten von der finanziellen Schieflage des Schuldners nicht (etwa durch Schriftwechsel mit dem Schuldner) in einer Weise aktenkundig gemacht wird, dass der spätere Insolvenzverwalter quasi „mit der Nase darauf gestoßen wird“, dass der Mandant von Tatsachen wusste, die sich zwanglos unter den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit subsumieren lassen. Dass die Drohung mit der Stellung eines Insolvenzantrags auch unter diesem Aspekt mehr als kontraproduktiv ist, dürfte sich von selbst verstehen. 1 BGH v. 12. 10. 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2224). 2 OLG Hamburg v. 11. 3. 2005 – 1 U 164/04, OLGR Hamburg 2006, 71 (72). 3 Hölzle, ZIP 2007, 613 (618).
1066
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 96 § 10
Zum anderen ist dem Mandanten, der zunächst weiter stillhalten möchte, gegebenenfalls zu einer förmlichen Stundung zu raten. Anders als das bloße Stillhalten lässt die Stundung die Fälligkeit der eigenen Forderung und damit ggf. auch das durch die Stundungsbitten gesetzte Beweiszeichen für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit entfallen. Dies gilt allerdings nur, wenn der Mandant nicht zugleich positive Kenntnis davon hat, dass andere (Groß-)Gläubiger Stundungsbitten abgelehnt haben. Indizien für eine Kenntnis des Gläubigers liegen darin, dass der Gläubiger tatsächliche Indizien für die Zahlungsunfähigkeit bzw. die Nichterfüllung wesentlicher Zahlungspflichten gekannt hat, wie z.B. verzögerte Gehaltszahlungen an Arbeitnehmer, die Nichterfüllung betragsmäßig größerer Verbindlichkeiten, die Häufung von Vollstreckungsmaßnahmen oder Wechselprotesten (wobei beides nicht als zwingender Beweis für die Zahlungsunfähigkeit angesehen werden darf). Weitere Indizien im Rahmen der Geschäftsbeziehung zwischen Schuldner und Gläubiger sind: –
erfolglose Vollstreckungsversuche des Gläubigers;
–
„geplatzte“ Schecks1;
–
die Nichteinhaltung von Zahlungszusagen (insbesondere im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarungen) bzw. wiederholt unpünktliche Zahlungen über einen längeren Zeitraum hinweg2;
–
Ausweichen auf Erfüllungssurrogate wie die Abtretung von Forderungen erfüllungshalber3;
–
der Umstand, dass der Schuldner den Gläubiger (oder Dritte, wenn der Gläubiger hiervon wusste) auf die Aussichtslosigkeit von Vollstreckungsversuchen hingewiesen hat4;
–
bei einer Bank die Sperrung des Hauptgeschäftskontos des Schuldners5, die Kündigung oder Reduzierung von Kreditlinien6 oder andere Maßnahmen, die darauf schließen lassen, dass die Bank den Schuldner nicht mehr für kreditwürdig gehalten hat7 (dem steht nicht entgegen, dass die Bank im Einzelfall noch Verfügungen zulässt8);
–
bei anderen Geschäftspartnern des Schuldners der Umstand, dass zur Erlangung von Sicherheiten oder Befriedigung so viel Druck auf den Schuldner ausgeübt wurde, dass damit bewusst die Gefährdung der Geschäftsbeziehung in Kauf genommen wurde9.
1 2 3 4 5 6
BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228 (229). OLG Rostock v. 10. 7. 2006 – 3 U 158/05, ZInsO 2006, 1109 (1110 f.). OLG Frankfurt/M. v. 16. 1. 2003 – 3 U 89/02, ZIP 2003, 1055 (1056). BGH v. 30. 1. 1997 – IX ZR 89/96, WM 1997, 545 (547) = ZIP 1997, 513 (515). BGH v. 13. 4. 2000 – IX ZR 144/99, WM 2000, 1207 (1208) = ZIP 2000, 1016 (1017). BGH v. 25. 1. 2001 – IX ZR 6/00, NJW 2001, 1650 (1651); OLG Brandenburg v. 2. 11. 1995 – 8 U 14/95, ZIP 1996, 142 (143). 7 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 38. 8 BGH v. 25. 1. 2001 – IX ZR 6/00, NJW 2001, 1650 (1651) = ZIP 2001, 524 (525). 9 OLG Brandenburg v. 3. 3. 1999 – 7 U 229/98, ZIP 1999, 1012 (1014).
Graf/Wunsch
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1067
96
§ 10
Rz. 96a
Insolvenzanfechtung
96a
Liegen solche Indizien in einer gewissen Häufung bzw. über einen längeren Zeitraum vor, tendiert die Rechtsprechung dazu, dem Gläubiger Kenntnis von Umständen im Sinne des § 130 Abs. 2 InsO zu unterstellen. Will sich der Gläubiger demgegenüber darauf berufen, die o.g. Umstände hätten nicht auf Zahlungsunfähigkeit, sondern lediglich auf Zahlungsunwilligkeit schließen lassen, wird hierzu von den meisten Gerichten substantiierter Vortrag erwartet, bzw. der Einwand wird mit dem Argument der „allgemeinen Erfahrung“ zurückgewiesen.
97
Dagegen ist es nicht als ausreichend anzusehen, wenn dem Gläubiger bloß nachgewiesen werden kann, dass er subjektiv Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Schuldners hatte oder dessen Insolvenz befürchtet hat1. Auch eine bloße Bitte des Schuldners um Stundung reicht dann nicht aus, um dem Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zu unterstellen, wenn nur eine kurzfristige Stundung erbeten und dies mit einem bloßen Zahlungsengpass begründet wird2.
98
Bei Kreditinstituten wird vertreten, dass bei der Vergabe von Großkrediten über 250 000 Euro oder gleichgestellten Geschäften im Sinne des § 21 KWG wegen § 18 KWG eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass das Kreditinstitut Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners hatte und daher eine objektiv bestehende Zahlungsunfähigkeit kannte3.
99
Auch bei dem Schuldner nahestehenden Personen („Insidern“) wird die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit nach § 130 Abs. 3 InsO vermutet. Wer eine nahe stehende Person in diesem Sinne ist, ergibt sich aus § 138 InsO. Dabei ist zu beachten, dass sich die – widerlegbare – Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO nur auf die positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit selbst bezieht. Gelingt dem Anfechtungsgegner der Gegenbeweis, so besteht keine Vermutung bezüglich der Kenntnis von Umständen, die auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO). Allerdings wird der Gegenbeweis in aller Regel nur dadurch gelingen, dass bewiesen wird, dass der Betreffende keine Kenntnis von den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen hatte4.
99a
Der Berater des Schuldners fällt zwar nicht unter den von §§ 130 Abs. 3, 138 InsO erfassten Personenkreis. Hier besteht jedoch in Abhängigkeit vom Mandatsumfang eine mehr oder weniger große Gefahr einer tatsächlichen Vermutung zu Gunsten der Kenntnis von den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen5.
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 44. 2 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 39. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 43; a.A. Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 39. 4 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 67. 5 Vgl. LG Essen v. 8. 3. 2006 – 13 S 213/05, ZInsO 2006, 836 (837) zum Steuerberater, der die Finanzbuchhaltung durchgeführt hatte.
1068
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 103 § 10
Auf ein Indiz gegen die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kann der Gläubiger sich dann berufen, wenn er von Umständen wusste, die umgekehrt auf die Zahlungsfähigkeit haben schließen lassen1.
100
Die Kenntnis des Gläubigers muss zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO, dazu unten Rz. 276 ff.) vorgelegen haben.
101
Hatte der Gläubiger ursprünglich Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, ging er zur Zeit der Vornahme der Rechtshandlung aber irrig davon aus, diese sei wieder behoben worden, so hat der BGH offen gelassen, ob die Rechtshandlung – wie es der h.M. zur KO entsprach – dennoch anfechtbar ist2. Das wird man spiegelbildlich zur Frage des objektiven Bestehens der Zahlungsunfähigkeit mit guten Argumenten verneinen können. Allerdings muss der Anfechtungsgegner dann vortragen, dass er irrig von tatsächlichen Umständen ausgegangen ist (Parallele zu § 130 Abs. 2 InsO!), die – hätten sie tatsächlich vorgelegen – dazu geführt hätten, dass die Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne weggefallen wäre3. Ein Rechtsirrtum über die Definition der Zahlungsunfähigkeit kann den Gläubiger auch insoweit nicht entlasten.
102
Hinsichtlich der Zurechnung der Kenntnis (Fall der Wissenszurechnung) gelten die allgemeinen Regeln. Zurechenbar und damit schädlich ist daher die Kenntnis:
103
–
eines Stellvertreters, § 166 Abs. 1 BGB direkt oder entsprechend (umgekehrt ist allerdings die Unkenntnis des weisungsgebundenen Vertreters nach § 166 Abs. 2 BGB unschädlich!); bei Gesamtvertretung reicht dabei die Kenntnis eines der Vertreter aus4;
–
darüber hinaus eines sogenannten Wissensvertreters5, also eines Repräsentanten ohne Vertretungsmacht6;
–
eines Handelsvertreters7;
–
eines Rechtsanwalts, jedenfalls sofern er sie im Rahmen seines Auftrags erworben hat8 (bei Sozietäten in der Regel nur die Kenntnis des bearbeitenden Anwalts9);
–
des Kassierers einer Bankfiliale10;
1 BGH v. 17. 6. 1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3082) zur Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 77a. 2 BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (119) = NJW 2002, 512 (514). 3 BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (119) = NJW 2002, 512 (514). 4 BGH v. 3. 3. 1956 – IV ZR 314/55, NJW 1956, 869; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2002, § 130 Rz. 43. 5 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2002, § 130 Rz. 46. 6 Zum Begriff und den Voraussetzungen vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 166 Rz. 6 ff. 7 OLG Frankfurt v. 1. 7. 1975 – 5 U 119/74, NJW 1976, 1355 (LS). 8 BGH v. 22. 11. 1990 – IX ZR 103/90, NJW 1991, 980 (981); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 130 InsO Rz. 42. 9 OLG Celle v. 20. 3. 1981 – 8 U 109/80, ZIP 1981, 467 (468); Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2002, § 130 Rz. 41. 10 BGH v. 1. 3. 1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 (1954).
Graf/Wunsch
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1069
§ 10
Rz. 104
Insolvenzanfechtung
–
bei juristischen Personen: die Kenntnis des handelnden Mitglieds der Leitungsorgane; die Kenntnis eines anderen (ggf. sogar bereits ausgeschiedenen oder verstorbenen1 Organmitglieds soll nach wohl h.M. nur zugerechnet werden, soweit es sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handelt2;
–
bei Personengesellschaften: die Kenntnis eines vertretungsberechtigten Gesellschafters, jedenfalls bei Gesamtvertretung sowie ggf. nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung auch unabhängig von seiner Beteiligung an dem konkreten Geschäft3, hier allerdings nicht nach dessen Tod oder Ausscheiden4;
–
bei der GmbH & Co. KG auch die Kenntnis der Organe oder Wissensvertreter der Komplementär-GmbH; nach deren Tod oder Ausscheiden jedoch nur, soweit es sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handelt5.
b) Rechtshandlungen nach Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO 104
Für die Anfechtung kongruenter Deckungen nach Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die zweite Alternative des § 130 Abs. 1 InsO einschlägig. aa) Eröffnungsgrund
105
Dabei muss bei Stellung des Eröffnungsantrags noch keine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vorgelegen haben6. Ein auf Überschuldung gestützter Antrag reicht daher ebenso aus wie ein Eigenantrag des Schuldners wegen drohender Zahlungsunfähigkeit7.
106
Bei mehreren Eröffnungsanträgen gilt wiederum § 139 Abs. 2 InsO (obwohl dieser von seinem Wortlaut her nur die Fristberechnung bei Anfechtungszeit1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 50; vgl. das außerhalb des Insolvenzrechts ergangene Urteil des BGH v. 8. 12. 1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327 (332) = NJW 1990, 975 (976). 2 BGH v. 13. 10. 2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359 (360); Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 49; a.A. (uneingeschränkte Zurechnung) nach BGH v. 1. 3. 1984 – IX ZR 34/88, NJW 1984, 1953 (1954); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 50. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 50; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 130 Rz. 50. 4 BGH v. 17. 5. 1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159 (2160); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 50; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 130 Rz. 28. 5 BGH v. 31. 1. 1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 (1206); ohne diese Differenzierung Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 50. 6 Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 30 Rz. 47; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 26 (3/2003). 7 Breutigam/Tanz, ZIP 1998, 717 (719 f.); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 26 (3/2003).
1070
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 109 § 10
räumen vor Antragstellung betrifft)1 und damit das oben unter Rz. 86 Ausgeführte. Unberücksichtigt bleiben aber zurückgenommene und für erledigt erklärte Anträge2, selbst wenn der Antragsteller gleichzeitig mit der Erledigungserklärung einen von ihm zeitlich später gestellten weiteren Antrag aufrechterhält3. Hat der Anfechtungsgegner selbst den einzigen vor Vornahme der betreffenden Rechtshandlung existenten Antrag gestellt, so kann er die Anfechtbarkeit also durch Antragsrücknahme beseitigen. Diese Möglichkeit nimmt der BGH ausdrücklich in Kauf, weist aber darauf hin, dass im Falle der kollusiven Zusammenarbeit mit dem Schuldner § 133 InsO (Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung) in Betracht kommt, ansonsten eventuell ein Schadensersatzanspruch der Masse aus § 826 BGB4. bb) Kenntnis des Gläubigers Der Gläubiger, dem die Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht worden ist, muss entweder Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit gehabt haben – soweit eine solche überhaupt vorlag – oder von dem Insolvenzantrag.
107
Auch hier ist nach § 130 Abs. 2 InsO die Kenntnis von Umständen ausreichend, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder die Antragstellung schließen lassen. Für die Vermutung der Kenntnis bei nahe stehenden Personen gemäß § 130 Abs. 3 InsO gilt Rz. 99 entsprechend. Im Hinblick auf den hierfür maßgeblichen Insolvenzantrag gilt wiederum dasselbe wie für die Fristberechnung bei § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Rz. 86): Es genügt die Kenntnis vom ersten zulässigen und begründeten Antrag oder von einem nachfolgenden Antrag, auch wenn das Verfahren nicht aufgrund dieses konkreten Antrags eröffnet worden ist5. Irrelevant ist dabei, ob der Gläubiger selbst den ihm bekannten Antrag für zulässig und begründet gehalten hat oder nicht6.
108
Unberücksichtigt bleiben aber zurückgenommene und für erledigt erklärte Anträge, oben Rz. 106. (Wobei die Kenntnis von der Zurücknahme eines Insolvenzantrags im Einzelfall natürlich die Kenntnis von einer objektiv fortbestehenden Zahlungsunfähigkeit unberührt lassen kann7.) Als Umstände, die zwingend auf die Antragstellung schließen lassen, kommen insbesondere Verfahrenshandlungen und deren Folgen in Betracht, z.B. die Be-
1 BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (117) = NJW 2002, 512 (514). 2 BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (117) = NJW 2002, 512 (514) und die Vorinstanz OLG Dresden v. 31. 1. 2001 – 13 U 2535/00, ZIP 2001, 621 (624). 3 OLG Hamm v. 7. 9. 2000 – 27 U 17/00, ZIP 2000, 2214 (2215). 4 BGH v. 20. 11. 2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (117) = NJW 2002, 512 (514). 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 47. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 47. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 47.
Graf/Wunsch
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1071
109
§ 10
Rz. 110
Insolvenzanfechtung
stellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder andere Sicherungsmaßnahmen1. Dagegen reicht es nicht aus, wenn der Gläubiger Kenntnis von der Absicht eines anderen hatte, einen Insolvenzantrag zu stellen2. c) Besonderheiten bei der Anfechtung von Wechsel- oder Scheckzahlungen des Schuldners (§ 137 InsO) 110
In § 137 InsO ist gegenüber § 130 InsO eine Sonderregelung für kongruente Wechsel- und Scheckzahlungen des Schuldners enthalten. Auf die Anfechtung inkongruenter Deckungen nach § 131 InsO ist § 137 InsO dagegen nicht anwendbar. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass sich ein Wechselgläubiger des Schuldners in einer „Zwickmühle“ befindet: Nimmt er die Zahlung auf den Wechsel an, riskiert er die Anfechtung nach § 130 InsO. Lehnt er sie ab, kann er keinen Protest erheben und verliert seinen Regressanspruch (Art. 43 ff. WG)3. Entsprechendes gilt für den Scheckgläubiger im Hinblick auf Art. 40 ff. ScheckG, jedoch spielt die Vorschrift insoweit nur bei der Insolvenz der Bank eine Rolle4. aa) § 137 Abs. 1 InsO
111
Um den Gläubiger vor dieser „Zwickmühle“ zu bewahren, schließt § 137 Abs. 1 InsO für den Bereich des § 130 InsO die Rückforderung vom Empfänger der Wechselzahlung aus. Gleiches gilt über § 137 Abs. 3 InsO für den Empfänger einer Scheckzahlung des Schuldners. Diese Regelung soll jedoch nach dem soeben dargestellten Gesetzeszweck nur für den Fall gelten, in dem der Empfänger tatsächlich Regressansprüche gegen einen Dritten hatte, die er im Fall der Ablehnung verloren hätte5. Demnach greift § 137 InsO nicht ein, wenn ein Regress z.B. ohnehin an der Versäumung der Protestfrist gescheitert wäre oder wenn ein weiterer Regressschuldner überhaupt nicht existiert6.
112
Erfasst werden von § 137 Abs. 1 InsO nur Zahlungen des Schulders als Wechselverpflichteter – d.h. als Akzeptant (Art. 28 WG), als Aussteller beim Eigenwechsel (Art. 78 WG) oder als Ehrenannehmer (Art. 58 WG) – oder als Domiziliat (Art. 27 WG)7. Die Zahlung nach Protesterhebung, versäumter Protestfrist 1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 47. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 47. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 2; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 137 InsO Rz. 2; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 137 Rz. 2. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 7. 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 137 InsO Rz. 3; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 137 Rz. 3 (3/2003). 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 137 InsO Rz. 3; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 137 Rz. 6. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 3; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 137 InsO Rz. 5; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 137 Rz. 6.
1072
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 116 § 10
oder Protesterlass oder als Regresspflichtiger wird dagegen von der Vorschrift nicht erfasst1. Gleichgestellt sind nach § 137 Abs. 3 InsO Scheckzahlungen. Die Gutschrift auf ein Konto des Empfängers wird dabei sowohl im Falle des Bar- als auch des Verrechnungsschecks wie eine Barzahlung behandelt2.
113
Dagegen ist § 137 InsO auf andere indossable Wertpapiere oder auf eine durch Bürgschaft gesicherte Forderung nicht entsprechend anwendbar3. § 137 InsO erfasst nur die Zahlung auf den Wechsel oder Scheck als solche, d.h. die Vorschrift betrifft die Anfechtung des Erfüllungsgeschäfts. An einer gegebenenfalls bestehenden Anfechtbarkeit des Kausalgeschäfts ändert die Regelung nichts4.
114
bb) § 137 Abs. 2 InsO Ist die Rückforderung vom Empfänger nach § 137 Abs. 1 InsO ausgeschlossen, so kommt nach § 137 Abs. 2 InsO die Rückforderung vom Regressschuldner (so genannte Einsatzrückgewähr) in Betracht. Der Insolvenzverwalter kann dann Erstattung der Zahlung von demjenigen verlangen, gegen den der Empfänger der Zahlung einen Regressanspruch hatte.
115
Liegt dabei eine Kette von Regressansprüchen vor, so ist der letzte Regressschuldner in Anspruch zu nehmen. Beim gezogenen Wechsel ist das der Aussteller (Art. 9 Abs. 1 WG), beim Eigenwechsel und beim gezogenen Wechsel nach Art. 3 Abs. 1 WG der erste Indossant (Art. 15 Abs. 1 WG)5. Handelt dieser letzte Rückgriffsschuldner für Rechnung eines Dritten (z.B. im Fall des Kommissionswechsels6), so trifft die Verpflichtung zur Rückgewähr zur Masse diesen Dritten. Diese Haftung des letzten Regressschuldners greift jedoch nur dann ein, wenn dieser zur Zeit der Wechselbegebung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder den Eröffnungsantrag kannte. Für diese Kenntnis gelten § 130 Abs. 2 (Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, oben Rz. 93 ff.) und Abs. 3 InsO (Vermutung der Kenntnis bei nahe stehenden Personen, oben Rz. 99) entsprechend. Mit der Regelung des § 137 Abs. 2 InsO soll letztlich nur verhindert werden, dass das Privileg des § 137 Abs. 1 InsO missbraucht wird, indem etwa ein Wechselgläubiger den Wechsel in Kenntnis der Krise an einen gutgläubigen Dritten verkauft7.
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 4. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 8; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 137 InsO Rz. 6. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 2. 4 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 137 Rz. 3. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 5. 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 137 InsO Rz. 10. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 137 Rz. 5; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 137 InsO Rz. 9.
Graf/Wunsch
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1073
116
§ 10 117
Rz. 117
Insolvenzanfechtung
Zu beachten ist, dass die Haftung nach § 137 Abs. 2 InsO nur als Ersatz für eine gemäß § 137 Abs. 1 InsO ausgeschlossene Anfechtung gegenüber dem Empfänger der Wechselzahlung nach § 130 InsO eingreift. Sie ist daher ausgeschlossen, wenn die Wechselzahlung außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 130 InsO erfolgt ist oder eine inkongruente Deckung vorlag1.
4. Anfechtung einer inkongruenten Deckung, § 131 InsO 118
Liegen die Voraussetzungen für eine inkongruente Deckung vor (oben Rz. 63 ff.), so richtet sich die Anfechtbarkeit nach § 131 InsO. Hier sind drei Alternativen zu unterscheiden: –
Rechtshandlungen innerhalb des letzten Monats vor oder nach Stellung des Insolvenzantrags, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO;
–
Rechtshandlungen innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, und
–
Rechtshandlungen innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags bei Kenntnis des Gläubigers von der Gläubigerbenachteiligung, § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
a) Rechtshandlungen innerhalb des letzten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags oder danach, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO 119
Wurde die Rechtshandlung innerhalb eines Monats vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen (wobei sich die Fristberechnung nach Rz. 83 ff. richtet und die Maßgeblichkeit eines Eröffnungsantrags nach Rz. 86) oder gar erst nach Antragstellung, so ist diese Rechtshandlung ohne weiteres anfechtbar. Im Unterschied zu § 30 Nr. 2 KO hat der Gesetzgeber hier auf subjektive Kriterien verzichtet. Auch die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung ist keine Voraussetzung für die Anfechtbarkeit (arg. e contrario aus § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Bei der Beratung eines Gläubigers, der in diesem Zeitraum eine Sicherung oder Befriedigung erhalten hat, liegt also die einzige Chance darin, das Vorliegen einer inkongruenten Deckung zu verneinen. Ist der Anwendungsbereich des § 131 InsO einmal eröffnet, kann der Anfechtung nichts mehr entgegengehalten werden. b) Rechtshandlungen innerhalb des zweiten und dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags, § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO
120
Lag die betreffende Rechtshandlung, durch die die Sicherung oder Befriedigung gewährt worden ist, dagegen im zweiten oder dritten Monat vor Antragstellung
1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 137 Rz. 7.
1074
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 124 § 10
(zur Fristberechnung vgl. wiederum oben Rz. 83 ff.), so sieht das Gesetz zwei Alternativen der Anfechtbarkeit vor: aa) Objektive Zahlungsunfähigkeit, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO Nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist die inkongruente Deckung innerhalb dieses Zeitraums – wiederum ohne jede subjektive Voraussetzung – bereits dann anfechtbar, wenn zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO, unten Rz. 276 ff.) objektiv Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gegeben war. Letzteres richtet sich nach den oben unter Rz. 87 ff. dargestellten Kriterien.
121
bb) Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung, § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO Lediglich wenn die fragliche Rechtshandlung im zweiten oder dritten Monat vor Antragstellung lag und wenn zum Zeitpunkt ihrer Vornahme die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht gegeben war (oder jedenfalls nicht nachweisbar ist), kommt es überhaupt auf subjektive Kriterien an. Dann ist die inkongruente Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO anfechtbar, wenn der Gläubiger Kenntnis von der Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger hatte.
122
Diese Regelung stellt einen Sonderfall der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung dar. Sie ist nicht nur auf Rechtshandlungen des Schuldners anwendbar (str.)1.
123
Für die Kenntnis des Gläubigers von der Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger reicht es nach § 131 Abs. 2 Satz 1 InsO aus, dass der Gläubiger Kenntnis von Umständen hatte, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen.
124
Ein solcher Umstand kann insbesondere auch in der Bedeutung des fraglichen Geschäfts für das Vermögen des Schuldners liegen: Kenntnis ist etwa dann zu bejahen, wenn der Gläubiger weiß, dass eine ihm eingeräumte Sicherheit praktisch das gesamte Schuldnervermögen erfasst2. Auch insoweit gilt wieder die Formel, dass „ein redlich und vernünftig Denkender sich angesichts der Tatsachen nicht der Einsicht verschließen konnte, dass die Rechtshandlung eine Gläubigerbenachteiligung nach sich zieht“3. Eine schädliche Kenntnis ist deshalb zu bejahen, wenn der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten wirtschaftlichen Lage nicht davon ausgehen konnte, dass das Vermögen des Schuldners jetzt oder in absehbarer Zeit zur Befriedigung aller Gläubiger ausreichen würde4. Dem Gläubiger, der dem Schuldner bereits mit der Stellung eines Insolvenzantrags gedroht hat, unterstellt der BGH im Regelfall Kenntnis von Umstän1 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 131 Rz. 49; a.A. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 61, 64 (3/2003). 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 28. 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 67 (3/2003). 4 BGH v. 18. 4. 1996 – IX ZR 268/95, ZIP 1996, 1015; BGH v. 15. 12. 1994 – IX ZR 24/94, ZIP 1995, 293 (296); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 28.
Graf/Wunsch
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§ 10
Rz. 125
Insolvenzanfechtung
den, die auf eine Gläubigerbenachteiligung durch auf diese Drohung hin erfolgte Zahlungen schließen lassen1. 125
Hinsichtlich der Zurechnung der Kenntnis gilt Rz. 103 entsprechend. Liegt eine inkongruente Vollstreckungsmaßnahme (oben Rz. 74) vor, so muss sich der vollstreckende Gläubiger aber nicht die Kenntnis des Gerichtsvollziehers zurechnen lassen2.
126
Für dem Schuldner nahe stehende Personen enthält § 131 Abs. 2 Satz 2 InsO eine dem § 130 Abs. 3 InsO (Rz. 99) entsprechende Vermutung für die Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung. Auch diese Vermutung bezieht sich aber nur auf die positive Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung, nicht jedoch auf Umstände im Sinne des § 131 Abs. 2 Satz 1 InsO, die zwingend auf die Gläubigerbenachteiligung schließen lassen3.
5. Sonderproblem: Anfechtung einer Aufrechnung nach §§ 130, 131 InsO, insbesondere bei Verrechnung durch Banken 127
Die Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO spielt auch bei der Aufrechnung eine wichtige Rolle. Dabei geht es darum, ob die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise entstanden ist. In diesem Fall ist die Aufrechnung nach § 96 Nr. 3 InsO unwirksam (vgl. oben Rz. 31). Deshalb muss jeweils geklärt werden, ob die Aufrechnung – genauer: das Entstehen der Aufrechnungslage – unter § 130 oder § 131 InsO fällt (zu den Voraussetzungen einer Aufrechnung sowie zu den Aufrechnungsverboten s. § 7 Rz. 488 ff. und 510 ff.).
127a
Zu beachten ist, dass der Insolvenzverwalter ein Rechtsgeschäft, das zur anfechtbaren Entstehung einer Aufrechnungslage führt, nicht insgesamt anfechten muss, sondern isoliert die Aufrechnung anfechten kann. Verkauft also z.B. der Schuldner kurz vor Eintritt des Insolvenzverfahrens Gegenstände an einen Gläubiger, der gegenüber dem Kaufpreisanspruch des Schuldners mit eigenen Foderungen aufrechnet, so kann der Insolvenzverwalter die Aufrechnung anfechten und Zahlung des Kaufpreises zur Masse verlangen4.
128
In der Praxis sind insoweit insbesondere auch die Fälle der Verrechnung durch Banken relevant. Wenn auf ein debitorisches („in den roten Zahlen“ befindliches) Konto des Schuldners Gutschriften – Überweisungen, Schecks, Einzahlungen – eingehen, so verringert sich dadurch der Debetsaldo, die Bank erlangt also insoweit Befriedigung ihres Anspruchs aus dem Kontovertrag. Eine solche Verrechnung von Eingängen mit einem debitorischen Konto stellt eine Aufrechnung im Rechtssinn dar, auch wenn sie gleichsam automatisch geschieht und nicht mit einer Aufrechnungserklärung im üblichen Sinne einhergeht. 1 BGH v. 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, DB 2004, 810 (812). 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 3. Aufl. 2002, § 130 InsO Rz. 54 (für die Zurechnung der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen des § 130 InsO). 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 74 (1/1999); a.A. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 80. 4 Der Gläubiger kann sich dabei auch nicht auf den Einwand berufen, ohne die Aufrechnungsmöglichkeit hätte er das Geschäft nicht abgeschlossen, BGH v. 2. 6. 2005 – IX ZR 263/03, NZI 2005, 553 (554).
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 131 § 10
Das in der Regel bestehende AGB-Pfandrecht der Banken an den eingehenden Gutschriften ändert an der Anfechtbarkeit der Verrechnung dieser Gutschriften nichts1 (umfassend zur Beratung von Banken § 9). Grundsätzlich der Anfechtung entzogen sind jedoch mangels Gläubigerbenachteiligung Zahlungseingänge, bei denen der Zahlende (z.B. ein Kunde des Schuldners) Forderungen erfüllt, die der Schuldner bereits wirksam und unanfechtbar an die Bank abgetreten hatte2.
129
! Hinweis: Aus Sicht der Bank sollte daher unbedingt darauf geachtet werden, dass einer (Global-)Zession unterfallende Kundenforderungen tatsächlich auf ein bei der Bank selbst geführtes Konto überwiesen werden. In diesem Fall scheidet eine Anfechtung des Zahlungseingangs aus. Zwar kann die Abtretung jeder einzelnen Forderung anfechtbar sein, jedoch ist maßgeblicher Zeitpunkt hierfür das Entstehen der Forderung (Rz. 279). Dieser Zeitpunkt liegt regelmäßig deutlich vor dem Zahlungseingang, so dass die Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO oft ausscheidet. Demgegenüber reicht es nicht aus, wenn der Schuldner die Forderung zunächst anderweitig – z.B. durch Zahlung auf ein bei einem anderen Institut geführtes Konto – vereinnahmt und den vereinnahmten Betrag sodann an die Bank weiterleitet. In diesem Fall scheidet die Anfechtbarkeit des Zahlungseingangs nur dann aus, wenn zur Zeit der Weiterleitung ein Ersatzabsonderungsrecht bestand (siehe oben Rz. 45). Daher kann es sinnvoll sein, dem Schuldner eine erteilte Einziehungsermächtigung zu widerrufen, um für den Fall einer anderweitigen Vereinnahmung die Entstehung eines Ersatzabsonderungsrechts zu ermöglichen. In erster Linie sollte die anderweitige Vereinnahmung jedoch verhindert werden, da auch bei nicht bestehender Einziehungsermächtigung nicht zwingend ein Ersatzabsonderungsrecht entsteht (zur weiteren Voraussetzung der Abgrenzbarkeit s. § 7 Rz. 371 ff.).
130
In allen übrigen Fällen kommt die Anfechtung der Verrechnung in Betracht. Die Bank muss gutgeschriebene Eingänge an den Insolvenzverwalter herausgeben (gleichzeitig darf sie das Konto natürlich wieder um die zunächst gutgeschriebenen Beträge belasten), sofern zum Zeitpunkt eines Eingangs die Voraussetzungen der §§ 130, 131 InsO vorgelegen haben. Obwohl die Gutschrift durch die Bank an sich – im Unterschied zur Belastung eines Kontos – konstitutive Wirkung hat, kommt es dabei nicht auf den Zeitpunkt der Gutschrift an, sondern auf denjenigen des Eingangs z.B. der Überweisung. (In diesem Zeitpunkt entsteht ja bereits die Verrechnungslage.) Liegt dieser Zeitpunkt z.B. noch knapp außerhalb des Dreimonatszeitraums, die Gutschrift aber bereits innerhalb, oder erlangt die Bank erst nach Eingang, aber vor Ausführung der Gutschrift auf dem Konto schädliche Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des
131
1 Feuerborn, ZIP 2002, 290 (294 f.). 2 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2183 f.) Die Anfechtung der Globalzession selbst richtet sich grundsätzlich nach § 130, vgl. BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (184).
Graf/Wunsch
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1077
§ 10
Rz. 132
Insolvenzanfechtung
Schuldners im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, so ist die Verrechnung anfechtungsfest. 132
Dafür, ob in diesem Sinne eine Anfechtbarkeit der Verrechnungslage vorliegt, ist die Unterscheidung zwischen § 130 und § 131 InsO wiederum oftmals entscheidend. Das gilt insbesondere für Zahlungseingänge im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags und danach: Bejaht man hier die Inkongruenz der Verrechnung, so ist die Anfechtbarkeit ohne weiteres gegeben (Rz. 119). Die Frage nach Kongruenz oder Inkongruenz der Deckung hängt hier davon ab, ob die Bank – insbesondere aufgrund ihrer AGB – das Recht hatte, die konkreten Posten miteinander zu verrechnen1. Die Verrechnung ist daher inkongruent, wenn die Bank keinen Anspruch auf Zahlungseingang an diesem Tag hatte2.
133
Ein solcher Anspruch ist bei einem Überziehungskredit (Überziehung der vereinbarten Kreditlinie) immer gegeben3. Wenn der Schuldner sein Girokonto ohne ausdrückliche Vereinbarung bzw. mit bloßer Duldung durch die Bank überzogen hat, kann die Bank jederzeit Deckung (d.h. Rückführung auf das vereinbarte Kreditlimit) durch Verrechnung beanspruchen4, es liegt also eine kongruente Deckung vor.
134
Hier ist aber aufgrund einer gewissen begrifflichen Verwirrung Vorsicht geboten: Als „Überziehungskredit“ wird teilweise auch der Fall bezeichnet, dass die Überziehung des Kontos vertraglich vereinbart war (Kontokorrentkredit, „Dispokredit“). Eine solche Vereinbarung kann auch konkludent geschlossen werden5. In diesem Fall entsteht ein fälliger Anspruch der Bank auf Rückführung des Debets erst dann, wenn sie diese Vereinbarung bzw. den zugrunde liegenden Girovertrag kündigt. Zahlungseingänge vor Kündigung sind dagegen beim Kontokorrent grundsätzlich inkongruent6.
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 130 InsO Rz. 81; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 25 (3/2003). 2 BGH v. 17. 6. 1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3782); BGH v. 22. 1. 1998 – IX ZR 99/97, NJW 1998, 1318 (1320); de Bra, NZI 1999, 249 (250); Heublein, ZIP 2000, 161 (166). 3 BGH v. 17. 6. 1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3781); BGH v. 22. 1. 1998 – IX ZR 99/97, NJW 1998, 1318 (1320); Dampf, KTS 1998, 145 (158); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 131 Rz. 8; Heublein, ZIP 2000, 161 (166); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 27; Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1144). 4 BGH v. 21. 12. 1977 – VIII ZR 255/ 76, WM 1978, 133 (135); AG Wetzlar v. 31. 10. 1986 – 3 C 487/86, WM 1986, 1532 (1533); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 3.114, 3.519. 5 BGH v. 17. 6. 1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3781) = ZIP 1999, 1271 (1272). 6 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182, 2183; BGH v. 17. 6. 1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3781) = ZIP 1999, 1271 (1272); OLG Celle v. 2. 2. 2005 – 3 U 287/04, ZInsO 2005, 377 (378); OLG München v. 21. 12. 2001 – 23 U 4002/01, ZIP 2002, 608 (609); Dampf, KTS 1998, 145 (159); Heublein, ZIP 2000, 161 (166); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 28; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 40; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 26 (3/2003).
1078
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Gläubigers
Rz. 137 § 10
Etwas anderes gilt allerdings insoweit, als Zahlungseingänge im Ergebnis nicht zur Rückführung des Kredits – also zugunsten der Bank – verwendet wurden, sondern zur Ausführung weiterer Zahlungsaufträge des Schuldners1. Insoweit stellt die Verrechnung eine kongruente Deckung dar, die der Anfechtung nach § 130 InsO grundsätzlich als Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO entzogen ist (siehe unten Rz. 314). Dabei ist nicht erforderlich, dass die Bank Zahlungsaufträge des Schuldners unbeschränkt ausführt; ausreichend ist vielmehr auch die Gestattung einzelner Verfügungen nach dem Ermessen der Bank2.
135
! Hinweis: Der BGH trennt insoweit nicht immer konsequent zwischen der Abgrenzung kongruente – inkongruente Deckung einerseits und der Frage des Bargeschäfts andererseits: Während der IX. Zivilsenat im Urteil vom 7.3.20023 bereits das Vorliegen einer inkongruenten Deckung ablehnt (und zusätzlich ein Bargeschäft bejaht), geht das Urteil vom 1. 10. 2002 wieder von einer inkongruenten Deckung aus, deren Anfechtbarkeit erst am Vorliegen eines Bargeschäfts scheitert4. Beide Argumentationslinien führen stets zum Ausschluss der Anfechtbarkeit, jedoch ergeben sich insbesondere für die Frage der Beweislast Unterschiede. Für die Inkongruenz ist der Insolvenzverwalter darlegungs- und beweispflichtig, für das Vorliegen eines Bargeschäfts dagegen der Anfechtungsgegner.
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Beispiel zur Anwendung der BGH-Rechtsprechung: Eine Bank hat im Rahmen eines Kontokorrents laufend Zahlungseingänge mit dem Debetsaldo verrechnet. Ihr können weder subjektive Merkmale unterstellt werden, die die Anfechtung kongruenter Deckungen oder inkongruenter Deckungen länger als einen Monat vor Stellung des Insolvenzantrags begründen könnten, noch war der Schuldner im letztgenannten Zeitraum bereits nachweislich zahlungsunfähig. In dieser – freilich nicht sehr realistischen – Konstellation kommt allein die von weiteren Merkmalen unabhängige Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO (inkongruente Deckung im letzten Monat vor sowie nach Antragstellung) in Betracht. Das Konto des Schuldners hat sich wie folgt entwickelt: Stand des schuldnerischen Kontos einen Monat vor Antragstellung: Zahlungseingänge Ausgeführte Überweisungen Monatliche Abbuchung der Kontoführungsgebühren und Debetzinsen Stand des Kontos bei Verfahrenseröffnung:
s 1 000 000 Euro
s
500 000 Euro 300 000 Euro
s 10 000 Euro s 810 000 Euro
1 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (961) = ZIP 2002, 812 (814); OLG Köln v. 29. 9. 2004 – 2 U 01/04, NZI 2005, 112 (114) = ZIP 2005, 222 (223 f.). 2 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2184). 3 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (961) = ZIP 2002, 812 (814). 4 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2183); so auch OLG München v. 21. 12. 2001 – 23 U 4002/01, ZIP 2002, 608 (609). Diese Rechtsprechung setzt sich zwar in einen gewissen Widerspruch zu dem vom BGH aufgestellten Postulat, dass inkongruente Deckungen in der Regel vom Anwendungsbereich des § 142 InsO ausgeschlossen seien (siehe dazu Rz. 32), dürfte der Sache nach jedoch zutreffend sein.
Graf/Wunsch
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1079
137
§ 10
Rz. 138
Insolvenzanfechtung
138
Die Verrechnung der Zahlungseingänge in Höhe von 500 000 Euro ist grundsätzlich mangels Fälligkeit des Rückführungsanspruchs der Bank inkongruent. Anfechtbar ist sie im Ergebnis (unabhängig vom Weg der Begründung über Kongruenz oder über das Vorliegen eines Bargeschäfts) jedoch nur insoweit, als sie zur Rückführung des negativen Saldos verwendet wurde. Zahlungseingänge in Höhe der 300 000 Euro, die die Bank zur Ausführung von Überweisungsaufträgen verwendet hat, sind somit anfechtungsfest. Die Abbuchung der Gebühren und Schuldzinsen, also die Erfüllung eigener Ansprüche der Bank, ist dagegen, wie der BGH jetzt klargestellt hat, unmaßgeblich1. Anfechtbar wäre die Verrechnung der Gutschriften danach in Höhe von 200 000 Euro.
139
Um die Inkongruenz auch derjenigen Verrechnungen zu vermeiden, denen keine Zahlungsausgänge gegenüberstehen, liegt es für eine Bank natürlich nahe, die Fälligkeit ihres Rückführungsanspruchs gegebenenfalls durch Kündigung der Kreditlinie herbeizuführen.
! Hinweis: 140
Die Kündigung muss unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Die Ankündigung, die Kreditlinie auszusetzen, keine weiteren Verfügungen zuzulassen und „künftige Zahlungseingänge zur Saldenreduzierung zu verwenden“, hat der BGH für eine Fälligstellung des Rückführungsanspruchs nicht ausreichen lassen2.
141
Hiermit dürfte im Regelfall allerdings nur dann etwas gewonnen sein, wenn die Kündigung noch außerhalb des Dreimonatszeitraums vor Stellung des Insolvenzantrags liegt. In diesem Fall werden diejenigen Eingänge auf dem Konto des Schuldners in der Regel „anfechtungsfest“ sein, die ebenfalls noch außerhalb dieses Zeitraums erfolgen, also nicht unter die §§ 130, 131 InsO fallen. Die späteren Gutschriften innerhalb des Dreimonatszeitraums bleiben dagegen als kongruente Deckungen anfechtbar, und dabei liegt es nahe, die vorangegangene Kündigung als ein Indiz für die Kenntnis der Bank von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu werten. (Dem könnte man als Vertreter der Bank entgegenhalten, dass die Kündigung nur für eine Kenntnis von drohender Zahlungsunfähigkeit spricht, diese aber für § 130 Abs. 1 InsO nicht ausreicht. Das hilft aber dann nicht weiter, wenn die Kündigung selbst – für die Bank erkennbar – zur Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geführt hat.) Liegt die Kündigung selbst dagegen bereits innerhalb dieses Zeitraums, so bleibt nicht nur die Anfechtbarkeit der Verrechnungen als kongruente Deckung nach § 130 InsO. Vielmehr kann dann auch die Kündigung selbst anfechtbar sein3, so dass die anschließende Verrechnung nach § 96 Nr. 3 InsO unwirksam ist, weil die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung entstanden ist. Die Voraussetzungen für eine Anfechtung selbst nach § 130 InsO dürften insoweit fast immer zu bejahen sein: Einer Bank kann es kaum gelingen, einerseits die Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung der Kreditlinie darzutun und andererseits später zu bestreiten, dass sie 1 BGH v. 11. 10. 2007 – IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237 (238). 2 BGH v. 1. 10. 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2183). 3 De Bra, NZI 1999, 249 (250).
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Graf/Wunsch
Anfechtung wegen unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung
Rz. 144 § 10
Kenntnis von Umständen gehabt hat, die auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen ließen1 (zur Kündigungsmöglichkeit von Banken s. § 9 Rz. 40 ff. und 138 ff.). Bei einem Annuitäten- oder sonstigen Ratenkredit liegt eine inkongruente Deckung vor, wenn die Verrechnung mit dem Schuldensaldo vor Fälligkeit der jeweiligen Rate erfolgt ist2.
142
Auch hier ist für den Fall der bankenseitigen Kündigung zu beachten: Hat die Bank den Kredit gekündigt und solchermaßen die sofortige Fälligkeit ihres Rückzahlungsanspruchs herbeigeführt, so ist für die Frage der Wirksamkeit darauffolgender Verrechnungen gemäß § 96 Nr. 3 InsO auf die Kündigung abzustellen3, denn durch sie wurde die Aufrechnungslage erst herbeigeführt. Insoweit gelten die soeben zur Kündigung einer Kreditlinie gemachten Ausführungen entsprechend. Schließlich liegt eine inkongruente Deckung auch dann vor, wenn die Bank zweckbestimmte Einzahlung eigenmächtig – also ohne eine entsprechende Abrede4 – auf ein debitorisches Konto „umleitet“, um sich solchermaßen durch Aufrechnung zu befriedigen5. Gleiches gilt für die eigenmächtige (nicht: die vereinbarte6) Umbuchung von Guthaben auf debitorische Konten zum Zweck der Saldierung7.
143
III. Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte des Schuldners, § 132 InsO 1. Anwendungsbereich und Überblick über die Tatbestandsalternativen § 132 InsO stellt gegenüber den §§ 130, 131 InsO einen Auffangtatbestand dar. Er greift nur ein, wenn die betreffende Rechtshandlung nicht die Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers darstellt8. Das ist der Fall –
bei Rechtsgeschäften, die nichts mit der Sicherung oder Befriedigung von Gläubigern zu tun haben, z.B. bei
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.195. 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 27 (3/2003); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, Rz. 3.112, 3.517. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 130 InsO Rz. 83. 4 Im Fall einer solchen Abrede liegt eine kongruente Deckung vor, vgl. OLG Düsseldorf v. 30. 3. 1995 – 12 U 280/93, WM 1997, 913 (917). 5 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 28 (3/2003); Paulus, ZIP 1997, 569 (577). 6 OLG Düsseldorf v. 30. 3. 1995 – 12 U 280/93, WM 1997, 913 (917); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 130 Rz. 28. 7 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 131 InsO Rz. 41; Paulus, ZIP 1997, 569 (577). 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 132 Rz. 2; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 3 (3/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 132 Rz. 16.
Graf/Wunsch
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§ 10
– 145
Rz. 145
Insolvenzanfechtung
–
Verpflichtungsgeschäften;
–
der Erfüllung fremder Verbindlichkeiten nach § 362 Abs. 1 BGB1;
–
Rechtsgeschäften, die sich auf eine Position des Schuldners als Gläubiger einer Forderung beziehen, z.B. Erlassverträgen2, sowie
bei der Sicherung oder Befriedigung von Gläubigern, die nicht Insolvenzgläubiger sind3.
§ 132 InsO entspricht inhaltlich weitestgehend § 130 InsO, enthält aber insgesamt vier Tatbestandsalternativen, weil die Absätze 1 und 2 jeweils unterschiedliche Kategorien von Rechtshandlungen betreffen. § 132 Abs. 1 InsO normiert für unmittelbar gläubigerbenachteiligende Rechtsgeschäfte des Schuldners zwei Alternativen, die den Zeiträumen des § 130 Abs. 1 InsO entsprechen: –
Rechtsgeschäfte innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, und
–
Rechtsgeschäfte nach Antragstellung, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
§ 132 Abs. 2 InsO stellt den unmittelbar gläubigerbenachteiligenden Rechtsgeschäften andere Rechtshandlungen des Schuldners mit bestimmten Folgen gleich, so dass auch insoweit wieder die beiden Zeiträume des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu unterscheiden sind.
2. Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, § 132 Abs. 1 InsO 146
Der Gegenstand der Anfechtung wird in § 132 Abs. 1 InsO gegenüber dem allgemeinen Insolvenzanfechtungsrecht in zweifacher Weise eingeengt: Es werden nur Rechtsgeschäfte erfasst, und auch nur solche des Schuldners. Zusätzlich muss das Rechtsgeschäft unmittelbar gläubigerbenachteiligend wirken. a) Begriff des Rechtsgeschäfts
147
„Rechtsgeschäft“ im Sinne des § 132 Abs. 1 InsO ist jedes materiellrechtliche Rechtsgeschäft. Auch einseitige Rechtsgeschäfte des Schuldners fallen hierunter4. In Betracht kommt also der Abschluss von Verträgen jeder Art, aber auch z.B. die Kündigung eines Kredits (durch die für die Bank eine Aufrechnungsmöglichkeit entsteht)5 oder eines anderen Schuldverhältnisses durch den Schuldner. 1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 132 Rz. 15. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 54. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 132 Rz. 2; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 25; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 47 (3/2003). 4 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 6 (3/2003). 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 7; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 7 (3/2003).
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Graf/Wunsch
Anfechtung wegen unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung
Rz. 153 § 10
Streitig ist, ob auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen oder Prozesshandlungen in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen1. Die Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, zu dieser Frage noch nicht geäußert. Aus Sicht des Anfechtungsgegners kann man daher mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass das Gesetz mit „Rechtsgeschäft“ in Abweichung zum weiten Begriff der „Rechtshandlung“ tatsächlich nur Rechtsgeschäfte meint. Dies wird allerdings nur selten zum Ziel führen, da stets noch § 132 Abs. 2 InsO und der Begriff der „anderen Rechtshandlung“ bleibt, dazu unten Rz. 156 ff.
148
Dagegen dürfte dahin gehend Einigkeit bestehen, dass Unterlassungen nicht unter § 132 Abs. 1 InsO fallen2. § 129 Abs. 2 InsO stellt die Unterlassung nur der Rechtshandlung gleich, nicht aber dem Rechtsgeschäft. Auch insoweit ist aber der Auffangtatbestand des § 132 Abs. 2 zu beachten, der alle Rechtshandlungen und somit auch Unterlassungen umfasst.
149
b) Rechtsgeschäft des Schuldners Anfechtbar sind nach § 132 Abs. 1 InsO nur Rechtsgeschäfte des Schuldners, d.h. zweiseitige Verträge mit Beteiligung des Schuldners sowie einseitige Rechtsgeschäfte oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (siehe dazu oben Rz. 148), die der Schuldner vorgenommen hat.
150
Dass der Schuldner bei dem Geschäft vertreten wurde, steht der Anfechtbarkeit selbstverständlich nicht entgegen. Für einen Vertreter ohne Vertretungsmacht gilt § 177 BGB3. Auch von der Anfechtbarkeit nach § 132 InsO sind sogenannte Bargeschäfte gemäß § 142 InsO ausgenommen. Auf den Begriff des Bargeschäfts wird unten in einem gesonderten Abschnitt eingegangen (Rz. 293 ff.).
151
c) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung Für den Begriff der Gläubigerbenachteiligung gilt zunächst die allgemeine Definition, die oben unter Rz. 43 gegeben wurde. Sie liegt also dann vor, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten für die Insolvenzgläubiger ohne das fragliche Rechtsgeschäft wirtschaftlich betrachtet günstiger gestaltet hätten4.
152
Diese Gläubigerbenachteiligung muss unmittelbar durch das Rechtsgeschäft des Schuldners eingetreten sein, darf sich also nicht erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände realisieren. Das ist der Fall bei einem Kauf zum überhöhten
153
1 Dafür: Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 6 (3/2003); a.A. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 132 Rz. 5. 2 So ausdrücklich Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2002, § 132 Rz. 5; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 132 Rz. 17. Andere Autoren erwähnen die Unterlassung nicht ausdrücklich, sind aber wohl gl.A., so Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 24 ff.; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 6 (3/2003). 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 10 (3/2003); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 28. 4 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 15 (3/2003).
Graf/Wunsch
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§ 10
Rz. 154
Insolvenzanfechtung
Preis oder einem Verkauf unter Warenwert1. Dagegen sind die oben in Rz. 46 genannten Fälle der mittelbaren Benachteiligung nicht nach § 132 Abs. 1 InsO anfechtbar, so z.B. der Verkauf von Wertpapieren zu zunächst angemessenem Preis, wenn der Wert nachträglich gestiegen ist. 154
Schwierig zu beurteilen ist die Frage der unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung oftmals dann, wenn der Schuldner einen Sanierungskredit aufgenommen und hierfür Sicherheiten gewährt hat. Hier liegt eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich nicht vor, wenn der Wert der Sicherheit den Umfang des gewährten Kredits nicht wesentlich überschreitet2. (Ob der Schuldner die gewährten Kreditmittel beiseite geschafft oder verbraucht hat, spielt insoweit keine Rolle, weil dies nur ein Fall der mittelbaren Benachteiligung wäre.) Lag allerdings die Aussichtslosigkeit des Sanierungsversuchs von vornherein auf der Hand, so ist der wirtschaftliche Wert des Kredits als geringer anzusehen als sein nomineller Wert3.
155
Ähnliche Kriterien gelten auch für den Fall, dass der Schuldner außergerichtliche Sanierungsversuche unternommen hat und hierfür Honorare anfielen: Eine unmittelbare Benachteiligung liegt in solchen Fällen nur dann vor, wenn entweder das Honorar überzogen oder der Sanierungsversuch offenbar zum Scheitern verurteilt war4. Die letztendliche Erfolglosigkeit ist dagegen kein Kriterium für eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung5.
3. Andere Rechtshandlungen des Schuldners im Sinne des § 132 Abs. 2 InsO 156
§ 132 Abs. 2 InsO stellt den unmittelbar gläubigerbenachteiligenden Rechtsgeschäften bestimmte andere Rechtshandlungen des Schuldners gleich. Dabei handelt es sich in doppelter Hinsicht um einen Auffangtatbestand: zunächst gegenüber den §§ 130, 131 InsO (oben Rz. 50 ff.) und zudem gegenüber § 132 Abs. 1 InsO6. a) Begriff der Rechtshandlung
157
Der Begriff der Rechtshandlung entspricht dabei dem oben unter Rz. 26 ff. Ausgeführten. Hier gilt auch wieder § 129 Abs. 2 InsO, so dass Unterlassungen ebenfalls erfasst werden. Sie stellen sogar die Hauptanwendungsfälle des § 132 Abs. 2 InsO dar. 1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 16 (3/2003). 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 55; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 17 (3/2003). 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 55; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 17 (3/2003). 4 BGH v. 11. 6. 1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962 (1963); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 18 (3/2003). 5 BGH v. 28. 1. 1988 – IX ZR 102/87, MDR 1988, 576 f.; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 17; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 30 Rz. 116; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 18 (3/2003). 6 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 32 (3/2003).
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Graf/Wunsch
Anfechtung wegen unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung
Rz. 160 § 10
Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung ist bei anderen Rechtshandlungen im Sinne des § 132 Abs. 2 InsO im Unterschied zu Abs. 1 nicht erforderlich1. Es reicht die mittelbare – erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände eintretende – Benachteiligung der Insolvenzgläubiger nach der allgemeinen Vorschrift des § 129 Abs. 1 InsO. b) Weitere Voraussetzungen Andere Rechtshandlungen werden von § 132 Abs. 2 InsO jedoch nur erfasst, wenn sie dazu führen, dass –
der Schuldner ein Recht verliert oder nicht mehr geltend machen kann oder
–
dass ein vermögensrechtlicher Anspruch gegen den Schuldner erhalten oder durchsetzbar wird.
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aa) Verlust eines Rechts Der Schuldner verliert ein Recht, wenn er den Wechselprotest nicht geltend macht oder es unterlässt, die Ersitzung zu unterbrechen. Er kann ein Recht nicht mehr geltend machen, wenn er aufgrund prozessualer Versäumnisse einen aussichtsreichen Aktivprozess verliert, wenn er die Verjährung nicht unterbricht oder wenn er eine Mängelrüge nicht erhebt2.
159
bb) Sonderfall: Kündigung durch Vermieter des Schuldners In diesem Zusammenhang weist Zeuner3 auf eine – möglicherweise vom Gesetzgeber gar nicht gewollte – Folge der weiten Fassung des § 132 Abs. 2 InsO für den Vermieter des Schuldners hin: Hat dieser den Mietvertrag vor Verfahrenseröffnung wegen Zahlungsverzugs des Schuldners gekündigt, so könnte der Insolvenzverwalter nach § 132 Abs. 2 InsO die Nichtzahlung des Mietzinses – durch die der Schuldner seine Rechte aus dem Mietvertrag verloren hat – anfechten, mit der Folge, dass er das Objekt weiterhin als Mieter nutzen kann. Eine solche Anfechtung, die die Vermieterkündigung zu Fall bringt, könnte unter folgenden Voraussetzungen eingreifen: (1) Es müsste eine – mittelbare, Rz. 157 – Gläubigerbenachteiligung vorliegen. Sie wird dann zu bejahen sein, wenn das gemietete Grundstück z.B. zur Ertrag bringenden Fortführung des schuldnerischen Unternehmens benötigt wird. (2) Das Recht zur Kündigung müsste innerhalb des Dreimonatszeitraums oder gar erst nach Antragstellung entstanden sein, und
1 Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 813 (833), Rz. 45; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 132 InsO Rz. 17; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 37 (3/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 132 Rz. 5. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 132 Rz. 7; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 34 (3/2003). 3 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 132 Rz. 19.
Graf/Wunsch
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160
§ 10
Rz. 161
Insolvenzanfechtung
(3) es müssten die übrigen Voraussetzungen des § 132 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 InsO vorliegen, also Kenntnis des Vermieters von der Zahlungsunfähigkeit bzw. dem Eröffnungsantrag. Einer solchen Anfechtung könnte man aus Sicht des Vermieters, der dem Schuldner das Grundstück nicht weiterhin überlassen will, folgendes Argument entgegenhalten: Eine Anfechtung der Nichtzahlung des Mietzinses mit der Folge der Unwirksamkeit einer Vermieterkündigung würde im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass die Vermieterkündigung selbst angefochten werden kann. Das aber will das Gesetz im Rahmen des § 132 InsO, der nur Handlungen und Unterlassungen des Schuldners erfasst, gerade nicht erreichen. cc) Erhaltung eines Anspruchs gegen den Schuldner 161
Ein vermögensrechtlicher Anspruch gegen den Schuldner bleibt erhalten, wenn er eine mögliche Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB nicht rechtzeitig erklärt1. Ein solcher Anspruch wird durchsetzbar, wenn der Schuldner im Passivprozess die Einrede der Verjährung nicht erhebt2.
4. Anfechtungszeiträume 162
§ 132 InsO unterscheidet dieselben beiden Zeiträume wie § 130 InsO: Rechtshandlungen (= Rechtsgeschäfte im Sinne des § 132 Abs. 1 InsO oder andere Rechtshandlungen im Sinne des § 132 Abs. 2 InsO) innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags und solche nach diesem Zeitpunkt. a) Rechtshandlungen im Zeitraum von drei Monaten vor Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO
163
Für die Berechnung der Dreimonatsfrist des § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO gelten Rz. 83 ff. entsprechend. Auf die Frage, wann eine Rechtshandlung im Sinne des Insolvenzanfechtungsrechts als vorgenommen gilt, wird unten im Abschnitt VIII unter Rz. 276 ff. eingegangen.
164
Voraussetzung für die Anfechtung innerhalb des Dreimonatszeitraums ist bei § 132 InsO wiederum die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung (oben Rz. 87 ff.) und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon (oben Rz. 93 ff.). § 132 Abs. 3 InsO verweist bezüglich dieser Kenntnis auf § 130 Abs. 2 InsO, so dass also auch hier die Kenntnis von Umständen gleichgestellt wird, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Auch auf § 130 Abs. 3 InsO (Vermutung der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit bei nahe stehenden Personen) wird verwiesen.
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 132 Rz. 7; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 35 (3/2003). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 36 (3/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 132 Rz. 19.
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Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung
Rz. 169 § 10
b) Rechtshandlungen nach Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO Für die Frage, welcher Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Rahmen des § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO maßgeblich ist, gelten die obigen (Rz. 86) Ausführungen zu § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO entsprechend.
165
Bei Rechtsgeschäften oder anderen Rechtshandlungen nach Antragstellung reicht nach § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO alternativ zur Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners – sofern Letztere vorlag – auch die Kenntnis von der Antragstellung. Die Kenntnis von Umständen, die auf die Zahlungsunfähigkeit oder die Antragstellung schließen lassen, ist der direkten Kenntnis nach §§ 132 Abs. 3 i.V.m. 130 Abs. 2 InsO gleichgestellt. Insoweit kann auf Rz. 93 ff. verwiesen werden.
166
IV. Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO 1. Allgemeines § 133 InsO erlaubt die Anfechtung gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen des Schuldners, die bis zu zehn Jahren in der Vergangenheit liegen. Diese lange Frist wird dadurch gerechtfertigt, dass von § 133 Abs. 1 InsO nur solche Handlungen erfasst werden, bei denen der Schuldner mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung gehandelt hat und der Anfechtungsgegner dies wusste.
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§ 133 Abs. 2 InsO enthält eine noch schärfere Sonderregel für entgeltliche Verträge des Schuldners mit nahe stehenden Personen, die zu einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung führen: Hier wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners vermutet, dies allerdings nur für einen Zeitraum von zwei Jahren vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags. Zu beachten ist, dass § 142 InsO (Ausschluss sogenannter Bargeschäfte von der Anfechtbarkeit, dazu unten Rz. 293 ff.) im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO nicht gilt, wohl aber im Rahmen des Abs. 2.
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2. Rechtshandlungen des Schuldners bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 Abs. 1 InsO a) Rechtshandlung des Schuldners § 133 Abs. 1 InsO erfasst nur Rechtshandlungen des Schuldners, nicht aber eines Gläubigers oder eines Dritten.
Graf/Wunsch
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169
§ 10
Rz. 169a
Insolvenzanfechtung
Der Anfechtung nach § 133 entzogen ist damit z.B. die Befriedigung eines Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung1. Eine Ausnahme gilt jedoch im Fall der Mitwirkung des Schuldners bei einer gegen ihn gerichteten Vollstreckungsmaßnahme2, die im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Gläubiger, aber z.B. auch im Unterlassen der Einlegung eines erfolgversprechenden Rechtsbehelfs liegen kann. Erst recht liegt eine Rechtshandlung des Schuldners vor, wenn dieser zur Abwendung der Zwangsvollstreckung freiwillig leistet. Durch unmittelbar bevorstehende Vollstreckungsmaßnahmen wird das Vorliegen einer Rechtshandlung des Schuldners dabei nicht ausgeschlossen, sondern erst dann, wenn dieser nur noch die Wahl hat zwischen sofortiger Zahlung und Duldung der für ihn sonst nicht abwendbaren Vollstreckungsmaßnahme einer bereits anwesenden Vollziehungsperson und somit jede Möglichkeit selbstbestimmten Handelns ausgeschlossen ist3.
! Hinweis: 169a
Dadurch steht der Gläubiger, wenn die im Rahmen der §§ 130, 131 InsO maßgebliche Dreimonatsfrist erst einmal verstrichen ist, im Falle der Befriedigung durch Zwangsvollstreckung anfechtungsrechtlich besser da, als er bei einer unter dem Druck der Vollstreckungsdrohung erfolgten Zahlung des Schuldners stünde. Auch insoweit ist es also taktisch unklug, Vollstreckungsmaßnahmen „auf die lange Bank zu schieben“ und den Schuldner mit immer neuen Vollstreckungsdrohungen und Fristsetzung doch noch zur Zahlung bewegen zu wollen. Vielmehr sollte die Zwangsvollstreckung möglichst schnell eingeleitet werden. Beim Vollstreckungsauftrag empfiehlt es sich, die von Huber4 aufgestellten Grundsätze zum „anfechtungsresistenten“ Vollstreckungsauftrag zu beachten. Dieser besteht aus dem üblichen kombinierten Auftrag zur Sachpfändung und Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, wobei sich der Gläubiger jedoch mit freiwilligen Ratenzahlungen des Schuldners ausdrücklich nicht einverstanden erklärt und den Gerichtsvollzieher stattdessen anhält, ggf. angebotene Teilzahlungsbeträge zu pfänden und an den Gläubiger abzuliefern. Bei Insolvenzantragstellung innerhalb der Dreimonatsperiode verschlechtert sich die Position des Gläubigers im Hinblick auf § 131 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO durch diese Maßnahme nicht. Sobald diese Dreimonatsperiode überstanden ist, verbessert sich die Situation des Gläubigers dramatisch, weil § 133 InsO mangels Rechtshandlung des Schuldners nicht greift. 1 BGH v. 10. 2. 2005 – IX ZR 211/02, NZI 2005, 215 f. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 6; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 Rz. 8; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 8 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 19. Zur Rechtshandlung des Schuldners bei Abbuchung im Lastschriftverfahren vgl. BGH v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (756). 3 BGH v. 10. 2. 2005 – IX ZR 211/02, NZI 2005, 215 (217); OLG Brandenburg v. 16. 8. 2006 – 7 U 42/06, ZInsO 2007, 40; OLG Frankfurt/ M. v. 13. 4. 2006 – 26 U 37/05, ZInsO 2006,943 (944). Zu den Einzelheiten sowie zu offenen Abgrenzungsfragen Huber, ZInsO 2005, 630 ff. 4 ZInsO 2005, 628 (631).
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Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung
Rz. 173 § 10
b) Gläubigerbenachteiligung und dahin gehender Vorsatz des Schuldners aa) Objektive Benachteiligung Die Rechtshandlung des Schuldners muss – dies ergibt sich schon aus der allgemeinen Regelung des § 129 Abs. 1 InsO – objektiv zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt haben. Ausreichend ist dabei eine mittelbare Benachteiligung1 (oben Rz. 46).
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bb) Vorsatz Der Schuldner muss den Vorsatz gehabt haben, die Insolvenzgläubiger zu benachteiligen. Im Unterschied zum Wortlaut der KO ist nicht die dahingehende Absicht erforderlich. Das entspricht der Rechtsprechung zur KO, die den Begriff der Gläubigerbenachteiligungs„absicht“ bereits so modifiziert hatte, dass letztlich sogar bloßer Dolus eventualis (erkennen und billigend in Kauf nehmen2) ausreichend war. Dies gilt umso mehr anhand der jetzigen Gesetzesformulierung3.
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Ein Benachteiligungsvorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO liegt vor, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung bzw. des Eintritts der Rechtswirkungen dieser Rechtshandlung (§ 140 InsO, dazu unten Rz. 276 ff.) einen einzelnen Gläubiger durch Sicherung oder Befriedigung vor anderen Gläubigern bevorzugen will4 oder wenn er diese Bevorzugung jedenfalls als Folge seiner Handlung erkennt5.
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Dabei muss sich der Benachteiligungsvorsatz nicht auf die konkrete, tatsächlich objektiv eingetretene Benachteiligung beziehen6. Er muss sich auch nicht gegen alle Gläubiger richten, sondern kann auch nur einzelne, bestimmte oder unbestimmte Gläubiger betreffen7. Dabei ist nicht einmal erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung überhaupt Gläubiger vorhanden waren. Selbst ein völlig schuldenfreier späterer Schuldner kann den Vorsatz haben, etwaige künftige Gläubiger zu benachteiligen8.
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1 BGH v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (756); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 8; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 13; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 14 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 22. 2 BGH v. 23. 9. 1981 – VIII ZR 245/80, WM 1981, 1206 (1207); BGH v. 15. 10. 1975 – VIII ZR 62/74, WM 1975, 1182 (1184). 3 OLG Dresden v. 20. 3. 2003 – 13 U 2316/02, ZIP 2003, 1052 f.; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 37; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 21 (7/2003). 4 BGH v. 18. 2. 1993 – IX ZR 129/92, WM 1993, 738 (739); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 34. 5 BGH v. 15. 10. 1975 – VIII ZR 62/74, WM 1975, 1182 (1184); OLG Karlsruhe v. 12. 3. 1980 – 6 U 186/79, ZIP 1980, 260 (262); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 39. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 8. 7 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 37 (7/2003). 8 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 35.
Graf/Wunsch
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§ 10 174
Rz. 174
Insolvenzanfechtung
Die – bewusste1 – Gewährung einer inkongruenten Deckung (oben Rz. 63 ff.) wird aber nach ganz h.M. als ein Indiz für den Benachteiligungsvorsatz angesehen2. Das liegt auch auf der Hand: Wendet der Schuldner einem Gläubiger mehr zu, als ihm zusteht, so spricht das für die Absicht, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen. Aus diesem Grund spielt die Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung – obschon im Gesetz nicht vorgesehen – auch im Rahmen des § 133 InsO eine bedeutende Rolle. Das Gewicht des in der Inkongruenz liegenden Beweisanzeichens ist jedoch umso geringer, umso unwesentlicher die Inkongruenz als solche ist3. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen eine Deckung gewährt wurde, die dem Gläubiger nur nicht in der Art oder zu der Zeit zugestanden hat. Das Beweisanzeichen ist vollends entkräftet, wenn die inkongruente Deckung im Zusammenhang mit einem ernsthaft verfolgten Sanierungskonzept stand4. Außerdem kann allein aus der Inkongruenz einer Befriedigung oder Sicherung dann auf die Gläubigerbenachteiligungsabsicht geschlossen werden, wenn die Wirkungen der Rechtshandlung zu einer Zeit eingetreten sind, zu der noch keine Zweifel an der Liquidität des Schuldners bestanden haben5.
175
Ein anderes Indiz für die Benachteiligungsabsicht liegt in der Verschleuderung von Vermögensgegenständen und in unentgeltlichen Verfügungen6.
175a
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz liegt ebenfalls vor, wenn die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft einen sog. „Firmenbestatter“ in Anspruch nehmen, der die Gesellschaft faktisch liquidieren soll, ohne noch offene Gläubigerforderungen zu befriedigen7.
176
Dagegen liegt im Abschluss von unmittelbar gläubigerbenachteiligenden schuldrechtlichen Verträgen kein allgemeingültiges Indiz für den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung8. Das betrifft insbesondere Verträge im Zusammen1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 41. 2 BGH v. 2. 12. 1999 – IX ZR 412/98, NJW 2000, 957 (958) = ZIP 2000, 82 (83); BGH v. 8. 10. 1998 – IX ZR 337/97, WM 1998, 2345; BGH v. 15. 2. 1990 – IX ZR 149/ 88, WM 1990, 649; OLG Frankfurt/M. v. 7. 2. 1997 – 24 U 68/95, ZIP 1997, 598; OLG Brandenburg v. 26. 2. 1998 – 8 U 73/97, ZIP 1998, 1369; OLG Stuttgart v. 13. 11. 2002 – 3 U 19/02, ZIP 2002, 2264 (2267 f.); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 12; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 45; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 25 (7/2003); a.A. Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 813 (836), Rz. 50. 3 BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, DB 1993, 729; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 49; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 26 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 40. 4 BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1564); BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, DB 1993, 729; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 13; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 49; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 40. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 13; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 49. 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 52; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 8, 42. 7 BGH v. 22. 12. 2005 – IX ZR 190/02, NJW 2006, 908 (910). 8 BGH v. 4. 12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1562 f.).
1090
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Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung
Rz. 177 § 10
hang mit außergerichtlichen Sanierungsversuchen. Rechtsgeschäfte mit dem Ziel der Sanierung können nur dann unter § 133 Abs. 1 InsO fallen, wenn der Schuldner das Scheitern der Sanierungsbemühungen vorhersieht und die damit einhergehende Gläubigerbenachteiligung zumindest billigend in Kauf nimmt1. Werden in diesem Zusammenhang auch Kreditsicherheiten gewährt, so stellt die Ernsthaftigkeit der Sanierungsbemühungen ein Beweisanzeichen gegen den Benachteiligungsvorsatz dar2. Auch der Grundsatz, dass zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistete Zahlungen stets als inkongruent anzusehen sind (oben Rz. 74a), gilt nicht außerhalb des Dreimonatszeitraums für die Anfechtung als inkongruente Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO3. Somit kann hieraus nicht unter dem Aspekt der Inkongruenz eine Vermutung für den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung abgeleitet werden.
176a
Bei einem Erfüllungsgeschäft, das eine kongruente Deckung darstellt, konnte ein Benachteiligungsvorsatz nach der bisherigen Rechtsprechung nur angenommen werden, wenn es dem Schuldner „nicht so sehr auf die Erfüllung seiner Vertragspflicht als auf die Vereitelung der Ansprüche seiner übrigen Gläubiger angekommen ist“4. Diese Formel wird zwar auch heute noch oft zitiert, ist jedoch der Sache nach durch die neuere Rechtsprechung des BGH überholt. Diese sieht den Vorsatz der Begünstigung eines einzelnen Gläubigers und damit der Benachteiligung der übrigen Gläubiger bei einem zahlungsunfähigen Schuldner – der zwangsläufig in Kauf nimmt, nicht mehr alle Gläubiger befriedigen zu können – nunmehr als den Regelfall an5. Dies gilt insbesondere, wenn der Schuldner Nachteile für sich abwenden will, etwa die Zwangsvollstreckung oder Insolvenzantragstellung durch den betreffenden Gläubiger6, oder wenn der Gläubiger auf sonstige Weise massiven Druck ausgeübt hat7. Beim zahlungsunfähigen Schuldner ist somit auch und gerade im Falle der Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung in aller Regel doch von Benachteiligungsvorsatz auszugehen8, auch wenn dies nicht auf eine Indizwirkung einer etwaigen Inkongruenz gestützt werden kann. So lange der Schuldner zum maßgeblichen Zeitpunkt allerdings nicht zahlungsunfähig war, reicht allein die Tatsache einer „Druckzahlung“ nicht aus, um Gläubigerbenachteiligungsvorsatz unterstellen zu können.
177
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 77; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 27 f. (7/2003). 2 BGH v. 4. 12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1564). 3 BGH v. 27.5. 2003 – IX ZR 169/02, WM 2003, 1690 ff.; BGH v. 17. 7. 2003 – IX ZR 272/02, WM 2003, 1923 (1924); so auch bereits OLG Stuttgart v. 13. 11. 2002 – 3 U 19/02, ZIP 2002, 2264, 2267 f.; a.A. noch OLG Dresden v. 20. 3. 2003 – 13 U 2316/02, ZIP 2003, 1052 (1053 f.). 4 BGH v. 19. 3. 1998 – IX ZR 22/97, NJW 1998, 2592 (2597). 5 BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1263). 6 BGH v. 27. 5. 2003 – IX ZR 169/02, NJW 2003, 3347 (3349). 7 BGH v. 17. 7. 2003 – IX ZR 272/02, WM 2003, 1923 (1925); BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (452). 8 OLG Brandenburg v. 16. 8. 2006 – 7 U 42/ 06, ZInsO 2007, 40 (41).
Graf/Wunsch
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1091
§ 10
Rz. 178
Insolvenzanfechtung
Für Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung sowie für Fälle anderer Drohungen – z.B. derjenigen des Energieversorgungsunternehmens mit der Einstellung der Leistungen – ist somit letztlich entscheidend, ob zum Zeitpunkt einer auf diese Drohung hin erfolgten Zahlung objektiv Zahlungsunfähigkeit vorlag und dem Gläubiger subjektiv Kenntnis hiervon unterstellt werden kann1. c) Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Benachteiligungsvorsatz 178
Für die Anfechtbarkeit nach § 133 Abs. 1 InsO ist erforderlich, dass der Anfechtungsgegner den Benachteiligungsvorsatz des Schulders positiv gekannt hat. Fahrlässige – auch grob fahrlässige – Unkenntnis genügt nicht2. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Anfechtungsgegner auch seinerseits mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt oder kollusiv mit dem Schuldner zusammengearbeitet hat.
179
Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes ist zu bejahen, wenn der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände gekannt hat, aus denen sich auf eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners schließen lässt3. Dass Anfechtungsgegner und Schuldner gleichzeitig auch gehofft haben, ein Insolvenzverfahren vermeiden zu können, entlastet den Anfechtungsgegner nicht4.
180
Auch für die Kenntnis des Anfechtungsgegners wird die Gewährung einer inkongruenten Deckung als starkes Indiz angesehen5. Erforderlich ist dabei wiederum die Kenntnis derjenigen Umstände, auf denen die Inkongruenz beruht6. Dieses Indiz kann aber auch dann widerlegt sein, wenn der Anfechtungsgegner rechtsirrig gemeint hat, die Leistung beanspruchen zu dürfen7 (also von einer kongruenten Deckung ausging). Ein anderes Indiz liegt vor bei für den Anfechtungsgegner ersichtlicher Vermögensverschleuderung8. Gleiches gilt für den Fall, dass der Anfechtungsgegner auf nachträgliche Besicherung von Altverbindlichkeiten gedrängt hat oder nur noch zur Warenlieferung gegen Vorkasse bereit war9.
181
Schließlich wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO widerleglich vermutet, wenn dieser die drohende Zahlungsunfä1 Vgl. OLG Köln v. 31. 8. 2006 – 2 U 3/06 (unveröffentlicht); OLG Köln v. 30. 11. 2006 – 2 U 86/06 (unveröffentlicht) jeweils zum Energieversorgungsunternehmen. 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 39 (7/2003). 3 BGH v. 17. 6. 1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3082). 4 BGH v. 26. 6. 1997 – IX ZR 203/96, NJW 1997, 3175; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 28; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 40 (7/2003). 5 BGH v. 2. 12. 1999 – IX ZR 412/98, NJW 2000, 957 (958) = ZIP 2000, 82 (83); BGH v. 19. 3. 1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793 (800); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 17; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 29; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 39 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 43. 6 BGH v. 2. 12. 1999 – IX ZR 412/98, NJW 2000, 957 (958) = ZIP 2000, 82 (83). 7 BGH v. 4. 12. 1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1565). 8 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 44. 9 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 30.
1092
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Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung
Rz. 183 § 10
higkeit kannte und wusste, dass die Rechtshandlung objektiv gläubigerbenachteiligend wirken würde. Entsprechend der verschärften Rechtsprechung zur Benachteiligungsabsicht des Schuldners bei der Gewährung kongruenter Deckungen (siehe oben Rz. 177) scheint der BGH es auch hierfür ausreichen zu lassen, dass der Gläubiger die drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit kannte und Druck auf den Schuldner ausgeübt hat, seine Verbindlichkeiten zu begleichen1. Auch insoweit – sowohl im Hinblick auf § 133 Abs. 1 Satz 1 als auch Satz 2 InsO – gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften über die Wissenszurechnung. Wurde der Anfechtungsgegner bei Abschluss des gläubigerbenachteiligenden Geschäfts vertreten, so kommt es also auf die Kenntnis des Vertreters an2 (wobei die Gutgläubigkeit des weisungsgebundenen Vertreters unschädlich ist), vgl. zum Ganzen oben Rz. 103.
182
! Hinweis: Die verschärfte Rechtsprechung des BGH im Bereich kongruenter Deckungen erweist sich für den Berater eines Gläubigers als äußert problematisch. Sie erweitert faktisch den Zeitraum für die Anfechtung von Leistungen durch einen zahlungsunfähigen Schuldner an einen Gläubiger, dem die Zahlungsunfähigkeit bzw. die zugrunde liegenden Umstände bekannt waren, von drei Monaten (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) auf den gesamten Zeitraum der Zahlungsunfähigkeit einschließlich des zuvor liegenden Zeitraums der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Bei Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung wirkt es sich dabei zwar zu Gunsten des Gläubigers aus, dass der Benachteiligungsvorsatz nicht allein aus der – dem Anfechtungsgegner stets bekannten – Tatsache der „Druckzahlung“ folgt, sondern die Zahlungsunfähigkeit hinzutreten und somit ebenfalls bekannt sein muss. Jedoch ist letzteres in der Praxis oftmals (nachweislich) der Fall, bzw. es besteht jedenfalls aus ex-ante-Sicht ein nicht unerhebliches Risiko, dass ein Gericht später eine Kenntnis der die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umstände bejahen wird. In diesen Fällen ist die dem § 133 InsO entzogene Befriedigung durch Zwangsvollstreckung einer „freiwilligen“ Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vorzuziehen (siehe bereits oben Rz. 74c und Rz. 169a). Letztere sollte daher keinesfalls angestrebt werden. Kann sie nicht vermieden werden, bleibt dem Berater lediglich der Hinweis auf das Risiko der Anfechtung. Zusätzlich kann empfohlen werden, nicht in zu offensichtlicher Weise Druck auf den Schuldner auszuüben. Insbesondere ist in aller Regel davon abzuraten, dem Schuldner die Stellung eines Insolvenzantrags anzudrohen.
1 BGH v. 17. 7. 2003 – IX ZR 272/02, WM 2003, 1923 (1925). 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 19; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 27.
Graf/Wunsch
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1093
183
§ 10
Rz. 184
Insolvenzanfechtung
d) Anfechtungszeitraum 184
Der zeitliche Rahmen für eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 Abs. 1 erstreckt sich über die letzten zehn Jahre vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags bis zur Verfahrenseröffnung. Zur Fristberechnung nach § 130 InsO siehe oben Rz. 83 ff., zur Maßgeblichkeit eines Eröffnungsantrags für die Frist des § 139 InsO, Rz. 84.
3. Entgeltliche Verträge mit nahe stehenden Personen bei unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung, § 133 Abs. 2 InsO 185
§ 133 Abs. 2 InsO enthält gegenüber Abs. 1 insoweit eine Sonderregelung, als der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die dahin gehende Kenntnis des Anfechtungsgegners in den von der Vorschrift erfassten Fällen vermutet werden1. a) Entgeltlicher Vertrag mit einer dem Schuldner nahe stehenden Person
186
Erfasst werden dabei nur entgeltliche Verträge, d.h. zweiseitige Rechtsgeschäfte, die mit einer Gegenleistung verbunden sind. Entgeltlich in diesem Sinne sind Geschäfte dann, wenn der Leistung des Schuldners eine Gegenleistung der nahe stehenden Person gegenübersteht und wenn beide Leistungen rechtlich voneinander abhängen2. Für die Annahme einer solchen Gegenleistung genügt bereits jeder wirtschaftliche Vorteil3. Darunter fallen nicht nur – wie man im ersten Moment vermuten könnte – obligatorische Verträge wie Kauf, Miete usw. Vielmehr können auch dingliche Geschäfte (Übereignung, Bestellung dinglicher Rechte) erfasst sein. Selbst bei reinen Erfüllungsgeschäften wird die Entgeltlichkeit bejaht, weil der Schuldner im Gegenzug zu seiner Leistung von einer Schuld frei wird4.
187
Der Vertragspartner muss eine dem Schuldner nahe stehende Person im Sinne der Legaldefinition des § 138 InsO sein. b) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung
188
Im Anwendungsbereich des § 133 Abs. 2 InsO ist eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung (Rz. 46) nicht ausreichend. Es muss vielmehr eine unmittelbare Benachteiligung vorliegen.
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 104; Nerlich in Nerlich/ Römermann, InsO, § 133 Rz. 54 (7/2003). 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 91. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 133 Rz. 22; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 92. 4 BGH v. 15. 2. 1990 – IX ZR 149/88, NJW 1990, 2687 (2688); RG v. 9. 11. 1905 – Rep. VI 49/05, RGZ 62, 38 (45); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 93; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 58 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 133 Rz. 20.
1094
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Graf/Wunsch
Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners
Rz. 193 § 10
c) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis des Anfechtungsgegners Auf die Tatbestandsmerkmale des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes auf Seiten des Schuldners und der Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon verzichtet § 133 Abs. 2 InsO nicht. Diese werden lediglich widerlegbar vermutet1.
189
d) Anfechtungszeitraum Diese Vermutung gilt jedoch nur für Verträge, die innerhalb von zwei Jahren vor Stellung des Eröffnungsantrags oder danach geschlossen wurden (zur Fristberechnung nach § 139 InsO vgl. Rz. 83 ff., zur Maßgeblichkeit eines Eröffnungsantrags Rz. 86 und zum Zeitpunkt, in dem ein Rechtsgeschäft als vorgenommen gilt, unten Rz. 276 ff.).
190
Außerhalb dieses Zeitraums bleibt selbstverständlich ein Rückgriff auf § 133 Abs. 1 InsO mit der dann für den Insolvenzverwalter ungünstigeren Beweislast möglich2.
191
V. Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO 1. Unentgeltliche Leistung des Schuldners, § 134 Abs. 1 InsO a) Leistung des Schuldners Entgegen der oftmals umgangssprachlich verwendeten Bezeichnung als „Schenkungsanfechtung“ erfasst § 134 InsO nicht nur Schenkungen, sondern alle unentgeltlichen Leistungen3 . Das sind Fälle, in denen vom Schuldner ein Vermögenswert zugunsten des Anfechtungsgegners aufgegeben wird, ohne dass dem Schuldner oder mit dessen Einverständnis einem Dritten ein entsprechender Gegenwert zufließt4.
192
Strittig ist, ob die Vermögensentäußerung vom Schuldner selbst vorgenommen worden sein muss bzw. ob dieser zumindest mitgewirkt haben muss5. Leistungen in diesem – weit zu verstehenden – Sinne können u.a. sein:
193
1 Teilweise a.A. offenbar Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 54 (7/2003): Nur die Vermutung der Kenntnis des Anfechtungsgegners sei widerlegbar. Das erscheint indes unplausibel, weil niemand von einer nicht existenten Tatsache (hier: Benachteiligungsvorsatz des Schuldners) Kenntnis haben kann. Daher muss auch der Gegenbeweis zum Benachteiligungsvorsatz des Schuldners möglich sein. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 133 InsO Rz. 102. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 1; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 5. 4 BGH v. 4. 3. 1999 – IX ZR 63/98, ZIP 1999, 628 (629); Haas, ZIP 2006, 1373 (1377); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 6, 16. 5 So Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 5; Nerlich in Nerlich/ Römermann, InsO, § 134 Rz. 36 (3/2003); a.A. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 6; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 32 Rz. 30.
Graf/Wunsch
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1095
§ 10
Rz. 194
Insolvenzanfechtung
–
die Einräumung eines Bezugsrechts für eine Lebensversicherung1;
–
so genannte unbenannte ehebedingte Zuwendungen im Sinne des Familienrechts2;
–
Realhandlungen (z.B. Verarbeitung, Verbindung oder Vermischung, oben Rz. 27)3;
–
Gebrauchsüberlassungen4;
–
schuldrechtliche Rechtsgeschäfte (z.B. Schenkungsversprechen)5;
–
die Tilgung fremder Schulden oder Schuldübernahme6 sowie die Besicherung fremder Schulden7;
–
Prozesshandlungen8 und insbesondere prozessuale Unterlassungen9;
–
andere Unterlassungen (Mahnung, Verjährungs- oder Ersitzungsunterbrechung)10.
–
u.U. Gewinnausschüttungen einer Kapitalgesellschaft11.
b) Unentgeltlichkeit 194
Die Frage der Unentgeltlichkeit wird von der Rechtsprechung in zwei Schritten geprüft12:
195
Zunächst wird geprüft, ob der Schuldner bei objektiver Betrachtung (auf die Vorstellung der Parteien kommt es nicht an!) einen Gegenwert für seine Leistung erhalten hat bzw. ob ihm ein solcher – nicht zwingend vom Anfechtungsgegner – versprochen wurde13. Maßgeblich ist dabei, ob der Anfechtungsgegner bzw. ein Dritter objektiv zugunsten des Schulders ein Vermögensopfer erbringt14 bzw. nach dem Inhalt einer getroffenen Abrede erbringen soll. Ist dies nicht der Fall, ist die Leistung des Schuldners unentgeltlich. Dies gilt auch, wenn der Schuldner an einer Leistung selbst kein Interesse mehr hatte (z.B. wenn er nach Einstellung seines Betriebs Arbeitnehmer, die er selbst nicht 1 BGH v. 23. 10. 2003 – IX ZR 252/02, WM 2003, 2479 (2481). 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 24. Zum Begriff vgl. Putzo in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 516 Rz. 10. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 7. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 7. 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 7. 6 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 18. 7 BGH v. 1. 6. 2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362. 8 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 7. 9 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 6. 10 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 8; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 6. 11 Zu den Einzelheiten Haas, ZIP 2006, 1373 (1378). 12 BGH v. 21. 1. 1999 – IX ZR 429/97, NJW 1999, 1033 = ZIP 1999, 316 (317); BGH v. 24. 6. 1993 – IX ZR 96/92, ZIP 1993, 1170 (1173); BGH v. 28. 2. 1991 – IX ZR 74/90, NJW 1991, 1620 (1611) = ZIP 1991, 454 (456). 13 BGH v. 21. 1. 1999 – IX ZR 429/97, NJW 1999, 1033. 14 BGH v. 1. 6. 2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 (1363).
1096
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Graf/Wunsch
Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners
Rz. 196 § 10
mehr beschäftigen kann, einem Dritten überlässt1) und sogar dann, wenn er an ihr ein eigenwirtschaftliches Interesse hatte (z.B. im Falle der nachträglichen Besicherung einer wirtschaftlich wertlosen Forderung mit dem Ziel, der Gläubiger möge diese weiter stehenlassen2). Liegt eine Gegenleistung objektiv vor, so wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob diese tatsächlich von den Beteiligten als Entgelt angesehen wurde oder ob mit der Leistung des Schuldners gleichwohl Freigiebigkeit bezweckt war. Problematisch sind insoweit die Fälle der so genannten gemischten Schenkung oder sonstigen gemischten Zuwendung. Für die Frage, ob eine solche vorliegt, kommt es auf die subjektiven Vorstellungen der Parteien an3: Eine gemischte Zuwendung ist nicht bereits dann gegeben, wenn Leistung und Gegenleistung objektiv nicht gleichwertig sind, sondern erst dann, wenn die Parteien sich hierüber auch im Klaren waren, d.h. wenn sie eine Teilunentgeltlichkeit wollten (wofür eine erhebliche Wertdifferenz ein Indiz darstellt)4. Notverkäufe unter Wert sind deshalb in der Regel keine gemischten Zuwendungen, da die Parteien in solchen Fällen Leistung und Gegenleistung als nach Lage der Dinge ausgeglichen ansehen5. Liegt danach eine gemischte Schenkung vor, so ist die Leistung des Schuldners nach § 134 InsO anfechtbar, wenn ihr Hauptzweck in einer freigiebigen Zuwendung lag6. Allerdings muss der Empfänger einer solchen gemischten Zuwendung diese nicht vollumfänglich zurückgewähren: Ist die Leistung des Schuldners teilbar, so ist nur der unentgeltliche Teil zurückzugewähren7. Ist sie unteilbar, so kommt eine Rückgewähr nur in Betracht, wenn der unentgeltliche Charakter des Geschäfts überwiegt, oder wenn die Gläubiger ein berechtigtes Interesse an der Rückgewähr gerade des geleisteten Gegenstands haben. Anderenfalls genügt ein Ausgleich der Wertdifferenz in Geld8. Im Falle einer so genannten verschleierten Schenkung, d.h. eines von den Parteien als unentgeltlich gewollten, zum Schein aber entgeltlich abgeschlossenen Geschäfts ist das entgeltliche Geschäft als Scheingeschäft nach § 117 Abs. 2 BGB nichtig. Die verbleibende unentgeltliche Leistung ist nach § 134 InsO anfechtbar9. Schließlich fällt auch eine Schenkung unter Auflage unter den Begriff der unentgeltlichen Leistung im Sinne des § 134 InsO10.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGH v. 11. 12. 2003 – IX ZR 336/01, ZIP 2004, 671 (672 f.). BGH v. 1. 6. 2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 (1363). Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 20. Haas, ZIP 2006, 1373 (1377 f.). Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 12. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 11. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 17. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 17. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 17. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 32; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 17.
Graf/Wunsch
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196
§ 10
Rz. 197
Insolvenzanfechtung
197
Eine Leistung des Schuldners ist dann nicht unentgeltlich, wenn der Schuldner zu ihrer Erbringung verpflichtet war. Eine Ausnahme gilt allerdings für die Erfüllung eines Schenkungsversprechens oder eines anderen unentgeltlichen Vertrags: Sie ist immer unentgeltliche Leistung1, auch wenn die Abgabe des Schenkungsversprechens ihrerseits nicht anfechtbar ist, d.h. auch wenn tatsächlich eine Verpflichtung zu dessen Erfüllung bestand.
198
Unentgeltlichkeit ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner irrig vom Bestehen einer Verpflichtung zur Leistung ausging2. Dann kann der Insolvenzverwalter also nicht etwa nach § 134 InsO anfechten, sondern muss den Anspruch der Masse aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen3. Dies gilt auch im Falle der Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers, wobei dann allerdings die verschärfte Haftung nach §§ 818 Abs. 4, 819 BGB zu beachten ist. Da diese der Haftung des bösgläubigen Empfängers nach § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO entspricht, ergibt sich insoweit kein Unterschied zur Anfechtung nach § 134 InsO.
199
Hatte der Empfänger zwar einen Anspruch auf die Leistung des Schuldners, war dieser aber zur Zeit der Leistung noch nicht fällig, so kann die Anfechtung nur auf Rückgewähr des Zinsvorteils gerichtet sein4. War der Anspruch aufschiebend bedingt, so ist zu differenzieren: Tritt die Bedingung nachträglich noch ein – und zwar bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz im Anfechtungsprozess –, so muss dasselbe gelten wie im Falle der Erfüllung vor Fälligkeit. Findet der Bedingungseintritt dagegen bis zu diesem Zeitpunkt nicht statt, ist und bleibt die Zuwendung nach § 134 InsO anfechtbar5.
200
Die Darlegungs- und Beweislast für die Unentgeltlichkeit einer Leistung trifft den Insolvenzverwalter6. c) Einzelfälle
201
–
Ausschüttung von Scheingewinnen im Rahmen eines Anlagebetrugs: Ist der Schuldner mit einem betrügerischen Anlagemodell in Insolvenz gefallen, so stellt sich zumeist folgendes Problem: Bei solchen Modellen werden anfangs Scheingewinne (d.h. Gewinne, die durch das Anlagemodell gar nicht erzielt wurden, sondern aus den Einlagen anderer Kunden stammen) an die Anleger ausgeschüttet, um so den Schein aufrechtzuerhalten und zu weiteren Investitionen anzureizen. Der BGH hat diesbezüglich in zwei Urteilen – jeweils abweichend von den Vorinstanzen – die Anfechtbarkeit der Auszahlungen nach § 134 InsO bejaht: Die Ausschüttung von Scheingewinnen sei unentgeltlich, weil sie objektiv (oben Rz. 195) nicht Gegenleis-
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 15. 2 OLG Koblenz v. 11. 3. 1999 – 5 U 1160/98, KTS 2000, 265 (LS); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 10; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 20. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 10. 4 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 20. 5 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 20. 6 BGH v. 21. 1. 1999 – IX ZR 429/97, ZIP 1999, 316 (317).
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Graf/Wunsch
Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners
Rz. 205 § 10
tung für die eingezahlten Beträge sei1. Im Ergebnis mussten die geprellten Anleger, die zunächst noch Scheingewinne ausgeschüttet bekommen hatten, diese jedoch trotz der Anfechtbarkeit nicht zurückgewähren, weil insoweit § 814 BGB eingreift. –
Spenden – z.B. an politische Parteien – sind unentgeltliche Leistungen im Sinne des § 134 Abs. 1 InsO2. Die Ausstellung einer Spendenquittung und der damit einhergehende steuerliche Vorteil für den Schuldner stellen keine Gegenleistung dar3.
202
–
Die freiwillige nachträgliche Vergütung von Dienstleistungen – insbesondere im Arbeitsverhältnis – ist dagegen nicht zwingend als unentgeltlich anzusehen. Im Falle von freiwilligen Weihnachtsgratifikationen an Arbeitnehmer verneint die Rechtsprechung die Unentgeltlichkeit, weil solchen Leistungen auch im Arbeitsrecht Entgeltcharakter zugeschrieben wird4. Dies soll auch dann gelten, wenn die Zahlungen an Arbeitnehmer einer juristischen Person aus dem Privatvermögen des „wirtschaftlichen Alleininhabers“ geleistet wurden5. Ist ein Gesellschafter jedoch nicht „wirtschaftlicher Alleininhaber“ und fällt er selbst in Insolvenz, so stellen seine Leistungen an Arbeitnehmer der Gesellschaft stets unentgeltliche Leistungen dar, weil der Gesellschafter dann – auch faktisch – nicht Arbeitgeber war6.
203
–
Überhöhte Abfindungen an ausscheidende Arbeitnehmer sind hinsichtlich des den angemessenen Betrag überschießenden Teils nach den Grundsätzen über die – teilbare – gemischte Zuwendung (oben Rz. 196) nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar7.
204
2. Ausnahme: gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts, § 134 Abs. 2 InsO § 134 Abs. 2 InsO nimmt gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke aus der Anfechtung unentgeltlicher Leistungen aus. Hierunter fallen nur Schenkungen, d.h. keine sonstigen Zuwendungen. „Gebräuchlich“ sind Schenkungen insbesondere dann, wenn mit ihnen einer Verkehrssitte entsprochen wird, z.B. bei Geschenken zum Geburtstag, zur Hochzeit, zum Jubiläum o.Ä.8. 1 BGH v. 29. 11. 1990 – IX ZR 29/90, NJW 1991, 560 (561 f.) m. zust. Anm. Ackmann, EWiR 1991, 75 f. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 29. 3 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 23. 4 BGH v. 12. 12. 1996 – IX ZR 76/96, NJW 1997, 866 (867); LG Frankfurt/M. v. 30. 11. 1995 – 2/23 O 207/95, ZIP 1996, 88 (89). 5 BGH v. 12. 12. 1996 – IX ZR 76/96, NJW 1997, 866 (867); LG Frankfurt/M. v. 30. 11. 1995 – 2/23 O 207/95, ZIP 1996, 88 (89 f.); insoweit a.A. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 24. 6 BGH v. 13. 11. 2001 – 27 U 96/01, BB 2002, 473 (474). 7 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 24. Zum Vorliegen einer inkongruenten Deckung in diesem Fall oben Rz. 64. 8 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 56; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 26.
Graf/Wunsch
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1099
205
§ 10
Rz. 206
Insolvenzanfechtung
206
Die Ausnahme gilt nur für Gelegenheitsgeschenke „geringen Werts“. Dieser Begriff ist nach h.M. objektiv zu verstehen, d.h. es kommt zwar auf den Anlass und die Beziehung zwischen Schuldner und Beschenktem an1, nicht aber auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zur Zeit der betreffenden Schenkung2. Vielmehr gilt in jedem Fall eine betragsmäßige Obergrenze. Die hierzu in der Literatur genannten Beträgen gehen von 50 Euro3 über eine je nach Anlass variable Grenze zwischen 250 und 500 Euro4 bis hin zu einem Betrag von 1 500 Euro5. Hier besteht also ein gewisser Argumentationsspielraum.
207
Die Darlegungs- und Beweislast für das Eingreifen des § 134 Abs. 2 InsO – also sowohl für die Gebräuchlichkeit als auch für die Geringwertigkeit des Geschenks – liegt beim Anfechtungsgegner6.
3. Anfechtungszeitraum 208
Der Anfechtungszeitraum beträgt nach § 134 Abs. 1 InsO vier Jahre vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags. Trotz des insoweit etwas missverständlichen Gesetzeswortlauts unterfallen auch Rechtshandlungen des Schuldners nach Antragstellung der Anfechtung wegen Unentgeltlichkeit7.
209
Die Berechnung der Vierjahresfrist richtet sich nach § 139 InsO. Diesbezüglich gelten die Rz. 83 ff. entsprechend. Zur Frage, welcher Eröffnungsantrag für diese Fristberechnung maßgeblich ist, vgl. oben Rz. 86.
210
Die Frage, wann eine unentgeltliche Leistung gewährt wurde – welcher Zeitpunkt also noch innerhalb der Vierjahresfrist liegen muss – richtet sich nach § 140 InsO (dazu allgemein unten Rz. 276 ff.). Für den Fall eines Schenkungsversprechens außerhalb der Vierjahresfrist mit anschließender Erfüllung innerhalb des Anfechtungszeitraums fingiert § 140 Abs. 1 InsO, dass auch das schuldrechtliche Schenkungsversprechen innerhalb des Anfechtungszeitraums gelegen hat8.
211
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine unentgeltliche Leistung außerhalb des Anfechtungszeitraums gewährt worden ist, liegt aufgrund der Gesetzesformulierung („…, es sei denn, dass …“) beim Anfechtungsgegner9.
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 31. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 3. Aufl. 2002, § 134 Rz. 31; a.A. Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 813 (841), Rz. 57; i.E. auch Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 26. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 61. 4 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 134 Rz. 43 (3/2003); auch Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 134 Rz. 31 sieht den Betrag von 500 Euro als Obergrenze an. 5 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 134 Rz. 48. 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 61. 7 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 30. 8 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 134 Rz. 27. 9 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 134 InsO Rz. 65.
1100
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen
Rz. 216 § 10
VI. Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen, §§ 135 InsO, 32b GmbHG 1. Überblick über das Eigenkapitalersatzrecht 212
Das Eigenkapitalersatzrecht wird ausführlich in § 4 behandelt. a) Regelungszweck Mit dem Regelungskomplex „Eigenkapitalersatzrecht“ soll der Gefahr begegnet werden, dass Gesellschafter, die nicht unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen haften, ihrer Gesellschaft anstelle von Eigen- nur noch Fremdkapital zuführen. Dies hätte unerwünschte Folgen: Das solchermaßen zugeführte Fremdkapital könnte jederzeit wieder abgezogen werden, und im Falle der Insolvenz der Gesellschaft könnten die darlehensgebenden Gesellschafter selbst als Gläubiger auftreten. Dem schiebt das Eigenkapitalersatzrecht einen Riegel vor, indem es dem Gesellschafter eine Finanzierungsverantwortung auferlegt und ihn zwingt, an der einmal getroffenen Finanzierungsentscheidung festzuhalten (vgl. § 4 Rz. 1 ff.).
213
b) Zweigleisigkeit: Rechtsprechungs- und Novellenregeln Eigenkapitalersatzrecht ist in Deutschland geprägt von einem eigentümlichen Nebeneinander von Richterrecht und Gesetz, das auch als System des zweistufigen Kapitalersatzschutzes bezeichnet wird (vgl. näher § 4 Rz. 6 ff.):
214
Zum einen wendet die Rechtsprechung seit langer Zeit die §§ 30, 31 GmbHG analog auf Fälle eigenkapitalersetzender Leistungen an (so genannte Rechtsprechungsregeln). Diese Regeln bewirken bereits im Falle einer Unterbilanz – unabhängig von einer späteren Insolvenz der Gesellschaft – eine Sperre für die Rückgewähr einer eigenkapitalersetzenden Leistung, § 30 GmbHG analog. Wird unter Verstoß hiergegen doch an den Gesellschafter oder einen anderen Geber der eigenkapitalersetzenden Leistung zurückgewährt, so ergibt sich aus § 31 GmbHG analog ein Anspruch der GmbH auf „Rück-Rückgewähr“. Mit anderen Worten: Die kapitalersetzende Leistung wird zeitweilig in funktionelles Eigenkapital umqualifiziert.
215
Zum anderen hat der Gesetzgeber mit der GmbHG-Novelle 1980 die zwischenzeitlich mehrfach geänderten §§ 32a, b GmbHG, 129a, 172a HGB und 32a KO, 3b AnfG 1979 (jetzt §§ 135 InsO, 6 AnfG) eingeführt. Diese so genannten Novellenregeln sollten das Richterrecht ablösen. Sie wurden indes von der Rechtsprechung als unzulänglich befunden, weshalb an der Analogie zu §§ 30, 31 GmbHG neben den neuen gesetzlichen Regelungen festgehalten wurde1. Daraus ergibt sich die Zweispurigkeit. Die Novellenregeln greifen im Unterschied zu den Rechtsprechungsregeln erst dann ein, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wurde (Ausnahme: § 6 AnfG).
216
1 Grundlegend BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 (376 ff.); BGH v. 6. 5. 1985 – II ZR 132/84, WM 1985, 1028.
Graf/Wunsch
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1101
§ 10
Rz. 217
Insolvenzanfechtung
Rechtsfolgen der Novellenregeln sind die Nachrangigkeit der Ansprüche auf Rückgewähr eigenkapitalersetzender Leistungen in der Insolvenz (§§ 32a GmbHG, 129a, 172a HGB, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) und die Anfechtbarkeit einer erfolgten Rückgewähr oder Sicherung des Rückgewähranspruchs (§§ 135 InsO, 32b GmbHG, 6 AnfG). Dies gilt – und insoweit sind die Novellenregeln weiter als die Rechtsprechungsregeln – auch über die Stammkapitalziffer hinaus. 217
Zu beachten ist dabei, dass die Anfechtung nach § 135 InsO neben dem Rückgewähranspruch der Gesellschaft analog § 31 GmbHG steht1. Das ist die Konsequenz aus der Zweistufigkeit des Eigenkapitalersatzrechts: Die erste – unabhängig von der Insolvenz greifende – Stufe der Rechtsprechungsregeln fällt nicht etwa weg, wenn mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die zweite Stufe der Novellenregeln zum Tragen kommt. Dieser Umstand spielt zum einen aufgrund der unterschiedlichen Verjährung der Ansprüche eine Rolle2: Der Anfechtungsanspruch aus §§ 135, 143 InsO verjährt gemäß § 146 InsO drei Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (dazu unten Rz. 362 ff.). Dagegen verjährt der Anspruch aus § 31 GmbHG analog nach § 31 Abs. 5 GmbHG erst fünf Jahre nach Rückführung der eigenkapitalersetzenden Leistung an den Gesellschafter, im Falle der Bösgläubigkeit des Gesellschafters sogar erst nach 30 Jahren (§ 31 Abs. 5 Satz 2 GmbHG; siehe dazu auch § 4 Rz. 285). Will der Insolvenzverwalter also eine an den Gesellschafter zurückgewährte eigenkapitalersetzende Leistung herausverlangen, und ist die Frist des § 146 InsO verstrichen, so hat er dennoch Erfolg, wenn die Rückgewähr entweder weniger als fünf Jahre zurückliegt oder der Gesellschafter bösgläubig war. Von den Instanzgerichten wurde dies in der Vergangenheit allerdings wiederholt übersehen, was zur Abweisung von Klagen des Konkursverwalters geführt hat, wenn die Anfechtungsfrist des § 41 KO (= Vorgängervorschrift des § 146 InsO) bereits verstrichen war. Zum anderen reicht § 31 GmbHG analog im Falle der Rückgewähr der eigenkapitalersetzenden Leistung weiter in die Vergangenheit zurück als § 135 InsO. Letzterer erfasst in der Variante der Befriedigung (§ 135 Nr. 2 InsO) nur Rechtshandlungen in einem Zeitraum von einem Jahr vor Stellung des Insolvenzantrags. Bei § 31 GmbHG analog ist dagegen die mindestens fünfjährige Verjährung die einzige zeitliche Grenze. Schließlich unterscheiden sich auch die Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung von denjenigen der Rechtsprechungsregeln. Dies betrifft z.B. die Schutzmechanismen im Falle der Insolvenz des Gesellschafters: Während der Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung bei Vorliegen der allgemeinen Vorausset1 BGH v. 6. 7. 1998 – II ZR 284/ 94, NJW 1998, 3273 (3274); Haas, ZIP 2006, 1373 (1375); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 64 (7/2003). 2 BGH v. 1. 3. 1999 – II ZR 326/97 und vorangehend OLG Düsseldorf v. 6. 11. 1997 – 12 U 155/96 m. Anm. Goette, DStR 1999, 553 (554); BGH v. 6. 7. 1998 – II ZR 284/ 94, NJW 1998, 3273 (3274) m. Anm. Goette, DStR 1998, 1225; BGH v. 20. 12. 1993 – II ZR 94/93, ZIP 1994, 31 m. Anm. Goette, DStR 1994, 294 und vorangehend OLG München v. 5. 3. 1993 – 23 U 4873/92, ZIP 1993, 504 f.; BGH v. 20. 9. 1993 – II ZR 151/92, ZIP 1993, 1614 (1616).
1102
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen
Rz. 219 § 10
zungen ein Aussonderungs- oder ggf. Ersatzaussonderungsrecht in der Insolvenz des Anfechtungsgegners gewährt, sieht § 31 Abs. 3 GmbH eine Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter vor1. Die unterlassene Geltendmachung eines nach den Rechtsprechungsregeln bestehenden Anspruchs der Gesellschaft kann ihrerseits als selbständige gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung der Anfechtung insbesondere nach § 133 InsO unterliegen2. Zwar wurde dies in der Rechsprechung bislang noch nicht entschieden, jedoch ist u.E. davon auszugehen, dass die maßgeblichen Fristen hierdurch faktisch deutlich verlängert werden können: Tilgt eine GmbH ein Gesellschafterdarlehen unter Verstoß gegen die Rechtsprechungsregeln und lässt sie den analog § 31 GmbHG bestehenden Rückzahlungsanspruch sodann verjähren, kann dieses Unterlassen bei gegebenem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nach § 133 InsO noch bis zu zehn Jahre nach Verjährungseintritt – d.h. bis zu fünfzehn Jahre nach der unter Verstoß gegen § 30 GmbH erfolgten Darlehensrückzahlung – greifen.
217a
c) Anwendungsbereich Schließlich ist zu beachten, dass man zwar oftmals von „eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen“ spricht, dass aber sowohl Rechtsprechungs- wie auch Novellenregeln den Anwendungsbereich des Eigenkapitalersatzrechts in zweifacher Hinsicht ausgedehnt haben: Zum einen fallen auch andere Leistungen als Darlehen hierunter (vgl. § 135 InsO: „gleichgestellte Forderung“, unten Rz. 237 ff.), und zum anderen können auch bestimmte Dritte Geber einer eigenkapitalersetzenden Leistung sein (vgl. § 32a Abs. 2, Abs. 3 GmbHG, unten Rz. 242 und Rz. 224 ff.). Hierzu ausführlich § 4 Rz. 88 ff., 119 ff.
218
d) Reformüberlegungen Zur geplanten Reform des Eigenkapitalersatzrechts durch den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) siehe § 4 Rz. 331 ff., 365 ff.
218a
2. Die Begriffe des „kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens“ und der „gleichgestellten Forderung“ im Sinne des § 135 InsO § 135 InsO nimmt – anders als noch § 32a KO – nicht auf § 32a GmbHG Bezug, in dem der Gesetzgeber die eigenkapitalersetzenden Leistungen im Sinne der Novellenregeln definiert hat. Vielmehr spricht das Gesetz lediglich von „kapitalersetzenden Darlehen“ und „gleichgestellten Forderungen“. Damit ist gleichwohl auf § 32a GmbHG verwiesen, aber auch auf die §§ 129a und 172a
1 Haas, ZIP 2006, 1373 (1380). 2 BGH v 22. 12. 2005 – IX ZR 190/02, NJW 2006, 908 (909). Der Fall betraf eine Einzelanfechtung nach dem AnfG, jedoch lassen sich die Grundsätze dieser Entscheidung ohne weiteres auf § 133 InsO übertragen, vgl. Fischer, NZI 2006, 313 (321).
Graf/Wunsch
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1103
219
§ 10
Rz. 220
Insolvenzanfechtung
HGB sowie auf die Rechtsprechungsregeln, die das Eigenkapitalersatzrecht u.a. auch auf die AG und die stille Gesellschaft ausdehnen1. a) Das kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen 220
Die erste Alternative des § 135 InsO ist das eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen. Dieser Begriff bezieht sich auf den Fall des § 32a Abs. 1 GmbHG und beinhaltet drei Elemente: –
Darlehen (sachlicher Anwendungsbereich, in Abgrenzung zur sonstigen kapitalersetzenden Leistung);
–
Gesellschafter als Darlehensgeber (persönlicher Anwendungsbereich):
–
eigenkapitalersetzender Charakter des Gesellschafterdarlehens.
aa) Sachlicher Anwendungsbereich 221
Erfasst werden nur Darlehen im Sinne der §§ 488, 607 BGB, d.h. Überlassung von Geld oder anderen vertretbaren Sachen. Ob diese Überlassung verzinslich oder unverzinslich vereinbart bzw. durchgeführt wurde, spielt keine Rolle2.
222
Unter den Begriff des Darlehens in diesem Sinne fällt auch das sogenannte unechte Factoring, also die zwischenzeitliche Gewährung eines Kredits bis zur Erfüllung einer erfüllungshalber abgetretenen Forderung der Gesellschaft3.
223
Im Bereich der neuen Bundesländer ist die Vorschrift des Art. 25 VII DMBilG zu beachten, die aus dem Anwendungsbereich des § 135 InsO bestimmte „wiedervereinigungsbedingte“ Darlehen herausnimmt. Das betrifft vor allem Kredite, die von der Treuhandanstalt ausgereicht oder besichert wurden4. bb) Persönlicher Anwendungsbereich
224
Die erste Alternative des § 135 InsO betrifft nur Darlehen eines Gesellschafters, wobei hierunter nicht jeder Gesellschafter fällt: (1) Differenzierung nach der Rechtsform der Gesellschaft
225
Zunächst ist nach der Rechtsform der Gesellschaft zu differenzieren. Gesellschafter im Sinne des § 135 InsO kann sein5 (zu den erfassten Gesellschaften s. § 4 Rz. 36 ff.): 1 Amtl. Begr. zu § 150 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 161; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 4. 2 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 9. 3 OLG Köln v. 25. 7. 1986 – 22 U 331/85, ZIP 1986, 1585 (1586); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 10; i.E. auch Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 46 (7/2003), der das unechte Factoring unter die „gleichgestellten Forderungen“ fasst. 4 Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 813 (841), Rz. 58. 5 Umfassend hierzu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.309 ff.
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen
Rz. 226 § 10
–
bei der GmbH jeder unmittelbar beteiligte Gesellschafter (§ 32a Abs. 1 GmbHG, zur 10%-Grenze unten Rz. 230);
–
bei der AG (Rechtsprechungsregeln) der „unternehmerisch beteiligte“ Aktionär1, d.h. in der Regel nur der mit mehr als 25% beteiligte Aktionär (Näheres, auch zu den Ausnahmen, siehe § 4 Rz. 41 ff.)2;
–
bei der typischen3 GmbH & Co. KG (Näheres siehe § 4 Rz. 51 ff.) sowohl deren Kommanditisten4 als auch die Gesellschafter der KomplementärGmbH (§ 172a Satz 1 HGB)5, und zwar jeweils auch bei Darlehen an die Komplementär-GmbH6; gleiches gilt für die so genannte Vor-GmbH & Co. KG7, für die AG & Co. KG sowie über die Verweisung des § 278 Abs. 2 AktG für die GmbH & Co. KGaA.8;
–
bei der OHG ohne natürliche Personen als Gesellschafter die Gesellschafter der „Gesellschafter-Gesellschaften“ (§129a HGB, Näheres siehe § 4 Rz. 56 ff.);
–
bei der atypisch stillen Gesellschaft (Rechtsprechungsregeln) der stille Gesellschafter9.
Die Literatur will das Eigenkapitalersatzrecht darüber hinaus auch auf den Verein ausdehnen10. Dagegen ist § 135 InsO nach h.M. und Rspr. ausgeschlossen bei Gesellschaften ohne Haftungsbeschränkung, d.h. bei der BGB-Gesellschaft, bei der OHG mit Beteiligung natürlicher Personen und bei der gesetzestypischen KG jedenfalls hinsichtlich des Komplementärs11. Ob bei der gesetzestypischen KG überhaupt Kapitalersatzrecht zum Tragen kommt, ist umstritten; Rechtsprechung dazu liegt noch nicht vor12 (Näheres siehe § 4 Rz. 59). Gleiches gilt für die Genossenschaft und den Verein. 1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 135 InsO Rz. 153; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.315. Zu den Kriterien hierfür vgl. Hess/Weis, ebenda. 2 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83, NJW 1984, 1893 (1895). 3 Gehört einer KG mindestens eine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter an, so findet das Eigenkapitalersatzrecht nach § 172a Satz 2 HGB keine Anwendung (h.M.). 4 Das gilt nicht nur für Kommanditisten, die zugleich Gesellschafter der Komplementär-GmbH sind, sondern auch für so genannte „Nur-Kommanditisten“, BGH v. 27. 3. 1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736 (737); BGH v. 19. 2. 1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 (355 ff.). Vgl. im Einzelnen Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2005, 108 ff. (Rz. 156 ff.). 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 135 Rz. 101. 6 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 48. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 135 Rz. 100. 8 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 48. 9 OLG Hamburg v. 13. 10. 1989 – 11 U 108/89, NJW-RR 1991, 105 (106); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.314. Ansonsten gilt für die stille Gesellschaft § 136 InsO. § 135 InsO greift aber, soweit es sich um so genannte eigenkapitalersetzende stille Einlagen eines Gesellschafters handelt, vgl. dazu Obermüller, ebenda Rz. 5.313. 10 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 10 (7/2003). 11 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 50. 12 Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2005, 113 (Rz. 165).
Graf/Wunsch
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1105
226
§ 10
Rz. 227
Insolvenzanfechtung
(2) Darlehen von „gesellschafterähnlichen“ Personen 227
In diesem Rahmen (bei allen grundsätzlich erfassten Gesellschaftsformen und Gesellschafterstellungen) fallen unter § 135 InsO auch Darlehen –
eines ausgeschiedenen Gesellschafters, wenn dieser noch zu seiner Zeit als Gesellschafter ein Darlehen gewährt hatte, das spätestens zum Zeitpunkt seines Ausscheidens als kapitalersetzend zu qualifizieren war1, oder wenn der Rechtsgrund für die Darlehensgewährung noch während der Zugehörigkeit zur Gesellschaft gesetzt wurde2 (Näheres siehe § 4 Rz. 70 ff.);
–
eines neu eingetretenen Gesellschafters, auch wenn das Darlehen zwar zeitlich vor, aber bereits im Hinblick auf den Eintritt gewährt wurde3 (vgl. aber unten Rz. 231 zum Sanierungsprivileg);
–
eines mittelbar beteiligten Gesellschafters, wenn es sich bei dem die Beteiligung vermittelnden Gesellschafter (d.h. der zwischengeschalteten Gesellschaft) um ein mit ihm verbundenes Unternehmen handelt4, beachte aber für Unternehmensbeteiligungs-Aktiengesellschaften § 25 UBGG;
–
bei der Treuhand eines Gesellschaftsanteils: des Treuhänders5 (zur Gleichstellung des Treugebers unten Rz. 242);
–
desjenigen, der über einen Strohmann beteiligt ist6.
228
Umgekehrt fällt ein Darlehen auch dann unter § 135 InsO, wenn ein Gesellschafter das Darlehen über einen Strohmann ausreichen lässt7 (hierzu § 4 Rz. 93 ff.).
229
Darüber hinaus können Rechtshandlungen Dritter unter dem Aspekt des Eigenkapitalersatzes jedoch nur als „gleichgestellte Forderungen“ im Sinne des § 135 InsO (unten Rz. 237 ff.) oder nach § 32b GmbHG angefochten werden. (3) GmbH-Gesellschafter ohne Geschäftsführungsbefugnis mit bis zu 10% Beteiligung, § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG
230
Weiterhin ist der persönliche Anwendungsbereich des § 135 InsO gemäß § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG dahin einzuschränken, dass nicht-geschäftsführende
1 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, ZIP 1994, 1261 (1263); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.332. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 135 InsO Rz. 148; Nerlich in Nerlich/ Römermann, InsO, § 135 Rz. 31 (7/2003). 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 135 Rz. 25; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.331. 4 BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 (1315). 5 BGH v. 22. 10. 1990 – II ZR 238/98, NJW 1991, 1057 (1058 f.); BGH v. 19. 7. 1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 (174 f.) = MDR 1989, 43. Dies gilt auch für den so genannten uneigennützigen Treuhänder (insb. Sicherungsnehmer), Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 23. 6 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.326. 7 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 5.326.
1106
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen
Rz. 233 § 10
Gesellschafter mit einer Beteiligungsquote von bis zu 10% herausfallen1 (Näheres, auch zu den Ausnahmen, siehe § 4 Rz. 76 ff.). Das ergibt sich zwar nicht zwingend aus dem Wortlaut des § 135 InsO, weil dort keine Verweisung auf § 32a GmbH enthalten ist, wohl aber aus dem Wortlaut des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG, der da lautet: „Die Regeln über den Eigenkapitalersatz gelten nicht für (…)“. Unter „die Regeln über den Eigenkapitalersatz“ muss auch § 135 InsO fallen. Darüber hinaus wird der BGH diese Grenze – wie vom Gesetzgeber mit der Formulierung beabsichtigt – auch auf die Rechtsprechungsregeln anwenden2. Allerdings hat der BGH auch – und dies entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers – entschieden, dass § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG nicht rückwirkend gilt. Es fallen also nur solche Darlehen von Kleinbeteiligten heraus, die nach Inkrafttreten der Norm am 24. 4. 1998 gewährt wurden bzw. die in der Variante des „Stehenlassens“ nach diesem Tag in eigenkapitalersetzende Darlehen umqualifiziert wurden3. (4) Sanierungsprivileg Nach der nachträglich eingefügten Vorschrift des § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG (Sanierungsprivileg, Näheres siehe § 4 Rz. 78 ff.) gilt diese Ausnahme für Kleinbeteiligte auch dann, wenn die 10%-Grenze überschritten wird, weil ein Darlehensgeber zum Zweck der Überwindung der Krise neue Gesellschaftsanteile erwirbt.
231
Im Ergebnis führen die 10%-Grenze und das Sanierungsprivileg hauptsächlich – und dies entspricht durchaus auch der gesetzgeberischen Motivation – dazu, dass Banken weitgehend von der Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln verschont bleiben. (5) Konzern Die Regeln des Eigenkapitalersatzrechts gelten auch im Konzern. Sie werden – jedenfalls nach Auffassung des BGH4 – nicht von dem konzernrechtlichen Verlustausgleichsanspruch einer Tochtergesellschaft verdrängt (hierzu § 4 Rz. 109 ff.).
232
cc) Eigenkapitalersatzcharakter des Gesellschafterdarlehens Nicht jedes Gesellschafterdarlehen wird automatisch auch als eigenkapitalersetzend behandelt. Dies ist lediglich dann der Fall, wenn das Darlehen funk1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 135 InsO Rz. 144. 2 Das wird in Aussicht gestellt von Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2005, 80 (Rz. 115). Nachdem Goette dem zuständigen II. Zivilsenat des BGH angehört, dürfte damit die Linie der Rechtsprechung feststehen. 3 BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 179/99, ZIP 2001, 115 (116); a.A. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 17. 4 BGH v. 19. 9. 1988 – II ZR 255/87, MDR 1989, 43 f.; a.A. Hommelhoff, WM 1984, 1105 (112 f.).
Graf/Wunsch
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1107
233
§ 10
Rz. 234
Insolvenzanfechtung
tionell Eigenkapital darstellt. Das Gesetz sieht hierfür in § 32a Abs. 1 GmbHG die Formel vor, dass ein ordentlicher Kaufmann anstelle des Darlehens Eigenkapital zugeführt hätte (Krise des Unternehmens). Dieses Kriterium ist freilich sehr schwer greifbar. (Wer bestimmt, wer ein „ordentlicher Kaufmann“ ist und was dieser zu tun und zu lassen hat?) Daher wird in Rechtsprechung und Literatur auf die konkreteren Kriterien zurückgegriffen, die die Rechtsprechung bereits vor In-Kraft-Treten der Novellenregeln entwickelt hatte. Danach lassen sich zwei wichtige Fallgruppen des eigenkapitalersetzenden Darlehens bilden:
234
–
der Sanierungskredit (Näheres siehe § 4 Rz. 212) und
–
dasjenige Darlehen, das bei Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft gewährt oder stehen gelassen wurde (Näheres siehe § 4 Rz. 120, 129 ff.).
Dagegen hat der BGH der dritten Fallgruppe, die in der Literatur herausgebildet worden ist – dem Finanzplankredit -, eine Absage erteilt1. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass ein Finanzplankredit „insolvenzfest“ wäre: Zum einen werden die hierunter gefassten Fälle in aller Regel nach den allgemeinen Regeln als eigenkapitalersetzende Darlehen zu behandeln sein, wenn sie in der Krise stehengelassen werden2. Zum anderen hat die Rechtsprechung für Finanzplankredite ein eigenes rechtliches Institut – das „Quasi-Kapital“ – entwickelt, dessen Rechtsfolgen noch einschneidender sind als diejenigen des Eigenkapitalersatzes3 (hierzu § 4 Rz. 217 f.). Checkliste:
235
Indizien für den eigenkapitalersetzenden Charakter eines Darlehens sind u.a. –
die Längerfristigkeit des Darlehens,
–
fehlende, unüblich geringe oder gewinnabhängige4 Verzinsung des Darlehens,
–
fehlende oder unzureichende Absicherung des Darlehens, wenn ein Dritter nur ein gesichertes Darlehen gegeben hätte,
–
marktunüblich hohe Verzinsung für Darlehen von Dritten,
–
die gesellschaftsvertragliche Verpflichtung zur Hingabe von Darlehen,
–
die Vereinbarung, dass das Darlehen in der Krise nicht zurückgeführt werden muss,
–
ein rechtsgeschäftlicher Rangrücktritt,
–
anfängliche unzureichende Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft oder nachträglich eintretender längerfristiger Finanzbedarf der Gesellschaft5.
1 BGH v. 28. 6. 1999 – II ZR 272/98, NJW 1999, 2809 (2810 f.). 2 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 1157. 3 Dazu Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2005, 72 f. (Rz. 97 ff.). 4 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 1157. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 135 Rz. 42.
1108
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen
Rz. 238 § 10
Checkliste Indizien gegen den eigenkapitalersetzenden Charakter sind u.a.
236
–
die kurze Laufzeit des Darlehens (Überbrückungsfunktion)1,
–
die vollwertige Besicherung des Darlehens2,
–
die zeitlich nachfolgende Aufnahme von Drittdarlehen zu marktüblichen Konditionen3,
–
der Umstand, dass Banken noch den Kreditrahmen erhöht haben4,
–
der Umstand, dass die Kreditlinien der Gesellschaft in erheblichem Umfang noch ungenutzt waren5,
–
die Beteiligung Dritter an einem Sanierungsdarlehen6.
b) Der Begriff der gleichgestellten Forderung Dem Anspruch auf Rückgewähr eines eigenkapitalersetzenden Darlehens werden bestimmte andere Forderungen gleichgestellt. Das betrifft Ansprüche gegen die Gesellschaft, die entweder nicht aus einem Darlehen resultieren oder einem Nichtgesellschafter zustehen. Die zweite Alternative des § 135 InsO erweitert also sowohl den sachlichen wie auch den persönlichen Anwendungsbereich der Norm.
237
aa) Sachlicher Anwendungsbereich Dem eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen werden solche Handlungen gleichgestellt, die der Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechen (§ 32a Abs. 3 GmbHG, Näheres siehe § 4 Rz. 203 ff.)7. Letzteres ist dann der Fall, wenn es sich um eine Kapitalüberlassung seitens des Gesellschafters an seine Gesellschaft zur zeitweisen Nutzung handelt8. Einem Darlehen in diesem Sinne gleichgestellt ist –
die Stundung einer Forderung9 (z.B. der Gehaltsforderung des Gesellschafter-Geschäftsführers);
–
die Lieferung unter Eigentumsvorbehalt an die Gesellschaft unter Stundung der Kaufpreisforderung10;
1 BGH v. 19. 12. 1989 – XI ZR 121/88, WM 1990, 94 (95); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 135 Rz. 36, 43; einschränkend Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 43. 2 OLG Koblenz v. 7. 2. 1992 – 2 U 3/90 und nachfolgend BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 185/92, DStR 1993, 251 (252). 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 135 InsO Rz. 45. 4 BGH v. 11. 12. 1995 – II ZR 128/94, WM 1996, 259 (260). 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 135 InsO Rz. 43. 6 BGH v. 14. 11. 1988 – II ZR 115/88, WM 1989, 60 (61). 7 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 25. 8 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 120. 9 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 122. 10 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 48 (7/2003).
Graf/Wunsch
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1109
238
§ 10
Rz. 239
Insolvenzanfechtung
–
andere Rechtshandlungen des Gesellschafters mit Stundungscharakter gegenüber der Gesellschaft, z.B. die Annahme eines Wechsels an Erfüllungs statt1 oder die Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers unter Entstehen eines Regressanspruchs gegen die Gesellschaft2;
–
im Einzelfall auch Fälligkeitsvereinbarungen zugunsten der Gesellschaft3;
–
wiederholte Anzahlungen oder Vorauszahlungen des Gesellschafters4;
–
der Erwerb einer gestundeten Forderung von der Gesellschaft5 oder einer gegen die Gesellschaft gerichteten gestundeten Forderung von einem Drittgläubiger6;
–
der Fall, dass ein Gesellschafter zusätzlich eine (typische) stille Beteiligung an der Gesellschaft erwirbt7.
239
Das unechte Factoring fällt bereits unter den Begriff des Darlehens (oben Rz. 222), jedenfalls aber unter den der gleichgestellten Forderung8. Dagegen hat ein echtes Factoring keinen Darlehenscharakter und kann somit nie kapitalersetzend wirken9.
240
Gleichermaßen problematisch und praxisrelevant ist schließlich die kapitalersetzende Nutzungsüberlassung (Näheres siehe § 4 Rz. 142 ff.), also der Fall, dass der Gesellschafter der Gesellschaft z.B. (Hauptanwendungsfall!) ein Betriebsgrundstück vermietet oder verpachtet. Auch Leasing kann hierunter fallen. Hierzu hat der BGH im Einklang mit der h.M. in der Literatur10 entschieden, dass Nutzungsüberlassungen grundsätzlich kapitalersetzenden Charakter haben können11. Ob eine Nutzungsüberlassung im Einzelfall tatsächlich eigenkapitalersetzend ist, wird analog zum Merkmal der Kreditunwürdigkeit am Kriterium der „Überlassungsunwürdigkeit“ ermittelt12. Das bedeutet: Es wird gefragt, ob ein Dritter der Gesellschaft den betreffenden Gegenstand überlassen hätte oder ob diese sich hätte die finanziellen Mittel verschaffen können, um den Gegenstand zu erwerben. Ist beides zu verneinen, so ist die Nutzungsüber1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
12
Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 125. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 26. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 31. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 27. Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 126 a.E. Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 126. BGH v. 21. 3. 1983 – II ZR 139/82, NJW 1983, 1855 (1856) = ZIP 1983, 561; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 119. Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 124. Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 124. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 32; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 49 (7/2003); Stodolkowitz in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 135 Rz. 92. BGH v. 16. 6. 1997 – II ZR 154/96, ZIP 1997, 1375 (1376); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (7 f.) = NJW 1994, 2349 (2350 f.); BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 (22 ff., 30 f.) = NJW 1994, 2760 (2761 ff.); BGH v. 14. 12. 1992 – II ZR 298/81, NJW 1993, 392 (393); BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (58 f.) = NJW 1990, 516. BGH v. 16. 10. 1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 (58 f.) = NJW 1990, 516; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 49 (7/2003).
1110
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen
Rz. 242 § 10
lassung eigenkapitalersetzend. Im Ergebnis wird die „Überlassungsunwürdigkeit“ zeitlich mit der Kreditunwürdigkeit zusammenfallen; insbesondere wird auch sie nach Auffassung des BGH zwingend durch die Überschuldung der Gesellschaft bedingt1. Rechtsfolge einer eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung ist aber nach h.M. und Rechtsprechung des BGH nicht etwa, dass der überlassene Gegenstand unwiderruflich in die Insolvenzmasse fällt. Vielmehr bleibt das Aussonderungsrecht des Gesellschafters und Eigentümers der überlassenen Sache bestehen2. Die Anfechtung seines Herausgabeanspruchs (= gleichgestellte Forderung i.S.v. § 135 InsO) führt nur dazu, dass er die Nutzung bis zur Liquidierung bzw. anderweitigen Beendung des Insolvenzverfahrens unentgeltlich gestatten muss. Innerhalb des Anfechtungszeitraums (unten Rz. 250) gezahlte Nutzungsentgelte kann der Insolvenzverwalter im Wege der Anfechtung zurückverlangen; weitere Zahlung z.B. des Mietzinses kann er verweigern3. Der überlassene Gegenstand kann also unentgeltlich zugunsten der Masse genutzt werden, und zwar nicht nur zur Betriebsfortführung, sondern auch durch entgeltliche Überlassung an Dritte4 (hierzu ausführlich § 4 Rz. 161 ff.). Kurz gesagt: Der Gebrauchswert (nicht aber der Substanzwert) des überlassenen Gegenstands fällt in die Insolvenzmasse. Noch völlig ungeklärt ist die rechtliche Lage im Hinblick auf die Konkurrenzen, wenn ein Grundstück zum einen einer später in Insolvenz gefallenen Gesellschaft in eigenkapitalersetzender Weise überlassen wurde (d.h. der Insolvenzverwalter nach dem soeben Gesagten unentgeltliche Nutzungsmöglichkeit verlangt), zum anderen aber auch ein Grundpfandrecht eines Gläubigers des Gesellschafters besteht5. Gleiches gilt, wenn ein Gläubiger des Gesellschafters in das Grundstück vollstreckt (z.B. die Zwangsverwaltung betreibt, also seinerseits die Nutzung beansprucht).
241
bb) Persönlicher Anwendungsbereich Unter die „gleichgestellten Forderungen“ im Sinne des § 135 InsO fallen weiterhin auch Ansprüche aus Darlehen und gleichgestellte Rechtshandlungen im soeben beschriebenen Sinne, die der Gesellschaft von bestimmten Dritten gewährt wurden (hierzu auch § 4 Rz. 89 ff.). Dies sind: –
bei der Treuhand eines Gesellschaftsanteils (z.B. Sicherungsübertragung) der Treugeber6 (der Treuhänder fällt als Gesellschafter bereits in den Anwendungsbereich des § 32a Abs. 1 GmbHG und damit der ersten Alternative des § 135 InsO, oben Rz. 227);
1 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (5 f.) = ZIP 1994, 1261 (1263); BGH v. 14. 6. 1993 – II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072 (1073). 2 BGH v. 11. 7. 1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 (8 f.) = ZIP 1994, 1261 (1264); Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 139. 3 BGH v. 14. 6. 1993 – II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072 (1073 f.). 4 OLG Hamm v. 1. 6. 1992 – 8 U 252/91, DB 1992, 2233. 5 Dazu Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 75. 6 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 23.
Graf/Wunsch
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1111
242
§ 10
Rz. 243
Insolvenzanfechtung
–
Familienangehörige eines Gesellschafters nur dann, wenn sie auf Rechnung des Gesellschafters oder dieser auf ihre Rechnung handelt1;
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ein mit der Gesellschaft oder mit einem Gesellschafter verbundenes Unternehmen (oben Rz. 2272).
cc) Eigenkapitalersatzcharakter der gleichgestellten Forderung 243
Ist ein Geschäft im soeben dargestellten Sinne dem Gesellschafterdarlehen gleichgestellt, so muss es weiterhin auch konkret eigenkapitalersetzend sein. Dies beurteilt sich nach denselben Kriterien wie beim Gesellschafterdarlehen. Die Leistung muss also entweder in der Krise der Gesellschaft (oben Rz. 233 ff.) gewährt worden sein, oder sie muss in der Krise stehengelassen worden sein.
3. Anfechtung von Rechtshandlungen, die dem Gläubiger der aus einer kapitalersetzenden Leistung resultierenden Forderung Sicherheit gewähren, § 135 Nr. 1 InsO 244
§ 135 Nr. 1 InsO betrifft den Fall, dass die Gesellschaft dem Gesellschafter oder Dritten eine Kreditsicherheit zur Absicherung seines Rückforderungsanspruchs aus dem kapitalersetzenden Darlehen bzw. der gleichgestellten Forderung gewährt hat. In diesem Fall wird er z.B. bei einer Sicherungsübereignung in der Insolvenz ein Absonderungsrecht geltend machen. Dem kann der Insolvenzverwalter mit der Anfechtung nach § 135 Nr. 1 InsO entgegentreten.
245
Eine Sicherung im Sinne des § 135 Nr. 1 InsO liegt bei jeder Rechtshandlung vor, durch die dem Sicherungsnehmer eine bessere Rechtsposition als diejenige eines Insolvenzgläubigers verschafft wird3. Der Hauptanwendungsfall liegt bei Sicherungen, die dem Gläubiger der aus einer eigenkapitalersetzenden Leistung resultierenden Forderung ein Absonderungsrecht verschaffen. Dabei muss die Sicherung nicht durch eine Rechtshandlung der Gesellschaft eingeräumt worden sein, ausreichend ist vielmehr auch die Sicherung durch Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers4.
246
Hier wirkt sich zunächst erneut die Zweispurigkeit des Eigenkapitalersatzrechts (oben Rz. 214 ff.) aus: Während die Novellen-Regeln mit § 135 InsO nur die Anfechtbarkeit solcher Kreditsicherheiten vorsehen, führen die Rechtsprechungsregeln bereits ohne weiteres dazu, dass der sicherheitsnehmende Ge-
1 BGH v. 14. 6. 1993 – II ZR 252/92, NJW 1993, 2179 (2180); Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 146. 2 BGH v. 27. 11. 2000 – II ZR 179/99, ZIP 2001, 115; BGH v. 21. 6. 1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314; BGH v. 21. 9. 1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311 (315) = ZIP 1981, 1200 (1202); Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rz. 24. 3 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 51. 4 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 58 (7/2003).
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Graf/Wunsch
Anfechtung der Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen
Rz. 251 § 10
sellschafter/Dritte sein Sicherungsrecht in der Insolvenz nicht geltend machen kann1. Nichtsdestotrotz bleibt dem Insolvenzverwalter auch die Möglichkeit der Anfechtung nach § 135 Nr. 1 InsO. Diese hat lediglich zur Voraussetzung, dass die Sicherheit für ein kapitalersetzendes Darlehen oder eine gleichgestellte Forderung bestellt wurde. Im Falle eines nicht anfänglich kapitalersetzenden Darlehens, das erst durch das Stehenlassen in der Krise kapitalersetzend geworden ist, sind dabei auch Sicherheiten anfechtbar, die vor dem Eintritt in die Krise bestellt wurden2.
247
Der Anfechtungszeitraum beträgt zehn Jahre vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. (Vgl. zum Zeitpunkt, in dem die Rechtshandlung als vorgenommen gilt, unten Rz. 276 ff. Für die Fristberechnung gelten Rz. 83 ff. entsprechend, für die Maßgeblichkeit eines Eröffnungsantrags Rz. 86.)
248
4. Anfechtung von Rechtshandlungen, die dem Gläubiger der aus einer kapitalersetzenden Leistung resultierenden Forderung Befriedigung gewähren, § 135 Nr. 2 InsO Weiterhin ist die Befriedigung des Gläubigers einer aus einer kapitalersetzenden Leistung resultierenden Forderung anfechtbar, § 135 Nr. 2 InsO. Unter den Begriff der Befriedigung fällt dabei nicht nur die eigentliche Erfüllung des Anspruchs, sondern auch jedes Erfüllungssurrogat, also z.B. eine Leistung an Erfüllungs statt, die Aufrechnung oder (wiederum) auch die Zwangsvollstreckung durch den Gläubiger3.
249
Der Anfechtungszeitraum beträgt im Fall der Befriedigung nur ein Jahr. Für die Berechnung dieser Frist gelten wiederum Rz. 83 ff.
250
Dabei ist allerdings wiederum zu beachten, dass die länger als ein Jahr vor Antragstellung liegende Rückgewähr eigenkapitalersetzender Leistungen keineswegs „insolvenzfest“ ist, weil insoweit immer noch § 31 GmbHG analog greifen kann (oben Rz. 217).
5. Anfechtung bei der Rückgewähr gesellschafterbesicherter Drittdarlehen, § 32b GmbHG Nach heute h.M. normiert § 32b GmbHG neben § 135 InsO einen eigenständigen Tatbestand der Insolvenzanfechtung4. 1 Stodolkowitz/Bergmann in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 135 Rz. 107. 2 BGH v. 19. 9. 1988 – II ZR 255/87, ZIP 1988, 1248 (1254); OLG München v. 23. 11. 2001 – 23 U 2369/01, ZIP 2002, 1210 (1212). 3 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 135 Rz. 52. 4 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, §§ 32a, b Rz. 185; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 135 Rz. 114; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 135 InsO Rz. 220.
Graf/Wunsch
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1113
251
§ 10
Rz. 252
Insolvenzanfechtung
252
Die Vorschrift betrifft zunächst gesellschafterbesicherte Drittdarlehen im Sinne des § 32a Abs. 2 GmbHG. Hat ein Dritter der Gesellschaft Kredit gewährt und hierfür Sicherheiten oder eine Bürgschaft von einem Gesellschafter (oben Rz. 224 ff.) bzw. einer gleichgestellten Person (oben Rz. 242) erhalten, so stellt das Gesetz sicher, dass primär der Gesellschafter mit der Kreditsicherheit haftet. Der Darlehensgeber darf nach § 32a Abs. 2 GmbHG nur mit demjenigen Teil seiner Forderung am Insolvenzverfahren teilnehmen, mit dem er bei Inanspruchnahme der Sicherheit bzw. Bürgschaft ausgefallen ist.
253
Wurde ein solches gesellschafterbesichertes Drittdarlehen innerhalb eines Jahres vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Dritten zurückgewährt, so muss der Gesellschafter den zurückgewährten Betrag zur Masse erstatten. Nach § 32b Satz 3 GmbHG steht ihm die Ersetzungsbefugnis zu, stattdessen auch die freigewordene Sicherheit der Insolvenzmasse zuzuführen. Hat der Gesellschafter für ein Drittdarlehen gebürgt, so muss er den durch die Bürgschaft abgedeckten Betrag des zurückgezahlten Darlehens in Geld an die Masse leisten.
254
Diese Regelung gilt auch im Falle der Doppelbesicherung, wenn sich ein Gläubiger nicht aus der ihm ebenfalls zur Verfügung stehenden Sicherheit eines Gesellschafters, sondern aus derjenigen der Gesellschaft befriedigt hat1 (was ihm nach h.M. zusteht).
255
Dem gesellschafterbesicherten Darlehen gleichgestellt sind andere Rechtshandlungen im Sinne des § 32a Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 GmbHG. Das sind Leistungen eines Dritten, die der Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechen (§ 32a Abs. 3 GmbHG, oben Rz. 238 ff.) und für die der Dritte eine Sicherheit oder Bürgschaft von einem Gesellschafter oder einer gleichgestellten Person erhalten hat.
256
Auf § 32b GmbHG ist die Verjährungsvorschrift des § 146 InsO (dazu unten Rz. 370 ff.) entsprechend anwendbar (§ 32b Satz 1 Hs. 2 GmbHG)2.
257
Auch neben § 32b GmbHG können die Rechtsprechungsregeln – hier: § 31 GmbHG analog, oben Rz. 215 – Bedeutung erlangen, wenn die Rückzahlung länger als ein Jahr zurückliegt oder wenn der Anfechtungsanspruch bereits entsprechend § 146 InsO verjährt ist3. 6. Checkliste „Eigenkapitalersatz in der Insolvenz“
258
1.
Wurde der Gesellschaft ein Darlehen (Rz. 221 ff.) oder eine dem Darlehen gleichgestellte Leistung (Rz. 237 ff.) gewährt?
2.
War der Darlehensgeber bzw. der Geber der gleichgestellten Leistung ein Gesellschafter (Rz. 224 ff.) oder eine dem Gesellschafter gleichgestellte Person (Rz. 242), oder
1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 79 (7/2003). 2 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32b Rz. 4. 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 135 Rz. 81 (7/2003).
1114
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Graf/Wunsch
Rz. 260 § 10
Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr
wurde ein Drittdarlehen bzw. eine gleichgestellte Leistung eines Dritten durch einen Gesellschafter bzw. eine gleichgestellte Person besichert (dann Anfechtung nach § 32b GmbHG, Rz. 239 ff.)? 3.
4.
Hatte das Darlehen bzw. die gleichgestellte Leistung Eigenkapitalersatzfunktion, d.h. a)
liegt ein Sanierungsdarlehen vor, oder
b)
war die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Gewährung des Darlehens bzw. der gleichgestellten Leistung kreditunwürdig (Begriff siehe § 4 Rz. 259 ff. dieses Buches) bzw. wurde das Darlehen bzw. die gleichgestellte Leistung nach Eintritt der Kreditunwürdigkeit willentlich stehengelassen?
Wurde demjenigen, der das Darlehen bzw. die gleichgestellte Leistung gewährt hat, a)
eine Sicherung für seinen Rückforderungsanspruch gewährt (§ 135 Nr. 1 InsO, Rz. 244 ff.) oder
b)
wurde der Rückforderungsanspruch erfüllt (Befriedigung, § 135 Nr. 2 InsO, Rz. 249 ff.)?
5.
Geschah Letzteres innerhalb des jeweils maßgeblichen Zeitraums? (beachte insoweit auch § 31 GmbHG analog, Rz. 223)
6.
Rechtsfolgen a)
Die erlangte Sicherung oder Befriedigung muss zur Masse herausgegeben werden.
b)
Sonderfall: eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung (Rz. 240).
c)
Sonderfall: Erstattungspflicht des Gesellschafters bei Rückgewähr eines von ihm besicherten Drittdarlehens, § 32b GmbHG (Rz. 251 ff.).
VII. Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr und des Erlasses eines Verlustanteils, § 136 InsO 1. Anwendungsbereich: Stille Gesellschaft, Abgrenzung § 136 InsO soll die Regelung des § 236 HGB, wonach der stille Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft hinsichtlich seiner Einlage auf die Quote verwiesen ist und den vereinbarten Verlustanteil tragen muss, auch im Vorfeld der Insolvenz gewährleisten.
259
Dementsprechend gilt die Vorschrift nur für die stille Gesellschaft im Sinne der §§ 230 ff. HGB. Das ist eine reine Innengesellschaft, bei der sich jemand (= stiller Gesellschafter) am Handelsgewerbe eines anderen mit einer Einlage gegen Beteiligung am Gewinn beteiligt. Die Beteiligung auch am Verlust ist der gesetzliche Regelfall, kann aber nach § 231 Abs. 2 HGB ausgeschlossen werden.
260
Graf/Wunsch
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1115
§ 10
Rz. 261
Insolvenzanfechtung
Die stille Gesellschaft als solche ist als reine Innengesellschaft ohne Gesamthandsvermögen nicht insolvenzfähig. § 136 InsO betrifft den Fall der Insolvenz des Betreibers des Handelsgewerbes. Dies kann eine natürliche oder juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft sein. Ist der Geschäftsinhaber eine Personengesellschaft, so greift § 136 InsO dabei nur ein, wenn über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Insolvenz eines einzelnen Gesellschafters ist nicht ausreichend1. 261
Die Abgrenzung zwischen typischer und atypischer stiller Gesellschaft spielt für § 136 InsO keine Rolle.
262
Abzugrenzen ist die stille Gesellschaft insbesondere vom sogenannten partiarischen Darlehen, also einem Darlehen mit der besonderen Abrede, dass die Rückzahlung nicht in regelmäßigen Raten erfolgt, sondern je nach Gewinnlage aus dem Geschäftsgewinn. In diesem Fall sind Rückzahlungen naturgemäß nicht nach § 136 InsO anfechtbar, sondern nur nach §§ 130, 131 InsO. Eine stille Gesellschaft liegt dabei zwingend vor, wenn eine Beteiligung am Verlust vereinbart wurde2. Ist das nicht der Fall, so kann es sich sowohl um eine stille Gesellschaft (vgl. § 231 Abs. 2 HGB) als auch um ein partiarisches Darlehen handeln. Indizien für ein partiarisches Darlehen sind – neben der Bezeichnung durch die Parteien, die stets eine gewisse, wenngleich nicht entscheidende Rolle spielt – die Bestellung von Sicherheiten, die kurzfristige Kündbarkeit, die planmäßige Tilgung und eine Anlehnung der variablen (gewinnabhängigen) Verzinsung an Marktzinsen. Für eine stille Gesellschaft sprechen dagegen Abtretungsverbote, Überwachungs- und Kontrollrechte des Geldgebers, ein Rangrücktritt sowie die Beteiligung an den stillen Reserven.
263
Die stille Gesellschaft muss innerhalb der Anfechtungsfrist von einem Jahr rechtswirksam bestanden haben3. War der Gesellschaftsvertrag nichtig oder wurde er wirksam angefochten, so kann § 136 InsO aber dennoch greifen, wenn das Gesellschaftsverhältnis tatsächlich vollzogen worden war und somit die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden4. Dass die stille Gesellschaft im Zusammenhang mit der nach § 136 InsO anfechtbaren Rechtshandlung aufgelöst worden ist, steht der Anwendung der Norm nach Abs. 1 Satz 2 nicht entgegen (tatsächlich ist der Aufhebungsvertrag, wonach die Einlage zurückgezahlt wird, einer der Hauptanwendungsfälle des § 136 InsO).
2. Anfechtbare Rechtshandlungen: Einlagenrückgewähr und Erlass eines Verlustanteils 264
Anfechtbar ist nach § 136 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Rechtshandlung (Rz. 26 ff.), durch die dem stillen Gesellschafter entweder seine Einlage ganz oder teilweise 1 2 3 4
Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 136 Rz. 5. OLG Hamm v. 2. 3. 1999 – 27 U 257/98, ZIP 1999, 1530 (1532). Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 5. OLG Hamm v. 2. 3. 1999 – 27 U 257/98, ZIP 1999, 1530 (1532); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 5.
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Graf/Wunsch
Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr
Rz. 266 § 10
zurückgewährt oder sein Anteil am Gesellschaftsverlust ganz oder teilweise erlassen wird. Die Rechtshandlung muss nicht vom Schuldner vorgenommen worden sein1. a) Einlagenrückgewähr Eine Rückgewähr der Einlage des stillen Gesellschafters liegt dabei in jeder Übertragung von Vermögenswerten aus dem Vermögen des Inhabers an den stillen Gesellschafter, soweit diese der Rückführung der Einlagenvaluta dient2. Das betrifft Rechtshandlungen, die den Anspruch auf Rückgewähr der Einlage zum Erlöschen bringen (Erfüllung oder Erfüllungssurrogat, z.B. befreiende Leistung an einen Dritten, Aufrechnung), aber auch die Bestellung einer Sicherheit3.
265
Die Anwendung des § 136 InsO setzt voraus, dass die Einlagenrückgewähr auf einer besonderen Vereinbarung zwischen Geschäftsinhaber und stillem Gesellschafter beruht.
266
Die Anfechtung ist demnach ausgeschlossen, wenn die Rückgewähr in Erfüllung eines gesetzlichen oder vertraglichen Anspruchs des stillen Gesellschafters geschieht4. War die stille Gesellschaft also von vornherein nur auf bestimmte Zeit vereinbart und endet diese Zeit innerhalb des Anfechtungszeitraums, so ist die vertragsgemäße Rückgewähr der Einlage insolvenzfest5. Dagegen stellt Abs. 1 Satz 2 klar, dass die vertragliche Auflösung der Gesellschaft innerhalb des Anfechtungszeitraums ihrerseits als eine solche besondere Vereinbarung angesehen werden kann, auf der die dann folgende Einlagenrückgewähr beruht. Obwohl auch in diesem Fall zivilrechtlich ein Anspruch des stillen Gesellschafters auf Einlagenrückgewähr besteht, ist diese also anfechtbar. Das gilt jedoch nicht für solche Aufhebungsverträge, bei denen der stille Gesellschafter ohnehin durch Anfechtung oder Kündigung hätte ausscheiden können6. Wird der auf unbestimmte Zeit geschlossene Gesellschaftsvertrag wirksam gekündigt, so kommt es für die Anfechtbarkeit darauf an, ob das Kündigungsrecht seinerseits noch innerhalb des Anfechtungszeitraums eingeräumt worden ist. Nur in diesem Fall kann die der Kündigung folgende Einlagenrückgewähr angefochten werden7.
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 8. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 10. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 10; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 10. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 19. 5 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 136 Rz. 7. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 8; einschränkend OLG Hamm v. 2. 3. 1999 – 27 U 257/98, ZIP 1999, 1530 (1533): Anfechtbarkeit bejaht für den Fall, dass von einer bestehenden Möglichkeit der Anfechtung des Gesellschaftsvertrags tatsächlich kein Gebrauch gemacht wurde, sondern stattdessen ein Auflösungsvertrag geschlossen wurde. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 8.
Graf/Wunsch
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1117
§ 10
Rz. 267
Insolvenzanfechtung
267
Keine Rückgewähr liegt im Erlass einer vereinbarten, aber noch nicht erbrachten stillen Einlage. Etwas anderes gilt nur, wenn die versprochene stille Einlage zur Verlustdeckung nach § 236 Abs. 2 HGB erforderlich ist1.
268
Die Umwandlung der Einlage in ein Darlehen innerhalb der Anfechtungsfrist ist als solche zwar keine Einlagenrückgewähr, jedoch ist eine nachfolgende Rückzahlung des Darlehens ebenso nach § 136 InsO anfechtbar, wie es die Rückzahlung der stillen Einlage gewesen wäre2.
269
Die Auszahlung eines Anteils am Gewinn ist nur dann als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren, wenn der Gewinn nach § 232 Abs. 2 Satz 2 HGB zur Deckung eines Verlusts hätte verwendet werden müssen, oder soweit der Gewinnanteil innerhalb der Jahresfrist ohne Erhöhung der Einlage heraufgesetzt wurde3. b) Erlass eines Verlustanteils
270
Die zweite Alternative des § 136 InsO kann naturgemäß nur dann eingreifen, wenn der stille Gesellschafter überhaupt am Verlust beteiligt ist. Wurde also von Anfang an keine Verlustbeteiligung des stillen Gesellschafters vereinbart, so ist diese Abrede nicht anfechtbar, selbst wenn sie innerhalb des Anfechtungszeitraums liegt4.
271
Aus dem Wortlaut („… entstandenen Verlust …“) ergibt sich weiterhin, dass zum Zeitpunkt der betreffenden Vereinbarung bereits ein Verlust entstanden sein muss5. Eine Abänderung des Gesellschaftsvertrags, wonach die zunächst vereinbarte Verlustbeteiligung des stillen Gesellschafters ausgeschlossen wird, ist also nur insoweit nach § 136 InsO anfechtbar, als damit auch rückwirkend bereits entstandene Verluste erfasst werden. Wird die Beteiligung am Verlust des laufenden Geschäftsjahres erlassen, so muss – gegebenenfalls durch Aufstellung einer Zwischenbilanz auf den Zeitpunkt der Vereinbarung – festgestellt werden, wie hoch der bis dahin aufgelaufene Verlust war. Nur insoweit unterliegt die Abrede dann der Anfechtung6.
3. Anfechtungszeitraum 272
Der Anfechtungszeitraum beträgt bei § 136 InsO ein Jahr vor dem Eröffnungsantrag (vgl. zur Fristberechnung oben Rz. 83 ff. und zur Maßgeblichkeit eines Eröffnungsantrags Rz. 86).
273
Maßgeblich ist dabei im Unterschied zu sämtlichen anderen Anfechtungstatbeständen nicht die anfechtbare Rechtshandlung – Einlagenrückgewähr oder 1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 10; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 11. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 10; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 136 Rz. 12. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 10. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 21. 5 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 136 Rz. 16. 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 15; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 136 Rz. 16.
1118
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Graf/Wunsch
Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt
Rz. 276 § 10
Erlass des Verlustanteils – selbst, sondern die Vereinbarung, auf der diese beruht (oben Rz. 266)1. Diesbezüglich wird allerdings in der Literatur eine Umkehr der Beweislast angenommen: Aufgrund der Risikoverteilung soll der stille Gesellschafter dafür beweispflichtig sein, dass die betreffende Vereinbarung außerhalb des Anfechtungszeitraums lag2.
4. Ausschluss der Anfechtung nach § 136 Abs. 2 InsO Nach § 136 Abs. 2 InsO ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Insolvenzgrund erst entsteht, nachdem die der Einlagenrückgewähr bzw. dem Erlass des Verlustanteils zugrunde liegende Vereinbarung (oben Rz. 266) getroffen worden ist. Dabei wird überwiegend darauf abgestellt, ob zur Zeit der Vereinbarung irgendein Insolvenzgrund im Sinne der §§ 16-19 InsO vorlag3. Drohende Zahlungsunfähigkeit dürfte dabei zutreffenderweise allerdings nur im Falle eines hierauf gestützten Eigenantrags des Schuldners ausreichen4.
274
Nach dem Gesetzeswortlaut ist für das Vorliegen des Anfechtungsausschlusses nach § 136 Abs. 2 InsO der Anfechtungsgegner, also der stille Gesellschafter, beweispflichtig.
275
VIII. Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt, § 140 InsO 1. Allgemeines Bei allen Anfechtungstatbeständen muss geklärt werden, wann genau die anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des Gesetzes vorgenommen wurde. Dies spielt nicht nur eine Rolle für die Frage, ob die Rechtshandlung noch innerhalb des jeweiligen Anfechtungszeitraums lag. Darüber hinaus ist der Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung auch für sonstige objektive (z.B. Zahlungsunfähigkeit des Schuldners) und subjektive Tatbestandsmerkmale (z.B. Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners) maßgeblich. Schließlich entscheidet sich hieran im Einzelfall, ob eine Rechtshandlung überhaupt noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde, d.h. nur anfechtbar sein kann, oder ob sie als danach vorgenommen gilt und daher nach §§ 81, 91 InsO unwirksam ist.
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 20; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 136 Rz. 9. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 14. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 136 InsO Rz. 23; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 136 Rz. 18. 4 So wohl auch Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 136 Rz. 13.
Graf/Wunsch
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1119
276
§ 10
Rz. 277
Insolvenzanfechtung
Deshalb enthält § 140 InsO Regelungen, die den Zeitpunkt definieren, in dem eine Rechtshandlung im Sinne der einzelnen Anfechtungstatbestände als „vorgenommen“ gilt. 277
Für Rechtshandlungen, die in diesem Sinne vor dem 1. 1. 1999 als vorgenommen gelten, ist die kumulative Geltung der Anfechtungsvoraussetzungen der KO und der InsO zu beachten (oben Rz. 18).
2. Die Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO: Maßgeblichkeit des Eintretens der Rechtswirkungen 278
Nach der Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung zu dem Zeitpunkt als vorgenommen, zu dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten.
279
Für Rechtshandlungen, die aus mehreren Teilakten bestehen, bedeutet das vorbehaltlich des § 140 Abs. 2 InsO, dass sie erst mit dem letzten zur Wirksamkeit erforderlichen Teilakt als vorgenommen gelten. Das gilt z.B. für: –
Einigung und Übergabe/Übergabesurrogat bei der Übereignung nach §§ 929 ff. BGB1;
–
Belastungsbuchung und Einlösung der Lastschrift im Lastschriftverfahren2;
–
Bestellung und Valutierung einer Hypothek3;
–
antizipierte Forderungsabtretung oder -pfändung und Entstehung der Forderung4 (z.B. bei Abtretung eines Mietzinsanspruchs das Entstehen jeder einzelnen Mietzinsrate5, bei der Kontenpfändung jede eingehende Gutschrift6), dies gilt auch für die antizipierte Forderungsabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts7;
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 4. 2 BGH v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (753) mit näheren Ausführungen zum Abbuchungsauftrags- und Einzugsermächtigungsverfahren; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2002, § 140 Rz. 9. 3 OLG Köln v. 19. 10. 1978 – 7 U 1/78, WM 1979, 1342 (1345); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2007, § 140 Rz. 7. 4 BGH v. 29. 11. 2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (184); BGH v. 20. 3. 2003 – IX ZR 166/02, WM 2003, 896 (897); BGH v. 30. 1. 1997 – IX ZR 89/96, WM 1997, 545 (546); LG Dresden v. 25. 6. 1998 – 4 O 3665/97, EWiR 1999, 319 f. (Eckardt); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 6. 5 BGH v. 30. 1. 1997 – IX ZR 89/96, WM 1997, 545 (546). 6 BGH v. 20. 3. 2003 – IX ZR 166/02, WM 2003, 896 (897); BGH v. 20. 3. 1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737 (739); LG Braunschweig v. 10. 11. 1995 – 1 O 198/95, ZIP 1996, 35. Maßgeblich ist dabei jeweils bereits das Entstehen des Anspruchs auf Gutschrift (BGH v. 24. 10. 1996 – IX ZR 284/95, WM 1996, 2250 [2252] = ZIP 1996, 2080 [2082]), also der Zeitpunkt des Eingangs bei der Bank bzw. im Falle der Überweisung innerhalb derselben Bank die Belastung auf dem Konto des Überweisenden, vgl. Eckardt, EWiR 1999, 319 (320); Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1145). 7 BGH v. 6. 4. 2000 – IX ZR 122/99, ZIP 2000, 932 (934); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 6.
1120
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Graf/Wunsch
Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt
Rz. 282 § 10
–
Überweisung eines Geldbetrags und Gutschrift auf dem Empfängerkonto1;
–
die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts durch einen Dritten, von der die Parteien die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts abhängig gemacht haben2;
–
die Inbesitznahme oder Siegelanlegung durch den Gerichtsvollzieher bei der Sachpfändung3;
–
die Zustellung an den Drittschuldner bei der Forderungspfändung4 (unerheblich ist dagegen der Zeitpunkt der Zahlung durch den Drittschuldner5),
–
Vor- und Hauptpfändung6,
–
den Abruf eines Kredits durch den Schuldner bei Pfändung in die offene Kreditlinie7.
Streitig ist der maßgebliche Zeitpunkt in dem Fall, dass einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung nur ermöglicht wird (§§ 130, 131 InsO, oben Rz. 51): Zum Beispiel wird beim prozessualen Anerkenntnis teilweise auf dessen Abgabe8 (= „Ermöglichen“ der Befriedigung), teilweise erst auf den nachfolgenden Erlass eines Anerkenntnisurteils9 (= Rechtswirkung des Anerkenntnisses) abgestellt.
280
Bei rückwirkenden Willenserklärungen (Anfechtung, § 142 BGB; Genehmigung, § 184 BGB) ist nach § 140 Abs. 1 InsO der Zeitpunkt maßgeblich, auf den die Erklärung zurückwirkt10.
281
Bei einer Unterlassung ist der Zeitpunkt als derjenige im Sinne des § 140 Abs. 1 InsO anzusehen, zu dem die rechtliche Wirkung des Unterlassens erstmals nicht mehr durch das betreffende positive Tun hätte abgewendet werden können11. Dieser Zeitpunkt fällt oftmals mit dem Ablauf einer Frist zusammen, innerhalb derer die unterlassene Handlung hätte vorgenommen werden müssen, z.B. bei der unterlassenen Anfechtung einer Willenserklärung der Ablauf der Anfechtungsfrist, bei der Nichtunterbrechung einer Verjährungs- oder
282
1 Auch dabei kommt es auf das Entstehen des Anspruchs auf Gutschrift an, d.h. in der Regel auf den Eingang der Deckung bei der Empfängerbank (Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 8), nicht erst auf die tatsächliche Gutschrift durch diese (Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 140 Rz. 11; a.A. offenbar Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 7). 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 11. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 4; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 10. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 4. 5 BGH v. 21. 3. 2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898. 6 BGH v. 23. 3. 2006 – IX ZR 116/03, BGHZ 167, 11 (17). 7 BGH v. 22. 1. 2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513 (514 f.). 8 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 140 Rz. 16. 9 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 12; Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 645 (674) Rz. 66. 10 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 8. 11 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 5; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 13.
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§ 10
Rz. 283
Insolvenzanfechtung
Ersitzungsfrist deren Ablauf oder bei der Nichteinlegung eines Rechtsbehelfs die hierfür geltende Frist. 283
Geht es dabei um Unterlassungen des Schuldners, und war die betreffende Frist bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen (hätte der Insolvenzverwalter also selbst z.B. die Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB erklären können), so gilt die Unterlassung als überhaupt nicht „vorgenommen“ und ist demnach auch nicht anfechtbar1.
3. Eintragungsbedürftige mehraktige Rechtsgeschäfte, § 140 Abs. 2 InsO 284
Eine Sonderregelung enthält § 140 Abs. 2 InsO für solche mehraktigen Rechtsgeschäfte, die zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Grundbuch, das Schiffsregister, das Schiffsbauregister oder das Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen bedürfen.
285
Hier wäre nach der Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO eben diese Eintragung maßgeblich, was auch der h.M. zur KO entsprach. Als Novum der InsO nimmt § 140 Abs. 2 InsO die Eintragung aber aus und stellt auf den Zeitpunkt ab, in dem alle übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorgelegen haben. Diese Vorverlagerung ist für den Anfechtungsgegner in aller Regel günstig, weil die betreffende Rechtshandlung damit zum einen aus dem maßgeblichen Anfechtungszeitraum herausfallen kann, und zum anderen zu dem früheren Zeitpunkt eventuell noch nicht alle Tatbestandsmerkmale für eine Anfechtbarkeit vorgelegen haben.
286
Die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines eintragungsbedürftigen Rechtsgeschäfts (außer der Eintragung selbst) sind allerdings erst dann erfüllt, wenn neben den erforderlichen Willenserklärungen auch der Antrag auf Eintragung z.B. beim Grundbuchamt gestellt worden ist, und zwar nicht (nur) vom Schuldner, sondern von der anderen Partei2. Denn erst zu diesem Zeitpunkt hat diese andere Partei – also der Anfechtungsgegner – eine unentziehbare Anwartschaft erlangt. Hat dagegen nur der Schuldner die Eintragung beantragt, so gilt § 140 Abs. 1 InsO. Maßgeblich ist dann erst die Eintragung3. Ausreichend ist dabei nach § 140 Abs. 2 Satz 2 InsO bereits der Antrag auf Eintragung einer Vormerkung, da bereits diese eine insolvenzfeste Rechtsposition verleiht (oben Rz. 58). Die nachfolgende Übereignung eines Grundstücks gilt demnach gemäß § 140 Abs. 2 InsO bereits mit der Stellung des Antrags auf Eintragung einer Vormerkung als vorgenommen.
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 16. 2 BGH v. 9. 1. 1997 – IX ZR 47/96, ZIP 1997, 423 (424) zur Parallelvorschrift § 10 Abs. 2 GesO m. zust. Anm. Eckardt, EWiR 1997, 1133 (1134); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 14; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 24. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 140 Rz. 14; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 32.
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Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt
Rz. 292 § 10
§ 140 Abs. 2 InsO erfasst nur Rechtsgeschäfte, nicht auch andere Rechtshandlungen1, insbesondere also nicht Vollstreckungsmaßnahmen wie die Eintragung von Arrest- oder Zwangshypotheken. In diesen Fällen bleibt es also bei § 140 Abs. 1 InsO und damit bei der Maßgeblichkeit der Eintragung.
287
Außerdem gilt die Vorschrift nur für die enumerativ genannten Register, insbesondere also das Grundbuch, nicht aber z.B. für das Handelsregister.
288
Die Beweislast dafür, dass die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen eines solchen eintragungsbedürftigen Rechtsgeschäfts bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, trägt derjenige, der sich hierauf beruft. In der Regel ist das der Anfechtungsgegner, der z.B. geltend machen will, dass zwar die Eintragung, nicht aber die Vornahme des Rechtsgeschäfts im Sinne des § 140 Abs. 2 InsO innerhalb eines maßgeblichen Anfechtungszeitraums gelegen hat2.
289
4. Bedingte und befristete Rechtshandlungen, § 140 Abs. 3 InsO Eine weitere Ausnahmeregelung, die den Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshandlung vorverlegt, ist in § 140 Abs. 3 InsO enthalten: Danach bleibt für die Frage, wann die Rechtswirkungen einer Rechtshandlung eingetreten sind, der erst später erfolgende Eintritt einer Bedingung oder eines Termins außer Betracht.
290
Das betrifft zum Beispiel den Fall, dass der Käufer eines vom Schuldner unter Eigentumsvorbehalt verkauften Gegenstands den Kaufpreis bezahlt: Hier wird die Übereignung der verkauften Sache an sich erst mit der Kaufpreiszahlung wirksam, jedoch stellt § 140 Abs. 3 InsO auf den Zeitpunkt der bedingten Übereignung (bedingte Einigung und Übergabe/Übergabesurrogat) ab3.
291
Dementsprechend kann der Käufer bei absehbarer Insolvenz des Verkäufers auch noch innerhalb der Anfechtungsfrist z.B. des § 130 InsO durch Zahlung der letzten Rate den Eigentumsübergang bewirken, ohne dass ihm sein so erworbenes Eigentum nachträglich durch Anfechtung wieder entzogen werden könnte. Streitig ist, ob auch die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses auf einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt (z.B. ordentliche Kündigung eines Mietvertrags) unter § 140 Abs. 3 InsO fällt. Bejaht man dies, so kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs einer solchen Kündigung an4. Nach der abweichenden Auffassung ist dagegen § 140 Abs. 1 InsO einschlägig, und die Kündigung gilt erst
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 20; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 140 Rz. 19. 2 BGH v. 5. 2. 1998 – IX ZR 43/97, ZIP 1998, 513 (514) zur Parallelvorschrift § 10 III GesO; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 20, 36. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 40. 4 So die amtl. Begr. zu § 159 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 166 f.; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 140 InsO Rz. 39.
Graf/Wunsch
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292
§ 10
Rz. 292a
Insolvenzanfechtung
zu der Zeit als vorgenommen, zu der das Dauerschuldverhältnis aufgrund der Kündigung endet1. 292a
Nach einer Entscheidung des Kammergerichts soll § 140 Abs. 3 schließlich auch auf die Anfechtung einer Aufrechnung Anwendung finden, wobei der für die Anfechtung maßgebliche Zeitpunkt auf die Entstehung der Aufrechnungslage vorverlagert wird2.
IX. Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO 1. Einleitung 293
§ 142 nimmt so genannte Bargeschäfte oder Bardeckungen (entgeltliche Geschäfte, bei der gleichwertige Leistungen ausgetauscht wurden) aus sämtlichen Anfechtungstatbeständen aus, ausgenommen der Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 InsO. Nicht eingeschränkt wird durch § 142 InsO faktisch aber auch die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO, weil es hier mangels Gegenleistung bereits tatbestandlich nicht zu einer Überschneidung kommen kann.
294
Solche Bargeschäfte sind oft bereits mangels Gläubigerbenachteiligung (siehe oben Rz. 42 ff.) nicht anfechtbar, weil sie die Insolvenzmasse nicht schmälern. Die Regelung in § 142 InsO ist jedoch relevant für diejenigen Fälle, in denen eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung – z.B. aufgrund nachträglich auseinandergehender Wertentwicklung der ausgetauschten Leistungen, (siehe oben Rz. 46) – eintritt. Auch bei Dienstleistungen wie derjenigen des Rechtsanwalts kann es im Nachhinein an einer objektiv gleichwertigen Gegenleistung für die Insolvenzmasse fehlen.
! Hinweis: 295
Durch die eingeschränkte Anfechtbarkeit von Bargeschäften lässt sich das Anfechtungsrisiko mit relativ einfachen Mitteln oftmals deutlich reduzieren. Typischer Anwendungsbereich ist der Lieferant oder Erbringer von Dienstleistungen, dessen Schuldner in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Es sind hohe Außenstände aufgelaufen, wobei der Schuldner nach wie vor noch teilweise – soweit eben gerade Mittel zur Verfügung stehen – Zahlungen leistet. Ohne rechtliche Beratung werden die Parteien diese Zahlung in der Regel auf die ältesten offenen Forderungen verrechnen. Bei fehlender Tilgungsbestimmung kann sich dies auch aus § 366 Abs. 2 BGB ergeben. Geht der Gläubiger dagegen dazu über, die sofortige Bezahlung der jeweils zuletzt erbrachten Leistung zu verlangen, so können diese Zahlungen häufig als Bargeschäfte auch innerhalb des Dreimonatszeitraums für die Anfechtung kongruenter Deckungen trotz gegebener und nachweisba1 So Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 140 Rz. 20 mit dem Hinweis darauf, dass die Bestimmung des Termins, zu dem eine Kündigung wirkt, kein Termin im Sinne des § 163 BGB ist. 2 KG v. 2. 3. 2006 – 19 U 35/05, ZIP 2006, 2001 (2002) m. abl. Anm. Homann, EWiR 2006, 765 (766).
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Graf/Wunsch
Rz. 300 § 10
Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO
rer Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) der Anfechtung entzogen werden. Inwieweit diese Taktik auch nach der neuen, verschärften Rechtsprechung des BGH zur Anfechtung kongruenter Deckungen wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung (siehe oben Rz. 177) noch zum Ziel führt, muss zwar derzeit als fraglich angesehen werden. Da ein Bargeschäft jedoch regelmäßig bereits nicht objektiv gläubigerbenachteiligend wirkt, bestehen so jedenfalls noch immer bessere Chancen der Anfechtung zu entgehen. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass die sofortige Zahlung nicht etwa wegen einer entgegenstehenden vertraglichen Fälligkeitsvereinbarung als inkongruent anzusehen ist, da dies zum einen regelmäßig ein Bargeschäft ausschließt und zum anderen ein Indiz für vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung darstellt (siehe oben Rz. 167 ff.). Hier kann u.U. § 321 BGB hilfreich sein. Beweispflichtig für das Vorliegen eines Bargeschäfts ist der Anfechtungsgegner1.
296
2. Der Begriff des Bargeschäfts im Sinne des § 142 InsO Die Vorschrift definiert das Bargeschäft als „eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt“. Es müssen also zwei Elemente vorliegen: Die Gleichwertigkeit einer Gegenleistung und die Unmittelbarkeit des Zusammenhangs zwischen Leistung und Gegenleistung.
297
a) Gleichwertige Gegenleistung aa) Gegenleistung Zunächst muss überhaupt eine Gegenleistung erfolgt sein. Hierfür wird verlangt, dass Leistung des Schuldners und Gegenleistung des Anfechtungsgegners durch Parteivereinbarung miteinander verknüpft sind2.
298
Dementsprechend ist eine Bardeckung im Sinne des § 142 InsO dann ausgeschlossen, wenn Leistung und/oder Gegenleistung freiwillig erbracht wurden. Teilweise wird allerdings vertreten, z.B. beim gegenseitigen Austausch von Weihnachtsgeschenken – soweit diese nicht ohnehin nach § 134 Abs. 2 InsO anfechtungsfest sind (siehe oben Rz. 205) – könne auf das Merkmal der Parteivereinbarung verzichtet werden3.
299
Ebenfalls kein Bargeschäft liegt vor, wenn der Schuldner eine andere als die geschuldete Leistung erbracht hat (auch wenn insoweit Gleichwertigkeit gegeben war)4. Nach der zeitlich ersten Leistung einer Partei ist deshalb jede von der ur-
300
1 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 30. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 1; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 10. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 11. 4 BGH v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/92, MDR 1994, 158; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 4, 13.
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§ 10
Rz. 301
Insolvenzanfechtung
sprünglichen Vereinbarung abweichende Abrede für die Annahme einer Bardeckung schädlich1. 301
Schließlich darf sich die vom Schuldner erbrachte Leistung ausschließlich auf die in Anspruch genommene Gegenleistung beziehen: Bestellt der Schuldner eine Kreditsicherheit für einen Neukredit, soll diese aber – etwa aufgrund entsprechender Banken-AGB – zugleich auch bereits bestehende Verbindlichkeiten sichern, so liegt keine Bardeckung vor2. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Sicherheit vorrangig das neue Darlehen sichert und dabei dieses wertmäßig nicht übersteigt3.
302
Dass Leistung und Gegenleistung nicht in einem zweiseitigen, sondern in einem Dreiecksverhältnis stehen, muss die Anwendung des § 142 InsO dagegen nicht ausschließen4. Eine Bardeckung liegt z.B. dann vor, wenn ein Schuldner des Schuldners ein von diesem gewährtes Darlehen zurückbezahlt und der Schuldner im Gegenzug hierzu Kreditsicherheiten an einen dritten Sicherungsgeber freigibt5. Auch ein entgeltlicher Vertrag zugunsten Dritter kann Bargeschäft sein, wenn der Schuldner an den Dritten leistet und hierfür im Deckungsverhältnis eine gleichwertige Gegenleistung erhält6. bb) Gleichwertigkeit
303
Die Gegenleistung muss der Leistung des Schuldners (mindestens) gleichwertig sein. Dies ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen, jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (konkrete Marktsituation etc). Geringe Abweichungen vom Verkehrswert müssen dabei im Interesse der Rechtssicherheit für den Anfechtungsgegner hingenommen werden7.
304
Bei der Besicherung eines Darlehens ist die verkehrsübliche Differenz zwischen Verkehrswert der Sicherheit und Darlehensvaluta ebenfalls hinzunehmen8. (U.E. bietet sich hier eine Übertragung der Rechtsprechung zur Übersicherung bei revolvierenden Globalsicherheiten an.)
305
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Gleichwertigkeit ist in der Regel der Abschluss des dem Leistungsaustausch zugrunde liegenden Kausalgeschäfts9.
306
Dabei wird nicht nur auf den reinen Wert der Gegenleistung abgestellt. Eine Gleichwertigkeit soll vielmehr auch dann ausscheiden, wenn den Insolvenzgläubigern der Zugriff auf die Gegenleistung von vornherein im Vergleich zum geleisteten Gegenstand erschwert oder gar entzogen war10, etwa im Falle der 1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 2. 2 BGH v. 12. 11. 1992 – IX ZR 236/91, DB 1993, 729; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 23 f.; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 142 Rz. 2. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 25. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 13. 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 13. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 2. 7 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 142 Rz. 2. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 4. 9 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 142 Rz. 2. 10 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 18.
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Graf/Wunsch
Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO
Rz. 311 § 10
Überweisung eines Geldbetrags auf ein ausländisches Konto des Schuldners. An der Gleichwertigkeit fehlt es aber nicht bereits deshalb, weil der Schuldner die erlangte Gegenleistung – z.B. Bargeld – leichter durch weitere Handlungen dem Zugriff der Gläubiger entziehen kann1. Ob der Wert der Gegenleistung noch in der Insolvenzmasse vorhanden ist und somit verwertet werden kann, spielt keine Rolle. Daher können auch Dienstleistungen, die an den Schuldner erbracht worden sind, als Bargeschäfte der Anfechtung entzogen sein2. Das betrifft insbesondere Anwalts- und andere Beraterhonorare im Zuge von – letztlich gescheiterten – Sanierungsversuchen. Die Zahlung eines solchen Honorars ist bei unmittelbarem Leistungsaustausch (dazu sogleich) nur anfechtbar, wenn das Honorar unangemessen hoch war oder wenn die betreffenden Sanierungsversuche bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt waren (vgl. zur unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung in diesen Fällen oben Rz. 155)3.
307
Ist die Gegenleistung weniger wert als die Leistung des Schuldners, so kann bei einem teilbaren Rechtsgeschäft nur derjenige Teil angefochten werden, um den die Leistung die Gegenleistung wertmäßig übersteigt4. Der Rest ist als Bargeschäft anzusehen.
308
b) Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs Die gleichwertige Gegenleistung muss unmittelbar in das Vermögen des Schuldners gelangt sein. Damit ist ein zeitlicher Aspekt angesprochen. Nicht erforderlich ist dabei ein Leistungsaustausch Zug um Zug; auch die Reihenfolge von Leistung und Gegenleistung spielt keine Rolle5. Vielmehr darf zwischen Leistung und Gegenleistung nicht so viel Zeit vergehen, dass das Geschäft den Charakter eines Kreditgeschäfts annimmt6.
309
Als Zeitpunkt von Leistung und Gegenleistung gilt dabei jeweils derjenige, der sich aus § 140 InsO ergibt7. Eine antizipierte Forderungsabtretung kann daher nie unmittelbare Gegenleistung im Sinne des § 142 InsO sein, weil sie erst mit Entstehen der Forderung Rechtswirkung zeitigt (oben Rz. 279)8.
310
Dabei gibt es keine einheitliche zeitliche Grenze, außerhalb derer kein unmittelbarer Leistungsaustausch mehr vorliegt. Vielmehr muss hier nach der Art der ausgetauschten Leistungen differenziert werden, wobei es sowohl auf die
311
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2007, § 142 Rz. 2; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 17. 2 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 142 Rz. 3. 3 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 480/00, BB 2002, 1774 (1775); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 3. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 16. 5 BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1264 f.). 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 5. 7 OLG Hamm v. 14. 6. 2005 – 27 U 85/04, ZIP 2006, 433 (434); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 5. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 7.
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§ 10
Rz. 312
Insolvenzanfechtung
Verkehrsanschauung ankommt, als auch auf die Parteivereinbarung1. Ein unmittelbarer Leistungsaustausch liegt noch vor:
312
–
im Fall der Lieferung beweglicher Sachen bei Rechnungsstellung und sodann Zahlung des Kaufpreises jeweils innerhalb ca. einer Woche2;
–
bei einem Auftrag bei Vergütung durch Forderungsabtretung innerhalb von drei Wochen3;
–
bei der Bestellung eines Grundpfandrechtes (maßgeblicher Zeitpunkt: § 140 Abs. 2 InsO, dazu oben Rz. 284 ff.) für ein ausgekehrtes Darlehen innerhalb eines Monats4.
Ein Bargeschäft scheidet dann aus, wenn dem Schuldner für seine Leistung eine Stundung bzw. ein Zahlungsaufschub gewährt worden ist5. c) Einzelfälle aa) Verrechnung von Zahlungen auf debitorischen Schuldnerkonten
313
Die Frage, ob ein Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO vorliegt, spielt auch im Falle der Verrechnung von Zahlungseingängen auf debitorischen Konten des Schuldners (Rz. 128 ff.) eine Rolle: Häufig wird der Schuldner im Zeitraum unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrags sein Kreditlimit voll ausgeschöpft haben. Gehen dann Zahlungen auf einem Konto ein und werden mit dem negativen Saldo verrechnet, so erlangt der Schuldner die Möglichkeit, Zahlungen (z.B. durch Überweisung) von diesem Konto zu veranlassen und seine Kreditlinie wieder neu in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall hätte die Anfechtbarkeit der Zahlungseingänge für die Bank fatale Folgen: Sie müsste den gutgeschriebenen Betrag an den Insolvenzverwalter herausgeben, obwohl sie die nachfolgende Überweisung – die sie in der Regel nicht mehr rückgängig machen kann – nur aufgrund der zuvor eingegangenen Gutschrift überhaupt vorgenommen hatte. Hier nimmt der BGH zwar teilweise bereits in einem ersten Schritt auch bei ungekündigter Kreditlinie eine kongruente Deckung an (vgl. Rz. 136). Gänzlich vor der Anfechtung ist die Bank jedoch nur geschützt, soweit man im Wechsel von Zahlungsein- und -ausgängen eine Bardeckung sieht6. 1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 142 Rz. 6. 2 BGH v. 21. 5. 1980 – VIII ZR 40/79, ZIP 1980, 518 (519); OLG Düsseldorf v. 4. 6. 1982 – 24 U 23/82, BB 1983, 533 (543) = WM 1982, 1142; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 21. Allerdings hat der BGH bei anderen Leistungen jüngst ein Bargeschäft aufgrund einer Stundung von nur sieben Tagen verneint, weil ursprünglich Vorauszahlung vorgesehen und die Fälligkeit später bereits einmal zugunsten des Schuldners hinausgeschoben worden war, vgl. BGH v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (755). 3 BGH v. 17. 11. 1958 – II ZR 224/57, BGHZ 28, 344 (347); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 142 Rz. 6. 4 BGH v. 9. 2. 1955 – IV ZR 173/54, BB 1955, 269 (270); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 20. 5 BGH v. 19. 12. 2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (754). 6 A.A. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 3.102, der in diesem Fall auch mit fehlender Gläubigerbenachteiligung argumentiert. Das von ihm angeführte Argument, die Bank hätte die Überweisungen ohne die Zahlungseingänge nicht ausgeführt, dürfte allerdings nach dem in Rz. 127a (dort Fn. 219) Gesagten nicht geeignet sein, bereits die Gläubigerbenachteiligung entfallen zu lassen.
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Graf/Wunsch
Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO
Rz. 316 § 10
Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine Bardeckung in solchen Fällen dann vor, wenn die Gutschriften in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit Belastungen des schuldnerischen Kontos stehen, wobei Belastungen zur Erfüllung eigener Forderungen der Bank außer Betracht bleiben, und dabei durch die Gutschriften insgesamt verhindert wird, dass das Kreditlimit des Schuldners überschritten wird1. Diesen Begriff hat der BGH mittlerweile dahin gehend präzisiert, dass ein Abstand zwischen Soll- und nachfolgender Habenbuchung von zwei Wochen unbedenklich ist2. Ein Quartal sei dagegen „bei weitem“ zu lang, und ob ein Monat noch ausreichend wäre, hat der BGH offen gelassen3. Dabei soll die Abrechnungsperiode des Kontokorrents keine Rolle spielen4.
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Keine Rolle spielt die zeitliche Reihenfolge: Die Gutschriften müssen nicht etwa jeweils vor den Belastungen des Kontos eingegangen sein5. Anfechtbar ist im Ergebnis daher der Betrag, um den die verrechneten Einzahlungen im maßgeblichen Anfechtungszeitraum die nach den o.g. Kriterien berücksichtigungsfähigen Auszahlungen übersteigen6. Dagegen liegt dann kein Bargeschäft vor, wenn die Bank ohne ausdrückliche Parteivereinbarung (oben Rz. 298) Überziehungen des Kreditrahmens z.B. gegen Hereingabe von Kundenschecks duldet7. bb) Grundstücksschenkung Ein Bargeschäft liegt vor, wenn der Schuldner ein dinglich belastetes Grundstück verschenkt und sich im Gegenzug ein Nießbrauchsrecht an dem Grundstück einräumen lässt8.
315
cc) Kredit gegen Sicherheit Bei der Inanspruchnahme eines Kredits gegen Hingabe von Sicherheiten lässt sich das bereits oben Ausgeführte folgendermaßen zusammenfassen: Ein Bargeschäft liegt auch dann noch vor, wenn der Wert der Sicherheit die Darlehensvaluta in verkehrsüblichem Maße übersteigt (Rz. 304). Schädlich ist es jedoch, wenn die Sicherheit auch Altverbindlichkeiten abdeckt (Rz. 301). Der erforderliche zeitliche Zusammenhang (Rz. 311) wird bei der Bestellung von Grund-
1 Grundlegend BGH v. 25. 2. 1999 – IX ZR 353/98, NJW 1999, 3264 (3265) (zur GesO); bestätigt durch BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (961 f.). Näher zur Berechnung des Umfangs des Bargeschäfts in solchen Fällen: BGH v. 15. 11. 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 253; BGH v. 11. 10. 2007 – IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237. 2 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (962). 3 Nach Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 142 Rz. 18a soll ein Monat die Höchstgrenze darstellen. 4 BGH v. 25. 1. 2001, NJW 2001, 1650 (1651). 5 BGH v. 7. 3. 2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (962); de Bra, NZI 1999, 249 (253); Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1150). 6 BGH v. 15. 11. 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235 (237). 7 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 12. 8 BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1265).
Graf/Wunsch
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316
§ 10
Rz. 317
Insolvenzanfechtung
pfandrechten nach § 140 Abs. 2 InsO durch die Stellung des Antrags auf Eintragung seitens des Sicherungsnehmers gewahrt. dd) Beraterhonorare 317
Auch Beratungsleistungen können Bargeschäfte sein. Dies gilt u.a. auch für die Zahlung eines Honorars im Rahmen ernsthafter, nicht von vornherein aussichtsloser Sanierungsbemühungen1. Bei Rechtsanwalts- und anderen Beraterhonoraren besteht dabei allerdings die Besonderheit, dass die der Honorarzahlung gegenüberstehende Gegenleistung des Beraters oft über einen längeren Zeitraum hinweg erbracht wird. Der BGH lässt es dabei nicht genügen, dass eine Zahlung unmittelbar nach Abschluss der Tätigkeit bzw. Ende der Abrechnungsperiode erfolgt (§ 614 BGB), sondern stellt auf den Beginn der anwaltlichen Tätigkeit ab. Dabei hat der BGH in beide Richtungen eine 30-Tage-Regel aufgestellt: Wenn zwischen Beginn der Tätigkeit und der Bezahlung durch den Mandanten mehr als 30 Tage liegen, so scheidet ein Bargeschäft danach aus. Gleiches gilt im Falle eines Honorarvorschusses auch umgekehrt2.
! Hinweis: 318
Hieraus folgt für den Berater eines insolvenzgefährdeten Unternehmens, dass nicht nur im Interesse der Sicherung einer Honorarzahlung, sondern auch zur Vermeidung einer späteren Anfechtungsproblematik beim Zeithonorar eine kurze Abrechnungsperiode (ein bis zwei Wochen) gewählt werden und zeitnah abgerechnet werden muss, so dass eine Zahlung innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der Abrechnungsperiode erfolgen kann. Hierbei ist konsequent auf pünktliche Zahlung zu achten, gegebenenfalls um den Preis, dass ältere Rechnungen offen bleiben. Vorschüsse können – insbesondere beim Honorar nach Gebührenordnung – ebenfalls zur Herbeiführung von Bargeschäften eingesetzt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Vorschuss zum einen im Einklang mit den Vorschriften der jeweiligen Gebührenordnung steht, und dass der Berater zum anderen innerhalb von 30 Tagen nach Zahlung des Vorschusses eine diesem wertmäßig entsprechende Leistung erbringt. Der BGH prüft dabei – auch bei letztendlich erfolglosen Sanierungsversuchen – materiell, ob der Schuldner innerhalb der 30 Tage eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat, d.h., ob die innerhalb dieses Zeitraums erbrachten Leistungen einen entsprechenden praktischen Nutzen hatten3. ee) Verneinung des Bargeschäfts
319
Verneint wird das Vorliegen eines Bargeschäfts u.a.:
1 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 240/00, BB 2002, 1774 (1775). 2 BGH v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, DB 2008, 176; BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 240/00, BB 2002, 1774 (1775). 3 BGH v. 6. 12. 2007 – IX ZR 113/06, DB 2008, 176.
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Graf/Wunsch
Rz. 322 § 10
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
–
bei der Lieferung unter verlängertem Eigentumsvorbehalt (die antizipierte Forderungsabtretung ist keine unmittelbare Gegenleistung für die Lieferung, oben Rz. 310)1;
–
bei der Bezahlung gelieferter Waren, an denen ein erweiterter Eigentumsvorbehalt besteht (mangels Eigentumsübergangs erhält der Schuldner keine gleichwertige Gegenleistung)2;
–
bei der Bezahlung mit einem Kundenscheck3.
Außerdem liegt nach der Rechtsprechung des BGH in der Gewährung einer inkongruenten Deckung (oben Rz. 63 ff.) grundsätzlich kein Bargeschäft4.
320
X. Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung 1. Rückgewähranspruch der Masse, §§ 143, 145, 146 InsO a) Inhalt und Ausgestaltung des Rückgewähranspruchs, § 143 InsO Grundlegende Rechtsfolge der Insolvenzanfechtung ist nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass dasjenige zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden muss, „was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist“. Nach heute ganz h.M. besteht also ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch (schuldrechtliche Theorie, oben Rz. 5).
321
Dieser Rückgewähranspruch richtet sich primär nach dem Wortlaut des § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Rückgewähr in Natur5 und betrifft insoweit dasjenige, was aus dem Vermögen des Schuldners weggegeben wurde, nicht etwa das, was der Empfänger erlangt hat6.
322
1 2 3 4
Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 29. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 142 Rz. 4. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 142 InsO Rz. 29. BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1264); BGH v. 17. 6. 2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509; BGH v. 30. 9. 1993 – IX ZR 227/ 92, MDR 1994, 158 = ZIP 1993, 1653 (1654). BGH v. 3. 12. 1998 – IX ZR 313/97, NJW 1999, 645 (646) geht sogar noch weiter und schließt § 142 InsO bei inkongruenter Deckung unter Berufung auf das o.g. Urt. v. 30. 9. 1993 gänzlich aus. Die dort tatsächlich geäußerte Auffassung – wonach eine Bardeckung bei Inkongruenz nur in der Regel ausscheidet – ist aber u.E. auch in der Begründung zutreffender: Das Nichtvorliegen eines Bargeschäfts ergibt sich bei einer inkongruenten Deckung in der Regel bereits aus der Anwendung der hier dargestellten Grundsätze, insb. der Verknüpfung des Gegenleistungsbegriffs mit einer Parteivereinbarung (s. oben Rz. 298). Ein darüber hinausgehender Grundsatz, wonach ein Bargeschäft bei Inkongruenz ausgeschlossen ist, entbehrt dagegen einer Grundlage im Gesetz. 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 68. 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 66; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 2; zur Sonderproblematik bei Lebensversicherungen vgl. BGH v. 23. 10. 2003 – IX ZR 252/01, WM 2003, 2479 (2481).
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§ 10
Rz. 323
Insolvenzanfechtung
323
Erst für den Sekundäranspruch bei Unmöglichkeit der Rückgewähr in Natur gilt nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO das Bereicherungsrecht entsprechend1, und zwar Vorschriften über den bösgläubigen Bereicherungsempfänger (§§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB). Diese Regelung wird durch § 143 Abs. 2 InsO für den gutgläubigen Empfänger einer unentgeltlichen Leistung modifiziert.
324
Eine Aufrechnung gegen den Rückgewähr- oder Wertersatzanspruch mit einer Insolvenzforderung ist nach § 96 Nr. 1 InsO unzulässig und unwirksam.
325
Ein Zurückbehaltungsrecht besteht jedoch aufgrund eines Gegenanspruchs aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO (unten Rz. 379) oder eines Gegenanspruchs auf Ersatz von Aufwendungen (unten Rz. 379)2 sowie aufgrund des Auskunftsanspruchs eines aus- oder absonderungsberechtigten Gläubigers3. aa) Rückgewähr in Natur, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO (1) Umfang der Rückgewährpflicht
326
Der Umfang der Rückgewährpflicht richtet sich nach dem, was aus dem Vermögen des Schuldners weggegeben wurde: Bei Zahlungen des Schuldners für erfolgte Lieferungen muss der gezahlte Betrag einschließlich der darin enthaltenen Umsatzsteuer zurückgewährt werden, auch wenn der Schuldner diese noch als Vorsteuer geltend machen konnte4. Bei der Anfechtung der Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen durch den Schuldner ist sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil zurückzuerstatten5. Enthielt ein weggegebenes Stammrecht (z.B. Aktien) ein Bezugsrecht, so müssen z.B. auch die hieraus bezogenen jungen Anteile herausgegeben werden6. (2) Umfang der Rückgewährhandlungen
327
Die notwendigen Rückgewährhandlungen richten sich nach der Art des zurückzugewährenden Gegenstands und nach der Art seines Erwerbs, einschließlich der Art der angefochtenen Rechtshandlung:
328
Hat der Schuldner eine Sache übereignet, und befindet sich diese noch im Vermögen des Anfechtungsempfängers, so muss dieser die Sache zurückübereignen. Bei einem Grundstück ist also die Rückauflassung erforderlich, verbunden mit der Einwilligung in die Eintragung des Schuldners als Eigentümer. Der An1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 5. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 44. 3 BGH v. 11. 5. 2000 – IX ZR 262/98, ZIP 2000, 1061 (1066); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 44. 4 BGH v. 15. 12. 1994 – IX ZR 18/94, NJW 1995, 1093 (1095). 5 BGH v. 25. 10. 2001 – IX ZR 17/01, BB 2002, 590; OLG Hamburg v. 15. 12. 2000 – 1 U 91/00, ZIP 2001, 708 (710); a.A. OLG Dresden v. 16. 1. 2003 – 7 U 1167/02, ZIP 2003, 360 (363 f.). 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 14.
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Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 333 § 10
spruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO kann dabei durch Vormerkung gesichert werden1. Der Insolvenzverwalter kann aber statt der Übereignung auch lediglich auf Duldung der Zwangsvollstreckung in die Sache klagen2. Das wird er dann tun, wenn von vornherein feststeht, dass z.B. das vom Schuldner weggegebene Grundstück der Zwangsverwertung zugeführt werden soll. Wird ein Kaufvertrag über ein Grundstück angefochten, so hat das zur Folge, dass der Käufer (Anfechtungsgegner) sich gegenüber der Masse nicht mehr auf eine zu seinen Gunsten eingetragene Vormerkung berufen kann3.
329
Die Rückabwicklung anfechtbar erworbener Grundpfandrechte kann durch Verzicht des Anfechtungsgegners oder durch Einwilligung in die Löschung erfolgen4. Im Fall des Verzichts auf eine Hypothek ist die entstandene Eigentümergrundschuld (§§ 1168, 1177 BGB) zur Masse zurückzugewähren5.
330
Auf ein anfechtbar erworbenes Pfandrecht an einer beweglichen Sache muss der Anfechtungsgegner verzichten6 und die Sache, wenn sie sich in seinem Besitz befindet, zur Masse herausgeben7. Einer Vollstreckung des pfandnehmenden Gläubigers kann der Verwalter mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO begegnen8.
331
Wird der Erlass einer Forderung oder der Verzicht auf eine Forderung angefochten, entsteht nach ganz h.M. ein unmittelbarer Anspruch auf Leistung des Gegenstands der Forderung, wenn diese bereits fällig und durchsetzbar ist9. Es muss also nicht erst auf Abgabe einer Willenserklärung geklagt werden, die die Forderung wiederherstellt.
332
Ist die Erfüllung einer Forderung des Schuldners anfechtbar – einschließlich anfechtbarer Erfüllungssurrogate, insbesondere der Aufrechnung – so kann der Verwalter erneute Erfüllung verlangen, weil die Anfechtung den Einwand der Erfüllung beseitigt10. Gleiches gilt im Ergebnis auch für den Fall, dass die Auf-
333
1 LG Chemnitz v. 17. 12. 1998 – 3 O 5130/98, ZIP 1999, 496 (497); Nerlich in Nerlich/ Römermann, InsO, § 143 Rz. 34 (3/2003). 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 69. 3 BGH v. 11. 7. 1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 75. 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 85. 6 AG München v. 7. 10. 1969 – 31 K 27, 93/69, KTS 1970, 238 (239); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 82. 7 LG Mönchengladbach v. 17. 4. 1991 – 3 O 622/90, WM 1992, 752 (753); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 14. 8 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 82; Nerlich in Nerlich/ Römermann, InsO, § 143 Rz. 40 (3/2003). 9 OLG Nürnberg v. 29. 11. 1966 – 3 U 84/66, KTS 1967, 170 (171) zur angefochtenen Genehmigung einer befreienden Schuldübernahme; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 9; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 78. 10 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 9; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 13.
Graf/Wunsch
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§ 10
Rz. 334
Insolvenzanfechtung
rechnung wegen anfechtbarer Schaffung der Aufrechnungslage nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam ist, oben Rz. 311. 334
Eine in anfechtbarer Weise vom Schuldner abgetretene Forderung muss dagegen zurückabgetreten werden2. Vorher kann der Insolvenzverwalter sie nicht geltend machen, und eine wegen der Abtretung ins Leere gegangene Vollstreckungsmaßnahme wird mit der Anfechtung nicht wirksam3.
335
Ist durch die anfechtbare Rechtshandlung eine Forderung des Anfechtungsgegners gegen den Schuldner entstanden, kann der Verwalter deren Erfüllung verweigern (bzw. im Falle der Anmeldung zur Tabelle nach § 176 InsO bestreiten), indem er die Einrede der Anfechtbarkeit erhebt4. Er kann aber auch aktiv werden und entweder eine Feststellungsklage erheben oder auf Verzicht klagen5.
336
Hat der Anfechtungsgegner durch eine anfechtbare Prozesshandlung (z.B. Anerkenntnis) oder ein anfechtbares prozessuales Unterlassen (Nichtbestreiten, rügeloses Einlassen, Nichteinlegung von Rechtsmitteln) einen vollstreckbaren Titel gegen den Schuldner erlangt, so bleibt die Wirksamkeit des Titels selbst hiervon unberührt. Der Verwalter kann aber auch hier die Einrede der Anfechtbarkeit erheben6.
337
Zur Folge der Anfechtung bei der kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung siehe oben Rz. 240.
338
Wird eine unentgeltliche Gebrauchsüberlassung seitens des Schuldners angefochten, so hat der Empfänger den Gegenstand herauszugeben und ein angemessenes Entgelt für die gesamte Dauer der Überlassung zu entrichten7. Bei einem Darlehen ist das der marktübliche Zinssatz8.
339
Bestand die anfechtbare Rechtshandlung in einem Unterlassen, so hat der Rückgewähranspruch zwar nicht den Inhalt, dass die unterlassene Handlung als vorgenommen anzusehen ist. Jedoch ist es dem Anfechtungsgegner verwehrt, sich auf das anfechtbare Unterlassen zu berufen. Hat also z.B. der Schuldner in einem Passivprozess nicht die Einrede der Verjährung erhoben, so kann der Verwalter sich dennoch (trotz Existenz eines vollstreckbaren Titels, § 141 InsO!) auf die Verjährung berufen. Hat es der Schuldner umgekehrt unterlassen, die Verjährung eines eigenen Anspruchs zu unterbrechen, so kann der Verwalter die verjährte Forderung einklagen und dabei der Verjährungseinrede die Gegeneinrede der Anfechtbarkeit des Unterlassens entgegenhalten9. 1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 13. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 81. 3 BGH v. 5. 2. 1987 – IX ZR 161/85, BGHZ 100, 36 (42); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 6. 4 LG Potsdam v. 3. 6. 1997 – 3 O 88/98, ZIP 1997, 1383 (1384); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 87. 5 LG Potsdam v. 3. 6. 1997 – 3 O 88/98, ZIP 1997, 1383 (1384). 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 88. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 11. 8 BGH v. 21. 4. 1988 – IX ZR 71/87, MDR 1988, 858 f. 9 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 12; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 17.
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Graf/Wunsch
Rz. 344 § 10
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Gleiches gilt für die unterlassene Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB, unterlassene Mängelrüge usw. Teilanfechtung (oben Rz. 32): Wird z.B. ein ganzer – an sich ausgeglichener – Vertrag aufgrund einer gläubigerbenachteiligenden Klausel angefochten, so ist nur dasjenige gemäß § 143 InsO zurückzugewähren, das aus der gläubigerbenachteiligenden Klausel erlangt wurde1.
340
Die Kosten der Rückgewähr eines anfechtbar erworbenen Vermögensguts (z.B. die Kosten der Umschreibung im Grundbuch) trägt der Anfechtungsgegner2.
341
bb) Sekundäransprüche, § 143 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO (1) Bereicherungsrecht Ist eine Rückgewähr in Natur nicht möglich, so greift nach § 134 Abs. 1 Satz 2 InsO Bereicherungsrecht, und zwar in Gestalt der Haftung des bösgläubigen Bereicherungsempfängers, §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292, 989, 990 BGB, entsprechend.
342
Das bedeutet, dass der Anfechtungsempfänger (nur) bei zu vertretendem Untergang oder zu vertretender Verschlechterung des anfechtbar erlangten Gegenstands Wertersatz leisten muss3. Eine dingliche Surrogation findet dagegen nicht statt. Hinsichtlich des Vertretenmüssens kann auf die Kommentierung zum BGB verwiesen werden. Ein Mitverschulden des Schuldners an der Unmöglichkeit der Herausgabe in Natur bleibt dabei außer Betracht, nur ein Mitverschulden des Insolvenzverwalters ist nach § 254 BGB beachtlich4. Lediglich bei einer Geldschuld als Primäranspruch kommt es nach §§ 818 Abs. 4, 276 Abs. 1 Satz 1 BGB überhaupt nicht auf ein Verschulden am Verlust der Geldsumme an.
343
Anzusetzen ist derjenige Wert, den der Gegenstand zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (str.)5 für die Insolvenzmasse objektiv hätte, wenn die anfechtbare Handlung nicht vorgenommen worden wäre6. Wertminderungen nach der anfechtbaren Rechtshandlung vermindern also auch den Anspruch auf Wertersatz, sofern sie auch im Vermögen des Schuldners eingetreten wären7. Umgekehrt muss ein nachträglich gestiegener Wert ebenfalls herausgege-
344
1 BGH v. 11. 11. 1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (452). 2 Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 27; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO 2. Aufl. 2008, § 143 Rz. 56 (3/2003). 3 Breutigam/Tanz, ZIP 1998, 717 (724); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 105, 112; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 18. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 20. 5 BGH v. 9. 7. 1987 – IX ZR 167/86, MDR 1987, 1020 = ZIP 1987, 1132 (1134); a.A. Gerhardt, ZIP 1987, 1429 (1432 f.): Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Anfechtungsprozess; ihm zuneigend auch Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 106. 6 BGH v. 15. 10. 1969 – VIII ZR 136/67, NJW 1970, 44 (46); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 104. 7 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 108.
Graf/Wunsch
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1135
§ 10
Rz. 345
Insolvenzanfechtung
ben werden1, nicht aber ein Gewinn des Anfechtungsgegners aus einem „günstigen Geschäft“2. 345
Außerdem müssen gezogene sowie schuldhaft nicht gezogene Nutzungen herausgegeben werden, und zwar unabhängig davon, ob der Schuldner seinerseits diese Nutzungen gezogen hätte3. Außer Betracht bleiben Nutzungen, die der Schuldner selbst nicht hätte ziehen können4. Nach diesen Regeln richtet sich auch die Verzinsung von Zahlungsansprüchen, wobei jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung Prozesszinsen anfallen5.
346
Im Gegenzug sind notwendige Verwendungen des Anfechtungsgegners nach §§ 994 Abs. 2, 995, 683 Satz 2, 670, 256 Satz 2 BGB zu erstatten. Maßgeblich ist dabei der wirkliche oder mutmaßliche Wille der Insolvenzgläubiger6 oder nach anderer Auffassung des Insolvenzverwalters7, nicht aber der des Schuldners. Der Anspruch auf Ersatz werterhöhender notwendiger Verwendungen ist Masseanspruch im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO und begründet ein Zurückbehaltungsrecht des Anfechtungsgegners8. Bei nur nützlichen Verwendungen ist streitig, ob diese einen Bereicherungsanspruch des Anfechtungsgegners begründen9 oder lediglich ein Wegnahmerecht nach § 997 BGB10. Demgegenüber begründen Aufwendungen in Zusammenhang mit dem anfechtbaren Erwerb (z.B. Notarkosten, Grunderwerbssteuer) keinerlei Gegenansprüche des Anfechtungsgegners11. (2) Gutgläubiger Empfang einer unentgeltlichen Leistung
347
Dagegen hat der gutgläubige Empfänger einer unentgeltlichen Leistung des Schuldners (§ 134 InsO) diese nach § 143 Abs. 2 InsO nur insoweit zurückzugewähren, als er durch sie noch bereichert ist. Ist der Gegenstand selbst also nicht mehr vorhanden, muss Wertersatz nur insoweit geleistet werden, als der Wert noch im Vermögen des Empfängers vorhanden ist. Aufwendungen auf den empfangenen Gegenstand mindern den Wertersatzanspruch stets12. Zu den Einzelheiten bezüglich des Entreicherungseinwands kann auf die Kommentierungen zu § 818 Abs. 3 BGB verwiesen werden. 1 2 3 4 5 6 7 8
9 10 11 12
Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 21. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 110. Zeuner in Smid, InsO, 1999, § 143 Rz. 19. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 24. BGH v. 1. 2. 2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 20. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 25. BGH v. 23. 11. 1995 – IX ZR 18/95, ZIP 1996, 83 (88); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 26; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 111; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 16 f. (3/2003). So BGH v. 23. 11. 1995 – IX ZR 18/95, ZIP 1996, 83 (88); Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 37 Rz. 123; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 18 (1/1999); wohl auch Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 111. So Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 25. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 27. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 21.
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Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 353 § 10
Die Gutgläubigkeit bezieht sich dabei nach § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO auf die Gläubigerbenachteiligung. Zudem ist auch derjenige gutgläubig, der die Unentgeltlichkeit weder kannte noch kennen musste1.
348
Schädlich ist insoweit auch fahrlässige Unkenntnis, wobei der Fahrlässigkeitsmaßstab problematisch ist. Der Gesetzeswortlaut legt nahe, dass jede Form der Fahrlässigkeit schaden soll. Jedoch kann hiergegen die historische Auslegung der Norm ins Feld geführt werden: Der Gesetzgeber2 wollte mit § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO die h.M. zur KO3 konservieren, die gerade nur grob fahrlässige Unkenntnis als Bösgläubigkeit gewertet hatte. Insofern liegt es nahe, den abweichenden Wortlaut als Redaktionsversehen anzusehen, und weiterhin nur auf grobe Fahrlässigkeit abzustellen, wie es auch der allgemeinen zivilrechtlichen Definition des Begriffs der Gutgläubigkeit gemäß § 932 Abs. 2 BGB entspricht4. Schädlich ist dabei aufgrund der Gesetzesformulierung („weiß oder … wissen muss“) nicht nur die Bösgläubigkeit zum Zeitpunkt der Entgegennahme der unentgeltlichen Leistung, sondern auch eine später eintretende Bösgläubigkeit. Erst nach Eintritt der Entreicherung muss eine später auftretende Bösgläubigkeit nach Sinn und Zweck der Vorschrift irrelevant sein5.
349
Die Beweispflicht für die Bösgläubigkeit liegt nach der eindeutigen Gesetzesformulierung beim Insolvenzverwalter6. Die Beweislast für eine Entreicherung trägt dagegen der Anfechtungsgegner7.
350
b) Anspruchsgegner Die Verpflichtung zur Rückgewähr in Natur bzw. zum Wertersatz trifft grundsätzlich denjenigen, der aus dem Vermögen des Schuldners etwas erlangt hat, gemäß § 145 InsO aber auch dessen Rechtsnachfolger.
351
Existiert sowohl ein unmittelbarer Anfechtungsgegner als auch ein (Einzel-)Rechtsnachfolger, so kann der Insolvenzverwalter wählen, wen er in Anspruch nimmt, und auch beide Ansprüche nebeneinander geltend machen8.
352
aa) Primärer Anfechtungsgegner Die Frage des primären Schuldners des Anfechtungsanspruchs ist in der Regel lediglich bei mittelbaren Zuwendungen (oben Rz. 54) problematisch. In diesem Fall richtet sich der Rückgewähranspruch grundsätzlich gegen den letztend1 Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 831 (850), Rz. 84; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 22. 2 Amtl. Begr. zu § 162 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 167 f. 3 Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 37 Rz. 129. 4 Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, 831 (850), Rz. 84; Holzer, WiB 1997, 729 (736); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 22. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 32; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 144. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 32. 7 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 148. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 143 Rz. 41.
Graf/Wunsch
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1137
353
§ 10
Rz. 354
Insolvenzanfechtung
lichen Empfänger der Zuwendung, nicht gegen den Mittelsmann1. Etwas anderes gilt nur, soweit Letzterer ebenfalls einen Vermögensvorteil erlangt hat2. 354
Zum Anspruchsgegner bei Scheck- und Wechselzahlungen des Schuldners (§ 137 InsO) siehe oben Rz. 110 ff. bb) Anfechtung gegen einen Rechtsnachfolger, § 145 InsO
355
Hinsichtlich der Inanspruchnahme eines Rechtsnachfolgers unterscheidet § 145 InsO zwischen Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge: (1) Gesamtrechtsnachfolge
356
Der Erbe oder sonstige Gesamtrechtsnachfolger desjenigen, der einen Gegenstand in anfechtbarer Weise erworben hat, ist nach § 145 Abs. 1 InsO ebenso zur Herausgabe bzw. zum Wertersatz nach § 134 InsO verpflichtet, wie es sein Rechtsvorgänger wäre (hinsichtlich der subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Anfechtungstatbestands kommt es daher auf den Rechtsvorgänger an3).
357
Beim Erben oder der Erbengemeinschaft handelt es sich dann – unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge zwischen Tod des Primärverpflichteten und Eröffnung des Insolvenzverfahrens – um eine Nachlassverbindlichkeit4. Im Fall der Nacherbschaft haftet bis zum Eintritt des Nacherbfalls der Vorerbe, sodann der Nacherbe, § 2139 BGB5. (2) Einzelrechtsnachfolge
358
Einzelrechtsnachfolger („sonstiger Rechtsnachfolger“) im Sinne des § 145 Abs. 2 InsO ist, wer einen anfechtbar aus dem schuldnerischen Vermögen ausgeschiedenen Gegenstand oder ein davon abgezweigtes begrenztes Recht erworben hat6. Das betrifft z.B. denjenigen, der –
eine anfechtbar erworbene Sache vom primären Anfechtungsgegner rechtsgeschäftlich übereignet bekommt (nicht aber z.B. denjenigen, der lediglich einen Kaufvertrag abgeschlossen hat7, und auch nicht den Erwerber im Rahmen einer Zwangsvollstreckung8);
–
über eine Vormerkung zu seinen Gunsten verfügt9;
–
ein (Grund-)Pfandrecht oder anderes beschränkt dingliches Recht an einer vom primären Anfechtungsgegner anfechtbar erworbenen Sache erwirbt;
1 2 3 4 5 6 7
Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 143 Rz. 29. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 143 InsO Rz. 139. Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 145 Rz. 9. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 145 InsO Rz. 5. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 4 (7/2003). BGH v. 5. 2. 1987 – IX ZR 161/85, MDR 1987, 494. BGH v. 13. 7. 1995 – IX ZR 81/94, NJW 1995, 1846 (2847); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 145 InsO Rz. 17. 8 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 145 InsO Rz. 17, s. auch oben Rz. 36. 9 BGH v. 13. 7. 1995 – IX ZR 81/94, NJW 1995, 1846 (2847).
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Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 364 § 10
–
einen anfechtbar erworbenen Gegenstand als Vermächtnis zugewendet bekommt;
–
eine anfechtbar erworbene Sache rechtmäßig (gegenüber dem primären Anfechtungsgegner) besitzt, z.B. als Mieter1;
–
eine anfechtbar erworbene Forderung im Wege der cessio legis erwirbt;
–
einen Wechsel als Indossatar vom Indossanten (= primärer Anfechtungsgegner) erwirbt.
Einzelrechtsnachfolger in diesem Sinne kann auch der Schuldner selbst sein2.
359
Der Einzelrechtsnachfolger haftet nach § 145 Abs. 2 nur unter zwei alternativen Voraussetzungen:
360
–
wenn ihm die Umstände, die die Anfechtbarkeit begründen (nicht: die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit), zur Zeit des Eintritts der Einzelrechtsnachfolge positiv bekannt waren, § 145 Abs. 2 Nr. 1 InsO, was nach § 145 Abs. 2 Nr. 2 InsO bei dem Schuldner nahestehenden Personen im Sinne des § 138 InsO vermutet wird, oder
–
wenn er das Erlangte unentgeltlich (oben Rz. 194 ff.) zugewendet bekommen hat, § 145 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Hiervon sind auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke ebenso wie bei § 134 InsO ausgenommen3. Der gutgläubige Rechtsnachfolger kann sich zudem auf § 143 Abs. 2 InsO (Entreicherung, oben Rz. 347 ff.) berufen4.
Bei einer Kette von Einzelrechtsnachfolgen müssen diese Voraussetzungen auf jeder Stufe der Kette vorliegen, nicht nur beim Letzterwerber5.
361
c) Verjährung des Anfechtungsanspruchs, § 146 InsO Die Anfechtungsfrist ist in § 146 InsO nicht mehr wie in § 41 KO als Ausschlussfrist ausgestaltet, sondern als Verjährungsvorschrift. Rechtsprechung und Literatur zu § 41 KO sind deshalb auf § 146 InsO nicht ohne weiteres übertragbar.
362
aa) Fristberechnung und Unterbrechung der Verjährung Die Verjährung des Anfechtungsanspruchs richtet sich nach den Regelungen der §§ 195, 199 BGB über die regelmäßige Verjährung, § 146 Abs. 1 InsO.
363
Einstweilen frei.
364
1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 145 Rz. 6. 2 BGH v. 13. 7. 1995 – IX ZR 81/94, NJW 1995, 1846 (2847). 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 145 InsO Rz. 15; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 22 (7/2003). 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 145 InsO Rz. 26; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 23 (7/2003). 5 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 15 (7/2003).
Graf/Wunsch
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§ 10 365
Rz. 365
Insolvenzanfechtung
Hemmung und Neubeginn (Unterbrechung) der Verjährungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO richten sich ebenfalls nach den allgemeinen Vorschriften des BGB. Insoweit schlägt auch die Reform des Verjährungsrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz auf die Verjährung der Insolvenzanfechtung durch. Die außergerichtliche Geltendmachung der Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung im Sinne einer formlosen „Anfechtungserklärung“ unterbricht die Verjährung nicht1. Diese wird lediglich durch Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB, durch Klageerhebung oder durch die ihr gemäß § 204 BGB gleichgestellten Schritte – z.B. die Zustellung eines Mahnbescheids – gehemmt. Durch ein Anerkenntnis wird die Verjährung des Anfechtungsanspruchs gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB unterbrochen. Im Passivprozess wird die Anfechtungsfrist dadurch gewahrt, dass sich der Insolvenzverwalter auf die Einrede der Anfechtung beruft (die ihm aber ohnehin auch nach Ablauf der Frist gemäß § 146 Abs. 2 InsO erhalten bleibt, vgl. sogleich Rz. 367). bb) Rechtsfolgen der eingetretenen Verjährung
366
Die Ausgestaltung als Verjährungsvorschrift hat bei Ansprüchen, die vom Insolvenzverwalter gegen den Anfechtungsgegner erhoben werden, zunächst einmal zur Folge, dass der Anfechtungsgegner sich auf die Verjährung berufen muss. Tut er dies, ist der Anspruch auf Rückgewähr zur Masse nicht mehr durchsetzbar.
367
Für den umgekehrten Fall, dass die Anfechtung einem Anspruch des Anfechtungsgegners gegenüber der Masse entgegensteht, sieht § 146 Abs. 2 InsO vor, dass der Insolvenzverwalter auch noch nach Verjährungseintritt die Leistung verweigern kann (Anfechtungseinrede).
368
Die Reichweite dieser Vorschrift ist noch nicht abschließend geklärt. Nach h.M. ist sie jedenfalls insofern weit auszulegen, als die Anfechtungseinrede nicht nur gegenüber schuldrechtlichen Insolvenzforderungen, sondern auch gegenüber sachenrechtlichen Verpflichtungen sowie Aus- und Absonderungsansprüchen erhalten bleibt2. Außerdem soll ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der verweigerten Leistungspflicht der Masse und der anfechtbaren Rechtshandlung genügen3. Ebenfalls noch nicht abschließend geklärt ist, ob § 146 Abs. 2 InsO auch dann gilt, wenn die Anfechtungseinrede dem Insolvenzverwalter im Aktivprozess als Gegeneinrede gegen eine Einwendung des Anfechtungsgegners dient4 (z.B. Erfüllung, Erlass oder Verjährung).
369
Die Anfechtungseinrede greift dann nicht, wenn der geltend gemachte Anspruch (auch) auf einer anderen Rechtsgrundlage als der angefochtenen Rechts1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 146 Rz. 9 (12/2006). 2 OLG Düsseldorf v. 5. 7. 1966 – 16 W 25/96, ZIP 1996, 1476 (1478); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 146 Rz. 14. 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 146 Rz. 18 (12/2006). 4 So Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 146 Rz. 14; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 146 Rz. 10; a.A. wohl – wenngleich unausgesprochen – BGH v. 12. 11. 1998 – IX ZR 199/97, ZIP 1998, 2165 (2166 f.).
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Graf/Wunsch
Rz. 374 § 10
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
handlung beruht1. Der BGH hat offen gelassen, ob der Insolvenzverwalter in einem solchen Fall nach Ablauf der Frist des § 146 Abs. 1 InsO noch mit dem Anfechtungsanspruch aufrechnen kann2.
2. Gegenansprüche des Anfechtungsgegners, § 144 InsO Die erfolgreiche Insolvenzanfechtung hat nicht zum Zweck, die Wirksamkeit von Rechtshandlungen nur einseitig zugunsten der Masse zu beseitigen. § 144 InsO regelt daher die „Kehrseite“ der Anfechtung, die sich zugunsten des Anfechtungsgegners auswirkt. Dabei betrifft Abs. 1 den Wegfall der Erfüllungswirkung bei Anfechtung der Erfüllung einer Forderung, Abs. 2 das Schicksal einer bereits durch den Anfechtungsgegner erbrachten Gegenleistung.
370
a) Wiederaufleben von Forderungen nach § 144 Abs. 1 InsO § 144 Abs. 1 InsO mit der Rechtsfolge des Wiederauflebens bezieht sich dabei auf den Fall, dass der Anfechtungsgegner einen nicht seinerseits anfechtbar erworbenen Anspruch (nicht zwingend gegen den Schuldner) auf das vom Schuldner in anfechtbarer Weise an ihn Geleistete hatte, mit anderen Worten: dass nur das Erfüllungsgeschäft anfechtbar ist3.
371
Weiterhin ist tatbestandliche Voraussetzung für das Wiederaufleben einer Forderung des Anfechtungsgegners, dass dieser seiner Rückgewährpflicht aus § 143 InsO auch tatsächlich nachgekommen ist. Erst wenn er den anfechtbar erlangten Gegenstand zur Masse zurückgewährt bzw. Wertersatz leistet, lebt auch sein Anspruch wieder auf.
372
In diesem Fall lebt die Forderung des Anfechtungsgegners so wieder auf, wie sie zur Zeit der Vornahme des anfechtbaren Rechtsgeschäfts bestanden hatte4. Das bedeutet u.a., dass in der Zeit zwischen anfechtbarer Rechtshandlung (= zunächst Erfüllung der Forderung) und Rückgewähr zur Masse (= Wiederaufleben der Forderung) die Verjährung gehemmt ist5.
373
Nebenrechte und akzessorische Sicherungsrechte wie Pfandrecht, Hypothek, Bürgschaften usw. leben – soweit sie nicht ihrerseits anfechtbar sind – ebenfalls wieder auf; insbesondere kann hierdurch auch ein Absonderungsrecht des Gläubigers entstehen6. Eine gelöschte Hypothek ist dabei im Wege der Grundbuchberichtigung wieder einzutragen7. Das gilt nach h.M. auch für nichtakzes-
374
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 146 Rz. 17. 2 BGH v. 7. 6. 2001 – IX ZR 134/00, DB 2001, 2293. Die Frage wird bejaht von Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 146 Rz. 17. 3 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 3. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 6. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 3; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 7; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 144 Rz. 5 (7/2003). 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 9 f. 7 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 144 Rz. 3.
Graf/Wunsch
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§ 10
Rz. 375
Insolvenzanfechtung
sorische Sicherheiten, die vom Schuldner bestellt wurden1. Ist ein Dritter Geber einer akzessorischen Sicherheit und ist deren Wiederaufleben rechtlich nicht möglich, so hat der Dritte Wertersatz zu leisten2. Streitig ist, ob bereits freigegebene nichtakzessorische Drittsicherheiten wie Grundschuld oder Sicherungsübereignung ebenfalls restituiert werden bzw. zumindest ein hierauf gerichteter Anspruch des Gläubigers gegen den Sicherungsgeber besteht3. Verneint man dies, wird man dem Sicherungsnehmer allerdings, wenn die Sicherheit noch nicht freigegeben ist, sondern lediglich ein Anspruch hierauf besteht, ein Zurückbehaltungsrecht bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist nach § 146 Abs. 1 InsO zugestehen müssen4. Wird die Erfüllung der Forderung dann erfolgreich angefochten und der Rückgewähranspruch erfüllt, so fällt mit dem Wegfall der Erfüllungswirkung (§ 144 Abs. 1 InsO) auch der Anspruch des Sicherungsgebers auf Freigabe der Sicherheit weg. Demnach ist einem Sicherungsnehmer bereits bei absehbarer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anzuraten, die Freigabe einer solchen Sicherheit zu verweigern. 375
Ansonsten ist die wiederaufgelebte Forderung im Insolvenzverfahren genauso zu behandeln, wie es auch bei ihrem anfänglichen Bestehen der Fall gewesen wäre. Ihre Rechtsnatur und ihr Rang als Insolvenzforderung richten sich also nach allgemeinen Vorschriften.
376
Eine Aufrechnung des Rückgewähranspruchs aus § 143 InsO und gemäß § 144 Abs. 1 InsO wiederaufgelebter Forderung ist nach wohl herrschender Auffassung in keine Richtung möglich, also auch nicht durch den Insolvenzverwalter5. b) Rückgewähr von Gegenleistungen nach § 144 Abs. 2 InsO
377
Im Unterschied zu § 144 Abs. 1 betrifft Abs. 2 InsO den Fall der Anfechtung eines gegenseitigen Vertrags, also des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts6.
378
Anspruchsinhaber ist dabei stets derjenige, der die betreffende Gegenleistung erbracht hat. Durch Gesamtrechtsnachfolge (§ 145 Abs. 1 InsO) geht der Anspruch über. Ein nach § 145 Abs. 2 InsO in Anspruch genommener Sonderrechtsnachfolger kann den Anspruch aus § 144 Abs. 2 InsO dagegen aus eigenem Recht nicht geltend machen, er muss sich vielmehr an seinen Rechtsvor1 OLG Frankfurt a.M. v. 25. 11. 2003 – 9 U 127/02 m. Anm. App, DZWIR 2005, 36 = NZI 2004, 267; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 144 Rz. 10 d; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 3. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 3. 3 So OLG Frankfurt a.M. v. 25. 11. 2003 – 9 U 127/02 m. Anm. App, DZWIR 2005, 36 (37); Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2008, § 144 Rz. 10 d; a.A. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 3; Hess/ Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 12. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 12. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 InsO Rz. 3; a.A. Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1997, § 39 Rz. 15. 6 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 17; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 144 Rz. 4.
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Graf/Wunsch
Rz. 383 § 10
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
gänger halten und kann sich gegebenenfalls dessen Anspruch abtreten lassen oder pfänden1. aa) Noch vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO In diesem Fall ist eine bereits gewährte Gegenleistung des Anfechtungsgegners aus der Masse zu erstatten (Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO), soweit sie noch in natura vorhanden ist oder die Masse wenigstens noch um ihren Wert bereichert ist, § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn sich der vom Anfechtungsgegner geleistete Gegenstand zwar aktuell nicht körperlich in der Masse befindet, aber von einem Dritten herausverlangt werden kann2.
379
Obwohl es bei § 144 Abs. 2 InsO nicht gesetzliches Tatbestandsmerkmal ist, wird auch hier angenommen, dass der Anspruch des Anfechtungsgegners erst mit vollzogener Rückgewähr seinerseits (also mit Erfüllung des Anfechtungsanspruchs aus § 143 InsO) entsteht3.
380
Der Anspruch aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO steht mit dem Anfechtungsanspruch der Masse aus § 143 InsO in wirtschaftlichem Zusammenhang, weshalb der Anfechtungsgegner gegenüber dem Anfechtungsanspruch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB hat4.
381
Sind sowohl der Anspruch der Masse aus § 143 InsO als auch ein Gegenanspruch aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet, können beide Parteien aufrechnen5 bzw. die Ansprüche sind zu saldieren6.
382
bb) Nicht mehr vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO Ist die Masse dagegen bezüglich einer vom Anfechtungsgegner erbrachten Gegenleistung entreichert, steht letzterem ebenfalls ein Wertersatzanspruch zu, jedoch gemäß § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO nur als normale Insolvenzforderung. Diese muss zur Tabelle angemeldet werden, was sowohl – auch bereits während eines anhängigen Anfechtungsprozesses – durch vorsorgliche Anmeldung für den Fall der Anfechtbarkeit des Vertrags geschehen kann, als auch durch nachträgliche Anmeldung, wenn die Anfechtbarkeit feststeht7. 1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 10; Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 144 Rz. 10. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 5. 3 BGH v. 29. 4. 1986 – IX ZR 145/85, DB 1986, 1835 (1836); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 4. 4 BGH v. 29. 4. 1986 – IX ZR 145/85, DB 1986, 1835 (1836); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 9; Holzer, WiB 1997, 729 (732); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 144 Rz. 11 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 144 Rz. 6. 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 24. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2006, § 144 Rz. 9; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 144 Rz. 11 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 144 Rz. 7. 7 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, 2. Aufl. 1999, § 144 InsO Rz. 26 f.
Graf/Wunsch
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§ 10 384
Rz. 384
Insolvenzanfechtung
Eine Aufrechnung mit der bloßen Insolvenzforderung aus § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO ist nicht möglich, auch ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Anfechtungsanspruch besteht nicht1. Der Anfechtungsgegner ist hier mit seinem Gegenanspruch auf die Quote verwiesen. cc) Beweislast
385
Die Beweislast dafür, dass die Masse noch um den Wert der erbrachten Gegenleistung bereichert ist, liegt beim Anfechtungsgegner2.
1 Zeuner in Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 144 Rz. 9. 2 Zeuner in Smid, InsO, 1999, § 144 Rz. 11.
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Graf/Wunsch
§ 11 Steuerrechtliche Beratung Rz.
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Die steuerrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . .
6
1. Verlust des Verwaltungs- und Verfügungsrechts . . . . . . . . . . . . 2. Die steuerliche Rechtsstellung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . a) Einkommensteuerliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsatzsteuerliche Stellung 3. Steuerliche Pflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 10 11 13 14
III. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen und des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters . . 19 a) Der vorläufige (starke) Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis . . . . . . . 21 b) Der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis . . . . . . . 25 2. Steuerrechtliche Stellung des Sachwalters bei Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Steuerrechtliche Stellung des Treuhänders im Verbraucherinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . 28 4. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Steuerrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters . . . . 29 b) Auskunftspflichten des Insolvenzverwalters und der Finanzverwaltung . . . . . . . . . 32a c) Steuererklärungspflichten für die Zeit vor Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 d) Berichtigung von falschen Steuererklärungen . . . . . . . . . 36 e) Steuerrechtliche Buchführungs- und Rechnungs-
Rz.
legungspflichten des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . f) Steuererklärungspflichten für die Zeit des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Steuererklärungspflichten für Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . (1) Körperschaftsteuererklärung . . . . . . . . . . . . . (2) Gewerbesteuererklärung . . . . . . . . . . . . . (3) Umsatzsteuererklärung und sonstige Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Steuererklärungspflichten für Personenhandelsgesellschaften . . (1) Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung . . . . (2) Gewerbesteuererklärung (3) Umsatzsteuererklärung und sonstige Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Steuererklärungspflichten für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . g) Steuererklärungspflichten des Insolvenzverwalters bei Massearmut . . . . . . . . . . . . . . 5. Steuerabführungspflichten . . . . 6. Steuerrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . .
38
43
43 43 45
47
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54
54a
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IV. Eingruppierung der Steuerforderung in das System der Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . 89 1. Die Steuerforderung als Insolvenzforderung . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Unterbrechungswirkung im Steuerverfahren . . . . . . . . 92 b) Eingruppierung der Steuerforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Anmeldung der Steuerforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Die Steuerforderung als Masseverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 105
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§ 11
Steuerrechtliche Beratung Rz.
Rz.
3. Steuerforderungen/Masseverbindlichkeiten bei Neuerwerb .113a 4. Aufrechnung mit Steuerforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 5. Steuerforderungen im Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6. Steuerforderungen bei Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . 132
derungsberechtigten – Kauf unter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . .227a Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 15a UStG . 228 Verwertung von mobiliarem Sicherungsgut . . . . . . . . 233 aa) Verwertung von Sicherungsgut durch den Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Verwertung von Sicherungsgut durch den Sicherungsnehmer nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 dd) Verwertung von Sicherungsgut außerhalb des Insolvenzverfahrens durch den Sicherungsnehmer oder den vorläufigen Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . 243 ee) Übernahme von Sicherungsgut durch den Sicherungsnehmer vom Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . 251 ff) Verwertung durch den Sicherungsgeber außerhalb des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . .252a Freigabe von Sicherungsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Verwertung von immobiliarem Sicherungsgut . . . . 259 aa) Zwangsversteigerung auf Antrag des Insolvenzverwalters . . . . . . . .259a bb) Zwangsversteigerung auf Antrag des absonderungsberechtigten Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 cc) Freigabe des Grundstücks . . . . . . . . . . . . . . . . 262 dd) Zwangsverwaltung des Grundstücks . . . . . . . . . . 263 ee) Freihändiger Verkauf des Grundstücks . . . . . . . 264
d) e)
V. Besondere Steuerarten in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . 138 a) Allgemeine Grundlagen . . . . 138 aa) Betagte Forderungen . . . 143 bb) Aufteilung der Steuerforderungen . . . . . . . . . . . 144 cc) Insolvenzfreies Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Aufteilung der Einkommensteuerschuld . . . . . . . . . . 147 c) Veranlagung der Ehegatten . 155 aa) Zusammenveranlagung der Ehegatten (§ 26b EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Getrennte Veranlagung (§ 26a EStG) . . . . . . . . . . . 160 d) Einkommensteuerliche Berücksichtigung von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . 164 3. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . 177 4. Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Insolvenz des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Insolvenz des Arbeitgebers . 193 c) Ansprüche gegen die Bundesagentur für Arbeit (Insolvenzgeld) . . . . . . . . . . . . 198 d) Lohnsteuer bei vorläufiger Insolvenzverwaltung . . . . . . 199 5. Bauabzugssteuer . . . . . . . . . . . . . 202 6. Zinsabschlagsteuer . . . . . . . . . . . 213 7. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Die Umsatzsteuer als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit . . . . . . . . . . . 215 b) Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 Abs. 2 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Umsatzsteuer bei der Herausgabe an den Ausson-
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f) g)
Einführung
Rz. 2
§ 11
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ff) Verwertungskostenbeitrag bei Grundstücksveräußerungen . . 265 h) Umsatzsteuerliche Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .265a aa) Insolvenz der Organgesellschaft . . . . . . . . . . . 266 bb) Insolvenz des Organträgers . . . . . . . . . . . . . . . .266c cc) Insolvenz des Organträgers und der Organgesellschaft . . . . . . . . . . .266e dd) Rechtsfolgen bei Beendigung der Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .266f i) Umsatzsteuerhaftung nach § 13c UStG und § 13d UStG 267
3. Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichts durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . 302 a) Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichtes auf der Ebene der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 b) Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichtes auf der Ebene des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 aa) Gesellschafter hält die Forderung im Privatvermögen . . . . . . . . . . . . . 316 bb) Gesellschafter hält die Forderung im Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . 325 4. Forderungsverzicht mit Besserungsschein . . . . . . . . . . . . 329 a) Forderungsverzicht mit Besserungsschein durch einen Dritten . . . . . . . . . . . . . 329 b) Forderungsverzicht mit Besserungsschein durch einen Gesellschafter . . . . . . . 332
VI. Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten . . . . . . . . 285 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichts durch einen fremden Dritten und Sanierungserlass . . . . . . . . . . . . . 288
I. Einführung Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat Auswirkungen auf die Durchführung des Besteuerungsverfahrens. Das Besteuerungsverfahren in der Insolvenz ist sowohl von steuer- als auch von insolvenzrechtlichen Regelungen bestimmt.
1
Das Verhältnis zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht ist nur unvollkommen geregelt1. Sowohl im Insolvenzrecht als auch im Steuerrecht existieren keine Regeln darüber, wie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerpflichtigen sich auf die materielle Besteuerung und das Besteuerungsverfahren auswirkt. Das Insolvenzverfahren wird in den Steuergesetzen lediglich in den §§ 75 Abs. 2, 171 Abs. 13, 231, 251 Abs. 2 und 3, 282 Abs. 2 AO, § 32 Abs. 1Nr. 1 lit. a) EStG sowie §§ 4 Abs. 2, 16 Abs. 2 GewStDV und § 11 Abs. 7 KStG erwähnt. Aus § 251 Abs. 2 AO ist der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, dass die Regelungen der Insolvenzordnung für das Steuerverfahren unberührt bleiben2.
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1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 17; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 75; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, S. 10 ff. 2 Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 269 ff.
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Steuerrechtliche Beratung
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Die Literatur hat im Anschluss an die Entscheidung des RFH den Grundsatz „Konkursrecht geht vor Steuerrecht“ aufgestellt1. Dieser Grundsatz gilt auch nach In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung als Grundsatz „Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht“ mangels positivrechtlicher Regelungen weiter2.
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Der Grundsatz besagt allerdings nicht, dass das Insolvenzrecht dem Steuerrecht vorgeht. Vielmehr ist hieraus abzuleiten, das die Geltendmachung aller Steuerforderungen in der Insolvenz gegen den Insolvenzschuldner oder die Insolvenzmasse sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach den Regelungen der Insolvenzordnung vollzieht3. In Verbindung mit § 251 Abs. 2 Satz 1 AO besagt dieser Grundsatz, dass der Steuergläubiger – vertreten durch das Finanzamt – seine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Insolvenzforderung nach den Vorschriften der Insolvenzordnung verfolgen muss.
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Die Regelungen des Steuerrechts bestimmen, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch die Entstehung und die Höhe des Steueranspruchs. Welche Regelung hierbei Vorrang – Insolvenzrecht oder Steuerrecht – hat, ist stets im Einzelfall nach den Vorschriften des Insolvenz- und Steuerrechts zu prüfen4. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Steuerrecht über das ob und den Zeitpunkt des Entstehens der Steuerforderung und auch deren Höhe Auskunft gibt. Das Insolvenzrecht ist maßgebend dafür, ob und in welcher Weise die Steuerforderung im Insolvenzverfahren befriedigt wird.
II. Die steuerrechtliche Stellung des Schuldners 1. Verlust des Verwaltungs- und Verfügungsrechts 6
Die zivilrechtliche Stellung des Schuldners im Insolvenzverfahren bestimmt sich nach § 80 Abs. 1 InsO. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und hierüber zu verfügen5 (vgl. § 6 Rz. 166 f.). Ist das Insolvenzverfahren auf ein Sondervermögen beschränkt, z.B. auf einen Nachlass, bleibt das Schuldnervermögen ansonsten insolvenzfrei. Findet eine derartige Beschränkung 1 RFH v. 25. 10. 1926, RFHE 19, 355, RStBl. 1926, 337; Liebisch, VJSchrStFR, 1929, 212; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2004, S. 18 ff.; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 75; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 253, 268; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 10 ff. 2 Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 5; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 134; Bringewat/Waza, Insolvenz und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 65; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 1. 3 Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 5. 4 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 76; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 20. 5 Vgl. Behrmann, Hübschmann/Hepp/Spitaler (Stand 11/2003, § 251 AO Rz. 240 ff.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 21; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, S. 11.
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Die steuerrechtliche Stellung des Schuldners
Rz. 10 § 11
nicht statt, bleibt dem Schuldner zur freien Verfügung nur das Vermögen, dass er nach §§ 35, 36 InsO nicht der Zwangsvollstreckung zu unterwerfen hat und daher unpfändbar ist1. Trotz Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis sind dem Schuldner Vermögensmehrung und -minderungen durch Handlungen des Insolvenzverwalters zivilrechtlich zuzurechnen2. Der Schuldner bleibt Eigentümer und Rechtsträger seines Vermögens3. Daraus folgt, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens keinen Einfluss auf die steuerliche Rechtsstellung des Insolvenzschuldners hat. Das öffentlichrechtliche Steuerschuldverhältnis gegenüber dem Insolvenzschuldner bleibt bestehen. Der Insolvenzschuldner bleibt im Hinblick auf die Besteuerungsgrundlagen Steuerschuldner nach § 43 AO und Steuerpflichtiger nach § 33 Abs. 1 AO4. Der Insolvenzschuldner hat folglich seine steuerlichen Pflichten im Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren weiter zu erfüllen. Er verliert allerdings seine steuerliche Handlungsfähigkeit, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergeht.
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Gemäß § 270 InsO kann die Verwaltung der Insolvenzmasse und die Verfügungsbefugnis über die zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände im Wege der so genannten Eigenverwaltung dem Schuldner übertragen werden. In diesem Fall bleibt das Verwaltungs- und Verfügungsrecht weiterhin beim Schuldner. Der dann vom Gericht bestellte Sachwalter gem. § 270 Abs. 3 InsO erteilt dem Schuldner für bestimmte Geschäfte über die Insolvenzmasse seine Zustimmung5 (vgl. § 13 Rz. 469 ff.).
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Wird über das Vermögen einer juristischen Person (§ 11 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder einer Personenhandelsgesellschaft (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO) das Insolvenzverfahren eröffnet, endet die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der vertretungsberechtigten Organe bzw. Geschäftsführer und die Organstellung der nicht vertretungsberechtigten Organe (Aufsichtsrat). Der Insolvenzverwalter übernimmt das Verwaltungs- und Verfügungsrecht.
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2. Die steuerliche Rechtsstellung des Schuldners Der Schuldner bleibt Rechtsträger der Insolvenzmasse und ist zugleich rechtlich Berechtigter und Verpflichteter aus den Handlungen des Insolvenzverwalters. Er ist folglich aus steuerlicher Sicht Steuersubjekt der Insolvenzmasse, die aus der Insolvenzmasse fließenden Besteuerungsgrundlagen sind ihm zuzurechnen. Er ist damit nicht nur rechtlicher, sondern auch wirtschaftlicher Eigentümer der zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände, die ihm gemäß § 39 AO zuzurechnen sind.
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Vgl. Behrmann, Hübschmann/Hepp/Spitaler (Stand 11/2003), § 251 AO Rz. 240. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 80. Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 66. Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 67. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 22.
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Steuerrechtliche Beratung
a) Einkommensteuerliche Stellung 11
Der Einkommensteuer unterliegen sämtliche Einkünfte der sieben Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die steuerlichen Folgen der Einnahmen- und Einkünfteerzielung treten bei der Person ein, der die Erfüllung der Tatbestände der Einnahmen- und Einkunftserzielung zuzurechnen sind. Hierbei ist nicht die Ausübung der Verfügungsmacht über die Gegenstände der Einkünfteerzielung, also der Wirtschaftsgüter maßgebend, sondern nur auf wessen Rechnung und Gefahr der Tatbestand der Einnahmen und Einkünfteerzielung verwirklicht wird1. Führt also der Insolvenzverwalter Handlungen aus, die die sieben Einkunftsarten des Schuldners betreffen, so sind die daraus entstehenden positiven oder negativen Einkünfte aus der Insolvenzmasse beim Schuldner zu erfassen.
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Da die Einkommensteuer nach § 2 Abs. 7 EStG eine Jahressteuer ist, fallen sämtliche einkommensteuerrechtlich relevanten Besteuerungsgrundlagen innerhalb eines Kalenderjahres, die dem Steuerpflichtigen zuzurechnen sind, als zusammengefasster Betrag in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer. Dem Steuerpflichtigen sind deshalb jeweils für den entsprechenden Veranlagungszeitraum die aus dem Vermögen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fließenden Besteuerungsgrundlagen in die vom Insolvenzverwalter verwirklichten Besteuerungsgrundlagen zuzuordnen und bei ihm steuerlich zu erfassen. b) Umsatzsteuerliche Stellung
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Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Schuldner keine Umsätze für die Insolvenzmasse mehr ausführen, da ihm die Verfügungsbefugnis fehlt. Damit verliert der Schuldner nach herrschender Meinung allerdings nicht seine Stellung als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts2. Der Schuldner bleibt Unternehmer, da ihm steuerrechtlich die Tätigkeit des Insolvenzverwalters zuzurechnen ist. Die Wirkung der Verfügungsgeschäfte des Insolvenzverwalters treffen zivilrechtlich den Schuldner. Die durch den Insolvenzverwalter bewirkten Umsätze sind daher auch umsatzsteuerlich dem Schuldner zuzurechnen3.
3. Steuerliche Pflichten des Schuldners 14
Mit dem Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsmacht über sein Vermögen wird der Schuldner allerdings nicht von seinen sämtlichen steuerlichen Pflichten befreit. Die Steuergesetze legen dem Schuldner vielmehr als Steuerpflichtigem im Sinne von § 33 AO vielfältige Pflichten auf. Die Erfüllung dieser Pflichten wird dem Steuerpflichtigen auch dann nicht erlassen, wenn der Insolvenzverwalter sie für ihn zu erfüllen hat.
1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 23. 2 Vgl. BFH v. 23. 6. 1988 – V R 203/83, BStBl. II 1988, 920; BFH v. 18. 5. 1988 – X R 27/80, BStBl. II 1988, 716. 3 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 25.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 20 § 11
Normalerweise hat der Schuldner jedoch auf die Buchhaltungsunterlagen keinen Zugriff mehr. Er ist also rein faktisch nicht in der Lage, Bilanzen und Steuererklärungen zu erstellen oder erstellen zu lassen. Deshalb ist allgemein anerkannt, dass den Schuldner die steuerrechtlichen Pflichten insoweit nicht treffen können, als er aus tatsächlichen Gründen, aber auch aus rechtlichen Gründen die entsprechenden Arbeiten nicht ausführen kann1. Die Pflicht trifft in diesem Fall allein den Insolvenzverwalter.
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Den Schuldner treffen allerdings Mitwirkungspflichten nach § 90 AO. Er hat nach § 93 AO Auskünfte zu erteilen. Der Schuldner hat ferner die Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden gemäß § 97 AO, von Wertsachen gemäß § 100 AO, soweit er diese noch in Besitz hat.
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Der Schuldner ist ferner verpflichtet, nach § 153 AO eine Steuererklärung zu berichtigen, wenn er nachträglich deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit erkennt. Hierbei tritt die Berichtigungspflicht immer nur dann ein, wenn der Schuldner die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit positiv kennt2.
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Der Schuldner hat nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auch eine vom Insolvenzverwalter abgegebene Erklärung zu berichtigen, wenn er deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit erkennt.
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III. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen und des Insolvenzverwalters 1. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters Nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO kann das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen. Die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO mit einem allgemeinen Verfügungsverbot für den Schuldner verbunden sein (starker vorläufiger Verwalter) oder nur mit einem Zustimmungserfordernis des vorläufigen Insolvenzverwalters für Verfügungen des Schuldners verknüpft werden (schwacher vorläufiger Verwalter). Die Anordnung eines Zustimmungserfordernisses ist heute der Regelfall. Zwischenstadien sind möglich, indem das Gericht weitere Beschränkungen anordnet3 (vgl. zu dieser Problematik § 6 Rz. 75 ff.; § 14 Rz. 36 ff., 80 ff.).
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Die steuerrechtliche Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters hängt von dem Umfang seiner insolvenzrechtlichen Befugnisse ab, d.h. von Art und Umfang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, die auf ihn übertragen wird4. Hiernach kann er Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO oder Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 AO mit allen sich aus § 34 Abs. 1 AO ergebenden Pflichten und Haftungen sein. Ist der vorläufige Verwalter als Vermögensver-
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Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 27. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 28. Vgl. Onusseit, ZInsO 2000, 363. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 43; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, S. 31.
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§ 11
Rz. 21
Steuerrechtliche Beratung
walter (§ 34 Abs. 3 AO) oder Verfügungsberechtigter (§ 35 AO) einzustufen, so hat er die steuerlichen Pflichten des Schuldners gemäß § 34 Abs. 1 AO in vollem Umfang zu erfüllen (Steuererklärungspflicht), Steuern abzuführen (Steuerabführungspflicht) soweit seine Verwaltung reicht und Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten wahrzunehmen (Buchführungspflicht). a) Der vorläufige (starke) Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis 21
Mit der Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots geht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen auf den vorläufigen Verwalter über (vgl. § 14 Rz. 11 ff.). Er wird Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO1. Nach Auffassung der Finanzverwaltung hat der vorläufige so genannte „starke“ Insolvenzverwalter, als Vertreter gemäß § 34 Abs. 3 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen soweit seine Verwaltung reicht2. Diese Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob der vorläufige Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb des Schuldners fortführt oder – mit Zustimmung des Gerichtes nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 2. Hs. InsO – einstellt.
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Den vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalter treffen damit sämtliche Pflichten, die auch den Insolvenzverwalter treffen3. Die steuerrechtlichen Pflichten treffen ihn allerdings nur, soweit seine Verwaltung reicht (§ 34 Abs. 3 AO). Nur soweit das Vermögen des Schuldners von der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfasst wird, hat der vorläufige Insolvenzverwalter die steuerlichen Pflichten zu erfüllen. In der vorläufigen Insolvenzphase, die regelmäßig nur einen kurzen Zeitraum von bis zu maximal drei Monaten andauert, reicht seine Verwaltung allerdings nicht so weit, rückständige (Einkommen-, Körperschaftund Gewerbe-) Steuererklärungen nachzuholen. Diese Verpflichtung bleibt dem Insolvenzverwalter vorbehalten4.
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Etwas anderes gilt nach herrschender Auffassung für die Umsatzsteuervoranmeldungen und die Lohnsteueranmeldungen5. Diese sind vom vorläufigen Verwalter mit Verfügungsbefugnis zu den gesetzlich vorgeschriebenen Terminen abzugeben. Da der vorläufige Verwalter mit Verfügungsbefugnis Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO begründet, trifft ihn auch die Verpflichtung zur Zahlung der Umsatzsteuer6.
1 Vgl. Onusseit, ZInsO 2000, 363; Maus, ZInsO 1999, 684. 2 Vgl. OFD Frankfurt/M., Rdvfg. v. 29. 3. 1999, DStR 1999, 938; OFD Koblenz, Verfügung. v. 30. 6. 1999, ZInsO 1999, 566. 3 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 43. 4 Ebenso Onusseit, ZInsO 2000, 366. Die Finanzbehörde habe, insbesondere bei kurzem vorläufigen Verfahren, den Insolvenzverwalter und bei Abweisung mangels Masse den Schuldner in Anspruch zu nehmen. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 46. Frotscher sieht einen Ermessensspielraum der Finanzbehörde. Bei kurzer vorläufiger Insolvenzverwaltung soll die Finanzbehörde den später eingesetzten Insolvenzverwalter in Anspruch nehmen. Andere Auffassung: Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, S. 32; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, § 54. 5 Onusseit, ZInsO 2000, 366 m.w.N. 6 Vgl. Maus, ZInsO 1999, 685.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 28 § 11
Nach richtiger Auffassung kann die Abführung der Steuern, die durch die Handlungen des vorläufigen Verwalters mit Verfügungsbefugnis begründet wurden, allerdings erst nach Verfahrenseröffnung erfolgen1.
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b) Der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis Der vorläufige Insolvenzverwalter, der vom Gericht die Verfügungsbefugnis nicht übertragen erhält, aber mit einem allgemein Zustimmungsvorbehalt ausgestattet ist (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Halbs. InsO), verdrängt den Schuldner nicht aus der Geschäftsführungsfunktion (§ 14 Rz. 36 ff.). Der Schuldner bleibt im Außenverhältnis in vollem Umfang verwaltungs- und verfügungsbefugt2. Der vorläufige Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt kann somit nicht über Mittel verfügen, die einem anderen nach § 39 AO zuzurechnen sind. Reine Sicherungs- und Überwachungsanordnungen qualifizieren den vorläufigen Verwalter nicht zum Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO3. Gleiches gilt für den vorläufigen Verwalter ohne Verfügungsbefugnis und ohne Zustimmungsvorbehalt.
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Der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist damit nicht verpflichtet Steuererklärungen abzugeben. Die Erklärungspflichten verbleiben beim Schuldner4.
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2. Steuerrechtliche Stellung des Sachwalters bei Eigenverwaltung Gemäß § 270 InsO ist der Schuldner berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die Eigenverwaltung ist gesondert vom Insolvenzgericht anzuordnen. Die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis verbleibt damit weiterhin beim Insolvenzschuldner. Der Insolvenzschuldner steht unter der Aufsicht des Sachwalters (§ 13 Rz. 469 ff.). Der Sachwalter ist nicht als Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO anzusehen5. Folglich sind die steuerlichen Pflichten in vollem Umfang vom Schuldner zu erfüllen.
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3. Steuerrechtliche Stellung des Treuhänders im Verbraucherinsolvenzverfahren Gemäß § 304 ff. InsO können Schuldner, die eine natürliche Person sind und keine selbständige geschäftliche Tätigkeit ausüben, das Verbraucherinsolvenzverfahren beantragen. Gleiches gilt, soweit in der Vergangenheit nur eine ge1 So Onusseit, ZInsO 2000, 368. 2 Vgl. Maus, ZInsO 1999, 684. 3 So auch Onusseit, ZInsO 2000, 363; Maus, ZInsO 1999, 684; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 48. 4 Ebenso Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 48. Etwas anderes gilt nur, wenn der vorläufige Verwalter wie ein Verfügungsberechtigter auftritt. 5 Ebenso Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 68; Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung in Insolvenzverfahren, 5. Aufl. 2002, S. 68; Onusseit, ZInsO 2000, 365.
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§ 11
Rz. 29
Steuerrechtliche Beratung
ringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt wurde und die wirtschaftlichen Verhältnisse überschaubar sind. In solchen Fällen soll durch die Aufstellung eines Schuldenbereinigungsplans die Durchführung eines Insolvenzverfahrens vermieden werden. Bis über die Annahme des Schuldenbereinigungsplans durch die Gläubiger nach Maßgabe der §§ 307 ff. InsO entschieden wurde, ruht das Verfahren über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 306 Abs. 1 InsO (vgl. § 16 Rz. 55 ff.). Bei der Verbraucherinsolvenz werden die Aufgaben des Insolvenzverwalters durch den Treuhänder (§ 313 InsO) wahrgenommen. Der Treuhänder hat ebenso wie der Insolvenzverwalter die steuerlichen Pflichten während seiner Zeit der Treuhandstellung zu erfüllen. Er ist als Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO anzusehen1 (zur Person des Treuhänders vgl. § 15 Rz. 381 ff.).
4. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des Insolvenzverwalters a) Steuerrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters 29
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen. Diese Befugnis geht auf den Insolvenzverwalter über.
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Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person endet die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der vertretungsberechtigten Organe bzw. der Geschäftsführung sowie die Organstellung der nicht vertretungsberechtigten Organe (Aufsichtsrat, Beirat, Gesellschafterversammlung) mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Personenhandelsgesellschaft oder eines Einzelkaufmanns verlieren die Gesellschafter bzw. der Inhaber die Befugnis, über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verfügen.
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Der Insolvenzverwalter gehört unbestritten, soweit seine Verwaltung reicht, zu den Vermögensverwaltern i.S.v. § 34 Abs. 3 AO2. Er hat nach § 34 AO als gesetzlicher Vertreter natürlicher und juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Er hat gemäß § 34 Abs. 1 AO insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die er verwaltet3. Ihn treffen die steuerlichen Pflichten des Schuldners. Der Schuldner bleibt zwar Steuerschuldner nach § 43 AO und Steuerpflichtiger nach § 33 AO, aber die steuerlichen Rechte und Pflichten sind vom Verwalter zu erfüllen. 1 Vgl. Vallender, InVO 1999, 334 ff.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 50. Zu verschiedenen Fallkonstruktionen des Treuhänders vgl. Onusseit, ZInsO 2000, 363; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 57. 2 Vgl. BFH v. 10. 10. 1951 – IV 144/51W, BStBl. III 1951, 212; BFH v. 12. 11. 1992 – IV B 83/91, ZIP 1993, 374; Maus, Steuerliche Probleme im Insolvenzverfahren, S. 27; Tipke/ Kruse, AO (Stand 10/2006), § 34 Rz. 10; Onusseit, ZInsO 2000, 365; Maus, ZInsO 1999, 686. 3 Nach § 34 Abs. 3 AO gilt: Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder den gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Abs. 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 33 § 11
Für die Festsetzung der vor Insolvenzeröffnung oder nach Insolvenzeröffnung entstandenen Steuern hat er alle notwendigen Steuererklärungen abzugeben (§§ 137 ff. AO und §§ 149 ff. AO), Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten zu erfüllen (§ 140 ff. AO und § 22 UStG), bei der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken (§ 90 AO), Auskünfte zu erteilen (§ 93 AO), Urkunden vorzulegen (§ 97 AO) usw.1.
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b) Auskunftspflichten des Insolvenzverwalters und der Finanzverwaltung Der Insolvenzverwalter hat gegenüber der Finanzverwaltung einen umfassenden Auskunftsanspruch. Die Finanzverwaltung kann sich nicht unter Hinweis auf das Steuergeheimnis dieses Auskunftsanspruchs entziehen2. Er kann die ergangenen Steuerbescheide anfordern, die eingereichten Bilanzen, Klageschriften und den dazugehörigen Schriftverkehr. Eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung, Auskünfte zu erteilen oder zu verweigern, besteht nicht3. Die Finanzverwaltung kann auch die angeforderten Auskünfte nicht mit dem Hinweis, dass der Verwalter Anfechtungsansprüche geltend machen will, zurückhalten. Da anfechtbare Sachverhalte Auswirkungen auf die Bilanzen und damit die Besteuerung haben, gründet sich der Auskunftsanspruch auf steuerrechtliche Vorschriften. Der Insolvenzverwalter kann nach § 218 Abs. 2 AO einen Antrag auf Erteilung einer Abrechnungsberechnung stellen. Kommt das Finanzamt dem nicht nach, so steht der Finanzgerichtsweg offen4. Beabsichtigt der Insolvenzverwalter gegen die durch Steuerbescheid titulierte Forderung zur Insolvenztabelle den finanzgerichtlichen Weg einzuschlagen, so steht ihm bereits vor Aufnahme des Rechtsstreits als Rechtsnachfolger des Schuldners gemäß § 78 FGO das Akteneinsichtsrecht zu5.
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c) Steuererklärungspflichten für die Zeit vor Insolvenzeröffnung Nach heute allgemeiner Ansicht ist der Verwalter zur Abgabe von Steuererklärungen auch für die Zeit vor Insolvenzeröffnung verpflichtet, falls der Schuldner dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist6. § 34 Abs. 3 AO bestimmt, dass der Verwalter die Steuererklärungspflichten nur zu erfüllen hat, „soweit die Verwaltung reicht“. Die Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters betrifft zwar nicht den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung, aber da der Verwalter bei Insolvenzeröffnung die Geschäftsbücher in Besitz zu nehmen hat, verliert der Schuldner die Verfügungsgewalt darüber. Er kann folglich ab Insolvenzeröffnung für die Zeit davor keine Steuererklärungen mehr abgeben, so dass der Verwalter diese Pflicht übernehmen muss. 1 Vgl. BFH v. 10. 10. 1951 – IV 144/51W, BStBl. III 1951, 212; BGH v. 29. 5. 1979 – VI ZR 104/78, ZIP 1980, 25; Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 34 Rz. 35. 2 Vgl. Beck, ZIP 2006, S. 2009 ff. 3 Vgl. Beck, ZIP 2006, S. 2015. 4 Vgl. Beck, ZIP 2006, S. 2015; vgl. auch OFD Frankfurt v. 15.3.2001, DStR 2001, 1077. 5 Vgl. Onusseit, ZInsO-Dokumentation, 2006, 1088; BFH v. 13. 11. 2003 – VB 131/01, BFH/NV 2004, 642. 6 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 38 f.; Onusseit/Kunz, S. 8; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, S. 28.
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§ 11
Rz. 34
Steuerrechtliche Beratung
34
Der Schuldner verliert steuerrechtlich die Verwaltungsbefugnis über die Insolvenzmasse und ist daher nach § 79 AO nicht mehr in der Lage, Verfahrenshandlungen vorzunehmen, soweit sein Verwaltungsrecht insolvenzrechtlich eingeschränkt ist; er ist steuerrechtlich nicht handlungsfähig.
35
Die Anfertigung von Steuererklärungen für vorinsolvenzliche Zeiträume setzt allerdings oftmals die Aufarbeitung der handels- und steuerrechtlichen Buchführung vor Insolvenzeröffnung voraus. Die Vervollständigung einer mangelhaften Buchführung kann dem Verwalter allerdings nur im Rahmen des „ihm Zumutbaren“ auferlegt werden1. Sie ist dann aufzuarbeiten, wenn die Buchführung im Hinblick auf die steuerlichen Anforderungen noch in Ordnung gebracht werden kann. Was im Rahmen des Zumutbaren liegt, ist nach der Auffassung des BGH im Einzelfall zu entscheiden und hängt von Art und Umfang der Mängel der Buchführung ab. Sind die Mängel gravierend, so dürfte die Verpflichtung zur Aufarbeitung der Rechnungslegung und Abschlusserstellung entfallen, was soviel bedeutet, dass die Abgabe einer Steuererklärung für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung nicht erfüllt werden kann. Die Finanzämter werden in diesem Fall eine Schätzung des Gewinnes nach § 162 AO vornehmen. d) Berichtigung von falschen Steuererklärungen
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Der Insolvenzverwalter ist gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1, 2 AO auch verpflichtet, vom Schuldner bereits abgegebene Steuererklärungen für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung zu berichtigen, falls er deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit feststellt2. Der Insolvenzverwalter tritt in alle steuerlichen Pflichten ein, die der Schuldner vor Insolvenzeröffnung erfüllen musste. Wäre nach Insolvenzeröffnung aufgrund von § 153 AO der Schuldner zu einer Berichtigung der Steuererklärung verpflichtet, so trifft diese Pflicht den Verwalter. Die Verpflichtung zur Berichtigung trifft den Insolvenzverwalter jedoch nur bei positiver Kenntnis des Berichtigungsbedarfs. Kennen oder Kennenmüssen reicht hier nicht aus. Der Verwalter muss auch nicht berichtigungsnotwendige Vorgänge suchen3.
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Die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten gehört zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters. Er hat diese Verpflichtung selbständig zu erfüllen. Der Verwalter kann aber u.U. Hilfskräfte, z.B. einen Steuerberater oder einen Wirtschaftsprüfer beauftragen, seine steuerrechtlichen Aufgaben wahrzunehmen4. Die dadurch entstehenden Kosten sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO5 (zu deren Befriedigung vgl. § 6 Rz. 264 ff.).
1 So BGH v. 29. 5. 1979 – VI ZR 104/78, ZIP 1980, 25. 2 Vgl. Klasmeyer/Kübler, BB 1978, 371 f.; Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 34 Rz. 35; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 6 Rz. 46d; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 61. 3 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 61. 4 Vgl. Eickmann, Kübler/Prütting, InsVV, § 5 Rz. 24 ff. 5 Vgl. Kübler, Kübler/Prütting, InsO, § 155 Rz. 20; Eickmann, Kübler/Prütting, InsVV, § 5 Rz. 17 ff.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 42 § 11
e) Steuerrechtliche Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten des Insolvenzverwalters Die Verpflichtung des Verwalters zur steuerrechtlichen Buchführungspflicht ergibt sich aus §§ 140 ff. i.V.m. § 34 Abs. 3 AO. Ebenso wie der Verwalter die Steuererklärungspflichten wahrzunehmen hat, treffen ihn die steuerlichen Rechnungslegungspflichten1.
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Die Verpflichtung zur handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Buchführung ergibt sich bereits aus § 155 Abs. 1 der Insolvenzordnung. Hiernach bleiben die handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Buchführungspflichten auch in der Insolvenz bestehen und der Verwalter muss diese erfüllen. Er muss demnach auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung eine Eröffnungsbilanz und in Jahresabständen eine handelsrechtliche Bilanz aufstellen2.
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Für den Verwalter einer Kapitalgesellschaft oder Personenhandelsgesellschaft folgt aus § 140 AO, dass er die allgemeinen Buchführungspflichten nach handelsrechtlichen Grundsätzen, die gemäß § 5 EStG (und für Kapitalgesellschaften i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) maßgebend sind, erfüllen muss. Er muss demnach Jahresabschlüsse erstellen, die als Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung dienen. Er muss die während der Abwicklung entstehenden Gewinne und Verluste der aufgelösten Gesellschaft im Wege des Betriebsvermögensvergleichs nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln (§§ 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 1 EStG)3. Die Finanzbehörden können gemäß § 148 AO allerdings Erleichterungen bei den Aufzeichnungspflichten bewilligen, wenn die Einhaltung der durch die Steuergesetze begründeten Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten besondere Härten bedeuten würden und die Besteuerung durch die Erleichterungen nicht beeinträchtigt wird. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass trotz Buchführungspflicht gestattet wird, den Gewinn durch eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zu ermitteln.
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Der Verwalter kann gehalten sein, sich mit den Finanzbehörden zwecks Erleichterung der Buchführungspflichten in Verbindung zu setzen4. Insbesondere in massearmen Verfahren ist eine Klärung mit der zuständigen Finanzbehörde unbedingt erforderlich, inwiefern von den steuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten abgewichen werden kann, um Kosten für die Anfertigung der Buchführung, Abschlusserstellung und Steuererklärungen zu reduzieren.
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Neben den Aufzeichnungspflichten aus §§ 140 ff. AO hat der Verwalter weitere Aufzeichnungspflichten für Umsatzsteuerzwecke aus § 22 UStG, § 63 UStDV zu beachten.
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1 Vgl. BFH v. 8. 6. 1972 – IV R 129/66, BStBl. II 1972, 784; Kübler, Kübler/Prütting, InsO, § 155 Rz. 79. 2 Vgl. IDW Rechnungslegungshinweis: Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren; IDW Rechnungslegungshinweis: Rechnungslegungswerke zur Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren; IDW Rechnungslegungshinweis: Interne Rechnungslegung im Insolvenzverfahren. 3 Vgl. BFH v. 28. 1. 1992 – VIII R 28/90, DB 1992, 2010. 4 Vgl. BGH v. 29. 5. 1979 – VI ZR 104/78, ZIP 1980, 26.
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§ 11
Rz. 43
Steuerrechtliche Beratung
f) Steuererklärungspflichten für die Zeit des Insolvenzverfahrens Die Steuererklärungspflichten des Insolvenzverwalters verpflichten ihn für die Zeit ab Insolvenzeröffnung und reichen über die Dauer des Insolvenzverfahrens. Wird das Insolvenzverfahren rechtskräftig aufgehoben (§ 200 InsO) oder erfolgt eine Einstellung des Insolvenzverfahrens (§§ 207, 211, 212, 213 InsO), so erhält der Schuldner das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen. Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 80 InsO erlischt mit der Folge, dass er nicht mehr Vermögensverwalter i.S.v. § 34 AO ist. Die Abgabe von Steuererklärungen kann dann nicht mehr von ihm verlangt werden1. Die Befreiung von der Abgabe der Steuererklärung gilt aber nur für die Steuererklärungen, die nach Beendigung seines Amtes anfallen. Etwas anderes gilt für diejenigen Steuererklärungen, die die Zeit der Verwaltung treffen, die jedoch bei Beendigung des Insolvenzverfahrens noch nicht abgegeben wurden. Die Beendigung des Amtes als Insolvenzverwalter befreit ihn nach § 36 AO von der Erfüllung dieser Pflichten nicht2. aa) Steuererklärungspflichten für Kapitalgesellschaften (1) Körperschaftsteuererklärung 43
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt keine Änderung in der Steuerpflicht der Kapitalgesellschaft ein. Die Insolvenzeröffnung hat nur die Auflösung der Kapitalgesellschaft gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG zur Folge und setzt den Auflösungsprozess in Gang. Steuerpflichtig bleibt der Schuldner. Die Körperschaftsteuerpflicht der Kapitalgesellschaft endet nicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern erst mit dem Ende des letzten dreijährigen Besteuerungszeitraumes im Insolvenzverfahren (§ 11 Abs. 1 KStG) (vgl. auch Rz. 164 ff.).
44
Die Kapitalgesellschaft ist folglich während des gesamten Insolvenzverfahrens steuerpflichtig, unabhängig davon, ob das insolvente Unternehmen sofort zerschlagen oder zunächst fortgeführt wird. Der Insolvenzverwalter ist zur Abgabe der Körperschaftsteuererklärungen verpflichtet3. (2) Gewerbesteuererklärung
45
Die Insolvenzeröffnung berührt die Gewerbesteuerpflicht der Kapitalgesellschaft nicht (§ 4 Abs. 2 GewStDV). Die Kapitalgesellschaft bleibt kraft Rechtsform bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens gewerbesteuerpflichtig unabhängig davon, ob das Unternehmen in der Insolvenz zeitweilig fortgeführt oder sofort zerschlagen wird (Abschn. 22 Abs. 3 Satz 1 GewStR). Die Versilberung der Vermögensgegenstände im Insolvenzverfahren, d.h. die Aufdeckung stiller Reserven bei der Veräußerung des Vermögens einer Kapitalgesellschaft bleibt somit im Gegensatz zur Personengesellschaft (Abschn. 22 Abs. 1 Satz 8 GewStR) gewerbesteuerpflichtig (vgl. Rz. 177 ff.). 1 Vgl. BFH v. 8. 8. 1995 – VII R 25/94, ZIP 1996, 431. 2 Vgl. OFD Hannover v. 7. 2. 2001, UR 2001, 364, Tz. 13; Ebenso Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 40. 3 Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 297.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 50 § 11
Die Gewerbesteuerpflicht der Kapitalgesellschaft erlischt erst mit dem Aufhören jeglicher Tätigkeit überhaupt, also mit der Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger1. Solange die Kapitalgesellschaft noch Vermögen hat, das verteilt, verwaltet oder zurückbehalten wird, um Schulden zu begleichen, erlischt die Gewerbesteuerpflicht nicht2. Der Insolvenzverwalter ist zur Abgabe der Gewerbesteuererklärungen verpflichtet.
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(3) Umsatzsteuererklärung und sonstige Erklärungen Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat auf die Umsatzsteuerpflicht der Kapitalgesellschaft keinen Einfluss. Diese richtet sich ausschließlich danach, ob die Tatbestandsmerkmale des § 1a-c UStG erfüllt sind. Umsatzsteuerpflichtig sind sowohl die Umsätze, die der Verwalter durch die zeitweilige Betriebsfortführung erzielt, als auch die Umsätze bei der Versilberung der Insolvenzmasse an Dritte im Laufe des Verfahrens. Die Umsatzsteuerpflicht der Kapitalgesellschaft endet folglich erst, wenn das Insolvenzverfahren abgeschlossen ist und keine Umsätze mehr getätigt werden. Für den Zeitraum von Eröffnung bis zum Ende des Insolvenzverfahrens ist der Verwalter somit zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Jahresumsatzsteuererklärungen verpflichtet3.
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Ferner hat der Insolvenzverwalter die Erklärungen für die Lohnsteueranmeldung (§ 41a Abs. 1 EStG) und die Erklärung für die Kapitalertragsteueranmeldung (§ 45a Abs. 1 EStG) abzugeben.
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bb) Steuererklärungspflichten für Personenhandelsgesellschaften (1) Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung Die Frage, ob der Insolvenzverwalter einer Personenhandelsgesellschaft zur Abgabe der Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte nach §§ 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 181 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 4 AO verpflichtet ist, war lange streitig4. Auch die Rechtsprechung war geteilt5.
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Mit dem BFH-Urteil vom 23. 8. 1994 ist die Frage für die Rechtsprechung allerdings als ablehnend geklärt6. Hiernach gehört die einheitliche Gewinnfeststellung zu den insolvenzfreien Angelegenheiten der Gesellschaft, da ihre Folgen nicht diese, sondern die Gesellschafter persönlich berühren. Weil das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters sich aber nicht auf insol-
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1 Vgl. RFH v. 5. 9. 1939, RStBl. 1939, 1014. 2 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 167. Eine Ausnahme besteht allerdings darin, dass die Gewerbesteuerpflicht dann erlischt, wenn nur noch Vermögen zurückbehalten wird, um die letzte Gewerbesteuerschuld zu begleichen; vgl. RFH v. 5. 3. 1940, RStBl. 1940, 476. 3 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 37. 4 Dafür Klasmeyer/Kübler, BB 1978, 372; dagegen: Kilger/K. Schmidt, KO § 6 Anm. 5a; Kuhn/Uhlenbruck, § 6 Rz. 46k; Onusseit, ZIP 1995, 1799 ff. 5 Dafür: BFH v. 8. 6. 1972 – IV R 129/66, BStBl. II 1972, 784; dagegen: BFH v. 13. 7. 1967 – IV 191/63, BStBl. II. 1967, 790; BFH v. 27. 9. 1979 – IV R 131/74, ZIP 1980, 53; offen gelassen: BFH v. 12. 11. 1992 – IV B 83/91, ZIP 1993, 374. 6 Vgl. BFH v. 23. 8. 1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff. Auch BGH v. 2. 4. 1998, ZIP 1998, 1076; so auch Onusseit, ZIP 1995, 1801.
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§ 11
Rz. 51
Steuerrechtliche Beratung
venzfreie Angelegenheiten der Gesellschaft beziehe, sei er auch nicht zur Abgabe der Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung verpflichtet. Dies sei vielmehr Sache der nach Liquidationsrecht vertretungsberechtigten Liquidatoren, regelmäßig also der Gesellschafter nach §§ 145, 146 evtl. i.V.m. § 162 Abs. 2 HGB. (2) Gewerbesteuererklärung 51
Bei einer Personenhandelsgesellschaft berührt die Insolvenzeröffnung die Gewerbesteuerpflicht nicht (§ 4 Abs. 2 GewStDV). Während des Insolvenzverfahrens kann die Gewerbesteuerpflicht der Personenhandelsgesellschaft allerdings erlöschen, wenn der Gewerbebetrieb eingestellt wird und nur noch die Abwicklung durch den Verwalter betrieben wird. Solange allerdings das Unternehmen in einem kontinuierlichen Schrumpfungsprozess abgewickelt wird, z.B. Waren weiter produziert oder an- und verkauft werden, ist damit keine Einstellung des Gewerbebetriebs verbunden. Insbesondere wenn das Unternehmen auf Beschluss der Gläubiger nach § 157 InsO in der Insolvenz zeitweilig fortgeführt wird, bleibt die Gewerbesteuerpflicht erhalten (vgl. Rz. 177 ff.)1.
52
In einem Sonderfall ist die Personenhandelsgesellschaft mit der Insolvenzeröffnung nicht mehr gewerbesteuerpflichtig, wenn der Insolvenzverwalter das Unternehmen sofort nach Insolvenzeröffnung zerschlägt, also nur noch die Versilberung des Vermögens und die Einziehung rückständiger Forderungen betreibt2. Die Aufdeckung stiller Reserven bei der Veräußerung des Vermögens ist bei einer Personenhandelsgesellschaft – im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften – nicht mehr gewerbesteuerpflichtig.
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Der Insolvenzverwalter ist gemäß § 14a Satz 2 GewStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG, § 34 Abs. 3 AO zur jährlichen Abgabe der Gewerbesteuererklärung verpflichtet3. Dass er nicht verpflichtet ist, die Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung abzugeben, nutzt hinsichtlich der einheitlichen Gewinnfeststellung wenig. Da er verpflichtet ist, die Gewerbesteuererklärung abzugeben, muss er ohnehin den Gewinn für den Steuermessbetrag (§ 11 GewStG) nach dem Gewerbeertrag ermitteln und eine Gewinnfeststellung vornehmen4. (3) Umsatzsteuererklärung und sonstige Erklärungen
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Hinsichtlich der Umsatzsteuererklärungen und sonstigen Erklärungen gilt das Gleiche wie für Kapitalgesellschaften. cc) Steuererklärungspflichten für natürliche Personen
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Der Insolvenzverwalter ist in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person verpflichtet, soweit die Einkünfte die Insolvenzmasse 1 Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 6 Rz. 48 f. 2 Vgl. RFH v. 29. 6. 1938, RStBl. 1938, 910; RFH v. 24. 8. 1938, RStBl. 1938, 911; RFH v. 19. 3. 1941, RStBl. 1941, 383; Abschn. 22 Abs. 1 Satz 8 GewStR. 3 Vgl. BFH v. 12. 11. 1992 – IV B 83/91, BStBl. II 1993, 265; BFH v. 23. 8. 1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 196. 4 Vgl. Onusseit, ZIP 1995, 1802.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 58 § 11
betreffen, Einkommensteuererklärungen abzugeben1. Soweit allerdings ertragssteuerliche Besteuerungsgrundlagen insolvenzfreie Einkünfte oder insolvenzunabhängige Aufwendungen des Schuldners betreffen oder dem von der Insolvenz unbeteiligten Ehegatten zuzurechnen sind, ist der Insolvenzverwalter nicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung über diese Einkünfte befugt und verpflichtet. Insolvenzschuldner, Ehegatte und Insolvenzverwalter brauchen nicht zusammenzuwirken. Es ist ausreichend, wenn beide Parteien dem Finanzamt unabhängig voneinander die Besteuerungsgrundlagen mitteilen. Das Finanzamt muss dann die Teilerklärung zu Veranlagungszwecken zusammenfügen2. In der Praxis stimmt der Insolvenzverwalter sich jedoch in der Regel mit dem Insolvenzschuldner oder dessen Ehegatten ab. Dies hat den Vorteil, dass Einkünfte nicht unbeabsichtigt doppelt erklärt werden und eine klare Abgrenzung gefunden werden kann. g) Steuererklärungspflichten des Insolvenzverwalters bei Massearmut Für den Insolvenzverwalter stellt sich in einem massearmen Verfahren stets die Frage, ob er die steuerrechtlichen Rechnungslegungspflichten überhaupt, teilweise oder in vollem Umfang beachten muss, ob er Steuererklärungen abgeben muss und ob er, wenn keine ausreichende Masse zur Bezahlung eines Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers für die Anfertigung der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung vorhanden ist, diese Pflichten selbst erfüllen muss.
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Der BFH hat in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1994 und 1995 zu den steuerlichen Pflichten des Insolvenzverwalters bei Massearmut ausgeführt, dass der Verwalter zur Abgabe der Gewerbesteuer- und Vermögensteuererklärung auf Anforderung des Finanzamtes verpflichtet sei, auch wenn er geltend macht, dass die Insolvenzmasse die Kosten für die Erstellung der Erklärungen durch einen Steuerberater nicht hergibt3.
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Das Kostenargument entbinde den Verwalter nicht von der Wahrnehmung seiner öffentlich-rechtlichen Pflichten. Die Steuererklärungspflicht diene der ordnungsgemäßen Abwicklung des Besteuerungsverfahrens und nicht nur dem fiskalischen Interesse der Finanzverwaltung als Insolvenzgläubiger4.
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Der BFH hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass ein Verwalter mit der Qualifikation eines Rechtsanwalts selbst verpflichtet sei, die Steuererklärungen abzugeben, wenn die Masse nicht ausreicht, einen Steuerberater zu bezahlen. Begründet hat der BFH dies damit, dass der Rechtsanwalt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 StBG zur unbeschränkten Hilfestellung in Steuersachen befugt ist. Eingeschränkt hatte der BFH diese Verpflichtung nur für den Fall, wenn mit den Steuererklärungen umfangreiche Buchführungs- und Abschlussarbeiten verbunden sind5.
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1 Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 300. 2 Vgl. OFD Hannover, Verfügung v. 27. 1. 2003, StuB 2003, 431; ebenso Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 300. 3 Vgl. BFH v. 23. 8. 1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff.; BFH v. 8. 8. 1995 – VII R 25/94, ZIP 1996, 430 ff. 4 Vgl. BFH v. 23. 8. 1994 – VII 143/92, BStBl. II 1995, 196 f. 5 Vgl. BFH v. 23. 8. 1994 – VII 143/92, BStBl. II 1995, 197.
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§ 11
Rz. 59
Steuerrechtliche Beratung
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Nach der Auffassung des BFH ist nur in Ausnahmefällen eine andere Beurteilung denkbar. Die Erfüllung der Steuererklärungspflichten kann möglicherweise dann nicht mehr vom Insolvenzverwalter verlangt werden, wenn er wegen umfangreicher Buchführungs- und Abschlussarbeiten selbst nicht in der Lage ist, der ihm obliegenden Steuererklärungspflicht nachzukommen und ein vom Insolvenzverwalter beauftragter Steuerberater im Hinblick auf eine bekannt gegebene Masseunzulänglichkeit es ablehnt, für die Insolvenzmasse tätig zu werden1.
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Wird das Insolvenzverfahren gemäß § 207 InsO mangels Masse eingestellt oder steht die Einstellung kurz bevor (drohende Einstellung des Verfahrens) besteht für den Verwalter keine Pflicht zur Beauftragung des Steuerberaters, da dieser mit seinem Honorar ausfallen würde. Die Steuererklärungspflichten fallen nach Auffassung des BFH ex nunc weg2.
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Unzweifelhaft ist, dass der Verwalter als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO die steuerlichen Pflichten in der Insolvenz zu erfüllen hat. Nicht zutreffend ist allerdings, dass der Verwalter, wenn er Rechtsanwalt ist – obwohl zur unbeschränkten Hilfestellung in Steuersachen befugt – damit gleichfalls die Qualifikation besitzt, Steuererklärungen selbst anzufertigen3.
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Der BFH hat in einem Urteil vom 7. 3. 1995, das sich mit der berufsrechtlichen Qualifikation eines Steuerberaters befasst, entschieden, dass ein Rechtsanwalt trotz seiner Befugnis zur unbeschränkten Hilfestellung in Steuersachen nicht die Voraussetzungen erfüllt, um gemäß § 36 StBG zur Steuerberaterprüfung zugelassen zu werden. So führte der BFH aus: „Die Anwaltstätigkeit deckt nicht den Kernbereich der Berufstätigkeit des späteren Steuerberaters ab. Die durch die Anwaltstätigkeit erworbenen Kenntnisse ersetzen nicht die geforderte praktische Vorbildung, auf dem Gebiet der von den Bundes- und Landesbehörden verwalteten Steuern tätig zu sein4.“ Ist ein Rechtsanwalt somit nicht kraft seiner Zulassung zur steuerberatenden Tätigkeit qualifiziert, kann er auch nicht in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter verpflichtet sein, Steuererklärungen höchstpersönlich zu erstellen.
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Nicht zutreffend ist ferner die Auffassung des BFH, dass die in der Insolvenz abzugebenden Steuererklärungen in „einfache“ – vom Verwalter höchstpersönlich zu erstellende – und „schwierige“ – vom Steuerberater zu erstellende – eingeteilt werden können. In der Insolvenz gibt es nämlich praktisch keine Steuererklärung, die als „einfach“ zu bezeichnen und für die ein steuerliches Sonderfachwissen nicht erforderlich wäre5.
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Zur Anfertigung einer Körperschaftsteuererklärung in der Insolvenz muss der Verwalter z.B. gemäß § 11 KStG das Abwicklungsanfangsvermögen und das Abwicklungsendvermögen bestimmen. Hierzu sind die steuerlichen Bewertungsvorschriften des §§ 5i.V.m. 6 ff. EStG zu beachten und Buchführungs1 2 3 4 5
Vgl. BFH v. 23. 8. 1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969. Vgl. BFH v. 8. 8. 1995 – VII R 25/94, ZIP 1996, 430. Ebenso ablehnend Onusseit, ZIP 1995, 1804. BFH v. 7. 3. 1995 – VII R 84/94, Stbg 1995, 354. Vgl. Onusseit, ZIP 1995, 1805.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 70 § 11
arbeiten in der Insolvenz durchzuführen. Eventuell ist eine nicht geordnete Buchführung aufzuarbeiten und der Abwicklungsgewinn zu berechnen. Von einer einfachen Steuererklärung kann hierbei nicht ausgegangen werden. Da der körperschaftsteuerliche Gewinn die Ausgangsgrundlage für den gewerbeertragsteuerlichen Gewinn darstellt, liegt auch bei der Gewerbesteuererklärung keine einfache Steuererklärung vor. Auch die Umsatzsteuervoranmeldungen und die Umsatzsteuerjahreserklärungen können, selbst wenn zu ihrer Abgabe im Einzelfall keine fundierten Kenntnisse des Umsatzsteuerrechts erforderlich sind, nicht als „einfach“ qualifiziert werden. Die Abgrenzung zwischen „einfach“ und „schwierig“ würde bereits umsatzsteuerliche Kenntnisse voraussetzen, die der durchschnittlich qualifizierte Verwalter, selbst wenn er Rechtsanwalt ist, nicht besitzt1.
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Nach verbreiteter Auffassung kann der Verwalter sämtliche Steuererklärungen in der Insolenz durch einen Steuerberater anfertigen lassen2.
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Ist der Verwalter selbst Steuerberater, so ist fraglich, ob er die Steuererklärungen anfertigen muss. Da der Verwalter als Steuerberater die Qualifikation hat, Steuererklärungen selbst abzugeben, kann er dafür eine gesonderte Vergütung verlangen. Genauso wie ein Rechtsanwalt für die Führung von Masseprozessen eine gesonderte Vergütung verlangen kann, muss die gesonderte Vergütung dem Insolvenzverwalter, der die Qualifikation des Steuerberaters besitzt, zugestanden werden3. Gibt das Verfahren eine gesonderte Vergütung nicht her, so besteht für ihn keine Pflicht, selbst tätig zu werden.
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Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt, aber steht schon vor Insolvenzeröffnung fest, dass die Kosten für einen Steuerberater für die Anfertigung der rückständigen Steuererklärungen vor Verfahrenseröffnung und der anfallenden Steuererklärungen nach Verfahrenseröffnung nicht beglichen werden können, so stellt sich die Frage, welche Empfehlung der vom Gericht eingesetzte Gutachter gegenüber dem Gericht aussprechen soll. Soll er eine Empfehlung für die Eröffnung abgeben oder anregen, die Verfahrenseröffnung mangels Masse abzulehnen?
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Richtigerweise muss das Gericht das Verfahren eröffnen, weil nach dem Gesetzeswortlaut eben nur auf die Verfahrenskosten i.S.v. § 54 InsO abzustellen ist4.
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Der dann vom Gericht eingesetzte Verwalter sollte allerdings sofort nach Verfahrenseröffnung die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO anzeigen. Nach öffentlich bekannt gemachter Masseunzulänglichkeit kann ein Steuerberater nicht mehr beauftragt werden, weil seine Vergütung ausfallen könnte. Auch ein steuerrechtlich versierter Insolvenzverwalter braucht selbst keine Er-
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So auch Eickmann, § 5 Rz. 26 f. Ebenso Onusseit, ZIP 1995, 1805. Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 85 Rz. 11, 14. Einen anderen Ansatz verfolgen Wienberg/Voigt, ZIP 1999, 1662 ff.: Nach ihrer Auffassung braucht das Insolvenzverfahren nicht eröffnet zu werden, wenn auch die Steuerberatungskosten nicht gedeckt sind, da aufgrund einer notwendigen verfassungskonformen Auslegung die Kosten für einen Steuerberater zur Erstellung der Steuererklärung Auslagen gemäß § 54 Nr. 2 InsO darstellen.
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§ 11
Rz. 71
Steuerrechtliche Beratung
klärungen abzugeben, da es sich in der Insolvenz stets um schwierige Steuererklärungen handelt. Die notwendigen Steuererklärungen können nicht abgegeben werden.
! Hinweis: 71
Um allerdings dem Argument des BFH, dass es sich bei den Steuerklärungen u.U. doch um einfache Erklärungen handelt und ein Rechtsanwalt aufgrund seiner Qualifikation diese erstellen muss, vorwegzugreifen, sollte der Verwalter argumentieren, dass zu Anfertigung der Steuererklärungen umfangreiche Aufarbeitungsarbeiten der Buchführung und Abschlussarbeiten erforderlich sind1. Für diesen Fall verzichtet auch der BFH auf die Abgabe der Steuererklärungen2.
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Umfangreiche Buchführungs- und Abschlussarbeiten werden i.d.R. immer dann erforderlich sein, wenn die Buchhaltung über mehrere Monate rückständig ist, die letzte Jahresbilanz schon längst überfällig ist und wenn es sich bei dem schuldnerischen Unternehmen um ein Unternehmen mit einem „chaotischen“ Rechnungswesen handelt. Dies wird in einer Vielzahl von massearmen Verfahren ohnehin der Fall sein3.
72a
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. 7. 2004 ein anderen Weg eingeschlagen4. Danach steht dem Insolvenzverwalter zur Erfüllung seiner Steuererklärungspflichten in massearmen Verfahren ein Anspruch auf Erstattung von Auslagen zu, wenn die Finanzverwaltung Steuererklärungen und Bilanzen vom Insolvenzverwalter einfordern. Der Insolvenzverwalter ist auch berechtigt, mit Erledigung der steuerlichen Tätigkeiten, die besondere Kenntnisse erfordern, oder umfangreich sind, mit der Erstellung der Steuererklärung einen Steuerberater zu beauftragen5. Nach der oben vertretenen Argumentation erfordert die Erstellung der Steuererklärung in der Insolvenz stets besondere Kenntnisse und haben auch den Umfang, sie durch einen Steuerberater erstellen zu lassen.
72b
Teilt der Insolvenzverwalter dem Fiskus die Masseunzulänglichkeit mit und besteht der Fiskus weiterhin auf die Abgabe der Steuererklärung, so können die Steuerberaterkosten als Auslagen der Staatskasse in Rechnung gestellt werden. Der Insolvenzverwalter kann sogar einen Vorschuss auf den Erstattungsanspruch aus der Staatskasse verlangen6.
72c
Ob der BGH-Beschluss das Problem letztendlich auch für die Praxis klärt, ist zur Zeit offen. Ein Großteil der Verwalter will den Aufwand, der mit der Geltendmachung der Auslagen gegenüber der Staatskasse verbunden ist, vermeiden. Zur Zeit ist die Praxis eher darum bemüht, mit der Finanzverwaltung eine Einigung hinsichtlich einer Schätzung nach § 162 AO zu erreichen. 1 Ebenso Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 63, 68. 2 BFH v. 23. 8. 1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 198. Nach der Auffassung des BFH entfällt die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen erst, wenn der Verwalter selbst nicht in der Lage ist, aufgrund von umfangreichen Buchführungsarbeiten die Erklärung anzufertigen. 3 Ebenso Wienberg/Voigt, ZIP 1999, 1664. 4 Vgl. BGH v. 22. 7. 2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1717. 5 Vgl. BGH v. 22. 7. 2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1718, LS 2. 6 Vgl. BGH v. 22. 7. 2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1718, LS 2.
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Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten
Rz. 78 § 11
5. Steuerabführungspflichten Ob der Insolvenzverwalter oder der vorläufige Insolvenzverwalter (mit oder ohne Verfügungsbefugnis) Steuern abzuführen hat, hängt von der Art der Steuerforderung, von seiner steuerlichen Stellung und vom insolvenzrechtlichen Rang der Steuerforderung ab.
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Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steuerforderungen sind Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO (vgl. Rz. 97 f.)1. Das gilt auch für Steuern, die auf den vorläufigen Insolvenzverwalter zurückgehen, dem die Verfügungsbefugnis nicht übertragen worden ist (schwacher Insolvenzverwalter)2 (zur Befriedigung einer einfachen Insolvenzforderung vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Die vom vorläufigen Insolvenzverwalter, dem die Verfügungsbefugnis übertragen wurde (starker vorläufiger Verwalter), begründeten Steuerforderungen gelten nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 2 InsO (vgl. § 264 ff.).
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Steuern, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden, sind als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen, wenn sie durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Masse begründet werden.
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Damit sind sämtliche Steuern, die vor Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens begründet wurden, als einfache Insolvenzforderung ausschließlich im Rahmen der Verteilung nach § 197 ff. InsO durch den Verwalter zu befriedigen. Den Insolvenzverwalter trifft keine Steuerabführungspflicht. Dies gilt sowohl für die Umsatzsteuer, die Lohnsteuer und sämtliche Ertragsteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer).
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Von einem vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsmacht (schwacher Verwalter) begründete Steuerforderungen sind gleichfalls als einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO einzustufen und nur im Verteilungsverfahren zu berücksichtigen. Für die vom vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsmacht ausgeführten steuerbaren Lieferungen und Leistungen muss er zwar Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben, aber die Umsatzsteuer nicht abführen. Sie ist eine einfache Insolvenzforderung3. Der vorläufige Insolvenzverwalter erhöht mit den von ihm getätigten Umsätzen bis zur Insolvenzeröffnung die freie Masse, da der Umsatz brutto für netto vereinnahmt werden kann. Das Gleiche gilt für sämtliche Ertragsteuern.
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Nach herrschender Auffassung bestehen für die vom vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis (starker Verwalter) begründeten Steuern bis zur Insolvenzeröffnung auch die Pflicht zur Abführung4. Führt der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis steuerbare Lieferungen und Leistungen aus, muss er hierfür die Umsatzsteuervoranmeldung abgeben und die Umsatzsteuer bezahlen.
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Zum Begründetsein von Steuerforderungen vgl. IV. Rz. 89 ff. Vgl. Onusseit, ZInsO 2000, 367. Vgl. Onusseit, ZInsO 2000, 367; Maus, ZInsO 1999, 685. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, 44 ff.; Maus, ZInsO 1999, 684; a. A. Onusseit, ZInsO 2000, 685.
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§ 11 79
Rz. 79
Steuerrechtliche Beratung
Vom Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren zu Lasten der Insolvenzmasse begründete Steueransprüche sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Für diese Steuern trifft den Verwalter in vollem Umfang die Steuerabführungspflicht. Bei Massearmut richtet sich die Befriedigung der Steuermasseverbindlichkeiten nach den §§ 207 ff. InsO i.V.m. § 251 Abs. 2 AO.
6. Steuerrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters 80
Den Insolvenzverwalter trifft sowohl die abgabenrechtliche Haftung nach § 69 AO als auch die insolvenzrechtliche Haftung nach §§ 60, 61 InsO.
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Die Abgrenzung der steuerlichen von der insolvenzrechtlichen Haftung erfolgt danach, ob der Insolvenzverwalter eine spezifische steuerrechtliche Pflicht verletzt hat (Haftung nach § 69 AO) oder spezifische insolvenzrechtliche Pflichten vernachlässigt hat (Haftung nach § 60 InsO)1.
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Die steuerrechtliche Haftung entsteht, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsmacht oder der Insolvenzverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) vorsätzlich oder grob fahrlässig Pflichten verletzt und dadurch Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund bezahlt werden2.
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Die Haftung setzt damit immer eine steuerliche Pflichtverletzung voraus. Pflichtverletzungen liegen vor, wenn der Verwalter seine Mitwirkungs- und Leistungspflichten im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren, Aufzeichnungs-, Buchführungs-, Steuererklärungs-, Anzeige-, Auskunfts- und Vorlagepflichten, Einbehaltungs-, Abführungs- und Zahlungspflichten verletzt. Durch die Verletzung der Pflichten des Verwalters muss ein Haftungsschaden entstanden sein, z.B. indem die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht festgesetzt werden konnten.
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Weiterhin muss die Pflichtverletzung des Verwalters schuldhaft sein. Er muss vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Pflichten verletzt haben. Für die insolvenzrechtliche Haftung gemäß § 60 InsO reicht eine leichte Fahrlässigkeit aus. Für die steuerrechtliche Haftung ist vorsätzliches Handelns bzw. grobe Fahrlässigkeit erforderlich. Typische steuerrechtliche Pflichtverletzungen, die die Haftung nach § 69 AO auslösen, sind z.B.: –
Verletzung der Pflicht zur Entrichtung der Umsatzsteuer, die nach Insolvenzeröffnung begründet wurde
–
Verletzung der Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung oder Jahreserklärung, das heißt, bereits die verspätete Abgabe der Erklärung löst die Pflichtverletzung aus
1 Vgl. BGH v. 1. 12. 1998 – IX ZR 198/85, BGHZ 105, 134; BFH v. 17. 10. 1957 – V 167/55 U, BStBl. III 1957, 453; Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 69 Rz. 61. 2 Zur Frage der Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Steuerschulden, die vor Insolvenzantrag entstanden und nicht bezahlt wurden, da anfechtbar (§ 129 ff. InsO) vgl. Nacke, DB 2006, 1182 ff.
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Eingruppierung d. Steuerforderung in d. insolvenzrechtl. System
Rz. 89 § 11
–
Pflichtverletzung durch Erteilung einer Rechnung nach § 14c Abs. 2 UStG, das heißt, wenn der Insolvenzverwalter in Kenntnis der Masseunzulänglichkeit einem anderen eine Rechnung mit offenem Umsatzsteuerausweis erteilt, ohne hierzu berechtigt zu sein.
–
Pflichtverletzung durch Ausübung der Umsatzsteueroption (§ 9 UStG).
–
Der Verwalter haftet nach der BFH-Rechtsprechung für nicht entrichtete Umsatzsteuer, die entsteht, wenn er nach § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 a) UStG bei der Verwertung von Massegrundstücken in Kenntnis des Umstandes verzichtet, die dann anfallende Umsatzsteuer nicht zahlen zu können1
–
Haftung für Lohnsteuer nach § 42d EStG. Der Verwalter haftet für die Nichtabführung, Nichteinbehaltung oder Nichtanmeldung der auf weiterbeschäftigte Arbeitnehmer entfallenden Lohnsteuer.
Die Haftungsschuld nach § 69 AO ist durch Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 AO geltend zu machen2.
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Die insolvenzrechtliche Haftung trifft den Insolvenzverwalter, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO auferlegt werden. Er haftet bereits dann, wenn er die Sorgfalt eines ordentlichen Insolvenzverwalters durch leichte Fahrlässigkeit verletzt (§ 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). Pflichtverletzungen liegen gemäß § 60 InsO z.B. vor, wenn er Aus- und Absonderungsrechte unzutreffend anerkennt oder Vermögensgegenstände nicht zur Masse zieht oder unter Wert verkauft oder einen Verlustvortrag nicht geltend macht, weil er seine steuerliche Buchführungspflichten zur Aufarbeitung der Jahresabschlüsse nicht erfüllt hat3 (vgl. hierzu ausführlich § 6 Rz. 206 ff.).
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Der Insolvenzverwalter haftet gemäß § 61 InsO, wenn er eine von ihm begründete Masseverbindlichkeit nicht erfüllen kann. Eine Haftung scheidet aus, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde (vgl. § 6 Rz. 215 ff.).
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Die Haftung nach § 60, 61 InsO kann nicht durch Haftungsbescheid (§ 191 AO) geltend gemacht werden, sondern nur durch Klage im Zivilrechtsweg.
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IV. Eingruppierung der Steuerforderung in das System der Insolvenzordnung Ob ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) oder als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) geltend 1 Vgl. BFH v. 28. 11. 2002 – VII R 41/01, BStBl. II 2003, 337. Zu dem Komplex vgl. Onusseit, ZinsO Dokumentation, ZinsO 2006, 1086. 2 Zur Haftung des Geschäftsführers/Vertreters nach § 69 AO, d. h. zum „Grundsatz der anteiligen Tilgung“ für z. B. die vor Insolvenzantrag entstandene Umsatzsteuer vgl. Kapischke, NWB 2005, Fach 2, S. 8847 ff. 3 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 192 ff.; Onusseit, ZInsO 2000, 368 f.; Maus, ZInsO 99, 687; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, S. 32 ff.
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§ 11
Rz. 90
Steuerrechtliche Beratung
gemacht werden kann, hängt von der Einordnung der zugrunde liegenden Steuerforderung ab (zu dieser Abgrenzung vgl. auch § 6 Rz. 263)1. 90
Sofern eine Steuerforderung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im Sinne von § 38 InsO begründet ist, unterliegt sie den Beschränkungen des Insolvenz rechtes (§ 87 InsO). Der Steuergläubiger hat die Forderung nach § 174 ff. i.V.m. § 251 Abs. 3 AO als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden (zur Anmeldung vgl. § 6 Rz. 281 ff.).
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Eine nach Insolvenzeröffnung begründete Steuerforderung zählt zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Diese sind nach § 53 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen und vom Massegläubiger, d.h. von der Finanzbehörde durch einen an den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid festzusetzen.
1. Die Steuerforderung als Insolvenzforderung a) Unterbrechungswirkung im Steuerverfahren 92
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung. Dies gilt auch für Steuerforderungen. Gemäß § 89 InsO dürfen Insolvenzgläubiger während des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Insolvenzschuldners vollstrecken. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden sämtliche Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 249 ff. AO einschließlich der Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 234 AO gegenüber dem insolventen Steuerpflichtigen unzulässig2.
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Nach h.M. wird ebenso mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Steuerfestsetzungsverfahren unterbrochen in Analogie zu § 240 ZPO3. Ferner werden in Analogie zu § 240 ZPO das Rechtsbehelfsverfahren und die Rechtsbehelfsfristen unterbrochen. Ebenso werden rechtsanhängige Finanzgerichtsverfahren und Klagefristen unterbrochen (§ 155 FGO, § 240 ZPO). Die Unterbrechungwirkung wirkt sowohl gegen den Insolvenzverwalter als auch gegen den Steuerschuldner.
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Durch die Unterbrechungswirkung dürfen Steuerbescheide, Einspruchsentscheidungen oder Änderungsbescheide gemäß §§ 164, 172 ff. AO zu Ungunsten des Insolvenzschuldners nicht ergehen. Sie müssen von der Finanzbehörde mittels Anmeldung zur Insolvenztabelle verfolgt werden4. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden das Steuerfeststellungsverfahren (§§ 179 ff. AO) und das Steuerermittlungsverfahren (§§ 88 ff., 93 ff. AO) jedoch nicht unterbrochen. 1 Vgl. Zur Behandlung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Insolvenzverfahren vgl. BMF v. 17. 12. 1998, BStBl. III 1998, 1500 ff. 2 Vgl. BFH v. 25. 3. 1993 – IX ZR 164/92, ZIP 1993, 687. 3 Vgl. BFH v. 2. 7. 1997 – I R 11/97, BStBl. 1998, 428; Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 42. 4 Vgl. BMF v. 17. 12. 1998, BStBl. I 1998, 1500 ff., Tz. 3, zuletzt geändert durch BMF v. 3. 7. 2000, BStBl. I 2000, 1117.
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Eingruppierung d. Steuerforderung in d. insolvenzrechtl. System
Rz. 99 § 11
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat auch Auswirkungen auf Vollstreckungshandlungen. Hat das Finanzamt im letzten Monat vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens Vollstreckungen durchgeführt, so sind diese unwirksam (Rückschlagsperre) gemäß § 88 InsO. Dies gilt auch für Sicherheiten, die durch Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen erlangt worden sind1.
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Adressat der Feststellungsbescheide nach Insolvenzeröffnung ist der Insolvenzverwalter. Vor Insolvenzeröffnung bleibt der Schuldner Adressat des Steuerbescheides, es sei denn, das Gericht hat einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) eingesetzt2. Im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Personengesellschaft sind die ggf. festgesetzten Gewinnfeststellungsbescheide i.S.d. §§ 179 Abs. 2 Satz 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO, jedem Gesellschafter zuzustellen3.
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b) Eingruppierung der Steuerforderung Gemäß § 38 InsO dient die Insolvenzmasse der Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Für die Eingruppierung der Steuerforderung ist damit der Zeitpunkt des Begründetseins des Steueranspruchs von Bedeutung.
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„Begründetsein“ i.S.d. § 38 InsO ist ein eigenständiger insolvenzrechtlicher Begriff, der nicht mit den abgabenrechtlichen Begriffen „Entstehung“ bzw. „Fälligkeit“ identisch ist. Damit ist sowohl das Entstehen der Steuerforderung als auch die Fälligkeit des Anspruchs nicht von Bedeutung4.
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Nach der h.M. sind Steuerforderungen im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründet, wenn der Rechtsgrund ihrer Entstehung im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war5. Rechtsgrund für die Entstehung der Forderung ist der sie begründete Tatbestand. Ist der Tatbestand verwirklicht (z.B. eine umsatzsteuerbare Leistung wurde erbracht), so ist die Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO begründet, obwohl die Steuerforderung steuerrechtlich noch nicht entstanden sein muss (die Umsatzsteuerforderung entsteht erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums). Eine Forderung kann damit insolvenzrechtlich bereits begründet sein, wenn zum Zeitpunkt für die steuerrechtliche Tatbestandsverwirklichung noch der Eintritt eines künftigen Ereignisses (z.B. Ablauf des Voranmeldungszeitraums) notwendig ist6.
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1 Vgl. BFH v. 12. 4. 2005, BB 2005, 1488. 2 Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 47; Bungart in Krämer, Handbuch zur Insolvenz, Fach 5, Kapitel 1, Rz. 49. 3 Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 47; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 104 ff. 4 Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 50; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 53. 5 Zum Konkursrecht: vgl. BFH v. 17. 12. 1998 – VII R 47/98, BStBl. II 1999, 423 f. Zum Insolvenzrecht: vgl. BMF v. 17. 12. 1998, BStBl. I, 1500, Tz. 4.2.; Onusseit/Kunz, Steuern in der Insolvenz, 3. Aufl. 1994, S. 81. 6 Vgl. BFH v. 21. 9. 1993 – VII R 119/91, BStBl. II 1994, 83.
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§ 11
Rz. 100
Steuerrechtliche Beratung
100
Hieraus ist zu folgern, dass für jeden Steueranspruch und jede Steuerart das Begründetsein gesondert zu prüfen ist. Wurde die Steuerforderung vor Insolvenzeröffnung begründet, so stellt sie eine (einfache) Insolvenzforderung dar.
100a
Das „Begründetsein“ von Steuerforderungen, insbesondere bei der Umsatzsteuer, ist nach der Rechtsprechung des BFH uneinheitlich1. Der siebte Senat des BFH vertritt die Auffassung, dass die Umsatzsteuerforderung dann begründet ist, wenn die zivilrechtlichen Grundlagen für die Entstehung des materiellrechtlichen Steueranspruchs gelegt sind2. Eine Vollrechtsentstehung im steuerrechtlichen Sinne ist nicht notwendig. Es ist vollkommen ausreichend, wenn die maßgebenden Tatbestandsmerkmale, d.h. z.B. die Lieferung des Vermögensgegenstandes, erfolgt ist, ohne dass die Rechnung bereits gelegt wurde.
100b
Hingegen vertritt der zehnte Senat des BFH die Auffassung, dass der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vollständigt verwirklicht, also abgeschlossen sein muss3. Hiernach muss also nicht nur die Lieferung abgeschlossen sein, sondern auch die Rechnung erteilt sein.
100c
Nach der Auffassung des BFH werden Einkommensteuerforderungen, d.h. die Einkommensteuerschuld insolvenzrechtlich dann begründet, wenn im Laufe des Veranlagungszeitraums die einzelnen für die Höhe des Jahreseinkommens maßgebenden Besteuerungsmerkmale erfüllt sind4. Das Besteuerungsmerkmal ist also dann erfüllt, wenn der Vorgang der Einkünfteerzielung abgeschlossen ist (z.B. Mieteinnahme für den Monat November per Ende November). Ggf. ist die Einkommensteuerschuld zeitanteilig aufzuteilen, wenn die Insolvenzeröffnung innerhalb eines Jahres oder auch innerhalb eines Monats fällt. c) Anmeldung der Steuerforderung
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Soweit Steuerforderungen Insolvenzforderungen sind, müssen sie nach Verfahrenseröffnung zur Tabelle angemeldet werden, und zwar schriftlich beim Insolvenzverwalter (§§ 174 ff. InsO). Ist Eigenverwaltung angeordnet (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO), erfolgt die Anmeldung beim Sachwalter (§ 270 Abs. 3 Satz 1 InsO) und im Verbraucherinsolvenzverfahren beim Treuhänder (§§ 313 Abs. 1 Satz 1, 174 Abs. 1 Satz 1 InsO). (Zum Sachwalter vgl. § 13 Rz. 469 ff., und zum Treuhänder vgl. § 16 Rz. 381 ff.)
102
In der Anmeldung sind nach § 174 Abs. 1 Satz 2 InsO die Angabe des Grundes und des Betrages der Forderung kenntlich zu machen. Die Anmeldung muss deshalb z.B. bei der Einkommensteuer die Einkünfte, die Errechnung des Einkommens und das zu versteuernde Einkommen, bei der Umsatzsteuer die Höhe der Umsätze, die Steuersätze und die Vorsteuern enthalten5. 1 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 12 ff. 2 Vgl. BFH v. 21. 9. 1993 – VII R 68/92, ZIP 1993, 1892; BFH v. 17. 12. 1998 – VII R 47/98, ZIP 1999, 714. 3 Vgl. BFH v. 13. 11. 1986 – V R 59/79, ZIP 1987, 119. 4 Vgl. BFH v. 11. 11. 1993 – XI R 73/92, ZIP 1994, 1286. 5 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 53 ff.; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren 2004, S. 11 ff.
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Eingruppierung d. Steuerforderung in d. insolvenzrechtl. System
Rz. 107 § 11
Der Insolvenzverwalter muss die angemeldete Steuerforderung gemäß § 175 InsO in die Insolvenztabelle eintragen. Im Anschluss daran hat der Insolvenzverwalter die Steuerforderung zu prüfen. In dem vom Gericht eingesetzten Prüfungstermin (§ 176 InsO) werden die Steuerforderungen nach ihrem Rang und Betrag festgestellt.
103
Im Prüfungstermin können die Forderungen ohne Widerspruch festgestellt werden (§ 178 InsO) oder vorläufig vom Verwalter bestritten werden1 (zum Prüfungstermin vgl. § 6 Rz. 287 ff.).
104
2. Die Steuerforderung als Masseverbindlichkeit Zu den Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 InsO gehören diejenigen Steuerforderungen, die nach Insolvenzeröffnung begründet werden. Nach zutreffender allgemeiner Auffassung lassen sich Steuerforderungen insbesondere unter dem Tatbestand der Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. InsO subsumieren2. Masseverbindlichkeiten können auch aus gegenseitigen Verträgen gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO begründet werden3. Wählt der Verwalter beispielsweise bei gegenseitigen Verträgen gemäß § 103 Abs. 1 InsO die Erfüllung, dann begründet er für dieses Erfüllungsverlangen z.B. bei der Lieferung von Gegenständen eine Umsatzsteuerschuld, die als Masseschuld gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO einzustufen ist.
105
Als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. Nr. 1, 2. Alt. InsO, kommen insbesondere in Betracht:
106
–
Umsatzsteuerforderung z.B., wenn der Insolvenzverwalter den Schuldnerbetrieb fortführt oder Massegegenstände verwertet,
–
Lohnsteuer z.B., wenn der Insolvenzverwalter den schuldnerischen Betrieb fortführt und Arbeitsverhältnisse aufrecht erhält,
–
Einkommensteuer/Körperschaftsteuer die sich ergibt, durch die Fortführung des schuldnerischen Betriebes und der Verwertung von Vermögen, soweit eine Verlustverrechnung nicht erfolgen kann,
–
Gewerbesteuer, die sich z.B. durch die Fortführung des schuldnerischen Betriebes ergibt, soweit eine Verlustverrechnung nicht erfolgen kann.
Gemäß § 53 InsO sind die Steuerforderungen, die als Masseverbindlichkeiten zu bewerten sind, vorweg zu berichtigen. Die Forderungen nehmen am insolvenzrechtlichen Verteilungsverfahren nicht teil. Der Verwalter hat die Ansprüche vor allen anderen Forderungen zu begleichen.
1 Zur Forderungsfeststellung im Widerspruchsverfahren und im Feststellungsverfahren vgl. Bungart, Krämer, Handbuch zur Insolvenz, Fach 5, Kap. 1 Rz. 74 ff.; vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2004, S. 254 ff. 2 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 65 f., Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 107; BFH v. 7. 4. 2005 – V R 5/04, BStBl. II 2005, 848. 3 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 30.
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107
§ 11
Rz. 108
Steuerrechtliche Beratung
108
Bestehen Steuerforderungen im masseunzulänglichem Verfahren, sind nachfolgende Besonderheiten zu beachten. Stellt sich nach Insolvenzeröffnung heraus, dass die Verfahrenskosten gemäß § 54 InsO nicht gedeckt sind und wird auch kein ausreichender Verfahrenskostenvorschuss geleistet, so stellt das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren gemäß § 207 InsO ein (Fall der Masselosigkeit).
109
Mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens erhält der Insolvenzschuldner das Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse zurück (§ 215 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die Finanzbehörde muss nunmehr ihre Steuerforderung wiederum gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend machen (§§ 201, 202, 215 Abs. 2 Satz 2 InsO).
110
Stellt sich nach Insolvenzeröffnung heraus, dass eine Masseunzulänglichkeit vorliegt (die Verfahrenskosten sind gedeckt, die sonstigen Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO können nur anteilig befriedigt werden), so erfolgt die weitere Verfahrensabwicklung gemäß §§ 208 ff. InsO. Der Verwalter muss die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO anzeigen. Der Verwalter ist weiterhin gemäß § 208 Abs. 3 InsO verpflichtet, die Masse zu verwalten und zu verwerten. Die Verteilung der Masse richtet sich nach § 209 InsO.
111
Hierbei sind die neuen Masseverbindlichkeiten – Steuerforderungen, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurden – vor den Altmasseverbindlichkeiten – Steuerforderungen, die vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurden – vorweg zu bedienen (§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO).
112
Die Finanzbehörde kann deshalb Steuerforderungen, die auf Neumasseschulden beruhen, im Erhebungs- und Festsetzungsverfahren geltend machen und uneingeschränkt in die Insolvenzmasse vollstrecken1. Etwas anderes gilt, falls sich herausstellen sollte, dass die Insolvenzmasse auch zur Verteilung auf die Neumasseverbindlichkeit nicht ausreicht und der Verwalter gehalten ist, ein weiteres Mal die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen bzw. diesen als Neumasseunzulänglichkeit zu bezeichnenden Zustand anderweitig geltend macht. In diesem Fall darf auch wegen der Steuerforderungen, die Neumasseverbindlichkeiten darstellen, nicht in die Insolvenzmasse vollstreckt werden.
113
Für die Altmasseverbindlichkeiten hat die Finanzbehörde die Steuerforderung bei dem Insolvenzverwalter als Masseforderung anzumelden. Anhängige Verfahren werden unterbrochen. Ansprüche auf Zahlung bestehen nicht mehr, Leistungsklagen werden in Feststellungsklagen umgewandelt. Gleichzeitig greifen die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsvorschriften der §§ 94 ff. InsO.
3. Steuerforderungen/Masseverbindlichkeiten bei Neuerwerb 113a
Gemäß § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren nicht nur das Vermögen, das dem Schuldner zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung gehörte, sondern auch dasjenige, was er während des Verfahrens erlangt (Neuerwerb). Aus der Zugehörigkeit des Neuerwerbs zur Insolvenzmasse entsteht das Problem, dass die durch den Neuerwerb begründeten Steuern Masseverbindlichkeiten gemäß 1 Vgl. Bungart in Krämer, Handbuch zur Insolvenz, Fach 5, Kap. 1, Rz. 188 ff.
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Eingruppierung d. Steuerforderung in d. insolvenzrechtl. System
Rz. 115 § 11
§ 55 InsO sein können. Nimmt der Schuldner beispielsweise eine neue selbstständige Tätigkeit auf und meldet ein Kraftfahrzeug an, so entsteht Kraftfahrzeugsteuer, die u.U. als Masseverbindlichkeit zu werten ist. Nach überwiegender Literaturmeinung ist die Steuerforderung, die an den Neuerwerb des Insolvenzschuldners anknüpfen, keine Masseverbindlichkeit1. Nach der Auffassung des BGH gehören die Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, in vollem Umfang ohne Abzug für beruflich bedingte Ausgaben zur Insolvenzmasse2. Eine eindeutige Klärung ist damit aber nicht erfolgt.
113b
Der fünfte Senat des BFH geht in Bezug auf die Einordnung der Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit davon aus, dass es nicht darauf ankommt, ob die Entgelte für die schuldnerische Tätigkeit in die Masse fallen, sondern ob es sich bei der Tätigkeit des Schuldners um Umsätze der Masse handelt. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO fasse – so der BGH – nur Verbindlichkeiten, die durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Verwende der Schuldner für seine Arbeit ausschließlich Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen und deshalb nicht in die Masse fallen, gehöre die daraus resultierende Umsatzsteuer nicht zu den Masseverbindlichkeiten3. Der siebte Senat des BFH ist dagegen der Auffassung, dass Verbindlichkeiten, die aufgrund eines dem Schuldner auch während der Dauer des Insolvenzverfahrens außerhalb desselben gestatteten rechtsgeschäftlichen oder steuerpflichtigen Handelns entstehen, aus der Masse überhaupt nicht, also auch nicht als Masseverbindlichkeiten, zu befriedigen sind. Nach der Auffassung des BFH ist die Steuer, die aus der Nutzung eines KFZ durch den Schuldner nach Verfahrenseröffnung entsteht, aus dem insolvenzfreien Vermögen oder dem Erwerb des Schuldners zu befriedigen4. Eine letztendliche Klärung steht damit noch aus.
113c
4. Aufrechnung mit Steuerforderungen Für die Aufrechnung mit Steuerforderung gelten die gleichen Grundsätze wie für die Aufrechnung mit anderen Forderungen5. Insofern ist die Finanzbehörde als Gläubiger gleichzusetzen mit jedem anderen Gläubiger. Hierzu kann auf die Erläuterung der Aufrechnungsvorschriften in § 7 Rz. 488 ff. verwiesen werden.
114
Die Aufrechnung von Steuerforderung richtet sich im Insolvenzverfahren grundsätzlich nach § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB6. Die insolvenzrechtlichen
115
1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 66 ff.; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 24. Maus schlägt jedoch vor, die Vermögensgegenstände aus dem Insolvenzbeschlag freizugeben. 2 Vgl. BGH v. 20. 3. 2003 – IX ZB 388/02, ZInsO 2003, 413. 3 Vgl. BFH v. 7. 4. 2005 – V R 5/04, BStBl. II 2005, 848. 4 Vgl. BFH v. 16. 11. 2004 – VII R 62/03, BStBl. II 2005, 309. 5 Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 313 ff.; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 45 ff. 6 Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 4/2000), § 226 Rz. 4 ff.
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§ 11
Rz. 116
Steuerrechtliche Beratung
Aufrechnungsvorschriften bzw. Aufrechnungsverbote gemäß §§ 94, 96 InsO sind zu beachten (insbesondere zum Aufrechnungsverbot vgl. § 7 Rz. 510 ff.). 116
Bei der Finanzverwaltung als Insolvenzgläubiger stellt sich die Frage der Aufrechnung mit Insolvenzforderungen vor allem dann, wenn der Insolvenzverwalter für Zeiträume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Steueranmeldungen und Steuererklärungen abgibt, die mit einem Erstattungsbetrag enden.
117
Will das Finanzamt mit Erstattungsansprüchen aufrechnen, muss eine Gegenforderung daher fällig sein, unbestritten oder rechtskräftig festgestellt (§ 226 Abs. 2 AO). Für die Fälligkeit hat der BFH bei der Aufrechnung entschieden, dass bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine an sich festzusetzende Steuer fällig wird, auch wenn noch keine Steuerfestsetzung erfolgt ist1.
118
Dies soll nicht auf § 41 InsO beruhen, sondern auf § 220 Abs. 2 Satz 1 AO. Gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 AO wird eine Steuerforderung, die durch Steuerbescheid festzusetzen ist, nicht vor Bekanntgabe der Steuerfestsetzung fällig. Ist das Insolvenzverfahren jedoch eröffnet, kann eine Steuerfestsetzung nicht mehr ergehen. Somit könnte eine Steuerforderung nicht mehr nach § 220 fällig werden. Der BFH hat deshalb entschieden, dass eine solche Steuerforderung als Steuerforderung ohne Steuerfestsetzung fällig und eine Aufrechnung zulässig ist2. Ist der Erstattungsanspruch, gegen den das Finanzamt aufrechnet, weder förmlich festgestellt noch ergibt er sich aus einer rechtswirksamen Festsetzung der Steuer, so hindert dies die Aufrechnung des Finanzamtes nicht3.
119
Die Rechtsprechung hat für nachfolgende Fälle die Aufrechnung von Insolvenzsteuerforderungen des Finanzamtes bejaht:
120
–
zur Insolvenzmasse gehörende Umsatzsteuererstattungsansprüche Aufrechenbar sind vorinsolvenzliche Steuerforderungen gegen einen zur Insolvenzmasse gehörenden Umsatzsteuererstattungsanspruch, der sich aus vor der Insolvenzeröffnung vorgenommenen umsatzsteuerlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) ergibt, wenn das Entgelt danach uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG)4.
121
–
vor Insolvenzeröffnung begründete Vorsteuererstattungsansprüche Aufrechenbar sind Insolvenzsteuerforderungen des Finanzamtes gegen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vorsteuererstattungsansprüche (z.B. zur streitigen Aufrechnung der Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter)5, die vom Insolvenzverwalter erst nach Verfahrenseröffnung bezahlt wurden6. Hierbei ist zu beachten, dass der Vorsteuerabzugsanspruch bereits mit Ausführung des Umsatzes des leistenden Unternehmers begründet ist und nicht erst mit der Erstellung der Rechnung.
1 Vgl. BFH v. 4. 5. 2004 – VII R 45/03, BStBl. II 2004, 815. 2 Vgl. BFH v. 4. 2. 2005 – VII R 20/04, ZInsO 2005, 654. Gegen diese Ansicht wendet sich Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 72. 3 Vgl. BFH v. 18. 11. 2003 – VII B 135/03, n.v. 4 Vgl. BFH v. 4. 8. 1987 – VII R11/84, BFH/NV 1987, 707. 5 Vgl. Onusseit, ZInsO-Dokumentation, 2006, 1090. 6 Vgl. BFH v. 28. 6. 2000 – V R 45/99, ZIP 2000, 1120.
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Eingruppierung d. Steuerforderung in d. insolvenzrechtl. System
Rz. 126 § 11
–
Einkommensteuer oder Vorsteuererstattungsansprüche Einkommensteuer oder Vorsteuererstattungsansprüche sind aufschiebend bedingte Ansprüche, die zur Insolvenzmasse gehören und bereits im Zeitpunkt der Zahlung aufschiebend bedingt entstanden sind1. Der Aufrechnung steht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht entgegen. Das Finanzamt kann diese Ansprüche sogar aufrechnen, wenn diese erst nach Insolvenzeröffnung infolge Aufhebung oder Erlass eines Änderungsbescheides entstehen2.
122
–
Kraftfahrzeugsteuererstattungsansprüche Bei der Aufrechnung gegenüber Kraftfahrzeugsteuererstattungsansprüchen, die durch die Abmeldung des Kraftfahrzeuges durch den Insolvenzverwalter entstehen, muss unterschieden werden, ob der Entrichtungszeitraum vor Insolvenzeröffnung begann (die Zurechnung erfolgt tageweise), so dass die Aufrechnung der Insolvenzforderung zulässig ist, oder der Entrichtungszeitraum erst nach Insolvenzeröffnung beginnt. In diesem Fall ist die Kraftfahrzeugsteuer eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO, die gemäß § 96 Nr. 1 InsO nicht mit einer Insolvenzforderung aufgerechnet werden kann3.
123
5. Steuerforderungen im Insolvenzplan Für die Eingruppierung der Steuerforderung in ein Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) gelten die o.g. Regelungen (zur Beratung im Planverfahren ausführlich § 13 Rz. 1 ff.). Die Steuerforderungen sind entweder einfache Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO oder Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
124
Bei der Aufstellung des Insolvenzplanes sind die einfachen Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO des Steuergläubigers entsprechend der vom Initiator des Insolvenzplans bestehenden Absicht in Gläubigergruppen (§§ 220 ff. InsO) einzugruppieren. Hierbei können für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine Gruppe oder mehrere Gläubigergruppen gebildet werden. Die Unterteilung der Gläubigergruppen richtet sich danach, dass Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden (zur Gruppenbildung siehe auch § 13 Rz. 37 ff.).
125
Das Finanzamt kann z.B. je nach Absicht des Planinitiators zusammen mit allen anderen nicht bevorrechtigten Gläubiger eine Gruppe bilden (Behördenforderung; Steuerforderung; Dienstleistungsforderung; sonstige Forderung). Im Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 235 ff. InsO) können die einzelnen Gläubiger und damit auch der Finanzgläubiger über den Insolvenzplan abstimmen (ausführlich zum Erörterungs- und Abstimmungstermin § 13 Rz. 215 ff., 226 ff.). Je nach Ausgestaltung und Intention des Plans, werden die einzelnen 1 Vgl. BFH v. 29. 1. 1991 – VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791. 2 Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 102. 3 Vgl. BFH v. 16. 11. 2004 – VII R 62/03, BStBl. II 2005, 309.
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126
§ 11
Rz. 127
Steuerrechtliche Beratung
Gläubigergruppen Forderungsverzichte gewähren müssen. Die Zustimmung hierzu steht im Ermessen der Finanzbehörde. Die Ermessensentscheidung ist nach §§ 163, 222, 227 AO unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Insolvenzordnung zu treffen1. Ob die Finanzbehörde dem Insolvenzplan zustimmen soll oder nicht, ist grundsätzlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden2. Dabei muss die Finanzbehörde neben dem Interesse des Steuergläubigers an der Beitreibung der Steuerforderung auch das öffentliche Interesse an der Fortführung und Sanierung des Betriebes und dem Arbeitsplatzerhalt berücksichtigen. 127
Die Zustimmung oder Abweisung des Finanzamtes zum Insolvenzplan ist kein Verwaltungsakt, sondern eine Verfahrenshandlung3. Die Zustimmung der Finanzbehörde zum Insolvenzplan kann durch eine Leistungsklage nach § 40 Abs. 1 FGO erstritten werden. In diesem Verfahren wird der Ermessensgebrauch des Finanzamtes überprüft4.
128
Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein (§ 254 InsO) (vgl. § 13 Rz. 251 ff.). Der Erlass oder Teilerlass von Forderungen führt bilanziell zum „ausbuchen“ der Verbindlichkeit. Die Verbindlichkeit darf nicht weiter bilanziert werden und ist gewinnerhöhend aufzulösen5.
129
Der dadurch entstehende Buchgewinn ist nach Streichung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. seit 1997 steuerpflichtig. Der Gewinn ist vorrangig mit den laufenden Verlusten und den Verlustabzugsbeträgen nach § 10d EStG zu saldieren. Der danach verbleibende Gewinn unterliegt der normalen Ertragsbesteuerung (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer)6.
130
Im Insolvenzplan können keine gestaltenden Regelungen über die Steuern auf diesen Sanierungsgewinn getroffen werden, da diese Steuern erst mit Ablauf des Wirtschaftsjahres entstehen, in dem der Plan wirksam wird. Die Steuerpflicht kann dadurch sofort, falls diese nicht bei der Aufstellung des Insolvenzplans berücksichtigt wurde, zu einem neuen Insolvenzverfahren führen, bzw. macht die Durchführung eines Insolvenzverfahrens u. U. unmöglich7.
131
Die auf den Sanierungsgewinn entfallenden Steuern gehören nach richtiger Auffassung zu den Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO8. Diese Masseverbindlichkeiten müssen nach § 258 Abs. 2 InsO befriedigt oder abgesichert werden. Bei der Prüfung des Insolvenzplan hat das zuständige 1 2 3 4 5 6
Vgl. BMF v. 17. 12. 1998 – IV A 4, BStBl. I, 1500 Tz. 9.2. Vgl. BMF v. 17. 12. 1998 – IV A 4 , BStBl. I, 1500 Tz. 9.2. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 277 ff. Vgl. Tipke/Kruse, AO (Stand 10/2006), § 251 Rz. 111. Vgl. Maus, ZIP 2002, 592. Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 146 ff.; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, 36 ff. 7 Vgl. Maus, ZIP 2002, 593 f. 8 Vgl. Maus, ZIP 2002, 592; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 37 vertreten die Auffassung, dass es sich um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO handelt mit der Konsequenz, dass der Verwalter „nur“ nach § 60 InsO haftet und nicht nach § 61 InsO.
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Eingruppierung d. Steuerforderung in d. insolvenzrechtl. System
Rz. 136 § 11
Amtsgericht gemäß § 231 Abs. 1 InsO die Erfüllbarkeit dieser Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen (zum Sanierungsgewinn vgl. Rz. 288 ff.).
6. Steuerforderungen bei Restschuldbefreiung Eine natürliche Person kann gemäß §§ 286 bis 303 InsO das Restschuldbefreiungsverfahren beantragen. Die Restschuldbefreiung kann auf Basis des Regelinsolvenzverfahrens oder des Verbraucherinsolvenzverfahrens erfolgen. Das Restschuldbefreiungsverfahren ist allerdings gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu versagen, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber dem Fiskus gemacht hat1. Hierunter fallen z.B. unrichtige oder unvollständige Angaben, die vorsätzlich oder grob fahrlässig in der Steuererklärung abgegeben wurden oder z.B. unvollständige Angaben in Anträgen auf Stundung, Erlass oder Vollstreckungsaufschub2. Die Restschuldbefreiung wird nicht versagt, wenn überhaupt keine Steuererklärung abgegeben wurde.
132
Bestehen gegen den Schuldner Steueransprüche, so nehmen diese als Insolvenzforderungen an dem Restschuldbefreiungsverfahren teil3. Mit der Anordnung des Restschuldbefreiungsverfahrens bleiben die Steuerforderungen zwar bestehen, sie können aber nur entsprechend den Bestimmungen des Restschuldbefreiungsverfahrens durchgesetzt werden. Die steuerrechtlichen Vorschriften (§§ 222, 258 AO) sind nicht anwendbar. Wird die Restschuldbefreiung gewährt, so erlöschen die Steueransprüche endgültig.
133
Stellt die Finanzbehörde in dem Restschuldbefreiungsverfahren den Antrag, die Restschuldbefreiung zu versagen, so handelt es sich insoweit nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um ein schlichtes Verwaltungshandeln4. Rechtsmittel können hiergegen nicht eingelegt werden, das Gericht entscheidet über den Antrag auf Restschuldbefreiung. Der Finanzbehörde steht allerdings das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 289 Abs. 2 und § 300 Abs. 3 Satz 2 InsO zu.
134
Kommt es im Zusammenhang mit dem Restschuldbefreiungsverfahren zu einem Erlass von Steuerforderungen, so kann hierdurch ein steuerpflichtiger Gewinn entstehen5.
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Nach der Auffassung von Schmittmann führt der Erlass von Verbindlichkeiten im Restschuldbefreiungsverfahren bei Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln, zu einem steuerpflichtigen Sanierungsgewinn. Dagegen führt der Erlass von Verbindlichkeiten bei den Steuerpflichtigen, die ihre Einkünfte durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. III EStG ermitteln, nicht zu einem steuerpflichtigen Sanierungs-
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Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl., 2005, S. 282. Vgl. BMF v. 17. 12. 1998, Tz. 11, BStBl. I 1998, S. 1500. Vgl. BMF v. 11. 2. 2002, BStBl. I 2002, 132. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl., 2005, S. 283. Vgl. BMF v. 27. 3. 2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, ZInsO 2003, 363 ff.
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§ 11
Rz. 137
Steuerrechtliche Beratung
gewinn1. Der steuerpflichtige Sanierungsgewinn fällt auch nicht unter die Regelung des BMF-Schreibens vom 27. 3. 20032, da das BMF-Schreiben ausdrücklich nicht die Steuerfreiheit vorsieht für Schuldner, die einen schuldenfreien Übergang in ihr Privatvermögen bewerkstelligen wollen. In einem derartigen Fall kann die Finanzverwaltung nur aus persönlichen Billigkeitsgründen den Erlass des steuerpflichtigen Sanierungsgewinns gewähren3. 137
Ob tatsächlich ein steuerpflichtiger Sanierungsgewinn entsteht, ist durch die Finanzgerichte noch nicht geklärt.
V. Besondere Steuerarten in der Insolvenz 1. Einkommensteuer a) Allgemeine Grundlagen 138
Für die Besteuerung des Schuldners in der Rechtsform eines Einzelunternehmens oder einer Privatperson sind auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Grunde und der Höhe nach allein die einschlägigen steuerlichen Bestimmungen maßgeblich4. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden die steuerlichen Erhebungszeiträume nach herrschender Auffassung nicht unterbrochen5. Damit erfolgt auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Veranlagung zur Einkommensteuer für das jeweilige Kalenderjahr. Die Einkommensteuer bleibt eine Jahressteuer (§ 2 Abs. 7 EStG), es erfolgt die kalenderjährliche Veranlagung (§ 25 Abs. 1 EStG), das Wirtschaftsjahr ist das Kalenderjahr (§ 4a Abs. 2 EStG).
139
Der gewerbetreibende Schuldner (Einzelunternehmer, Personengesellschaften), der handelsrechtlich zur Führung von Büchern gemäß § 238 ff. HGB verpflichtet ist, muss auch in der Insolvenz die Rechnungslegungsvorschriften beachten. Gemäß § 155 InsO muss der Schuldner, der handelsrechtlich Bücher führt, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine handelsrechtliche Eröffnungsbilanz erstellen und das Geschäftsjahr bis zur Insolvenzeröffnung als Rumpfgeschäftsjahr abschließen.
140
Mit der Bildung des Rumpfgeschäftsjahres und der Aufstellung der Eröffnungsbilanz erfolgt jedoch keine einkommensteuerliche Unterbrechung des Veranlagungszeitraums. Es ist also nicht erforderlich, auf das Ende des mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endenden Rumpfgeschäftsjahres eine Steuerbilanz auf1 Vgl. Schmittmann, ZInsO 2003, 505 ff. 2 Vgl. BMF v. 27. 3. 2003 – IV A 6 – S 2140-8/03, ZIP 2003, 690 ff. 3 Andere Auffassung: vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 38. 4 Vgl. Kurth, Krämer, Handbuch zur Insolvenz, Fach 5, Kap. 2 Rz. 1 ff.; vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 80 ff.; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 448 ff.; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 202 ff. Vgl. RFH v. 22. 6. 1938 – VI 687/37, RStBl. 1938, 669; BFH v. 25. 7. 1995 – VIII R 61/94, BFH/NV 1996, 117. 5 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 5. Aufl. 2000, S. 80; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 202.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 144 § 11
zustellen. Wenn in der Praxis gleichwohl das Bedürfnis besteht, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Stichtag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine steuerliche Zwischenbilanz i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG zu erstellen, so erfolgt dies aus den Notwendigkeiten der insolvenzrechtlichen Aufteilung der Einkommensteuerforderung des Fiskus in Masse und einfache Insolvenzforderung (vgl. Rz. 144 zur Aufteilung der Steuerschuld). Die Zwischenbilanz ermöglicht es, die Einkünfte den Zeiträumen vor und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuordnen. In die Veranlagung zur Einkommensteuer sind alle Einkünfte des Schuldners, auch die aus der Masse erzielten Gewinne einzubeziehen. Dies unabhängig davon, ob die Verwirklichung der steuerlich relevanten Tatbestände vor oder nach der Insolvenzeröffnung liegt, ob sie mit der Verwaltung, der Verwertung oder der Verteilung der Insolvenzmasse zusammen hängen oder ob sie zum insolvenzfreien Bereich gehören. Es gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Veranlagung1.
141
Bei der insolvenzrechtlichen Zuordnung der Steuerforderung sind aus dreifacher Sicht Besonderheiten zu beachten:
142
aa) Betagte Forderungen Steuerforderungen entstehen bereits dann, wenn der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO). Steuerforderungen werden aber in der Regel erst einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheides fällig. So lange die Steuerforderung bereits entstanden, aber noch nicht fällig ist, handelt es sich um betagte Forderungen, die nach § 41 Abs. 1 InsO als fällig gelten und nach § 41 Abs. 2 InsO mit einem abgezinsten Betrag angemeldet werden müssen.
143
bb) Aufteilung der Steuerforderungen Durch die Insolvenzeröffnung wird der Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr) in der Regel zerschnitten. Steuerrechtlich entsteht die Einkommensteuer mit Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Abs. 1 EStG). Die insolvenzrechtliche Einordnung der Steuerforderung richtet sich aber nicht nach ihrem Entstehen, sondern nach dem Begründetsein (§ 38 InsO). Im Jahr der Insolvenzeröffnung führt dies dazu, dass ein Teil der auf das Jahr bezogenen Steuerforderung bereits vor Insolvenzeröffnung begründet ist und ein Teil der befristeten Steuerforderung nach Insolvenzeröffnung2. Da die vor Insolvenzeröffnung begründeten Steuerforderungen als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und die nach Insolvenzeröffnung begründeten Steuerforderungen als sonstige Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu qualifizieren sind, ist die Einkommensteuerjahreserklärung entsprechend zu differenzieren. Für die Aufteilung sind verschiedene Aufteilungsmethoden anzuwenden (siehe dazu Rz. 147 ff.). 1 Vgl. BFH v. 14. 2. 1978 – VII R 28/73, BStBl. II 1978, 356. 2 Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung in Insolvenzverfahren, 5. Aufl. 2002, 84 ff.
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144
§ 11
Rz. 145
Steuerrechtliche Beratung
cc) Insolvenzfreies Vermögen 145
Ein Teil der Steuerforderung kann nach Insolvenzeröffnung das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners betreffen. Dies ergibt sich daraus, dass der Neuerwerb des Schuldners (§ 35 InsO) zur Masse zu rechnen ist. Hierzu zählt insbesondere die Freigabe von Vermögen durch den Insolvenzverwalter an den Schuldner. Bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung sind damit einkommensteuerliche Vorgänge, die den insolvenzfreien Bereich betreffen, gesondert zu berücksichtigen.
146
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung ergänzende Angaben für betagte Steuerforderungen, eine Aufteilung der Steuerforderung in Insolvenzforderung, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Steuerforderung vorzunehmen ist. b) Aufteilung der Einkommensteuerschuld
147
Dadurch, dass im Jahr der Insolvenzeröffnung und in den Folgejahren bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens für jedes Jahr eine einheitliche Einkommensteuererklärung abzugeben ist, folgt, dass in einer Veranlagung die Einkommensteuer aufzuteilen ist in: –
einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO);
–
Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO);
–
insolvenzfreie Steuerforderung.
148
Die Insolvenzordnung legt nicht fest, nach welchem Maßstab die einheitlich für den Veranlagungszeitraum festgesetzte Einkommensteuerschuld den jeweiligen Forderungsarten zuzuordnen ist. Hierzu wurden von der Rechtsprechung und der Literatur verschiedene Aufteilungsmethoden entwickelt.
149
Nach der Berechnungsmethode des Bundesfinanzhofes, wird die Einkommensteuerschuld im Verhältnis der Bruttobeträge der insolvenzrechtlichen Teilbeträge des Gesamtbetrages der Einkünfte aufgeteilt1. Beispiel:
150
Die Einkommensteuerschuld beträgt 10 000 Euro. Der Gesamtbetrag der Einkünfte im Kalenderjahr beträgt 100 000 Euro. Davon entfallen 70 000 Euro auf die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, 20 000 Euro auf die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und 10 000 Euro auf insolvenzfreie Einkünfte. Die Einkommensteuerschuld ist im Verhältnis 7/10, das sind 7 000 Euro als einfache Insolvenzforderung, 2/10, das sind 2 000 Euro als Masseverbindlichkeit und 1/10, das sind 1 000 Euro als insolvenzfreie Steuerforderung aufzuteilen.
151
Diese Aufteilungsmethode führt dazu, dass der Progressionsvorbehalt nicht beachtet wird, dass Sonderausgaben, Verlustvorträge und außergewöhnliche Belastungen und Freibeträge anteilig aufgeteilt werden. Die h.M. lehnt die o.g. Methode aus diesen Gründen ab2. 1 Vgl. BFH v. 29. 3. 1984 – IV R 271/83, BStBl. II 1984, 602, 604; BFH v. 11. 11. 1993 – XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477. 2 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2005, S. 226; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 110 ff.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 156 § 11
Die Literatur hat daher die so genannte Schattenveranlagungsmethode entwickelt1. Bei dieser Methode werden nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen Einkunftsbeträge fiktiv ermittelt und dann getrennte Schattenveranlagungen (§ 278 ff. AO) durchgeführt. Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastung werden je nach Zuordnung bei der jeweiligen Schattenveranlagung berücksichtigt. Die Pauschbeträge werden zeitanteilig zugeordnet.
152
Beispiel: Die Einkommensteuerschuld beträgt 10 000 Euro. Der Gesamtbetrag der Einkünfte beträgt 100 000 Euro, davon 70 000 Euro vor Insolvenzeröffnung, 20 000 Euro nach Insolvenzeröffnung und 10 000 Euro aus insolvenzfreiem Vermögen. Für die jeweiligen Zeiträume ist eine getrennte Veranlagung (Schattenveranlagung) unter Berücksichtigung des Gesamtbetrages der Einkünfte für diesen Zeitraum und der Zuordnung von Sonderausgaben und Pauschbeträgen durchzuführen. Ergibt sich dann, dass die Einkommensteuer auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung 6 000 Euro, auf den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung 3 000 Euro und auf das insolvenzfreie Vermögen 1 000 Euro beträgt, so ist die Steuerschuld im Verhältnis 6/10 zu 3/10 zu 1/10 aufzuteilen.
153
Im wirtschaftlichen Ergebnis kann die Schattenveranlagungsmethode im Vergleich zur Methode des Bundesfinanzhofes zu einer Erhöhung der Masseforderung des Fiskus führen. Dies verbessert dann die insolvenzrechtliche Stellung des Fiskus und schmälert die Insolvenzmasse und die Quote2.
154
c) Veranlagung der Ehegatten Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindert die Ehegatten nicht daran, sich nach ihrer Wahl steuerlich gemeinsam oder getrennt veranlagen zu lassen (§§ 26, 26a, 26b EStG). Die Veranlagungsform kann für ein Steuerjahr allerdings nur einheitlich gewählt werden3.
155
aa) Zusammenveranlagung der Ehegatten (§ 26b EStG) Das Wahlrecht der Ehegatten, sich gemäß § 26 Abs. 2 EStG zusammen zu veranlagen, ist kein höchstpersönliches, sondern ein vermögensmäßiges Recht, ein Verwaltungsrecht4. Der Insolvenzverwalter und der Schuldner seine insolvenzfreien Einkünfte betreffend sowie der Ehegatte können deshalb bei der Zusammenveranlagung zusammen wirken. Wirken die Parteien nicht zusammen, so können sie auch unabhängig voneinander dem Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen mitteilen5. Das Finanzamt muss in diesem Fall die Teilerklärung des Insolvenzverwalters des Schuldners und des Ehegatten zusammenfügen. Der Insolvenzverwalter kann allerdings der Zusammenveranlagung bezüglich
1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 108 ff.; Weiß, FR 1992, 259; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 228 ff. 2 Vgl. Kurth, Krämer, Handbuch zur Insolvenz, Fach 5, Kap. 2, Rz. 185 ff. 3 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 217; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 485 ff. 4 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 139; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 2004, S. 217. 5 Vgl. Welzel, DStZ 1999, 559.
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156
§ 11
Rz. 156a
Steuerrechtliche Beratung
der Einkünfte aus der Insolvenzmasse widersprechen1. Es kann nur eine Zusammenveranlagung geben, wenn der Insolvenzverwalter, der Ehegatte und der Schuldner mit seinem insolvenzfreien Vermögen zusammenwirken. 156a
Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können die Ehegatten ausgleichsfähige Verluste i.S.d. §§ 2 Abs. 3 EStG und § 10d EStG nutzen. Dadurch hat derjenige Ehegatte, dessen Vermögen nicht insolvenzbefangen ist, ein Interesse an der gemeinsamen Veranlagung, um die Verlustabzüge zu nutzen. Für die gemeinsame Steuerschuld haften die Ehegatten allerdings auch gemäß § 44 Abs. 1 AO gesamtschuldnerisch. Dies würde bedeuten, dass das Finanzamt grundsätzlich bei beiden Ehegatten in voller Höhe die Einkommensteuerforderung vollstrecken kann, und zwar auch die Einkommensteuerforderung, die insolvenzrechtlich als Insolvenzforderung einzustufen ist2.
157
Der nicht von der Insolvenz betroffene Ehegatte kann gemäß § 278 AO für diesen Fall die Aufteilung der Steuerschuld verlangen (vgl. § 268 AO). § 268 AO bestimmt, dass auf Antrag die Vollstreckung auf den Betrag, der sich nach Aufteilung der Steuern ergibt, beschränkt ist.
158
Als Aufteilungsmethode bestimmt § 270 AO, das die Einkommensteuerforderung in dem Verhältnis aufzuteilen ist, wie sie sich auch bei getrennter Veranlagung nach Maßgabe des § 26a EStG ergeben würde (Schattenveranlagung). Die dadurch ermittelte Einkommensteuer muss dann im Verhältnis der Ergebnisse der fiktiven Veranlagung festgesetzt werden. Beispiel:
159
Die Einkommensteuerforderung beträgt 10 000 Euro. Bei fiktiver Veranlagung hätte der nicht von der Insolvenz betroffene Ehegatte Einkommensteuer in Höhe von 12 000 Euro und der Insolvenzschuldner 3 000 Euro entrichten müssen. Die Einkommensteuerforderung ist im Verhältnis 4:1 (8 000 Euro zu 2 000 Euro) aufzuteilen.
bb) Getrennte Veranlagung (§ 26a EStG) 160
Bei der getrennten Veranlagung sind auch die erzielten Einkünfte getrennt zuzurechnen. Ein Verlustausgleich und ein Verlustabzug nach § 10d EStG zwischen den Einkünften der Eheleute ist damit ausgeschlossen. Nur derjenige, der den Verlust tatsächlich erlitten hat, kann ihn steuerlich geltend machen (§ 62d Abs. 1 EStG). Der Insolvenzverwalter kann folglich nur die vom Schuldner selbst erlittenen Verluste bzw. den vortragsfähigen Verlust der Vorjahre ausgleichen bzw. abziehen3.
161
Hinsichtlich der Sonderausgaben müssen sich die Ehegatten über deren Aufteilung einigen. Erfolgt keine Einigung zwischen Ehegatten, werden die Sonderausgaben hälftig geteilt (§ 26a Abs. 2 EStG).
1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 98. 2 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 96. 3 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 218.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 164 § 11
d) Einkommensteuerliche Berücksichtigung von Verlusten Im Rahmen der Verpflichtung des Insolvenzverwalters die Masse zu mehren, sind sämtliche Vermögenswerte zur Masse zu ziehen. Er hat folglich auch etwaige Steuererstattungsansprüche, die sich aus Verlusten des Schuldners ergeben, zu ermitteln und gegenüber den Finanzbehörden geltend zu machen. Nach herrschender Auffassung ist es unzweifelhaft, dass Verluste dem Steuerpflichtigen auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzurechnen sind1.
162
Aufgrund des steuerlichen Abschnittprinzips wird jährlich ein Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) gebildet, und es findet ein Verlustausgleich sowohl innerhalb einzelner Einkunftsarten (vertikaler Verlustausgleich) als auch zwischen den Einkunftsarten (horizontaler Verlustausgleich) statt. Die einkommensteuerlichen Verlustausgleichsverbote bzw. Verlustbegrenzungen (§ 15a EStG, § 10d EStG) finden auch in der Insolvenz volle Anwendung.
163
Hat einer der Ehegatten in den Vorjahren einen vortragsfähigen Verlust erlitten, so kann dieser Verlust in den Folgejahren mit einem entsprechenden Gewinn des anderen Ehegatten ausgeglichen werden. Dadurch kommt dem nicht in die Insolvenz gefallenen Ehegatten der Verlustvortrag des insolvenzbefangenen Ehegatten zugute2.
163a
Andererseits ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, Steuererstattungen zur Insolvenzmasse zu ziehen. Er hat kein Interesse daran, dass der nicht insolvenzbefangene Ehegatte Steuererstattungen, die auf Verlusten des Schuldners beruhen, an den anderen Ehegatten auszahlen zu lassen. Beruht die Steuererstattung allein auf Einkünften und darauf abgeführte Steuern des nicht insolvenzbefangenen Ehegatten, so ist die Steuererstattung, auch wenn sie auf die Verluste des Schuldners zurückzuführen sind, allein dem nicht insolvenzbefangenen Ehegatten zuzurechnen. Beruht die Steuererstattung jedoch sowohl auf Einkünften und darauf abgeführte Steuern des Schuldners (z.B. Lohnsteuern) und auf Einkünften und darauf abgeführte Steuern des Ehegatten, so ist eine verhältnismäßige Aufteilung der Steuererstattung zwischen beiden Parteien erforderlich3.
163b
2. Körperschaftsteuer Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt keine Änderung in der Steuerpflicht der Kapitalgesellschaft ein. Die Insolvenzeröffnung hat nur die Auflösung der Kapitalgesellschaft (§ 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 264 Abs. 1 AktG, § 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 66 Abs. 1 GmbHG, § 101 GenG, § 117 GenG) zur Folge. Die Körperschaftsteuerpflicht der Kapitalgesellschaft endet nicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern erst mit dem Ende des letzten dreijährigen Besteuerungszeitraums (§ 11 Abs. 1 KStG). Der dreijährige Besteuerungszeitraum endet mit dem tatsächlichen Ab1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, 83 ff.; Kurth, Krämer, Handbuch zur Insolvenz, Fach 5, Kap. 2, Rz. 85. 2 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 90. 3 Vgl. Farr, Besteuerung der Insolvenz, 2005, S. 137 und die dort angeführten Beispiele.
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164
§ 11
Rz. 165
Steuerrechtliche Beratung
schluss des Insolvenzverfahrens und der Verteilung des Vermögens an die Insolvenzgläubiger, falls nach Insolvenzabschluss noch Vermögen zur Verteilung an die Gesellschafter bereitsteht, mit der Abwicklung dieses Vermögens. 165
Für die Besteuerung der Kapitalgesellschaft in der Insolvenz ist zunächst zu differenzieren, ob das insolvente Unternehmen nach Insolvenzeröffnung fortgeführt wird – weiter werbend tätig ist – oder nur noch abgewickelt wird. Eine Betriebsfortführung führt steuerlich dazu, dass die Kapitalgesellschaft weiterhin jährlich veranlagt wird. Der dreijährige Abwicklungszeitraum gemäß § 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 7 KStG beginnt erst mit der Einstellung der Betriebstätigkeit1. Solange der Insolvenzverwalter mit der Kapitalgesellschaft werbend tätig ist oder ein Insolvenzplanverfahren über das Vermögen der Kapitalgesellschaft bestätigt wird, fängt der Abwicklungszeitraum erst mit dem Beginn der Abwicklung bzw. mit dem Scheitern des Insolvenzplans an.
166
Nach der Insolvenzordnung soll die Fortführung des schuldnerischen Betriebes durch den Insolvenzverwalter der Regelfall sein. Er soll den Betrieb zumindest bis zum Berichtstermin (§ 156 ff. InsO) fortführen und die Entscheidung der Gläubiger über Fortführung oder Stilllegung abwarten. Bei einer Stilllegung des Betriebes vor diesem Zeitpunkt ist die Genehmigung des Gläubigerausschussses einzuholen und, wenn ein solcher nicht bestimmt ist, den Schuldner zu unterrichten, der seinerseits das Gericht um eine Entscheidung bitten kann (§ 158 InsO).
167
Nach dem Vorgesagten sind folgende Fallkonstellationen zu unterscheiden: Beispiel 1: Wirtschaftsjahr gleich Kalenderjahr; Insolvenzeröffnung 1. 10. 2007; Ende der werbenden Tätigkeit 31. 12. 2007; Beginn der Abwicklung 1. 1. 2008. Mit der Insolvenzeröffnung am 1. 10. 2007 wird ein Rumpfgeschäftsjahr (1. 1. 2007 – 30. 9. 2007) begründet. Es ist ein Rumpfgeschäftsjahr zu bilden für die Zeit vom 1. 1. 2007 bis zum 30. 9. 2007 und ein weiteres Rumpfgeschäftsjahr für die Zeit vom 1. 10. 2007 bis zum 31. 12. 2007. Für das Geschäftsjahr 2008 ist die jährliche Veranlagung zugrunde zu legen. Der dreijährige Abwicklungsbesteuerungszeitraum beginnt am 1. 1. 2008 und endet am 31. 12. 2011.
Beispiel 2: 168
Wirtschaftsjahr gleich Kalenderjahr; Insolvenzeröffnung 1. 10. 2007. Keine Betriebsfortführung. Der dreijährige Abwicklungsbesteuerungszeitraum beginnt am 1. 10. 2007 und endet mit Abschluss des Insolvenzverfahrens bzw. falls die Abwicklung länger als drei Jahre andauert, beginnt nach drei Jahren ein weiterer dreijähriger Abwicklungsbesteuerungszeitraum.
169
Nach Abschnitt 46 Abs. 1 S. 2 KStR hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, ein Rumpfwirtschaftsjahr nicht zu bilden (1. 1. 2007–30. 9. 2007), sondern den Veranlagungszeitraum bereits mit Beginn des Wirtschaftsjahres beginnen zu lassen, in das die Insolvenzeröffnung folgt (dreijähriger Abwicklungszeitraum gem. § 11 Abs. 7 KStG vom 1. 1. 2007 bis 31. 12. 2009). In der Praxis kommt dieses Wahlrecht in der Insolvenz regelmäßig nicht zur Anwendung, da an1 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 280.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 176 § 11
sonsten eine Aufteilung der Steuern – vor und nach Insolvenzeröffnung – nicht möglich ist. Die Steuern, die für das Rumpfwirtschaftsjahr zu erheben sind, sind Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO. Die Steuern, die nach Insolvenzeröffnung auf Verwaltungs-, Verwertungs- oder Verteilungshandlungen des Verwalters beruhen, sind als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren.
170
Bei der jährlichen Veranlagung im Wirtschaftsjahr der Insolvenzeröffnung sind folglich die Steuern aufzuteilen, und zwar bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung. Dies kann problemlos anhand des handelsrechtlich gebildeten Rumpfwirtschaftsjahres gemäß § 155 InsO erfolgen.
171
Für den dreijährigen Abwicklungszeitraum, der steuerlich wie ein verlängerter Veranlagungszeitraum wirkt, ist ein einheitliches Einkommen zu ermitteln. Gemäß § 11 Abs. 2 KStG ist dazu das Abwicklungs-Anfangsvermögen dem Abwicklungs-Endvermögen gegenüberzustellen. Abwicklungsendvermögen ist das um steuerfreie Vermögensmehrungen verminderte Vermögen, das nach der Verwertung der Vermögensgegenstände und der Befriedigung der Gläubiger verbleibt und zur Schlussverteilung an die Anteilseigner ausgeschüttet werden kann (§ 11 Abs. 3 KStG).
172
Das Abwicklungsanfangsvermögen umfasst nach § 11 Abs. 4 KStG das am Schluss der Abwicklung des vorangegangenen Wirtschaftsjahres vorhandene Betriebsvermögen abzüglich der Gewinnausschüttung für die vor der Abwicklung liegenden Wirtschaftsjahre.
173
Eines Verlustabzuges nach § 10d EStG bedarf es innerhalb des dreijährigen Veranlagungszeitraumes nicht, weil innerhalb dieses Dreijahreszeitraumes ein Verlustausgleich sofort erfolgt1. Wird im Abwicklungszeitraum ein Gesamtgewinn erzielt, kann er gemäß den steuerlichen Vorschriften (§ 8 KStG, § 10d Abs. 2 EStG) mit dem vorhandenen Verlustabzug aus einem vorangegangenem Veranlagungszeitraum verrechnet werden.
174
Der Gesetzgeber hat zum 1. 1. 2004 die sogenante „Mindestbesteuerung“ nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG eingeführt. Danach dürfen Verlustvorträge nur noch in Höhe von Euro 1 Mio. unbegrenzt abgezogen werden. Beträgt das zu versteuernde Einkommen > 1 Mio. Euro, so ist der übersteigende Betrag nur noch in Höhe von 60% verrechenbar und in Höhe von 40% der Körperschaftsteuer zu unterwerfen2. Insbesondere bei größeren Insolvenzverfahren kann die Mindeststeuer zu einer Körperschaftbesteuerung nach Insolvenzeröffnung führen, wenn handels- und steuerrechtliche Gewinne bestehen, die > 1 Mio. Euro betragen. Die nach Insolvenzeröffnung entstehende Körperschaftsteuer ist eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 InsO.
175
Aus diesem Grunde ist besondere Vorsicht bei der Aufstellung der Rumpfjahresschlussbilanz der werbenden Gesellschaft, also der Bilanz, die den letzten
176
1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 153. 2 Vgl. das Beispiel bei Gilz/Kuth, DStR 2005, 184 ff.
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§ 11
Rz. 177
Steuerrechtliche Beratung
vor Insolvenzeröffnung liegenden Zeitraum abdeckt, geboten. Werden in der Rumpfbilanz umfangreiche Rückstellungen für z.B. Garantien, Schadensersatzansprüche, Gewährleistung etc. gebildet, die nach Insolvenzeröffnung aufzulösen sind und es sich herausstellt, dass die tatsächliche Inanspruchnahme niedriger ist, so entsteht durch die Auflösung der Rückstellung ein Ertrag, der zu einem steuerlichen Gewinn führen kann. Soweit der Gewinn zu einem zu versteuernden Einkommen von > 1 Mio. Euro führt, fällt Körperschaftsteuer an. Es empfiehlt sich aus diesem Grund die Rückstellungsbildung vor Insolvenzeröffnung zurückhaltend vorzunehmen.
3. Gewerbesteuer 177
Beim Einzelunternehmen, einer Personengesellschaft und einer Kapitalgesellschaft berührt die Insolvenzeröffnung des Gewerbebetriebs die Gewerbesteuerpflicht nicht (vgl. § 4 Abs. 2 GewStDV)1. Die Gewerbesteuer ist eine Objektsteuer. Objekt der Besteuerung ist nach § 2 GewStG der Gewerbebetrieb, Steuerschuldner ist der Unternehmer. Die Gewerbesteuer entsteht nach § 18 GewStG erst nach Ablauf des Erhebungszeitraums, d.h. des Kalenderjahres und damit im Fall der Insolvenz regelmäßig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, es sei denn, die Insolvenzeröffnung fällt auf den 31. 12. Mit der Insolvenzeröffnung wird der Veranlagungszeitraum nicht unterbrochen.
178
Es ist damit eine gemeinsame Veranlagung für die Zeit vor und nach der Insolvenzeröffnung durchzuführen. Die auf der Grundlage des ermittelten einheitlichen Messbetrages festzusetzende Gewerbesteuer ist entsprechend dem Zeitpunkt ihres Begründetseins bis zur Insolvenzeröffnung einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und nach Insolvenzeröffnung sonstige Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO).
178a
Die Gewerbesteuerpflicht erlischt bei Einzelgewerbetreibenden und Personengesellschaften mit der tatsächlichen Einstellung des Betriebes. Die Versilberung der Vermögensgegenstände und die Einziehung rückständiger Forderungen aus der Zeit vor der Betriebseinstellung werden nicht mehr als Fortsetzung der Betriebstätigkeit angesehen2. Bei den Kapitalgesellschaften erlischt die Gewerbesteuerpflicht allerdings nicht schon mit der Einstellung der betrieblichen Tätigkeit, sondern erst mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens3. Damit wird auch der Ertrag aus der Veräußerung des Betriebsvermögens der Gewerbesteuer unterworfen.
179
Ausgangspunkt für die Gewinnermittlung ist der einkommensteuerliche Gewinn bzw. das körperschaftsteuerlich zu versteuernde Einkommen. Ähnlich wie bei der Körperschaftsteuer ist nicht schon mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern erst mit Beendigung der Unternehmensfortführung ein dreijähriger Abwicklungszeitraum zu bilden (§ 16 Abs. 2 GewStDV). Wird das Unternehmen nach Insolvenzeröffnung fortgeführt, beginnt dieser Abwicklungs1 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 166 ff. 2 Vgl. RFH v. 29. 6. 1938, RStBl. 1938, 910; RFH v. 24. 8. 1938, RStBl. 1938, 911; RFH v. 14. 9. 1938, RStBl. 1938, 5. 3 Vgl. Abschnitt 19 Abs. 3 GewStR.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 184 § 11
zeitraum erst mit dem Jahr, auf dessen Anfang oder in dessen Verlauf die Abwicklungsphase eröffnet wird1. Ähnlich wie bei der Körperschaftsteuer besteht gemäß § 16 Abs. 2 GewStDV i.V.m. Abschn. 44 Abs. 1 GewStRL für den Steuerpflichtigen im Jahr der Insolvenzeröffnung für die Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb das Wahlrecht zur Bildung eines Rumpfgeschäftsjahres für die Zeit vom Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres bis zur Insolvenzeröffnung. Wird ein Rumpfgeschäftsjahr gebildet, so endet der letzte Veranlagungszeitraum vor Insolvenzeröffnung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
180
Im Jahr der Insolvenzeröffnung ist der Gewerbeertrag zeitanteilig aufzuteilen und die Steuerforderung ist in Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu trennen (zur Bedeutung dieser Trennung vgl. § 6 Rz. 263 ff.). Da bei der Gewerbesteuer keine Progression zu berücksichtigen ist, kann der Steuermessbetrag nach dem Ertrag im Verhältnis des vor und nach Insolvenzeröffnung erzielten Ertrages aufgeteilt werden (zeitanteilige Methode)2. Hierdurch werden auch eventuelle Hinzurechnung oder Kürzungen nach §§ 8, 9 GewStG sowie etwaige Freibeträge aufgeteilt3. Die Angaben für die Aufteilung der Gewerbesteuerschuld in einfache Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit erfolgen zweckmäßigerweise in einer Anlage zur Steuererklärung.
181
Nach § 10a GewStG besteht die Möglichkeit des Verlustvortrages nicht aber des Verlustrücktrages. Ist im Betrieb des Steuerpflichtigen in den vor Insolvenzeröffnung liegenden Veranlagungsjahren ein gewerbesteuerlicher Verlust erwirtschaftet worden, kann er auf den Gewinn des Veranlagungsjahres der Insolvenzeröffnung übertragen werden und den Gewerbeertrag mindern. Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist nach § 10a Satz 2 GewStG gesondert festzustellen. Die Feststellung stellt einen Grundlagenbescheid i.S.v. § 182 Abs. 1 AO für den Gewerbesteuermessbescheid des Folgejahres dar4.
182
Zu beachten ist ferner, dass die Gewerbesteuer nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG auf die Einkommensteuer angerechnet werden kann. Falls Gewerbesteuer anfällt, wird diese durch eine Verminderung der anteilig auf die gewerblichen Einkünfte entfallenen Einkommensteuer um das 1,8fache des Gewerbesteuermessbetrages auf die Einkommensteuer angerechnet. Zum 1. 1. 2008 wird der Anrechnungsfaktor auf das 3,8fache des Gewerbemessertrages aufgrund des Steuersenkungsgesetzes 2008 erhöht5. In der Insolvenz ergibt sich die Besonderheit, die Anrechnungsmöglichkeit anteilig auf die Einkommensteuer aufzuteilen, je nachdem, ob sie in der Zeit vor der Insolvenzeröffnung oder danach begründet wurde.
183
Die Verteilung des Anrechnungsbetrages kann anhand der zeitanteiligen Methode vorgenommen werden. Das 1,8fache (ab 1. 1. 2008 das 3,8-fache) des Ge-
184
1 2 3 4 5
Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 170. Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 505 f. Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 171. Vgl. BFH v. 21. 12. 1989 – V R 29/86, BStBl. II, 436. Vgl. Unternehmenssteuerreformgesetz 2008, hierzu vgl. Herzig/Lochmann, DB 2007, 1037 ff.
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§ 11
Rz. 185
Steuerrechtliche Beratung
werbesteuermessbetrages, der auf die Zeit vor der Insolvenzeröffnung entfällt, ist daher auch bei der Einkommensteuer, die als Insolvenzforderung einzustufen ist, zum Abzug zu bringen. Entsprechendes gilt für den Teil des Gewerbesteuermessbetrages, der auf die Zeit nach Insolvenzeröffnung fällt1.
4. Lohnsteuer 185
Die Insolvenzeröffnung hat keinen Einfluss auf den Bestand des bis dahin begründeten Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer ist Steuerschuldner der Lohnsteuer, wenn der Arbeitgeber als Dritter verpflichtet ist, bei jeder Lohnzahlung für Rechnung des Arbeitnehmers vom Bruttolohn die Lohnsteuer einzubehalten und an die Finanzbehörde als Steuergläubiger abzuführen. Im Fall der Pflichtverletzung haftet der Arbeitgeber (§ 42d EStG). Die Abführung der Lohnsteuer ist eine besondere Dienstleistungspflicht2 (zur Beratung des Arbeitnehmers in der Insolvenz vgl. § 12).
186
Die Lohnsteuer entsteht erst mit Zufließen des Arbeitslohns beim Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Der Arbeitslohn ist zugeflossen, sobald der Arbeitnehmer die Verfügungsmacht, z.B. Kontogutschrift erhalten hat. Mit der Abführung der Steuer an die Finanzbehörde erfüllt der Arbeitgeber die Zahlungspflicht aus dem Arbeitsvertrag gegenüber dem Arbeitnehmer.
187
Das Dreiecksverhältnis Arbeitnehmer – Arbeitgeber – Finanzamt kann sowohl auf Arbeitnehmer- wie auch auf Arbeitgeberseite von einem Insolvenzverfahren betroffen sein. Ferner kann die Bundesagentur für Arbeit von der Insolvenz des Arbeitgebers betroffen sein. Die Bundesagentur für Arbeit ist z.B. dann betroffen, wenn der Insolvenzverwalter den Arbeitslohn für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung im Wege des so genannten Insolvenzgeldes vorfinanziert und der Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Anspruch auf Insolvenzgeld der vorfinanzierenden Bank abtritt. a) Insolvenz des Arbeitnehmers
188
Der Arbeitnehmer ist nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer, die steuerlich mit dem Zufluss des Arbeitslohnes entsteht. Das Finanzamt kann auch dann die nicht oder zu wenig gezahlte Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachfordern, wenn der Arbeitgeber seiner Abführungspflicht nicht gefolgt ist (§§ 38 Abs. 4 Satz 3, 39 Abs. 5a Satz 4, 39a Abs. 5, 41c Abs. 4, Satz 2, 42d Abs. 3 EStG).
189
Wird über das Vermögen des Arbeitnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, müssen die Ansprüche des Finanzamtes insolvenzrechtlich in einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) oder Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 InsO) eingruppiert werden. 1 Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung in Insolvenzverfahren, 5. Aufl. 2002, S. 104. 2 Maus, Steuerrechtliche Probleme im Insolvenzverfahren, 2. Aufl. 1995, S. 122; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 469.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 194 § 11
Aus insolvenzrechtlicher Sicht ist die Lohnsteuerforderung des Finanzamtes gegenüber dem Arbeitnehmer schon dann begründet, wenn die Arbeitsleistung erbracht wurde (mit Ablauf des Monats für den der Arbeitnehmer den Lohn erhält). Der Zeitpunkt des Zuflusses des Arbeitslohns ist insolvenzrechtlich für die Eingruppierung der Lohnsteuerforderung des Finanzamtes nicht relevant1.
190
Damit gehört im Insolvenzverfahren des Arbeitnehmers der noch offene Lohnsteueranspruch des Finanzamtes zu den einfachen Insolvenzforderungen, wenn die geschuldete Arbeitsleistung vor der Verfahrenseröffnung erbracht wurde (Beispiel: Der Arbeitslohn für den Monat Juli ist eine einfache Insolvenzforderung, wenn das Insolvenzverfahren am 1. 8. eröffnet wird). Betrifft die verrichtete Arbeitsleistung den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung, handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit.
191
Der nach Insolvenzeröffnung entstehende Anspruch auf den Arbeitslohn ist nicht insolvenzfreier Neuerwerb, sondern gehört nach § 35 InsO als Vermögen, das der Schuldner während des Verfahrens erlangt, zur Masse. Hiervon ist lediglich gemäß § 36 Abs. 1 InsO der unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens (vgl. §§ 850a-850i ZPO) befreit (ausführlich zum Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers vgl. § 12 Rz. 374 ff.).
192
b) Insolvenz des Arbeitgebers Wird über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet, so sind vier Fallkonstellationen zu unterscheiden: –
Der Insolvenzschuldner hat vor Insolvenzeröffnung Arbeitslohn gezahlt, die Lohnsteuer aber nicht abgeführt. Der gegen den Insolvenzschuldner bestehende Haftungsanspruch (§ 42d EStG) der Finanzbehörde, ist eine einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO2. Der Insolvenzschuldner hat seine Dienstleistungspflicht gegenüber der Finanzbehörde bereits vor Insolvenzeröffnung verletzt und damit den haftungsbegründenden Tatbestand der Nichtabführung der Lohnsteuer erfüllt.
–
Der Insolvenzverwalter zahlt rückständigen Lohn für einen Zeitraum vor Insolvenzeröffnung. Zahlt der Insolvenzverwalter rückständigen Lohn für einen Zeitraum vor Insolvenzeröffnung, befriedigt er eine Insolvenzforderung des Arbeitnehmers. Dieser eher theoretische Fall kommt in der Praxis kaum vor, da der Insolvenzverwalter rückständigen Arbeitslohn vor Insolvenzeröffnung durch Insolvenzgeld bedient oder aber als einfache Insolvenzforderung mit der Quote bedienen muss, falls die Ansprüche nicht durch Insolvenzgeld abgedeckt sind.
1 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 155. 2 Vgl. BFH v. 16. 5. 1975 – VI R 101/71, BStBl. II, 621, 622; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 159; Onusseit/Kunz, Steuern in der Insolvenz, 3. Aufl. 1994, Rz. 323.
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§ 11
Rz. 195
Steuerrechtliche Beratung
Verletzt der Insolvenzverwalter seine Dienstleistungspflicht zur Abführung der Lohnsteuer entsteht ein Lohnsteuerhaftungsanspruch der Finanzbehörde (§ 42d EStG). Der Zahlungsanspruch der Finanzbehörde beruht allein auf dem pflichtwidrigen Verhalten des Insolvenzverwalters, der die Haftung des Insolvenzschuldners als Arbeitgeber begründet und damit die Masse belastet. Dieser Haftungsanspruch entsteht unabhängig vom Schicksal des Lohnanspruchs und ist Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter haftet über §§ 34, 69 AO für die nicht abgeführte Lohnsteuer persönlich. Die Ansprüche können außerhalb des Verteilungsverfahrens mit Haftungsbescheid gegen den Insolvenzverwalter als Haftungsschuldner geltend gemacht werden1.
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–
Der Insolvenzverwalter zahlt Arbeitslohn für den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung. Hat der Insolvenzverwalter zu Lasten der Masse Arbeitnehmer nach Insolvenzeröffnung weiter beschäftigt oder ein neues Arbeitsverhältnis begründet, erfüllt er gegenüber dem Arbeitnehmer Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO. Er erfüllt diese Masseverbindlichkeit, indem er dem Arbeitnehmer den Nettolohn auszahlt und an die Finanzbehörde die einbehaltene Lohnsteuer abführt. Verletzt der Insolvenzverwalter diese Dienstleistungspflicht zur Abführung der Lohnsteuer, haftet er wiederum persönlich gemäß §§ 34, 69 AO2.
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–
Pauschalierung der Lohnsteuer Wird auf den Arbeitslohn pauschale Lohnsteuer gezahlt, so ist nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber Steuerschuldner der Lohnsteuer (§§ 40 Abs. 3, 40a Abs. 4, 40b Abs. 4 EStG). Für die insolvenzrechtliche Einordnung der pauschalen Lohnsteuer gelten die allgemeinen Grundsätze. Wird die Arbeitsleistung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht, so ist die pauschale Lohnsteuer eine Insolvenzforderung. Im Übrigen handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit3. Auch hierzu vgl. § 12 Rz. 374 ff.
c) Ansprüche gegen die Bundesagentur für Arbeit (Insolvenzgeld) 198
Gemäß § 183 SGB III hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor Insolvenzeröffnung. Das Insolvenzgeld soll damit die Ansprüche auf Arbeitsentgelt aus den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor Insolvenzeröffnung sichern. Es entspricht der Höhe nach dem Nettoarbeitsentgelt (Bruttoarbeitslohn abzüglich gesetzlicher Abzüge), das der Arbeitnehmer für diesen Zeitraum noch zu beanspruchen hat. Der Anspruch besteht gegen die Bundesagentur für Arbeit. Der Bezug des Insolvenzgeldes durch den Arbeitnehmer ist gemäß § 3 Nr. 22 EStG
1 Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 475. 2 Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 475. 3 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 265.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 202 § 11
steuerfrei1. Der (vorläufige) Insolvenzverwalter hat keine Lohnsteuer abzuführen. Er gibt lediglich lohnsteuerliche Nullmeldungen ab (Näheres zum Insolvenzgeld siehe § 12 Rz. 387 ff.). d) Lohnsteuer bei vorläufiger Insolvenzverwaltung Die Insolvenzeröffnung bzw. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis bewirkt den Eintritt des (vorläufigen) Insolvenzverwalters in die Rechtsstellung des Arbeitgebers. Er ist verpflichtet, die arbeitsrechtlichen Verpflichtungen (§ 80 Abs. 1 InsO) zu erfüllen und tritt in die steuerrechtliche Dienstleistungspflicht ein (§ 34 Abs. 3 AO)2.
199
Zahlt der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis Löhne aus, hat er die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Löhne für die Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder um Löhne für eine davor liegende Zeit handelt. Maßgebend ist allein, dass die Auszahlung der Löhne während der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfolgt. Insofern trifft den vorläufigen Insolvenzverwalter mit der Abführung der Lohnsteuer eine Dienstleistungspflicht. Verletzt der vorläufige Insolvenzverwalter diese Dienstleistungsverpflichtung, haftet er hierfür nach § 42d EStG. Die gleichen Grundsätze gelten für den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis3.
200
Hiervon zu unterscheiden ist die Vorfinanzierung der Löhne mittels Insolvenzgeld (zu dieser Vorfinanzierung vgl. § 12 Rz. 557 ff.). Der Bezug des Insolvenzgeldes ist, wie bereits erwähnt, gemäß § 3 Nr. 22 EStG steuerfrei. Lohnsteuer ist nicht abzuführen, der vorläufige Insolvenzverwalter hat lohnsteuerliche Nullmeldungen abzugeben.
201
5. Bauabzugssteuer Am 7. 9. 2001 ist das Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe vom 30. 8. 2001 in Kraft getreten4. Kern dieses Gesetzes ist Artikel 4, der im EStG einen neuen Abschnitt 7. mit den §§ 48 bis 48 d EStG einführt, mit dem ein besonderes Steuerabzugsverfahren geschaffen wird, das ausschließlich das Baugewerbe betrifft. Das Gesetz begründet keine neue Steuer; es entsteht keine zusätzliche Steuerpflicht oder Steuerbelastung. Der Steuer1 Zur Frage, ob Quotenzahlungen des Insolvenzverwalters auf die von der Bundesagentur für Arbeit wegen des Insolvenzgeldes angemeldeten Forderungen lohnsteuerpflichtig sind, vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 268 ff. Nach dieser Auffassung ist dies zu verneinen. A.A. BAG v. 11. 2. 1998 – 5 AZR 159/97, ZIP 1998, 868. Das Urteil wurde in der Literatur heftig angegriffen, vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 162. Die Finanzverwaltung hat sich inzwischen dieser Auffassung angeschlossen. Spätere Zahlungen des Insolvenzverwalters aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs unterliegen nicht der Lohnsteuer. Es handelt sich nicht um Zahlungen von Arbeitsentgelt, sondern um nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfreie soziale Lohnersatzleistungen (vgl. R4 Abs. 1 und 2 LStR 2004). 2 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 162. 3 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 2005, S. 155. 4 BGBl. I 2001, 2267, BStBl. 2001, 602.
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202
§ 11
Rz. 203
Steuerrechtliche Beratung
abzug soll vielmehr dazu dienen, in bestimmtem Umfang die Einkommenund Körperschaftsbesteuerung hinsichtlich des Gewinns des die Bauleistung erbringenden Unternehmens sowie die Besteuerung des Arbeitslohns der beim Erbringen der Bauleistung eingesetzten Arbeitnehmer zu sichern. Auf diese Weise will der Gesetzgeber die illegale Betätigung im Baugewerbe einschränken1. 203
Gemäß § 48 EStG ist der Empfänger einer im Inland erbrachten Bauleistung (Auftraggeber) verpflichtet, von der Gegenleistung, d.h. in Höhe des Bruttowerklohns, den er dem Auftragnehmer schuldet, einen Abzug von 15% vorzunehmen und diesen beim Finanzamt des Auftragnehmers anzumelden und für dessen Rechnung bis zum 10. Tag nach Ablauf des Anmeldungszeitraumes abzuführen (§ 48a Abs. 1 EStG). Dieses gilt auch dann, wenn es sich um eine Abschlagszahlung handelt auf eine erbrachte Bauleistung oder um eine Vorschusszahlung, der noch keine Leistung gegenübersteht.
204
In der Insolvenz eines Bauunternehmens muss also der Auftraggeber, der vom Insolvenzverwalter (Auftragnehmer) eine Bauleistung erhält, 15% des Bruttorechnungsbetrages an das Finanzamt des insolventen Unternehmens abführen. Das Gleiche gilt für einen Insolvenzverwalter, der einen Bauunternehmer beauftragt, für ihn Bauleistungen zu erbringen.
205
Die Bauabzugssteuer ist erstmals auf Gegenleistungen anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2001 erbracht wurden.
206
Der Leistungsempfänger (Auftraggeber) haftet bei nicht ordnungsgemäßer Abführung für diese Steuerschuld2.
207
Der Leistungsempfänger (Auftraggeber) hat mit dem Leistenden (Auftragnehmer) unter Angabe des Namens und der Anschrift des Leistenden, des Rechnungsbetrages, des Rechnungsdatums und des Zahlungstags, der Höhe des Steuerabzugs und des Finanzamtes, bei dem der Abzugsbetrag angemeldet worden ist, über den Steuerabzug abzurechnen (§§ 48a Abs. 2 EStG). Soweit der Abzugsbetrag einbehalten und angemeldet wurde, wird er gemäß § 48c Abs. 1 EStG auf die vom Auftragnehmer einbehaltene und angemeldete Lohnsteuer, auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer des Besteuerungs- oder Veranlagungszeitraums, in dem die Bauleistung erbracht wurde, oder auf die von ihm selbst nach §§ 48, 48a EStG anzumeldenden und abzuführenden Abzugsbeträge angerechnet (§ 48c EStG).
208
Einen Abzug vom Werklohn hat der Auftraggeber nicht vorzunehmen, wenn der Auftragnehmer ihm eine Freistellungsbescheinigung vorlegt (§ 48b EStG) oder wenn es sich um Bagatellbeträge handelt (§ 48 Abs. 2 EStG)3. Die Freistellungsbescheinigung hat das zuständige Finanzamt dem Auftragnehmer auf dessen Antrag zu erteilen, wenn der zu sichernde Steueranspruch nicht gefährdet erscheint und ggf. ein inländischer Empfangsbevollmächtigter bestellt ist. 1 Vgl. Ebling, DStR 2001, Beilage zum Heft 51; Diebold, DStR 2002, 1336; BMF v. 1. 11. 2001, DStR 2001, 2202 ff.; Mitlehner, NZI 2002, 143 ff. 2 Zur Haftung für den Bausteuerabzug vgl. Diebold, DStR 2002, 1337 ff. 3 Vgl. Ebling, DStR, Beilageheft 51, S. 3, 16 ff.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 212a § 11
Gemäß BFH-Beschl. v. 13. 11. 2002 hat der Insolvenzverwalter grundsätzlich einen Anspruch auf die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung1. Dies hat das BMF mit Schreiben vom 4. 9. 2003 bestätigt2. So ist einem Insolvenzverwalter, bei dem davon auszugehen ist, dass er seine steuerlichen Pflichten erfüllt, grundsätzlich eine Freistellungsbescheinigung auszustellen. Gleiches gilt gemäß BMF-Schreiben für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 InsO), wenn erkennbar ist, dass das Insolvenzverfahren auch tatsächlich eröffnet wird3. Ob dies allerdings auch für den vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter gilt, bleibt in dem genannten BMF-Schreiben offen.
209
Die Bauabzugssteuer ist ein weiteres Beispiel für die fehlende Abstimmung zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Auftragnehmers würde die Abführung der Bauabzugssteuer an das Finanzamt und ihre Verrechnung mit Steuerschulden des Auftragnehmers, die vor Verfahrenseröffnung begründet wurden und damit einfache Insolvenzforderungen sind, zu einer unzulässigen Befriedigung des Steuergläubigers führen. Diese Regelung verstößt gegen die insolvenzrechtlichen Vorschriften zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 174 ff. InsO). Dem hat der BFH mit Beschluss v. 13. 11. 2002 einen Riegel vorgeschoben.
210
Nach richtiger Auffassung des BFH wird die Befriedigung von Steuerforderungen gegen einen insolvent gewordenen Schuldner allein durch die Regelungen des Insolvenzrechts bestimmt4. Der Steuergläubiger ist mit Forderungen, die schon bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden haben, Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO). Seine Forderungen sind zur Insolvenztabelle anzumelden.
211
Hat der Auftraggeber für eine Bauleistung, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführt wurde, den einbehaltenen Steuerbetrag in der Insolvenz des Bauunternehmers vor Eröffnung des Verfahrens an das Finanzamt bezahlt, sind diese Abzugsbeträge auf Steuern anzurechnen, die vor Eröffnung des Verfahrens begründet wurden (Insolvenzforderungen § 38 InsO). Bei der Anrechung ist § 48c Abs. 1 EStG zu beachten. Sofern sich danach keine Anrechnungsmöglichkeiten ergeben, sind die verbleibenden Beträge mit anderen Insolvenzforderungen aufzurechnen (§ 94 InsO) (zu den Besonderheiten einer Aufrechnung in der Insolvenz vgl. § 7 Rz. 488 ff.).
212
Hat der Auftraggeber den einbehaltenen Steuerbetrag nach Eröffnung des Verfahrens an das Finanzamt bezahlt, handelt es sich bei diesem Steueranspruch um eine vor Eröffnung begründete Insolvenzforderung, wenn die Leistung des Bauunternehmers vor Eröffnung des Verfahrens erbracht wurde. Für diesen Fall bestimmt das BMF-Schreiben vom 4. 9. 2003, dass das Finanzamt den erhaltenen Abzugsbetrag an die Insolvenzmasse auszukehren hat5.
212a
1 Vgl. BFH v. 13. 11. 2003 – I B 147/02, ZIP 2003, 173 ff.; OFD Hannover, Verfügung v. 22. 4. 2003, DB 2003, 1250. 2 Vgl. BMF v. 4. 9. 2003 – IV A5 – S 22272b – 20/03; vgl. BMF v. 27. 12. 2002 – IV A 5 – S 2272 – 1/02. 3 Vgl. BMF v. 4. 9. 2003 – IV A5 – S 22272b – 20/03, zu Tz. 33. 4 Vgl. BFH v. 13. 11. 2003 – I B 147/02, ZIP 2003, 174. 5 Vgl. BMF v. 4. 9. 2003 – IV A5 – S 22272b – 20/03, zu Tz. 33; Mitlehner, NZI 2002, 144.
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§ 11
Rz. 213
Steuerrechtliche Beratung
6. Zinsabschlagsteuer 213
Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist ab dem 1. 1. 1993 bei Zinsen auf Kapitalforderung (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) ein Zinsabschlag von 30% einzubehalten, sofern es sich bei dem Gläubiger der Zinsen um einen Steuerinländer handelt. Kreditinstitute haben deshalb insbesondere auf die vom Insolvenzverwalter erwirtschafteten Festgeld- und Spareinlagezinsen den Zinsabschlag vorzunehmen. Damit wird ca. ein Drittel der vom Insolvenzverwalter erwirtschafteten Festgeldzinsen an den Fiskus abgeführt1.
213a
Die Zinsabschlagsteuer kann im Insolvenzverfahren zu zwei Problemkreisen führen.
213b
Bei den Festgeldzinsen handelt es sich unzweifelhaft um Einkünfte aus der Verwaltung der Insolvenzmasse. Die Zinsabschlagsteuer darauf gehört zu den Masseschulden i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO2. Ist die Masse ausreichend, so ist die Zinsabschlagsteuer vorweg aus der Masse zu bedienen. Die auszahlende Stelle, d.h. das Kreditinstitut führt den Zinsabschlag ab. Ist das Insolvenzverfahren jedoch gemäß § 208 InsO massearm, so ist die Rangfolge des § 209 InsO zu berücksichtigen. In diesem Fall darf die auszahlende Stelle von ihrem Abführungsrecht keinen Gebrauch machen. Um die Abführung zu verhindern, muss der Insolvenzverwalter gegenüber dem auszahlenden Kreditinstitut die Massearmut geltend machen. Das Kreditinstitut muss dann die Abführung des Zinsabschlags unterlassen3. Sollte die Massearmut später eintreten, so hat das Finanzamt eine bereits abgeführte Zinsabschlagsteuer zu erstatten. Soweit ersichtlich, liegt zu diesem Problemkreis keine Rechtsprechung vor.
213c
Ein weiterer Problemkreis ergibt sich dann, wenn Insolvenzverwalter und Steuersubjekt nicht identisch sind. Dies ist dann der Fall, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Personengesellschaft eröffnet wird. Die OHG, die KG und die KGaA sind zwar insolvenzfähig, aber nicht Steuersubjekt der Einkommensteuer. Der Gewinn z.B. in Form der Festgeldzinseinnahmen wird nach den Vorschriften der §§ 179, 180 AO einheitlich und gesondert für die Gesellschaft festgestellt und von den Gesellschaftern zugerechnet. Jedes Finanzamt hat deshalb den Zinsabschlag als Vorauszahlung auf die Einkommensteuer den Gesellschaftern zu erstatten. Dieser Konflikt kann auch nicht dadurch gelöst werden, dass der insolventen Personenhandelsgesellschaft eine Nichtveranlagungsbescheinigung gemäß § 44a Abs. 2 Nr. 2 EStG erteilt wird. Der Bundesfinanzhof hat dies abgelehnt4. Auch steht dem Insolvenzverwalter kein bereicherungsrechtlicher Anspruch gemäß § 812 BGB zu, weil die Gesellschafter sich auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB berufen können5. 1 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 144 ff.; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 478 ff.; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl., 2004, S. 250 ff. 2 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 145. 3 So Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 145. 4 Vgl. BFH v. 9. 11. 1994 – IR 5/94, BStBl. II 1995, 255. 5 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 256.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 216 § 11
Nach Auffassung des FG Freiburg ist die Gesellschaft allerdings dazu verpflichtet, erhaltene Steuererstattungen aus dem Zinsabschlag an die Insolvenzmasse auszukehren1. Dem Insolvenzverwalter steht hiernach ein gesellschaftsvertraglicher Anspruch auf Erstattung der Zinsabschlagsteuer zu, weil solche Entnahmen unzulässig seien. Diese Lösung hilft allerdings nur dann weiter, wenn der Gesellschafter zahlungsfähig ist.
213d
7. Umsatzsteuer Die Umsatzsteuer ist in den Insolvenzverfahren die wichtigste Steuerart, denn sie knüpft ausschließlich an Umsätze an, ohne dass es bei diesen Umsätzen auf die Gewinnsituation des insolventen Unternehmens ankommt. In der das Insolvenzsteuerrecht betreffenden Rechtsprechung ist hierzu eine Vielzahl von Entscheidungen ergangen2.
214
a) Die Umsatzsteuer als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit Aus insolvenzrechtlicher Sicht ist es erforderlich, zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Umsatzsteuerschulden, die zu den einfachen Insolvenzforderungen zählen (§ 38 InsO) von den Steuerschulden zu trennen, die nach Verfahrenseröffnung begründet werden und als sonstige Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 InsO) zu werten sind. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, die Zuordnung jedes einzelnen Umsatzes und jeder einzelnen Vorsteuer getrennt zu beurteilen. Bei der Umsatzsteuer ist eine zeitliche Zuordnung – entgegen der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer – der einzelnen Umsätze möglich, mit der Konsequenz, dass jeder einzelne Umsatz und jeder einzelne Vorsteuerbetrag getrennt beurteilt werden kann3.
215
Die Zuordnung der Umsätze richtet sich danach, wann die Umsatzsteuer auf den einzelnen steuerpflichtigen Umsatz begründet wurde, i.S.d. § 38 InsO. Bislang ist die Rechtsprechung uneinheitlich, was unter „Begründetsein“ i.S.d. § 38 InsO zu verstehen ist. Der siebte Senat des BFH definiert den Begriff „Begründetsein“ insolvenzorientiert4. Nach Auffassung des siebten Senats ist darauf abzustellen, ob der Rechtsgrund für einen Anspruch bereits gelegt war. Hiernach ist die Umsatzsteuerforderung dann einfache Insolvenzforderung, wenn der zivilrechtliche Sachverhalt der zur Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht wurde. Die Umsatzsteuerforderung ist in diesem Sinne dann vor Eröffnung begründet, wenn die Leistungserbringung durch den Steuerschuldner vor Verfahrenseröff-
216
1 Vgl. LG Freiburg v. 3. 8. 1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2065. 2 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 173 ff.; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 306 ff.; Kurth, Handbuch zur Insolvenz, Fach 5, Kap. 2, Rz. 601 ff.; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 345 ff. 3 Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung in Insolvenzverfahren, 5. Aufl. 2002, S. 105. 4 Vgl. BFH v. 16. 11. 2004 – VII R 75/03, ZIP 2005, 628; BFH v. 5. 10. 2004 – VII R 69/03, ZIP 2005, 266.
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1195
§ 11
Rz. 217
Steuerrechtliche Beratung
nung liegt. Die Erteilung einer Rechnung ist nach Auffassung des siebten Senats nicht ausreichend. 217
Der fünfte Senat des BFH ist dagegen der Auffassung, dass eine Umsatzsteuerforderung dann begründet ist, wenn der Tatbestand, aus dem sich der Anspruch ergibt, vollständig verwirklicht, also abgeschlossen ist1. Danach muss nicht nur die Leistung erbracht sein, sondern auch die Rechnung vor Eröffnung ausgestellt sein. Die Finanzverwaltung neigt eher der Auffassung des siebten Senats des BFH zu2. Die Frage wurde durch den großen Senat bisher nicht geklärt.
218
Ist die Lieferung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt (z.B. Umsatz 10. Juni 2007 und Insolvenzeröffnung nach 10. Juni 2007), ist sie zur Insolvenztabelle anzumelden als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) (zur Anmeldung einer Insolvenzforderung vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Entsprechendes gilt für den Rückforderungsanspruch des Finanzamtes bezüglich der Vorsteuerabzugsbeträge3.
219
Wurde die Lieferung nach Insolvenzeröffnung begründet (Umsatz 10. Juni 2007 und Insolvenzeröffnung vor Juni 2007), so gehört die Umsatzsteuer zu den Masseverbindlichkeiten.
220
Bei den Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die der vorläufige (starke) Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 InsO während des vorläufigen Insolvenzverfahrens begründet, handelt es sich um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO4. Handelt es sich um einen vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter, dem die Verfügungsbefugnis nicht übertragen wurde, so begründet dieser keine Masseverbindlichkeiten, sondern Insolvenzforderungen5.
221
Einstweilen frei. b) Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 Abs. 2 UStG
222
Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S.d. § 17 Abs. 1 Nr. 1–3 UStG geändert, so hat der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Dies gilt auch dann, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 UStG).
223
Nach der Rechtsprechung des BFH werden Forderungen für Lieferungen und sonstige Leistungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für das Unternehmen des Schuldners ausgeführt und nicht erfüllt worden sind, spätestens 1 Vgl. BFH v. 3. 6. 1987 – V R 57/79, BStBl. II 1987, 741. 2 Vgl. OFD Frankfurt, Verfügung v. 24. 11. 2004 – S 7340 A – 85- St I 1.10, Tz. 27; OFD Nürnberg, Verfügung v. 25. 1. 2005, S 7100 – 620/St 43, ZInsO 2005, 584; so auch Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 353. 3 Vgl. BFH v. 20. 8. 1992 – V R 98/90, UR 1993, 66. 4 Vgl. OFD Hannover, Verfügung v. 7. 2. 2001, UR 2001, 364, 365. 5 Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung in Insolvenzverfahren, 5. Aufl. 2002, S. 107.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 227 § 11
mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – ungeachtet einer möglichen Insolvenzquote – in vollem Umfang i.S.v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich1. Der Insolvenzverwalter hat für den Steuerschuldner den bisherigen Vorsteuerabzug zu berichtigen soweit eine gegen ihn gerichtete Forderung uneinbringlich geworden ist. Uneinbringlich ist die Forderung nicht erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern bereits dann, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende das Entgelt ganz oder teilweise auf absehbare Zeit nicht erhalten wird2. Sofern Forderungen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich geworden sind, ist der Rückforderungsanspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet. Der BFH sieht die Uneinbringlichkeit als anspruchsbegründeten Tatbestand bereits zu diesem Zeitpunkt als verwirklicht an3.
224
Sofern Lieferungen und sonstige Leistungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Insolvenzmasse ausgeführt und in Rechnung gestellt werden, aber vom Insolvenzverwalter aus verschiedenen Gründen nicht bezahlt werden oder bezahlt werden können, gehören die entsprechenden Vorsteuerrückforderungsansprüche aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu den Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
225
Die dargestellten Grundsätze sind auch auf die Fälle anwendbar, in denen Vorsteuer korrigiert werden muss, weil für eine Lieferung oder sonstige Leistung eine Anzahlung entrichtet wurde und die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch noch nicht vollständig ausgeführt worden ist (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 UStG). Zu beachten ist allerdings, dass es sich in diesem Fall um eine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO handelt, wenn die Lieferung oder sonstige Leistung vollständig vor Insolvenzeröffnung ausgeführt wird, und um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Lieferung oder sonstige Leistung vollständig nach Insolvenzeröffnung ausgeführt wird4.
226
Vorsteuerrückforderungsansprüche, die darauf beruhen, das Leistungen nicht vollständig ausgeführt werden, für die der Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO die Erfüllung des Vertrages ablehnt, führen nach der Auffassung des BFH nicht zu einer Vorsteuerberichtigung auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung5. Dies gilt, obwohl bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht feststeht, wie der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht ausüben wird (zum Wahlrecht des Verwalters gemäß § 103 InsO vgl. § 8 Rz. 10 ff.).
227
1 Vgl. BFH v. 13. 11. 1986 – V R 59/79, BStBl. II 1987, 226; BFH v. 16. 7. 1987 – V R 80/82, BStBl. II, 691; BFH v. 8. 10. 1997 – X R 25/97, BStBl. II 1998, 69; BFH v. 28. 6. 2000 – VR 45/99, BStBl. II 2000, 703. 2 Vgl. BFH v. 13. 7. 2006 – VB 70/06, ZIP 2006, 1779; BFH v. 22. 4. 2004 – VR 72/03, BStBl. II 2004, 684; BFH v. 13. 1. 2005 – VR 21/04, BFH/NV 2005, 928. 3 Vgl. BFH v. 13. 11. 1986 – V R 59/79, BStBl. II 1987, 226; BFH v. 16. 7. 1987 – V R 80/82, BStBl. II, 691; BMF v. 17. 12. 1998, BStBl. I, 1500 Tz. 4.2. Beispiel 2. 4 Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 332. 5 Vgl. BFH v. 28. 6. 2000 – V R 45/99, BStBl. II 2000, 703.
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§ 11
Rz. 227a
Steuerrechtliche Beratung
c) Umsatzsteuer bei der Herausgabe an den Aussonderungsberechtigten – Kauf unter Eigentumsvorbehalt 227a
Die Insolvenzordnung räumt nach § 103i.V.m. § 107 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter bei Lieferung an den Schuldner unter Eigentumsvorbehalt ein Wahlrecht ein. Der Insolvenzverwalter kann die Erfüllung der noch offenen Kaufpreisverpflichtung ablehnen, mit der Folge, dass der Verkäufer ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO beanspruchen kann (vgl. § 7 Rz. 29 ff.).
227b
Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, macht er die ursprüngliche steuerbare Lieferung rückgängig. Der Insolvenzverwalter hat dann die Vorsteuer nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 UStG zu berichtigen, soweit er aus der Rechnung des Vorbehaltsverkäufers Vorsteuer abgezogen hatte. Die Berichtigung ist in dem Voranmeldungszeitraum vorzunehmen, in dem der Vorbehaltsverkäufer die Ware zurückgenommen hat. Der Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG ist in diesem Fall eine Insolvenzforderung, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist (§ 38 InsO)1.
227c
Wählt der Insolvenzverwalter gemäß § 103 Abs. 1 i.V.m. § 107 InsO die Erfüllung des Vertrages und zieht den Vermögensgegenstand zur Masse, hat er die Forderung des Vorbehaltsverkäufers voll zu erfüllen. Da es bei der Resterfüllung des Kaufvertrages zu keinem neuen Leistungsaustausch zwischen Insolvenzverwalter und Vorbehaltsverkäufer kommt, ist es dem Insolvenzverwalter verwehrt, von diesem eine Rechnung zwecks Vorsteuerabzug über den gesamten Lieferumfang zu verlangen2. Mit der Erfüllungswahl liegt aufgrund der Auffassung des BFH keine Uneinbringlichkeit der Leistung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung mehr vor. Es hat weder eine Berichtigung der Vorsteuer im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch eine Rückberichtigung zugunsten der Insolvenzmasse zu erfolgen3.
227d
Der Einsatz von Vorbehaltsware durch den vorläufigen Insolvenzverwalter vor Insolvenzeröffnung führt dadurch stets dazu, dass er die Ware in vollem Umfang zahlen muss und einen Vorsteuerabzug nicht geltend machen kann, da der Vorsteueranspruch einfache Insolvenzforderung ist. Es ist deshalb für den Verwalter zu prüfen, ob nicht die Ersatzbeschaffung günstiger ist.
! Hinweis: 227e
Aus diesem Grund wird in der Praxis oftmals vereinbart, dass der Eigentumsvorbehaltsverkäufer den unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Gegenstand zurücknimmt (Rückgängigmachung der Lieferung) und ein neuer Liefervertrag für den Gegenstand abgeschlossen wird. Diese Vorgehensweise beabsichtigt, dass die Vorsteuerrückforderung als Insolvenzforderung bestehen bleibt und der Insolvenzmasse ein neuer Vorsteuerabzug aus der neuen Lieferung entsteht. 1 Vgl. Stadie, Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Rz. 1240; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 335. 2 Vgl. BFH v. 15. 3. 1994 – XI R 45/93, UR 1995, 488. 3 Vgl. BFH v. 28. 6. 2000 – VR 45/99, BStBl. III, 2000, 703.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 229 § 11
Die Finanzverwaltung sieht in dem neuen Liefervertrag keine Rückgängigmachung der ursprünglichen Lieferung, sondern lediglich eine Bestätigung des ursprünglichen Vertrages bzw. einen Gestaltungsmissbrauch und erkennt einen Vorsteuerabzugsanspruch für die Insolvenzmasse nicht an1.
227f
Der BFH hat mit Urteil v. 15. 3. 1994 entschieden, dass der Vorsteueranspruch zugunsten der Insolvenzmasse nicht besteht, da der neue Liefervertrag lediglich als Bestätigung des alten Vertrages anzusehen sei2. Nach Ansicht des BFH ist es für eine Anerkennung des neuen Vertragsverhältnisses erforderlich, dass die Eigentumsvorbehaltsware ausgesondert wird, die Aussonderung kenntlich gemacht wird und eine neue Lieferung erfolgt. Ob hierzu tatsächlich der Vermögensgegenstand vom Insolvenzschuldner zurück an den Lieferanten geliefert werden muss und eine neue Lieferung erfolgen muss, ist strittig.
227g
Nach einem Urteil des FG Köln reicht die Inventarisierung und Separierung der Vorbehaltsware von den anderen Vermögensgegenständen des Insolvenzschuldners z.B. die Verbringung in ein separates Lager oder in einen gesonderten Teil des übrigen Lagers aus, um eine Rückgängigmachung der ursprünglichen Lieferung zu bewirken3. Nach der Auffassung des FG Köln ist die Ablehnung des Kaufvertrages für unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Ware und der spätere Neuerwerb von Gegenständen des Umlaufvermögens durch den Insolvenzverwalter nicht generell, sondern nur in begründeten Einzelfällen ein Scheingeschäft oder Rechtsmissbrauch. Der Lieferant kann eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis an die Masse stellen und die Insolvenzmasse bei der „Neulieferung“ die Vorsteuer ziehen. Dies ist vom Ergebnis zutreffend, da der Insolvenzverwalter ansonsten beim Einsatz von Vorbehaltsware 19% höhere Materialkosten tragen muss. Unter diesen Umständen müsste der Insolvenzverwalter ansonsten den Einsatz von Vorbehaltsware generell ablehnen.
227h
d) Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 15a UStG Durch Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters kann eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG zuungunsten des insolventen Unternehmens ausgelöst werden. Gemäß § 15a Abs. 1 UStG ist eine Berichtigung des auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes ursprünglich entfallenen Vorsteuerbetrages immer dann vorzunehmen, wenn sich die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung maßgebend waren, geändert haben4.
228
Der Vorsteuerberichtigungsanspruch entsteht z.B. dann, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger ein zur Insolvenzmasse gehörendes Grundstück
229
1 Vgl. OFD Frankfurt v. 1. 10. 1998, UR 1999, 297, 300, Rz. 52. Andere Auffassung: Maus, Steuerliche Probleme in Insolvenzverfahren, S. 103; FG München v. 17. 10. 1984 – III 195/80 U, EFG 1985, 204. 2 Vgl. BFH v. 15. 3. 1994 – XI R 45/93, UR 1995, 488. 3 Vgl. FG Köln v. 9. 9. 1997, EFG 1998, 155 ff. 4 § 15a UStG ist mit Wirkung zum 1. 1. 2005 durch das Richtlinienumsetzungsgesetz v. 9. 12. 2004 neu gefasst worden. Vgl. BStBl. I 2004, 1158; BMF v. 6. 12. 2005, IV A 5 – S7316-25/05, BStBl. I 2005, 1068.
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§ 11
Rz. 230
Steuerrechtliche Beratung
aus dessen Anschaffungs- oder Baunebenkosten der Schuldner ursprünglich Vorsteuern gezogen hatte, innerhalb des 10-jährigen Berichtigungszeitraumes des § 15a UStG versteigern lässt. Mit der Erteilung des Zuschlages in der Zwangsversteigerung führt der Insolvenzschuldner eine Lieferung des Grundstücks an den Erwerber aus. Da dieser Umsatz gemäß § 4 Nr. 9a UStG steuerfrei ist, muss in diesem Fall der Vorsteuerabzug gemäß § 15a Abs. 1, 4 UStG wegen Änderung der Verhältnisse, die bei der erstmaligen Verwendung des Grundstücks für den Vorsteuerabzug maßgeblich waren, durch die steuerfreie Grundstückslieferung geändert werden. Nach Auffassung des BFH begründet der Berichtigungsanspruch eine Masseverbindlichkeit1. 230
Ein ähnlicher Fall ist darin zu sehen, dass der Insolvenzverwalter das Grundstück freihändig ohne Umsatzsteuer veräußert, ohne dass er nach § 9 UStG zur Steuerpflicht optiert.
231
Führt die Verwertung des Insolvenzverwalters zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1, 4 UStG zuungunsten des insolventen Unternehmens, ist der Vorsteuerberichtigungsbetrag als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu werten2.
232
Dies begründet der BFH im Fall der Verwertung durch den Insolvenzverwalter damit, dass der Vorsteuerberichtigungsanspruch zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht i.S.v. § 138 InsO begründet ist, da zu diesem Zeitpunkt die für den Anspruch nach § 15a Abs. 1, 4 UStG maßgeblichen Tatbestandsmerkmale noch nicht erfüllt sind3. Erst dann, wenn der Insolvenzverwalter das Grundstück steuerfrei veräußert, tritt eine Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 15a UStG ein. Erst zu diesem Zeitpunkt wird der Rechtsgrund für die Berichtigung gelegt. Ähnliches gilt im Fall der Zwangsversteigerung. Wird das Grundstück durch einen absonderungsberichtigten Insolvenzgläubiger zwangsversteigert, ist der Tatbestand des § 15a UStG erst zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung verwirklicht, da sich die Verhältnisse erst zu diesem Zeitpunkt geändert haben4.
232a
Ein Berichtigungsanspruch kann auch zugunsten der Insolvenzmasse entstehen. Veräußert der Insolvenzverwalter z.B. nach Insolvenzeröffnung ein Grundstück, das bisher steuerfrei errichtet wurde, d.h. ohne Vorsteuerabzug mit Umsatzsteuer, so erfolgt eine Korrektur gemäß § 15a UStG zugunsten der Insolvenzmasse5. Das Finanzamt kann insoweit auch nicht mit vor Insolvenzeröffnung begründeten Umsatzsteuerforderungen aufrechnen.
1 Vgl. BFH v. 6. 6. 1991 – V R 115/87, BStBl. II 1991, 817; OFD Frankfurt, Verfügung v. 24. 11. 2004, S 7340 A-85-St I, 1.10, Tz. 50. 2 Vgl. BFH v. 13. 11. 1986 – V R 59/79, BStBl. II 1987, 226; BFH v. 9. 4. 1987 – V R 23/80, BStBl. II, 527; BFH v. 6. 6. 1991 – V R 115/87, BStBl. II, 817; BFH v. 6. 6. 1991 – V R 115/87, BStBl. II 1992, 817. 3 Vgl. BFH v. 9. 4. 1987 – V R 23/80, BStBl. II, 527, 529. 4 Vgl. BFH v. 6. 6. 1991 – V R 23/80, BStBl. II, 817. 5 Vgl. OFD Frankfurt, Verfügung v. 24. 11. 2004 – S 7340 A-85-St I, 1.10, Tz. 50.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 236 § 11
e) Verwertung von mobiliarem Sicherungsgut Bei der Verwertung von Sicherungsgut ist zunächst zu unterscheiden, ob die Verwertung vor oder nach der Insolvenzeröffnung durchgeführt und ob das Sicherungsgut vom Insolvenzverwalter oder vom Sicherungsnehmer verwertet wird (allgemein zur Verwertung von Sicherungsgut vgl. § 7 Rz. 240 ff.).
233
Die Sicherungsübereignung gibt dem Sicherungsnehmer nach § 51 Nr. 1 InsO ein Recht zur abgesonderten Befriedigung. Das Verwertungsrecht des Sicherungsgutes steht gemäß § 166 Abs. 1 InsO dem Insolvenzverwalter zu, falls er das Sicherungsgut in seinem Besitz hat. Er kann allerdings nach § 170 Abs. 2 InsO auf sein Verwertungsrecht verzichten und dem Sicherungsnehmer die Verwertung überlassen, dem Sicherungsnehmer zur freien Verfügung überlassen (§ 168 Abs. 3 InsO) oder das Sicherungsgut an den Insolvenzschuldner aus der Masse freigeben.
234
Das folgende Schaubild zeigt die Verwertungsmöglichkeiten aus umsatzsteuerlicher Sicht:
234a
aa) Verwertung von Sicherungsgut durch den Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung Verwertet der Insolvenzverwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO der Masse gehörende sicherungsübereignete Gegenstände, liegt ein steuerbarer Umsatz in Form einer Lieferung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Dritterwerber vor (einstufiger Umsatz)1. Die auf die steuerbare Lieferung an den Erwerber entfallende Umsatzsteuer ist Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO2.
235
Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Insolvenzverwalters ist nach § 10 Abs. 1 UStG das vereinbarte Entgelt. Gemäß § 170 Abs. 1 InsO i.V.m. § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO ist der Insolvenzverwalter berechtigt, die Umsatzsteuer vom Verwertungserlös einzubehalten. Er kehrt an den Sicherungsnehmer (z.B. Bank) den Bruttobetrag abzüglich Umsatzsteuer, abzgl. 9% Verwertungskosten
236
1 Vgl. BFH v. 20. 7. 1987 – V R 2/75, BStBl. II 1987, 684; BFH v. 4. 6. 1987 – V R 57/79, BStBl. II 1987, 741; BFH v. 28. 6. 2000 – VR 87/99, BStBl. II, 639; Abschnitt 2 Abs. 1 S. 6 UStR 2005. 2 Vgl. BFH v. 4. 6. 1987 – V R 57/79, BStBl. II 1987, 741.
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1201
§ 11
Rz. 237
Steuerrechtliche Beratung
auf den Nettobetrag aus (4% Feststellungskosten gemäß § 171 Abs. 1 Satz 2 InsO und 5% Verwertungskosten gemäß § 171 Abs. 2 Satz 1 InsO)1. 237
Dies sei an folgendem Beispiel verdeutlicht: Der Insolvenzverwalter verwertet den Sicherungsgegenstand für 100 000 Euro zzgl. 19 000 Euro Umsatzsteuer. Die Abrechnung gegenüber dem Sicherungsnehmer sieht wie folgt aus: Bruttoerlös abzgl. Umsatzsteuer Nettoerlös
119 000 Euro 19 000 Euro 100 000 Euro
Für den Sicherungsnehmer verbleibt damit ein Verwertungserlös von: Nettoerlös Abzgl. Feststellungskosten (4% auf 100 000 Euro) Abzgl. Verwertungskosten (5% auf 100 000 Euro) Insgesamt:
100 000 4 000 5 000 91 000
Euro Euro Euro Euro
Auf die Kostenbeiträge – Feststellungs- und Verwertungskosten – selbst ist keine Umsatzsteuer zu erheben. Nach Auffassung der OFD Münster sind die Feststellungs- und Verwertungskostenpauschalen nach § 170 InsO i.V.m. § 171 Abs. 1 und 2 InsO kein Entgelt für steuerbare und steuerpflichtige Leistungen des Insolvenzschuldners an den Sicherungsnehmer2. Der BFH hat sich dieser Auffassung angeschlossen3 bb) Verwertung von Sicherungsgut durch den Sicherungsnehmer nach Insolvenzeröffnung 238
Überlässt der Insolvenzverwalter dem Sicherungsnehmer (z.B. Bank) das Sicherungsgut nach § 170 Abs. 2 InsO zur Verwertung und verwertet der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut, so liegen nach der Rechtsprechung des BFH zwei Lieferungen (Doppelumsatz) vor, und zwar einerseits eine Lieferung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Sicherungsnehmer und andererseits eine Lieferung zwischen dem Sicherungsnehmer und dem Dritterwerber4. 1 Vgl. de Weerth, BB 1999, 824; ob die Höhe der Verwertungs- und Feststellungskostenpauschalen auf den Brutto- oder Nettobetrag zu rechnen sind, ist streitig. Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 349. Vom Nettoerlös gehen aus de Weerth, UR 2003, 161; Geurts, DB 1999, 819; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Rz. 1203; AG Halle/Saale v. 5. 1. 2001, ZInsO 2001, 270. Vom Bruttoerlös gehen aus Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 171 Rz. 2 f.; LG Düsseldorf v. 15. 1. 2004 – 55 C, 16706/02, ZInsO 2004, 1091. In Abkehr zur ersten Auflage schließt sich der Autor der überwiegenden Auffassung an und geht nunmehr vom Nettobetrag aus. 2 Vgl. OFD Münster, n.v., Kurzinformation zur Umsatzsteuer Nr. 14/2003 v. 27. 5. 2003. 3 Vgl. BFH v. 10. 2. 2005 – V R 31/04, ZInsO 2005, 815. 4 Vgl. BFH v. 31. 5. 1972 – V R 121/71, BStBl. II, 809; BFH v. 24. 9. 1987 – V R 19/82, BFH/NV 1998, 678; BFH v. 6. 6. 1991 – V R 115/87, BStBl. II, 817; BFH v. 13. 5. 1992 – V B 225/91, BFH/NV 1972, 846; BFH v. 12. 5. 1993 – XI R 49/90, BFH/NV 1994, 274; BFH v. 21. 7. 1994 – V R 114/91, BStBl. II, 878; BFH v. 9. 3. 1995 – V R 102/89, BStBl. II, 564; BFH v. 16. 4. 1997 – XI R 87/96, BStBl. II, 585; BFH v. 29. 10. 1998 – V B 38/98, BFH-NV 1999, 680. Dem hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen, vgl. Abschn. 2 Abs. 3 S. 2 UStR.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 242 § 11
Die Doppellieferung erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Sicherungsnehmer den Vermögensgegenstand an den Dritterwerber veräußert1. Die aus der Lieferung vom Insolvenzverwalter an den Sicherungsnehmer resultierende Umsatzsteuer ist eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der Sicherungsnehmer muss die Umsatzsteuer gemäß § 170 Abs. 2 i.V.m. § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO aus diesem ersten Umsatz an die Insolvenzmasse abführen.
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Die Bemessungsgrundlage für die Lieferung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Sicherungsnehmer ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG die Gegenleistung abzüglich der Umsatzsteuer. Die Gegenleistung des Sicherungsnehmers bestimmt sich danach, in welcher Höhe die Darlehensforderung des Sicherungsnehmers getilgt wird.
240
Der Insolvenzverwalter muss dem Sicherungsnehmer bezüglich dieser ersten Lieferung eine Rechnung ausstellen. Üblich ist es jedoch auch, dass der Sicherungsnehmer stattdessen dem Insolvenzverwalter eine Gutschrift nach § 14 Abs. 5 UStG erteilt, die als Rechnung anzusehen ist2.
241
Gutschrift und Rechnung werden an folgendem Beispiel verdeutlicht: Beispiel: Die Bank (Sicherungsnehmer) verwertet den Sicherungsgegenstand (Fahrzeug) für 100 000 Euro zzgl. 19 000 Euro Umsatzsteuer. Sie führt die 19 000 Euro an das Finanzamt ab. Die Bank stellt dem Insolvenzverwalter eine Gutschrift aus, die folgendermaßen aussieht: Bruttoerlös abzgl. Umsatzsteuer abzgl. Verwertungskosten (netto) Abzüge insgesamt Fahrzeug (Nettoerlös) zuzügl. Umsatzsteuer Fahrzeug (Bruttoerlös)
119 000 19 000 2 000 21 000 98 000 18 620 116 620
Euro Euro Euro Euro Euro Euro Euro
Nach § 170 Abs. 2 InsO muss die Bank vorweg an die Masse die geschuldete Umsatzsteuer und die Feststellungskosten auskehren. Umsatzsteuer Feststellungskosten (4% auf 100 000 Euro) Insgesamt
18 620 Euro 4 000 Euro 22 620 Euro
Aus Sicht des Sicherungsnehmers verbleibt damit für die Bank ein Verwertungserlös von: Bruttoverwertungserlös abzgl. Umsatzsteuer FA abzgl. Umsatzsteuer Insolvenzverwalter abzgl. Feststellungskosten (4% auf 100 000) abzgl. Verwertungskosten (netto) zzgl. Vorsteuerabzugsanspruch Nettoverwertungserlös
119 000 19 000 18 620 4 000 2 000 18 620 94 000
Euro Euro Euro Euro Euro Euro Euro
Das Darlehen der Bank wird damit in Höhe von 94 000 Euro befriedigt. Soweit dieser Betrag die Schuld übersteigt, hat die Bank den Überschuss an die Masse auszukehren. 1 Vgl. de Weerth, BB 1999, 824. 2 Vgl. Obermüller, ZInsO 1999, 249, 254.
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1203
242
§ 11
Rz. 243
Steuerrechtliche Beratung
dd) Verwertung von Sicherungsgut außerhalb des Insolvenzverfahrens durch den Sicherungsnehmer oder den vorläufigen Insolvenzverwalter 243
Erfolgt die Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder nach Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse, so gilt für alle Umsätze mit sicherungsübereigneten Gegenständen, die nach dem 31. 12. 2001 erfolgt sind, die Vorschrift des § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG1.
244
Hiernach entsteht die Steuer mit Ausstellung der Rechnung (Gutschrift) bei der Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände außerhalb der Insolvenz und ist vom Leistungsempfänger (Sicherungsnehmer) abzuführen, wenn dieser ein Unternehmer ist. Liefert also der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter sicherungsübereignete Gegenstände an den Sicherungsnehmer (z.B. Bank) ist dieser Umsatz steuerpflichtig; der Sicherungsnehmer muss die Umsatzsteuer einbehalten und abführen und haftet für die Umsatzsteuer. Der vorläufige Insolvenzverwalter schreibt an den Sicherungsnehmer eine Rechnung oder, wie häufig in der Praxis üblich, erhält eine Gutschrift.
245
Verwertet der Sicherungsnehmer (Bank) den sicherungsübereigneten Gegenstand durch Übertragung an einen Dritten (Endabnehmer) vor Insolvenzeröffnung, entsteht ein zweiter steuerpflichtiger Umsatz außerhalb der Insolvenz (Doppelumsatz-Theorie). Diese Umsatzsteuer aus der Lieferung des Sicherungsnehmers an den Dritten hat der Sicherungsnehmer gleichfalls anzumelden und abzuführen2. Beide Umsätze erfolgen dabei zu dem Zeitpunkt, in dem der Sicherungsnehmer von seinem Verwertungsrecht Gebrauch macht3.
246
Die Vorschrift des § 13b UStG ist nach richtiger Auffassung nicht auf Umsätze des vorläufigen starken Insolvenzverwalters, der die Verfügungsmacht übertragen bekommen hat, anzuwenden4. Obwohl der Umsatz, den der vorläufige starke Insolvenzverwalter im Vorverfahren tätigt, formaljuristisch zeitlich gesehen außerhalb der Insolvenz liegen kann, ist § 13b UStG nicht anzuwenden, da der vorläufige starke Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO begründet. § 13b UStG gilt immer nur für derartige Umsätze, wenn die daraus resultierende Umsatzsteuer nicht zu Masseverbindlichkeiten führt5. Wird nämlich insolvenzbefangenes Vermögen geliefert und entstehen hinsichtlich der Umsatzsteuer Masseverbindlichkeiten, so kann der Steueranspruch regelmäßig befriedigt werden, so dass es der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Lieferungsempfänger nicht bedarf. Umsätze des vorläufigen starken Insolvenzverwalters sind demnach ähnlich wie oben unter 1 Art. 14 Nr. 4 i.V.m. Art 26 StÄndG 2001, BGBl. 2001, 3794. Die Vorschriften zum Abzugsverfahren (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 UStG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 2 UStDV) sind seitdem nicht mehr anwendbar. 2 Vgl. BFH v. 6. 10. 2005 – VR 20/04, BFH NV 2006, 222; Abschnitt 2 Abs. 1 UStR 2005. 3 Vgl. BFH v. 21. 7. 1994 – V R 114/91, BStBl. II 1994, 878. 4 Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter (Stand 6/2002), § 13b Rz. 68. Anderer Auffassung ist die Finanzverwaltung. Sie will § 13b UStG auch beim vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalter anwenden; OFD Frankfurt, Verfügung v. 24. 11. 2004, S 7340A-85-St I 1.10, Tz. 52. 5 So Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2005, S. 365.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 252a § 11
Rz. 235 ff. zu behandeln mit dem Unterschied, dass Kostenbeiträge gemäß §§ 170, 171 InsO nicht zu berücksichtigen sind. Verwertet der vorläufige schwache Insolvenzverwalter den sicherungsübereigneten Gegenstand im Insolvenzeröffnungsverfahren selbst ohne Einschaltung des Sicherungsnehmers, so ist § 13b UStG anzuwenden. Die Verwertung führt zu einem Doppelumsatz mit der Folge, dass der Sicherungsnehmer Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 UStG für Lieferungen vom Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer sowie Umsatzsteuer für die Lieferung vom Sicherungsnehmer an den Endabnehmer nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG schuldet1. § 13b UStG ist hier anzuwenden, da die aus der Verwertung resultierende Umsatzsteuer nicht zu Masseverbindlichkeiten führt. Die Vorschriften zur Abführung von Kostenbeiträgen sind gleichfalls nicht anzuwenden, da §§ 170, 171 InsO nur im eröffneten Insolvenzverfahren gelten2.
247
Überlässt der vorläufige (starke oder schwache) Insolvenzverwalter dem Sicherungsnehmer vor Insolvenzeröffnung den Sicherungsgegenstand, verwertet der Sicherungsnehmer den Gegenstand allerdings erst nach Insolvenzeröffnung an einen Dritten, so gilt gleichfalls die Doppelumsatztheorie3. Erst im Zeitpunkt der Verwertung des Sicherungsgutes an den Endabnehmer entstehen zwei Umsätze (vorläufiger Verwalter an Bank und Bank an Endabnehmer). Die Umsatzsteuer aus der Verwertung der ersten Lieferung ist eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
248
Einstweilen frei.
249–250
ee) Übernahme von Sicherungsgut durch den Sicherungsnehmer vom Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung Der Sicherungsnehmer kann gemäß § 168 Abs. 3 InsO das Sicherungsgut selbst vom Insolvenzverwalter übernehmen. Hierdurch fallen zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum in der Person des Sicherungsnehmers zusammen.
251
Umsatzsteuerlich führt die Übernahme des Sicherungsgutes durch den Sicherungsnehmers zu einer Lieferung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Sicherungsnehmer4. Die beim Insolvenzschuldner anfallende Umsatzsteuer ist Masseverbindlichkeit. Der Insolvenzverwalter muss die Umsatzsteuer gemäß § 170 Abs. 1 InsO i.V.m. § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO abführen. Ein weiterer Umsatz entsteht dann, wenn der Sicherungsnehmer den Sicherungsgegenstand an einen Dritten veräußert5 (zu diesem so genannten Selbsteintritt vgl. § 7 Rz. 295).
252
ff) Verwertung durch den Sicherungsgeber außerhalb des Insolvenzverfahrens Übernimmt es der Sicherungsgeber vor Insolvenzeröffnung, das Sicherungsgut in eigenem Namen, aber für Rechnung des Sicherungsgebers an einen Dritt1 2 3 4 5
Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 366. Vgl. Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 23. Vgl. BFH v. 21. 7. 1994, BStBl. II 1994, 878 f. Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 306. Hierdurch entsteht ein von der Übernahme unabhängiger Umsatz. Vgl. de Weerth, BB 1999, 824.
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252a
§ 11
Rz. 253
Steuerrechtliche Beratung
erwerber zu veräußern, so kommt es nach Auffassung des BFH zu einem Dreifachumsatz1. Eine erste Lieferung des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer entsteht, da der Sicherungsnehmer mit der Verwertung des Sicherungsgutes die Verfügungsmacht unabhängig von der Frage erlangt, wer die Verwertung vornimmt. Steuerschuldner für diese Lieferung ist gemäß § 13b Abs. 2 UStG i.V.m. § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG der Sicherungsnehmer, da die Lieferung außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt. Eine zweite Lieferung entsteht zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer. Nach der Auffassung des BFH kommt es zu einem Kommissionsgeschäft gemäß § 3 Abs. 3 UStG2. Für diese Lieferung schuldet der Sicherungsnehmer die Umsatzsteuer und dem Sicherungsgeber steht der entsprechende Vorsteuerabzugsbetrag zu. Zu einer dritten Lieferung kommt es, wenn der Sicherungsgeber das Sicherungsgut an den Dritterwerber umsatzsteuerbar veräußert. Steuerschuldner für diese Lieferung ist der Sicherungsgeber. Alle drei Lieferungen erfolgen zum Zeitpunkt der Lieferung an den Dritterwerber. Alle drei Lieferungen erfolgen in einer logischen Sekunde. Bemessungsgrundlage für alle drei Lieferungen ist das Entgelt für die dritte Lieferung des Sicherungsgebers an den Dritten3. f) Freigabe von Sicherungsgut 253
Für den Insolvenzverwalter besteht die Möglichkeit, Massegegenstände aus seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) freizugeben, indem er diese aus der Insolvenzmasse an den Insolvenzschuldner übergibt und ihm das Verwaltungs- und Verfügungsrecht überträgt. Durch die Freigabe verliert der Vermögensgegenstand seine Eigenschaft als Massegegenstand nach § 35 InsO. Die Lösung aus der Beschlagnahme ist nicht als Lieferung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 UStG steuerbar, sondern stellt mangels Rechtssubjektwechsels einen nicht steuerbaren Vorgang dar4. Erst wenn der Insolvenzschuldner das Sicherungsgut selbst veräußert, entsteht ein umsatzsteuerbarer Vorgang.
254
Zu unterscheiden ist allerdings nach der alten Rechtsprechung des BFH zwischen einer „echten Freigabe“ und einer „modifizierten Freigabe“.
255
Bei einer „echten Freigabe“ wird nach der bisherigen Auffassung des BFH durch die Freigabeerklärung die Massezugehörigkeit des Sicherungsgutes endgültig aufgegeben. Das Sicherungsgut wird insolvenzfreies Vermögen. Liefert der Insolvenzschuldner den Vermögensgegenstand an einen Dritten, so ist die daraus entstehende Umsatzsteuer außerhalb des Insolvenzverfahrens gegen1 Vgl. BFH v. 6. 10. 2005 – V R 20/04, BFH/NV 2006, 222; BFH v. 30. 3. 2006 – V R 9/03, BFH/NV 2006, 1422. 2 Vgl. BFH v. 6. 10. 2005 – V R 20/04, BFH/NV 2006, 222. 3 Vgl. BFH v. 6. 10. 2005 – V R 20/04, BFH/NV 2006, 222. 4 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl. 2005, S. 210 ff.; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 357 ff.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 259a § 11
über dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zu erklären1. Allerdings hat der Sicherungsnehmer Umsatzsteuer nach § 13b UStG einzubehalten und abzuführen. Bei der „modifizierten Freigabe“ überlässt der Insolvenzverwalter dem Insolvenzschuldner das Sicherungsgut nur insofern, als dass der Erlös aus der Verwertung des freigegebenen Gegenstandes der Insolvenzmasse zugute kommt. In diesem Fall entsteht nach der bisherigen Auffassung des BFH mit der Herausgabe des Sicherungsgutes durch den Insolvenzschuldner an den Dritten ein umsatzsteuerbarer Vorgang. Die hieraus resultierende Umsatzsteuer ist Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO2.
256
Der BFH sieht mit Urteil vom 16. 8. 2001 auch in der Freigabe – unabhängig davon, ob es sich um eine „echte“ oder „modifizierte“ Freigabe handelt – eines Grundstücks durch den Verwalter an den Gemeinschuldner, der anschließend das Grundstück verwertet, eine umsatzsteuerpflichtige, Masseverbindlichkeit auslösende Verwertung für Rechnung der Masse, wenn der Kauferlös in vollem Umfang an den Grundpfandrechtsgläubiger fließt3. In diesem Fall kommt der Verwertungserlös der Masse dadurch zugute, weil die Masse in Höhe des Kaufpreises von den Bankverbindlichkeiten entlastet wird.
257
Das Urteil des BFH ist zur Verwertung eines mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks ergangen, aber nach allgemeiner Auffassung sind die Grundsätze auch auf die Freigabe von beweglichem Sicherungsgut übertragbar4. Damit führt sowohl die modifizierte als auch die echte Freigabe von Sicherungsgut bei dessen Verwertung zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Es gibt damit praktisch keine Möglichkeit mehr, Sicherungsgut aus der Insolvenzmasse freizugeben, ohne dass die spätere Verwertung durch den Sicherungsnehmer keine Masseverbindlichkeit in Form von Umsatzsteuer entstehen lässt.
258
g) Verwertung von immobiliarem Sicherungsgut Die umsatzsteuerliche Behandlung der Verwertung von zur Insolvenzmasse gehörenden Grundstücken ist davon abhängig, welche Art der Verwertung erfolgt5.
259
aa) Zwangsversteigerung auf Antrag des Insolvenzverwalters Im Insolvenzverfahren steht dem Inhaber des Grundstücks das Absonderungsrecht gemäß § 49 InsO zu. Der Insolvenzverwalter hat nach § 165 InsO die Befugnis, die Zwangsversteigerung der Immobilie aus der Insolvenzmasse zu be1 Vgl. BFH v. 24. 9. 1987 – V R 196/83, BStBl. II, 873; BFH v. 12. 5. 1992 – IX R 49/90, ZIP 1993, 1247. 2 Vgl. OFD Frankfurt v. 1. 10. 1998, UR 1999, 297, 300, Rz. 46. 3 Vgl. BFH v. 16. 8. 2001 – V R 59/99, ZIP 2002, 230 ff. 4 Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004, S. 113; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 362. 5 Vgl. Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 431 ff.; Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 369 ff.; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2004, S. 188 ff.
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259a
§ 11
Rz. 260
Steuerrechtliche Beratung
treiben. Mit der Zwangsversteigerung des Grundstücks wird durch den Eigentümer des Grundstücks eine steuerbare Grundstückslieferung ausgeführt1. Das Grundstück scheidet mit Erteilung des Zuschlags nach § 90 ZVG im Wege der entgeltlichen Lieferung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG aus der Insolvenzmasse aus. 260
Die umsatzsteuerliche Grundstückslieferung vollzieht sich zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Ersteher. Die Lieferung des Grundstücks ist grundsätzlich nach § 4 Nr. 9 Lit. a UStG steuerfrei. Die Steuerfreiheit erstreckt sich jedoch nicht auf die Zubehörstücke und Betriebsvorrichtungen des Grundstücks. Ein Umsatzsteueranspruch fällt durch die Verwertung des Insolvenzverwalters aber nur dann an, wenn dieser wirksam zur Steuerpflicht nach §§ 9 Abs. 1 UStG optiert. Die Option ist für den Insolvenzverwalter dann sinnvoll, wenn das Grundstück bisher steuerpflichtig verwendet wurde, d.h. innerhalb der letzten zehn Jahre Vorsteuer gezogen wurde. Die steuerfreie Lieferung würde in diesem Fall einen Anspruch des § 15a UStG auslösen.
260a
Die dadurch entstehende Umsatzsteuer stellt eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, da sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist2. Steuerschuldner ist bei wirksamer Option zur Steuerpflicht für die Lieferung im Zwangsversteigerungsverfahren entstehender Umsatzsteuer gemäß § 13b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 UStG der Erwerber des Grundstücks. bb) Zwangsversteigerung auf Antrag des absonderungsberechtigten Gläubigers
261
Stellt der absonderungsberechtigte Gläubiger den Antrag auf Zwangsversteigerung des Grundstücks, so erfolgt eine Lieferung zwischen Insolvenzschuldner und dem Ersteher des Grundstücks. Es gilt das unter aa) Gesagte. cc) Freigabe des Grundstücks
262
Gemäß dem Urteil des BFH vom 16. 8. 2001 führt die echte oder modifizierte Freigabe eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks zu einer umsatzsteuerpflichtigen Lieferung des Insolvenzverwalters an den Insolvenzschuldner, die eine Masseverbindlichkeit darstellt3. dd) Zwangsverwaltung des Grundstücks
263
Wird die Zwangsverwaltung über das Grundstück angeordnet, um die Erfüllung der in § 155 Abs. 2 ZVG enthaltenen Ansprüche zu gewährleisten, so führt dies zu einer Absonderung des beschlagnahmten Grundbesitzes von dem übrigen Vermögen des Schuldners. Die bei der Verwaltung dieses Sondervermögens von dem Zwangsverwalter entstehenden Ansprüche, das sind auch Steueransprüche, gehören zu der Zwangsverwaltungsmasse und sind gegen den Zwangsverwalter geltend zu machen4. Die Einordnung der dadurch entstehen1 2 3 4
Vgl. BFH v. 19. 12. 1985 – V R 139/76, BStBl. II 1986, 500. Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b Rz. 76. Vgl. BFH v. 16. 8. 2001 – V R 59/99, BStBl. II 2003, 208. Vgl. BFH v. 15. 6. 1999 – VII R 3/97, BStBl. II 2000, 46.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 266 § 11
den Ansprüche aus Sondervermögen ändert nichts daran, dass umsatzsteuerlich ein Unternehmen des Insolvenzschuldners besteht. In der Praxis wird die Umsatzsteuerschuld aus der Vermietung des Grundstücks im Wege der Zwangsverwaltung jedoch unter einer gesonderten Steuernummer für den Zwangsverwalter erklärt. ee) Freihändiger Verkauf des Grundstücks Auch bei Grundstücken kommt eine Verwertung gemäß § 159 InsO durch freihändigen Verkauf in Betracht. Bei der Veräußerung liegt grundsätzliche eine steuerbare aber steuerfreie Lieferung des Insolvenzschuldners an den Erwerber vor. Ab dem 1. 1. 2002 wird nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 UStG die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers auf alle umsatzsteuerpflichtigen Umsätze, die unter das Grunderwerbssteuergesetz fallen, erweitert. Der Erwerber muss folglich die Umsatzsteuer aus dem Grundstücksverkauf abführen.
264
ff) Verwertungskostenbeitrag bei Grundstücksveräußerungen Vereinbaren der Insolvenzverwalter und der absonderungsberechtigte Grundpfandgläubiger, dass der Insolvenzverwalter ein Grundstück für Rechnung des Grundpfandgläubigers veräußert und erhält er dafür vom Veräußerungserlös einen bestimmten Betrag für die Insolvenzmasse, führt der Insolvenzverwalter neben der Grundstückslieferung an den Erwerber auch eine sonstige entgeltliche Leistung an den Grundpfandgläubiger aus1. Der der Masse zustehende Betrag ist folglich der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Der BFH behandelt damit die Beteiligung am Veräußerungserlös einer freihändigen Grundstücksverwertung ausdrücklich anders als die dem Insolvenzverwalter zustehenden Verwertungskosten gemäß §§ 170, 171 InsO. Dies ist in der Literatur auf Kritik gestoßen2. Den Insolvenzverwaltern ist deshalb zu empfehlen, für alle Grundstücksveräußerungen, an denen die Masse partizipiert hat, die Umsatzsteuer nachzuerklären.
265
h) Umsatzsteuerliche Organschaft Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Eine juristische Person ist dann als Organgesellschaft i.S.d. Umsatzsteuergesetzes anzusehen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 Satz 2 UStG). Schuldner der Umsatzsteuer des gesamten Organkreises ist der Organträger. Lieferungen und Leistungen im Organkreis sind als unternehmensinterne Vorgänge nicht umsatzsteuerbar.
265a
aa) Insolvenz der Organgesellschaft Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 80 InsO auf den 1 So die Auffassung des BFH v. 18. 8. 2005 – V R 31/04, ZInsO 2005, 1214. 2 Vgl. Onusseit, ZInsO 2005, 815; Beck, ZInsO, 2006, 244.
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266
§ 11
Rz. 266a
Steuerrechtliche Beratung
Insolvenzverwalter über. Der Organträger verliert mit Verfahrenseröffnung den wesentlichen Einfluss auf die Organgesellschaft. Damit entfällt die organisatorische Eingliederung mangels einheitlicher Willensbildung in beiden Unternehmen, so dass die Organschaft spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet1. Wird die Eröffnung mangels Masse abgewiesen, so kann die Eingliederung der vermögenslosen Gesellschaft und damit das Organschaftsverhältnis noch fortbestehen2. 266a
Nach der Auffassung des BFH endet die Organschaft mit der Anordnung eines vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters über das Vermögen der Organgesellschaft, da dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird3. Wird hingegen nur ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter auch mit Zustimmungsvorbehalt bestellt, ist nach der Auffassung des BFH eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung nicht möglich, so dass die Organschaft erst mit Verfahrenseröffnung aufgelöst wird4.
266b
Ordnet das Insolvenzgericht eine Eigenverwaltung der Insolvenzmasse an und stellt den Schuldner unter die Aufsicht eines Sachwalters, so hat die Anordnung der Eigenverwaltung regelmäßig keine Auswirkungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft auf das Weiterbestehen der Organschaft5. Etwas anderes gilt nur, wenn dem Sachwalter weiterreichende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse, z.B. wenn ohne den Sachwalter keine Verbindlichkeiten eingegangen werden dürfen, eingeräumt werden. bb) Insolvenz des Organträgers
266c
Die Anordnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers ändert nichts an der Eingliederung der Organgesellschaft. Der Insolvenzverwalter kann die Organgesellschaft wie bisher der Geschäftsführer weiter beherrschen, so dass die Organschaft fortbesteht6. Etwas anderes gilt nur, wenn sich das Insolvenzverfahren nicht auf die Organgesellschaft erstreckt und der Insolvenzverwalter auf die laufende Geschäftsbeziehung der Organgesellschaft keinen Einfluss nimmt.
266d
Durch Gründung einer Auffanggesellschaft des Insolvenzverwalters, um eine übertragende Sanierung vorzubereiten, wird auch schon im vorläufigen Insolvenzverfahren hierdurch eine Organschaft begründet, wenn diese finanziell in die Insolvenzschuldnerin eingegliedert ist7.
1 Vgl. BFH v. 28. 1. 1999 – V R 32/98, BStBl. II 1999, 258; BFH v. 21. 6. 2001 – V R 68/00, BStBl. II 2002, 255. 2 Vgl. BFH v. 19. 10. 1995 – V R 128/93, BFH/NV 1996, 275. 3 Vgl. BFH v. 1. 4. 2004 – V R 24/03, BStBl. II 2004, 905. 4 Vgl. BFH v. 1. 4. 2004 – V R 24/03, BStBl. I 2004, 520. 5 Vgl. OFD Hannover v. 11. 10. 2004 – S 7105 – 49 – StO 171. 6 Vgl. BFH v. 28. 1. 1999 – V R 32/98, BStBl. II 1999, 258; BFH v. 17. 1. 2002 – V R 37/00, BStBl. II 2002, 373. 7 Vgl. BFH v. 17. 1. 2002 – V R 37/00, BStBl. II 2002, 373.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 266h
§ 11
cc) Insolvenz des Organträgers und der Organgesellschaft Wird über das Vermögen des Organträgers und der Organgesellschaft gleichzeitig das Insolvenzverfahren eröffnet, so endet das Organschaftsverhältnis dann, wenn in beiden Insolvenzen unterschiedliche Insolvenzverwalter bestellt werden1. Nach anderer Auffassung wird die Organschaft auch bei der Einsetzung des gleichen Insolvenzverwalters sowohl bei der Organgesellschaft als auch beim Organträger beendet. Dies wird damit begründet, dass der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, die Interessen der jeweiligen Masse wahrzunehmen. Eine organisatorische Eingliederung entfällt2. Tatsächlich kommt es darauf an, wie der Verwalter sich in der Praxis der beiden Insolvenzverfahren verhält.
266e
dd) Rechtsfolgen bei Beendigung der Organschaft Wird die Organschaft beendet, so treten die bisherigen Mitglieder des Organkreises umsatzsteuerlich als selbstständige Unternehmer auf. Ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft müssen die Organgesellschaft und der Organträger wieder selbstständig ihre Umsätze deklarieren.
266f
Umsätze, die von der Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft ausgeführt wurden, sind dem Organträger zuzurechnen und von diesem zu versteuern, auch wenn die hierauf entfallende Umsatzsteuer erst nach Beendigung der Organschaft entsteht. Umsätze, die nach Beendigung der Organschaft von der Organgesellschaft ausgeführt werden, sind dagegen grundsätzlich von der Organgesellschaft als leistendem Unternehmer selbstständig zu versteuern. Hat der Organträger jedoch Anzahlungen und Vorauszahlungen auf diese Umsätze bereits der Umsatzbesteuerung gemäß § 13 Abs. 1 Nr 1 Lit. a Satz 4 Lit. b UStG unterworfen, so bleibt die Besteuerung auch nach Beendigung der Organschaft bestehen3.
266g
Wurde eine Leistung eines Dritten an die Organgesellschaft erbracht, und hat hierfür der Organträger die Vorsteuer gezogen, so kommt es zu einem Vorsteuerrückforderungsanspruch des Finanzamtes, da die Forderung gegen die Organgesellschaft uneinbringlich wird. Der Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG richtet sich folglich gegen die Organgesellschaft4. Wurde eine Leistung von der Organgesellschaft an einen Dritten erbracht, so entsteht ein Umsatzsteuerberichtigungsanspruch des Organträgers gegen das Finanzamt5. Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob sich der Vorsteuerberichtigungsanspruch auch dann gegen den Organträger richtet, wenn die Uneinbringlichkeit der Forderung erst nach Beendigung der Organschaft eingetreten ist. Nach allgemeiner Auffassung soll sich der Vorsteuerrückforderungsanspruch auch in diesem Fall gegen den Organträger richten6.
266h
1 2 3 4 5 6
Vgl. Bringewat/Waza, Insolvenzen und Steuern, 6. Aufl. 2004, S. 302. Vgl. Mittlehner, ZIP 2002, 1818. Vgl. BFH v. 21. 6. 2001 – V R 68/00, BStBl. II 2002, 255. Vgl. BFH v. 6. 6. 2002 – V R 22/01, BFH/NV 2002, 1352. Vgl. OFD Hannover, Verfügung v. 11. 10. 2004, Tz. 2.2, DStR 2005, 157. Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Rz. 726.1; FG Niedersachsen v. 18. 11. 2004 – 16 K 61/04, DStRE 2005, 972.
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§ 11
Rz. 267
Steuerrechtliche Beratung
i) Umsatzsteuerhaftung nach § 13c UStG und § 13d UStG 267
Das am 19. 12. 20031 veröffentlichte, mit Wirkung vom 1. 1. 2004 In Kraft getretene „Steueränderungsgesetz“ sieht Änderungen des Umsatzsteuergesetzes vor, die gravierende Auswirkungen auf die Behandlung von Aussonderungsund Absonderungsansprüchen in der Insolvenz haben. Es handelt sich insbesondere um die §§ 13c und 13d UStG, die zu einer Haftung für aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger aus Umsatzsteuern im Insolvenzverfahren führen können2. Das BMF hat zu beiden Tatbeständen bereits am 4. 5. 2004 ein Schreiben veröffentlicht3.
268
§ 13d UStG umfasst die Haftung bei einer Änderung der Bemessungsgrundlage. Gemäß § 13d Abs. 1 S. 1 UStG haftet der leistende Unternehmer in den Fällen einer steuerpflichtigen Lieferung eines beweglichen Gegenstandes an einen anderen Unternehmer aufgrund eines Mietvertrages oder Leasingvertrages, wenn beim Leistungsempfänger der Vorsteuerabzug aus diesem Umsatz gemäß § 17 UStG berichtigt wird, und die aus dieser Berichtigung festgesetzte Steuer bei Fälligkeit nicht vollständig oder überhaupt nicht entrichtet worden ist, für diese Steuer.
269
Hat sich also bei einer Lieferung bei einem Leasing- oder Mietkaufgeschäft die Bemessungsgrundlage geändert, oder ist das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden, oder wurde die steuerpflichtige Lieferung rückgängig gemacht, entsteht gegen den Leistungsempfänger ein Rückforderungsanspruch aus der Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs. Für die aus der Berichtigung des Vorsteuerabzuges entstehende Steuer haftet der leistende Unternehmer4.
270
Mit der Haftung des leistenden Unternehmers sollen Leasinggeschäfte, die darauf angelegt sind, dass der Leasingnehmer „planmäßig“ insolvent wird und die zurückzuzahlenden Vorsteuerbeträge nicht mehr entrichten kann, in denen aber trotzdem der Leasinggeber seine Rechnungen berichtigt und auch seine Umsatzsteuerzahllast gegenüber dem Finanzamt vermindert, ausgehebelt werden. In der Praxis sind wohl derartige Geschäfte vermehrt aufgetreten, weshalb der Gesetzgeber tätig geworden ist.
271
Für die Leasinggesellschaft, die mit einem Leasingnehmer Leasingverträge geschlossen hat, der sogleich insolvent wird, bedeutet dies, dass die Leasinggesellschaft für die Umsatzsteuer aus der Berichtigung des Vorsteuerabzuges haftet. Aus Sicht des Leasingnehmers ergeben sich keine Änderungen. Den Vorsteuerberichtigungsanspruch gemäß § 17 UStG wird die Finanzverwaltung wie bisher mit den offenen Umsatzsteuerforderungen aufrechnen.
272
Die Haftung gemäß § 13c UStG betrifft die Haftung bei Abtretung von Forderungen, Verpfändungen oder Pfändungen von Forderungen. § 13c UStG ist 1 Vgl. BGBl. I, 2003, 2645 ff. 2 Vgl. die Beiträge zu dieser Gesetzesänderung bei Eckert, ZInsO 2004, 702 ff.; de Weerth, ZInsO 2004, 190 ff.; Wiese/Gradl, Der Betrieb 2004, 804 ff.; Küffner, DStR 2004, 712 ff.; Weßling/Romswinkel, ZInsO 2004, 193 ff. 3 Vgl. BMF v. 4. 5. 2004 – IV B 7 – S 7279a – 17/04/IV B 7 – S 7279b – 2/04, DStR 2004, 1000 ff. 4 Vgl. auch Weise/Gradl, DB 2004, 856.
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Besondere Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 278 § 11
gleichfalls durch das Steueränderungsgesetz 2003 mit Wirkung zum 1. 1. 2004 in Kraft getreten und ist auf alle Forderungen, die nach dem 7. 11. 2003 abgetreten, verpfändet oder gepfändet worden sind, anwendbar1. Das BMF hat hierzu bereits ein BMF-Schreiben verfasst2. § 13c Abs. 1 UStG erfasst die Geschäfte, in denen ein Unternehmer eine Kundenforderung an einen anderen Unternehmer abtritt und der Abtretungsempfänger die Forderung einzieht oder wiederum an einen Dritten überträgt. Der Abtretungsempfänger haftet für die in der abgetretenen Forderung enthaltene Umsatzsteuer soweit der leistende Unternehmer die Steuer bei Fälligkeit nicht entrichtet hat. Hat der Abtretungsempfänger die Forderung nicht gänzlich, sondern nur teilweise vereinnahmt, erstreckt sich die Haftung nur auf die Umsatzsteuer, die in dem vereinnahmten Betrag enthalten ist. Hat er allerdings die Forderung an einen Dritten weiter übertragen, gilt dieses Rechtsgeschäft insoweit als Vereinnahmung und er haftet für die gesamte Umsatzsteuer.
273
Der Abtretungsempfänger ist gemäß § 13c Abs. 2 UStG ab dem Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, in dem die festgesetzte Steuer fällig wird, frühestens ab dem Zeitpunkt der Vereinnahmung der abgetretenen Forderung. Die Haftungsregelung gilt nach Abs. 3 bei Verpfändungen entsprechend.
274
Den Sachverhalt kann folgendes Beispiel verdeutlichen:
275
Unternehmer U hat gegenüber dem Kunden K eine Forderung aus einer umsatzsteuerpflichtigen Lieferung in Höhe von 10 000 Euro zzgl. 19% Umsatzsteuer 1 900 Euro. Die Rechnung wurde im August 2007 gelegt und der Umsatz mit der Umsatzsteuervoranmeldung im August 2007 angemeldet. Die Forderung wurde an die Bank B durch Globalzession zur Kreditsicherung abgetreten. U hatte die Steuer nicht entrichtet. Da U nicht mehr zahlungsfähig ist, zieht die Bank B die Forderung in Höhe von 11 900 Euro im September 2007 ein. Die Bank B haftet gemäß § 13c Abs. 1 UStG für die nicht entrichtete Umsatzsteuer in Höhe von 1 900 Euro, und zwar per 15. 9. 2007. Die Finanzbehörde wird die Bank B durch Haftungsbescheid in Anspruch nehmen. Die Bank haftet regelmäßig dann, wenn die Finanzbehörde die Steuer von Amts wegen im Monat August 2007 festgesetzt hat und die Steuer nicht bei U realisiert werden kann3.
Die Haftung gemäß 13c UStG greift demnach ein, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: –
Forderungsabtretung (geldliche und unentgeltliche)
–
Nichtentrichtung der Steuer bei Fälligkeit
–
Vereinnahmung bzw. weitere Übertragung der abgetretenen Forderungen
276
Von besondere Bedeutung ist § 13c Abs. 2 Satz 2 UStG. Hiernach ist der Abtretungsempfänger (Zessionar) zwingend in Anspruch zu nehmen. Das sonst gemäß § 191 AO auszuübende Auswahlermessen zwischen Unternehmer und Abtretungsempfänger kommt nicht zur Anwendung.
277
Der Haftungsumfang ist dabei in dreifacher Höhe begrenzt. Zum einen besteht eine Begrenzung auf den Betrag, der im Fälligkeitszeitraum nicht entrichteten
278
1 Vgl. BGBl. I 2003, 2645. Vgl. § 27 Abs. 7 Satz 1 UStG. 2 BMF v. 30. 1. 2006 – IV A5-S 7279 a-2/06, DB 2006, 305. 3 Vgl. Eckhard, ZInsO 2004, 703.
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§ 11
Rz. 279
Steuerrechtliche Beratung
Steuer und zum anderen auf die im vereinnahmten Betrag der abgetretenen Forderung enthaltene Umsatzsteuer und zum dritten auf den mit der abgetretenen Forderung vereinnahmte Umsatzsteuerbetrag1. 279
Aus insolvenzrechtlicher Sicht sind von der Gesetzesänderung im Wesentlichen Kreditinstitute mit Globalzessionen und Lieferanten mit verlängerten Eigentumsvorbehalten betroffen. Der Haftungstatbestand stellt sich wie nachfolgend dar2.
280
Hat der Schuldner vor Insolvenz eine Forderung an die Bank B abgetreten, so ist diese abgetretene Forderung aus Sicht der Bank eine absonderungsberechtigte Forderung. Der Insolvenzverwalter kann gemäß § 166 Abs. 2 InsO die abgetretene Forderung einziehen. Aus dem Verwertungserlös hat er die Kosten der Feststellung (4% Pauschale) und die Kosten der Verwertung (5% Pauschale) einschließlich anfallender Umsatzsteuer gemäß § 170 Abs. 1 InsO, § 171 Abs. 2 InsO zu entnehmen. Gehört zur Insolvenzmasse des Schuldners eine Forderung aus einer umsatzsteuerpflichtigen Lieferung in Höhe von beispielsweise 10 000 Euro zzgl. 19% Umsatzsteuer = 1 900 Euro, die an die Bank B durch Globalzession zur Kreditsicherung abgetreten wurde, so kann der Insolvenzverwalter die Forderung einziehen. Er führt die Umsatzsteuer ab und hält die Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale ein. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten.
281
Zieht die Bank B die Forderung mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ein, so haftet die Bank gemäß § 13c Abs. 1 UStG für die Umsatzsteuer in Höhe von 1 900 Euro. Die Finanzbehörde wird demnach die Bank B für die Steuer in Höhe von 1 900 Euro in Haftung nehmen.
282
Die Bank B hat im Innenverhältnis zum Insolvenzverwalter einen Rückgriffsanspruch in Höhe der Haftungsschuld. Dadurch bleibt im Saldo die Höhe der Insolvenzforderung unverändert, denn einerseits verringert sich die Steuerforderung der Finanzbehörde um 1 900 Euro und andererseits erhöhen sich die Forderungen der Bank um die an die Finanzbehörde gezahlte Haftungsschuld3.
283
In der Literatur wurde die Auffassung vertreten, dass die Neuregelung dazu führen wird, dass die Finanzämter die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung notfalls mit Zwangsmaßnahmen sicherstellen werden4. Ob ein Umsatz nämlich zu Recht als umsatzsteuerpflichtig angesehen wurde und ob dem Umsatz eine Umsatzsteuerfestsetzung zugrunde liegt, lässt sich in der Regel nur aus den Handelsbüchern des Steuerpflichtigen entnehmen. Dies wird seitens der Finanzämter zu einer vermehrten Aufforderung zur Vorlage der Buchführung führen. Dies ist insbesondere dadurch begründet, dass Umsatzsteuerschätzungen seitens der Finanzämter nicht zur Haftung gemäß § 13c UStG führen. Deshalb ist zu vermuten, dass um nachvollziehen zu können, ob die Haftungsschuld zu Recht geltend gemacht wird, der Abtretungsempfänger als Haftungsschuldner gegen den insolventen Schuldner bzw. der Insolvenzverwalter 1 2 3 4
Vgl. Wiese/Gradl, DB 2004, 845. Vgl. de Weerth, NZ 2006, 501. Vgl. Eckhard, ZInsO 2004, 703. Vgl. de Weerth, ZInsO 2004, 191.
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Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten
Rz. 287 § 11
zivilrechtlich begründete Auskunftsansprüche gelten machen wird, welcher dieser erfüllen muss1. Die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Buchführung und die Erfüllung der Auskunftsansprüche wird deshalb für den Insolvenzverwalter eine nicht unerhebliche Mehrarbeit in der Praxis bedeuten. Aus heutiger Sicht lassen sich bisher jedoch keine vermehrten Auskunftsansprüche feststellen. Ferner entsteht in der Insolvenzpraxis für die Abtretungsempfänger das Problem, dass er nicht beurteilen kann, ob der Insolvenzverwalter die nach Insolvenzeröffnung anfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen wird. Aus diesem Grunde sollte der Zessionar die rechnerisch ermittelten Umsatzsteuerbeträge aus dem Forderungseinzug nach Insolvenzeröffnung erfolgter Zahlung separieren2.
284
VI. Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten 1. Überblick Der Erlass von Forderungen ist ein in der Krise bewährtes Instrument. In der Praxis wird der Forderungserlass häufig mit einer bedingten Besserungsvereinbarung verbunden. Der Erlass von Forderungen kann dazu führen, dass die Überschuldung (§ 19 InsO) beseitigt, aber auch eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder eine drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) behoben wird. Der Forderungsverzicht wirkt damit wie die Zufuhr echten Eigenkapitals. Durch den Wegfall der passivierten Verbindlichkeit sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Steuerbilanz erhöht sich der Gewinn oder vermindert sich der Verlust des laufenden Geschäftsjahres. Es ist ein außerordentlicher Ertrag auszuweisen, der ggf. Steuerzahlungen auslöst3.
285
Der Verzicht kann zudem wesentliche umsatzsteuerliche Folgen haben, wenn auf die Forderung, auf die verzichtet wurde, bereits der Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde4. Der Vorsteuerabzug ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu berichtigen.
286
Bei einem Forderungsverzicht ist zunächst hinsichtlich der steuerlichen Wirkungen zu differenzieren, ob der Verzicht von einem fremden Dritten oder von einem Gesellschafter ausgesprochen wird.
287
1 Vgl. de Weerth, ZInsO 2004, 191. 2 Vgl. de Weerth, ZInsO 2004, 192. 3 Zu den steuerlichen Folgen des Forderungsverzichts vgl. Hölzel, Besteuerung der Unternehmenssanierung, FR 2004, 1193 ff.; Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz in Sanierungsberatung, 2004, S. 181 ff.; Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 16 ff. 4 Vgl. Olbing, Sanierung durch Steuergestaltung, 3. Aufl. 2003, Rz. 353; Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz in Sanierungsberatung, 2004, S. 213 ff.
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§ 11
Rz. 288
Steuerrechtliche Beratung
2. Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichts durch einen fremden Dritten und Sanierungserlass 288
Wird ein Forderungsverzicht mit einem fremden Dritten vereinbart, so führt der Verzicht auf der Ebene der begünstigten Gesellschaft zu einem Ertrag. Dem Drittgläubiger entsteht durch den Verzicht und den Verlust der Forderung Aufwand, soweit er die Forderung in einem Betriebsvermögen hält1.
289
Der auf der Ebene der begünstigten Gesellschaft entstehende Ertrag löst einen Sanierungsgewinn aus.
290
Mit Wirkung zum 1. 1. 1998 wurde das Sanierungsprivileg des § 3 Nr. 66 EStG a.F. zunächst abgeschafft. Sanierungsgewinne, die aus der Erhöhung des Betriebsvermögens durch die Gewährung von Forderungsverzichten entstanden waren, sind seither steuerpflichtig. Da die Streichung der Begünstigung von Sanierungsgewinnen gegen die Ziele der Insolvenzordnung sprach, hat das BMF mit Schreiben vom 27. 3. 20032 die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns jedenfalls zum Teil wiederhergestellt.
291
Der Steuererlass begünstigt Sanierungsgewinne. Eine Sanierung ist eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, das Unternehmen oder seinen Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren. Dies gilt für außergerichtliche und auch gerichtliche Sanierungen unter der Insolvenzordnung, ebenso für Sanierungen mit und ohne Gesellschafterwechsel3.
292
Wird das Unternehmen nach der Sanierung nicht fortgeführt oder trotz der Sanierungsmaßnahmen eingestellt, so liegt eine Sanierung i.S.d. Sanierungserlasses nur vor, wenn Schulden aus betrieblichen Gründen erlassen werden. Der Sanierungserlass führt explizit aus, dass der Erlass von Schulden zur Ermöglichung eines schuldenfreien Übergangs in das Privatleben oder den Aufbau einer neuen Existenz nicht begünstigt ist4. Das Finanzgericht Münster hingegen hat in seinem Urteil vom 27. 5. 2004 die Auffassung vertreten, dass der Sanierungsgewinn auch begünstigt ist, wenn es durch den Forderungsverzicht einem Einzelunternehmer ermöglicht wird, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von den weiteren Schulden beeinträchtigt zu sein5.
293
Für das Vorliegen eines Sanierungsgewinns im Sinne des Sanierungserlasses ist es weiter erforderlich, dass das schuldnerische Unternehmen sanierungsbedürftig, sanierungsfähig sowie sanierungsgeeignet ist und die Absicht der Sanierung besteht6. Hiervon ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Erlass auf Grundlage eines ausgearbeiteten Sanierungsplans oder Insolvenzplans beantragt wird. Wie der Sanierungsplan auszugestalten ist, lässt die Finanzverwaltung offen. 1 2 3 4 5 6
Vgl. BFH v. 16. 1. 1975 – IV R 180/71, BStBl. II 1975, 526. BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, S. 240. BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, S. 240, Tz. 1. Vgl. BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6 - S 2140-803, BStBl. I 2003, S. 240, Tz. 2. Vgl. FG Münster v. 27. 5. 2004 – 2 K 1307/02, EFG 2004, 1752. Zu den Voraussetzungen der Sanierungsbedürftigkeit, der Sanierungsfähigkeit und der Sanierungseignung sowie der Sanierungsabsicht der Gläubiger vgl. Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 33 ff.
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Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten
Rz. 298 § 11
Bevor der Sanierungsgewinn gestundet und letztendlich erlassen wird, findet eine Verrechnung mit allen negativen Einkünften und vorgetragenen Verlusten unabhängig von etwaigen Verlustverrechnungsbeschränkungen statt1. Ausgleichs- und Verrechnungsbeschränkungen wie etwa §§ 2 Abs. 3 EStG a.F., 2a, 2b, 10d, §§ 15 Abs. 4, 15a, 23 Abs. 3 EStG finden dabei keine Anwendung. Dies gilt auch für einen zwingenden Verlustrücktrag gemäß § 10d EStG und für solche Verluste, die im Jahr nach der Entstehung des Sanierungsgewinns anfallen.
294
Liegen die Voraussetzungen des Sanierungsgewinns vor, so ist die entsprechende Steuer auf Antrag des Steuerpflichtigen gemäß § 163 AO abweichend festzusetzen und nach § 222 AO mit dem Ziel eines späteren Erlasses gemäß § 227 AO unter Widerrufsvorbehalt ab Fälligkeit (AEAO § 240 Nr. 6a) zu stunden2.
295
Erst nach abschließender Prüfung und endgültiger Feststellung des verbleibenden zu versteuernden Sanierungsgewinns ist die darauf entfallende Steuer zu erlassen. Ebenso sind die Stundungszinsen, die auf die erlassenen Steuerbeträge entfallen, zu erlassen.
296
Die Anwendung des Sanierungserlasses vollzieht sich in der Praxis in fünf Schritten3:
297
1.
Feststellung des Sanierungsgewinns
2.
Verrechnung mit allen negativen Einkünften und vorgetragenen Verlusten, unabhängig von Verlustverrechnungsbeschränkungen
3.
Verrechnung mit Verlusten des Folgejahres (zwingender Verlustrücktrag nach § 10d EStG)
4.
Weitere Verrechnung des verbliebenen Sanierungsgewinns mit späteren Zahlungen auf Besserungsvereinbarungen
5.
Erlass der Steuer auf die dann noch verbleibenden Sanierungsgewinne
Hat der Gläubiger den Verzicht nur gegen Besserungsschein gewährt, löst der Verzicht auch einen Sanierungsgewinn aus, weil die Forderung zunächst in voller Höhe auszubuchen ist. Die Steuer hierauf darf aber nicht erlassen werden, solange auf den Besserungsschein noch Zahlungen möglich sind4. Tritt zu einem späteren Zeitpunkt der Besserungsfall ein, so werden die durch die Gesellschaft geleisteten Zahlungen an den Dritten mit dem Sanierungsgewinn saldiert. Die Zahlung selbst wird gemäß § 3c Abs. 1 EStG als nicht abzugsfähig behandelt. Gleichzeitig wird in Höhe der Zahlung an den Dritten der Sanierungsgewinn und damit die gestundete Steuer reduziert.
1 BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, S. 240, Tz. 8. 2 Vgl. BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, S. 240, Tz. 8; zur Ermittlung der Steuer auf den Sanierungsgewinn vgl. die mit den obersten Finanzbehörden abgestimmte Verfügung der OFD Chemnitz v. 10. 10. 2000 – S 2140 - 25/19 St. 21, DB 2006, 2374. 3 Vgl. Hölzel, Besteuerung der Unternehmenssanierung, FR 2004, 1205. 4 BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, S. 240, Tz. 11.
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298
§ 11
Rz. 299
Steuerrechtliche Beratung
299
Der Sanierungserlass des BMF ist grundsätzlich nur für die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag anwendbar. Für den Erlass der Gewerbesteuer, der sich allerdings nach den gleichen Grundsätzen vollzieht, sind die Gemeinden zuständig1.
300
§ 184 Abs. 2 AO bestimmt allerdings, dass die Befugnis der Finanzverwaltung, Realsteuermessbeträge festzusetzen, auch die Befugnis einschließt, abweichende Steuern festzusetzen (§ 163 AO), soweit solche Maßnahmen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung oder der Landesbehörden aufgestellt worden sind. Das BMF-Schreiben zum Sanierungserlass enthält eine solche Befugnis jedoch nicht2. Die Gemeinde und das Betriebsfinanzamt arbeiten in einem Erlassfall zusammen. Hierzu teilt das Betriebsfinanzamt nach § 184 Abs. 3 AO der Gemeinde –
die Grundlagen einer möglicherweise abweichenden Festsetzung des Gewerbeertrags,
–
die Höhe des Sanierungsgewinns und
–
in Zerlegungsfällen zusätzlich die anteilige Verteilung auf die einzelnen zerlegungsberechtigten Gemeinden
mit3. 301
Trotz der Auffassung des Betriebsfinanzamtes bleibt die hebeberechtigte Gemeinde zuständig für die Entscheidung des Erlasses. Allerdings gelten §§ 163, 227 AO gemäß § 1 Abs. 2 AO auch für die Gewerbesteuer. Sowohl Gemeinden als auch die Finanzverwaltung haben damit dieselben Rechtsvorschriften für die Beurteilung des Sanierungsgewinns und den Erlass der darauf entfallenden Steuer anzuwenden. Insofern dürfen sich keine Abweichungen zwischen der Auffassung der Finanzverwaltung und der Gemeinden ergeben. Dennoch empfiehlt es sich in der Praxis, den Erlass im Vorfeld mit den Gemeinden abzustimmen.
3. Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichts durch einen Gesellschafter 302
Bei den steuerlichen Wirkungen eines Forderungsverzichtes durch einen Gesellschafter ist weiter zu differenzieren, ob der Forderungsverzicht –
durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst oder
–
betrieblich veranlasst
ist.
1 Vgl. BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, S. 240, Tz. 8. 2 Vgl. BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003 – IV A6-S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, S. 240, Tz. 15 i.V.m. OFD Magdeburg, Verfügung v. 14. 10. 2005, G 14983 St. 213, GewStK § 16, GewStG Karte 1 Blatt 1. 3 Hierzu OFD Magdeburg, Verfügung v. 14. 10. 2005, G 14983 St. 213, GewStK § 16, GewStG Karte 1 Blatt 1.
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Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten
Rz. 308 § 11
Die Klärung dieser Frage ist davon abhängig, ob ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns den Vermögensvorteil der Kapitalgesellschaft ebenfalls gewährt hätte1. Im Regelfall geht man davon aus, dass der Forderungsverzicht betrieblich veranlasst ist, wenn im Rahmen einer außergerichtlichen Sanierung alle Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten.
303
Ist der Forderungsverzicht des Gesellschafters aber weitergehend, d.h. über den Forderungsverzicht der anderen Gläubiger hinaus, oder der Gesellschafter erklärt allein einen Forderungsverzicht, so ist der Verzicht gesellschaftsrechtlich veranlasst.
304
Ist der Forderungsverzicht betrieblich veranlasst, so ist er ebenso zu behandeln wie der Verzicht eines Dritten (vgl. VI.2.). Liegt eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung vor, so gelten die nachfolgend aufgeführten Besonderheiten. Die folgende Analyse betrachtet ausschließlich den Forderungsverzicht eines Gesellschafters, der gesellschaftsrechtlich veranlasst ist.
305
Für die steuerliche Wirkung ist weiter zu differenzieren in Auswirkungen des Forderungsverzichts
306
–
auf der Ebene der Gesellschaft,
–
auf der Ebene des Gesellschafters.
a) Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichtes auf der Ebene der Gesellschaft Durch den Verzicht des Gesellschafters wird der Gesellschaft ein Vermögensvorteil zugewandt, den ein Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte. Der Verzicht führt deshalb grundsätzlich zu einer (verdeckten) Einlage, die zu einem Gewinn führte, die aber gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG nicht steuerpflichtig war2. Verdeckte Einlagen erhöhen grundsätzlich das zu versteuernde Einkommen der Kapitalgesellschaft nicht. Soweit sie den bilanziellen Gewinn der Kapitalgesellschaft erhöht haben, sind sie außerbilanziell bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens wieder in Abzug zu bringen.
307
Durch eine Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 9. 6. 19973 wurde die steuerliche Behandlung dieses Forderungsverzichtes allerdings wesentlich verschlechtert. Der BFH ist der Auffassung, dass eine verdeckte Einlage nur in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung zum Zeitpunkt der Einlage angenommen werden kann. Der BFH führt aus, dass die Forderung für die Gesellschaft keinen höheren Wert haben könnte als für den Gesellschafter. Steuerfrei ist damit nur die verdeckte Einlage in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung. Der werthaltige Teil ist der Teilwert, d.h. der Verkehrswert4. In Höhe des
308
1 Vgl. Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz in Sanierungsberatung, 2004, Rz. 690. 2 Vgl. Vorlagebeschluss des ersten Senats des BFH an den Großen Senat, BFH v. 27. 7. 1994 – I R 23, 58103/93, BStBl. II 1995, 27. 3 Vgl. BFH v. 9. 6. 1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307. 4 Vgl. Hölzel, Besteuerung der Unternehmenssanierung, FR 2004, 1206.
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§ 11
Rz. 309
Steuerrechtliche Beratung
nicht mehr werthaltigen Teils der Forderung entsteht folglich ein steuerpflichtiger Gewinn bei der Gesellschaft1. 309
Ist die Gesellschaft zum Zeitpunkt des Forderungsverzichtes bereits überschuldet oder zahlungsunfähig, so beträgt der Wert der Forderung Null. In diesem Fall führt der gesamte Forderungsverzicht zu einem steuerlich wirksamen Ertrag, da die Forderung nicht werthaltig war.
310
Dies gilt nach Auffassung des BFH auch für Forderungen, die eigenkapitalersetzenden Charakter haben. Der BFH wendet die Grundsätze des Großen Senats auch auf den Verzicht von eigenkapitalersetzenden Darlehen an2. Hiernach ist ein eigenkapitalersetzendes Darlehen bei der Gesellschaft grundsätzlich wie Fremdkapital zu behandeln. Der Verzicht von Fremdkapital durch den Gesellschafter führt nur zu einer steuerneutralen verdeckten Einlage in Höhe des werthaltigen Teils. Dieser dürfte jedoch wegen des Eigenkapitalersatzes der Forderung null betragen.
311
Etwas anderes könne nach Auffassung des BFH nur dann gelten, wenn der Gesellschafter seine Rückzahlungsansprüche kraft Vereinbarung im Rang den Einlagerückgewähransprüchen gleichgestellt habe, also eine qualifizierte Rangrücktrittserklärung abgegeben habe3. In diesem Fall dürfte der gesamte Forderungsverzicht als steuerneutrale Einlage betrachtet werden, da die Forderung durch den Rangrücktritt wie Eigenkapital zu werten ist. Rechtssicherheit besteht hier jedoch nicht4.
312
Will der Gesellschafter durch seinen Verzicht auf der Ebene der Gesellschaft einen steuerpflichtigen Ertrag vermeiden, so muss er Maßnahmen ergreifen, die dazu führen, dass die Forderung gegen die Gesellschaft wieder werthaltig wird. Dies könnte z.B. durch die Übernahme einer Bürgschaft für die Forderung durch eine Bank, die vor dem Verzicht auf die Forderung ausgesprochen wird durch die Abgabe einer harten Patronatserklärung oder auch durch die Übernahme von Verlusten der Tochtergesellschaft erfolgen5. b) Steuerliche Wirkung des Forderungsverzichtes auf der Ebene des Gesellschafters
313
Handelt es sich bei dem Gesellschafter wiederum um eine Kapitalgesellschaft (Mutterkapitalgesellschaft), so führt die verdeckte Einlage zu einer Erhöhung des Beteiligungsbuchwertes, d.h. zu einer Erhöhung des Beteiligungsansatzes bei der Mutterkapitalgesellschaft. Gleichzeitig ist die gegenüber der Tochterkapitalgesellschaft aktivierte Forderung auszubuchen6. Insofern handelt es sich um einen steuerneutralen Aktivtausch.
1 2 3 4
Vgl. BMF-Schreiben v. 16. 12. 2003 (bzw. 2. 12. 2003) – IV A 4 - S 2743 - 5/03. Vgl. BFH v. 16. 9. 2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436. Vgl. BFH, Beschluss v. 16. 9. 2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436. Vgl. Olbing, Sanierung durch Steuergestaltung, 3. Aufl. 2003, Rz. 372; Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 67. 5 Vgl. Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 51. 6 Vgl. BFH v. 9. 6. 1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, S. 307.
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Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten
Rz. 315b § 11
War die Forderung zum Zeitpunkt des Verzichtes nicht mehr voll werthaltig, so ist nur der werthaltige Teil als verdeckte Einlage zu sehen und nur dieser Teil erhöht den Beteiligungsbuchwert bei der Mutterkapitalgesellschaft. Die Forderung der Mutterkapitalgesellschaft gegen die Tochterkapitalgesellschaft ist demnach voll auszubuchen und führt zu einem Aufwand. Insofern ist der nichtwerthaltige Teil der Forderung zusätzlicher Aufwand bei der Mutterkapitalgesellschaft. In Höhe der Differenz liegt kein Aktivtausch vor1.
314
Für im Betriebsvermögen gehaltene Beteiligungen gelten die vom BFH zu wesentlichen Beteiligungen im Privatvermögen entwickelten Grundsätze, dass nämlich ein eigenkapitalersetzendes Darlehen bei Ausfall der Forderung oder Verzicht auf die Forderung zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die GmbH Beteiligung führt, nicht2. Wird die Beteiligung im Betriebsvermögen gehalten, so ist § 255 Abs. 1 HGB bezüglich der Anschaffungskosten maßgebend. Danach führen nur solche Aufwendungen zu nachträglichen Anschaffungskosten, die eine verdeckte Einlage in das Gesellschaftsvermögen darstellen. Das heißt, nur der Forderungsverzicht auf den werthaltigen Teil der Forderung führt zur Erhöhung des Beteiligungsbuchwertes bei der Mutterkapitalgesellschaft. Ist die Tochterkapitalgesellschaft zum Zeitpunkt des Forderungsverzichts bereits vermögenslos bzw. insolvenzreif, so erfolgt keine Erhöhung des Beteiligungsbuchwertes bei der Mutterkapitalgesellschaft3. Die Darlehensforderung bleibt Fremdkapital, auch wenn sie kapitalersetzend und wertlos wird4.
315
Die Abschreibung der Forderung bei der Mutterkapitalgesellschaft und damit entstehender Aufwand bei der Mutterkapitalgesellschaft war zumindest bis zum Veranlagungszeitraum 2007 möglich. Nach herrschender Meinung ist § 8b Abs. 3 KStG bis einschließlich 2007 nicht anwendbar5. Gemäß § 8b Abs. 3 KStG sind Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit einem Anteil an einer Kapitalgesellschaft stehen, bei der Einkommensermittlung nicht zu berücksichtigen6. Die Finanzverwaltung will jedoch auch bereits für den Veranlagungszeitraum 2007 § 8 Abs. 3 KStG auf Forderungsverzichte der Mutterkapitalgesellschaft an die Tochterkapitalgesellschaft anwenden7.
315a
Das Jahressteuergesetz 20088 enthält eine Änderung des § 8b Abs. 3, Sätze 4–8 KStG. Die Änderung ist gemäß § 34 Abs. 1 KStG erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2008 anzuwenden. Die Neuregelung in § 8b Abs. 3 KStG sieht vor, dass Gewinnminderungen (aus dem Forderungsverzicht der Mutterkapital-
315b
1 Vgl. Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 74. 2 Vgl. BFH v. 18. 12. 2001 – VIII R27/00, BStBl. II 2002, 733; ebenso die Finanzverwaltung in den Einkommensteuerrichtlinien H 32a EStH 2003. 3 Vgl. BFH v. 6. 3. 2003 – XI R52/01, BStBl. II 2003, 658. 4 Vgl. BFH v. 5. 2. 1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532. 5 Vgl. Gosch, Beck’scher Steuerkommentar 2005, § 8b KStG Rz. 276; Wassermeier/ Schmitt/Hageböckel/Dummler, DB 2004, 2718; Rödder/Stangl, DStR 2005, 354. 6 Nach dem BMF-Schreiben v. 28. 4. 2003, BStBl. I 2003, 292, greift das Abzugsverbot nur bei substanzbezogener Gewinnminderung. Nach überwiegender Auffassung ist das Abzugsverbot auf kapitalersetzende Darlehen der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaft nicht anwendbar. 7 Dies sieht zumindest ein BMF-Schreiben, das im Entwurf vorliegt, aber bisher nicht veröffentlicht wurde, vor. 8 BGBl. I 2008, 3150 ff.
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§ 11
Rz. 315c
Steuerrechtliche Beratung
gesellschaft an die Tochterkapitalgesellschaft) aus Gesellschafterdarlehen nicht abziehbar sind, sofern die Körperschaft an der darlehensnehmenden Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 25 % beteiligt ist. Entsprechendes gilt bei Darlehen an nahestehende Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG sowie durch Dritte, die auf den Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person zurückgreifen können (z.B. rückgriffsberechtigte Banken). Ein bei der Muttergesellschaft aus der Inanspruchnahme der gewährten Sicherheit entstehender Aufwand unterliegt ebenfalls der neuen Abzugsbeschränkung. 315c
Die Mutterkapitalgesellschaft kann jedoch nach § 8b Abs. 3 S. 6 KStG den Nachweis führen, dass die Darlehensgewährung und die unterbliebene Zurückforderung des Darlehens einem Drittvergleich standhält. Hiermit ist eine Beweislastumkehr verbunden, d.h., die Mutterkapitalgesellschaft muss den Nachweis führen, dass das Darlehen auch unter fremden Dritten gewährt würde. Der Drittvergleich kann nicht geführt werden, wenn das Darlehen unverzinslich gewährt wird, wenn bei verzinslichen Darlehen keine Sicherheiten bestellt werden oder das Darlehen bei Eintritt der Krise stehengelassen wird1. Ist der Gesellschafter eine natürliche Person, so muss weiter differenziert werden, ob der Gesellschafter die Forderung im Privatvermögen oder im Betriebsvermögen hält. aa) Gesellschafter (natürliche Person) hält die Forderung im Privatvermögen
316
Hält der Gesellschafter die Forderung gegen seine Gesellschaft im Privatvermögen, die Anteile aber im Betriebsvermögen, erhöhen sich die Anschaffungskosten auf die Beteiligungen in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung. Es entstehen also nachträgliche Anschaffungskosten beim Gesellschafter. In Höhe des nicht werthaltigen Teils der Forderung entsteht Aufwand beim Gesellschafter, der aber steuerlich nicht zu berücksichtigen ist, da er der privaten Vermögenssphäre zuzuordnen ist2.
317
Hält der Gesellschafter die Forderung gegen seine Gesellschaft im Privatvermögen und die Anteile an der Gesellschaft auch im Privatvermögen, so führt der Forderungsverzicht zu einer Erhöhung der Anschaffungskosten des Gesellschafters auf seine Beteiligung, wenn die Darlehensgewährung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist3. Es handelt sich hierbei um Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG. Dies ist immer dann der Fall, wenn das Darlehen eigenkapitalersetzenden Charakter (§ 32a GmbHG) hat4.
318
Um welchen Betrag sich die Anschaffungskosten auf die Beteiligung erhöhen, hängt davon ab, welchen Wert das Darlehen hatte zu dem Zeitpunkt, zu dem
1 Vgl. BR-Drs. 544/07, S. 95 ff. 2 Vgl. Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz in Sanierungsberatung, 2004, Rz. 712. 3 Vgl. BFH v. 18. 12. 2001 – VIII RZ 27/00, DStR 2002, 444; Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 74. 4 Vgl. BFH v. 13. 7. 1999 – VIII R 31/98, BStBl. II, 1999, 724.
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Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten
Rz. 324a § 11
es eigenkapitalersetzend geworden ist. Hier werden gemäß Auffassung des BMF vier Fälle unterschieden1. –
Hingabe des Darlehens in der Krise (Sanierungsdarlehen): Es entstehen nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe des Nennwerts der Darlehensforderung.
319
–
Darlehen vor der Krise gewährt und in der Krise stehengelassen: Es entstehen nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe des gemeinen Wertes zum Zeitpunkt des Eintritts der Krise. Wenn der gemeine Wert der Forderung null beträgt, ist der Verlust der Forderung beim Gesellschafter steuerlich irrelevant in der privaten Vermögenssphäre.
320
–
Einräumung eines krisenbestimmten Darlehens (z.B. durch Rangrücktrittserklärung): Hat der Gesellschafter bei Einräumung eines Darlehens gegenüber der Gesellschaft erklärt, er werde das Darlehen in der Krise stehenlassen, so entstehen bei einem Verlust des Darlehens nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe des Nennwertes des Darlehens.
321
–
Finanzplandarlehen (Quasi-Eigenkapital): Der Verlust eines Finanzplandarlehens führt zu nachträglichen Anschaffungskosten in Höhe des Nennwertes der Forderung.
322
Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass nachträgliche Anschaffungskosten beim Gesellschafter immer dann entstehen, wenn eigenkapitalersetzende Leistungen verlorengehen. Um diese steuerliche Wirkung auf jeden Fall zu erreichen, kann der Gesellschafter für sein Darlehen eine qualifizierte Rangrücktrittserklärung abgeben2.
323
Weiterhin ist zu beachten, dass der Gesellschafter, der eine Forderung gegen seine Gesellschaft hat und die Anteile an der Gesellschaft im Privatvermögen hält, in Höhe des werthaltigen Teils eine verdeckte Einlage gegenüber der Gesellschaft erbringt. Genau in dieser Höhe führt die verdeckte Einlage auf der Ebene der Gesellschaft bei ihm selbst als auch auf Gesellschafterebene zu einem Zufluss. Steuerpflichtig ist dieser Zufluss, wenn die Forderung z.B. im Bereich der Überschusseinkünfte besteht. Ein steuerpflichtiger Zufluss liegt z.B. bei einem Verzicht auf eine Forderung aus einem Mietverhältnis vor. Es wird damit ein Zufluss im Bereich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung beim Gesellschafter fingiert, der steuerpflichtig ist3.
324
Das Bundeskabinett hat am 23. 5. 2007 den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) beschlossen. Nach dem MoMiG sollen die Rechtsprechungs- und Gesetzesregeln über die kapitalersetzenden Darlehen (§§ 32a, 32b GmbHG) aus dem GmbHG entfernt und im Anfechtungsgesetz sowie im Insolvenzrecht neu geordnet und
324a
1 Vgl. BMF-Schreiben v. 8. 6. 1999 – IV C2 - S 224 - 12/99, BStBl. I 1999, 545; vgl. zu den Fallgruppen: Förster/Wendland, GmbHR 2006, 165 f.; Kahlert/Rühland in Sanierungsund Insolvenzsteuerrecht, 2007, S. 89 ff. 2 Vgl. Olbing, Sanierung durch Steuergestaltung, 3. Aufl. 2003, Rz. 372. 3 Vgl. Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz in Sanierungsberatung, 2004, Rz. 721.
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§ 11
Rz. 324b
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die Rechtsprechungsregeln nach § 30 GmbHG aufgehoben werden. Eine Unterscheidung zwischen kapitalersetzenden „und normalen“ Darlehen wird es danach nicht mehr geben. 324b
Der Entwurf sieht in §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 44a, 135, 143 Abs. 3 RegE die Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich gleichwertigen Leistungen vor. Er eröffnet die Anfechtbarkeit vom letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag von der Gesellschaft zurückgezahlter Gesellschafterleistungen unabhängig von einer tatbestandlichen Anknüpfung an einen wie auch immer gearteten eigenkapitalersetzenden Charakter der Leistung. Der Entwurf wird voraussichtlich – unter Umständen auch mit einigen Änderungen – im dritten Quartal 2008 Gesetzeskraft erlangen.
324c
Die Gesetzesänderungen haben Auswirkungen auf die o.b. Grundsätze des Forderungsverzichtes einer natürlichen Person an seine Gesellschaft. Durch die Abschaffung des Instituts der eigekapitalersetzenden Darlehen wird damit die Differenzierung der Darlehensarten zur Ermittlung der Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten obsolet.
324d
Alleiniges Merkmal für die insolvenzrechtliche Bildung des Gesellschafter Fremdkapitals ist künftig also die Darlehensgewährung selbst. Jedes Gesellschafterdarlehen unterliegt von seiner Gewährung an aufschiebend bedingt durch das Insolvenzereignis der gesetzlichen Subordination des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Jeder Gesellschafter, der seiner GmbH ein Darlehen gewährt, tut dies in dem Bewusstsein, im Insolvenzfall wegen der Nachrangigkeit nicht mehr bedient zu werden bzw. bei Tilgung des Darlehens im Jahr vor der Insolvenzantragsstellung die Darlehensvaluta wieder zur Masse zuführen zu müssen. Das führt dazu, dass jedes Darlehens, mit dem der Gesellschafter in der Insolvenz ausfällt, zu nachträglichen Anschaffungskosten i.S.d. § 17 EStG in Höhe des Nennwerts des Darlehens führt1. bb) Gesellschafter (natürliche Person) hält die Forderung im Betriebsvermögen
325
Hält der Gesellschafter die Forderung gegen seine Gesellschaft und die Anteile im Betriebsvermögen (z.B. Betriebsaufspaltung), so entstehen bei ihm in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung. In Höhe des nichtwerthaltigen Teils der Forderung entsteht Aufwand, der steuerlich abzugsfähig ist2.
325a
Das Abzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG ist auf Forderungsabschreibungen für einen Gesellschafter, der natürliche Person ist, nicht anzuwenden. Der Gesetzgeber hat auch mit dem Jahressteuergesetz 2008 darauf verzichtet, für darlehensbedingte Gewinnminderung bei Einzelunternehmern eine dem § 8b Abs. 3 Sätze 4–8 KStG entsprechende gesetzliche Regelung im Einkommensteuerrecht zu schaffen. Für natürliche Personen entstehen damit auch im Veranlagungszeitraum 2008 auf Forderungsverzichte in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung nachträgliche Anschaffungskosten beim Gesellschafter. 1 Vgl. Hölzl, DStR 2007, 1185 ff. 2 Vgl. BFH v. 18. 12. 2001 – VIII RZ 7/00, DStR 2002, 444; Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, 109.
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Steuerliche Behandlung von Forderungsverzichten
Rz. 332 § 11
Hält der Gesellschafter die Forderung gegen seine Gesellschaft im Betriebsvermögen, die Anteile aber im Privatvermögen, so entstehen ebenso in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung nachträgliche Anschaffungskosten.
326
Der Forderungsverzicht einer vom Gesellschafter im Betriebsvermögen gehaltenen Forderung (unabhängig davon, ob die Anteile im Betriebsvermögen oder im Privatvermögen gehalten werden) kann zu einem steuerlichen Zufluss beim Gesellschafter führen.
327
Ermittelt der Gesellschafter seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich, entsteht ein Zufluss beim Gesellschafter in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung. Ermittelt der Gesellschafter seinen Gewinn durch Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 3 EStG, so führt der Forderungsverzicht in Höhe des nicht werthaltigen Teils der Forderung zu einem steuerlich zu berücksichtigenden Aufwand beim Gesellschafter. In Höhe des werthaltigen Teils entsteht ein nicht steuerlich zu berücksichtigender Aufwand. Ein Zufluss beim Gesellschafter entsteht insoweit überhaupt nicht1.
328
4. Forderungsverzicht mit Besserungsschein a) Forderungsverzicht mit Besserungsschein durch einen Dritten Hat der Gläubiger den Forderungsverzicht gegen Besserungsschein ausgesprochen, so löst der Verzicht im Zeitpunkt des Verzichtes einen Ertrag aus, der zunächst mit bestehenden Verlustvorträgen zu verrechnen ist und falls diese nicht ausreichen, auf der Grundlage des Sanierungserlasses zu einer Steuerstundung führen.
329
Kommt es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer wirtschaftlichen Besserung der Gesellschaft und der Besserungsfall zum Tragen, so ist die Forderung des Dritten bei der Gesellschaft wieder zu passivieren. Der zusätzliche Aufwand führt zu einer Gewinnminderung bei der Gesellschaft. Das BMF will jetzt neuerdings diesen Aufwand unter die Verlustabzugsbeschränkung des § 8 IV II StG fassen. Dann könnte der Aufwand steuerlich nicht abgezogen werden2.
330
Der Dritte, der den Forderungsverzicht gewährt, hat seine Forderung bei Gewährung des Forderungsverzichts gewinnmindernd auszubuchen. Mit Eintritt des Besserungsfalls führt die Forderung erneut zu einem Wirtschaftsgut und ist gewinnerhöhend zu berücksichtigen.
331
b) Forderungsverzicht mit Besserungsschein durch einen Gesellschafter Bei einem von einem Gesellschafter gewährten Forderungsverzicht mit Besserungsschein gelten zunächst die gleichen Grundsätze wie ohne Gewährung des Besserungsscheins. Bei einer rein betrieblichen Veranlassung wird der Ver-
1 Vgl. Kahlert/Rühland in Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2007, 109 f. 2 Vgl. BMF v. 2. 12. 2003, BStBl. I, 648. A.A.: Gosch/Roser, KStG, § 8 Rz. 1480.
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332
§ 11
Rz. 333
Steuerrechtliche Beratung
zicht genauso behandelt wie ein Forderungsverzicht gegen Besserungsschein eines Dritten (vgl. 4.1). 333
Bei einem Forderungsverzicht eines Gesellschafters, der gesellschaftsrechtlich veranlasst ist, kommt es nach den Grundsätzen des Großen Senates darauf an, inwiefern die Forderung zum Zeitpunkt des Verzichts noch werthaltig war1. Soweit die Forderung werthaltig war, handelt es sich um eine steuerneutrale Einlage des Gesellschafters in die Gesellschaft. Tritt der Besserungsfall ein, wandelt sich das Eigenkapital wieder in Fremdkapital um. Insoweit liegt eine negative Einlage vor2. Der Bedingungseintritt hat damit keine Ergebnisauswirkung bei der Gesellschaft.
334
In Höhe des nicht werthaltigen Teils der Forderung erfolgt durch den Eintritt des Besserungsfalls eine Gewinnerhöhung bei der Gesellschaft. Die Forderung ist also genau in dieser Höhe wieder zu passivieren. Betrug die Forderung im Zeitpunkt des Verzichts null, weil die Gesellschaft z.B. bereits überschuldet war, so besteht kein Unterschied zwischen der Behandlung des Forderungsverzichts eines Dritten und der eines Gesellschafters. Der Forderungsverzicht führt bei Eintritt des Besserungsfalls in voller Höhe zu einer Gewinnerhöhung.
335
Auch auf der Ebene des Gesellschafters kommt es darauf an, ob die Forderung im Zeitpunkt des Verzichts noch werthaltig war. Soweit die Forderung noch werthaltig war, erhöht sie die Anschaffungskosten des Gesellschafters. Tritt der Besserungsfall ein, hat der Gesellschafter seine Anschaffungskosten genau in der damaligen Höhe (werthaltiger Teil) wieder zu reduzieren. Er muss die Forderung in dieser Höhe (werthaltiger Teil) gegen die Gesellschaft wieder aktivieren. Der Bedingungseintritt ist auf der Ebene des Gesellschafters ergebnisneutral.
336
In Höhe des wertlosen Teils erfolgt durch den Eintritt des Besserungsfalls ein Wiederaufleben der Forderung. Das Wiederaufleben der Forderung ist insoweit gewinnwirksam und führt beim Gesellschafter zu einem steuerpflichtigen Ertrag.
337
Im Ergebnis würde durch den Eintritt der Besserung die gesamte Forderung beim Gesellschafter wieder aufleben. Die Aktivierung des werthaltigen Teils ist steuerneutral und der wertlose Teil ist ein steuerpflichtiger Ertrag3.
338
Mit Inkrafttreten des MoMiG erhöht stets der Nennwert die Anschaffungskosten des Gesellschafters. Bei Eintritt des Besserungsfalls sind die Anschaffungskosten um den Nennwert der Forderung wieder zu reduzieren.
1 Vgl. BFH v. 9. 6. 1997 – GrS 1/1994, BStBl. II 1998, 307. 2 Vgl. BFH v. 30. 5. 1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588; BMF v. 4. 6. 2003 – IV A2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 Rz. 29. 3 Vgl. Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz in Sanierungsberatung, 2004, S. 204 ff.
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§ 12 Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren Rz.
Rz.
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Wirkungen des Insolvenzantrages und der Insolvenzeröffnung 2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3
ee) Gesetzliche Vermutung 81 ff) Kontrolle der Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . 83 gg) Personalstruktur . . . . . . . 92 b) Änderung der Sachlage . . . . . 99 4. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) . . . . . . . . 105 5. Beschlussverfahren nach § 126 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Betriebe mit Betriebsrat 121 bb) Betriebe ohne Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Sozialauswahl; dringende betriebliche Erfordernisse . . 139 d) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . 148 e) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 6. Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Inhalt des Sozialplanes . . . . . 171 aa) Abrechnung von Sozialplanansprüchen . . . . . . . 181 bb) Sozialplanmuster . . . . . . 193 c) Beteiligung des Betriebsrats 194 d) Dotierungsgrenzen . . . . . . . . 199 aa) Absolute Grenze . . . . . . . 199 bb) Relative Grenze . . . . . . . 210 e) Einigungsstellenverfahren . . 213 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . 213 bb) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . 218 f) Befriedigung der Sozialplanansprüche . . . . . . . . . . . . 226
II. Das vorläufige Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4a 1. Der Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitgeberstellung . . . . . . . b) Interessenausgleich und Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interessenausgleich . . . . bb) Sozialplan . . . . . . . . . . . . . cc) Sozialauswahl . . . . . . . . . c) Kündigungsfristen . . . . . . . . . d) Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . e) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . 2. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitgeberstellung . . . . . . . b) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . .
5 5 10 10 20 24 28 30 32
47 47 56
III. Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren – Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . 58 1. Kündigungsbefugnis . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigungsvollmacht . . . . . 2. Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interessenausgleich . . . . . . . . . . a) Interessenausgleich nach § 125 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . bb) Betriebsänderung . . . . . . cc) Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung . . . dd) Namensliste . . . . . . . . . .
58 58 59 65 69 69 69 70 76 78
IV. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) . . . . . . . . 230 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Widerrufsberechtigung . . . . . . . 235 V. Kündigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . 251 a) Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . 251
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§ 12
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren Rz.
Rz.
b) Unkündbare Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 aa) Betriebsratsmitglieder . . 261 bb) Wehr- und Zivildienstleistende . . . . . . . . . . . . . . 274 cc) Ausbildungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Befristete Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 d) Altersteilzeit . . . . . . . . . . . . .282a e) Sonderkündigungsschutz . . 283 aa) Schwerbehinderte . . . . . . 284 bb) Mutterschutz und Elternteilzeit . . . . . . . . . . 305 f) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 3. Schadensersatz (§ 113 Satz 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 4. Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
(1) Allgemeines . . . . . . . . . . . 405 (2) Inländisches Insolvenzereignis . . . . . . . . . . . . . . . 416 (3) Mehrere Insolvenzereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (4) Neu gegründetes Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 431 (5) Leiharbeitsverhältnisse . 432 b) Insolvenzgeldzeitraum . . . . . 433 aa) Grundsätzliches . . . . . . . 433 bb) Umfang des Arbeitsentgeltes . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . 441 (2) Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . 448 cc) Einmalzahlungen . . . . . . 449 (1) Jahressonderzahlung . . . 450 (2) Gewinnbeteiligung . . . . 460 (3) Tantieme . . . . . . . . . . . . . 461 (4) Bauleiterprämie . . . . . . . 462 (5) Provision . . . . . . . . . . . . . 463 (6) Urlaubsabgeltung . . . . . . 464 (7) Urlaubsentgelt . . . . . . . . 466 (8) Zusätzliches Urlaubsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 (9) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle . . . . . . . . 468 (10) Lohn- und Gehaltsnachzahlung . . . . . . . . . . 469 (11) Betriebsübergang . . . . . . 471 (12) Arbeitszeitguthaben . . . 474 (13) Arbeitsleistung ohne Kenntnis des Insolvenzereignisses . . . . . . . . . . . . 475 (14) Ansprüche der Erben . . . 478 dd) Höhe der Leistung . . . . . 481 ee) Vorschuss . . . . . . . . . . . . . 486 ff) Verfahren . . . . . . . . . . . . . 495 (1) Arbeitnehmerpflichten . 495 (2) Pflichten des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . 501 gg) Auszahlung . . . . . . . . . . . 511 hh) Tarifliche Ausschlussfristen und Insolvenzgeldbescheinigung . . . . . 513 ii) Anspruchsübergang . . . . 520 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . 520 (2) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . 527 jj) Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . 537 (1) Antragsfrist . . . . . . . . . . . 537 (2) Nachfrist . . . . . . . . . . . . . 540
VI. Massenentlassung . . . . . . . . . . . 332 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 3. Unwirksamkeit der Entlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 4. Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 5. Freifrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . 350 VII. Klagefrist (§ 4 Satz 1 KSchG) . . 351 1. § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . . . 351 2. Nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG . . . . . . . . 361 VIII. Vergütungsansprüche . . . . . . . . 374 1. Zeiten nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 2. Freistellung von der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 3. Arbeitsentgeltansprüche bei Masseunzulänglichkeit . . . . . . . 380 4. Zeiten vor der Insolvenzeröffnung (Insolvenzgeld) . . . . . . . 387 a) Anspruchsvoraussetzungen 387 aa) Persönliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruches . . . . . . . . 387 bb) Sachliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruchs . . . . . . . . . . . . . 405
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Allgemeines
Rz. 2
§ 12
Rz.
Rz.
kk) Verfügungen über das Arbeitsentgelt . . . . . . . . . 550 (1) Abtretung . . . . . . . . . . . . . 550 (2) Pfändung und Verpfändung . . . . . . . . . . . . . . 553 (3) Erlöschen von Pfandrechten . . . . . . . . . . . . . . . 556 (4) Vorfinanzierung . . . . . . . 557 5. Altersversorgung . . . . . . . . . . . . .581a a) Unverfallbarkeit . . . . . . . . . .581a b) Leistungen des Pensionssicherungsvereins . . . . . . . . .581d c) Versorgungszusagen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . .581f d) Versicherungsmissbrauch . .581j
e) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . .581l IX. Der Betriebsübergang in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 2. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses . 599 3. Haftung des Betriebserwerbers 605 4. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 5. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 6. § 128 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 617 b) Vermutungswirkung . . . . . . 620 7. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . 625
I. Allgemeines 1. Wirkungen des Insolvenzantrages und der Insolvenzeröffnung Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses keinen Einfluss. Bestehende Arbeitsverhältnisse werden weder durch den Insolvenzantrag noch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet (§ 108 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO) (vgl. hierzu § 8 Rz. 174 ff.). Weder der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Insolvenzeröffnung selbst bieten einen Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung bestehender Arbeitsverhältnisse1. Eine Formulierung in der Kündigungserklärung: „Ich kündige Ihr Arbeitsverhältnis wegen der Insolvenzeröffnung vom …“ ist deshalb unrichtig.
1
Der Arbeitnehmer hat bei der Nichterfüllung der Lohnzahlungspflicht des Schuldners ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung (§ 273 Abs. 1 BGB). Das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung muss durch den Arbeitnehmer unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben ausgeübt werden, d.h., bei nur geringfügigen Lohnrückständen scheidet ein Zurückbehaltungsrecht aus. Das ausgeübte Zurückbehaltungsrecht führt zu einem Anspruch auf Leistung Zug um Zug. Aus diesem Grunde hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung so anzubieten, dass der Schuldner diese Zug um Zug mit der Zahlung annehmen könnte. Der Arbeitnehmer hat deshalb – ohne eine Leistungsverpflichtung – an seinem Arbeitsplatz anwesend zu sein. Das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung kann nicht nur von einem einzelnen Arbeitnehmer, sondern auch durch eine Mehrzahl von Arbeitnehmern ausgeübt werden2. Der Schuldner kann die Arbeitnehmer vor der Eröff1 BAG v. 25. 10. 1968 – 2 AZR 23/68, AP Nr. 1 zu § 22 KO (Böhle-Stamschräder) = NJW 1969, 525. 2 BAG v. 14. 2. 1978 – 1 AZR 76/76, BAGE 30, 50 (58) = DB 1978, 1403.
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§ 12
Rz. 3
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
nung des Insolvenzverfahrens nicht auf die zu erwartenden Ansprüche auf Insolvenzgeld verweisen (zu den Voraussetzungen der Gewährung von Insolvenzgeld siehe unten Rz. 387 ff.). Das zu erwartende Insolvenzgeld stellt keine Sicherheit i.S.d. § 273 Abs. 3 Satz 1 BGB dar1. Unterrichtet jedoch der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer verbindlich über das mit dem Insolvenzgericht abgestimmte Datum der Insolvenzeröffnung und sind dringende Arbeiten zu erledigen, so ist die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts seitens der Arbeitnehmer rechtsmissbräuchlich2. Die Unterrichtung der Arbeitnehmer könnte wie folgt vorgenommen werden: Es ist durch Absprache mit dem Insolvenzgericht sichergestellt, dass über den Insolvenzantrag spätestens am… entschieden wird, so dass Ihre Entgeltansprüche in vollem Umfang durch das Insolvenzgeld gesichert sind. In diesem Ausnahmefall besitzen die Arbeitnehmer eine anderweitige Sicherheit i.S.v. § 273 Abs. 3 Satz 1 BGB, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) in naher Zukunft vorliegen. Die Abstimmung des Datums der Insolvenzeröffnung ist gängige Praxis, widerspricht jedoch dem Postulat des BGH, dass über den Insolvenzantrag sofort nach dem Eingang des Gutachtens des Sachverständigen zu entscheiden ist3. Gleichfalls ist ein Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung ausgeschlossen, wenn mit Zustimmung der zuständigen Agentur für Arbeit durch einen Dritten das Insolvenzgeld vorfinanziert wird (§ 188 Abs. 4 SGB III). In einem solchen Falle sind den Arbeitnehmern auch kurzfristige Zahlungsverzögerungen zuzumuten. (Allgemein zum Insolvenzantrag und zur Verfahrenseröffnung siehe oben § 6, Rz. 34 ff. und 142 ff.).
2. Betriebsrat (zur Mitwirkung des Betriebsrats im eröffneten Verfahren siehe unten Rz. 65 ff.) 3
Besteht im schuldnerischen Unternehmen ein Betriebsrat, so wird dessen Amt oder Amtsführung weder durch einen Insolvenzantrag noch durch die Insolvenzeröffnung tangiert. Die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (§§ 74 ff. BetrVG) bleiben ohne Einschränkung erhalten.
4
Die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats setzen jedoch voraus, dass sich ein erstmals gewählter Betriebsrat konstituiert hat, also der Wahlvorstand die gewählten Mitglieder des Betriebsrats zur Wahl des Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter einberufen und der Betriebsratsvorsitzende und dessen Stellvertreter gewählt wurden (§ 29 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
1 BAG v. 25. 10. 1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 = ZIP 1985, 302 (304). 2 BAG v. 25. 10. 1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 (356) = ZIP 1985, 302 (305). 3 BGH v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2002, 766 = NZI 2004, 316.
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Das vorläufige Insolvenzverfahren
Rz. 7
§ 12
§ 26 Abs. 1 und 2 BetrVG)1. Die Frage der Konstituierung eines neu gewählten Betriebsrats kann insbesondere im Insolvenzantragsverfahren praktische Auswirkungen haben: Beschließt der Schuldner vor Wahl und erstmaliger Konstituierung des Betriebsrats eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG, so entstehen mangels Beteiligungsrechten des Betriebsrats keine Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG2. Erfolgt die Betriebsschließung noch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens, so stellen die Nachteilsansprüche nach § 113 BetrVG Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar3, auch wenn das Arbeitsverhältnis nach der Insolvenzeröffnung endet.
II. Das vorläufige Insolvenzverfahren (Hierzu ausführlich § 6 Rz. 69 ff. und § 14 Rz. 8 ff.)
4a
1. Der Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) a) Arbeitgeberstellung Mit Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO übernimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitgeberfunktion. Er hat die allgemeinen Kündigungsvorschriften zu beachten, also bei Vorhandensein eines Betriebsrats diesen vor jeder Kündigung anzuhören (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG), bei Betriebsänderungen den Versuch eines Interessenausgleichs (§ 111 BetrVG) zu unternehmen und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG abzuschließen.
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Die durch die InsO eingeräumten arbeitsrechtlichen Erleichterungen nach §§ 113, 120 –122 sowie 125 –128 InsO stehen ihm nicht zur Verfügung4. Er hat insbesondere die gesetzlichen, tariflichen oder individuell vereinbarten Kündigungsfristen einzuhalten5. Gleichfalls hat er den Ausschluss der ordentlichen Unkündbarkeit des Arbeitsverhältnisses ebenso zu respektieren wie eine Zeitoder Zweckbefristung.
6
Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist zur Betriebsstilllegung nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichtes befugt (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Hieraus folgt jedoch nicht, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Zustimmung nicht die Befugnis eingeräumt ist, sämtliche Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Betriebsstilllegung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung6.
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1 2 3 4 5
BAG v. 23. 8. 1984 – 6 AZR 520/82, BAGE 46, 282 = NZA 1985, 566. BAG v. 28. 10. 1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420 = ZIP 1993, 289. BAG v. 4. 12. 2002 – 10 AZR 16/02, BAGE 104, 94 = NZA 2003, 665 = ZIP 2003, 311. Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 22 Rz. 38. BAG v. 20. 1. 2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 199 = NZA 2006, 1356 = ZIP 2005, 1289. 6 BAG v. 27. 10. 2005 – 6 AZR 5/05, NZA 2006, 727 = ZIP 2006, 585.
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§ 12
Rz. 8
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
8
Infolge des Übergangs der Arbeitgeberstellung hat der vorläufige Insolvenzverwalter steuerliche Verpflichtungen zu erfüllen, also Lohnsteuervoranmeldungen abzugeben, sofern er Entgelte an die Arbeitnehmer auszahlt. Unterlässt er dies, haftet er nicht nur nach §§ 60, 61 InsO, sondern auch nach §§ 34, 69 AO. (Zur steuerrechtlichen Stellung sowie den steuerrechtlichen Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters vgl. § 11 Rz. 19 ff.; zur Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters siehe oben § 6 Rz. 95 ff.)
9
Auch die sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen sind durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zu erfüllen. Er hat, ohne dass es auf eine Entgeltzahlung an die Arbeitnehmer ankommt, die monatlichen Beitragsmeldungen zu erstatten, da die Beiträge zur Sozialversicherung mit der Lohn- und Gehaltsfälligkeit entstehen (§ 22 Abs. 1 SGB IV). Dieses gilt auch dann, wenn Arbeitsentgelt an Arbeitnehmer ganz oder teilweise nicht ausbezahlt wird und/oder der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt nicht einfordert1. Gleiches würde auch dann gelten, wenn der Arbeitnehmer nach Entstehen seines Entgeltanspruches ganz oder teilweise auf sein Arbeitsentgelt verzichtet. b) Interessenausgleich und Sozialplan aa) Interessenausgleich
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Da im Insolvenzantragsverfahren dem vorläufigen Insolvenzverwalter die arbeitsrechtlichen Erleichterungen nach §§ 113 ff. InsO nicht zur Verfügung stehen, ist beim Vorhandensein eines Betriebsrats und Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 111 BetrVG ein Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG zu versuchen2. Die gerichtliche Zustimmung zur Kündigung (§ 122 InsO), der Interessenausgleich mit Namensliste (§ 125 InsO) und das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) stehen dem vorläufigen Insolvenzverwalter als Gestaltungsmittel nicht zur Verfügung.
11
Ein Personalabbau stellt dann eine Betriebseinschränkung i.S.v. § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG dar, wenn erhebliche Teile der Belegschaft von dem Personalabbau betroffen sind. Für die Frage, ob erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG maßgebend3, also die Entlassung von –
mehr als fünf Arbeitnehmern bei Betrieben mit in der Regel von mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern;
–
mehr als 25 Arbeitnehmer oder 10 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer bei Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmer;
–
mindestens 30 Arbeitnehmer in Betrieben mit mindestens 500 Arbeitnehmern.
1 BSG v. 26. 11. 1985 – 12 RK 51/83, BSGE 59, 183 (189) = ZIP 1986, 232. 2 BAG v. 18. 12. 1984 – 1 AZR 176/82, BAGE 47, 329 = NZA 1985, 400 = ZIP 1985, 751. 3 BAG v. 10. 12. 1996 – 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787 (788).
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Das vorläufige Insolvenzverfahren
Rz. 16 § 12
In Großbetrieben stellt die Entlassung von 5% der Belegschaft eine Betriebseinschränkung i.S.v. § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG dar1. Erfolgen die Entlassungen in mehreren Etappen, gilt der Zeitraum von 30 Kalendertagen nach § 17 Abs. 1 KSchG nicht2, sofern die Entlassungsmaßnahmen auf einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung beruhen3. Allein entscheidend ist, wie viele Arbeitnehmer von der geplanten Maßnahme betroffen sind.
12
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat, um Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG zu vermeiden, das Verfahren nach § 112 BetrVG voll auszuschöpfen4, also auch bei Nichtzustandekommen des Interessenausgleichs die Einigungsstelle anzurufen. Die Anrufung der Einigungsstelle ist auch dann erforderlich, wenn sich der Betriebsrat formlos mit der Betriebsänderung einverstanden erklärt5. Der Versuch des Interessenausgleichs ist auch dann zu unternehmen, wenn ein Sozialplan nach § 112a BetrVG nicht erzwungen werden kann6.
13
Erst nach der Feststellung durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle, dass eine Einigung nicht erzielt wurde, können ohne Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer die geplanten Entlassungen durchgeführt werden7. Die Nachteilsausgleichsansprüche entstehen mit der Entlassung des Arbeitnehmers und werden fällig mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Freistellung von der Arbeitsleistung stellt noch keine Durchführung einer Betriebsänderung dar, da diese Maßnahme nicht unumkehrbar ist8. Eine Klagefrist besteht nicht9. Soweit tariflich oder individuell Ausschlussfristen für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vereinbart sind, gelten diese Ausschlussfristen auch für die Nachteilsausgleichsansprüche10.
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Ein Beschluss der Einigungsstelle ist schriftlich niederzulegen, durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle zu unterschreiben und dem Betriebsrat und vorläufigem Insolvenzverwalter zuzuleiten (§ 76 Abs. 3 Satz 3 BetrVG).
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Die Kosten des Einigungsstellenverfahrens stellen im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO) dar. Zu diesen Kosten zählen das Honorar des Vorsitzenden der Einigungsstelle, der betriebsfremden Beisitzer, der Bevollmächtigten der Betriebsparteien sowie eventuelle Sachkosten. Das Honorar des Vorsitzenden der Einigungsstelle ist nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu bestimmen. Ein Stundenhonorar des Vorsitzenden der Eini-
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BAG v. 6. 12. 1988 – 1 ABR 47/87, BAGE 60, 237 = ZIP 1989, 389. BAG v. 22. 5. 1979 – 1 AZR 848/76, BB 1979, 1501. BAG v. 28. 3. 2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932 = ZIP 2006, 1460. BAG v. 18. 12. 1984 – 1 AZR 176/82, BAGE 47, 329 = NZA 1985, 400 = ZIP 1985, 751. BAG v. 26. 10. 2004 – 1 AZR 493/03, BAGE 112, 260 = NZA 2005, 237 = ZIP 2005, 272. BAG v. 8. 11. 1988 – 1 AZR 687/87, BAGE 60, 87 = NZA 1989, 278 = ZIP 1989, 256. BAG v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (191, 192) = ZIP 1980, 83 = MDR 1979, 395. BAG v. 30. 5. 2006 – 1 AZR 25/05 NZA 2006, 1122 = ZIP 2006, 1510. Annuß in Richardi, BetrVG, § 113 Rz. 62. BAG v. 22. 2. 1983 – 1 AZR 260/81, BAGE 42, 1 = NJW 1984, 323 = ZIP 1983, 846.
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§ 12
Rz. 17
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
gungsstelle von 150 Euro ist nicht zu beanstanden1. Zu den honorarpflichtigen Tätigkeiten gehört auch die Vor – und Nachbereitungszeit. Um finanzielle Überraschungen zu vermeiden, sollte unbedingt der Abschluss einer Honorarvereinbarung zur Höhe des Stundensatzes und eventuell einer Obergrenze des Honorars versucht werden. Die Honorarvereinbarung muss auch mit einem Rechtsanwalt nicht schriftlich abgeschlossen werden, da es sich bei der Tätigkeit in der Einigungsstelle um keine anwaltliche Leistung iSv § 1 Abs. 1 RVG handelt2. Die betriebsfremden Beisitzer erhalten regelmäßig 7/10 des Honorars des Vorsitzenden3, da dieses billigem Ermessen entspricht. Die Vergütung der Beisitzer der Einigungsstelle muss zwingend niedriger sein als diejenige des Vorsitzenden4. Bei der Bemessung der Vergütung der Beisitzer ist der gleiche Maßstab wie beim Vorsitzenden anzulegen. Eine Differenzierung entsprechend der individuell entfalteten Tätigkeit ist möglich. 17
Die Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG stellen im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO) dar, da der Anspruch auf einer betriebsverfassungswidrigen Handlung des vorläufigen Insolvenzverwalters beruht5. Eine Begrenzung auf 2,5 Monatsverdienste analog § 123 Abs. 1 InsO scheidet aus6. Zum Begriff der Masseverbindlichkeit siehe § 6 Rz. 264 ff. und § 14 Rz. 11 ff., 36 ff.
! Hinweis: Der Klageantrag geht dahin, den Beklagten zur Zahlung einer Abfindung nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG zu verurteilen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird7.
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Die Angabe eines bestimmten Betrages ist entbehrlich, da das Gericht im Rahmen des § 10 KSchG nach freiem Ermessen den Abfindungsbetrag auszuurteilen hat. Um jedoch eine Beschwer i.S.v. § 64 Abs. 2 ArbGG darlegen zu können, ist in der Klagebegründung die klägerische Vorstellung zur Abfindungshöhe darzulegen. 19
Die Abfindung nach § 113 BetrVG ist ebenso wenig wie die Abfindung nach §§ 9,10 KSchG steuerfrei. Der Nachteilsausgleichsanspruch stellt eine Lohnausgleichsleistung dar und ist Bestandteil des Arbeitsentgelts i.S.v. § 23a SGB IV. Es besteht sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht. Da der Nachteilsausgleichsanspruch einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis i.S.v. § 850 ZPO darstellt, ist er somit pfändbar8. Die Pfändungsgrenzen von § 850c ZPO
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BAG v. 28. 8. 1996 – 7 ABR 42/95, NZA 1997, 222 (223). LAG Hamm v. 20. 1. 2006 – 10 TaBV 131/05, NZA – RR 2006, 323 (324). BAG v. 14. 2. 1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225. A.A . LAG Hamm v. 20. 1. 2006 – 10 TaBV 131/05, NZA 2006, 323. BAG v. 3. 4. 1990 – 1 AZR 150/89, NZA 1990, 619. BAG v. 22. 7. 2003 – 1 AZR 541/02, BAGE 107, 91 = ZIP 2003, 2216 (2219). BAG v. 22. 2. 1983 – 1 AZR 260/81, BAGE 42, 1 = NJW 1984, 323. BAG v. 13. 11. 1991 – 4 AZR 20/91, BAGE 69, 29 (32) = NZA 1992, 384 = ZIP 1992, 494.
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Das vorläufige Insolvenzverfahren
Rz. 23 § 12
gelten jedoch nicht1. Bei dem Nachteilsausgleichsanspruch handelt es sich um eine „nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung“ i.S.v. § 850i ZPO2, so dass der Nachteilsausgleichsanspruch nur beschränkt pfändbar ist. bb) Sozialplan Liegen die Voraussetzungen für einen erzwingbaren Sozialplan (§ 112a BetrVG) vor und kommt es zu keiner Einigung zwischen dem Betriebsrat und vorläufigem Insolvenzverwalter, so kann sowohl der Betriebsrat als auch der vorläufige Insolvenzverwalter die Einigungsstelle anrufen. In dem Einigungsstellenverfahren sind zwingend die Insolvenzgläubiger oder deren Vertreter als Beisitzer (§ 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) zu beteiligen3. Die Einigungsstelle ist zuständig, wenn der Sozialplan erzwingbar ist. Erzwingbar ist der Sozialplan, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 111 BetrVG gegeben sind oder bei reinen Personalanpassungsmaßnahmen die Grenzen von §§ 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG überschritten werden. Die Einigungsstelle stellt, sofern der Sozialplan nach §§ 111, 112a BetrVG erzwingbar ist, den Sozialplan (§ 112 Abs. 4 und 5 BetrVG) durch Spruch nach billigem Ermessen auf. Im Rahmen des billigen Ermessens sind auch die Förderungsmöglichkeiten nach dem SGB III zu berücksichtigen (§ 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2a BetrVG). Ein Beschluss der Einigungsstelle ohne Beteiligung der Insolvenzgläubiger beruht auf einem Rechtsfehler, der auch nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG in jedem arbeitsgerichtlichen Verfahren zu beachten ist4.
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Die relativen und absoluten Grenzen des § 123 Abs. 1 InsO gelten für einen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen oder durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellten Sozialplan nicht.
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Im eröffneten Insolvenzverfahren resultieren aus dem Sozialplan Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO), so dass der Insolvenzverwalter von der Widerrufsmöglichkeit (§ 124 Abs. 1 InsO) jedenfalls dann Gebrauch machen muss, wenn der Sozialplan die absoluten Grenzen nach § 123 Abs. 1 InsO überschreitet. Unterlässt er den Widerruf, haftet er den Insolvenzgläubigern auf Schadensersatz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO.
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Schließt der vorläufige Insolvenzverwalter einen nicht erzwingbaren Sozialplan ab, hat er diesen zwingend nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 124 Abs. 1 InsO zu widerrufen, da er sonst mit der Haftungsfolge nach § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet.
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1 BAG v. 13. 11. 1991 – 4 AZR 20/91, BAGE 69, 29 (32) = NZA 1992, 384 = ZIP 1992, 494. 2 BAG v. 12. 9. 1979 – 4 AZR 420/77, BAGE 32, 96 (101) = MDR 1980, 346; LAG Schleswig-Holstein v. 13. 12. 2005 – 2 Sa 384/05, NZA – RR 2006, 371. 3 BAG v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (191) = ZIP 1980, 83 = MDR 1979, 345. 4 BAG v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (191, 192) = ZIP 1980, 83 = MDR 1979, 305.
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§ 12
Rz. 24
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Die Sozialplanabfindungen nach § 112 BetrVG gehört ebenso wie die Kündigungsabfindung nach §§ 9,10 KSchG zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis iSv § 850 ZPO1. cc) Sozialauswahl 24
Arbeitsrechtliche Erleichterungen im Insolvenzantragsverfahren sind nicht gegeben. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann lediglich von der Möglichkeit eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG Gebrauch machen. Die Sozialauswahl ist nach den von der Rechtsprechung zu § 1 KSchG entwickelten sozialen Grundkriterien vorzunehmen, und zwar –
Dauer der Betriebszugehörigkeit,
–
Lebensalter,
–
Unterhaltspflichten,
–
Schwerbehinderung.
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Die sozialen Grunddaten weisen ein unterschiedliches abstraktes Gewicht auf. Sie stehen in keiner Rangfolge. Der Betriebszugehörigkeit2 kommt ebenso wenig wie dem Lebensalter eine Priorität zu. Die Fassung von § 1 Abs. 5 KSchG gibt den Betriebspartnern einen weiten Beurteilungsspielraum, so dass die frühere Rechtsprechung3, die aus § 10 KSchG eine Priortät der Betriebszugehörigkeit ableitete, überholt ist. Abstrakte Vorgaben der Gewichtung der sozialen Grundkriterien macht die Rechtsprechung nicht4. Der Insolvenzverwalter kann auf die Anzahl der unterhaltsberechtigten Personen oder die tatsächliche Unterhaltspflicht abstellen, ohne dass dieses zu einer groben Fewhlerhaftigkeit der Sozialauswahl führt5. Ein Doppelverdienst des Ehegatten ist nicht zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen6.
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Zum Zwecke der Vorauswahl können für die Gewichtung der sozialen Grunddaten Punktetabellen aufgestellt werden7. Die getroffene Vorauswahl ist dann einer individuellen, abschließenden Überprüfung zu unterziehen, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles für jeden Arbeitnehmer, welcher von der geplanten Entlassungsmaßnahme betroffen ist, zu berücksichtigen sind.
27
Der Betriebsrat und der vorläufige Insolvenzverwalter können auch Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG aufstellen, wobei auch hier eine individuelle Ab-
1 BAG v. 13. 11. 1991 – 4 AZR 20/91, ZIP 1992, 494 (495); LAG Niedersachsen v. 14. 11. 2003 – 16 Sa 1213/03, NZA – RR 2004, 490. 2 BAG v. 2. 12. 1999 – 2 AZR 757/98, NZA 2000, 531 = ZIP 2000, 676. 3 BAG v. 18. 10. 1984 – 2 AZR 543/83, BAGE 47, 80 = NZA 1985, 423 = ZIP 1985, 953. 4 BAG v. 5. 12. 2002 – 2 AZR 549/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 791 (794) = ZIP 2003, 1169. 5 BAG v. 21. 1. 1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866 = ZIP 1999, 2111. 6 BAG v. 5. 12. 2002 – 2 AZR 549/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 791 (794) = ZIP 2003, 1169. 7 BAG v. 18. 1. 1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 (46) = NZA 1990, 520.
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Irschlinger
Das vorläufige Insolvenzverfahren
Rz. 30 § 12
schlussprüfung der Auswahl stattzufinden hat1. Es handelt sich auch dann um eine Auswahlrichtlinie, wenn das Punkteschema einmalig angewandt werden soll2. Wird bei der Sozialauswahl ein Punkteschema ohne Zustimmung des Betriebsrats angewandt, besitzt der Betriebsrat einen auf die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch. Die Sozialauswahl ist trotz des mitbestimmungswidrigen Verhaltens nicht allein deshalb grob fehlerhaft. c) Kündigungsfristen § 113 InsO ist im Antragsverfahren nicht anwendbar3. Dieses ergibt sich bereits aus der Stellung im 3. Teil „Wirkungen der Insolvenzeröffnung“ im Gesetz. Deshalb hat der vorläufige Insolvenzverwalter die gesetzlichen Kündigungsfristen nach §§ 621, 622 Abs. 2 BGB ebenso zu wahren wie einzelvertragliche und tarifliche Fristen.
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Ist die ordentliche Kündigung einzelvertraglich oder tariflich (vgl. z.B. § 55 BAT, jetzt § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD – AT) ausgeschlossen, so bindet dieses auch den vorläufigen Insolvenzverwalter. Nur bei der Kündigung aller Arbeitsverhältnisse kann das unkündbare Arbeitsverhältnis außerordentlich mit der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist (Auslauffrist) gekündigt werden4. Es handelt sich um eine ordentliche Kündigung, so dass ein im schuldnerischen Unternehmen bestehender Betriebs – oder Personalrat gemäß § 102 BetrVG bzw. § 79 BPersVG zu beteiligen ist. Für einen Widerspruch des Betriebsrats gilt die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG5. Die Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB ist unanwendbar, da es sich bei dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit um einen Dauertatbestand handelt6.
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Die zeit- oder zweckbefristeten Dienstverhältnisse sind vor dem Fristablauf nicht kündbar. d) Beteiligungsrechte des Betriebsrats Ein im schuldnerischen Unternehmen bestehender Betriebsrat hat die normalen gesetzlichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte. Der Betriebsrat ist bei allen personellen Maßnahmen zu beteiligen. Es ist also bei Versetzungen (§§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG) dessen Zustimmung einzuholen. Vor beabsichtigten Kündigungen (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) ist er zu hören. Bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern und ähnlich unkündbaren Betriebsverfassungsorganen ist die Zustimmung des Betriebsrats
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BAG v. 10. 12. 2002 – 1 ABR 27/01, BAGE 104, 187 (198). BAG v. 26. 7. 2005 – 1 ABR 29/04, NZA 2005, 1372 (1373) = ZIP 2005, 2080. BAG v. 20. 1. 2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 199 = ZIP 2005, 1289 (1292). BAG v. 28. 3. 1985 – 2 AZR 113/84, BAGE 48, 220 = NZA 1985, 559 = ZIP 1985, 1351. BAG v. 5. 2. 1998 – 2 AZR 227/97, BAGE 80, 10 (22) = NZA 1998, 771 = ZIP 1998, 1119. 6 BAG v. 5. 2. 1998 – 2 AZR 227/97, BAGE 88, 10 (21) = NZA 1998, 771 = ZIP 1998, 1119.
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§ 12
Rz. 31
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
einzuholen und im Falle der Verweigerung das arbeitsgerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren zu betreiben (§ 103 BetrVG). 31
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat auch die Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG zu wahren, weshalb er z.B. gehalten ist, bei der Gewährung von Anwesenheitsprämien eine Einigung mit dem Betriebsrat in Form einer Betriebsvereinbarung herbeizuführen (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG)1. e) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer
32
Nimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer in Anspruch, so stellen die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten dar (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO).
33
Bei einer Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter besitzt der Arbeitnehmer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO2. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann wie jeder Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht von der Arbeitsleistung freistellen3. Eine Suspendierung im bestehenden Arbeitsverhältnis ist nur bei besonders schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers zulässig4.
34
Dem vorläufigen Insolvenzverwalter steht ebenso wenig wie dem Insolvenzverwalter ein insolvenzspezifisches Sonderrecht auf Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung vor Abgabe einer Kündigungserklärung zu. Ein solches Freistellungsrecht kann auch nicht aus § 209 Abs. 1 InsO und dem Gesichtspunkt der Schonung der künftigen Insolvenzmasse hergeleitet werden5.
35
Bei einer arbeitsrechtlich zulässigen Freistellung von der Arbeitsleistung, also im Zusammenhang mit der Abgabe der Kündigungserklärung oder bei einer späteren Freistellung nach der Kündigungserklärung, besteht kein Mitbestimmungsrecht eines im Betrieb bestehenden Betriebsrats, da es sich um keine Versetzung nach § 99 Abs. 3 BetrVG handelt6. Besteht keine Regelung im Anstellungsvertrag, hat der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einen Beschäftigungsanspruch7, es sei denn, dass über das Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinausgehende Gründe die Nichtbeschäftigung legitimieren. Ein solches Interesse liegt im Falle einer betriebsbedingten Kündigung bei einer fehlenden Einsatzmöglichkeit vor. Im Rahmen der Freistellung ist bei der Auswahl der Arbeitnehmer billiges Ermessen zu beachten8. 1 Richardi, BetrVG, § 87 Rz. 821. 2 Zweifelnd: BAG v. 20. 1. 2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 1999 = ZIP 2005, 1289 (1292). 3 BAG v. 21. 9. 1993 – 9 AZR 429/91, BAGE 74, 204 = NZA 1994, 454. 4 BAG v. 4. 6. 1964 – 2 AZR 310/63, BAGE 16, 72 = NJW 1964, 1918. 5 A.A. LAG Hamm v. 27. 9. 2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435. 6 BAG v. 28. 3. 2000 – 1 ABR 17/99, BAGE 94, 163 = NZA 2000, 1355. 7 BAG v. 26. 5. 1997 – 2 AZR 632/76, BAGE 29, 195 = NJW 1978, 239. 8 LAG Nürnberg v. 20. 8. 2005 – 6 Sa 273/05, NZA – RR 2006, 151 = ZIP 2006, 256.
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Das vorläufige Insolvenzverfahren
Rz. 36a § 12
Eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag, wonach der Arbeigeber nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Freistellung ohne ein berechtigtes Arbeitgeberinteresse berechtigt sein soll, hält der allgemeinen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht stand. Auch bei vorformulierten Klauseln ist Wirksamkeitsvoraussetzung für eine einseitige Freistellungsbefugnis ein sachlicher Grund1. Auch wenn, wie dieses regelmäßig der Fall ist, mit der Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitsleistung die Gewährung bestehender und noch bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses entstehender Urlaubsansprüche sowie die Abgeltung eventueller Überzeit erfolgt ist, ist die Freistellung als solche nicht mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG2. Akzeptiert der Arbeitnehmer die Urlaubsgewährung und damit den von dem vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmten Urlaubszeitraum, ist für die Anwendung von § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG kein Raum. Besteht zwischen dem vorläufigen Insolvenzverwalter und dem Arbeitnehmer über die Gewährung des Urlaubs kein Einverständnis, so besteht in diesem Einzelfall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG hinsichtlich der Festlegung des Urlaubs, jedoch kein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Freistellung von der Arbeitsleistung3.
36
Wird der Arbeitnehmer von der Arbeit freigestellt, muss ein eventueller Widerruf der Freistellung vorbehalten werden. Sonst wirkt die Freistellung unwiderruflich. Bestimmt der Arbeitgeber im Rahmen der Freistellung keinen Urlaubszeitraum, wird dem Arbeitnehmer die Festlegung des zeitlichen Rahmens des Urlaubs überlassen4. Im Falle der Masseunzulänglichkeit liegt bezüglich der Urlaubsvergütung keine Neumasseverbindlicheit i.S.v. § 209 Abs. 2 InsO vor5. Da durch die Freistellung die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers entfällt, gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, so dass ein anderweitiger Verdienst nicht anzurechnen ist6. Dieses Ergebnis lässt sich nur dadurch vermeiden, dass dem Arbeitnehmer der Urlaub kalendermäßig bestimmt gewährt wird7 und die Freistellung im Übrigen ausdrücklich unter Anrechnung anderweitigen Verdienstes erfolgt.
36a
Wird der Arbeitnehmer widerruflich von der Arbeitsleistung freigestellt, muss der Urlaub kalendermäßig festgelegt werden, da sonst die Urlaubserteilung nicht wirksam ist8. Die Berechnung des Annahmeverzugsanspruchs erfolgt dergestalt, dass der gesammte bezogene anderweitige Verdienst dem ausgefallenen Entgelt gegengerechnet wird9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Preis/Peters-Lange, Der Arbeitsvertrag, II F 10, Rz. 7 ff. BAG v. 11. 12. 2001 – 9 AZR 80/01, NZA 2002, 902 (905). Oberhofer, ZInsO 2002, 21 (23). BAG v. 9. 11. 1999 – 9 AZR 922/98 n.v. BAG v. 15. 6. 2004 – 9 AZR 431/03, BAGE 111, 81 = NZA 2005, 304 = ZIP 2004, 1660. BAG v. 19. 3. 2002 – 9 AZR 16/01, NZA 2002, 1055 = ZIP 2002, 2186. BAG v. 23.1. 2001 – 9 AZR 26/00, BAGE 97, 18 = NZA 2001, 597 = ZIP 2001, 897. BAG v. 20. 6. 2000 – 9 AZR 405/99, BAGE 95, 104 = NZA 2001, 100 = ZIP 2000, 2036. BAG v. 22. 11. 2005 – 1 AZR 407/04, NZA 2006, 736 = ZIP 2006, 1312 (1314).
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§ 12
Rz. 37
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
37
Mit der Freistellung von der Arbeitsleistung erwirbt der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Arbeitslosengeldzahlung aufgrund Gleichwohlgewährung (§ 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Für den Anspruch auf Arbeitslosengeld auf Grund der Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 SGB III ist Voraussetzung, dass ein Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Urlaubsabgeltung besteht und der Arbeitnehmer diese Leistung tatsächlich nicht erhält. Es genügt schon, dass Ansprüche möglicherweise gegen den insolventen Schuldner bestehen1.
38
Der Anspruch auf Arbeitsentgelt geht kraft Gesetzes (§ 115 SGB X) auf die Bundesagentur für Arbeit über. Dieser Anspruch hat Gleichrang mit den restlichen Arbeitsentgeltansprüchen des Arbeitnehmers2.
39
Der Bezug von Arbeitslosengeld aufgrund der Gleichwohlgewährung mindert zunächst die Anspruchsdauer für den Bezug von Arbeitslosengeld nach § 128 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Eine spätere Erstattung des Arbeitslosengeldes durch den Insolvenzverwalter oder infolge von Konfusion3 bei der Gewährung von Insolvenzgeld, führt dazu, dass aus Billigkeitsgründen das gewährte Arbeitslosengeld nicht auf die Anspruchsdauer nach § 127 SGB III angerechnet wird4. Die Konfusion tritt ein, obgleich das Arbeitslosengeld und Insolvenzgeld aus verschiedenen Vermögensmassen entrichtet werden5.
40
Die Bundesagentur für Arbeit entrichtet auch im Falle der Gleichwohlgewährung die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung. Diese sind ebenso wie das Arbeitslosengeld als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten (§ 335 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Die Erstattungspflicht bezüglich der Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung ist der Höhe nach auf den normalen Beitragssatz der Krankenkasse und das Einkommen des Arbeitnehmers als Berechnungsgrundlage beschränkt (§ 252 SGB V).
41
Die auf die Bundesagentur für Arbeit übergangenen Ansprüche können wegen tariflicher Ausschluss- und Verfallfristen erlöschen oder verjähren6. Die Versäumung der Ausschlussfrist kann auch der Bundesagentur für Arbeit als Rechtsnachfolgerin des Arbeitnehmers entgegengehalten werden7.
42
Gehen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer nach der Stellung des Antrages auf Insolvenzgeld (§ 187 SGB III) auf die Bundesagentur für Arbeit über, begründen diese Entgeltansprüche, gleichgültig ob der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer in Anspruch genommen hat oder nicht, in der Hand der Bundesagentur für Arbeit aufgrund gesetzlicher Neuregelung seit dem 1. 1. 2002 (§ 55 Abs. 3 InsO) nur noch Insolvenzforderungen nach § 38 InsO.
1 2 3 4 5 6 7
Düe in Niesel, SGB III, § 143 Rz. 33. BAG v. 16. 10. 1985 – 5 AZR 203/84, BAGE 50, 22 = NZA 1986, 361 = ZIP 1986, 242. BSG v. 22. 4. 1986 – 10 RAr 12/85, ZIP 1986, 852. Düe in Niesel, SGB III, § 143 Rz. 49. BSG v. 22. 4. 1986 – 10 RAr 12/85, ZIP 1986, 852. BAG v. 7. 12. 1983 – 5 AZR 425/80, BAGE 44, 337 (340) = BB 1984, 784. BAG v. 15. 11. 1973 – 5 AZR 226/73, BB 1974, 229.
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Das vorläufige Insolvenzverfahren
Rz. 47 § 12
Die gleiche Rechtslage besteht auch für die Zeit bis zum 31. 12. 2001. § 55 Abs. 3 InsO stellt, da die insolvenzrechtliche Rückstufung der Arbeitsentgeltansprüche in der Hand der Bundesagentur für Arbeit entsprechend § 59 Abs. 2 Satz 1 KO nicht vorgesehen war, eine planwidrige Regelungslücke dar1. Ein Übergang des Vorzugsrechtes (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO) auf die Bundesagentur für Arbeit scheidet aus, so dass die Bundesagentur für Arbeit nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO erwirbt. Gleiches gilt für die Ansprüche der Sozialversicherungsträger (§ 55 Abs. 3 Satz 2 InsO i.V.m. § 208 Abs. 1 SGB III). Auch hier ist für die Ansprüche aus der Zeit bis 31. 12. 2001 die vom BAG vorgenommene Rückstufung zu Insolvenzforderungen nach § 38 InsO vorzunehmen. Zur Abgrenzung dieser Insolvenzforderungen von Masseforderungen vgl. § 6 Rz. 263 ff.
43
Urlaubsabgeltungsansprüche sind nicht insolvenzgeldfähig (§ 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III)2.
44
Nimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in Anspruch und wird das Arbeitsverhältnis vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst, so erwirbt der Arbeitnehmer in Bezug auf die Urlaubsabgeltungsansprüche im eröffneten Insolvenzverfahren eine Masseforderung nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO, und zwar unabhängig davon, ob für seine sonstigen Vergütungsansprüche durch die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld bezahlt wird. Zur Besonderheit des § 55 Abs. 2 InsO siehe oben § 6 Rz. 270 ff.
45
Nimmt umgekehrt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht in Anspruch und entstehen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Urlaubsabgeltungsansprüche, so besitzt der Arbeitnehmer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO.
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2. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO) a) Arbeitgeberstellung Das Insolvenzgericht muss in jedem Einzelfall die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters festlegen3. Eine allgemeine Ermächtigung für den Schuldner zu handeln ist unwirksam. Dementsprechend kann durch das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter entweder die Arbeitgeberstellung übertragen oder Handlungen des Schuldners im arbeitsrechtlichen Bereich von der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig gemacht werden. Im letztgenannten Fall muss der Schuldner die schriftliche Einwilligungserklärung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem Kündigungsschreiben vor-
1 BAG v. 3. 4. 2001 – 9 AZR 301/00, BAGE 97, 241 = NZA 2002, 90 = ZIP 2001, 1965. 2 BSG v. 20. 2. 2002 – B 11 AL 71/01 R (Essen), NZA 2002, 786 = NZI 2002, 506 = DZWIR 2002, 381. 3 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 (367) = ZIP 2002, 1625 (1630).
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§ 12
Rz. 48
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
legen1 oder der vorläufige Insolvenzverwalter erklärt die Einwilligung auf dem Kündigungsschreiben. Die Einwilligungserklärung muss das Schriftformerfordernis nach § 126 BGB erfüllen. Fehlt die schriftliche Einwilligungserklärung des vorläufigen Insolvenzverwalters, kann der Arbeitnehmer oder sein Bevollmächtigter die Kündigung „wegen der fehlenden Vorlage der Einwilligung in schriftlicher Form“ zurückweisen2. Eine Vorlage der schriftlichen Einwilligungserklärung nach der Zurückweisung beseitigt die Unwirksamkeit der Erklärung nicht3. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter kann durch das Insolvenzgericht auch als Einzelmaßnahme die Kündigungsbefugnis übertragen werden4. 48
Das Insolvenzgericht kann bereits im Beschluss über die vorläufige Insolvenzverwaltung den vorläufigen Insolvenzverwalter generell zur Betriebsstilllegung des schuldnerischen Betriebs ermächtigen5. Ist diese generelle Ermächtigung des Insolvenzgerichts zur Betriebsstilllegung nicht erteilt, ist der vorläufige Insolvenzverwalter dennoch im Falle der Übertragung der Arbeitgeberstellung oder der Befugnis zur Kündigung der Arbeitsverhältnisse berechtigt.
49
Auch der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, der so genannte „schwache“ Insolvenzverwalter, benötigt zur Betriebsstilllegung die Zustimmungsentscheidung des Insolvenzgerichts. Erst nach Vorliegen dieser Zustimmungsentscheidung kann entweder der vorläufige Insolvenzverwalter, wenn ihm hierzu durch das Insolvenzgericht die Rechtsmacht verliehen ist, den Betrieb stilllegen oder der Stilllegung durch den Schuldner zustimmen. Unabhängig von der Zustimmungsentscheidung kann die Kündigungserklärung vorgenommen werden, da die gerichtliche Zustimmungsentscheidung zur Betriebsstilllegung für die Kündigungserklärung kein Wirksamkeitserfordernis ist6. Wegen der rechtlichen Konsequenzen der Stilllegungsentscheidung und des Nachweises, dass die Stilllegungsentscheidung vor der Kündigungserklärung erfolgte, ist durch den Kündigungsbefugten der Beschluss zur Stilllegung schriftlich zu dokumentieren7 (zur Person des vorläufigen Insolvenzverwalters vgl. § 14 Rz. 11 ff., 36 ff., 76 ff.).
50
Im Bestandsstreit ist somit durch den Arbeitnehmer zu bestreiten: –
die Stilllegungsentscheidung vor Zugang der Kündigungserklärung;
–
die materielle Berechtigung zur Stilllegungsentscheidung.
Ein Bestreiten der einzelnen Tatsachen mit Nichtwissen gemäß § 138 ZPO ist zulässig8. 1 BAG v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 532/01, BAGE 103, 123 = NZA 2003, 909 = ZIP 2003, 1161. 2 BAG v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 532/01, BAGE 103, 123 = NZA 2003, 909 = ZIP 2003, 1161 (1163). 3 Erman/Palm, BGB, § 111 Rz. 4. 4 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 (367) = ZIP 2002, 1625 (1630). 5 BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 (1592) = NZA 2000, 1180. 6 BAG v. 27. 10. 2005 – 6 AZR 5/05, NZA 2006, 727 = ZIP 2006, 585. 7 BAG v. 21. 6. 2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212 (214). 8 BGH v. 7. 10. 1998 – VIII ZR 100/97, ZIP 1998, 1965 = NJW 1999, 53; BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 (1590) = NZA 2000, 1180.
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Das vorläufige Insolvenzverfahren
Rz. 54 § 12
Legt das Gericht nach einem zulässigem Insolvenzantrag dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auf, so sind die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Gericht zu bestimmen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 InsO). Im Rahmen dieser Pflichtenregelung übertragen einige Insolvenzgerichte dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Arbeitgeberfunktion. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist hierdurch anstelle des Schuldners zur Kündigung einzelner Arbeitsverhältnisse befugt. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat, da sich hieraus seine Kündigungsbefugnis ergibt, mit der Kündigungserklärung den entsprechenden Gerichtsbeschluss in Fotokopie beizufügen, um das Risiko der Zurückweisung der Kündigungserklärung „mangels Vorlage der Vollmachtsurkunde“ (§ 174 Satz 1 BGB) zu vermeiden.
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Kündigt der vorläufige Insolvenzverwalter alle Arbeitsverhältnisse, so verstößt er gegen das Betriebsfortführungsgebot nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO, sofern ihm nicht durch das Gericht generell oder im Einzelfall die Zustimmung zur Betriebsstilllegung erteilt wurde1. Gleiches gilt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter nicht sämtliche Arbeitsverhältnisse, sondern die überwiegende Anzahl oder die für eine Betriebsfortführung zwingend erforderlichen Arbeitnehmer kündigt. Die Kündigungen sind trotz der fehlenden materiellen Kündigungsbefugnis wirksam2.
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Die Kündigungserleichterungen nach §§ 113, 120–122, 125–128 InsO kommen dem vorläufigen Insolvenzverwalter auch dann nicht zugute, wenn ihm durch das Insolvenzgericht die Arbeitgeberfunktion übertragen wurde. Er hat ohne jegliche Einschränkung die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, insbesondere auch in personellen Angelegenheiten (§§ 95 Abs. 3, 99, 102, 103 BetrVG), zu wahren. Sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG vorliegen, hat er den Versuch eines Interessenausgleichs zu unternehmen und, sofern ein Sozialplan erzwingbar ist (§§ 111,112a BetrVG), Verhandlungen über einen Sozialplan aufzunehmen und diesen auch abzuschließen. Der Anspruch des Betriebsrats auf Abschluss eines Sozialplanes besteht unabhängig von einer Widerrufsmöglichkeit nach der Verfahrenseröffnung gemäß § 124 Abs. 1 InsO. Es empfiehlt sich für den vorläufigen Insolvenzverwalter trotz einer Übertragung der Arbeitgeberfunktion seitens des Insolvenzgerichts, wenn der Schuldner oder der gesetzliche Vertreter des Schuldners erreichbar sind, diese in die Entscheidungen und Verhandlungen einzubeziehen.
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Kündigt der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ohne den Versuch eines Interessenausgleichs bestehende Arbeitsverhältnisse, obgleich die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG vorliegen, resultieren hieraus Nachteilsausgleichsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer nach § 113 BetrVG. Auch dann, wenn im Rahmen von § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO durch das Gericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Befugnis zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen übertragen wurde3, besitzen die Arbeitnehmer nach der
54
1 BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1592). 2 BAG v. 27. 10. 2005 – 6 AZR 5/05, NZA 2006, 727 = ZIP 2006, 585. 3 BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 157, 353 = ZIP 2002, 1625, 1630.
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§ 12
Rz. 55
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Verfahrenseröffnung bezüglich ihrer Nachteilsausgleichsansprüche nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO1. Wird mit der Betriebsstilllegung vor der Insolvenzeröffnung begonnen, stellt der Nachteilsausgleichsanspruch des Arbeitnehmers nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar2. Der Individualanspruch des Arbeitnehmers auf Nachteilsausgleich ist als Insolvenzforderung nach § 38 InsO in der Regel wertlos oder zumindest so gut wie wertlos (zur Geltendmachung einer Insolvenzforderung vgl. § 6 Rz. 278 ff.). 55
Dem Betriebsrat wird durch die Rechtsprechung teilweise ein Unterlassungsanspruch mit dem Ziel zuerkannt, dass ohne Abschluss eines Interessenausgleichs der Ausspruch von Kündigungen sowie die Demontage und der Abtransport von Betriebsanlagen untersagt wird3. Die Instanzgerichte beurteilen diese Frage unterschiedlich. Teilweise wird der Unterlassungsanspruch bejaht4, teilweise verneint5. Nach richtiger Ansicht ist dem Betriebsrat zur Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats ein Unterlassungsanspruch zuzubilligen6, da der Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in die Zukunft gerichtet ist. Auch die Bußgeldvorschrift des § 121 Abs. 1 BetrVG ist nicht geeignet, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nachhaltig zu schützen. Der Betriebsrat kann im Verfahren der einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO den Unterlassungsanspruch durchsetzen7. Der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zeitlich nicht befristet8. Der Betriebsrat ist in dieser Situation zum schnellen Handeln aufgerufen. b) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer
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Die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer stellen im eröffneten Verfahren Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar, soweit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld (§§ 183, 185 SGB III) gegeben sind.
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Im Gegensatz zu den Fällen, in denen dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wurde, ist es für die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer bedeutungslos, ob durch den vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter und/oder Schuldner die Arbeitsleistung in Anspruch genommen wurde. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ist nicht analog anwendbar. Auch wenn dem vorläufigen Insolvenzverwalter durch das Gericht die Arbeitgeberfunktion im Rahmen von der Pflichtenbestimmung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO übertragen wurde, führt 1 2 3 4 5 6 7 8
BAG v. 3. 4. 1990 – 1 AZR 150/89, NZA 1990, 619 = ZIP 1990, 873. BAG v. 4. 12. 2002 – 10 AZR 16/02, BAGE 104, 94 = NZA 2003, 665 = ZIP 2003, 311. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 130, 131. LAG Hamburg v. 26. 6. 1997 – 6 Ta BV 5/97, NZA-RR 1997, 296; LAG Berlin v. 7. 9. 1995 – 10 Ta BV 5/95, AP Nr. 36 zu § 111 BetrVG 1992. LAG Rheinland-Pfalz v. 28. 3. 1989 – 3 Ta BV 6/89, NZA 1989, 283 (LS); LAG Köln v. 1. 9. 1995 – 13 Ta 223/95, BB 1995, 2115 (LS); LAG Düsseldorf v. 19. 11. 1996 – 8 Ta BV 80/96, NZA-RR 1997, 297. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 132. LAG Hamm v. 28. 8. 2003 – 13 Ta BV 127/03, NZA – RR 2004, 80 = ArbRB 2004, 14. LAG Hamburg v. 26. 6. 1997 – 6 Ta BV 5/97, NZA-RR 1997, 296; LAG Köln v. 13. 1. 1998 – 13 Ta BV 60/97, NZA 1998, 1018 (1020).
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 62 § 12
diese Befugnis nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im eröffneten Insolvenzverfahren1.
III. Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren – Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse 1. Kündigungsbefugnis a) Allgemeines Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist allein der Insolvenzverwalter zur Kündigung befugt. Auf ihn gehen kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 InsO) das Verwaltungs- und Verfügungsrecht sowie die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen des Schuldners über. Bei der Kapitalgesellschaft endet auch bei fortbestehendem Dienstvertrag die rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers, so dass auch seine Kündigungsbefugnis entfällt. Erteilte Vollmachten erlöschen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 117 InsO). Zu § 117 InsO vgl. § 8 Rz. 292 ff., und zu den Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vgl. § 6 Rz. 142 ff.).
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b) Kündigungsvollmacht Der Insolvenzverwalter kann mit der Abgabe der Kündigungserklärung generell oder im Einzelfall einen Dritten bevollmächtigen2. Beschäftigt der Insolvenzverwalter den bisherigen Personalleiter weiter und teilt er den Arbeitnehmern mit, dass der Personalleiter seine bisherigen Befugnisse hat, so ist durch diesen keine Kündigungsvollmacht vorzulegen3.
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! Hinweis: Ist der Insolvenzverwalter Mitglied einer Sozietät, so sind seine Sozien keinesfalls offensichtlich bevollmächtigt, Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern des schuldnerischen Betriebs auszusprechen4.
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Der Insolvenzverwalter kann mit seiner arbeitsrechtlichen Vertretung unter Einschluss der Kündigungsbefugnis einzelne oder mehrere Personen betrauen und diese Bevollmächtigung in betriebsüblicher Form bekannt geben5. Diese Mitteilung kann über einen Anschlag am schwarzen Brett nicht wirksam erfolgen6, jedoch durch Rundschreiben an die Mitarbeiter oder ein betriebsinternes, für alle Arbeitnehmer zugängliches Informationssystem.
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Der Arbeitnehmer kann eine ohne oder mit unzureichender Vollmacht erklärte Kündigung „wegen Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde“ unverzüglich zu-
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BGH v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625. BAG v. 21. 7. 1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. BAG v. 22. 1. 1998 – 2 AZR 267/97, NZA 1998, 699 = ZIP 1998, 748. BAG v. 18. 4. 2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207 (1210) = ZIP 2002, 2003 (2007). BAG v. 20. 8. 1997 – 2 AZR 518/96, NZA 1997, 1343. BAG v. 3. 7. 2003 – 2 AZR 235/02, BAGE 107, 36 (49) = NZA 2004, 427 (431); LAG Berlin v. 28. 6. 2006 – 15 Sa 632/06, NZA – RR 2007, 15; LAG Köln v. 3. 5. 2002 – 4 Sa 1285/01, NZA – RR 2003, 194.
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§ 12
Rz. 63
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
rückweisen (§ 174 Satz 1 BGB)1. Die fehlende Vollmachtsvorlage muss nicht ausdrücklich beanstandet werden; es genügt, wenn sich der Grund der Beanstandung aus den Umständen eindeutig ergibt2. Die Vollmacht muss im Original vorgelegt werden. Die Vorlage einer beglaubigten Abschrift3, Fotokopie einer Telefaxkopie oder einer E-Mail genügen nicht. Der Arbeitnehmer kann Rechtsrat zur Frage, ob die Vorlage einer Vollmachtsurkunde erforderlich ist und wie reagiert werden soll, einholen4. Auch bei der Einholung von Rechtsrat ist die Zurückweisung nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht mehr unverzüglich i.S.v. § 121 BGB5. Die Zurückweisung kann bereits neun Tage nach Zugang der Kündigungserklärung nicht mehr unverzüglich sein6. Die Zurückweisung hat zur Folge, dass die Kündigungserklärung ex tunc unwirksam wird. Lässt der Arbeitnehmer die Kündigungserklärung mangels Vorlage der Vollmachtsurkunde durch einen Bevollmächtigten zurückweisen, so hat der Bevollmächtigte seinerseits eine entsprechende Vollmachtsurkunde im Original mit der Abgabe der Zurückweisungserklärung vorzulegen7, um zu vermeiden, dass nun seine Erklärung gemäß § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen wird. Beruht die Vertretungsmacht nicht auf einer erteilten Vollmacht, sondern auf einer gesetzlichen Grundlage, kann die Vertretungsmacht nicht durch eine Vollmachtsurkunde nachgewiesen werden, so dass eine Zurückweisung ausscheidet8. Gleiches gilt für Bestallungsurkunden von Vormündern, Pflegern oder gerichtliche bestellten Verwaltern wie z.B. Insolvenzverwaltern. Auch bei organschaftlichen Vertretern scheidet eine Zurückweisung nach § 174 Satz 1 BGB aus, es sei denn, dass zwei Geschäftsführer gemeinsam zur Vertretung berechtigt sind und einer mit der Ermächtigung des anderen die Kündigungserklärung abgibt9. 63
Wird nach der Zurückweisung die Vollmachtsurkunde vorgelegt, heilt dieses die unwirksame Kündigungserklärung nicht. Eine Genehmigung durch den Vertretenen ist gemäß § 177 BGB nicht möglich, so dass die Kündigungserklärung neuerlich vorgenommen werden muss10. Ist ein Betriebsrat vorhanden, ist dieser erneut nach § 102 BetrVG anzuhören, da mit der ersten Kündigung die Anhörung des Betriebsrats verbraucht ist11.
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Die erteilte Prozessvollmacht deckt die in einem Kündigungsrechtsstreit vorgenommene Kündigung durch den Prozessbevollmächtigten nicht, da die er1 BAG v. 11. 7. 1991 – 2 AZR 107/91, NZA 1992, 449 = ZIP 1992, 497. 2 BAG v. 18. 12. 1980 – 2 AZR 980/78, NJW 1981, 2374 (2375). 3 BGH v. 10. 2. 1994 – IX ZR 109/93, NJW 1994, 147; BGH v. 4. 2. 1998 – VIII ZR 313/79, NJW 1981, 1210. 4 BAG v. 5. 4. 2001 – 2 AZR 159/00, NZA 2001, 954. 5 BAG v. 11. 3. 1999 – 2 AZR 427/98, NZA 1999, 818. 6 BAG v. 5. 4. 2001 – 2 AZR 159/00, NZA 2001, 954. 7 Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 620 BGB Rz. 23. 8 BGH v. 9. 11. 2001 – LwZR 4/01, ZIP 2002, 174 (175). 9 BAG v. 18. 12. 1980 – 2 AZR 980/78, NJW 1981, 2374. 10 Schramm in Münchener Kommentar zum BGB, § 174 Rz. 11. 11 BAG v. 16. 9. 1993 – 2 AZR 267/93, BAGE 74, 185 = NZA 1994, 311; BAG v. 31. 1. 1996 – 2 AZR 273/05, NZA 1996, 649.
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Rz. 66 § 12
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
neute Kündigung nicht Gegenstand des Kündigungsrechtsstreites ist1. Auch in diesem Falle ist die Prozesskündigungserklärung unverzüglich zurückzuweisen (§§ 174 Satz 1 i.V.m. 121 Abs. 1 BGB). Wird durch den Kläger mit der Klage nach § 4 KSchG eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO verbunden, ist der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zur Abgabe und Entgegennahme aller Kündigungserklärungen bevollmächtigt2.
2. Beteiligungsrechte des Betriebsrats Die erstmalige Wahl eines Betriebsrats führt nicht automatisch zu Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten eines Betriebsrats. Diese Rechte entstehen erst dann, wenn sich ein erstmalig gewählter Betriebsrat konstituiert hat (§ 29 Abs. 1 BetrVG). Gibt der Insolvenzverwalter vor der Konstituierung des Betriebsrats die Kündigungserklärung ab, besteht kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG3. Gleiches gilt, wenn der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung vornimmt. Auch hier sind vor Konstituierung des Betriebsrats die Mitbestimmungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG nicht zu wahren4. Ist dem Insolvenzverwalter bekannt, dass im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden soll, muss er mit der Betriebsschließung nicht zuwarten5. Gleiches gilt, wenn sich der Betriebsrat noch nicht konstituiert hat. Generell ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, den Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung zu unterrichten und den Versuch eines Interessenausgleichs zu unternehmen, wenn nach der Insolvenzeröffnung erstmalig ein Betriebsrat gewählt wurde und dieser sich konstituiert hat6.
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Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden die Rechte eines im schuldnerischen Unternehmens bestehenden und konstituierten Betriebsrats nicht eingeschränkt. Der Insolvenzverwalter hat die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats vollumfänglich zu wahren, also z.B. die
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–
Zustimmung bei Versetzungen einzuholen (§§ 95 Abs. 3 i.V.m. 99 BetrVG);
–
Anhörung vor jeder Kündigung (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG);
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Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von Mandatsträgern (§ 103 Abs. 1 BetrVG);
–
Unterrichtung bei geplanten Massenentlassungen (§ 17 Abs. 2 KSchG)7;
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Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG;
–
Beratung und Unterrichtung bei Betriebsänderungen (§ 111 BetrVG);
1 2 3 4 5 6 7
Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 620 BGB Rz. 27. BAG v. 21. 1. 1988 – 2 AZR 581/86, BAGE 57, 231 (241) = NJW 1984, 2691. BAG v. 25. 10. 1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 = ZIP 1985, 302. Annuß in Richardi, § 111 Rz. 27. BAG v. 28. 10. 1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420 = ZIP 1993, 289. BAG v. 18. 11. 2003 – 1 AZR 30/03, BAGE 108, 294 = NZA 2004, 220 = ZIP 2004, 235. BAG v. 16. 9. 1993 – 2 AZR 267/93, BAGE 74, 185 = NZA 1994, 311.
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§ 12
Rz. 67
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
–
Verhandlungen über einen Interessenausgleich (§ 112 Abs. 2 und 3 BetrVG);
–
Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplanes (§§ 112, 112a BetrVG).
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Ist im schuldnerischen Unternehmen ein Wirtschaftsausschuss gebildet, so hat der Insolvenzverwalter diesen über die wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten (§ 106 Abs. 2 BetrVG) und selbst an den Sitzungen teilzunehmen oder einen sachkundigen Vertreter zu entsenden (§ 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
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Dem Betriebsrat ist durch den Insolvenzverwalter die Kündigungsabsicht auch dann mitzuteilen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis noch nicht angetreten hat1 oder wenn das KSchG auf das Arbeitsverhältnis noch keine Anwendung findet2. Der Betriebsrat ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unabhängig davon zu beteiligen, welche Kündigungsfrist zur Anwendung gelangt, also auch bei tariflich zulässigen kurzen, sogar eintägigen Kündigungsfristen3. Bei der beabsichtigten Kündigung von Aushilfsarbeitsverhältnissen und Ausbildungsverhältnissen gelten keine Besonderheiten. Lediglich bei zeitbefristeten Arbeitsverhältnissen4 oder beim Abschluss von Aufhebungsverträgen5 scheidet eine Beteiligung des Betriebsrats aus. Durch den Abschluss eines Interessenausgleichs nach § 1 Abs. 5 KSchG oder § 125 InsO wird die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG nicht entbehrlich6. Der Interessenausgleich kann jedoch mit der Anhörung nach § 102 BetrVG verbunden werden7. Im Interessenausgleich könnte die Anhörung wie folgt formuliert werden8: Bei der Verhandlung über den Interessenausgleich und der Erstellung der Namensliste lagen dem Betriebsrat die Sozialdaten sämtlicher Arbeitnehmer des Betriebs vor. Mit der Erstellung der Namensliste ist gleichzeitig das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zur Kündigung der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer eingeleitet worden. Die Erörterungen, die zur Erstellung der Namensliste geführt haben, sind gleichzeitig die förmliche Information des Betriebsrats über die Kündigungsgründe gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der Betriebsrat hatte in seiner Sitzung vom … Gelegenheit, über die beabsichtigten Kündigungen zu beraten. Er gibt dazu folgende, abschließende Erklärung ab: Die Kündigungen werden zur Kenntnis genommen. Der Betriebsrat betrachtet das Anhörungsverfahren damit als abgeschlossen. 1 2 3 4 5 6 7 8
Etzel in KR, § 102 BetrVG Rz. 28. BAG v. 18. 5. 1994 – 2 AZR 920/93, BAGE 77, 13 = NZA 1995, 24. LAG Hamm v. 5. 7. 1995 – 3 Sa 2003/94, BB 1996, 959 (LS). Etzel in KR, § 102 BetrVG Rz. 39. Etzel in KR, § 102 BetrVG Rz. 42. BAG v. 28. 8. 2003 – 2 AZR 377/02, BAGE 107, 221 = ZIP 2004, 525. BAG v. 20. 5. 1999 – 2 AZR 532/98, BAGE 91, 341 = NZA 1999, 1101 = ZIP 1999, 1610. Bertram, Die Kündigung durch den Insolvenzverwalter, NZI 2001, 625 (629).
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 71 § 12
3. Interessenausgleich a) Interessenausgleich nach § 125 InsO aa) Allgemeines Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 125 InsO ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) und das Vorhandensein eines Betriebsrats sowie dessen Konstitution. Der vorläufige Insolvenzverwalter, auch wenn auf ihn gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist, kann das Interessenausgleichsverfahren nur nach §§ 111, 112 BetrVG oder § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG durchführen.
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§ 125 InsO ist lex specialis zu § 1 KSchG, beseitigt jedoch nicht den besonderen Kündigungsgrund1. bb) Betriebsänderung Ebenso wie bei § 111 BetrVG muss bei § 125 InsO eine Betriebsänderung durch den Insolvenzverwalter geplant sein2. Eine Betriebsänderung stellt auch eine Verringerung der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer dar. Im Falle eines Personalabbaus ist dann ein Interessenausgleich herbeizuführen, wenn durch die geplante Personalmaßnahme die Zahlenangaben von § 17 Abs. 1 KSchG überschritten werden oder wenn bei Großbetrieben von dem geplanten Personalabbau 5% der regelmäßig Beschäftigten betroffen sind3. Maßgeblich ist die Zahl der im Unternehmen in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Entlassung, also Zugang der Kündigungserklärung. Schwankungen aufgrund von außergewöhnlichem Geschäftsanfall oder eine kurzfristige Drosselung bleiben unberücksichtigt4. Im Falle der Insolvenz ist rückblickend auf die bisherige, normale Belegschaftsstärke abzustellen5.
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Erfolgt der Personalabbau durch den Insolvenzverwalter in Etappen, ist maßgeblich, ob die einzelnen Betriebsänderungen unabhängig voneinander geplant sind oder ob es sich um eine einheitliche Maßnahme handelt6. Handelt es sich um eine einheitliche Maßnahme des Insolvenzverwalters, so ist maßgeblich für die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und damit die Zahlenangaben von § 17 Abs. 1 KSchG die bei der ersten Maßnahme vorhandene Arbeitnehmerzahl. Generell spricht ein zeitlicher Zusammenhang der einzelnen Entlassungen dafür, dass eine einheitliche Maßnahme geplant war7. Mitzuzählen sind auch diejenigen Arbeitnehmer, welche dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Teilbetriebsübernehmer widersprochen haben und deren Arbeitsverhältnis deshalb mangels Beschäftigungsmöglichkeit durch den Insolvenz-
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1 BAG v. 17. 11. 2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370 = ZIP 2006, 918. 2 BAG v. 16. 5. 2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93. 3 BAG v. 6. 12. 1988 – 1 ABR 47/87, BAGE 60, 237 = NZA 1989, 399 (400) = ZIP 1989, 389. 4 v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 17 Rz. 19. 5 BAG v. 9. 5. 1995 – 1 ABR 51/94, NZA 1996, 166. 6 BAG v. 8. 6. 1989 – 2 AZR 624/88, NZA 1990, 224 = ZIP 1990, 323. 7 BAG v. 9. 5. 1995 – 1 ABR 51/94, NZA 1996, 166.
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§ 12
Rz. 72
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
verwalter gekündigt werden muss1, sowie Eigenkündigungen soweit diese durch die geplante Betriebsänderung veranlasst sind. 72
Durch die Verweisung in § 125 Abs. 1 InsO auf § 111 BetrVG steht fest, dass der im insolventen Unternehmen bestehende Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung durch den Insolvenzverwalter2 zu unterrichten ist. Die Unterrichtung des Betriebsrats muss vor der Entscheidung des Insolvenzverwalters über das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung erfolgen3, damit der Betriebsrat auf die Planung noch Einfluss nehmen kann. Eine Betriebsänderung ist i.S.v. § 111 Satz 1 BetrVG auch dann geplant, wenn die Betriebsänderung durch äußere Umstände erzwungen wird, weshalb folgerichtig eine geplante Betriebsänderung auch dann angenommen wird, wenn sie durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder äußere wirtschaftliche Umstände erzwungen wird4, da dem Insolvenzverwalter die Möglichkeiten nach §§ 122,126 InsO zur Verfügung stehen. Der Insolvenzverwalter beginnt mit einer Betriebsänderung erst mit der Auflösung der Betriebsorganisation, nicht jedoch bereits mit der Produktionseinstellung und/oder der Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung5, da die Produktion jederzeit wieder aufgenommen werden könnte.
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Der Insolvenzverwalter hat spätestens bei der Einholung der Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Betriebsstilllegung (§ 158 Abs. 1 InsO) oder bei der Unterrichtung des Schuldners von der Schließungsabsicht (§ 158 Abs. 1 Satz 1 InsO) den Betriebsrat zu unterrichten. Die Unterrichtung des Betriebsrats und die Beratung mit dem Betriebsrat stehen dann unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Betriebsstilllegung. Fasst die Gläubigerversammlung einen Stilllegungsbeschluss (§§ 156, 159 InsO), so hat der Insolvenzverwalter den Betriebsrat hiervon unverzüglich zu unterrichten und Verhandlungen über einen Interessenausgleich aufzunehmen6. Solange der Interessenausgleich nicht abgeschlossen ist oder der Vorsitzende der Einigungsstelle das Scheitern eines Interessenausgleichversuchs nicht festgestellt hat, kann der Insolvenzverwalter den Beschluss der Gläubigerversammlung zur Betriebsschließung nicht durch Kündigung der Arbeitsverhältnisse umsetzen, da er sonst Nachteilsausgleichsansprüche, welche Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO darstellen, nach § 113 BetrVG auslöst.
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Die Unterrichtung des Betriebsrats hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass vor der Durchführung der Betriebsänderung der Interessenausgleich und Sozialplan noch verhandelt werden können7.
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Der Betriebsrat muss über die Gründe für die geplante Betriebsänderung, den Inhalt geplanter Maßnahmen und die Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse 1 2 3 4
BAG v. 10. 12. 1996 – 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787 = ZIP 1997, 1471. BAG v. 22. 7. 2003 – 1 AZR 541/02, BAGE 107, 91 = NZA 2004, 93 = ZIP 2003, 2216. BAG v. 20. 11. 1970 – 1 AZR 409/69, BAGE 23, 62 (73) = NJW 1971, 774. BAG v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (187) = MDR 1979, 345; BAG v. 22. 7. 2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216. 5 BAG v. 22. 11. 2005 – 1 AZR 407/05, NZA 2006, 736 = ZIP 2006, 1312. 6 Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 109. 7 BAG v. 14. 9. 1976 – 1 AZR 784/75, NJW 1977, 727 (LS).
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 77 § 12
unterrichtet werden. Auf Verlangen hat der Insolvenzverwalter dem Betriebsrat die – auf die geplante Betriebsänderung bezogen – erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG)1. Der Umfang der Unterrichtungspflicht des Insolvenzverwalters wird auch nicht durch die Notwendigkeit der Geheimhaltung eingeschränkt2. cc) Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung Der gemäß § 125 Abs. 1 InsO zustande gekommene Interessenausgleich stellt eine freiwillige Betriebsvereinbarung dar. Diese Betriebsvereinbarung ist gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG schriftlich (§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) niederzulegen und zu unterzeichnen (§ 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung muss durch den Insolvenzverwalter und den Betriebsrat bzw. dessen bevollmächtigten Vertretern auf der gleichen Urkunde erfolgen3. Der Austausch von einseitig unterzeichneten Exemplaren der Betriebsvereinbarung genügt dem Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG nicht, da § 126 Abs. 2 BGB auf Betriebsvereinbarungen nicht anwendbar ist. Ein Verstoß gegen das zwingende Schriftformerfordernis führt gemäß § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung4 . Besteht der Interessenausgleich aus mehreren Blättern, so muss nicht jedes einzelne Blatt gesondert unterschrieben werden, sofern die Blätter inhaltlich aufeinander Bezug nehmen und miteinander fest verbunden sind5. Die Einheitlichkeit der Urkunde wird dadurch hergestellt, dass ihre Bestandteile dauerhaft zusammengeheftet sind und einen Sinnzusammenhang erkennen lassen6. Auf die körperliche Verbindung der Bestandteile der Urkunde kann dann verzichtet werden, wenn die Einheit der Urkunde sich aus einer fortlaufenden Paginierung, Nummerierung der einzelnen Bestimmungen, einer einheitlichen farblichen Gestaltung, dem inhaltlichen Zusammenhang des Textes oder vergleichbarer Merkmale zweifelsfrei ergibt7. Wird die vorhandene Verbindung, z.B. die Heftklammer zum Zweck des Fotokopierens gelöst und später die Urkunde wieder zusammengeheftet, ist das Schriftformerfordernis nicht gewahrt.
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Die Übermittlung durch Telefax und eine Gegenzeichnung hierauf genügt dem Schriftformerfordernis nicht8. § 125 InsO findet nur auf Vorgänge Anwendung, welche sich als Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG darstellen9, da die Reduzierung des Kündigungsschutzes einzelner Arbeitnehmer auf die Fälle der Betriebsänderung beschränkt bleiben muss. 1 2 3 4 5 6
Annuß in Richardi, BetrVG, § 111 Rz. 150. BAG v. 20. 11. 1970 – 1 AZR 409/69, BAGE 23, 62 (73) = NJW 1971, 774. BAG v. 21. 8. 1990 – 3 AZR 422/89, NZA 1991, 507 = ZIP 1991, 675. BAG v. 26. 10. 2004 – 1 AZR 493/03, BAGE 112, 260 = NZA 2005, 237 = ZIP 2005, 272. BAG v. 11. 11. 1986 – 3 ABR 74/85, BAGE 53, 309 (312) = NZA 1987, 449. BAG v. 30. 10. 1984 – 3 AZR 213/82, BAGE 47, 125 (127) = NZA 1985, 426; BAG v. 7.5. 1998 – 2 AZR 55/98, NZA 1998, 1110 = ZIP 1998, 1885 (1887). 7 BGH v. 24.9. 1997 – XII ZR 234/95, BGHZ 136, 357 = NJW 1998, 731. 8 BGH v. 28.1. 1993 – IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224 (229) = ZIP 1993, 424. 9 BAG v. 16. 5. 2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93 = ZInsO 2003, 43.
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§ 12
Rz. 78
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Der Interessenausgleich kann mit einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung versehen sein1. dd) Namensliste 78
Der Interessenausgleich nach § 125 InsO beinhaltet neben dem eigentlichen Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG eine Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer. Die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer sind entweder in den Interessenausgleich (Betriebsvereinbarung) aufzunehmen oder in einer gesonderten Liste aufzuführen. Auch für die Namensliste, wenn diese gesondert erstellt wird, gilt das Schriftformerfordernis nach §§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Dem Schriftformerfordernis ist nur dann Genüge getan, wenn entweder zusätzlich zum Interessenausgleich die Namensliste gesondert durch den Betriebsrat und den Insolvenzverwalter in der gleichen Urkunde unterzeichnet wird oder der Interessenausgleich auf die nicht unterschriebene Namensliste Bezug nimmt und beide Urkunden fest miteinander verbunden sind2. Nur bei fester Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste wird eine einheitliche Urkunde gebildet und das Schriftformerfordernis erfüllt3. Ist die Namensliste nicht unterschrieben, jedoch mittels Heftmaschine fest und dauerhaft mit dem Interessenausgleich verbunden, so sind die Arbeitnehmer in dem Interessenausgleich namentlich bezeichnet4. Dieses gilt jedoch nicht, wenn die ununterschriebene Namensliste erst nach der Unterzeichnung des Interessenausgleichs an diesen geheftet wird5. Die ursprüngliche Gesamturkunde wird jedoch dann zerstört, wenn zum Zwecke des Kopierens die Heftklammern gelöst und später die losen Blätter wieder zusammengeheftet werden6. Die Vermutungswirkungen und damit auch das Zustandekommen eines wirksamen Interessenausgleichs hat der Insolvenzverwalter zu beweisen. Weitere Tatsachen zur Rechtfertigung der Kündigung hat der Insolvenzverwalter in diesem Fall nicht vorzutragen7. Die gesonderte Namensliste muss nicht ausdrücklich in der Überschrift als Anlage zum Interessenausgleich bezeichnet werden. Gleichfalls ist die Angabe von Ort und Datum kein Wirksamkeitserfordernis für die Namensliste zum Interessenausgleich8.
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Durch das strenge Schriftformerfordernis sollen in Bezug auf die Namensliste Manipulationen ausgeschlossen werden, insbesondere nach Abschluss des Interessenausgleichs zu Lasten der Arbeitnehmer ein Austausch der Namens liste unmöglich werden. Hieraus folgt jedoch zugleich, dass auch nach dem Abschluss des Interessenausgleichs noch eine Namensliste durch den Insolvenz1 Offen: BAG v. 21. 7. 2005 – 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162 = ZIP 2006, 199. 2 BAG v. 6. 12. 2001 – 2 AZR 422/00, ZInsO 2002, 1104 (LS) = NZA 2002, 999 (O). 3 BAG v. 7. 5. 1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 = NZA 1998, 1110 = ZIP 1998, 1885; BAG v. 20. 5. 1999 – 2 AZR 278/98, ZInsO 2000, 351 (LS) = NZI 2001, 87. 4 BAG v. 7. 5. 1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 = NZA 1998, 1110 = ZIP 1998, 1885. 5 BAG v. 6. 7. 2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329. 6 LAG Hamm v. 6. 7. 2000 – 4 Sa 233/00, EWiR 2001, 125 (Anm. von Grimm) = ZInsO 2001, 336 (LS). 7 BAG v. 28. 8. 2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 = ZIP 2004, 1271. 8 BAG v. 7. 5. 1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 (383) = NZA 1998, 1110 (1112) = ZIP 1998, 1885 (1887).
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Rz. 82 § 12
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
verwalter und Betriebsrat schriftlich vereinbart werden kann, solange die Kündigungserklärungen den in der Namensliste bezeichneten Arbeitnehmern noch nicht zugegangen sind1. Nach den gleichen Grundsätzen kann auch eine bereits vereinbarte Namensliste durch eine neue Namensliste ersetzt werden, solange die Kündigungserklärungen den Arbeitnehmern noch nicht zugegangen sind. Von § 125 InsO werden nicht nur die Beendigungskündigungen, sondern auch Änderungskündigungen erfasst (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Aus diesem Grund ist entweder im Interessenausgleich oder in der Namensliste klarzustellen, von welcher Kündigungsart die genannten Arbeitnehmer betroffen werden sollen2. Im Falle der Änderungskündigung ist das Änderungsangebot in den Interessenausgleich aufzunehmen. Sind die Änderungsangebote für einzelne Arbeitnehmer unterschiedlich, so sind die jeweiligen Angebote aufzunehmen. Der Vorbehalt nach § 2 KSchG muss dem Insolvenzverwalter innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung, zugegangen sein (§ 2 Satz 2 KSchG). Die Frist kann nicht abgekürzt werden; sie ist zwingend3. Eine zu kurz bemessene Frist setzt die Frist von § 2 Satz 2 KSchG in Gang.
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In der Namensliste sind die Kriterien nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO detailliert darzustellen, also Alter, Unterhaltspflichten und Dauer der Betriebszugehörigkeit anzugeben. Die Namensliste ist so konkret zu erstellen, dass die Arbeitnehmer zu identifizieren sind, z.B. bei Namensgleichheit durch Angabe des Geburtsdatums4. ee) Gesetzliche Vermutung Ein wirksam zustande gekommener Interessenausgleich mit Namensliste führt zu folgenden gesetzlichen Vermutungen: –
Betriebsbedingtheit der Kündigungen (§ 125 Abs. 2 Nr. 2 InsO);
–
Fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb;
–
Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen.
Durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wird zugunsten des Insolvenzverwalters eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 Satz 1 ZPO aufgestellt. Der Arbeitnehmer hat deshalb im Kündigungsschutzprozess durch substantiierten Tatsachenvortrag die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung zu entkräften sowie zu beweisen5, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung vorliegen6. Aus der Umkehr der Beweislast folgt zwingend auch 1 BAG v. 7. 5. 1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 (382) = NZA 1998, 1110 (1112) = ZIP 1998, 1885 (1887). 2 Ascheid in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 125 InsO Rz. 6. 3 BAG v. 18. 5. 2006 – 2 AZR 230/05, NZA 2006, 1092. 4 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 19. 5 BAG v. 11. 8. 1976 – 5 AZR 422/75, BAGE 28, 144 = NJW 1977, 350. 6 BAG v. 7. 5. 1998 – 2 AZR 536/97, BAGE 88, 363 = NZA 1998, 933 (934) = ZIP 1998, 1809 (1811).
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§ 12
Rz. 83
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
die Umkehr der Darlegungslast zu Lasten des Arbeitnehmers. Da die gesetzliche Vermutung der Betriebsbedingtheit sich auch auf eine fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb erstreckt, ist es Sache des Arbeitnehmers, sofern er die fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb bestreitet, konkret darzulegen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt und welcher freie Arbeitsplatz zu gleichwertigen oder zu geänderten schlechteren Arbeitsbedingungen vorhanden ist1. Bei der Altersteilzeit stellt die Betriebsstilllegung kein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter dar, sofern sich der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase befindet. Die Betriebsstilllegung steht der Weiterbeschäftigung nicht entgegen, sondern die nach dem Altersteilzeitvertrag vereinbarte Freistellung. Auch die Aufnahme in eine Namensliste nach § 125 Abs.1 InsO führt nicht zu der gesetzlichen Vermutung nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO2. Bei der Altersteilzeit ist jedoch in der Arbeitsphase eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses möglich, da hier dringende betriebliche Gründe einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen können3. Es ist im Kündigungsschutzprozess ausreichend, wenn der Insolvenzverwalter den Interessenausgleich mit Namensliste vorlegt, um die gesetzliche Vermutung darzulegen. Erst wenn der Arbeitnehmer die gesetzliche Vermutung widerlegt hat, ist der Insolvenzverwalter gezwungen, zur Betriebsbedingtheit der Kündigung und der fehlenden anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit vorzutragen4. ff) Kontrolle der Sozialauswahl 83
Der Interessenausgleich mit Namensliste führt in zweifacher Hinsicht zu einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle der Sozialauswahl (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO). Während § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG eine Kündigung dann für sozial ungerechtfertigt erklärt, wenn bei der Auswahl der Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden, engt § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO die gerichtliche Kontrolle allein auf die drei Auswahlkriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtung ein. Die sonst im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorzunehmende Einzelfallbetrachtung scheidet aus5. Der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat können sich im Rahmen der Sozialauswahl nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO auf eine Bewertung der drei Auswahlkriterien in Form einer Auswahlrichtlinie (Betriebsvereinbarung) nach § 95 BetrVG auf
1 BAG v. 20. 1. 1994 – 2 AZR 489/93, BAGE 94, 250 = ZIP 1994, 966. 2 BAG v. 5. 12. 2002 – 2 AZR 571/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 789 = ZIP 2003, 1169 (1171). 3 BAG v. 16. 6. 2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 270 = ZIP 2006, 1842. 4 A.A. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 34. 5 BAG v. 18. 1. 1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 726.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 85 § 12
eine Bewertung der drei Auswahlkriterien in Form eines Punkteschemas verständigen1. Ohne dass die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, kann der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat im Rahmen der Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG eine Punktetabelle zur Gewichtung der drei Auswahlkriterien vereinbaren. Eine Rechts- und Billigkeitskontrolle mit einer Beurteilung von Besonderheiten des Einzelfalls entfällt2. Diese Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG stellt eine Betriebsvereinbarung dar, so dass diese schriftlich niederzulegen und von beiden Seiten auf der gleichen Urkunde zu unterschreiben ist. Es ist nicht möglich, eine mangels Schriftform unwirksame Auswahlrichtlinie in eine Regelungsabrede zwischen dem Insolvenzverwalter und Betriebsrat umzudeuten3.
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Die vorgenommene soziale Auswahl kann im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden4. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl, wenn die Gewichtung der drei Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten jegliche Ausgewogenheit vermissen lässt5. Diese Voraussetzungen liegen z.B. vor, wenn der gekündigte Arbeitnehmer ein 30 Jahre höheres Lebensalter, eine 20 Jahre längere Betriebszugehörigkeit als der vergleichbare Arbeitnehmer aufweist6. Die grobe Fehlerhaftigkeit wird nicht von Amts wegen geprüft, sondern es ist durch den klagenden Arbeitnehmer ein konkreter Vortrag zur groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl erforderlich7. Kann der klagende Arbeitnehmer die ihm nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegende Darlegungs- und Beweislast – wie üblich – bezüglich der Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, nicht erfüllen, kann er den Insolvenzverwalter im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses zur Mitteilung der Gründe auffordern, die diesen zur vorgenommenen Auswahl veranlasst haben8. Ein pauschaler Verweis des Insolvenzverwalters auf den Interessenausgleich und die Namensliste nach § 125 Abs. 1 InsO genügt nicht. Kommt der Insolvenzverwalter dieser Aufforderung nicht nach, so ist die streitige Kündigung als sozialwidrig anzusehen, ohne dass die Frage der groben Fehlerhaftigkeit zu prüfen ist9. Der Insolvenzverwalter kann sich im Rahmen seiner Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG darauf beschränken, seine subjektiven Überlegungen mitzuteilen. Der klagende Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf eine vollständige Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer10. Erteilt der Insolvenzver-
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1 BAG v. 24. 3. 1983 – 2 AZR 21/82, BAGE 42, 151 = ZIP 1983, 1105 = NJW 1984, 78. 2 BAG v. 18. 1. 1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 726 = ZIP 1990, 1363; offen: BAG v. 16. 6. 2006 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 720 = ZIP 2005, 1842. 3 BAG v. 16. 6. 2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 270 = ZIP 2005, 1842. 4 BAG v. 28. 8. 2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 = ZIP 2004, 1271. 5 BAG v. 21. 1. 1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866 = ZIP 1999, 2111. 6 BAG v. 21. 7. 2005 – 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162 = ZIP 2006, 1990. 7 BAG v. 15. 6. 1989 – 2 AZR 580/88, BAGE 62, 116 (125) = NZA 1990, 380 = ZIP 1990, 1223. 8 BAG v. 24. 3. 1983 – 2 AZR 21/82, BAGE 42, 151 (161) = ZIP 1983, 1105 = NJW 1984, 78. 9 BAG v. 10. 2. 1999 – 2 AZR 716/98, NZA 1999, 702 = NJW 1999, 3796. 10 BAG v. 21. 12. 1983 – 7 AZR 421/82, NZA 1985, 158 = ZIP 1984, 1394.
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§ 12
Rz. 86
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
walter trotz Aufforderung keine oder keine vollständige Auskunft, ist der Vortrag des Arbeitnehmers, es seien sozial stärkere Arbeitnehmer als er vorhanden, schlüssig und ausreichend1. Da die abgestufte Darlegungs- und Beweislast auch im Rahmen von § 125 InsO gilt2, ist die Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen. 86
Bei dem sozialen Auswahlkriterium der Unterhaltspflichten ist auf die gesetzlichen Unterhaltspflichten und die konkrete Belastung des Arbeitnehmers durch diese gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen abzustellen3. Ob die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung erfüllt wird, ist unerheblich. Im Rahmen der sozialen Auswahl sind die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte zur Feststellung des Umfangs der Unterhaltsverpflichtungen unerheblich, d.h. der Insolvenzverwalter kann sich hierauf nicht verlassen4. Anderes gilt bei der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Hier kann der Insolvenzverwalter klarstellen, dass er sich nur nach den Angaben auf der Lohnsteuerkarte richtet5. Werden Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht in vollem Umfange berücksichtigt, so ist die getroffene Sozialauswahl solange nicht absolut unwirksam und damit grob fehlerhaft, wie diese nach einem Punktschema der drei Sozialauswahlkriterien vorgenommen wurde. Die nicht vergebenen Punkte sind nachzutragen und anschließend zu prüfen, ob eine Rangverschiebung erfolgt6.
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Es ist ausschließlich auf die Unterhaltspflicht des von der Kündigung bedrohten Arbeitnehmers abzustellen, so dass Arbeitseinkommen eines Ehepartners im Rahmen der sozialen Auswahl unberücksichtigt bleibt. Es besteht keine Verpflichtung, einen Doppelverdienst im Rahmen der sozialen Auswahl zum Nachteil des zu kündigenden Arbeitnehmers zu berücksichtigen7. Wegen des Arbeitsplatzrisikos des Zweitverdieners könnte, wenn diesem überraschend gekündigt würde, sonst die Auswahlentscheidung im Nachhinein unrichtig werden8.
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Der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat können über die drei Auswahlkriterien hinaus weitere Gesichtspunkte, wie z.B. die Schwerbehinderteneigenschaft oder erlittene Arbeitsunfälle zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigen. In diesem Falle tritt eine Selbstbindung des Insolvenzverwalters mit der Folge ein, dass solche zusätzlichen Gesichtspunkte zwingend zu berücksichtigen sind9. Durch die Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte seitens des In-
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BAG v. 21. 7. 1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. BAG v. 21. 2. 2002 – 2 AZR 581/00, NZA 2002, 1360 = ZInsO 2002, 1103. BAG v. 8. 8. 1985 – 2 AZR 464/84, NZA 1986, 679 = NJW 1986, 3105. Griebeling in KR, § 1 KSchG Rz. 678; a.A. LAG Schleswig-Holstein v. 18. 8. 2004 – 5 Sa 93/04, NZA – RR 2004, 582 = MDR 2005, 40. BAG v. 24. 11. 2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665. LAG Hamm v. 6. 7. 2000 – 4 Sa 799/00, DZWIR 2001, 107. BAG v. 5. 12. 2002 – 2 AZR 549/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 791 (794) = ZIP 2003, 1169. v. Hoyningen-Huene, NZA 1986, 449. Dorndorf in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 1 Rz. 1092.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 91 § 12
solvenzverwalters wird jedoch der gesetzgeberische Zweck, die Sozialauswahl für den Insolvenzverwalter besonders überschaubar zu machen, vereitelt1. Grob fehlerhaft ist die soziale Auswahl, wenn eines der drei Auswahlkriterien überhaupt nicht berücksichtigt wird, also z.B. die Auswahl allein nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit vorgenommen wird2. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl auch dann, wenn die Gewichtung der drei Auswahlkriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt3 und der Fehler evident ist. Allein eine starke, unangemessene Gewichtung eines der drei Auswahlkriterien führt jedoch nicht zur groben Fehlerhaftigkeit. Das Schwergewicht kann auf jedes der drei Auswahlkrite rien, auch die Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers4, gelegt werden. Der Dauer der Betriebszugehörigkeit ist entgegen der Wertung des § 1 KSchG5 keinerlei Priorität einzuräumen. Ein Rückgriff auf § 10 KSchG scheidet aus, da § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO eine in sich abgeschlossene Regelung zur sozialen Auswahl enthält6. Eine feststehende Reihenfolge der Kriterien gibt es nicht7.
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Wird die soziale Auswahl bezüglich der zu kündigenden Arbeitnehmer nach einer Punktetabelle8 vorgenommen, so führen Punktunterschiede von 5 Sozialpunkten oder weniger nicht zur groben Fehlerhaftigkeit9; andererseits führen Unterschiede von 10 Sozialpunkten und mehr zur groben Fehlerhaftigkeit10.
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Die Festlegung des auswahlrelevanten Personenkreises durch den Insolvenzverwalter ist ebenfalls nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen11. In die soziale Auswahl einzubeziehen sind die vergleichbaren Arbeitnehmer, also Arbeitnehmer, welche ohne Änderung des Arbeitsvertrages aufgrund des Direktionsrechts des Insolvenzverwalters auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb weiterbeschäftigt werden können12. Die Vergleichbarkeit hängt von der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer ab13 und ist tätigkeitsbezogen. Bei einem betriebsübergreifenden Versetzungsrecht ist jedoch die Sozialauswahl auf den einzelnen Betrieb begrenzt und hat nicht betriebsübergreifend zu erfolgen14. Der Insolvenzverwalter hat auch einen weiten Beurteilungsspielraum dahingehend, ob und welche Einarbeitungszeit er auf einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb den zu kündigenden Arbeitnehmern einräumt15. In die soziale Auswahl einzubeziehen sind auch diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 47. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 85. BAG v. 21. 1. 1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866 (868) = ZIP 1999, 2111. BAG v. 2. 12. 1999 – 2 AZR 757/98, NZA 2000, 531 = ZIP 2000, 676. BAG v. 18. 1. 1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 729 = MDR 1990, 953. BAG v. 2. 12. 1999 – 2 AZR 757/98, NZA 2000, 531 = ZIP 2000, 676. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 48. BAG v. 18. 1. 1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 729 = MDR 1990, 953. LAG Hamm v. 16. 3. 2000 – 4 Sa 747/99, ZInsO 2000, 571 (LS). LAG Hamm v. 16. 2. 2000 – 4 Sa 905/99, ZInsO 2000, 572 (LS). BAG v. 7. 5. 1998 – 2 ARZ 536/97, BAGE 88, 363 (374) = NZA 1998, 933 (936). Griebeling in KR, § 1 KSchG Rz. 220. BAG v. 29. 3. 1990 – 2 AZR 369/89, BAGE 65, 61 = NZA 1991, 181 = NJW 1991, 587. BAG v. 2. 6. 2005 – 2 AZR 158/04, NZA 2005, 1175 = ZIP 2005, 2077. BAG v. 15. 6. 1989 – 2 AZR 580/98, BAGE 62, 116 (125) = NZA 1990, 226 = ZIP 1990, 1223.
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§ 12
Rz. 92
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
aufgrund einzelvertraglich oder tariflich vereinbarten Ausschlusses der ordentlichen Kündigung unkündbar sind, da diese Arbeitsverhältnisse durch den Insolvenzverwalter ordentlich kündbar sind (§ 113 Satz 1 InsO). Kann ein ein Betriebsratsmitglied wegen des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 KSchG nicht ordentlich gekündigt werden, ist das Betriebsratsmitglied ebenso wie andere Sonderkündigungschutz genießende Personen in die Sozialauswahl nicht einzubeziehen1. Werden vergleichbare Arbeitnehmer bei der Bildung des auswahlrelevanten Kreises übersehen oder zu Unrecht eine Unkündbarkeit des Arbeitsverhältnisses angenommen, so führt dieses nicht zwingend zur groben Fehlerhaftigkeit2, sondern nur dann, wenn die Sozialauswahl objektiv grob fehlerhaft ist. Es gilt Gleiches, wie wenn bei der Vergabe von Sozialpunkten die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter oder die Anzahl der Unterhaltsberechtigten falsch bewertet werden. Auch in diesem Falle sind die fälschlicherweise nicht vergebenen Sozialpunkte nachzutragen und sodann durch das Arbeitsgericht zu prüfen, ob die Sozialauswahl grob fehlerhaft ist. Nach den gleichen Grundsätzen ist ein in den auswahlrelevanten Kreis nicht aufgenommener Arbeitnehmer nachträglich aufzunehmen und die bei ihm gegebenen drei Auswahlkriterien zu bewerten. Nach dieser Bewertung ist festzustellen, ob die soziale Auswahl objektiv grob fehlerhaft ist. gg) Personalstruktur 92
Durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Hs. InsO ist dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit anhand gegeben, eine ausgewogene Personalstruktur erstmals zu schaffen und nicht nur zu erhalten. Der Insolvenzverwalter ist dadurch in die Lage versetzt, Fehler der Personalplanung des insolventen Unternehmens aus der Vergangenheit ebenso zu beseitigen wie Fehlentwicklungen aus der Unkündbarkeit von Arbeitsverhältnissen3. Es ist jedoch nicht möglich, im Rahmen der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur ausschließlich oder überwiegend die Beschäftigungsverhältnisse älterer Arbeitnehmer zu kündigen, da der Begriff der Personalstruktur mit dem Begriff der Altersstruktur nicht gleichzusetzen ist4. Eine solche Vorgehensweise ist grob fehlerhaft. Ausgewogen ist die Personalstruktur, wenn konkrete, inhaltlich berechtigte betriebliche Interessen ein Abweichen von der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG rechtfertigen5. Die Ausgewogenheit ist nicht betriebsbezogen, sondern innerhalb des auswahlrelevanten Kreises der Arbeitnehmer zu beurteilen6. Werden „Leistungsträger“ nicht in die Sozialauswahl einbezogen, hat der Insolvenzverwalter die Interessen der sozial schwächeren Arbeitnehmer gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abzuwä-
1 BAG v. 17. 11. 2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 661 = ZIP 2006, 918. 2 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 50; a.A. Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 125 Rz. 16; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 194, 195. 3 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 125 Rz. 18. 4 BAG v. 28. 8. 2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 (435) = ZIP 2004, 1271. 5 BAG v. 20. 4. 2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = ZIP 2005, 1803. 6 BAG v. 28. 8. 2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 = ZIP 2004, 1271.
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Rz. 94 § 12
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
gen1. Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Insolvenzverwalter2. Er hat auf Verlangen des Arbeitnehmers im Prozess auch die Gründe für die Ausklammerung einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl anzugeben3. Andererseits kann eine altersgerechte Belegschaft geschaffen werden, indem Altersgruppen für die einzelnen Betriebshierarchien gebildet werden. So können z.B. für die Führungsebene, für Arbeitnehmer in der Verwaltung und der Produktion einzelne Gruppen gebildet werden. In diesen Gruppen wird sodann nach den drei Auswahlkriterien die Punktebewertung bei den Arbeitnehmern vorgenommen. Es ist dann möglich, die Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer prozentual und schematisch auf die einzelnen Personal- und Altersgruppen zu verteilen. Müssen z.B. 20% der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer entlassen werden, so kann der Insolvenzverwalter in den einzelnen Gruppen jeweils 20% der dort aufgeführten Arbeitnehmer entsprechend des angewandten Punkteschlüssels entlassen, ohne dass eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl eingewandt werden kann. Der Insolvenzverwalter muss im Kündigungsschutzprozess schlüssig dartun, wieviel Prozent der potentiell zu kündigenden Arbeitnehmer vor dem Ausspruch der Kündigung den jeweiligen Altersgruppen angehörten und wie die einzelnen Kündigungen auf die einzelnen Altersgruppen verteilt worden sind4. Darüber hinaus muss der Insolvenzverwalter schlüssig darlegen, welche Nachteile sich ergeben würden, wenn die Sozialauswahl stringend nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG durchgeführt würde5.
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Die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur ist auch außerhalb des Insolvenzverfahrens möglich6. Sie ist dann zulässig, wenn die Auswahl allein nach sozialen Gesichtspunkten zu einer erheblichen Verschiebung der Altersstruktur führen würde, die im betrieblichen Interesse nicht hinnehmbar ist7. Nach dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BAG zugrunde lag, erfolgte die personelle Auswahl im Rahmen der Erhaltung einer ausgewogenen Alterstruktur wie folgt:
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Beispiel: Beschäftigungszeit
je volles Beschäftigungsjahr
1 Punkt
Lebensalter (vollendete Lebensjahre)
bis zu 20 Jahren
0 Punkte
bis zu 30 Jahren
1 Punkt
bis zu 40 Jahren
3 Punkte
bis zu 50 Jahren
6 Punkte
bis zu 57 Jahren
8 Punkte
über 57 Jahren
10 Punkte
1 2 3 4 5 6
BAG v. 12. 4. 2002 – 2 AZR 706/00, NZA 2003, 42 = NJW 2002, 3797. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 68. BAG v. 10. 2. 1999 – 2 AZR 716/98, NZA 1999, 702 = NJW 1999, 3796. BAG v. 20. 4. 2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 (879) = ZIP 2005, 1803. BAG v. 20. 4. 2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 (879) = ZIP 2005, 1803. BAG v. 23. 11. 2000 – 2 AZR 533/99, BAGE 96, 306 = NZA 2001, 601 = NJW 2001, 3282. 7 BAG v. 6. 7. 2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139 = NJW 2007, 460.
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§ 12
Rz. 95
Unterhaltsverpflichtungen
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren 1. Ehegatte
3 Punkte
2. je Kind, das im Orts- bzw. Sozialzuschlag Berücksichtigung findet
3 Punkte
Es ist auch folgendes, vereinfachtes Punkteschema zulässig1: Beschäftigungszeit
bis zu 10 Jahre ab dem 11. Jahr maximale Punktzahl
1,5 Punkte/ Jahr 2 Punkte/Jahr 75 Punkte
Lebensalter
pro vollendetes Jahr maximale Punktzahl
1 Punkt 55 Punkte
Unterhaltspflichten
pro kindergeldberechtigtes Kind Verheirateten Zuschlag maximale Punktzahl
Erwerbsminderung
je 10 %
5 Punkte 4 Punkte 55 Punkte 1 Punkt
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Zur Erhaltung der vorhandenen Altersstruktur werden nun aus den vergleichbaren Beschäftigten Altersgruppen gebildet. Die Altersgruppen können in Fünf – Jahresschritten gebildet werden2. In diesen Altersgruppen werden nun jeweils prozentual entsprechend des Gesamtvolumens der erforderlichen Maßnahmen und der Anzahl der Beschäftigten in der jeweiligen Altersgruppe abgebaut.
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Die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur ist mehr als die Schaffung einer altersgerechten Belegschaft. Hierbei können und müssen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der einzelnen Arbeitnehmer berücksichtigt und bewertet werden3. Die Begründung muss sich aus einer detaillierten Personalbedarfsplanung ergeben, aus welcher die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer sowie für jede Betriebsabteilung das erforderliche Anforderungsprofil bezüglich der Arbeitnehmer ersichtlich ist. Nur durch Berücksichtigung von Leistungsstärke, Fachkenntnissen etc. ist die Schaffung einer leistungsfähigen Personalstruktur möglich. Die Auswahlkriterien sind ebenso wie die Kriterien für die Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur detailliert im Interessenausgleich darzustellen4.
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Für die grobe Fehlerhaftigkeit der Gewichtung der sozialen Kriterien hat der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast5. Rügt der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Sozialauswahl, so hat der Insolvenzverwalter auch im Rahmen von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO die Gründe, die zu der getroffenen Sozialauswahl führten, anzugeben (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 KSchG). Der Arbeitnehmer kann die Ordnungsgemäßheit der Sozialauswahl mit Nichtwissen bestrei1 2 3 4 5
BAG v. 6. 7. 2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139 = NJW 2007, 460. BAG v. 20. 4. 2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = ZIP 2005, 1803. BAG v. 12. 4. 2002 – 2 AZR 706/00, NZA 2003, 42 (44) = NJW 2002, 3797 (3799). Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 125 Rz. 20. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 66.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 100 § 12
ten1. Das Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) ist zulässig, da der Arbeitnehmer weder an dem Zustandekommen des Interessenausgleichs nicht beteiligt war noch sonst eigene Wahrnehmungen in Bezug auf den Interessenausgleich tätigen konnte2. Eine Erkundigungspflicht beim Betriebsrat besteht für den Arbeitnehmer nicht. Andererseits besteht wie bei der Sozialauswahl eine abgestufte Darlegungs- und Beweislastverteilung, so dass der Arbeitnehmer nach Offenlegung der Gründe für die getroffene Sozialauswahl die grobe Fehlerhaftigkeit substantiiert darzutun und zu beweisen hat3. Bestreitet der Arbeitnehmer, dass die Kündigung zur Schaffung oder Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur dient, so obliegt dem Insolvenzverwalter die volle Darlegungs- und Beweislast. Allein der Insolvenzverwalter kennt die unternehmerischen Planungen und damit die notwendigen Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Betriebs und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens4.
98
b) Änderung der Sachlage Eine wesentliche Änderung der Sachlage liegt vor, wenn zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung die Voraussetzungen einer Betriebsänderung entfallen, weil z.B. der Betrieb veräußert wird oder eine Teilbetriebsstilllegung in einem wesentlich geringeren Umfange als geplant zur Durchführung gelangt. Die Geschäftsgrundlage für den Interessenausgleich entfällt. Abzustellen ist auf den Zugang der Kündigungserklärung5. Eine Änderung der Sachlage kann auch dadurch eintreten, dass zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Zugang der Kündigungserklärung ein Arbeitnehmer, welcher nicht auf der Namensliste aufgeführt war, aus dem Betrieb ausscheidet und hierdurch ein anderer Arbeitnehmer, der ursprünglich schlechtere Sozialdaten besaß „nachrückt“. Eine solche Änderung der Sachlage führt nicht zum Wegfall des Interessenausgleichs, da die Änderung nur einen einzelnen Arbeitnehmer und nicht den Interessenausgleich als solchen betrifft.
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Ändert sich die Sachlage wesentlich nach Zugang der Kündigungserklärung und ist die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen, so hat der Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch6. Der Klagantrag lautet7:
100
Den Beklagten (Insolvenzverwalter) zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages zu den bisherigen Arbeitsbedingungen aus dem Arbeitsvertrag vom … als … unter Anrechnung der früheren Beschäftigungsdauer … anzunehmen. 1 BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1592). 2 BGH v. 7. 10. 1998 – VIII ZR 100/97, ZIP 1998, 1965 (1967) = NJW 1999, 53. 3 BAG v. 23. 6. 2005 – 2 AZR 193/04, NZA 2005, 1233. 4 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 68, 69. 5 BAG v. 21. 2. 2001 – 2 AZR 39/00, ZIP 2001, 1825. 6 BAG v. 13. 5. 2004 – 8 AZR 198/03, BAGE 110, 336 = ZIP 2001, 1610. 7 BAG v. 4. 12. 1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701 = NJW 1998, 2379.
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§ 12
Rz. 100a
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
100a
Erfolgt nach dem Ablauf der Kündigungsfrist ein Betriebsübergang, so besteht zumindest im Insolvenzverfahren kein Anspruch auf eine Wiedereinstellung oder Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses1. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens besteht nach dem Ablauf der Kündigungsfrist ein Wiedereinstellungsanspruch, wenn neben den materiellen oder immateriellen Betriebsmitteln willentlich die Hauptbelegschaft von dem Betriebsübernehmer übernommen wird2.
101
Die Klage des Arbeitnehmers, mit der er die Wiedereinstellung begehrt, ist keine Kündigungsschutzklage, so dass für diese Klage die Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht läuft. Der Wiedereinstellungsanspruch wird durch Leistungsklage i.S.v. § 894 ZPO gegen den Arbeitgeber gerichtlich geltend gemacht3.
102
Es handelt sich um einen zulässigen Leistungsantrag. Mit der Rechtskraft des stattgebenden Urteils gilt die Annahmeerklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO als abgegeben4.
103
Denkbar ist, dass die Klage auf Wiedereinstellung mit der Kündigungsschutzklage verbunden wird. In diesem Fall gilt wiederum für die Kündigungsschutzklage die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG.
104
Ändert sich die Sachlage i.S.v. § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO nach dem Zugang der Kündigungserklärung und nach dem Ablauf der Kündigungsfrist, so besteht kein Wiedereinstellungsanspruch5.
4. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) 105
Die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung kann durch den Insolvenzverwalter ohne Einigungsstellenverfahren und ohne die Gefahr von Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 Abs. 3 BetrVG beantragt werden, wenn ein Interessenausgleich entweder drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder nach schriftlicher Aufforderung zur Verhandlungsaufnahme nach rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung des Betriebsrats nicht zustande gekommen ist. § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO hat die gleichen Voraussetzungen wie § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die Unterrichtung hat insbesondere vor der Verwirklichung der geplanten Betriebsänderung zu erfolgen. Soweit der Betriebsrat Unterlagen zur Einsicht fordert, sind ihm diese zur Verfügung zu stellen. Die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Insolvenzverwalter oder einen mit seiner Vertretung generell oder im Einzelfall bevollmächtigten Dritten6 sollte allein aus Beweisgründen schriftlich erfolgen.
1 2 3 4 5
BAG v. 28. 10. 2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405. BAG v. 12. 11. 1998 – 8 AZR 265/97, BAGE 90, 153 = NZA 1999, 331 = ZIP 1999, 670. BAG v. 6. 8. 1997 – 7 AZR 557/96, BAGE 86, 194 = NZA 1998, 254. BAG v. 13. 5. 2004 – 8 AZR 198/03, BAGE 110, 336 (339) = ZIP 2004, 1610 (1611). Zweifelnd: BAG v. 4. 12. 1997 – 2 AZR 140/97, BAGE 87, 221 = NZA 1998, 701 = NJW 1998, 2379. 6 BAG v. 21. 7. 1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 112 § 12
Tritt der Betriebsrat mit dem Insolvenzverwalter nicht in Verhandlungen über den Interessenausgleich ein, wird die Drei-Wochen-Frist durch den Insolvenzverwalter durch die schriftliche Aufforderung zur Verhandlungsaufnahme sowie die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats in Gang gesetzt.
106
Die Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ist an den Betriebsratsvorsitzenden oder seinen Stellvertreter im Amt zu richten (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Das Schriftformerfordernis in § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO stellt ein gesetz liches Schriftformerfordernis i.S.v. § 126 BGB dar. Dieses hat zur Konsequenz, dass die Aufforderung des Insolvenzverwalters dem Betriebsrat zugehen muss.
107
Die Übermittlung der Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen durch ein Telefax ist wegen des Schriftformerfordernisses nicht ausreichend1, so dass die Frist nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht in Gang gesetzt wird.
108
Die Frage der ausreichenden Information des Betriebsrats beurteilt sich nach objektiven Kriterien und nicht danach, ob der Betriebsrat weitere Informationen fordert.
109
Beim Betriebsrat objektiv vorhandene Informations- oder Erklärungsdefizite können durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der Verhandlungen über den Interessenausgleich ohne weiteres noch ausgeräumt werden. Die Aufnahme von Verhandlungen kann durch den Betriebsrat mit der Begründung, die erteilten Informationen oder überlassenen Unterlagen seien nicht ausreichend, nicht verweigert werden. Der Fristbeginn nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO wird hierdurch nicht gehindert2.
110
Verhandlungen mit dem Betriebsrat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner oder den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) über die Betriebsänderung sind auf die Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO anzurechnen3. Die Insolvenzeröffnung schafft keine neue Situation4, so dass die Drei-Wochen-Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht von Neuem zu laufen beginnt. Bereits im Insolvenzantragsverfahren sind der Umfang der notwendigen Betriebsänderung und die einzelnen zu ergreifenden Maßnahmen bekannt. Erfolgt der Antrag des Insolvenzverwalters an das Arbeitsgericht auf Zustimmung zur Betriebsänderung verfrüht, so ist dieses regelmäßig unschädlich, da auch im Beschlussverfahren die Zulässigkeit des Antrages danach beurteilt wird, ob er zum Zeitpunkt der Anhörung vor der Kammer (§§ 57 Abs. 1, 80 Abs. 2 Satz 1, 83 Abs. 3 ArbGG) zulässig war.
111
Antragsberechtigt ist ausschließlich der Insolvenzverwalter. Die Antragsschrift muss § 253 Abs. 2 ZPO entsprechen. Der Antrag kann auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden (§ 81 Abs. 1 Hs. 2 ArbGG). Die An-
112
1 2 3 4
BGH v. 28. 1. 1993 – IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224 = ZIP 1993, 424. ArbG Lingen v. 9. 7. 1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = ZInsO 1999, 656. Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 122 Rz. 4. A.A. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 122 InsO Rz. 17.
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§ 12
Rz. 113
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
tragsschrift muss einen bestimmten Sachantrag enthalten. Dieser Antrag könnte lauten: Es wird die Zustimmung zur … ohne vorausgehendes Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG beantragt. 113
Im Antrag ist exakt die geplante Betriebsänderung zu bezeichnen, also z.B. welche Abteilung/Abteilungen stillgelegt werden sollen, welche Personalmaßnahmen geplant und/oder welche Betriebsteile zusammengelegt werden sollen. Im Falle der Betriebsstilllegung oder Teilbetriebsstilllegung ist auch der geplante Stilllegungstermin anzugeben. Die exakte Antragstellung ist erforderlich, da nur mit bindender Wirkung für die Beteiligten im Beschlussverfahren die konkrete Betriebsänderung verbeschieden wird und damit auch nur für diese konkrete Betriebsänderung die Sanktionen des § 113 Abs. 3 BetrVG entfallen.
114
Eine sofortige Betriebsänderung und eine nachträgliche sanktionierende gerichtliche Zustimmung verhindert nicht das Entstehen der Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer1.
115
Der Insolvenzverwalter hat im Antrag an das Arbeitsgericht detailliert und nachprüfbar darzulegen: –
Eilbedürftigkeit der Umsetzung der geplanten Maßnahmen;
–
die wirtschaftliche Situation des Betriebs;
–
Zielrichtung der geplanten Maßnahmen;
–
Auswirkung der Maßnahmen auf die Arbeitsverhältnisse.
116
Decken die laufenden Einnahmen die laufenden Kosten des Betriebs nicht, so ist durch das Arbeitsgericht die Zustimmung zur Betriebsänderung zu erteilen2. In einem solchen Falle hat der Insolvenzverwalter über die Einnahmen und Ausgaben eine Planrechnung aufzustellen und im Rahmen des Beschlussverfahrens vorzulegen. Im Interesse der Gesamtgläubigerschaft kann nicht gefordert werden, dass sonstige freie Mittel der Insolvenzmasse zur Kostendeckung verwandt werden. Strebt der Insolvenzverwalter die Zustimmung zu einer Teilbetriebsstilllegung an, so hat er auch detailliert die wirtschaftliche Situation dieses Teilbetriebs darzulegen.
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Das Arbeitsgericht hat im Rahmen des Beschlussverfahrens nicht darüber zu entscheiden, ob die geplante Betriebsänderung sinnvoll oder wirtschaftlich zweckmäßig ist, sondern ob die Betriebsänderung vor der Durchführung des Einigungsstellenverfahrens oder danach erfolgen kann oder erfolgen muss. Bleibt unklar, ob die Voraussetzungen für eine gerichtliche Zustimmung vorliegen, geht dieses zu Lasten des Insolvenzverwalters, der die objektive Beweislast 1 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 122 Rz. 12. 2 ArbG Lingen v. 9. 7. 1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = ZInsO 1999, 656.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 122 § 12
trägt1, da allein er die wirtschaftliche Lage des Unternehmens kennt und darlegen kann. Liegen die Voraussetzungen nach § 122 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, erteilt das Gericht die Zustimmung.
118
Die Zustimmung gilt mit Rechtskraft des nach § 84 ArbGG erlassenen Beschlusses als erteilt. Die Rechtskraft tritt nicht sofort ein, da auch eine unzulässige Rechtsbeschwerde die Rechtskraft hemmt2. Die Rechtskraft tritt auch dann nicht sofort ein, wenn die Rechtsbeschwerde zum BAG nicht zugelassen wurde3. Erst der rechtskräftige Beschluss, mit welchem das Arbeitsgericht der Betriebsänderung ohne Durchführung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG zugestimmt hat, ersetzt den Interessenausgleich. Die danach durchgeführten Entlassungen bleiben sanktionslos. An die rechtskräftige, arbeitsgerichtliche Zustimmung sind die Gerichte auch in späteren Verfahren, in denen Arbeitnehmer einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG begehren, gebunden4. Der Insolvenzverwalter kann nicht nur neben dem Beschlussverfahren nach § 122 InsO Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich mit Namensliste (§ 125 InsO) weiterführen oder alternativ das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) betreiben, sondern auch die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG).
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In extremen Fällen kann der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel der Zustimmung zur Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG stellen. Aufgrund der Beschleunigungsmaxime nach § 122 Abs. 2 Satz 2 InsO kann dieses nur für Fälle gelten, in denen der Insolvenzverwalter einerseits glaubhaft macht, dass die Betriebsänderung nur sinnvoll ist, wenn sie unverzüglich durchgeführt wird und er andererseits auch glaubhaft macht, dass keine oder keine nennenswerten sozialen Belange der Arbeitnehmer dagegen sprechen5.
120
5. Beschlussverfahren nach § 126 InsO a) Einleitung aa) Betriebe mit Betriebsrat Besteht im schuldnerischen Unternehmen ein Betriebsrat, so kann der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren nach § 126 InsO einleiten, wenn kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zustande gekommen ist.
121
Die Zeitvorgabe ist die Gleiche wie nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO, also maximal drei Wochen ab dem tatsächlichen Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung sowie rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung des Betriebs-
122
1 2 3 4 5
Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 122 InsO Rz. 47. BAG v. 14. 8. 2001 – 2 AZB 20/99, BB 2001, 2535 = ZInsO 1999, 656. BAG v. 14. 8. 2001 – 2 AZB 20/99, BB 2001, 2535 = ZInsO 1999, 656. BAG v. 10. 11. 1987 – 1 AZR 360/86, BAGE 56, 304 = NZA 1988, 287 = ZIP 1988, 388. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 122 InsO Rz. 53.
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§ 12
Rz. 123
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
rats i.S.v. § 111 BetrVG. Die Drei-Wochen-Frist muss vor der Einleitung des Beschlussverfahrens nicht ausgeschöpft werden. Zeigt sich in den Verhandlungen, dass ein Interessenausgleich nicht zustande kommt oder erklärt einer der Betriebspartner die Verhandlungen für gescheitert, kann der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren sofort einleiten1. 123
Das Beschlussverfahren nach § 126 InsO steht dem Insolvenzverwalter nur dann zur Verfügung, wenn es sich um eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 Nr. 1 und 2 BetrVG handelt und im schuldnerischen Betrieb mindestens zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer vorhanden sind. Dieses ergibt sich aus der Verweisung in § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO auf § 125 Abs. 1 InsO und die dortige Verweisung auf § 111 BetrVG2. In den Fällen, in denen diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist ein Antrag des Insolvenzverwalters als unzulässig zurückzuweisen. bb) Betriebe ohne Betriebsrat
124
Das schuldnerische Unternehmen kann aus unterschiedlichen Gründen keinen Betriebsrat besitzen. Entweder ist die Mindestzahl von fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern nicht erreicht (§ 1 BetrVG) oder die Belegschaft hat trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Wahl eines Betriebsrats zulässigerweise keinen Betriebsrat gewählt3. Fehlt im Betrieb ein Betriebsrat, kann der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren sofort einleiten und den Antrag nach § 126 InsO stellen. b) Antrag
125
Die Antragstellung ist nur durch den Insolvenzverwalter und nicht durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter möglich4. Der Antrag muss darauf gerichtet sein, festzustellen, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist (§ 126 Abs. 1 Satz 1 InsO).
126
Die Antragstellung könnte lauten: Es wird festgestellt, dass die Kündigung von a)
Herrn Max Müller, Schillerstraße 2, Berlin, geb. 10. 2. 1940
b)
Frau Lena Mayer, geb. Friedrich, Goethestraße 69, Berlin, geb. 2. 9. 1941
durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist.
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Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 126 Rz. 5. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, InsO, § 126 Rz. 9. Fitting, BetrVG, § 1 Rz. 285. BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 132 § 12
Es handelt sich um einen Feststellungsantrag, bei welchem jedoch ein besonderes Feststellungsinteresse i.S.v. § 256 ZPO nicht darzulegen ist, da sich das Feststellungsinteresse aus § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt.
127
Im Antrag sind diejenigen Arbeitnehmer namentlich aufzuführen, deren Arbeitsverhältnisse betriebsbedingt gekündigt werden sollen. Die Arbeitnehmer sind im Antrag zu bezeichnen, obgleich sie Beteiligte des Beschlussverfahrens sind. Die Aufführung im Antrag ohne gesonderte Namensnennung z.B. als Beteiligte Ziff. 1–10 ist nicht ausreichend. Die Arbeitnehmer sind so zu bezeichnen, dass sie individuell bestimmt sind nach Vornamen, Zuname, Geburtsdatum und Adresse1. An die Bestimmtheit der Benennung sind die gleichen Anforderungen wie nach § 125 InsO zu stellen2. Die Angabe der Betriebszugehörigkeit und sonstiger bei der Sozialauswahl relevanter Daten im Antrag ist entbehrlich3, da diese Angabe nicht Inhalt des Antrages, sondern der Begründung zum Antrag sind.
128
Die Nennung der Arbeitnehmer im Antrag stellt keine Rangordnung in Bezug auf die soziale Auswahl dar4. Es ist zulässig, wenn der Insolvenzverwalter im Rahmen von Hilfsanträgen weitere Arbeitnehmer für den Fall aufnimmt, dass durch das Gericht die Kündigung einzelner Arbeitsverhältnisse nicht für gerechtfertigt erachtet wird5.
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Wird der Antrag verfrüht, d.h. vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist gestellt, so wird dieser dann zulässig, wenn die Verhandlungsfrist mit dem Betriebsrat zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgelaufen ist6, da es für die Zulässigkeit des Antrages auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über den Antrag ankommt.
130
Der Insolvenzverwalter kann zunächst die Kündigungserklärungen abgeben und zuwarten, welche Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben. In diesem Falle entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für das Beschlussverfahren nach § 126 InsO nicht7, wie sich aus § 127 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt, da die Bindungswirkung des Beschlusses nach § 126 InsO erst mit der Rechtskraft eintritt. Auch wenn der Insolvenzverwalter vor der Einleitung des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO die Kündigungen ausspricht, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung der Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung maßgeblich.
131
Ist ein Interessenausgleich nach § 125 InsO abgeschlossen, ist grundsätzlich ein Beschlussverfahren nach § 126 InsO ausgeschlossen. § 126 und § 125 InsO schließen sich gegenseitig aus8. Es ist deshalb nicht möglich, dass der Insolvenzverwalter im Rahmen der gleichen Betriebsänderung einen Interessenaus-
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Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 30. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 30. A.A. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 30. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 29. Müller, NZA 1998, 1315 (1320). Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 13. BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1590). 8 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 14.
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§ 12
Rz. 133
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
gleich mit Namensliste nach § 125 InsO abschließt und die übrigen nicht namentlich genannten Arbeitnehmer in das Beschlussverfahren nach § 126 InsO verwickelt. 133
Lediglich wenn eine neue Betriebsänderung vorgenommen wird und über diese neue Betriebsänderung kein Interessenausgleich zustande kommt, kann bezüglich dieser Betriebsänderung ein Beschlussverfahren nach § 126 InsO eingeleitet werden1.
134
Beteiligte des Beschlussverfahrens sind: –
der Insolvenzverwalter,
–
die im Antrag namentlich benannten Arbeitnehmer,
–
ein vorhandener Betriebsrat,
–
eventuell der Betriebserwerber.
Der Insolvenzverwalter ist aufgrund der Antragstellung Beteiligter des Beschlussverfahrens. Der Betriebsrat ist kraft Gesetzes (§ 126 Abs. 2 Satz 1 InsO) Verfahrensbeteiligter. Dieses gilt auch für den Fall, dass im schuldnerischen Betrieb keine zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmer (§ 125 Abs. 1 InsO, § 111 BetrVG) vorhanden sind und deshalb der Antrag nach § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO unzulässig ist2 (siehe Rz. 123). Die Arbeitnehmer sind am Verfahren gleichfalls kraft Gesetzes (§ 126 Abs. 2 Satz 1 InsO) beteiligt. Dieses ergibt sich auch aus der Bindungswirkung (§ 127 Abs. 1 Satz 1 InsO) des Beschlusses. 135
Der Arbeitnehmer kann sein Einverständnis mit einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses oder mit der Änderung der Arbeitsbedingungen erklären. Diese Einverständniserklärung beurteilt sich nach materiellem Recht. Der Arbeitnehmer kann eine gesetzeswidrige Kündigungserklärung hinnehmen3 indem er entweder nach Zugang der Kündigungserklärung sein Einverständnis mit der Beendigung oder Änderung ausdrücklich erklärt oder die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG ungenutzt verstreichen lässt, so dass die Kündigung gemäß § 7 KSchG als sozial gerechtfertigt fingiert wird. Das Einverständnis mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer im Rahmen eines schriftlich (§ 623 BGB) abgeschlossenen Aufhebungsvertrages erklären, oder durch Klageverzichtserklärung nach Zugang der Kündigungserklärung. Ein Verzicht auf den gesetzlichen Kündigungsschutz und damit auf die Klagebefugnis vor Zugang der Kündigungserklärung ist unwirksam4. Nach der Einleitung des Beschlussverfahrens und namentlicher Benennung als Beteiligter kann der Arbeitnehmer immer noch erklären, dass er mit der Änderungs- oder Beendigungskündigung einverstanden ist5. Gibt der Arbeitnehmer die Erklä1 2 3 4 5
BAG v. 20. 1. 2000 – 2 ABR 30/99, BAGE 93, 267 = NZA 2001, 170 = ZInsO 2000, 684. A.A. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 249. BAG v. 3. 5. 1979 – 2 AZR 679/77, BAGE 32, 6 = NJW 1979, 2267 = MDR 1979, 875. BAG v. 4. 12. 1991 – 7 AZR 344/99, NZA 1992, 838. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 26.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 140 § 12
rung nach der Rechtshängigkeit des Beschlussverfahrens ab, so verliert er seine materielle Beteiligtenstellung. Die Einverständniserklärung ist eine Prozesserklärung und ist nicht mehr widerrufbar oder anfechtbar1. Das Beschlussverfahren kann von allen Beteiligten nach § 83a Abs. 1 ArbGG für erledigt erklärt werden2. Die Erledigungserklärung ist somit vom Insolvenzverwalter als Antragsteller, dem beteiligten Betriebsrat und jeweils von dem namentlich benannten Arbeitnehmer abzugeben. Es ist nicht erforderlich, dass sämtliche namentlich benannten Arbeitnehmer und damit Beteiligte des Beschlussverfahrens die Erledigungserklärung gleichfalls abgeben. Der einzelne Arbeitnehmer kann über den Streitgegenstand verfügen, so dass das Beschlussverfahren bezüglich einzelner Arbeitnehmer unterschiedlich ausgehen kann3.
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Die Erledigungserklärung führt zur Einstellung des Verfahrens durch den Vorsitzenden (§ 83a Abs. 2 Satz 1 ArbGG).
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Stimmen ein oder mehrere am Beschlussverfahren Beteiligte der Erledigung nicht zu, kann der Insolvenzverwalter als Antragsteller das Beschlussverfahren allein für erledigt erklären. Dem Gericht obliegt die Prüfung, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist4. Stellt das Gericht fest, dass ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 83a Abs. 2 ArbGG eingestellt. Das Einverständnis kann auch im Rahmen eines Vergleichs (§ 83a Abs. 1 ArbGG) erklärt werden. Voraussetzung ist, dass der Vergleich gerichtlich protokolliert wird. Ein außergerichtlich abgeschlossener Vergleich beendet das Beschlussverfahren nicht automatisch, sondern es bedarf verfahrensbeendender Prozesserklärungen. Der Arbeitnehmer kann auch sein Einverständnis in Form des Anerkenntnisses erklären5.
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c) Sozialauswahl; dringende betriebliche Erfordernisse Die Überprüfung der Sozialauswahl erfolgt nur bezüglich der drei sozialen Auswahlkriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen (§ 126 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dieser eingeschränkte Prüfungsmaßstab entspricht § 125 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 1 InsO mit einer Einschränkung: Die Nachprüfung der sozialen Auswahl der Arbeitnehmer ist nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt. Es gelten die allgemeinen Vorgaben nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG.
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§ 126 Abs. 1 InsO engt den Prüfungsmaßstab im Gegensatz zu § 125 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO nicht auf die grobe Fehlerhaftigkeit ein. Gleichfalls ist im Rahmen dieses Beschlussverfahrens die Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur nicht möglich. Die Kontrolle der Sozialauswahl
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1 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 26. 2 Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 83a ArbGG Rz. 12. 3 BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1590). 4 BAG v. 23. 6. 1993 – 2 ABR 58/92, NZA 1993, 1052. 5 Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 252.
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§ 12
Rz. 141
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
wird nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG vorgenommen. Eine analoge Anwendung von § 125 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO scheidet schon deshalb aus, weil die Auswahl der im Antrag bezeichneten Arbeitnehmer diese allein durch den Insolvenzverwalter ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgt1. 141
Im Rahmen der Antragsbegründung hat der Insolvenzverwalter bezüglich jedes im Antrag namentlich bezeichneten Arbeitnehmers die drei Auswahlkriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen sowie deren Gewichtung darzutun, da nur hierdurch das Gericht die soziale Auswahl nachprüfen kann.
142
Da es sich beim Verfahren nach § 126 InsO um ein Beschlussverfahren handelt, gilt grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz2 (§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Eine Darlegungslast besteht nicht; das Gericht hat den Sachverhalt nur im Rahmen der von den Beteiligten mitgeteilten Tatsachen zu ermitteln. Eine Beweiserhebung im Beschlussverfahren durch das Gericht erfolgt nur dann, wenn Tatsachen substantiiert bestritten sind oder sich Zweifel an der Richtigkeit aufdrängen3. Die Beteiligten haben an der Sachverhaltsaufklärung gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mitzuwirken und somit alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen.
143
Die Vorschriften des ArbGG über das Beschlussverfahren gelten entsprechend (§ 126 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 InsO). Das Beschlussverfahren ist vorrangig zu erledigen (§§ 122 Abs. 2 Satz 3, 126 Abs. 2 Satz 2 InsO). Da § 61a Abs. 3 –6 ArbGG kraft dieser Verweisung Anwendung findet, sind auch verspätete Angriffs- oder Verteidigungsmittel nur begrenzt zuzulassen (§ 61a Abs. 5 ArbGG). Bei einer Fristversäumung endet die Aufklärungspflicht des Gerichts4. Der Vorsitzende kann mit den Folgen von § 83 Abs. 1a Satz 2 ArbGG Fristen für das Vorbringen setzen (§ 83 Abs. 1a Satz 1 ArbGG).
144
Bleibt der Sachverhalt, gegebenenfalls auch nach Beweisaufnahme, unklar, ist nach der objektiven Beweislast zu entscheiden5. Die objektive Beweislast richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Kündigungsschutzes. Der Insolvenzverwalter muss die Antragsvoraussetzungen nach § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO (siehe Rz. 121 ff.) beweisen, insbesondere in Betrieben mit einem Betriebsrat das Vorhandensein von mindestens zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern (§ 125 Abs. 1 InsO, § 111 BetrVG) und die soziale Rechtferti gung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG. Der Arbeitnehmer hat aufgrund von § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG die mangelnde Sozialauswahl bezüglich der Vergleichbarkeit und der Sozialdaten darzulegen und zu beweisen. Da im Rahmen des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) gilt, gelten die allgemeinen Vorgaben zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast nicht6. Es ist ausreichend, dass der Arbeitnehmer
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Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 42. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 45. BAG v. 10. 12. 1992 – 2 ABR 32/92, NZA 1993, 501 (505). Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 47. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 45. Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 126 Rz. 14.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 151 § 12
die ordnungsgemäße Sozialauswahl bestreitet1. Der Arbeitnehmer muss keinen anderen, weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer benennen2. Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt im Rahmen der Nachprüfung der sozialen Auswahl ist unterschiedlich.
145
Ist die Kündigungserklärung vor der Einleitung des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO abgegeben worden, so ist der Zugang der Kündigungserklärung maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt. Eine Änderung der Sachlage begründet gegebenenfalls einen Wiedereinstellungsanspruch3.
146
Ist die Kündigungserklärung bei Rechtshängigkeit des Beschlussverfahrens noch nicht abgegeben, so ist zur Beurteilung der Kündigung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen4. Dieses folgt aus § 127 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach der Beschluss nach § 126 InsO seine Bindungswirkung verliert, wenn sich die Sachlage nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung wesentlich geändert hat.
147
d) Rechtsmittel Gemäß §§ 126 Abs. 2 Satz 2, 122 Abs. 3 InsO ist eine Beschwerde an das LAG nicht gegeben. Eine Rechtsbeschwerde an das BAG bedarf der Zulassung durch das Arbeitsgericht5. Die Rechtskraft tritt auch dann nicht mit Zustellung der Entscheidung an die Verfahrensbeteiligten ein, wenn die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wurde, da auch eine unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde den Eintritt der Rechtskraft hemmt6.
148
Obgleich bei dem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 122 InsO die Rechtsmittelmöglichkeiten stark eingeschränkt sind (§ 122 Abs. 3 Satz 1 InsO), tritt die Rechtskraft des Beschlusses nicht nach der Zustellung an die Beteiligten ein (§§ 80 Abs. 2 i.V.m. 50 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).
149
Lässt das Arbeitsgericht im Beschluss die Rechtsbeschwerde an das BAG wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Divergenz zu (§ 122 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 InsO), so tritt die Rechtskraft des Zustimmungsbeschlusses erst mit der Zustellung der Entscheidung des BAG an die Beteiligten ein.
150
Wird die Rechtsbeschwerde durch das Arbeitsgericht nicht zugelassen und legt der Betriebsrat und/oder ein Arbeitnehmer als Beteiligter dennoch eine – unzulässige – Rechtsbeschwerde zum BAG ein, wird hierdurch der Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses wiederum bis zur Zustellung des Beschlusses des BAG, mit welchem die Rechtsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde, gehemmt7.
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Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 258. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 47. BAG v. 6. 8. 1997 – 7 AZR 557/96, BAGE 86, 194 = NZA 1998, 254. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 50. BAG v. 14. 8. 2001 – 2 ABN 20/01, BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071. BAG v. 14. 8. 2001 – 2 ABN 20/01, BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071. BAG v. 14. 8. 2001 – 2 ABN 20/01, BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071.
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§ 12 152
Rz. 152
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Eine zugelassene Rechtsbeschwerde wirkt nur zugunsten derjenigen Arbeitnehmer, welche die Rechtsbeschwerde eingelegt haben. Soweit Arbeitnehmer im Falle der Zulassung keine Rechtsbeschwerde einlegen, erlangt der arbeitsgerichtliche Beschluss insoweit und in Bezug auf diese Arbeitnehmer Rechtskraft, da die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines bestimmten Arbeitnehmers einen abgrenzbaren, der Rechtskraft selbständig fähigen Teil des Beschlusses, betrifft1. e) Kosten
153
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden im Beschlussverfahren nicht erhoben (§ 12 Abs. 5 i.V.m. § 2a ArbGG). Das Arbeitsgericht hat grundsätzlich keine Kostenentscheidung zu treffen und keinen Streitwert festzusetzen, es sei denn, dass das BAG das Verfahren an das Arbeitsgericht zurückverweist und diesem die Kostenentscheidung überlässt2.
154
Kommt es zum Verfahren der Rechtsbeschwerde vor dem BAG, werden die außergerichtlichen Kosten erstattet (§ 126 Abs. 3 Satz 2 InsO).
155
Der Ausschluss der Kostenerstattung nach § 12a Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG ändert an dem materiellen Kostenerstattungsanspruch des Betriebsrats nichts3. Die Prozesskosten des Betriebsrats sind deshalb nach § 40 BetrVG zu erstatten4. Ist die Prozessvertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich vorgeschrieben, wie im Rechtsbeschwerdeverfahren (§ 94 Abs. 1 ArbGG), so ist die Erstattungspflicht nach § 40 Abs. 1 BetrVG ohne Weiteres gegeben. In allen anderen Fällen gehören zu den dem Betriebsrat zu erstattenden Kosten auch Rechtsanwaltskosten, sofern der Betriebsrat zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Zuziehung eines Rechtsanwaltes für notwendig erachten konnte5. Eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats setzt voraus, dass der Beschlussfassungspunkt Gegenstand der Einladung zur Betriebsratssitzung und der Tagesordnung war (§ 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). In der Regel ist im Verfahren nach § 126 InsO aufgrund der komplizierten Rechtslage die Zuziehung des Rechtsanwaltes praktisch immer notwendig6. Die Kosten des anwaltlichen Vertreters des Betriebsrats stellen Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar7.
156
Da eine Festsetzung des Streitwertes im Beschluss nach § 84 ArbGG nicht erfolgt, ist auf Antrag der Wert der anwaltlichen Tätigkeit festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG). Für die Ermittlung des Streitwertes ist § 12 Abs. 7 ArbGG entsprechend heranzuziehen8, so dass von einem Vierteljahresbetrag des Arbeits1 BAG v. 29. 6. 2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1165 = ZIP 2000, 1588 (1590). 2 Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 54. 3 Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 265. 4 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 126 Rz. 20. 5 BAG v. 3. 10. 1978 – 6 ABR 102/76, BAGE 31, 93 = NJW 1980, 1486 = MDR 1979, 435. 6 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 40. 7 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 126 Rz. 20. 8 Wenzel in GK-ArbGG, § 12 Rz. 265.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 160 § 12
entgeltes als Höchstbetrag für die Streitwertberechnung beim Prozessvertreter des Arbeitnehmers auszugehen ist1. Die Vertretung mehrerer Arbeitnehmer durch den gleichen Prozessbevollmächtigten dürfte die Ausnahme sein, da in der Regel widerstreitende Interessen (§ 203 Nr. 3 StGB) vorliegen. Sollte dennoch ein Rechtsanwalt mehrere Arbeitnehmer vertreten, erfolgt keine Zusammenrechnung der einzelnen Gegenstandswerte, da es sich nicht um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 7 Abs. 1 RVG handelt. Bei dem anwaltlichen Vertreter des Insolvenzverwalters sind jedoch die nach § 12 Abs. 7 ArbGG ermittelten und festgesetzten Streitwerte der beteiligten Arbeitnehmer und des Betriebsrats zur Ermittlung des Gegenstandswertes zu addieren2. Die Auffangvorschrift von § 23 Abs. 3 RVG ist nicht anzuwenden3.
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Für das Rechtsbeschwerdeverfahren beim BAG gelten keine gebührenrechtlichen Besonderheiten (§ 126 Abs. 3 Satz 2 InsO). Die obsiegenden Arbeitnehmer erwerben Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Insolvenzmasse als Masseverbindlichkeiten; sofern der Arbeitnehmer unterliegt, hat dieser der Insolvenzmasse die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Ist das Ergebnis in der Rechtsbeschwerdeinstanz hinsichtlich der Arbeitnehmer gespalten, tragen die unterlegenen Arbeitnehmer insgesamt den Anteil der Kosten der Arbeitgeberseite, der dem Anteil am Gegenstandswert der Arbeitgeberseite entspricht, der auf sie entfällt4. Über die Kosten des Betriebsrats wird nicht entschieden. Hier verbleibt es bei dem materiellen Freistellungsanspruch nach § 40 Abs. 1 BetrVG.
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6. Sozialplan a) Einleitung Eine Sozialplanpflicht besteht, wenn eine Betriebsänderung geplant wird (§ 111 Satz 1 BetrVG), der Betrieb regelmäßig mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer und einen Betriebsrat besitzt.
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Die erforderliche Arbeitnehmerzahl muss zum Zeitpunkt der Betriebsänderung, also bei dem Abschluss der Planung, vorhanden sein5. Zum Zeitpunkt des Entschlusses, eine Betriebsänderung durchzuführen, muss weiterhin in dem Betrieb ein Betriebsrat bestehen und dieser sich nach seiner Wahl konstituiert (§§ 26 Abs. 1, 29 Abs. 1 BetrVG) haben6. Sowohl der Versuch eines Interessenausgleichs als auch Verhandlungen über die Aufstellung eines Sozialplanes setzen einen Betriebsrat als Verhandlungspartner voraus.
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A.A. ArbG Hamburg v. 7. 10. 2005 – 18 BV 5/05, ZInsO 2005, 1320. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 39. Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 126 Rz. 19. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 37. BAG v. 10. 12. 1996 – 1 ABR 43/96, NZA 1997, 733. BAG v. 20. 4. 1982 – 1 ABR 3/80, BAGE 38, 284 (289 ff.) = ZIP 1982, 982 = NJW 1982, 2334.
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§ 12
Rz. 161
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
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Die Wahl eines Betriebsrats nach dem Entschluss und Beginn der Durchführung der Betriebsänderung berechtigt diesen nicht, die Aufstellung eines Sozialplanes zu verlangen1. Aus diesem Grunde ist es für den Insolvenzverwalter erforderlich, dass er den Entschluss zur Betriebsänderung dokumentiert. Auch wenn dem Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Betriebsänderung die Absicht bekannt war, dass die Arbeitnehmer einen Betriebsrat wählen wollen, kann nach der erfolgten Betriebsratswahl der neu gewählte Betriebsrat nicht verlangen, dass über die Aufstellung eines Sozialplanes verhandelt wird2.
162
Die in einem solchen Falle von dem neu gewählten Betriebsrat angerufene Einigungsstelle (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG) ist offensichtlich unzuständig. Ein vom Betriebsrat gestellter Antrag auf Bestellung des Vorsitzenden der Einigungsstelle und der Zahl der Beisitzer (§ 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG), ist durch das Arbeitsgericht wegen offensichtlicher Unzuständigkeit der Einigungsstelle zurückzuweisen (§ 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).
163
Auf Antrag des Insolvenzverwalters kann die Frage der Zuständigkeit der Einigungsstelle in einem gesonderten Beschlussverfahren entschieden werden. Antragsgegner ist in diesem Falle der Betriebsrat. Auf das Verfahren finden die Vorschriften für das Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG) Anwendung. Das Beschlussverfahren kann isoliert vor einer Entscheidung der Einigungsstelle durchgeführt werden3.
164
Hat die Belegschaft keinen Betriebsrat gewählt oder hat sich ein neu gewählter Betriebsrat erst nach dem Entschluss zur Betriebsänderung konstituiert, laufen die gesetzlichen Beteiligungsrechte leer. Diese betriebsratslosen Betriebe stehen außerhalb der Betriebsverfassung4. Ebenso wenig wie ein Anspruch auf Verhandlungen über die Aufstellung eines Sozialplanes besteht, besitzt der einzelne Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG.
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Unbeschadet der Beteiligungsrechte eines gewählten und konstituierten Betriebsrats ist bei einer geplanten Betriebsänderung, die sich ausschließlich auf einen Personalabbau im Rahmen der Zahlen- und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG5 beschränkt, ein Sozialplan nur erzwingbar, wenn der Personalabbau die Größenordnungen des § 112a Abs. 1 BetrVG erreicht oder überschreitet. Der Personalabbau in den Größenordnungen des § 17 Abs. 1 KSchG löst das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei einer geplanten Betriebsänderung aus. Die Größenordnung des § 112a Abs. 1 BetrVG regelt hingegen ausschließlich die Sozialplanpflichtigkeit. Die Zahlen- und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG und § 112a Abs. 1 BetrVG sind unterschiedlich.
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Entlassungen i.S.v. § 112a Abs. 1 BetrVG stellen sowohl der Abschluss eines wegen der Betriebsänderung veranlassten Aufhebungsvertrages (§ 112a Abs. 1 1 2 3 4 5
BAG v. 20. 4. 1982 – 1 ABR 3/80, BAGE 38, 284 = ZIP 1982, 982 = NJW 1982, 2334. BAG v. 28. 10. 1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420 = ZIP 1993, 289. BAG v. 28. 7. 1981 – 1 ABR 65/79, BAGE 36, 138 (140) = NJW 1982, 2410. BAG v. 16. 8. 1983 – 1 AZR 544/81, BAGE 44, 86 = NJW 1984, 2966. BAG v. 2. 8. 1983 – 1 AZR 516/81, BAGE 43, 222 = NJW 1984, 1781.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 169 § 12
Satz 2 BetrVG), als auch Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, die aufgrund einer geplanten Betriebsänderung erfolgen, dar1. Maßgeblich für die Quoren nach § 17 Abs. 1 KSchG und § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist allein, dass der Arbeitnehmer durch die geplante Betriebsänderung zum Ausscheiden aus dem Betrieb veranlasst wird. Aus diesem Grunde sind auch Versetzungen von Arbeitnehmern in andere Betriebe zu berücksichtigen2. Bei den Quoren sind Entlassungen aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen sowie die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen wirksamer Befristung nicht mitzurechnen3. Trotz des Vorliegens der Voraussetzungen von § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Abschluss eines Sozialplanes dann nicht erzwingbar, wenn das Unternehmen – nicht der Betrieb – nicht älter als vier Jahre ist4. Maßgeblich für die Altersbestimmung des Unternehmens5 ist nicht der Zeitpunkt der Gründung z.B. nach § 2 Abs. 1 GmbHG, sondern die Aufnahme der Erwerbstätigkeit (§ 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Entgegen des Wortlautes von § 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG erfolgt die Anzeige über die Aufnahme der Erwerbstätigkeit gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 AO an die Gemeinde, in welcher der Betrieb oder die Betriebsstätte eröffnet wird. Die Gemeinde ihrerseits unterrichtet das zuständige Finanzamt.
167
Die Privilegierung bezieht sich auf die Neugründung eines Unternehmens und nicht eines Betriebs. Dies hat zur Konsequenz, dass neu gegründete Unternehmen auch dann von der Sozialplanpflicht für eine Betriebsänderung befreit sind, wenn die Betriebsänderung in einem Betrieb erfolgt, den das Unternehmen übernommen hat und der selbst schon länger als vier Jahre besteht6. Zugrunde zu legen ist der arbeitsrechtliche Betriebsbegriff. Als Betrieb ist die organisatorische Einheit anzusehen, innerhalb deren der Unternehmer allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe sächlicher und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt7.
168
Beispiel: Übernimmt ein i.S.v. § 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG neu gegründetes Unternehmen im Wege der Verschmelzung oder Betriebsaufspaltung einen oder mehrere Betriebe, so ist für diese Betriebe auch dann ein Sozialplan nicht erzwingbar, wenn die übernommenen Betriebe älter als vier Jahre sind. Hier besteht folglich im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens zum Nachteil der Arbeitnehmer ein Gestaltungsspielraum. Ein Betriebsinhaberwechsel stellt keine nach § 111 BetrVG mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung dar8.
1 BAG v. 23. 8. 1988 – 1 AZR 276/87, BAGE 59, 242 (250 ff.) = NZA 1989, 31 = ZIP 1988, 1417. 2 Richardi, Der Anspruch auf den Sozialplan bei Betriebsänderungen, NZA 1984, 177 (179). 3 BAG v. 2. 8. 1983 – 1 AZR 516/81, BAGE 43, 222 (231) = NJW 1984, 1781. 4 BAG v. 22. 2. 1995 – 10 ABR 23/94, NZA 1995, 697 = ZIP 1995, 1111. 5 BAG v. 27. 6. 2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 = ZIP 2007, 39. 6 BAG v. 13. 6. 1989 – 1 ABR 14/88, BAGE 62, 108 = NZA 1989, 974 = ZIP 1989, 1487. 7 BAG v. 14. 9. 1988 – 7 ABR 10/87, BAGE 59, 319 = NZA 1989, 190. 8 BAG v. 17. 3. 1987 – 1 ABR 47/85, NZA 1987, 523 = ZIP 1987, 1005.
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§ 12 170
Rz. 170
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Die Befreiung von der Sozialplanpflicht gilt nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen (§ 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die rechtliche Umstrukturierung kann in der Verschmelzung von einem oder mehrerer Unternehmen auf ein neu gegründetes Unternehmen, Umwandlung auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Auflösung eines Unternehmens und Übertragung seines Vermögens auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Aufspaltung eines Unternehmens auf mehrere neu gegründete Unternehmen oder die Abspaltung von Unternehmensteilen auf neu gegründete Tochtergesellschaften darstellen. Die Befreiung von der Sozialplanpflicht tritt deshalb nur dann ein, wenn ein unternehmerischer Neuanfang vorliegt. Maßgebend ist nicht das Alter des Betriebs, sondern des Unternehmens1. Unter § 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG fallen deshalb auch Neugründungen, die aus einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz hervorgehen, also durch Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung oder Formwechsel2. b) Inhalt des Sozialplanes
171
Gleichgültig, ob es sich um einen erzwingbaren oder nicht erzwingbaren Sozialplan handelt, stellt der abgeschlossene Sozialplan eine Betriebsvereinbarung i.S.v. § 77 BetrVG dar. Für die Betriebsvereinbarung (Sozialplan) besteht das Schriftformerfordernis (§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Der Sozialplan ist von dem Insolvenzverwalter und dem Vorsitzenden des Betriebsrats oder den jeweils Bevollmächtigten auf derselben Urkunde zu unterzeichnen3. Der Austausch einseitig unterschriebener Exemplare des Sozialplanes genügt ebenso wenig dem Schriftformerfordernis wie die Unterschrift auf einer übermittelten Fotokopie4. Auch die Übermittlung der einseitig unterschriebenen Betriebsvereinbarung durch Telefax und Unterschriftsleistung auf dem Telefax durch den anderen Betriebspartner genügt dem Schriftformerfordernis nicht5. Eine nicht dem Schriftformerfordernis genügende Betriebsvereinbarung (Sozialplan) ist gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig. Die abgeschlossene Betriebsvereinbarung ist im Betrieb auszulegen (§ 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Aushändigung eines Exemplars der Betriebsvereinbarung besteht nicht6.
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Der Sozialplan hat die Aufgabe, die durch die geplante Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder zu mindern. Dem Zweck nach sind Sozialplanansprüche keine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes7. Wesentlich müssen die Nachteile für die Arbeitnehmer nicht sein. Der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat sind als Betriebspartner darin frei zu regeln, welche Nachteile durch den Sozialplan ausgeglichen oder gemin-
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BAG v. 27. 6. 2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 = ZIP 2007, 39. Richardi in Richardi, BetrVG, § 112a Rz. 18. BAG v. 21. 8. 1990 – 3 AZR 422/89, NZA 1991, 507 = ZIP 1991, 675. LAG Berlin v. 6. 9. 1991 – 2 Ta BV 3/91, DB 1991, 2593. BGH v. 28. 1. 1993 – XI ZR 259/91, BGHZ 121, 224 = ZIP 1993, 424. Fitting, § 77 Rz. 25. BAG v. 9. 11. 1994 – 10 AZR 281/94, NZA 1995, 644 = ZIP 1995, 767.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 175 § 12
dert werden sollen1 und in welchem Umfang dieses geschehen soll. Trotz des weiten Gestaltungsspielraums der Betriebspartner haben diese den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) zu wahren2. Im Gegensatz zu einem durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellten Sozialplan können in einem zwischen den Betriebspartnern vereinbarten Sozialplan unterschiedslos Abfindungen für alle infolge einer Betriebsänderung entlassenen Arbeitnehmer festgesetzt werden, deren Höhe sich allein nach dem Monatseinkommen, der Dauer der Betriebszugehörigkeit und den Unterhaltspflichten nach einem Punktesystem bemisst3.
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Unzulässig ist es, Abfindungen ohne Berücksichtigung von Alter, familiären Belastungen und einer eventuellen Schwerbehinderteneigenschaft zu vereinbaren und für alle Betroffene einen Abfindungsbetrag in gleicher Höhe für jedes Jahr der Beschäftigung zu gewähren4.
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In einem Sozialplan können zulässigerweise folgende Regelungen getroffen werden:
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Vereinbarung einer Stichtagsregelung. Danach werden nur Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Sozialplanes erfasst, die zum Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, deren Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte Kündigung seitens des Insolvenzverwalters, durch Eigenkündigung oder im gegenseitigen Einvernehmen endet5.
–
Ausschluss von Arbeitnehmern von der Geltung des Sozialplanes, die vor der geplanten Stilllegung des Betriebs ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen, da der Insolvenzverwalter ein berechtigtes Interesse an der geordneten Weiterführung des Betriebs bis zu dessen Schließung hat6, sofern der Arbeitnehmer für die Betriebsfortführung benötigt wird.
–
Vereinbarung, wonach die Anrechung von Abfindungen nach §§ 9,10 KSchG auf Sozialplanleistungen erfolgt, ist möglich7.
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Anrechnung der Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG8.
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Ausschluss der Anrechnung von Abfindungen und/oder Nachteilsausgleichsansprüchen9.
1 BAG v. 28. 9. 1988 – 1 ABR 23/97, BAGE 59, 359 (365) = NZA 1989, 186 = MDR 1989, 219. 2 Fitting, §§ 112, 112a Rz. 153. 3 BAG v. 14. 9. 1994 – 10 ABR 7/94, BAGE 78, 30 = NZA 1995, 440 = ZIP 1995, 771. 4 BAG v. 14. 9. 1994 – 10 ABR 7/94, BAGE 78, 30 = NZA 1995, 440 = ZIP 1995, 771. 5 BAG v. 30. 11. 1994 – 10 AZR 578/93, NZA 1995, 492 = ZIP 1995, 765. 6 BAG v. 9. 11. 1994 – 10 AZR 281/94, NZA 1995, 644 = ZIP 1995, 676. 7 BAG v. 20. 6. 1985 – 2 AZR 427/84, NZA 1986, 258 = NJW 1986, 2785. 8 BAG v. 21. 11. 2001 – 1 AZR 11/01, ZInsO 2002, 1153; BAG v. 20. 11. 2001 – 1 AZR 97/01, BAGE 99, 377 = ZIP 2002, 817 = NZA 2002, 992 = ZInsO 2002, 1153. 9 Berscheid, Anrechenbarkeit eines Sozialplananspruchs auf einen Nachteilsausgleichsanspruch, ZInsO 2002, 1127.
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§ 12
176
Rz. 176
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
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Ausnahme aus dem Geltungsbereich des Sozialplanes von Arbeitnehmern, welche vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen können1.
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Bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern kann die Abfindung nach dem Verhältnis der individuellen Arbeitszeit zu der Regelarbeitszeit bemessen werden2.
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Degression oder/und Progression entsprechend des Lebensalters3.
–
Ausschluss von Arbeitnehmern aus dem Geltungsbereich des Sozialplans, denen ein Arbeitsplatz vermittelt wird4.
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Ausnahme von Arbeitnehmern, welche die Voraussetzungen für den übergangslosen Rentenbezug nach Beendigung des Anspruches auf Arbeitslosengeld erfüllen, aus dem Geltungsbereich des Sozialplanes5, auch wenn der Arbeitnehmer durch die Inanspruchnahme vorgezogenen Altersruhegeldes eine Rentenminderung – auch in erheblichem Umfange – hinnehmen muss.
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Ausschluss von Arbeitnehmern aus dem Geltungsbereich des Sozialplanes, welche dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB auf den Betriebsübernehmer widersprechen, wenn ihnen die Weiterarbeit beim Betriebserwerber zumutbar ist6.
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Generell ist der Ausschluss von dem Geltungsbereich des Sozialplanes zulässig, wenn der Arbeitnehmer einen anderen, zumutbaren Arbeitsplatz ablehnt7.
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Nichtberücksichtigung von in einem Arbeitsvertrag angerechneter Zeit der Betriebszugehörigkeit bei einem früheren Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers8.
–
Fälligkeitsregelung, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine Kündigungsschutzklage9.
–
Zuschläge für unterhaltsberechtigte Kinder, sofern diese in der Lohnsteuerkarte eingetragen sind10 und Vereinbarung eines Stichtags für die Eintragung11.
Es ist auch zulässig und zweckmäßig, Höchstbegrenzungsklauseln für Abfindungen wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes zu vereinbaren12. 1 BAG v. 26. 7. 1988 – 1 AZR 156/87, NZA 1989, 25 = NJW 1989, 480. 2 BAG v. 28. 10. 1992 – 10 AZR 129/92, BAGE 71, 280 = NZA 1993, 717 = ZIP 1993, 449 = MDR 1993, 455. 3 BAG v. 26. 6. 1990 – 1 AZR 263/88, BAGE 65, 169 = NZA 1991, 111 = ZIP 1990, 1360. 4 BAG v. 22. 3. 2005 – 1 AZR 3/04, NZA 2005, 831. 5 BAG v. 31. 7. 1996 – 10 AZR 45/96, NZA 1997, 165. 6 BAG v. 5. 2. 1997 – 10 AZR 55/96, NZA 1998, 158. 7 BAG v. 28. 9. 1988 – 1 ABR 23/87, BAGE 59, 359 (367) = NZA 1989, 186 = MDR 1989, 290. 8 BAG v. 30. 3. 1994 – 10 AZR 352/93, NZA 1995, 88. 9 Hanau/Kania in Erfurter Kommentar, §§ 112, 112a BetrVG Rz. 30. 10 BAG v. 12. 3. 1997 – 10 AZR 648/96, BAGE 85, 252 = NZA 1997, 1058. 11 LAG Hamm v. 15. 3. 2006 – 18 Sa 14/06, NZA – RR 2006, 572. 12 BAG v. 23. 8. 1988 – 1 AZR 284/87, BAGE 59, 255 = NZA 1989, 28 = NJW 1989, 480.
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Rz. 179 § 12
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
In einer gesonderten Betriebsvereinbarung können über die Sozialplanleistungen liegende, zusätzliche Abfindungen für den Fall vereinbart werden, dass der Arbeitnehmer auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet1. Jedoch ist im Falle eines früheren Betriebsüberganges die beim früheren Arbeitgeber zurückgelegte Betriebszugehörigkeit im Rahmen des Sozialplanes bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeitszeiten zu berücksichtigen2.
177
Aus Gründen der Praktikabilität kann in einem Sozialplan geregelt werden, dass für die Anzahl der Unterhaltsberechtigten die Eintragungen auf der Lohn steuerkarte maßgeblich sind. Dieses gilt auch für unterhaltsberechtigte Kinder von Arbeitnehmern aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft3. 178
Unwirksam ist eine Klausel: –
wonach der Sozialplananspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhebt4;
–
Nichtberücksichtigung von Betriebszugehörigkeitszeiten, in denen z.B. wegen Mutterschutzes, Wehrdienst und Zivildienst das Arbeitsverhältnis ruhte5;
–
Ausschluss derjenigen Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben, nachdem ihnen der Insolvenzverwalter mitgeteilt hatte, für sie bestehe aufgrund der Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr6;
–
Unterlassen der Klageerhebung gegen den Betriebserwerber7;
–
Erfolglose Feststellungsklage gegen den Betriebserwerber8;
–
Nichtberücksichtigung von Zeiten des Erziehungsurlaubs9 (Elternzeit).
Grundsätzlich unterliegen Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle10. Sozialpläne sind auszulegen wie Tarifverträge11.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BAG v. 13. 5. 2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 = ZIP 2005, 1468. BAG v. 8. 2. 1983 – 3 AZR 229/81, BAGE 44, 7 = ZIP 1994, 99 = NJW 1984, 1254. BAG v. 12. 3. 1997 – 10 AZR 553/96, NZA 1998, 158. BAG v. 20. 12. 1983 – 1 AZR 442/82, BAGE 44, 364 = NZA 1984, 53 = ZIP 1984, 476. BAG v. 12. 11. 2002 – 1 AZR 58/02, DB 2003, 1635 = AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972. BAG v. 15. 1. 1991 – 1 AZR 80/90, BAGE 67, 29 = NZA 1991, 692 = ZIP 1991, 1380 = MDR 1991, 1180. BAG v. 22. 11. 2005 – 1 AZR 458/04, NZA 2006, 220 = ZIP 2006, 489. BAG v. 22. 7. 2003 – 1 AZR 575/02, BAGE 107, 100 = ZIP 2003, 2220. BAG v. 21.10. 2003 – 1 AZR 407/02, BAGE 108, 147 = NZA 2004, 559 = ZIP 2004, 578. BAG v. 14. 2. 1984 – 1 AZR 574/82, NZA 1984, 202 = ZIP 1984, 1000. BAG v. 22. 3. 2005 – 1 AZR 3/04 , NZA 2005, 831.
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179
§ 12
Rz. 180
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Sind einzelne Bestimmungen in einem Sozialplan unwirksam, so führt dieses nicht zur Gesamtnichtigkeit des Sozialplans, sofern die verbliebenen Teile eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellen1. Der Sozialplan unterliegt im Individualprozess nicht einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle in Bezug auf die Angemessenheit der Dotierung2. Der Arbeitnehmer kann jedoch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren Ansprüche oder erhöhte Ansprüche aus einem Sozialplan mit der Behauptung einklagen, er sei unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 75 BetrVG) ganz oder teilweise von den Leistungen aus dem Sozialplan ausgeschlossen3 worden. Hält sich dagegen der Sozialplan im Rahmen billigen Ermessens und verstößt er nicht gegen höherrangige Rechtsnormen, so kann der einzelne Arbeitnehmer keine Überprüfung des Sozialplanes erreichen4. 180
Der Arbeitnehmer hat gegenüber dem Insolvenzverwalter Auskunftsansprüche, obgleich der Sozialplan als Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen ist, , um seinen individuellen Sozialplananspruch errechnen oder überprüfen zu können. Dieser Auskunftsanspruch stellt eine Nebenverpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis dar und basiert auf § 242 BGB. Für den Insolvenzverwalter empfiehlt es sich, ohne gesonderte Aufforderung dem Arbeitnehmer die Berechnung der individuellen Sozialplanansprüche nach dem folgenden Muster mitzuteilen. aa) Abrechnung von Sozialplanansprüchen Musterschreiben
181
Sehr geehrte(r ) Herr/Frau … Nach dem mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Sozialplan vom … habe ich für Sie … Sozialpunkte ermittelt. Im Einzelnen ermittelt sich dieser Punktewert wie folgt: Anzahl der Beschäftigungsjahre: … Jahre, daraus ergibt sich ein Punktewert von: Lebensalter: … Jahre, daraus ergibt sich ein Punktewert von: Durchschnittliches Einkommen pro Monat: … Euro, daraus ergibt sich ein Punktewert von: Ihr Gesamtpunktewert: Insgesamt wurden auf diese Weise für alle Arbeitnehmer … Sozialpunkte ermittelt. 1 2 3 4
BAG v. 21. BAG v. 17. BAG v. 25. BAG v. 26.
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10. 2003 – 1 AZR 407/02, BAGE 108, 147 = NZA 2004, 559 = ZIP 2004, 578. 2. 1981 – 1 AZR 290/78, BAGE 35, 80 (92) = ZIP 1981, 642 = NJW 1982, 69. 10. 1983 – 1 AZR 260/82, BB 1984, 598. 7. 1988 – 1 AZR 156/87, NZA 1989, 25 = NJW 1989, 480.
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Rz. 184 § 12
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Der auf diese Sozialpunkte zu verteilende Betrag nach Abzug der Pauschalen für unterhaltsberechtigte Kinder und Schwerbehinderteneigenschaft beträgt … Euro, so dass sich pro zu verteilendem Sozialpunkt ein Betrag in Höhe von … Euro errechnet. Ihre individuelle Sozialplanforderung errechnet sich sonach wie folgt: Ihre individuellen Sozialplanpunkte: … multipliziert mit Punktwert … ergibt Gesamtwert … Euro zuzüglich Pauschale für unterhaltsberechtigte Kinder … Euro zuzüglich Pauschale für Schwerbehinderteneigenschaft … Euro Gesamtsozialplananspruch … Euro Den vorrechneten Betrag habe ich in die vorläufige Masseschuldtabelle aufgenommen. Eventuelle Einwendungen gegen die Berechnung bitte ich unverzüglich mitzuteilen. Ort, Datum
Der Vorteil einer frühzeitigen Unterrichtung der Arbeitnehmer besteht darin, dass zeitnah eventuelle Berechnungsfehler korrigiert werden können. Dane ben dienen die Schreiben als Grundlage für die Eingabe der Forderungen in die vorläufige Masseschuldtabelle.
182
Die Ansprüche aus Sozialplänen sind vererblich, wenn diese entstanden sind1. Die Ansprüche aus dem Sozialplan entstehen zu dem Zeitpunkt, in dem alle Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs eingetreten sind, d.h., der Sozialplan muss abgeschlossen und eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter ausgesprochen sein. Das Entstehen des Anspruchs auf die Sozialplanleistung muss entweder im Sozialplan geregelt sein2 oder ausdrücklich die Vererblichkeit der Sozialplanansprüche nach dem Abschluss des Sozialplans.
183
Enthält der Sozialplan zur Fälligkeit keine Regelung, wird die Abfindung am Ende des Arbeitsverhältnisses fällig3. Auch wenn der Sozialplan vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen wurde und der Anspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird, besitzt der Arbeitnehmer nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO (hierzu § 6 Rz. 278 ff.). Allein maßgeblich ist, dass der Sozialplananspruch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde4.
184
1 2 3 4
BAG v. 27. 6. 2006 – 1 AZR 322/05, NZA 2006, 1238 = ZIP 2006, 1836. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 181. BAG v. 30. 3. 2004 – 1 AZR 85/03, NZA 2004, 1183. BAG v. 27. 10. 1998 – 1 AZR 94/98, NZA 1999, 719 = ZIP 1999, 540.
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§ 12
Rz. 185
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
185
Da es sich bei dem Sozialplan um eine Betriebsvereinbarung i.S.v. § 77 BetrVG handelt, bedarf ein Verzicht auf Rechte aus einem Sozialplan der Zustimmung des Betriebsrats (§ 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG)1. Stellt jedoch die Abweichung von dem Sozialplan für den Arbeitnehmer objektiv die günstigere Regelung dar, ist entsprechend des Günstigkeitsprinzips der Verzicht zulässig2. Aus diesem Grunde ist es notwendig, dass bei Anrechnungsklauseln für Ansprüche nach §§ 9, 10 KSchG oder nach § 113 BetrVG diese Ansprüche auf den Sozialplananspruch angerechnet werden und nicht die Sozialplanansprüche auf die sonstigen Abfindungsleistungen. Andererseits kann der Arbeitnehmer auf bestehende Nachteilsansprüche, da es sich um Individualansprüche handelt, ohne Zustimmung des Betriebsrats verzichten. Eine analoge Anwendung von § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG scheidet aus3.
186
Im Sozialplan können – dieses geschieht selten – für Ansprüche auf Abfindungen und sonstige Leistungen Ausschlussfristen vereinbart werden4. Im Insolvenzverfahren ist eine solche Klausel überflüssig, da die Sozialplanansprüche als Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO) auch ohne deren Geltendmachung vom Insolvenzverwalter im Rahmen der Vorgaben des § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO zu erfüllen sind.
187
Es ist zulässig, die Ansprüche auf Nachteilsausgleich mit den Sozialplanabfindungen zu verrechnen, da eine Zweckidentität besteht. Beide Ansprüche sollen wirtschaftliche Nachteile der Arbeitnehmer infolge ihrer Entlassung aufgrund einer Betriebsstilllegung ausgleichen. Der weiter gehende Zweck des Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG, ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Insolvenzverwalters zu sanktionieren, schließt eine Verrechnung nicht aus5.
188
In der Insolvenz spielt die Verjährung keine Rolle, da die Masseschuldansprüche (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO) nicht zur Insolvenztabelle anzumelden sind. Bei Altsozialplänen (§ 124 InsO) und außerhalb der Insolvenz beträgt die Verjährungsfrist für Ansprüche aus dem Sozialplan, soweit der Sozialplan vor dem 1. 1. 2002 abgeschlossen und der Anspruch des Arbeitnehmers entstanden ist, nach § 195 a.F. BGB 30 Jahre (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Für Sozialplanansprüche, die nach dem 1. 1. 2002 entstanden sind, gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren nach § 195 n.F. BGB6.
189
Auch ohne gesonderte Regelung werden leitende Angestellte von den Regelungen des Sozialplanes nicht erfasst7. Auch nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz besteht keine Verpflichtung, die leitenden Angestellten in den Wirkungsbereich eines Sozialplanes einzubeziehen8.
1 2 3 4 5 6 7 8
BAG v. 31. 7. 1996 – 10 AZR 138/96, NZA 1997, 167. BAG v. 27. 1. 2004 – 1 AZR 148/03, BAGE 109, 244 = NZA 2004, 667 = ZIP 2004, 1165. BAG v. 23. 9. 2003 – 1 AZR 576/ 02, BAGE 107, 347 = NZA 2004, 440 = ZIP 2004, 627. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 184. BAG v. 20. 11. 2001 – 1 AZR 97/01, BAGE 99, 377 = NZA 2002, 992 = ZIP 2002. BAG v. 30. 10. 2001 – 1 AZR 65/01, BAGE 99, 266 = NZA 2002, 449. BAG v. 31. 1. 1979 – 5 AZR 454/77, BAGE 31, 266 = NJW 1979, 1621. BAG v. 16. 7. 1985 – 1 AZR 206/81, BAGE 49, 199 = NZA 1985, 713 = ZIP 185, 1285.
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Irschlinger
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 193 § 12
Die Zahlungen aufgrund eines Sozialplanes stellen Arbeitslohn dar und unterliegen somit der normalen Besteuerung im Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung1. Die Steuerbefreiung für die Abfindungen (§ 3 Nr. 9 EStG ) ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 entfallen, so dass die Frage, ob die Sozialplanleistungen als Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG zu werten sind, bedeutungslos wurde.
190
Überlässt der Arbeitnehmer dem Insolvenzverwalter keine Lohnsteuerkarte für das Auszahlungsjahr, erfolgt die Besteuerung nach Steuerklasse VI. Der Insolvenzverwalter hat eine Lohnsteuerbescheinigung entweder dem Arbeitnehmer oder dem Betriebsstättenfinanzamt einzureichen (§ 41b Abs. 1 Satz 4 und 5 EStG). Unabhängig von der Höhe der Sozialplanansprüche besteht keine Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Es handelt sich um Arbeitsentgelt i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und unterliegt nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung, obgleich die Zahlung der Lohn-/Einkommensteuer unterliegt2.
191
Die Ansprüche aus dem Sozialplan können wie Arbeitsentgelt gepfändet werden und unterliegen den Pfändungsbeschränkungen nach §§ 850 ff. ZPO3. Bei dem Sozialplananspruch des Arbeitnehmers handelt es sich um einmalige Bezüge i.S.v. § 850i Abs. 1 ZPO4. Der Pfändungsschutz wird nur auf Antrag des Arbeitnehmers gewährt (§ 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Antrag ist vor der Auszahlung beim Vollstreckungsgericht zu stellen. Der Antrag ist nicht fristgebunden5.
192
bb) Sozialplanmuster Sozialplan Zwischen
193
… im Folgenden „Insolvenzverwalter“ genannt und … im Folgenden „Betriebsrat“ genannt wird anlässlich der Betriebsänderung gemäß dem gesondert abgeschlossenen Interessenausgleich vom … folgender Sozialplan vereinbart:
1 Drenseck in Schmidt, EStG, § 19 Rz. 50. 2 BAG v. 9. 11. 1988 – 4 AZR 433/88, BAGE 60, 127 = NZA 1989, 271 = ZIP 1989, 125. 3 BAG v. 12. 9. 1979 – 4 AZR 420/77, BAGE 32, 96 (101 ff.) = NJW 1980, 800 = MDR 1980, 346. 4 BAG v. 13. 11. 1991 – 4 AZR 20/91, BAGE 69, 29 = NZA 1992, 384 = ZIP 1992, 494 = MDR 1992, 592. 5 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1235 ff.
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§ 12
Rz. 193
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
§ 1 Geltungsbereich Die Regelungen dieses Sozialplanes gelten für alle von den im Interessenausgleich angesprochenen Maßnahmen betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die am … (Stichtag) in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis standen. Ausgenommen hiervon sind Personen gemäß § 5 Abs. 2 BetrVG und leitende Angestellte gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, –
denen aus wichtigem Grund fristlos gekündigt wurde,
–
die unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis in ein ungekürztes Rentenverhältnis wechseln können.
§ 2 Sozialplanvolumen Unter Berücksichtigung von § 123 Abs. 1 InsO wird das Sozialplanvolumen auf … Euro festgesetzt. Die Parteien sind sich darüber einig, dass auf diesen Sozialplan § 123 Abs. 2 InsO Anwendung findet mit der Maßgabe, dass für die Berichtigung der Sozialplanansprüche nicht mehr als ? der für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehenden Insolvenzmasse verwendet werden darf. Die Parteien sind sich darüber einig, dass für den Fall, dass die Grenze von § 123 Abs. 2 InsO überschritten wird, eine Kürzung prozentual erfolgt. § 3 Sozialplanabfindung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis betriebsbedingt gekündigt wird, erhalten eine Abfindung, die sich wie folgt errechnet: 3.1 Aus dem Lebensalter, der Betriebszugehörigkeit und dem regelmäßigen monatlichen Bruttoverdienst (ohne Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge, zusätzliches Urlaubsgeld oder Jahressonderzahlungen etc.) wird ein Produkt ermittelt, dass dann dem individuellen Punktewert entspricht. Lebensalter:
Betriebszugehörigkeit:
Einkommen:
bis 35 Jahre
1 Punkt/Jahr
bis 45 Jahre
1,5 Punkte/Jahr
bis 55 Jahre
2 Punkte/Jahr
ab 56. Jahr
1 Punkt/Jahr
bis 10 Jahre
1 Punkt/Jahr
bis 20 Jahre
2 Punkte/Jahr
bis 30 Jahre
4 Punkte/Jahr
ab 31 Jahre
6 Punkte/Jahr
bis 2 500/Monat
1 je 50 brutto
ab 2 500/Monat
0,5 je 50 brutto
Berechnungsgrundlage ist der 3-monatige Durchschnitt, wie er bei der tariflichen Jahressonderzahlung zugrunde gelegt wurde, d.h. ohne Mehrarbeit, Mehrarbeitszuschläge, Urlaubsabgeltung und zusätzliches Unterhaltsgeld.
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Irschlinger
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 193 § 12
Kinderzuschlag:
pro auf der Lohnsteuerkarte eingetragenes unterhaltsberechtigtes Kind
250
Schwerbehindertenzuschlag:
nach dem Ausweis GdB 50 v.H. und mehr
500
Da das Sozialplanvolumen vorgegeben ist, berechnet sich die einzelne Abfindung wie folgt: 3.2 Errechnung der Gesamtpunktezahl aller Betroffenen nach dem unter 3.1 festgelegten Schlüssel; Sozialplanvolumen (abzüglich Schwerbehindertenpauschale und Kinderpauschale) dividiert durch die Gesamtpunktezahl = Punktwert. Punktewerte multipliziert mit der individuellen Punktezahl = individueller Abfindungsbetrag ohne eventuelle Zuschläge für unterhaltsberechtigte Kinder und Schwerbehinderteneigenschaft. 3.3 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch den Insolvenzverwalter gekündigt wurde, ist auf Wunsch ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu ermöglichen. Die hierdurch ersparte Bruttovergütung bis zum Auslauf der regulären Kündigungsfrist ist zu 50% als zusätzliche Abfindung zu zahlen. Berücksichtigt werden nur volle Kalendermonate. Für die Auszahlung gilt § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO. § 4 Fälligkeit Die Befriedigung der Sozialplanansprüche erfolgt nach insolvenzrechtlichen Vorschriften, wobei eine Abschlagszahlung erfolgen muss, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. § 5 Zeugnisse Auf Wunsch sind allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb von 14 Tagen nach dem Verlangen qualifizierte Zwischenzeugnisse/Zeugnisse zur Verfügung zu stellen. § 6 Erbansprüche Versterben Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf Abfindung aus dem Sozialplan haben, steht dieser Anspruch den Erbberechtigten zu. Die Ansprüche auf Sozialplanleistungen sind mit dem Abschluss des Sozialplanes entstanden. § 7 Schlussbestimmungen Widerspricht eine Vorschrift höherrangigem Recht, so bleibt die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen davon unberührt. Die unwirksame Bestimmung wird durch eine dieser Vorschrift angemessene Regelung ersetzt. Der Inhalt dieser Betriebsvereinbarung wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Aushang bekannt gegeben und auf Wunsch in Kopie ausgehändigt.
Irschlinger
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§ 12
Rz. 194
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Abfindungen, die aufgrund eines Gerichtsurteils zugesprochen werden, werden auf die Leistungen dieses Sozialplanes angerechnet. Dies gilt insbesondere auch für etwaige Ansprüche aus § 113 BetrVG. § 8 Hinweise Die Abfindungen dieses Sozialplanes sind sozialversicherungsfrei. Die Leistungen unterliegen ohne Begünstigung der Lohnsteuer. Die Regelungen dieses Sozialplanes treten mit Unterzeichnung in Kraft. Ort, Datum … …
…
(Insolvenzverwalter)
(Betriebsrat)
c) Beteiligung des Betriebsrats 194
Der Betriebsrat kann die Aufstellung eines Sozialplanes unabhängig von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung verlangen. In der Regel laufen die Verhandlungen über den Interessenausgleich und den Sozialplan parallel1.
195
Der Betriebsrat kann die Aufstellung eines Sozialplanes auch nach der Durchführung der Betriebsänderung durch den Insolvenzverwalter verlangen. Es ist hierbei unerheblich, ob sich der Insolvenzverwalter im gesetzlichen Umfang um einen Interessenausgleich bemüht hat oder nicht2. Auch wenn der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß aus Anlass der Betriebsänderung beteiligt wurde und Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer entstanden sind, bestehen dennoch Ansprüche aus einem Sozialplan und damit ein Anspruch auf Aufstellung eines Sozialplanes3.
196
Die Ämter der Betriebsräte enden mit der rechtlichen Beendigung des jeweiligen Arbeitsverhältnisses.
197
Bei einer Betriebsstilllegung ist bezüglich des Zeitpunktes des Amtsendes der Mitglieder des Betriebsrats zu beachten, dass dem Betriebsrat bei einer Betriebsstilllegung und damit einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG weitgehende Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte zustehen. Dem Betriebsrat ist in diesen Fällen zur Wahrnehmung der mit der Betriebsstilllegung in Zusammenhang stehenden Rechte und Befugnisse ein Restmandat (§ 21b BetrVG) zuzubilligen. Dieses Restmandat berechtigt den Betriebsrat zum Verlangen auf Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich, auf 1 BAG v. 20. 4. 1982 – 1 ABR 3/80, BAGE 38, 284 = ZIP 1982, 982 = NJW 1982, 2334. 2 BAG v. 15. 10. 1979 – 1 ABR 49/77, BB 1980, 524. 3 BAG v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (207) = NJW 1979, 774.
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Irschlinger
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 200 § 12
Aufstellung eines Sozialplanes1, erforderlichenfalls auch zur Anrufung der Einigungsstelle, Einleitung des Beschlussverfahrens sowie zur Änderung eines bestehenden und noch nicht vollständig abgewickelten Sozialsplans2. Das so genannte Restmandat des Betriebsrats führt jedoch nicht dazu, dass die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder über den Zeitpunkt der Betriebsstilllegung und/oder den Beendigungstermin hinaus fortgesetzt werden3. Lediglich ihr betriebsverfassungsrechtliches Amt mit den eingeschränkten Befugnissen dauert an mit der Konsequenz, dass den Betriebsratsmitgliedern deren Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG und im Rahmen des Erforderlichen der Sachaufwand nach § 40 Abs. 2 BetrVG als Masseverbindlichkeiten zu erstatten sind. Dieses Restmandat des Betriebsrats besteht auch dann, wenn die Betriebsänderung nach der Amtszeit des Betriebsrats, insbesondere nach Kündigung der Arbeitsverhältnisse aller Betriebsratsmitglieder (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG), erfolgt4. Das Restmandat des Betriebsrats wird nicht durch den Vorsitzenden oder seinen Stellvertreter im Amt ausgeübt, sondern durch alle Mitglieder des Betriebsrats5. Ein Sozialplan und der Interessenausgleich können somit wirksam nur durch alle Mitglieder des Betriebsrats unterzeichnet werden.
198
d) Dotierungsgrenzen aa) Absolute Grenze Das Sozialplanvolumen ist auf das 21/ 2fache des Monatsverdienstes der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt (§ 123 Abs. 1 InsO). Es handelt sich um einen Höchstbetrag. Das Überschreiten der absoluten Begrenzung führt zur Unwirksamkeit des Sozialplanes6; der Sozialplan ist absolut nichtig. Die Nichtigkeit beim Überschreiten der absoluten Begrenzung tritt ein sowohl für vereinbarte, als auch für Sozialpläne, welche von einer Einigungsstelle aufgestellt werden. Der nichtige Sozialplan ist sowohl gegenüber den Insolvenzgläubigern als auch gegenüber der Schuldnerin unwirksam.
199
Der nichtige Sozialplan führt nicht zum endgültigen Verlust von Arbeitnehmeransprüchen. Zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat ist ein neuer Sozialplan zu vereinbaren oder die Einigungsstelle muss neuerlich tätig werden. Aus einem nichtigen Sozialplan kann der begünstigte Arbeitnehmer keine Ansprüche herleiten. Dem Insolvenzverwalter ist eine Auszahlung, auch die Vornahme von Abschlagszahlungen nach § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO, verwehrt.
200
1 BAG v. 16. 6. 1987 – 1 AZR 528/85, BAGE 55, 344 (352) = NZA 1987, 858 = ZIP 1987, 1200. 2 BAG v. 5. 10. 2000 – 1 AZR 48/00, BAGE 96, 15 = NZA 2001, 849 = ZIP 2001, 1384. 3 BAG v. 14. 10. 1982 – 2 AZR 568/80, BAGE 41, 72 (83) = ZIP 1983, 1252 = MDR 1984, 82. 4 BAG v. 16. 6. 1987 – 1 AZR 528/85, BAGE 55, 344 (353) = NZA 1987, 858 = ZIP 1987, 1200 (1203). 5 BAG v. 14. 11. 1978 – 6 ABR 85/75, BB 1979, 522 = KTS 1979, 310. 6 Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 271.
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1287
§ 12
Rz. 201
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Die Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung (Sozialplan) und die Nichtigkeit eines Spruches der Einigungsstelle kann jederzeit, auch außerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG, geltend gemacht werden1. 201
Die Nichtigkeit eines abgeschlossenen Sozialplanes kann dadurch vermieden werden, dass im Sozialplan vereinbart wird, dass bei einem ungewollten Überschreiten der absoluten Obergrenze eine prozentuale Herabsetzung des Gesamtbetrages erfolgt. In der Regel werden die einzelnen Sozialplanleistungen nicht in Euro-Beträgen festgesetzt, sondern zulässigerweise2 nach einem Punktesystem ermittelt.
202
Vorgenommene Zahlungen auf einen nichtigen Sozialplan sind als ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) zurückzuverlangen, wobei mit dem Argument der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) zu rechnen ist. Sind die Leistungen auf den nichtigen Sozialplan ganz oder teilweise von den Arbeitnehmern nicht wieder zu erlangen, haftet der Insolvenzverwalter gemäß § 61 InsO auf Schadensersatz3. Da es sich um einen Gesamtschaden handelt, ist dieser von einem neu bestellten Insolvenzverwalter geltend zu machen (§ 92 Satz 2 InsO).
203
Bei der Berechnung des Monatsverdienstes i.S.v. § 10 Abs. 3 KSchG ist von dem regelmäßigen Verdienst der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer auszugehen. Entlassen i.S.v. § 123 Abs. 1 InsO sind auch diejenigen Arbeitnehmer, die Aufhebungsverträge schließen oder aufgrund der Betriebsänderung eine Eigenkündigung aussprechen. Für die Berechnung des Gesamtbetrages i.S.v. § 123 Abs. 1 InsO ist soll der maßgebliche Zeitraum der Monat der Betriebsänderung und nicht der Monat der Aufstellung des Sozialplanes4 sein. Näher liegt es, als maßgeblich den Monat zu wählen, in dem die einzelnen Arbeitsverhältnisse enden5.
204
Bei der Ermittlung des Sozialplanvolumens ist der individuelle Arbeitsverdienst der von der geplanten Entlassungsmaßnahme betroffenen Arbeitnehmer und nicht der Durchschnittsverdienst aller im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu ermitteln. Dieses ist durch die Formulierung „der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer“ eindeutig klargestellt. Durch den Verweis auf § 10 Abs. 3 KSchG ist klargestellt, dass Schwankungen im individuellen Arbeitsverdienst nicht berücksichtigt werden. Ein Minderverdienst durch Kurzarbeit oder ein Mehrverdienst durch gelegentliche Überstunden sind nicht zu berücksichtigen.
205
Neben der Grundvergütung gehören zu den Geldbezügen auch Zulagen wie Auslösungen, Nachtarbeits-, Schmutz-, Gefahren-, und Schichtzulagen, sofern diese regelmäßig in der Vergangenheit angefallen sind.
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Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 307. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 270. BGH v. 5. 10. 1989 – IX ZR 233/87, NJW-RR 1990, 45 = MDR 1990, 239. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 17. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 265.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 212 § 12
Als Teil des individuellen Monatsverdienstes sind Jahressonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, Abschlussvergütungen, zusätzliches Urlaubsgeld und Sachbezüge zu berücksichtigen. Die Sachbezüge sind mit dem Marktwert und nicht nach steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Sätzen in Ansatz zu bringen1.
206
Die private Nutzungsmöglichkeit eines Dienstwagens ist mit dem konkreten Nutzungswert2 zu bewerten. Spesen, Fahrtkostenzuschüsse und sonstige Aufwandsentschädigungen bleiben außer Ansatz, da es sich insoweit um kein erarbeitetes Arbeitsentgelt handelt. Eine Jahressonderzahlung und ein zusätzliches Urlaubsgeld sind zeitanteilig mit 1/12 pro Monat zu berücksichtigen, wenn ein einzelvertraglicher oder tariflicher Rechtsanspruch besteht3. Der im Rahmen von § 123 Abs. 1 InsO zu berücksichtigende Monatsverdienst ist der Bruttobetrag ohne Kürzung durch Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeträge.
207
Die absolute Obergrenze des Sozialplanvolumens i.S.v. § 123 Abs. 1 InsO ergibt sich durch Addition der ermittelten individuellen Monatsverdienste der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und Multiplikation mit dem Maximalfaktor von 2,5.
208
Da leitende Angestellte i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG von einem Sozialplan nicht erfasst werden4, sind deren Monatsverdienste im Rahmen von § 10 Abs. 3 KSchG nicht zu berücksichtigen. Anderseits sind die Entgelte von Teilzeitbeschäftigten und Heimarbeitern zu berücksichtigen, da auch im Rahmen von § 123 Abs. 1 InsO der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff nach § 5 BetrVG heranzuziehen ist5.
209
bb) Relative Grenze Ebenso wie bei § 4 Satz 2 SozPlG darf für Zahlungen auf Sozialplanforderungen nicht mehr als ? der Insolvenzmasse i.S.v. § 35 InsO verwandt werden (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die relative Begrenzung nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO findet nur bei einer Verteilung der Insolvenzmasse nach §§ 187 –206 InsO Anwendung; in einem Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) muss weder die absolute noch die relative Begrenzung berücksichtigt werden (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO).
210
Reicht das vorhandene Drittel der verteilbaren Insolvenzmasse zur Erfüllung der Sozialplanforderungen nicht aus, erfolgt kraft Gesetzes (§ 123 Abs. 2 Satz 3 InsO) eine anteilige Kürzung der Sozialplanansprüche. Der nicht erfüllte Teilbetrag des Sozialplananspruches erlischt6.
211
Bei mehreren Sozialplänen bezieht sich die relative Grenze auf die Gesamtsumme aller Forderungen aus diesen Sozialplänen. Etwas anderes gilt nur
212
1 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 123 Rz. 16. 2 BAG v. 16. 11. 1995 – 8 AZR 240/95, BAGE 81, 294 = NZA 1996, 415 = NJW 1996, 1771. 3 Neef in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 10 Rz. 10. 4 BAG v. 16. 7. 1985 – 1 AZR 206/81, BAGE 49, 199 = NZA 1985, 713 = ZIP 1985, 1285. 5 Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 16. 6 Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 123 Rz. 20.
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§ 12
Rz. 213
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
dann, wenn Ansprüche aus einem Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) und Ansprüche aus einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 123 InsO) aufgestellten Sozialplan bestehen. Der Altsozialplan ist bei der relativen Begrenzung nicht zu berücksichtigen, da es sich bei Forderungen aus Altsozialplänen um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO handelt und sich die Verteilungsanweisung nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO nur auf Sozialpläne bezieht, aus denen Masseverbindlichkeiten resultieren (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO)1. e) Einigungsstellenverfahren aa) Allgemeines 213
Ist der Sozialplan erzwingbar und können sich der Insolvenzverwalter und Betriebsrat nicht auf einen Sozialplan einigen, ist die Einigungsstelle anzurufen (§ 112 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Für die Bildung und Zusammensetzung der Einigungsstelle gelten mangels abweichender Regelungen in der InsO die Bestimmungen des BetrVG. Der obligatorische Vermittlungsversuch des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit (§ 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) jedoch entfällt auf Antrag einer der Betriebsparteien (§ 121 InsO).
214
Der Insolvenzverwalter ist zur Benennung von Insolvenzgläubigern als Einigungsstellenbeisitzer, im Gegensatz zum Insolvenzantragsverfahren, nicht verpflichtet, da die Interessen der Gläubiger ausreichend durch die Regelungen in §§ 123, 124 InsO gewahrt sind2.
215
Die Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle ist gesetzlich nicht geregelt. Im Regelfall ist eine Besetzung mit 2 Beisitzern erforderlich und ausreichend3. Die Beisitzer müssen weder unparteiisch sein noch dem insolventen Betrieb angehören. Die Bestellung von Verbandsvertretern ist sowohl auf Seiten des Insolvenzverwalters als auch des Betriebsrats zulässig4. Kommt eine Einigung über die Anzahl der Beisitzer auf Seiten des Insolvenzverwalters und des Betriebsrats nicht zustande, so sind diese gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 3 BetrVG durch das Arbeitsgericht zu bestellen.
216
Wird über die Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle, der im Gegensatz zu den Beisitzern unparteiisch (§ 76 Abs. 2 BetrVG) sein muss, kein Einvernehmen erzielt, so ist auch er durch das Arbeitsgericht gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zu bestellen.
217
Der Vorsitzende der Einigungsstelle kann, gleichgültig ob er einvernehmlich bestellt oder durch das Gericht bestellt wurde, wegen Besorgnis der Befangenheit in entsprechender Anwendung von §§ 42, 1032 ZPO abgelehnt werden5. 1 A.A. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 32. 2 BAG v. 6. 5. 1986 – 1 AZR 553/84, BAGE 52, 24 = NZA 186, 800 = ZIP 1986, 1202 = MDR 1986, 1052. 3 LAG München v. 15. 7. 1991 – 4 Ta BV 27/91, NZA 1992, 185. 4 BAG v. 14. 12. 1988 – 7 ABR 73/87, NZA 1989, 515 = ZIP 1989, 462. 5 BAG v. 9. 5. 1995 – 1 ABR 56/94, BAGE 80, 104 = NZA 1996, 156; BAG v. 11. 9. 2001 – 1 ABR 5/01, BAGE 99, 42 = NZA 2002, 572 = ZIP 2002, 541.
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Rz. 221 § 12
Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Da das BAG § 1032 Abs. 1 ZPO analog anwendet, verliert derjenige Betriebspartner, der sich auf die Verhandlung in der Einigungsstelle rügelos einlässt, obwohl ihm die Ablehnungsgründe bekannt sind, sein Ablehnungsrecht. Über den Befangenheitsantrag entscheidet wiederum das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren nach § 98 ArbGG. bb) Kosten Die Kosten der Einigungsstelle sind Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Kosten der Einigungsstelle und damit auch die Kosten des Vorsitzenden sowie der Beisitzer trägt somit die Insolvenzmasse (§ 76a Abs. 1 BetrVG). Voraussetzung für diese Kostentragungspflicht der Insolvenzmasse ist, dass die Kosten für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben der Einigungsstelle erforderlich und verhältnismäßig sind1. Auch wenn betriebsfremde Einigungsstellenbeisitzer verpflichtet sind, das Honorar ganz oder teilweise an ihren Arbeitgeber oder an die sie beschäftigende Gewerkschaft abzuführen, bleibt der Vergütungsanspruch zu Lasten der Insolvenzmasse erhalten2.
218
Für Beisitzer der Einigungsstelle, die dem schuldnerischen Betrieb angehören, entfällt kraft Gesetzes ein Vergütungsanspruch (§ 76a Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Kommt es zu keiner vertraglichen Absprache, die dringend zu empfehlen ist, zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Vorsitzenden der Einigungsstelle über die Höhe der Vergütung, so setzt der Vorsitzende der Einigungsstelle gemäß §§ 315, 316 BGB die Höhe seiner Vergütung nach billigem Ermessen fest. Die Vergütung bemisst sich nicht nach einem Gegenstandswert, sondern nach dem erforderlichen Zeitaufwand, der Schwierigkeit des Streitthemas und der Höhe eines eventuellen Verdienstausfalls3 (§ 76a Abs. 4 Satz 3 BetrVG). Der Honoraranspruch des Vorsitzenden der Einigungsstelle orientiert sich nicht an § 9 JVEG oder § 13 VV 2100 RVG. Bei mittlerer Schwierigkeit ist ein Stundensatz von 150 Euro angemessen4. Der Stundensatz kann je nach Schwierigkeit nach oben oder unten abweichen.
219
Die Vergütung wird nach der Beendigung der Tätigkeit der Einigungsstelle fällig, so dass weder der Vorsitzende noch die Beisitzer einen Anspruch auf eine Vorschussleistung besitzen.
220
Sind der Vorsitzende oder die Beisitzer ihrerseits umsatzsteuerpflichtig, so haben sie Anspruch auf Erstattung der auf die Vergütung zu zahlenden Umsatzsteuer5.
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Die Vergütung der Beisitzer ist generell niedriger zu bemessen als diejenige des Vorsitzenden (§ 76a Abs. 4 Satz 4 BetrVG). Es entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die Beisitzer jeweils 7/10 des Honorars des Vorsit-
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BAG v. 13. 11. 1991 – 7 ABR 70/90, NZA 1992, 459. BAG v. 14. 12. 1988 – 7 ABR 73/87, NZA 1989, 515 = ZIP 1989, 462. Fitting, BetrVG, § 76a Rz. 19–29. BAG v. 28. 8. 1996 – 7 ABR 42/95, NZA 1997, 222. BAG v. 14. 2. 1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1986, 1225.
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§ 12
Rz. 222
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
zenden der Einigungsstelle erhalten1. An dieser Rechtslage hat sich durch die Neuregelung von § 76a BetrVG zum 1. 1. 1989 nichts geändert, da der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung von der Verordnungsermächtigung in § 76a Abs. 4 Satz 1 BetrVG bislang keinen Gebrauch gemacht hat2. 222
Sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Betriebsrat können sich in der Einigungsstelle anwaltlich vertreten lassen. In der anwaltlichen Vertretung des Insolvenzverwalters liegt ein Indiz für die Schwierigkeit von Rechts- und Sachfragen, so dass in der Regel der Betriebsrat seine anwaltliche Vertretung ebenfalls für erforderlich erachten darf. Er kann nach ordnungsgemäßer Einladung zur Betriebsratssitzung und Beschlussfassung in der Betriebsratssitzung die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters beschließen3, sofern die Zuziehung notwendig ist. Um die Kosten eines Einigungsstellenverfahrens zu minimieren, empfiehlt es sich deshalb, dass der Insolvenzverwalter oder von ihm beauftragte Dritte nicht als anwaltlicher Vertreter in der Einigungsstelle tätig wird, sondern als Beisitzer. Die Kosten des durch den Betriebsrat hinzugezogenen Rechtsanwalts stellen keine Kosten der Einigungsstelle dar4. Es handelt sich um Kosten der Betriebsratstätigkeit i.S.v. § 40 Abs. 1 BetrVG5.
223
Die Höhe des Honorars des anwaltlichen Vertreters ist nach § 65 BRAGO, § 17 Nr. 7d VV 2403 RVG zu ermitteln6. Ist das Sozialplanvolumen, wie dieses regelmäßig der Fall ist, zwischen den Betriebspartnern streitig, so ergibt sich der Gegenstandswert aus der Differenz der von den Betriebspartnern vorgeschlagenen Sozialplanvolumina7. Kommt es im Einigungsstellenverfahren zu einer Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan, so handelt es sich um keinen Vergleich i.S.v. § 779 BGB. Da die Einigungsgebühr keinen Vergleich iSv § 779 BGB voraussetzt, sondern nur eine vertragliche Streitbeilegung8, entsteht für den Vertreter des Insolvenzverwalters und des Betriebsrats die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG.
224
Besteht zwischen dem Insolvenzverwalter und dem von ihm beauftragten anwaltlichen Vertreter über Grund und/oder Höhe der geschuldeten Vergütung für die anwaltliche Vertretung des Insolvenzverwalters in der Einigungsstelle Streit, so ist dieser Streit vor den ordentlichen Gerichten auszutragen. Hingegen ist über die Kosten des Rechtsanwalts, der ordnungsgemäß durch Beschluss des Betriebsrats zu dessen Vertretung in der Einigungsstelle beauftragt wurde, im Beschlussverfahren zu entscheiden9. Gleiches gilt für die Ver1 BAG v. 3. 5. 1984 – 6 ABR 60/80, NZA 1984, 330; BAG v. 14. 2. 1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225. 2 BAG v. 12. 2. 1992 – 7 ABR 20/91, BAGE 69, 331 = NZA 1993, 605 (607) = ZIP 1993, 525. 3 BAG v. 4. 12. 1979 – 6 ABR 37/76, BB 1980, 938 = DB 1980, 2091. 4 BAG v. 21. 6. 1989 – 7 ABR 7/87, BAGE 62, 139 = NZA 1990, 107 = MDR 1990, 185. 5 BAG v. 21. 6. 1989 – 7 ABR 78/87, BAGE 62, 139 = NZA 1990, 107 = MDR 1990, 185. 6 BAG v. 14. 2. 1996 – 7 ABR 25/95, NZA 1996, 892. 7 A.A. LAG Schleswig-Holstein v. 6. 2. 2002 – 2 Ta 145/01, BB 2002, 1224. 8 BGH v. 10. 10. 2006 – VI ZR 280/05, BB 2006, 2779. 9 BAG v. 5. 11. 1981 – 6 ABR 24/78, BB 1982, 806.
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Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren
Rz. 228 § 12
gütungsansprüche des Vorsitzenden der Einigungsstelle und der unternehmensfremden Beisitzer1. Die Honorardurchsetzungskosten des Vorsitzenden der Einigungsstelle und der Einigungsstellenbeisitzer zählen nicht zu den Kosten der Einigungsstelle nach § 76a Abs. 1 BetrVG2, sind jedoch als Verzugsschaden (§ 286 Abs. 1 BGB) erstattungsfähig. Dieser materielle Kostenerstattungsanspruch erfährt durch § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG keine Einschränkung3.
225
f) Befriedigung der Sozialplanansprüche Kraft gesetzlicher Regelung handelt es sich bei den Sozialplanansprüchen um Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die relative Begrenzung nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO bedingt, dass vor einer Ausschüttung auf die Sozialplanforderungen zunächst sämtliche Masseverbindlichkeiten nach §§ 53 –55 InsO getilgt oder zumindest deren Tilgung sicher sein muss. Gleiches gilt auch für die Vornahme von Abschlagsverteilungen nach § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO auf die Sozialplanansprüche.
226
Als Masseverbindlichkeiten sind die Sozialplanansprüche nicht zur Insolvenztabelle nach § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO anzumelden (vgl. § 6 Rz. 263 ff.). Da hierdurch eine Forderungsprüfung und damit die Benachrichtigung der Arbeitnehmer als Gläubiger von einem Prüfungsergebnis entfällt, teilt zweckmäßigerweise der Insolvenzverwalter dem einzelnen Arbeitnehmer den individuell ermittelten Sozialplananspruch unter Darlegung der Berechnungsgrundlage mit, zumal der Arbeitnehmer gemäß § 242 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter ohnehin Auskunftsansprüche zur Ermittlung der Berechnungsgrundlagen für die Sozialplanansprüche besitzt (vgl. Rz. 181). Der Abschluss des Sozialplanes stellt eine Handlung des Insolvenzverwalters i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, so dass hieraus Masseverbindlichkeiten resultieren und das zeitlich befristete Vollstreckungsverbot nach § 90 Abs. 1 InsO nicht eingreift. Aus diesem Grunde und wegen der Nachrangigkeit der Sozialplanansprüche nach allen sonstigen Masseverbindlichkeiten nach §§ 53–55 InsO, musste zwingend die generelle Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung wegen einer Sozialplanforderung (§ 123 Abs. 3 Satz 2 InsO) angeordnet werden.
227
Sofern die übrigen Masseverbindlichkeiten getilgt oder deren Tilgung sichergestellt ist, hat der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Zustimmung zur Vornahme von Abschlagszahlungen auf die Sozialplanansprüche beim Insolvenzgericht zu stellen (§ 123 Abs. 3 Satz 1 InsO). Er hat im Rahmen dieses Antrages darzulegen, dass die Masseverbindlichkeiten nach §§ 53–55 InsO entweder befriedigt sind oder deren Befriedigung gesichert ist. Verstößt der Insolvenzverwalter schuldhaft gegen die Verpflichtung, die Zustimmung zur Abschlagsverteilung beim Insolvenzgericht einzuholen, so kann der einzelne Sozialplangläubiger zunächst Aufsichtsmaßnahmen des Insolvenzgerichtes nach § 58
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1 BAG v. 12. 2. 1992 – 7 ABR 20/91, BAGE 69, 331 = NZA 1993, 605 = ZIP 1993, 525. 2 BAG v. 27. 7. 1994 – 7 ABR 10/93, BAGE 77, 273 = NZA 1995, 545 = ZIP 1995, 499. 3 BAG v. 27. 7. 1994 – 7 ABR 10/93, BAGE 77, 273 = NZA 1995, 545 = ZIP 1995, 499.
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§ 12
Rz. 229
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
InsO anregen. Daneben besitzt der Sozialplangläubiger gegen den Insolvenzverwalter persönliche Schadensersatzansprüche in Höhe seines Zinsschadens. Ist der Arbeitnehmer der Ansicht, dass er zu Unrecht nicht im Sozialplan berücksichtigt wurde, oder wenn er höhere Sozialplanansprüche begehrt, entscheidet hierüber das Arbeitsgericht im Urteilsverfahren1. Es ist Feststellungsklage zu erheben2, es sei denn, dass die Sozialplanansprüche bereits teilweise oder in voller Höhe erfüllt wurden. 229
Mit dem Eingang der Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder der drohenden Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO) beim Insolvenzgericht steht wegen der Rangfolge des § 209 InsO fest, dass auf die nach allen Masseverbindlichkeiten einzuordnenden Masseverbindlichkeiten aus einem Sozialplan keinerlei Dotierung erfolgten wird. Ist ein Sozialplan zum Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch nicht aufgestellt oder gar die Verhandlungen hierüber noch nicht aufgenommen, so ist das Verlangen des Betriebsrats auf Aufstellung eines Sozialplanes rechtsmissbräuchlich, da durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit feststeht, dass auf Sozialplanansprüche keine Ausschüttung erfolgen kann (zur Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vgl. § 6 Rz. 350 f.). Sollte es sich im Nachhinein ergeben, dass die Insolvenzmasse dennoch zulänglich war oder zulänglich wurde, kann der Betriebsrat aufgrund seines Restmandates (§ 21b BetrVG) immer noch die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplanes fordern und beim Scheitern der Verhandlungen oder einer Weigerung des Insolvenzverwalters, Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplanes aufzunehmen, die Einigungsstelle anrufen. Der Abschluss eines Sozialplanes nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit würde dem Gericht oder im Falle der Übertragung der Zustellungen analog § 8 Abs. 3 InsO auf den Insolvenzverwalter zu überflüssiger Mehrarbeit und Kosten führen, da alle Massegläubiger von der Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch Zustellung zu unterrichten sind (§ 208 Abs. 2 Satz 2 InsO).
IV. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) 1. Allgemeines 230
Sozialpläne haben generell die Wirkung einer Betriebsvereinbarung (§ 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG), so dass die Betriebsvereinbarung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ordentlich mit einer Frist von drei Monaten (§ 120 Abs. 1 Satz 2 InsO) oder außerordentlich (§ 120 Abs. 2 InsO) gekündigt werden kann. Eine Kündigungsmöglichkeit nach § 120 InsO hätte jedoch dazu geführt, dass der gekündigte Sozialplan gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung (Sozialplan) nachgewirkt hätte. Eine Nachwirkung besteht bei erzwingbaren Betriebsvereinbarungen, also bei Betriebsvereinbarungen, bei denen der Spruch der Einigungsstelle die fehlende Einigung zwi1 BAG v. 17. 10. 1989 – 1 ABR 75/88, BAGE 63, 152 = NZA 1990, 441. 2 BAG v. 29. 10. 2002 – 1 AZR 80/82, ZIP 2003, 1414.
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Rz. 234 § 12
Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO)
schen dem Insolvenzverwalter und Betriebsrat ersetzen kann1. Zu diesen erzwingbaren Betriebsvereinbarungen gehören Sozialpläne2, sofern nicht die Voraussetzungen nach § 112a BetrVG gegeben sind. Um diese Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG auszuschließen, war die Regelung in § 124 InsO bezüglich der vor Verfahrenseröffnung abgeschlossenen Sozialpläne erforderlich. Im Ergebnis ist folglich § 124 InsO lex spezialis zu § 120 InsO.
2. Widerruf Grundsätzlich bleibt der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarte oder durch einen Spruch der Einigungsstelle aufgestellte Sozialplan in Kraft. Wurde der Sozialplan vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem Zeitraum von nicht länger als drei Monaten vor der Insolvenzantragstellung vereinbart oder in diesem Zeitraum durch einen Spruch der Einigungsstelle aufgestellt, kann ein solcher Sozialplan sowohl von dem Insolvenzverwalter als auch von dem Betriebsrat widerrufen werden (§ 124 Abs. 1 InsO). Sind mehrere Insolvenzanträge gestellt worden, so ist analog zu § 139 Abs. 2 InsO der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich. Anträge, die sich durch Zahlung an den antragstellenden Gläubiger oder durch Antragsrücknahme erledigt haben, bleiben unberücksichtigt3.
231
Voraussetzungen für den Widerruf sind:
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–
Eröffnung des Insolvenzverfahrens,
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Aufstellung des Sozialplanes innerhalb der Zeitspanne von drei Monaten vor dem maßgeblichen Eröffnungsantrag.
Die Fristen für die Aufstellung des Sozialplanes und für den Antrag auf Insolvenzeröffnung berechnen sich nach §§ 187, 188 BGB4. Die Aufstellung des Sozialplanes ist erfolgt, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat geeinigt haben und der Sozialplan von beiden Betriebspartnern unter Wahrung des Schriftformerfordernisses (§ 126 BGB) unterzeichnet ist. Wird der Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellt, so kommt dieser durch den in der Einigungsstelle verkündeten Beschluss zustande, wenn bei der Verkündung beide Betriebspartner anwesend sind. Der Spruch und damit der Beschluss muss deshalb im Protokoll vermerkt werden. Sind Arbeitgeber und/ oder Betriebsrat nicht anwesend, so ist der Sozialplan mit Zugang des Spruches aufgestellt (§ 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG). Maßgeblich ist bei unterschiedlichen Zugangsdaten das spätere Datum.
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Von § 124 InsO werden auch diejenigen Sozialpläne erfasst, die zwischen dem Eröffnungsantrag und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Beteiligung
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Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 178. BAG v. 10. 8. 1994 – 10 ABR 61/93, BAGE 77, 313 = NZA 1995, 314. BGH v. 20. 11. 2002 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 292.
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§ 12
Rz. 235
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
des vorläufigen Insolvenzverwalters auf Seiten des Arbeitgebers abgeschlossen wurden1. Sozialpläne, welche früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden sind, werden durch § 124 InsO nicht erfasst. Die nicht erfüllten Ansprüche aus solchen Sozialplänen bleiben Insolvenzforderungen nach § 38 InsO.
3. Widerrufsberechtigung 235
Der Widerruf kann sowohl von dem Insolvenzverwalter als auch von dem Betriebsrat erklärt werden. Besitzt der Betriebsrat nur noch das so genannte Restmandat (§ 21b BetrVG), ist der Widerruf nur wirksam, wenn er von allen Betriebsratsmitgliedern erklärt wird. Eine besondere Form für den Widerruf besteht nicht2. Wird der Widerruf durch den Betriebsrat auf Grund seines Restmandats erklärt, erfordert diese Erklärung aus praktischen Gründen die Schriftform.
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Für den Insolvenzverwalter besteht im Normalfall kein Zwang zum Widerruf eines Altsozialplanes.
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Wurde jedoch der Sozialplan zwischen dem Betriebsrat und einem vorläufigen Insolvenzverwalter, auf welchen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen war, abgeschlossen mit der Folge, dass die Verbindlichkeiten aus diesem Sozialplan nach Verfahrenseröffnung Masseverbindlichkeiten darstellen (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO), hat der Insolvenzverwalter diesen Sozialplan zu widerrufen, wenn die absolute Grenze des § 123 Abs. 1 InsO überschritten ist. Unterlässt der Insolvenzverwalter in einem solchen Falle den Widerruf, so macht er sich persönlich (§ 60 InsO) schadensersatzpflichtig.
238
Widerruft der Insolvenzverwalter einen Altsozialplan, aus welchem Insolvenzforderungen nach § 38 InsO resultieren, weil der Sozialplan von dem Schuldner oder dem Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossen wurde, so macht er sich regelmäßig schadensersatzpflichtig, da der neu abgeschlossene oder von der Einigungsstelle aufgestellte Sozialplan zu Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO) führt und somit automatisch die Gläubiger mit Insolvenzforderungen nach § 38 InsO benachteiligt. Dieses gilt auch dann, wenn durch den Altsozialplan die absoluten Grenzen nach § 123 Abs. 1 InsO überschritten werden. Auch eine erhebliche Überschreitung der absoluten Grenze von § 123 Abs. 1 InsO nötigt und berechtigt den Insolvenzverwalter erst dann zum Widerruf, wenn sich bei einem neu abgeschlossenen Sozialplan trotz der hierdurch begründeten Masseverbindlichkeiten die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger mit Forderungen nach § 38 InsO verbessern.
1 BAG v. 20. 11. 1984 – 1 ABR 59/80, BAGE 47, 214 = NZA 1985, 227 = ZIP 1985, 429 = MDR 1985, 523. 2 Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 157.
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Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO)
Rz. 244 § 12
Der Insolvenzverwalter hat auch Altsozialpläne zu widerrufen, deren Aufstellung nicht erzwungen werden konnten (§ 112a BetrVG). In diesem Falle kann als Folge des Widerrufes keine Masseverbindlichkeit durch einen neuen Sozialplan entstehen, da dessen Aufstellung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls nicht erzwungen werden kann.
239
Das Unterlassen des Widerrufes durch den Insolvenzverwalter führt nicht zu Masseverbindlichkeiten, da §§ 123, 124 InsO eine in sich geschlossene, lückenlose Regelung bilden1 und eine Pflicht zum Handeln des Insolvenzverwalters nicht besteht2.
240
Besitzt der Betriebsrat noch ein Restmandat, so ist entgegen § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG der Widerruf nicht an den Vorsitzenden des Betriebsrats oder seinen Stellvertreter im Amt, sondern an alle Betriebsratsmitglieder zu richten, da das Restmandat von dem Betriebsrat als Ganzem wahrgenommen wird. Im Planverfahren (§§ 217 ff. InsO) wird regelmäßig eine Anpassung eines Altsozialplanes erforderlich werden. Auch im Planverfahren sind zum Widerruf ausschließlich der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat, nicht jedoch der Schuldner oder die Verfahrensbeteiligten, berechtigt. Zum Insolvenzplanverfahren ausführlich, vgl. § 13 Rz. 1 ff.).
241
Der Betriebsrat wird einen Altsozialplan dann widerrufen, wenn die Zahlungsverpflichtungen aus diesem Sozialplan durch den Schuldner ganz oder in erheblichem Umfange nicht erfüllt wurden. Die Forderungen der Arbeitnehmer aus Altsozialplänen, welche nicht von einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) abgeschlossen wurden, stellen im eröffneten Insolvenzverfahren Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar. Dieses gilt auch dann, wenn der Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, auf welchen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht übergegangen war, einen Sozialplan abgeschlossen hat3.
242
Der Betriebsrat wird ferner auch dann einen Altsozialplan widerrufen, wenn die Leistungen aus diesem weitestgehend vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden, der Sozialplan jedoch wesentlich unterhalb der Grenzen des § 123 Abs. 1 InsO, eventuell wegen der sich bereits abzeichnenden Insolvenz, dotiert war. Die an die Arbeitnehmer erbrachten Leistungen sind bei der Berechnung des Sozialplanvolumens anzurechnen (§ 124 Abs. 3 Satz 2 InsO).
243
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Betriebsrat auf den Widerruf des Sozialplans verzichten4. Gleichgültig, wer den Sozialplan widerruft, können die auf den widerrufenen Sozialplan erbrachten Leistungen nicht zurückgefordert werden (§ 124 Abs. 3 Satz 1 InsO). Der Ausschluss der Rückforderbarkeit schließt jedoch nicht aus, dass beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bezüglich der an die Arbeitnehmer 1 2 3 4
BAG v. 31. 7. 2002 – 10 AZR 275/01, ZInsO 2002, 998. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 477 f. BAG v. 20. 11. 1984 – 1 ABR 59/80, BAGE 47, 214 = NZA 1985, 227 = ZIP 1985, 429. LAG Köln v. 17. 10. 2002 – 5(4) TaBV 44/02, NZI 2003, 335.
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§ 12
Rz. 245
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
ausbezahlten Beträge der Insolvenzverwalter gemäß §§ 130 ff. InsO die Anfechtung erklärt1. Der Insolvenzverwalter ist naturgemäß bei einer Anfechtung nach §§ 130 ff. InsO dem Einwand der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) ausgesetzt, wobei für den Wegfall der Bereicherung der Arbeitnehmer darlegungsund beweispflichtig ist2 (zur Anfechtung vgl. § 10 dieses Buches). 245
Die Arbeitnehmer, welche durch die Leistungsversprechen aus dem widerrufenen Sozialplan begünstigt waren, müssen nicht zwingend in dem neuen Sozialplan, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen dem Betriebsrat und dem Insolvenzverwalter abzuschließen oder durch die Einigungsstelle aufzustellen ist, berücksichtigt werden (§ 124 Abs. 2 InsO). Die Nichtberücksichtigung dieser Arbeitnehmer kann z.B. dadurch erfolgen, dass eine dem Insolvenzereignis nähere Stichtagsregelung gewählt wird und hierdurch einzelne Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des neuen Sozialplanes herausfallen. Durch eine neue Stichtagsregelung wird weder § 75 BetrVG noch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz verletzt. Die Vereinbarung von Stichtagen in Sozialplänen ist üblich und grundsätzlich zulässig, solange die Wahl des Zeitpunktes sachlich vertretbar3 und nicht willkürlich ist.
246
Ein Vertrauensschutz, wonach einmal entstandene Sozialplanansprüche bestehen bleiben, existiert nicht. Ein Sozialplan kann nichtig sein oder ein Spruch der Einigungsstelle kann wegen Ermessensüberschreitung (§ 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG) durch das Arbeitsgericht aufgehoben werden. Der mangelnde Vertrauensschutz ist auch nicht unbillig4.
247
Kraft gesetzlicher Regelung sind die vorgenommenen Leistungen auf einen Altsozialplan auf die Höchstgrenze nach § 123 Abs. 1 InsO insoweit anzurechnen, wie die Arbeitnehmer in dem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen Sozialplan aufgeführt sind (§ 124 Abs. 3 Satz 2 InsO).
248
Kommt zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat keine Einigung darüber zustande, welche Arbeitnehmer, die in dem widerrufenen Sozialplan begünstigt waren, in den neu abzuschließenden Sozialplan durch Wahl des Stichtages aufgenommen werden, entscheidet hierüber wiederum gemäß § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG eine Einigungsstelle.
249
Für den Widerruf nach § 124 InsO besteht keine Frist. Da es sich bei dem Widerruf um keine außerordentliche Kündigung handelt, ist § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erkennbar unanwendbar. Eine Analogie zu § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG scheidet gleichfalls aus. Die zeitliche Grenze für den Widerruf zieht allein § 242 BGB5. Mangels einer Widerrufsfrist ist es durchaus legitim, wenn seitens des Betriebsrats die Entscheidung über den Widerruf solange aufgeschoben wird, bis Klarheit über den Umfang der Insolvenzmasse und damit der Befriedigungsaussichten der Arbeitnehmer aufgrund eines neuen Sozialplanes besteht.
1 2 3 4 5
Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 17. BGH v. 10. 2. 1999 – VIII ZR 314/97, NJW 1999, 1181 = MDR 1999, 695. BAG v. 30. 11. 1994 – 10 AZR 578/93, NZA 1995, 492 = ZIP 1995, 765. BAG v. 10. 8. 1994 – 10 ABR 61/93, BAGE 77, 313 (329) = NZA 1995, 314. Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 124 Rz. 13.
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Irschlinger
Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 252 § 12
V. Kündigung der Dienstverhältnisse 1. Allgemeines Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Die Dienstverhältnisse bestehen mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort (§ 108 Abs. 1 Satz 1 InsO)1 (vgl. § 8 Rz. 174 ff.).
250
Vereinbarungen in einem Arbeitsvertrag, welche für den Insolvenzfall die automatische Vertragsbeendigung oder für den Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung normieren würden, sind unwirksam, da sämtliche Lösungsklauseln, welche die Rechtswirkungen von §§ 103 –118 InsO ausschließen oder beschränken, unwirksam sind (§ 119 InsO). Bezüglich der Dienstverhältnisse besteht kein Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO (hierzu § 8 Rz. 10 ff.), sondern anstelle des Wahlrechtes tritt die Kündigungsberechtigung nach § 113 InsO.
2. Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse a) Kündigungsfrist Von § 113 Satz 1 InsO werden alle Dienstverhältnisse i.S.v. § 611 BGB umfasst, so z.B.: –
Arbeiter und Angestellte i.S.v. § 612 Abs. 1 BGB,
–
Ausbildungsverhältnisse nach dem BBiG,
–
weiterbeschäftigte Rentner,
–
Studenten,
–
Aushilfsarbeitsverhältnisse,
–
Teilzeitarbeitsverhältnisse,
–
Abrufarbeitsverhältnisse,
–
Probearbeitsverhältnisse.
Durch § 113 InsO wird kein besonderer Kündigungsgrund geschaffen, sondern es werden lediglich die Kündigungsfristen nach §§ 621, 622 Abs. 2 BGB im Interesse eines beschleunigten Personalabbaus in der Insolvenz die Höchstfrist auf drei Monate zum Monatsende verkürzt. Die Frist des § 113 Satz 2 InsO stellt keine Regel-, sondern eine Höchstfrist2 dar. Auch im Falle einer arbeitsvertraglich oder tariflich längeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist, sind der Insolvenzverwalter und der Arbeitnehmer in der Insolvenz zur Kündigung mit der Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO berechtigt3. 1 BAG v. 19. 10. 2004 – 9 AZR 645/03, BAGE 108, 351 = NZA 2005, 527 = ZIP 2004, 1011. 2 BAG v. 16. 6. 1999 – 4 AZR 191/98, BAGE 92, 41 = NZA 1999, 1331 = ZIP 1999, 1933. 3 BAG v. 3. 12. 1998 – 2 AZR 425/98, BAGE 90, 246 = NZI 1999, 452 = NJW 1999, 1571.
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§ 12
Rz. 253
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
253
Längere tarifliche Kündigungsfristen werden durch § 113 Satz 2 InsO verdrängt. § 113 Satz 2 InsO ist verfassungskonform; ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) liegt nicht vor1.
254
Da es sich bei § 113 Satz 2 InsO um keine Regelkündigungsfrist handelt, gelten die kürzeren Fristen (§ 113 Satz 2 Hs. 2 InsO), wenn gesetzlich (§§ 621 Nr. 1 –3, 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BGB), tariflich oder einzelvertraglich kürzere Kündigungsfristen maßgebend sind2. Ist der Arbeitnehmer weniger als 8 Jahre nach der Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 622 Abs. 2 BGB) beschäftigt, ist die gesetzliche Kündigungsfrist kürzer (§ 622 Abs. 2 Nr. 3 BGB) als die Frist nach § 113 Satz 2 InsO.
255
Im Rahmen einer vereinbarten Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) hat die Kündigung durch den Insolvenzverwalter nicht zum Monatsende, sondern mit der gesetzlichen Frist von zwei Wochen zu erfolgen. Bei der verkürzten Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB bleibt es bei der Kündigungsmöglichkeit von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats.
256
Hatte der Schuldner oder der vorläufige Insolvenzverwalter vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der gesetzlichen Frist gekündigt, so ist der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichtet zu prüfen, ob es unter Ausnutzung der Frist des § 113 Satz 2 InsO zu einer Verkürzung der Kündigungsfrist kommt. Bejahendenfalls hat er nachzukündigen. Die Nachkündigung stellt keine unzulässige Wiederholungskündigung dar, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Abkürzung der Kündigungsfrist einen neuen Kündigungsgrund darstellen3. Ein im schuldnerischen Betrieb vorhandener Betriebsrat ist vor dem Ausspruch der Kündigung neuerlich nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beteiligen4.
257
Kündigungserschwerungen in Form von Zahlungsverpflichtungen, um ein Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen zu können oder ein Kündigungsausschluss sind im Rahmen von Insolvenzverfahren unwirksam, da solche Regelungen gegen den Grundsatz von § 113 InsO verstoßen5. Gleiches gilt für den Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung in Standortsicherungsvereinbarungen6. Ist in einem Tarifvertrag geregelt, dass betriebsbedingte Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen, so ist dieses Kündigungserschwernis bei einer vollständigen Betriebsstilllegung im Insolvenzverfahren unbeachtlich7. Bei einer reinen Personalanpassung im Rahmen des Insolvenzverfahrens ist jedoch eine solche tarifliche Regelung zulässig, so dass der Betriebsrat nicht nur nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG anzuhören ist, sondern der Kündigung ausdrück-
1 BAG v. 16. 6. 1999 – 4 AZR 191/98, BAGE 92, 41 = NZA 1999, 1331 = ZIP 1999, 1933 = NJW 2000, 972. 2 BAG v. 6. 7. 2000 – 2 AZR 695/99, NZA 2001, 23 = NJW 2001, 317. 3 BAG v. 22. 5. 2003 – 2 AZR 255/02, ZIP 2003, 1670 = BB 2003, 2183 = DZWIR 2003, 465. 4 BAG v. 31. 1. 1996 – 2 AZR 273/95, NZA 1996, 649. 5 LAG Hamm v. 14. 1. 1999 – 8 Sa 1991/98, ZInsO 1999, 544 (LS). 6 BAG v. 17. 11. 2005 – 6 AZR 107/05, NZA 2006, 661 = ZIP 2006, 774. 7 BAG v. 19. 1. 2000 – 4 AZR 910/98, KTS 2001, 186.
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Irschlinger
Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 261 § 12
lich zustimmen muss. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung, ist der Insolvenzverwalter gezwungen, die Einigungsstelle anzurufen. In einem Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat kann wirksam über die Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO nicht disponiert werden, so dass eine Vereinbarung einer längeren als der gesetzlichen Höchstfrist des § 113 Satz 1 InsO unwirksam ist1.
258
Der Geschäftsführer einer GmbH besitzt nicht nur eine Organstellung, sondern auch einen Dienstvertrag, auf den § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend anwendbar ist. Dieses gilt zunächst für den Fall, dass der Geschäftsführer nicht oder nicht maßgeblich am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist2. Auch dann, wenn der Geschäftsführer am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, ohne einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben zu können, bemisst sich seine Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB3.
259
Besitzt der Geschäftsführer einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft, so ist sein Dienstverhältnis nach § 621 BGB zu kündigen. Die regelmäßig im Geschäftsführeranstellungsvertrag vereinbarten langen Kündigungsfristen für das Dienstverhältnis werden in der Insolvenz auf die Frist von drei Monaten zum Monatsende (§ 113 Satz 2 InsO) abgekürzt. Die Kündigungsfrist nach § 113 Satz 2 InsO gilt für Kündigungen sowohl des Insolvenzverwalters als auch des Arbeitnehmers bzw. des Dienstverpflichteten, wie sich aus § 113 Satz 1 InsO ergibt. b) Unkündbare Dienstverhältnisse Durch § 113 Satz 1 InsO werden lediglich die Kündigungsfristen verkürzt, so dass grundsätzlich der auch im Insolvenzverfahren bestehende Sonderkündigungsschutz durch den Insolvenzverwalter zu beachten ist. Danach ist der Insolvenzverwalter an den gesetzlichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung ebenso gebunden, wie an behördliche Zustimmungs- und Genehmigungserfordernisse.
260
aa) Betriebsratsmitglieder Das Arbeitsverhältnis der Amtsträger der Betriebsverfassung, also der Mitglieder des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und eines Seebetriebsrats ist ordentlich nicht kündbar (§ 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG). Gleiches gilt für die Amtsträger der Personalvertretung (§ 15 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Eine Kündigung der Arbeitsverhältnisse dieses besonders geschützten Personenkreises ist nur außerordentlich möglich. Dieses gilt auch im Insolvenzverfahren4, so dass dieser Personenkreis in eine Sozialauswahl nicht einzubeziehen ist. Die mögliche Kündigung aus wichtigem Grund 1 BAG v. 19. 1. 2000 – 4 AZR 910/98, KTS 2001, 186. 2 BGH v. 11. 5. 1981 – II ZR 126/80, BGHZ 79, 291 ff. = NJW 1981, 2748 = MDR 1982, 34. 3 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 120/83, BGHZ 91, 217 = NJW 1984, 2528. 4 BAG v. 17. 11. 2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 661 = ZIP 2006, 918.
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§ 12
Rz. 262
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
setzt voraus, dass der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung zustimmt (§ 103 Abs. 1 BetrVG) oder das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren rechtskräftig die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung ersetzt (§ 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Für die Mitglieder der Personalvertretung ergibt sich die gleiche Regelung aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BPersVG. 262
Gleichfalls ordentlich unkündbar sind die Amtsträger der Betriebsverfassung und der Personalvertretung für die Dauer von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit (§ 15 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 KSchG). Für die Mitglieder des Wahlvorstandes und für nicht gewählte Wahlbewerber endet der eine ordentliche Kündigung ausschließende Kündigungsschutz mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses (§ 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Während die Nachwirkung, die eine Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung entbehrlich macht, für Betriebsräte 1 Jahr beträgt, beträgt diese für die Mitglieder von Wahlvorständen und für Wahlbewerber 6 Monate (§ 15 Abs. 2 Satz 3 KSchG).
262a
Ersatzmitglieder haben ohne eine Tätigkeit im Betriebsrat ausgeübt zu haben, keinen besonderen Kündigungsschutz. Rückt ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach, genießt es ab diesem Zeitpunkt den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 oder 2 KSchG in vollem Umfang1. Im Falle der Vertretung steht dem Betriebsratsmitglied für die Dauer der Vertretung der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 KSchG zu.
262b
Auch das nachgerückte Betriebsratsmitglied genießt den besonderen Kündigungsschutz während der Amtszeit und nachwirkenden Kündigungsschutz2. Dieser nachwirkende Kündigungsschutz beginnt mit dem Ende der Vertretung, dauert ein Jahr und beginnt mit jeder Vertretung erneut zu laufen3. Nach der Beendigung des Vertretungsfalls ist im Nachwirkungszeitraum eine ordentliche Kündigung nicht möglich und im Falle einer außerordentlichen Kündigung keine Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG erforderlich4.
263
Sowohl die Mitglieder des Wahlvorstandes als auch die nicht gewählten Wahlbewerber haben nachwirkenden Kündigungsschutz (vgl. Rz. 262a) für die Dauer von sechs Monaten (§ 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG) nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses (§ 18 Abs. 3 BetrVG) bzw. § 23 Abs. 2 BPersVG. Der Zweck des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung und damit des nachwirkenden Kündigungsschutzes ist, dass bei eventuellen Konflikten zwischen Arbeitgeber und Amtsträgern eine Abkühlungsphase liegen soll5. Eine gegen § 15 KSchG oder § 47 BPersVG verstoßende Kündigung ist gemäß § 134 BGB nichtig. Es handelt sich um einen sonstigen Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG.
264
Für die Frage, ob die Kündigung gegen § 15 KSchG verstößt, kommt es – wie immer bei Kündigungserklärungen – auf den Zugang der Erklärung beim Arbeitnehmer an. Für die Anwendbarkeit von § 15 KSchG ist entscheidend, ob 1 2 3 4 5
v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 29. BAG v. 6. 9. 1979 – 2 AZR 548/77, BB 1980, 317 = DB 1980, 451. v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 52. BAG v. 18. 5. 2006 – 6 AZR 627/05, NZA 2006, 1037. BAG v. 13. 6. 1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1032 = NJW 1997, 78.
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Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 267 § 12
der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung dem besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG unterlag oder nicht. Aus diesem Grunde ist auch eine ordentliche Kündigung, die in der Zeit des besonderen Kündigungsschutzes erklärt wurde und dem Arbeitnehmer in dieser Zeit zuging, bei der jedoch der gewollte Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst nach Ablauf des besonderen Kündigungsschutzes liegt, ebenfalls nichtig1. Der besondere Kündigungsschutz schließt auch eine ordentliche Änderungskündigung2 bezüglich der besonders geschützen Arbeitnehmer aus. Das Arbeitsverhältnis der in § 15 Abs. 1–3 KSchG genannten Personen ist ausnahmsweise ordentlich kündbar, wenn der Betrieb ganz oder teilweise stillgelegt wird (§ 15 Abs. 4 KSchG). Auch hier ist von dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff auszugehen3. Es ist der durch das BAG entwickelte Betriebsbegriff zugrunde zu legen, wonach der Betrieb die organisatorische Einheit ist, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Die Betriebsstilllegung setzt die ernstliche Absicht voraus, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben4.
265
Für die Betriebsstilllegung ist nicht ausreichend, dass die betriebliche Arbeit eingestellt wird, sondern dass allen Arbeitnehmern gekündigt wird und die Betriebsmittel veräußert werden5. Auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt keine Betriebsstilllegung, sondern nur eine Änderung des Betriebszweckes. Die Betriebsstilllegung ist von einer Entscheidung des Insolvenzverwalters abhängig6 und von diesem zu dokumentieren7. Nur hierdurch ist es möglich, im Kündigungsschutzprozess darzulegen und zu beweisen, dass die unternehmerische Entscheidung durch den Insolvenzverwalter vor Zugang der Kündigungserklärung getroffen wurde.
266
Eine ordentliche Kündigung der in § 15 Abs. 1–3 KSchG genannten Personen ist frühestens zum Zeitpunkt der Betriebsstilllegung zulässig (§ 15 Abs. 4 KSchG), wobei die Kündigung vor dem Zeitpunkt der Betriebsstilllegung erklärt werden kann8. Verzögert sich die Stilllegung, so endet das Arbeitsverhältnis quasi automatisch mit dem nächsten zulässigen Beendigungstermin nach der erfolgten Betriebsstilllegung9. Diese Situation ist vergleichbar mit einer un-
267
1 2 3 4 5 6 7 8 9
ErfK/Ascheid, § 15 KSchG, Rz. 23. BAG v. 6. 3. 1986 – 2 AZR 623/85, BAGE 55, 117 = NZA 1988, 32 = ZIP 1986, 1600. BAG v. 5. 3. 1987 – 2 AZR 623/85, BAGE 55, 117 = NZA 1988, 32 = ZIP 1987, 1588. BAG v. 19. 6. 1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891 = ZIP 1991, 1374. BAG v. 17. 3. 1987 – 1 ABR 47/85, NZA 1987, 523 = ZIP 1987, 1005. BAG v. 16. 9. 1982 – 2 AZR 271/80, ZIP 1983, 205 = NJW 1983, 1341. BAG v. 21. 6. 2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212. BAG v. 14. 10. 1982 – 2 AZR 568/80, BAGE 41, 72 = ZIP 1983, 1492 = NJW 1984, 381. BAG v. 23. 4. 1980 – 5 AZR 49/98, BAGE 33, 94 = ZIP 1980, 669 = NJW 1980, 2543.
Irschlinger
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1303
§ 12
Rz. 268
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
zutreffenden Berechnung der Kündigungsfrist und des Kündigungsendtermines. 268
Wird nicht der gesamte Betrieb stillgelegt, sondern nur ein Betriebsteil, sind die in § 15 Abs. 1–3 KSchG genannten besonders schutzwürdigen Arbeitnehmer in die nicht stillgelegten bzw. nicht stillzulegenden Betriebsabteilungen zu übernehmen. Eine Betriebsabteilung setzt einen organisatorisch abgrenzbaren Teil eines Betriebs voraus, eine personelle Einheit, eigene Betriebsmittel und die Verfolgung eines eigenen Betriebszwecks1. Sind mehrere räumlich nahe beieinander liegende Betriebsteile vorhanden und befinden sich in diesen Betriebsteilen organisatorisch abgrenzbare Arbeitseinheiten, die jeweils einen eigenen Betriebszweck verfolgen, so bilden diese Arbeitseinheiten jeweils eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG2.
269
Die Regelung in § 15 Abs. 4 KSchG kann nicht wörtlich genommen werden. Es ist nicht nur auf die Stilllegung des Betriebs, in dem der geschützte Personenkreis beschäftigt ist, abzustellen, sondern eine teleologische Reduktion führt dazu, dass die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des geschützten Arbeitnehmers nichtig ist, soweit er in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann3. Ein Freimachen eines Arbeitsplatzes im Unternehmen wie bei einer anderen Betriebsabteilung ist nicht erforderlich4. Auch wenn mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) , d.h., wenn sie mit ihren Arbeitnehmern arbeitstechnische Zwecke innerhalb einer einheitlichen Organisation fortgesetzt verfolgen und ein einheitlicher Lenkungsapparat vorhanden ist5, ist der Arbeitnehmer mit einem besonderen Kündigungsschutz in einem anderen Unternehmen weiterzubeschäftigen. Für die Frage, ob mehrere Unternehmen einen einheitlichen Betrieb i.S.d. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG bilden, sind die durch das BAG für das Betriebsverfassungsrecht und §§ 1, 23 KSchG entwickelten Grundsätze heranzuziehen6.
270
Der nach § 15 Abs. 1–3 KSchG geschützte Personenkreis ist in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen und dem Arbeitnehmer ist dort ein gleichwertiger Arbeitsplatz anzubieten. Ist in der anderen Betriebsabteilung kein freier Arbeitsplatz vorhanden, so hat der Insolvenzverwalter für den besonders geschützten Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz durch Versetzung oder notfalls durch Kündigung für die nach § 15 Abs. 1–3 KSchG genannten Personen freizumachen7. Der durch § 15 Abs. 1–3 KSchG geschützte Arbeitnehmer hat wegen des Interesses der Belegschaft an der Fortführung seines Amtes absoluten Vorrang vor allen anderen Arbeitnehmern. Der Zweck von § 15 Abs. 1–3 KSchG geht dem Schutz des § 1 Abs. 3 KSchG vor. Diese Wertung soll in Extremfällen dazu führen, dass der Insolvenzverwalter auch einen Arbeitsplatz ei1 2 3 4 5
BAG v. 11. 10. 1989 – 2 AZR 61/89, NZA 1990, 607 = ZIP 1990, 944. BAG v. 20. 1. 1984 – 7 AZR 443/82, BAGE 45, 26 = NZA 1984, 38 = NJW 1984, 2488. BAG v. 13. 8. 1992 – 2 AZR 22/92, NZA 1993, 224 = ZIP 1993, 224. v. Hoyningen/Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 184. BAG v. 7. 8. 1986 – 6 ABR 57/85, BAGE 52, 325 = NZA 1987, 131 = ZIP 1987, 183 = NJW 1987, 2036. 6 BAG v. 5. 3. 1987 – 2 AZR 623/85, BAGE 55, 117 = NZA 1988, 32 = ZIP 1987, 1588. 7 BAG v. 18. 10. 2000 – 2 AZR 494/99, BAGE 96, 78 = NZA 2001, 321.
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Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 273 § 12
nes Arbeitnehmers, der gesetzlichen Sonderkündigungsschutz genießt (z.B. § 9 Abs. 1 MuSchG, § 85 SGB IX), frei zu kündigen hat1. Im Allgemeinen wird aber ein durch § 15 Abs. 1–3 KSchG geschützter Arbeitnehmer die Entlassung einer werdenden Mutter oder eines Schwerbehinderten nicht verlangen können2. Ist in keiner anderen Betriebsabteilung für den besonders geschützten Arbeitnehmer ein gleichwertiger Arbeitsplatz frei oder freizumachen, so ist die Übernahme des Arbeitsnehmers aus betrieblichen Gründen nicht möglich (§ 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG), so dass eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des besonders geschützten Arbeitnehmers möglich ist (§ 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG). Da es sich um eine ordentliche Kündigung handelt, ist keine Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 BetrVG) oder des Personalrates (§ 47 BPersVG) erforderlich, wobei jedoch die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG bzw. des Personalrates (§ 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG) erforderlich ist3. Neben § 15 Abs. 4 und 5 KSchG sind §§ 1 ff. KSchG nicht anzuwenden4, wobei sonstige kündigungsschutzrechtliche Vorschriften außerhalb des KSchG selbstverständlich neben § 15 KSchG zu beachten sind5.
271
Ist in einem anderen Betrieb des Unternehmens ein gleichwertiger Arbeitsplatz frei, so ist dem besonders geschützten Arbeitnehmer ein Änderungsangebot zu unterbreiten6. Kann der besonders geschützte Arbeitnehmer bei Stilllegung einer Betriebsabteilung nach entsprechender Änderungskündigung zu unveränderten Bedingungen auf einem freien Arbeitsplatz in einer anderen Betriebsabteilung weiterbeschäftigt werden, so ist der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet, einen örtlich näher gelegenen und deshalb den besonders geschützten Arbeitnehmer weniger belastenden Arbeitsplatz frei zu kündigen7.
272
! Hinweis: Wegen der ordentlichen Unkündbarkeit der Arbeitsverhältnisse nach §§ 15 Abs. 1–3 KSchG sind festzustellen: Vor- und Zunamen sowie Adressen – aller Betriebsratsmitglieder nebst Ersatzmitgliedern. Fand die letzte Betriebsratswahl in den letzten neun Monaten vor der beabsichtigten Kündigung des geschützten Personenkreises statt: –
1 2 3 4 5 6 7
Vor- und Zunamen und Adressen der Mitglieder des Wahlvorstandes, sämtlicher Wahlbewerber und der Mitglieder und Ersatzmitglieder des „alten“ Betriebsrats.
Etzel in KR, § 15 KSchG Rz. 126. Bernstein, NZA 1993, 728 (733). BAG v. 20. 1. 1984 – 7 AZR 443/82, BAGE 45, 26 = NZA 1984, 38 = NJW 1984, 2488. Etzel in KR, § 15 KSchG Rz. 93. Etzel in KR, § 15 KSchG Rz. 152. BAG v. 27. 1. 1994 – 2 AZR 584/93, NZA 1994, 840 = NJW 1994, 2846. BAG v. 28. 10. 1999 – 2 AZR 437/98, NZA 2000, 825, 826.
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273
§ 12
Rz. 274
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
bb) Wehr- und Zivildienstleistende 274
Die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern können während der Dauer des Wehrdienstes oder einer Wehrübung sowie im Falle der Ableistung des Grundwehrdienstes ab Zustellung des Einberufungsbescheides bis zur Beendigung des Grundwehrdienstes nicht ordentlich gekündigt werden (§ 2 ArbPlSchG). Eine dennoch ausgesprochene Kündigung ist nichtig (§ 134 BGB). Gleiches gilt für Zivildienstleistende (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 ZPG i.V.m. § 2 ArbPlSchG).
275
Weder die Insolvenzeröffnung noch ein Personalabbau rechtfertigen eine außerordentliche Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses eines Wehr- und Zivildienstleistenden. Bei einer völligen Betriebsstilllegung oder eines dauerhaften Wegfalls des Arbeitsplatzes ist die Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist, welche gelten würde, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre1, möglich. cc) Ausbildungsverhältnisse
276
Nach Ablauf der Probezeit ist eine Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nur noch aus wichtigem Grunde möglich (§ 15 Abs. 2 BBiG). Die Eröff nung des Insolvenzverfahrens stellt auch hier keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses dar. Im Falle der Stilllegung des Betriebs kann das Berufsausbildungsverhältnis ausnahmsweise (außerordentlich) gekündigt werden. Solange die Ausbildung stattfinden kann, ist eine Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nicht möglich2. Ist jedoch eine Ausbildung im insolventen Betrieb nicht mehr möglich, z.B. weil der Ausbilder ausgeschieden ist, kann die außerordentliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses erfolgen.
277
Als Kündigungsfrist ist nicht die Drei-Monats-Höchstfrist zum Monatsende gemäß § 113 Satz 2 InsO einzuhalten3, sondern in entsprechender Anwendung des § 622 BGB die dort normierte Frist. Die Kündigung ist zum Zeitpunkt des tatsächlichen Wegfalls der Ausbildungsmöglichkeit in analoger Anwendung von § 15 Abs. 4 KSchG zulässig4. c) Befristete Dienstverhältnisse
278
Die zeit- oder zweckbefristeten Dienstverhältnisse enden mit dem vereinbarten Zeitablauf (§ 620 Abs. 1 BGB). Ist in dem zeit- oder zweckbefristeten Dienstverhältnis die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, so kann das Dienstverhältnis durch den Insolvenzverwalter dennoch gekündigt werden (§ 113 Satz 1 InsO)5. Ist das ordentlich unkündbare Arbeitsverhältnis noch 1 BAG v. 28. 3. 1985 – 2 AZR 113/84, BAGE 48, 220 = NZA 1985, 559 = ZIP 1985, 1351. 2 BAG v. 27. 5. 1993 – 2 AZR 601/92, BAGE 73, 201 = NZA 1993, 845 = ZIP 1993, 1316. 3 BAG v. 27. 5. 1993 – 2 AZR 601/92, BAGE 73, 201 = NZA 1993, 845 = ZIP 1993, 1316. A.A. Weigand in KR, §§ 21, 22 BBiG Rz. 70. 4 Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 113 Rz. 46. 5 BAG v. 6. 7. 2000 – 2 AZR 695/99, BAGE 95, 216 = NZA 2001, 23 = ZIP 2000, 1941.
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Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 282a § 12
mindestens für drei Monate befristet, so gilt die gesetzliche Höchstkündigungsfrist von drei Monaten nach § 113 Satz 2 InsO1. Diese Kündigungsfrist wird nicht durch eine kürzere, gesetzliche, Kündigungsfrist verdrängt, wobei es gleichgültig ist, ob der Ausschluss der ordentlichen Kündigung auf einer einzelvertraglichen oder tariflichen Regelung beruht2. Im Gegensatz zu § 22 KO unterscheidet § 113 InsO nicht danach, ob ein Dienstverhältnis bereits angetreten ist oder nicht. Noch nicht angetretene Dienstverhältnisse unterliegen nicht dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO, sondern sie müssen durch den Insolvenzverwalter gekündigt werden.
279
Je nach Ausgestaltung des Dienstvertrages ergeben sich unterschiedliche Kündigungsmöglichkeiten für das noch nicht angetretene Arbeitsverhältnis. Ist keine abweichende Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen, so kann die Kündigung bereits vor dem Dienstantritt erklärt werden3. Die maßgebliche Kündigungsfrist ergibt sich in diesen Fällen aus §§ 621, 622 BGB. Die Kündigungsfrist beginnt im Zweifel mit dem Zugang der Kündigungserklärung4. Lediglich dann, wenn einzelvertraglich eine längere als die Frist nach § 113 Satz 2 InsO vereinbart war, erfolgt die Kündigung des Dienstverhältnisses mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende.
280
Ist jedoch zwischen den Parteien vereinbart, dass eine Kündigung vor Arbeitsaufnahme nicht möglich ist, hat es damit auch für den Insolvenzverwalter sein Bewenden5. Der Arbeitnehmer hat jedoch ein Recht zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses, da es für einen Arbeitnehmer unzumutbar ist, den Dienst bei einem im Insolvenzverfahren befindlichen Unternehmen anzutreten6.
281
Die Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO gilt auch für die Änderungskündigung7.
282
d) Altersteilzeit Die Altersteilzeit existiert in zwei Modellen. Einmal in Form der kontinuierlichen Arbeitszeit (unterschiedliche Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit oder unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeiten) oder im Blockmodell (gleiche Dauer der Arbeits – und Freistellungsphase). In der Praxis wird überwiegend das Blockmodell praktiziert. In der Freistellungsphase kann das Arbeitsverhältnis durch den Insolvenzverwalter auch im Falle einer völligen Betriebsstilllegung nicht gekündigt werden, 1 2 3 4 5 6 7
BAG v. 6. 7. 2000 – 2 AZR 695/99, BAGE 95, 216 = NZA 2001, 23 = ZIP 2000, 1941. Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 113 Rz. 12. BAG v. 9. 5. 1985 – 2 AZR 372/84, NZA 1986, 671 = NJW 1987, 148. BAG v. 25. 3. 2004 – 2 AZR 324/03, NZA 2004, 1089 = NJW 2004, 3444. A.A. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 99. Marotzke in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 40. Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 113 Rz. 13.
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282a
§ 12
Rz. 282b
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
da keine dringenden betrieblichen Erfordernisse der Weiterbeschäftigung entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG)1, sondern der Arbeitgeber bereits zuvor aus anderen Gründen, nämlich der Altersteilzeitvereinbarung auf die Arbeitsleistung verzichtet hat. Die Betriebsstilllegung stellt deshalb kein dringendes betriebliches Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung dar. Auch dann, wenn der Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich mit Namensliste namentlich aufgeführt ist, ist die Vermutung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO widerlegt, da der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für das Arbeitsverhältnis bedeutungslos ist2. Etwas anderes gilt in der Arbeitsphase. Hier können dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, so dass eine betriebsbedingte Kündigung beim Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG möglich ist3. 282b
Die insolvenzrechtliche Einordnung der Arbeitsentgeltansprüche erfolgt differenziert. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit erfolgt grundsätzlich danach, wann die Arbeitsleistung , die den Arbeitsentgeltansprüchen zu Grunde liegt, erbracht worden ist4. Dieser Zeitraum bestimmt, inwieweit Leistungen des Arbeitnehmers der Insolvenzmasse zugute gekommen sind. Soweit Leistungen der Insolvenzmasse nicht zugute kamen, also die Arbeitsleistung in der Arbeitsphase vor der Insolvenzeröffnung erbracht wurde, stellen diese in der Freistellungsphase geschuldeten Arbeitsentgeltansprüche Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar5. Die nach der Insolvenzeröffnung in der Arbeistphase geschuldeten Arbeitsentgeltansprüche sind grundsätzlich Masseverbindlichkeiten. Gleiches gilt für die Aufstockungsleistungen und die Aufstockungsbeträge zur Rentenversicherung6. Im Falle der Masseunzulänglichkeit sind die Arbeitsentgeltansprüche für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit hätte kündigen können, Neumasseverbindlichkeiten. Dieses gilt auch für den Fall der Freistellung von der Arbeitsleistung7. Befindet sich der Arbeitnehmer bei der Insolvenzeröffnung in der Arbeitsphase und erbringt er zunächst nach der Insolvenzeröffnung Arbeitsleistungen für die Insolvenzmasse und wechselt er später in die Freistellungsphase, so erfolgt die insolvenzrechtliche Einordnung spiegelbildlich. Zunächst stellen die Arbeitsentgeltansprüche in der Freistellungsphase im Anschluss an die Arbeitsphase Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar. Die Arbeitsentgeltansprüche aus der 1 2 3 4 5
BAG v. 5. 12. 2002 – 2 AZR 571/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 789 = ZIP 2003, 1169. BAG v. 16. 6. 2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 720 = ZIP 2005, 1842. BAG v. 16. 6. 2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 720 = ZIP 2005, 1842. BAG v. 19. 10. 2004 – 9 AZR 647/03, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. BAG v. 19. 10. 2004 – 9 AZR 647/03, BAGE 112, 214 (219) = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. 6 BAG v. 23. 2. 2005 – 10 AZR 602/03, NZA 2005, 694 = ZIP 2005, 873. 7 BAG v. 23. 2. 2005 – 10 AZR 602/03, NZA 2005, 694 = ZIP 2005, 873.
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Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 282d § 12
Arbeitsphase nach der Insolvenzeröffnung werden spiegelbildlich am Ende der Freistellungsphase als Masseverbindlichkeit geschuldet1. Die wirtschaftliche Absicherung der Arbeitnehmer gebietet jedoch die Zahlung in der Freistellungsphase in unmittelbarem Anschluss an die Arbeitsphase2. Beispiel: An die Arbeitsphase schließt sich die Freistellungsphase von 36 Monaten an und der Arbeitnehmer hat die letzten fünf Monate der Arbeitsphase nach der Insolvenzeröffnung gearbeitet. In diesem Fall hat er für 31 Monate nach dem Ende der Arbeitsphase spiegelbildlich eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO und für die letzten 5 Monate eine Masseverbindlichkeit. Bei der Rückabwicklung eines vorzeitig beendeten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses gilt Gleiches für die insolvenzrechtliche Einordnung der Arbeitsentgeltansprüche. Maßgebend ist, wann die den Ansprüchen zugrunde liegende Arbeitsleistung erbracht wurde und nicht, wann die Ansprüche fällig sind3.
Im Fall des Betriebsübergangs nach § 613a BGB geht das Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf den Betriebsübernehmer über, sofern sich der Arbeitsnehmer in der Arbeitsphase befindet4. Für die Altersteilzeitarbeitsverhältnisse gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen, da sich aus dem Recht der Altersteilzeit nichts anderes ergibt. Ob das Altersteilzeitarbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs in der Freistellungsphase befindet, auf eine Betriebserwerber übergeht, soll zweifelhaft sein5. Nach dem jedoch das BAG auf das Altersteilzeitarbeitsverhältnis die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen anwendet und sich aus dem Recht der Altersteilzeit nichts anderes ergibt, geht auch das Altersteilzeitarbeitsverhältnis bei einem Betriebsübergang in der Freistellungsphase gemäß § 613a BGB auf den Betriebserwerber über6.
282c
Auch in diesen Fällen des Betriebsübergangs gilt die durch die Insolvenzeröffnung eingetretene Haftungsbeschränkung7. Siehe Rz. 605 ff. Da der Betriebserwerber nicht für die Insolvenzforderungen, jedoch für die Masseverbindlichkeiten8 haftet, gilt für die Ansprüche aus der Freistellungsphase für die Zeit ab dem Betriebsübergang nichts anderes9. Hat der Arbeitgeber die Wertguthaben nach § 7d Abs. 1 SGB IV nicht insolvenz gesichert, so bestehen im Insolvenzfall keine Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer gegenüber dem Geschäftsführer, da § 7d Abs. 1 SGB IV kein
1 2 3 4 5 6
BAG v. 19. 10. 2004 – 9 AZR 647/03, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. LAG Schleswig-Holstein v. 10. 1. 2006, 2 Sa 418/05, NZA – RR 2006, 293. BAG v. 23. 2. 2005 – 10 AZR 672/03, DZWIR 2005, 428 = NZA 2005, 1375 (LS). BAG v. 19. 10. 2004 – 9 AZR 647/05, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. BAG v. 19. 10. 2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527 = ZInsO 2005, 695. LAG Hessen v. 23. 8. 2006 – 8 Sa 1744/05, ZIP 2007, 391 (392), Revision: BAG – 9 AZR 54/07. 7 BAG v. 17. 1. 1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = NJW 1980, 1124. 8 BAG v. 18. 11. 2003 – 9 AZR 347/03, BAGE 108, 351 (354, 355) = NZA 2004, 654 = ZIP 2004, 1011. 9 LAG Hessen v. 23. 8. 2006 – 8 Sa 1744/05, ZIP 2007, 391 (392), Revision: BAG – 9 AZR 54/07.
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282d
§ 12
Rz. 283
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist1. Auch unter der Geltung von § 8a ATG scheidet eine Schadensersatzverpflichtung des Geschäftsführers aus, da nur der Arbeitgeber zur Sicherung verpflichtet ist2. Eine Sicherung des Wertguthabens durch Patronatserklärungen, Bürgschaften oder Schuldbeitritte sind keine geeigneten Sicherungsmittel (§ 8a Abs. 1 Satz 2 ATG), so dass auch eine Garantieerklärung der Muttergesellschaft als Sicherungsmittel ausscheidet. Hat der Arbeitgeber zur Absicherung der Wertguthaben ein gesondertes Bankkonto eingerichtet und ist er Kontoinhaber, bestehen an dem Guthaben keine Aussonderungsnasprüche der Arbeitnehmer3. e) Sonderkündigungsschutz 283
Es wurde bereits oben unter Rz. 260 darauf hingewiesen, dass durch § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO lediglich die Kündigungsfristen geändert werden und auch im Insolvenzverfahren der Sonderkündigungsschutz, der die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auschließt, bestehen bleibt4. Siehe aber Rz. 270, § 15 Abs. 1–3 KSchG geht im Extremfall dem Sonderkündigungsschutz vor. aa) Schwerbehinderte
284
Auch im Insolvenzverfahren bedarf sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX).
285
Voraussetzung des Sonderkündigungsschutzes ist die Schwerbehinderteneigenschaft. Schwerbehindert ist derjenige Arbeitnehmer, bei dem ein Grad der Behinderung von wenigstens 50% vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX) oder der gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX mit einer Behinderung von mindestens 30%, jedoch weniger als 50%, einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist. Die Feststellung der Behinderung hat lediglich eine deklaratorische Bedeutung5, während die Gleichstellung konstitutive Bedeutung besitzt6. Für das Bestehen des besonderen Kündigungsschutzes (§§ 85, 91 SGB IX) wegen der Schwerbehinderung ist Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer vor dem Zugang der Kündigungserklärung einen Antrag auf Feststellung seiner Behinderung oder Gleichstellung gestellt hat7, der Nachweis der Schwerbehinderung geführt (§ 90 Abs. 2a SGB IX) oder die Schwerbehinderung offenkundig ist8. Der Nachweis i.S.v. § 90 Abs. 2a Alt. 1 SGB IX setzt voraus, dass die Schwerbehinderteneigenschaft im Kündigungsszeitpunkt festgestellt ist. Eine rückwirkende Änderung eines ablehenden Be1 2 3 4 5 6 7 8
BAG v. 16. 8. 2005 – 9 AZR 470/04, NZA 2006, 1052 = ZIP 2006, 344. Offen: BAG v. 13. 12. 2005 – 9 AZR 436/04, NZA 2006, 729 = ZIP 2006, 1213. BAG v. 24. 9. 2003 – 10 AZR 640/02, BAGE 108, 1 = NZA 2004, 980 = ZIP 2004, 124. BAG v. 17. 11. 2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370 = ZIP 2006, 918. BAG v. 30. 6. 1983 – 2 AZR 10/82, BAGE 43, 148 = NJW 1994, 687. BAG v. 24. 11. 2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665 = NJW 2006, 1614. BAG v. 16. 6. 1991 – 2 AZR 241/90, NZA 1992, 23. BAG v. 7. 3. 2002 – 2 AZR 612/00, BAGE 100, 355 (361) = NZA 2002, 1145.
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Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 287 § 12
scheids im Rechtsmittelverfahren führt nicht zum Sonderkündigungsschutz1. Eine Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft oder von dem Antrag ist für den Sonderkündigungsschutz nicht erforderlich. Der Arbeitnehmer hat jedoch innerhalb einer Regelfrist von derzeit einem Monat nach dem Zugang der Kündigungserklärung dem Insolvenzverwalter von dem Bescheid oder der Antragstellung Mitteilung zu machen. Das BAG neigt dazu für die Mitteilung künftig die Frist analog § 4 Satz 1 KSchG auf drei Wochen abzukürzen2. Dieses gilt auch nach der Einführung von § 90 Abs. 2a SGB IX zum 1.1. 20023. Unterlässt der Arbeitnehmer diese rechtzeitige Mitteilung, verwirkt er den Sonderkündigungsschutz4. Der nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellte Arbeitnehmer erwirbt die positiven Rechtsfolgen der Gleichstellung erst durch einen entsprechenden Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Der Bescheid wirkt auf den Tag der Antragstellung zurück (§ 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Der Insolvenzverwalter kann gegen den Gleichstellungsbescheid kein Rechstmittel einlegen5.
285a
Der Arbeitnehmer ist iRd Verfahrens zur Mitwirkung verpflichtet. Dieses hat zur Folge, dass die Rückwirkung eines Gleichstellungsantrags trotz positiven Bescheids nicht eintritt, wenn der Antrag nach dem Ablauf der Frist von § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX verbeschieden wird und die Fristüberschreitung auf einer fehlenden Mitwirkung des behinderten Arbeitnehmers beruht. Der Umfang der Mitwirkungspflichten ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Verletzt der Arbeitnehmer diese Mitwirkungspflicht, genießt er den Sonderkündigungsschutz nicht (§ 90 Abs. 2a SGB IX). Für die fehlende Mitwirkung ist der Insolvenzverwalter Darlegungs – und Beweispflichtig. Da das Integrationssamt die erforderlichen Auskünfte nicht erteilt, ist die Beweisführung praktisch unmöglich6.
285b
Eine Antragstellung auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung nach dem Zugang der Kündigungserklärung führt nicht nachträglich zum Sonderkündigungsschutz und damit zu keiner Nichtigkeit der Kündigung.
286
Der Insolvenzverwalter hat den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt schriftlich zu stellen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Da das Integrationsamt eine Stellungnahme, des Betriebsrats und des Schwerbehinderten sowie, sofern vorhanden, der Schwerbehindertenvertretung einholt (§ 87 Abs. 2 SGB IX), sollten die erforderlichen Abschriften dem Antrag beigefügt
287
1 OVG Rheinland-Pfalz v. 7. 3. 2006 – 7 A 11129/05, NZA 2006, 1108. 2 BAG v. 12. 1. 2006 – 2 AZR 539/05, NZA 2006, 1035. 3 BAG v. 7. 3. 2002 – 2 AZR 612/00, BAGE 100, 355 (360) = NZA 2002, 1145; BAG v. 16. 8. 2005 – 9 AZR 79/05, NZA 2006, 1057 = ZIP 2006, 348. 4 BAG v. 23. 2. 1978 – 2 AZR 462/76, BAGE 30, 141 (158) = NJW 1978, 2568 = MDR 1978, 788. 5 BAG v. 19. 12. 2001 – B 11 AL 5/01, BSGE 89, 119 = NZA 2002, 664 (Kurzmitteilung). 6 Cramer, Die Neuerungen im Schwerbehindertenrecht des SGB IX, NZA 2004, 698 (704).
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§ 12
Rz. 288
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
werden. Sofern vorhanden, empfiehlt es sich auch, eine Fotokopie des Schwerbehindertenausweises beizufügen. 288
Gleichgültig, welche Behörde den Schwerbehindertenausweis ausgestellt hat, ist der Antrag auf Zustimmung bei dem für den Sitz des Betriebs zuständigen Integrationsamt zu stellen. Bei der Antragstellung kann sich der Insolvenzverwalter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen, welcher eine schriftliche Vollmacht, sofern nicht die Privilegierung nach §§ 81 ff. ZPO für Rechtsanwälte einschlägig ist, vorlegen muss (§ 67 VwGO).
289
Die Kündigung kann erst nach der Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen werden. Eine ohne Zustimmung erfolgte Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig1, wobei eine nachträgliche Genehmigung der nichtigen Kündigung nicht möglich ist. Die Kündigung wird jedoch wirksam, wenn der Arbeitnehmer nicht innerhalb der Dreiwochenfrist ab dem Zugang Kündigungsschutzklage erhebt (§ 7 KSchG), wobei diese Klagefrist nicht läuft, wenn der Insolvenzverwalter die Zustimmung beim Intergrationsamt nicht beantragte (§ 4 Satz 4 KSchG)2. Das Zustimmungserfordernis durch das Integrationsamt gilt auch für eine Änderungskündigung.
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Das Integrationsamt hat innerhalb eines Monats nach dem Antragseingang über die Erteilung der Zustimmung zu entscheiden (§ 88 Abs. 5 SGB IX). Eine Fristüberschreitung ist auch aus sachlichen Gründen nicht zulässig. Für die Wahrung der Frist genügt die Absendung oder sonstige, auch telefonische, Bekanntgabe des Bescheides an den Insolvenzverwalter und den schwerbehinderten Arbeitnehmer. Wird innerhalb der Monatsfrist keine Entscheidung getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt (§ 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX).
291
Bei der außerordentlichen Kündigung ist die Entscheidung durch das Integrationsamt binnen zwei Wochen ab dem Antragseingang zu treffen (§ 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Wird die Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht getroffen, wird die Zustimmung ebenfalls fingiert (§ 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX).
292
Die vom Insolvenzverwalter einzuhaltende Kündigungsfrist beträgt mindestens vier Wochen (§ 86 SGB IX). Das Integrationsamt hat über den Antrag nach freiem, pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die beabsichtigte Kündigung in keinem Zusammenhang mit der Behinderung des Arbeitnehmers steht. Ob Kündigungsgründe nach § 1 KSchG bestehen, ist durch die Fachgerichte und nicht durch das Integrationsamt zu entscheiden3. Nur dann, wenn die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zutage tritt, darf die Zustimmung durch das Integrationsamt versagt werden4.
293
Bei einer völligen Betriebsstilllegung besteht für das Integrationsamt kein Ermessensspielraum (§ 89 Abs. 1 SGB IX), sondern die Zustimmung zur Kündi1 2 3 4
BAG v. 16. 3. 1994 – 8 AZR 688/92, BAGE 76, 142 = NZA 1994, 879. BAG v. 3. 7. 2003 – 2 AZR 487/02, BAGE 107, 50 = NZA 2003, 1335 = ZIP 2003, 2129. BVerwG v. 11. 11. 1999 – 5 C 23/99, BVerwGE 110, 67 = NZA 2000, 146. BVerwG v. 2. 7. 1992 – 5 C 51/90, BVerwGE 90, 287, 294 = MDR 1993, 1242.
1312
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Rz. 299 § 12
Kündigung der Dienstverhältnisse
gung muss erteilt werden, wenn zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung und dem Tag, bis zu welchem ein Anspruch auf die Bezahlung von Lohn oder Gehalt besteht, mindestens drei Monate liegen (§ 89 Abs. 1 SGB IX). Die Frist des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX läuft unabhängig von der individuellen Kündigungsfrist. Bei Arbeitsverhältnissen mit kurzer gesetzlicher oder tariflicher Kündigungsfrist führt die Regelung in § 89 Abs. 1 SGB IX zu einer indirekten Verlängerung der Kündigungsfrist. Ebenso wie bei der Regelung für Amtsträger in § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG gilt die Einschränkung des Ermessens des Integrationsamtes dann nicht, wenn eine weitere Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz desselben Betriebs möglich ist (§ 89 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). In derartigen Fällen versagt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung.
294
Eine tatsächliche Zahlung von Lohn oder Gehalt ist nicht Voraussetzung der Zustimmung, insbesondere auch nicht, dass die Insolvenzmasse für die Erfüllung der Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausreicht1.
295
Das Integrationsamt kann die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzung (§ 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) für die Erteilung der Zustimmung durch eine Bedingung oder durch eine Auflage sicherstellen.
296
Bei der Auflage (§ 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X) kann der Insolvenzverwalter sofort und unabhängig von einer Zahlung kündigen. Das Integrationsamt kann im Falle der Nichtzahlung von Lohn oder Gehalt die Zustimmung zur Kündigung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB X widerrufen. Da der Widerruf nur für die Zukunft wirkt, ist eine vor dem Zugang des Widerrufs ausgesprochene und dem Schwerbehinderten zugegangene Kündigungserklärung wirksam.
297
Wählt das Integrationsamt die Bedingung (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 SGB X), so kann der Insolvenzverwalter die Kündigung erst nach der Lohn-/Gehaltszahlung für den Zeitraum von drei Monaten aussprechen. Eine früher ausgesprochene Kündigung ist nichtig. Da die Kündigung nur binnen Monatsfrist seit dem Zugang der Zustimmungserklärung erfolgen kann (§ 88 Abs. 3 SGB IX), ist der Insolvenzverwalter gezwungen, bei einer Zustimmung des Integrationsamtes unter der Bedingung der Lohn-/Gehaltszahlung, vorzeitig die Lohn-/Gehaltsforderung des Schwerbehinderten für drei Monate zu Lasten der Insolvenzmasse zu erfüllen.
298
Die Kündigungsfrist nach § 86 SGB IX gilt nur für Kündigungserklärungen des Insolvenzverwalters, nicht aber für Kündigungen durch den Arbeitnehmer.
299
Im Insolvenzverfahren soll nach § 89 Abs. 3 SGB IX das Integrationsamt auch dann die Zustimmung zur Kündigung erteilen, wenn –
der Schwerbehinderte in einem Interessenausgleich namentlich als einer der zu entlassenden Arbeitnehmer bezeichnet ist (§ 125 InsO),
–
die Schwerbehindertenvertretung (§ 95 Abs. 2 SGB IX) beim Zustandekommen des Interessenausgleichs beteiligt worden ist,
1 BAG v. 12. 7. 1990 – 2 AZR 35/90, NZA 1991, 348 = ZIP 1991, 677.
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§ 12
Rz. 300
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
–
der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden Schwerbehinderten an der Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten nicht größer ist als der Anteil der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer an der Zahl der beschäftigten übrigen Arbeitnehmer,
–
die Gesamtzahl der Schwerbehinderten, die nach dem Interessenausgleich bei dem Arbeitgeber verbleiben sollen, zur Erfüllung der Verpflichtungen nach § 71 SGB IX ausreicht.
300
Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen. Im Regelfall ist die Zustimmung zu erteilen; lediglich bei Vorliegen eines atypischen Falles kann die Versagung der Zustimmung erfolgen1.
301
§ 89 Abs. 3 SGB IX ist nicht lex spezialis zu § 89 Abs. 1 SGB IX. § 89 Abs. 1 SGB IX regelt die Zustimmung bei einer endgültigen Betriebsschließung, während § 89 Abs. 3 SGB IX eine Zustimmung auch dann ermöglicht, wenn unter den genannten Voraussetzungen ein Personalabbau vorgenommen wird. § 89 Abs. 3 SGB IX erleichtert somit im Rahmen des Insolvenzverfahrens den Personalabbau und die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur (§ 125 Abs. 1 Ziff. 2 Hs. 2 InsO).
302
Kraft Gesetzes haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung keine aufschiebende Wirkung (§ 88 Abs. 4 SGB IX). Die Kündigung kann somit unmittelbar nach der erteilten Zustimmung ausgesprochen werden. Der Insolvenzverwalter muss binnen eines Monats nach Zugang der Zustimmungserklärung die Kündigungserklärung abgeben (§ 88 Abs. 3 SGB IX), wobei es für die Rechtzeitigkeit auf den Zugang der Kündigungserklärung bei dem schwerbehinderten Arbeitnehmer ankommt.
303
Wenn sich der Arbeitnehmer einen umfassenden Rechtsschutz erhalten will, muss er nun zum einen binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides des Integrationsamtes gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegen (§§ 69, 70 VwGO). Der betroffene Arbeitnehmer kann ferner den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO stellen2. Über den Widerspruch entscheidet der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt (§ 118 SGB IX). Hilft der Widerspruchsausschuss des Integrationsamtes nicht ab, kann der Arbeitnehmer Klage zum Verwaltungsgericht erheben. Die Entscheidung des Widerspruchsausschusses wird durch das Verwaltungsgericht nur darauf überprüft, ob sie rechtswidrig ist oder ob seitens der Verwaltungsbehörde Ermessensfehler vorliegen. Maßgeblich für die verwaltungsgerichtliche Überprüfung ist nicht die Sachlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, sondern zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides3.
1 BVerwG v. 10. 9. 1992 – 5 C 39/88, BVerwGE 91, 7 = NZA 1993, 76. 2 OVG Sachsen v. 25. 8. 2003 – 5 BS 107/03, NZA – RR 2004, 408 (LS). 3 Etzel in KR, §§ 85–90 SGB IX Rz. 103.
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Irschlinger
Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 311 § 12
Der Arbeitnehmer muss zum anderen parallel innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG die Kündigung durch Erhebung der Kündigungsschutzklage anfechten. Sofern die Rechtswirksamkeit der Kündigung nur noch von der Frage der Wirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamtes abhängt, ist das arbeitsgerichtliche Verfahren gemäß § 148 ZPO auszusetzen1. Jede andere Entscheidung als die Aussetzung des Rechtsstreites ist ermessensfehlerhaft2.
304
bb) Mutterschutz und Elternteilzeit Der gesetzliche Mutterschutz nach § 9 MuSchG während der Schwangerschaft und nach der Entbindung gilt auch im Insolvenzverfahren.
305
Auf Antrag des Insolvenzverwalters kann ausnahmsweise die Kündigung durch die zuständige oberste Landesbehörde für zulässig erklärt werden (§ 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG). Jede vor dem Zugang der Zustimmung erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nichtig3. Für die Entscheidung der Behörde ist keine bestimmte Form, auch keine Schriftform, vorgesehen, wobei aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die Bescheide regelmäßig schriftlich und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, ergehen. Erst nach dem Zugang der Entscheidung beim Insolvenzverwalter ist die Kündigungssperre beseitigt und der Insolvenzverwalter kann wirksam die Kündigungserklärung abgeben.
306
Die Zulässigerklärung durch die oberste Landesbehörde ist sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung sowie die Änderungskündigung erforderlich4.
307
Die Ausführung des MuSchG obliegt nach Art. 83 GG den Ländern. Von der gesetzlichen Ermächtigung zur Übertragung der Befugnis zur Zulässigkeitserklärung von Kündigungen auf andere Stellen haben die Arbeitsminister der Länder in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht5.
308
Die zuständige Behörde wird nur auf Antrag, für den keine bestimmte Form vorgesehen ist, tätig. Aus Beweissicherungsgründen ist unbedingt die Schriftform zu empfehlen.
309
Der Antrag auf Zustimmung ist nicht fristgebunden. Lediglich bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ist die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu beachten.
310
Im Rahmen des Antrages ist die Angabe zur Art der beabsichtigten Kündigung (ordentliche oder außerordentliche) oder Änderungskündigung erforderlich. Daneben müssen der Kündigungsendtermin, die Sozialdaten der Arbeitnehmerin,sowie der Tag der mitgeteilten, voraussichtlichen Entbindung angegeben werden. Weiter sind Ausführungen zu den Kündigungsgründen erforderlich. Da die Arbeitnehmerin zu dem Antrag zu hören ist, empfiehlt es sich, um Zeit-
311
1 2 3 4 5
BAG v. 26. 9. 1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073. BAG v. 25. 11. 1980 – 6 AZR 210/80, NJW 1981, 2023 = MDR 1981, 524. BAG v. 29. 7. 1968 – 2 AZR 363/97, BB 1968,1081 = DB 1968, 1632. Bader in KR, § 9 MuSchG Rz. 72, 73, 75. Einzelheiten: Bader in KR, § 9 MuSchG Rz. 109.
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§ 12
Rz. 312
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
verzögerungen zu vermeiden, den Antrag bereits in doppelter Fertigung einzureichen. 312
Für die Verwaltungsbehörde gilt der Untersuchungsgrundsatz. Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, so dass sie an den Antrag des Insolvenzverwalters nicht derart gebunden ist, dass sie dem Antrag entweder nur stattgeben kann oder ihn ablehnen muss. Mit der Entscheidung können keine Nebenbestimmungen (Befristungen, Bedingungen, Auflagen und Widerrufsvorbehalte) verbunden werden, da hierfür § 9 Abs. 3 MuSchG keine Ermächtigungsgrundlage gibt1. Aus diesem Grunde ist auch die immer wieder in den Zustimmungsbescheiden enthaltene Bedingung, dass die Zustimmung erteilt wird, sofern es nicht innerhalb einer Frist – regelmäßig drei Monaten – nicht zu einem Betriebsübergang nach § 613a BGB kommt, unwirksam.
313
Gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben. Ist der Antrag des Insolvenzverwalters abgelehnt worden, so kann er nach dem Vorverfahren (§ 68 VwGO) mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO) die Verurteilung der Behörde zur Zulässigerklärung der Kündigung begehren.
314
Nach erteilter Zustimmung kann die Kündigung unabhängig von der Bestandskraft des Bescheides ausgesprochen werden. Ein Widerspruch der Arbeitnehmerin hat keine aufschiebende Wirkung2. Eine Bestandskraft des Verwaltungsakts ist nicht erforderlich. Die Arbeitnehmerin muss innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG die Kündigung anfechten (vgl. Rz. 304). Bis zur Unanfechtbarkeit der behördlichen Zulässigerklärung ist die Kündigung schwebend wirksam. Im Falle der späteren bestandskräftigen Aufhebung des Verwaltungsaktes wird die Kündigung nichtig.
315
Der Kündigungsschutzprozess ist nicht gemäß § 148 ZPO auszusetzen, wenn die erteilte Zustimmung angefochten ist3. Wird der Zustimmungsbescheid der Behörde rechtskräftig aufgehoben und war der Kündigungsschutzprozess nicht ausgesetzt, so ist der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO gegeben und die arbeitsgerichtliche Entscheidung ist aufzuheben4.
316
Die Wirksamkeit der Kündigungserklärung ist an die Einhaltung der Schriftform (§ 623 BGB; § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG) sowie die Angabe des zulässigen Kündigungsgrundes gebunden (§ 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG). Der zulässige Kündigungsgrund im Sinne dieser Norm ist der von der Zustimmungsbehörde gebilligte Kündigungsgrund, so dass auf die der Arbeitnehmerin zugestellte Entscheidung der Behörde Bezug genommen werden kann. Dennoch empfiehlt es sich, nochmals eine Fotokopie dieser behördlichen Entscheidung der Kündigungserklärung beizufügen.
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Bader in KR, § 9 MuSchG Rz. 116. BAG v. 17. 6. 2003 – 2 AZR 245/02, BAGE 106, 293 = NZA 2003, 1329. BAG v. 17. 6. 2003 – 2 AZR 245/02, BAGE 106, 293 = NZA 2003, 1329 (1331). BAG v. 25. 11. 1980 – 6 AZR 210/80, BAGE 34, 275 = NJW 1981, 2023 = MDR 1981, 524.
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Rz. 319 § 12
Kündigung der Dienstverhältnisse
Während der Elternzeit ist das Arbeitsverhältnis ordentlich nicht kündbar (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG). Die Kündigung kann auf Antrag des Insolvenzverwalters ausnahmsweise bei Vorliegen eines besonderen Falles für zulässig erklärt werden (§ 18 Abs. 1 Satz 2 BErzGG).
317
Für den Rechtsschutz und die Anfechtung der Kündigungserklärung gelten keine Besonderheiten (vgl. Rz. 304, 315). Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften vom 3. 1. 1986 regeln Folgendes:
318
§1 Die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle (Behörde) hat zu prüfen, ob ein besonderer Fall gegeben ist. Ein solcher besonderer Fall liegt vor, wenn es gerechtfertigt erscheint, dass das nach § 18 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes als vorrangig angesehene Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen außergewöhnlicher Umstände hinter die Interessen des Arbeitgebers zurücktritt. §2 Bei der Prüfung nach Maßgabe des § 1 hat die Behörde davon auszugehen, dass ein besonderer Fall im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes insbesondere dann gegeben ist, wenn 1.
Der Betrieb, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, stillgelegt wird und der Arbeitnehmer nicht in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
2.
die Betriebsabteilung, in welcher der Arbeitnehmer beschäftigt ist, stillgelegt wird und der Arbeitnehmer nicht in einer anderen Betriebsabteilung des Betriebs oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
3.
der Betrieb oder die Betriebsabteilung, in denen der Arbeitnehmer beschäftigt ist, verlagert wird und der Arbeitnehmer an dem neuen Sitz des Betriebs oder der Betriebsabteilung und auch in einer anderen Betriebsabteilung in einem anderen Betrieb des Unternehmens nicht weiterbeschäftigt werden kann,
4.
der Arbeitnehmer in den Fällen der Nummern 1 –3 eine ihm vom Arbeitgeber angebotene zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ablehnt.
Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 18 BErzGG sind auch zur Ermessensausübung im Rahmen von § 9 Abs. 3 MuSchG heranzuziehen. f) Außerordentliche Kündigung Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat, wie oben unter Rz. 1 ausgeführt, grundsätzlich auf den Bestand der Arbeitsverhältnisse keinen Einfluss. Diese Selbstverständlichkeit ist nunmehr in § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO normiert.
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319
§ 12
Rz. 320
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
320
Weder der Insolvenzantrag noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigen eine außerordentliche Kündigung1. Eine außerordentliche Kündigung ist sowohl für den Insolvenzverwalter als auch den Arbeitnehmer nur unter der Voraussetzung von § 626 BGB möglich.
321
Auch für den Insolvenzverwalter gilt die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Die Ausschlussfrist beginnt, sobald der kündigungsberechtigte Insolvenzverwalter zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnisse von den für die außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen hat. Dem Insolvenzverwalter ist zur Aufdeckung möglicher außerordentlicher Kündigungsgründe eine Einarbeitungszeit zu gewähren2.
322
Bei der Verdachtskündigung ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine außerordentliche Kündigung, dass der verdächtigte Arbeitnehmer zu den Kündigungsvorwürfen angehört wird3. Eine ohne hinreichende Anhörung des verdächtigten Arbeitnehmers ausgesprochene Verdachtskündigung ist allein aufgrund der mangelnden Anhörung unwirksam4. Unterbleibt die Anhörung aus Gründen, die der Insolvenzverwalter nicht zu vertreten hat, z.B. weigert sich der Arbeitnehmer eine Stellungnahme abzugeben, berührt dieses die Wirksamkeit der Kündigung nicht. Führt der Insolvenzverwalter die gebotene Anhörung des Arbeitnehmers und die Sachverhaltsaufklärung mit der gebotenen Eile durch, wird hierdurch der Lauf der Ausschlussfrist gehemmt5.
323
Die Kündigungserklärung muss zweifelsfrei erkennen lassen, dass das Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grunde beendet werden soll6. Die Kündigungserklärung sollte klarstellen, dass auf jeden Fall das Arbeitsverhältnis beendet werden soll7. In diesem Falle kann eine unwirksame, außerordentliche Kündigungserklärung gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden. Auch der Insolvenzverwalter muss prüfen, ob die außerordentliche Kündigung mit oder ohne soziale Auslauffrist ausgesprochen wird. Abhängig von der Dauer des bislang ungestört verlaufenen Arbeitsverhältnisses und der Schwere des Kündigungsvorwurfs kann der Insolvenzverwalter gehalten sein, die außerordentliche Kündigung nur mit der sozialen Auslauffrist, also derjenigen Frist, die bei ordentlicher Kündigung einzuhalten wäre, auszusprechen. Im Rahmen des Kündigungsschreibens sollte jedoch klargestellt werden8, dass es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt.
1 BAG v. 25. 10. 1968 – 2 AZR 23/68, NJW 1969, 525. 2 OLG Düsseldorf v. 8. 12. 1983 – 8 U 234/82, ZIP 1984, 86; zweifelnd: BGH v. 2. 7. 1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113. 3 BAG v. 13. 9. 1995 – 2 AZR 587/94, BAGE 81, 27 = NZA 1996, 81. 4 BAG v. 26. 9. 2002 – 424/01, BAGE 103, 54 = NZA 2003, 230. 5 BAG v. 6. 7. 1972 – 2 AZR 386/71, BAGE 24, 341 = NJW 1973, 214 = MDR 1973, 82. 6 BAG v. 13. 1. 1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267 = NJW 1983, 303 = MDR 1983, 167. 7 BAG v. 13. 8. 1987 – 2 AZR 599/86, NZA 1988, 129 = NJW 1988, 581. 8 BAG v. 13. 1. 1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267 = NJW 1983, 303.
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Kündigung der Dienstverhältnisse
Rz. 328 § 12
3. Schadensersatz (§ 113 Satz 3 InsO) Kündigt der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit der verkürzten Frist des § 113 Satz 2 InsO, kann der Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) Schadensersatz verlangen (zur Rechtsstellung eines Insolvenzgläubigers vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Voraussetzung des Schadensersatzanspruches ist, dass dem Arbeitnehmer einzelvertraglich, tariflich oder gesetzlich eine längere Kündigungsfrist zugestanden hatte. § 113 Satz 3 InsO gilt nur für Kündigungserklärungen des Insolvenzverwalters, so dass bei einer Kündigung des Arbeitnehmers mit der verkürzten Frist nach § 113 Satz 2 InsO der Insolvenzmasse keine Schadensersatzansprüche zustehen1.
324
Der Höhe nach auszugleichen ist dem Arbeitnehmer der entgangene Verdienst bis zum Termin der regulären Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Einhaltung der individuellen, tariflichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist, also der sogenannte Verfrühungsschaden2. Anzurechnen sind zeitraumbezogen3 alle sonstigen Einnahmen oder Ersparnisse (§ 615 Satz 2 BGB) und öffentlich-rechtlichen Leistungen i.S.v. § 11 Nr. 3 KSchG, zu denen z.B. das Arbeitslosengeld und Leistungen aus dem vorgezogenen Altersruhegeld zählen.
325
Die Schadensberechnung bei ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnissen erfolgt analog §§ 9, 10 KSchG4. Der Anspruch des Arbeitnehmers stellt eine bedingte Forderung gemäß § 42 InsO dar, so dass eventuell auf die Insolvenzforderung entfallende Quoten zurückzubehalten und zu hinterlegen (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO) sind. Der entgangene Verdienst ist dem Arbeitnehmer als Schadensersatz in Höhe der Bruttobezüge zuzubilligen, da der Arbeitsentgelt anspruch generell einen Bruttoanspruch5 darstellt. Sofern der Arbeitnehmer Netto-Beträge zur Insolvenztabelle anmeldet, muss der Insolvenzverwalter die angemeldete Forderung bestreiten.
326
4. Zeugnis Der Arbeitnehmer hat auch im Insolvenzverfahren einen Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses6. Der Arbeitnehmer kann wählen, ob er ein einfaches oder ein qualifiziertes Zeugnis wünscht (§ 630 BGB). Die Form und der Inhalt des Zeugnisses erfahren durch das Insolvenzverfahren keine Besonderheiten7.
327
Hat das Arbeitsverhältnis vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geendet, besteht der Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Schuldner8.
328
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Irschlinger in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 113 Rz. 17. BAG v. 26. 7. 2001 – 8 AZR 739/00, BAGE 98, 275 = NZA 2002, 325. BAG v. 22. 11. 2005 – 1 AZR 407/04, NZA 2006, 736 = ZIP 2006, 1312. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 113 InsO Rz. 31. BAG v. 11. 2. 1998 – 5 AZR 159/97, NZA 1998, 710 = ZIP 1998, 868. Einzelheiten: Stiller, Der Zeugnisanspruch in der Insolvenz des Arbeitgebers, NZA 2005, 330. 7 Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 630 BGB Rz. 28 ff. 8 BAG v. 28. 11. 1966 – 5 AZR 190/66, BAGE 19, 146 = NJW 1967, 648 = MDR 1967, 435.
Irschlinger
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1319
§ 12
Rz. 328a
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
328a
Hat jedoch das Arbeitsverhältnis rechtlich am Tage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden, so hat der Insolvenzverwalter den Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen1. Abzustellen ist auf das rechtliche Bestehen des Arbeitsverhältnisses, so dass auch im Falle der Freistellung von der Arbeitsleistung durch den Insolvenzverwalter dann das Zeugnis zu erstellen ist, wenn am Insolvenzeröffnungstag das Arbeitsverhältnis noch rechtlich bestand. Das Zeugnis ist auf dem Firmenbriefbogen des Schuldners zu erteilen2.
328b
Im Falle des Insolvenzantragsverfahrens ist zu unterscheiden: Ist ein vorläufiger Insolvenzverwalter ohne die Übertragung der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis bestellt und ihm auch nicht auf Grund einer Einzelermächtigung die Arbeitgeberstellung übertragen worden, richtet sich der Zeugniserteilungsanspruch gegen den Schuldner und nicht gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter3. Ging jedoch die Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über, ist dieser Schuldner des Zeugniserteilungsanspruchs.
329
Für den Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers ist es unerheblich, ob der Insolvenzverwalter die Führung und Leistung des Arbeitnehmers aus eigenen Wahrnehmungen beurteilen kann. Er muss sich die erforderlichen Angaben aus den Personalakten oder durch Befragen der Vorgesetzten des Arbeitnehmers beschaffen. Er hat darüber hinaus gegen den Schuldner, die organschaftlichen Vertreter (§ 101 Abs. 1 Satz 1 InsO), sowie alle Angestellte (§ 101 Abs. 2 InsO) den Auskunftsanspruch gemäß § 97 InsO4. Der Insolvenzverwalter kann in dem Zeugnis darauf hinweisen, dass er die Beurteilung nicht aufgrund eigener Wahrnehmungen vornimmt. Nur in Extremfällen, wenn sich der Insolvenzverwalter trotz aller Bemühungen die notwendigen Kenntnisse nicht verschaffen kann, entfällt der Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers5.
330
Wurde dem Arbeitnehmer vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner ein Zeugnis erteilt, so richtet sich ein Berichtigungsanspruch nicht gegen den Insolvenzverwalter, sondern gegen den Schuldner, wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich vor der Insolvenzeröffnung beendet war. War der Zeugniserteilungsanspruch vor der Insolvenzeröffnung tituliert, ist im Falle der Nichterfüllung des titulierten Ansruchs die Vollstreckung gegen den Schuldner und nicht den Insolvenzverwalter durchzuführen6.
1 BAG v. 30. 1. 1991 – 5 AZR 32/90, BAGE 67, 112 = NZA 1991, 599 = ZIP 1991, 744. 2 BAG v. 3. 3. 1993 – 5 AZR 182/92, NZA 1993, 697 = NJW 1993, 2197. 3 BAG v. 23. 6. 2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135 = NZA 2004, 1390 = ZIP 2004, 1974. 4 BAG v. 23. 6. 2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135 = NZA 2004, 1390 = ZIP 2004, 1974 (1976). 5 BAG v. 30. 1. 1991 – 5 AZR 32/90, BAGE 67, 112 = NZA 1991, 599 = ZIP 1991, 744. 6 LAG Düsseldorf v. 7. 11. 2003 – 16 Ta 571/03 , NZA – RR 2004, 206 = ZIP 2004, 631.
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Irschlinger
Massenentlassung
Rz. 334 § 12
Ein wegen der Zeugniserteilung oder Zeugnisberichtigung anhängiger Rechtsstreit wird durch die Insolvenzveröffnung nicht unterbrochen1.
331
Der Insolvenzverwalter kann die Aufgabe der Zeugniserteilung, wie dieses auch in größeren Unternehmen üblich ist, auf einen Bevollmächtigten übertragen. Im Zeugnis ist in diesem Fall deutlich zu machen, dass der Vertreter gegenüber dem zu beurteilenden Arbeitnehmer weisungsbefugt war2. Der Zeugniserteilungsanspruch kann verwirken. Die Verwirkung kann bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist eintreten. Das Zeitmoment des Verwirkungstatbestandes kann bereits zehn Monate nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllt sein3.
VI. Massenentlassung 1. Allgemeines Der Insolvenzverwalter hat nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die erforderliche Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG zu erstatten4.
332
Die Voraussetzungen der Anzeigepflicht ergeben sich aus dem Quorum nach § 17 Abs. 1 KSchG. Die Entlassung i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist im Gegensatz zu der früheren, jahrzehntelangen Rechtsprechung des BAG5, nunmehr nicht das Datum des tatsächlichen Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Betrieb, also der Endtermin des Arbeitsverhältnisses, sondern das Datum des Zuganges der Kündigungserklärung6. Maßgeblich für die Anzeigeverpflichtung ist, dass innerhalb eines Zeitraumes von dreißig Kalendertagen die Entlassungen, d.h., die Kündigungserklärungen zugegangen sind und nicht wie früher die Endtermine der Arbeitsverhältnisse liegen.
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Neben den Kündigungen durch den Insolvenzverwalter sind auch Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, Aufhebungsverträge und Änderungskündigungen für das Quorum zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG)7. Fristlose Kündigungen sind jedoch nicht zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 KSchG). Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge bleiben dann unberücksichtigt, sofern sie nicht durch den Insolvenzverwalter veranlasst sind (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Auch Arbeitsverhältnisse, welche aufgrund Zeitablaufs, Zweckerrei-
334
1 BAG v. 23. 6. 2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135 = NZA 2004, 1392 = ZIP 2004, 1974 (1977). 2 BAG v. 26. 6. 2001 – 9 AZR 392/00, NZA 2002, 34. 3 BAG v. 17. 2. 1988 – 5 AZR 638/86, BAGE 57, 329 = NZA 1988, 427. 4 BSG v. 21. 3. 1978 – 7/12 RAr 6/77, BSGE 46, 99 (100) = NJW 1980, 2430. 5 BAG v. 24. 2. 2005 – 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766 = ZIP 2005, 1330. 6 EuGH v. 27. 1. 2005 – Rs C 188/03, NZA 2005, 213 = ZIP 2005, 230; BAG v. 23. 3. 2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971 = ZIP 2006, 1644. 7 BAG v. 11. 3. 1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761 = ZIP 1999, 1568.
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§ 12
Rz. 335
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
chung oder Eintritts von auflösenden Bedingungen enden, sind bei dem Quorum nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht zu berücksichtigen1. 335
Richtet der Insolvenzverwalter eine Massenentlassung so ein, dass die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer innerhalb von dreißig Kalendertagen jeweils unter dem Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Nr. 1 –3 KSchG bleibt, so liegt hierin keine Umgehung der Anzeigepflicht2. Da die Anzeige vor der Durchführung der Entlassungen zu erstatten ist, ergibt sich hieraus zwingend, dass die Arbeitsverhältnisse noch nicht beendet sein dürfen.
336
Einstweilen frei.
337
Im Rahmen der Anzeige nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG sind zwingend folgende Angaben in der Anzeige zu machen: –
Name des Arbeitgebers (Schuldner i.S.v. § 11 Abs. 1 und 2 InsO),
–
tatsächlicher Sitz und Art des Betriebs (Geschäftszweck),
–
Entlassungsgründe (Stichworte),
–
Zahl und Berufsgruppen (tatsächliche Tätigkeit) der zu entlassenden Arbeitnehmer,
–
Zahl und Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
–
Zeitraum in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen (Kündigungsendtermine),
–
Kriterium für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.
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Dieser zwingende Inhalt der Massenentlassungsanzeige ist nur teilweise deckungsgleich mit dem Mindestinhalt der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Nr. 1–6 KSchG.
339
Die Massenentlassungsanzeige ist unwirksam, wenn eine der Pflichtangaben nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG fehlt3.
2. Betriebsrat 340
Besteht im schuldnerischen Betrieb ein Betriebrat, so ist dieser rechtzeitig zu unterrichten und ihm schriftlich die Angaben nach § 17 Abs. 2 Nr. 1–6 KSchG zu machen. Der Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit ist zwingend eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Eine Stellungnahme des Betriebsrats ist in zwei Fällen entbehrlich und die erstattete Massenentlassungsanzeige dennoch wirksam: –
Es ist ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat abgeschlossen worden, da dieser Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG (§ 125 Abs. 2 InsO) ersetzt. Der Massenentlassungsanzeige
1 Weigand in KR, § 17 KSchG Rz. 44. 2 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 17 Rz. 26. 3 Weigand in KR, § 17 KSchG Rz. 83.
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Massenentlassung
Rz. 344 § 12
ist der nach § 125 Abs. 1 InsO abgeschlossene Interessenausgleich in Kopie beizufügen. Der Interessenausgleich nach § 125 InsO macht jedoch weder die Massenentlassungsanzeige als solche noch die Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG entbehrlich. Ein Interessenausgleich nach § 111 BetrVG ersetzt nicht die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. –
Der Insolvenzverwalter macht glaubhaft, dass der Betriebsrat unter Darlegung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG aufgeführten Angaben mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet wurde (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG).
Damit der Insolvenzverwalter die rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrats glaubhaft machen kann, muss er sich den Zugang der schriftlichen Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch den Betriebsratsvorsitzenden oder dessen Stellvertreter im Amt (§ 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG) mit Datum quittieren lassen. Zweckmäßigerweise wird dem Betriebsrat der Entwurf der Massenentlassungsanzeige übermittelt.
341
Der Insolvenzverwalter hat gleichzeitig eine Durchschrift seiner Mitteilung an den Betriebsrat mit den in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–5 KSchG vorgeschriebenen Angaben der Agentur für Arbeit zuzuleiten (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG), da die Arbeitsverwaltung hierdurch rechtzeitig über eine geplante Massenentlassung unterrichtet werden soll. Leitet der Insolvenzverwalter der Agentur für Arbeit keine Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrats zu, wird dieses Unterlassen regelmäßig bei der Entscheidung über die Sperrfrist nach § 18 KSchG berücksichtigt1.
342
3. Unwirksamkeit der Entlassungen Wird die Massenentlassungsanzeige nicht erstattet, obgleich die Voraussetzungen nach § 17 Abs. 1 KSchG vorlagen oder war die Anzeige unwirksam, weil nicht alle Pflichtangaben nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG in der Anzeige enthalten waren oder weil eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht beigefügt war, sind die Entlassungen unwirksam2.
343
Die Unwirksamkeit betrifft nicht die Kündigungserklärung3, sondern die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer kann sich neben dem individuellen Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG auch auf die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige oder die fehlende Zustimmung desr Arbeitsamtes Agentur für Arbeit zur Kündigung (§ 18 Abs. 1 Hs. 1 KSchG) berufen. Hat der Insolvenzverwalter die Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Kündigung weder vor noch nach dem Entlassungszeitpunkt beantragt, wird das Arbeitsverhältnis durch die entsprechende Kündigungserklärung nicht aufgelöst4. Beruft sich also der Arbeitnehmer auf die Entlassungssperre nach § 18
344
1 2 3 4
Weigand in KR, § 17 KSchG Rz. 65. BAG v. 11. 3. 1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761 = ZIP 1999, 1568. BAG v. 18. 9. 2003 – 2 AZR 79/02, BAGE 107, 318 = NZA 2004, 375 = ZIP 2004, 677. BAG v. 13. 4. 2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 144 = NZI 2001, 272.
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§ 12
Rz. 345
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
KSchG, beendet die gegebenenfalls nach §§ 1 ff. KSchG wirksame Kündigungserklärung das Beschäftigungsverhältnis nicht. Stimmt die Agentur für Arbeit der Entlassung des Arbeitnehmers nicht zu dem ins Auge gefassten Entlassungstermin zu, ist keine oder keine wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet worden, kann die Entlassung nicht zu dem vorgesehenen Termin erfolgen. Beschäftigt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer nicht weiter, gerät er in Annahmeverzug. 345
Eine unterlassene oder unwirksame Massenentlassungsanzeige kann noch bis längstens zu der geplanten Kündigungserklärung nachgeholt werden. Ein Nachholen der Massenentlassungsanzeige nach der abgegebenen Kündigungserklärung ist nicht möglich. In einem solchen Falle muss der Insolvenzverwalter eine erneute Kündigung aussprechen und beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG zuvor eine wirksame Massenentlassungsanzeige erstatten1. Eine unwirksame Kündigung führt jedoch zu Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 betrVG2.
346
Beruft sich der Arbeitnehmer auf den individuellen Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG, so muss er die Kündigungsschutzklage innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG erheben. Will der Arbeitnehmer nicht die Kündigung als solche angreifen, sondern die Unwirksamkeit der Entlassung wegen der unterlassenen oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige geltend machen, muss er Feststellungsklage nach § 256 ZPO erheben3. Obgleich nicht die Kündigung als solche angegriffen wird, sondern die Unwirksamkeit der Entlassung, liegt ein sonstiger Unwirksamkeitsgrund i.S.d. §§ 7, 13 Abs. 3 KSchG vor4, so dass der Arbeitnehmer diesen sonstigen Unwirksamkeitsgrund in der Insolvenz gleichfalls innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend machen muss.
4. Sperrfrist 347
Die ordnungsgemäß erstattete Massenentlassungsanzeige löst gemäß § 18 Abs. 1 Hs. 1 KSchG eine Regelsperrfrist von einem Monat aus. Diese Frist berechnet sich ab dem Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit; die Fristberechnung erfolgt nach §§ 187 ff. BGB. Die Regelsperrfrist kann auf Antrag, der im Rahmen der Massenentlassungsanzeige zu stellen ist, bis zum Tage der Antragstellung, d.h. bis auf den Tag des Eingangs der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit, abgekürzt werden (§ 18 Abs. 1 Hs. 2 KSchG). Für die Abkürzung der Sperrzeit unter die Regelsperrzeit von einem Monat ist der Nachweis durch den Insolvenzverwalter erforderlich, dass der Insolvenzmasse die Einhaltung der einmonatigen Sperrzeit wirtschaftlich nicht zuzumuten ist. 1 Bauer/Powietzka, DB 2001, 383. 2 BAG v. 18. 11. 2003 – 1 AZR 637/02, BAGE 108, 311 = NZA 2004, 741 = ZIP 2004, 1828; BAG v. 30. 3. 2004 – 1 AZR 7/03, BAGE 110, 122 = NZA 2004, 931 = ZIP 2004, 1823. 3 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 18 Rz. 26. 4 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 17 Rz. 3.
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Massenentlassung
Rz. 349a § 12
Die Sperrfrist kann durch die Agentur für Arbeit auf längstens zwei Monate verlängert werden (§ 18 Abs. 2 KSchG). Bei der Entscheidung, ob die Sperrzeit verlängert oder verkürzt wird, ist mitentscheidend, ob die Agentur für Arbeit von der geplanten Massenentlassung rechtzeitig nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG unterrichtet wurde. Im Übrigen ist eine Verlängerung der Sperrzeit auf bis zu zwei Monaten nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen zulässig. Während der Sperrfrist kann ohne Zustimmung der Agentur für Arbeit eine Entlassung nicht wirksam werden, d.h., dass der in der Sperrfrist liegende Kündigungsendtermin das Arbeitsverhältnis nicht beendet, so dass die Entlassung gehemmt – aufschiebend bedingt1 – ist. Ist während der Sperrfrist die Kündigungsfrist abgelaufen, verlängert sich die Kündigungsfrist bis zum Ablauf der Sperrfrist2, wobei es keiner erneuten Kündungserklärung bedarf. Die Kündigung wird mit dem Tage des Ablaufs der Sperrfrist wirksam. § 18 Abs. 1 KSchG ist als Mindestkündigungsfrist zu verstehen3. Beispiel: Der Insolvenzverwalter kündigt das Arbeitsverhältnis zum 30. April. Die Agentur für Arbeit verhängt eine Sperrfrist bis zum 15. Mai. Damit endet das Arbeitsverhältnis zum 15. Mai.
348
Der Endtermin des Arbeitsverhältnisses und das Ende der Sperrzeit fallen dann zusammen. Dieses gilt auch, wenn die Kündigung nur zu bestimmten Terminen wie z.B. nach § 622 Abs. 1 BGB möglich ist.
5. Freifrist An die Sperrfrist schließt sich die Freifrist gemäß § 18 Abs. 4 KSchG an. Diese ist seit der Entscheidung des EuGH4 vom 27. 1. 2005 obsolet5, da es nicht mehr auf die beabsichtigten Endtermine der Arbeitsverhältnisse, sondern auf den Zugang der Kündigungserklärungen ankommt.
349
Hat der Insolvenzverwalter eine Massenentlassung angezeigt, obgleich die Voraussetzungen der §§ 17 ff. KSchG nicht gegeben waren, wird dieses dem antragstellenden Insolvenzverwalter durch die Agentur für Arbeit in Form eines so genannten Negativattestes mitgeteilt. Wird durch die Agentur für Arbeit fälschlicherweise angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Massenentlassungsanzeige nicht vorliegen, genießt der Insolvenzverwalter Vertrauensschutz. Das Negativattest wirkt in diesem Falle wie eine zum gleichen Zeitpunkt erteilte Zustimmung der Agentur für Arbeit zur vorzeitigen Entlassung6.
349a
1 BAG v. 13. 7. 2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25 = ZIP 2006, 2396. 2 Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 142 Rz. 40. 3 Dzid/Hohenstatt, BAG schafft Klarheit bei Massenentlassungen, DB 2006, 1897 (1901); a.A. Ferme/Lipinski, Änderung der Rechtsprechung des BAG bei Massenentlassungen, NZA 2006, 937 (939). 4 EuGH v. 27. 1. 2005 – Rs C 188/03, NZA 2005, 213 = ZIP 2005, 230. 5 BAG v. 13. 7. 2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25 = ZIP 2006, 2396. 6 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 18 Rz. 19.
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§ 12
Rz. 350
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
6. Zusammenfassung 350
Beabsichtigt der Insolvenzverwalter die Durchführung einer Massenentlassung und ist im Betrieb ein Betriebsrat vorhanden, gilt folgendes Ablaufschema: –
Rechtzeitige schriftliche Unterrichtung des Betriebsrats (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–6 KSchG);
–
Aufnahme von Beratungen über Möglichkeiten, die Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG);
–
Übersendung einer Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat mit den Angaben nach § 17 Abs. 2 Nr. 1–5 KSchG an die Agentur für Arbeit (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG);
–
Erstattung der Massenentlassungsanzeige unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats oder Glaubhaftmachung, dass der Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtetwurde (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG);
–
Zusendung einer Abschrift der Massenentlassungsanzeige an den Betriebsrat (§ 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG);
–
Anhörung des Insolvenzverwalters und Betriebsrats bei der Agentur für Arbeit (§ 20 Abs. 3 Satz 1 KSchG);
–
Entscheidung der Agentur für Arbeit über die Zustimmung zur Massenentlassung (§ 18 KSchG);
–
Durchführung der Entlassungen innerhalb der Freifrist nach (§ 18 Abs. 4 KSchG)1.
Daneben bestehen die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Rahmen der Personalplanung (§ 92 BetrVG), einer geplanten Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) sowie des Versuchs eines Interessenausgleichs und Vereinbarung eines Sozialplanes (§ 112 BetrVG).
VII. Klagefrist (§ 4 Satz 1 KSchG) 1. § 4 Satz 1 KSchG 351
Die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG ist durch den Arbeitnehmer auch dann zu wahren, wenn er andere Unwirksamkeitsgründe als die in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG genannten Gründe behauptet (§ 4 Satz 2 KSchG). Es sind somit auch die sonstigen Unwirksamkeitsgründe (§ 13 Abs. 3 KSchG) innerhalb der Drei-Wochen-Frist durch Klageerhebung geltend zu machen. Die Regelung gewährleistet für den Insolvenzverwalter ein hohes Maß an Rechtssicherheit, da alle Unwirksamkeitsgründe wie
1 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 17 Rz. 6.
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Rz. 357 § 12
Klagefrist (§ 4 Satz 1 KSchG)
–
nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung (§ 102 BetrVG),
–
fehlende behördliche Zustimmung zur Kündigung (§ 9 MuSchG, § 85 SGB IX),
–
Nichtigkeit (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB),
–
Mangel der Schriftform (§ 623 BGB),
–
nicht erstattete oder fehlerhaft erstattete Massenentlassungsanzeige (§§ 17, 18 KSchG)
durch fristgerechte Klageerhebung geltend zu machen sind. Ist die Zustimmung einer Behörde wie z.B. bei Schwerbehinderten, Gleichgestellten, werdenden Müttern oder im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmern zur Kündigung erforderlich, beginnt der Lauf der Klagefrist erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung an den Arbeitnehmer (§ 4 Satz 4 KSchG).
352
Kündigt der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz (§ 9 MuSchG, § 85 SGB IX), ohne einen Antrag auf Zustimmung zu stellen, läuft die Klagefrist nicht. Die Klagefrist läuft erst ab Bekanntgabe der Entscheidung an den Arbeitnehmer (§ 4 Satz 4 KSchG)1.
353
Diejenigen Arbeitnehmer, welche persönlich nicht unter das KSchG fallen, weil z.B. ihr Beschäftigungsverhältnis zum insolventen Arbeitgeber noch keine sechs Monate ohne Unterbrechung bestand (§ 1 Abs. 1 KSchG) oder weil der schuldnerische Betrieb ein Kleinunternehmen i.S.v. § 23 Abs. 1 KSchG ist, haben die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG nicht zu wahren. Hier verbleibt eine geringe Rechtsunsicherheit für den Insolvenzverwalter.
354
Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gilt nur für Arbeitnehmer. Damit ist bei Kündigung von Dienstverhältnissen durch den Dienstverpflichteten die Klagefrist von drei Wochen nicht zu wahren.
355
Die Abgrenzung von Arbeitnehmern und Dienstverpflichteten erfolgt nach dem Rechtsgrundsatz des § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB. Es kommt hinzu, dass bei dem Fremdgeschäftsführer, soweit er Arbeitnehmer ist, nicht die Arbeitsgerichte (§ 4 Satz 1 KSchG) zur Entscheidung über die Kündigungsschutzklage berufen sind, sondern die ordentlichen Gerichte2.
356
Die Klage ist gegen den Insolvenzverwalter in seiner Eigenschaft als Partei kraft Amtes zu richten. Ist die Klage gegen die Schuldnerin gerichtet, ist das Rubrum zu berichtigen, wenn sich aus der Klage oder der Klageschrift beigefügten Kopie des Kündigungsschreibens ergibt, dass sich die Klage gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes richten soll3. Erhebt der Kläger eine allgemeine Feststellungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass sein Arbeitsver-
357
1 BAG v. 3. 7. 2003 – 2 AZR 487/02, BAGE 107, 50 = NZA 2003, 1335 = ZIP 2003, 2129; BAG v. 27. 3. 2003 – 2 AZR 272/02, NZA 2003, 1391. 2 BAG v. 11. 4. 1997 – 5 AZB 32/96, NZA 1997, 902. 3 BAG v. 18. 4. 2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207 = ZIP 2002, 2003 (2007); BAG v. 27. 3. 2003 – 2 AZR 272/02, NZA 2003, 1391.
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§ 12
Rz. 358
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
hältnis fortbesteht, wahrt bei rechtzeitigem Eingang bei Gericht auch eine solche Klage die Klagefrist1. Sicherer ist die vom BAG zugelassene2 Antragskumulierung nach § 4 KSchG und nach § 256 ZPO. 358
Der Kündigungsschutzantrag lautet demgemäß: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom … nicht aufgelöst worden ist und das Arbeitsverhältnis über den … weiter fortbesteht.
359
Strittig ist nach Streichung von § 113 Abs. 2 InsO nicht mehr, ob der Arbeitnehmer innerhalb der Drei-Wochen-Frist alle Unwirksamkeitsgründe mit Ausnahme der Rüge der Sozialwidrigkeit vorbringen muss oder ob der Arbeitnehmer sich auf Unwirksamkeitsgründe auch nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist berufen kann.
360
§ 4 Satz 1 KSchG fordert für die Wahrung der Klagefrist die Klageerhebung. Eine Klage, bei welcher der Arbeitgeber (Insolvenzverwalter) benannt ist, das Datum der Kündigung angegeben und deutlich wird, dass sich der Kläger gegen die Kündigung wendet, wahrt die Frist. Eine Klage gegen den Insolvenzschuldner wahrt hingegen die Klagefrist nicht. Eine Berichtigung des Rubrums in diesen Fällen setzt die Erkennbarkeit der Insolvenzeröffnung aus der Klageschrift oder Anlagen zur Klageschrift voraus3. Höhere Anforderungen an die Klage, insbesondere auch eine Klagebegründung, sind auch im Insolvenzverfahren nicht zu stellen.
360a
Ein bei der Insolvenzeröffnung anhängiger Kündigungsschutzprozess wird gemäß § 240 ZPO durch die Insolvenzeröffnung unterbrochen4 und kann gemäß § 86 InsO sowohl durch den Arbeitnehmer als auch den Insolvenzverwalter aufgenommen werden.
2. Nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG 361
War der Arbeitnehmer trotz aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der Kündigungserklärung zu erheben, ist die Klage durch das Arbeitsgericht auf Antrag gemäß § 5 KSchG nachträglich zuzulassen. Sowohl außerhalb wie auch während des Insolvenzverfahrens wird somit die Einzelfallgerechtigkeit über das Interesse an einer schnellen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gesetzt5.
1 2 3 4
BAG v. 7. 12. 1995 – 2 AZR 772/94, BAGE 81, 371 = NZA 1996, 334. BAG v. 21. 1. 1988 – 2 AZR 581/86, BAGE 57, 231 = NZA 1988, 651 = MDR 1988, 890. BAG v. 21. 9. 2006 – 2 AZR 573/06, NZI 2007, 182 = NJW 2007, 458. LAG Schleswig-Holstein v. 24. 1. 2005 – 2 Ta 17/05, NZA-RR 2005, 658 = ZInsO 2006, 224. 5 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 1a.
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Rz. 367 § 12
Klagefrist (§ 4 Satz 1 KSchG)
Die Voraussetzung für die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist, dass die Klage nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist erhoben wurde sowie dass der Arbeitnehmer die Drei-Wochen-Frist trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt versäumt hat.
362
Irrt sich der Arbeitnehmer über den Fristlauf, so liegt in der Regel ein die nachträgliche Zulassung der Klage ausschließendes Verschulden vor. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn ihm über die Klagefrist von zuverlässiger und geeigneter Stelle eine falsche Auskunft erteilt wurde.
363
Zuverlässig und geeignet sind: –
Rechtsanwälte,
–
Gewerkschaftliche Rechtsschutzsekretäre,
–
Rechtsantragsstelle eines Arbeitsgerichts,
–
Betriebsräte in Großbetrieben.
Nicht geeignet sind: –
Betriebsrat in Klein- und Mittelbetrieben,
–
Allgemeine Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts,
–
Arbeitskollegen.
Allein die Unmöglichkeit, rechtzeitig eine Auskunft oder einen Rechtsrat einzuholen, rechtfertigt nicht die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage1.
364
Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers an der Versäumung der Klagefrist ist gemäß § 85 Abs. 2 ZPO dem Arbeitnehmer anzurechnen2. Lediglich das Verschulden des Büropersonals des Prozessbevollmächtigten geht nicht zu Lasten des Arbeitnehmers3.
365
Die Unkenntnis der Klagefrist des § 4 Abs. 1 KSchG stellt keinen Grund für eine nachträgliche Klagezulassung dar4.
366
Geht dem Arbeitnehmer die Kündigungserklärung während seines Urlaubs oder einer sonstigen Ortsabwesenheit unter seiner normalen Postanschrift zu, ist ein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage dann begründet, wenn der Arbeitnehmer erst nach dem Ablauf der Klagefrist von der Kündigung Kenntnis erlangte. Nimmt der Arbeitnehmer so rechtzeitig von der Kündigungserklärung Kenntnis, dass es ihm noch zumutbar ist, in der verbleibenden Zeit der Drei-Wochen-Frist Rat einzuholen und gegebenenfalls die Klage zu erheben, scheidet eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage aus5.
367
1 2 3 4 5
Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 45. LAG Rheinland-Pfalz v. 28. 5. 1997 – 8 Ta 254/96, NZA 1998, 55 (56). BAG v. 9. 1. 1990 – 3 AZR 528/89, NZA 1990, 538 = NJW 1990, 2707. Sächsisches LAG v. 23. 7. 1998 – 9 Ta 193/98, NZA 1999, 112 (LS). Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 60, 61.
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1329
§ 12
Rz. 368
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
368
Im Insolvenzverfahren wird die häufigste Begründung für einen Antrag auf nachträgliche Zulassung einer Kündigungsklage sein, dass der Arbeitnehmer erst nach dem Ablauf der Klagefrist von einem Betriebs- oder Teilbetriebsübergang nach § 613a BGB erfahren hatbe. In diesem Fall kann eine nachträgliche Zulassung der Klage nur dann erfolgen, wenn die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Diese Tatsache gehört zum schlüssigen Vortrag beim Antrag auf die nachträgliche Zulassung.
369
Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage setzt einen Antrag voraus (§ 5 Abs. 1 KSchG). Der Antrag ist innerhalb von zwei Wochen nach der Behebung des Hindernisses zu stellen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist, wenn bislang noch keine Kündigungsschutzklage erhoben war, die Klageerhebung zu verbinden.
370
Ist bereits eine Kündigungsschutzklage eingereicht, ist auf diese Bezug zu nehmen. Im Antrag sind die für die nachträgliche Zulassung maßgeblichen Tatsachen anzugeben und glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung erfolgt nach § 294 ZPO. Sofern die Glaubhaftmachung nicht im Rahmen des Antrages nach § 5 Abs. 1 KSchG erfolgt ist, muss dieses innerhalb von zwei Wochen nachgeholt werden (§ 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG).
371
Wird die Antragsfrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG versäumt, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus1.
372
Der Antrag auf die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage muss innerhalb von sechs Monaten ab dem Ablauf der Klagefrist gestellt werden (§ 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Es handelt sich um eine absolute Ausschlussfrist.
373
Wird innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG weder eine Kündigungsschutzklage erhoben noch nach dem Ablauf der Klagefrist ein Antrag auf eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gestellt, wird die materielle Wirksamkeit der Kündigung gemäß § 7 KSchG fingiert2.
VIII. Vergütungsansprüche 1. Zeiten nach Insolvenzeröffnung 374
Die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar. Ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nur gegen Zahlung einer Abfindung möglich, stellt diese Abfindung auch bei einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter nach der Insolvenzeröffnung nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar3. Der Insolvenzverwalter hat die vertraglichen Entgeltansprüche bei der jeweiligen Fälligkeit abzurechnen, das sich aus der Abrechnung ergebende Nettoentgelt an die Arbeitnehmer auszuzahlen, die Lohnsteu1 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 28. 2 Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 113 Rz. 218. 3 BAG v. 27. 4. 2006 – 6 AZR 364/05, NZA 2006, 1282 = ZIP 2006, 1962.
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Vergütungsansprüche
Rz. 378 § 12
er, Kirchenlohnsteuer etc. sowie die Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten und abzuführen. Zu den Masseverbindlichkeiten siehe oben § 6 Rz. 264 ff.
2. Freistellung von der Arbeitsleistung Stellt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung frei und gewährt er im Rahmen der Freistellung bestehende und noch entstehende Urlaubsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wird hierdurch zunächst der Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers nicht tangiert. Die Erfüllung des Urlaubsanspruchs durch die Freistellung muss ausdrücklich erklärt werden1. Der Arbeitnehmer erwirbt mit der Freistellung einen Anspruch auf Arbeitslosengeldzahlung aufgrund der Gleichwohlgewährung (§ 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III), wenn der Arbeitnehmer kein Arbeitsentgelt erhält. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt geht in Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes kraft Gesetzes (§ 115 SGB X) auf die Bundesagentur für Arbeit über. Dieser Anspruch der Bundesagentur für Arbeit hat Gleichrang mit den restlichen Arbeitsentgeltansprüchen des Arbeitnehmers2.
375
Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Freistellung erkrankt, scheidet während der Erkrankung eine Urlaubsgewährung aus. Da der Arbeitnehmer der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht, erhält er kein Arbeitslosengeld. In diesem Fall hat die zuständige Krankenkasse an den Arbeitnehmer Krankengeld zu bezahlen. Während des Entgeltfortzahlungszeitraumes von § 3 Abs. 1 EFZG ruht der Krankengeldanspruch, sofern der Arbeitnehmer vom Insolvenzverwalter zu Lasten der Insolvenzmasse Arbeitsentgelt, also die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, erhält (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Hieraus folgt, dass der Arbeitnehmer für Zeiten, für welche der Insolvenzverwalter die Lohnfortzahlungsverpflichtung nicht erfüllt, einen Krankengeldanspruch besitzt. Die Arbeitsentgeltansprüche des Arbeitnehmers gehen gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Krankenkasse in Höhe derer Leistungen über.
376
Bei der Abrechnung der Ansprüche der freigestellten Arbeitnehmer sind die Beiträge zur Sozialversicherung nach den Beitragssätzen desjenigen Jahres zu ermitteln, in welchem der Entgeltanspruch entstanden ist. Wegen des lohnsteuerlichen Zuflussprinzips ist jedoch die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer etc. nach den im Zeitpunkt der Auszahlung anzuwendenden Steuersätze einzubehalten und abzuführen. Sofern der Arbeitnehmer für das Auszahlungsjahr keine Lohnsteuerkarte vorlegt, ist die Lohnsteuer nach Steuerklasse VI einzubehalten und eine Lohnsteuerbescheinigung entweder dem Arbeitnehmer oder dem Betriebsstättenfinanzamt zu übersenden (§ 41b Abs. 1 Satz 4 und 5 EStG).
377
Solange der Insolvenzverwalter weder die Masseunzulänglichkeit noch die drohende Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, kann der Arbeitnehmer trotz der Freistellung von der Arbeitsleistung und des Bezuges von Arbeitslosen- oder Krankengeld gegen den Insolvenzverwalter Zahlungsklage erheben.
378
1 BAG v. 9. 6. 1998 – 9 AZR 43/97, BAGE 89, 91 = NZA 1999, 80 = NJW 1999, 1496. 2 BAG v. 16. 10. 1985 – 5 AZR 203/84, BAGE 50, 22 = NZA 1986, 361 = ZIP 1986, 242 = MDR 1986, 345.
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§ 12 379
Rz. 379
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Der Klageantrag lautet in diesem Falle: Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger … Euro brutto, abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit/Krankenkasse übergegangener … Euro netto, zuzüglich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ab … aus brutto1 … Euro zu bezahlen. Anderweitiger Verdienst des Arbeitnehmers ist auf das Arbeitsentgelt anzurechnen, wenn der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer unter Anrechnung bestehender Urlaubsansprüche von der Arbeit freistellt2. Der Insolvenzverwalter erfüllt den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers dadurch, dass er ihm das Recht einräumt, die Lage des Urlaubszeitraums selbst zu bestimmen3. Ist der Arbeitnehmer damit nicht einverstanden, weil er ein Annahmeverweigerungsrecht für sich beansprucht, hat er dieses unverzüglich dem Insolvenzverwalter mitzuteilen. Ergibt jedoch die Freistellungserklärung des Insolvenzverwalters, dass er dem Arbeitnehmer für den gesamten Freistellungszeitraum Urlaub gewährt, entfällt eine Anrechnung eines Zwischenverdienstes4. Beispiel5: Ich stelle Sie mit Ablauf des … von der weiteren Arbeitsleistung frei. Bitte melden Sie sich sofort bei der für Ihren Wohnsitz zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos. Nicht genommenen Urlaub und den bis zur Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses entstehenden Urlaub nehmen Sie bitte im Rahmen der Freistellung. Sollten Sie vor Ablauf der Kündigungsfrist ein neues Arrbeitsverhältnis eingehen können, darf ich Sie bitten, unter Angabe des Eintrittsdatums bei dem neuen Arbeitgeber und ihrer vertraglichen Bezüge eine Mitteilung an mich zu machen, da dieses für die Ermittlung Ihrer Masseschuldansprüche bedeutsam ist.
3. Arbeitsentgeltansprüche bei Masseunzulänglichkeit 380
Der Insolvenzverwalter kann beim Insolvenzgericht die drohende Masseunzulänglichkeit anzeigen, d.h., dass die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um nach Tilgung der Massekosten die bestehenden sonstigen Masseverbindlichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO). Begrifflich ist die drohende Masseunzulänglichkeit identisch mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO (vgl. hierzu § 1 Rz. 49 ff.). Drohende Masseunzulänglichkeit liegt vor, wenn die Masseverbindlichkeiten bei 1 BAG v. 7. 3. 2001 – GS 1/00, BAGE 97, 150 = NZA 2001, 1195 = ZIP 2001, 1929. 2 BAG v. 6. 9. 2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36 = BB 2006, 2825; a.A. BAG v. 25. 2. 1988 – 8 AZR 596/85, BAGE 57, 366 = NZA 1988, 607 = ZIP 1988, 1074. 3 BAG v. 14. 3. 2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008. 4 BAG v. 19. 3. 2002 – 9 AZR 16/01, NZA 2002, 1055 = ZIP 2002, 2186. 5 BAG v. 6. 9. 2006 – 5 AZR 703/05, BB 2006, 2825.
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Vergütungsansprüche
Rz. 384 § 12
Fälligkeit durch die vorhandene liquide Insolvenzmasse nicht völlig getilgt werden können. Auch die Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit führt die Rechtsfolge von § 209 InsO herbei1. Die Masseunzulänglichkeit liegt weiter dann vor, wenn rechnerisch die vorhandene und zu bildende Insolvenzmasse nicht ausreicht, die fälligen Masseverbindlichkeiten in voller Höhe zu erfüllen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO). Abzustellen ist entgegen dem gesetzlichen Wortlaut nicht auf die Fälligkeit der Masseverbindlichkeiten, sondern auf deren rechnerische Höhe. Deckt die rechnerisch zu bildende Insolvenzmasse die rechnerisch ermittelten Masseverbindlichkeiten nach Abzug der Massekosten nicht, liegt Masseunzulänglichkeit i.S.v. § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO vor.
381
Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit kann bereits durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen seines Gutachtens erstattet werden2. Dieses gilt zumindest dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit dem bestellten Insolvenzverwalter personenidentisch ist. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO hat in Bezug auf die Arbeitnehmeransprüche folgende Auswirkungen:
382
Die Ansprüche der Arbeitnehmer aus den Arbeitsverhältnissen bis zum Zeitpunkt des Einganges der Masseunzulänglichkeitsanzeige beim Insolvenzgericht (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) stellen so genannte Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar. Bei den Ansprüchen aus den Arbeitsverhältnissen nach der erfolgten Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist zu differenzieren:
383
Nimmt der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung nicht in Anspruch, d.h., stellt er die Arbeitnehmer spätestens nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit von der Arbeitsleistung frei, erwirbt der Arbeitnehmer nachrangige Masseverbindlichkeiten (Altmasseverbindlichkeiten) nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Nimmt der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit in Anspruch, erwirbt der Arbeitnehmer privilegierte Masseforderungen (Neumasseverbindlichkeiten) nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Verabsäumt der Insolvenzverwalter die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum ersten Termin nach der erfolgten Masseunzulänglichkeitsanzeige, obgleich er hätte kündigen können, erwirbt auch derjenige Arbeitnehmer, der von der Arbeitsleistung freigestellt ist, für die Zeit nach dem ersten Kündigungstermin privilegierte Masseforderungen (Neumasseforderungen) gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Der Insolenzverwalter kann i.S.v. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO solange nicht kündigen, wie Kündigungssperren bestehen3, weil z.B. behördliche Zustimmungen nach §§ 9 MuSchG, 85 SGB IX nicht erteilt, der Interessenausgleich nach § 111 BetrVG weder durchgeführt noch die gerichtliche 1 BAG v. 31. 3. 2004 – 10 AZR 253/03, BAGE 110, 135 = NZA 2004, 1093 = ZIP 2004, 1323 (1325). 2 BAG v. 23. 2. 2005 – 10 AZR 603/03, ArbRB 2005, 65 = ZInsO 2005, 695. 3 BAG v. 4. 6. 2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 (1091) = ZIP 2003, 1850.
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384
§ 12
Rz. 385
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) erteilt oder das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) nicht durchgeführt ist. Die Notwendigkeit der Durchführung der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG stellt keine Kündigungssperre1 im vorstehenden Sinn dar. Auch wenn der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung abschließt, wird vor dem Bedingungseintritt die Kündigungssperre nach § 113 BetrVG beseitigt, so dass er das Arbeitsverhältnis im rechtlichen Sinne kündigen kann2. Für den Zeitraum zwischen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und dem ersten Kündigungstermin verbleibt es bei den Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. 385
Wegen Masseverbindlichkeiten der zweiten Rangordnung (§ 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 und 3 InsO) – Neumasseverbindlichkeiten – ist trotz der erfolgten Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Vollstreckung in die Insolvenzmasse weiterhin möglich (§ 90 Abs. 2 InsO). Eine Vollstreckung wegen Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, den so genannten Altmasseverbindlichkeiten, ist nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit unzulässig (§ 210 InsO). Zur Einstellung wegen Massearmut siehe oben § 6 Rz. 346 ff. Dem Altmassegläubiger fehlt für eine Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis3. Ist Grund und/oder Höhe der Arbeitsentgeltforderung streitig, ist der Arbeitnehmer auf die Feststellungsklage zu verweisen4. Eine zum Zeitpunkt der Masseunzulänglichkeitsanzeige anhängige Leistungsklage ist auf Feststellung umzustellen.
386
Reicht die Insolvenzmasse nur zur teilweisen Befriedigung der Neumassegläubiger aus, ist im Falle des Einwands des Insolvenzverwalters der erneuten Masseunzulänglichkeit nur noch der Erlass eines Festellungsurteils möglich5. Ob im Falle der erneuten Masseunzulänglichkeit eine neuerliche, förmliche Masseunzulänglichkeitsanzeige möglich ist, kann wegen der Möglichkeit des Masseunzulänglichkeitseinwands durch den Insolvenzverwalter offen bleiben6. Da auch im Falle einer förmlichen Masseunzulänglichkeitsanzeige die Wirkungen von § 208 InsO fehlen, hat der Insolvenzverwalter die Darlegungs – und Beweislast für die Masseunzulänglichkeit7. Wurde vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Masseforderung i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO rechtskräftig zu Lasten der Insolvenzmasse tituliert, steht dem Insolvenzverwalter in den Grenzen von § 767 Abs. 2 ZPO die Voll1 BAG v. 31. 3. 2004 – 10 AZR 253/03, BAGE 110, 135 = NZA 2004, 1093 = ZIP 2004, 1323. 2 BAG v. 21. 7. 2005 – 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162 = ZIP 2006, 199. 3 BAG v. 11. 12. 2001 – 9 AZR 459/00, NZA 2002, 975 = ZIP 2002, 628. 4 BAG v. 31. 1. 1979 – 5 AZR 749/77, BAGE 31, 288 = NJW 1980, 141 = MDR 1979, 703; BAG v. 11. 12. 2001 – 9 AZR 459/00, NZA 2002, 975 = ZIP 2002, 628. 5 BGH v. 3. 4. 2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 = ZIP 2003, 914; BAG v. 4. 6. 2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 (1090) = ZIP 2003, 1850; BAG v. 15. 6. 2004 – 9 AZR 431/03, BAGE 110, 80 = NZA 2005, 354 = ZIP 2004, 1660. 6 BGH v. 13. 4. 2006 – IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178 = ZIP 2006, 1004. 7 BGH v. 3. 4. 2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 = ZIP 2003, 914.
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Rz. 390 § 12
Vergütungsansprüche
streckungsgegenklage zur Verfügung1. Der Einwand der Masseunzulänglichkeit muss bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz erhoben und dargelegt werden2.
4. Zeiten vor der Insolvenzeröffnung (Insolvenzgeld) a) Anspruchsvoraussetzungen aa) Persönliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruches Einen Anspruch auf Insolvenzgeld besitzen Arbeitnehmer (§ 183 Abs. 1 SGB III).
387
Der Arbeitnehmerbegriff ist der gleiche wie in den anderen Bereichen des SGB III3. Arbeitnehmer ist, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist4. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist jedoch nicht erforderlich5. Der Arbeitnehmerbegriff wird im Sozialrecht ebenso definiert wie im Arbeitsrecht. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages oder eines gleichgestellten Vertragsverhältnisses im Dienst eines anderen diesem zur Arbeit verpflichtet ist.
388
Auch § 7 Abs. 1 SGB IV und die dortige Definition ist zur Abgrenzung von Arbeitnehmern zum Selbständigen heranzuziehen. Danach wird die Beschäftigung dahingehend definiert, dass es sich um eine nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, handelt. Eine Weisungsgebundenheit und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Dritten sind Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).
389
Arbeitnehmer i.S.v. § 183 SGB III sind unter anderem:
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–
Arbeiter,
–
Angestellte,
–
Auszubildende,
–
Praktikanten,
–
Heimarbeiter,
–
beschäftigte Studenten,
–
beschäftigte Schüler,
–
geringfügig Beschäftigte i.S.v. § 8 SGB IV,
–
Bezieher von vorgezogenem Altersruhegeld oder Altersruhegeld bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit in persönlicher Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber,
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BAG v. 20. 5. 1987 – 4 AZR 648/86, NZA 1987, 631 = ZIP 1987, 997. BAG v. 16. 10. 1985 – 4 AZR 431/84, ZIP 1986, 1338. BSG v. 29. 7. 1982 – 10 RAr 9/81, ZIP 1982, 1230. BSG v. 29. 1. 1981 – 12 RK 63/79, BSGE 51, 164 (165) = BB 1981, 2074. BSG v. 23. 9. 1982 – 10 RAr 10/81, ZIP 1983, 103.
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§ 12
Rz. 391
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
–
Handelsvertreter i.S.v. § 84 Abs. 2 HGB,
–
Handlungsgehilfen i.S.v. § 59 HGB,
–
Vorstandsmitglieder einer Genossenschaft1.
391
Keine Arbeitnehmer sind die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Dieses gilt unabhängig von der Größe der Aktiengesellschaft und einer Kapitalbeteiligung der Vorstandsmitglieder. Auch das am Aktienkapital nicht beteiligte Vorstandsmitglied ist kein Arbeitnehmer i.S.v. § 183 Abs. 1 SGB III2.
392
Hausgewerbetreibende erhalten im Gegensatz zu Heimarbeitern kein Insolvenzgeld. Die Abgrenzung zwischen den Heimarbeitern und den Hausgewerbetreibenden erfolgt danach, ob fremde Hilfskräfte beschäftigt werden oder nicht. Heimarbeit liegt dann vor, wenn der Beschäftigte sich alleine betätigt oder ausschließlich Familienangehörige mitarbeiten. Lediglich wenn die Voraussetzungen der Scheinselbständigkeit i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB IV gegeben sind, ist eine Heimarbeit zu verneinen. Die Unterscheidung zwischen Heimarbeitern und Hausgewerbetreibenden und der Ausschluss der Hausgewerbetreibenden vom Insolvenzgeld ist nicht verfassungswidrig3.
393
Bei Künstlern ist zu unterscheiden: Unterliegt der Künstler dem Künstlersozialversicherungsgesetz, ist er kein Arbeitnehmer. Ist der Künstler jedoch in den insolventen Betrieb durch Wochen- oder Monatsengagements eingegliedert, so handelt es sich in der Regel um ein Arbeitsverhältnis, weshalb bei der Insolvenz des Arbeitgebers ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht.
394
Einstweilen frei.
395
Die in Altersteilzeit beschäftigten Arbeitnehmer haben beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Insolvenzgeld, da das Arbeitsverhältnis fortbesteht4 und sie somit Arbeitnehmer i.S.v. § 183 Abs. 1 SGB III sind. Grundlage für das Insolvenzgeld ist das für die Teilzeitarbeit geschuldete Arbeitsentgelt, zuzüglich der Aufstockungsbeträge und der zusätzlichen Beiträge zur Rentenversicherung5. Führt ein Störfall zu einer vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses, ist für die Bemessung des Insolvenzgeldes das verstetigte Arbeitsentgelt maßgebend6. Diese Rechtsfolge wird durch § 183 Abs. 1 Satz 4 SGB III, der durch Art. 1 Nr. 54a des Job – AQTIV- Gesetzes vom 10. 12. 2001 eingeführt wurde, bestätigt7. Statt des Erarbeitensprinzips, das sonst das Recht des Insolvenzgeldes bestimmt, kommt das Lebensunterhaltungsprinzip zur Anwendung8. 1 SG Altenburg v. 29. 8. 2000 – S 7 AL 1023/99, DZWIR 2002, 242. 2 BSG v. 22. 4. 1987 – 10 RAr 6/86, BSGE 61, 282 = ZIP 1987, 924; BSG v. 22. 4. 1987 – 10 RAr 5/86, NZA 1987, 614. 3 BSG v. 27. 11. 1980 – 8 b/12 RAr 10/79, BSGE 50, 174 = ZIP 1981, 134. 4 BAG v. 27. 4. 2004 – 9 AZR 18/03, BAGE 110, 208 = NZA 2005, 821. 5 2.2 DA zu § 183 SGB III. 6 6.2 Abs. 2 DA zu § 183 SGB III. 7 BSG v. 25. 6. 2002 – B 11 AL 80/01 R, ZInsO 2002, 1052. 8 SG Berlin v. 3. 11. 2005 – S 60 AL 5563/03 54 n.v.
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Vergütungsansprüche
Rz. 400 § 12
Der Alleingesellschafter einer GmbH steht zur Gesellschaft in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis1, weshalb er mangels Arbeitnehmereigenschaft keinen Anspruch auf Insolvenzgeld besitzt.
396
Bei Gesellschafter-Geschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine persönliche Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft bestand und damit eine Arbeitnehmereigenschaft vorliegt2. Ebenso wie beim Alleingesellschafter ist die persönliche Abhängigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers dann zu verneinen, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer mit 50% und mehr am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt ist3. Die Prüfung, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer in persönlicher Abhängigkeit zur Gesellschaft stand, ist in jedem Einzelfalle anzustellen. Auch bei weniger als 50% Beteiligung am Stammkapital kann im Einzelfall diese Abhängigkeit fehlen4.
397
Bei einem sogenannten Fremdgeschäftsführer, welcher an der Gesellschaft überhaupt nicht beteiligt ist, wird in der Regel eine persönliche Abhängigkeit zu bejahen sein, zumal er keinerlei Unternehmerrisiko trägt und normalerweise ein von der Ertragslage der Gesellschaft unabhängiges Gehalt bezieht. Wird jedoch dem Fremdgeschäftsführer neben seinem Grundgehalt eine ertragsabhängige Tantieme zugebilligt und liegt der Tantiemeanspruch über dem jeweiligen Festgehalt, ist die persönliche Abhängigkeit und damit die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen.
398
Sozialversicherungsrechtlich besteht bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer Arbeitnehmereigenschaft, wenn er die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen tatsächlich nicht allein treffen kann. Die Beurteilung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a SGB IV) zur abhängigen oder selbständigen Tätigkeit des Geschäftsführers ist für die Frage, ob dem Geschäftsführer Insolvenzgeld zu bewilligen ist, unerheblich, da die Insolvenzgeldversicherung nicht zu den Versicherungszweigen der Renten- und Arbeitslosenversicherung gehört5. Die Anspruchsberechtigung wird durch die Agentur für Arbeit neuerlich geprüft.
399
Sofern der Gesellschafter-Geschäftsführer durch die Höhe seiner Kapitalbeteiligung ihm nicht genehme Beschlüsse der Gesellschaft nicht verhindern kann, besteht eine persönliche Abhängigkeit zur Gesellschaft6. Ist der Geschäftsführer über Treuhandverträge im Besitz der Mehrheit des Stammkapitals, so ist er dann Arbeitnehmer i.S.v. § 183 SGB III, wenn er die Gesellschafterrechte nur nach der jeweiligen Weisung des Treugebers ausüben darf7. Voraussetzung ist jedoch, dass der Treuhandvertrag wirksam ist, also notariell beurkundet wurde
400
1 2 3 4 5
BSG v. 9. 11. 1989 – 11 RAr 39/89, BSGE 66, 69 = BB 1990, 783. BAG v. 27. 6. 1985 – 2 AZR 425/84, NZA 1986, 794 = ZIP 1986, 1213. BSG v. 24. 6. 1982 – 12 RK 43/81, BB 1984, 1049. BAG v. 27. 6. 1985 – 2 AZR 425/84, NZA 1986, 794 = ZIP 1986, 1213. BSG v. 23. 9. 1982 – 10 RAr 10/81, ZIP 1983, 103 (104); Roeder in Niesel, SGB III, § 183 Rz. 19. 6 BSG v. 8. 8. 1990 – 11 RAr 77/89, NZA 1991, 324 (LS) = ZIP 1990, 1566. 7 BSG v. 30. 1. 1997 – 10 RAr 6/95, ZIP 1997, 1120 (1122).
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§ 12
Rz. 401
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
(§ 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG)1. Auch eine gesellschaftsvertragliche Sperrminorität durch das Erfordernis der Einstimmigkeit der Gesellschafterbeschlüsse oder des Erfordernisses qualifizierter Mehrheiten hindert die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht, soweit sich die Sperrminorität auf grundlegende Gesellschaftsbeschlüsse beschränkt und die Abberufung des Geschäftsführers mit einfacher Stimmenmehrheit möglich ist2. Allein die Tatsache, dass eine Sperrminorität vorliegt, rechtfertigt nicht die Annahme einer selbständigen Tätigkeit3. 401
Entgegen der Praxis der Bundesagentur für Arbeit können zur Prüfung der persönlichen Abhängigkeit Kapitalbeteiligungen von Familienangehörigen des Gesellschafter-Geschäftsführers diesem nicht zugerechnet werden. Ein einheitliches Abstimmungsverhalten der Gesellschafter aufgrund familiärer Bindungen darf nicht unterstellt werden. Eine solche Unterstellung und damit die Zusammenrechnung der Kapitalanteile ist wegen des Verstoßes gegen Art. 6 GG verfassungswidrig4.
402
Besteht zwischen den vertraglichen Festlegungen und den tatsächlichen Verhältnissen ein Unterschied, so kommt es auf die tatsächlichen Umstände an, es sei denn, der Geschäftsführer hat ausdrücklich auf seine Rechtsmacht als Geschäftsführer verzichtet5.
403
Die Organmitglieder juristischer Personen können Arbeitnehmer i.S.v. § 183 SGB III sein, wenn sie keinen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben oder ausüben können. Nach Auffassung des BGH besteht eine identische Betrachtungsweise zwischen dem Insolvenzschutz nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) und dem Insolvenzschutz für die Bezüge aus dem Geschäftsführerverhältnis. Derjenige Geschäftsführer, dessen Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung Schutz nach dem BetrAVG genießen, besitzt auch Anspruch auf Insolvenzgeld6.
404
Zusammenfassend ist nach der Rechtsprechung des BSG ein GesellschafterGeschäftsführer kein Arbeitnehmer, wenn seitens der Gesellschaft kein Weisungsrecht besteht und damit der Geschäftsführer-Gesellschafter seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten, insbesondere über die eigene Arbeitskraft, Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen kann oder er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebs einfügt7.
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BSG v. 25. 1. 2006 – B 12 KR 30/04 R, ZIP 2006, 678 = GmbHR 2006, 645. BSG v. 24. 9. 1992 – 7 RAr 12/92, ZIP 1993, 54. A.A. DA 4.2 Abs. 9 zu § 183 SGB III. BVerfG v. 12. 3. 1985 – 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83, BVerfGE 69, 188 = ZIP 1985, 829 = NJW 1985, 2939. 5 BSG v. 8. 8. 1990 – 11 RAr 77/89, NZA 1991, 324 (LS) = ZIP 1990, 1566. 6 BGH v. 28. 4. 1980 – II ZR 254/78, BGHZ 77, 94 = ZIP 1980, 453. 7 BSG v. 6. 2. 1992 – 7 RAr 134/90, BSGE 70, 81.
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Rz. 404 § 12
Vergütungsansprüche
Checkliste
1
Indizien für eine selbständige Tätigkeit sind: –
Kapitalbeteiligung von 50% und mehr
–
Sperrminorität
–
wesentliches Unternehmerrisiko durch Teilnahme am Gewinn und Verlust der GmbH
–
Entscheidungverantwortung für wesentliche Funktionen des Unternehmens
–
alleinige und umfangreiche Branchenkenntnis
–
Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot
–
keine Weisungsunterworfenheit bzw. nur bei außergewöhnlichen Geschäften
–
Tätigkeit durch familiäre Rücksichtnahme geprägt
–
Urlaubsantritt ohne Genehmigung
–
Geschäftsführung faktisch wie ein Eigentümer
Indizien für eine abhängige Beschäftigung sind: –
Kapitalbeteiligung unter 50%
–
keine Sperrminorität
–
keine Besonderheit im Rahmen einer Familiengesellschaft
–
kein Tragen eines wesentlichen Unternehmerrisikos
–
Weisungsunterworfenheit bezüglich Zeit, Ort und Ausführung der Tätigkeit
–
keine eigene Entscheidungsbefugnis für wesentliche Unternehmensfunktionen
–
Selbstkontrahierungsverbot
–
Eingliederung in den Betrieb
–
Weiterzahlung der Vergütung im Krankheitsfalle
–
festes Jahresgehalt
–
Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation
–
nachvertragliches Wettbewerbsverbot
–
Urlaubszeitpunkt hat den Bedürfnissen der Geschäftsführung Rechnung zu tragen.
Die Agenturen für Arbeit bedienen sich eines umfangreichen Fragebogens, der zur Feststellung der obigen Indizien für die selbständige oder abhängige Beschäftigung dient.
1 Freckmann, Neues zur Sozialversicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern, BB 2006, 2077 (2078).
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1339
§ 12
Rz. 405
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Die Mitglieder von Personengesellschaften können mit der Gesellschaft ein gesondertes Arbeitsverhältnis begründen und werden dann als persönlich abhängige Arbeitnehmer behandelt1. bb) Sachliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruchs (1) Allgemeines 405
Voraussetzung für den Anspruch auf Insolvenzgeld ist das Vorliegen eines Insolvenzereignisses i.S.v. § 183 Abs. 1 Nr. 1–3 SGB III.
406
Ein Insolvenzereignis ist zunächst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO). Die Eröffnung des Verfahrens i.S.v. § 27 InsO setzt zwingend voraus, dass durch das Insolvenzgericht ein Eröffnungsbeschluss erlassen ist (§ 27 Abs. 2 InsO). Erlassen ist der Insolvenzeröffnungsbeschluss mit der Unterzeichnung durch den Insolvenzrichter2. Der Insolvenzeröffnungsbeschluss ist nur wirksam, wenn dieser durch den Insolvenzrichter unterschrieben ist3. Wird der Insolvenzeröffnungsbeschluss versehentlich nicht unterschrieben, wirkt er – auch i.S.v. § 183 Abs. 1 Nr. 1 SGB III – erst ab der Nachholung der unterbliebenen Unterschrift. Der unterschriebene Eröffnungsbeschluss wird nur wirksam, wenn er aus dem inneren Geschäftsbereich des Insolvenzgerichtes bewusst herausgegeben worden ist4. Dieses kann durch Einlegen in den Postausgang oder durch eine telefonische Mitteilung an einen Außenstehenden, in der Regel den Insolvenzverwalter, erfolgen5. Maßgebend für die Wirkungen der Insolvenzeröffnung ist die Unterzeichnung des Beschlusses durch den Insolvenzrichter und nicht der Erlass des Beschlusses. Auch dann, wenn rechtswidrig die Insolvenzeröffnung auf einen späteren Termin als die tatsächliche Unterzeichnung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses durch den Insolvenzrichter datiert wird6, kommt es auf das Eröffnungsdatum an. In Zukunft,d.h. nach der Entscheidung des BGH vom 17. 2. 2004, ist ein gegen diese Grundsätze verstoßender Insolvenzeröffnungsbeschluss nichtig7.
407
Ein weiteres Insolvenzereignis ist die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 183 Nr. 2 SGB III). Die Abweisung mangels Masse erfolgt, wenn die Kosten des Verfahrens durch das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht gedeckt sind (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO) und von dritter Seite kein ausreichender Vorschuss geleistet wird (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zu den Verfahrenskosten i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO zählen die Gerichtskosten einschließlich der gerichtlichen Auslagen, die Vergütung und Auslagen eines vorläufigen Insolvenzverwalters, die Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters sowie der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 54 InsO). 1 2 3 4 5 6 7
BSG v. 26. 5. 1966 – 2 RU 178/64, BSGE 25, 51 (52). BGH v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766 (767). BGH v. 23. 10. 1997 – IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49 = ZIP 1997, 2126 = NJW 1998, 609. Musielak/Musielak, ZPO, § 329 Rz. 7. Kirchhoff in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 27 Rz. 20. BGH v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766. BGH v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766 (767).
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Rz. 413 § 12
Vergütungsansprüche
Analog zu § 27 InsO ist bei der Abweisung mangels Masse das Datum des Abweisungsbeschlusses für die Berechnung der Drei-Monats-Frist nach § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III maßgebend. Auch hier muss der Abweisungsbeschluss ebenso wie der Insolvenzeröffnungsbeschluss eine Außenwirkung entfaltet haben. Zur Abweisung mangels Masse siehe oben § 6 Rz. 130 ff.
408
Wird der Insolvenzantrag aus anderen Gründen als der Masseunzulänglichkeit abgewiesen, z.B. als unzulässig oder mangels eines Eröffnungsgrundes (§§ 16, 17 InsO) als unbegründet, liegt kein Insolvenzereignis i.S.v. § 183 Abs. 1 Nr. 2 SGB III vor. Gleiches gilt, wenn durch den antragstellenden Gläubiger der Insolvenzantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt wird1. Vgl. § 6 Rz. 111 ff. zur Zulässigkeit eines Insolvenzantrages.
409
In der Praxis wird immer wieder übersehen, dass im Falle der Abweisung mangels Masse eine Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers besteht. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen im Betrieb vorhandenen Betriebsrat von dem Abweisungsbeschluss zu unterrichten (§ 183 Abs. 4 SGB III). Besteht im Betrieb kein Betriebsrat, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitnehmer in geeigneter Weise von dem Abweisungsbeschluss zu unterrichten. Weder für den Arbeitgeber noch für das Insolvenzgericht besteht eine Verpflichtung, die Arbeitsverwaltung von der Abweisung mangels Masse zu unterrichten, wobei eine Verständigung durch das Insolvenzgericht sinnvoll ist, um eine Tätigkeit der Agentur für Arbeit von Amts wegen zu initiieren.
410
Unterrichtet der Arbeitgeber die Betriebsvertretung oder die Arbeitnehmer von dem Abweisungsbeschluss nicht, handelt er ordnungswidrig. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 5 000 Euro geahndet werden (§§ 404 Abs. 2 Nr. 2, 404 Abs. 3 SGB III).
411
Der Auffangtatbestand von § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III stellt für den Anspruch auf Insolvenzgeld kumulativ folgende Tatbestandsvoraussetzungen auf:
412
–
vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland;
–
kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens;
–
Offensichtlichkeit, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Im Einzelnen: Die Betriebstätigkeit im Inland muss vollständig eingestellt sein. Allein die Einstellung einer Produktion ist nicht ausreichend, wenn daneben durch den insolventen Betrieb die produzierten Waren vertrieben werden. Andererseits sind Tätigkeiten, die nicht dem Betriebszweck dienen, wie z.B. Abwicklungsarbeiten oder Erhaltungsarbeiten an Betriebsanlagen, keine Betriebstätigkeit i.S.v. § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, so dass solche Tätigkeiten der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit nicht entgegenstehen2.
1 Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 139 Rz. 12. 2 BSG v. 5. 6. 1981 – 10/8 b RAr 3/80, BSGE 52, 40 (41) = ZIP 1981, 1112 (1113).
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413
§ 12
Rz. 414
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Unterhält der Arbeitgeber mehrere Betriebe, so genügt für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Beendigung der Betriebstätigkeit die Einstellung der betrieblichen Betätigung in einem Betrieb nicht1. Bei mehreren Betrieben kommt es auf die Einstellung der betrieblichen Tätigkeit im letzten Betrieb an. Kumulativ müssen das Tatbestandsmerkmal der Beendigung der betrieblichen Betätigung und die Offensichtlichkeit, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommt2, vorliegen. „Offensichtlich“ bedeutet, dass Insolvenzgeld zu gewähren ist, wenn alle äußeren Tatsachen und somit der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen. Erfolglose Pfändungsversuche etc. muss der Arbeitnehmer nicht dartun3. Für eine Masseunzulänglichkeit spricht, dass der Arbeitgeber unter Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit das fällige Entgelt nicht zur Auszahlung bringt. Zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BetrAVG hat das BAG darauf verwiesen, dass das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit vorliegt, wenn durch den Arbeitgeber die Versorgungsleistungen unter Hinweis auf die Vermögenslosigkeit eingestellt und der Pensionssicherungsverein a.G. als Träger der Insolvenzsicherung von den gesamten Umständen unterrichtet war4. Die Wertung in § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III ist die Gleiche wie in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BetrAVG. 414
Der Arbeitnehmer, der sich auf die offensichtliche Masseunzulänglichkeit beruft und hiermit seinen Anspruch auf Insolvenzgeld begründet, ist für dieses Tatbestandsmerkmal darlegungs- und beweispflichtig. Der Arbeitnehmer muss jedoch keinen vollen Beweis (Strengbeweis) erbringen, da er regelmäßig nicht über die Beweisunterlagen für eine Masseunzulänglichkeit verfügt. Er genügt deshalb seiner Darlegungslast, wenn er Indizien für die offensichtlich vorliegende Masseunzulänglichkeit darlegt5. Der Arbeitnehmer ist keinesfalls verpflichtet zur Klärung der Sachlage und der Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III erfüllt sind, einen eigenen Insolvenzantrag zu stellen6. Eine mit Kosten verbundene eigene Antragsverpflichtung kann dem Arbeitnehmer schon deshalb nicht auferlegt werden, weil die Kosten eines Insolvenzantrages ebenso wie Vollstreckungskosten kein Arbeitsentgelt darstellen und deshalb auch nicht über Insolvenzgeld erstattet werden.
415
Insolvenzanträge, die am Tage der Betriebseinstellung gestellt sind, schließen das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III aus7. Wird ein zulässiger Insolvenzantrag zurückgenommen, entfallen ex tunc die Wirkungen, so dass bei der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland und der Offensichtlichkeit, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse
1 2 3 4 5 6 7
BSG v. 29. 2. 1984 – 10 RAr 14/82, ZIP 1984, 1123 (1125). BSG v. 17. 7. 1979 – 12 RAr 15/78, BSGE 48, 269 = ZIP 1980, 126. BSG v. 23. 11. 1981 – 10/8 b RAr 6/80, BSGE 53, 1 (3) = ZIP 1982, 469 (467). BAG v. 11. 9. 1980 – 3 AZR 544/79, BAGE 34, 147 = ZIP 1981, 307. BSG v. 22. 9. 1993 – 10 RAr 9/91, ZIP 1993, 1716 (1718). BSG v. 23. 11. 1981 – 10/8 b RAr 6/80, BSGE 53, 1 (4) = ZIP 1982, 469 (470). BSG v. 8. 2. 2001 – B 11 AL 27/00 R, DZWIR 2001, 324 (325).
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Vergütungsansprüche
Rz. 419 § 12
nicht in Betracht kommt, der Auffangtatbestand von § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III erfüllt ist1. (2) Inländisches Insolvenzereignis Der Anknüpfungspunkt für das Insolvenzgeld ist, dass ein in- oder ausländisches Insolvenzereignis vorliegt, sofern die Arbeitnehmer im Inland beschäftigt werden (§ 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III).
416
§ 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III findet unabhängig davon Anwendung, ob der Arbeitgeber ein ausländisches Unternehmen ist oder/und welche Nationalität der Arbeitnehmer besitzt.
417
Generell sind der Wohnsitz und die Nationalität des Arbeitnehmers für den Anspruch auf Insolvenzgeld bedeutungslos2.
418
Der ausländische Wohnsitz oder der ständige Aufenthalt des Arbeitnehmers im Ausland stehen der Anwendung von § 183 ff. SGB III nicht entgegen, wenn der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses im Inland vorliegen3. Umgekehrt führt die Beschäftigung eines im Inland wohnenden Arbeitnehmers, der für einen ausländischen Arbeitgeber im Ausland arbeitet, zu keinem Insolvenzgeldanspruch im Inland4. Ein von einem inländischen Arbeitgeber ins Ausland entsandter Arbeitnehmer hat Anspruch auf Insolvenzgeld bei der Insolvenz seines inländischen Arbeitgebers. Auch wenn der Arbeitnehmer sofort von dem inländischen Arbeitgeber ohne eine vorherige Inlandsbeschäftigung ins Ausland entsandt wird, bestehen bei der Insolvenz des inländischen Arbeitgebers Insolvenzgeldansprüche5. Voraussetzung für einen Insolvenzgeldanspruch des ins Ausland entsandten Arbeitnehmers ist, dass er schwerpunktmäßig ein der deutschen Rechtsordnung unterliegendes Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis besitzt. Merkmale hierfür sind: –
Arbeitsvertrag mit einem inländischen Unternehmen;
–
Befristung der Auslandstätigkeit;
–
Anwendung deutschen Arbeitsrechtes;
–
Vereinbarung des deutschen Gerichtsstandes;
–
Anspruch auf Heimaturlaub6.
Auch wenn der ins Ausland entsandte Arbeitnehmer den inländischen Arbeitgeber wechselt, d.h. bei einem neuen deutschen Arbeitgeber im Ausland tätig wird, kommt es wesentlich auf die rechtliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses an. 1 2 3 4 5 6
BSG v. 30. 10. 1991 – 10 AR 3/91, BSGE 70, 9 (12) = ZIP 1992, 197. BSG v. 29. 2. 1984 – 10 RAr 20/82, BSGE 56, 201 (202) = ZIP 1984, 1249. BSG v. 21. 9. 1983 – 10 RAr 6/82, ZIP 1984, 469. BSG v. 29. 6. 2000 – B 11 AL 35/99 R, BSGE 87, 1 (4) = ZInsO 2001, 372. BSG v. 27. 5. 1986 – 2 RU 12/85, BSGE 60, 96 (98) = NZA 1986, 806. Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rz. 61.
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419
§ 12
Rz. 420
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
420
Ausländische Insolvenzereignisse oder Insolvenzereignisse nach ausländischem Recht lösen für im Inland beschäftigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld aus (§ 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Im Verhältnis zu Österreich ist dieses in § 22 des Ausführungsgesetzes zum deutsch-österreichischen Konkursvertrag vom 8. März 1985 (BGBl. I S. 535) geregelt, wonach die Entscheidung eines österreichischen Gerichtes der Entscheidung eines deutschen Gerichtes in Bezug auf das Insolvenzgeld gleichgestellt ist.
421
Bei einem ausländischen Arbeitgeber sind bei der Prüfung der Voraussetzungen nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III sowohl die inländischen als auch die ausländischen Vermögensverhältnisse zugrunde zu legen1. Obgleich auch das Auslandsvermögen in die Prüfung der Masseunzulänglichkeit einzubeziehen ist, kann der Arbeitnehmer hierüber in der Regel keine Angaben machen, so dass eine offensichtliche Masseunzulänglichkeit anzunehmen ist, sofern nicht ausnahmsweise gesicherte Erkenntnisse über vollstreckungsfähiges Auslandsvermögen vorliegen.
422
Unterhält ein ausländischer Unternehmer eine inländische, gewerbliche Niederlassung und beendet diese Niederlassung vollständig ihre Betriebstätigkeit, so führt ein den Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III ähnlicher Vorgang zu Insolvenzgeldansprüchen der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer. Voraussetzung ist, dass im Inland einerseits eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt wurde und andererseits, dass diese Betriebstätigkeit unter den Voraussetzungen von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III vollständig beendet wurde2. (3) Mehrere Insolvenzereignisse
423
Liegen mehrere Insolvenzereignisse i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III vor, so ist für den Insolvenzgeldanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich das zeitlich erste Insolvenzereignis maßgebend3. Dieses gilt auch im Rahmen der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 3 EuInsVO. so dass bei einem zuerst im Ausland eröffneten Insolvenzverfahren die Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren im inländischen Sekundärinsolvenzverfahren mangels der Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung unmöglich wird.
424
Maßgeblich sind jedoch nur diejenigen Insolvenzereignisse, welche entweder zur Eröffnung des Verfahrens führten, bezüglich derer der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen wurde oder bei denen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III gegeben waren. Als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesene oder zurückgenommene Insolvenzanträge lösen die Sperrwirkung nicht aus (vgl. Rz. 409).
425
Diese Priorität gilt auch dann, wenn ein Insolvenzantrag zunächst mangels Masse abgewiesen wurde (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO) und später aufgrund eines neuen Antrages sowie nach Zahlung eines Kostenvorschusses durch einen 1 Roeder in Niesel, SGB III, § 183 Rz. 71. 2 BSG v. 23. 11. 1981 – 10/8 b RAr 8/80, ZIP 1982, 718 (719). 3 BSG v. 17. 12. 1975 – 7 RAr 17/75, BSGE 41, 121; BSG v. 17. 5. 1989 – 10 RAr 10/88, ZIP 1989, 1270.
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Rz. 431 § 12
Vergütungsansprüche
Dritten dann dennoch das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Hier ist und bleibt die Abweisung mangels Masse das erste relevante Insolvenzereignis. Nur in äußersten Ausnahmefällen kann ein späteres, zweites Insolvenzereignis neuerliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf Insolvenzgeld auslösen. In einem solchen Falle muss sich die Vermögenslage des Arbeitgebers so nachhaltig gebessert haben, dass der Insolvenzgrund eindeutig in Wegfall geraten ist1. Es ist nicht ausreichend, dass der Arbeitgeber nach den Insolvenzereignissen des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB III seine betriebliche Betätigung wieder aufnimmt oder fortsetzt und gegenüber seinen Arbeitnehmern die Lohnfortzahlungsverpflichtung erfüllt. Diese Umstände bedeuten nicht, dass der Arbeitgeber seine Zahlungsfähigkeit wieder erlangt hat2.
426
Für die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit spricht, wenn der Arbeitgeber wieder kreditwürdig wurde, bezüglich der Altverbindlichkeiten Regelungen trifft, und diese Regelungen gegenüber den Gläubigern erfüllt sowie die Löschung im Schuldnerverzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO) erfolgt ist.
427
Führt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der Vorgabe der InsO den schuldnerischen Betrieb bis zum Berichtstermin fort, damit die Gläubigerversammlung über die Betriebsstilllegung im Berichtstermin entscheiden kann (§§ 156, 157 InsO), stellt die Betriebseinstellung aufgrund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung ebenso wenig wie eine Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 Abs. 1 InsO) ein neues Insolvenzereignis i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III dar. Auch hier ist maßgebend der Insolvenzeröffnungsbeschluss als erstes Insolvenzer eignis. Da kein neues Insolvenzereignis vorliegt, werden somit auch keine neuen Ansprüche auf Insolvenzgeld ausgelöst3.
428
Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet das Insolvenzereignis des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III erst mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens, d.h. mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 200 InsO.
429
Begründet der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens neue Arbeitsverhältnisse, so erwerben die Arbeitnehmer im Falle der Einstellung der Betriebstätigkeit und/oder der Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 Abs. 1 InsO) bezüglich eventuell nicht gedeckter Entgeltansprüche keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Es handelt sich zum einen um kein neues Insolvenzereignis, zum anderen haben die Arbeitnehmer in Kenntnis des Insolvenzereignisses die Arbeit aufgenommen, so dass § 183 Abs. 2 SGB III unanwendbar ist4.
430
(4) Neu gegründetes Unternehmen Abzustellen ist auf die Insolvenz des Arbeitgebers. Übernimmt ein neu gegründetes Unternehmen die Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens, so 1 2 3 4
BSG v. 30. BSG v. 11. BSG v. 17. BSG v. 17.
10. 1991 – 10 RAr 3/91, BSGE 70, 9 (10) = ZIP 1992, 197. 1. 1989 – 10 RAr 7/87, NZA 1989, 485 = ZIP 1989, 460. 5. 1989 – 10 RAr 10/88, NZA 1989, 773 = ZIP 1989, 1270. 5. 1989 – 10 RAr 10/88, NZA 1989, 773 = ZIP 1989, 1270.
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§ 12
Rz. 432
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
führt die Insolvenz des neu gegründeten Unternehmens zu einem neuen Insolvenzereignis mit der Folge, dass den Arbeitnehmern neuerlich Insolvenzgeld zuzubilligen ist. Dieses wird insbesondere in Fällen der übertragenden Sanierung bedeutsam. Es ist bedeutungslos, ob eine völlige oder teilweise Identität der Gesellschafter des ersten und zweiten Betriebs vorliegt. Ausschlaggebend ist allein, dass ein neuer Arbeitgeber im Rechtssinne insolvent wurde1. (5) Leiharbeitsverhältnisse 432
Bei Leiharbeitsverhältnissen ist im Rahmen der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung der Verleiher Arbeitgeber. Für die Insolvenzgeldansprüche der Arbeitnehmer ist deshalb zunächst entscheidend, ob das Insolvenzereignis i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III bei einem in- oder ausländischen Verleiher eintritt. Ist diese Frage zu bejahen, besitzt der Arbeitnehmer Insolvenzgeldansprüche. Fehlt dem Verleiher die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, so ist der Entleiher kraft gesetzlicher Fiktion (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG) Arbeitgeber und damit Schuldner des Arbeitsentgeltes. Damit ist entscheidend, ob bei der Entleihfirma ein Insolvenzereignis i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III vorliegt. Trotz der gesetzlichen Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG hat jedoch der gutgläubige Leiharbeitnehmer, also derjenige, der auf die Erlaubnis des Verleihers zur Arbeitnehmerüberlassung vertraute und vertrauen durfte, in der Insolvenz des Verleihers Anspruch auf Insolvenzgeld2. Der gutgläubige Leiharbeitnehmer hat gleichrangige Ansprüche gegen den Verleiher und den Entleiher. b) Insolvenzgeldzeitraum aa) Grundsätzliches
433
Der Arbeitnehmer besitzt einen Anspruch auf Insolvenzgeld für die nicht erfüllten Arbeitsentgeltansprüche aus den letzten drei Monaten seines Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III). Die Drei-Monats-Frist errechnet sich nach § 187 Abs. 1 BGB3, weshalb es mit § 187 Abs. 1 BGB nicht vereinbar ist, für die Stunden, welche am Insolvenzeröffnungstag dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung (§ 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO) vorausgehen, Insolvenzgeld zu bewilligen. Der Insolvenzeröffnungstag bleibt grundsätzlich bei der Fristberechnung außer Betracht4.
434
Besteht das Arbeitsverhältnis noch am Tage des Insolvenzereignisses, so sind durch Insolvenzgeld die rückständigen Arbeitsentgeltansprüche für maximal drei Monate vor dem Insolvenzereignis abgesichert.
435
Ist das Arbeitsverhältnis vor dem Insolvenzereignis beendet worden, so sind über Insolvenzgeld abgesichert die Entgeltansprüche der letzten drei Monate aus dem beendeten Arbeitsverhältnis. Es ist somit ohne Relevanz, ob die letz1 2 3 4
BSG v. 28. BSG v. 20. BSG v. 22. BSG v. 12.
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6. 1983 – 10 RAr 26/81, BSGE 55, 195 = ZIP 1983, 1224 (1225). 3. 1984 – 10 RAr 11/83, BSGE 56, 211 = ZIP 1984, 988. 3. 1995 – 10 RAr 1/94, BSGE 76, 67 (77) = ZIP 1995, 935. 12. 1995 – 10 RAr 1/95, BSGE 77, 155 (161) = ZIP 1996, 758.
Irschlinger
Vergütungsansprüche
Rz. 440 § 12
ten drei Monate des Arbeitsverhältnisses dem Insolvenzereignis unmittelbar vorausgehen oder nicht1. Die Anknüpfung für das Insolvenzereignis i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III widersprach bis zum 7. 10. 2002 EG-Recht.
436
Nach Ansicht des EuGH bedeutet Eintritt der Zahlungsunfähigkeit i.S.v. Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 der RL 80/987/EWG des Rates vom 20. 10. 1980 (ABl EG Nr. 11283, S. 23) keinesfalls den Tag der Verfahrenseröffnung oder Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist entsprechend der Richtlinie der Tag der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens2. Soweit die innerstaatlichen Regelungen nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III für den Arbeitnehmer günstiger sind, kann beim Begriff der Zahlungsunfähigkeit nach wie vor von den Regelungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III ausgegangen werden. Günstigere innerstaatliche Regelungen haben Vorrang vor den EG-Regelungen, wie sich aus Art. 9 der RL 80/987/EWG ergibt.
437
Die Richtlinie 2002/74/EG des europäischen Parlaments und Rates vom 23. 9. 20023 gestattet in Art. 3 nunmehr den Mitgliedsstaaten, den Anknüpfungszeitpunkt für Leistungen der Garantieeinrichtung zu bestimmen.
438
Bei einer sich abzeichnenden Insolvenz leistet häufig der Arbeitgeber auf die Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer Abschlagszahlungen und nimmt eine Leistungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB vor. Besitzt nun bei der Insolvenz des Arbeitgebers der Arbeitnehmer Arbeitsentgeltansprüche sowohl aus einem Zeitraum, für welchen Insolvenzgeld geschuldet wird, als auch aus einem nicht mehr geschützten Zeitraum, so sind die Teilzahlungen des Arbeitgebers auf den ungeschützten Zeitraum zu verrechnen4. Der EuGH nimmt auch bei einer Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber die Tilgungsfolge entsprechend § 366 Abs. 2 BGB vor, da eine Leistungsbestimmung i.S.v. § 366 Abs. 1 BGB durch den Arbeitgeber den Schutz des Arbeitnehmers vereitelt und deshalb gegen Art. 4 RL 80/987/EWG des Rates vom 20. 10. 1980 verstößt. Die Konsequenz für den Arbeitnehmer ist, dass ihm das Insolvenzgeld in dem Umfange zu gewähren ist, wie wenn keine Leistungsbestimmung getroffen wäre. Der Insolvenzverwalter hat erforderlichenfalls die Abrechnungen für die Arbeitnehmer neu zu erstellen.
439
Stand der Arbeitnehmer zum gleichen, insolventen Arbeitgeber zeitlich nacheinander in mehreren Arbeitsverhältnissen, so kann er aus diesen Arbeitsverhältnissen beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III Insolvenzgeld für maximal drei Monate beanspruchen. Es ist unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich durch Arbeitslosigkeit oder Aufnahme eines anderen Arbeitsverhältnisses unterbrochen war.
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1 2 3 4
Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rz. 75. EuGH v. 15. 5. 2003 – Rs. C –160/01, ZIP 2003, 1000. AblEG v. 8. 10. 2002 – L 270/10 ff. EuGH v. 14. 7. 1998 – Rs. C –125/97, NZA 1998, 1109.
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§ 12
Rz. 441
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
bb) Umfang des Arbeitsentgeltes (1) Allgemeines 441
Arbeitsentgelt i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind die Bezüge aus einem Dienstverhältnis (§ 114 Abs. 1 InsO). Die begriffsnotwendige Voraussetzung für einen Anspruch auf Insolvenzgeld ist somit zunächst, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt erarbeitet hat. Sämtliche Nebenforderungen aus dem Dienstverhältnis wie z.B. Verzugszinsen, Finanzierungskosten, Kosten der Rechtsverfolgung und Vollstreckungskosten unterliegen deshalb, da es sich um keine erarbeiteten Bezüge handelt, nicht dem Arbeitsentgeltbegriff des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Solche Ansprüche werden folglich über Insolvenzgeld nicht abgedeckt1. Als Arbeitsentgelt gelten jedoch Zuschüsse zum Entgelt, auch wenn diese Zuschüsse kein sozialversicherungsrechtliches Arbeitsentgelt i.S.v. § 14 SGB IV darstellen2.
442
Die Kosten für ein Insolvenzantragsverfahren sind den Sozialversicherungsträgern, jedoch nicht den Arbeitnehmern zu erstatten. Eine solche Differenzierung zwischen den Ansprüchen auf Insolvenzgeld bei den Arbeitnehmern und den Sozialversicherungsträgern ist zulässig3. Im Gegensatz zu den Arbeitnehmern sind den Sozialversicherungsträgern neben den rückständigen Krankenund Rentenversicherungsbeiträgen auch Nebenforderungen, wie z.B. Kosten der Zwangsvollstreckung sowie die Kosten der Beantragung eines Insolvenzverfahrens unter Einschluss von Sachverständigengebühren nach dem JVEG zu erstatten4. Die Säumniszuschläge und Stundungszinsen sind den Sozialversicherungsträgern ebenfalls nicht zu erstatten (§ 208 Abs. 1 Satz 1 SGB III)5.
443
Der Insolvenzverwalter muss für Zeiten der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners 50% der geltend gemachten Säumniszuschläge bestreiten, da in diesem Falle das „Druckmittel“ entfällt. Der Wegfall des Druckmittels der Säumniszuschläge muss durch den Sozialversicherungsträger ermessensgerecht durch den Erlass der Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge berücksichtigt werden6. Bei formaler Betrachtungsweise ist ein Erlassantrag nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV zu stellen. Da jedoch für Zeiten der Zahlungsunfähigkeit das Ermessen des Versicherungsträgers auf Null geschrumpft ist, ist jedoch ein solcher förmlicher Erlassantrag entbehrlich.
444
Unter den Begriff des Arbeitsentgeltes i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind alle beitragspflichtigen Bezüge des Arbeitnehmers bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 SGB III) zu subsumieren. Die Ansprüche auf Insolvenzgeld sind auf das Bruttoarbeitsentgelt der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze nach § 341 Abs. 4 SGB III begrenzt (§ 185 Abs. 1 SGB III).
445
Alle Aufwendungen des Arbeitnehmers, die er aus Anlass der Erbringung seiner Arbeitsleistung hatte, stellen Arbeitsentgelt i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 1 2 3 4 5 6
BSG v. 28. 2. 1985 – 10 RAr 19/83, ZIP 1985, 626. Marschner, DB 1998, 2165 (2166). BSG v. 15. 12. 1992 – 10 RAr 2/92, ZIP 1993, 689. DA Nr. 6 Abs. 1 und 7 zu § 208 SGB III. BSG v. 14. 9. 2005 – B 11a/11 AL 83/04 R, SGb 2005, 639 = NZS 2006, 498. BSG v. 4. 3. 1999 – B 11/10 AL 5/98 R, ZIP 1999, 887.
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Vergütungsansprüche
Rz. 448 § 12
SGB III dar und sind somit über das Insolvenzgeld zu erstatten. So sind dem Arbeitnehmer z.B. Reisespesen zu erstatten, soweit diese nachweislich im DreiMonats-Zeitraum des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III entstanden sind. Der Insolvenzverwalter muss sich wegen der zeitlichen Zuordnung der Reisespesen vom Arbeitnehmer die Originalbelege aushändigen lassen. Auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Aufwendungen mit einer Firmenkreditkarte bezahlt hat und er von dem Kreditkartenunternehmen als Mithaftender in Anspruch genommen wurde, unterliegt der Rückgriffsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber der Insolvenzsicherung über Insolvenzgeld, sofern die Aufwendungen dem Zeitraum des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III zuzuordnen sind1. Verwendet der Arbeitnehmer jedoch die Firmenkreditkarte oder seine eigene Kreditkarte zur Kreditbeschaffung für den Arbeitgeber, so unterliegen diese Beträge nicht der Insolvenzsicherung, da es sich insoweit um keine Aufwendungen handelt, welche mit der Erbringung von Arbeitsleistungen in Zusammenhang stehen2. Als Arbeitsentgelt i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind auch Beitragszuschüsse des Arbeitgebers zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Beitragszuschüsse zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen (§ 172 Abs. 2 SGB VI) zu werten und somit dem Arbeitnehmer durch die Agentur für Arbeit über das Insolvenzgeld zu erstatten.
446
Bei Entgeltumwandlungen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG gilt die Entgeltumwandlung als nicht vereinbart (§ 183 Abs. 1 Satz 5 SGB III), sofern keine Entgeltanteile an den externen Versorgungsträger (Pensionsfond, Pensionskasse oder Direktversicherung) in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzereignis (§ 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III) abgeführt wurden. Die Beitragszahlung muss durch den Arbeitnehmer erfolgen. Hat der Arbeitnehmer die Beiträge bereits ganz oder teilweise entrichtet, erfolgt die Erstattung durch die Agentur für Arbeit über das Insolvenzgeld. Vereinbarte Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG für den Verlust des Arbeitsplatzes stellen grundsätzlich kein Arbeitsentgelt i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar3. Eine andere Beurteilung ergibt sich jedoch dann, wenn die Abfindung auch geschuldetes Arbeitsentgelt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses abgilt. Diese anteiligen Arbeitsentgeltansprüche sind dann über Insolvenzgeld dem Arbeitnehmer zu erstatten4.
447
(2) Schadensersatzansprüche Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers wegen einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Ein aus § 628 Abs. 2 BGB resultierender Schadensersatzanspruch stellt keinen Anspruch aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis dar, sondern er entsteht für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Aus diesem Grunde 1 BSG v. 16. 9. 1991 – 10 RAr 12/90, BSGE 69, 228 = NZA 1992, 329 = ZIP 1992, 347. 2 BSG v. 18. 9. 1991 – 10 RAr 12/90, BSGE 69, 228 (232) = NZA 1992, 329 = ZIP 1992, 347 (349). 3 BAG v. 25. 2. 1981 – 5 AZR 922/78, BAGE 35, 98 = ZIP 1981, 1021 = NJW 1982, 127. 4 DA 7.2 Abs. 3 zu § 183 SGB III.
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§ 12
Rz. 449
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
wird Insolvenzgeld nicht geschuldet1. Als Arbeitsentgelt i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind jedoch Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers zu werten, wenn der Arbeitgeber es verabsäumt hat, rechtzeitig im Rahmen von Kurzarbeit die Anzeige über den Arbeitsausfall zu erstatten oder Fristen bei der Antragstellung auf Kurzarbeitergeld, Winterausfallgeld etc. versäumt. Voraussetzung für den Insolvenzgeldanspruch ist jedoch auch hier, dass die entgangenen Leistungen dem Insolvenzgeldzeitraum zuzuordnen sind2. cc) Einmalzahlungen 449
Der Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers kann nur dann einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, wenn der Anspruch zeitlich dem Insolvenzgeldzeitraum zuzuordnen ist. Auf die Fälligkeit der jeweiligen Ansprüche kommt es nicht an. (1) Jahressonderzahlung
450
Eine Jahressonderzahlung, welche im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gewährt wird, kann zwei unterschiedliche Zwecke verfolgen: sie stellt entweder die Gewährung einer zusätzlichen Vergütung für das Bezugsjahr oder eine Belohnung der Betriebstreue dar.
451
Für den Entgeltcharakter einer Jahressonderzahlung sprechen z.B.
452
–
anteilige Zahlung der Jahressonderzahlung für den Fall des Ein- oder Austritts des Arbeitnehmers während des Kalenderjahres;
–
anteilige Zahlung der Jahressonderzahlung bei zeitweiligem Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr;
–
anteilige Rückerstattung der Jahressonderzahlung bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis.
Für die Belohnung der Betriebstreue durch die Jahressonderzahlung sprechen z.B.: –
Zahlung der vollen Jahressonderzahlung, sofern der Arbeitnehmer am Auszahlungstag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht (so genannte Stichtagsregelung);
–
volle Rückzahlung der Jahressonderzahlung für den Fall des Ausscheidens bis zu einem bestimmten Stichtag des Folgejahres;
–
Ausschluss des Anspruches auf eine bereits erarbeitete Jahressonderzahlung bei Vertragsbruch oder bei Vorliegen von Gründen, die den Arbeitgeber berechtigen, den Arbeitsvertrag fristlos zu kündigen;
–
Zahlung der vollen Jahressonderzahlung bei einer sich über das gesamte Bezugsjahr erstreckenden Erkrankung des Arbeitnehmers;
–
Staffelung der Höhe der Jahressonderzahlung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit.
1 BSG v. 29. 2. 1984 – 10 RAr 20/82, BSGE 56, 201 = ZIP 1984, 1249. 2 BSG v. 17. 7. 1979 – 12 RAr 4/79, BSGE 48, 277.
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Vergütungsansprüche
Rz. 456 § 12
Sofern in einem Arbeits- oder Tarifvertrag Regelungen getroffen werden, aus denen sich ergibt, dass die Jahressonderleistung sowohl die im Bezugsjahr erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergüten und daneben vergangene und/oder zukünftige Betriebstreue honorieren soll, liegt eine Jahressonderzahlung mit Mischcharakter vor.
453
Für die Behandlung der Jahressonderzahlung mit Mischcharakter beim Insolvenzgeld gilt Folgendes: Ist der alleinige Zweck der Jahressonderzahlung die zusätzliche Vergütung für die im Bezugsjahr geleistete Tätigkeit, so sind maximal 3/12 der Jahressonderzahlung beim Insolvenzgeld zu berücksichtigen1. Handelt es sich um eine Jahressonderzahlung mit Mischcharakter und ist im Arbeits- oder Tarifvertrag ausdrücklich geregelt, dass im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr eine anteilige Zahlung der Jahressonderzahlung erfolgt, ist ebenfalls 3/12 der Jahressonderzahlung im Insolvenzgeldzeitraum zu berücksichtigen2.
454
Wird durch die Jahressonderzahlung allein die Betriebstreue belohnt, so ist die Jahressonderzahlung in voller Höhe im Rahmen des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen, wenn alle wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruch auf die Jahressonderzahlung im Insolvenzgeldzeitraum erfüllt sind, insbesondere bei einer Stichtagsregelung der Stichtag im Insolvenzgeldzeitraum liegt3. Gleiches gilt auch für Jahressonderzahlungen mit Mischcharakter, sofern für den Fall einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr keine ausdrückliche Regelung über eine anteilige Zahlung getroffen ist4. Dieses hat bei Jahressonderzahlungen ohne ausdrückliche Regelung einer anteiligen Zahlung im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr zur Konsequenz, dass die volle Jahressonderzahlung über Insolvenzgeld dann dem Arbeitnehmer zu erstatten ist, wenn der Fälligkeitstermin in den Insolvenzgeldzeitraum fällt5. Hier ist ausnahmsweise für den Anspruch auf Insolvenzgeld die Fälligkeit der Jahressonderzahlung maßgeblich6. Wird jedoch der Fälligkeitstermin nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in den Insolvenzgeldzeitraum verlegt, entfaltet diese Betriebsvereinbarung wegen des Verstosses gegen die guten Sitten keine Wirkung7. Der festgelegte Auszahlungszeitpunkt kann durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber – Stundung – zu Lasten der Bundesagentur für Arbeit nicht hinausgeschoben werden8.
455
! Hinweis: Liegt die Fälligkeit für die Jahressonderzahlung bei dieser Sachverhaltskonstellation nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, stellt der gesamte 1 2 3 4 5 6 7 8
Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rz. 108. BSG v. 10. 9. 1987 – 10 RAr 10/86, BSGE 62, 131 (134) = MDR 1988, 260. BSG v. 10. 9. 1987 – 10 RAr 10/86, BSGE 62, 131 (134) = MDR 1988, 260. Peters-Lange in Gagel, SGB III § 183 Rz. 108. BSG v. 18. 3. 2004 – B 11 AL 57/03 R, BSGE 92, 254 = ZIP 2004, 1376. BAG v. 26. 5. 1992 – 9 AZR 41/91, BAGE 70, 275 = NZA 1993, 848. BSG v. 18. 3. 2004 – B 11 AL 57/03 R, BSGE 92, 254 = ZIP 2004, 1376. BSG v. 21.7. 2005 – B 11a/ 11 AL 53/04 R, NZA – RR 2006, 437.
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456
§ 12
Rz. 457
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
Anspruch auf die Jahressonderzahlung einen Masseschuldanspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar. Besteht ein Anspruch auf Jahressonderzahlung, muss der vorläufige Insolvenzverwalter als Gutachter prüfen, ob eine Stichtagsregelung vereinbart ist. Ist dieses zu bejahen, hat er im Gutachten das Insolvenzgericht hierauf aufmerksam zu machen und sein Gutachten zeitlich so zu erstatten, dass durch das Insolvenzgericht unmittelbar nach dessen Eingang über die Insolvenzeröffnung entschieden werden kann1, da eine Abstimmung des Datums der Insolvenzeröffnung nicht mehr zulässig ist. 457
Ist der Zweck für die Jahressonderzahlung nicht oder nicht eindeutig zu ermitteln, ist davon auszugehen, dass es sich lediglich um eine zusätzliche Vergütung für die in der Vergangenheit geleistete Arbeit handelt2.
458
Sieht der Arbeits- oder Tarifvertrag für das Jahr des Eintrittes oder des Ausscheidens eine Zwölftelung einer Jahressonderzahlung vor, so ist je 1/12 der Jahressonderzahlung auf den durch Insolvenzgeld gesicherten Zeitraum anzurechnen3. Auch dann, wenn in einem Arbeits- oder Tarifvertrag geregelt ist, dass Voraussetzung für den Anspruch auf anteilige Jahressonderzahlung ist, dass der Arbeitnehmer an einem bestimmten Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht und das Insolvenzereignis vor diesem Stichtag eintrat, besteht ein Anspruch auf Insolvenzgeld4. Sofern sich aus dem Zweck der Jah -ressonderzahlung ergibt, dass ein enges Verhältnis zwischen der erbrachten Arbeitsleistung und der Gewährung der Jahressonderzahlung besteht, sind 3/12 bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen5. Bei der Errechnung des Insolvenzgeldes sind die 3/12 der Jahressonderzahlung nicht im letzten abzurechnenden, insolvenzgeldfähigen Zeitraum zu berücksichtigen, sondern es sind je 1/12 der Jahressonderzahlung in den jeweiligen insolvenzgeldfähigen Zeiträumen abzurechnen6. Dieses gilt auch, wenn hierdurch vollständig abgerechnete und ausbezahlte Entgeltzeiträume neu zu berechnen sind, da nur durch diese Abrechnungsweise eine Steuerprogression zum Nachteil der Arbeitnehmer vermieden wird.
459
Durch Arbeits- und Tarifvertrag kann eine zeitliche Zuordnung der Jahressonderzahlung vorgenommen werden. Es kann z.B. geregelt sein, dass die Jahressonderzahlung zum 30. Juni eines Kalenderjahres ohne Rücksicht darauf vorgenommen wird, ob der Arbeitnehmer noch bis zum Ende des Jahres im Betrieb bleibt oder nicht. In einem solchen Falle fehlt jeglicher Anhaltspunkt für eine Aufteilung der Jahressonderzahlung auf die Monate des laufenden Jahres7. Eine solche tarifliche Regelung kann für den Arbeitnehmer Vor- und Nachteile haben, je nachdem, ob der Anspruch auf die Jahressonderzahlung in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses entstand oder nicht. Entstand der An1 2 3 4 5 6 7
BGH v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766. BAG v. 8. 11. 1978 – 5 AZR 358/77, NJW 1979, 1223. BSG v. 12. 8. 1987 – 10 RAr 9/86, NZA 1988, 79. Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rz. 107. BSG v. 10. 9. 1987 – 10 RAr 10/86, BSGE 62, 131 = MDR 1988, 260. BSG v. 12. 8. 1987 – 10 RAr 9/86, NZA 1988, 179. BSG v. 7. 9. 1988 – 10 RAr 13/87, ZIP 1988, 1585 (1587).
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Vergütungsansprüche
Rz. 462 § 12
spruch in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses oder vor dem Insolvenzereignis, so ist die Jahressonderzahlung in voller Höhe über Insolvenzgeld abzugelten1. Entsteht in diesen Fällen der Anspruch auf die Jahressonderzahlung vor dem Insolvenzgeldzeitraum, besitzt der Arbeitnehmer nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO; entsteht die Forderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, stellt der Anspruch des Arbeitnehmers eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar. (2) Gewinnbeteiligung Die Gewinnbeteiligung stellt ein so genanntes aufgestautes Arbeitsentgelt dar. Die Gewinnbeteiligung ist arithmetisch auf die einzelnen Monate, für welche die Gewinnbeteiligung geschuldet wurde oder wird, aufzuteilen2. Soweit nach der erfolgten Aufteilung Anteile der Gewinnbeteiligung in den Insolvenzgeldzeitraum des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III entfallen, sind diese mit je 1/12 pro Monat über Insolvenzgeld abzugelten3.
460
Die außerhalb des Insolvenzgeldzeitraumes rechnerisch zuzuordnende, anteilige Gewinnbeteiligung stellt eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar. Anteilige Gewinnbeteiligungen aus dem noch bestehenden Arbeitsverhältnis für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. (3) Tantieme Die Tantieme ist wie eine Gewinnbeteiligung zu behandeln, d.h. es ist auf den abzugeltenden Zeitraum abzustellen4.
461
Die Ansprüche der Arbeitnehmer aus einer Zielvereinbarung sind insolvenzgeldfähig. Auch hier ist auf den Zeitraum des Erarbeitens (Erarbeitensprinzip) abzustellen. Auch dann, wenn die Zielvereinbarung aus Gründen, welche der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat, nicht vorliegt, bestehen Ansprüche auf die variable Vergütung5. Es handelt sich nicht um Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers, die nicht insolvenzgeldfähig wären. Die Höhe der variablen Vergütung ist gemäß § 287 ZPO zu schätzen. (4) Bauleiterprämie Die Bauleiterprämien werden in der Bauwirtschaft üblicherweise für eine mehrjährige Tätigkeit gewährt und der Arbeitnehmer hierdurch am wirtschaftlichen Erfolg der Baustelle beteiligt. Auch bei der Bauleiterprämie ist für das Insolvenzgeld nicht maßgeblich, wann der Anspruch fällig wurde, sondern für welchen Zeitraum dem Arbeitnehmer dieses zusätzliche Entgelt geschuldet 1 BSG v. 18. 1. 1990 – 10 RAr 10/89, ZIP 1990, 524. 2 Roeder in Niesel, SGB III, § 183 Rz. 70. 3 BAG v. 21. 5. 1980 – 5 AZR 337/78, BAGE 33, 113 = NJW 1981, 77 = ZIP 1980, 666 = MDR 1980, 964. 4 BAG v. 21. 5. 1980 – 5 AZR 441/78, NJW 1981, 79 = ZIP 1980, 784. 5 BSG v. 23. 3. 2006 – B 11a AL 29/05, NZA 2006, 1148 = ZIP 2006, 1414.
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462
§ 12
Rz. 463
Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
wird. Auch hier ist wiederum der zeitanteilig auf den Insolvenzgeldzeitraum entfallende Teilbetrag zu ermitteln und dem Arbeitnehmer über Insolvenzgeld zu vergüten1. (5) Provision 463
Im Gegensatz zu der Gewinnbeteiligung, Tantieme und Bauleiterprämie kommt es beim Provisionsanspruch nicht darauf an, in welchem Zeitpunkt der Anspruch erarbeitet wurde. Entscheidend ist nur, dass der Provisionsanspruch – wenn auch unter der aufschiebenden Bedingung der späteren Ausführung des Geschäftes – im Insolvenzgeldzeitraum entstanden ist2. Ohne eine gesonderte Abrede zwischen dem Unternehmer und Arbeitnehmer entsteht der Provisionsanspruch mit dem Abschluss des Vertrages (Geschäftes). Kommt infolge der Insolvenz oder auch infolge der Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter (§ 103 Abs. 2 InsO) der Auftrag nicht zur Ausführung, so hat dieser Umstand auf die Provisionsansprüche des angestellten Handelsvertreters keinen Einfluss. Es wird für die im Insolvenzgeldzeitraum des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III entstandene Provisionsanwartschaft Insolvenzgeld geschuldet. Sofern jedoch noch Tätigkeiten des Arbeitnehmers für das Entstehen des Provisionsanspruches erforderlich sind, so muss der letzte Akt dieser Tätigkeit noch in den Insolvenzgeldzeitraum fallen3. Durch die Insolvenzeröffnung wird der Bestand des entstandenen Provisionsanspruches nicht berührt, da der Schuldner die Nichtausführung des Geschäftes infolge der Insolvenz i.S.v. § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB zu vertreten hat. (6) Urlaubsabgeltung
464
Der Arbeitnehmer hat in Bezug auf Urlaubsabgeltungsansprüche (§ 7 Abs. 4 BUrlG) keinen Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 184 Abs. 1 Nr. 1 SGB III)4. Da mangels der Insolvenzgeldfähigkeit der Urlaubsabgeltungsansprüche ein Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit nach § 187 SGB III nicht erfolgt, verbleibt dem Arbeitnehmer trotz der Antragstellung auf Gewährung von Insolvenzgeld die Aktivlegitimation zur Weiterverfolgung der Urlaubsabgeltungsansprüche.
465
Ist das Arbeitsverhältnis noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden, stellen die Urlaubsabgeltungsansprüche des Arbeitnehmers Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar, die mit dem Bruttobetrag zur Insolvenztabelle anzumelden sind. Wird das Arbeitsverhältnis der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet und entstehen infolge der Beendigung Urlaubsabgeltungsansprüche (§ 7 Abs. 4 BUrlG), so stellt der Urlaubsabgeltungsanspruch eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar5. Dieses gilt nicht nur für den Urlaub des laufenden Jahres, sondern 1 2 3 4 5
BAG v. 4. 6. 1985 – 3 AZR 355/83, NZA 1986, 363 = ZIP 1986, 657. BSG v. 24. 3. 1983 – 10 RAr 15/81, BSGE 55, 62 = ZIP 1983, 965. Roeder in Niesel, SGB III, § 183 Rz. 15. BSG v. 20. 2. 2002 – B 11 AL 71/01 R (Essen), NZI 2002, 506 = DZWIR 2002, 381. BAG v. 25. 3. 2003 – 9 AZR 174/02, ZIP 2003, 1802 = NZA 2004, 43 = BB 2003, 2404 = DZWIR 2003, 461 = DB 2003, 2180.
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Vergütungsansprüche
Rz. 468 § 12
auch für den übertragenen Urlaub1. Mit dem Tode des Arbeitnehmers erlischt der Urlaubsanspruch ebenso wie ein Urlaubsabgeltungsanspruch2. (7) Urlaubsentgelt Das Urlaubsentgelt stellt Arbeitsentgelt i.S.v. § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar, da die Vergütung dem Arbeitnehmer während des bezahlten Urlaubs gemäß § 1 BUrlG fortzuzahlen ist. Das Urlaubsentgelt ist folglich bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III dem Arbeitnehmer zu erstatten. Auch beim Urlaubsentgelt ist unerheblich, ob die Fälligkeit aufgrund arbeits- oder tariflicher Regelung mit Urlaubsbeginn entsteht. Obgleich der Urlaubsanspruch unteilbar ist, bewirkt die Insolvenzeröffnung während des angetretenen Urlaubs, dass das zeitanteilig auf den Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallende Urlaubsentgelt als Insolvenzgeld zu erstatten ist und das zeitanteilige Urlaubsentgelt für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO darstellt3, da der Arbeitnehmer in Unkenntnis der Insolvenzeröffnung weitergearbeitet hat (§ 183 Abs. 2 SGB III). Auch in diesem Fall ist jedoch der Insolvenzgeldanspruch auf maximal drei Monate begrenzt.
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(8) Zusätzliches Urlaubsgeld Soweit arbeits- oder tariflich ein zusätzliches Urlaubsgeld geschuldet wird, teilt dieses grundsätzlich das rechtliche Schicksal des Urlaubsentgeltes4. Wird das zusätzliche Urlaubsgeld en