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German Pages 328 Year 1979
Anorganische Chemie von
Wilhelm Klemm unter Mitarbeit von
Rudolf Hoppe Sechzehnte Auflage Mit 46 Abbildungen
W DE G 1980
Walter de Gruyter · Berlin · New York
SAMMLUNG GÖSCHEN 2623 Dr. Dr. h. c. mult. Wilhelm Klemm em.o. Professor an der Universität Münster Dr. Rudolf Hoppe o. Professor an der Universität Gießen Direktor des Instituts für Anorganische und Analytische Chemie
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen Bibliothek
Klemm, Wilhelm: Anorganische Chemie / von Wilhelm Klemm. Unter Mitarb. von Rudolf Hoppe. - 16. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1980. (Sammlung Göschen ; Bd. 2623) ISBN 3-11-007950-X
© Copyright 1979 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., 1000 Berlin 30 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden - Printed in Germany - Satz: W.Tutte Druckerei GmbH, Salzweg-Passau - Druck: Saladruck, Berlin Bindearbeiten: Berliner Buchbinderei Wübben & Co., Berlin
Vorwort zur 16. Auflage Dieses Büchlein über ,Anorganische Chemie" hat seit 30 Jahren mit 15 Auflagen dazu gedient, Studenten und anderen Interessenten eine erste Übersicht über die Aufgaben und Ergebnisse dieses Wissenschaftszweiges zu geben. Wenn nunmehr R.Hoppe an der 16.Auflage mitgearbeitet hat, so ist an dem Charakter des Büchleins nichts geändert worden. Nach wie vor geht die Darstellung von den beobachteten Tatsachen aus und leitet aus diesen allgemeine Schlüsse ab. Dieser, die historische Entwicklung berücksichtigende Weg scheint uns auch heute noch pädagogisch vorteilhafter als der Versuch, von der Lehre vom Atombau auszugeben und die Chemie mehr oder weniger deduktiv darzustellen. In der vorliegenden Auflage lag eine wesentliche Aufgabe darin, die neuen SI-Einheiten einzuarbeiten, die zwar für den geschäftlichen Verkehr gesetzlich vorgeschrieben sind, aber in der wissenschaftlichen Literatur nur zögernd benutzt werden. Eine einschneidende Änderung liegt für die Chemie darin, daß die Stoffmenge eine Basisgröße mit der Einheit Mol geworden ist; damit wird es notwendig, gewisse viel benutzte Begriffe neu zu formulieren. Dabei hat uns Herr Prof. Dr. Werner Fischer, Freiburg, hilfreich unterstützt, wofür wir herzlich danken möchten. Wir haben in der Darstellung vielfach alte und neue Werte 7. B. in Joule und in Kalorien - nebeneinander angegeben, um auch für diejenigen verständlich zu bleiben, die an die alten Einheiten gewöhnt sind. Physikalische Messungen spielen heute in der Chemie eine immer größere Rolle. Bei dem beschränkten Umfang ist es nicht möglich, jede dieser Methoden ausführlicher zu behandeln. Es ist aber als Kapitel XXXIII eine tabellarische Übersicht über einige wichtige Untersuchungsmethoden angeführt, die Herr Doz. Dr. W. Urland, Gießen, freundlicherweise zusammengestellt hat. Auch hierfür möchten wir herzlich danken.
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Vorwort
Die technischen Kapitel mußten z.T. weitgehend geändert werden, um dem Fortschritt Rechnung zu tragen. Wir haben hierfür von sehr verschiedenen Stellen Rat und Auskunft erhalten. Hierfür möchten wir vielmals danken. Herrn Dr. Gerd Meyer, Gießen, danken wir für seine Hilfe beim Lesen der Korrekturen. Wir hoffen, daß die 16. Auflage des vorliegenden Bändchens ebenso freundlich aufgenommen wird wie die vorhergehenden Auflagen. Münster, Universität Prof. Dr. W. Klemm
Gießen, Universität Prof. Dr. Λ Hoppe
Inhalt Vorwort I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII. XVIII. XIX. XX. XXI. XXII.
XXIII. XXIV. XXV.
XXVI. XXVII.
Einleitung Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Gasgesetze; Physikalische Größen und das SI-System Quantitatives über die Zusammensetzung des Wassers Wasserstoff und Sauerstoff Ozon und Wasserstoffperoxid Die Zusammensetzung der Luft; Edelgase Aggregatzustände; die Verflüssigung von Gasen Relative Atom- und Molekülmasse; die Stoffmenge und das Mol Stöchiometrische Wertigkeit Thermochemie Chlor und Hydrogenchlorid Säuren, Basen, Salze Theorie der elektrolytischen Dissoziation Die Ionen-Bindung Sauerstoffverbindungen des Chlors Brom, Iod und Fluor; Übersicht über die Halogene Schwefel Selen und Tellur; Übersicht über die Chalkogene Das Perioden-System der Elemente Stickstoffgruppe Abhängigkeit der Gleichgewichte von äußeren Bedingungen A. Einfluß von Druck und Temperatur B. Einfluß der Konzentration; Massenwirkungsgesetz Kohlenstoff; Brennstoffe Brennstoffe Silicium und Bor; Kolloide Lösungen Der Aufbau der Atome; Chemische Bindung Aufbau der Kerne Aufbau der Elektronenhüllen. Chemische Bindung Alkalimetalle; Hydride Erdalkali- und Erdmetalle Hydride Technisch wichtige Silicate der Erdalkali- und Erdmetalle . .
3 9 14 21 26 33 41 43 47 53 63 66 70 73 77 84 92 97 103 113 115 118 134 135 136 153 165 172 178 179 188 210 219 217 226
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Inhalt
XXVIII. Elemente der Gruppen 1Β bis 4 Β XXIX. Elektrochemie XXX. Die Übergangselemente. Magnetochemie Magnetochemie Einzelheiten über Übergangselemente XXXI. Lanthanoide und Actinoide XXXII. Komplex-Verbindungen XXXIII. Physikalische Methoden zur Untersuchung des Aufbaus von Molekülen und festen Stoffen XXXIV. Tensions- und thermische Analyse; Intermetallische Verbindungen XXXV. Technisches Eisen Namenregister Sachregister
230 239 247 252 253 261 264 274 280 290 298 300
Einige Lehrbücher der Anorganischen Chemie A. F. Holleman-E. Wiberg, Lehrbuch der anorganischen Chemie. 81.-90. Aufl. 1976. U. Hofmann, W. Rudorf!\ Anorganische Chemie. 21. Aufl. 1973. H. R. Christen, Grundlagen der anorganischen und allgemeinen Chemie. 5. Aufl. 1977. V. Gutmann, E. Hengge, Allgemeine und anorganische Chemie. 2. Aufl. 1975. F.A. Cotton, G. Wilkinson, Anorganische Chemie, übersetzt von H.P. Fritz 3. Aufl. 1974. L. Pauling, Grundlagen der Chemie; übersetzt und bearbeitet von F. Helfferich. 1973.. R. W. Heslop, K. Jones, Inorganic Chemistry, Α Guide to Advanced Study. 1976. Κ. F. Purcell, J. C. Kotz, Inorganic Chemistry. 1977. A.F.Wells, Structural Inorganic Chemistry. 4.Aufl. 1975.
I. Einleitung Die Chemie beschäftigt sich mit dem stofflichen Aufbau der Umwelt. Es gilt, die hier auftretende Mannigfaltigkeit zu ordnen, die Vielheit der Erscheinungen auf einfache Begriffe zurückzuführen und so dem Verständnis näher zu bringen. Ferner gestattet die Beherrschung der hier geltenden Naturgesetze, Stoffe, die für den Menschen nützlich sind, aus anderen herzustellen. Zur Lösung der Aufgaben der Chemie müssen vielfach auch physikalische Methoden herangezogen werden; die gegenseitige Durchdringung von Chemie und Physik ist im Laufe der Zeit eine so innige geworden, daß sich eine scharfe Abgrenzung zwischen beiden kaum noch geben läßt. Zur Lösung ihrer Aufgaben besitzt die Chemie zwei HauptUntersuchungsmethoden, die Analyse und die Synthese. Unter Analyse verstand man ursprünglich die Zerlegung der oft verwickelt aufgebauten Stoffe in einfachere; heute bezeichnet man damit alle Methoden, um die Zusammensetzung und den feineren Aufbau eines Stoffes zu ermitteln. Unter Synthese versteht man die Herstellung von Stoffen aus einfacheren Bestandteilen oder durch chemische Umsetzungen irgendwelcher Art. Es ist keineswegs gesagt, daß man bei derartigen Zerlegungen und insbesondere bei chemischen Synthesen nur zu solchen Substanzen kommen kann, die in der Natur bereits vorhanden sind; es lassen sich vielmehr auch außerordentlich viele neue Stoffe herstellen, die in der Natur noch nicht aufgefunden wurden und zum Teil für den Menschen von größtem Nutzen sind (Metalle wie Aluminium, Magnesium und Zink, fast alle Legierungen, Düngemittel, keramische Stoffe, Farbstoffe, Heilmittel, Sprengstoffe, Kunststoffe usw.). Die „Chemische Industrie'''' ist in Deutschland hoch entwickelt. Chemische Literatur. Es sei schon an dieser Stelle einiges über die chemische Literatur mitgeteilt. Der einzelne Forscher berichtet über die Ergebnisse seiner Untersuchungen in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, von denen
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Einleitung
- als für die Anorganische Chemie besonders wichtig - genannt seien: Zeitschrift für anorganische und allgemeine Chemie, Chemische Berichte, Journal of the American chemical Society, Inorganic Chemistry, Journal of Inorganic & Nuclear Chemistry, Journal of the Chemical Society (London), Revue de Chimie Minerale, Journal für anorganische Chemie (russisch). Zusammenfassende Berichte über bestimmte Gebiete sowie besonders rasch veröffentlichte Kurzmitteilungen findet man in der „Angewandten Chemie", den „Naturwissenschaften" und der „Nature". Insgesamt gibt es einige tausend Zeitschriften in der Welt von ganz oder teilweise chemischem Inhalt. Daher hat man „Referatenorgane" geschaffen, die periodisch in systematischer Anordnung Kurzberichte über Zeitschriftenaufsätze geben; genannt seien vor allem „Chemical Abstracts". Eine schnelle Übersicht über die wichtigsten Veröffentlichungen vermittelt der seit 1970 erscheinende „Chemische Informationsdienst". Systematisch geordnet findet man alle bisher erhaltenen Ergebnisse in „Gmelins Handbuch der anorganischen Chemie" (bzw. für die organische Chemie: Beilsteins Handbuch der organischen Chemie). Schließlich gibt es kürzer gefaßte Handbücher und zahlreiche Lehrbücher; die wichtigsten von diesen sind auf S. 7 zusammengestellt.
Bei einer ganz oberflächlichen Sichtung der auf der Erde vorhandenen Stoffe lassen sich sofort zwei Gruppen unterscheiden: Bestandteile der belebten Natur (Tiere und Pflanzen) auf der einen, der unbelebten, des Mineralreiches, auf der anderen Seite. Dementsprechend teilt man ein in organische und anorganische Chemie. Diese Einteilung hat sich durchaus bewährt; den inneren Grund hierfür werden wir später (vgl. Kap. XXIII) besprechen. Homogene und heterogene Systeme. Bei einer weiteren Betrachtung der Stoffe, die uns begegnen, fallt sofort auf, daß viele Stoffe durch die ganze Substanz aus dem gleichen Material aufgebaut sind. Man kann bei ihnen weder mit dem Auge noch mit dem Mikroskop äußere Verschiedenheiten erkennen. Solche Stoffe nennt man gleichteilig oder homogen. Beispiele hierfür sind Wasser, Glas, Messing usw. Im Gegensatz zu den homogenen Körpern stehen die inhomogenen oder heterogenen, die aus verschiedenartigen Teilchen aufgebaut sind und auf mechanischem Wege getrennt werden können. So ist mit Sand versetztes Wasser ein heterogenes System; wir können hier die Bestandteile durch Abgießen der Flüssigkeit leicht trennen. Andere Beispiele für heterogene Stoffe sind das Gestein Granit oder mit Eisstückchen
Einleitung
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versetztes Wasser. Das letzte Beispiel zeigt, daß der Begriff heterogen nicht notwendig besagt, daß stofflich Verschiedenes vorliegen muß; denn die Bestandteile (die „Phasen") sind ja hier flüssiges und festes Wasser. Ebenso falsch wäre es aber auch anzunehmen, daß ein homogener Körper stofflich immer nur aus einem Bestandteil bestände. Zum Beispiel ist Zuckerwasser homogen, obwohl es aus mehreren Stoffen (Zucker und Wasser) hergestellt ist. Trennung von heterogenen Gemischen. Liegt ein heterogenes System vor, so ist ein erster Schritt zur Zerlegung oft leicht. So kann man Systeme aus einer Flüssigkeit und einem festen Stoff angenähert durch Abgießen (Dekantieren), vollständiger durch Filtrieren trennen. Schwieriger ist die Trennung von Gemengen fester Stoffe, z.B. das „Aufbereiten" von Erzen. Eine Trennung durch Auslesen ist meist praktisch nicht durchführbar; infolgedessen verwendet man in der Regel andere Methoden. Zum Beispiel kann man Unterschiede der Dichte ausnutzen (Schlämmen, Trennung von Spreu und Weizen durch den Wind, Zentrifugieren usw.). Ferner kann man die verschiedene Benetzbarkeit heranziehen. Als ein technisch wichtiges Verfahren sei hier das Schaumschwimm-Verfahren („Flotation") genannt, bei dem sich die schlecht benetzbaren Bestandteile eines zerkleinerten Erzgemisches im künstlich erzeugten Schaum ansammeln, während die gut benetzbaren am Boden zurückbleiben. Durch Zugabe sehr kleiner Mengen geeigneter Stoffe, die an der Oberfläche fester Teilchen selektiv angelagert („adsorbiert") werden, kann man die Unterschiede in der Benetzbarkeit noch verstärken bzw. überhaupt erst hervorrufen, so daß auch so ähnliche Stoffe wie Natriumchlorid und Kaliumchlorid (vgl. S. 210f.) bei der Aufbereitung durch Flotation getrennt werden können. Besonders wichtig sind Unterschiede der Löslichkeit. Will man ζ. B. mit Gestein verunreinigtes Salz von diesem trennen, so kann man es mit Wasser herauslösen. Diese Methode wird in sehr großem Umfange angewendet.
Trennung homogener Gemische; der Begriff des reinen Stoffes. Mit solchen grob-mechanischen Trennungen ist meist noch nicht viel gewonnen. Der nächste Schritt ist der, zu einem „reinen Stoff" zu gelangen. Was man darunter versteht, sei am Beispiel des Wassers beschrieben. Daß dies je nach seiner Herkunft verschieden ist, ist allgemein bekannt. So unterscheidet man ja Regen-, Leitungs-, Meerwasser, ferner hartes und weiches Wasser usw. Die Unterschiede sind darin begründet, daß die einzel-
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Einleitung
nen Wasserarten verschiedene Arten fremder Stoffe in unterschiedlicher Menge gelöst enthalten, also vom Standpunkte des Chemikers aus 1 in verschiedener Weise verunreinigt sind. Man erkennt das Vorliegen eines chemisch unreinen Stoffes unter anderem beim Erstarren und Sieden. Bei einem reinen Stoff erfolgt das Erstarren der gesamten Flüssigkeit bei genau der gleichen Temperatur. Beim Leitungswasser ist dies jedoch nicht der Fall; messen wir mit einem genügend empfindlichen Thermometer unter Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln, so stellen wir fest, daß das Erstarren etwas unter 0 °C beginnt und daß beim Fortschreiten des Festwerdens die Temperatur zunächst weiter absinkt, bis schließlich alles erstarrt. (Näheres vgl. Kap. XXXIV.) Ähnlich ist es beim Verdampfen; während reines Wasser bei einem Druck von 1 atm 2 bei 100°C restlos verdampft, beginnt bei Leitungswasser das Sieden erst etwas über 100 °C, und die Siedetemperatur steigt während des Verdampfens dauernd an. Es ist beim Wasser leicht, zu einem für die meisten Zwecke hinreichend reinen Präparat zu kommen; man braucht das Wasser nur zu destillieren, d. h. es zu verdampfen und das Verdampfte wieder zu verdichten (kondensieren); es bleiben dann die gelösten Fremdstoffe zurück, und man erhält im Kondensat praktisch reines „destilliertes" Wasser. Während es sich bei der Destillation um den Übergang: flüssiggasförmig-flüssig handelt, kann man in vielen Fällen auch den Übergang fest-gasförmig-fest benutzen, den man als Sublimation bezeichnet. Destillationen pflegt man in einer der Abb. 1 entsprechenden Anordnung durchzuführen. Besonders hingewiesen sei auf den Kühler nach Liebig3. Das wesentliche hierbei ist die Verwendung des bei wissenschaftlichen und technischen Apparaturen immer wieder benutzten „Gegenstromprinzips 1
Der Begriff „chemisch rein" hat beim Wasser nichts mit der üblichen Bezeichnung „reines Wasser" zu tun. Ein gutes Trinkwasser muß gewisse Stoffe gelöst enthalten. Ganz reines Wasser ist zum Trinken ungeeignet. * 1 atm = 1,01325 bar; vgl. S.26. 3 Justus von Liebig lebte 1803-1873. Er ist u. a. der Schöpfer der künstlichen Düngung. Der von Liebig in Gießen eingerichtete praktische Laboratoriumsunterricht für die Chemie-Studierenden ist richtungsweisend für die deutschen Universitäten geworden.
Das Kühlwasser wird so geleitet, daß es beim Eintritt in die Apparatur zur endgültigen Kühlung der vorher schon weitgehend abgekühlten Teile des Destillates dient. Während des Durchströmens durch den Kühler erwärmt sich dann zwar das Kühlwasser etwas, das ist aber unwesentlich, denn zur Kondensation des ersten heißen Dampfes genügt auch etwas wärmeres Wasser.
Das durch genügend vorsichtige Destillation erhaltene Wasser zeigt die Eigenschaften eines reinen Stoffes: der Erstarrungspunkt ist konstant, d. h. unabhängig davon, wieviel bereits erstarrt ist; er beträgt 0,000°C. Auch die Siedetemperatur ist unabhängig von der verdampften Menge, sie beträgt bei 1,01325 bar ( = 1 atm) 100,000°C 4. Daß wirklich reines Wasser vorliegt, zeigt sich unter anderem darin, daß beliebig oft wiederholtes Destillieren immer wieder zu einem Kondensat mit den gleichen Eigenschaften führt, auch wenn man empfindliche Untersuchungsmethoden anwendet. Dabei ist es gleichgültig, ob man von See-, Leitungs- oder Regenwasser ausgeht. Das ist allerdings nur so lange richtig, als man nicht extreme Ansprüche an die Reinheit stellt. Einmal ist es gar nicht so einfach, Wasser herzustellen, das gar keine Gase gelöst enthält. Ferner ist es kaum möglich, ein Gefäßmaterial zu finden, das sich nicht wenigstens in Spuren im Wasser löst. Eine besondere Komplikation ist durch die Entdeckung des sogenannten „schweren Wassers" entstanden; vgl. dazu Kap. XXV.
Reines Wasser kann man auch dadurch gewinnen, daß man gewöhnliches Leitungswasser teilweise erstarren (kristallisieren) 4
Schmelz- und Siedepunkt des reinen Wassers dienen bekanntlich als Grundlage der Celsius-Skala. Die Anzahl der Nullen gibt an, wie genau diese Fixpunkte reproduzierbar sind.
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Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers
läßt und dann Eis und nicht erstarrte Flüssigkeit trennt. Dieses Eis, das natürlich noch mit etwas „Mutterlauge" benetzt ist, läßt man erneut schmelzen und das so erhaltene, schon sehr salzarme Wasser wieder teilweise erstarren usw. Man erhält so schließlich eine geringe Menge von Wasser, das auch bei empfindlichen Prüfungen keinen Unterschied gegenüber dem durch Destillation gereinigten zeigt. Zur Prüfung, ob wirklich ein reiner Stoff vorliegt, muß man in jedem einzelnen Falle verschiedene Reinigungsmethoden anwenden; erst wenn alle Methoden zu dem gleichen Endprodukt führen, kann man sicher sein, daß ein reiner Stoff vorliegt. Das Auskristallisieren des reinen Lösungsmittels, wie es eben beschrieben wurde, erfolgt in der Regel nur bei sehr verdünnten Lösungen. Aus konzentrierten Lösungen kristallisiert der gelöste Stoff aus 5 . Dabei kann man die Menge des Lösungsmittels durch Verdampfen oder Verdunsten vermindern, bis die Löslichkeitsgrenze überschritten wird. Man kann aber auch die Temperatur-Abhängigkeit der Löslichkeit ausnutzen. So löst sich ζ. B. Kaliumnitrat (Kalisalpeter) in heißem Wasser viel besser als in kaltem. Sättigt man also heißes Wasser mit Kaliumnitrat, so scheidet sich dieses zum größten Teile beim Abkühlen in fester Form wieder aus; nur wenig bleibt in der kalten Lösung, der sogenannten „Mutterlauge". Der so umkristallisierte Stoff enthält in der Regel weniger Verunreinigungen als vorher. Vgl. dazu auch S.288 „Zonenschmelzen".
II. Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers Zerlegung durch elektrische Energie (Elektrolyse). Wenn so ein reiner Stoff, hier also reines Wasser, gewonnen ist, fragen wir, ob er sich in stofflich einfachere Bestandteile zerlegen läßt. Es ist plausibel, daß eine solche Zerlegung in der Regel eine EnergieZufuhr erfordert; denn wären diese Bestandteile nicht durch starke Kräfte verbunden, die erst überwunden werden müssen, 5
Vgl. dazu Kap. XXXIV, Abb. 40, S. 283.
Qualitatives über die Zusammensetzung des Wassers
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9 Λ
° Τ0 6
τ.1
„Stöchiometrie" bedeutet Grundstoff-Messung. Für den idealen Gaszustand ist bei 0 °C und 1,01325 bar (1 atm) das molare Volumen Vm = 22,414 1/mol. Für die realen Gase sind die Werte für Vm et7
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Relative Atom- und Molekülmasse; die Stoffmenge und das Mol
Das molare Volumen Vm 0 enthält laut Definition soviel Moleküle, wie Atome in 12 g 1 2 C enthalten sind. Nach Avogadro sind aber für alle Gase die Volumina solcher Portionen gleich groß, die gleichviel Moleküle enthalten, also ζ. B. gerade so viel, wie in 1 mol enthalten sind, sofern Druck und Temperatur gleich gewählt werden. Infolgedessen ist der Ausdruck p0-Vm 0/T0 für alle Gase gleich groß; man nennt ihn die allgemeine Gaskonstante und bezeichnet ihn mit R. Die Gasgleichung nimmt dann die einfache Form an: p-V
= n R T .
Das Produkt ρ · Vhat die Dimension: Kraft χ Länge - 2 χ Länge 3 , also die einer Energie. Die Gaskonstante R hat demnach die Dimension: Energie pro Grad und Stoffmenge; zahlenmäßig ist R = 8,3144 J ^ r ' - m o l " 1 (bzgl. J, Κ und mol s. S. 24). Früher benutzte man andere Energie-Einheiten: (R = 0,082056 1 · atm · Κ " 1 · mol" 1 = 1,987cal · Κ~ 1 · m o P 1 )· Experimentelle Bestimmung von relativen Molekülmassen. Führt man in der Gasgleichung ρ · V= η • R · Τ die molare Masse Μ ein (M = m/n), so wird ρ • V= {m/M) • R · Γ bzw. Μ = m • RT/pV. Man kann so durch Messung von m, Τ, ρ und V einer beliebigen Gasprobe die molare Masse Μ bestimmen. Solche Bestimmungen sind normalerweise auch für flüssige oder feste Stoffe durchführbar, wenn man die Untersuchungen bei so hohen Temperaturen durchführt, daß sie in den gasförmigen Zustand übergegangen sind. Bequem ist hier die Methode von V. Meyer8 (vgl. Abb. 9). Bei dieser wird zunächst die Heizflüssigkeit zum Sieden gebracht und so lange gewartet, bis keine Blasen mehr aufsteigen. Dann setzt man das mit Wasser gefüllte Meßrohr auf und läßt das Wägegläschen mit der zu untersuchenden Substanz herunterfallen, so daß diese verdampft und eine entsprechende Menge Luft in das Meßrohr getrieben wird. Das beobachtete Volumen Luft entspricht dem Volumen, das die Substanz im gasförmigen Zustand bei Zimmertemperatur - nicht der Meßtemperatur! - einnehmen würde. Das Verfahren ist nur beschränkt anwendbar, wenn man Dissoziationsgleichgewichte (vgl. ζ. B. Schwefeldampf, Kap. XVIII) messen will. was verschieden: H 2 22,43; N 2 22,40; Cl 2 22,02 1/mol. Für 20°C, also Zimmertemperatur, ist bei 1 atm Vm ä 241/mol. 8 Victor Meyer lebte von 1848-1897. Die Mehrzahl seiner Arbeiten betrifft die organische Chemie.
Relative Atom- und Molekülmasse; die Stoffmenge und das Mol
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Molare Wärmekapazitäten von Gasen. Im Kap. IV haben wir die Gründe dargelegt, warum man die Gasmoleküle von Wasserstoff, Sauerstoff und Chlor als mindestens zweiatomig annehmen muß. Es blieb allerdings die Frage offen, ob nicht ganzzahlige Vielfache (etwa H J vorliegen. Dies ist zwar unwahrscheinlich, da sich bei den genannten Gasen nirgends die Notwendigkeit ergibt, eine größere Anzahl von Atomen in den Molekülen anzunehmen 9 . Diese Frage kann endgültig durch die Bestimmung der molaren Wärmekapazitäten C der betreffenden Gase entschieden werden. Diese Größe erlaubt bei kleinen Molekülen eine Aussage über die Anzahl der Atome im Molekül. Wie die Theorie zeigt, steht die molare Wärmekapazität C in enger Beziehung zur Gaskonstanten R. Bei konstantem Volumen gilt für ein einatomiges Gas, das nur Translationsbewegungen in den drei Richtungen des Raumes ausführen kann: Cv = 3/?/2. Bei zweiatomigen Molekülen (Hantelgestalt) kommen Rotationen um zwei Richtungen hinzu: Cv = (3 + 2 ) · R/2. Bei drei9
Bei anderen Elementen treten Moleküle mit größerer Atomzahl durchaus auf, siehe ζ. B. Schwefel oder Phosphor. Daß die Edelgasmoleküle einatomig sind, wurde schon S. 46 erwähnt.
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Relative Atom- und Molekülmasse; die Stoffmenge und das Mol
und mehratomigen Molekülen ist Cv = (3 + 3) · R/2. Dazu kommen u. U. noch Anteile, die von Schwingungen im Molekül herrühren. Bei konstantem Druck muß wegen der Ausdehnung durch die Erwärmung noch Arbeit gegen den äußeren Druck geleistet werden, die C p -Werte sind daher jeweils um den Wert R größer als Cv. Da die Wärmekapazitäten, namentlich Cv, unbequem zu bestimmen sind, ermittelt man C p /C v . Dieser Quotient ist ζ. B. aus der leicht meßbaren Schallgeschwindigkeit abzuleiten.
Stöchiometrische Rechnungen, bei denen Gase auftreten. Wegen der einfachen Volumenverhältnisse bei Gasen kann man gewisse stöchiometrische Rechnungen, bei denen Gase auftreten, besonders leicht durchführen. Wir wollen als Beispiel berechnen, wieviel Liter Luft zur Verbrennung von 1 g Kohlenstoff (zu C 0 2 ) erforderlich sind, und zwar nur überschläglich. Nach der Gleichung C fesl 4- 0 2 g a s f = C0 2 g a s f werden für 1 mol ^ 12 g C 1 mol 0 2 , d . h . bei Zimmertemperatur und 1 bar χ 2410 2 (vgl. S. 57,Anm.7) gebraucht, für 1 g C also 21 0 2 . Da die Luft zu etwa V5 aus 0 2 besteht, entspricht dies 10 1 Luft.
Weiteres zur Bestimmung der relativen Atommassen. Nicht immer ist die Bestimmung der relativen Atommasse so einfach, wie wir es S. 53 f. für Sauerstoff zeigten, weil man meist die Formeln der Verbindungen nicht ohne weiteres ermitteln kann. Beim Wasser ist dies besonders einfach, weil man die Ausgangsstoffe und das Reaktionsprodukt im gasförmigen Zustand vergleichen kann, so daß man das Avogadrosche Gesetz heranziehen kann. Wie man auch in solchen Fällen, in denen dies nicht der Fall ist, die Formel und damit auch die relative Atommasse ermitteln kann, sei für die Sauer Stoffverbindungen des Kupfers gezeigt. Wir kennen hier zwei Oxide, ein schwarzes, sauerstoffreicheres, und ein rotes, sauerstoffarmeres. Bei der Reduktion mit Wasserstoff erhalten wir in beiden Fällen Metall. Ein Versuch möge folgende Werte ergeben haben: 3,3675 g des schwarzen Oxids lieferten 2,6901 g Metall, 4,2007 g des roten 3,7309 g. Der dem Sauerstoffgehalt entsprechende Gewichtsverlust beträgt also 0,6774 bzw. 0,4698 g. Auf 1 g Metall kommen demnach bei dem schwarzen Oxid 0,2518 g Sauerstoff, bei dem anderen 0,1259 g, d.h. halb so viel. Um nun zu der Formel der beiden Oxide zu kommen, gehen wir zunächst von der Annahme aus, daß die einfachsten Formeln die wahrscheinlichen
Relative Atom- und Molekülmasse; die Stoffmenge und das Mol
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sind (vgl. dazu S. 32). In Frage kommen also zwei Möglichkeiten: a) schwarzes Oxid CuO, rotes C u 2 0 ; b) schwarzes Oxid C u 0 2 , rotes CuO. Beide Formulierungen sind zunächst nach dem Prinzip der Einfachheit gleichberechtigt. Die relative Atommasse χ von Cu ist nach a) durch folgende Proportion gegeben: x/16 = 1/0,2518 bzw. 2x/16 = 1/0,1259. Daraus folgt χ = 63,54. b) ergibt x/(2 • 16) = 1/0,2518 bzw. x/16 = 1/0,1259. Also χ = 127,1. Für die relative Atommasse des Kupfers ergibt sich also entweder a) Λ Γ (Οι) = 63,54 oder b) /4r(Cu) = 127,1 bzw. für die molare Masse des atomaren Cu a) M(Cu) = 63,54 g/mol oder b) A/(Cu) =127,1 g/mol. Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann man eine 1818 von den französischen Forschern Dulong und Petit gefundene Regel benutzen: Die molare Wärmekapazität beträgt für die überwiegende Mehrzahl der Elemente 10 , bei Zimmertemperatur etwa 25 J K - 1 m o l - 1 ( « 6 cal K - 1 m o P 1 ) u . Nun beträgt die spezifische Wärmekapazität des Kupfers bei Zimmertemperatur 0,385 J K - 1 g - 1 . Die molare Wärmekapazität, d.h. das Produkt aus molarer Masse und spezifischer Wärmekapazität wäre als gemäß a) (63,5 g-mol" 1 ) · (0,385 J K - 1 g" 1 ) = 24,4 J K " 1 m o P 1 bzw. gemäß b) (127 g mol" 1 ) · (0,385 J K - 1 g" 1 ) = 48,8 J K - 1 mol - 1 . Es ist also nur der unter a) berechnete Wert mit der Regel von Dulong-Petit verträglich. Die molare Masse M(Cu) des atomaren Kupfers ergibt sich also zu 63,54 g/mol, die relative Atommasse Ar beträgt 63,54. Schon bei der Aufstellung des ersten Systems der relativen Atommassen durch Berzelius hat sich die von Mitscherlich am Beispiel der Verbindungen K H 2 P 0 4 und K H 2 A s 0 4 zuerst erkannte Regel als wichtig erwiesen, daß analog zusammengesetzte Verbindungen oft ähnliche Kristallgestalt besitzen und Misch-12 bzw. Überwachsungskristalle bilden, d.h. isomorph13 sind. 10
Ausnahmen bilden einige leichte, hoch schmelzende Elemente (B, C, Si), die bei Zimmertemperatur eine kleinere molare Wärmekapazität besitzen. 11 Das entspricht 3 R, ist also etwa doppelt so groß wie bei einatomigen Gasen. Der Grund liegt darin, daß zu der kinetischen Energie der Schwingung der Atome um die Gitterpunkte der gleiche Betrag an potentieller Energie kommt. 12 Ein Mischkristall stellt gleichsam eine kristallisierte Lösung dar (,Jeste Lösung"). Die beiden Bestandteile sind wie in einer flüssigen Mischung gleichmäßig vermischt, aber die Atome beider Partner sind wie in den Kristallen in einer regelmäßigen Struktur angeordnet. Zum Beispiel unterscheidet sich ein Mischkristall von NaCl mit NaBr von einem NaCl-Kristall dadurch, daß partiell Br-Teilchen an die Stelle von Cl-Teilchen getreten sind. 13 Der klassische Begriff der Isomorphic („Gleichgestaltigkeit") ist inzwi-
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Relative Atom- und Molekülmasse; die Stoffmenge und das Mol
Die Bedeutung dieser Regel für die Bestimmung der relativen Atommassen sei an folgendem Beispiel dargelegt: Es ist im festen Zustande nur ein Oxid des Aluminiums bekannt. Das Prinzip der Einfachheit würde die Formel AlO nahelegen. Da aber Aluminiumoxid die gleiche Kristallstruktur besitzt wie das Eisenoxid der Formel F e 2 0 3 und mit diesem Mischkristalle bildet, muß man auch die Formel des Aluminiumoxides zu A1 2 0 3 annehmen und die bei der Analyse gefundenen Zahlen nach diesen Atomverhältnissen für die relative Atommasse auswerten.
Die Ermittlung der relativen Atommassen war eine besonders schwierige Aufgabe, welche die Chemiker in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr stark beschäftigt hat. Sie konnte im Prinzip erst 1860 als gelöst angesehen werden (vgl. S. 30). Inzwischen werden vor allem physikalische Methoden eingesetzt, um immer genauere relative Atommassen festzustellen; besonders zu nennen ist das Massenspektrometer, bei dem ein Atomstrahl im elektrischen und magnetischen Felde abgelenkt und nach der Masse der Teilchen aufgefächert wird; vgl. auch S. 54 und S. 180. Anhang: Die absolute Masse der Atome. Die Frage nach der absoluten Masse der Atome wurde bereits 1865 von dem Wiener Physiker Loschmidt erstmalig beantwortet. Heute kennt man eine ganze Reihe von Methoden, mit denen man die Anzahl der elementaren Einheiten in einem Mol, d. h. den Quotienten: molare Masse Masse des Einzelteilchens bestimmen kann. Diese Größe, die man als Avogadro-Konstante NA (oder L) bezeichnet, beträgt 6,022045 · 10 2 3 mol _ 1 .1 Η-Atom hat also eine Masse von 1,0079 g m o l ^ 6,022 10 mol
24 e
In 1 cm 3 Gas sind bei Normalbedingungen (vgl. S. 23 u. S. 57, Anm. 7) 6,022 · 1023/22,414 · 103 = 2,68 • 10 19 Moleküle vorhanden. Eine Vorstellung von diesen Zahlen ist schwer zu gewinnen; sie sind für das menschliche Vorstellungsvermögen nicht mehr faßbar. Wie groß sie sind, erkennt man vielleicht daran, daß die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen aufgespalten worden in Isotypie (analoge Kristallstruktur) und Mischbarkeit im festen Zustande.
Stöchiometrische Wertigkeit
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sehen etwa 4,0 Milliarden (4· 109) beträgt. Erst auf 6,7 Milliarden Erden würden so viel Menschen leben, wie der Zahl der Moleküle in 1 cm 3 Gas entspricht! Man könnte natürlich statt mit den S. 53 definierten relativen Atommassen auch mit den absoluten Massen in g rechnen. Der Hauptgrund dafür, daß man dies nicht tut, liegt darin, daß man dann immer einen Faktor 10 23 mitschleppen müßte. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß man in manchen Gebieten der Physik die Masse von Vi 2 eines einzelnen 1 2 C-Atoms als „atomare Masseneinheit" u = 1,6605655 · 1 0 - 2 7 kg benutzt (s. Kap. XXV).
X. Stöchiometrische1 Wertigkeit Der Wertigkeitsbegriff. Daß sich zwischen Wasserstoff und Sauerstoff nur eine stabile Verbindung der Formel H 2 0 bildet, muß natürlich irgendwie mit dem Bau der Atome zusammenhängen. Auf diesen wird man auf Grund der chemischen Erfahrungen zurückschließen können, wenn man allgemeinere Gesetzmäßigkeiten über die Zahlenverhältnisse ermitteln kann, nach denen sich die verschiedenen Elemente miteinander verbinden. Wir wollen zeigen, wie man zu solchen Gesetzmäßigkeiten kommen kann. Andere Elemente als Sauerstoff verbinden sich mit Wasserstoff nach anderen Atomverhältnissen. So gibt Wasserstoff mit dem Element Chlor (Cl) eine Verbindung HCl, das Hydrogenchlorid, mit Stickstoff eine Verbindung NH 3 , das Ammoniak. Die Zahl der Wasserstoffatome, die gebunden werden können, ist also bei diesen drei Elementen verschieden, sie beträgt bei Chlor 1, bei Sauerstoff 2, bei Stickstoff 3. Schreibt man dem Wasserstoff als Bezugssubstanz die „stöchiometrische Wertigkeit" 1 zu, dann ist Chlor im Hydrogenchlorid einwertig, Sauerstoff im Wasser zweiwertig, Stickstoff im Ammoniak dreiwertig. Vergleicht man nun die Zusammensetzung der Verbindungen, die die Elemente Lithium (Li), Calcium (Ca) und Aluminium (Al) 1
Vgl. S. 57, Anm. 6.
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Stöchiometrische Wertigkeit
mit den eben genannten Elementen bilden, so ergeben sich folgende Reihen: LiCl
CaCl 2
A1C13
Li20
CaO ( = 7 2 C a 2 0 2 )
A1203
Li 3 N
Ca3N2
A1N ( = 7 3 A1 3 N 3 ).
Die Formeln der Lithiumverbindungen sind die gleichen wie die der Wasserstoffverbindungen; Lithium ist also in diesen Verbindungen ebenfalls stöchiometrisch einwertig. Auch bei der Zusammensetzung der Calcium- und Aluminiumverbindungen zeigen sich ähnliche Regelmäßigkeiten. So ist die Zahl der Calcium-Atome, die von j e einem Chlor-, Sauerstoff- oder Stickstoffatom gebunden werden, V2, 1, 3/2- Das Verhältnis ist also auch hier 1 : 2 : 3 . Die entsprechenden Zahlen beim Aluminium sind V3, 2 / 3 , 1, sie verhalten sich also ebenfalls wie 1 : 2 : 3 . Der Unterschied ist aber der, daß ein Calcium-Atom sich mit doppelt, ein Aluminium-Atom mit dreimal soviel Chlor (und auch Sauerstoff oder Stickstoff) verbunden hat wie ein Wasserstoffoder Lithiumatom. Calcium tritt demnach in diesen Verbindungen zweiwertig, Aluminium dreiwertig auf. Das Bedeutsame ist nun, daß die in den oben genannten Verbindungen vorhandenen Wertigkeitszahlen in außerordentlich vielen Verbindungen vorkommen, j a daß bei vielen Elementen die Wertigkeit in nahezu allen Verbindungen die gleiche ist. So kennt man keine einzige Verbindung, in der der Wasserstoff eine andere Wertigkeit hat als 1. Auch Sauerstoff, Lithium, Calcium und Aluminium kommen in Verbindungen fast nur mit den oben genannten Wertigkeiten vor. Warum dies so ist, werden wir im Kap. X X V sehen. Beim Chlor und Stickstoff jedoch werden wir eine große Reihe von Verbindungen kennenlernen, für die dieses einfache Schema konstanter Wertigkeiten nicht ausreicht; diese beiden Elemente kommen vielmehr mit wechselnder Wertigkeit vor. Ähnliches haben wir auch beim Kupfer schon kennengelernt, das sowohl stöchiometrisch zweiwertig (im CuO) als auch einwertig (im C u 2 0 ) auftreten kann.
Stöchiometrische Wertigkeit
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Äquivalent. Im Zusammenhang mit den vorstehenden Betrachtungen sei auf den Begriff des Äquivalentes hingewiesen, der in der Praxis des Chemikers viel benutzt wird und der auch historisch bei der Entwicklung des Systems der relativen Atommassen („Atomgewichte") eine große Rolle gespielt hat. Bei einer beliebigen, vollständig ablaufenden Reaktion A + Β = C + D sind die Stoffportionen von Α und B, die sich miteinander umsetzen, einander äquivalent. Ist ζ. Β. Α ein Metall, Β das Element Chlor, so ist bei der Bildung von NaCl V2mol Cl 2 = 1 mol C1 äquivalent 1 mol Na; bei der Bildung von MgCl 2 ist 1 mol C1 jedoch äquivalent J /2 m ol Mg = 1 mol (V 2 Mg), bei A1C13 entsprechend 1 mol (V3 Al). Unter Äquivalent versteht man den Bruchteil 1 /z* eines Teilchens (Atom, Molekül, Ion oder Atomgruppe), wobei z*, die Äquivalentzahl, dem Absolutwert der Wertigkeit bzw. ihrer Änderung bei der betr. Reaktion entspricht (vgl. dazu ζ. B. die Beispiele S. 249). Wie die Wertigkeit ist z* bei vielen Elementen konstant, z* kann jedoch auch bei dem gleichen Element wechseln. Zum Beispiel ist z* von Cu bei der Bildung von CuCl aus Cu-Metall und Cl 2 -Gas 1, bei der Bildung von CuCl 2 dagegen 2. Die molare Masse bezogen auf ein Äquivalent Μ (1/z* -X) ist der z*-Teil der molaren M a s s e M ( X ) ; M ( % - Al) = 26,9815/3 g/mol = 8,9972 g/mol. Früher bezeichnete man dies als „Gramm-Äquivalent" (val), Dimension g.
Benennung chemischer Verbindungen. Die Bezeichnung Kupferoxid ist daher nicht eindeutig, da man nicht weiß, welches der beiden Oxide gemeint ist. Es gab bisher verschiedene Bezeichnungsweisen, um diesen Unterschied zu kennzeichnen, was sehr störend war. Durch die IUPAC (vgl. S. 54) sind Regeln aufgestellt worden, die allgemein angewendet werden sollten. Wir nennen aber auch die alten Bezeichnungen, da man sie gelegentlich noch findet. Veraltet sind folgende Bezeichnungen: a) Man bezeichnete die sauerstoffarmere Verbindung als Oxydul; also C u O Kupferoxyd, C u 2 0 Kupferoxydul. b) Man hängte an den abgekürzten lateinischen Namen des Metalls bei der Verbindung höherer Wertigkeit ein i, bei der niederer Wertigkeit ein ο an; C u O Cuprioxyd, C u 2 0 Cuprooxyd. Nach den IVΡAC-Regeln
sollen folgende Bezeichnungen benutzt werden:
a) Man gibt durch ein griechisches Zahlwort die Zahl der Atome im Molekül an; die Bezeichnung „ M o n o " kann dabei weggelassen werden, wenn
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Thermochemie
keine Zweifel möglich sind. So pflegt man die Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen folgendermaßen zu bezeichnen: N 2 0 5 Distickstoffpentaoxid,
N 2 0 3 Distickstofftrioxid,
N 2 0 4 Distickstofftetraoxid,
NO
Stickstoffoxid,
N02
N20
Distickstoffoxid.
Stickstoffdioxid,
b) Während diese Bezeichnung für alle Verbindungen anwendbar ist, eignet sich die nachstehende, auf A. Stock2 zurückgehende Bezeichnung vor allem für salzartige Verbindungen: die Wertigkeit (Oxidationsstufe; vgl. S. 81 u. S. 248) des Metalls wird durch eine römische Ziffer hinter dem Namen des Metalls angegeben: Also CuO Kupfer(II)-oxid (gesprochen: Kupferzweioxid), C u 2 0 Kupfer(I)-oxid.
XI. Thermochemie Ein charakteristisches Kennzeichen chemischer Reaktionen ist die Entwicklung von Wärme, die gelegentlich zur Feuererscheinung führt. Es gibt allerdings auch Reaktionen, die unter Wärmeverbrauch verlaufen. Die erstgenannten Reaktionen bezeichnet man als „exotherm", die letzteren als „ e n d o t h e r m D e r Gehalt des Systems an Wärmeenergie nimmt bei einer exothermen Reaktion ab, bei einer endothermen nimmt er zu. Die Wärmetönung einer Reaktion, die zur Bildung einer Verbindung aus den Elementen führt, bezeichnet man als Bildungsenthalpie1 AH.2 Die experimentelle Bestimmung der Wärmetönung einer Reaktion kann auf sehr verschiedene Weise erfolgen. Man kann ζ. B. zur Bestimmung der bei der Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff freiwerdenden Wärme so vorgehen, daß man eine gemessene Menge von Wasserstoff mit Luft in einem geeigneten Gefäß verbrennt, das sich in einem bestimmten Volumen von Wasser befindet; das Gefäß muß aber so gestaltet sein, daß evtl. austretende Gase ihre Wärme vollständig an das umgebende Wasser abgeben. 2
Der deutsche Chemiker Alfred Stock erforschte die Bor- und Siliciumhydride. 1 Die Enthalpie (von εν5αλπε/ν = sich erwärmen) bezieht sich auf konstanten Druck; sie faßt die Änderung der inneren Energie und der Arbeitsleistung zusammen. 2 Früher gab man diese thermochemischen Daten als „Bildungswärmen" an; diese sind zahlenmäßig den AH- Werten gleich, haben aber umgekehrte Vorzeichen.
Thermochemie
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Ist das ganze System gegen Wärmeverluste geschützt, ζ. B. durch Verwendung eines doppelwandigen evakuierten Gefäßes (Weinholdbecher), so wird die bei der Verbrennung entwickelte Wärme zur Erwärmung des Wassers, des Einsatzgerätes zur Verbrennung und des Innenteils des Weinholdbechers verwendet; nur ein geringer Teil wird abgestrahlt. Aus der Temperatursteigerung, der Menge des Wassers (und der anderen Teile) und der spezifischen Wärmekapazität des Wassers usw. läßt sich dann die Reaktionsenthalpie ermitteln.
Die thermochemische Gleichung: H 2 , gasf . + V 2 0 2 , gasf . = H 2 O fliissig ; Δ / / = -285,9 k j mol" 1 (bzw. — 68,32 kcal * mol *) besagt in Worten: bei der Vereinigung von 2,016 g Wasserstoffgas und 15,999 g Sauerstoffgas zu 18,015 g flüssigem Wasser werden 285,9 kJ frei; um diesen Betrag vermindert sich der Wärmeinhalt des Systems. Die Bildungsenthalpie des Wassers beträgt also —285,9 kJ · m o l - 1 ( — 68,32 kcal πιοΓ 1 ). Schon einige Jahre vor der Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie durch R. Mayer, J.P. Joule und H. v. Helmholtz hatte der russische Forscher G. H. Hess 1840 erkannt, daß man mit thermochemischen Gleichungen rechnen kann, wie mit algebraischen. Addiert man z.B. zu der obigen Gleichung die Gleichung für die Verdampfung des Wassers: ;
so erhält man H
AH = +44,0 kJ · mol~ 1 (bzw. 10,52 kcal · m o l - 1
2,gasf. + V
AH = —241,9 kJ · m o l - 1 (bzw. -57,80 kcal • mol" Bei der Bildung von Wasserdampf wird also weniger Wärme frei, als wenn sich flüssiges Wasser bildet; das ist bei der Beurteilung von wasserstoffhaltigen Brennstoffen zu beachten (vgl. dazu S. 167 Anm. 19). Als weiteres Beispiel für die Anwendung des //essschen Satzes wollen wir die Bildungsenthalpie von Wasserstoffperoxid ausrechnen. Diese kann man direkt nicht bestimmen, wohl aber läßt sich die bei der Zersetzung von H 2 0 2 zu H 2 0 + V2 O2 freiwerdende Wärme messen; man erhält die thermochemische Gleichung:
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Thermochemie
Zieht man diese Gleichung von der Gleichung 2H2
gasf
+ 0 2 i g a s f. = 2H 2 O f l Q s s ;
AH = - 572 kJ · mol" 1 ( - 136,6 kcal · mol"') ab, so ergibt sich, wenn man ordnet und kürzt: gasf. "I"
gasf.
=
H
2
0 2 ^ f|üss., wasserfrei» 1
AH = - 187 kJ · mol" ( - 4 4 , 8 kcal· mol - 1 ). H 2 0 2 ist also an sich ein exothermer Stoff mit negativer Bildungsenthalpie; wenn es trotzdem unbeständig ist und - wenn auch ohne Katalysator nur langsam! - in H 2 0 + l / 2 0 2 zerfällt, so liegt dies daran, daß die Bildungsenthalpie von H 2 0 noch stärker negativ ist.
Freie Reaktionsenthalpie. Die soeben besprochenen Reaktionsenthalpien sind von großer Bedeutung zur Beantwortung der Frage, ob eine Reaktion erfolgt oder nicht. Allerdings sind die Zusammenhänge nicht ganz so einfach, wie man zunächst angenommen hatte. Nach einer von Berthelot3 aufgestellten Regel sollte nämlich eine Reaktion der allgemeinen Form A + B = C + D vollständig von links nach rechts verlaufen, wenn sie exotherm ist (AH< 0), und vollständig von rechts nach links, wenn sie endotherm ist (Δ/7>0). Tatsächlich gilt dies Prinzip streng nur beim absoluten Nullpunkt. Es ist aber mit guter Näherung auch bei Zimmertemperatur und sogar darüber gültig, wenn es sich bei den Anfangs- und EndstofFen um feste Stoffe handelt und keine Mischungen im festen Zustand auftreten. Treten jedoch Gase oder Lösungen (Schmelzen, Mischkristalle und ähnliches) als Reaktionsteilnehmer auf, so kann die Berthelotsche Vorstellung schon deshalb nicht zutreffen, weil sich Gleichgewichte einstellen, an denen Anfangs- und Endstoffe mit bestimmten Mengenverhältnissen beteiligt sind. So sahen wir bereits, daß Wasser bei hohen Temperaturen teilweise dissoziiert ist. Es erfolgt also nicht nur in exothermer Reaktion Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff, bis das Gleichgewicht erreicht ist, sondern Wasser zersetzt sich auch in endothermer Reaktion, bis diese Zusammensetzung vorhanden ist. Auch diese Zersetzung erfolgt freiwillig, obgleich sie Wärme verbraucht. 3
Der französische Forscher D. Berthelot lebte 1827-1907.
Thermochemie
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Es hat dies seinen Grund darin, daß der Verlauf einer Reaktion und der stabile Endzustand (Gleichgewicht) nicht von der Reaktionsenthalpie AH allein bestimmt wird, sondern von der ,Jreien Reaktionsenthalpie" AG, die durch die Gleichung AG = AH - Τ AS definiert ist Hierbei ist AS die „Reaktionsentropie" 4 , d.h. die Differenz zwischen der Summe der Entropien S der Endprodukte und der der Ausgangsstoffe. Die Entropie hängt bei festen Stoffen eng mit der molaren Wärmekapazität C zusammen: S=]-j*dT ο 1
+ SQ,
wobei S0 die Entropie der betreffenden Stoffe bei Τ = 0 Κ ist. Handelt es sich um Flüssigkeiten oder Gase, so kommen dazu noch die relativ großen Werte der Schmelz- und Verdampfungsentropien. Bei Gasen ist außerdem zu beachten, daß die S- Werte vom Druck abhängen (vgl. unten). Das Glied Τ · AS macht bei tiefen Temperaturen und bei Umsetzungen zwischen festen Stoffen nicht viel aus; es wird aber von großer Bedeutung bei hohen Temperaturen und beim Auftreten von Flüssigkeiten und besonders von Gasen; damit kann AG ein anderes Vorzeichen bekommen als AH, unter Umständen, insbesondere bei kleinem AH, kann das Entropieglied das Verhalten praktisch allein bestimmen. Chemische Reaktionen können nur dann freiwillig ablaufen, wenn AG kleiner als Null ist. Beim Gleichgewichtszustand wird AG gleich Null. Dies gestattet, das Gleichgewicht aus den AHund AS-Werten zu berechnen. Betrachten wir ζ. B. eine Reaktion, bei der nur Gase auftreten. Wie schon erwähnt, ist die Entropie von Gasen druckabhängig. Bei konstanter Temperatur gilt: S = S° — RIn/?; dabei ist 5° die „Standardentropie", die für 1 atm 4
In der Entropie, Dimension J K " 1 m o l - 1 , kann man ein Maß für die Unordnung in dem betreffenden Stoff sehen; das wird besonders deutlich, wenn man sich die starke Zunahme von S beim Schmelzen und vor allem beim Verdampfen vor Augen führt; die Verdampfungsentropie (Verdampfungswärme/Siedetemperatur) liegt bei den meisten Stoffen bei 84-100 J m o l - 1 K - 1 (20-24 cal m o l - 1 K - 1 ) (Troutonsche Regel).
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Chlor und Hydrogenchlorid
(= 1,01325 bar) Druck und idealen Gaszustand gilt. Für den Gleichgewichtszustand erhält man: AG = 0 = AH — Τ AS = AH — Τ AS0 +
RTAlnp.
Δ1η/> ist der natürliche Logarithmus des Verhältnisses der Partialdrucke der Reaktionsprodukte zu denen der Ausgangsstoffe; nach S. 138 f. bezeichnet man dieses Verhältnis als die Gleichgewichtskonstante K. Man kann also aus der freien Standardenthalpie AG° = AH-TAS° gemäß der Gleichung AG° = = -RTlnK die Lage des Gleichgewichts berechnen. Solche Berechnungen lassen sich auch für gelöste Stoffe, ζ. B. Ionengleichgewichte, und viele andere Probleme durchführen.
XII. Chlor und Hydrogenchlorid1 Elektrolysiert man eine Lösung von Kochsalz in Wasser, so erhält man an der negativen Elektrode ein Gas, das wir schon kennen, nämlich Wasserstoff. Dieses kann natürlich ebensogut aus dem Kochsalz wie aus dem Wasser stammen. Wir werden im Kap. XXVI sehen, daß das letztere der Fall ist. An der positiven Elektrode entsteht aber ein uns bisher unbekanntes Gas, das nicht aus dem Wasser stammen kann. Es ist gelbgrün, besitzt einen stechenden Geruch und reizt die Schleimhäute stark. Da es sich als unzerlegbar erwiesen hat, liegt ein Element vor, dem man wegen seiner Farbe ( χ λ ω ρ ό σ gelbgrün) den Namen Chlor (Cl) gegeben hat. Chlor ist ein außerordentlich reaktionsfähiger Stoff. So entzündet sich weißer Phosphor in Chlor und verbrennt zu Phosphorchlorid (PC13 bzw. PC15); s. S. 134. Ebenso glüht schwach erwärmtes Antimonpulver auf, wenn man es in Chlorgas schüttet, weil sich Antimonchlorid (SbCl3) bildet. Die Reaktionsfähigkeit des Chlors gegenüber manchen Metallen verschwindet, wenn es sehr gut getrocknet worden ist. So greift Chlor in ganz trocke1
Früher als Chlorwasserstoff bezeichnet; dies wird auch heute noch als „Trivialname" benutzt.
Chlor und Hydrogenchlorid
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nem Zustande Eisen nicht an und kann daher in verflüssigter Form in Stahlflaschen oder sonstigen Druckgefäßen aus Stahl aufbewahrt und in Tankwagen usw. versandt werden.
Eine Wasserstoffflamme brennt in Chlorgas mit fahlgrüner Farbe weiter. Daß dabei gemäß der Gleichung H 2 + Cl 2 = 2 HCl gasförmiges Hydrogenchlorid entsteht, wurde schon S.32 besprochen. Interessant ist ein Vergleich des Cl 2 /H 2 -Gemisches mit dem S. 17 besprochenen Knallgas. Wie dieses verändert es sich bei Zimmertemperatur bei Lichtausschluß nicht. Entzünden wir es, so erfolgt auch hier die Vereinigung unter heftigem Knall. Man bezeichnet es daher als „ChlorknallgasVom Knallgas verschieden ist aber der Umstand, daß die Reaktion zwischen Cl 2 und H 2 auch durch Licht ausgelöst werden kann, so ζ. B. durch Belichten mit einer Bogenlampe. Durch die Einstrahlung von Licht wird nämlich dem System Energie zugeführt, die von den Cl 2 -Molekülen absorbiert wird; dabei werden diese in Cl-Atome gespalten. Diese leiten die Reaktion ein, die dann als sogenannte „Kettenreaktion" weiterläuft: 1) CI-l- H 2 —> HCl + H; 2) Η + Cl 2 —• HCl + Cl. Die Reaktionen 1) und 2) bilden die Glieder einer fortlaufenden Kette, die erst dann abreißt, wenn ζ. B. durch die Reaktion Cl + Cl —• Cl 2 die Cl-Atome verschwinden. Bei dieser „photochemischen" Auslösung der Chlorknallgas-Reaktion erweist sich die Farbe des Lichts von Bedeutung. Allgemein gilt die Einsteinsche 2 Beziehung ε = h · v. Dabei ist ε das „Energiequantum", das als Licht der Frequenz ν beim Auftreffen auf ein Molekül diesem übertragen wird, und h ist eine Konstante, das Planckschc3 Wirkungsquantum (A = 6,6262 • 10" 3 4 Js = 6,6262 · 10" 2 1 erg · s); die Frequenz ν ist mit der Wellenlänge des Lichts durch die Beziehung ν = c/λ (c = Lichtgeschwindigkeit im Vakuum = 2,997925 · 108 m s - 1 ) verbunden. Bei großer Wellenlänge λ ist also ν und damit ε klein, bei kleinem λ ist ε groß. Dem entspricht für die Chlorknallgasreaktion, daß das langwellige, rote Licht ohne Einfluß ist; nur die blauen und violetten, d. h. also die kurzwelligen Strahlen sind in der Lage, das Cl 2 Molekül zu spalten, nur in diesem Bereich absorbiert Chlor das Licht. Bei der Chlorknallgasreaktion dient das Licht nur zur Auslösung einer Reaktion, die unter Energieabgabe erfolgt; das Licht entspricht hier dem Streichholz beim Anzünden einer Gasflamme. Es gibt aber auch photochemische 2
Der in Ulm geborene theoretische Physiker Albert Einstein (1879-1955) hat durch seine Arbeiten, insbesondere die Relativitätstheorie, die gesamte Naturwissenschaft befruchtet. 3 Der deutsche theoretische Physiker Max Planck (1858-1947) ist der Begründer der Quantentheorie.
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Chlor und Hydrogenchlorid
Reaktionen, bei denen durch die Einwirkung des Lichtes energiereiche Stoffe gebildet werden; diese Reaktionen verlaufen nur so lange, wie das Licht einwirkt, es wird laufend Lichtenergie in chemische Energie umgewandelt. Die wichtigste photochemische Reaktion dieser Art ist die Assimilation (Photosynthese; vgl. S. 44, Anm. 2).
Hydrogenchlorid ist farblos und von stechendem Geruch; an der Luft bildet es Nebel. Dies hängt damit zusammen, daß HC1Gas sich begierig und unter starker Wärmeentwicklung in Wasser löst bzw. mit dem Wasserdampf der Luft Flüssigkeitströpfchen der konzentrierten HCl-Lösung bildet. Die wäßrige Lösung von HCl bezeichnet man als Salzsäure·, der Massenanteil der bei Atmosphärendruck gesättigten Lösung beträgt je nach der Temperatur 40-45% HCl. Erhitzt man eine verdünnte HClLösung, so geht im wesentlichen Wasser weg. Bei einem Massenanteil an HCl von 20,24% siedet dann bei 1 atm Druck bei 110°C ein konstant siedendes Gemisch, weil die Zusammensetzung des entstehenden Dampfes gleich der der Flüssigkeit ist. Konzentrierte Salzsäure schließlich gibt beim Erhitzen zunächst im wesentlichen HCl ab, und man kommt zu der gleichen Zusammensetzung („Azeotropes Gemisch", vgl. S. 39). Beim Abkühlen scheidet sich aus der mit HCl gesättigten Lösung das Trihydrat HCl · 3 H 2 0 aus. Die niederen Hydrate HCl · H 2 0 und HCl · 2 H 2 0 bilden sich nur bei Überdruck an HCl. Die Darstellung von Hydrogenchlorid kann auch aus Kochsalz erfolgen, indem man konzentrierte Schwefelsäure darauf einwirken läßt. Kochsalz hat die Formel NaCl, während die Schwefelsäure gemäß der Formel H 2 S 0 4 aus Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel zusammengesetzt ist. Die Gleichung der Umsetzung ist NaCl + H 2 S 0 4 = HCl + N a H S O / . Aus Hydrogenchlorid kann man leicht wieder Chlor gewinnen. So liegt z.B. das Gleichgewicht: 4HC1 + 0 2 2 H 2 0 + 2C12 bei nicht zu hohen Temperaturen weitgehend zugunsten des Chlors; als Katalysator kann man mit Kupferchloridlösung getränkte Tonkugeln verwenden. Auf diese Weise hat man früher Chlor technisch gewonnen (Deacon-Prozeß). Starke Oxida4
Vgl. auch S. 75/76.
Säuren, Basen, Salze
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tionsmittel wie Braunstein (Mangandioxid M n 0 2 ) führen Salzsäure bei Zimmertemperatur in Chlor über: M n 0 2 + 4HC1 = MnCl 2 + 2 H 2 0 + Cl 2 . Technisch stellt man Chlor heute durch Elektrolyse dar. Einzelheiten siehe Kap. XXVI. Jedoch ist der Deacon-Prozeß mit anderen Katalysatoren wieder interessant geworden (vgl. dazu auch Kap. XXVI).
XIII. Säuren, Basen, Salze Säuren. Die Begriffe „Säuren" und „Basen" haben im Laufe der historischen Entwicklung Abwandlungen erfahren. Die Darstellung in dieser Einführung folgt dieser Entwicklung. Man erkennt das Vorliegen einer Säure an dem sauren Geschmack der Lösung sowie an der Wirkung auf gewisse Pflanzenfarbstoffe, z.B. Lackmus. Säuren färben blaue Lackmuslösungen rot. Außer Lackmus gibt es noch zahlreiche andere „Indikatorenmeist synthetisch hergestellte Farbstoffe (vgl. S.150). Für die weitere Besprechung seien zunächst einige Säuren und ihre Formeln angeführt: Salzsäure Schwefelsäure Salpetersäure
HCl H2S04 HN03
Phosphorsäure Kohlensäure 1 Blausäure
H3P04 H2C03 HCN.
Man erkennt aus dieser Zusammenstellung, daß alle Säuren wasserstoffhaltig sind; eine Säure besteht also aus Wasserstoff und einem Säurerest. Früher nahm man an, daß der in der Mehrzahl der Säuren vorhandene Sauerstoff den sauren Charakter bedinge; daher rührt auch die Benennung des Sauerstoffs durch Lavoisier. Daß diese Annahme aber falsch ist, ergibt sich u. a. aus der Existenz der Salzsäure und anderer Säuren (wie HF, HBr, HI, H 2 S, H 2 Se, H 2 Te, H 2 PtCl 6 , H 4 Fe(CN) 6 ), die keinen Sauerstoff enthalten. 1
Vgl. dazu S. 75 u. 157.
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Säuren, Basen, Salze
Auf Grund der Theorie von Lavoisier nahm man eine Zeitlang an, daß Chlor das Oxid eines noch unbekannten Elementes sei; Davy2 hat dann mit Sicherheit den Elementcharakter des Chlors bewiesen und damit festgestellt, daß es sauerstofFfreie Säuren gibt. Davy und später Liebig entwickelten daher die Theorie der Säuren als Wasserstoffverbindungen.
Nun sind aber nicht alle wasserstoffhaltigen Verbindungen Säuren, sondern nur diejenigen, deren Wasserstoff leicht durch Metall ersetzbar ist. Wir haben solche ζ. B. nach der Gleichung 2 HCl + Zn = ZnCl 2 + H 2 verlaufenden Reaktionen schon S. 33 bei der Besprechung der Darstellungsmethoden des Wasserstoffs kennengelernt. Basen. Den Gegensatz zu den Säuren bilden solche Stoffe, die rotes Lackmus blau färben. Man bezeichnet sie als Basen oder Laugen. Soweit sie in Wasser löslich sind, rufen ihre Lösungen auf der Haut das von der Seife her bekannte schlüpfrige Gefühl hervor. Wir nennen: Na OH Κ OH Ca(OH) 2 La(OH) 3
Natriumhydroxid; seine Lösung Natronlauge Kaliumhydroxid; seine Lösung Kalilauge Calciumhydroxid; seine Lösung Kalkwasser Lanthanhydroxid.
Aus der Zusammenstellung erkannt man, daß die Basen durch das Vorhandensein von OH-Gruppen (Hydroxidgruppen) gekennzeichnet sind. Salze. Läßt man die wässerige Lösung einer Säure mit der einer Base reagieren, so erhält man bei richtiger Dosierung der Mengen Lösungen, die weder sauer noch alkalisch reagieren. Solche Lösungen bezeichnet man als neutral. Dampft man sie ein, so erhält man Stoffe, die aus dem Metall der Base und dem Säurerest gebildet sind. Man bezeichnet diese als Salze. Die gegenseitige Neutralisation von Säuren und Basen sei durch folgende Umsetzungen erläutert: 2
Der Engländer Humphry Davy (1778-1829) hat, nachdem durch die Voltasche Säule eine Quelle für den elektrischen Strom zur Verfügung stand, die „Elektrochemie" begründet; vgl. dazu auch Kap. XXIX.
Säuren, Basen, Salze
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N a O H + HCl = H 2 0 + NaCl (Natriumchlorid= Kochsalz) Ca(OH) 2 + H 2 S 0 4 = 2 H 2 0 + C a S 0 4 (Calciumsulfat) La(OH) 3 + 3 H N 0 3 = 3 H 2 0 + La(N0 3 ) 3 (Lanthan/wira/)· Ganz allgemein gilt also in wäßrigen Lösungen die wichtige Beziehung: Base + Säure = Wasser + Salz. Die eben genannten Umsetzungen führen zu einer Klassifizierung von Säuren und Basen. Je nach der Zahl der durch Metall ersetzbaren Wasserstoffatome unterscheidet man ein-, zwei-, dreiwertige Säuren (HCl, H 2 S 0 4 , H 3 P 0 4 ) und entsprechend ein-, zwei- und dreiwertige Basen (NaOH, Ca(OH) 2 , La(OH)3).
Starke und schwache Säuren (Basen). Man weiß schon sehr lange, daß der Säurecharakter nicht bei allen Säuren in gleicher Weise ausgeprägt ist. So löst sich Zink in Salzsäure sehr schnell, während mit Essigsäure kaum Reaktion eintritt. Durch diese und ähnliche Beobachtungen kam man dazu, die „starke" Salzsäure von der „schwachen" Essigsäure zu unterscheiden. Ferner erkannte man, daß oft starke Säuren schwache aus ihren Salzen „austreiben". So reagiert z.B. Natriumcarbonat - ein Salz der schwachen Kohlensäure - mit der starken Salzsäure nach folgender Gleichung: N a 2 C 0 3 + 2HC1 = 2NaCl + H 2 C 0 3 . Es bildet sich also das Salz der starken Säure und die schwache Säure wird freigesetzt. Man erkennt dies daran, daß Kohlendioxid gasförmig entweicht, weil die entstandene Kohlensäure H 2 C 0 3 sofort in H 2 0 und C 0 2 zerfallt. In ähnlicher Weise kann man starke Basen (z.B. NaOH) und schwache (Al(OH) 3 ) unterscheiden. Eine strengere Definition der Säuren- und Basenstärke werden wir im Kap. XXII (S. 81 ff.) kennenlernen. Saure Salze. Die Neutralisation braucht nicht immer vollständig zu sein; es können sich auch saure und basische Salze bilden. Bei den ersteren ist ein Teil des Wasserstoffs der Säure nicht durch Metall ersetzt, die letzteren enthalten noch Hydroxid-Gruppen. Mit den basischen Salzen wollen wir uns nicht näher befassen, da hier meist verwickelte Verhältnisse vorliegen. Dagegen sei wenigstens ein saures Salz angeführt. Läßt man die S.72 beschriebene Einwirkung von Schwefelsäure auf Kochsalz bei Zimmertemperatur vor sich gehen, so erfolgt sie nach der
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Säuren, Basen, Salze
Gleichung NaCl + H 2 S 0 4 = N a H S 0 4 + HCl; es entsteht das saure Natriumsulfat N a H S 0 4 , das wegen seines Wasserstoffgehaltes als „Natriumhydrogensulfat" bezeichnet wird. Dieses saure Salz reagiert noch wie eine Säure, denn es setzt sich bei höheren Temperaturen mit Kochsalz weiter um zu neutralem Natriumsulfat nach der Gleichung: NaCl + N a H S 0 4 = N a 2 S 0 4 + HCl.
Anhydride. Oxide können mit Wasser Basen oder Säuren bilden. Das erstere ist der Fall bei sauerstoffarmen Oxiden, meist Metalloxiden, z.B. N a 2 0 , CaO u.a.; diese Oxide bezeichnet man daher als Basenanhydride. Sauerstoffreiche Oxide, meist Nichtmetalloxide wie S 0 3 , C1 2 0 7 , aber auch Metalloxide wie C r 0 3 , bilden mit Wasser Säuren, man nennt diese Oxide Säureanhydride.3·4 Amphotere Hydroxide. Man wird fragen, wie sich die Oxide mittleren Sauerstoffgehalts verhalten, ob sich also ein sprunghafter Übergang von den Basen zu den Säuren zeigt oder ein allmählicher. Der Versuch zeigt, daß das zweite der Fall ist; Hydroxide mittlerer Wertigkeit sind Stoffe, die überhaupt keinen bestimmten Charakter haben, sondern sich ihr Verhalten durch den Gegenpartner aufzwingen lassen. So löst sich Al(OH) 3 nicht nur gemäß A1(0H) 3 + 3HC1 = A1C13 + 3 H 2 0 in der starken Salzsäure, wie es für eine Base zu erwarten ist, sondern auch in der starken Natronlauge; es verhält sich also der starken Lauge gegenüber wie eine Säure. Allerdings wird dabei nicht Wasserstoff durch Metall ersetzt und Wasser abgespalten, sondern NaOH angelagert,z.B. gemäß Na OH+Al(OH) 3 =Na[Al(OH) 4 ]; es handelt sich um eine Komplexbildung; Näheres dazu s. S. 143 f. Hydroxide wie Al(OH) 3 , Zn(OH) 2 u.a. bezeichnet man als amphoter. 3
Auch ohne Wasser kann ein Basenanhydrid mit einem Säureanhydrid zu einem Salz reagieren, ζ. B. CaO + S 0 3 = C a S 0 4 . Man spricht daher auch von „basischen" oder „sauren" Oxiden. 4 Neben dem Sauerstoflgehalt (d.h. der Wertigkeit des Metalls bzw. Nichtmetalls) können auch andere Faktoren eine Rolle spielen. So bildet C1 2 0 mit einwertigem Chlor mit Wasser keine Base, sondern die allerdings äußerst schwache Hypochlorige Säure HCIO (S. 93). Festes A g 2 0 wirkt gegenüber K 2 0 als Säureanhydrid; es bildet sich K[AgO].
Theorie der elektrolytischen Dissoziation
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XIV. Theorie der elektrolytischen Dissoziation Elektrolyte und Nichtelektrolyte. Säuren, Basen und Salze haben eine gemeinsame Eigenschaft: ihre wässerigen Lösungen leiten den elektrischen Strom. Reines Wasser selbst ist ein sehr schlechter Leiter; löst man in ihm Stoffe wie Zucker, Alkohol, Harnstoff, so ändert sich daran nichts. Bringt man dagegen nur eine ganz kleine Menge Salzsäure oder Natriumhydroxid oder Kochsalz in das Wasser, so wird es gut leitend. Mit dem Stromtransport ist jedoch bei diesen Leitern II. Klasse - im Gegensatz zu den Metallen, den Leitern I. Klasse - stets eine chemische Umsetzung an den Elektroden (Elektrolyse; vgl. Kap. II u. XXIX) verbunden. Außerdem tritt, wie man mit farbigen Stoffen zeigen kann, im elektrischen Feld eine Bewegung der in Lösung befindlichen Substanz ein. Man bezeichnet daher die erstgenannten Stoffe als Nichtelektrolyte, Säuren, Basen und Salze dagegen als Elektrolyte. Molare Massen gelöster Stoffe; osmotischer Druck. Woher kommt nun diese Leitfähigkeit? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir etwas weiter ausholen und uns mit den molaren Massen gelöster Stoffe beschäftigen. Der Zustand eines gelösten Stoffes in einer sehr verdünnten Lösung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gaszustand. In beiden Fällen befinden sich die einzelnen Teilchen in einer im Verhältnis zu ihrer Größe weiten Entfernung voneinander. Ein Unterschied liegt allerdings darin, daß bei den Gasen der Raum zwischen zwei benachbarten Molekülen leer ist, während er in Lösungen von Molekülen des Lösungsmittels erfüllt ist. Trotzdem gilt, wie vatft Hoff1 gezeigt hat, auch in diesem Falle eine dem Gasgesetz ρ V =η· RT analoge Beziehung mit genau der gleichen Konstante R; nur ist dabei für ρ an Stelle des Gasdrucks der sogenannte „osmotische Druck" Π einzusetzen. Was man darunter versteht, sei an zwei Gedankenexperimenten klargelegt. Wir wollen zunächst einen Versuch ausgeführt denken, durch den man den Druck eines Gases messen kann. Wir benutzen gemäß Abb. 10 einen Zylin1
Jacobus Henricus varit Hoff lebte von 1852-1911; er ist in Holland geboren und wirkte zuletzt in Berlin.
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der, welcher mit einem verschiebbaren Stempel versehen sei, den wir uns der Einfachheit halber gewichtslos denken wollen. Ist dann in Α und Β Vakuum, so behält der Stempel in jeder beliebigen Höhe seine Stellung bei. Lassen wir jetzt das Vakuum in Β bestehen, bringen aber in den Raum Α ein Gas, das ja bei gegebenen Werten von Volumen und Temperatur jeweils einen bestimmten Druck ausübt, so bleibt der Stempel nur dann in seiner Stellung, wenn man ihn mit einem dem Gasdruck entsprechenden Gewicht belastet, der dem Bestreben des Gases, sich über einen größeren Raum auszudehnen, entgegenwirkt.
3
Abb. 10.
Zur Erläuterung des osmotischen Drucks
Jetzt wollen wir uns den ganzen Zylinder (also Α und Β) mit Wasser gefüllt denken und einen Stempel vom spezifischen Gewicht des Wassers verwenden, der feine Löcher haben soll, so daß das Wasser ungehindert durchtreten kann. Dieser Stempel wird in jeder beliebigen Höhe seine Stellung unverändert beibehalten. Wir wollen nun im Räume Β das reine Wasser belassen, aber in den Raum Α eine Zucker/äswng bringen und uns vorstellen, daß die Löcher im Stempel nur die kleinen Wassermoleküle durchlassen, nicht aber die großen Zuckermoleküle. Die Zuckerlösung hat das Bestreben, sich zu verdünnen; da der Stempel wohl für das Wasser, aber nicht für die Zuckermoleküle durchlässig („semipermeabel") ist, kann die Verdünnung nur durch Einströmen des Wassers erfolgen. Es wird daher auf den Stempel ein Druck nach Β zu ausgeübt, der, wie beim Gasdruck, durch eine entsprechende Belastung kompensiert werden kann; diesen bezeichnet man als osmotischen Druck Π.
Nach dem S. 58 Dargelegten kann man die molare Masse eines Gases ermitteln, wenn man die Masse, das Volumen, den Druck und die Temperatur bestimmt. In gleicher Weise kann man bei Kenntnis der Masse des gelösten Stoffes, des Volumens, der Temperatur und des osmotischen Druckes die molare Masse gelöster Stoffe bestimmen. Man erhält dabei bei Nichtelektrolyten die der Formel entsprechenden molaren Massen. Bei den typischen Elektrolyten dagegen findet man Werte, die deutlich
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kleiner sind als die erwarteten, etwa halb so groß, manchmal noch kleiner. Das oben beschriebene Experiment zur Messung des osmotischen Druckes ist praktisch nicht durchführbar. Wir brauchen uns aber mit den Methoden, wie man osmotische Drucke nun wirklich mißt, nicht näher zu befassen, da man durch andere exakt ausführbare Experimente indirekt den osmotischen Druck Π ermitteln kann. Mit diesem hängt nämlich eng zusammen, daß der Dampfdruck des Lösungsmittels von Lösungen kleiner ist als der des reinen Lösungsmittels. Abb. 11 zeigt, daß dies zu einer Erhöhung der Siedetemperatur führen muß; denn eine Flüssigkeit siedet ja dann, wenn ihr Dampfdruck so groß wird, wie der vorgelegte äußere Druck. Aber auch der Gefrierpunkt ändert sich. Bei dieser Temperatur muß ja der Dampfdruck der Lösung dem des sich ausscheidenden festen Stoffes gleich sein; aus einer verdünnten wäßrigen Lösung kristallisiert nun aber ebenso wie aus Wasser selbst reines Eis aus (vgl. dazu S. 14 u. S. 283); die Dampfdruckkurve der festen Phase wird also nicht verändert. Damit ergibt sich, daß der Gefrierpunkt erniedrigt wird. Wie Raoult fand, ist diese „Gefrierpunktserniedrigung u ebenso wie die „Siedepunktserhöhung" für ein bestimmtes Lösungsmittel der Stoffmenge η des gelösten Stoffes proportional. Beide Größen sind experimentell bequem zu messen und gestatten so in einfacher Weise die Bestimmung der molaren Masse gelöster Stoffe; insbesondere die Gefrierpunktserniedrigung wird zu diesem Zwecke benutzt.
ί
Dampfdruck des reinen Lösungsmittels,
Dampfdruck des festen Lösungsmittels Dampfdruck \ der Lösung ι F
LÖS.
Temperafur °C
Abb. 11. Zur Erklärung der Siedepunktserhöhung und Gefrierpunktserniedrigung
Elektrolytische Dissoziation. Wir haben also zwei Tatsachen, die wir erklären müssen, um das besondere Verhalten der Elektrolyte zu verstehen:
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a) sie machen Wasser leitend für den elektrischen Strom; von den Leitern I.Klasse, den Metallen, unterscheiden sich diese Leiter II. Klasse dadurch, daß beim Stromdurchgang chemische Umsetzungen an den Elektroden und eine Stoffbewegung in der Lösung auftreten; auch nimmt mit steigender Temperatur die Leitfähigkeit nicht (wie bei Metallen!) ab, sondern zu. b) sie besitzen wesentlich kleinere molare Massen, als ihrer Formel entspricht. Das zweite Ergebnis beweist, daß die Moleküle in Lösung zerfallen (dissoziieren). Dabei können aber nicht neutrale, d. h. also elektrisch nicht geladene Zerfallsprodukte entstehen, etwa aus NaCl ein Na- und ein Cl-Atom; denn dann wäre ζ. B. unverständlich, warum dieses Na-Atom nicht wie das metallische Natrium gemäß 2Na + 2 H z O = 2NaOH + H 2 mit dem Wasser reagiert. Vor allem wäre aber die elektrische Leitfähigkeit der Lösung nicht zu verstehen. Der schwedische Chemiker Svante Arrhenius2 stellte daher 1884 die Theorie auf, daß diese Zerfallsprodukte elektrisch geladen sind. Damit wird sofort die Leitfähigkeit verständlich; denn diese geladenen Teilchen werden sich im elektrischen Felde bewegen, so die Elektrizität transportieren und an den Elektroden entladen werden. Mit steigender Temperatur nimmt die Beweglichkeit der Teilchen zu, weil die innere Reibung des Wassers abnimmt. Arrhenius benutzte für diese geladenen Spaltstücke die schon von dem Engländer Faraday3 stammende Bezeichnung „Ionen", d.h. Wanderer. Ferner wird verständlich, warum ζ. B. die Reaktionen des Natrium-Metalls ausbleiben. Ein Natrium-Ion ist eben ganz etwas anderes als ein Natrium-Atom. So kühn diese Annahme war, so ausgezeichnet hat sie sich bewährt. Die Ionentheorie gehört heute zu einer der wichtigsten Grundlagen der Chemie. Es muß nachdrücklichst daraufhingewiesen werden, daß zwischen der thermischen Dissoziation, die wir S. 18f. kennengelernt haben, und der hier besprochenen elektrolytischen Dissoziation ein grundlegender Unterschied besteht; dort bildeten sich ungeladene, hier geladene Spaltprodukte! 2
Svante Arrhenius lebte von 1859-1927. Michael Faraday lebte von 1791-1867; er war nicht nur einer der bedeutendsten Physiker, sondern auch ein erfolgreicher Chemiker. 3
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Ladung der Ionen. Es fragt sich nun, wie groß die Ladung der Ionen ist und wie die positiven und negativen Ladungen verteilt sind. Klar ist, daß jeweils die Zahl der positiven und negativen Ladungen gleich sein muß; denn die Lösungen sind ja ungeladen. Aus den Produkten, die sich bei der Elektrolyse am positiven und negativen Pol (Anode bzw. Kathode) abscheiden, und anderen Versuchen, die wir hier nicht im einzelnen beschreiben können, folgt ferner, daß die Metalle und der Wasserstoff positive, die Säurereste, einschließlich der Halogene, negative Ladungen annehmen; sie bilden Kationen bzw. Anionen. Benutzt man als Einheitsgröße für die Ladung des einzelnen Ions die Ladung des Elektrons, so entspricht der Betrag der Ladung dem, was wir früher als („stöchiometrische") Wertigkeit bezeichnet hatten. Wir haben jetzt aber zu unterscheiden zwischen dem positiv einwertigen Wasserstoff bzw. Natrium und dem negativ einwertigen Chlor, wie man es in Verbindungen wie HCl oder NaCl findet4. Der Dissoziationsvorgang kann demnach durch folgende Formulierungen beschrieben werden: NaCl HC1 NaOH Ca(OH) 2 Ca(OH) + bzw. Ca(OH) 2 A1 2 (S0 4 ) 3 H 2 SO 4 HSO; bzw. H 2 S 0 4
= N a + + Cl~ = H + + C1" = N a + + OH~ =Ca(OH)+ + O H = Ca2+ + O H = Ca2+ + 2 0 H " = 2A1 3+ + 3 S 0 2 " = H + + HSO; = H + + SO = 2 H + + S02~
Säuren und Basen; Neutralisation; Ionengleichungen. Die Ionentheorie gestattete Arrhenius, eine sehr einfache Definition von Säuren und Basen 5 zu geben: Säuren liefern in wässerigerLösung 4
Dieser Zusammenhang zwischen stöchiometrischer Wertigkeit und Ladung gilt aber nur für aus Ionen aufgebaute Verbindungen (vgl. dazu auch das folgende Kapitel). Über andere Bindungsarten s. S. 196 f. 5 Eine Erweiterung dieser Definitionen gab Brönsted (vgl. S. 141).
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positiv geladene Wasserstoff-Ionen, Basen negativ geladene Hydroxid-Ionen. Die Neutralisation stellt sich damit als Vereinigung von H + und O H " zu undissoziiertem H 2 0 heraus. Man erkennt das am besten, wenn man einige Neutralisationsreaktionen als „Ionen-Gleichungen" formuliert, also statt NaCl einsetzt: N a + + Cl~ usw. Man erhält dann ζ. B. statt: NaOH + HCl = H 2 0 + NaCl die Gleichung: N a + + O H " + H + + C\~ = Na + -I- Cl" + H 2 0 , oder wenn man kürzt: OH+H
+
= H 2 O.
Diese Gleichung stellt die allgemeine Neutralisationsgleichung für wässerige Lösungen dar. Zum Beispiel wird aus Ca(OH) 2 + H 2 S 0 4 = C a S 0 4 + 2 H 2 0 die Ionengleichung: Ca 2 + + 2 0 H ~ + 2 H + + S 0 r = Ca 2 + + S 0 ^ + 2 H 2 0 , d.h. wieder 2 0 t T + 2 H + = 2 H 2 0 bzw. OH~ + H + = H 2 0 .
Wir sehen daraus, daß sich bei der Neutralisation von NaOH und HCl der Zustand der N a u n d C r - I o n e n nicht verändert, sie bewegen sich nach der Neutralisation genau so selbständig im Wasser wie vorher. Erst wenn wir eindampfen, dann treten sie zu festem Kochsalz zusammen. Die H + - und OH "-Ionen dagegen verschwinden bei der Neutralisation schon in der Lösung praktisch vollständig; sie vereinigen sich zu Wassermolekülen, die, wie schon das Fehlen einer merklichen Leitfähigkeit des reinen Wassers zeigt, praktisch nicht dissoziiert sind (vgl. dazu S. 142). Die allgemeine Neutralisationsgleichung 0 H ~ + H + = H 2 0 zeigt uns bereits eine wesentliche treibende Kraft, durch die viele Reaktionen von Elektrolyten in wäßriger Lösung bestimmt werden, nämlich die Tendenz, undissoziierte Stoffe zu bilden. Neben der Tendenz, undissoziierte Moleküle in der Lösung zu bilden, spielt auch das Entstehen wenig löslicher Gase (vgl. das Entweichen von C 0 2 ) oder fester Stoffe (s. unten die Fällung von AgCl) eine entscheidende Rolle für das Eintreten chemischer Umsetzungen in Lösungen (Näheres vgl. Kap. XXII). Auch solche Reaktionen können wir in besonders einfacher Form mit Ionengleichungen beschreiben. Zum Beispiel geben HCl und die in Wasser löslichen Chloride mit einer Lösung von Silbernitrat ( A g N 0 3 ) weiße, im Licht langsam dunkler werdende
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Niederschläge von Silberchlorid AgCl. Schreiben wir die Gleichungen in gewöhnlicher Form, so müssen wir in jedem Falle eine besondere Umsetzung formulieren, ζ. B. HCl
+AgN03
= AgCl
+HNO3
NaCl + A g N 0 3
=AgCl
+ NaNOj
CaCl 2 + 2AgNO a = 2AgCl + Ca(N0 3 ) 2
usw.
Schreiben wir Ionen-Gleichungen, so lautet die erste Umsetzung: H + + Cl" + Ag + + N 0 3 = AgCl + H + + N 0 3 oder
CP+Ag+=AgCl.
Genau dieselbe Gleichung würden wir aber auch für die anderen Reaktionen erhalten; sie beschreibt daher den Vorgang in einer ganz allgemeinen, besonders einfachen Form.
Dissoziationsgrad. Auch für die elektrolytische Dissoziation gilt, was wir S. 19 f. über Gleichgewichte ausgeführt haben. Ebenso wie bei der thermischen Dissoziation erfolgt auch hier die Umsetzung nicht vollständig, es liegen vielmehr stets undissoziierte Moleküle und Ionen nebeneinander vor. Freilich kann auch hier das Gleichgewicht praktisch vollständig auf einer Seite liegen. So sind die meisten löslichen Salze sowie die starken (vgl. S. 75) Säuren und Basen nahezu vollständig in Ionen zerfallen, während andererseits Wasser so gut wie überhaupt nicht dissoziiert ist. Es gibt aber auch viele Stoffe, bei denen im Gleichgewicht sowohl wesentliche Anteile von undissoziierten Molekülen als auch von Ionen vorhanden sind. Das ist der Fall bei den Basen und Säuren mittlerer Stärke (z.B. H 3 P 0 4 ) . Bei den schwachen Säuren und Basen tritt wiederum der Anteil der Ionen neben dem der undissoziierten Moleküle zurück. Wir verstehen nun, warum aus Sodalösung Kohlendioxid durch Schwefelsäure in Freiheit gesetzt wird. Kohlensäure ist eine typische schwache Säure, die in wäßriger Lösung nur zu einem geringen Anteil Η und H C 0 3 - sowie ganz untergeordnet C 0 3 "-Ionen bildet. Kommen daher die H + -Ionen der Schwefelsäure mit den C 0 3 "-Ionen der Soda zusammen, so vereinigen sie sich zum überwiegenden Teil zu undissoziierter Kohlensäure, und C 0 2 entweicht aus der Lösung (vgl. dazu S. 157). Die S.75 erwähnte Regel, daß starke Säuren (bzw. Basen) schwache aus ihren Salzen austreiben, ist somit nur eine besondere Form des allgemein gültigen Satzes, daß sich in wäßriger Lösung stets die am wenigsten dissoziierten Stoffe bilden. Das Treibende der
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Reaktion ist gar nicht die „Stärke" der Schwefelsäure, sondern gerade die „Schwäche" der Kohlensäure. Die Wirkung der starken Säure besteht nur darin, daß durch sie H + -Ionen in die Lösung gebracht werden; da die Anionen der starken Säure keine Neigung haben, sich mit H + -Ionen zu vereinigen, stehen diese ohne weiteres für die Umsetzung mit den CO3 "-Ionen zur Verfügung. Es ist also so, daß bei den starken Elektrolyten das Bestreben der Ionen, sich in Lösung zu vereinigen, schwach ist, während es gerade bei den schwachen Elektrolyten stark ist.
XV. Die Ionen-Bindung Ionenbindung. Die weitere Fortentwicklung der Ionentheorie hat nun zu einer ersten Vorstellung über das Wesen der chemischen Bindung geführt, die freilich nicht auf alle Verbindungen anwendbar ist, wohl aber auf die Ionen bildenden Salze, Säuren und Basen. Der Deutsche W. Kossei und der Amerikaner G. N. Lewis haben nämlich 1916 - in .Umgestaltung älterer Annahmen von Berzelius - die Vorstellung entwickelt, daß die Bildung von Stoffen wie NaCl so vor sich geht, daß eine negative Ladung, ein Elektron, vom Natrium zum Chlor übergeht und daß die elektrostatische Anziehung der N a + - und Cl"-Ionen die chemische Bindung verursacht. Ein NaCl-Molekül hätte man sich danach in ganz roher Form gemäß Abb. 12 vorzustellen.
Abb. 12. NaCI-MoIeküI
Kristalle. Bei der Vereinigung der Moleküle zum Kristall bleiben die Ionen erhalten 1 . Abb. 13 zeigt die Anordnung der einzelnen N a + - und Cl"-Ionen in einem Kochsalzkristall 2 . Jedes 1
Daß in Kristallen von Salzen wie Kochsalz geladene Bestandteile vorliegen, wußte man schon seit längerer Zeit aus den Versuchen über die sogenannten Reststrahlen. 2 Weitere „Ionenkristalle" s. Abb. 29, S.204.
Die Ionen-Bindung
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Abb. 13. Anordnung der Atomschwerpunkte in der NaCl-Struktur, « N a + Ο Cl-
positive Ion ist hier von 6 negativen, jedes negative von 6 positiven umgeben. 3 , 4 Die Anziehung dieser entgegengesetzt geladenen Ionen hält den Kristall zusammen. Bei der Bildung des Kristalls aus gasförmig gedachten Ionen wird die sogenannte „Gitterenergie" frei, sie beträgt z.B. für NaCl 766 kJ m o l - 1 (183 kcal mol" 1 ). Hydratation. Welche Einflüsse sind es nun aber, die es ermöglichen, daß sich NaCl in Wasser löst, d.h. daß das Wasser die Ionen des NaCl-Kristalls auseinanderschiebt? Bei der Einwirkung von Wasser bilden sich Wasserhüllen um die einzelnen Ionen; die dabei freiwerdende Energie, die Hydratationsenergie, ist etwa ebenso groß wie die Gitterenergie des Kristalls, so daß die Differenz zwischen Hydratations- und Gitterenergie, die Lösungsenthalpie, meist gering ist. Daher reicht die Zunahme der Entropie (vgl. S. 69) aus, um den Stoff in Lösung zu bringen. Um den Vorgang der Hydratation näher zu erläutern, müssen wir etwas weiter ausholen. Ein Wassermolekül können wir uns aus einem O 2 - - und zwei Η Monen aufgebaut denken. Diese Vorstellung ist zwar nicht ganz korrekt, genügt aber für unsere Zwecke. Diese drei Ionen liegen nun aus Gründen, die wir hier nicht im einzelnen besprechen können (Näheres siehe Kap. XXV), nicht auf einer Geraden, ihre Schwerpunkte bilden vielmehr, etwa so wie Abb. 14 zeigt, ein gleichschenkliges Dreieck. Auf größere Entfernung wirkt dieses Molekül neutral, da die Wirkungen der positiven und negativen Ladungen sich aufheben. Kommen wir aber nahe an das H 2 0 3
Irgendwelche „Moleküle" sind demnach in Kristallen dieser Art nicht vorhanden; über die Anwendung des Mol-Begriffes bei derartigen Stoffen s. S.56, Anm. 5. 4 Oft darf man sich die Ionen als Kugeln vorstellen, die sich berühren. Die N a t i o n e n sind kleiner als die CP-Ionen (vgl. Abb. 12 und Tab. 12, S.208).
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Die Ionen-Bindung
A Abb. 14. HjO-Molekül
Molekül heran, so ist dies nicht mehr der Fall. Für einen Punkt Α wird das Wassermolekül negativ geladen erscheinen, da der Schwerpunkt der negativen Ladung viel näher an diesem Punkt liegt als der der positiven Ladungen. Umgekehrt wird das H 2 0-Molekül für einen Punkt Β positiv geladen erscheinen. Man bezeichnet Stoffe wie H 2 0 , bei denen die Schwerpunkte der negativen und positiven Ladungen nicht zusammenfallen, als Dipole5. Kommt nun ein Wassermolekül in die Nähe eines positiv geladenen Ions, so wird es sich so drehen, daß die Sauerstoffseite, d. h. der negative Pol, dem Ion zugewendet wird. Das H 2 0-Molekül wird dann von dem Ion elektrostatisch angezogen. Infolgedessen wird sich ein Ion in Lösung mit einer Schicht gerichteter H 2 0-Moleküle umgeben, so wie es Abb. 15 für ein positives Ion zeigt. Die H 2 0-Moleküle, die dem Ion direkt benachbart sind, sind alle mit der negativ geladenen Seite zum positiv geladenen Ion hin ausgerichtet; sie sind infolge der starken Kräfte sehr eng gepackt. Erst in größerer Entfernung werden die Dipole infolge der Wärmebewegung wieder un-
Abb. 15. Hydratisiertes Kation 5
Unter einem elektrischen Dipol versteht man ein System zweier dem Betrag nach gleicher punktförmiger Ladungen + Q und - Q, die durch einen Abstand / voneinander getrennt sind, ρ = Q · l ist das elektrische Dipolmoment. Beispiel: p ( H 2 0 ) = 6,180 · K T 3 0 C · m; p(NH 3 ) = 4,94 · t ( T 3 0 C · m (über die Einheit Coulomb C = A · s vgl. Kap. XXIX). - Früher wurde die Einheit 1 Debye = 10" 18 e (in elektrostatischen Einheiten) χ cm benutzt; man sagte z.B., das Dipolmoment des H 2 0-Moleküls beträgt 1,84 Debye. - Die Größe des elektrischen Dipolmoments läßt sich aus der Temperaturabhängigkeit der Dielektrizitätskonstanten der gasförmigen Substanz bestimmen.
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geordnet und die Abstände der H 2 0-Moleküle voneinander normal sein. Die negativen Ionen verhalten sich entsprechend. Man sagt: Die Ionen sind in Lösung hydratisiert. Wie schon erwähnt, werden durch die Hydratationsenergie, zusammen mit der Wärmeenergie, die Gitterkräfte überwunden. Ist die bei der Hydratation gewonnene Energie wesentlich größer als die für das Auseinanderziehen des Gitters aufzuwendende, so ist der Stoff leicht löslich; ist sie wesentlich kleiner, so ist er praktisch unlöslich. Hiermit hängt auch zusammen, daß sich aus Ionen aufgebaute Stoffe in Lösungsmitteln, die nicht aus Dipolmolekülen aufgebaut sind, nur sehr wenig oder gar nicht auflösen. Eine Sonderstellung nimmt das sehr kleine H + -Ion (das Proton·, vgl. S. 179) ein. Es bindet nämlich ein Wassermolekül besonders fest; das so entstandene [H 3 0] + -Ion {Oxonium-Ion) hydratisiert sich weiterhin zu [ H 9 0 4 ] + und schließlich wie ein normales Ion. Wenn man abgekürzt von Η + -Ionen spricht, so ist damit stets das so hydratisierte [ H 3 0 ] + - I o n gemeint.
Hydrate. Die Anlagerung der Wassermoleküle an die Ionen kann auch so erfolgen, daß durch Einwirkung von wenig Wasser auf ein wasserfreies Salz wieder ein festes, aber wasserhaltiges Salz, ein Hydrat, entsteht. Die angelagerten H 2 0-Moleküle drängen dann nur die Ionen des Salzes etwas auseinander. So nimmt ζ. B. das farblose C u S 0 4 5H 2 0-Moleküle auf, es entsteht das bekannte Kupfervitriol6 der Formel C u S 0 4 · 5 H 2 0 . Erhitzt man es vorsichtig, so wird das „Kristallwasser" stufenweise abgegeben; es entstehen wasserärmere (niedere) Hydrate C u S 0 4 * 3 H 2 0 bzw. C u S 0 4 · H 2 0 und schließlich wieder das farblose wasserfreie Salz; vgl. dazu auch Kap. XXXIV. Komplexe Ionen7. Ein Aufbau aus Ionen kann mit einiger Sicherheit nur für diejenigen Stoffe angenommen werden, die in wässeriger Lösung in Ionen dissoziieren. Aber auch für solche Stoffe, bei denen dies nicht der Fall ist, kann die Annahme nützlich sein, daß sie aus Ionen aufgebaut sind. So kann man z.B. als eine erste, allerdings sehr grobe Annäherung annehmen, daß auch innerhalb des S 0 4 ~ - bzw. des NO^-Ions geladene Sauerstoff6 7
In der Regel enthalten Vitriole 7 H 2 0 ; z.B. Z n S 0 4 · 7 H 2 0 ; F e S 0 4 · 7 H 2 0 . Näheres siehe Kap. XXXII.
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Die Ionen-Bindung
und Schwefel- bzw. Stickstoffteilchen vorliegen, und sich den Aufbau des SO^-Ions folgendermaßen vorstellen:
2 Γο" S6+°2 T~ 2 15 [o - 0 "J • Die negative Ladung dieses ganzen „komplexen" Ions kommt demnach dadurch zustande, daß die Summe der negativen Ladungen 8, die Anzahl der positiven Ladungen dagegen nur 6 beträgt. Bei diesen Komplexen ist also die Gesamtladung des Komplexes immer von der des Zentralions verschieden. Es bereitet dem mit diesen Vorstellungen weniger Vertrauten oft Schwierigkeiten einzusehen, wieso ein elektrisch neutrales S0 3 -Molekül noch ein weiteres O 2 "-Ion binden kann. Man versteht das aber leicht aus Abb. 16, in der
Abb. 16. [ S 0 4 ] 2 " - I o n das Tetraeder eines SO^-Ions schematisch dargestellt ist. Wir wollen einmal annehmen, von den an sich völlig gleichartig gebundenen O 2 "-Ionen sei das oberste das zuletzt angelagerte. Es unterliegt der Anziehung durch das sechsfach positiv geladene Schwefel-Ion und der Abstoßung durch die drei je doppelt negativ geladenen anderen Sauerstoff-Ionen. Da nun aber die Entfernung von unserem 0 2 ~-Ion zum S 6 + -Ion wesentlich kürzer ist als zu den anderen O 2 "-Ionen, so kommt die Anziehung stärker zur Geltung als die Abstoßung; auch dieses 0 2 ~-Ion wird also durch elektrostatische Anziehung gebunden. Man erkennt aus der Abbildung aber auch, daß nicht beliebig viele überschüssige O 2 "-Ionen an ein S0 3 -Molekül angelagert werden können. Denn einmal nimmt mit steigender Zahl der 0 2 ~-Ionen auch die Abstoßung zu. Zum anderen ist auch der Platz beschränkt; aus räumlichen Gründen kann nur eine bestimmte Zahl von Ο 2 "-Ionen untergebracht werden. Diese Zahl - die Koordinationszahl KZ 8 - ist - gleiche Gegenpartner vorausgesetzt 8
In der englischen Literatur benutzt man die Abkürzung CN ( = Coordination Number).
Die Ionen-Bindung
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bei kleinen Zentral-Ionen niedriger als bei großen 9 . So kennt man in wässeriger Lösung wohl [ S i 0 4 ] 4 " und [ P 0 4 ] 3 " , aber nur [ C 0 3 ] 2 " und [ N O j ] 1 " , weil das Si 4+ - bzw. P 5 + -Ion größer ist als das C 4 + - bzw. N 5 + -Ion 1 0 .
Es gibt aber auch Komplexe, bei denen ungeladene Moleküle (meist mit Dipol, z.B. H 2 0 oder N H 3 ) an ein Ion angelagert werden. In diesem Falle ist die Ladung des Komplexes gleich der des Zentralions. Solche Komplexe liegen u.a. bei den hydratisierten Ionen vor, sei es im Kristall (z. B. [ M g ( H 2 0 ) 6 ] 2 + Cl 2 ), sei es in der Lösung (z. B. [ C u ( H 2 0 ) 4 ] 2 + ) , ferner bei Ammoniakaten, den sogenannten Amminen (vgl. S. 90) ζ. B. dem Diamminsilber-Ion [Ag(NH 3 ) 2 ] + bzw. dem kristallisierten Hexaamminnickel(II)-chlorid [Ni(NH 3 ) 6 ] 2 + Cl 2 . Die Bildung von Komplexen läßt sich oft schon an der Farbe erkennen; so sind Cu(II)-Salze in wässeriger Lösung hellblau: [Cu(H 2 0) 4 ] 2 + -Komplexe; gibt man NH 3 -Lösung zu, so wird die Lösung tief dunkelblau: [Cu(NH 3 ) 4 ] 2 +Komplexe. Enthalten Lösungen von Ni(II)-Salzen die Ionen [Ni(H 2 0) 6 ] 2 + , so sind sie grün; die Ionen [Ni(NH 3 ) 6 ] 2 + bedingen eine hellviolette Farbe. Vielfach ist die Komplexbildung von Einfluß auf die Löslichkeit·. AgCl ist in Wasser schwer löslich1 \ die Hydratationsenergien des Ag + - und des C o lons reichen trotz des Entropiezuwachses nicht aus, die Gitterenergie des AgCl zu überwinden. Gibt man NH 3 -Lösung hinzu, so löst sich AgCl auf; die Bildung des [Ag(NH 3 ) 2 ] + -Ions und dessen Hydratation liefern eine größere Energie als die Hydratation des Ag+. Vgl. dazu auch S. 152. Oft ist das CN~-Ion ein besonders guter Komplexbildner. Gibt man z.B. zu einer Fe(II)-SalzIösung NaCN-Lösung, so fällt zunächst Fe(CN) 2 aus; mit mehr NaCN-Lösung geht dieses in Lösung, weil sich [Fe(CN) 6 ] 4 ~Ionen bilden. Entsprechend erhält man aus Lösungen von Ni 2+ -Ionen mit CN "-haltigen Lösungen zunächst einen Niederschlag von Ni(CN) 2 und dann eine gelbe Lösung, die [Ni(CN) 4 ] 2_ -Ionen enthält. Wichtig sind Komplexe mit einer Reihe von Verbindungen der organischen Chemie. So fällt aus einer CuS0 4 -Lösung, die Weinsäure enthält, mit Natronlauge kein Kupferhydroxid aus, das Cu 2 + -Ion ist in komplizierter Weise 9
In vielen Fällen hängt die Koordinationszahl auch noch von anderen Faktoren ab. 10 Im festen Zustande läßt sich allerdings die Verbindung N a 3 N 0 4 herstellen, in der N 0 4 -Tetraeder vorliegen. 11 Über die zahlenmäßige Charakterisierung der Löslichkeit durch das Löslichkeitsprodukt s. S. 151 f.
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Die Ionen-Bindung
mit dem Anion der Weinsäure verbunden und reagiert daher nicht mit den OH "-Ionen. Weiteres über Komplexverbindungen s. Kap. XXXII. Nomenklatur von Komplexverbindungen. Nach den internationalen Regeln (S. 65) erhalten die Anionen bzw. die Salze von Sauerstoffsäuren die Endung at; enthalten sie weniger Sauerstoff, die Endung it. Beispiele: HNO 3
Salpetersäure
HNO 2
Salpetrige Säure
NH 3
Ammoniak
NO3-
Nitrat-Ion
NO 2
Nitrit-Ion
(N 3 ~
Nitrid-Ion)
N a N 0 3 Natriumnitrat
N a N 0 2 Natriumnitrit
Mg 3 N 2 Magnesium nitrid
H 2 SO 4
H 2 SO 3
H2S
Schwefelsäure
Sulfat-Ion s o l~ K 2 so 4 Kalium-
SOf"
Hydrogensulfat-Ion
KHSO 4 Kaliumhydrogensulfat
s2K2s
Hydrogensulfid Sulfid-Ion
K 2 SO 3
Kaliumsulfit
HSO3
Hydrogensulfit-Ion
HS"
Hydrogensulfid-Ion
KHSO 3 Kaliumhydrogensulfit
KHS
Kaliumhydrogensulfid
sulfat HSOi
Schweflige Säure Sulfit-Ion
Kaliumsulfid
Diese Namen sind eigentlich Trivialnamen. Für systematische Bezeichnungen erhalten die direkt an das Zentralatom gebundenen Atome oder Atomgruppen, die „Liganden", wenn sie negativ geladen sind, die Endung ο, ζ. B. Cl~ = Chloro, O H " = Hydroxo, C N " = Cyano, 0 2 ~ = Oxo. Neutrale Liganden bekommen keine Endungen; Ausnahmen: H 2 0 wird mit „aqua" 1 2 , die NH 3 -Gruppe mit „Ammin" bezeichnet. Die Zahl der Liganden wird durch griechische Zahlwörter angegeben. Die Oxidationsstufe (d.h. die Ladungszahl des Zentralatoms) wird nach Stock (vgl. S. 66) bezeichnet. Anionische Komplexe erhalten die Endung -at13. Beispiele: [Ag(NH 3 ) 2 ] + Diamminsilber-Ion [Ni(H 2 0) 6 ] 2 + Hexaaquanickel(II)-Ion [Co(NH 3 ) 6 ] ( N 0 3 ) 3 Hexaammincobalt(III)-nitrat [Al(OH) ( H 2 0 ) 5 ] 2 + Hydroxopentaaquaaluminium-Ion 12
Früher wurde die Bezeichnung „aquo" benutzt, die irreführend ist, da es sich nicht um einen negativ geladenen Liganden handelt. 13 Der systematische Name des Sulfat-Ions S 0 4 ~ wäre also: Tetraoxosulfat(VI)-Ion, der des Sulfit-Ions S O 2 ' : Trioxosulfat(IV)-Ion.
Die Ionen-Bindung [COC12(NH3)4]C1
[PtCl 2 (NH 3 ) 2 ] [Al(OH)4] ~ [PtCl 6 ] 2 (NH4)2 [ PtCl 6 ] [Fe(CN) 6 ] 4_ [Fe(CN)6]3~ K[CrOF 4 ]
91
DichlorotetraammincobaIt(III)-chlorid Dichlorodiamminplatin(II) Tetrahydroxoaluminat-Ion Hexachloroplatinat(IV)-Ion Ammonium-hexachloroplatinat(I V) Hexacyanoferrat(II)-Ion Hexacyanoferrat(III)-Ion Kalium-oxotetrafluorochromat(V).
Oxidation und Reduktion. Die Auffassung, daß man viele anorganische Verbindungen unter der Annahme von Ionenbindung formulieren kann, gestattet, Oxidations- und Reduktions-Reaktionen besonders einfach zu verstehen. Zum Beispiel bedeutet die Reduktion von Kupferoxid mit Wasserstoff gemäß CuO + H 2 = CU + H 2 0 folgendes: Das CuO denken wir uns aus C u 2 + und O 2 "-Ionen aufgebaut, Wasser aus H + - und O 2 "-Ionen. Das Wasserstoffmolekül ist ebenso wie das metallische Kupfer ungeladen. Wir können also schreiben: Cu 2 + 0 2 ~ + H | ° = C u ± 0 + jj2XI + q 2 - £ S s - n ( j a j s o ^ g j n e g A T I V E Ladungen (Elektronen) von den Wasserstoffatomen zum Kupfer übergegangen. Früher hatten wir dies so ausgedrückt: Das Kupfer ist reduziert, der Wasserstoff ist oxidiert worden. Im Sinne der Ionentheorie bedeutet also Reduktion Gewinn, Oxidation Verlust an Elektronen. Infolgedessen bezeichnet man Vorgänge, bei denen Elektronen abgegeben werden, auch dann als Oxidationsvorgänge, wenn Sauerstoff gar nicht mitwirkt. Zum Beispiel gibt es beim Kupfer zwei Chloride: das weiße CuCI und das braune CuCl2. Läßt man auf CuCI Chlorgas einwirken, so bildet sich CuCl2 nach der Gleichung: 2Cu 1+ Cl l " + Cl^ 0 = 2Cu 2 + C l ^ 1 W i e man sieht, ist Cu 1+ zu Cu 2+ oxidiert, CI2 dagegenzuCl" reduziert worden14. Oxidationszahl. Man teilt zweckmäßigerweise den einzelnen Atomen einer Verbindung, die man aus Ionen aufgebaut betrachten kann, eine Oxidationszahl zu; diese gibt die Ladung an, die das betreffende Atom haben würde, wenn der Aufbau aus Ionen ideal wäre, was in der Regel nicht der Fall ist. Die Oxidationszahl entspricht bei diesen Verbindungen der Wertigkeit, hat aber das Vorzeichen einer elektrischen Ladung. Man kann für die Angabe der Oxidationszahl arabische oder lateinische Zahlen benutzen, wie es in der 14
Über die zahlenmäßige Kennzeichnung der Oxidations- bzw. Reduktionswirkung durch das „Redox-Potential" siehe Kap. XXIX.
92
Sauerstoffverbindungen des Chlors
nachstehenden Zusammenstellung geschehen ist. Wir benutzen im folgenden in der Regel arabische Zahlen.
Formel
zusammengesetzt aus
Oxidationszahlen arabische lateinische Zahlen Zahlen
NaCl
einem Na + und einem Cl~
Na
MgO Cu20
so l'
einem Mg
2+
2
und einem O '
+
zwei Cu und einem O einem S
6+
ι+
2
2-
und vier Ο ~
2+
Na(I); 2-
Mg
Ο
1+
2
6+
2 -
Cu S
Cl(-I)
Mg(II); O ( - I I )
-
Ο o
Cu(I);
O(-II)
S(VI);
0( —II)
Andere Bindungsarten. Es wäre nun aber falsch, wenn man annehmen würde, daß bei allen Stoffen Ionenbindung vorliegt. So ist im H 2 -Molekül sicher nicht ein positiv und ein negativ geladenes Ion vorhanden. Es liegt hier vielmehr eine „Atombindung" (auch als kovalente Bindung bezeichnet) vor. Mit dieser sowie mit der in metallischen Stoffen vorhandenen „metallischen Bindung" werden wir uns später beschäftigen (vgl. Kap. XXV).
XVI. Sauerstoffverbindungen des Chlors Bisher haben wir von den Verbindungen des Chlors nur das Hydrogenchlorid und Salze der Salzsäure besprochen, in denen das Chlor als negativ geladenes Ion vorliegt. Dieses sind die bei weitem beständigsten Verbindungen dieses Elements. Es gibt aber auch eine große Anzahl von zumeist unbeständigen Chlorverbindungen, in denen dieses Element positive Oxidationszahlen hat. Um die Besprechung der hier vorliegenden Verbindungen zu erleichtern, wollen wir zunächst in Tab. 2 eine Übersicht vorausschicken und dann erst die einzelnen Vertreter beschreiben. Die Tabelle gibt gleichzeitig das Wichtigste über die Nomenklatur dieser Verbindungen an.
93
Sauerstoffverbindungen des Chlors Tab. 2. Oxide und Säuren des Chlors
Die Pfeile deuten an, wie sich die Oxide mit Wasser bzw. Lauge umsetzen. Oxidationszahl des Cl 1-
1+
3+ 4+ 5+ 6+
Oxid
Säure
—
-
c i o 2 Chlordioxid
ci 2 o 6 DichlorhexC1 2 0 7 Dichlorheptoxid
HCIO Hypochlorige Säure
Hypochlorite
HC10 2 Chlorige Säure
Chlorite
-
HC10 3 Chlorsäure
-
oxid 7+
HCl Hydrogenchlorid Chloride (wäßr. Lösung: Salzsäure)
-
c i 2 o Dichloroxid
Name der Salze
-
-
Chlorate -
\ HC10 4 Perchlorsäure
Perchlorate
Man sieht, daß man hier mit den Endungen „at" und „it" für die Sauerstoffsäuren nicht auskommt, sondern noch die Vorsilben „hypo" (unter) und „per" (über) hinzunimmt.
Hypochlorige Säure. Chlorgas löst sich in Wasser mäßig gut. Beim Abkühlen bildet sich ein kristallisiertes Chlorhydrat der Formel 8 Cl 2 -46 H 2 0 ( = Cl 2 · 53/4 H 2 0 ) ; vgl. S. 46 über Clathrate. Läßt man Chlorwasser einige Zeit im Sonnenlicht stehen, so beobachtet man eine schwache Entwicklung von Sauerstoff. Untersucht man diesen Vorgang genauer, so findet man, daß sich nach der Gleichung: Cl 2 + 2 H 2 0 ^ H 3 0 + + Cl" + HCIO in geringer Menge nebeneinander Salzsäure und eine neue Säure, die sehr schwache hypochlorige Säure, bilden. Diese zerfallt dann im Sonnenlicht gemäß HCIO + H 2 0 = Cl" + H 3 0 + + V 2 0 2 . Will man die Anionen der hypochlorigen Säure in größerer Konzentration herstellen, d. h. also das Gleichgewicht der Reak-
94
Sauerstoffverbindungen des Chlors
tion von links nach rechts verschieben, so muß man die gleichzeitig entstehenden H 3 0 + - I o n e n entfernen; denn in saurer Lösung reagieren die HClO-Moleküle mit H 3 0 + - und C1 "-Ionen nach der obigen Gleichung weitgehend von rechts nach links unter Rückbildung von Chlor und Wasser. Die Beseitigung der H 3 0 + - I o n e n kann durch Natronlauge erfolgen; Chlorgas löst sich reichlich darin auf. Mit wenig Natronlauge kann man, da HCl Ο eine sehr schwache Säure ist, die Umsetzung gemäß Cl 2 + OH" = Cl" + HCIO formulieren. Mit viel Natronlauge erhält man gemäß Cl 2 + 2 0 H " = Cl" + CIO" + H 2 0 eine Lösung, die einen großen Gehalt an C10"-Ionen besitzt. Da das C10~-Ion und besonders die Säure HCIO den Sauerstoff sehr leicht abgeben, liegt in einer solchen Lösung ein sehr wirksames Oxidationsmittel vor. So wird ζ. B. eine Lösung, die den blauen Farbstoff Indigo enthält, sofort entfärbt, und in ähnlicher Weise werden auch viele andere kohlenstoffhaltige Verbindungen schnell zerstört. Infolgedessen werden derartige Lösungen in der Textilindustrie als Bleichmittel verwendet. Auch Bakterien werden von den Salzen der hypochlorigen Säure zerstört; man kann diese daher auch als Desinfektionsmittel verwenden. Man benutzt hier meist nicht die Natrium-, sondern eine Calciumverbindung komplizierter Zusammensetzung, den sogenannten Chlorkalk, den man durch Einwirkung von Chlor auf gelöschten Kalk (Ca(OH) 2 ) nach einer analogen Reaktion erhält. Die hypochlorige Säure und ihre Salze sind also instabil. Warum entstehen sie dann überhaupt? Sie verdanken ihre Existenz dem Bestreben des Chlors, das Cl~-Ion zu bilden, also ein Elektron aufzunehmen. Das ist aber nur möglich, wenn irgendein anderer Stoff ein Elektron abgibt, d. h. eine positive Ladung annimmt. Wenn sonst keine Atome vorhanden sind, die leicht Elektronen abgeben, so kann ein zweites Cl-Atom ein Elektron zur Verfügung stellen und selbst in den positiv geladenen Zustand übergehen, d. h. es bildet sich unter Bindung eines OH "-Ions das HClO-Molekül. Wir haben hier ein typisches Beispiel einer gekoppelten Reaktion vor uns: Der instabile Stoff (HCIO) kann sich nur bilden, wenn gleichzeitig ein stabiler Stoff (NaCl mit Cl "-Ionen) entsteht, dessen Bildung die zur Entstehung des instabilen Stoffes notwendige Energie liefert. Wir erhalten so als zwangsläufiges Nebenprodukt bei der Bildung des stabilen Stoffes einen wertvollen Stoff mit großem Inhalt an (freier) Energie, der uns durch seinen freiwilligen Zerfall von Nutzen sein kann. Diese Umsetzung des Chlors mit Laugen ist gleichzeitig ein Beispiel für eine sogenannte „Disproportionierungden gleichzeitigen Übergang aus einer Oxidationsstufe (±0) in eine höhere (1 + ) und eine tiefere (1 —).
Sauerstoffverbindungen des Chlors
95
C1 2 0, das Anhydrid der hypochlorigen Säure, gewinnt man durch Überleiten von Cl 2 -Gas über HgO bei 0°C gemäß 2C12 + HgO = HgCl 2 + C1 2 0. Es ist ein unangenehm riechendes Gas, das als endotherme Verbindung metastabil ist und beim Erhitzen zerfällt. Mit brennbaren Substanzen reagiert es explosionsartig.
Chlorsäure und Chlorate. Die Salze der hypochlorigen Säure können sich nun auch selbst weiter oxidieren, und zwar nach der Bruttogleichung: 2NaC10 + NaCIO = 2NaCl + NaC10 3 . Es entsteht also wieder in gekoppelter Reaktion und unter DisproportiQnierung Chlorid und daneben das Natriumsalz einer weiteren Säure, der Chlorsäure HC10 3 . Die Bildung der Salze der Chlorsäure erfolgt unmittelbar, wenn man Chlor in der Wärme in eine alkalische Lösung einleitet: 3C12 + 6KOH = 5KC1 + KCIO3 + 3 H 2 0 . Wir haben hier Kali- statt Natronlauge gewählt, weil KCl 0 3 verhältnismäßig schwer löslich ist, daher beim Abkühlen auskristallisiert und so leicht aus dem Reaktionsgemisch abgetrennt werden kann. 5+
Im Kaliumc/j/orö/ KC10 3 mit C1 liegt wieder eine energiereiche Verbindung vor, deren Entstehen durch die gleichzeitige Bildung von KCl mit Cl~ erzwungen ist. KCIO3 ist zwar beständiger als KCIO, gibt aber doch beim Erhitzen seinen Sauerstoff leicht ab, namentlich dann, wenn gleichzeitig ein brennbarer Stoff vorhanden ist. So reagiert (eine kleine Menge!) eines Gemisches von KCIO3 und Schwefel bei Schlag mit hellem, starkem Knall. Auch sonst sind Reaktionen von KC10 3 mit brennbaren Stoffen sehr heftig; durch unvorsichtiges Experimentieren mit solchen Gemengen durch Unerfahrene sind schon manche Unglücksfalle vorgekommen. Man verwendet solche Gemische auch als Sprengstoffe (Chloratite). Wie bei der hypochlorigen Säure und auch sonst oft, so ist auch bei der Chlorsäure die freie Säure noch unbeständiger als die Salze. Gibt man in ein mit Wasser gefülltes Glas Chlorat und etwas weißen Phosphor, so verbrennt dieser unter Wasser, wenn man etwas Schwefelsäure zu dem Chlorat zutropfen läßt, weil dann die Chlorsäure selbst frei wird. Dabei mag nun allerdings noch eine andere Chlor-Sauerstoff-Verbindung eine Rolle spielen, die bei der Reaktion zwischen Schwefelsäure und Chlorat bei Abwesenheit von Wasser als Hauptprodukt entsteht 2 . Es bildet sich 1
KCIO3 müßte eigentlich schon bei Zimmertemperatur in KCl + 3 / 2 0 2 zerfallen; die Reaktion erfolgt aber erst bei höheren Temperaturen mit Braunstein als Katalysator (S. 35). 2 Wegen der Explosionsgefahr muß man diese Reaktion mit geringen Mengen bzw. unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen durchführen.
96
Sauerstoffverbindungen des Chlors
dann nämlich ~ wiederum unter Disproportionierung - neben der sogleich zu besprechenden Perchlorsäure gemäß 3HC10 3 = HCI0 4 + H 2 0 + 2C10 2 Chlordioxid, ein grüngelbes Gas. Dieses ist besonders leicht zersetzlich und explodiert schon beim Hineinbringen eines erhitzten Drahtes. Läßt man Chlordioxid auf Natronlauge einwirken, so erhält man unter Disproportionierung neben Natriumchlorat Chlorit, das in der ZelluloseIndustrie Bedeutung gewonnen hat: 2C10 2 + 2NaOH = NaC10 2 + NaC10 3 + H 2 O. Bei der Umsetzung von C10 2 mit Ozon entsteht C1 2 0 6 : 2C10 2 + 2 0 3 = Cl 2 O ö + 2 0 2 . Das Dichlorhexaoxid ist eine tiefbraunrote Flüssigkeit, die mit brennbaren Substanzen explodiert. Mit Wasser erhält man HC10 3 und HC10 4 .
Perchlorsäure und Perchlorate. Erhitzen wir Kaliumchlorat, so können verschiedene Reaktionen auftreten. Bei Anwesenheit gewisser Katalysatoren, wie Braunstein, erfolgt Zerfall in Chlorid und Sauerstoff. Erhitzt man dagegen ohne Katalysator, so tritt daneben eine andere Reaktion auf: 4KC10 3 = KCl + 3KC10 4 . Das Kaliumperchlorat KC10 4 ist in Wasser schwer löslich. Da NaC10 4 leicht löslich ist, kann man Natrium und Kalium, die sonst meist leichtlösliche Verbindungen bilden, über die Perchlorate trennen. Die freie Perchlorsäure ist eine sehr starke Säure. Sie ist die einzige der Chlor-Sauerstoffsäuren, von der sich nicht nur stark verdünnte Lösungen herstellen lassen, sondern die auch in wasserfreier Form gewonnen werden kann. Dann ist sie allerdings sehr gefährlich; sie zerfällt langsam schon bei gewöhnlicher Temperatur und kann plötzlich explodieren. Mit brennbaren Substanzen tritt Detonation ein. Während die wasserfreie Perchlorsäure erst bei — 112°C erstarrt, ist das Μonohydrat HC10 4 · H 2 0 ein fester Stoff, der bei + 50°C schmilzt. Nach der Kristallstruktur, die weitgehend der von [ N H J + [ C I O J - entspricht, liegt gemäß [ O H 3 ] + [ C I O J " ein Oxoniumsalz vor. Von der Perchlorsäure läßt sich das Anhydrid C1 2 0 7 durch Entwässerung mit P 2 O s herstellen; es ist eine farblose Flüssigkeit, die man bei der nötigen Vorsicht destillieren kann. C1 2 0 7 zersetzt sich nicht ganz so leicht wie die übrigen Oxide des Chlors, kann aber ζ. B. durch Schlag äußerst heftig explodieren.
Brom, Iod und Fluor; Übersicht über die Halogene
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XVII. Brom, Iod und Fluor; Übersicht über die Halogene Wir wollen jetzt drei Elemente besprechen, die in ihrem chemischen Verhalten dem Chlor verwandt sind. Brom. Die Ähnlichkeit zwischen Chloriden und Bromiden ist besonders groß. Bromide finden sich daher oft als Begleiter der Chloride, z.B. in den mitteldeutschen Salzlagerstätten. Aus bromidhaltigen Salzen kann man das Brom selbst in Freiheit setzen, indem man Chlorgas auf ihre wässerige Lösung einwirken läßt. Es spielt sich dann folgende Reaktion ab: 2Br~ + Cl 2 = Br 2 + 2C1 - . Das Bromid-Ion hält also die negative Ladung weniger fest als das Chlorid-Ion (vgl. dazu auch Kap. XXIX „ Spannungsreihe"). Das Entstehen von elementarem Brom bei dieser Reaktion erkennt man an dem Braunwerden der Lösung. Schüttelt man diese braune Lösung mit Kohlenstoffdisulfid (CS 2 ; vgl. S. 18) oder Chloroform (CHC13), zwei Flüssigkeiten, die sich mit Wasser nicht mischen, so geht das Brom aus der wässerigen Lösung in jene Flüssigkeiten über; man bezeichnet dies als „Ausschütteln".
Elementares Brom ist im Gegensatz zu Chlor bei Zimmertemperatur eine dunkelbraune Flüssigkeit; es siedet allerdings bereits bei 58,8 °C und besitzt daher bei gewöhnlicher Temperatur schon einen recht großen Dampfdruck. Die Verbindungen des Broms sind denen des Chlors sehr ähnlich. Das Hydrogenbromid kann man, ähnlich wie das Hydrogenchlorid, durch Schwefelsäure aus Kaliumbromid in Freiheit setzen; da jedoch dabei infolge der oxidierenden Wirkung der Schwefelsäure (vgl. S. 111) ein Teil des HBr zu elementarem Brom oxidiert wird, verwendet man besser Phosphorsäure. Eine andere Methode benutzt die Zersetzung von Phosphortribromid mit Wasser (PBr 3 + 3 H 2 0 = H 3 P 0 3 + 3HBr)Schließlich kann man HBr auch mit Hilfe eines Katalysators durch direkte Synthese herstellen: man leitet Wasserstoff durch flüssiges Brom, so daß er sich mit Br 2 Gas belädt, und das H 2 /Br 2 -Gemisch durch ein auf 150-300 °C erhitztes Rohr, in dem sich auf Asbestfasern fein verteiltes Platin befindet. 1
Praktisch führt man das so durch, daß man zu angefeuchtetem rotem Phosphor Brom zutropfen läßt.
98
Brom, Iod und Fluor; Übersicht über die Halogene
Von den Salzen der Sauerstoffsäuren des Broms sind die Hypobromite und Bromite recht zersetzlich. Die Bromate und die Bromsäure sind den entsprechenden Chlorverbindungen ähnlich. Perbromate konnten erst vor einem Jahrzehnt dargestellt werden. Die Oxide B r 2 0 , B r 0 2 und BrO a lassen sich nur bei tiefen Temperaturen herstellen und zerfallen schon unterhalb Zimmertemperatur. Bromide und auch einige organische Bromverbindungen - z.B. Adalin werden als Schlafmittel benutzt.
Iod. Das Iod gewann man früher aus den Seetangen der Normandie. Heute ist die Hauptquelle der Vorkommen in den Salpeterlagern Chiles (vgl. Kap. XXI). Es wird als Iodoform (CHI 3 ) sowie als Iodtinktur, eine Lösung von I 2 ( + KI) in etwa 65%igem Alkohol, zur Desinfektion von Wunden benutzt. Charakteristisch ist die Reaktion mit Stärke, die von Iod intensiv blau gefärbt wird; diese Färbung ist in wässeriger Lösung selbst in großer Verdünnung noch erkennbar; vgl. S. 46, Anm. 5. Das Iod selbst ist fest. Seinen Namen hat es von der Veilchenfarbe seines Dampfes. Auch die Lösungen sind vielfach violett gefärbt, ζ. B. die in Chloroform, Kohlenstoffdisulfid und Kohlenstofftetrachlorid (CC14). Dagegen ist die Lösung in Alkohol, wie von der Iodtinktur her bekannt ist, braun. Merkwürdigerweise löst sich Iod, das in Wasser nur wenig löslich ist, reichlich in Kaliumiodidlösung. Es bildet sich dabei durch Anlagerung von I 2 an I " ein komplexes IJ-Ion. Auch diese Lösungen sind braun. Die Iodverbindungen sind den Chlorverbindungen ebenfalls ähnlich. So geben ζ. B. auch die Iodide mit Silbernitrat einen Niederschlag, der noch weniger löslich ist als AgBr und AgCl; im Gegensatz zum farblosen AgCl sieht AgBr etwas, AgI deutlich gelblich aus.
Die Iodide sind sehr leicht zu freiem Iod oxidierbar und finden daher in der Chemie zum Nachweis und zur Bestimmung oxidierender Substanzen häufige Verwendung („Iodometrie"). Das frei gewordene Iod wird dabei mit „Thiosulfat" N a 2 S 2 0 3 bestimmt, das in „Tetrathionat" N a 2 S 4 0 6 übergeht: I 2 + 2S2C>3~ = 21" + S 4 0 £ - (vgl. dazu S. 111). Hydrogeniodid läßt sich wegen seiner leichten Oxidierbarkeit nicht aus KI und H 2 S 0 4 darstellen. Man gewinnt es vielmehr durch Synthese aus H 2 und I 2 -Gas - man leitet H 2 über erhitztes Iod - mit Hilfe eines PlatinKatalysators bzw. durch Einwirkung von Wasser auf PI 3 . Verdünnte HILösungen kann man auch durch Einwirkung von Hydrogensulfid (vgl. S. 106)
Brom, Iod und Fluor
99
auf elementares Iod erhalten: I 2 + H 2 S = 2HI 4- S; der gebildete Schwefel wird abfiltriert. Von den Sauerstoffsäuren ist die hypoiodige Säure sehr unbeständig; sie disproportioniert in Iodsäure und Iod: 5HIO = H I 0 3 + 2I 2 + 2 H 2 0 . Die Iodsäure erhält man aus Iodiden bzw. Iod und Chlor: I 2 + 5C12 + 6 H 2 0 = 2 H I 0 3 + 10HC1. HIO3 ist ein kräftiges Oxidationsmittel. - Mit Hypochlorit werden Iodate zu Periodaten oxidiert. Periodsäure hat nicht die Formel H I 0 4 , sondern H 5 I 0 6 ; es gibt aber Periodate wie K I 0 4 , die sich von der wasserärmeren Form ableiten. An Oxiden sei nur das I 2 0 5 erwähnt; es entsteht beim Erhitzen von H I 0 3 bzw. H 5 I 0 6 unter H 2 0 - (bzw. 0 2 -)Abspaltung. Im Gegensatz zu den Oxiden der übrigen Halogene ist es eine exotherme Verbindung und zerfallt erst oberhalb 300°C in I 2 und 0 2 .
Fluor. Den Elementen Chlor, Brom und Iod ist das Fluor verwandt. Wir nennen es absichtlich zuletzt, weil es in manchen Eigenschaften von den anderen merklich abweicht. So ist ζ. B. AgF im Gegensatz zu AgCl, AgBr und AgI in Wasser sehr leicht löslich. Umgekehrt ist es bei den Calcium-Salzen: CaCl 2 , CaBr 2 und Cal 2 sind in Wasser reichlich, CaF 2 dagegen ist wenig löslich. CaF 2 findet sich daher in der Natur als Flußspat; es ist dies die wichtigste Quelle für Fluorverbindungen. Aus ihm gewinnt man z.B. gemäß CaF 2 + H 2 S 0 4 = C a S 0 4 + 2HF das Hydrogenfluorid. Dieses ist u. a. deshalb von Bedeutung, weil es Siliciumdioxid löst; bei der Anwesenheit wasserentziehender Mittel, z.B. konz. Schwefelsäure (vgl. S. 110), bildet sich dabei nach der Gleichung Si0 2 + 4HF = SiF 4 + 2 H 2 0 gasförmiges Siliciumtetrafluorid. Flußsäure, d.h. die wäßrige Lösung von HF, benutzt man daher zum Ätzen von Glas, das ja Siliciumdioxid enthält, sowie zum Lösen von Si0 2 -haltigen Mineralien für die Analyse. Der größte Teil der technisch hergestellten Flußsäure dient zur Herstellung von organischen Fluorverbindungen und von Kryolith (Na 3 AlF 6 ) für die Aluminium-Elektrolyse (vgl. Kap. XXVII). Mit Flußsäure kann man S i 0 2 analytisch nachweisen; SiF 4 wird nämlich von Wasser nach der Gleichung 3SiF 4 + 2 H 2 0 = S i 0 2 + 2H 2 SiF 6 in Siliciumdioxid und Fluorokieselsäure zersetzt; S i 0 2 ist als farbloser Niederschlag zu erkennen, H 2 SiF 6 bildet mit Bariumsalzen einen Niederschlag von BaSiF 6 .
100
Brom, lod und Fluor; Übersieht über die Halogene
H F ist in wässeriger Lösung im Gegensatz zu den starken Säuren HCl, HBr und HI nur schwach dissoziiert, und zwar im wesentlichen nach der Gleichung 2HF + H 2 0 ^ H 3 0 + + HF2~. Über das Verhalten von H F im Gaszustande s.S. 101/102. Elementares Fluor ist verhältnismäßig schwierig zu erhalten und wurde erst am Ende des vorigen Jahrhunderts dargestellt. Aus wässerigen Lösungen von Fluoriden wie KF kann man es nicht gewinnen, da es daraus unter Bildung von Flußsäure mit Sauerstoffdifluorid OF 2 verunreinigten Sauerstoff freimacht: F 2 + H 2 0 = 2HF + ll202· Moissan2 erhielt es durch Elektrolyse von wasserfreier Flußsäure, die mit etwas KF versetzt war, damit sie den Strom leitet. Heute benutzt man zur Elektrolyse die Schmelze des Doppelsalzes KF · H F bzw. HF-reichere Gemische, weil diese niedriger schmelzen als dieses Salz. Das elementare Fluor, ein fast farbloses Gas, ist, wie schon die Umsetzung mit Wasser zeigt, ein äußerst reaktionsfähiger Stoff von sehr starken Oxidationswirkungen. Schwefel verbrennt darin schon bei Zimmertemperatur zu SF 6 ; auch Leuchtgas entzündet sich, wenn es mit Fluor zusammenkommt. Auch Glas und Quarz werden angegriffen, man arbeitet daher in Geräten aus Metallen wie Cu oder Ni, die sich mit einer Schicht von schwerflüchtigen Fluoriden bedecken. Auch A1 2 0 3 ist bis etwa 600 °C brauchbar. Die z.T. recht stabilen, z.T. wenig beständigen Fluorverbindungen der leichten Nichtmetalle (NF 3 , N 2 F 4 , OF 2 , 0 2 F 2 , 0 3 F 2 , 0 4 F 2 , O s F 2 , 0 6 F 2 , C1F, C1F3, C1F5) und die der schweren Edelgase (vgl. S. 46, Anm. 5) sind erst in diesem Jahrhundert entdeckt worden. Als „Klassiker" der modernen Fluorchemie sind, neben H. Moissan, O. Ruff3 und H. v. Wartenberg4 zu nennen. Zur Zeit erfreut sich die Erforschung der Fluorverbindungen besonderen Interesses.
Übersicht über die Halogene Wie wir gesehen haben, sind die Elemente Fluor, Chlor, Brom und lod einander in ihrem chemischen Verhalten sehr ähnlich. Man hat sie daher zu einer Gruppe zusammengefaßt und nennt sie Halogene, d.h. Salzbildner. In Tab. 3 wollen wir eine Übersicht über einige Eigenschaften der Halogene geben. Die Anordnung erfolgt dabei nach steigender relativer Atommasse. Die Tabelle ergibt, daß dies offenbar sinnvoll ist; denn die meisten Eigenschaften zeigen dann einen regelmäßigen Gang. So vertieft sich die Farbe recht gleichmäßig vom Fluor zum lod; auch die Schmelz- und Siedepunkte 2 3 4
Henri Moissan, bedeutender französischer Chemiker, lebte 1852-1907. Otto Ruff, deutscher Chemiker, lebte 1871-1939. Der deutsche Chemiker Hans v. Wartenberg lebte 1880-1960.
101
Übersicht über die Halogene
steigen regelmäßig an. Die Bindung der beiden Atome im Molekül ist beim Chlor am festesten, beim Iod am lockersten; das Fluor fällt aus Gründen, die hier nicht besprochen werden können, heraus. Alle Halogene sind Nichtmetalle; diese sind Nichtleiter der Elektrizität, leiten auch die Wärme schlecht und sind ferner durchsichtig. Beim Iod zeigen sich allerdings schon ganz schwache Anzeichen eines Übergangs zu den Metallen, so ζ. B. in der dunklen Farbe und der geringen Durchsichtigkeit. Tab. 3. Eigenschaften der Halogene
Symbol rel. Atommasse Farbe | i m f e S t e n l z u s l < im gas- > [förmigen J
Schmelzpunkt in °C Siedepunkt in °C Dissoziationsenthalpie in kJ · m o l - 1 in kcal m o l - 1
gelbgrün
Brom Br 79,904 dunkelbraun rotbraun
Iod I 126,9045 fast schwarz violett
-219,61 -188,13
-101,00 - 34,06
-7,3 + 58,8
+ 113,7 + 184,5
+ 158,2 + 37,8
+ 242,2 + 57,9
+ 192,9 + 46,1
+ 151,0 + 36,1
HCl
HBr
HI
-114,22 - 85,05
-86,82 -66,73
-50,80 -35,36
-92,3 -22,06
-36,4 -8,70
+26,5 +6,33
Fluor F 18,9984 farblos fast farblos
Chlor C1 35,453 gelblich
Hydrogenhalogenide HF Schmelzpunkt in °C Siedepunkt in °C Bildungsenthalpie 5 inkJ-mor1 in kcal mol" 1
-83,07 + 19,54 -271 -64,8
Bei den Hydrogenhalogeniden steigen die Schmelz- und Siedepunkte von HCl bis HI ebenfalls sehr regelmäßig. Dagegen fällt das bei ss20 c C, also etwa bei Zimmertemperatur, siedende Hydrogenfluorid völlig heraus; nach dem Verhalten der anderen Hydrogenhalogenide würden wir einen sehr 5
Aus dem bei Zimmertemperatur vorliegenden Zustand, also gasförmigem Wasserstoff, Fluor und Chlor, flüssigem Brom und festem Iod. Bezieht man sich auf gasförmiges Brom und Iod, so werden die Bildungsenthalpien um die Verdampfungsenthalpie des Broms bzw. die Sublimationsenthalpie ( = Summe von Schmelz- und Verdampfungsenthalpie) des Iods stärker negativ. Dadurch ändert sich aber der Gang nicht.
102
Brom, Iod und Fluor; Übersicht über die Halogene
tiefen Siedepunkt erwarten. Der Grund für das abweichende Verhalten liegt u.a. darin, daß HF, ähnlich wie Wasser (vgl. S. 86), einen sehr viel stärker ausgeprägten Dipolcharakter besitzt als die anderen Hydrogenhalogenide. Außerdem tritt hier und bei verwandten Stoffen noch ein besonderer Bindungsmechanismus auf, der als „Wasserstoffbrücken" bezeichnet wird. Infolgedessen treten zwischen den HF-Molekülen besonders große Anziehungskräfte auf, so daß der Siedepunkt erhöht wird. Außerdem spielt die Kleinheit des F~-Ions eine Rolle; dadurch kommen die Moleküle einander sehr nahe, und es bilden sich nicht nur im Kristall und der Schmelze, sondern auch im Gas dicht oberhalb der Siedetemperatur Ketten mit zickzackförmiger Anordnung der F-Atome oder auch bei bestimmten Bedingungen Ringe. Mit diesen Erscheinungen hängt zusammen, daß die Verdampfungsentropie von H F besonders klein ist.
Tab. 4. Verbindungen der Halogene untereinander Die mit einem * versehenen Stoffe sind flüssig, die mit ** fest, die übrigen gasförmig. C1F farblos
C1F3 farblos
C1F5 farblos
BrF hellrot BrCl tritt nur im Gaszustande im Gleichgewicht mit Br 2 und Cl 2 auf
BrF 3 * farblos
BrF s * farblos
6
6
IF5* farblos
ία**
IC13**
rubinrot 7 IBr** rotbraun
gelb -
IF 7 farblos
Diese Verbindungen sind z.T. reaktionsfähiger als die Halogene selbst. 6
In neuerer Zeit sind auch IF und IF 3 als instabile Verbindungen dargestellt worden. 7 2 Modifikationen.
Schwefel
103
Die Bildungsenthalpien der Hydrogenhalogenide gehen beim Übergang vom H F zum HI, also mit steigender molarer Masse von stark negativen zu schwach positiven Werten über. Die Beständigkeit nimmt also vom HF zum HI ab. Bei den Sauerstoffverbindungen ist ein so einfacher Gang zwar nicht vorhanden, da sich die Bromverbindungen nicht streng zwischen die Chlor- und Iodverbindungen einordnen. Aber man kann doch sagen, daß in großen Zügen die Sauerstoffverbindungen vom Fluor zum Iod beständiger werden. Sie verhalten sich demnach gerade umgekehrt wie die Hydrogenhalogenide, bei denen der Gang der Bildungsenthalpien dem der Elektronegativitäten (vgl. S. 201 f.) entspricht. Verbindungen der Halogene untereinander lassen sich meist durch Synthese aus den Elementen leicht erhalten; die hier geltenden Regelmäßigkeiten bezüglich der Zusammensetzung zeigt Tab. 4.
XVIII. Schwefel Eine ähnliche Gruppe verwandter Elemente, wie sie bei den Halogenen vorliegt, bilden Schwefel, Selen und Tellur, denen sich mit einigem Abstand als leichtestes Element der schon früher besprochene Sauerstoff zuordnet. Man hat auch diesen Elementen einen zusammenfassenden Namen gegeben, nämlich Chalkogene (Erzbildner). Wir wollen auch hier so vorgehen, daß wir das neben dem Sauerstoff wichtigste und häufigste Element dieser Gruppe, den Schwefel, etwas ausführlicher besprechen und über die anderen Elemente nur einige Bemerkungen anfügen. In der Natur kommt der Schwefel meist als Verbindung vor; genannt seien Gips (CaS0 4 · 2H 2 0), Anhydrit (CaSOJ, Schwerspat (BaS0 4 ), Kieserit (MgS0 4 H 2 0 ) und viele andere, z.T. wasserlösliche Sulfate, ferner Erze wie Bleiglanz (PbS), Schwefelkies oder Pyrit (FeS2), Kupferkies (CuFeS 2 ), Zinkblende (ZnS) usw. In unverbundenem Zustande findet man ihn in vulkanischen Gebieten, so z.B. in Sizilien; große Lager befinden sich um und unter dem Golf von Mexiko und in Polen. Manche Gasquellen enthalten große Anteile von Hydrogensulfid (vgl. Kap. XXIII). Für Deutschland spielen neben dem geringen Schwefelgehalt der Kohlen das Erdöl und das Erdgas (vgl. Kap. XXIII) eine erhebliche Rolle als Schwefelquellen. Schließlich ist Schwefel ein Bestandteil des Eiweiß.
104
Schwefel
Elementarer Schwefel. Der Schwefel, dessen Chemie recht verwickelt ist, zeigt schon im elementaren Zustande eine große Vielgestaltigkeit. Er kommt nämlich in zahlreichen, z.T. instabilen „Modifikationen" vor, die sich u. a. durch ihre Kristallform unterscheiden. Die wichtigsten sind der „rhombische" und der „monokline" Schwefel 1 ; bei beiden ist der Kristall aus gewellten Ringen aus acht Schwefelatomen aufgebaut (cjc/o-Octaschwefel). Die bei Zimmertemperatur stabile Form ist der rhombische Schwefel. Erhitzen wir diesen, so beobachten wir bei 95,6 °C eine Vergrößerung des Volumens um 3% und eine Änderung der kristallographischen Eigenschaften; es entsteht der in Nadeln kristallisierende monokline Schwefel. Bei dieser „Umwandlung" wird Wärme verbraucht. Bei weiterem Erhitzen bis zum Schmelzpunkt (119°C) bleibt dann der monokline Schwefel beständig. Kühlen wir geschmolzenen Schwefel langsam (vgl. später) ab, so bildet sich beim Erstarren zunächst wieder die monokline Form, die sich bei 95,6 °C unter Wärmeabgabe und Volumverminderung in die rhombische umwandelt. Danach ist der rhombische Schwefel unterhalb, der monokline oberhalb von 95,6 °C beständig. Der Übergang des rhombischen in den monoklinen Schwefel erinnert an den Übergang eines Stoffes aus dem festen in den flüssigen Zustand, d. h. das Schmelzen. Der Umwandlungstemperatur entspricht der Schmelzpunkt; auch die „Umwandlungsenthalpie" und die „Schmelzenthalpie" sind einander analog; vgl. dazu Abb. 18, S. 120. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Erscheinungen geht noch weiter. Bekanntlich kann man bei genügender Vorsicht Wasser unter seinen Erstarrungspunkt abkühlen; erst bei einer Erschütterung wird die ganze Masse plötzlich fest. Ähnliche „ Überschreitungserscheinungen" finden sich auch bei Umwandlungen im festen Zustande. Läßt man ζ. B. geschmolzenen Schwefel nur ζ. T. erstarren und gießt dann den noch nicht erstarrten Anteil ab, so besteht der zuerst erstarrte Anteil nach dem Erkalten auf Zimmertemperatur aus Nadeln der monoklinen Form. Ihre klare Durchsichtigkeit zeigt, daß einheitliche Kristalle vorliegen, daß also durch das schnelle Abkühlen die unter 95,6 °C nicht mehr stabile monokline Form erhalten geblieben ist. 1
„Rhombisch" und „monoklin" sind Bezeichnungen aus der Kristallographie, die sich auf die Symmetrieeigenschaften der Kristalle beziehen: Näheres vgl. u.a. W, Bruhns-P. Ramdohr, Kristallographie, Slg. Göschen Bd. 210.
Schwefel
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Da die monokline Form aber bei Zimmertemperatur unbeständig ist, findet langsam eine Umwandlung in rhombischen Schwefel statt, die in der Regel nach 1-2 Tagen beendet ist. Bei diesem Übergang beobachtet man eine Erscheinung, die bei solchen Umwandlungen öfter auftritt: die äußere Form der monoklinen Nadeln ist bei der Umwandlung unverändert geblieben, aber diese setzen sich jetzt aus winzig kleinen Kriställchen von rhombischem Schwefel zusammen. Die Nadeln sind daher undurchsichtig geworden. Man bezeichnet eine solche Umwandlung unter Beibehaltung der äußeren Form als „Pseudomorphose". Überschreitungserscheinungen finden sich auch sonst oft. So kann man manchmal Flüssigkeiten über ihren Siedepunkt erhitzen; irgendeine Zufälligkeit ruft dann explosionsartige Verdampfung hervor. Ferner entstehen oft durch Abkühlen heißer konzentrierter Lösungen Flüssigkeiten, die viel mehr gelösten Stoff enthalten, als der Löslichkeit bei Zimmertemperatur entspricht. Beim „Impfen" mit einem Kriställchen des festen Stoffes - oft genügt schon Staub - kristallisiert dann der Überschuß des gelösten Stoffes aus der übersättigten Lösung plötzlich aus.
Ein sehr verwickeltes Verhalten zeigt die Schwefelschmelze: Dicht über dem Schmelzpunkt ist sie honiggelb und leicht beweglich, beim weiteren Erwärmen wird sie dunkler und äußerst zähflüssig, um erst bei noch weiterem Erhitzen wieder beweglich zu werden. Bei 444,60 °C siedet der Schwefel unter Atmosphärendruck; der rotbraun gefärbte Dampf besteht bei Temperaturen dicht über dem Siedepunkt vorwiegend aus S 8 -Molekülen; im mittleren Temperaturgebiet bilden sich S 7 -, S 6 - . . . S 3 -Moleküle, bei hohen Temperaturen findet man S 2 -Moleküle, die dann bei sehr hohen Temperaturen in die Atome dissoziieren. Das merkwürdige Verhalten der Schmelze hängt damit zusammen, daß direkt oberhalb der Schmelztemperatur die gleichen gewellten S 8 -Ringe vorhanden sind, wie im rhombischen und monoklinen Schwefel. Bei höheren Temperaturen brechen diese Ringe auf und es bilden sich durch die Vereinigung vieler S 8 -Ketten lange Ketten (ca/ena-Polyschwefel), die dann die große Zähigkeit bedingen. Daß in der Schmelze bei höheren Temperaturen andere Moleküle vorhanden sind als dicht über dem Schmelzpunkt, erkennt man daran, daß beim Abschrecken einer bis nahezu zum Sieden erhitzten Schmelze - etwa durch Ausgießen in Wasser - nicht monokliner Schwefel entsteht, sondern eine dritte Form, die man wegen ihrer gummiartigen Beschaffenheit als plastischen Schwefel bezeichnet. Dieser plastische Schwefel löst sich im Gegensatz zum rhombischen in Kohlenstoffdisulfid nicht auf. Er ist gegenüber rhombischem Schwefel instabil und geht daher - wenn auch bei Zimmertemperatur nur langsam - freiwillig in diesen über.
106
Schwefel
Schließlich sei erwähnt, daß man durch geeignete Synthesen kristallisierte Schwefelformen anderer Molekülgröße (ζ. B. S 6 , S 1 2 ) dargestellt hat, die beim Erwärmen oder durch Lichteinfluß über Zwischenstufen in die bei Zimmertemperatur stabile Modifikation mit S 8 -Ringen übergehen.
Verbindungen des Schwefels. Leitet man Wasserstoff über erhitzten Schwefel, so erfolgt ohne heftige Reaktion Vereinigung der beiden Elemente; die Reaktion ist also gegenüber der von Wasserstoff mit Sauerstoff sehr gemäßigt. Das Reaktionsprodukt ist ein sehr giftiges Gas der Formel H 2 S, das Hydrogensulfid (Trivialname: Schwefelwasserstoff), dessen widerlicher Geruch von faulen Eiern her bekannt ist. H 2 S ist im Gegensatz zum Wasser eine, wenn auch nur ganz schwache Säure. Seine Bedeutung liegt darin, daß es aus wässerigen Lösungen von Schwermetallsalzen, z.B. solchen des Kupfers, Bleis, Quecksilbers und Zinks, sowie von Arsen und Antimonverbindungen schwer lösliche £Wf/i/-Niederschläge ausfällt. Auf diese Weise sind in der Natur wertvolle Lagerstätten von Erzen entstanden, von denen wir einige bereits S. 103 genannt haben. Die Fällung der Metall-Ionen mit Sulfid-Ionen erfolgt bei einigen Elementen nur in saurer, bei anderen nur in alkalischer, bei manchen schließlich in saurer und alkalischer Lösung (vgl. S. 152/53). Hydrogensulfid ist daher ein wichtiges Hilfsmittel des Chemikers, um Metalle bzw. ihre Salze voneinander zu trennen. Man stellt ihn in Laboratorien meistens durch Einwirkung von verdünnter Salzsäure auf das uns schon von S. 18 her bekannte Eisensulfid her, aus dem er gemäß der Gleichung FeS + 2 HCl = FeCl 2 + H 2 S als schwache Säure und als leicht flüchtiger Stoff freigemacht wird. Gelöstes H 2 S wird leicht zu S oxidiert; vgl. S. 98 f. die Reaktion mit I 2 . - Der sehr geringe H 2 S-Gehalt der Zimmerluft (Darmgase!) bewirkt das lästige Schwarzwerden von Silbergegenständen; es bildet sich dabei Silbersulfid Ag 2 S.
Die wichtigsten Verbindungen des Schwefels sind die Oxide und Sauerstoffsäuren, und von diesen ist wieder von besonderer technischer Bedeutung die Schwefelsäure H 2 S 0 4 . Die Darstellung dieser Säure erfolgt ausschließlich über das Schwefeldioxid, das bei der Verbrennung des Schwefels und der Sulfide entsteht, so z.B. aus der Zinkblende gemäß 2ZnS + 3 0 2 = 2ZnO + 2 S 0 2 oder aus dem Pyrit FeS 2 (vgl. S. 109). Schwefeldioxid ist ein stechend riechendes Gas, das sich bei Atmosphärendruck bei —10 °C zu einer farblosen Flüssigkeit
Schwefel
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verdichtet. D a s G a s ist für alle Lebewesen, insbesondere für die Pflanzen, sehr schädlich. S o benutzt m a n es ζ. B., u m in W e i n fässern u.a. Bakterien abzutöten. Die nachteiligen Wirkungen auf den Pflanzenwuchs zwingen alle Betriebe, in denen größere Mengen S 0 2 entstehen, zu kostspieligen Aufwendungen, um „Rauchschäden" zu vermeiden. Die gesetzlichen Bestimmungen gegen die Verunreinigung der Luft sind in den letzten Jahren wesentlich verschärft worden. - Viel S 0 2 entsteht auch bei der Verbrennung der Kohle, da die meisten Kohlesorten geringe Mengen von Schwefel enthalten. Auch das Heizöl enthält wechselnde Mengen Schwefelverbindungen. So kommt es, daß in der Großstadtluft immer ein geringer Gehalt an S 0 2 vorhanden ist, der gesundheitsschädlich ist. Zudem geht S 0 2 leicht in H 2 S 0 4 über und kann so wegen der Einwirkung auf Kalk zu Schädigungen von Gebäuden führen (Kölner Dom). In Wasser löst sich Schwefeldioxid ziemlich reichlich; es entsteht dabei die schweflige Säure H 2 S 0 3 . Diese hat große Neigung, in Schwefelsäure überzugehen, und wirkt daher als kräftiges Reduktionsmittel. Als Beispiel sei die Reaktion mit Bromwasser genannt, das gemäß H 2 S 0 3 + Br2 + H 2 0 = H 2 S 0 4 + 2HBr entfärbt wird. Bei der Einwirkung von schwefliger Säure auf Η 2 S-Wasser bildet sich Schwefel: 2H 2 S + S 0 2 = 3S + 2 H 2 0 . Der Schwefel fallt hierbei in äußerst fein verteilter Form aus und bildet die sogenannte Schwefelmilch. Daneben bilden sich als Nebenprodukt „Polythionsäuren" (vgl. S.112). Für die Überführung v o n Schwefeldioxid in Schwefelsäure benutzte m a n früher das „ B l e i k a m m e r v e r f a h r e n d a s in einer Operation v o m Schwefeldioxid zur Schwefelsäure führte. D a s Verfahren hat seinen N a m e n daher, d a ß m a n die R e a k t i o n 2 S 0 2 + O , + 2 H 2 0 = 2 H 2 S 0 4 i m wesentlichen in großen Bleikammern * durchführte, w o b e i Stickstoffoxide als Katalysator dienten. Heute erfolgt die Herstellung v o n Schwefelsäure nach d e m Kontaktverfahren. D i e s e s wurde v o n Clemens Winkler (1838 bis 1904) gefunden und v o n Knietsch technisch durchgearbeitet; es führt zunächst z u m Schwefeltrioxid ( S 0 3 ) , das d a n n erst in einer zweiten Operation zu Schwefelsäure umgesetzt wird. 2
Blei benutzte man deshalb, weil es eines der wenigen Metalle ist, die gegen Schwefelsäure beständig sind. Es reagiert zwar zunächst auch etwas; dabei bildet sich aber eine fest haftende Schicht von unlöslichem Bleisulfat, die das Metall gegen weiteren Angriff schützt.
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Schwefel
Für die technische Durchführung einer Gasreaktion, wie sie hier vorliegt, kommt es auf zwei Dinge an: 1. Wie liegt das Gleichgewicht? 2. Wie schnell stellt es sich ein? Die die Lage eines Gleichgewichts bestimmenden Faktoren werden in einem besonderen Abschnitt (Kap. XXII) zusammenfassend besprochen werden. Wir wollen hier nur an Hand experimenteller Bestimmungen von Bodenstein (Abb. 17) die Abhängigkeit von der Temperatur betrachten. Danach liegt das Gleichgewicht für S 0 3 um so günstiger, je niedriger die Temperatur ist. Eine annähernd vollständige Umsetzung von S 0 2 zu S 0 3 ist nur möglich, wenn die Temperatur 400 bis 430 °C nicht übersteigt.
400 500 600 700 800 ° C 900 Temperatur
Abb. 17. S0 2 /S0 3 -Gleichgewicht (Die gestrichelte Kurve entspricht etwa technischen Röstgasen)
Für die Technik kommt es aber nicht nur auf die Lage des Gleichgewichtes an; dieses muß sich auch schnell einstellen. S. 20/21 haben wir gesehen, daß die Reaktionsgeschwindigkeit mit der Temperatur zunimmt. Die Notwendigkeit, zu einer schnellen Gleichgewichtseinstellung zu kommen, verlangt also hohe Temperaturen, während die Lage des Gleichgewichtes hier gerade bei tiefen Temperaturen günstig ist. Eine Temperatur, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit für die technische Durchführung schon genügend hoch ist und bei der andererseits im Gleichgewicht noch gQnügend S 0 3 vorhanden ist, gibt es nicht.
Schwefe]
109
Man muß daher versuchen, die Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit nicht durch Temperatursteigerung, sondern durch andere Mittel zu bewirken, d.h. man muß einen geeigneten Katalysator verwenden. Als Katalysator benutzt man Vanadiumoxid-haltige Kontaktsubstanzen. Man erreicht damit zwischen 400 und 430 °C, also bei Temperaturen, bei denen sich nahezu 100% S 0 3 im Gleichgewicht befinden, rasche Umsetzung. Für die technische Durchführung benutzte man früher zur Gewinnung des Schwefeldioxids schwefelhaltige Erze, insbesondere Pyrit FeS 2 , der - wenn die Reaktion erst einmal eingeleitet ist - ohne weitere Wärmezufuhr nach der Gleichung 4FeS 2 + 110 2 = 2 F e 2 0 3 + 8 S 0 2 zu Eisenoxid 3 und Schwefeldioxid verbrennt. Für dieses „Abrösten" sind verschiedenartige Apparaturen entwickelt worden. Soweit es heute noch durchgeführt wird, benutzt man das „Wirbelbettverfahren" \ Man bläst durch einen Rost Luft durch das feinkörnige Erz, so daß dieses dauernd durchgewirbelt wird und schnell verbrennt Die Verbrennungswärme wird benutzt, um Dampf zu erzeugen. Wesentlich ist es, gewisse staubförmige Verunreinigungen, ζ. B. Arsen- und Selen Verbindungen4, aus den Röstgasen zu entfernen, da diese für die meisten Katalysatoren „Gifte" sind, d.h. ihre Wirksamkeit vernichten. Erfolgreich ist hier wie in vielen ähnlichen Fällen die sogenannte „elektrische Gasreinigung", d.h. die Einwirkung sehr hoch gespannter Gleichstromentladungen auf das Gas. Der Staub schlägt sich dann an den Elektroden nieder. Heute hat sich die Sachlage wesentlich dadurch vereinfacht, daß man überwiegend elementaren Schwefel verbrennt. Dieser stammt aus Erdgas oder Erdöl oder Vorkommen von elementarem Schwefel, der häufig in flüssiger Form in Tankschiffen, ζ. B. von Texas nach Europa, transportiert wird. Die Überführung von S 0 2 in S 0 3 erfolgt in Kontakt-Öfen; in diesen wird die Temperatur dadurch reguliert, daß man das S 0 2 an den mit der Kontaktsubstanz gefüllten Röhren vorbeileitet, so daß es die Reaktionswärme aufnimmt und vorgewärmt wird. Um das Abgasproblem zu lösen, wird der Kontaktprozeß neuerdings in zwei Stufen durchgeführt. In einer ersten erfolgt der Uhisatz bis zu 92%; das gebildete S 0 3 wird nach Abkühlen auf 80 °C mit Schwefelsäure, deren Massenanteil an H 2 S 0 4 98,5% beträgt, herausgelöst. Der Rest wird mit einem 3
Die Röstrückstände arbeitete man auf die wertvollen Bestandteile Kupfer, Zink, Blei, Cobalt und Edelmetalle auf. 4 Diese Arsen- und Selenverbindungen rühren daher, daß in den S 2 -Gruppen, die im Pyritgitter vorhanden sind, der Schwefel durch Arsen- oder Selenatome ersetzt sein kann.
no
Schwefel
großen Luftüberschuß bei 430 °C erneut über den Kontakt geführt; man erreicht einen Umsatz von > 99%. Damit sind die Schwierigkeiten in der Abgasfrage für die S0 3 -Industrie überwunden. Das beim Kontaktprozeß entstehende Schwefeltrioxid-Gas kondensiert sich bei Zimmertemperatur zu einer Flüssigkeit; in diesem cyc/o-Schwefeltrioxid liegen Ringe gemäß
O2SQSO2 vor. Diese Modifikation ist jedoch instabil und wandelt sich leicht in eine andere, feine weiße Fasern bildende Modifikation, das ca/ena-Schwefeltrioxid, um, in der Ketten gemäß Ο Ο Ο OSOSOS·
ο
ο
ο
ο OSO
ο
vorhanden sind. Diese Vereinigung des S 0 3 zu größeren Gebilden hängt damit zusammen, daß der Raum um das S-Atom durch 3 O-Atome nicht vollständig ausgefüllt ist. Die Reaktion des Schwefeltrioxides mit Wasser, bei der sich Schwefelsäure bildet, ist sehr heftig; ihre technische Durchführung bereitete zunächst Schwierigkeiten, da sich dabei schwer kondensierbare Nebel bilden. Man absorbiert daher nicht in Wasser, sondern in Schwefelsäure und führt dieser das zur Aufrechterhaltung des gleichen Gehalts erforderliche Wasser laufend zu. Man kann so aber auch über die Formel H 2 S 0 4 hinaus S 0 3 enthaltende, „rauchende" Schwefelsäure herstellen, das sogenannte „Oleum", das hauptsächlich in der organisch-chemischen Industrie verwendet wird.
Wasserfreie Schwefelsäure ist eine ölige Flüssigkeit. Sie bildet sehr beständige Hydrate und löst sich daher in Wasser unter starker Wärmeentwicklung. Ihre wasserentziehende Wirkung geht so weit, daß vielen Verbindungen, die Wasserstoff und Sauerstoff enthalten, diese Elemente als Wasser entzogen werden. So verkohlen ζ. B. Holz, Zucker usw., indem von ihren Bestandteilen (C, Η und O) nur der Kohlenstoff zurückbleibt. Daß man Schwefelsäure zum Trocknen von Gasen verwendet, wurde schon erwähnt. Ferner benutzt man sie, namentlich in der organischen Chemie, um bei Reaktionen, bei denen Wasser abgespalten wird (vgl. z.B. S. 162), eine günstige Gleichgewichtslage zu erzielen.
Schwefel
111
D i e verdünnte wässerige L ö s u n g der Schwefelsäure zeigt alle typischen Säurereaktionen, löst also ζ. B. Metalle wie Zink unter Wasserstoff-Entwicklung. Konzentrierte Schwefelsäure verhält sich dagegen anders. In ihr fehlt das für eine D i s s o z i a t i o n erforderliche Wasser. S o reagiert sie mit Metallen wie Zink bei Zimmertemperatur überhaupt nicht. In der Hitze wird d a s Zink gelöst; es werden aber d a n n nicht W a s s e r s t o f f i o n e n zu elementarem Wasserstoff entladen, sondern d a s H 2 S 0 4 - M o l e k ü l wirkt als Oxidationsmittel, w o b e i der Schwefel reduziert wird. Es bildet sich daher S 0 2 : Zn + 2 H 2 S 0 4 = Z n S 0 4 + S 0 2 + 2 H 2 0 . D a n e b e n entstehen in sehr geringer M e n g e elementarer Schwefel und H 2 S . Es gibt noch viele andere Oxide und Säuren des Schwefels. Von der hier herrschenden Mannigfaltigkeit möge die folgende Zusammenstellung einen Eindruck vermitteln: H2S
Hydrogensulfid, „Monosulfan" (Trivialname: Schwefelwasserstoff); vgl. Text. H 2 S 2 , H 2 S 3 ... H 2 S 6 , H 2 S n .Hydrogen-di(tri... hexa-,poly-)sulfid,„S«//am?" unbeständige Verbindungen. Beständig sind S 2 ~ -, S3 ~ S4 ~ - usw. Ionen in alkalischer Lösung und in festen Salzen. S 8 0 , S v O, S 6 0 , S 5 0 Schwefelringe, die an einem S ein Ο tragen. SO bzw. S 2 0 2 Schwefelmonoxid; äußerst unbeständiges Gas 5 . Dischwefeltrioxid; blaugrüne Substanz von hoher molarer Masse, S203 die aus Schwefel und S 0 3 entsteht. so2 Schwefeldioxid "1 y j .j, Schwefeltrioxid j so3 soi4 H 2 SO 3 H 2 SO 4
Schwefelperoxid 6 Schweflige Säure j Schwefelsäure j
Text 6
H 2 S 0 3 S = H 2 S 2 0 3 Thioschwefelsäure. Die Bezeichnung „Thio" bedeutet, daß ein Ο durch S ersetzt ist. Die freie Säure zerfällt in S + H 2 S 0 3 . N a 2 S 2 0 3 und ( N H J 2 S 2 0 3 dienen als Fixiersalz in der Photographie (vgl. Kap. XXVIII). Thiosulfat wird ferner in der Iodometrie (vgl. S. 98) benutzt. 5
SO ist nur bei äußerst geringen Drucken ( < 1 mbar) beständig; bei höheren Drucken bzw. beim Kondensieren mit flüssiger Luft entstehen plastische Produkte, die beim Erwärmen S 0 2 abspalten: (n + x)SO—>S n 0 n _ 1 + xS0 2 . 6 Es handelt sich hier um Stoffe von hoher molarer Masse mit wechselnder Zusammensetzung, die 0 2 -Gruppen enthalten.
112
Schwefel
H2s2o7
( = H 2 S 0 4 + S0 3 ), Dischwefelsäure, im Oleum enthalten; ihre Salze entstehen beim Erhitzen von Hydrogensulfaten: 2 K H S 0 4 = H 2 0 + K2S207.
H 2 SO 5 H2S2O8
Peroxomonoschwefelsäure j enthalten an Stelle eines Ο im Peroxodischwefelsäure J H 2 S 0 4 - bzw. H 2 S 2 0 7 -Molekül eine 0 2 -Gruppe; beide Säuren sind starke Oxidationsmittel. Das durch elektrolytische Oxidation von Kaliumhydrogensulfat gewonnene Kaliumperoxodisulfat K 2 S 2 O e hat man zur Darstellung von H 2 0 2 (S. 42) benutzt.
H2S2O4
Dithionige Säure, kann ζ. B. durch Einwirkung von Zinkmetall auf eine H 2 S0 3 -Lösung hergestellt werden. Starkes Reduktionsmittel, das in der „Küpenfarberei" technisch verwendet wird. Dithionit dient in der Gasanalyse zur Absorption von Sauerstoff.
H 2 S 2 0 6 , H 2 S 3 0 6 . . . H 2 S 6 0 6 usw. Di-,Tri-... Hexa-thionsäureusw. („Polythionsäuren").
Bezüglich der halogenhaltigen Schwefelverbindungen sei erwähnt, daß es ein dem SF6 (vgl. S. 100) entsprechendes SC16 nicht gibt; beim Überleiten von Chlor über erhitzten Schwefel entsteht vielmehr das goldbraune Dischwefeldichlorid S 2 C1 2 , eine widerlich riechende Flüssigkeit, die in der Gummiindustrie als Lösungsmittel für den für die Vulkanisation erforderlichen Schwefel verwendet wird. Außerdem lassen sich aus S bzw. S2C12 und Cl 2 SC12 und SC14 herstellen; das letztere ist nur bei tiefen Temperaturen beständig. Schließlich existieren Halogen-haltige Sulfane, ζ. B. ClS n Cl, wobei η sehr hohe Werte (bis 100) annehmen kann. Die ßrowverbindungen des Schwefels sind weniger beständig, /orfverbindungen sind unbekannt.
Durch Ersatz der OH-Gruppen in der Schwefelsäure 0 2 S ( 0 H ) 2 und der Schwefligen Säure OS(OH) 2 durch Halogene entstehen „SäurehalogenideDiese werden durch Wasser leicht wieder in die betreifende Schwefelsäure und Hydrogenhalogenid gespalten. Genannt seien OSCl 2 „7!hionylchlorut' bzw. „Sulßnylchloricti (aus S 0 2 + PC15 gemäß S 0 2 + PC15 = OSCl 2 + POCl 3 )und 0 2 SC1 2 „Sulfurylchlorict' bzw. „Sulfonylchloridii (aus S 0 2 + C12 bei Gegenwart von Campher oder Aktivkohle). Man kann auch nur eine OH-Gruppe ersetzen. Besonders leicht bildet sich aus konz. H 2 S 0 4 und H F Fluoroschwefelsäure HSO a F. Chloroschwefelsäure HS0 3 C1 (aus HCl + S 0 3 ) wird durch die Luftfeuchtigkeit gespalten und bildet Nebel.
Selen und Tellur; Übersicht über die Chalkogene
113
Stickstoffhaltige Schwefelverbindungen sind in sehr großer Zahl bekannt. Genannt sei hier Tetraschwefel-tetranitrid (Trivialname: Schwefelstickstoff) N 4 S 4 (wannenförmiger Ring, abwechselnd N- und S-Atome) sowie die Amidoschwefelsäure H 0 3 S · N H 2 .
XIX. Selen und Tellur; Übersicht über die Chalkogene Selen und Tellur. Dem Schwefel nahe stehen Selen und Tellur. Der Nichtmetall-Charakter nimmt beim Übergang vom Schwefel zum Tellur ab. Tellur zeigt schon deutlich metallische Eigenschaften, während Selen sowohl in mehreren (instabilen) nichtmetallischen als auch in einer zu den Metallen überleitenden (stabilen) Modifikation (graues Selen) vorkommt. Diese erweist ihre Zwischenstellung durch ihre elektrischen Eigenschaften: An sich ist sie ein schlechter Leiter wie ein Nichtmetall; durch Belichtung wird sie aber leitend wie ein Metall. Diese Eigenschaft wurde in den Selenzellen technisch ausgenutzt. Heute benutzt man zur Umwandlung von Lichtenergie in elektrischen Strom entweder sogenannte „ Photoelemente" auf Selenbasis oder evakuierte, an der Innenseite teilweise mit Alkalimetall beschlagene „ Photozellen". Über die erstmalig in der Raumfahrt benutzten, heute für viele Zwecke verwendeten „Solarzellen" s. S. 207. Ferner wird Selen in Gleichrichtern benutzt. Im grauen Selen und im Tellur sind nicht, wie beim Schwefel, Ringe, sondern langgestreckte, gewinkelte Ketten vorhanden (vgl. S. 205, Abb. 30). Die Hydrogenverbindungen H 2 Se und H 2 Te werden ähnlich hergestellt wie H 2 S. Sie sind jedoch im Gegensatz zu H 2 S instabil gegen den Zerfall in die Elemente und zerfallen daher langsam, insbesondere H 2 Te. - Mit Sauerstoff verbrennt Selen mit kornblumenfarbiger Flamme zu Se0 2 ; dieses ist zwar noch leicht flüchtig, aber bei Zimmertemperatur fest. Dagegen ist die Flüchtigkeit von T e 0 2 sehr gering. Se0 2 löst sich wie S 0 2 in Wasser; aus der Lösung scheidet sich beim Eindunsten H 2 S e 0 3 kristallin ab. T e 0 2 löst sich nicht merklich in Wasser. H 2 S e 0 3 läßt sich nur mit starken Oxidationsmitteln zur Selensäure H 2 S e 0 4 oxidieren (Gegensatz zu H 2 S 0 3 ; vgl. dazu auch die späte Entdeckung der Perbromate!). Auch das Anhydrid Se0 3 , das erst seit einigen Jahrzehnten bekannt ist, zerfallt leicht in S e 0 2 und 0 2 . Die Reaktionen der Selensäure sind denen der Schwefelsäure ähnlich (ζ. B. Fällung als BaSe0 4 ). Dagegen ist im Gegensatz zu H 2 S 0 4 und H 2 S e 0 4 die Tellursäure, die die Formel H 6 T e 0 6 (vgl. Periodsäure S. 99) besitzt, eine schwache Säure.
114
Selen und Tellur; Übersicht über die Chalkogene
Übersicht über die Chalkogene Zu der in der Tab. 5 enthaltenen Zusammenstellung einiger Eigenschaften aller Chalkogene ist wenig zu sagen, da das S. lOOf. für die Halogene Angeführte weitgehend übernommen werden kann: Regelmäßiges Ansteigen der deutlich höher liegenden Schmelz- und Siedetemperaturen bei den Elementen, Vertiefung der Farbe und Zunahme des metallischen Charakters vom Sauerstoff zum Tellur. Auch für die Wasserstoffverbindungen gilt ähnliches wie für die Hydrogenhalogenide. Auch hier steigen Schmelz- und Siedepunkte vom H 2 S bis zum H 2 Te regelmäßig an. H 2 0 fallt noch mehr heraus als HF; auch hier hängt der hohe Schmelz- und Siedepunkt mit dem Dipolcharakter sowie mit der geringen Größe des Moleküls zusammen; außerdem spielen auch hier die S. 102 erwähnten Wasserstoffbrücken eine Rolle. Die Bildungsenthalpien der Wasserstoffverbindungen ändern sich bei den Chalkogenen mit steigendem Atomgewicht in ähnlicher Weise wie bei den Halogenen; bezogen auf den festen Zustand von Se und Te haben H 2 Se und H 2 Te bereits deutlich positive Bildungsenthalpien. Tab. 5. Eigenschaften der Chalkogene
Symbol Rel. Atommasse Schmelzpunkt in °C Siedepunkt in °C
Sauerstoff Ο 15,9994 -218,75 -182,97
Schwefel S 32,064 + 119,0 +444,60
Selen Se 78,96 220,2 688
Tellur Te 127,60 452,0 1009
Hydrogenchalkogenide Schmelzpunkt in °C Siedepunkt in °C Bildungsenthalpie 1 in kJ/mol in kcal/mol
1
Vgl. S. 101, Anm. 5.
0,000 + 100,000
-85,60 -60,34
-60,4 -41,5
-
-285,8 -68,315
-20,6 -4,93
+ 29,7 + 7,1
+ 100 + 23,8
51 2,3
Das Perioden-System der Elemente
115
XX. Das Perioden-System der Elemente Bei den Halogenen und Chalkogenen haben wir Gruppen von Elementen kennengelernt, die untereinander sehr ähnlich sind und die bei einer Anordnung nach der relativen Atommasse einen gleichmäßigen Gang verschiedener physikalischer und chemischer Eigenschaften zeigen. Lassen sich vielleicht alle Elemente in ein aus solchen Gruppen bestehendes System zusammenfassen? Das ist in der Tat der Fall. Nachdem 1860 auf dem ersten internationalen Chemikerkongreß in Karlsruhe Zweifelsfragen bezüglich der Ableitung der relativen Atommassen („Atomgewichte") geklärt worden waren, hatten die schon seit längerer Zeit von zahlreichen Chemikern unternommenen Versuche, eine Systematik der Elemente auf Grund der relativen Atommassen zu finden, schnell Erfolg. Das erste brauchbare, wenn auch in Einzelheiten noch unvollkommene System hat Dimitri Mendelejeff (1834-1907) der Russischen Chemischen Gesellschaft 1869 vorgelegt. Er kam damit dem Deutschen Lothar Meyer (1830-1895) zuvor, der unabhängig von Mendelejeffzu ganz ähnlichen Ergebnissen gekommen war; an Hand des Verlaufs der auf die Elemente im festen Zustande bezogenen molaren Volumina (früher „Atomvolumina") konnte Meyer eindrucksvoll zeigen, daß man die Elemente in Perioden einteilen kann. Schon 1870 konnten dann die beiden Forscher das System in einer praktisch endgültigen Form vorlegen. Bei dieser Systematik werden, wie bereits erwähnt, die Elemente nach ihren relativen Atommassen geordnet. Man erhält dann für die leichtesten Elemente 1 eine Reihe, bei der die charakteristischen Eigenschaften von Glied zu Glied verschieden sind; die Wertigkeiten gegenüber Wasserstoff und Sauerstoff ändern sich dabei von Element zu Element um 1 in regelmäßiger Weise: Li, Be, Β, C, Ν, Ο, F, Ne. Stellt man nun aber die nächsten Elemente Na, Mg usw. so unter diese erste Reihe, daß Na unter Li kommt, so stehen überall Elemente untereinander, die einander ähnlich sind: 1
Η und He sind hier zunächst nicht berücksichtigt.
116
Das Perioden-System der Elemente
Li Na
Be Mg
Β Al
C Si
Ν Ρ
Ο S
F C1
Ne 2 Ar 2 .
Wir können das am besten bei den uns schon bekannten Elementen Ο und S sowie F und C1 beurteilen. In ähnlicher Weise kann man auch bei den schwereren Elementen vorgehen, wo die Dinge allerdings etwas verwickelter liegen. Man erhält dann die gesuchte Systematik aller Elemente, das Perioden-System, das wir auf der nachfolgenden Seite wiedergegeben haben. Dabei ist bei jedem Element fettgedruckt die der Reihenfolge entsprechende „Ordnungszahl" angegeben, auf deren Bedeutung wir im Kap. XXV zurückkommen werden, und kleingedruckt die relative Atommasse („Atomgewicht") 3,4 . Die Bedeutung des Perioden-Systems kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es bietet eine solche Fülle von Beziehungen zwischen den Elementen und ihren Verbindungen, daß überhaupt erst auf seiner Grundlage ein tieferes Verständnis der Chemie möglich geworden ist. Einige derartige allgemeine Regelmäßigkeiten, die sich auf die FmzTca/reihen beziehen, haben wir bereits bei der zusammenfassenden Besprechung der Halogene kennengelernt. Dazu kommen nun noch Horizontal- und Schrägbeziehungen. So finden sich z.B. in den Hörizonία/reihen ganz regelmäßige Abstufungen in den Wertigkeiten. Die Wertigkeit gegenüber Wasserstoff nimmt in den höheren Gruppen von rechts nach links zu. So können wir aus der Reihe Ne, HF, H 2 0 schon extrapolieren, 2
Die Edelgase waren Mendelejeff und Meyer noch nicht bekannt; auch fehlten damals noch einige weitere Elemente, ζ. B. Sc, Ga und Ge, wodurch die Erkenntnis der hier vorliegenden Zusammenhänge erschwert war. Mendelejeff hat die Existenz von Sc, Ga, Ge und einiger weiterer Elemente vorhergesagt. - Unregelmäßigkeiten in der Reihenfolge der relativen Atommassen - Co/Ni und Te/I, wozu später Ar/K und Th/Pa kamen - mußte man zunächst in Kauf nehmen. Später zeigte es sich, daß man die Ordnungszahl (vgl. S. 179), unabhängig ermitteln kann, z.B. aus dem Verlauf der Röntgenspektren (Moseleysches Gesetz; vgl. dazu Kap. XXV). 3 Es ist hier die „kurzperiodige" Form benutzt. Die „langperiodige" Form ersieht man aus Tab. 11, Kap. XXV. 4 Die benutzten relativen Atommassen sind die von der IUPAC (vgl. S. 54) 1977 angegebenen Werte.
^ C + £n. Ein Gemisch eines α-Strahlers (z.B. Ra oder Rn) und Be bezeichnet man daher als „Neutronenkanone". Die Entdeckung des Neutrons war von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung. Einmal erkannte man, daß dieses Teilchen, obwohl es außerhalb des Kerns als freies Teilchen nur kurzlebig ist - es zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12,8 Minuten unter ß-Strahlung in ein Proton eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Atomkerne spielt. Schon vor etwa 150 Jahren hatte der englische Arzt Prout die Hypothese aufgestellt, die Atome aller Elemente seien aus Wasserstoffatomen aufgebaut. Das war 5
Man hat darüber hinaus in den letzten Jahrzehnten noch zahlreiche weitere, durchweg kurzlebige Elementarteilchen kennengelernt, deren Massen meist zwischen der des Elektrons und der des Protons liegen, z.T. aber noch etwas schwerer sind: die μ-, π- und K-Mesonen und die Hyperonen; es ist hier jedoch nicht möglich, darauf einzugehen. Ebensowenig können das Photon, das Neutrino und die weiteren Antiteilchen besprochen werden. Ob eine Theorie, daß alle Elementarteilchen, die schwerer sind als das μ-Meson, aus den sog. „Quarks" und „Antiquarks" mit l / 3 bzw. 2 /3 Elementarladung entstehen, zutrifft, ist noch fraglich; neuerdings ist diese Theorie modifiziert worden.
Aufbau der Kerne
183
damals eine Spekulation, die Berzelius und andere durch genaue Atomgewichtsbestimmungen nachprüften und als nicht zutreffend fanden. Erst in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts hat sich ergeben, daß im Grunde genommen die Hypothese von Prout richtig ist. Nur zeigte es sich, daß es offenbar zwei Elementarteilchen sind, die hierbei eine Rolle spielen, die Wasserstoffkerne {„Protonen" p) und die Neutronen. 2 He z.B. ist, wie schon S. 179 erwähnt, aus 2p und 2n, insgesamt aus 4 Nukleonen, aufgebaut, 2|®U aus 92p und 146n, insgesamt 238 Nukleonen. Die Zahl der Neutronen pro Proton ist also bei den schweren Elementen größer als bei den leichten. Mit der Annahme, daß in den Atomkernen Protonen und Neutronen vorhanden sind, wird die Existenz von Isotopen verständlich: ein Atom mit einer bestimmten Protonenzahl kann eine wechselnde Menge von Neutronen enthalten. Nach der Vorstellung, daß die Atomkerne aus Protonen und Neutronen aufgebaut sind, müßte sich die Masse eines Atomkerns additiv aus der Summe der Massen der Wasserstoffatome und der Neutronen ergeben, aus denen der betreffende Atomkern gebildet ist. Da nach S. 179 ein Proton die Masse 1,007276 u und das Neutron die Masse 1,008665 u besitzt, sollte ein Deuteron die Masse 2,015941 u haben. Tatsächlich beträgt sie 2,013553 u, ist also um 0,002388 u geringer. Nach der Relativitätstheorie bedeutet gemäß der Formel Am = E/c2 (c = Lichtgeschwindigkeit) eine Abnahme der Masse das Freiwerden von Energie: 1kg Masse entspricht demnach 8,987- 10 1 6 J, lg Masse also 8,987-10 1 3 J und die Masse von l u ( = 1,6606 - 1 0 ~ 2 4 g) entspricht einer Energie von 1,492 · 1 0 " 1 0 J. Benutzt man die bei derartigen Betrachtungen oft verwendete Energie-Einheit 1 e V 6 , so entspricht 1 u 931 • 10 6 eV = 931 MeV. Einer Massenabnahme von 0,002388 u entspricht also eine freiwerdende Energie von 2,22 MeV bzw. 1,11 MeV pro Nukleon; damit ist in Übereinstimmung, daß bei der Reaktion von Wasserstoff mit langsamen Neutronen eine y-Strahlung von 2,19 MeV beobachtet wird. Bei der Bildung von 1 mol Deuterium werden also 13 · 10 2 3 MeV entsprechend 21 · 10 1 0 J (5 · 107 kcal) frei; dieser Betrag ist 105 bis 10 6 mal so groß, wie die Reaktionsenthalpie chemischer Reaktionen! Bei der Bildung von einem He-Kern aus 2 Protonen und 2 Neutronen werden sogar 28,3 MeV frei, d.h. pro Nukleon 7,07 MeV. Abb. 22 gibt den Verlauf der Bindungsenergien der Atomkerne pro Nukleon. Man sieht, daß die Elemente mit der größten Kernbindungsenergie zwischen Nukleonenzahlen von etwa 40 (Ar) und 80 (Kr) liegen; sowohl die schwereren als beson6 1 Elektronenvolt eV ist die Energie, die ein Elektron gewinnt, wenn es durch die Spannung von 1 Volt beschleunigt wird. 1 eV bezogen auf das Einzelelektron, entspricht 1,6021892 · 1 0 " 1 9 J; für 6,022045 • 10 2 3 Elektronen sind dies 96,48 kJ = 23,060 kcal.
184
Der Aufbau der Atome; Chemische Bindung 10
ι—ι—ι—ι—ι—ι—ι—ι—ι
ι
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oV 56Fe ^Kr U _ 7 4He C " + 0 + ; diese beiden Ionen haben die gleiche Elektronenkonfiguration wie das NAtom; die Elektronenformeln | N = N | und 15 entsprechen einander. Beim C O gibt es außerdem die „Grenzstruktur" | C = 0 > , die bei den Metallcarbonylen (vgl. Kap. XXXII) eine Rolle spielt. Bei Atombindungen, die verschiedene Atome miteinander verbinden, ζ. B. C—H, C = N , Ο—Η usw. fällt - wie man aus den Dipolmomenten erkennt der Schwerpunkt der positiven und negativen Ladungen nicht zusammen. Die gemeinsamen Elektronen befinden sich bevorzugt bei dem Atom mit der größeren „Elektronegativität" 2 2 (vgl. S. 201), so daß schon ein gewisser 22
Man beachte, daß C O nur ein sehr kleines Dipolmoment besitzt!
Aufbau der Elektronenhüllen. Chemische Bindung
201
Übergang zur Ionenbindung vorliegt. Auf der anderen Seite wird bei Molekülen mit Ionenbindung durch eine Verzerrung der Elektronenwolken unter dem Einfluß der Ionenladungen (Ionen-Deformation) die Polarität vermindert. Daher findet sich vielfach ein nahezu kontinuierlicher Übergang zwischen diesen beiden Bindungsarten; man kann oft nicht mit Bestimmtheit sagen, daß eine bestimmte Bindungsart vorliegt, sondern nur, daß sie vorherrscht. Sehr nützlich hat sich für solche Betrachtungen der soeben erwähnte, von dem Amerikaner L. Pauling eingeführte Begriff der Elektronegativität erwiesen (Tab. 11, S. 202). Bei einer Atombindung ist stets der Partner negativ, dessen Elektronegativität größer ist; gegenüber C ist also Η schwach positiv, gegenüber Β schwach negativ. Die Werte sind so gewählt, daß die Differenz ungefähr das Dipolmoment (vgl. dazu S. 86) der betreffenden Bindung in Debye-Einheiten (vgl. S. 86, A'nm.) ergibt. So folgt z.B. aus Tab. 11 für. HCl ein Dipolmoment von 0,6, gefunden sind 1,03 Debye. Bei komplizierteren Verbindungen erhält man das Gesamtdipolmoment durch vektorielle Addition der Einzelmomente.
Bindungsarten im Kristall. In den Kristallen bleiben in vielen Fällen die Einzelmoleküle, innerhalb deren sowohl kovalente als auch Ionenbindungen, bzw. Übergänge vorhanden sein können, erhalten (Molekül-Kristalle, weniger gut als „Molekülgitter" bezeichnet), z.B. H 2 , I 2 (s. S. 205), CC14. Da die Kräfte zwischen den Molekülen verhältnismäßig gering sind 23 , handelt es sich meist um leicht flüchtige Stoffe. Da ferner keine freien Elektronen vorhanden sind (vgl. unten über Metalle), liegen Nichtmetalle vor, die den elektrischen Strom nicht leiten. Zweitens können Kristallgitter aus Ionen aufgebaut werden, und zwar so, daß Einzelmoleküle nicht erkennbar sind (Ionenkristalle, früher Ionengitter). Einen hierfür typischen Fall haben wir beim Natriumchlorid (Abb. 13, S. 85) kennengelernt; weitere Strukturtypen für Ionenkristallstrukturen gibt Abb. 29, S. 204. Unter Umständen können sich dabei Schichten (z.B. bei der Mg(OH) 2 -Struktur) oder Ketten ausbilden. Auch hier handelt es sich im festen Zustande in der Regel um sehr schlechte 23
Diese sogenannten Dispersionskräfte, die zwischen benachbarten Atomen immer auftreten, gleichgültig ob es sich um Moleküle oder Ionen handelt, lassen sich ebenfalls auf Grund der Quantenmechanik verstehen; eine einfache modellmäßige Erklärung ist schwierig.
Der Aufbau der Atome. Chemische Bindung
Aufbau der Elektronenhüllen. Chemische Bindung
203
Leiter des elektrischen Stromes, da die Ionen ihren Platz nur unter Ausnutzung von „Leerstellen" mit großem Arbeitsaufwand wechseln können. Ionen-Schmelzen leiten dagegen unter Wanderung der Ionen gut. Schließlich können die äußersten Elektronen der Atome ein „Elektronengas" bilden, in der die zurückbleibenden positiv geladenen Ionen in einer bestimmten Struktur eingelagert sind. Dies ist der Fall bei den Metallen. Die typisch metallischen Eigenschaften (Leitfähigkeit für Elektrizität und Wärme, Undurchsichtigkeit, leichte Verformbarkeit) hängen mit dem Auftreten dieses Elektronengases zusammen. Das Volumen des Elektronengases kann sehr verschieden sein; vgl. dazu S. 231. Die wichtigsten Kristallstrukturen der Metalle sind die kubischund die hexagonal-dichteste Kugelpackung sowie die kubischraumzentrierte Struktur (Abb. 30). Die Zahl der nächsten Nachbarn, die Koordinationszahl KZ, beträgt bei den beiden erstgenannten 12, bei der letztgenannten 8. Wir hatten früher gesehen, daß die typisch nichtmetallischen Elemente sich in den höheren Gruppen des Perioden-Systems - also in den Gruppen dicht vor den Edelgasen - finden, während in den auf die Edelgase folgenden Gruppen Metalle stehen. Man erkennt den Zusammenhang: Diejenigen Elemente, die leicht positive Ionen bilden, also die äußeren Elektronen nicht sehr fest halten, bilden Metalle mit den Valenzelektronen im Elektronengas, während die Atome derjenigen Elemente, die in Verbindungen oft negative Ionen bilden - also nicht nur die eigenen Elektronen sehr festhalten, sondern sogar noch fremde Elektronen aufnehmen - auch als Element im Kristall keine Elektronen an ein Elektronengas abgeben und daher Nichtmetalle sind. Bei den nichtmetallischen Strukturen der Elemente ist die Zahl der Lücken in der äußersten Elektronenschale für die Kristallstruktur maßgebend. Bei den Halogen-Atomen (7. Gruppe des Periodensystems) fehlt ein Elektron zur Edelgaskonfiguration; es ist daher eine Atombindung möglich. Daher sind auch im Kristall Moleküle aus 2 Atomen vorhanden. In der 6. Gruppe sind zwei Atombindungen möglich; wir finden im Kristall entweder Moleküle mit Doppelbindung (0 2 ) oder gewellte Ringe (S8) oder gewundene Ketten (Se bzw. Te). Drei Atombindungen pro Atom können zu einer Kristallstruktur aus zweiatomigen Molekülen mit einer dreifachen Bindung führen (N2), zu tetraedrisch gebauten Molekülen aus 4 Atomen (vermutlich beim weißen Phosphor) und schließlich zu Strukturen mit Doppelschichten, in denen jedes Atom drei nächste Nachbarn hat (schwarzer Phosphor, As,
204
Der Aufbau der Atome; Chemische Bindung
Abb. 29. Beispiele für Kristallstrukturen von einfachen Verbindungen; NaCl s. Abb. 13, S. 85 a) CsCl b) Zinkblende ZnS c) Flußspat C a F 2 d) Rutil T i 0 2 e) Brucit Mg(OH) 2 (Schichtenstruktur) f) C 0 2 (Molekülkristall)
Aufbau der Elektronenhüllen. Chemische Bindung
205
X
Abb. 30. Kristallstrukturen von Elementen a) kubisch-dichteste Kugelpackung, flächenzentriert, KZ = 12 (ζ. B. Cu, Al) b) desgl., hexagonal aufgestellt c) hexagonal-dichteste Kugelpackung 2 , KZ = 12 (z.B. Mg) d) kubisch-raumzentriert KZ = 8 (z.B. Na) e) Graphit 0 Diamant (KZ = 4) g) Selen (Fadenstruktur) h) Iod (Molekülkristall) 24
Alle dichtesten Kugelpackungen haben zwei Arten von Hohlräumen: Solche, die von 6Atomen umgeben sind („Oktaederlücken") und solche, die von 4 Atomen umgeben sind („Tetraederlücken"). In diese Lücken können kleinere Atome eingelagert werden, z.B. Kationen, wenn eine dichteste Packung von Cl~, O 2 - usw. vorliegt. Diese Einlagerung kann nach verschiedenen Anordnungen erfolgen und macht den Kristallbau von vielen binären und ternären Ionenkristallen verständlich. So sind z.B. in der NaCl-Struktur alle Oktaederlücken, in der Zinkblende die Hälfte der Tetraederlücken von Kationen besetzt.
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Der Aufbau der Atome; Chemische Bindung
Sb, Bi). Bei vier Atombindungen bildet sich in der Regel die Diamantstruktur aus, in der jedes Atom tetraedrisch von vier anderen umgeben ist (Diamant, Si, Ge, graues Sn), oder es bilden sich Sonderstrukturen wie Graphit (vgl. S. 155) oder weißes Zinn (stark gestauchtes Diamantgitter, KZ « 6). Trotz des Vorliegens von Atombindungen leiten einige dieser Elemente, insbesondere Ρ schwarz, As, Sb, Bi, Sn weiß, den elektrischen Strom schon recht gut (Halbmetalle). Halbleiter. An dieser Stelle seien einige Bemerkungen über Halbleiter eingefügt, da diese in Wissenschaft und Technik eine immer größere Rolle spielen. Im Kristall entstehen unter der Wirkung der Nachbarn aus den diskreten Energiezuständen der Atome eine große Anzahl sehr nahe beieinander liegender Zustände, die mit je zwei Elektronen mit entgegengesetzten Spinmomenten besetzt sind; der im isolierten Atom scharfe Energiezustand verbreitert sich zu einem Energieband. Diese Verbreiterung betrifft in erster Linie die Valenzelektronen, bei den inneren Elektronen ist die Verbreiterung sehr gering. Bei Isolatoren, wie etwa dem Diamanten, bei dem von jedem Atom vier Atombindungen ausgehen, ist das Valenzband voll besetzt; es ist von dem Band eines angeregten Zustandes, dem Leitungsband, durch eine breite „verbotene" Zone getrennt, die von den Elektronen nicht überschritten werden kann. Bei einem Metall, etwa Na, ist dagegen das dem 3s-Zustand entsprechende Band nur halb besetzt; daher können die Elektronen leicht in einen anderen Zustand im gleichen Energieband übergehen und sich im elektrischen Felde bewegen; es liegt metallische Leitfähigkeit vor. Beim Mg mit 3s2 ist zwar das 3s-Band voll besetzt, aber infolge der Breite der Bänder überlappen das 3 sund das 3p-Band; daher findet sich auch hier elektrische Leitfähigkeit. Zwischen den Isolatoren und den Metallen stehen die Halbleiter. Auch sie besitzen, wie die Isolatoren, eine verbotene Zone, aber diese ist hier verhältnismäßig schmal, so daß bei höheren Temperaturen einige Elektronen diese Zone überspringen und in das Leitungsband übergehen können; es findet sich eine geringe und im Gegensatz zu den Metallen mit der Temperatur zunehmende elektrische Leitfähigkeit. Von großer Bedeutung sind dabei Zusätze („Dotierungen"). Äußerst reines S i 2 5 leitet schlecht. Dotiert man mit einer ganz geringen Menge As, so bringt 25
Elementares Si läßt sich auf verschiedenen Wegen darstellen, ist aber meist etwas verunreinigt. Für die Verwendung als Halbleiter reduziert man HSiCl 3 (Si-Chloroform) durch Erhitzen mit H 2 und reinigt durch „Zonenschmelzen" (S.288); vgl. auch über „Transportreaktionen" (S. 251).
Aufbau der Elektronenhüllen. Chemische Bindung
207
jedes As-Atom ein überschüssiges Elektron hinzu, das in das Valenzband nicht paßt und mit sehr geringer Energie in das Leitungsband übergehen kann. Es liegt ein η-Halbleiter vor. Gibt man jedoch zu dem Si einen sehr geringen Betrag von Al-Atomen mit nur drei Valenzelektronen, so entsteht für jedes zugefügte Al-Atom ein Elektronenloch und damit ebenfalls elektrische Leitfähigkeit (p-Halbleiter). Bei der Herstellung von Halbleitern bestimmter Eigenschaften werden daher außerordentlich hohe Reinheitsansprüche gestellt. Halbleiter werden u.a. bei den Solarzellen" benutzt, um in der Raumfahrt, aber auch für irdische Zwecke - z.B. für die Versorgung von Meß- und Sendeanlagen in Gebieten ohne allgemeine Stromversorgung - die von der Sonne einfallende Strahlenenergie in elektrische Energie umzuwandeln (vgl. dazu auch S. 113). Solarzellen bestehen z.B. aus Scheiben aus Si-Einkristallen (p-Leiter) von wenigen Zehntel mm Dicke, die der Eindringtiefe des Lichtes entspricht. In sie wird auf der Seite, in die das Licht einfallt, eine dünne «-leitende Schicht aus Β eindiffundiert. Danach wird auf diese Seite ein System von strich- oder gitterförmigen metallischen Kontakten aufgebracht, durch die hindurch das Licht in den Halbleiter einfallen kann. Die Rückseite der Si-Scheibe wird mit einer flächendeckenden metallischen Ableitung versehen. Der n-p-Übergang zwischen B-Schicht und Si-Schicht wirkt als Photozelle. Man kann auch Sperrschicht-Photozellen auf CdS- oder CdTe-Basis benutzen. Für terrestrische Zwecke wurden in jüngster Zeit Si-Zellen aus polykristallinem Material entwickelt. Atom- und Ionenradien; Molare Volumeninkremente. Halbiert man in einem Molekül oder in einer Kristallstruktur eines Elements den kürzesten Abstand zwischen zwei Atomen, so erhält man den „Atomradius". Kommt ein Element in mehreren Kristallstrukturen mit verschiedener Koordinationszahl KZ vor, so zeigt sich, daß mit steigender KZ die .Atomradien" etwas ansteigen. Man gibt daher solche Radien (S. 208) für eine bestimmte KZ an. Die entsprechende Ableitung von „Ionenradien" erfordert noch zusätzliche Annahmen. In aus Ionen aufgebauten Verbindungen sind dann die kürzesten Teilchenabstände angenähert gleich der Summen der Ionen-Radien. Dabei kann man aus den Abständen gelegentlich Schlüsse auf den Bindungszustand ziehen. Von W. Biltz 2 6 wieder aufgegriffen wurde das schon alte Verfahren, das molare Volumen einer Verbindung in „molare Volumeninkremente" (vgl. S. 209). aufzuteilen. Angenähert ergibt die Summe dieser Inkremente das molare Volumen einer beliebigen Verbindung. Hier braucht man die Kenntnis der speziellen Kristallstruktur nicht. 26
Wilhelm Biltz, deutscher Anorganiker, lebte 1877-1943.
Der Aufbau der Atome; Chemische Bindung
208
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Da in Cyano-Komplexen Metall-Kohlenstoff-Bindungen vorhanden sind, kann man sie auch zu den „metallorganischen" Komplexen rechnen.
270
Komplex-Verbindungen
NH 3 . Mit den letzteren verwandte, viel benutzte Liganden wie H 2 N—CH 2 —CH 2 —NH 2 (Ethylendiamin), P(C2H5)3, P(C6H5)3, AS(C 6 H 5 ) 3 , S b ( C 6 H 5 ) 3 leiten schon zu den organischen Liganden über. In neuerer Zeit wurden auch Komplexe mit H, 0 2 , N 2 und PF 3 als Liganden dargestellt. Bei den P-, As- und Sb-haltigen Liganden wirken die d-Orbitale der Liganden bei der Bindung an das Zentralatom mit. Bei mehrkernigen Komplexen verbinden oft OH- oder NH 2 -Gruppen die zentralen Metallatome. In neuerer Zeit sind auch Komplexe mit Metall-Metallbindungen hergestellt worden, ζ. B. (C 6 H 5 ) 3 P—AU—Os(CO) 4 —0s(C0 4 )—Os(CO) 4 —C1 Organische Liganden. Diese sind von jeher in Komplexen viel verwendet worden. Genannt wurde schon Ethylendiamin (sowie zahlreiche Homologe); ferner sind viel verwendete Liganden: das Oxalat-anion ~0 2 C—COj, das Anion von Acetylaceton, H 3 C—C—CH 2 —C—CH,
II ο
II ο
(bzw. H,C—C=CH—C—CH,),
I OH
II Ο
Diacetyldioxim (vgl. S. 271 oben),or/Ao-Dipyridyl
und or/Ao-Phenanthrolin
Alle diese Liganden sind „zweizähnig" und bilden „Krebsscheren-artige sogenannte „CAe/ai"-Komplexe, bei denen ein Ligand das Zentralatom von zwei Seiten faßt; der Ni-Komplex des Diacetyldioxims (I; S. 271 oben) möge dies veranschaulichen.
271
Komplex-Verbindungen
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CH,
c—c _ II II _ |0—Ν Ν—Ol
7
\/
I
Η Ni Η I 1 ΙΟ—Ν Ν—Ol ~ II II
H3C
ch3 I
Analytisch von großer Bedeutung sind 8-Hydrojcychinolin(II) und verwandte Stoffe sowie vor allem die Komplexone, ζ. B. Nitrilotriessigsäure (III) und Ethylendiamintetraessigsäure (IV). Diese bildet mit verschiedenen Kationen
OH
II
CH2—COOH / | N — C H — O O H 2 C ^CH2—COOH
III
/TH2—cooh N-
h2c
\ ch2—cooh CH2—COOH y C H — C O O H 2
IV
sehr beständige Komplexe, wobei unabhängig von der Wertigkeit nur ein Kation in den Komplex eintritt. Man sieht aus der Formel, daß sich hier viele Ringe, die alle das Metallatom enthalten, bilden können. Als besonders wirksame Komplexbildner, die sogar mit Alkalimetall-Ionen reagieren, haben sich die Kronenether{-äiher) erwiesen. Dies sind organische cyclische Verbindungen mit mehreren Ethergruppen (vgl. S. 162), die so angeordnet sind, daß die Ether-Sauerstoff-Atome wie die Zacken einer Krone liegen, so daß für die Komplexbildung mit einem Kation räumlich besonders günstige Verhältnisse vorliegen. An wichtigen Naturstoffen, die hierher gehören, seien genannt: Das Chlorophyll (ein Mg-Komplex), der Blutfarbstoff des Menschen, ein Fe(II)-Komplex, und das Vitamin B 12 (Cobalamin), ein Cobalt-Komplex.
272
Komplex-Verbindungen
Verbindungen mit Metall-Kohlenstoff-Bindungen (Metallorganische Verbindung«). Die im vorstehenden Abschnitt genannten Verbindungen enthalten zwar organische Liganden, aber es liegen bei ihnen keine Metall-Kohlenstoffbindungen vor; vielmehr ist das Zentralatom an Ο oder Ν gebunden. Eine Reihe von elementorganischen Verbindungen, bei denen C-Atome z.B. an Zn-, Hg-, Mg-, Li- und B-Atome gebunden sind, haben wir schon S. 164 f. kennengelernt; bei diesen trugen die Me—C-Bindungen σ-Charakter (vgL S. 200). Bei den Übergangselementen finden sich zahlreiche weitere metallorganische Verbindungen» bei denen es sich entweder um reine π-Bindungen handelt oder bei denen zum mindesten π- neben fr-Bindungen eine Rolle spielen. Carbonyle und verwandte Verbindungen. 1888 entdeckte C. Langer die Verbindung Ni(CO)4, in der 4 CO-Gruppen mit einem ungeladenen Ni-Atom verbunden sind; es handelt sich um eine farblose, leicht flüchtige Flüssigkeit. Auch andere Metalle der Übergangselemente bilden solche Carbonyle; das Gebiet ist vor allem durch Untersuchungen von W. Hieber ausgebaut worden. Die einfachsten Carbonyle sind Ni{CO)4; Fe(CO)5 5 ; Ru(CO)5; Os{CO)s; Cr(CO)6; Mo(CO)6; W(CO)6; V(CO)66. Bei den Carbonylen handelt es sich um „Durchdringungskomplexe" (vgl. S. 266), wobei das CO gemäß der Strukturformel | C = 0 | (vgl. S. 197) jeweils das am C befindliche Elektronenpaar für eine Metall-C-Bindung zur Verfügung stellt. Man erkennt, daß beim Ni(CO)4 28 + 8, beim Fe(CO)s 26 +10, beim Cr(CO)6 24 +12, d. h. in allen Fällen 36 Elektronen vorhanden sind wie beim Edelgas Kr; alle diese'Carbonyle sind diamagnetisch. Nur das V(CO)6 ist, da es ein Elektron weniger besitzt, paramagnetisch; es geht aber leicht in das diamagnetische Anion [V(CO) 6 ]- über. Liegt ein Element mit ungerader Elektronenzahl vor, so bilden sich mehrkernige Komplexe, ζ. B. Co2(CO)8, Mn 2 (CO) 10 , Re2(CO)10. Entsprechende Verbindungen können sich jedoch auch bei den Elementen bilden, von denen einkernige Carbonyle bekannt sind, z.B. Fe2(CO)9, Fe3(CO)12. Mit alkalischen wäßrigen Lösungen reagiert Fe(CO)s gemäß Fe(CO)5 + 4 0 H " = [Fe(CO)4]2 ~ -f CO* ~ + 2 H 2 0 ; beim Ansäuern erhält man die wasserhaltige Verbindung Tetracarbonyldihydridoeisen Fe(CO)4H2, eine
5
Fe(CO)5 wurde früher zur Verhinderung des Klopfens von Benzin benutzt; heute verwendet man Bleitetraethyl Pb(C2H5)4; s. S. 238. 6 Bis auf das gelbe Fe(CO)5 und das schwarzblaue V(CO)6 sind die genannten Carbonyle farblose Flüssigkeiten. In Toluol löst sich V(CO)6 unter Dimerisierung zu V2(CO)12 zu einer gelben Lösung.
Komplex-Verbindungen
273
farblose Flüssigkeit, die in Lösung als ziemlich starke Säure fungiert und Salze bildet Analog gibt es Co(CO)4H. Die CO-Gruppe kann durch andere ungeladene Gruppen oder Ionen ersetzt werden, z.B. durch NO, Isonitrile (|C=N—R, wobei R —CH 3 , —C 2 H s , —C6HJ usw. sein kann), das Cyanid-Ion [|C=N|]~, das Acetylid-lon [|C=C—Η] ~ u. ä. Bevorzugt sind dabei Gruppen, bei denen sich neben der einfachen Metall-Kohlenstoffbindung unter Heranziehung eines Elektronenpaars des Zentralatoms auch eine doppelte Bindung von π-Charakter bilden kann: N i — C = 0 1 iS s s s I I ; c 52 « m ££ «
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"(A1) 100% ~ η (Al) + «(Si) anzugeben. Bei der Ähnlichkeit der relativen Atommassen von Al und Si bringt dies für die Abb. 40 keine nennenswerte Änderung; es sind daher nur die Massenanteile w angegeben. Dagegen sind in Abb. 41 Massenund Stoffmengenanteile nebeneinander verzeichnet.
284
Tensions- und thermische Analyse
als C entspricht, erstarren aber, wie die Abb. zeigt, noch niedriger; d.h. je mehr sich Si ausscheidet, desto mehr sinkt der Erstarrungspunkt, und zwar längs der Kurve FSi—Eu. In Eu trifft die Kurve Fs,—Eu die Kurve FAI—Eu, längs deren sich Al abscheidet. Bei der durch den Punkt Eu, den „eutektischen Punkt", bestimmten Temperatur und Zusammensetzung werden sich also Al und Si nebeneinander ausscheiden. Und zwar erfolgt bei dieser „eutektischen Temperatur" die Ausscheidung des gesamten noch nicht erstarrten Restes. Senkt man also bei der Zusammensetzung C des Gesamtsystems die Temperatur, so erhält man folgende Zustände: Oberhalb F c ist eine homogene Schmelze vorhanden, bei F c beginnt die Erstarrung, zwischen F c und der eutektischen Temperatur sind festes Si und Schmelze nebeneinander vorhanden, bei der eutektischen Temperatur erstarrt der Rest, und unterhalb der eutektischen Temperatur ist alles fest; es liegen Kristalle von Al und Si nebeneinander vor. Untersucht man eine Probe, deren Si-Gehalt geringer ist, als der eutektischen Zusammensetzung entspricht, so ist der Vorgang grundsätzlich der gleiche, jedoch scheidet sich dann aus der Schmelze zunächst Al aus. Nur wenn man von einer Schmelze der eutektischen Zusammensetzung ausgeht, so erfolgt das Erstarren der ganzen Masse bei einer Temperatur. Man darf aber daraus nicht etwa schließen, daß bei dieser Zusammensetzung eine Verbindung vorliegt, vielmehr kristallisieren Al und Si unverbunden nebeneinander aus. Allerdings unterscheidet sich das erstarrte „eutektische Gemisch" in einem Anschliff unter dem Mikroskop im „Gefiige" dadurch von den Nachbargebieten, daß sehr kleine Kristalle beider Komponenten innig vermengt sind, während sich bei der primären Ausscheidung nur einer Komponente durch Wachsen der zunächst ausgeschiedenen kleinen Kristalle größere Kristalle bilden, die dann von Eutektikum umgeben sind. Röntgenaufnahmen würden hier bei allen Mischungsverhältnissen Überlagerungen der Reflexe von Al und Si ergeben und bei keiner Zusammensetzung irgendwelche neuen Reflexe. Bilden die beiden Komponenten eines Systems eine Verbindung, so hat diese - vorausgesetzt, daß sie sich nicht schon beim Erwärmen zersetzt - als „reiner Stoff" ebenfalls einen ganz bestimmten Schmelzpunkt bzw. Erstarrungspunkt. Liegt auch hier Mischbarkeit im flüssigen, Nichtmischbarkeit im festen Zustande vor, so ist das Gesamtdiagramm durch zwei eutektische Teildiagramme gegeben, wie es Abb. 41 für das System Magnesium/Blei zeigt4. Man erhält also hier zwei eutektische Punkte: Eu } zwischen Mg und 4
Eine gewisse Löslichkeit von Pb in festem Mg und von Mg in festem Pb ist nicht berücksichtigt.
Thermische Analyse
285
der Verbindung Mg 2 Pb, sowie Eu2 zwischen Mg 2 Pb und Pb. Längs der Kurve FMj—EUj scheidet sich Mg, längs der Kurven FMg2Pb—EUj und FMjiPb—EU2 die Verbindung Mg 2 Pb, längs Eu2—F,^ Pb aus. In dem Gebiet Ia sind nebeneinander Schmelze und festes Mg vorhanden, in Ib und IIa festes Mg 2 Pb und Schmelze, in IIb festes Pb und Schmelze. Unterhalb der beiden eutektischen Geraden ist alles fest. Abb. 41 zeigt, wie man (unter den genannten Voraussetzungen) die Existenz einer Verbindung aus dem Verlauf der Erstarrungskurve erkennen kann, insbesondere aus dem Auftreten eines Maximums. wi?b)0 50 I •C 800
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Abb. 41. System Magnesium-Blei
Röntgenographisch würde man hier nicht nur bei den Komponenten Magnesium und Blei selbständige, voneinander verschiedene Reflexe erhalten, sondern auch bei der Zusammensetzung Mg 2 Pb. Das Auftreten neuer Röntgenreflexe bei dieser Zusammensetzung, die nicht eine Überlagerung der Reflexe von Magnesium und Blei darstellen, beweist eindeutig das Vorliegen einer Verbindung. Bei der großen Bedeutung, die die thermische Analyse für theoretische und praktische Fragen hat, wollen wir uns nicht damit begnügen, diese allereinfachsten Fälle zu schildern, sondern auch auf einige weitere Typen wenigstens andeutungsweise eingehen. Recht einfach liegen die Verhältnisse, wenn weder im festen noch im flüssigen Zustande Mischbarkeit vorliegt, wenn sich also nicht nur die Kristalle der beiden Komponenten unbeeinflußt voneinander ausscheiden, sondern auch in der Schmelze zwei Schichten gebildet werden, wie es etwa von Ether
286
Tensions- und thermische Analyse
(Äther) und Wasser her bekannt ist. Es erfolgt dann das Erstarren so, als ob jeder der beiden Stoffe für sich vorhanden wäre; die Diagramme entsprechen der Abb. 42 (System Silber/Vanadium1). Hiernach erstarrt bei 1730°C zunächst das vorhandene V und später bei 960,5 °C alles Ag. Sind dagegen - das andere Extrem - die Stoffe im ßüssigen und festen Zustande miteinander mischbar, so liegen die Dinge verwickelter. Als typisches Diagramm zeigt Abb. 43 das System Silber/Gold5. Wir gehen von einer Schmelze der Zusammensetzung C aus. Aus dieser scheidet sich bei der Temperatur F c ein Mischkristall aus, der aber nicht die Zusammensetzung 2000
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Abb. 42. System Silber-Vanadium
Abb. 43. System Silber-Gold C wie die Schmelze, sondern die Zusammensetzung D besitzt. Er ist also reicher an Au, als C entspricht; die Schmelze reichert sich dadurch an Ag an, und die Erstarrungstemperatur sinkt längs der sogenannten „Liquidus"Kurve, sagen wir bis zur Temperatur F E . Mit einer Schmelze der Zusammensetzung Ε ist aber ein Mischkristall der Zusammensetzung F im Gleichgewicht. Es haben daher nicht nur die zuletzt ausgeschiedenen Kristalle die Zusammensetzung F, sondern es müssen auch die zuerst ausgeschiedenen Kristalle der Zusammensetzung D mit der Schmelze reagieren, bis auch sie 5
Abb. 42, 43 und 44 geben die Temperatur in °C an, die Zusammensetzung in Stoffmengenanteilen x. Bei Abb. 42 besteht allerdings gegenüber Massenanteilen kein Unterschied im Zustandsdiagramm.
Thermische Analyse
287
die Zusammensetzung F haben 6 . Erst dann ist alles im Gleichgewicht. Beim weiteren Fortschreiten des Erstarrungsvorganges kommen wir schließlich zur Erstarrungstemperatur F c . Hier haben die Kristalle - und zwar sowohl die zuerst ausgeschiedenen, nachträglich umgewandelten als auch die zuletzt ausgeschiedenen - die Zusammensetzung C; sie sind also ebenso zusammengesetzt wie die ursprüngliche Schmelze. Damit ist der Erstarrungsvorgang beendet, alles ist zu einheitlichen Mischkristallen erstarrt. Oberhalb der Liquidus-Kurve ist also alles flüssig, unterhalb der „Solidus"Kurve ist alles fest. Die beiden Kurven schließen somit ein Gebiet ein, in dem Schmelze und fester Stoff nebeneinander vorhanden sind. Da in solchen Systemen die Ausgangsstoffe meist ähnliche Strukturen, nur mit verschiedenen „Gitterkonstanten", besitzen, sind die Röntgenreflexe der Ausgangsstoffe in der Regel von ähnlichem Habitus, aber mit verschiedenen Abständen. Bei den Mischkristallen liegen dann bei Erhaltung des Habitus der Reflexe die Abstände zwischen denen der Ausgangsstoffe. Noch verwickelter wird das Verhalten beim Erstarren, wenn die Stoffe im flüssigen Zustande völlig, im festen aber n u r teilweise mischbar sind. Hierfür
ist das System Silber/Kupfer (Abb. 44) ein Beispiel. Gehen wir von einer Schmelze der Zusammensetzung C aus, so scheiden sich bei der Temperatur F c zunächst Mischkristalle von Cu in Ag der Zusammensetzung D aus; sobald die eutektische Temperatur erreicht ist, haben die Mischkristalle im Gleichgewicht die Zusammensetzung E. Damit ist aber die Löslichkeits-
6
Praktisch erfolgt diese nachträgliche Reaktion der Kristalle mit der Schmelze allerdings oft nur langsam. Dadurch wird bei normaler Abkühlungsgeschwindigkeit der weitere Erstarrungsvorgang anders; man erhält Ungleichgewichtszustände, die Zusammensetzung der einzelnen Kriställchen ändert sich von innen nach außen. Erst durch längeres Erhitzen dicht unterhalb der Schmelztemperatur („Tempern") lassen sich in diesem Falle homogene Mischkristalle erzielen.
288
Tensions- und thermische Analyse
grenze erreicht, mehr Kupfer kann Ag im festen Zustande bei dieser Temperatur nicht aufnehmen. Es scheiden sich daher jetzt neben Mischkristallen der Zusammensetzung Ε auch solche der Zusammensetzung F, d. h. fast reines Cu mit etwas gelöstem Ag, aus. Die Mischbarkeit ist also hier keine vollständige, Ag kann maximal bis zur Zusammensetzung Ε Cu aufnehmen, Cu bis maximal F Ag. Zwischen Ε und F ist im festen Zustande eine „Mischungslücke". Die Größe der Mischungslücke ändert sich mit der Temperatur. Die Grenzen Ε und F gelten für die eutektische Temperatur. Wie man sieht, nehmen die gegenseitigen Löslichkeiten der Metalle mit fallender Temperatur ab 7 (vgl. dazu auch S. 221/22 u. 295). Wie hier im einzelnen nicht dargelegt werden kann, kann man unter Ausnutzung der auf den vorstehenden Seiten beschriebenen Erscheinungen beim Schmelzen Stoffe hoher Reinheit herstellen. Man erhitzt dazu eine schmale Zone einer stabförmigen Probe eines Elements, die noch geringe Mengen von Verunreinigungen enthält, zum beginnenden Schmelzen; die Verunreinigungen reichern sich in dem geringen verflüssigten Anteil an. Durch stetiges Verschieben der Erhitzungszone schiebt man so die Verunreinigungen an das Ende der Probe. Durch mehrfaches Wiederholen dieses Zonenschmelzens erreicht man einen sehr hohen Reinheitsgrad. Intermetallische Verbindungen. Die Zusammensetzung der intermetallischen Verbindungen zeigt meist keinen ohne weiteres erkennbaren Zusammenhang mit der Wertigkeit der Elemente in salzartigen Verbindungen. Das Gesetz der konstanten und der multiplen Proportionen ist hier oft nicht erfüllt; vielmehr schwankt die Zusammensetzung der einzelnen intermetallischen Verbindungen je nach dem Mengenverhältnis der Ausgangsstoffe innerhalb gewisser, mehr oder weniger breiter Grenzen: die einzelnen „intermetallischen Phasen" haben mehr oder weniger breite „Homogenitätsgebiete". Die Kristallstrukturen intermetallischer Phasen können außerordentlich mannigfaltig sein. In manchen Fällen sind Beziehungen zu salzartigen Strukturen zu erkennen (z.B. bei Mg 2 Pb; Na 3 As), obwohl die Stoffe keineswegs salzartigen Charakter haben. In derartigen „salzähnlichen" Strukturen treten oft zusammengesetzte „Anionen" auf: Paare Te|~ im Na 2 Te 2 ; Ketten wie (Asn)n~ im LiAs; Tetraeder wie (Si 4 ) 4- im NaSi; Flächen in den Graphitverbindungen wie KC 8 oder KC 2 4 ; dreidimensionale Gebilde (Tl n ) n_ (Diamant-Struktur) im NaTl. Dabei ergeben sich enge Beziehungen zu dem Aufbau von Elementen entsprechender Elektronenzahl (vgl. S. 203f.). 7
Die Temperatur-Abhängigkeit der - geringen - Löslichkeit von Ag in Cu im festen Zustande ist noch nicht so genau untersucht.
Intermetallische Verbindungen
289
Vielfach zeigen intermetallische Verbindungen ähnliche Kristallstrukturen wie die typischen Metalle, wobei die Verteilung der Komponenten auf die verschiedenen Lagen sehr verschiedenartig und stark von geometrischen Einflüssen bestimmt sein kann. So findet man zahlreiche „Einlagerungsphasen", bei denen in die Lücken eines Gitters kleine Atome wie Η, N, O, C, Β u.a. eingelagert sind; hiermit können nicht unerhebliche Enthalpieänderungen verbunden sein, d. h. es bestehen chemische Wechselwirkungen. Umgekehrt ist es bei den „Substitutionsphasen", bei denen die sich ersetzenden Atome von ähnlicher Größe sind. Hier findet man oft bei hohen Temperaturen Mischkristalle mit ungeordneter Verteilung, bei tiefen intermetallische Phasen mit geordneten Atomlagen. Sehr verbreitet sind die sogenannten „Laves-Phasen" der allgemeinen Formel AB 2 , deren Existenz an ein bestimmtes Radienverhältnis von Α und Β gebunden ist; dagegen spielt die Größe der Bildungsenthalpien Δ Η für das Auftreten der LavesPhasen keine wesentliche Rolle. In vielen Fällen dürften wesentliche Veränderungen in der Struktur des Elektronengases auftreten. So gilt für die intermetallischen Verbindungen, die die Elemente der Gruppen 1Β bis 4 Β des Periodensystems untereinander bilden, die Regel von Hume-Rothery, daß das Verhältnis der „Valenzelektronen" zur Zahl der Atome die Kristallstruktur bestimmt. Als Beispiel seien CuZn, H g ^ l und Cu s Sn genannt. Diese drei Stoffe kristallisieren in der sogenannten ß-Phase (kubisch-raumzentriert; vgl. S. 205, Abb. 39d); das genannte Verhältnis8 ist 1+ 2 . 3-1+3 . 5-1+4 bzw. bzw. , d.h. es ist in allen Fällen 3/2. Außer dieser ß-Phase gibt es noch die y-Phase (Verhältnis 21:13, sehr große kubische Elementarzellen besonderer Struktur, Beispiele Cu 5 Zn 8 ; Cu 31 Sn 8 ) und die ε-Phase (Verhältnis 7:4; hexagonal-dichteste Kugelpackung; s. Abb. 39c; Beispiele CuZn 3 , Cu3Sn). Die Regel von Hume-Rothery gilt nur angenähert, die einzelnen Phasen haben ζ. T. breite Homogenitätsgebiete. Die Eigenschaften vieler intermetallischer Verbindungen weisen auf Übergänge zwischen den Metallen und den Stoffen mit Ionenkristallen hin. Zwar besitzen sie ausgesprochen metallischen Charakter, aber die Leitfähigkeit ist doch meist wesentlich geringer als bei den Metallen. Auch sind viele 8
Man beachte, daß für Cu nur 1 Valenzelektron einzusetzen ist. Bei Anwendung auf Systeme, die Elemente der 8A-Gruppe enthalten, sind diese Elemente nullwertig anzusetzen; z.B. haben FeAI und NiAl die Kristallstruktur der ß-Phase, Ni s Zn 2 1 die der y-Phase und FeZn 7 die der ε-Phase.
290
Technisches Eisen
intermetallische Phasen ziemlich spröde, wenn auch nicht so sehr, wie die Ionenkristalle. Die Bildungsenthalpien sind bei nur aus edlen Metallen bestehenden Verbindungen klein; sie werden um so stärker negativ, je größer der Unterschied in den Elektronegativitäten (vgl. S. 201 f.) der Komponenten ist. Oft ist mit der Verbindungsbildung eine Volumkontraktion verbunden, namentlich dann, wenn eine Komponente ein sehr unedles, die andere ein edles Metall ist. Für die Technik ist wichtig, daß Legierungen (intermetallische Verbindungen bzw. Mischkristalle) oft wertvollere Eigenschaften besitzen als die reinen Metalle (vgl. ζ. B. Kap. XXVII und XXXV).
XXXV. Technisches Eisen Gewinnung des Eisens. Das wichtigste Gebrauchsmetall des Menschen ist im Abendland seit mehreren Jahrtausenden das Eisen; erst in neuerer Zeit beginnt eine Neuentwicklung, indem die Leichtmetalle Aluminium und Magnesium sich immer neue Anwendungsgebiete erobern. In der Natur kommt das Eisen als Bestandteil außerordentlich vieler Mineralien vor. Für die technische Gewinnung werden jedoch nur die hochprozentigen Erze verwendet; wir nennen den Roteisenstein F e 2 0 3 und den in vielen Abarten vorkommenden Brauneisenstein, der im wesentlichen das Oxidhydroxid FeOOH, den Goethit (vgl. S. 256) enthält, ferner den Magnetit F e 3 0 4 (vgl. S. 226) und den Spateisenstein FeC0 3 . Deutschland führt die erforderlichen Erze aus dem Ausland ein. Bei der Herstellung von Eisen aus seinen Erzen handelt es sich praktisch immer um eine Reduktion von Oxiden. Als Reduktionsmittel benutzt man Kohlenstoff in Form von Koks 1 . Die Durchführung erfolgt im kontinuierlichen Prozeß in Hochöfen. Das sind große Schachtöfen, in die von oben ein Gemisch von Erz, Koks und Zuschlägen, der „Möller", eingeführt wird. Die Zuschläge, meist gebrannter Kalk CaO, haben den Zweck, die in den Erzen vorhandenen Silicate („Gangart") in eine niedriger schmelzende Schlacke überzuführen. Die chemischen Vorgänge im Hochofen. Im unteren Teil wird der Koks zu CO verbrannt, es bildet sich also „Generatorgas" (vgl. S. 170). Die dabei erzeugte Wärme heizt den Hochofen. Damit eine möglichst hohe Temperatur erreicht wird, erhitzt man die eingeblasene Luft in den sogenannten „Winderhitzern" vor. Die Vorgänge im Hochofen seien an Hand von 1
Kohle ist zu weich und würde im Hochofen zerdrückt werden; außerdem würden bei ihrer Erhitzung große Gasmengen frei.
Technisches Eisen
291
Gichtgas Beschickungsws
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1 Zone der indirekten Reduktion
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Zone der direkten I Reduktion
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Abb. 45. Zonen im Hochofen (schematisch) Abb. 45 besprochen. In der unteren, heißesten Zone erfolgt die „direkte Reduktion" nach der Bruttogleichung Fe x O + C = xFe + CO. 2 Tatsächlich erfolgt die Reduktion weitgehend durch CO; das dabei entstehende C 0 2 setzt sich aber nach der Bouäouard-Reaktion (vgl. S. 170f.) sofort mit dem Koks wieder zu CO um, so daß, wie es die Gleichung angibt, als Reduktionsmittel letzten Endes der Koks wirkt. Bei etwa 1000°C kommt die Bondouard-Reaktion wegen der großen Gasgeschwindigkeit und den dadurch bedingten kurzen Verweilzeiten praktisch zum Stillstand; in dem Temperaturgebiet zwischen 1000 und « 6 0 0 ° C erfolgt die „indirekte Reduktion" nach der schematischen Gleichung Fe x O + CO = xFe + C 0 2 . Die Reduktion eines Oxids durch CO ist nur dann möglich, wenn der Sauerstoffdissoziationsdruck des Oxids größer ist als der 0 2 -Partialdruck der Umsetzung 2 C 0 2 ^ 2 C 0 + 0 2 . Da der letztere nach dem Massenwirkungsgesetz dem Quotienten p%0Jp%0 proportional ist, läßt sich Eisenoxid nur dann reduzieren, wenn der Gehalt des Gases an CO größer ist, als der durch die soeben besprochene Beziehung gegebene Mindestwert; die den Hochofen verlassenden „Gichtgase" enthalten daher noch erhebliche Mengen an CO. Diese werden aufgefangen und als Heizgase für Gebläsemaschinen, Winderhitzer u. ä. verwendet. 2
χ liegt je nach den verwendeten Eisenerzen zwischen 0,75 (Fe 3 0 4 ) und 0,67 (Fe 2 0 3 ).
292
Technisches Eisen
Das gebildete Fe-Metall schmilzt in den unteren Teilen des Hochofens, und zwar bei einer viel tieferen Temperatur als dem Schmelzpunkt des reinen Eisens (1535°C) entspricht, weil es Kohlenstoff aufnimmt 3 (vgl. dazu Abb. 46, S. 295), wodurch die Schmelztemperatur um mehrere hundert Grad erniedrigt wird. Im untersten Teile des Hochofens sammelt sich schließlich das geschmolzene kohlenstoffhaltige Eisen und darüber die ebenfalls geschmolzene, spezifisch leichtere Schlacke an. Die letztere wird in kurzen Zeitintervallen abgelassen. Sie wird zum überwiegenden Teil als Stückschlacke beim Straßenbau verwendet. Stark Kalk-haltige Schlacken liefern nach dem Abschrecken mit Wasser und unter Zugabe von Portlandzement die Gruppe der Hüttenzemente (Eisenportlandzemente bis maximal 35% Hochofenschlacke, Hochofenzemente 36-85% Hochofenschlacke). Das Eisen selbst wird einige Male am Tage abgestochen und fließt entweder in Sandformen oder in große Behälter, in denen man es gleich zum Stahlofen bringt. Das aus dem Hochofen erhaltene Roheisen hat je nach dem verwendeten Erz und den Zuschlägen verschiedene Zusammensetzung und Eigenschaften. Für manche Zwecke (Gußeisen) kann es direkt verwendet werden. Für andere Zwecke stört jedoch, daß es zuviel C (Massenanteil etwa 4%) und schädliche Beimengungen wie Si, Ρ und S enthält. Für schmiedbares Eisen, „Stahl", müssen diese Beimengungen entfernt und der Kohlenstoffgehalt verringert werden, und zwar bis höchstens 1,5% (siehe den folgenden Abschnitt)4. Dies erreicht man durch die sogenannten „Frischverfahrenbei denen das flüssige Roheisen mit Luft behandelt wird. Dabei verbrennen die schädlichen Beimengungen und ein Teil des C zu Oxiden. Mit der Abnahme des C-Gehaltes steigt der Schmelzpunkt (vgl. Abb. 46, S. 295). Man gewann daher bei dem älteren „Puddelprozeßbei dem man noch nicht genügend hohe Temperaturen erreichte, das C-arme Eisen nicht in flüssiger Form, sondern in Stücken („Luppen"), die durch Schmiedepressen von der Schlacke befreit und zu größeren Blöcken vereinigt wurden („Schweißstahl"). Bei den späteren Verfahren erreicht man durch die rasche Verbrennung der Beimengungen wie Si, Ρ, Mn und C höhere Temperaturen, so daß man das C-arme Eisen in flüssigem Zustande erhält („Flußstahl"). Genannt sei das Bessemer- bzw. Thomas-Verfahren, das Siemens-Martin- und vor allem das LD-Verfahren. Bei den beiden erstgenannten Verfahren bläst man durch das in einem Birnen-artigen Gefäß befindliche flüssige Roheisen vom Boden her Luft 3
Für den Vorgang der Kohlung ist von Bedeutung, daß unter dem katalytischen Einfluß des feinverteilten Eisens CO bei mittleren Temperaturen z.T. in C + C 0 2 zerfällt (s. S. 170f.). 4 Baustähle haben einen Massenanteil von C < 0,6%, Werkzeugstähle bis etwa 1,5% C. Stähle mit nur einigen Zehntel % C sind leicht schmiedbar, aber nicht gut härtbar, für die Werkzeugstähle gilt das Umgekehrte.
Technisches Eisen
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(„Durchblasverfahren", „Windfrischen"). Durch die Verbrennungswärme, insbesondere von Si und P, wird dabei die Temperatur erhöht. Ist die Oxidation weit genug fortgeschritten, was schon nach 10 bis 20 Minuten der Fall ist, wird die Birne gekippt, so daß das flüssige Eisen herausfließt. Beim Bessemer-Verfahren ist die Birne mit einem Futter versehen, das überschüssiges Si0 2 enthält, während man beim ΓΑογπλϊ-Verfahren ein basisches, CaO und MgO enthaltendes Futter verwendet und dem flüssigen Eisen CaO zusetzt. Man kann auf diese Weise auch phosphorreiches (1,8 bis 2% P) Roheisen verarbeiten, weil die basischen Oxide das gebildete P 2 O s als Phosphat binden und so überhaupt erst eine Oxidation des mit dem Eisen verbundenen Phosphors ermöglichen. Man gewinnt so als Nebenprodukt in der „Thomasschlacke", eines aus Ca 3 (P0 4 ) 2 und Ca 2 Si0 4 aufgebauten Stoffes, ein Phosphorsäure-Düngemittel, das zwar im Gegensatz zum Superphosphat (vgl. S. 133) nicht in Wasser löslich ist, wohl aber in schwachen Pflanzensäuren. Die Windfrischverfahren eignen sich nicht für die Herstellung von hochwertigen Stählen. Sie haben ferner den Nachteil, daß sie keine Verwertung von „Schrott" gestatten. Mit den Siemens-Martin-Öfen wurde eine Arbeitsweise für die Herstellung hochwertiger Stähle unter gleichzeitiger Verwertung von Schrott entwickelt. Bei diesem Verfahren befindet sich das Roheisen in einer durch eine darüber streichende Gasflamme erhitzten Wanne mit saurer oder basischer Auskleidung. Zu diesem flüssigen Roheisen gibt man „Schrott", d. h. teilweise verrostetes, also oxidiertes Abfalleisen. Der im Schrott vorhandene Sauerstoff reagiert zusammen mit dem Sauerstoffüberschuß der Heizgase mit den schädlichen Verunreinigungen und einem Teil des Kohlenstoffs des Roheisens. Um die nötigen Temperaturen zu erzielen, müssen die Heizgase vorgeheizt werden, wozu man die Wärme der Abgase benutzt („Regenerativfeuerung"). Da bei diesem Verfahren der Entkohlungsprozeß nicht wie bei den Durchblasverfahren Minuten, sondern Stunden dauert, kann er laufend kontrolliert und gesteuert werden. Nach dem Ablassen wird durch Zugabe einer Fe-Si-Legiening („Ferrosilicium") oder Al die Schmelze „beruhigt", da sonst geringe Mengen FeO mit dem Kohlenstoff unter CO-Bildung nachreagieren. Vor etwa 30 Jahren ist eine Arbeitsweise entwickelt worden, die vor allem seit 1970 zum meist benutzten Verfahren zur Herstellung von hochwertigem Stahl geworden ist und alle anderen Verfahren weitgehend verdrängt hat, das Sauerstoff-Außlas- Verfahren. Da es in österreichischen Hütten (Linz und Donawitz) entwickelt worden ist, bezeichnet man es als LD-Verfahren; den nach dieser Methode hergestellten Stahl nennt man Oxygenstahl. Hier wird Sauerstoff durch eine gekühlte Freistrahldüse auf die Oberfläche des geschmolzenen Roheisens geblasen. Zur Kühlung wird diesem bis zu 20% Schrott zugesetzt. Da das Frischen ohne den Stickstoflballast, wie er in der
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Technisches Eisen
Luft vorhanden ist, erfolgt, ist die Wärmeausnutzung wesentlich besser. Auch die Investitions-Kosten und die Betriebskosten sind niedriger als beim Siemens-Mariin -Verfahren. Ein weiterer Vorteil des LD-Verfahrens liegt darin, daß durch die Mitwirkung der sich an der Oberfläche der Schmelze bildenden, sehr heißen und daher reaktionsfähigen FeO-haltigen Kalkschlacke der Phosphor entfernt wird, ehe der Kohlenstoff restlos verbrannt ist, während beim Thomasverfahren der Phosphor erst nach dem Kohlenstoff verbrennt, so daß am Schluß des Blasens zur Aufkohlung „Spiegeleisen" (eine kohlenstoffreiche Fe/Mn-Legierung) zugegeben werden muß. Man erhält nach dem Sauerstoff-Aufblasverfahren Stähle, die den SiemensMartin-Stählen gleichwertig sind. Stähle mit Zusätzen an Mn, Ni, Cr, Mo, W, V, Ti, „legierte Stähle", werden in Elektroofen (Lichtbogen- oder Induktionsöfen) erschmolzen. Man kann auch im fertig geformten Gegenstand den Kohlenstoffgehalt noch ändern. So erhöht man ihn in geschmiedeten Gegenständen, also kohlenstoffarmem Eisen, durch Erhitzen in Holzkohlepulver („Zementstahl"). Andererseits kann man kleine Gußeisengegenstände durch Erhitzen in Eisenoxidpulver („Tempern") in kohlenstoffarmeres, schmiedbares Eisen überführen („Einsatzhärten"). Gelegentlich braucht man für technische Zwecke - z.B. für Magnete reines, kohlenstofffreies Eisen. Man erhält es entweder durch Elektrolyse aus wässerigen Lösungen („Elektrolyteisen") oder durch thermische Zersetzung von Eisencarbonyl Fe(CO)s. Diese Verbindung (vgl. S. 272) gewinnt man, indem man Kohlenoxid unter Druck bei 150 bis 200 °C auf fein verteiltes Eisen einwirken läßt. Das Eisen/Kohlenstoff-Diagramm. Ein Teil des für die Technik außerordentlich wichtigen Eisen/Kohlenstoff-Diagrammes ist in Abb. 46 dargestellt. Nicht berücksichtigt ist die a-/?-Umwandlung bei 768 °C (Übergang des ferromagnetischen in das paramagnetische Eisen), da sich dabei die Kristallstruktur nicht ändert, also keine neue Phase gebildet wird, a- und