Anerkennung 9783506768391


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Anerkennung
 9783506768391

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SCHÄFER / THOMPSON (HRSG.) ANERKENNUNG

Pädagogik – Perspektiven

FERDINAND SCHÖNINGH PADERBORN · MÜNCHEN · WIEN · ZÜRICH

ALFRED SCHÄFER / CHRISTIANE THOMPSON (HRSG.)

ANERKENNUNG

FERDINAND SCHÖNINGH PADERBORN · MÜNCHEN · WIEN · ZÜRICH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung: Anna Braungart, Tübingen Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ! ∞ ISO 9706 © 2010 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN 978-3-506-76839-1

Inhaltsverzeichnis Anerkennung – eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Schäfer, Christiane Thompson

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Ein „Selbst“ durch andere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Anerkennungsdenken nach Honneth . . . . . . . . . . . Herausforderungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . Zu den Beiträgen des Bandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anerkennung als pädagogisches Problem – Markierungen im erziehungswissenschaftlichen Diskurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Balzer, Norbert Ricken

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I. II. III. IV.

I. Ein diskursiver Streifzug: Bedeutungsfacetten von Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eine moralische Praxis: Anerkennung als ethische Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eine kulturelle Praxis: Anerkennung als Differenzund Partizipationsproblematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eine paradoxe Praxis: Anerkennung als Konstitutionsund Machtproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Eine Dimension von Praktiken: Anerkennung als Adressierungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennung als erziehungswissenschaftliche Referenz? Herrschaftskritische und identitätsskeptische Anmerkungen María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril

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I. Pädagogischer Sinn der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Kritik der Anerkennung aus postkolonialer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Die Unbestimmtheit der Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IV. Prekäre Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

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INHALTSVERZEICHNIS

Anerkennung ist nicht Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Isabell Diehm I. Die Ambivelenz der Toleranz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Der Wandel des Toleranzverständnisses unter anerkennungs- und identitätspolitischen Vorzeichen . . . 128 III. Schlussfolgerungen für die Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . 130 Anerkennung und Verachtung Gegensatz, Komplementarität und Verquickung. . . . . . . . . . . . 141 Burkhard Liebsch I. Das (moralische) Gesicht des Anderen zwischen Verachtung und Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Von der (verrechtlichten) Anerkennung zur Verachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anerkannt und dennoch verachtet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verachtung der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Von der Verachtung (zurück) zur Anerkennung . . . . . . .

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Autorinnen und Autoren des Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Anerkennung – eine Einleitung ALFRED SCHÄFER | CHRISTIANE THOMPSON In seiner Forschung zu Entwicklungsprozessen von Heimkindern beobachtete der Säuglingsforscher und Kinderpsychologe René Spitz (1945) ein eigenartiges Krankheitsbild, das sich nicht durch medizinische oder hygienische Bedingungen erklären ließ. Bei vorhandener Nahrungsversorgung und medizinischer Überwachung stellte Spitz fest, dass die kleinen Kinder im Rahmen der institutionellen Pflege kaum Kontakt und Zuwendung erfuhren. Die Säuglinge waren abgeschirmt in ihren Betten untergebracht und wurden mechanisch durch befestigte Flaschen ernährt. Spitz dokumentierte die dramatischen Konsequenzen, welche das Fehlen sozialer und emotionaler Bindung für diese Kinder mit sich brachte. Die Kinder lagen oder saßen „mit weit geöffneten, ausdruckslosen Augen da […], mit erstarrtem, unbeweglichem Gesicht und abwesendem Ausdruck, wie in einer Betäubung“ (Spitz 2005, S. 281). Dem resignativen Verhalten folgten bald physische Verfallserscheinungen, wie z.B. der Verlust der Augenkoordination, Infekte und Entwicklungsstillstand. Fast ein Drittel der untersuchten Kinder starb im ersten Lebensjahr; die meisten Kinder im Rahmen der Untersuchung von Spitz konnten im Alter von 4 Jahren weder sitzen noch stehen oder gehen. Dieses als „Hospitalismus“ bekannt gewordene Phänomen zeigt eindrücklich, dass Menschen sich ohne soziale Beziehungen nicht entwickeln, dass sie ohne diese nicht existieren können. Menschen kommen zwar als Einzelwesen auf die Welt; sie leben aber zunächst in einem symbiotischen Zustand mit ihrer Bezugsperson und bauen erst im Lichte dieser Anerkennung oder dieses Angenommen-Seins allmählich ein Verhältnis zu sich und zur Welt auf. Es sind die sozialen Interaktionen mit der Mutter und die affektive Abgestimmtheit mit ihr, durch die für das kleine Kind etwas gegenständlich werden kann und es selbst für sich erfahrbar wird. Dass wir erst wir selbst durch und mit anderen werden können, dass unser Verhältnis zu uns selbst nicht unabhängig, sondern abhängig vom anderen gedacht werden muss, mag auf den ersten Blick

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irritieren, da wir uns angewöhnt haben, uns von unserem Einzeldasein her zu denken: als Individuen mit charakterlichen Besonderheiten und besonderem Geschmack, aber auch mit eigenen Beurteilungsmaßstäben und Vorstellungswelten. Dies kann man als Erbe des neuzeitlichen Denkens begreifen, in dem das Ich oder das Subjekt zum ursprünglichen Prinzip des Wollens und Handelns wurde. In einer solchen Sichtweise werden Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu zentralen Voraussetzungen des Selbstverständnisses. Mit dem Zerbrechen einer auf Gott gegründeten sozialen Ordnung entwickelte sich das Verständnis, dass der Mensch ein Wesen ist, dessen Geschick in seinen eigenen Händen liegt. Die natürliche und die soziale Welt haben nun keine vorgegebene Ordnung mehr; sie müssen von den Menschen selbst gestaltet werden. Auch wenn diesbezüglich Sorgen um die Möglichkeiten eines ‚endlichen‘ Menschen entstehen, wenn Irrtümer und Fehler befürchtet werden müssen, so blieb doch keine Alternative: Die Frage nach einer gültigen Erkenntnis der Welt, nach einer vernünftigen Gestaltung sozialer Verhältnisse und nach dem Ort der Individuen in einer solchen Ordnung musste nun von den Menschen selbst beantwortet werden. Der Mensch beginnt so, sich als Ausgangspunkt für die Erkenntnis der Welt, für die Gestaltung von Welt und seine eigene Rolle darin zu sehen: Dies bildet zum einen die Voraussetzung für die moderne Naturerkenntnis ebenso wie für die Perspektive auf eine technische Beherrschung der Welt. Dies ist aber zum anderen auch die Voraussetzung für die Begründung einer Ethik auf der Grundlage von Autonomie1 und damit der Möglichkeit, verantwortbare Entscheidungen im ausschließlich eigenen Namen zu treffen. ‚Autonomie‘ bedeutet Unabhängigkeit von anderen; auch wenn deren Meinung zur Kenntnis genommen werden kann, so ist doch gefordert, sich zu dieser noch einmal selbständig zu verhalten, sich von ihrer Macht zu befreien. Das subjektzentrierte Denken ist stark in den Alltagsverstand der westlichen Zivilisation eingedrungen. Die Zurechnung einer indivi1

„Autonomie“ stammt aus dem Altgriechischen. Es bedeutet wörtlich „Selbstgesetzgebung“. Im antiken Griechenland war damit die – aus bündnispolitischen Gründen prekäre – Freiheit eines Gemeinwesens gemeint, nicht unter von außen vorgegebenen Verordnungen zu existieren, sondern eigens die Gesetze der Polis bestimmen zu können. In der praktischen Philosophie der Neuzeit, genauer bei Kant erhält die „Autonomie“ als Freiheit, seinen Willen der Vernunft zu unterstellen, eine Schlüsselstellung; denn ohne die Annahme dieser Freiheit ist es kaum sinnvoll, über Verantwortung, Schuld oder moralische Pflicht nachzudenken. Für die Entwicklung des Autonomiekonzepts vgl. Meyer-Drawe 1990 und 1998.

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duellen Verantwortlichkeit strukturiert die sozialen Beziehungen. Schüler müssen lernen, dass sie als Individuum – und nur sie – für ihre Leistungen verantwortlich sind. Die Organisation der Biographie – die Entscheidungen über berufliche Karrieren, über private Beziehungen usw. – gilt als eine individuelle Angelegenheit, eine Angelegenheit, für die man selbst verantwortlich zeichnet. Es scheint kaum ein soziales Phänomen zu geben, das nicht letztlich auf individuelle Verantwortlichkeiten und damit letztlich auf ‚Autonomie‘ zurückbezogen werden kann. Es ist daher eine Selbstverständlichkeit für uns, nach Verantwortlichen und Schuldigen zu fragen, wenn etwas schief läuft. Und selbst dann, wenn wir den Verkehr für unsere Verspätung verantwortlich machen wollen, so tun wir dies eben, weil wir die Notwendigkeit empfinden, Rechenschaft über unsere Verantwortlichkeiten abzugeben. Behinderungen wie jene durch den Verkehr erhalten ihren Status als ‚Behinderung‘ gerade deshalb, weil wir ‚normalerweise‘ ja über uns in unterschiedlichen Situationen souverän verfügen. „Autonomie“ ist zuletzt die Voraussetzung dafür, dass wir Verträge eingehen können oder als zurechnungs- und schuldfähig gelten. Wer einen Arbeits-, einen Kauf- oder einen Sozialvertrag unterzeichnet, tut dies als selbständiges, als freies, nicht von anderen abhängiges Individuum. In ganz unterschiedlichen philosophischen, pädagogischen und psychologischen Diskursen des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine zunehmende Kritik am subjektzentrierten Denken und die oben geschilderten Beobachtungen von Spitz lassen sich in eben diesem Sinn verstehen. Es wurde darauf verwiesen, dass Menschen nicht als selbständige auf die Welt kommen, dass also ihre in sozialen Beziehungen verstrickte Entwicklung berücksichtigt werden muss; zugleich wurde betont, dass diese soziale Eingebundenheit nicht nur eine emotionale ist, sondern dass sie auch die Übernahme von (historisch veränderlichen) Denkweisen bedeutet. Diese machen es sehr schwierig, sich ein ‚autonomes‘ Urteil in jenem starken Sinne vorzustellen, nach dem man nur ‚im eigenen Namen‘ spricht. Möglicherweise liegt man also ganz falsch damit, das Subjekt als Zentrum von Sinngebung und als Handlungsursprung zu denken. Existieren wir nicht vielmehr so, dass wir verwoben sind in eine soziale Welt und wir erst aus dieser Verwobenheit Sinn gewinnen und Handlungsanlässe generieren? Das würde bedeuten, dass Sozialität nicht ein äußerliches Beieinandersein mehrerer Individuen ist, sondern dass sie als Voraussetzung zu denken ist, durch die Einzelne erst zu Individuen werden – eine Voraussetzung, von der man sich möglicherweise nicht (zumindest nicht vollständig) lösen kann.

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Dieser Gedanke wird im weiteren Verlauf ausführlicher zu erörtern sein. An dieser Stelle sind zunächst zwei Aspekte festzuhalten: Der erste wäre der, dass es sich bei „Autonomie“ um eine Vorstellung, ein Konstrukt handelt, das offensichtlich eine große Bedeutung für unser Zusammenleben besitzt und an dem wir uns orientieren. Daraus kann für sich aber nicht gefolgert werden, dass Autonomie die Realität unserer individuellen Existenz darstellt. Nach dem Gesagten stellt sich die Autonomie eher als Problem oder besser Forderung dar, die sich ergibt, weil wir immer schon als soziale Wesen und d.h. in Bindungen und Abhängigkeiten existieren. Ein Problem und eine Forderung stellt die ‚Autonomie‘ dabei vielleicht nicht zuletzt deshalb dar, weil sie sozial gefordert ist. Das selbstverantwortliche Subjekt erscheint als das, was sozial erwartet wird: als eine soziale Norm, die für die Funktionsfähigkeit der sozialen Ordnung für notwendig gehalten wird. Mit der philosophischen und wissenschaftlichen Einsicht in die konstitutive und systematische Bedeutung von Sozialität für die menschliche Existenz wurde es – zweitens – nötig, dass die sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlichen Diskurse eine andere Sprache entwickelten – eine Sprache, die sich vom Subjektzentrismus löst und die das Soziale nicht nur als normatives Gegenüber des auf sich gestellten Subjekts konzipiert. Eine solche Sprache muss das Verhältnis von Subjektivität und gesellschaftlicher Wirklichkeit, von Sozialität und subjektiver Identität anders artikulieren. In ihr wird sich die Entstehungsgeschichte des individuellen Subjekts kaum trennen lassen von Prozessen sozialer Einbindung und das heißt auch: von Abhängigkeitsverhältnissen. An dieser Stelle könnte auf die große Dezentrierungsbewegung des autonomen Subjekts durch die Psychoanalyse oder die kritische Gesellschaftstheorie verwiesen werden. Von Beginn an untersuchte die Psychoanalyse die Entstehung des kindlichen Selbstverhältnisses in Abhängigkeit von sozialen Beziehungen, vom Wechselspiel von Wünschen, Erwartungen und Versagungen. Dabei zeigt sich die Möglichkeit dieses Verhältnisses zu sich selbst als Resultat dieser sozialen Beziehungen, als von diesen niemals unabhängig. Jede rationale Selbstverständigung über sich und die Welt wird von diesen ‚Beziehungsgeschichten‘, ihren positiv wie negativ erlebten und verarbeiteten Niederschlägen, grundiert. Jeder Versuch einer autonomen und vernünftig-rationalen Selbstvergewisserung bleibt auf diesen ‚über-determinierenden‘ Grund verwiesen: Es ist schwierig, sich seiner ‚Rationalität‘ zu versichern, weil sie auf Sozialbeziehungen aufruht, deren Bedeutung sich vom Individuum letztlich nicht einholen lässt. Aktuelle, inter-

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subjektiv orientierte Ansätze wie etwa die Objektbeziehungstheorie (vgl. Eagle 1988) führen diese sozialtheoretischen Einsichten weiter. Im Folgenden soll der amerikanische Pragmatismus näher erörtert werden – genauer die sozialtheoretische Position George Herbert Meads, die seit ca. 40 Jahren einen großen Einfluss auf die Sozial- und Erziehungswissenschaften ausübt und die zugleich einen wichtigen Bezugspunkt für die aktuelle Diskussion um die Bedeutung der Anerkennung liefert. An der Position Meads lässt sich die soziale Verfasstheit menschlichen Existierens beispielhaft erläutern (I.). Von hier aus wird es dann möglich, den Anerkennungsgedanken zu entfalten (II.). Zu diesem Zweck greifen wir auf die viel beachtete Anerkennungstheorie Axel Honneths zurück. Dieser theoretische Ansatz gibt uns auch die Gelegenheit, die Probleme und Herausforderungen zu entfalten, mit denen das Anerkennungsdenken konfrontiert ist (III.) und die an dieser Stelle nur genannt werden sollen: Interpretativität des Sozialen, das Machtproblem, Differenz und Alterität in der Anerkennung. Im letzten Abschnitt wird ein Überblick über die Beiträge des Bandes gegeben (IV.).

I. Ein „Selbst“ durch andere „Die Untersuchung des Sprachprozesses – seiner Ursprünge und Entwicklung – ist ein Gebiet der Sozialpsychologie, weil er nur im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhaltensprozesse innerhalb einer Gruppe sich gegenseitig beeinflussender Organismen verstanden werden kann; weil er eine der Aktivitäten einer solchen Gruppe ist. Der Philologe bedient sich jedoch oft der Perspektive des Gefangenen in einer Zelle. Der Gefangene weiß, daß sich andere in der gleichen Situation befinden, und möchte mit ihnen Kontakt aufnehmen. So erfindet er eine Kommunikationsmethode, irgendeine willkürliche Angelegenheit, vielleicht das Klopfen an der Mauer. Nach dieser Ansicht ist jeder von uns in seiner eigenen Bewusstseinszelle eingeschlossen“ (Mead 1973, S. 44f.). Dieses Zitat aus Meads Vorlesung „Geist, Identität und Gesellschaft“2 führt unmittelbar in das Zentrum seiner Sozialtheorie. Im zweiten Teil des Zitats gibt Mead die Position der „Philologen“ wieder; tatsächlich bestimmt diese Auffassung über weite Strecken unsere alltäglichen Verständigungen über Sprache und Denken. Das Sprechen und Nachdenken halten 2

Es handelt sich um eine Vorlesung von Mead, die uns durch Vorlesungsmitschriften des Studierenden Ch. Morris erhalten geblieben sind.

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wir zunächst einmal für unsere Privatsache. Wir stellen uns vor, dass wir eigene Vorstellungen entwickeln, die wir im Rahmen von Kommunikation an andere übermitteln können. Dies ist, was Mead mit dem Bild des Gefängnisses meint: ein eingeschlossenes, für sich existierendes Bewusstsein, das mit seinen Vorstellungen einen Weg nach draußen finden müsste, um mit den anderen in Kontakt zu kommen. Nach Mead verhält es sich anders mit der Sprache und mit dem Denken. Nach seiner Auffassung handelt es sich beim Sprechen um gesellschaftliche Verhaltensprozesse innerhalb einer Gruppe sich gegenseitig beeinflussender Organismen. Zur Erläuterung dieses Gedankens wendet sich Mead den Gesten zu, die für ihn eine grundlegende Bedeutung haben. In einer Geste kommt eine Haltung zum Ausdruck, die auf Reaktionen der an dieser Situation beteiligten Individuen ausgerichtet ist: Jemand betritt das Büro seines Kollegen und wird von diesem mit einer Geste aufgefordert, Platz zu nehmen. Anstatt das Sitzangebot auf einen Akt des Bewusstseins zurückzuführen – der Kollege stellt sich vor, dass die eingetretene Person sitzen möchte, zieht Schlussfolgerungen und setzt diese in eine Aufforderung um... –, stellt Mead die Haltung des Gastgebers heraus, die im Moment der Geste präsent wird und die eine Verbindung zwischen den Interaktionspartnern stiftet: Der Hereinkommende bedankt sich Platz nehmend und nimmt so seinerseits am gesellschaftlichen Handeln um Höflichkeit teil. Gesten und Sprache sind demnach nach Mead Medien, durch die Interaktionspartner mit anderen, aber auch mit sich selbst vermittelt sind: Gesten und sprachliche Mitteilungen haben symbolischen Charakter. Symbole „lösen“ in der Person selbst die Reaktionen „aus“, die sie beim anderen hervorbringen wollen: Man nimmt die Haltung ein, die man anzunehmen hätte als Gegenüber. Ein verdeutlichendes Beispiel hierfür wäre: Ein Mann, der als Beifahrer seiner Frau soeben Hinweise zum Einparken gegeben hat, kann sich kaum beherrschen, das Steuer nicht an sich zu bringen. Die symbolische Bedeutung der Situation liegt darin, dass sie als solche in beiden Situationsteilnehmern die gleiche Reaktion auslöst. Nach Mead gibt es ohne symbolische Interaktion keinen Weg, sich als Individuum zu erfahren, da es ohne Interaktionen nichts gäbe, worauf es sich beziehen könnte.3 Die Koordination über symbolische Gesten und Sprache stellt Mead sich als einen praktischen Prozess 3

Auch Denkvorgänge, Monologe „im stillen Kämmerlein“ etc. stellen nach Mead Interaktionen dar, die lediglich Abstraktion oder Verallgemeinerung erfahren haben.

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vor. In diesem lernt das Individuum, in sich die adäquaten Reaktionen auszulösen, was die praktische Voraussetzung dafür ist, an der sozialen Interaktion teilnehmen zu können. Dieses ‚Auslösen der adäquaten, weil gleichen Reaktionen‘ wird also nicht nach der Art eines ‚inneren Reflexionsprozesses‘ vorgestellt. Mead geht nicht davon aus, dass das Individuum erst einmal – in einer Distanzierung der Situation – abwägt, was das alles zu bedeuten habe und wie man etwa mit Hilfe allgemeiner Maßstäbe sich zu verhalten habe. In der Vorlesung findet sich hierzu die folgende Äußerung: „Was wir sagen und was wir tun werden, finden wir heraus, indem wir etwas sagen und etwas tun“ (Mead 1973, S. 183). Als gesellschaftliches Wesen zu existieren schließt demnach ein, zu sich nur einen Zugang über die Symbole, über die anderen zu finden. Folgerichtig ist dann, dass Mead die Konstitution von Identität oder vielleicht besser: von Selbstbewusstsein als einen Vorgang konzipiert, in dem die Individuen lernen, die Perspektiven der anderen auf die Situation und auf sich einzunehmen; denn dies allein ermöglicht ihnen, für sich Objekt zu sein, sich selbst anzuschauen und darin zu erfassen: „[E]r wird für sich selber nur zum Objekt, indem er die Haltungen, anderer Individuen gegenüber sich selbst innerhalb einer gesellschaftlichen Umwelt oder eines Erfahrungs- und Verhaltenskontextes einnimmt, in den er ebenso wie die anderen eingeschaltet ist“ (Mead 1973, S. 180). Sich selbst zu reflektieren, sich zum ‚Gegenstand‘ zu machen, ist nach Mead nur durch die Übernahme der Perspektiven der anderen möglich. Im weiteren Verlauf seiner Überlegungen rekonstruiert Mead den genetischen Verlauf der Perspektivenübernahme, der hier nur kurz wiedergegeben werden kann. Ein wichtiger Schritt hin zur Entwicklung von Identität bzw. Selbstbewusstsein sieht Mead darin, dass Kinder beim Spielen mit mehreren Rollen hantieren. Indem ein Kind z.B. die Rolle des Vaters einnimmt, der dem Kind den übermäßigen Verzehr von Süßigkeiten verbietet, lernt das Kind die Reaktionen zu organisieren, die es bei anderen und bei sich hervorruft. Während beim Rollenspiel der Wechsel einzelner Rollen zeitlich aufeinanderfolgt, muss das Kind dann im Wettkampf bereit sein, die Haltung aller Teilnehmer zugleich zu übernehmen, da es sonst nicht erfolgreich spielen kann.4 Dies ist ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung der Perspektivenübernahme. In einem dritten Schritt tritt das Individuum 4

Man denke an das Kind beim Versteckspiel, das sich in der Begeisterung über ein tolles Versteck vor den Augen des suchenden Mitspielers dorthin begibt.

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schließlich dem verallgemeinerten Anderen gegenüber, der auf der Haltung der Gemeinschaft beruht, in der der Einzelne Mitglied ist (z.B. im Klassenzimmer). Hier spielt Mead im Unterschied zum Wettkampf auf weiter gespannte Tätigkeitsfelder an, in die das Individuum sich einflicht, um sein Selbstbewusstsein zu entfalten, indem es sich als Teil einer allgemeinen Einheit zu verstehen lernt. Meads Vorstellung von Identität ist allerdings nicht einfach nur als zunehmender Prozess der Vergesellschaftung zu verstehen. Es werden nicht nur immer neue und komplexere Perspektiven übernommen und angereichert. Das Individuum hat zwar immer wieder die Sicht der anderen auf sich einzunehmen – dies nennt Mead „me“ –, aber es verhält sich zu diesen Perspektiven spontan in einer (auch für es selbst) unvorhersehbaren Weise – dies nennt Mead „I“. In der symbolischen Interaktion wird nicht nur die Perspektive der anderen übernommen, sondern diese Übernahme wie auch die Reaktion darauf enthält für Mead immer auch spontane Anteile – ‚Subjektivität‘. Es handelt sich allerdings um eine Subjektivität, die sich entzieht: Beim Versuch, sie zu fassen, verwandelt sich diese Spontaneität in ein ‚me‘, in ein symbolisch, d.h. durch die Übernahme der Perspektiven der anderen Erschlossenes: in das, was sie als Spontaneität gerade nicht ist. Bei aller Logik der Verallgemeinerung und Bestimmtheit durch die Gemeinschaften, in denen Interaktionen stattfinden, geht Mead daher bei der Identitätsentwicklung – und überhaupt beim gesellschaftlichen Handeln – von dynamischen, im Fluss befindlichen Prozessen aus, in denen sich Sozialität und Subjektivität in einer produktiven Wechselseitigkeit zeigen. Die von Mead entwickelte sozialtheoretische Perspektive auf die menschliche Existenz und die Entwicklung des Selbstbewusstseins liefert einen wichtigen Rahmen, um die Bedingungen und die Bedeutung von „Anerkennung“ darzulegen. Dies soll im Folgenden im Zusammenhang des Anerkennungsdenkens Axel Honneths geschehen.

II. Zum Anerkennungsdenken nach Honneth Der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth (geb. 1949) hat sich in zahlreichen Arbeiten mit dem sozialen Phänomen der Anerkennung befasst. Die entscheidende Publikation und Ausgangspunkt für weitere Reflexionen5 ist Honneths Buch „Kampf um Anerken5

Obgleich Honneth seine Überlegungen weiterentwickelt und z.T. sogar revidiert hat, erscheint es uns sinnvoll, das Terrain ausgehend von „Kampf um Anerken-

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nung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte“, das erstmals 1992 im Suhrkamp Verlag erschien. Honneth arbeitet ein intersubjektivitätstheoretisches Personenkonzept aus, in dem eine gelingende Identität sich sozialen Beziehungen und der in ihnen artikulierten Qualität von Anerkennungsverhältnissen verdankt. Es ist diese Qualität der Anerkennung, von der das Gelingen oder Misslingen, Glück und Leid des Selbstverhältnisses abhängen. Ein maßgeblicher theoretischer Referenzhorizont ist dabei die sozialpsychologische Position Meads, die – so Honneth – den Gedanken entwickle, dass die menschlichen Subjekte ihre Identität der Erfahrung einer intersubjektiven Anerkennung verdanken würden. Den Bezug der Meadschen Position auf den Anerkennungsgedanken stellt Honneth her, indem er darauf hinweist, dass die Herausbildung von Identität bzw. Selbstbewusstsein nach Mead keine rein epistemische Angelegenheit im Sinne des Kennenlernens der Perspektiven der anderen auf mich ist (vgl. Honneth 1994, S. 122ff.). Um es am zuvor genannten „Wettkampf“ zu verdeutlichen, in dem das Kind die Perspektive aller Beteiligten auf es einnehmen muss: Nach Honneth lassen sich die Anforderungen des Wettkampfes nicht erschöpfend im Sinne eines Wissens erfassen. Vielmehr ist ein ganz wesentlicher Bestandteil im Wettkampf der, dass die Teilnehmenden die an sie gerichteten normativen Erwartungen, z.B. nicht zu foulen, berücksichtigen. In den Worten Honneths: Die „Verhaltensreaktionen, mit der ein Subjekt in Stellvertretung seines Interaktionspartners auf sich selber einzuwirken versucht, [enthalten] die normativen Erwartungshaltungen seiner persönlichen Umwelt“ (vgl. ebd.). Nimmt man die normative Dimension in der Perspektivenübernahme hinzu, dann meint der Verallgemeinerungsprozess, den Mead im Rahmen der Entwicklung von Identität skizziert, die „abstrakte Fähigkeit, an den normativ geregelten Interaktionen seiner Umwelt teilnehmen zu können; denn jene verinnerlichten Normen sagen ihm sowohl, welche Erwartungen es an alle anderen legitimerweise richten darf, als auch, welche Verpflichtungen es ihnen gegenüber berechtigterweise zu erfüllen hat“ (ebd., S. 125). Richtet man den Fokus auf die normative Dimension, kommen Verpflichtung und Akzeptanz innerhalb des gesellschaftlichen Handelns in den Blick und damit zugleich die Möglichkeit der Individuen „selbst als nung“ zu entfalten, da es einen in der Diskussion nach wie vor zentralen Anknüpfungspunkt darstellt (vgl. Honneth 2002). – Nicole Balzer und Norbert Ricken nehmen in ihrem Beitrag eine umfassende Vermessung des Anerkennungskonzepts im Alltags- wie im wissenschaftlichen Diskurs vor.

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ein Mitglied ihres sozialen Kooperationszusammenhangs anerkannt“ zu werden (ebd., S. 126). Die Teilhabe am gesellschaftlichen Handeln enthält nach Auffassung Meads bzw. Honneths die Möglichkeit für die Individuen, in eine Auseinandersetzung mit den normativen Erwartungen und Werten einzutreten und sich selbst dadurch als eine respektable Person zu erfahren; „denn nur im Horizont dieser gemeinsam geteilten Werte vermag es sich als eine Person zu begreifen, die sich von allen anderen dadurch unterscheidet, dass sie einen als einzigartig anerkannten Beitrag zum gesellschaftlichen Lebensprozess erbringt“ (ebd., S. 140). Die Teilhabe am gesellschaftlichen Handeln ermöglicht den Individuen nicht nur, sich selbst ansichtig zu werden, indem sie sich auf sich als soziales Objekt beziehen; vielmehr führt die normative Durchdringung des gesellschaftlichen Handelns dazu, dass sich Individuen durch den Einbezug in dieses Handeln als moralische Wesen erfahren, so dass ihnen Anerkennung, d.h. Akzeptanz von anderen, aber auch Selbstachtung, zuteil werden kann.6 Ein Beispiel könnte das konsequente „fair play“ eines Mitspielers beim Fußballspiel sein, durch das dieser das Vertrauen seiner Mannschaftskameraden gewinnt und zum „Kapitän“ gewählt wird. In diesem Akt der Anerkennung sind Rechte und Pflichten des neu bestimmten Kapitäns enthalten, die nicht zuletzt mit normativen Erwartungen zu tun haben (z.B. für den Zusammenhalt der Mannschaft zu sorgen). Die Einsetzung als Mannschaftskapitän bringt neben der Akzeptanz seitens der Mitspieler aber auch „Selbstachtung“ für den Kapitän mit sich. Im weiteren Verlauf seiner Überlegungen differenziert Honneth drei Sphären der Interaktion aus, die auf unterschiedliche Muster oder Formen der Anerkennung verweisen (ebd., S. 152ff.). Die erste Sphäre richtet sich auf emotionale und affektive Sozialbeziehungen, auf Liebe. Diese Beziehungen sind darauf ausgerichtet, dass die beteiligten Individuen als „bedürftige Wesen“ (ebd., S. 153) anerkannt werden. Die Anerkennung dieser Bedürftigkeit ist gerade bei den Heimkindern, die René Spitz untersucht hat, ausgeblieben: Ohne die emotionale Akzeptanz und Zuwendung gab es keinen Anhalt für die Säuglinge und Kleinkinder, ihre Erlebnisse zu zentrieren bzw. 6

Honneths Argumentation im Anschluss an Mead läuft nicht darauf hinaus, dass im Vorgang der Anerkennung das Individuum in die normativen Horizonte des gesellschaftlichen Prozesses einfach integriert würde. Unter Rückbezug auf das spontane und gesellschaftlich uneinholbare „I“ sucht Honneth aufzuzeigen, dass diese Vorgänge konfliktbehaftet sind und dass erst die Spontaneität des „I“ die Möglichkeit für eine moralische Entwicklung der Gesellschaft enthält.

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zu koordinieren und damit einen Zugang zu sich als körperlichen und geistigen Wesen zu entwickeln.7 Das zweite Muster der Anerkennung bezieht sich auf Rechtsverhältnisse und ist – anders als Liebe – auf Allgemeinheit angelegt. Es beruht darauf, dass die Individuen sich dem gleichen Gesetz unterstellen, sich so als Gleiche ansehen: als Rechtssubjekte. Rechtssubjekt zu sein bedeutet, Ansprüche stellen zu können, die von den anderen akzeptiert werden, was den Individuen wiederum die Erfahrung der Achtung ermöglicht.8 Auch hier knüpft Honneth die Bedingungen der Anerkennbarkeit an den Einbezug in das gesellschaftliche Handeln: Als Träger von Rechten können wir uns nur dann begreifen, wenn wir „ein Wissen darüber besitzen, welche normativen Verpflichtungen wir dem jeweils anderen gegenüber einzuhalten haben“ (ebd., S. 174). Das dritte Anerkennungsmuster, die soziale Wertschätzung, bezieht sich auf das „kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft“, eine „Wertegemeinschaft“ (ebd., S. 198), die einen Bezugsrahmen liefert, Eigenschaften und Verhaltensweisen der Individuen als wertvoll, verwerflich etc. anzusehen.9 Eine Interessengemeinschaft, die sich beispielsweise für die Befreiung Tibets einsetzt, impliziert für die daran teilhabenden Individuen, dass sie sich und ihre jeweiligen Leistungen für die Gruppe – Informationsmaterial bereitstellen, Veranstaltungen organisieren etc. – im Lichte der gemeinsamen Zielsetzungen als wertvoll erkennen und anerkennen. Diese symmetrische Wertschätzung nennt Honneth auch Solidarität. Den drei Anerkennungsformen entsprechen drei Gruppen von Missachtungserfahrungen: Misshandlungen und Vergewaltigungen 7

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In einem gelungenen Anerkennungsverhältnis wird demgegenüber nach Honneth produktiv eine Spannung ausgetragen – und zwar zwischen „symbiotischer Selbstpreisgabe“ und „individueller Selbstbehauptung“. Die Selbständigkeit des Subjekts entstehe – gerade auch in der primären Sozialbeziehung zwischen Mutter und Kind – durch die Sicherheit der geliebten Person, auf die Zuwendung des anderen zählen zu können und sich im Rückbezug für sich selber öffnen zu können (vgl. ebd., S. 170). Vor diesem Hintergrund wird die mehrfache Missachtung deutlich, die im Machtmissbrauch gegenüber Unterlegenen bzw. Anvertrauten liegt. Diese Personen werden nicht nur in ihrer physischen oder psychischen Integrität verletzt. Mit ihrem Zögern, wegen der erlittenen Verletzung oder Schädigung legitime Ansprüche zu stellen, bleibt ihnen die damit verbundene Achtung und Selbstachtung vorenthalten. Honneth stellt allerdings vor dem Hintergrund der Pluralisierung von Lebensformen heraus, dass in modernen Gesellschaften nicht von homogenen kulturellen Orientierungshorizonten auszugehen sei, sondern ein permanenter Kampf herrsche, die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften als allgemeinverbindlich auszuweisen (ebd.: 205f.).

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verletzen die physische und psychische Integrität des Individuums; in der Entrechtung und Ausschließung wird dem Individuum seine moralische Zurechnungsfähigkeit abgesprochen; Akte der Beleidigung und Entwürdigung implizieren den Verlust an persönlicher Wertschätzung. Der Rekurs auf die verschiedenen Modi der Missachtung vermag Honneths Anliegen einmal mehr verdeutlichen – nämlich zu zeigen, dass Anerkennung unverzichtbar ist, damit Individuen in ein positives Verhältnis zu sich gelangen können. Für Honneth wird Anerkennung ein moralisches Gut; ihr Fehlen führt unweigerlich zu individuellen wie sozialen Problemen und Leidenserfahrungen – und zwar nicht nur in jenen Lebensphasen, in denen sich Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstwertgefühl erst noch entwickeln.10

III. Herausforderungen der Anerkennung Das Anerkennungsdenken Honneths ist für die Pädagogik von Interesse, da es eine Systematik bereitstellt, die Bedeutung gelungener pädagogischer Beziehungen für die pädagogischen Adressaten herauszustellen. Es untersetzt außerdem das pädagogische Anliegen, jene Bedingungen pädagogischen Handelns anzugeben, die zu gelungenen Anerkennungsbeziehungen führen. Die Pädagogik könnte sich dann als wissenschaftliche Disziplin darstellen, die für die Untersuchung gelungener Selbstbeziehungen durch Intersubjektivität und sogar für deren Konstitution selbst verantwortlich ist. Aufgaben einer sich so verstehenden Pädagogik wären z.B. die Begründung eines Ethos der Wahrhaftigkeit pädagogisch Handelnder gegenüber den ihnen Anvertrauten, die Einführung und Ausgestaltung einer Streitschlichtungsstelle in einer Schule oder die methodisch-soziale Konzeptionierung von Unterricht, in dem allen Schülern gleichermaßen die Gelegenheit gegeben würde, soziale Wertschätzung zu erfahren. Es verwundert nicht, dass die Pädagogik den Bezug zur ermöglichenden bzw. positiven Bedeutung von Anerkennung immer gesucht hat. Im Folgenden wird dennoch zu zeigen sein, dass eben diese Bedeutung mit einigen Herausforderungen konfrontiert ist.

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Ein Gang durch ein Altenpflegeheim vermag zu offenbaren, dass die fatalen Auswirkungen des Entzugs von sozialer Zuwendung nicht nur Kinder betreffen.

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a) Anerkennung und die Interpretativität des Sozialen Mead hatte in seiner Vorlesung die gesellschaftliche Verflochtenheit des Menschen als eines sprachlich existierenden Wesens aufgezeigt. Dreh- und Angelpunkt seiner Sozialtheorie ist, dass der Mensch eine Beziehung zu sich nur über andere aufbauen kann: Er nimmt die Perspektive der anderen in sich hinein („me“) und verhält sich dazu noch einmal in unvorhergesehener Weise („I“). Nun stellt dieses Hineinnehmen der Perspektive der anderen keine einfache Abbildungsbeziehung dar. Mead spricht an einigen Stellen von der „Organisation“ der Perspektiven der anderen, was die Frage aufwirft, wie sich die Organisiertheit der Perspektiven gegenüber den Perspektiven selbst verhält. Als Beispiel mag das Angebot eines Lehrers gegenüber einer jüngeren neuen Kollegin dienen, ihr beim Einstieg in die Arbeit an der Schule und im kollegialen Zusammenhang behilflich zu sein. Allein dieses Angebot enthält sehr viele unterschiedliche Deutungsspielräume, die für die „Organisation der Perspektiven der anderen“ für die junge Lehrerin ins Gewicht fallen könnten. Die Lehrerin könnte sich aufgefordert sehen, in eine Novizenposition einzutreten, von der aus sie sich erst ihr professionelles Handlungsfeld erschließen dürfte. Sie könnte das Angebot aber auch stärker in den Kontext einer Verpflichtung stellen, dass von ihr ein „persönliches commitment“ für die Schule (mit dem ihr eigenen Reformprogramm) erwartet wird, zu dem sie schnell Zugang finden sollte. Es könnte aber auch ganz anders sein: Nachdem sie den Kollegen am Vortag gesehen hatte, wie dieser seinen Unterricht verließ, um im Innenhof eine Zigarette zu rauchen und von diesem bemerkt wurde, sieht sie sich mit dem Angebot vor allem dazu aufgefordert, die Härte des Lehrberufs auch für sich als Wahrheit anzunehmen und damit Verständnis für die unerlaubte Handlung des Kollegen vom Vortag zu signalisieren. Das Beispiel soll verdeutlichen, dass soziales Handeln komplex ist und dass es – eingebettet in verschiedene Relevanzstrukturen – nicht selbstidentisch ist. Wir interpretieren beständig die Äußerungen und Handlungen der anderen uns (aber auch Dritten) gegenüber und passen beständig die Standortbestimmungen an das an, was gerade „der Fall“ sein könnte. Je nach Perspektive bzw. Bestimmung des Kontexts gewinnt die Handlung des älteren Lehrers einen anderen Sinn und damit auch eine andere Bedeutung für das „me“ der jungen Lehrerin. Dies gilt noch dann, wenn die Lehrerin fragt, wie ihr Gegenüber dieses Hilfsangebot denn genau meine; denn auch

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mit einer klärenden Rückfrage emanzipiert sich die Interaktion der beiden Lehrpersonen nicht von der Interpretativität des Geschehens. Die Rückfrage der Lehrerin wird nun selbst in das Geschehen eingeflochten und modifiziert die Sinnbezüge des Hilfsangebotes. Die Kritik, die an dieser Stelle gegenüber Mead geäußert wird, ist eine an dessen Auffassung, dass eine gesellschaftliche Instanz im Individuum (als „me“) im Sinne eines unmittelbaren Erfahrungsinhalts gegeben sein könnte (vgl. Mead 1973, S. 240). Dies impliziert keineswegs eine Absage an die gesellschaftliche Vermitteltheit von Identität. Gemeint ist nicht, dass es keine Regeln, Normen, Erwartungen gäbe. Noch die ausdrücklichste Geste der Verachtung und Zurückweisung transportiert beispielsweise Botschaften und Verhaltenserwartungen an den Zurückgewiesenen. Zu befragen ist allerdings die Annahme, dass der soziale Sinn einer Handlung letztgültig bestimmt werden könnte, dass man sich sozusagen über die Perspektivität sozialer Interaktionen erheben könnte. Aus dieser Warte erscheinen Konzepte wie „Normalität“ oder „Missverständnis“ in einem neuen Licht: Nur weil wir eben nicht in der autoritativen Position sind, über das Gelingen bzw. Misslingen von Kommunikation zu entscheiden oder die Handlungsregionen der Normalität genau zu umreißen, müssen wir uns beständig in sozialen Interaktionen bemühen, Grenzen zu errichten, Bestimmungen geltend zu machen und ihnen Geltung zu verschaffen. Mead hatte der Unbestimmtheit des Sozialen selbst einen Platz eingeräumt: durch ein unvorhersehbares „I“, das auch durch das Subjekt selbst nicht vorweg genommen werden kann. Er hatte aber dennoch das „Me“ als eine bestimmte und den sozialen Akteuren zugängliche Größe konzipiert und so einen (sozialbehavioristisch gegründeten) geteilten normativen Horizont aufscheinen lassen. Nun wird aber gerade in jüngeren Studien der Erziehungswissenschaft eine Ungewissheit sozialer wie pädagogischer Situationen geltend gemacht, welche die Evidenz dessen, „was der Fall ist“, und – komplementär dazu – einen souveränen Beobachterstandpunkt in Frage stellen (vgl. exemplarisch Liesner/ Wimmer 2003). Der Unbestimmtheit des Sozialen ist nach dieser Auffassung auch nicht durch die Verpflichtung auf ein Allgemeines, z.B. auf wissenschaftliches Wissen, beizukommen. Allein die Art und Weise, wie ein solches Wissen als Allgemeines auf die besondere Situation zu beziehen ist, lässt sich durch das Wissen nicht „abdecken“. Was folgt daraus für die „Anerkennung“? Die Komplexität und Unbestimmtheit des Sozialen bringt eine Intransparenz sozialer Interaktion mit sich: Reaktionsmuster, Hand-

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lungsformen oder Normalitätserwartungen bestehen nicht an und für sich. Damit wird aber das, „was ist“, ungewiss und also auch der Standpunkt der anderen, die mir durch „Anerkennung“ eine verlässliche Selbstbeziehung ermöglichen sollen. Wo aber die Definitheit des Sozialen hinterfragt wird, bleibt Anerkennung als affirmative, bestätigende Praxis mindestens ein unsicheres Geschäft. Ein Verkennen – nicht als Missverständnis oder Fehler, sondern als Unmöglichkeit die eigene Position oder die des anderen vollständig zu umgreifen – wird unvermeidlich. Diese Schwierigkeit lässt sich auch an den primären Nahbeziehungen aufzeigen, bei denen Anerkennung gemeinhin als „unmissverständliche“ Praxis erscheint: Die regelmäßig auftauchende Frage, die Väter und Mütter beschäftigt – warum das Kind denn jetzt weine –, führt auf die Spur eines Nicht-Wissens, welches diese Beziehungen selbst prägt und daher nicht einfach als „Hindernis“ für authentische pädagogische Beziehungen und Selbstbeziehungen verstanden werden kann.11 Die hier geäußerte Kritik kann deswegen eine besondere Relevanz für pädagogisches Denken und Handeln beanspruchen, weil sich Pädagogen gemeinhin in einer starken Gestaltungsposition bezüglich pädagogischer Situationen wähnen. Das Wissen um Bedürfnisse und Besonderheiten des pädagogischen Adressaten avanciert – in theoretischen wie in praktischen Verständigungen – zu einem Ideal („Schüler da abholen, wo sie stehen“) und mit diesem Ideal wird ein Vertrauen bezogen auf die Transparenz und Authentizität pädagogischer Handlungssituationen gestiftet. Nach dem Gesagten verfügen wir aber niemals über einen unbezüglichen Blick. Die Hoffnung, sich an jenen Punkt zu versetzen, an dem die Schüler nun gerade stehen, entgeht nicht der Enttäuschung: Wir können unser Wissen und Verstehen ebenso wenig von unserer Perspektive abziehen wie wir unsere Eingebundenheit in die Situation übersteigen können. b) Anerkennung und Macht Die Eingebundenheit in die Situation, die auch Mead als Verflochtenheit der Individuen in das gesellschaftliche Handeln entwickelt hat, verweist auf eine weitere Schwierigkeit im Zusammenhang mit der Anerkennung – ihren machtförmigen und unterwerfenden Charakter. Mit anderen Worten: Die souveräne Gestaltungsposition ei11

Dieser Fokus des Nicht-Wissens oder der Alterität wird unter c) wieder aufgenommen werden.

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nes Pädagogen wird nicht nur durch die Intransparenz des Sozialen in Frage gestellt. Die Souveränität ist auch deswegen von Anfang an kompromittiert, weil das Handeln des Pädagogen nicht einfach an „erster Stelle“ steht. Um mit Mead zu sprechen, ist das Handeln des Pädagogen selbst immer schon in andere gesellschaftliche Handlungsbezüge eingeflochten. Der Pädagoge reagiert immer schon auf die Erwartungen der anderen, wie er sie auf sich organisiert. Man könnte auch sagen, dass der Pädagoge seine soziale Existenz erst aus der Auseinandersetzung mit den Perspektiven der anderen gewinnt. Damit untersteht der Pädagoge, um überhaupt ein Pädagoge sein zu können, bestimmten Bedingungen, denen er sich nicht von vornherein entziehen kann. Die amerikanische Sozialphilosophin Judith Butler hat diesen Gedanken unter Bezugnahme auf eine berüchtigte Szene, die ursprünglich von L. Althusser stammt, entwickelt: Ein Polizist ruft: „He, Sie da!“ und ein Passant dreht sich um. Der Passant wird, so erläutern Butler und Althusser diese Szene, von dem Polizisten „angerufen“. Durch diese Anrufung oder „Interpellation“ wird der Passant Subjekt, weil er „damit anerkennt, dass der Anruf ‚genau‘ ihm galt“ (Althusser 1977, S. 142f.). Mit dem Umdrehen des Passanten ist nach Althusser über diese Anerkennung schon entschieden ebenso wie über die Autorität des Polizisten. Auf den Gedanken nun, dass Anerkennung etwas mit Macht und Unterwerfung zu tun hat, konzentriert Judith Butler ihre ganze Aufmerksamkeit. In ihrem Buch „Psyche der Macht“ schreibt Butler zum Verhältnis von Anerkennung und Unterwerfung bzw. Macht: „Das Subjekt ist genötigt, nach Anerkennung seiner eigenen Existenz in Kategorien, Begriffen und Namen zu trachten, die es nicht selbst hervorgebracht hat, und damit sucht es das Zeichen seiner eigenen Existenz außerhalb seiner selbst – in einem Diskurs, der zugleich dominant und indifferent ist. Soziale Kategorien bezeichnen zugleich Unterordnung und Existenz. Anders gesagt: im Rahmen der Subjektivation ist Unterordnung der Preis der Existenz“ (Butler 1997, S. 25). Wesentlicher Ausgangspunkt für Butler (und Althusser) ist, dass das Subjekt-werden als sozialer Vorgang zu begreifen ist.12 Die Subjekte sind nicht immer schon, sondern werden allererst Subjekte; und bei diesem Vorgang müssen sie sich Bedingungen unterwerfen, die sie nicht gemacht haben. 12

Dieser Gedanke wird nach den Erläuterungen zu Meads Sozialtheorie nicht weiter überraschend sein. Mead spricht von Selbstbewusstsein oder Identität, zielt aber damit auf die Möglichkeit eines Selbstverhältnisses und damit auf Subjektvität ab.

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Es handelt sich bei der Subjektwerdung oder „Subjektivation“, wie Butler auch sagt, um einen äußerst komplexen Vorgang, der systematisch einige Tücken enthält. Butler ist nicht der Auffassung, dass es sich dabei um ein deterministisches Geschehen handelt. Bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse übersetzen sich nicht 1:1 in unterworfene Subjekte.13 Ähnlich wie dies bereits im Teil a) angesprochen wurde, ist Butler nicht der Auffassung, dass Normen, Regeln, Verhaltenserwartungen als eindeutige Befehle zu begreifen sind. Streng genommen existieren diese Normen, Regeln, Verhaltenserwartungen gar nicht, ohne dass sie eine Wirkung auf ein Subjekt entfalten. Butler denkt also das Subjekt als abhängig von Macht und gleichzeitig existiert die Macht jedoch nicht einfach so: Sie ist selbst auf Reaktualisierung durch Subjekte angewiesen. Anerkennung gibt es demnach erst und nur mit bzw. durch Unterwerfung (vgl. Balzer 2007), wobei uns diese Unterwerfung eine Existenz verspricht. Anerkennung erscheint nicht als „kühle“ Wahl zwischen den Alternativen, sich zu unterwerfen oder nicht zu unterwerfen. Wir begehren diese Existenz und Anerkennung. In diesem Sinne könnte das Beispiel einer Mutter angeführt werden, deren Existenz als Mutter von einem Bewusstsein der Verantwortung und Sorge abhängt. Sich nicht zu sorgen oder verantwortlich zu fühlen, würde sozusagen die „Mutter“ in einen inneren Widerspruch versetzen. Und fühlte sie sich nicht verantwortlich, z.B. wenn das Kind auf dem Rummelplatz verloren ginge, würde sie ihre Anerkennbarkeit als Mutter (vor sich und anderen) aufs Spiel setzen. Das Beispiel erlaubt indes auch zu zeigen, dass es im vorliegenden Zusammenhang nicht um Determinismus geht: So verhält sich die Mutter zu den Kategorien der Sorge und Verantwortung nicht einfach nach vorgegebenem Schema, sondern gibt diesen eine eigene Ausgestaltung, durch die sich auch die Kategorien verändern. Dass es dabei auch um Auseinandersetzungen mit Normen gehen kann, könnte das Beispiel einer Mutter zeigen, die auf ihre Berufstätigkeit und Karriere nicht verzichten will. Das hier eingeführte Beispiel der Mutter erlaubt, auf einen weiteren Gedanken hinzuweisen, nämlich die Unabschließbarkeit der Subjekt-Konstitution. So wenig wie wir uns vorstellen können, dass die Mutter die Frage der Anerkennung für sich mit dem einmaligen Aufkleben eines Pflasters erledigen könnte, so wenig können wir uns 13

An dieser Stelle gibt es eine Differenz zwischen Althusser und Butler: Für Althusser geht es darum, das Wirken von Ideologie aufzuzeigen, durch die der Staat (als absolutes Subjekt) Individuen zu „Subjekten“ macht. Vgl. für diese komplexe Figur: Düttmann 1997.

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vorstellen, dass damit ihre soziale Existenz als Mutter überhaupt ausgeschöpft wäre. In vielen Situationen und unterschiedlichen Vorfällen wird es darum gehen, als ‚Mutter‘ (auch vor sich selbst) Anerkennung zu finden. Sie ‚ist‘ nicht einfach Mutter und handelt dann in diesen verschiedenen Situationen entsprechend. Die Geschichte des Subjekts ist nicht eine Aufeinanderfolge von wechselhaften Ereignissen, die das Subjekt durchlebt. Die unterschiedlichen Ereignisse, Situationen oder Vorfälle stellen immer wieder erneut die Frage, was denn nun mit Anspruch auf Anerkennung als ‚Mutter‘ zu tun ist. Die Geschichte des Subjekts ist die Geschichte vielfacher und uneinheitlicher Hervorbringungen als Subjekt, die sich auch im nach hinein verschieben und neue Bedeutungen erlangen. Eine besondere Problematik entfaltet der Zusammenhang von Anerkennung und Macht nun dort, wo sich gesellschaftlich Praktiken der Marginalisierung und Missachtung finden lassen, die oft genug im Namen der Anerkennung operieren.14 Wir möchten an dieser Stelle auf eine Protokollnotiz Isabell Diehms (2000: 265) zurückgreifen, die im Rahmen einer Hospitation in einem Frankfurter Kindergarten entstanden ist: „Frau Z. (die Erzieherin) schlägt den Kindern vor, einen Stuhlkreis zu bilden, damit wir uns gegenseitig vorstellen können. Sofort beginnen einige Mädchen, Stühle herbeizuschaffen. Frau Z. bittet alle Kinder in den Kreis, und wir beginnen die Vorstellung mit mir. Ich sage meinen Namen, mein Alter und erzähle den Kindern, wo ich wohne und daß ich in den Kindergarten gekommen sei, zu sehen und aufzuschreiben, was sie spielen. Die Kinder fahren mit der Vorstellung fort. Einige jüngere Kinder sind sehr schüchtern, sie möchten kaum ihren Namen sagen. Die älteren Kinder verhalten sich in dieser Gesprächssituation dagegen relativ offen und vertrauensvoll, sie teilen ihren Namen mit, manche sagen ihr Alter, und auf das Nachfragen von Frau Z. erzählen einige Kinder, daß sie oder ihre Eltern aus einem anderen Land als Deutschland kommen. Der vierjährige P. erzählt, daß er ein Spanier sei, seine Mama käme aus Deutschland, aber er sei wie sein Papa ein Spanier. Ein größerer Teil der jüngeren Kinder kann mit dieser Frage aber gar nichts anfangen. Sie reagieren mit Unverständnis und antworten nicht. Zwei Kinder antworten auf Frau Z.s Nachfrage, sie kämen aus Niederrad (einem Stadtteil aus Frankfurt, I.D.) bzw. Frankfurt. Frau 14

In seinem Beitrag geht Burkhard Liebsch der Verquickung von Anerkennung und Verachtung aus sozialphilosophischer Sicht nach. Vgl. für die Pädagogik im allgemeinen: Ricken 2007.

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Z. ergänzt die Antworten, indem sie sagt: ‚Ja, M., Du wohnst jetzt in Niederrad, geboren bist Du in Polen und S. ist in Indien geboren.‘ ‚Aber ich bin ein Deutscher!‘ erwidert M., der polnische Junge“. Das Beispiel zeigt, wie sich eine Erzieherin darum bemüht, die Herkunft der anwesenden Kinder in einer pädagogischen Einrichtung zum Thema zu machen, um diese zu einem Gegenstand der Anerkennung zu machen. Die Intention der Erzieherin richtet sich wohl darauf, die Differenz zu relativieren, indem diese einen selbstverständlichen Ort in der gemeinsamen Gesprächsrunde erhält. Dieser Vorgang ist allerdings alles andere als unproblematisch, wie Diehm in ihrer Diskussion des Beispiels zeigt. Ganz abgesehen von entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten, die eine Problematisierung des Handelns der Erzieherin erforderlich machen, werden die Kinder „fremder Herkunft“ gerade nicht anerkannt, sondern vielmehr in einem machtvollen Zuschreibungsakt zu „Fremden“ und „Nichtzugehörigen“. Die kulturell gefasste Differenz wird herangezogen, um einen sozialen Unterschied zu etablieren. Dies passiert dadurch, dass in der pädagogischen Situation Gruppenbildungen15 vorgenommen werden: Die Kinder werden anhand ihrer Nationalität und Ethnie identifiziert und erfahren, dass sie diese als für sich verbindlich verstehen müssen. Ihr Sein ist ein Anders-sein; es wird durch die Differenz von Mehrheitsgesellschaft und Minderheitenzugehörigkeit konstituiert (vgl. weiterhin Mecheril 2005). Interessant ist, dass und wie die pädagogisch Handelnde in die Position der Mehrheitsgesellschaft einrückt und mit Bestimmungskraft zu sagen vermag, was „gerade der Fall ist“: „Ja, M., Du wohnst jetzt in Niederrad, geboren bist Du in Polen und S. ist in Indien geboren.“ Die Macht- und Handlungsspielräume der Akteure sind demnach sehr ungleich verteilt. Nicht jeder Teilnehmer vermag mit dem gleichen Bestimmungsanspruch aufzutreten.16 Der Junge M. wehrt sich gegen die Attribution der Erzieherin. Wenngleich er also seine „Veranderung“ nicht auf sich sitzen lassen 15

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Ein anderes sehr treffendes Beispiel für eine solche Gruppenbildung geben Höhne/ Kunz/ Radtke (2000) in ihrer Analyse von Schulbüchern. Migrantenkinder werden mit typisierenden Zuschreibungen dargestellt, die wiederum mit „polarisierenden Entgegensetzungen“ versehen werden, z.B. modern – vormodern oder die Unterscheidung „Wir-Sie“, die in den Unterricht hineingetragen wird und so zu einer sozialen Unterscheidung wird. In ihrem Beitrag zu diesem Band expliziert Diehm die Deutungsmacht der Mehrheitsangehörigen im Anerkennen im Sinne einer Herablassung. Die pädagogische Aufforderung zu Anerkennung und Toleranz vermag aus diesen Gründen die Marginalisierung und Unterwerfung der anderen noch zu steigern.

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will, so ist dennoch eines festzuhalten: Frau Z. hat mit ihren Bemerkungen den Raum des Sprechens bereits „konfiguriert“. Dies ist nicht nur daran zu erkennen, dass die Protokollantin der Szene diesen Jungen nun selbst als einen „polnischen“ Jungen bezeichnet. Der Sprecheinsatz von M. kann nur als ein „Sich-Wehren“ gegen die Attribution auftreten – es gibt keinen unbelasteten Anfang. Vielmehr wiederholt, reaktualisiert M. gerade die Zuschreibung um sich dazu in ein widerständiges Verhältnis zu bringen. Verallgemeinernd lässt sich festhalten: Wann immer sich in uns der Eindruck manifestiert, dass wir uns rechtfertigen sollten, dass wir andere in ihren Auffassungen über uns korrigieren sollten, haben wir (von uns als unzureichend empfundene) Zuschreibungen schon mit uns selbst in Verbindung gebracht. Sie lassen sich, um es mit Butler zu sagen, als Teil einer Anrufung in ein „kulturelles Dasein“ verstehen, die uns allererst zu Subjekten macht. Das bedeutet nicht, dass wir uns diesen Zuschreibungen automatisch fügen oder zu fügen haben; aber es impliziert, dass der Raum dessen, den wir für uns in Anspruch nehmen wollen, prekär ist. Aus dem engen Zusammenhang von Anerkennung und Macht resultiert die Notwendigkeit, die Dynamiken von Zuschreibungen und allgemein die Repräsentationen von Akteuren in pädagogischen Situationen zu analysieren – und auch zu problematisieren, ohne sich der Phantasie hinzugeben, dass sich die Machtverhältnisse einfach auflösen ließen, wenn der Pädagoge sich nur redlich genug bemühte. c) Anerkennung und Alterität Bei aller Machtförmigkeit, die der Anerkennung eigen ist, drängt sich gleichwohl die Frage auf, inwiefern „Anerkennung“ so gedacht werden könnte, dass sie sich nicht dem Anderen bzw. Fremden verschließt. Ist eine Anerkennung vorstellbar, die sich dem ihr eigenen Verkennen des Anderen gewahr werden könnte? Ist Gerechtigkeit möglich? In der Tat finden sich in jüngeren sozial- und geisteswissenschaftlichen Ansätzen Versuche, mit diesen Fragen einen Umgang zu finden. Die Richtung der Bearbeitung dieser Fragen ist durch eine machtkritische Perspektive vorgezeichnet. Im Wissen, dass ein „Aussetzen“ der Macht nicht möglich ist, hat sich beispielsweise in den Cultural Studies eine Neujustierung der Identitätskategorie vollzogen. „Identität“ ist hier kein „einheitliches oder vereinheitlichendes Phänomen, dessen Ausgangspunkt gewissermaßen vorsozial und

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außer-diskursiv zu denken ist. Vielmehr muss ‚Identität‘ verstanden werden als kontingentes und temporäres Angeschlossen-sein des Individuums an unterschiedliche, spannungsreiche und machtvolle Zusammenhänge“17. Dieser Ansatz tritt also mit dem Bewusstsein auf, dass Identität nichts Selbstbezügliches ist, dass sie vielmehr in einen relationalen Zusammenhang zu stellen ist, der machtförmig und kontingent zugleich ist.18 Als erkenntnispolitisches Projekt ist dann jene dekonstruktive Bewegung zu verstehen, die Identität auf ihre Relationalität hin freilegt, indem sie ihr Zustandekommen durch binäre Codes, z.B. vertraut und fremd, männlich und weiblich etc. aufzeigt, ohne die Identität einfach nur zurückzuweisen. Eine wichtige Frage, die im Anschluss an solche Überlegungen aber offen bleibt, ist, inwiefern daraus noch eine moraltheoretische Perspektive gewonnen werden kann. Anders gefragt: Bedeutet die Machtförmigkeit von Anerkennung, dass ihre moralische Bedeutung für pädagogische Zusammenhänge grundsätzlich ausgeblendet werden sollte? Sollte sich die Befassung mit „Anerkennung“ auf die Analyse von Machtverhältnissen beschränken? In der Sozialphilosophie und in der Bildungsphilosophie ist der Versuch unternommen worden, eine moraltheoretische Perspektive zu entfalten, die sich nicht an der Positivität und (An-)Erkennbarkeit des Anderen orientiert. Der moralische Funke wird gerade aus dem Bewusstsein geschlagen, dass der Andere sich den symbolischen Ordnungsmustern meines Weltverstehens widersetzt. Diesen konstruktiven Umgang mit dem Verkennen des Anderen hat Gerhard Gamm (2000) einmal am Beispiel des „principle of charity“ der Analytischen Philosophie erläutert. Das „principle of charity“ bedeutet, dass es weder Verständigung noch Verstehen über einen Gegenstand geben kann, wenn sich die Gesprächsteilnehmer nicht nachsichtig oder gütig verhalten: „Um gesprochene oder geschriebene Sätze wirklich zu verstehen, reicht die analytische Rekonstruktion der logischen Strukturmomente, das heißt die Analyse von Syntax und Semantik, nicht aus“ (Gamm 2000, S. 132). Gamm weist hier darauf hin, dass Verstehen keine „distanzierte Tätigkeit“ ist. Vielmehr müssen wir uns beim Hören und Lesen „einnehmen“ lassen und dies bedeutet insbesondere auch, dass wir unserem Gesprächspartner 17 18

Vgl. Castro Varela/ Mecheril auf S. 105 in diesem Band. María do Mar Castro Varela und Paul Mecheril zeigen in ihrem Beitrag, dass es keine Alternative zum ambivalenten Umgang mit der Identität in der Anerkennung gibt.

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einen Raum über geäußerte Bestimmtheiten hinaus gewähren. Die Sprecher, so schreibt Gamm, „müssen einen Sprachsinn für die Imprädikativität aller bestimmten Rede entwickeln. Der Hörer muß zum Beispiel den Sprecher vor den Bestimmtheitseffekten seiner eigenen Rede in Schutz nehmen“ oder „der Sprecher kommt nicht umhin, Demarkierungen an seiner Rede anzubringen, um die Bestimmtheitseffekte einzuklammern, die mit jeder Performanz und jedem Meinen verbunden sind“ (ebd., S. 132). Der moraltheoretische Fokus wird hier nicht so eingelöst, dass auf die normative Kraft der geteilten bzw. gelebten Sitten oder auf den guten Willen Bezug genommen wird. Die Maxime der Analytischen Philosophie, den Anderen vor den Konsequenzen und Engführungen seiner eigenen diskursiven Einsätze in Schutz zu nehmen, stellt vielmehr das Nicht-Wissen oder Nicht-Kennen an den Anfang der Überlegungen. Die moraltheoretische Konsequenz für den Anerkennungsgedanken besteht dann darin, dass sich ego und alter ego gegenseitig ihre Alterität eröffnen. Anerkennung wäre demnach nicht als bestätigende Praxis zu begreifen. Es handelte sich vielmehr um ein Tun, in dem sich die Individuen zeigen, dass sie in ihren diskursiven und praktischen Einsätzen nicht aufgehen. Die Leitfrage, die von Gamm vorgebracht wird, lautet: Wie muss ich handeln unter der Annahme, dass der andere ein unbestimmbar anderer, ein entzogener19 ist und bleibt? Der Unterschied zum Umgang mit Differenz, wie er im Abschnitt über die Machtförmigkeit von Anerkennung entwickelt wurde und an der interkulturellen Szene im Kindergarten exemplifiziert wurde, besteht darin, dass ich den Anderen nicht mehr einfach nur als different zu mir sehe, was mir doch erlauben würde, ihn auf etwas festzulegen. Alterität bedeutet, dass das Anderssein nicht kriterial gedacht werden kann: Der Andersheit des Anderen kann ich nur entsprechen, wenn ich ihn als differente Quelle von Differenzen zu mir anerkenne. So würde es pädagogisch darum gehen, das Anerkennungsdenken von einer schnellen bestätigenden Praxis abzulösen und den Rahmen des Nicht-Wissens und Nicht-Kennens abzutasten, von dem aus deutlich werden könnte, dass das Gegenüber „ganz anders“ als alle anderen ist und dass ihre Kategorisierung, z.B. als „Schülerin“ schon 19

Nicole Balzer und Norbert Ricken rekurrieren in ihrem Beitrag auf eine Ek-statik des Selbst. Diese konstitutionslogische Sicht auf Anerkennung erneuert auch die Frage nach der Gerechtigkeit im pädagogischen Verhältnis.

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problematisch ist, da diese gerade ihre Alterität und Unausdeutbarkeit aus dem Blickfeld rückt. Der damit eingeschlagene Weg gleitet jedoch nur dann nicht in ein abstraktes Sprechen ab, wenn die enge Beziehung von Anerkennung und Missachtung und die Verquickung von Anerkennen und Verkennen präsent bleibt.

IV. Zu den Beiträgen des Bandes In ihrem Beitrag „Anerkennung als pädagogisches Problem – Markierungen im pädagogischen Diskurs“ unternehmen Nicole Balzer und Norbert Ricken eine begrifflich-systematische Vermessung der „Anerkennung“ und des Anerkennungsdenkens in der Pädagogik. Da der Anerkennungsbegriff zunehmend Beachtung in der Pädagogik erfährt und vielfältige Zugriffe auf dieses soziale Phänomen existieren, untersuchen die Autoren erstens den vielfältigen Gebrauch von Anerkennung in Alltagssprache und Wissenschaft sowie seine begriffsgeschichtlichen Entwicklungen und gesellschaftlichen Kontextualisierungen. Die moralische Situierung von „Anerkennung“, die auch für den pädagogischen Diskurs eine herausgehobene Bedeutung besitzt, ist Gegenstand des zweiten Teils: Balzer und Ricken entwickeln die in der Pädagogik viel beachtete Anerkennungstheorie Axel Honneths und analysieren die Einschränkungen, die Honneths Ansatz für die Reflexion sozialer und pädagogischer Beziehungen impliziert. Im dritten Teil, der „Anerkennung“ unter den Herausforderungen der Differenz und Partizipation betrachtet, enthält denn auch eine Überschreitung des moralischen Diskurses über Anerkennung, bei der vor allem die Machtförmigkeit der Anerkennung in den Blick kommt. Balzer und Ricken zeigen, dass es unzureichend ist, Anerkennung als bloßes Bestätigungshandeln zu fassen. Es ist der Rückbezug auf die Machtförmigkeit, die den Autoren im vierten Teil des Textes ermöglicht, auch die Seite der Versagung und Negation in der Anerkennung herauszustellen. Die Bedeutung der Macht impliziert nach Auffassung von Balzer und Ricken aber keine deterministische Festschreibung des Subjekts (Butler); vielmehr bringt die systematische Analyse der Konstitution des Subjekts in der Anerkennung eine Entzogenheit zum Vorschein. Mit dem Vorschlag, Anerkennung als „Adressierung“ zu fassen, liefern die Autoren schließlich einen Beitrag, „Anerkennung“ als grundlegende strukturale Kategorie im Pädagogischen zu fassen, die den Blick für weitere systematische und empirische Analysen schärft.

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Der Beitrag von María do Mar Castro Varela und Paul Mecheril nimmt seinen Ausgang von der Feststellung, dass das Anerkennungsdenken in pädagogischen Zusammenhängen eine große Resonanz erfahren hat. Die Autoren erläutern die Bedeutung des Anerkennungsdenkens auf der Grundlage der Achtung sozial-kultureller Eingebundenheit des Einzelnen: Der Einzelne könne nur dadurch handlungsfähig werden, dass der soziale Rahmen, in dem das Individuum ein bedeutsames praktisches Verständnis seiner selbst erwerben kann, benannt, respektiert und beachtet werde. Die „nationalkulturellen“ Einengungen von pädagogischen Institutionen – wie z.B. die „monolinguale Schule“ – lassen sich dann als Missachtung der Minderheitenangehörigen entziffern. Nach Castro Varela und Mecheril bedarf das Anerkennungsdenken allerdings selbst einer kritischen Inblicknahme, da ihm die Tendenz eigen sei, gegebene Verhältnisse zu fixieren und zu bejahen. Anerkennung lässt Differenz und Identität als selbstverständlich erscheinen, obgleich Letztere – wie hier Bezug nehmend auf postkoloniale Theorieansätze gezeigt wird – durch koloniale oder anderweitige hegemoniale Diskurse und Praktiken hervorgebracht werden. Für eine erziehungswissenschaftliche Bezugnahme auf Anerkennung sei daher ein anderes – nicht-essentialistisches – Verständnis von „Identität“ erforderlich. Dies entwickeln die Autoren im Anschluss an die politiktheoretischen Überlegungen von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, in denen die Hervorbringung von Identität als machtförmiger und doch kontingenter Prozess gedacht wird. Dies führt die Autoren schließlich zu einer „Solidarität zwischen Unvertrauten“, die sich einer Macht bestätigenden Praxis zu widersetzen sucht. Isabell Diehm nimmt in ihrem Beitrag vergleichend die Konzepte „Toleranz“ und „Anerkennung“ in den Blick. Beide Begriffe haben im Zusammenhang mit der Pluralisierung von Lebensformen im erziehungswissenschaftlichen Diskurs Bedeutung erlangt; beide Begriffe bedürfen einer genaueren Analyse, welche Konsequenzen ihre Verwendung mit sich bringt. Diehm unternimmt im ersten Teil ihrer Überlegungen eine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion des Toleranzpostulats, das letztlich auf die Umgangsforderung der „Duldung“, auf einen Gewaltverzicht angesichts unvereinbarer Überzeugungen und Praktiken, hinausläuft. Eine systematische Analyse macht zudem deutlich, dass Toleranz eine auf Macht basierende Geisteshaltung darstellt. Diehm verfolgt daraufhin die Reformulierung von Toleranz unter identitätspolitischen bzw. anerkennungstheoretischen Vorzeichen: Toleranz richte sich nun auf die Identitä-

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ten ganzer Personen, die entlang bestimmter Wesensmerkmale oder vermittels bestimmter Praktiken bestimmt werden – mit essentialisierenden bzw. totalisierenden Effekten und ohne das Machtgefälle aufzulösen. Daraus resultieren Konsequenzen auf der Ebene pädagogischer Programme, auf der Ebene des Unterrichtshandelns sowie der Ebene des situativen pädagogischen Handelns. Beobachtungen aus einer ethnographischen Studie werden herangezogen, um aufzuzeigen, wie die pädagogische Aufforderung zur Toleranz letztlich eine Bestätigung real wirksamer Machtstrukturen impliziert. Die pädagogische Forderung der Anerkennung läuft indessen Gefahr, sich als verordnete selbst zu entwerten. Der Beitrag von Burkhard Liebsch beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Anerkennung und Verachtung. Dabei geht es Liebsch vor allem darum zu klären, inwiefern die Anerkennung das Problem der Verachtung lösen kann, wie vielfach angenommen wird. Liebsch zeigt zunächst, dass mit der Instituierung einer bürgerlichen Ordnung des Zusammenlebens die Frage der Anerkennung, nach der ein individuelles Subjekt begehrt, nicht als beantwortet gelten kann; denn Phänomene wie Geringschätzung oder Gleichgültigkeit belegen, dass die Anerkennung als Rechtssubjekt nicht Praktiken der Verachtung ausschließt. Eine genaue Analyse dieser Verachtungspraktiken und der damit verbundenen Verständigungen von Verächtern und Verachteten führt Liebsch zu dem Schluss, dass es nichts objektiv Verächtliches gibt, sondern dass die Verachtung Anteil an der Konstitution des Verachteten hat. Dies führt zum einen zu der beunruhigenden Frage, ob es etwas in Menschen gibt, was sich der Verachtbarkeit entzieht. Zum anderen fällt der Blick auf den Verächter, der sich über die Verachtung der anderen von seinem eigenen Wert überzeugen will: In der Verachtung findet sich ein Begehren nach Anerkennung. Liebsch folgt der Spur der Verquickung von Verachtung und Anerkennung zu einer grundlegenden Anerkennung, die dem Anderen Anspruch und Antwort gewährt, bevor überhaupt eine soziale Auseinandersetzung beginnen könnte. Diese Anerkennung eigne sich indes nicht als Basis, um den Status des Anderen als Person, als Rechtssubjekt und unverfügbaren Selbst zu begründen; denn sie lasse sich nur bezeugen, so dass radikale und souveräne Verächter in ihrer Zurückweisung der Anerkennung nicht widerlegt werden können.

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– Streitfall „Autonomie“. Aktualität, Geschichte und Systematik einer modernen Selbstbeschreibung von Menschen. In: Bauer, Walter et. al. (Hrsg.): Fragen nach dem Menschen in der umstrittenen Moderne. Baltmannsweiler 1998, S. 31-49 Ricken, Norbert (Hrsg.): Über die Verachtung der Pädagogik. Analysen – Materialien – Perspektiven. Wiesbaden 2007 Spitz, René: Vom Säugling zum Kleinkind. Naturgeschichte der MutterKind-Beziehung im ersten Lebensjahr. Stuttgart 2005

Anerkennung als pädagogisches Problem Markierungen im erziehungswissenschaftlichen Diskurs NICOLE BALZER | NORBERT RICKEN Dass pädagogisches Handeln grundsätzlich mit Fragen und Problemen der Anerkennung verbunden ist, ist ebenso offensichtlich wie vielfältig belegt: Unzählige Erfahrungsberichte über ermutigende wie aber auch demütigende Erziehungs- und Schulszenen verdeutlichen eindrücklich, wie bedeutsam wechselseitige Wahrnehmungen und Adressierungen, Rückmeldungen jeglicher Art und Bewertungen im pädagogischen Geschehen sind – und das für alle Beteiligten (vgl. nur expl. Thiemann 1985 wie Thiemann 1993). Nicht zufällig bilden daher häufig sie den Erinnerungskern familialer wie schulischer Erfahrungen und lassen bisweilen schließlich das Pädagogische mit Anerkennung schlicht in eins fallen (vgl. Balzer/ Künkler 2007). So zentral aber Anerkennung für pädagogisches Handeln auch veranschlagt werden kann, so erstaunlich ist jedoch, dass dieser Zusammenhang bislang nur eher selten theoretisch ausgearbeitet wie empirisch bearbeitet worden ist. Trotz weniger Anregungen und Ausnahmen (vgl. Loch 1965a wie Loch 1965b) hat es lange Zeit in der Erziehungswissenschaft weder eine breite Debatte zu Phänomen und Begriff der Anerkennung noch überhaupt eine Reflexion der bildungs- oder lerntheoretischen Bedeutung von Anerkennung gegeben; auch explizit anerkennungstheoretische Bestimmungen von Erziehung, Bildung und Sozialisation sucht man nahezu ebenso vergeblich, wie überhaupt Einträge zu Anerkennung in pädagogischen Wörterbüchern und Lexika weitgehend fehlen (vgl. Borst 2003, S. 108). In den letzten Jahren aber mehren sich nun – wenn auch nach wie vor noch eher fragmentiert (vgl. Stojanov 2006, S. 164) – erziehungswissenschaftliche Thematisierungen von Anerkennung: Zunächst nahezu ausschließlich an mit ‚Differenz‘ befassten disziplinären Orten – wie der Interkulturellen, der Feministischen und der Integra-

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tiven Pädagogik – ist Anerkennung inzwischen auch in der Bildungstheorie und Erziehungsphilosophie wie überhaupt in der Schultheorie und Schulpädagogik zunehmend zum Thema geworden. Doch auch wenn diese wachsende Aufmerksamkeit gegenüber anerkennungstheoretischen Fragen in der Erziehungswissenschaft auch als ein – vergleichsweise – eher später „Widerhall“ (Mecheril 2005, S. 320) einer seit nunmehr zwei Jahrzehnten beobachtbaren ‚Konjunktur‘ der Anerkennung in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erscheint, so ist doch diese, mittlerweile (nahezu alle) kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen übergreifende Konjunktur von Anerkennung insgesamt überaus erstaunlich. Mit Anerkennung – so ließe sich daher vermuten – scheint etwas benannt, was sowohl an manchen zentralen Nerv unserer Zeit als auch an vielfältige theoretische Grundfragen rührt. Kaum verwunderlich ist daher, dass der Diskurs der Anerkennung inzwischen nicht nur weitgehend unübersichtlich geworden ist, sondern auch mit einer erheblichen Verschärfung der Auseinandersetzung verbunden ist, in der – neben der Diskussion einzelner anerkennungstheoretischer Positionen (vgl. expl. Schild 2000, Gander 2004, Sitzer/ Wiezorek 2005, van den Brink/ Owen 2007 wie Schmidt am Busch/ Zurn 2009) – vor allem der Bedeutungsund Kerngehalt von Anerkennung selbst im Vordergrund steht. Gerade weil dem Begriff der Anerkennung längst keine eindeutige Bedeutungsfassung entspricht, mehren sich die Stimmen derer, die – durchaus zu recht – ebenso begriffliche Präzision wie konzeptionelle Begrenzung einfordern, um der „Entleerung“ und „Entwertung“ (Röhr 2009, S. 94) des Konzepts entgegenzutreten. So schlagen Kritiker an der „Überdehnung des Anerkennungsbegriffs“ und dessen „irreführender Ausweitung“ (ebd.) eine „Rezentrierung der Anerkennungstheorie“ (Honneth 2008a, S. 876) und eine – allerdings folgenreiche – Beschränkung der Begriffsbedeutung vor: Sei es, indem Anerkennung als Phänomen auf spezifische Handlungen – wie z.B. jene mit der ausdrücklichen Absicht und dem ausdrücklichen Zweck der Affirmierung von positiven Eigenschaften menschlicher Subjekte oder Gruppen (vgl. Honneth 2003a, S. 318f., Ikäheimo 2002 wie Laitinen 2002) – begrenzt wird; sei es, indem der Begriff selbst gegen andere begriffliche Alternativen abgegrenzt und insofern definitorisch vereindeutigt wird, wie dies z.B. Henning Röhr – „Allein dort, wo es um die öffentliche und interaktionsfolgenrelevante Kenntnisnahme und Akzeptanz eines artikulierten Anspruchs einer identifizierbaren Partei durch einen qualifizierten Dritten geht, steht uns kein anderer Begriff als

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der der Anerkennung zur Verfügung“ (Röhr 2009, S. 94) – vorgeschlagen hat.1 Doch so berechtigt die Kritik der ‚Hypertrophie‘ (Röhr) und die daraus resultierende Forderung der begrifflichen Präzision auch ist, so problematisch sind doch die Versuche, Anerkennung auf (bloß) eine ihrer Bedeutungsdimensionen und -facetten – z.B. auf ihre „juridische Kernbedeutung“ (ebd., S. 105) – zu reduzieren: Nicht nur, weil sie in der Gefahr stehen, ihrerseits durch Einseitigkeit bzw. Vereinseitigung ‚blinde Flecken‘ der Problemwahrnehmung allererst herzustellen; auch nicht nur, weil in der Eingrenzung bedeutsame Kontexte verloren gehen und dadurch auch unterschlagen wird, dass ‚Anerkennung‘ mit Fragen der Inklusion ebenso wie mit Fragen der Exklusion, mit Fragen der Subjektwerdung ebenso wie mit Fragen der gesellschaftlichen Reproduktion, mit Fragen der Ethik ebenso wie mit Fragen der Macht eng verknüpft ist; sondern vielmehr, weil sie eine gegenwärtig bereits dominante Tendenz nur befördern, ‚Anerkennung‘ als ein bloß normatives Orientierungskonzept auszulegen – und damit als ein Konzept der Analyse von sozialen Interaktionen wie intersubjektiven Ordnungen zu verspielen. Anders formuliert: Will man den analytisch bedeutsamen paradoxen Zusammenhang von Bestätigung durch Anerkennung – z.B. in den Formen der Wertschätzung, des Lobes und des Respekts – und Stiftung bzw. Herstellung durch Anerkennung (vgl. expl. Düttmann 1997) nicht umwillen bloß begrifflicher Eindeutigkeit preisgeben, ist es notwendig, Präzision und Mehrperspektivität nicht gegeneinander auszuspielen. Pädagogisch ist dies allemal unverzichtbar, denn es ist gerade nicht hinreichend, Anerkennung nur – wie bisher zumeist der Fall 1

Henning Röhrs Plädoyer gegen die „Promotion des Anerkennungsbegriffs“ in eine „‚Schlüsselstellung‘“ und die „Weiterverwendung des Anerkennungsbegriffs als eines Grundbegriffs“ (Röhr 2009, S. 93) basiert auf der Überzeugung, dass der Begriff nur dann seine terminologische Schärfe zu bewahren vermag, wenn er ‚exklusiv‘ gefasst wird – d.h. nur dann Verwendung finden sollte, wenn „uns kein anderer Begriff als der der Anerkennung zur Verfügung“ steht (ebd., S. 94), weil es unmöglich ist, „mehr oder wenig leicht andere und zutreffendere Begriffe für das Gemeinte [zu] finden“ (ebd.). In ähnlicher Weise empfiehlt Volker Gerhardt, Anerkennung – einerseits – „in der von Fichte und Hegel beachteten Bindung an die Vorgänge des Erkennens und Bekennens, des Beachtens und Achtens [zu] belassen“ (Gerhardt 2004, S. 29), und sie – andererseits – „einfach unter die beachtenswerten sozialen Phänomene [zu] rechnen, die ihre ausdrückliche Leistung [erst] in der Sphäre des Rechts erbringt“ (ebd., S. 32). Kurz: Man solle, so Gerhardt, aufgrund der „systematische[n] Priorität“ (ebd., S. 29) von Aufmerksamkeit, Beachtung und Achtung „die ‚Anerkennung‘ nicht zum Programmbegriff einer sozialen Praxis [...] erheben“ (ebd.).

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– als eine Norm der pädagogischen Praxis aufzunehmen, sondern ihr muss auch als einer (paradoxen) pädagogischen Praxis sowie als einem ‚konstitutiven Moment‘ (vgl. Borst 2004) von Erziehungs- und Bildungs-, Lern- und Sozialisationsprozessen Rechnung getragen werden. Das aber setzt voraus, verschiedene Fassungen und Verständnisse von Anerkennung nicht als (bloß) konkurrierende aufzunehmen, so als ob es sinnvoll und erforderlich wäre, sich für eine dieser Varianten zu ‚entscheiden‘, sondern sie als ebenso verschiedene wie spezifische Auslegungen der Anerkennungsproblematik zu verstehen, die unterschiedliche – und jeweilig unverzichtbare – „recognitive lenses“ (Bingham 2001, S. 24) auf pädagogische Problemstellungen eröffnen. Die Frage, die aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive an verschiedene Betrachtungs- und Verwendungsweisen von Anerkennung dann zu stellen ist, ist daher nicht – zumindest nicht vorrangig –, ob sie ein (zu) weites oder ein (zu) enges Verständnis von Anerkennung eröffnen, sondern welches Verständnis von und welchen Blick auf Pädagogik, pädagogisches Handeln und die pädagogische Eigenlogik sie jeweilig ermöglichen – und dann auch: welchen sie verschließen. Nicht nur ohne die Absicht, sondern vielmehr ausdrücklich entgegen der Absicht der (Re-)Konstruktion eines Anerkennungsbegriffs werden wir daher im Folgenden ‚Anerkennung‘ als einen – in der Tat mehrdimensionalen – Problem- und Problematisierungsbegriff zu markieren unternehmen. Nach einer ersten Sondierung verschiedener Bedeutungsfacetten (I.) werden wir vier Lesarten der Anerkennung entfalten, die weniger gegeneinander justiert sind, sondern vielmehr unterschiedliche Dimensionen des Anerkennungsproblems markieren; der dabei zurückgelegte Gang – von der Problematisierung der Anerkennung als einer moralisch-ethischen Kategorie (II.) über die Rekonstruktion derselben als einer kulturellpolitischen Problematik (III.) bis hin zu einer paradoxen Praxis der Konstitution (IV.), in der insbesondere Adressierungen eine zentrale Bedeutung spielen (V.) – lässt sich vielmehr auch als Weg von einem überwiegend normativ gefassten zu einem analytischen Verständnis der Anerkennung mitvollziehen. Unsere Absicht ist es aber, die – von uns wahrgenommene – Logik der Anerkennung Schritt für Schritt zu entfalten und jeweilig auch in ihrer pädagogischen Bedeutung zu rekonstruieren.

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I. Ein diskursiver Streifzug: Bedeutungsfacetten von Anerkennung Weil ‚Anerkennung‘ ein alltäglich ebenso bekannter wie vertrauter Begriff ist und sich in besonderer Weise für unterschiedlichste Deutungen und Besetzungen eignet, kann nicht einfach bloß vorausgesetzt werden, was unter ‚Anerkennung‘ verstanden wird und mit ihr bezeichnet werden soll. Vielmehr ist es – allemal angesichts des gegenwärtigen Streits um die eine Fassung und auch Interpretation von ‚Anerkennung‘ – nötig wie sinnvoll, in einem ersten Schritt verschiedene Bedeutungsfacetten von Anerkennung zu unterscheiden und unter Einbeziehung ausgewählter begriffsgeschichtlicher Befunde verschiedene Verwendungsweisen von Anerkennung zu sortieren. (a) Bereits alltagssprachlich lässt sich keine eindeutige Begriffsfassung rekonstruieren, so dass nicht nur unterschiedliche Verwendungsweisen und Bedeutungsfacetten von Anerkennung festgehalten werden müssen, sondern auch verschiedene Dimensionen deutlich werden, die bereits erste Hinweise auf die – in sich spannungsvolle – ‚Logik‘ von Anerkennung zu geben vermögen. Üblicherweise findet Anerkennung sowohl im Bezug auf Personen bzw. Personengruppen als auch im Bezug auf eine Sache bzw. Sachen als Bestätigung und Bekräftigung der (Er-)Kenntnis und Wahrnehmung sowie der Ein- und Abschätzung von etwas oder jemandem Verwendung. Dabei kann die Bestätigung und damit auch die Ein- oder Abschätzung des/der Anerkannten sowohl wertneutral als auch wertpositiv gefasst sein: mit Anerkennung wird alltagsweltlich zunächst entweder ein eher passivisches und bloß akzeptierendes Eingeständnis und ein Einräumen – im Sinne der Anerkenntnis von etwas oder jemandem: der/die Anerkennende billigt, akzeptiert und stimmt zu – oder eine ausdrückliche und aktivisch gedachte Zustimmung zum und positive Einschätzung des/der Anerkannten – im Sinne der anerkennenden Wertschätzung von etwas oder jemandem: der/die Anerkennende würdigt, lobt, ehrt, wertschätzt, achtet und respektiert etwas oder jemanden – bezeichnet (vgl. Duden 2009). Doch wird bereits auch alltagsweltlich mit Anerkennung nicht nur etwas oder jemand einfach bloß bestätigt, sondern auch als etwas oder als jemand bestätigt, so dass Anerkennung immer eine dreistellige Relation bildet: x anerkennt y als z (vgl. Halbig 2006, S. 303). Nur exemplarisch: in der Anerkennung von etwas wird eine Sache entweder als richtig, gültig, zutreffend oder angemessen (z.B. Ansprüche, Verbrechen, Fußballtore oder Staaten) oder als positiv und inso-

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fern wertvoll bestätigt (z.B. Kunstwerk, Eigentum oder Symbol); in der Anerkennung von jemandem wird eine Person in etwas (z.B. in ihrer Mitgliedschaft, Vaterschaft, Funktion oder Rolle) und solchermaßen als etwas (z.B. Mitglied, Vater, Rollen- und Funktionsträger) – gegebenenfalls öffentlich – oder aufgrund von etwas (z.B. Fähigkeiten, Eigenschaften, Taten, Leistungen) und solchermaßen als positiv, wertvoll und werthaft bestätigt, akzeptiert oder respektiert und anerkannt (z.B. sogar überhaupt als Person). Damit aber schiebt sich in die einfache Bedeutung der nachgängig gedachten Bestätigung und Wertschätzung eine weitere, über die Nachgängigkeit bereits hinausgehende Bedeutungskomponente: Insbesondere weil etwas oder jemand in der Anerkennung nicht bloß bestätigt, sondern als z bestätigt wird, hat Anerkennung Bedeutung für und Effekte auf die Sache oder die Person, die mit ihr bestätigt wird. Wenn z.B. eine Sache in der Anerkennung als gültig oder richtig bestätigt wird, dann wird sie durch den bestätigenden Akt ‚eingesetzt‘ und als Sache wirksam (z.B. eine Studienleistung, ein Fußballtor), so dass die Anerkennung die Sache nicht nur als eine Sache bestätigt, sondern aus ihr (erst) eine Tatsache bzw. einen Sachverhalt macht.2 Die Anerkennung einer Sache aber hat zumeist nicht nur indirekte, sondern direkte Folgen für und Effekte auf eine Person bzw. Personengruppe, wird sie doch durch sie vielfach selber entweder als positiv bzw. als wertvoll bestätigt oder – im Falle der Bestätigung einer Sache als gültig oder richtig – vielfach auch zu etwas berechtigt und zu jemandem ‚gemacht‘. So ist z.B. die Anerkennung eines sozialen Geschehens als eines Verbrechens Voraussetzung für die Anerkennung von Opfern als Opfern, die erst dadurch zu (Schadens-)Forderungen berechtigt sind – wie auch umgekehrt die Anerkennung von Opfern (und auch Tätern) notwendige Bedingung dafür ist, um ein Geschehen als ein Verbrechen anzuerkennen. Noch stärker wird diese produktive Dimension von Anerkennung – als Herstellung, Stiftung bzw. Einsetzung – mit Blick auf Personen, gilt doch die positive und wertschätzende Anerkennung anderer als Stärkung, Unterstützung und Beeinflussung dieser anderen – und insofern als etwas, das nicht bloß nachträglich jemanden bestätigt, sondern in dieser Bestätigung für den Anerkannten selbst bereits Effekte (z.B. im Selbstwertgefühl) 2

Diese Implikation der Einsetzung, der Herstellung durch Anerkenntnis ist auch Kern des juristischen bzw. juridischen Terminus und bezeichnet einen Rechtsakt mit besonderer Rechtswirksamkeit, der einen geltend gemachten Anspruch zu einem (gültigen) Anspruch erhebt, indem dieser eigens als solcher bestätigt und in dieser Bestätigung als solcher hergestellt wird (vgl. http://www.rechtslexikononline.de/Anerkenntnis.html).

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hat – und das dann wiederum auch gegenüber dem Anerkennenden, z.B. berechtigt, Forderungen – für sich als Person – stellen und Rücksicht einfordern zu können (vgl. auch Honneth 2010). Die alltagsweltlichen Verwendungsweisen und Bedeutungsrichtungen von Anerkennung spiegeln nicht nur bereits die Vielfalt der mit Anerkennung verbundenen Perspektiven, sondern verweisen auch darauf, dass in ‚Anerkennung‘ die Dimensionen des Wahrnehmens, des Ein-, Ab- oder Wertschätzens und des Einsetzens, Berechtigens und Legitimierens nicht strikt voneinander zu trennen sind. Die herstellende Seite von Anerkennung – kurz: das, was mit ihr bestätigt wird, wird hervorgebracht und/oder eingesetzt – ist vielmehr immer auch und vielfach unmittelbar (spürbar) Teil jeder Anerkennung. Anerkennung eignet daher von Anfang an ein Doppelcharakter: sie hat sowohl eine passivische, mit einer (kognitiven oder evaluativen) Wahrnehmung, Identifikation oder Erkenntnis ebenso wie mit einer bewertenden Ein-, Ab- oder Wertschätzung verknüpfte Seite als auch eine aktivische und insofern herstellende und produktive Seite. Doch auch wenn sich alltagssprachlich durchaus vielfältige Verwendungsweisen und Bedeutungsmomente von ‚Anerkennung‘ rekonstruieren lassen und diese daher nicht auf ein (einziges) Bedeutungsmoment eingrenzbar ist, so zeichnet sich doch zunehmend eine dominante Verwendung, Bedeutung und auch Deutung von ‚Anerkennung‘ ab, die sich gerade der Einsicht in die ‚Produktivität‘ von Anerkennung verdankt. So wird Anerkennung alltagsweltlich in besonderer Weise mit Personen und Menschen verbunden und im Sinne von Ermutigung und Lob, Wertschätzung und Würdigung, Achtung und Ehre vorrangig als eine – ein positives Werturteil ausdrückende – Bestätigung einer Person oder Personengruppe bzw. ihrer Leistungen, Taten, Eigenschaften und Fähigkeiten verstanden und daher gemeinhin als etwas aufgefasst, das mit individueller Entwicklung eng verbunden ist und insofern eine unverzichtbare Bedingung menschlicher Subjekte und ihrer Subjektwerdung darstellt. Alltagsweltlich ist weitgehend unstrittig, dass Anerkennung für Menschen unverzichtbar ist und insofern selbst als wertvoll gelten kann. Damit aber wird Anerkennung nicht nur durchgängig positiv gedeutet und aufgeladen; vielmehr wird ihr im Zuge dessen eine ethische Dimension zugeschrieben, die aus der Positivität einen Appell macht: Du sollst anerkennen; oder alltagsweltlicher: Du sollst nicht (unnötig) abwerten oder gar missachten. Mindestens in dieser negativen Variante, dass man andere nicht (willentlich) missachten, beleidigen und verletzen darf bzw. soll, ist Anerkennung längst zum

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festen Bestandteil auch einer jeden Alltagsmoral geworden – mit dem Effekt, dass nun Kritik, Ablehnung oder gar Versagung als kommunikative Praktik erschwert werden und insofern irgendwie immer noch ‚konstruktiv‘ gewendet werden müssen.3 (b) Erweitert man nun den Blick um Verwendungsweisen von ‚Anerkennung‘ im Wissenschaftsdiskurs, dann bestätigt sich manches der alltagsweltlichen Begriffsfassung, -verwendung und -deutung (vgl. insgesamt Schild 2000): Trotz aller Widersprüchlichkeit einzelner Auslegungen und trotz heterogener Problemkontexte findet sich die alltagsweltlich dominante Bedeutung von Anerkennung als Bestätigung und Stiftung einerseits und moralisch-ethischer Appell der Wertschätzung und des Respekts andererseits auch im gegenwärtigen wissenschaftlichen Anerkennungsdiskurs wieder (vgl. ausführlich Nothdurft 2007 wie Markell 2003). Ohne hier nun der weiter unten nachzuzeichnenden Bedeutungsvielfalt vorgreifen zu können: Mit Anerkennung ist auch wissenschaftlich nicht nur längst die Einsicht, dass „Nichtanerkennung […] Leiden verursachen“ (Taylor 1993, S. 14) kann, verbunden, sondern auch die – zunächst der humanistischen Psychologie entstammende (vgl. Warsitz 2000 wie auch Wildt 2009) – Überzeugung bezeichnet, dass Anerkennung für die Identitätsbildung und -findung unverzichtbar ist und insofern ein grundsätzliches – und nicht bloß entwicklungsphasenspezifisches – Phänomen menschlicher Subjektwerdung darstellt (vgl. expl. Todorov 1998). Kaum verwunderlich ist daher, dass Anerkennung nahezu uneingeschränkt als ein „positiv konnotierter Begriff“ (Borst 2003, S. 108) gilt, der zumeist in Zusammenhang mit einem positiven Werturteil gebracht bzw. als Synonym für eine ein positives Werturteil ausdrückende Bestätigung verwandt wird. Es ist auch dieser gute Klang der ‚Anerkennung‘, der ihre Konjunktur im Wissenschaftsdiskurs verständlich macht, verknüpfen sich doch in ihr kategoriale Zuspitzungen – insbesondere mit Blick auf ‚Differenz‘, ‚Intersubjektivität‘, ‚Alterität‘ und ‚Relationalität‘ (vgl. Ricken/ Balzer 2007) – mit philosophischen, programmatischen und auch politischen Aufladungen; anders formuliert: Wie kaum ein anderer Begriff hat 3

Auch wenn Anerkennung immer wieder zwar als ein insbesondere in beruflichen und pädagogischen Zusammenhängen taugliches strategisches Mittel empfohlen wird – so gilt z.B. im Brockhaus die „Zuweisung von Anerkennung“ als „ein zentraler Verstärker normgerechten Verhaltens“ und umgekehrt die „Verweigerung von Anerkennung [...] als indirekte Strafe“ zur Entgegenwirkung von „Tendenzen des abweichenden Verhaltens“ (vgl. Brockhaus 2009) –, so vermag aber ein – mehr oder weniger unverblümter – strategischer Einsatz von Anerkennung nicht selten auch zu empören.

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sich ‚Anerkennung‘ inzwischen als theoretisch vielversprechender wie moralisch-ethisch aufgeladener und politisch offensichtlich kritischer Begriff – kurz: als bedeutsamer Programmbegriff, der zudem Reflexionsgewinne verspricht – etablieren können, mit dem leidigen Effekt, dass diese eher normative und appellative Fassung von Anerkennung eine eher analytische Wendung derselben mindestens erheblich beschwert. (c) Erst begriffs- und bedeutungsgeschichtlich aber wird deutlich, dass der gegenwärtige – alltagsweltliche wie auch wissenschaftliche – Gebrauch von Anerkennung einen enormen Bedeutungswandel darstellt (vgl. auch Borst 2003, S. 108); denn auch wenn das Thema der sozialen Anerkennung gewiss nicht „erst mit der Moderne aufkommt“ (Taylor 1995, S. 58), so ist doch bezeichnend, dass der Begriff der Anerkennung erst seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich wird (vgl. Kluge 1883-2002, S. 39) und – im Anschluss an die lateinischen Begriffe ‚agnitio‘ (Anerkennung im Sinne der Anerkenntnis von etwas), ‚apperceptio‘ (Anerkennen im Sinne von Wahrnehmung und Auffassung) und ‚approbatio‘ (Anerkennen im Sinne der Zustimmung, Billigung und Genehmigung) (vgl. Grimm/ Grimm 1854-1960, Bd. 1, S. 320ff.) – zunächst durchgängig eine Variante der Erkenntnis bezeichnet, in der die Vorsilbe ‚an-‘ – ist sie nicht bloß eine „müßige Verlängerung“ (Adelung 1793-1801, Bd. 1, S. 285286) – sowohl eine Form der Bekräftigung (im Kontrast zur Leugnung) als auch der spezifischen Erkenntnis als etwas bzw. die Form des ‚Gutheißens‘ von etwas darstellt (vgl. ebd. wie Kluge 1883-2002, S. 39). Erst seit dem 18. Jahrhundert aber findet der Begriff der Anerkennung breiteren Eingang in den Diskurs der Zeit: einerseits, weil die traditionelle und auf klaren Vorstellungen von ‚ehrwürdig‘ und ‚ehrlos‘ beruhende Vorstellung von ‚Ehre‘ sich allmählich auflöst und nun zwischen ‚Würde‘ – als allgemeiner Kennzeichnung des Menschlichen – und ‚Identität‘ – als individueller Kennzeichnung von Verdiensten etc. – den Raum für die Bedeutung sozialer Anerkennung auch begrifflich eröffnet (vgl. Nothdurft 2007, S. 111); andererseits, weil ‚Anerkennung‘ nun sukzessive eine positive Aufladung erfährt, in der die pejorative Bedeutung der bloß „äuszere[n] anerkennung unserer vorzüge“ (Grimm/ Grimm 1854-1960, Bd. 1, S. 321) sich – wenn auch langsam – in ein Verständnis für das ‚Verlangen nach Achtung‘ (vgl. Neuhouser 2008) verwandelt. So ist es insbesondere Jean-Jacques Rousseau, der in seiner Anthropologie eine „wirkliche Revolution“ (Todorov 1998, S. 23) unternimmt, indem er das Bedürfnis nach Anerkennung (in der Differenz von ‚amour propre‘ und ‚amour de soi‘) als konstitutiven Bestandteil der

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menschlichen Natur kennzeichnet und damit mit der Tradition, die Suche nach Beachtung, Beifall, Schätzung und Lob eher als Schwäche, als Moment egoistischer Triebe – wie noch im 17. Jahrhundert bei La Rochefoucauld, der von ‚amour propre‘ als lächerlicher Eigenliebe und zerstörerischer Selbstsucht sprach (vgl. La Rochefoucauld 1976, Sentenz S. 563) – zu verstehen, bricht (vgl. auch Taylor 1993, S. 18 wie insgesamt Nothdurft 2007). Was bei Rousseau begonnen hat, findet in Hegels Interpretation der Anerkennung seine Fortsetzung und ist bis heute diskursgeschichtlich überaus bedeutsam geworden. Im Kontrast zu Johann Gottlieb Fichtes Verständnis von Anerkennung, der in seinen ‚Reden an die deutsche Nation‘ (1808; vgl. Fichte 1965, Bd. VII) das „Vertrauen auf einen fremden und ausser uns befindlichen Maasstab der Selbstachtung“ als einen „eigenthümliche[n] Grundzug der Kindheit und Unmündigkeit“ (ebd., S. 416) kennzeichnete und gegen sein Verständnis von Mündigkeit – „der mündige Mensch hat den Maasstab seiner Selbstschätzung in ihm selber“ (ebd.) – konturierte4, entwickelte Georg Wilhelm Friedrich Hegel insbesondere in der ‚Phänomenologie des Geistes‘ (1807, vgl. Hegel 1970a) ein Verständnis von Anerkennung als eines zwar paradoxen, aber konstitutiven Geschehens. Hegels berühmt gewordenes bewusstseinstheoretisches Diktum – „Sie anerkennen sich als gegenseitig sich anerkennend.“ (ebd., S. 147) – markiert dabei die entscheidende Weichenstellung, das Selbstbewusstsein nicht bloß – als sich selbst setzend – zu setzen, sondern „nur als ein Anerkanntes“ (ebd., S. 145) verstehen zu können: „Das Selbstbewusstsein ist an und für sich, indem und dadurch, dass es für ein Anderes an und für sich ist“ (ebd.). Die daraus resultierende Paradoxie, in der eigenen Unabhängigkeit von anderen abhängig zu sein, wechselseitig für die eigene Autonomie 4

Fichtes Diagnose, dass „bisher […] viele Menschen ihr ganzes Leben hindurch Kinder geblieben“ sind, weil sie „zu ihrer Zufriedenheit des Beifalls der Umgebung bedurften, und nichts Rechtes geleistet zu haben glaubten, als wenn sie dieser gefielen“ (Fichte 1965, Bd. VII, S. 416f.), belegt zwar eindrücklich die abwertende Perspektive, hinderte ihn aber durchaus nicht, von Anerkennung auch als einem überaus geeigneten Mittel des pädagogischen Handelns zur Beeinflussung der Selbsttätigkeit der Heranwachsenden zu sprechen und die Möglichkeit, den kindlichen „Trieb nach Achtung“ (ebd., VII, S. 414) strategisch auszunutzen, pädagogisch anzuraten – sei es dadurch, dass „Liebe“ und „Lohn des herzlichen Beifalls“ auch „schweren Gehorsam und jede Selbstverläugnung“ (ebd., S. 415) ermöglichen können oder sei es dadurch, dass durch „Nichtbeachtung“ oder gar ‚Beschämung‘ das „Gefühl der Selbstverachtung“ (ebd., S. 415) provoziert werde. Solchermaßen wird Anerkennung von ihm als ein verfügbares Mittel betrachtet und vorgestellt, das einzusetzen oder vorzuenthalten der pädagogischen Entscheidung unterliegt.

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eine gewisse Heteronomie eingehen zu müssen, mündet schließlich notwendigerweise in einen „Kampf des Anerkennens“ (Hegel 1970b, S. 221) – einem Kampf, in dem die „Gewissheit, für sich zu sein, an dem Anderen“ allererst gewonnen werden muss (Hegel 1970a, S. 149), und der dann von Hegel als Kampf zwischen ‚Herr‘ und ‚Knecht‘ ausgelegt worden ist (vgl. ebd., S. 149-155).5 Die rasante Konjunktur des Begriffs der Anerkennung im Wissenschaftsdiskurs und der ihr vorangehende enorme Bedeutungswandel seit der Aufklärung lassen abschließend durchaus die Einschätzung zu, mit ‚Anerkennung‘ auf ein zwar zunächst insbesondere im Deutschen Idealismus verankertes, dann aber spezifisch modernes Theorem gestoßen zu sein (vgl. Zurn 2009), dem zunehmend im Wissenschaftsdiskurs eine paradigmatische Bedeutung für Theoriebildung und Relevanzzuweisung zuzukommen scheint. Mehr noch: Mit Anerkennung scheint etwas ‚auf den Begriff gebracht‘ zu werden, was insbesondere für die spätmoderne gesellschaftliche Situation ebenso kennzeichnend wie problematisch ist – und damit an Grundfragen unseres menschlichen Selbstverständnisses rührt. (d) Fragt man vor diesem Hintergrund nun nach den gesellschaftlichen Kontexten des begrifflichen Bedeutungswandels, dann lassen sich insgesamt vier – sicherlich unterschiedlich dimensionierte, aber miteinander verbundene – Momente rekonstruieren, die zum Bedeutungs- und Verwendungswandel von ‚Anerkennung‘ und deren zunehmender philosophisch-anthropologischer Bearbeitung geführt haben. Die erstaunliche „Karriere des Anerkennungsbegriffs“ (Nothdurft 2007, S. 111) lässt sich – erstens – auch als Moment wie Folge des modernen gesellschaftlichen Strukturwandels und der mit ihm einhergehenden Problematik der Individualität und Identität verstehen. So resultiert aus der – für die moderne Gesellschaft kennzeichnenden – funktionalen Differenzierung gesellschaftlicher Systeme zunächst eine rasant zunehmende Focussierung von Individualität und Identität, weil Menschen nun zunehmend aufgefordert sind, sich auf sich selbst zu beziehen und ihre ‚Identität‘ gerade nicht qua sozialer Zugehörigkeit oder gar familialer Abstammung, sondern durch Verweis auf sich selbst zu bestimmen (vgl. Luhmann 1989). Während also vormodern das Verhältnis von Anerkennung und Identität in5

Der – allerdings die Schriften Hegels nicht korrekt zitierende – Topos des ‚Kampfes um Anerkennung‘ (vgl. Honneth 1992) ist seitdem zum Inbegriff des Anerkennungsdenkens geworden und hat inzwischen unzählige Schriften nach sich gezogen (vgl. expl. Celikates 2007 wie insgesamt Schmidt am Busch/ Zurn 2009 und Benjamin 2002).

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sofern „zu unproblematisch [war], um eigens thematisiert zu werden“ (Taylor 1995, S. 58), weil „die sozial abgeleitete Identität auf gesellschaftlichen Kategorien beruhte, die jeder als selbstverständlich hinnahm“, so dass „die soziale Anerkennung von vornherein mit dieser Identität gegeben“ (ebd., S. 57) war, wird Anerkennung im Übergang zu modernen Gesellschaften problematisch, denn mit der Auflösung traditionaler Gesellschaftsstrukturen geht auch ein „Zusammenbruch der gesellschaftlichen Hierarchien“ (ebd., S. 55) einher, der die unmittelbare Bindung von Anerkennung an den sozialen Status einer Person auflöst. Anerkennung – so lässt sich bündeln – kann daher nicht nur nicht mehr einfach – z.B. qua Herkunft oder Sozialstatus – vorausgesetzt werden; vielmehr muss sie nun – z.B. qua Leistung – selbst erworben werden und wird daher im Vergleich untereinander sowie durch die Konkurrenz miteinander selbst zu einer knappen Ressource (vgl. Sennett 2002), so dass nun „das Streben nach Anerkennung scheitern“ kann (Taylor 1995, S. 58). Es ist jedoch – zweitens – nicht allein der „Niedergang der hierarchisch gegliederten Gesellschaft“ (ebd., S. 56), der die sozial abgeleitete Identitätsbestimmung nachhaltig schwächt; vielmehr wird die modern zunehmende und zunehmend problematische Differenz von Individuum und Gesellschaft auch durch eine am „Ideal der Authentizität“ (ebd.) orientierte „neue, erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hervortretende Auffassung von individueller Identität“ (Taylor 1993, S. 16f.) vergrößert – und zugleich kompliziert, verlangt doch ‚Authentizität‘ sowohl Unabhängigkeit von anderen als auch Anerkennung derselben durch andere. Folgt man den Analysen Charles Taylors, so besteht das „entscheidende Merkmal der innerlich abgeleiteten, persönlichen und originellen Identität [...] darin, daß diese sich nicht jener apriorischen Anerkennung erfreut“ (Taylor 1995, S. 57f.); vielmehr gilt es nun, „Anerkennung durch einen Austauschprozeß“ (ebd., S. 58) allererst zu erringen und – von der Aufmerksamkeitserregung bis zur medialen Präsentation – auch zu inszenieren. Mehr noch: Anerkennung wird nicht (bloß) entlang eines übergeordneten Kriterienkatalogs vergeben, sondern selbst zugleich auf Gleichheit und Differenz – der legitimen Differenz der Individuen als sie selbst – bezogen. Damit aber wird ‚Anerkennung‘ nicht nur zum Feld ebenso konträrer wie wechselseitiger Interessen und Praktiken, sondern auch zu einer eigentümlich ambivalenten Sphäre einer jeden individuellen Existenz: einerseits zwar insgesamt unverzichtbar, aber andererseits weder einfach verfügbar noch vorgegeben und insofern bloß weder hin- oder annehmbar noch herstellbar. Es ist diese Ambivalenz der Anerkennung, die bereits früh

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bei Hegel als paradoxe Dialektik von Unabhängigkeit und Abhängigkeit reflektiert wurde und seitdem die Gestaltung aller sozialen Beziehungen – von Arbeits- und Berufsrollen über freundschaftliche Beziehungen bis hin zu intimen Liebesbeziehungen – figuriert und inzwischen selbst zu einem eigenen Markt geworden ist. Mit dieser Verschiebung des Problems individueller Identität ist – drittens – auch die gesellschaftstheoretisch herausfordernde Frage nach dem Zusammenhang der Gesellschaft selbst verbunden (vgl. Teufel 1996 wie Heitmeyer/ Imbusch 2005). Bereits Hegel galt Anerkennung nicht nur als Medium der Individualisierung, sondern auch als das Medium, durch das die Menschen – der alten Bindungen weitgehend entledigt – miteinander in Verbindung stehen und durch das die Gesellschaft ihren sittlichen Zusammenhalt findet; dabei ist es für Hegel der Kampf um Anerkennung selber, der – in einer Stufenfolge – als Prozess des gleichzeitigen Anwachsens von Gemeinschaftsbindungen und individueller Freiheit zur Herausbildung eines sittlichen Gemeinwesens führt (vgl. Honneth 1992). Fragen der Anerkennung aber sind von Fragen des Zusammenlebens auch deshalb kaum zu trennen, weil Anerkennung nicht nur als ein zentraler Schlüssel sowohl der Individualisierung als auch der Inklusion und Integration gelten kann, sondern weil sie – aufgrund ihrer „Verknappung“ (Anhut/ Heitmeyer 2009, S. 222) – in besonderer Weise mit Phänomenen der Desintegration und der Exklusion auch verbunden ist: nicht nur insofern, als Exklusion und Desintegration mangelnde Anerkennung bedeuten (vgl. Bude 2008), sondern auch insofern, als diese selber Folge fehlender und mangelnder Anerkennung auch sind. Es ist dann nur nahe liegend, auch Phänomene der gesellschaftlichen Anomie und Gewalt (vgl. expl. Sitzer 2009) wie auch der Fremdenfeindlichkeit (vgl. expl. Kaletta 2008; Krüger u.a. 2003 wie Helsper u.a. 2006) sowohl als Folge von ‚Anerkennungsdefiziten‘ (vgl. Anhut/ Heitmeyer 2009) als auch als Ruf und Streben nach Anerkennung zu deuten. All dies schlägt sich schließlich – viertens – in einer gravierenden Umdeutung des aufklärerisch etablierten menschlichen Selbstverständnisses als Subjekt nieder: auch wenn die subjekttheoretische Einsicht, dass Menschen aufgrund ihrer Nichthintergehbarkeit ihr Leben nicht nur überhaupt führen, sondern auch selbsttätig bzw. selbstbestimmt führen müssen, weiterhin breite Geltung beanspruchen kann, so wird doch zunehmend deutlich, dass dies ohne Bezug auf eine konstituierende Sozialität nicht zu gelingen vermag; mehr noch: Anerkennung und das Bedürfnis nach Anerkennung werden einerseits zum Mittel eines sich weiterhin selbstbehauptenden Sub-

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jekts, andererseits aber gleichzeitig der Ort, an dem diese Selbstbehauptung unterbrochen, eingeklammert und außerkraft gesetzt wird. Anders formuliert: die seit Hegel unabweisbare Unverzichtbarkeit von Intersubjektivität für Subjektivität und ihre Genese hat längst zur Vorstellung einer ebenso dezentrierten wie fragilen Subjektivität bzw. ‚Inter-Subjektivität‘ (Meyer-Drawe) geführt, in der nicht nur Souveränität, Transparenz und Erhabenheit zunehmend undenkbar werden (vgl. z.B. Meyer-Drawe 1990 wie Ricken 1999), sondern Sozialität als Bedingung menschlicher Vernunft überhaupt deutlich wird (vgl. Tomasello 2006). In dieser Umschrift moderner Anthropologie aber kommt ‚Anerkennung‘ eine enorme kategoriale Bedeutung zu, erlaubt sie doch sowohl eine Zuspitzung von Intersubjektivität (vgl. Düsing 2000 wie Ricken/ Balzer 2007) als auch eine spezifische Focussierung vielfältiger gesellschaftstheoretischer und sozialphilosophischer Fragestellungen (vgl. Gander 2004 wie auch Liebsch 2005a und Liebsch 2008). Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlicher, warum der Begriff der ‚Anerkennung‘ zu einem so bedeutsamen Topos in vielen gegenwärtigen Diskursen geworden ist, eignet er sich doch nicht nur dazu, sehr unterschiedliche und überaus zentrale empirische wie theoretische Problemstellungen zu bündeln; vielmehr hat ‚Anerkennung‘ auch ebenso aufklärerische wie aufklärungskritische Implikationen und bietet sich daher auch spätmodern als eine ‚Schlüsselkategorie‘ an.

II. Eine moralische Praxis: Anerkennung als ethische Problematik Dass ‚Anerkennung‘ zunächst weitgehend als moralische Kategorie und Praxis verstanden wird, ist eine unmittelbare Folge ihrer lebensweltlichen wie wissenschaftlichen Bedeutung als Wertschätzung und Respekt; dass aber ‚Anerkennung‘ in den letzten Jahren auch zu einem ‚Zentralbegriff der Ethik‘ – d.h. der Begründungstheorie von Moral – geworden ist (vgl. Halbig 2006), ist insbesondere das Verdienst der sozialphilosophischen Arbeiten Axel Honneths, der – wohl wie kein anderer – die Begründungsaporien moralischen Handelns einer anerkennungstheoretischen Reformulierung unterzogen hat (vgl. Honneth 1992) und so „das Prinzip der Anerkennung als solches zum Grundstein einer Ethik“ (Honneth 1997, S. 25) zu machen versucht hat. So bietet der Begriff der ‚Anerkennung‘ – insbesondere im Anschluss an Hegels Kritik der Kantischen Pflichten-

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ethik (vgl. Siep 1979) – eine dritte Möglichkeit, moralisches Handeln zu begründen, ohne sich zwischen dem eher substanzial gefassten Begründungsprogramm der aristotelischen Tugendethik und der formal konzipierten Vernunftethik Kants entscheiden zu müssen (vgl. Honneth 2000); mehr noch: eine anerkennungstheoretische Moralkonzeption erlaubt es, die Intuition des kategorischen Imperativs – andere niemals bloß als Mittel, sondern stets auch als Zweck für sich selbst zu verstehen – ethisch zu reformulieren und zugleich quasi ontologisch in der intersubjektiven Verfasstheit menschlicher Existenz zu verankern.6 Ausgangspunkt der Honnethschen Überlegungen ist eine intersubjektivitätstheoretische Relektüre der Schriften Hegels und Meads, in der die „Idee der wechselseitigen Anerkennung“ (Honneth 1992, S. 11) als Bedingung der Möglichkeit von individueller und sozialer Freiheit reformuliert wird und sowohl zu einer „normativen Grundlage [...] einer Gesellschaftskritik“ (Honneth 2003a, S. 333) als auch zu einem „anerkennungstheoretischen Konzept der Sittlichkeit“ (Honneth 1992, S. 9) ausgearbeitet wird. Anstatt – wie gemeinhin üblich entlang atomistischer Prämissen – von der Vorstellung zunächst isolierter Subjekte auszugehen und dann deren Vergesellschaftung als Problem von Selbstbehauptung und Anderenachtung zu denken, rekonstruiert Honneth die existierenden gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Bezüge als Bedingungen der „Möglichkeit einer ungestörten gelingenden Selbstbeziehung“ (ebd., S. 8) und skizziert diese als unterschiedliche „Formen der Anerkennung“ (ebd.). Es sind die Anerkennungssphären der ‚Liebe‘, des ‚Rechts‘ und der ‚Solidarität‘ bzw. der ‚Wertschätzung‘ (vgl. ebd., S. 8 wie S. 148ff.), in denen er ‚Anerkennung‘ als die „implizit praktizierten Ideale“ (Honneth 2003a, S. 340) ausmacht, die nicht nur in unseren Gesellschaften regeln, „welche legitimen Erwartungen auf die Anerkennung durch die anderen Gesellschaftsmitglieder bestehen“ (Honneth 2003b, S. 207); vielmehr sind mit ihnen auch jene Sphären benannt, mithilfe derer die Genese von Subjektivität und Identität aus gelingender Intersubjektivität zu rekonstruieren möglich ist. Während, so Honneth, in Primärbeziehungen wie Liebe und Freund6

Honneths Arbeiten lassen sich ohne Verweis auf die früheren Studien von Ludwig Siep (1979) und Alexandre Kojève (1975), die sich alle mit den Überlegungen Hegels auseinandersetzen, nicht angemessen verstehen und einordnen; zudem setzen sie fort, was bei Jürgen Habermas als gesellschaftstheoretisches Theorieprogramm begonnen (vgl. Habermas 1981) und dann insbesondere auch als kommunikationstheoretisch entfaltetes Begründungsprogramm moralischen Handelns (vgl. Habermas 1983) skizziert worden ist (vgl. auch Habermas 2005).

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schaft die subjektiven Bedürfnisse und Affekte anerkannt werden, wird in Rechtsverhältnissen die moralische Zurechnungsfähigkeit von Personen anerkannt; in Wertgemeinschaften bzw. Solidarität werden schließlich die spezifischen Fähigkeiten und Eigenschaften von Individuen bzw. ihre jeweiligen Leistungen anerkannt.7 Damit einher geht die Unterscheidung dreier „Grundtypen anerkennenden Verhaltens“ (Honneth 2003a, S. 330), die Honneth als emotionale Zuwendung und Bestätigung, kognitive Achtung und soziale Wertschätzung bezeichnet (vgl. Honneth 1992, S. 211). Die normativ leitende Perspektive (s)einer ‚Anerkennung‘ als Schlüsselbegriff etablierenden Ethik (i.e. die Moral der Anerkennung) begründet Honneth, indem er ausweist, „welchen konstitutiven Beitrag“ die drei von ihm – in der „Besinnung auf historisch hervorgebrachte Bedingungen der persönlichen Identitätsbildung“ (Honneth 2003b, S. 215) – unterschiedenen Anerkennungsmuster „jeweils zur Ermöglichung einer bestimmten Form der individuellen Selbstbeziehung leisten“ (Honneth 2003a, S. 309). So unterscheidet er die drei Formen der praktischen Selbstbeziehung ‚Selbstvertrauen‘ qua physischer Integrität, ‚Selbstachtung‘ qua ‚sozialer Integrität‘ und ‚Selbst(wert)schätzung‘ qua Würde und ‚Ehre‘ (vgl. Honneth 1992, S. 148-210; insbes. S. 211), betrachtet jedoch die Anerkennungssphären nicht (allein) „unter dem funktionalen Gesichtspunkt der Konstitution von praktischen Selbstverhältnissen“ (Honneth 2003b, S. 38), sondern deutet sie zugleich als „normative[.] Bedingungen der Selbstverwirklichung“ (Honneth 1992, S. 280), indem er sie – bisweilen in der analytischen Auseinandersetzung mit klinischem Material – „nunmehr als Voraussetzungen einer gelingenden Selbstverwirklichung“ (ebd., S. 279) rekonstruiert.8 Dabei nimmt Honneth eine Stufenlogik der drei Anerkennungsformen an: Die Erfahrung emotionaler Zuwendung und Bestätigung in der Anerkennungssphäre der Liebe geht, so seine These, „jeder anderen Form der reziproken Anerkennung sowohl logisch als auch genetisch voraus“ (ebd., S. 172), sie ist „die psychische Voraussetzung für die Entwicklung aller weiteren Einstellungen der Selbstachtung“ (ebd.). Bleibt Anerkennung jedoch „auf irgendeiner Stufe seiner Ent7

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Darauf, dass Honneth verschiedentlich Korrekturen an seinen ersten Ausdifferenzierungen von Anerkennungsformen vorgenommen hat, sei hier nur hingewiesen; vgl. hierzu insbesondere Fraser/Honneth 2003, Honneth 2003a sowie Honneth 2008b. Vgl. zur Kritik an Honneths Einführung des Begriffs der Selbstverwirklichung als eines Diagnosekriteriums für ‚soziale Pathologien‘ insbes. Fraser/Honneth 2003, S. 44ff. wie Demtröder u.a. 2004; vgl. auch die Gegenkritik in Wagner 2005.

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wicklung aus“ (ebd., S. 220), wird also einem Subjekt in einer der drei Sphären Anerkennung vorenthalten oder erfährt es Missachtung, „so reißt das in seiner Persönlichkeit gleichsam eine psychische Lücke auf, in die negative Gefühlsreaktionen wie die Scham oder die Wut treten“ (ebd., S. 220) – und die dann einen Kampf um Anerkennung auslösen (können).9 Nur folgerichtig ordnet Honneth diesen typologisch formulierten Anerkennungsformen auch analog unterschiedene Formen der Missachtung – Vergewaltigung als Verletzung der physischen Integrität, Entrechtung als Verletzung der sozialen Integrität und Entwürdigung als Negation der Würde (vgl. ebd., S. 212-225) – zu, die nun ihrerseits als „Formen der [...] verweigerten Anerkennung“ (ebd., S. 212) gelesen werden müssen, die „die Identität der ganzen Person zum Einsturz bringen“ (ebd., S. 213) können. In Honneths Konzept aber bildet nicht allein der „Strukturzusammenhang[.] von Selbstverwirklichung und Anerkennung“ (Honneth 2004a, S. 114), sondern vielmehr der „interne Zusammenhang von Selbstverwirklichung, positiver Selbstbeziehung und wechselseitiger Anerkennung“ (ebd., S. 113) den argumentativen Schlüssel für die Begründung der normativen Implikationen des Anerkennungsbegriffs. Indem er herausstellt, „dass die Idee der Selbstverwirklichung begrifflich eine positive Selbstbeziehung voraussetzt“ (ebd.), und indem er „Strukturen der wechselseitigen Anerkennung [...] als praktische Bedingungen eines positiven Selbstverhältnisses des Menschen“ (Honneth 2003a, S. 308) begreift, begründet Honneth seine leitende These, dass Anerkennung „für die menschliche Lebenspraxis normativ von Bedeutung“ (ebd., S. 325) ist und als Inbegriff moralischen Handelns zu fungieren vermag. Die drei Anerkennungsformen stellen, so Honneth, zwar historisch kontingente, gleichwohl „universale Bedingungen einer positiven Selbstbeziehung menschlicher Subjekte“ (ebd., S. 309) und ihrer „intakten Identitätsbildung“ (Honneth 2003b, S. 209) dar: erst die ‚volle‘ und geglückte Anerkennung in allen drei Sphären ermögliche ein „unbeschädigte[s] Selbstverhältnis“ (Honneth 2003a, S. 297) und eine „geglückte[.] Selbstbeziehung“ (Honneth 1992, S. 220) – von der (wiederum) „die Möglichkeit der Verwirklichung von individueller Autonomie für das einzelne Subjekt 9

Entlang dieser Typologie von Missachtungserfahrungen nimmt Honneth eine Verschränkung von Ontogenese und Soziohistorie vor und sucht seine – entgegen der „sozialtheoretische[n] Fixierung auf die Dimension des Interesses“ (Honneth 1992, S. 265) formulierte – These zu begründen, dass sich Aufruhr und Widerstand als (kollektive) Kämpfe um erweiterte Anerkennungsformen interpretieren lassen.

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[...] abhängt“ (Honneth 2003b, S. 213).10 Anders formuliert: Anerkennung wird bei Honneth nicht nur als Bedingung und insofern auch Medium von Identitätsbildung aufgewiesen, sondern kann – aufgrund ihrer normativen Bedeutung – auch als Prinzip moralischen Handelns sowie als zentrales Theorem eines ethischen Begründungsprogramms gelten (vgl. auch Honneth/ Rössler 2008). Es sind diese – und ihnen ähnliche – Argumentationsfiguren, die sich im jüngeren erziehungswissenschaftlichen Diskurs zu Anerkennung vielfach wiederfinden (lassen)11; sowohl mit als auch ohne (expliziten) Bezug auf Honneths anerkennungstheoretischen Ansatz wird in erziehungs- und bildungstheoretischen Überlegungen Anerkennung als moralisches Prinzip pädagogischen Handelns wie als moralische Verpflichtung pädagogisch Tätiger eingeführt und solchermaßen zum Kerngedanken pädagogischer Verantwortung und der damit verbundenen Ethik(en). Die ‚Anerkennung‘ für pädagogische Prozesse und Verhältnisse zugeschriebene Bedeutung begründet sich – wie Honneths These von „der invarianten Abhängigkeit des Menschen von der Erfahrung der Anerkennung“ (Honneth 2003a, S. 336) – zumeist darin, dass sie für die Entwicklung einer gelungenen, ungebrochenen, positiven Selbstbeziehung – und (deshalb) für Autonomie – unverzichtbar ist. Als „Bedingung der Möglichkeit von Autonomie“ (Borst 2003, S. 108) wird Anerkennung als „Voraussetzung und Triebwerk von Bildung“ (Stojanov 2006, S. 168f.) und als solche als aus moralischen Gründen unverzichtbar wie auch als unverzichtbare Norm in pädagogischen Prozessen und Verhältnissen gedacht. Wie in Honneths Überlegungen wird daher die pädagogische Bedeutung der „Verschränkung von individueller Subjektivität mit sozialen Anerkennungsformen und -verhältnissen“ (Scherr 2002, S. 28) entlang einer „Verschränkung von sozialer und normativer Geltung“ (Honneth 2003d, S. 296) begründet: Weil Anerkennung „für die Identitätsfindung von großer Relevanz ist“ (Borst 2003, S. 108), soll sie auch sein. 10

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Anerkennung stellt nach Honneth bisweilen auch deshalb ein moralisches Handeln dar, weil sich im anerkennenden Subjekt eine Dezentrierung und „Einschränkung seiner egozentrischen Perspektive“ (Honneth 2003c, S. 24) vollzogen haben muss, um dem anderen Subjekt einen Wert einräumen zu können; vgl. zu dem so angedeuteten Gedanken einer primären Antisozialität auch Whitebook 2001 wie Honneth 2001. Auch wenn eine systematisch ausgearbeitete ‚Pädagogik der Anerkennung‘ bislang nicht vorliegt, so mehren sich die Studien, die Anerkennung als zentrales Theorem pädagogischer Reflexionen veranschlagen; vgl. expl. v.a. die Arbeiten von Borst 2003, Stojanov 2006, Bünger 2008, Ricken 2006 und Balzer 2007 sowie auch einen ersten Überblick in Hafeneger u.a. 2002.

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So berechtigt diese Argumentationen auch sind – weil, worauf u.a. verschiedene Untersuchungen zum Lehrerethos verweisen (vgl. Oser 1998), Anerkennung pädagogisch wohl nicht selten tatsächlich ein handlungsleitendes Prinzip ist, aber auch weil wohl niemand ernsthaft bestreiten würde, dass auf Dauer gestellte Nicht-Anerkennung schaden kann –, diese Lesart von Anerkennung schränkt den Blick auf pädagogische Verhältnisse und die pädagogische Praxis erheblich ein, weil Anerkennung „immer positive Anerkennung heißen“ (Gerhardt 2004, 16) muss. Zweierlei Formen der Einschränkung lassen sich dabei unterscheiden: (a) Einerseits forciert die auf Autonomie fokussierte Lesart des Zusammenhangs von Subjektwerdung und Anerkennung ein (zu) enges Verständnis von Anerkennungshandlungen und -akten, weil zum einen nur positive, wertschätzende und wohlwollende Handlungen in den Blick geraten können, zum anderen aber das Kriterium der Positivität – qua Intention des Anerkennenden oder Rezeption des Anerkannten – weitgehend unbestimmt bleiben muss. Darin aber wird letztlich auch die Logik der Anerkennung selbst erheblich beschnitten. So bestimmt Honneth in Antworten auf kritische Rückfragen an sein Konzept (Honneth 2003a wie Honneth 2004b) – weder „Vereinseitigungen noch Ausschließungen“ (Honneth 2004b, S. 55) scheuend – den „Originalmodus der ‚Anerkennung‘“ (ebd.) als „die Affirmierung von positiven Eigenschaften menschlicher Subjekte oder Gruppen“ (ebd.). Wir haben es, so Honneth, „nur dann mit einem Fall von ‚Anerkennung‘ zu tun, wenn ihr primärer Zweck affirmativ auf die Existenz der anderen Person oder Gruppe gerichtet ist“ (ebd., S. 56).12 Dass aber Anerkennung auch „Nebenprodukt einer andersgerichteten Handlung“ (ebd., S. 55) sein kann, wird damit ebenso ausgeschlossen wie die Möglichkeit einer Verkennung des Anerkannten in der – noch so positiv gemeinten – Anerkennung selbst (vgl. Bedorf 2010); Anerkennung ist, so Honneth, „ein Reaktionsverhalten [...], mit dem wir in rationaler Weise auf Werteigenschaften antworten, die wir im Maße der Integration in die zweite Natur unserer Lebenswelt wahrzunehmen gelernt haben“ (Honneth 2004b, S. 60), so dass sie auf einer – angemessenen und rationalen – Rezeption bestimmter Eigenschaften des Anerkannten aufruht (vgl. ebd., S. 56ff.). Solchermaßen in eine Rationalität des Erkennens eingespannt, bleibt in der Anerkennung nicht nur die – an die Fremdheit 12

Dass der Anerkennungsbegriff auch in Honneths Arbeiten gerade nicht bloß in diesem Sinne verwandt wird, sondern bisweilen erheblich weiter gefasst wird und insofern auch an Kontur verliert, zeigt Henning Röhr in seinen Analysen auf (vgl. Röhr 2009).

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auch des Eigenen gebundene – „konstitutive Undurchschaubarkeit des Anderen“ (Masschelein/ Wimmer 1996, S. 17) ungedacht13; vielmehr wird auch die Performativität von Anerkennung überaus verkürzt gedacht, weil letztlich in ihr – trotz der zugestandenen Performativität der Attribution – doch nur etwas hervorgebracht wird, was schon vorher bereits da war bzw. die Subjekte bereits vorgängig besitzen, so dass das ‚Selbst‘ zwar bestärkt, aber letztlich unangetastet bleibt. Damit aber wächst die Gefahr, Anerkennung nun doch bloß als Instrument oder Mittel pädagogischen (und sozialen) Handelns zu verstehen, wie dies verschiedentlich kritisch vorgebracht wurde (vgl. expl. Siep u.a. 2004); in jedem Fall aber wird damit der intersubjektivitätstheoretische Einsatz – d.h. der von Honneth explizit betriebene Bruch mit den atomistischen Prämissen der Aufklärungsphilosophie – beschädigt wenn nicht gar hintertrieben, wird doch Anerkennung gerade nicht als Struktur von Autonomie selbst – und damit als Infragestellung der Möglichkeit derselben –, sondern bloß als Weg zu ihr gedacht (vgl. Ricken 2009a).14 (b) Andererseits resultiert aber aus dieser (eindeutig) positiven Auslegung von Anerkennung, dass nahezu allein Erscheinungen der fehlenden Anerkennung oder Demütigungs- und Missachtungserfahrungen problematisierbar werden und als Defizite sozialen Handelns in den Blick rücken. Das bedeutet nicht nur, dass all jene Vorgänge, in denen Anerkennung durchaus bloß als Mittel und Instrument strategisch eingesetzt wird, allenfalls mit einem argumentativen Zusatz kritisch, d.h. in ihrer Positivität und Moralität, befragbar gemacht werden können (vgl. Honneth 2004b); vielmehr ergibt sich auch nahezu zwangsläufig, dass die ‚moralische Qualität‘ von (pädagogischen) Verhältnissen und Institutionen am Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Anerkennung bemessen wird (z.B. mit Blick auf das Schulklima; vgl. Sandring 2006) und darin 13

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Vgl. zur Notwendigkeit einer ‚Anerkennung des Unverfügbaren‘ sowie zur Frage der ‚Verkennung in der Anerkennung‘ auch Borst 2004 sowie Bedarf 2010. Honneths Antwort auf die Frage, ob Anerkennung „nur die Rolle eines instrumentellen Wertes zufällt, während die Autonomie oder Selbstverwirklichung den eigentlich entscheidenden Platz eines moralisch höchsten Wertes einnimmt“ (Honneth 2003a, S. 338), fällt bezeichnenderweise ebenso apodiktisch wie uneindeutig aus: Anerkennung, so Honneth, besitze „mehr als nur einen instrumentellen Wert im Hinblick auf die Selbstverwirklichung“ (ebd.); zudem handle es sich um eine falsche Entgegensetzung: weil „sich eine bestimmte Form der Autonomie nur in ‚sittlichen‘ Verhältnissen der wechselseitigen Anerkennung bilden kann, [...] lässt sich das Ergebnis hier gar nicht in der Weise von seinem Hervorbringungsprozess trennen, wie es die Unterscheidung von ‚Zweck‘ und ‚Mittel‘ nahelegt“ (Honneth 2004a, S. 111).

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subtil immer wieder neu einem karrikierenden Verständnis von Pädagogik als ‚Kuschelpädagogik‘ Vorschub geleistet wird (vgl. Balzer/ Künkler 2007). Gerade weil – mindestens implizit – widerspruchsund spannungslose, reziproke und symmetrische Anerkennungsverhältnisse als kontrafaktischer Fluchtpunkt des pädagogischen Handelns dienen, bleibt nicht nur unberücksichtigt, dass die Dimension des Kampfes in Anerkennungsverhältnisse eingelassen ist15, sondern auch, dass dem pädagogischen Handeln – allemal unter den institutionellen Rahmenbedingungen von Schule – Widersprüche konstitutiv eingeschrieben sind (vgl. Helsper 2004), die nicht allein daraus resultieren, dass Anerkennungssphären „in ein und demselben Augenblick konfligierende Ansprüche stellen“ (Honneth 1997, S. 39) können16, sondern auch daraus, dass pädagogisches Handeln ein Entwicklung zugleich ermöglichendes und regulierendes, ein zugleich bestätigendes und negierendes, ein zugleich belohnendes und sanktionierendes Handeln, ein Handeln nicht nur für und mit anderen, sondern auch gegen andere ist. Genau diese pädagogische Ambivalenz aber wird durch eine durchgängige positive Aufladung von Anerkennung mindestens übersprungen und mit Blick auf die Praxis erheblich beschwert, laufen doch regulierende, negierende wie sanktionierende Handlungen dann allzu leicht Gefahr, als Abwertungen und Missachtungen codiert zu werden. Bedeutsam scheint daher, ein produktives Verständnis der Paradoxien der Anerkennung zu erarbeiten, indem auch Ver- und Entsagung als Bedingung der Möglichkeit von Anerkennung denkbar werden (vgl. dazu Benjamin 1990 wie auch Benjamin 1996a und Teil IV.). 15

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Dies ist auch deshalb zu betonen, weil im moralphilosophischen Diskurs die Tendenzen zu einer – auf Wechselseitigkeit und Reziprozität fokussierten und Differenz wie Asymmetrie ausblendenden – versöhnungsphilosophischen Einebnung von Anerkennung unübersehbar sind (vgl. Düttmann 1997, S. 141ff. wie insgesamt Celikates 2007 und Warsitz 2000). Dass ‚Anerkennung‘ aber nicht zwangsläufig mit einem Kampf verbunden ist, stellt neben Todorov (vgl. Todorov 1998, S. 36ff.) insbesondere Paul Ricœur in seiner letzten selbst verantworteten Monographie Wege der Anerkennung (vgl. Ricœur 2006) heraus, ohne damit zugleich in das „Lob der wechselseitigen Anerkennung“ (ebd., S. 323) einzustimmen: Das Verkennen der originären Asymmetrie zwischen mir und dem anderen, so Ricœur im Rekurs auf Emmanuel Levinas, wäre „das letzte Verkennen innerhalb der konkreten Anerkennungserfahrungen“ (ebd.); vgl. zu einem pädagogisch justierten Versuch, mit Levinas Anerkennung zu denken Rösner 2005. Im Falle eines solchen Konflikts der Anerkennungssphären kommt nach Honneth den aus der Anerkennungsform des Rechts und des Respekts erwachsenden Ansprüchen aufgrund ihres universalistischen Charakters „ein absoluter Vorrang zu“ (Honneth 1997, S. 40); vgl. hierzu auch Brumlik 2000.

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Resümiert man nun die Auseinandersetzungen um Anerkennung als einem moralisch-ethischen Problem, dann werden mit der besonderen Bedeutung der Anerkennung für eine jede Ethik zugleich auch deren Grenzen deutlich: weniger, weil mit Anerkennung kein moralisches Problem verbunden wäre, sondern vielmehr, weil sich Anerkennung – insbesondere mit Blick auf pädagogisches Handeln – nicht einfach auf moralisch-ethische Fragen reduzieren lässt. Fraglich ist daher weniger, ob denn und wie denn genau pädagogische Verhältnisse mit Honneths Modell zu erfassen sind, ob sie z.B. in allen drei der von Honneth ausgewiesenen Sphären gleichzeitig oder aber in einer Sphäre allein bzw. vorrangig zu verorten sind17, sondern vielmehr, ob sich die Spezifik und Logik sowie auch die Problematik pädagogischen Handelns überhaupt mit (s)einer Lesart von Anerkennung als einer (bloß) ethischen Problematik angemessen erfassen lassen.

III. Eine kulturelle Praxis: Anerkennung als Differenz- und Partizipationsproblematik Neben seiner Verwendung im ethischen Diskurs taucht der Begriff der ‚Anerkennung‘ nun ebenfalls seit den 1990er Jahren auch im politischen und politikphilosophischen Diskurs auf und ist aus den gegenwärtigen Debatten gesellschaftlicher Selbstverständigung kaum noch wegzudenken. Dass der „Kampf um Anerkennung“ inzwischen zum „meistzitierten Modell der Auseinandersetzung um ‚Differenz‘“ (Liebsch 2005b, S. 219) und Partizipation, soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Gerechtigkeit (vgl. expl. Fraser/ Honneth 2003) avanciert ist, ist dabei auch Folge tiefgreifender sozialer Wandlungsprozesse in den westlichen Industriestaaten, die „seitens der Soziologie [...] mit Stichworten wie ‚Desintegration‘, ‚Entnormativierung sozialer Bezüge‘, ‚Vereinzelung‘ sowie übergreifend ‚Individualisierung‘ etikettiert“ (Verweyst 2000, S. 11) worden sind. Gerade angesichts der Auflösung traditionaler Lebenszusammenhänge und Werteordnungen, der Pluralisierung der Lebensstile und kulturellen Praktiken sowie der erstaunlich drastischen Zunah17

So taucht in pädagogisch-erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Honneth immer wieder auch die Frage auf, ob nicht eine vierte Dimension den anderen von Honneth benannten Anerkennungsdimensionen – Liebe, Recht, Solidarität – zur Seite gestellt werden muss (vgl. Stojanov 2006 sowie Helsper u.a. 2005); zu Überlegungen zu einer weiteren Form der Anerkennung vgl. auch Ferrara 1994, S. 263f.

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me sozialer Ungleichheit rücken unter dem insbesondere von Charles Taylor geprägten Stichwort der ‚Politik der Anerkennung‘ (Taylor 1993) vielfältige Fragen nach dem Zusammenhang von politisch-ökonomischen und kulturell-symbolischen Strukturen in den Vordergrund. Mit der Konjunktur von ‚Anerkennung‘ ist daher der „Aufstieg eines neuen politischen Vorstellungsrepertoires“ (Fraser 2001a, S. 24) verbunden, das sich nicht nur der „kulturellen Blindheit eines materialistischen Paradigmas“ (ebd.) verdankt18, sondern auch die – sozialstaatlich üblichen – Paradigmen der Gleichheit und Allgemeinheit, der daraus resultierenden Umverteilung sowie der individuellen Selbstbestimmung mit Verweis auf Differenz, jeweilige Eigentümlichkeit und dafür erforderliche Integrität sowie Gemeinschaft und Partizipation infrage stellt. Kern dieses politisch und kulturell justierten Gebrauchs von ‚Anerkennung‘ ist die Auseinandersetzung um die rechtlichen und sozialen Ansprüche verschiedener Gruppen von Minderheiten in multiethnischen und multinationalen Gemeinwesen (vgl. Zurn 2009), die sich im Rahmen universalistischer Argumentationen der Gleichheit und Allgemeinheit nicht angemessen aufnehmen lassen, weil sie dem Grundsatz der Zuerkennung von Rechten und Freiheiten ungeachtet von ethnischen, sozialen, kulturellen und religiösen Unterschieden entgegenstehen – und nun umgekehrt im Namen von Differenz und Identität Anerkennung fordern. Darin aber wird weniger das modern etablierte Prinzip der individuellen und kulturellen Selbstbestimmung, sondern vielmehr dessen Begrenzung durch Prinzipien des Allgemeinen problematisiert. Mit ‚Politik der Anerkennung‘ ist daher – als Abkehr von einer ‚Politik des Universalismus‘ (vgl. Taylor 1993) – sowohl die Anerkennung der „Gleichwertigkeit“ (ebd., 70) einer Gruppe bzw. Kultur als auch die Anerkennung derer „Besonderheit“ (ebd., S. 31) gemeint. Anders formuliert: ‚Politiken der Anerkennung‘ verdichten sich zu Politiken der Bejahung von (kollektiven) Identitäten, insofern sie die ungleiche Verteilung und auch Verweigerung der Anerkennung von kulturellen Praktiken, Leistungen und Überzeugungen von anderen Kulturen und differenten Lebensformen als „Unterdrückung der Differenz“ auslegen und damit als „wesensmäßig antidemokratisch“ (Walzer 1992, S. 240) und ‚ungerecht‘ herausstellen (vgl. Young 1990). Anerkennung von Differenzen dient daher weniger der „Erweiterung des 18

Vgl. dazu auch den wunderbar anregenden und hervorragend dokumentierten Streit zwischen Nancy Fraser und Axel Honneth um die Frage ‚Umverteilung oder Anerkennung?‘ (Fraser/Honneth 2003).

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kulturellen Blickfeldes bei allen“ (Taylor 1993, S. 62), wie dies lange unter dem Stichwort des ‚Multikulturalismus‘ verstanden wurde, sondern „hat vornehmlich den Zweck, den bisher Ausgeschlossenen die ihnen gebührende Anerkennung zuteil werden zu lassen“ (ebd.) – und damit auf der Basis anerkannter Differenzen gesellschaftliche Gleichheit, Partizipation und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Mehr noch: Anerkennung kommt dabei auch die Funktion zu, die jeweilige Identität der Minderheit oder Gruppe ebenso herzustellen wie auf Dauer zu stellen – und zu bewahren; damit wird zugleich die „konstitutive Bedeutung der Gemeinschaft für die gelungene Entwicklung einer individuellen Identität“ (Bienfait 2006, S. 28) betont. Auch wenn lange Zeit nahezu ausschließlich nur dieses – auf die affirmative Bestätigung von Gruppendifferenzen abstellende – Verständnis von Anerkennungspolitik als Weg gesellschaftlicher Integration galt, mehren sich inzwischen die kritischen Stimmen: So hat – erstens – bereits Taylor selbst auf einen impliziten Widerspruch hingewiesen, der in dem eigentümlichen Kontrast besteht, dass der dominierenden Kultur einerseits vorgeworfen wird, die Errungenschaften anderer Kulturen „überdies nicht gebührend gewürdigt“ (Taylor 1993, S. 32) zu haben, ihr andererseits aber zugesprochen wird, andere in ihrem Anderssein bestätigen zu können; die Anerkennung anderer Kulturen – so Taylor – stellt aber nicht nur einen „Akt von atemberaubender Herablassung“ (ebd., S. 68) dar, sondern wirkt auch „paradoxer-, vielleicht sollte man sagen: tragischerweise homogenisierend“ (ebd., S. 69), weil sie – fast zwangsläufig – „stillschweigend alle Zivilisationen und alle Kulturen an unseren eigenen Kriterien misst“ (ebd.) und insofern „sie alle gleichmacht“ (ebd.). Im Anschluss daran wird in jüngerer Zeit – zweitens – insbesondere im Kontext der ‚postcolonial studies‘ sowie der ‚queer theory‘ auf die fatalen Effekte einer bloß identitätspolitischen Auslegung der Anerkennungs- und Differenzproblematik hingewiesen, forciert doch die positive Anerkennung von Differenz immer auch eine Homogenisierung, (Re-)Essentialisierung und (Re-)Substantialisierung eben dieser kollektiven Identitäten und Gruppen: In dieser Festschreibung anderer als bestimmter anderer aber wird nicht nur übersehen, dass kollektive Identitäten nie einfach bloß ‚gegebene‘ und „niemals nur kollektiv“, sondern „immer das bewegliche, poröse Produkt aktiver Individuen“ (Emcke 2000, S. 341) sind, die sich nicht „zu einer homogenen Einheit stilisieren“ (ebd.) lassen; vielmehr werden diese bestimmten anderen gerade qua Anerkennung auf gegebene Differenzen – und damit auf spezifische, z.B. sexuelle oder körperliche, kulturell-ethnische oder soziale Merkmale – festgelegt, denen sie

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daraufhin auch entsprechen müssen, um anerkannt zu sein – auch mit der Gefahr, den subalternen und inferioren Status zu bestätigen. Mehr noch: Anerkennung tendiert dazu, „substantielle Annahmen über Identitäten und Bedürfnisse“ (ebd., S. 268) zu zementieren, „Identitäten unfreiwillig als statische Gebilde“ (ebd., 322) zu fixieren und in der Festschreibung von Differenzmustern „weniger befreiend, als vielmehr unterdrückend“ (ebd.) zu wirken, weil nun die „Herrschaftsverhältnisse [...] auch ‚in den Herzen‘ der Machtunterworfenen verankert“ (Wagner 2005, S. 135) werden. Nur folgerichtig formieren sich daher auch zunehmend Ansätze einer Politik der Dekonstruktion von Identitäten (vgl. exemplarisch Nealon 1998, Bhabha 2000 wie Butler 1998), die die Macht der Zuschreibungen im Namen der eigenen Alterität – also umwillen der eigenen unbestimmten Andersheit – zurückzuweisen versuchen. Damit eng verknüpft ist schließlich ein dritter Einwand gegen jene identitätspolitischen Versionen von Anerkennungspolitik, die weder die Machtabhängigkeit von kulturellen Differenzen und Gruppenzugehörigkeiten noch die Machtproduktivität der Anerkennungsakte selbst hinreichend – und bisweilen gar nicht – berücksichtigen; Identitäten, so der Einwand, sind immer auch „Ausdruck von natio-ethno-kulturellen Macht- und Dominanzverhältnissen“ (Mecheril 2005, S. 324), so dass Differenzen immer auch als ‚machtvolle Klassifikationen‘ verstanden werden müssen, die auf das implizierte Normalverständnis – anders als die anderen – bezogen bleiben. Insofern kann Anerkennung als politische Maßnahme gerade nicht die bloß affirmative Bestätigung der Gleichwertigkeit und Besonderheit, nicht die Bejahung (kollektiver) Identitäten und ihre „Anerkennung als etwas“ (Emcke 2000, S. 293) sein, sondern muss sich vielmehr kritisch – d.h. gerade nicht affirmativ, sondern negativ – „auf die strukturellen Ausgrenzungen und Verletzungen, die eine konstruierte Identität in der Vergangenheit bis in die Gegenwart erfahren hat“ (ebd., S. 302), beziehen, um „die negativen Effekte und Wirkungen der zugeschriebenen belasteten Prädikate für kollektive Identitäten zu beheben“ (ebd., S. 322) und so die „Befreiung aus erzwungenen, belasteten Zugehörigkeiten und Identitäten“ (ebd., S. 323, Fn. 622) zu ermöglichen.19 In dieser Verwendung als einer ‚praktisch-politischen Kategorie‘ (Fraser) erfährt der Begriff der ‚Anerkennung‘ nun auch eine erheb19

In der Folge dieser Kritiken an der bisherigen ‚Politik der Anerkennung‘ ist daher zwischen Formen der affirmativen, der kompensatorischen und der transformatorischen Anerkennung unterschieden worden (vgl. Fraser 2001b, S. 54ff. sowie insgesamt Emcke 2000).

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liche Erweiterung gegenüber seinem ethisch-moralischen Gebrauch: So wird zunächst – gegenüber dem universalistischen Verständnis der Moraltheorie – deutlich, dass Anerkennung immer kulturell codiert und inhaltlich gefüllt ist, so dass sie gerade nicht bloß formal – als positive Wertschätzung von was auch immer – gedacht werden kann. Darin enthalten ist eine weitaus schärfere Focussierung der Performativität von Anerkennung, kann diese doch nicht – mit Verweis auf die problematischen Effekte sozialer Differenzzuschreibungen – als bloß nachträgliche Bestätigung von etwas immer bereits Vorgängigem und nun besonders Berücksichtigtem verstanden werden; vielmehr wird deutlich, dass Anerkennung selbst immer auch das herstellt und einsetzt, was sie anerkennt, und insofern den anderen oder die andere allererst auch dazu macht, als wen sie ihn oder sie anerkennt. Schließlich aber wird auch deutlich, dass Anerkennung – sogar in der Form der positiven Wertschätzung und Bestätigung – immer auch ein ‚Repressionsinstrument‘ sein kann, weil nicht nur die „Verweigerung von Anerkennung [...] tatsächlich Schaden zufügen“ (Taylor 1993, S. 26) kann, sondern auch die ‚Gewährung‘ von Anerkennung selbst problematisch ist. Es ist nun kaum verwunderlich, dass die skizzierten Verschiebungen im anerkennungspolitischen Diskurs sich auch entsprechend im pädagogischen Diskurs nachzeichnen lassen: nicht nur, weil mit den skizzierten sozial- und politikphilosophischen Diskursen der zentrale Referenzrahmen der erziehungswissenschaftlichen Theoriebildung wie auch der empirischen Bildungsforschung bezeichnet ist; sondern auch, weil mit Erziehung und Bildung wohl das zentrale Feld der symbolischen Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung in den Blick kommt (vgl. Bourdieu 2001), das auch für die ‚Politiken der Anerkennung‘ selbst hoch bedeutsam ist. Dabei rücken in auf Differenzproblematiken bezogenen erziehungswissenschaftlichen Arbeiten zu Anerkennung – stärker als in anderen Arbeiten – insbesondere kulturelle Barrieren im Bildungssystem in den Vordergrund: nicht nur, weil die Pädagogik im allgemeinen wie die Interkulturelle Pädagogik im besonderen als jener Ort fungiert, an dem Exklusion bearbeitet und in Integration und Partizipation überführt werden soll (vgl. Auernheimer 2003 wie auch Boos-Nünning/ Karakas˛ ogˇ lu 2006); auch nicht nur, weil gerade in der Pädagogik die „Bedingtheit des Menschen durch seinen kulturellen Horizont“ (Bienfait 2006, S. 19) wie auch die Bedingtheit der sozialen Praxis selbst unmittelbar erfahren werden kann; sondern vielmehr auch, weil gerade die Pädagogik als gesellschaftliches System nicht umstandslos den gesellschaftlich dominanten Normalbildern zu folgen in der

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Lage ist und insofern in besonderer Weise für kritische Orientierungen – wie z.B. dem Programm der Chancengleichheit – zugänglich ist. Man mag dies als Ausdruck eines eher ‚typisch pädagogischen‘ Moralüberschusses verstehen und auch ironisieren (vgl. Tenorth 1998); übersehen aber wird damit, dass die pädagogische Arbeit notwendigerweise und – systematisch gesehen auch zwingend – eine kritische sein muss, weil sie auf Selbstbestimmung zielt und insofern nicht ihrerseits bloß Folgsamkeit intendieren kann (vgl. dazu Peukert 1984 wie auch Ricken 2007). Zudem ist sie schließlich auch jener Ort, an dem – z.B. qua Kanonbildung in und durch Schulbücher und Curricula – über konkrete Inhalte kultureller Selbstverständlichkeiten verhandelt wird (vgl. z.B. Taylor 1993, S. 61). Nicht zufällig ist daher die Konjunktur von Anerkennung in der Pädagogik in besonderer Weise mit Fragen der Differenz verknüpft. So berufen sich seit langem sowohl die Interkulturelle Pädagogik als auch Spielarten der Feministischen wie der Integrativen Pädagogik auf ‚Anerkennung‘ und Anerkennungsansätze. Bereits früh hat Annedore Prengel in ihrem – u.a. auf Honneths Konzept der Anerkennung rekurrierenden – Versuch zu einer ‚Pädagogik der Vielfalt‘ (1993, inzwischen Prengel 2006) diesen als Beitrag auch zu einer ‚Pädagogik der Anerkennung‘ verdichtet und dabei ‚Anerkennung von Differenz‘ als Grundprinzip und positive Orientierung einer Migrations- und Differenzverhältnissen (wie Behinderung und Geschlecht) überhaupt angemessenen Pädagogik ausgewiesen. In ‚Pädagogiken der Anerkennung‘ (vgl. auch Hafeneger u.a. 2002) wird, so macht Prengel die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Ansätze deutlich, im Ausgang von den Grenzen einer (einem egalitären Anspruch entspringenden) pädagogischen Gleichbehandlung – kurz: diese schreibt bei faktisch gegebenen Unterschieden und ungleichen Startbedingungen Benachteiligungen und Ungleichheiten fort – als Alternative zur Ausblendung von und Ignoranz gegenüber Unterschieden ein anerkennender pädagogischer Umgang mit Differenz gefordert, der nicht nur „der Bedeutsamkeit kultureller Bezüge für die Identitätsentwürfe der Individuen“ (Auernheimer 2001, S. 10) Rechnung trägt, sondern der ihre spezifischen kulturellen, sprachlichen und sozialen Dispositionen auch zur Geltung bringt und ‚würdigt‘ bzw. wertschätzt. Was so forciert wird, ist nicht nur die Kritik an Gleichsetzungen von Differenzen mit Defiziten, sondern auch die Einsicht darin, dass die mit dem formalen Gleichheitsprinzip noch begründbare Ignoranz gegenüber Differenz selbst als ein subtiler ‚Mechanismus der Macht‘ (vgl. Bourdieu 1992) wirkt und sich als und in gesellschaftli-

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cher Ungleichheit aus- und fortwirkt. Anerkennung aber taucht dann auch hier immer wieder in einer Doppelrolle auf: einerseits scheint sie – als fehlende Anerkennung – der Grund gesellschaftlicher Ungleichheit und Marginalisierung zu sein, andererseits scheint sie zugleich – als Inbegriff der pädagogischen Strategie – auch der Weg der (Auf-)Lösung eben dieser Probleme zu sein. Dass auch pädagogisch in der „Semantik der Differenz“ (Stojanov 2006, S. 168) Anerkennung überwiegend als eine ‚moralische Kategorie‘ verstanden wird und weitgehend unproblematisiert bleibt, ist nur zwangsläufig. Jedoch ist insbesondere in dekonstruktivistisch und sozialkonstruktivistisch justierten Ansätzen in der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung sowie in den so genannten disability studies auch auf die Grenzen eines anerkennenden Umgangs mit Differenz hingewiesen worden (vgl. expl. Waldschmidt 2005 und Rösner 2005 wie Plößer 2005). Nicht nur ist – wie Krassimir Stojanov verdeutlicht – pädagogisch dem Rechnung zu tragen, dass „sich kulturelle Zugehörigkeit und Individualität in keinem harmonischen Verhältnis“ (Stojanov 2006, S. 167) befinden, sondern überdies sind – so Tenor der Kritiken – Differenzen nicht dem pädagogischen Handeln (schlicht) als gegeben vorauszusetzen, sondern auch als Resultat pädagogischen Handelns zu begreifen, so dass schließlich die pädagogische Praxis selbst als eine Praxis des ‚doing difference‘ auch zu befragen ist (vgl. expl. Faulstich-Wieland u.a. 2004). Die intensive wie konkrete Auseinandersetzung um Identität und Differenz sowie um Inklusion und Exklusion in der Pädagogik aber legt so nicht nur ein verändertes Differenzdenken nahe, sondern sie führt auch zu einer ebenso deutlichen Problematisierung von Anerkennung selber, in der diese nicht mehr als Lösung des Problems von Bildungsungleichheit und ungleicher Bildungsbeteiligung erscheint, sondern vielmehr selber zum Problem wird: Weil Anerkennung „die Anderen erneut als Andere und nur als Andere zur Geltung bringt“ (Mecheril 2005, S. 325), ist sie an der Herstellung und – machtproduktiven – Reproduktion von Differenzen und (zumeist) binären Unterscheidungen beteiligt und geht „als Praxis der Identifikation [...] mit dem Problem der Festlegung einher“ (Mecheril/ Plößer 2009, S. 206). Sichtbar aber wird so ein für den Zusammenhang von Differenz und Pädagogik in besonderer Weise konstitutives, unaufhebbares Dilemma: Bildungsprozesse produzieren und reproduzieren Ungleichheiten, wenn „Differenzen nicht erkannt und anerkannt werden“ (ebd.), zugleich aber kann ein anerkennender pädagogischer Umgang mit Differenz die Dominanz-, Machtund Ungleichheitsverhältnisse bedingenden symbolischen Ordnun-

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gen und Normen stützen und verstärken (vgl. insgesamt ebd.). Angesichts dieses Dilemmas liegt es gerade nicht nahe, den Anerkennungsgedanken unter Verweis auf die Gefahren der ‚Anerkennung des Anderen‘ als für die Pädagogik ‚untauglich‘ anzunehmen und ihn zu verabschieden, sondern vielmehr wird es notwendig, Anerkennung als eine Konstitutions- und Machtproblematik systematisch so zu formulieren und zu reformulieren, dass ihre Paradoxalität auch analytisch eingeholt werden kann.

IV. Eine paradoxe Praxis: Anerkennung als Konstitutions- und Machtproblematik Folgt man den bisherigen diskursiven Weichenstellungen, dann ist offenkundig, dass ein bloß affirmatives Verständnis von Anerkennung als einem positiven Bestätigungshandeln zwar durchaus für die Reflexion moralischer Handlungen angemessen sein kann, indem es einen spezifischen Focus auf soziale Handlungen überhaupt wirft und darüber hinaus auch den Zusammenhang von Sein und Sollen zu erhellen erlaubt; als Kategorie politisch-kultureller Praktiken aber greift eine solche Begriffsfassung bereits erheblich zu kurz, weil unerläutert bleibt und bleiben muss, was sowohl im ethischen als auch im kulturwissenschaftlichen Diskurs die Logik der Anerkennung als eines produktiven, effektreichen und nicht bloß nachgängigen Handelns bestimmt. Insofern ist es nicht nur erforderlich, Anerkennung aus ihrer allzu engen Identifikation mit Moral zu lösen (vgl. Nothdurft 2007, S. 120), sondern nun auch ausdrücklich hinsichtlich ihrer Performativität und Produktivität, d.h. hinsichtlich ihrer Konstitutionskraft zu befragen. Anders formuliert: weil Anerkennung nicht nur Selbst- und Weltverhältnisse stützt und unterstützt, sondern ihrerseits ebenso verändert wie auch allererst hervorbringt, kommt es darauf an, ein präziseres – und nicht bloß moralisch oder kulturell aufgeladenes – analytisches Verständnis der Logik der Anerkennung zu rekonstruieren. Damit aber erfährt der Begriff der Anerkennung eine weitere Weiterung, wird er doch dadurch in die Struktur menschlichen Seins und Daseins – die Conditio humana – eingetragen. Als These vorab formuliert: man ist nicht erst jemand, der dann auf andere stößt, sondern man wird erst jemand durch andere und von anderen her – ohne dass man deswegen vorher niemand war. Dieser Gedanke einer Epigenesis des Selbst vom Anderen her ist inzwischen vielfach – z.B. philosophisch als Vorrang des Anderen vor dem Selbst bei Emmanuel Levinas (vgl. expl. Levinas 1983), ent-

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wicklungstheoretisch und kulturanthropologisch als Ausfaltung der menschlichen Vernunft aus sozialen Zeigegesten und Kommunikation bei Michael Tomasello (vgl. Tomasello 2006) oder schließlich interaktionstheoretisch als Bindung der Fähigkeit des Erkennens an erfahrene Anerkennung in den jüngsten Schriften Axel Honneths (vgl. Honneth 2005, insbes. S. 46-61) – ausformuliert worden.20 In ihren ausdrücklich anerkennungstheoretisch justierten psychoanalytischen Studien zur Genese des Selbst hat insbesondere Jessica Benjamin – in Auseinandersetzung mit Hegels Paradoxon der Anerkennung – den konstitutiven Charakter von Anerkennung verdeutlicht (vgl. expl. Benjamin 1990 wie auch Benjamin 1996b), indem sie eindrücklich aufweist, dass Anerkennung sich nicht nur als eine Problematik des Selbstwertgefühls, sondern (auch) als eine Problematik des Selbstgefühls, des Selbstbewusstseins und des ‚Selbstseins‘ durch Andere darstellt. Anerkennung ist, so Benjamin, (auch) „jene Reaktion der anderen, die die Gefühle, Intentionen und Aktionen des Selbst überhaupt erst sinnvoll macht“ (Benjamin 1990, S. 16), und als solche „Bedingung für die Entwicklung von Selbsttätigkeit“ (ebd.); mehr noch: das „Gefühl: ‚Ich bin es, die etwas tut, ich bin die Urheberin meines Tuns‘“ entsteht erst dann, wenn durch eine andere Person – qua Anerkennung – mit „‚Du bist, du hast getan‘“ (ebd., S. 24) geantwortet wird. Wenn es aber im Streben nach Anerkennung darum geht, ein Selbst zu werden und sein zu können, dann geht es, so Benjamin weiterhin, im Anerkennungsgeschehen auch darum, von jemand anerkannt zu werden, der sich als unabhängig erweist (vgl. Ricken 2006, S. 223f.). Selbstsein und Selbstwerden erfordern, so macht Benjamin deutlich, einerseits, sich selbst als vom Anderen unterschieden, d.h. nicht nur als Extension des Anderen wahrnehmen und dazu die eigene „Selbsttätigkeit [...] erleben“ (ebd., 39) zu können; andererseits bedeutet das aber auch, den Anderen als unabhängig, „als für sich selbst, nicht nur für mich seiend“ (ebd., S. 38) erfahren und wahrnehmen zu können: Denn wenn wir, so Benjamin, „völlige Kontrolle über den Anderen“ hätten, weil er/sie um uns kreist und/oder unseren Projektionen von ihm/ ihr entspricht, wenn also „das Kind alles bekommt, was es will“ (ebd., S. 37), „dann gibt es niemanden mehr, der uns anerkennen könnte“ (ebd., S. 41), denn der Andere wäre dann alleinig eine Verlängerung bzw. „Extension meiner selbst“ (ebd., S. 38) – und „diese Situation 20

Die entsprechende Literatur dazu ist kaum zu überblicken; stellvertretend seien genannt die Überblicksarbeiten von Cavell 1997, Cavell 2002, Dornes 2006, Altmeyer 2003 und Altmeyer 2006 wie auch Liebsch 1999 und Todorov 1998; vgl. zum Zusammenhang von Zeigen und Anerkennung auch Ricken 2009b.

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erlebt das Kind als ein Verlassenwerden“ (ebd., S. 37). Sichtbar aber wird so: Es ist die eigentümliche Logik der Anerkennung selbst, gleichzeitig ein selbst- und anderenbezogenes Streben zu sein, das Anerkennung zu einem unhintergehbar paradoxen Geschehen macht und dadurch die „Arena des Konflikts zwischen dem Selbst und den anderen“ (ebd., S. 25) eröffnet, geht es doch darum, das eigene Selbst zu behaupten und den und die Anderen als selbständige Personen anzuerkennen (und anerkennen zu müssen, um das eigene Selbst behaupten zu können). Erst von hier aber wird verständlich, dass und warum Unterwerfung unter den anderen, Zerstörung des anderen sowie Wiederannäherung mit dem und Überschreitung des anderen nicht nur Stationen auf dem Weg zu Gegenseitigkeit und Gemeinsamkeit sind (vgl. ebd., S. 50), sondern durchgängige Strukturmomente menschlicher Existenz sind. Anders formuliert: Anerkennung macht nicht nur deutlich, dass die Genese von Unabhängigkeit bleibend auf das Eingeständnis der Abhängigkeit bezogen bleibt, sondern impliziert auch, „daß Anerkennung des anderen auch unser Selbst beeinträchtigen könnte“ (ebd., S. 52). Mit Blick auf den Begriff der Anerkennung führen insbesondere die Studien Benjamins zu einer bedeutsamen Weiterung desselben: Gerade weil Anerkennung als Bedingung der Möglichkeit von Selbstsein und -werden ernst genommen – und damit als wirksam bzw. produktiv verstanden – wird, muss sie als Doppel von Bestätigung und Versagung erläutert werden; anders formuliert: Sich dem Anderen zu entziehen, ihm (etwas) zu versagen und zu widerstreiten ist nicht Gegenteil, sondern – nicht weniger als Bestätigung – notwendiges Moment von Anerkennung. Kurz: Anerkennung erschöpft sich nicht in affektiver, wohlwollender und wertschätzender Zustimmung, sondern umfasst auch kognitive Akzeptierung und impliziert notwendigerweise Versagung und Negation. Im Blick darauf, dass Anerkennung nicht nur Bedürfnis des Selbst, sondern auch ‚Bedürfnis nach einem Selbst‘ (vgl. Düttmann 1997, S. 52) ist, hat nun Alexander García Düttmann die These forciert, dass Anerkennung nicht in einer konstatierenden, reaktiven Bestätigung des Subjekts aufgeht, und „das Anerkennen [...] als das offene Verhältnis von zwei unvereinbaren Momenten“ (ebd., S. 55) ausgewiesen. Anerkennen, so Düttmanns leitende These, spaltet sich „in eine voraussetzende Bestätigung und in eine entwerfende Stiftung des Anzuerkennenden“ (ebd., S. 52), wobei jedoch das Verhältnis von Bestätigung und Stiftung keines bloß „additiver Zusammensetzung“ (ebd., S. 53) sei – „so, als würde zu der Bestätigung

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eine Stiftung hinzukommen und sich von ihr abheben“ (ebd.) –, weil das, „[w]as bestätigt werden soll, [...] zugleich das [ist], was das Anerkennen erst noch stiften muß“ (ebd.). Daher aber kann es keine Anerkennung geben: Der „Umschlag vom Anerkennen in die Anerkennung“ (ebd., S. 48) bleibt unerreicht, weil Stiftung und Bestätigung nicht in eins fallen, sie nicht zur Deckung zu bringen sind. Sichtbar aber wird so nicht nur, dass Anerkennung immer auch eine Konstituierung des Subjekts bedeutet, sondern auch, dass Anerkennung nicht „unter ein ausschließendes Wiedererkennen“ (ebd., S. 114) subsumiert und mit einem bloß (re-)identifizierenden Akt gleichgesetzt werden kann. Weil der Anerkannte, so macht Düttmann deutlich, dem Anerkennen nicht schon vorausliegt, sondern durch dieses auch hervorgebracht wird, wird er in der Anerkennung auch nur vermeintlich bloß (wieder)bestätigt und wiedererkannt. Daher eignet jedem Anerkennen ein – weder einfach positiv noch negativ markierbarer – Charakter der Hervorbringung wie auch der Einschränkung des Anderen, so dass Anerkennung von Macht nicht nur nicht zu trennen ist, sondern als ‚Grund der Macht‘ selbst verstanden werden kann (vgl. auch Ricken 2004a). In ähnlicher Weise wie Düttmann hat Patchen Markell Anerkennung als einen sowohl konstativ-kognitiven als auch performativkonstruktiven Akt herausgestellt (vgl. Markell 2003). Markell stellt weniger eine Vereinseitigung denn ein – von den Autoren nicht thematisiertes (und vielfach auch nur anfängliches) – Schwanken und eine Spannung zwischen zwei Verwendungsweisen von Anerkennung fest. Anerkennung, so sein Befund, wird in Anerkennungstheorien einerseits als „re-cognition of something once known but lately hidden, forgotten, or absent“ (Markell 2000, S. 496) und andererseits als ein Akt bestimmt bzw. verwendet, durch den jemand „is shaped or brought into being“ (ebd.). Während im ersten Fall Identität als „in some sense independent of the vicissitudes of human interaction” (Markell 2003, S. 59) erscheint, so ist sie im zweiten Fall durch Anerkennung allererst konstituiert: Anerkennung ist dann eine „intersubjective activity through which identities are formed and transformed“ (ebd., S. 58), sie „actively constitutes the identities of those to whom it is adressed” (ebd., S. 41). Diese zwei – zumeist unvermittelten – Verwendungsweisen von Anerkennung verweisen, so Markells These, auf die „‚grammar‘ of recognition itself“ (Markell 2000, S. 502): „the act of recognition does construct identity, but it does so precisely by seeming only to cognize what it constructs; it is a performative whose conditions of felicity include that it seems only to be constative“ (ebd., S. 503). Folglich aber hat Anerkennung „a

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self-masking or self-obscuring character“ (ebd.): ihre Wirkung verdankt sich auch der ‚Illusion‘, dass sich in ihr eine alleinige Bestätigung von Subjekten vollzieht. Berücksichtigt man nun schließlich auch die Tatsache, dass Anerkennung nur halb verstanden ist, wenn sie als ein Geschehen zwischen zweien verstanden wird, und schließt man die ‚Problematik des Dritten‘ in anerkennungstheoretische Reflexionen ein (vgl. expl. Fischer 2000 und Bedorf 2003), dann wird allemal deutlich, dass Anerkennung und Macht sich nicht trennen lassen: Nicht nur, weil nun auch Konkurrenz- und Komparationsverhältnisse in den Blick kommen, die mit bloßer bzw. wechselnder Wechselseitigkeit nicht erklärbar wären; sondern vielmehr, weil mit dem ‚Auftauchen des Dritten‘ auch die Selbsterfahrung des „‘Füreinander zweier Wesen‘ – ohne mich“ (Ricken 2004b, S. 164) möglich wird, die weniger die auch komfortable Situation des ‚lachenden Dritten‘, sondern häufig genug die Erfahrung des ‚ausgeschlossenen Dritten‘ meint. Im ‚Dritten‘ wird daher nicht nur die paradoxe Vorstellung einer ‚Welt ohne mich‘ greifbar, sondern auch das Feld der Macht eröffnet, in dem ‚Freund-Feind-Verhältnisse‘ (Carl Schmitt) wie Strategien der Produktion von ‚Sündenböcken‘ (René Girard) praktiziert werden, um der ‚Ausstoßung des/der Dritten‘, der ja auch ich selbst sein könnte, zuvorzukommen. Dass sich in Anerkennung nicht nur immer mehr vollzieht als eine bloße Bestätigung von Subjekten, sondern dass sie auch ein unterwerfendes Geschehen darstellt, hat nun insbesondere Judith Butler herausgearbeitet und Anerkennung dabei als einen (paradoxen) „Ort der Macht“ (Butler 2009, S. 11) zu verdeutlichen unternommen. Entlang der These, „dass wir alle nur durch die Erfahrung der Anerkennung zu sozial lebensfähigen Wesen werden“ (ebd., S. 10), betont Butler, dass ein Subjekt „nicht nur dank der Tatsache [existiert], daß es anerkannt wird, sondern dadurch, daß es im grundlegenderen Sinne anerkennbar ist“ (Butler 1998, S. 15), so dass es nicht nur von der Anerkennung des oder der Anderen, sondern (in dieser) zugleich „von der sozialen Dimension der Normativität“ (Butler 2003a, 34) abhängt. Ein Subjekt, so Butler, ist „genötigt, nach Anerkennung seiner eigenen Existenz in Kategorien, Begriffen und Namen zu trachten, die es selbst nicht hervorgebracht hat“ (Butler 2001, S. 25), denn es wird nicht anerkannt, ohne sich den „gesellschaftlichen Kategorien“ einer „anerkennungsfähige[n] […] sozialen Existenz“ (ebd., S. 24) zu beugen bzw. zu unterwerfen. Unterordnung und Unterwerfung (unter historisch kontingente Normen der Anerkennbarkeit) und die „Annahme von Machtbedingungen“ sind daher

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der „Preis der Existenz“ (ebd., S. 25) und „die nüchterne Grundlage der Subjektwerdung“ (ebd.); anders formuliert: Anerkennung ‚verlangt‘ vom Subjekt Unterordnung als „fortgesetzte Möglichkeitsbedingung seiner Existenz“ (ebd., S. 13), weil nur die – wie auch immer begrenzte – Unterordnung eine „Form der Anerkennung“ (ebd., S. 14) gewährt. Das aber lenkt den Blick auch auf die konkreten – jeweilig gesellschaftlich, kulturell und historisch different verfassten – „Schemata der Anerkennung“ (Butler 2009, S. 11), bestimmen diese doch, als was und wer jemand worin und wie vor und von wem anerkannt wird und anerkennbar ist bzw. zu wem er werden kann und gemacht wird. Ein Subjekt aber, so Butler weiter, wird in der Anerkennung „nicht deterministisch durch Normen festgelegt“ (Butler 2003a, S. 32), sondern es ist vielmehr „in eine Auseinandersetzung mit Normen verstrickt“ (ebd., S. 37f.), kann es doch „die Normen in Frage stellen, durch die [ihm] Anerkennung zuteil wird“ (ebd., S. 64). Auch wenn ich „vielleicht [spüre], dass ich ohne eine gewisse Anerkennbarkeit nicht leben kann“, so Butler, kann ich doch – einerseits – „auch das Gefühl haben, dass die Bestimmungen, nach denen ich anerkannt werde, das Leben unerträglich machen“ (Butler 2009, S. 13); andererseits aber kann auch die „Nichtanerkennbarkeit des Anderen“ (Butler 2003a, S. 35) im Rahmen der gegebenen Normen eine „Abwendung von verfügbaren Normen“ (ebd.) eröffnen. Möglich aber ist diese Verschiebung bzw. Aussetzung der Normen der Anerkennbarkeit, weil die Unterwerfung selbst eine Bewegung eröffnet, die den Rahmen derselben zu durchbrechen erlaubt: Das Subjekt muss sich zu den Normen verhalten – und es verhält sich immer schon zu ihnen; mehr noch: es kann sich nie bloß konventionell, d.h. den Normen entsprechend verhalten, sondern markiert auch noch in der konkreten und vollständigen Unterwerfung eine selbständige Rezeption der Normen.21 Auch wenn der in der Unterwerfung entstehende Bereich nicht als ein Bereich jenseits der Normen der Anerkennbarkeit zu denken ist, so eröffnet die Auseinandersetzung und Unterwerfung aber doch einen Spielraum, eine Differenz, die es schließlich auch erlaubt, die jeweiligen Normen in der Aneignung zu überschreiten oder gar zu überwinden. „Um zu sein“, so bilanziert Butler, „müssen wir anerkennbar sein“, aber zugleich auch „die 21

Judith Butler hat diesen Gedanken der doppelten Struktur von Anerkennung – als Unterwerfung wie auch Überschreitung – insbesondere entlang ihres Konzepts der Subjektivation (vgl. Butler 2001) ausgearbeitet; vgl. dazu auch Balzer 2007 sowie zur Differenz von Subjektivation und Sozialisation auch Butler 2002, S. 126f.

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Normen in Frage stellen, durch die uns Anerkennung zuteil wird“ (Butler 2003b, S. 64). Selbstsein bedeutet daher auch, im normalsubversiven „Ruf nach neuen Normen“ (ebd.) – „Die Bestimmungen, anhand derer wir als menschlich anerkannt werden, sind gesellschaftlich artikuliert und veränderbar“ (Butler 2009, 10) – „unser eigenes Sein zu gefährden“ (Butler 2003b, 64). Anders formuliert: ‚Exposition des Selbst‘ ist nicht nur der Modus unserer jeweiligen Praktiken, sondern auch die Struktur des Menschlichen, die „Konzeption des Menschlichen“ (Butler 2005, S. 48) selbst; „wir sind“ – so formuliert Butler – „von Anfang an dem anderen ausgeliefert“ und „anvertraut“ (ebd.) – und damit uns selbst „enteignet“ (ebd., S. 41). „Verletzbarkeit“ (ebd., S. 48) – wie Butler die menschliche Verfasstheit kennzeichnet – meint aber nicht nur Bedürftigkeit aufgrund eigener Hilflosigkeit, sondern auch den Prozess der Vermenschlichung selbst: „Anerkennung zu fordern oder zu geben heißt gerade nicht, Anerkennung dafür zu verlangen, wer man bereits ist. Es bedeutet, ein Werden für sich zu erfragen, eine Verwandlung einzuleiten, die Zukunft stets im Verhältnis zum Anderen zu erbitten. Es bedeutet auch, das eigene Sein und das Beharren im eigenen Sein im Kampf um Anerkennung aufs Spiel zu setzen“ (ebd., S. 62). Damit aber öffnet sich in der Analyse der Anerkennung auch der Raum für die Auseinandersetzung um ‚Begehren‘, das nicht nur als selbstbezogene „Sehnsucht nach Anerkennung“ (Butler 2009, S. 215) oder – umgekehrt – als schlichtes „Begehren des Anderen“ (ebd., S. 225) verstanden werden darf, sondern – weit verwickelter – auch als ‚Begehren des Begehrens des Anderen‘ bzw. als ‚Begehren des Begehrtseins des Anderen‘ durch Dritte (vgl. ebd., S. 238) erläutert werden kann. In dieser Perspektive aber zeichnet sich – im Kern – eine fundamentale Verschiebung ab, die Butler unter dem Stichwort eines „ek-statischen Begriffs des Selbst“ (ebd., S. 242) fasst: „Ein Selbst zu sein bedeutet [...], entfernt zu sein davon, wer man ist, [...] immer außerhalb sich selbst gesetzt zu sein“ (ebd., S. 241) und sich selbst nicht genügen zu können (vgl. ebd., S. 244). Positiv gewendet: „Sehen wir der Tatsache ins Gesicht. Wir werden von dem jeweils anderen zunichte gemacht. Und wenn nicht, fehlt uns etwas“ (Butler 2005, S. 40).22 22

Dass Butlers ‚ek-statische Konzeption des Selbst‘ verkürzt wird, wenn sie als bloße ‚Ausgesetztheit‘, als „ontologische Gespaltenheit“ bzw. „Uneinigkeit“ (Butler 2009, S. 244) und daraus resultierende, ethisch folgenreiche ‚Verletzbarkeit‘ verstanden wird, dürfte deutlich geworden sein; mit ihr ist daher auch – in analytischer Perspektive – eine Auseinandersetzung mit den paradoxen und destruktiven Antrieben menschlicher Existenz verbunden, sich weder bloß mit sich zufrie-

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Mit Anerkennung kommt – so ließe sich nun hier bilanzieren – nicht nur eine spezifische Dimension der strukturellen Relationalität menschlicher Existenz in den Blick, die sowohl als konstituierende als auch als regulierende und formierende Bedingung des Selbstseins wie -werdens gelesen werden muss; vielmehr wird – neben der Differenzierung in Bestätigung und Stiftung – in der Auseinandersetzung mit eben dieser performativen Seite von Anerkennung auch deren weiterer doppelter Charakter als Unterwerfung und Überschreitung deutlich. Insofern markiert Anerkennung – weil letztlich wechselseitig angelegt: auch ‚der Mächtige‘ ist auf die Anerkennung seiner Macht angewiesen, ohne die er keine Macht hätte – auch jene Dimension der Transformation von Macht und der Kritik. Das aber impliziert notwendigerweise einen radikalen Abschied von einem bloß normativ gefassten Bedeutungsverständnis und die Transformation von Anerkennung zu einer analytischen Kategorie (vgl. Teil V.). Eine produktive Aneignung dieses analytisch gewendeten Anerkennungsverständnisses steht im pädagogischen Diskurs noch weithin aus. Ausgehend von den bis hier erarbeiteten Doppeln der Anerkennung – Bestätigung und Versagung, Stiftung und Bestätigung, Unterwerfung und Überschreitung, Verletzbarkeit und Begehren – ließen sich perspektivisch Anregungen für eine anerkennungstheoretische Rekonstruktion des pädagogischen Problems – verstanden als die Frage danach, was eigentlich die Frage ist, worauf Erziehung antwortet (vgl. Ricken 2010) – skizzieren: Ein erster Beitrag wäre sicherlich, das pädagogische Handeln selbst – mit Verweis auf die ambivalente Logik der Anerkennung – als ein zwar insgesamt fürsorgliches, aber deswegen notwendigerweise auch ambivalentes, d.h. sowohl bestätigendes als auch negierendes, ermöglichendes als auch einschränkendes und sowohl unterstützendes als auch disziplinierendes Handeln zu begreifen; damit wäre nicht nur praktisch einiges gewonnen und auch theoretisch bzw. systematisch sowohl den vielfachen antipädagogischen Tendenzen (vgl. Oelkers 1989) und reformpädagogischen Einseitigkeiten als auch der Gefahr der Identifikation von Pädagogik mit ‚Kuschelpädagogik‘ widerstanden (vgl. Balzer/ Künkler 2007), sondern auch – mindestens perspektivisch – ein originärer Beitrag zur Professionstheorie geleistet. Das aber zöge – zweitens – eine Präzisierung der Eigenart bzw. Eigenlogik pädagogischen Handelns nach sich, in der die Formbeden geben zu können noch sich auf sich selbst einschränken zu können, sondern sich selbst und andere zu dezentrieren, d.h. auch, sich selbst immer wieder auch verlieren zu wollen.

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stimmung pädagogischen Handelns – als Zeigen und Anerkennen (vgl. Ricken 2009b) – die Möglichkeit böte, die Differenz zu therapeutischem Handeln genauer zu bestimmen und das pädagogische Handeln nicht als bloß abgeleitete, nämlich prophylaktische Form des krisenbewältigenden und insofern auf die Integrität zielenden Handelns zu verstehen (vgl. Oevermann 1996); ausdrücklich: es geht im pädagogischen Handeln gerade nicht darum, etwas – stellvertretend – zu tun, was die Heranwachsenden noch nicht (für sich) tun können, sondern darum, etwas reflektiert und dann auch in institutionalisierter Form zu tun, was lebensweltlich ebenso verbreitet wie basal ist: nämlich durch Zeigen nicht nur Lernen mit und von anderen, sondern auch durch andere zu ermöglichen. Dies schlösse dann auch eine anerkennungstheoretische Reformulierung der pädagogischen Antinomien in sich ein: So ist es vermutlich weniger das Doppel von Freiheit und Zwang – in der klassischen Variante bei Kant: „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ (Kant 1964, S. 711; vgl. auch Benner 2005) – und auch weniger die Kollision von divergierenden (Anerkennungs-)Verpflichtungen – z.B. der Fürsorglichkeit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit (vgl. Oser 1998) –, sondern vielmehr die Schwierigkeit, den bestätigenden und stiftenden Charakter von Anerkennung mit dem bejahenden und negierenden Grundzug des pädagogischen Handelns zu vereinbaren, die pädagogisches Handeln zu einem paradoxen, widerspruchsvollen Handeln macht. Insofern scheint es nicht abwegig zu sein, das pädagogische Handeln in die Paradoxie einzuspannen, den/die anderen anzuerkennen als jemanden, der sie/er schon ist, und zugleich als jemanden zu adressieren, der er/sie noch nicht ist. Beide Momente – das der Bejahung ebenso wie das der Negation – müssen jeweils als bestätigendes wie stiftendes Handeln veranschlagt werden und blockieren die Möglichkeit, das pädagogische Handeln als ein eindeutiges Handeln zu bestimmen; vielmehr verlangen sie eine enorme pädagogische Kunst der Balancierung sowie das Vertrauen auf Zeit – und eröffnen auch empirisch gesehen ein reichhaltiges Feld pädagogischer Taktiken und Strategien des Umgangs mit dieser Grundparadoxie, die von Vermeidungs- und Vereinseitigungspraktiken über Verantwortungs- und Schuldzuschreibungen als Autonomisierungspraktiken bis hin zu raffinierten Doppelungsstrategien reichen (können).23 23

Reizvoll wäre es daher, die insbesondere bei Werner Helsper – zwar enorm differenzierten, dadurch aber auch phänomennah – formulierten Antinomien aus einer anerkennungstheoretischen Logik zu interpretieren bzw. zu reformulieren (vgl. dazu Helsper 2004 wie auch insgesamt vgl. Ricken 2009b). Zugleich ließe sich auch der von Andreas Wernet vorgetragenen Kritik, die klassischen Wider-

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Zudem böte das Theorem der Anerkennung auch – drittens – eine theoretische Grundlage zur Reformulierung des pädagogischen Grundbegriffs der ‚Bildsamkeit‘ im Horizont einer relational justierten Anthropologie in pädagogischer Perspektive. Ein vierter Beitrag wäre schließlich, mit Anerkennung zunächst jenen – vermutlich entscheidenden – sozialisatorischen Mechanismus zu markieren und zu analysieren, der es erlaubt, den Zusammenhang von Verhältnissen und Selbstverhältnissen, von Sozialität und Individualität anspruchsvoller zu reformulieren (vgl. Schäfer 2000) und daher nicht immer wieder auf eigentümliche Konstruktionen der ‚Verinnerlichung‘ bzw. der ‚Nachahmung‘ zurückgreifen zu müssen. Weder übernehmen Menschen einfach Normen von anderen oder internalisieren diese, noch lernen sie am vorbildhaften Modell und ahmen andere nach; vielmehr sind es die vielen kleinen – in ihrer Wirksamkeit nur anerkennungstheoretisch rekonstruierbaren – Gesten und Äußerungen, die – seien es nun Anweisungen und Aufforderungen, Ermahnungen und Zurechtweisungen oder auch Ermutigungen und Auszeichnungen – das erzieherische Handeln über weite Strecken schlicht ausmachen. Das aber hieße, Sozialisation selbst als ein Subjektivationsgeschehen zu erläutern und damit auch um eine Analyse der jeweiligen Normen der Anerkennbarkeit zu bereichern.24

V. Eine Dimension von Praktiken: Anerkennung als Adressierungsproblematik Ist nun in dieser analytischen Wende des Begriffs der Anerkennung diese nicht nur aus ihrer Identifizierung mit einer affirmativen Wertbestätigung und der Verklammerung mit einem Werturteil gelöst, sondern auch in ihrem – durch Anerkennung als einer ‚recognitive lense‘ (Bingham 2001) unterschiedlich beobachtbaren – Phänomenbereich deutlich erweitert, so stellt sich nun abschließend erneut die Frage, welche Handlungen und sozialen Praktiken mit Anerkennung denn bezeichnet werden könnten. Vor dem skizzierten Hintergrund

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sprüche seien nicht systematisch begründet, sondern Folge widersprüchlichen – genauer: unzulässig entgrenzten – pädagogischen Handelns (vgl. Wernet 2003), mit dem Verweis, dass diese Entgrenzungen selbst anerkennungstheoretisch lesbar sind (z.B. als Verarbeitung der eigenen Anerkennungsnotwendigkeit des LehererInnenhandelns), entgegentreten. Vgl. hierzu auch die fallbezogene Studie von Christine Wiezorek (2005) zur Schule als einer Anerkennungsproblematiken strukturierenden Sozialisationsinstanz.

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von Anerkennung als einer Konstitutionsproblematik liegt es nahe, Anerkennung gerade nicht als ein „distinktes Phänomen in der sozialen Welt“ (Honneth 2004b, S. 55) zu verstehen, auf spezifische Handlungen zu beschränken und mithilfe eines (dann allerdings noch zu bestimmenden) Kriteriums – wie z.B. der „eigenständigen Absicht“ der positiven Bestätigung von Eigenschaften und Leistungen des Gegenübers (ebd., S. 55) – zu qualifizieren. Vielmehr scheint es erheblich aussichtsreicher, Anerkennung als ein spezifisches Strukturmoment einer jeden menschlichen Kommunikation und Praktik zu identifizieren, soll doch gerade die konstitutive und performative Dimension der Anerkennung Berücksichtigung finden. Wir schlagen daher vor, Anerkennung als ein spezifisches Moment an (Sprech-)Handlungen selbst zu verstehen und als die jeweilige Form, Funktion und auch inhaltliche Gestaltung von Adressierungen und deren impliziter Normativität auszulegen. Anders formuliert: mit Anerkennung ist die zentrale Frage berührt, als wer jemand von wem und vor wem wie angesprochen und adressiert wird und zu wem er/sie dadurch vor welchem (normativen) Horizont sprachlich bzw. materiell etablierter Geltungen gemacht wird; bezieht man dann auch mögliche Antworten mit ein, dann lassen sich diese analog dazu als Gegenadressierungen verstehen, in denen ihrerseits andere wieder als jemand angesprochen und – qua Verschiebung bzw. Akzeptanz etablierter Normen – zu jemandem gemacht werden. Eine solche Lesart von Anerkennung als Adressierung kann sich zunächst auf eine Überlegung Tzvetan Todorovs stützen, der in seinem ‚Versuch einer allgemeinen Anthropologie‘ (vgl. Todorov 1998) eine zunächst phänomenbezogen erstaunliche, wenn nicht sogar verstörende Erweiterung der Bedeutung derselben vorgenommen hat: Ausgehend von der – inzwischen mehrfach rekonstruierten – Unterscheidung zweier unterschiedlicher Bedeutungen von Anerkennung – der Anerkennung als einer positiven Wertbestätigung einerseits und der „Anerkennung im engeren Sinne“ (ebd., S. 100) als einer grundsätzlichen „Bestätigung des Existenz oder des Daseins“ (ebd.) andererseits25 – entwickelt Todorov den Gedanken, dass 25

Todorovs Unterscheidung entspricht weitgehend der bei Jessica Benjamin: Während Subjekte auf die Wertzuweisung anderer angewiesen sind, um zu einem positiven Selbstverhältnis zu gelangen, sind sie – so Todorov ganz in der Linie Benjamins – um ein Verhältnis zu sich entwickeln und unterhalten zu können, darauf angewiesen, dass andere ihnen ihre Existenz – immer wieder – bestätigen und versichern (vgl. Todorov 1998, S. 38). Nicht ganz uninteressant dürfte nun sein, dass auch Axel Honneth in seinen jüngsten Arbeiten eine Differenz einführt, indem er neben der Anerkennung als einer Wertbestätigung auch eine zweite Form – einen elementareren, „‚existentielle[n]‘ Modus der Anerkennung“ (Hon-

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Anerkennung ebenso wie Nichtanerkennung sich voneinander mindestens strukturell nicht trennen lassen, weil beide – aufgrund der rezeptiven wie responsiven Existenzverfasstheit – als bedeutsame Adressierungen verstanden werden und verstanden werden müssen. Todorov begründet diese zunächst irritierende Auslegung, indem er nachweist, dass man „nicht unempfindlich bleiben [kann] gegenüber einer fehlenden Anerkennung unserer bloßen Existenz“ (ebd., S. 100), weil es unmöglich ist, „unter den anderen zu leben, ohne jegliche Zeichen von ihnen zu erhalten“ (ebd., S. 75). Ist aber Anerkennung weniger eine bloße Frage der Affirmation, sondern eine der Sichtbarkeit für andere, des Wahrgenommenwerdens von anderen, dann gehören auch sowohl Missbilligung und Entwertung als auch Gleichgültigkeit und Unsichtbarkeit für andere zum Phänomenbereich des Anerkennens. In Anlehnung an das (und Umkehrung) des Levinasschen Diktums, dass man nicht nicht grüßen könne26, illustriert Todorov die vorgenommene Weiterung an ausgewählten Beispielen; seine Folgerung, auch Verachtung und Beleidigungen noch als (Modalitäten der) Anerkennung zu verstehen – Todorov kommentiert: „die größten Beleidigungen sind besser als überhaupt keine Anerkennung“ (ebd., S. 102) – ist so irritierend wie verstörend zugleich (und hat durchaus auch ihre Grenzen), ist aber auch wegweisend für eine andere Lesart von ‚Anerkennung‘ als einem strukturalen Begriff, forciert sie doch die Einsicht darin, dass Anerkennung auch als Dimension und Rückseite von Handlungen überhaupt verstanden werden kann bzw. werden muss. So verdeutlichen Todorovs Markierungen der verschiedenen ‚Wege der und zur Bestätigung‘ (vgl. insb. ebd., S. 109ff.) nicht nur, dass Anerkennung „offenkundig unzählige und vielgestaltige Handlungen“ (ebd., S. 95) umfasst, sondern auch, dass sie „in allen anderen Handlungen mitenthalten“ (ebd., S. 95) ist. Nicht ‚direkt‘ anerkennende Handlungen, so Todorov, vermitteln „eine sekundäre oder indirekte Anerkennung“ (ebd.,

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neth 2005, S. 52, Fn. 19) – einräumt, die ausdrücklich noch nicht auf „die Bejahung spezifischer Eigenschaften des jeweiligen Gegenübers“ (ebd., 60; Hervorh. N.B.|N.R.) zielt, sondern irgendwie grundsätzlich justiert ist (vgl. dazu auch Honneth 2003c, insbes. S. 14ff.). Vgl. dazu Levinas 1983 (z.B. S. 112ff.): auch wer – insbesondere im Sehen des Anderen bzw. im aktiven Nichtsehen des Anderen – nicht grüßt, grüßt den Anderen, insofern er ihn anspricht als jemand, den man nicht ansprechen will, d.h. als ein niemand anspricht. Diese Grundfigur ist dabei nicht nur in jedem Übersehen enthalten (und u.U. bloß eine Frage der Empfindlichkeit), sondern auch Ausdruck unserer – weil responsiv und auf andere bezogen angelegten – Verfasstheit, nur von den anderen her uns selbst erlernen und empfinden zu können, was aber nicht heißt, dass diese uns dazu determinierend machen.

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S. 101); so erhalte z.B. „der Spender der direkten Anerkennung [...] durch seine aktive Rolle die Befriedigung einer indirekten Anerkennung“ (ebd.): „Zu spüren, daß die anderen einen brauchen (um ihnen Anerkennung zu gewähren), bewirkt, daß man sich selbst anerkannt fühlt. Die Intensität dieser indirekten Anerkennung ist im allgemeinen höher als die der direkten Anerkennung“ (ebd.). In ähnlicher Weise hat nun auch Judith Butler Anerkennung als ein Adressierungsgeschehen interpretiert und als Interaktionsstruktur wie -medium gekennzeichnet; an Louis Althussers Analyse der Interpellation (Anrufung) anschließend (vgl. Butler 2001) plädiert Butler dafür, Adressierungen als Anerkennungsakte zu lesen: angesprochen, adressiert zu werden, bedeutet, so Butler, anerkannt zu werden, jedoch „nicht nur in dem, was man bereits ist, anerkannt zu werden, sondern jene Bezeichnung zu erhalten, durch die die Anerkennung der Existenz möglich wird“ (Butler 1998, S. 14f.). „Die Anrede konstituiert das Subjekt innerhalb des möglichen Kreislaufs der Anerkennung oder umgekehrt, außerhalb dieses Kreislaufs, in der Verworfenheit“ (ebd., S. 14). Es kommt daher weniger darauf an, ob man positiv oder negativ angesprochen wird, sondern vielmehr, dass man überhaupt angesprochen wird; mehr noch: (nahezu) alles, was passiert, lässt sich als ein adressierender und attribuierender Akt – d.h. als ein Akt, der zwar nicht immer auf alle, immer aber doch auf jemanden bezogen ist – verstehen und rekonstruieren.27 Adressierungen sind daher – ob gewollt oder nicht – immer Bestandteil sozialer Praktiken; sie haben insofern eine Anerkennungsrückseite bzw. einen anerkennenden Grundzug, als Subjekte in ihnen sowohl verbal als auch nonverbal als mehr oder weniger anerkennbar oder nicht anerkennbar markiert werden und weil sie so „Weisen des Einwirkens auf ein oder mehrere handelnde Subjekte“ (Foucault 1994, S. 255) darstellen, durch die diese dazu geführt werden, sich als spezifische selbst anzuerkennen (vgl. Foucault 1977, S. 11). 27

Auch wenn sich Anerkennung qua Adressierung wohl vorrangig im Medium der Sprache vollzieht (vgl. auch Borst 2003), ist offenkundig, dass – einerseits – auch nonverbale Handlungen eine anerkennende, d.h. adressierende Seite haben (können) und dass – andererseits – Sprechen und Körper untrennbar sind (vgl. Felman 2003), weil Sprechen die Handlung eines ‚sprechenden‘ Körpers ist, die eine Verdopplung im Augenblick des Sprechens impliziert: Es wird nicht nur etwas gesagt, sondern dies in spezifischer Weise, die vom körperlichen Instrument der Äußerung bestimmt wird; weil aber der Körper Zeichen aufführt und darin Bedeutungen aufruft, die nicht (quasi-automatisch) mit denen zusammenfallen, die vorgetragen werden, ist er auch der ‚blinde Fleck des Sprechens‘ (Butler).

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Folgt man diesen Weichenstellungen, dann ist unmittelbar einsichtig, dass pädagogische Orte nicht erst – wie insbesondere medial vielfach gefordert – zu ‚Orten der Anerkennung‘ (gemacht) werden müssen, sondern dass sie dies immer schon sind.28 Wie jede soziale Praxis ist auch die pädagogische Praxis ein Geschehen und Prozessieren von Adressierungs- und Re-Adressierungsakten, in denen die jeweils Beteiligten sich nicht nur von Zeit zu Zeit – insbesondere in Praktiken der Bewertung, der Beurteilung und der Korrektur – in einer direkten Weise, sondern in denen sie sich auch (nahezu) durchgängig in indirekter Weise (wechselseitig) anerkennen. Um Anerkennung als einem Phänomen und Problem der pädagogischen Praxis empirisch auf den Grund zu gehen, ist es daher gerade nicht hinreichend, zu untersuchen, inwiefern z.B. Schulen sowohl für SchülerInnen als auch für LehrerInnen – aufgrund von habituellen Passungsverhältnissen zur jeweiligen Schulkultur29 – „jeweils divergierende Möglichkeitsräume der Anerkennung“ (Helsper 2008, S. 67) bieten; ebenso wenig ist es hinreichend, pädagogische Praktiken nur – wie in der seit Ende der 1960er Jahre entwickelten pädagogischen Interaktionsforschung vielfach unternommen (vgl. expl. Tausch/ Tausch 1998, Naujok u.a. 2008 wie Thies 2008) – im Hinblick auf positive Wertschätzung sowie emotionale Zuwendung und insofern im Hinblick auf ‚viel oder wenig‘ Anerkennung zu befragen. Vielmehr ist es notwendig, erstens – mittels z.B. sprechakt- und konversationsanalytischer Verfahren – zu untersuchen, wie und als wer jemand in pädagogischen Praktiken vor wem adressiert wird und zu wem er dadurch von wem und vor wem gemacht wird und wie dieser jemand darauf antwortet und den anderen seinerseits adressiert (vgl. erste Versuche Kolbe/Reh 2009, Rabenstein 2009, Reh 2010); zweitens sind – mittels z.B. diskursanalytischer Verfahren – Adressierungen und Re-Adressierungen in ihren Bezügen auf Ordnungen und Normen der Anerkennbarkeit sowie auf Differenzkategorien, hinsichtlich der sagbaren/nichtsagbaren Themen, der jeweilig ein28

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Bereits der Titel einer ‚Pädagogik der Anerkennung‘ signalisiert ein zu enges Verständnis, wenn nicht sogar ein Missverständnis, taucht doch ‚Anerkennung‘ entweder als Anwendungs- und Umsetzungfall oder als Zielvorgabe und Ermöglichungsorientierung auf; dass aber Anerkennung selbst auch ‚Medium‘ des pädagogischen Handelns ist – d.h. auch Träger wie auch Dimension –, wird damit übersehen (vgl. Ricken 2009b). Insbesondere in seinen Überlegungen zur symbolischen Herrschaft verweist Pierre Bourdieu selber immer wieder darauf, dass Akteure in sozialen Feldern „jeweils proportional zum Umfang ihres symbolischen Kapitals“ (Bourdieu 1985, S. 23) die Möglichkeit haben, „sich Anerkennung zu verschaffen“ (Bourdieu 1998, S. 42); zur Bedeutung von Anerkennung und Macht bei Bourdieu vgl. auch Balzer 2007.

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genommenen wie zugewiesenen Sprecherpositionen sowie der konkurrierenden Geltungs- und Machtansprüche zu analysieren. Entscheidend aber wäre dabei, die Heterogenität der Adressierungen auch in den Blick zu nehmen und so dem Rechnung zu tragen, dass in pädagogischen Praktiken Ordnungen und Normen der Anerkennbarkeit als Sinnordnungen von Macht wohl nicht nur reproduziert, sondern immer auch etabliert und hervorgebracht werden, gerade weil sich Subjekte in ihnen als anerkennbar oder nicht-anerkennbar adressieren und sich so dazu anhalten, sich Kategorien einer anerkennbaren Existenz nicht nur zu unterwerfen, sondern diese auch zu verschieben und zu erweitern. Dadurch würden nicht nur Kernprobleme sowohl praxis- als auch erziehungstheoretischer Forschungen überhaupt – das der gleichzeitigen Routinisiertheit und Unberechenbarkeit sozialer Interaktionen und das der in ihnen sich vollziehenden gleichzeitigen Reproduktion und Innovation von Normen –, sondern es würde auch eine Kernfrage der Erforschung der Reproduktion sozialer Ungleichheit im Bildungssystem bearbeitet: die Frage danach, inwiefern (und wie) in pädagogischen Praktiken Differenz nicht nur verstärkt und in standardisierte Hierarchien verwandelt, sondern auch (mehr oder weniger) eigenständig produziert wird – und prozessiert (vgl. zu diesem Problem auch Grundmann u.a. 2004). Bilanziert man nun die entwickelten vier Lesarten, dann zeigt sich in der Differenz derselben weniger deren Konkurrenz, als vielmehr deren wechselseitige Ergänzung. Mit ihnen sind insofern nicht nur unterschiedliche Aufmerksamkeitsperspektiven – verstanden als ‚recognitive lenses‘ (Bingham) – bezeichnet, sondern ein zusammenhängender Gedankengang markiert: so wie ethisch-moralische Fragen der Anerkennung auf kulturelle Problemlagen und insofern auf deren jeweilige unterschiedliche kulturelle Codierung verweisen, so werden beide erst in ihrer Performativität verständlich, wenn sie mit Blick auf ihre Konstitutions- und Machtdimensionen erläutert werden, die sich – jedenfalls auch – als Adressierungsstrukturen lesen lassen. Der in diesen Lesarten zurückgelegte Gedankengang führt dabei von einem überwiegend normativ gefassten zu einem analytischen Verständnis der Anerkennung, so dass Anerkennung aus ihrer Gleichsetzung mit Moral gelöst werden kann und nicht immer wieder bloß als – dann zumeist als defizitär diagnostizierte – ‚positive Wertschätzung‘ verstanden werden muss; zugleich impliziert aber dieser Weg keine Abwendung von Fragen der Gerechtigkeit und der Normativität: nicht nur, weil Adressierungen als ein ‚doing difference‘

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vom ‚doing inequality‘ (vgl. Mecheril/ Plößer 2009, S. 201) nicht zu trennen sind; sondern auch, weil Adressierungen mit der Etablierung jeweilig fungierender Normen – sei es der Sichtbarkeit, oder sei es dessen, was legitim sagbar und nicht sagbar ist – zusammenfallen. Deutlich wird damit aber auch, dass Anerkennung nur sehr eingeschränkt als Kompetenz und ‚Entwicklungsaufgabe‘ (vgl. Hericks 2006) zu verstehen ist, die dann eigens pädagogisch angeleitet werden müsste; sie vielmehr – analytisch – als Struktur des pädagogischen Denkens und Handelns zu veranschlagen, hieße auch praktisch, genauer wissen zu wollen, wie man das tut, was man tut. Damit aber erweist sich nun die anfänglich problematisierte ‚Hypertrophie‘ (Röhr) des Begriffs der Anerkennung als eine doch fruchtbare Möglichkeit, die komplexe Phänomenalität derselben aufzunehmen und in ihr unterschiedliche Dimensionen der Anerkennung zu unterscheiden sowie deren Zusammenhang zu reflektieren.

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Anerkennung als erziehungswissenschaftliche Referenz?

Herrschaftskritische und identitätsskeptische Anmerkungen MARÍA DO MAR CASTRO VARELA | PAUL MECHERIL Zusammenfassung: Erst Anerkennungsbedingungen ermöglichen es Individuen, sich in Verhältnissen des Selbstvertrauens, der Selbstachtung und der Selbstschätzung zu erfahren. Diese sozialtheoretische Einsicht hat auch in pädagogischen Diskursen eine beachtliche Resonanz erfahren. Liebe, Recht und Solidarität sind zentrale, auch pädagogisch signifikant bedeutsame Anerkennungsverhältnisse, in denen sich Einzelne in befriedigenden und erfüllenden Selbstverhältnissen erfahren können. Nach einer Würdigung des pädagogischen Gehalts von Anerkennungsansätzen werden im zweiten Abschnitt des Beitrags Grenzen und Probleme des Anerkennungsansatzes zum Thema. Anerkennung tendiert dazu, gegebene Verhältnisse zu fixieren und zu bejahen. Wo dies der (indirekten) Bestätigung von Herrschaftsverhältnissen dienlich ist, zeigt sich eine bedeutsame Grenze des Anerkennungsgedankens. Dies wird aus der Perspektive postkolonialer Theorie ausgeführt. Dieser Abschnitt dient der Kritik des Anerkennungsansatzes aus einer herrschaftskritischen Perspektive. Daran schließen drittens Ausführungen, die Anerkennungsansätze problematisieren, indem darauf verwiesen wird, dass „Identität“ und „Subjekt“ auf unbestimmte und nicht fixierte Phänomene verweisen, somit nicht nur das Erkennen der Identitäten und Subjekte unmöglich ist, sondern auch ihre Anerkennung. Vor diesem Hintergrund schließt der Beitrag mit einer Problematisierung des für den Anerkennungsansatz zentralen Begriffs der Solidarität, indem die Notwendigkeit einer Solidarität (zwischen Unvertrauten) als auch ihre Unmöglichkeit herausgestellt wird.

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I. Pädagogischer Sinn der Anerkennung1 Die Frage nach der Bedeutung, Funktion und den Bedingungen von sozialer Anerkennung wird von einer Reihe von Autoren und Autorinnen als eine verhältnismäßig junge Frage angesehen. Sie stellte sich nach Charles Taylor (1993, S. 24f.) in der vormodernen Zeit nicht, da Anerkennung zu dieser Zeit im Grunde nie ein Problem gewesen sei. Denn die allgemeine Anerkennung kann in der Vormoderne als „fester Bestandteil der gesellschaftlich abgeleiteten Identität [verstanden werden], weil diese Identität auf gesellschaftlichen Kategorien beruhte, die niemand anzweifelte“. Auch war „in vormoderner Zeit von ‚Identität‘ und ‚Anerkennung‘ nicht deshalb keine Rede, weil die Menschen keine Identität (bzw. das, was wir so nennen) besessen hätten oder auf Anerkennung nicht angewiesen wären, sondern weil diese Begriffe damals selbstverständlich waren, so daß sie keiner besonderen Aufmerksamkeit bedurften“ (ebd.). Taylor nennt zwei Gesichtspunkte, die die Bedeutung von Anerkennung heute stärker ins Zentrum gerückt haben. Zum einen sei dies auf den „Zusammenbruch der gesellschaftlichen Hierarchien, die früher die Grundlage der Ehrenvorstellungen bildeten“ (1995, S. 55), und auf die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zurückzuführen, die, so Heiner Keupp (1997, S. 13f.), „die bislang vertrauten Rahmenbedingungen für Anerkennung und Zugehörigkeit, die Wir-Identitäten grundlegend in Frage“ stellten. Verbindlichkeit und Fraglosigkeit sozialer Zugehörigkeiten sind schwächer geworden. Die Frage nach sozialer Anerkennung hat an Bedeutung gewonnen, da die Bedingungen, die durch gesellschaftliche Veränderungsprozesse geschaffen worden sind, das Bemühen um Anerkennung scheitern lassen können. Anerkennung ist somit ein Schlüsselbegriff der Gegenwart, da Anerkennung in der Gegenwart zum Problem geworden ist. Auch in pädagogischen Diskursen wird die Frage, welche positive Orientierung eine Pädagogik auszeichnen kann, die durch Differenz, Vielfalt und Ungleichheit gekennzeichneten gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht, in den letzten Jahren mehr und mehr mit Bezug auf den Topos der Anerkennung beantwortet (etwa Hafeneger/ Holzbrecher/ Scherr 2002).

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Passage basiert auf Abschnitten des siebten Kapitels des Buches „Einführung in die Migrationspädagogik“ (Mecheril 2004).

ANERKENNUNG ALS ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE REFERENZ?

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Anerkennungsansprüche und -forderungen gründen letztlich auf einem universalistischen Verständnis von Anerkennung. Einzelne und soziale Gruppen fordern Anerkennung, und diese Forderung wird geprüft, weil der allgemeine Anspruch auf Anerkennung als grundsätzlich legitimer Anspruch gilt. Anerkennung ist eine Kategorie, die individuelle Autonomie von intersubjektiver Zustimmung abhängig macht und die, so Nancy Fraser und Axel Honneth (2003, S. 7), „die moralischen Belange einer Vielzahl von gegenwärtigen Konflikten zu erfassen vermag“. Vor diesem Hintergrund können wir zwei aufeinander verweisende diskursive Orte unterscheiden, an denen Anerkennung diskutiert wird. Zum einen wird Anerkennung identitätspolitisch als differenzsensible Rückwirkung auf Machtverhältnisse thematisiert. Im ‚postsozialistischen‘ Zeitalter, in dem „Gruppenidentität“ zu einem zentralen Medium politischer Mobilisierung geworden ist (etwa Fraser 1995, S. 68), artikuliert „Anerkennung“ Ansprüche auf Achtung, Teilhabe und Selbstbestimmung, die von differenten Identitätsformen und Gruppen formuliert werden. Das Einfordern von Rechten für nicht EU-Migrantinnen, der Kampf um Anerkennung seitens ethnisch-kultureller Minderheiten sind Beispiele für die Ansprüche, die im Zeichen der Anerkennung von Identität und Zugehörigkeit gestellt werden (vgl. etwa Benhabib 1999). Der zweite diskursive Strang ist sozialtheoretischer Provenienz. „Anerkennung“, so beispielsweise Honneths (1994) an Hegel orientierte Idee, ist die nicht suspendierbare Voraussetzung intersubjektiv sinnvollen Handelns Einzelner. Erst Bedingungen der Anerkennung ermöglichen es den Einzelnen, sich in Verhältnissen des Selbstvertrauens, der Selbstachtung und der Selbstschätzung erfahren. Liebe, Recht und Solidarität, sind nach Honneth jene Anerkennungsverhältnisse, in denen sich Einzelne in befriedigenden und erfüllenden Selbstverhältnissen erfahren können. Liebe ist Voraussetzung der Ausbildung physischer Integrität, das Recht ermöglicht soziale Integrität und Solidarität die Erfahrung eigener Würde. Gesellschaftliche Solidarität versteht Honneth als jenes soziales Anerkennungsverhältnis, in dem jedes Gesellschaftsmitglied in die Lage versetzt wird, sich selbst in dem Sinne wertzuschätzen, dass es seine Fähigkeiten und Leistungen als bedeutsam für und in dem je relevanten gesellschaftlichen Zusammenhang erfährt. „Solidarität ist unter den Bedingungen moderner Gesellschaften [...] an die Voraussetzung von sozialen Verhältnissen der symmetrischen Wertschätzung zwischen individualisierten (und autonomen) Sub-

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jekten gebunden; sich in diesem Sinne symmetrisch wertzuschätzen heißt, sich reziprok im Lichte von Werten zu betrachten, die die Fähigkeiten und Eigenschaften des jeweils anderen als bedeutsam für die gemeinsame Praxis erscheinen lassen. Beziehungen solcher Art sind ,solidarisch‘ zu nennen, weil sie nicht nur passive Toleranz gegenüber, sondern affektive Anteilnahme an dem individuell Besonderen der anderen Person wecken: denn nur in dem Maße, in dem ich aktiv dafür Sorge trage, daß sich ihre mir fremden Eigenschaften zu entfalten vermögen, sind die uns gemeinsamen Ziele zu verwirklichen“ (Honneth 1994, S. 209f.). Den drei Anerkennungsdimensionen Liebe, Recht und Solidarität korrespondieren drei grundlegende Formen von Missachtung. Misshandlung und Vergewaltigung bedrohen die physische Integrität der Einzelnen, Entrechtung und Ausschließung die soziale Integrität, Entwürdigung und Beleidigung schließlich die individuelle Würde. Missachtung verletzt und verhindert Verhältnisse des Vertrauens, der Achtung und der Schätzung, die grundlegend dafür sind, dass Individuen sich als Subjekte verstehen und erfahren. Ein Widerhall sowohl der sozialtheoretischen wie auch des identitätspolitischen Diskursstranges findet sich in pädagogischen Debatten und Diskursen. Hierbei wird im erziehungswissenschaftlichen Diskurs Anerkennung zunächst an den disziplinären Orten zu einer rhetorischen Formel und einer konzeptuellen Orientierungsgröße, die mit Differenz beschäftigt sind: der Interkulturellen Pädagogik, der Feministischen Pädagogik oder geschlechtersensiblen Pädagogik und der Integrativen Pädagogik. Am pädagogischen Diskurs über kulturelle Differenz kann dieser Bezug auf Anerkennung vergegenwärtigt werden. Georg Auernheimer (2001, S. 45) schreibt: „Das Programm einer interkulturellen Bildung lässt sich auf zwei Grundprinzipien gründen: auf den Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz der Anerkennung anderer Identitätsentwürfe.“ Der Gleichheitsgrundsatz allein kann aus einer Perspektive, die nicht nur von der Gegebenheit kultureller Differenz ausgeht, sondern diese Differenz auch bejaht, nicht zufrieden stellen. Denn die Beschränkung auf Gleichheit tendiert zu einer Benachteiligung durch Gleichbehandlung. „Gerechtigkeit“, so Anerkennungsansätze, muss an eine Achtsamkeit für Unterschiede geknüpft sein, weil ansonsten jene benachteiligt werden, die nicht der dominanten Lebensform zugehören. Anerkennung gilt differenzsensiblen Pädagogiken als eines ihrer Grundprinzipien, solche Pädagogi-

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ken, etwa Varianten der Interkulturellen Pädagogik, berufen sich auf den Anerkennungsgedanken; zwei Beispiele: „Für Handlungen im Kontext der Interkulturellen Pädagogik“, führt Doron Kiesel aus (1996 S. 220), „bildet die moralische Anerkennung des anderen als Mitglied der Gruppe, die eine andere kulturelle Lebensform vertritt, den zentralen Aspekt, da sie Interaktionen zwischen sprach- und handlungsfähigen Angehörigen ethnisch-kultureller Gemeinschaft zu regeln vermag.“ Und in der Pädagogik der Vielfalt von Annedore Prengel (1995, S. 61) heißt es: „Das gesellschaftlich wertvolle Gut, das Schulen und andere pädagogische Einrichtungen aus eigener Machtbefugnis und eigenen Ressourcen zu verteilen haben, heißt ‚intersubjektive Anerkennung‘ jeder einzelnen Person in ihrer je einmaligen Lebenslage.“ Wenn, wie es dem Grundsatz zum Beispiel der Interkulturellen Pädagogik entspricht, die Partizipation von kulturellen Minderheiten nicht allein auf das Recht der Teilhabe an einer in den Bildungsinstitutionen repräsentierten dominanten Kultur beschränkt werden soll, sondern vielmehr die Notwendigkeit der Veränderung des Bildungssystems in Richtung einer differentiellen Ansprache der Minderheiten in den Vordergrund rückt, dann liegt den pädagogischen Überlegungen implizit oder explizit zumeist der Gedanke der Anerkennung zugrunde. Wir wollen an dieser Stelle einen allgemeinen Begriff von Anerkennung skizzieren, der von explikativen Ausführungen pädagogischer Texte zu Anerkennung (Prengel 1995, Kiesel 1996, die Beiträge im 2002 erschienen mit „Pädagogik der Anerkennung“ überschriebenen Sammelband von Hafeneger, Henkenborg und Scherr) getragen wird, diese anerkennungstheoretischen Ausführungen jedoch so akzentuiert, dass der Bezug auf ein idealistisches Subjektverständnis, hier und da wird dieser Bezug in pädagogischen Texten zu Anerkennung deutlich, entbehrlich wird. Wir versuchen dabei nicht nur schlicht einen Begriff von Anerkennung zu beschreiben, sondern die Umrisse eines Begriffs deutlich zu machen, der die Grenzen und Dilemmata der Anerkennung ernst nimmt und dadurch als Grundlage einer Pädagogik der Anerkennung sinnvoll erscheint. Allgemein zielt Anerkennung unter Bedingungen von Differenz auf Verhältnisse, in denen einander Fremde für Bedingungen der Möglichkeit zur Selbstdarstellung der je anderen eintreten. Bei diesen Verhältnissen handelt es sich um solche, die den Status der je anderen

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als Subjekt ernst nehmen. Im hier bedeutsamen Subjektbegriff geht es nicht um das Herausstellen einer wesenhaften Eigenschaft von Individuen, sondern um die Frage, in welchen Weisen Individuen Möglichkeiten zukommen, ihr sozial vorstrukturiertes Vermögen wirksam werden zu lassen und sich in affirmative, aber auch transformative Welt- und Selbstverhältnisse zu begeben. Wo Individuen sich in solchen Bildungsräumen und Handlungskontexten wieder finden und aufhalten, entwickeln sie den Status als Subjekt. Anerkennungsansätze plädieren für eine Regelung pädagogischer Angelegenheiten, die die Handlungsfähigkeit Einzelner fördert und ermöglicht, indem Strukturen geschaffen werden und zugestanden sind, in denen die Einzelnen Bedingungen der Möglichkeit zum Handeln vorfinden, die ihren basalen Handlungsdispositionen, aktuale oder qua kultureller Zugehörigkeit antizipierten Dispositionen, entsprechen und „antworten“. Handlungsmacht beschränkt sich im Rahmen eines Anerkennungsansatzes also nicht auf die schlichte Zubilligung, gleichberechtigt an öffentlichen Gütern partizipieren zu dürfen. Handlungsvermögen ist vielmehr an ein responsives Verhältnis zwischen Handlungssubjekt und Handlungsraum gebunden, in dem das Handlungssubjekt in seinen spezifischen, nur im Rahmen seiner besonderen Geschichte und Biographie verstehbaren Dispositionen und Fähigkeiten angesprochen und zur Geltung gebracht wird. Dieser starke Bezug auf biographische und dispositionale Besonderheit macht den Anerkennungsansatz für ein Nachdenken über Differenz und Identität attraktiv und zugleich anfällig für die Instrumentalisierung durch Identitätspolitiken. Die Relation, die in dem Subjektbegriff zum Ausdruck kommt, zielt idealer Weise darauf, dass das Subjekt sich in unterschiedlichen Sphären der intersubjektiven und sozialen Realität entfalten und darstellen kann. Anerkennung als handlungsmächtige Subjekte ist nicht allein darauf bezogen, individuellen Selbstbeschreibungen zu folgen, sondern zielt vor allem darauf, Strukturen zu ermöglichen, in denen Handlungsvermögen und -macht als Darstellung und Beteiligung in sozialen und intersubjektiven Räumen sinnvoll wird, sich bewährt und entwickeln kann. Menschen kommt idealer Weise der volle Status als Subjekt zu, wenn sie im Rahmen ihrer je relevanten sozialen Verortung als politisch, sozial und individuell handlungsmächtiges Subjekt anerkannt werden und sich vermittelt von diesen Anerkennungserfahrungen selbst als Subjekte identifizieren und achten können. Zwar nimmt der Bezug auf Anerkennung seinen Anfang in den pädagogischen Fachrichtungen, die in einem besonderen Sinne mit

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Differenz befasst sind; überzeugend und ‚stark‘ wird der differenzsensible Rekurs auf Anerkennung aber erst durch seinen allgemeinen Anspruch. Auf dieser allgemeinen Ebene offeriert der Gedanke einer „Pädagogik der Anerkennung“ eine Idee des Pädagogischen, die in Zeiten technologischer Effizienzzumutungen und Effektivitätserwartungen gegenüber der Pädagogik als (Wieder-)Beschreibung des Pädagogischen und Sicherung des Autonomieanspruchs der Pädagogik gelesen werden können (vgl. auch Scherr 2002). Wichtig und zentral für die Relevanz des Anerkennungsgedankens ist nun, dass die Handlungsmacht, die im anerkennungstheoretisch gedachten Subjektbegriff angesprochen ist, an die Achtung der sozial-kulturellen Eingebundenheit der und des Einzelnen geknüpft ist. Nur wenn der soziale Rahmen, in dem das Individuum ein bedeutsames praktisches Verständnis seiner selbst erworben hat, bzw. nur wenn der Rahmen, in dem erwartungsgemäß das Individuum ein signifikantes praktisches Verständnis seiner selbst erwerben wird, benannt, respektiert und geachtet wird, ist eine zentrale Bedingung von Handlungsmacht und Handlungsvermögen erfüllt. Die sozialtheoretische Einsicht, dass der Subjektstatus Einzelner an die Anerkennung des kulturellen Rahmens geknüpft ist, in dem sie ein grundlegendes Selbstverständnis, basale Handlungskompetenzen und normative Disponiertheiten, Sprache und Empfindsamkeiten gewonnen und entwickelt haben bzw. voraussichtlich entwickelt haben werden, stellt eine grundlegende Referenz insbesondere solcher pädagogischer Traditionen und Ansätze dar, die nicht allein das singuläre Individuum/Handlungssubjekt fokussieren, sondern Handlungsmacht und Handlungsvermögen Einzelner kontextualisieren. „Kultur“ beispielsweise ist eine begriffliche Fassung der Kontextualität individuellen Handelns. Mit der Einsicht, dass der kulturelle Rahmen, in dem eine Person Handlungsvermögen und -macht erworben und sich angeeignet hat, anerkannt werden muss, um die Handlungsmacht der Person und damit diese selbst zu achten, wird es in einer pluralen Gesellschaft möglich, beispielsweise „nationalkulturelle“ Einengungen von Bildungseinrichtungen als Momente der Missachtung zu verstehen. Diskrepanzen zwischen Disponiertheiten und Vorgaben der Bildungskontexte, Disponiertheit-KontextDiskrepanzen könnten wir sagen (zum Begriff vgl. Mecheril 2003, S. 169ff.), so wie sie mit Bezug auf die bundesdeutsche Schule seit nunmehr Jahrzehnten als mononationale, monokulturelle und monolinguale Verharrung und Beharrung diskutiert werden, kommen unter einer anerkennungstheoretischen Perspektive als Restriktionen in den Blick, da sie bei ethnisch-kulturellen ‚Minderheitenange-

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hörigen‘ aufgrund der Missachtung ihrer kulturell-lingualen Einbindungen die Entwicklung von Handlungsmacht und Subjektstatus verhindern oder zumindest erschweren. Für eine Pädagogik der Anerkennung weisen die bisherigen Ausführungen nun prinzipiell darauf hin, dass die Idee der Anerkennung pädagogisch Unterschiedliches bedeuten kann; wir wollen diese Bedeutung in Form von drei Fragen wiedergeben: 1. Welchen Beitrag kann eine Pädagogik der Anerkennung zur Anerkennung des Gegenübers in konkreten pädagogischen Situationen leisten? 2. Welchen Beitrag kann eine Pädagogik der Anerkennung zur Anerkennung des konkreten und verallgemeinerten Gegenübers in seiner Alltagswelt leisten? 3. Welchen Beitrag kann eine Pädagogik der Anerkennung dazu leisten, dass eine Kultur der Anerkennung allgemein sinnvoll, attraktiv und nützlich erscheint?

II. Kritik der Anerkennung aus postkolonialer Perspektive Postkoloniale Interventionen werden auch im deutschsprachigen Raum, auch in der Pädagogik zunehmend rezipiert (etwa Castro Varela 2006). Postkoloniale Zugänge sind interdisziplinär orientiert und fundiert und stellen prominent ein Zusammenspiel von Marxismus und poststrukturalistischer Theoriebildung dar. Dabei werden die Kritik an den imperialen Erzählungen und Repräsentationen und die Theoretisierung sogenannter kultureller Differenzen mit der materialistischen Philosophie des Marxismus in Dialog gebracht. Als eines der Ziele postkolonialer Theorie kann die Dekonstruktion essentialisierender und eurozentristischer Diskurse beschrieben werden (Chambers/ Curti 1996). Hinterfragt wird die scheinbar klare Opposition zwischen „Innen – Außen“, „Inklusion – Exklusion“, „Kolonialisierer – Kolonialisierter“, auf die sich die Erzählungen und Repräsentationen z.B. kultureller Differenz stützten. Stattdessen zielen postkoloniale Ansätze darauf, zur Kenntnis bringen, dass koloniale Herrschaftsverhältnisse spannungsvolle und widersprüchliche Verhältnisse darstellen, geprägt von überdeterminierenden Effekten, die aus sich heraus Prozesse der Subvertierung nach sich ziehen. Mit der postkolonialen Perspektive auf gewöhnlich plausibel wirkende Unterscheidungen wie die zwischen „Peripherie – Zentrum“, „Ent-

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wickelt – Unterentwickelt“, „Zivilisert- Unzivilisiert“ verbindet sich eine neue Geschichte der Modernität: „Tatsächlich bestand eine der wichtigsten Leistungen des Begriffs ‚postkolonial‘, darin, unsere Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass die Kolonisierung den Gesellschaften der imperialen Metropole in vielerlei Hinsicht keineswegs äußerlich war. Sie war stets tief in sie eingeschrieben – wie sie sich unauslöschlich in die Kulturen der Kolonisierten eingeschrieben hat“ (Hall 2002, S. 226). Postkoloniale Theorie interessiert sich nicht nur für das okkupierte Land, sondern zeigt vielmehr auf, inwieweit koloniale Herrschaft auf einer intellektuellen und kulturellen Bewegung basierte, in deren Folge Europa, das Wissen über Europa und das Wissen über „seine Anderen“ entstand. Keine Region dieser Erde konnte den Wirkungen kolonialer Herrschaft entkommen. Selbst in Ländern, die nie kolonisiert wurden, haben koloniale Diskurse tiefe Spuren hinterlassen; und Länder, die auf den ersten Blick nur marginal involviert waren, profitierten nicht nur im großen Stil von den Kolonien, sondern stellten das geistige Instrumentarium mitbereit, die imperialistischen Gewalttaten zu legitimieren. Diese epistemische Wirkmächtigkeit gehört nicht schlicht einer Vergangenheit an, gehören rassistische und imperialistische Theorien des 19. Jahrhunderts heute noch zum Common Sense (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005). Das Andere ist bereits in den hegemonial-imperialistischen Diskursen eingeschrieben. Es ist diesem nicht äußerlich – im Gegenteil: Vertikale Machtrelationen wurden stets durch eine horizontale Achse (global-lokal) korrigiert. Im postkolonialen Moment haben diese bereits existierenden, aber überdeckten Bewegungen zugleich zu neuen Machtformationen geführt – zu neue Eliten etwa. Die dekonstruktive Theoriebildung hilft die notwendigen Dekolonisierungsprozesse in Gang zu halten, wobei Dekolonisierung immer auch als „Dekolonisierung des Geistes“ verstanden wird: das Verlernen einer imperialistischen Wahrheit. Während poststrukturalistische Herangehensweisen die Kritik an westlichen Epistemologien vorangetrieben und zum Verstehen eurozentrischer Gewalt beigetragen haben, indem sie unter anderem auf die Gewaltförmigkeit von Sprache, Diskursen und Repräsentationspolitiken hinwiesen und das Projekt der Aufklärung kritisch hinterfragten, schuf die marxistische Perspektive die Basis für eine kritische Befragung der internationalen Arbeitsteilung und aktuellen Rekolonisierungsprozesse, die auch mit Anerkennungsstrategien operieren (Spivak 1990). Die Exotisierung der Anderen und ein Paternalismus denjenigen gegenüber,

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denen die Zugehörigkeit verweigert wird, sind hier symptomatische Phänomene. Feministische Interventionen, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der postkolonialen Perspektive geleistet haben, verwiesen desgleichen auf das Zusammenspiel der Kategorien race, Gender, Sexualität innerhalb (post-)kolonialer Machtstrukturen. Damit wurden neue Fragestellungen hervorgebracht, die in der Folge Konzepte wie „Emanzipation“ oder etwa die Idee der „sexuellen Befreiung“ einer differenzierten Machtanalyse zuführten (vgl. Mohanty 1988; McClintock 1995; Castro Varela/Dhawan 2009a). Wenn Kolonialismus nicht nur als ein Prozess territorialer Eroberung gesehen wird, sondern im Sinne Michel Foucaults (1984) als Subjektivierung – also die gleichzeitige Unterwerfung und Produktion des Subjekts –, dann umfasst das Feld postkolonialer Theorie nicht nur die Rekonstruktion historischer Dominierung des globalen Südens durch die kolonialen Kräfte über den Einsatz ökonomischer und militärischer Gewalt, sondern ebenfalls eine kritische Analyse von Konstruktions- und Formationsprozessen, an deren Ende schließlich Europa und seine Anderen stehen. Stuart Hall hat dies in dem treffenden Bild vom „Westen und seinem Rest“ gefasst (Hall 2002). Das Aufkommen postkolonialer Studien ist geknüpft an einerseits die Geschichte der Dekolonisierung sowie an die Problematisierung dominanter Diskurse zu race, Kultur, Sprache und Klasse durch die Aktivist/innen antikolonialer Kämpfe. Weiterhin steht die Etablierung der postkolonialen Perspektive mit der Revolutionierung westlicher intellektueller Traditionen in Zusammenhang, welche die gängigen Konzepte von Macht, Subjektivität und Widerstand herausfordern. Robert Young (1995, S. 163) zufolge hat die postkoloniale Theorie eine radikale Rekonzeptionalisierung der Beziehung zwischen Nation, Kultur und Ethnizität ermöglicht, die von weit reichender kultureller und politischer Bedeutung war und ist (vgl. auch Castro Varela/ Dhawan 2005). Postkoloniale Interventionen ernst nehmend können „Forderungen nach Anerkennung“, die nicht machtanalytisch gedacht und relativiert sind, wenig überzeugen. Bedacht werden muss, dass in dem Augenblick, in dem der Anerkennungsansatz praktisch und konkret wird, Anerkennung immer die Anerkennung scheinbar gegebener Differenzen und Identitäten bedeutet. Postkoloniale Theorie hinterfragt aber eben diese vermeintliche Gegebenheit der Differenz und stellt das Geworden-Sein der Unterschiede und Identitätspositionen sowie ihre machtpolitische Funktion in den Vordergrund. Das postkoloni-

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ale Fragen geht sozusagen einen Schritt hinter die Anerkennung zurück und fragt nach den politischen und kulturellen Bedingungen, die die Subjekte, die anerkannt werden (sollen), ermöglicht haben und fragt, inwiefern Anerkennung Teil eines machstrategischen Handelns der hegemonialen Unterscheidung bleibt. In dieser (Frage-)Perspektive wird deutlich, dass die Anerkennung Anderer die Funktion der Legimitierung von Prozessen des Othering darstellt. Othering ist eines der Schlüsselkonzepte in Edward Saids Studie Orientalism (1978) und beschreibt den Prozess des Fremd-Machens, bei dem nicht nur die Anderen geschaffen, sondern darüber hinaus auf eine Position der Nicht-Zugehörigkeit festgelegt werden. Das Konzept des Orientalismus zählt zu den Schlüsselbegriffen postkolonialer Theorie und veranschaulicht prägnant, wie dominante Kulturen andere Kulturen repräsentieren und damit hervorbringen. In seinem Werk „Orientalism“ (1978) zeichnet Said u. a. nach, wie der Orient durch die Orientexperten, die vorgaben, den Orient zu kennen, geschaffen wurde. Daneben arbeitet er heraus, wie der Orientalismusdiskurs dazu instrumentalisiert wurde, die europäische Kolonialherrschaft auf- und auszubauen. Das ‚Wissen‘ über den Orient diente dabei insbesondere der Legitimierung von Gewalt und Herrschaft. Einerseits wurde der Orient durch Europa erst geschaffen, anderseits wurde dieses akademisch informierte ‚Wissen‘ zur kolonialen Herrschaftsstabilisierung genutzt. Wissen und Macht greifen hier ineinander. Der Orient wird von den ‚Experten‘ systematisch als ein Ort beschrieben, den es zu entdecken und begreifbar zu machen gilt (Said 1978, S. 73). Die Politik des Eurozentrismus beginnt für Said folgerichtig immer mit der Repräsentationsfrage. Über eine Darlegung der Art und Weise, in der die Repräsentation der Anderen durch Europa seit dem 18. Jahrhundert als Charakteristikum kultureller Dominanz institutionalisiert worden ist, versucht Said exemplarisch die Verbindung zwischen Macht und Wissen offen zu legen. So zeigt er auf, dass Europas Strategien des „Kennenlernens“ letztendlich Strategien der Weltbeherrschung darstellen. Bei dem Versuch, die Anderen Europas zu verorten und festzulegen, geht zeitgleich die Bestimmung des europäischen Selbst einher. ‚Orientalische‘ Sprachen, Geschichte und Kultur wurden hierfür innerhalb eines Kontextes erforscht, der die „positionelle Superiorität“ Europas nie in Frage stellte (ebd., S. 7). Said untersucht dabei konkret, welche Rolle westliche Wissens- und Repräsentationssysteme bei der faktisch materiellen und politischen Unterwerfung der nichtwestlichen Welt inne hatten (ebd., S. 7). Dafür fokussiert er insbesondere die speziellen Diskurse, welche zwischen dem Westen und

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dem Nicht-Westen gewissermaßen vermittelten. Interkulturelle Begegnung, wie sie die Orientalisten anstrebten, findet charakteristischerweise zwischen ungleichen Partnern statt, während das Wissen, welches durch diese Experten akkumuliert wurde, nicht zufällig auch der kolonialen Administration diente, der es die Beherrschung der kolonisierten Gebiete erleichterte. Said gelingt es, die enge Beziehung zwischen den westlichen Texten, Repräsentationen und Studieninhalten mit den Institutionen und Techniken der kolonialen Machzentralen nachzuweisen. Er kann zeigen, wie Orientalisten als „geheime Agenten des Westens innerhalb des Orients“ operierten (ebd., S. 223). Das von diesen hergestellte dichotome Repräsentationssystem sieht sich in ein Stereotypenregime eingebettet, bei dem der Orient als feminin, irrational und primitiv im Gegensatz zum maskulinen, rationalen und fortschrittlichen Westen entworfen wird. Die Grenze zwischen Orient und Okzident ist, so kann Said zeigen, keine natürliche, sondern vielmehr Effekt eines Dominanzdiskurses (ebd., S. 2). Sie wurde über Jahrhunderte hergestellt und ist bis zum heutigen Tage wirkmächtig. Als Wissenssystem definiert der Orientalismusdiskurs das geopolitische Territorium der Kolonisierung und nicht wenige kolonisierte Subjekte haben sich in der Nachfolge im Sinne dieses Diskurses selbst beschrieben und bezeichnet. Wissen ist Macht, so Foucault, auf den sich Said hier bezieht, und ein Mehr an Macht verlangt unweigerlich nach mehr Wissen innerhalb einer wachsenden profitablen Dialektik von Information und Kontrolle (ebd., S. 32). Die Macht der Konstruktionen ist dabei Effekt einer realen, materiellen Herrschaft des Westens über den Osten. Ein Prozess, der schließlich nicht nur dazu führte, dass die Kultur des Orients als Abweichung und minderwertig gegenüber dem Okzident erachtet wurde, sondern auch dafür verantwortlich zeichnet, dass der Orient als monolithisch und zeitlos erscheint. Der Okzident wirkt dagegen, schon allein weil ihm eine aktive Geschichte zugeschrieben wird, dynamisch, widersprüchlich und plural. Wenn ethnische Grenzziehungen, die zuvor kolonial hergestellt wurden, um nach dem „divide and rule“-Prinzip, die Kolonien zu beherrschen, „ethnische Identitäten“ produzieren, dann ist Anerkennung dieser Identitäten zumindest dilemmatisch. Der Ruf nach Anerkennung muss insofern in Anbetracht der Wirkmächtigkeit kolonialer Expansion problematisiert werden; denn An-Erkennen impliziert immer auch Aneignung und galt als elementarer Bestandteil imperialistischer Strategie. Die Anderen zu kennen war Voraussetzung kolonialer Gouvernementalität. Die An-Erkennung der Anderen als

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Andere ermöglichte Ausbeutung und Unterdrückung – mit ‚humanem Gesicht‘ und war immer auch Strategie kolonialer pädagogischer Interventionen. Es ist somit eher danach zu fragen, wer eigentlich wen anerkennt und ob es möglich ist, wie Gayatri Chakravorty Spivak (2004) schreibt, das begangene „Unrecht zu richten“, indem der Westen das postkoloniale Subjekt anerkennt und ihm nun hilft, Demokratie und Menschenrechte zu etablieren. Und auch in einer von Migrationsphänomenen geprägten Gesellschaft müssen so genannte „kulturelle Differenzen und Identitäten“ als Ausdruck von natio-ethnokulturellen Macht- und Dominanzverhältnissen verstanden werden, in denen koloniale Repräsentationen und Traditionen ihre Wirkmächtigkeit entfalten. Eine pädagogische Anerkennungspraxis, die sich affirmativ auf den Subjektstatus der Individuen einer postkolonialen Migrationsgesellschaft bezieht, bezieht sich indirekt auch immer affirmativ auf die in dieser Gesellschaft geltenden formellen und informellen Machtverhältnisse, die diese Identitäten hervorbringen. Pädagogisches Handeln, das „Migrant/innen“ als „Migrant/ innen“ anerkennt und die Bedingungen der Möglichkeit der Produktion der Anderen nicht beleuchtet, bestätigt insofern nolens volens das Schema, das zwischen „Migrant/innen“ und „Nicht-Migrant/innen“ und „Fremden“ und „Nicht-Fremden“ unterscheidet. Die Paradoxie, die hier anklingt, besteht darin, dass Handlungsmacht und -vermögen an Anerkennungsverhältnisse geknüpft ist, Anerkennung aber den inferioren Status der Anderen bestätigt. Sobald der 2 und die Migrationsandere erkannt und geachtet wird, findet eine Festschreibung der Anderen als Andere statt, während gleichzeitig Machtverhältnisse unbeleuchtet bleiben. 2

Mit der Rede von ‚Migrationsanderen‘ wird auf partiell gleichartige Bedingungen in der Bildungs- und Lebenssituation bestimmter Personen hingewiesen. ‚Migrationsandere‘ ist ein Begriff, mit dem Prozesse und Phänomene der Konstruktion, Bewältigung, Bewahrung und Veränderung natio-ethno-kultureller Differenz unter bestimmten Bedingungen in den Blick kommen. Gleichwohl handelt es sich bei ,Migrationsanderen‘ nicht – so wenig wie bei ,Migrant/innen‘ oder auch ‚Nicht-Migrant/innen‘ oder dem das Bild essentialistischer Abstammung aufrufenden Ausdruck ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ – um eine einheitliche Gruppe. Mehr noch: Es handelt sich um keine Gruppe. ‚Migrationsandere‘ ist ein begriffliches Werkzeug der Konzentration, Typisierung und Stilisierung, das auf Kontexte, Strukturen und Prozesse der Herstellung der in einer Migrationsgesellschaft als Andere geltenden Personen verweist. Der Wert des begrifflichen Werkzeugs ‚Migrationsandere‘ bemisst sich an der Erkenntnis über gesellschaftliche Wirklichkeit, Erfahrungen von Menschen und Bildungsprozesse, die mit Hilfe dieses Instruments geschaffen wird (genauer Mecheril, Castro Varela, Dirim, Kalpaka, Melter 2010, v.a. Kap. 1 und 2).

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Westliche kritische Theorie legt häufig einen kolonisierenden Impetus an den Tag, indem sie geradezu erwartet, dass sich postkoloniale Subjekte ohne Widerrede ihren Vorstellungen von „Unterdrückung“ und „Emanzipation“ fügen. Dabei wird die so genannte ‚Dritte Welt‘ produziert oder auch der ‚Orient‘ als ein Raum konstruiert, für den etwa die Unterdrückung der Frauen aufgrund seines essentiellen nichtwestlichen ‚Primitivismus‘ und ‚Barbarismus‘ geradezu symptomatisch ist (Said 1997). Die Folgen hiervon sind z.B. quasi-normalisierte Darstellungen von MigrantInnen als die Anderen. Sie besetzen heute den imaginären Raum, den vormals die Kolonisierten besetzten: Für die Dominanzbevölkerung verkörpern sie gleichzeitig das „Bedrohliche“, „Barbarische“ und „Exotische“. Über einen anhaltenden Diskurs um innere Sicherheit und Terrorismus sind MigrantInnen zum lebendigen und beschreibbaren „Sicherheitsrisiko“ geworden. Sie sind scheinbar der Grund dafür, warum mehr und mehr BürgerInnenrechte abgebaut werden, ohne dass sich wirklicher Widerstand dagegen rührt. MigrantInnen stellen aber auch das „Barbarische“ dar. Sie müssen deswegen in den verordneten Orientierungskursen, die der so genannten Integration dienen sollen, lernen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Insbesondere Menschen aus Ländern mit muslimischen Mehrheiten stehen unter dem beständigen Verdacht, die Menschenrechte zu missachten. So werden Menschen aus postkolonialen Ländern nach wie vor als nichtmoderne Subjekte gekennzeichnet, die noch in die Moderne finden müssen. Und wieder scheint es dabei die „Bürde des weißen Mannes“ zu sein, die „[a]ndere Frau vor den Anderen“ zu retten (vgl. Spivak 1988). Das Problem der Ansprache, der Wahrnehmung, der Einbeziehung und Anerkennung des Migrationsanderen in seiner Andersheit, besteht mithin darin, dass sie im Akt der Anerkennung die Logik, die das Anderssein und Nicht-Anderssein produziert, wiederholt und bestätigt. Wenn Anerkennung produktiv und das heißt hier: machtproduktiv ist, dann auch, weil sie die Anderen erneut als Andere und nur als Andere zur Geltung bringt. Die postkoloniale Theorie weist darauf hin, dass es unmöglich bzw. risikoreich ist, eine politische Praxis (und an dieser Stelle muss jede „Pädagogik der Anerkennung“ als politische Praxis verstanden werden) zu betreiben, die nicht die globalen Dimensionen sozialer Ungleichheit in den Blick nimmt. Aufgrund der verwobenen Geschichten der Menschen und politischen Kontexte dieser Welt ist es aussichtslos, politische Verantwortung nur innerhalb nationaler

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Grenzen auszumachen. Shalini Randeria entwirft vor diesem Hintergrund eine relationale Perspektive, die die Unmöglichkeit aufzeigt, eine Geschichte Europas ohne die Geschichte der Kolonialländer zu schreiben und vice versa – moderne Geschichte und die Geschichte der Moderne sind als ein Ensemble von Verflechtungen aufzufassen (Conrad/Randeria 2002, S. 17). Anerkennungsansätze, die die aus dem Kolonialismus resultierenden transnationalen Dimensionen sozialer Ungleichheit unbeachtet lassen, müssen scheitern, bleiben gezwungenermaßen limitiert und sind als Teil einer (pädagogischen) Praxis zu reflektieren, die im Gewand freundlicher Worte („Anerkennung“, „Wertschätzung“) historische Gewaltverhältnisse und ihre gegenwärtigen Folgen de-thematisieren und dadurch bekräftigen.

III. Die Unbestimmtheit der Identitäten Die aus postkolonialen Ansätzen resultierende Skepsis und Zurückhaltung im Hinblick auf eine naive Herrschaftsverhältnisse nicht nur ignorierende, sondern ignorant bestätigende Anerkennung von Identitäten Anderer verstehen Zugehörigkeiten und Subjektpositionen dezidiert non-essentialistisch. Damit geht es um Subjektverständnisse, die nicht auf den Begriff der Identität verzichten, die jedoch „identity under erasure“ (Hall 1996, S. 1) denken. Diese paradoxe, gewissermaßen methodologische Figur des Ausstreichens des Identitätsbegriffs, der ihn nicht zum Verschwinden bringt, sondern ein (dekonstruktivistisches) Denken der Grenze und an der Grenze befördert, scheint uns bedeutsam – auch für die erziehungswissenschaftliche Bezugnahme auf Anerkennung. „Identität“ kann nicht schlicht als erkenntnispolitisch irrelevant eingestuft und zur Seite gerückt, sondern muss zunächst in zweierlei Weise verstanden werden: als strategische Möglichkeit der Sichtbarmachung von machtvollen Praktiken der Missachtung marginalisierter Erfahrungen und Praxisformen, und als würdevolles kommunikatives und reflexives Format, in dem Individuen sich selbst verstehen. Die weltweit beobachtbaren Auseinandersetzungen um Identität/Differenz, in denen beispielsweise kulturelle, religiöse und sexuelle Minderheiten um Anerkennung ringen, sind ein Beleg für die strategische Wirksamkeit des Identitätsdiskurses. Wer an der Analyse und Kritik von Verhältnissen interessiert ist, in denen sich Gruppen, die sich im Wechselspiel von Zuschreibung (oder um es in einer Metapher der Rede zu formulieren: Anrufungen) und ge-

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meinsamer Erfahrung konstituieren, mit Einschränkungen konfrontiert sind, und wer für Möglichkeiten eintritt, die gemeinsame Erfahrung jenseits Einschränkungen darzustellen und zu modifizieren, steht dem Identitätskonzept (wenn auch gebremst) nicht gänzlich unaufgeschlossen gegenüber. Diese Aufgeschlossenheit ist nicht allein strategischer Art, sondern auch darin begründet, dass (kulturelle) Identität als etwas gilt, das (vorsichtig) anerkennenswert ist. Kulturelle Identität, schreibt Stuart Hall (1994, S. 30), „hat ihre Geschichten – und Geschichten haben ihre realen, materiellen und symbolischen Effekte. Die Vergangenheit spricht weiter zu uns“. Wo dieses Weitersprechen, diese Anrede der Vergangenheit und die Erwiderung als Vergegenwärtigung verhindert werden – wie etwa unter Bedingungen kultureller und lingualer Dominanz –, in diesen antagonistischen Verhältnissen werden Kräfte freigesetzt, die restrukturierend wirken. Freilich kann der Bezug auf Identität nicht schlicht affirmativ ausfallen. Am Beispiel der Anerkennung ihrer Identitäten einfordernden (kulturellen) Minderheiten wird deutlich, dass der Identitätsdiskurs und Politiken der Identität machtvoll „Identität“ als homogene und statische Größe behandeln, erfinden und erzählen und erzählen müssen, um ihren Forderungen Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Seyla Benhabib formuliert diesen Zusammenhang so (1999, S. 19): „Alle Identitätsbewegungen sind soziologisch gesehen folgendem Paradox ausgesetzt: Sie sind gezwungen, die Kontingenz oder Willkür behaupteter Identitätsdefinitionen festzustellen, während sie gleichzeitig für deren essentiellen Charakter eintreten. Identitätsansprüche gelten als fundamental, essentiell, nicht verhandelbar und als eindeutig unterscheidbar von den Ansprüchen anderer, mit denen die jeweiligen Gruppen rivalisieren.“ In einem Interview mit Christian Höller hat Stuart Hall (1999a) mit Bezug auf die historische Relevanz des Identitätsdiskurses für die Cultural Studies (CS) zwei Phasen unterschieden, die er Identitätspolitik eins und zwei nennt. Zunächst bestand das produktive Potenzial des Identitätsdiskurses für die CS darin, dass er „Fragen zuließ, die zuvor aufgrund der vermeintlichen Klassenfundierung von Identität ausgeschlossen worden waren“ (ebd., S. 101). Mit dem politischen Identitätsdiskurs gelangte die Fragmentarität und Vielfältigkeit, die Kontingenz und damit der Möglichkeitsraum von Selbst- und Fremdverortungen in den Blick.

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„Das gleiche passierte auf kultureller Ebene mit der Explosion der britischen Rockmusik: Arbeiterklassen-Kids, die ans College oder auf die Kunsthochschule gingen, ihr Studium abbrachen und zu so etwas wie Straßen-Intellektuellen wurden. All diese Bewegungen schrieben keine Klassenidentitäten oder klaren Positionen im politischen Spektrum mehr zu. Auf die Frage, wo sich jemand zugehörig fühle, folgten vielmehr Sätze wie: ‚Ich bin eine Frau‘, ‚Ich bin schwarz‘, ‚Ich bin ein Peacenick‘. Cultural Studies versuchten damals, diese Prozesse zu verstehen und sich mit ihnen natürlich auch politisch zu identifizieren. Im nachhinein könnte man diese Phase als ‚Identitiy Politics One‘ bezeichnen“ (ebd., S. 102). Als Phase zwei – Identitiy Politics Two – bezeichnet Hall jenen Diskurs, der sein Augenmerk einerseits dem ausschließenden Charakter jeder Identität schenkte und jede „Identität als extrem komplex, intern differenziert, auch als widersprüchlich“ (ebd., S. 103) betrachtete und weiterhin darauf verweist, dass die Zuwendung zum Identitätsthema mit der Schwäche einherging, Fragen der Verteilung von Ressourcen und Wohlstand sowie Fragen der staatlichen Ordnung eher in den Hintergrund zu rücken. Als Ergebnis dieser kritischen Beschäftigung mit Identität folgt für Hall, dass Identität und Identifizierungen zwar bedeutsam für die Beschäftigung mit der Frage sind, wie Menschen ihr Leben führen und verändern3, dass aber erstens „Identität“ keineswegs die alleinige Dimension ist, auf der Fragen kollektiver und personaler Praxis entschieden wird, und dass zweitens nur ein non-essentialistisches Identitätsverständnis Referenzpunkt eines angemessenen Subjektkonzeptes sein kann. „Identität“ ist im Zuge dieses Verständnisses weder ein zeitlich an sich stabiles noch ein einheitliches und vereinheitlichendes Phänomen, dessen Ausgangspunkt gewissermaßen vor-sozial und außerdiskursiv zu denken ist. Vielmehr muss „Identität“ verstanden werden als kontingentes und temporäres Angeschlossen-Sein des Individuums an unterschiedliche, spannungsreiche und machtvolle Zusammenhänge. Identitäten, heißt es an einer anderen Stelle bei Hall (1994, S. 29), „sind die Namen, die wir unterschiedlichen Verhältnissen geben, durch die wir positioniert sind, und durch die wir uns selbst anhand von Erzählungen über die Vergangenheit positionieren“. Sobald in diesem Sinne „Identität“ als narrative Relationie3

„Ohne Identifikation [mit einer Sache, einer Bewegung, einer Gruppe] lassen sich überhaupt keine Leute irgendwo für ein Anliegen versammeln“ (Hall 1999a, S. 103).

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rung und relationierende Narration gedacht wird, stellen Identitäten temporäre Vergegenwärtigungen des Prozesses dar, der Individuen mit Diskursen verbindet. Um den konstruktiven Charakter von „Identität“ hervorzuheben, könnte man an dieser Stelle präzisierend davon sprechen, dass Identitäten Beschreibungen temporärer Verbindungen zwischen diskursiven und psychischen Strukturen darstellen. Und „Subjekt“ kann vor diesem Hintergrund als Bezeichnung für die unbestimmte Stelle verstanden werden, die sich im Kontext dieser Verbindungen und Zusammenhänge konstituiert und Träger und Empfänger, Medium von Identität(sbeschreibung)en und Handlungen ist. Insofern in „Identität“ der kontingente und „vernähte“ (suture) Zusammenhang zwischen diskursiven Praktiken und den psychischen Strukturen zum Ausdruck kommt, die als Voraussetzungen fungieren, besprochen zu werden, ist „Identität“ die (auftrennbare) Naht zwischen Subjektposition/Anrufung und Strukturen des psychischen Apparates4. Die Verbindung, das attachment darf hierbei nicht als einseitiger Prozess des Ergriffen- oder Angesprochenwerdens des Individuums verstanden werden, sondern bezeichnet einen Vorgang, der nur gelingen kann, wenn das Individuum „sich“ in die ihm zukommende, zurufende, zuschreibende Subjektposition einbringt. Dieses investive, identifikatorische Einbringen – in dem das Eingebrachte erst ausgebildet wird und sich ausbildet – kann mit Hilfe des Begriffs der Artikulation näher erläutert und untersucht werden. Das Konzept der Artikulation geht zurück auf die Arbeiten Antonio Gramscis und deren Rezeption insbesondere durch Ernesto Laclau. Die ursprüngliche Stoßrichtung des Artikulationsbegriffs richtet sich gegen die orthodoxe marxistische Auffassung, dass politische Handlungsfähigkeit und Subjektivität allein von der klassenspezifischen, gesellschaftlichen Position der Akteure vermittelt sei. Artikulation weist auf die kontingenten Verknüpfungen (zwischen Diskursen und sozialen Kräften) hin, aufgrund derer die Genese von (politischer) Subjektivität zwar nicht prognostiziert, aber rekonstruiert und plausibel gemacht werden kann. Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1991) verstehen unter Artikulation das Knüpfen solcher 4

„I use ,identity‘ to refer to the meeting point of suture, between on the one hand the discourses and practices which attempt to ,interpellate‘, speak to us or hail us into place as the social subjects of particular discourses, and on the other hand, the processes which produce subjectivities, which construct us as subjects which can be ,spoken‘. Identities are thus points of temporary attachment to the subject positions which discursive practices construct for us” (Hall 1996, S. 5f.).

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Relationen zwischen unterschiedlichen Elementen, die aufgrund der Verknüpfung ihre Bedeutung oder Identität verändern. Das Artikulationskonzept ist nützlich um soziale und kulturelle Identitäten als in und durch politische(n) und soziale(n) Auseinandersetzungen hergestellte, kontingente Phänomene zu verstehen. „Identität“ ist nicht an sich schon vorhanden. Vielmehr wird sie bedeutsam, wenn bestimmte Kräfte und Elemente mit Diskursen artikuliert werden und sich, was sich in Identifikationsprozessen anzeigt, artikulieren. Die Konstituierung des Subjektes als Träger und Empfänger von Identität wird nun – anders als dies Ansätze behaupten, die die Relevanz nur einer bestimmten (z.B. ökonomischen, kulturellen oder genderbezogenen) Hinsicht auf das Soziale totalisieren – durch eine Pluralität von Anschlüssen und „Investments“ gekennzeichnet. Vielfalt der Subjektpositionen, Uneinheitlichkeit zwischen den Positionen und Praktiken der Reartikulation sind drei Merkmale, die dann in den Vordergrund gerückt werden, wenn das Subjekt entschieden non-essentialistisch konzipiert wird. Allerdings tendiert die Abkehr von essentialistischen Lesarten dazu, theoretisch kontingente und empirisch beharrliche Begrenzungen zu unterschätzen. Auch wenn Prozesse der Verknüpfung und der Identifikation als kontingente Phänomene gedacht werden müssen, und Reartikulationen möglich sind, so ist doch „nicht alles potenziell mit allem artikulierbar“ (Hall 2000, S. 71). Wie kann nun das Verhältnis von „Subjekt“ und „Diskurs“ verstanden werden? Nehmen wir Louis Althussers Ideologiekonzept, ähnlich wie dies Stuart Hall (1999b) in der Kennzeichnung des strukturalistischen Paradigmas der CS tut, zum Ausgangspunkt. Ideologie ist für Althusser (etwa 1973) nicht räuberisch, sie nimmt den Subjekten nicht etwas weg, sie hintergeht sie nicht und täuscht sie nicht hinsichtlich ihrer „eigentlichen“ und „wahren“ Interessen. Vielmehr ist Ideologie produktiv. Sie erzeugt und ermöglicht Subjekte dadurch, dass Individuen durch imaginäre „große Subjekte“ – beispielsweise Gott oder die Nation – angerufen werden. So ermöglichen Ideologien Welt- und Selbst-Verständnisse. Vermittels dieser imaginären Repräsentationen werden aus Individuen Subjekte. Althussers Verständnis von Anrufung oder Interpellation beschränkt Ideologie nicht auf ihre materialistische Funktion, sondern betont vielmehr die symbolische Funktion der Ideologie für die Konstituierung von Subjekten. Das Individuum wird als Subjekt identifiziert, wobei diese Identifikation insofern eine Art von Verkennen darstellt, als das angerufene Subjekt als Produzent und Ursprung der Bedeutungen dargestellt wird, deren Effekt es bloß ist.

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Den Prozess der Subjektivierung denkt Althusser als Herrschaft, als Unterordnung des Individuums unter die Regeln des kapitalistischen Staates, die sich nicht alleine im Denken, sondern allgemeiner in der Praxis und vermittels der Praxis des Subjektes vollzieht, in der sich das Subjekt konstituiert. Herrschaft wendet sich also nicht gegen das Subjekt, sondern verwirklicht sich durch das Subjekt. Bedeutsam an diesem Verständnis von Subjektivierung ist, dass es gegenüber voluntaristischen Ansätzen auf dem zweiten Teil des Marxschen Diktums, dass Menschen ihre Geschichte machen auf der Grundlage von Bedingungen, die sie selbst nicht geschaffen haben, insistiert und es weiterführt. Diese Bedingungen sind den Individuen nicht äußerlich, sondern durchziehen sie in einer Weise, die sie in ihren Erfahrungen, ihren Stellungnahmen, Wünschen und Ansichten konstituiert. Freilich tendiert dieser Strukturalismus zu einem deterministischen Verständnis, in dem Kategorien wie „Abweichung“, „Widerstand“, aber auch „Unvorhergesehenes“ nicht angemessen vorkommen. Wenn nun aber – anders als bei Althusser – „Ideologie“ oder „diskursive Zusammenhänge“ nicht als kohärente und durch ein Prinzip einheitlich gestiftete, sondern als in sich uneinheitliche, widersprüchliche, mehrwertige und uneindeutige Zusammenhänge angesehen werden, dann handelt es sich beim Prozess der Subjektivierung selbst um einen uneinheitlichen, widersprüchlichen, mehrwertigen und uneindeutigen Vorgang, dessen Ergebnis nicht Kohärenz und Zentrierung ist. Es wird somit möglich, das Subjekt als fragmentiert und dezentriert zu beschreiben, weil es sich im Prozess der Anrufung oder Artikulation als ein solches, fragmentiert und dezentriert, konstituiert. Und über diesen Punkt hinausgehend, ihn radikalisierend, muss die Möglichkeit des Subjektes als analytisch von der Mehrwertigkeit und Offenheit der Diskurse abhängig gedacht werden. Nur weil das Subjekt der Nichtabgeschlossenheit der Diskurse entspricht, existiert es. So zumindest argumentieren Autoren und Autorinnen wie etwa Laclau/Mouffe (1991), die versuchen, das Subjekt nicht als Wesen und Esssenz zu verstehen. Laclau/Mouffe lehnen die Unterscheidung zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praxen ab. Alle Objekte konstituieren sich ausschließlich als diskursive Objekte, da „kein Objekt außerhalb jeglicher diskursiver Bedingungen des Auftauchens gegeben ist“ (1991, S. 157). Als Diskurs bezeichnen sie eine aus der Praxis der Artikulation hervorgehende „strukturierte Totalität“. Was nicht artikuliert werden kann, liegt außerhalb des Diskurses. Dieses „Außen“ kann nicht artikuliert werden, da Artikulation allein innerhalb von

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Diskursen erfolgt. Diskurse sind keine endgültig festgelegten, sondern offene und im Wandel befindliche Zusammenhänge. Reartikulationen und Neuknüpfungen sind Prinzipien des Diskurses. Diese beständige Unruhe, die sich in einem Feld der Unbestimmtheit ereignet, wird durch die antagonistische Verfassung des Diskurses vermittelt. Der Antagonismus ist die Grenze zwischen dem Diskurs und seinem diskursiven Außen, er durchzieht den Diskurs aber unterläuft ebenso die diskursive Abgeschlossenheit, die „endgültige Naht“. Der Antagonismus ist somit das Prinzip, das die Unmöglichkeit eines endgültigen Abschlusses verbürgt. Die artikulativen Verknüpfungen sind nie gänzlich und endgültig vollzogen. „Somit kommt ein Niemandsland zum Vorschein, das die artikulatorische Praxis erst möglich macht. Von daher gibt es keine gesellschaftliche Identität, die völlig geschützt ist vor einem diskursiven Äußeren, das sie umformt und verhindert, daß sie völlig genäht wird. Sowohl die Identitäten als auch die Beziehungen verlieren ihren zwangsläufigen Charakter. Als systematisches, strukturelles Ganzes sind die Beziehungen nicht in der Lage, die Identitäten zu absorbieren. Da aber die Identitäten rein relationale sind, ist dies nur eine andere Art und Weise zu sagen, daß es keine Identität gibt, die vollkommen konstituiert werden kann“ (Laclau/ Mouffe 1991, S. 162). Die diskursive Formation wird somit „weder durch die logische Kohärenz ihrer Elemente noch durch das Apriori eines transzendentalen Subjekts, noch durch ein sinnstiftendes Subjekt à la Husserl oder durch die Einheitlichkeit der Erfahrung vereinheitlicht“ (ebd., S. 155). Dem Typus von Kohärenz, der einer diskursiven Formation zugeschrieben werden kann, liegt vielmehr allein die Regelmäßigkeit der Verstreuung zugrunde. Diskursive Zusammenhänge existieren nicht als einfach gegebene und abgeschlossene Positivitäten (ebd., S. 162), sondern sie sind relational und unvollständig, kontingent und unbestimmt. Die Unbestimmtheit eines Diskurses wird nicht durch ein außerdiskursives Moment konstituiert, sondern durch die Grenze zu dem Außen des Diskurses. Dieses Außen ist konstitutiv für den Diskurs. Jedoch korrespondiert der relativen Unbestimmtheit eines diskursiven Zusammenhangs eine relative Bestimmtheit. Das Feld der Bedeutungen und Identitäten ist weder absolut fixiert noch absolut nicht fixiert (ebd., S. 163). „Jedweder Diskurs konstituiert sich als Versuch, [...] das Fließen der Differenzen aufzuhalten, ein Zentrum zu konstruieren“ (ebd., S. 164). Die Fixierung von Identitäten kann als Hegemonie bezeichnet werden, wobei der Hegemo-

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niebegriff bei Laclau und Mouffe (1991) nicht darauf aufmerksam macht, dass soziale Gruppierungen ihre Dominanz durchsetzen, sondern auf kontingente Verfestigungen, auf den Prozess, der eine kontingente gesellschaftliche Ordnung zum Ergebnis hat. Der Antagonismus verunmöglicht den Abschluss des Sozialen, die Hegemonial-Werdung bestimmter Positionen hingegen verhindert den Schwund des Sozialen in dieser Unmöglichkeit.

IV. Prekäre Solidarität Nancy Fraser (1995) hat gegenüber dem Anerkennungsansatz kritisch eingewandt, dass dieser gefährdet ist, in seinem Engagement für Verhältnisse von Handlungsfähigkeit symbolische und soziale Strukturen zu bejahen, die als Strukturen der Dominanz verstanden werden müssen. Anerkennung ist also nicht nur affirmativ im Hinblick auf die Identitäten Anderer, sondern auch im Hinblick auf die Strukturen, die zwischen Anderen und Nicht-Anderen unterscheiden, und damit die Anderen als Andere hervorbringen. So aktivieren und verfestigen Politiken der Anerkennung minoritäre Gruppenzugehörigkeiten, sie bestätigen das Schema, das zwischen Majorität und Minorität unterscheidet, und intensivieren zugleich Differenzen zwischen den Gruppen der Minderheiten. Sobald Minderheitengruppen am Diskurs, der sie hervorbringt, direkt oder advokatorisch, etwa durch Pädagoginnen und Pädagogen vertreten und repräsentiert, teilnehmen, bestätigen sie den Diskurs. Vor diesem Hintergrund unterscheidet Fraser zwei Sorten von Anerkennung, die affirmative und die transformative Anerkennung. Transformative Strategien zielen auf die Dekonstruktion der Schemata, die die von Machtverhältnissen vermittelten und Macht mittelnden Unterscheidungen auf der Ebene von Gruppendifferenzierung erst hervorbringen. Dekonstruktion des und der Anderen ist eine transformative Strategie, die nach Möglichkeiten sucht, in denen Handlungsfähigkeit Anderer nicht an die Bejahung der binären Unterscheidung zwischen Andere und Nicht-Andere geknüpft bleibt. Hier könnte es somit um die Anerkennung von Zwischenformen und -tönen, um die Anerkennung von Innen-Außen-Verschränkungen und Mehrfachzugehörigkeiten gehen, eine Anerkennung, die unter der Voraussetzung transformativ ist, dass sie nicht die Zugehörigkeit der Unzugehörigen, sondern das Deplazierte, den Ort der Ortlosigkeit bejaht. Die transformative Strategie widersteht der verführerischen Kraft des Identitätsdenkens, eben weil sie – in den

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Worten von Zygmunt Bauman (1995, S. 80) – das dritte Element, das dem binären Kodex nach nicht sein darf, bejaht und damit das Prinzip der Unterscheidung zwischen anders und nicht-anders in Frage stellt. Transformativ wird eine Politik und Pädagogik der Anderen, wenn sie sich auf das ihr zugrunde liegende und sie letztlich generierende bipolare Schema anders und nicht-anders bezieht. Zu dieser selbstauflösenden Ambition, also einer Ambition, die an einer Auflösung des Anderen und damit an der Auflösung der Pädagogik des Anderen Gefallen findet, zu dieser Ambition der Vervielfältigung von Zugehörigkeitsverhältnissen gibt es keine Alternative. Denn erst diese Ambition verweist auf Arrangements, in denen die Gewalt gemindert ist, die von dem zwischen Ja und Nein unterscheidenden Schema ausgeht, das das Wir von dem Nicht-Wir zu trennen weiß und zu der grandiosen Unterscheidung zwischen Etablierten und Außenseitern, zwischen Illegitimen und Legitimen imstande ist. Zugleich kann es einer Pädagogik, die sich immer auch am Bestehenden im Sinne der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für die Erfordernisse, denen sich konkrete Menschen in ihren Lebenssituationen gegenüber sehen, nicht allein um die Dekonstruktion hegemonialer Schemata gehen. Vielmehr geht es immer auch um die Ermöglichung von Handlungsvermögen und -macht unter gegebenen Verhältnissen und damit geht es um die Etablierung der Außenseiter, geht es um die Legitimierung der Illegitimen, geht es um die Ermöglichung von Zugehörigkeit derer, denen Zugehörigkeit verweigert wird. Eine Pädagogik unter Bedingungen von Differenz und Dominanz ist somit in sich widersprüchlich. Sie folgt affirmativen und transformativen Ambitionen gleichermaßen. Der hier deutlich werdende paradoxe pädagogische Anspruch, die Spannung zwischen affirmativen und transformativen Bezugnahmen auf Subjekt- und Identitätspositionen zu halten, sei hier abschließend an dem für Anerkennungsansätze, wie im ersten Teil des Beitrags erläutert, bedeutsamen Begriff der Solidarität erläutert. Solidarität ist ein „spezifischer Typ sozialer Regelung“, der, „in der heutigen Bedeutung des Wortes, zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Antwort auf die neuen Probleme der industriellen Gesellschaft“ entsteht (Hondrich/ Koch-Arzberger 1992, S. 10). Solidarität bezeichnet eine Form von Verbundenheit zu Menschen, welche möglich wird, weil man sich in bestimmter Hinsicht „als gleich versteht“ (ebd., S. 12), ohne dass dadurch alle Differenz aufgehoben würde. Solidarität ist mithin eine „Verbundenheit trotz Differenz“ (ebd., S. 13). Sie ist zugleich eine „Verbundenheit wegen Differenz“, da Solidarität einen

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moralisch fundierten sozialen Akt bezeichnet, in dem die Beteiligten sich in unterschiedlichen Lagen der Not oder Bedrängnis befinden. Bei Solidarität handelt es sich um ein supererogatorisches Phänomen, „das also jenseits des Forderbaren, und d.h. des Rechts, liegt“ (Wildt 1995, S. 46). Die Betonung der supererogatorischen Dimension des Moralischen wurde etwa aus feministischer Perspektive und hier insbesondere in der Gilligan-Kohlberg-Debatte (siehe hierzu etwa Benhabib 1995) entlang der Kritik an solchen Moraltheorien in die moraltheoretische Diskussion eingebracht, die verfahrensethisch mit der Beschränkung auf die Begründbarkeit von allen Betroffenen akzeptierbaren normativen Grundsätzen das Prinzip der Gerechtigkeit gegenüber dem des Guten präferieren. Die Kritik hat deutlich gemacht, dass über die Achtung des und der Anderen als autonome Subjekte hinaus die Achtung des bzw. der Anderen als lebensgeschichtlich individuierte Individuen erforderlich ist. Lawrence Kohlberg (1986) stellt vor diesem Hintergrund und in Revision seines ursprünglichen Ansatzes der Gerechtigkeit das Prinzip der benevolence gegenüber. Jürgen Habermas bezeichnet diesen Versuch Kohlbergs, „das Prinzip der Sorge für das Wohl des Anderen neben dem Gerechtigkeitsprinzip zur Geltung zu bringen“, als bahnbrechend (1986, S. 308). Für Habermas ist Solidarität „das Andere der Gerechtigkeit“. Bei beiden moralischen Prinzipien handele es sich nicht um zwei Momente, die sich ergänzten, „als vielmehr um zwei Aspekte der selben Sache. Jede autonome Moral muß zwei Aufgaben in einem lösen: sie bringt die Unantastbarkeit der vergesellschafteten Individuen zur Geltung, indem sie Gleichbehandlung und damit gleichmäßigen Respekt vor der Würde eines jeden fordert; und sie schützt die intersubjektiven Beziehungen reziproker Anerkennung, indem sie von den Individuen als Angehörige einer Gemeinschaft, in der sie sozialisiert worden sind, Solidarität fordert. Gerechtigkeit bezieht sich auf die gleichen Freiheiten unvertretbarer und sich selbst bestimmender Individuen, während sich Solidarität auf das Wohl der in einer intersubjektiv geteilten Lebensform verschwisterten Genossen bezieht – und damit auch die Erhaltung der Integrität dieser Lebensform selbst“ (1986, S. 311). Gegenüber Gerechtigkeit betont Solidarität die Notwendigkeit der Anerkennung lebensweltlicher Strukturen, in denen die Anerkennung von einzelnen Subjekten erst zur Geltung kommen kann. Solidarität ist mithin ein auf den Erhalt und die Ermöglichung von Lebensformen zielendes Engagement, welches über die bloße Orientierung an Recht und Gerechtigkeit hinausgeht. Honneth (1992, S. 209) versteht in diesem Sinne gesellschaftliche Solidarität als jenes soziale Anerkennungsverhältnis, in dem jedes

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Gesellschaftsmitglied in die Lage versetzt wird, sich selbst in dem Sinne wertzuschätzen, dass es seine Fähigkeiten und Leistungen für den Gesellschaftszusammenhang als bedeutsam erfährt. „Solidarität ist unter den Bedingungen moderner Gesellschaften daher an die Voraussetzung von sozialen Verhältnissen der symmetrischen Wertschätzung zwischen individualisierten (und autonomen) Subjekten gebunden; sich in diesem Sinne symmetrisch wertzuschätzen heißt, sich reziprok im Lichte von Werten zu betrachten, die die Fähigkeiten und Eigenschaften des jeweils anderen als bedeutsam für die gemeinsame Praxis erscheinen lassen. Beziehungen solcher Art sind ‚solidarisch‘ zu nennen, weil sie nicht nur passive Toleranz gegenüber, sondern affektive Anteilnahme an dem individuell Besonderen der anderen Person wecken: denn nur in dem Maße, in dem ich aktiv dafür Sorge trage, daß sich ihre mir fremden Eigenschaften zu entfalten vermögen, sind die uns gemeinsamen Ziele zu verwirklichen“ (Honneth 1992, S. 209). Von zentraler Bedeutung für einen auf migrationsgesellschaftlichen Zusammenhang bezogenen Solidaritätsbegriff ist die Frage nach der Art der Gemeinsamkeit, auf die Solidarität, Solidaritätsgefühle und solidarisches Handeln bezogen sind. Vor dem Hintergrund des Bewusstseins um die mit einer – wie etwa bei Richard Rorty (1995) – eilfertigen Konkretisierung und Benennung der Gemeinschaft verbundenen Gefahren plädieren wir für eine kritisch-pragmatische Universalisierung von Solidarität. Solidarität muss sich prinzipiell auf alle sprach-, handlungs- und moralbegabten Menschen beziehen, weil erst über diese Art von Verbundenheit, angestrengter Empathie und aktiver „affektiver Anteilnahme an dem individuell Besonderen“ (Honneth 1994, S. 210) der Anderen die Gefahren von Partikularismus und Kollektivismus überwindbar werden. Grundlage jeder konkreten Solidarität dieser Art ist, dass sie sich kontrafaktisch als Variante jener Solidarität verstehen muss, die sich auf die ideale Gemeinschaft aller sprach-, handlungs- und moralbegabten Menschen bezieht. Eine in diesem Sinne reflektierte Solidarität macht nicht den Umstand ihres faktisch partikularen Wirk- und Geltungsbereichs stark, sondern begreift sich als kontingente Ausformung einer universell forderbaren Art sozialer Verhältnisse. Aus diesem Grund geht Solidarität als konkrete Form des moralisch begründeten Handelns und der Bereitschaft zum Handeln mit einer fortwährend kritischen Auseinandersetzung um die Konsequenzen der Solidarisierung einher. Methodisch erhält diese Solidarität die

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notwendige Kritik, indem sie die Verbundenheit zu Personengruppen und einzelnen als einstweilige Verbundenheit betrachtet. Solidaritätskonzepte, die auf die Figur einer „Solidarität unter Vertrauten“ beschränkt bleiben, haben in pluralen Gesellschaften nur eine beschränkt integrative Funktion. Wenn Solidarität wie bei Habermas als „Wohl der in einer intersubjektiv geteilten Lebensform verschwisterten Genossen“ verstanden wird, dann stellt das Prinzip der Solidarität unter Vertrauten in Gesellschaften, die eine Pluralität und Diversivität der Lebensformen kennzeichnet, eher ein Instrument der Festschreibung und Festigung von Differenz dar, welche Anteilnahme und Engagement verhindern, als eine handlungsbedeutsame Verbundenheit trotz und wegen Differenz. Aus postkolonialer Sicht empfiehlt sich an dieser Stelle ein Nachdenken über die Distanz zwischen denen, die Rechte geben, und denen, die Rechte erhalten; jene, die befreit werden und jene, die befreien. Die Differenz, die hier angesprochen wird, ist letztlich ein Beleg für die Wirksamkeit historischer Gewalt. Es geht nicht nur darum, über den Sinn von Solidarität nachzudenken, sondern zu fragen, auf Grund welcher Bedingungen supererogatorische Haltungen und Handlungen bedeutsam sind, oder anders und klarer formuliert: aufzuklären, warum bestimmte Gruppen, Regionen, Menschen in dieser Welt in Notlagen sind, in denen andere Gruppen, Regionen, Menschen nicht sind. Und wer, wann welche Hilfe von wem erhält. Spivak bemerkt etwa im Zusammenhang mit transnationaler Solidarität, dass „die Klasse, mit der man sich solidarisieren kann, […] vielleicht führende Sprecher/innen zu urbanen Themen, wie die Obdachlosen in Mumbai [sind]. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie Solidarität durch Feudalität ohne Feudalismus produziert wird“ (Spivak 2008, S. 27). „Solidarität unter Unvertrauen“ bleibt damit gewissermaßen eine „Solidarität unter Vertrauten“, sind sich die globalen Eliten doch näher als die diversen klassensegregierten Communities innerhalb einer Gesellschaft. Dieser Analyse folgend lehnt Spivak organisierte Bündnisse ab und erklärt, dass wenn tatsächliche Solidarität entsteht, dies unerwartet geschähe. Man könne nicht nach Solidarität suchen. Sie zeigt zudem auf, warum es problematisch ist, ein oberflächliches Interesse an den Anderen an den Tag zu legen: „You can‘t just be a revolutionary tourist and be the saviour of the world on your off days“ (ebd.). Für eine radikale und globale Re-Theoretisierung einer (transnationalen) Solidarität müssen infolgedessen Sich-solidarisch-Erklärende ihr Verhältnis zu Macht und Herrschaft untersuchen. Partizipation wird in transnationalen Zusammenhängen häufig begrenzt

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auf die transnationale Elite, die ihre eigenen Erfahrungen zum Maßstab deklariert, um für andere zu sprechen. Diese Begrenzungen haben die Möglichkeiten der transnationalen Zusammenarbeit deutlich belastet. Spivak spricht in diesem Zusammenhang provokativ von „transnationalen Analphabeten […] mit ‚ignorantem Wohlwollen‘“ (Spivak 1999, S. 416). Transnationale Solidarität sollte nicht als leichtes Spiel Grenzen überschreitender Solidarität verstanden werden. Wollen wir uns dieser Frage im Sinne einer Herausforderung stellen, so müssen wir uns Gedanken über koloniale Kontinuitäten und postkoloniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse machen. Werden diese, die Epistemologie und Vormachtstellung des globalen Nordens privilegierenden Verhältnisse nicht in die Analyse sozialer Ungerechtigkeiten miteinbezogen, so kommt es unweigerlich zu theoretischen und praktischen Schieflagen. Wir müssen die Prozesse untersuchen, die die ‚Erste Welt‘-Intellektuelle in die Position gebracht haben, das Recht zu formulieren und das Recht zu bringen, während die subalternisierten Anderen im globalen Süden auf die Position der Hilfsbedürftigen festgelegt wurden – als Empfänger/innen von Gerechtigkeit (vgl. Spivak 2004). Diese „epistemische Diskontinuität“ kann weder durch eine abstrakte Theorie noch durch die perfekte Menschenrechtspolitik von oben behoben werden. Stattdessen müssen die westlichen Intellektuellen ihre Rolle als Avantgarde infrage stellen. Es existieren keine selbstverständlichen, quasi natürlichen Bündnisse. Aus diesem Grund sollten die aktuellen postkolonial produzierten Interessenkonflikte im Mittelpunkt der Analyse stehen. In diesem kritisch-reflexiven Sinne wäre eine Pädagogik der Solidarität zu hinterfragen. Sie bedarf eines Wissens über historische Hintergründe der Schaffung von Notlagen und spezifischen Subjekten wie etwa „Ausländerkinder“ (Jargon der 1970er) oder „Schüler/ innen mit Migrationshintergrund“ (Jargon 2000er). Die Schaffung dieser Subjektpositionen stabilisiert das gute und privilegierte „Wir“ und spricht jenen, die eine unhinterfragte Zugehörigkeit genießen, das Recht zu, darüber zu richten, wem Solidarität gebührt. In diesem Sinne ist auch eine Pädagogik herauszufordern, die sich dem Erinnern an Gewalt verschließt und den hegemonialen Status Quo als natürliche Gegebenheit definiert. Resümierend heißt dies, dass eine kritisch-pragmatische Solidarität letztlich um die Macht- und Gewaltförmigkeit von Solidarität wissen muss, will sie nicht nur naives Gutmeinen reproduzieren, welches denen schadet, die soziale Ungerechtigkeit erfahren. Um die oft belohnte Ignoranz zu irritieren, die zur Ausbildung dieser

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Form von Naivität notwendig ist, bedarf es, wie Spivak bemerkt, der Fähigkeit und des Willens, die Regeln zu brechen. Darunter versteht sie sowohl die Regeln der wissenschaftlichen Disziplin, aber auch die Regeln des Erwarteten, des Common Sense, des gesunden Menschenverstands, des Normalen.

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MARÍA DO MAR CASTRO VARELA | PAUL MECHERIL

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Anerkennung ist nicht Toleranz ISABELL DIEHM Anerkennung und Toleranz zählen seit geraumer Zeit zu den herausragenden Erziehungszielen. Als Insignien einer Interkulturellen Pädagogik machen sie Furore und repräsentieren Tugenden, die in öffentlichen und politischen Kontexten unter Bedingungen zunehmender Pluralität verstärkt reklamiert werden. Insbesondere dann, wenn es um Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus geht, werden sie als universelle Verhaltens- und Einstellungsmaximen und probate Gegenmittel in Stellung gebracht. Auch in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen werden die beiden philosophischen Konzepte als Gegenstand in je spezifischen disziplinären Frage- und Analysehorizonten neuerdings (wieder) entdeckt. Besondere Aufmerksamkeit schenkt man ihnen und ihren unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten in der Politischen Theorie, der Sozial- und Moralphilosophie sowie der Ethik. Mit Blick auf das Konzept der Anerkennung hat Axel Honneth im Jahr 1994 sein breit rezipiertes Buch „Der Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte“ vorgelegt. Dieser Publikation, die einen „Stein ins Rollen brachte“, ging ein ebenfalls weithin beachteter Text aus dem Jahr 1990 voraus, er fasste schon vorab das dreistufige Anerkennungsmodell, das ex negativo systematisch aus Formen der Missachtung abgeleitet ist und die Formen der Anerkennung: Liebe, Recht und Solidarität/ Leistung1 identifiziert. Es ist vor allem dieser Honneth‘sche Anerkennungsbegriff, der Eingang in die pädagogische und erziehungswissenschaftliche Diskussion fand. Dabei handelt es sich um einen Begriff wechselseitiger Anerkennung, der hier überwie1

Findet sich zur Beschreibung der dritten Form der Anerkennung in den Publikationen von 1990 und 1994 noch der Begriff der ‚sozialen Wertschätzung‘, so tritt an seine Stelle in dem im Jahr 2003 erschienen Band „Umverteilung oder Anerkennung?“, den Honneth zusammen mit Nancy Fraser publizierte, der Begriff der ‚Leistung‘.

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gend in Anschlag gebracht wird (vgl. Diehm 2000, 2006, Hafeneger/ Henkenborg/ Scherr 2002, Prengel 1995; Stojanov 2006). Der gerade erst verstorbene französische Philosoph Paul Ricœur (2006) arbeitet demgegenüber mit einer klaren Unterscheidung dreier Anerkennungsbegriffe, unter denen derjenige der ‚wechselseitigen Anerkennung‘ neben dem der ‚Anerkennung als Identifizierung‘ und dem der ‚Anerkennung als Sich selbst erkennen‘ lediglich eine begriffliche Ausprägung unter anderen darstellt. Vor diesem Hintergrund kritisiert Ricœur dann auch Honneths Anerkennungstheorie, weil sie nur eine Dimension des Weges der Anerkennung erklären könne, die auf der Ebene der Sozialtheorie angesiedelt sei. Demgegenüber zeigt Ricœur weitere Wege auf, etwa den, der Anerkennung in der Metaphysik verortet (vgl. Ricœur 2006, S. 274 ff.; Sobottka/ Saavedra 2009, S. 205 f.). Im Kontext von Bildung und Erziehung nun erscheint der Rückgriff auf jenes Verständnis von Anerkennung sensu Honneth das Favorisierte zu sein. Es steht in der wissenschaftstheoretischen Tradition der Kritischen Theorie (vgl. Borst 2003). Anerkennung – so wäre festzuhalten – ist seit einigen Jahren also ein Begriff, der in der Erziehungswissenschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen hat – unter sozialisations-, unter bildungs-, unter professions- und unter professionalisierungsstheoretischen Gesichtspunkten. Es handelt sich dabei um eine sozialtheoretische Lesart der Anerkennung, die, wie das Konzept der Toleranz – welches im Folgenden vergleichend in den Blick genommen werden soll –, allererst im Zuge auf Globalisierungs- und Wanderungsprozessen beruhenden Pluralisierung der Lebensbedingungen in den Mittelpunkt gerückt ist. Einen Bedeutungs- oder Aufmerksamkeitszuwachs für die erziehungswissenschaftliche Diskussion erfuhr auch das Konzept der Toleranz (vgl. Diehm 2000, Röhr 2003, im Bezug auf Intoleranz: vgl. Amos 2006, Diehm 2006, Röhr 2006), und dies besonders im Zuge der Konzeptualisierung pädagogischer Programmatiken in Reaktion auf die in eher links-liberalen Kreisen begrüßte Multikulturalisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Und ebenso wie im Falle der Anerkennung hatte diese Hinwendung zur Toleranz ein Pendant in der Philosophie oder genauer: nahm dort ihren Ausgang. Einen ausdrücklich gegenstandsbezogenen Anfang in der Politischen Philosophie machte Michael Walzer mit einem Essay, der im Jahr 1997 unter dem Titel: „On Toleration“ erschien. Im Frühjahr

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2000 gab Rainer Forst, ein Mitarbeiter des traditionsreichen Frankfurter Instituts für Sozialforschung, einen Sammelband unter dem Titel „Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend“ heraus. Im Sommer 2001 schließlich legte Matthias Kaufmann, der Hallenser Ethikprofessor, eine weitere Anthologie vor, die bereits im Titel die Frage nach „Integration oder Toleranz“ aufwarf und Minderheiten als ein Problem der Philosophie benannte. All diese Auseinandersetzungen lassen sich als Versuche auffassen, Toleranz zu reformulieren vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer und -theoretischer Debatten und Kämpfe, die um den politischen, rechtlichen und sozialen Ausgleich historisch wie aktuell erfahrenen und erlittenen Unrechts gesellschaftlicher Minderheiten bemüht sind – seien es Frauen, ethnische Gruppen, Menschen, deren sexuelle Präferenz von der gängigen heterosexuellen Norm abweicht, oder Menschen, die mit einer Behinderung leben müssen. Auf welche Problemdimensionen innerhalb dieser Debatten letztendlich besonders abgehoben wird, verschafft sich in normativen Konzepten Ausdruck, wie dem Konzept einer „Politik der Differenz“ bei Iris Young (1990), einer „Politik der Anerkennung“ bei Charles Taylor (1992/ 1993) und Axel Honneth (1994) oder einer „Identitätspolitik“, auf die Nancy Fraser (1995) immer wieder kritisch Bezug nimmt. Eine „Politik der Toleranz“, wie Michael Walzer (1997/1998, 2000) sie als das zentrale Instrument des Umgangs mit Differenz in pluralistischen Gesellschaften vorschlägt, macht lediglich eine gegenstandsbezogene Akzentuierung dieser Problembeschreibungsund Problemlösungsversuche sichtbar. Die philosophische Beschäftigung mit Toleranz stellt mithin einen Ausschnitt dieser Debatten dar, der innerhalb eines überaus komplexen Problemzusammenhangs angesiedelt ist. Sich diesem Ausschnitt auch in erziehungswissenschaftlicher Perspektive zuzuwenden, erscheint schon deshalb notwendig, weil Toleranz inzwischen mit Anerkennung gleichgesetzt und als Erziehungsziel2 in pädagogischer Absicht außerhalb und innerhalb pädagogischer Kontexte aufgerufen wird. Dabei erweist sich diese pädagogisch inspirierte Bezugnahme gerade auf das Konzept der Toleranz oft als reichlich naiv, insofern sie theoretische Debatten 2

Bei Brezinka (1991) findet sich der Toleranzbegriff in einem doppelten Sinne: als Kultivierung einer Tugend und als Propagierung eines Erziehungsziels (vgl. Röhr 2003, S. 264).

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weitgehend unberücksichtigt lässt. Die unbeabsichtigten Effekte einer pädagogischen Indienstnahme der Toleranz als Erziehungsziel in und für die multikulturelle Gesellschaft werden in der Regel nicht thematisiert. Zudem ist der pädagogische Rekurs auf Toleranz jenseits seiner selbstverständlichen, öffentlichen Inanspruchnahme auch unter systematischen Gesichtspunkten aufschlussreich: Jede pädagogische Programmatik, die Toleranz als Erziehungsziel mit sich führt, nimmt zugleich eine genuin pädagogische Prämisse – die Erziehung der Jugend zur Tugend – in Anspruch, was für gewöhnlich ebenso unthematisiert bleibt (vgl. Heyting 1999, Oelkers 1992, 1996). Das heißt, Erziehungsprogrammatiken, die auf Tugenderziehung abheben, enthalten die nicht explizierte Prämisse von der Erziehung der nachwachsenden Generation als einem zentralen Medium der Gesellschaftsveränderung. Seit der europäischen Aufklärung verschafft sich diese pädagogische Vorstellung in der tradierten erzieherischen Haltung/ Intention Ausdruck, es könne auf die Zukunft des einzelnen wie der Gesellschaft durchgegriffen werden. In Erziehungsprogrammen wie der Interkulturellen Pädagogik und der ihr inhärenten Toleranzerziehung hallt diese Grundannahme wieder. Die folgenden Überlegungen3 stellen einen Versuch dar, Anerkennung und Toleranz trennschärfer voneinander zu unterscheiden als dies gemeinhin in pädagogischen Referenzen auf die beiden Konzepte, insbesondere die Toleranz, der Fall ist. Es zeigt sich vermehrt, dass sie häufig fast synonym Verwendung finden, wobei es gerade die Effekte, die ihre Inanspruchnahme jeweils zeitigen, genauer zu betrachten gälte. Im ersten Schritt werden zunächst die ambivalenten Strukturen untersucht, die dem klassisch-liberalen Toleranzverständnis inhärent sind (I). Vor diesem Hintergrund lassen sich im nächsten Schritt Variationen, Neuinterpretationen und Erweiterungen dieser Toleranzauffassung diskutieren. Sie sind von den Kämpfen um die Anerkennung der Interessen unterschiedlicher Minderheitengruppen nicht loszulösen, zugleich generieren sie Differenzkonstruktionen (II), welche es schließlich drittens mit Blick auf ihre Konsequenzen für die Pädagogik und mögliche Effekte zu beleuchten gilt (III).

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Vgl. bereits an anderer Stelle: Diehm 2000, Diehm 2004.

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I. Die Ambivalenz der Toleranz Im mittlerweile häufig zitierten Goethewort: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ „Die wahre Liberalität ist Anerkennung.“, niedergeschrieben in den Maximen und Reflexionen, ist der ambivalente Grundzug der Toleranz bereits in aller Deutlichkeit benannt. Toleranz wird von Anerkennung als der wahre Liberalität zum Ausdruck bringenden Haltung unterschieden und als Ursache wie als Effekt einer nicht hinreichenden, ja beleidigenden Praxis kenntlich gemacht. In Goethes Lesart ist es das Moment der Duldung, das den problematischen Kern der Toleranz bildet, welcher offenbar nur deshalb in Beleidigung münden kann, weil er Asymmetrie, Abhängigkeit und die Macht der Aufkündbarkeit widerspiegelt. Goethes Verdikt gilt als eine Alterseinsicht des Dichters, erste Überlegungen zur Toleranz formulierte er bereits im undatierten Brief des Pastors in den Schriften zur Literatur. Die zitierte Altersmaxime gibt Goethes ausgereifte und verdichte Überlegungen wieder.4 Fast mutet es so an, als hätte Goethe im Vorgriff auf die heute aktuellen Erwägungen und theoretischen Auseinandersetzungen um die Toleranz gesprochen. Denn als eine größere Zeiträume umfassende Bewegung gedacht, ließe sich die Entwicklung des europäischen Toleranzverständnisses seit der Programmschrift des Pierre Bayles unter dem Titel „Commentaire Philosophique sur les Paroles de Jesus-Christ ‚Contraints-les Entrer‘“ aus dem Jahr 16855 und seit der Programmschrift John Lockes „A Letter concerning Toleration“ aus dem Jahr (1683/ 1689) bis heute in der Tat als eine immer stärker werdende Annäherung an das von Goethe eingeforderte Anerkennungsideal beschreiben – so weitgehend, dass Toleranz und Anerkennung mitunter ein nicht mehr zu trennendes Amalgam eingehen. Das Toleranzpostulat ist eng geknüpft an die den Liberalismus auszeichnende Sphärentrennung von öffentlich und privat, deren Vertei4 5

Sie entstammen dem Nachlass und sind nicht datiert. Pierre Bayles war ein vom katholischen Frankreich verfolgter, calvinistischer Hugenotte, ein Theologe im niederländischen Exil, der mit seiner anonym verfassten Schrift auf das Wiedereinsetzen der Hugenottenverfolgung mit dem Edikt von Fontainebleau durch Ludwig XIV. im Jahr 1685 reagierte, also auf die Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes des Jahres 1598, das den Protestanten unter Heinrich IV. Religionsfreiheit gewährte.

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digung von Locke über Mill bis Rawls in unsere Tage reicht und in den letzten Jahren Anfechtungen, zumindest aber Relativierungsbzw. Reformulierungsversuchen ausgesetzt ist – etwa in einer Studie von Beate Rössler (2001), die unter dem Titel „Der Wert des Privaten“ erschienen ist. Die Autorin vertritt hier einen dezidiert politischdemokratischen Liberalismus, welcher die rechtlich-konventionelle Idee des Privaten, gedacht zum Schutz gleicher Freiheitsrechte für alle Individuen, ihrer essentialistischen Ausformulierungen entledigen will, wie sie beispielsweise im klassischen Familienbild an Geschlechterstereotype gebunden seien. Die Trennung der beiden Sphären ist bekanntlich als Folge der Religionskriege des 17. Jhds. für die Entfaltung des Toleranzgedankens konstitutiv, sie steht – so Kallscheuer (1998, S. 151) – für „die Trennung zwischen der politischen Macht als Garantie des sozialen Friedens und der Kirche bzw. der ausschließlich auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Glaubensgemeinschaft“. Die reformatorische These, wonach einzig die innerlich aufrichtige Überzeugung den eigentlichen Prüfstein des wahrhaften Glaubens darstelle – bei Locke heißt es: „faith is not faith without believing“ (vgl. ebd.) – liegt mithin der Entfaltung der Toleranz als kognitive Ermöglichungsstruktur notwendig zugrunde und hat mit der Institutionalisierung im dualistischen Sphärenmodell ihre Gestalt gefunden. Der darauf basierende Pluralismus der Bekenntnisse schließt erkenntnislogisch die Möglichkeit der „falschen“ religiösen Überzeugung ein und verschafft ihr Raum. Das auf religiöse Überzeugungen abhebende Toleranzverständnis ist ohne das Moment der Missbilligung von Überzeugungen nicht denkbar, welches es nun gerade zu zivilisieren gilt. „Tolerante Einstellungen sind gekennzeichnet durch die Duldung eines Andersdenkenden trotz gleichzeitiger Missbilligung seiner Überzeugungen und Praktiken. Toleranz verlangt vom Tolerierenden, (...), die eigenen Überzeugungen nicht zur Grundlage einer Entscheidung zu machen, durch die die Integrität der Lebensform eines Andersdenkenden, an deren Erhalt dieser Andersdenkende ein berechtigtes Interesse hat, gefährdet wäre.“ (Hartmann 2001, S. 119, Hervorh. i.O.) Eine feinsinnige Analyse davon, worum es im Falle der Toleranz eigentlich geht, lieferte Voltaire in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Veranlasst durch einen grausamen Justizmord an einem Calvinisten namens Jean Calas in Toulouse im Jahr 1763, veröffentlichte er ein seinerzeit viel beachtetes Plädoyer für Toleranz. Diese Streitschrift enthält die Parabel über eine Religionsstreitigkeit in China: Die Frage, wie lange zwei Vertreter unterschiedlicher Glau-

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bensrichtungen wegen ihrer hitzigen Streitereien noch in Arrest sitzen müssen, beantwortet der Mandarin, nachdem eine Einigung der zerstrittenen Parteien sowie deren gegenseitiges Verzeihen als aussichtslos erkannt worden waren: „Nun, (...) so mögen sie sitzen, bis sie so tun, als ob sie einander verzeihen“ (vgl. Voltaire 1978, S. 226, Hervorh. I. D.). Die Aufforderung an die Kontrahenten dieses Konflikts enthält den Appell, die eigenen Überzeugungen soweit zurückzunehmen, dass ein Mindestmaß an sozialem Frieden gesichert werden kann. Sie verlangt eine Relativierung des eigenen Standpunkts, was insofern als ein Zugeständnis zu verstehen ist, als es von vornherein die eigenen Erkenntnisleistungen als begrenzt voraussetzt und die „Bürde der Vernunft“ in Rawls‘ Konzeption zu veranschaulichen vermag (vgl. Hartmann, S. 120). Kontroverse Überzeugungen, welche im Reich des Privaten ihren Geltungsanspruch entfalten dürfen, treten in dieser klassisch-liberalen Lesart des Problems hinter „konsensfähige öffentlich-politische Prinzipien oder Gründe“ zurück und konzedieren die „Existenz einer neutralen, öffentlichen Vernunft“ (ebd., S. 122 f.). Die philosophische Beschäftigung mit der Toleranz ist vor diesem Hintergrund mit einem bipolar angelegten Spektrum von Toleranzauffassungen konfrontiert, das sich erstreckt von minimalistischen Positionen einerseits, etwa der Michaels Walzers, der bereits den Gewaltverzicht als einen Ausdruck von Toleranz versteht, und eher Akzeptanz betonenden Positionen andererseits, etwa der zitierten Auffassung Goethes. Damit kommt Anerkennung als ein Begleitphänomen der Toleranz in den Blick. An dieser Stelle ist zur Begriffsklärung unbedingt zwischen zwei Formen der Anerkennung zu unterscheiden: der Form der Anerkennung einerseits, welche für die Haltung und Praxis der Toleranz konstitutiv ist. Sie ist explizit immer schon an die Praxis des Tolerierens gebunden und basiert auf der Bereitschaft, konkret missbilligte Ansichten oder Praktiken anderer zugunsten eines normativ höher angesiedelten öffentlichen Konsenses hinzunehmen. Damit wird Anerkennung im Sinne von Akzeptanz als der Toleranz inhärent sichtbar und das „Paradox der Toleranz“ (Röhr 2003), die „Ablehnungs- wie Akzeptanzkomponente“ (Forst 2000) oder das „Ablehnungsmotiv“ (Hartmann 2001) markiert, was generell die kognitive Voraussetzung der Toleranz ausmacht.

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Von dieser Form der Anerkennung zu unterscheiden ist andererseits die „wertschätzende Anerkennung“, wie Honneth (1994) sie nennt. Bei ihr handelt es sich im Grunde genommen um ein Gegenkonzept zur Toleranz, das beispielsweise auch von Taylor (1993) verfochten wird. Taylor wie Honneth differenzieren intime Formen der Anerkennung von rechtlichen Formen sowie drittens Formen der „wertschätzenden Anerkennung“. Für Hartmann (ebd., S. 127) stellt sich angesichts dieser dritten Form der Anerkennung das Problem dann aber neu: „Für eine Theorie der Toleranz ist nun vor allem der Unterschied zwischen Formen der rechtlichen Anerkennung und denjenigen Formen zentral, die Honneth unter dem Begriff der wertschätzenden Anerkennung zusammengefasst hat. Denn während die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjekte auf eine Anerkennung derjenigen Eigenschaften oder Vermögen hinausläuft, die allen Subjekten in gleicher Weise zugesprochen werden, gilt die wertschätzende Anerkennung den spezifischen Fähigkeiten und Leistungen dieser Subjekte bzw. der Gruppen, deren Mitglieder sie sind. Erst diese Form der wertschätzenden Anerkennung scheint mit einer Perspektive der Toleranz zu brechen, da diese Anerkennung nicht länger von den konkreten Praktiken oder Überzeugungen des anderen abstrahieren muss, um gleichsam Platz zu machen für eine Form universaler Achtung. Nun sind es gerade diese Praktiken und Überzeugungen, denen die Wertschätzung gelten soll und deren Wertschätzung etwa von den Mitgliedern einer Minderheit gefordert wird.“ (Hervorh. i.O.) Die Frage, inwieweit diese Form der wertschätzenden Anerkennung in liberalistische Konzepte bereits rudimentär eingelassen ist, die ja das individuelle Grundrecht schützen wollen, das es Subjekten gerade ermöglicht, in Gruppen- und Interaktionskontexten genau diese spezifischen Fähigkeiten und Eigenschaften zu entwickeln, kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Verwiesen sei jedoch auf einen zentralen liberalen Einwand, wonach es ein allgemeines Recht auf Wertschätzung nicht geben kann, da es sich bei der Anerkennung im emphatischen Sinn um ein knappes Gut handelt, das seine egalitäre Verteilung von vornherein ausschließt (vgl. ebd., S. 129). Für unseren Zusammenhang wesentlich ist, dass die Form der „wertschätzenden Anerkennung“ den normativen Hintergrund für die aktuellen Toleranzdebatten abgibt. Das „traditionelle“ oder klassisch-liberale Toleranzverständnis, das sich in Folge der europäischen Religionskriege und befördert durch die Aufklärung herausbildete – so wäre zusammenzufassen – lässt

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sich entlang der folgenden Strukturmerkmale abschließend charakterisieren: Toleranz beschränkt sich im Wesentlichen auf Fragen des religiösen Bekenntnisses, der Überzeugungen und des Gewissens. Toleranz kann in diesem Sinne als eine Kompromissformel für im Grunde unvereinbare bzw. nicht geteilte Überzeugungen und Praktiken gesehen werden (vgl. Fetscher 1991, Brown 2000). Was eigentlich abgelehnt wird, erfährt nun Toleranz, was nichts anderes als Duldung meint. Sie signalisiert vorerst den Verzicht auf eine gewaltförmige Unterdrückung jener missbilligten oder abgelehnten Überzeugungen und Praktiken. Im Sinne Voltaires wird „so getan, als ob“ man die religiöse Überzeugung des anderen, seine Gewissensentscheidung oder seine Meinung für richtig hält – um des lieben Friedens willen und um Schlimmeres zu vermeiden. Darüber hinaus wird Toleranz gewährt, insofern erscheint sie an Macht gebunden: Jemand toleriert oder duldet jemandes Überzeugungen, d.h. er oder sie lässt sich aus einer Position der Geringschätzung der anderen Meinung dazu herab, Verachtetes zuzulassen. Wiederum wird so getan, als ob die Unvereinbarkeiten beigelegt seien. Diejenigen, die Toleranz gewähren, enthüllen mithin eine vermeintlich großzügige, jedoch herablassende, auf Macht basierende Geisteshaltung gegenüber denjenigen, denen (bzw. deren Überzeugung oder Gewissenshaltung) sie Toleranz gewähren. Es ist also von einem eindeutigen Machtgefälle auszugehen. Aus der Praxis zu tolerieren spricht allermeist die Hoffnung auf Seiten derjenigen, die Toleranz gewähren, sich der unvereinbaren Differenz durch gewaltlose Einverleibung zu entledigen. Sie kann daher als Steuerungs- und Kontrollinstrument von gegensätzlichen Meinungen und sogar von Feindschaft aufgefasst werden. Sie ist Ausdruck für hierarchische und asymmetrische Kommunikation, Beziehungen und Interaktion – vor allem auch deshalb, weil die gewährte Toleranz (jeder Zeit) aufkündbar erscheint: vom Gutdünken desjenigen, der Toleranz gewährt, hängt es ab, wie weit diese reicht. In dieser „traditionellen“ Ausprägung ist Toleranz eingelassen in die von liberalistischen Elementen gespeisten nationalstaatlich verfassten, westlichen und pluralistischen Gesellschaften. Der Toleranz kommt hier hegemoniale und normalisierende Funktion (vgl. Walzer 1998, 2000) zu: Sie zeichnet den sozialen und politischen Umgang einer dominanten Gruppe mit Minderheitengruppen aus, wobei Toleranz in guter liberalistischer Tradition immer nur einzelnen, nicht aber Kollektiven gegenüber gewährt wird. Differenzen im Bereich religiöser Bekenntnisse, kultureller Praktiken, der Spra-

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che und Geschichte erscheinen in dieser Tradition zwar als Gruppenmerkmale, doch werden sie dem privaten Bereich zugewiesen, wo es dem einzelnen freisteht, sie zu leben. Hier wird ihm als Individuum mit Meinungs- und Gewissensfreiheit im sogenannten liberalen oder auch „demokratischen Pluralismus“ (vgl. Wolff 1967) tolerant begegnet. Neuerdings nun ist eine Verschiebung zu beobachten, die Toleranz und Anerkennung immer enger aneinander bindet. Toleranz- und Anerkennungsforderungen werden jetzt in gesellschaftskritischen und intellektuellen Diskursen einem quasi synonymen Verständnis und Gebrauch unterworfen, was folgenreich ist, zumal dann, wenn es sich auch in pädagogischen Kontexten fortsetzt. Das Programm einer Interkulturellen Pädagogik etwa oder Konzepte der Jugendarbeit weisen in ihren Zielbeschreibungen ebendieses veränderte Toleranzverständnis auf.

II. Der Wandel des Toleranzverständnisses unter anerkennungs- und identitätspolitischen Vorzeichen In den politisch und intellektuell geführten Anerkennungsdebatten der beiden letzten Jahrzehnte geht es vorrangig darum, Rechtsansprüche von Individuen auch auf Minderheitengruppen auszudehnen. Angehörige dieser Gruppen, die aufgrund unverlierbarer, über Generationen gepflegter oder aber zugeschriebener Merkmale – wie Geschlecht, Hautfarbe, kulturelle Zugehörigkeit, Religion, Sprache, Nationalität, sexueller Orientierung oder Behinderung – Diskriminierung, sozialen Ausschluss bis hin zu Verfolgung und Ermordung zu erleiden hatten, „drehen“ nun – um es bildlich auszudrücken – „den Spieß um“. Sie fordern verstärkt die politische und rechtliche Anerkennung derjenigen Gruppendifferenzen, deretwegen sie andauernde Diskriminierung erfahren mussten. Den Differenzmerkmalen, die Individuen als Mitglieder einer Gruppe stigmatisierten, soll jetzt im Horizont eines Anerkennungsgebots jeweils unterschiedlich codierter Differenz positiv gewendet Geltung zukommen. Ihnen wird im Sinne Identität stiftender Besonderheiten so positive Wirkungsmächtigkeit zugesprochen.6 Vor dem Hintergrund dieser 6

Als Verfechter von Gruppenrechten für ethnische Minderheiten gelten die Kanadier Will Kymlicka (1999) und Charles Taylor (1993) (kritisch dazu: Brumlik 1999 und Brunner/ Peled 1998).

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Debatten hat die „traditionelle“ Toleranzsemantik nachvollziehbare, wenn auch problematische Erweiterungen und Veränderungen erfahren – zunächst im US-amerikanischen Diskurs und von dort kommend auch im europäischen Kontext. Auf den Punkt gebracht lässt sich dieser Wandel der Toleranzsemantik in Anlehnung an die Philosophin Wendy Brown (2000, S. 272ff.) wie folgt zusammenfassen: Toleranzforderungen beziehen sich demnach nunmehr weniger auf Überzeugungen und Fragen des Gewissens als vielmehr auf verschiedene, klar zu unterscheidende Merkmale, die Personen als unverlierbare und allumfassende „Identitäten“ anhaften, gleichsam verdichtet zur „Identität“ einer „ganzen“ Person. „Bestimmte Praktiken und Erfahrungen, zu denen wir auch Überzeugungen zählen können, werden als notwendiger Bestandteil grundlegender Subjekttypen aufgefasst. Folglich scheinen Identitäten wie ‚Schwarzer‘, ‚Lesbe‘, ‚Jude‘ oder gar ‚Überlebender des Holocaust‘ nicht nur die Person radikal erschöpfend zu erfassen, sondern notwendigerweise mit einer bestimmten Menge von Überzeugungen und Praktiken verknüpft zu sein. Die Verbindung von Seele und Erfahrungen wird wiederum als Quelle bestimmter Ansichten oder Überzeugungen aufgefasst“ (ebd., S. 274). Diese „Subjekttypen“ werden so gesehen ihrem Wesen nach unterscheidbar, d.h. geteilte Erfahrungen und Praktiken von Menschen erscheinen nun als tief sitzende, gruppenbezogene Identitätsmerkmale so weitgehend und umfassend festgelegt, dass sie die gesamte Person, die gesamte Existenz eines Menschen in quasi naturalisierender und essentialisierender Weise zu umgreifen scheinen. In dieser Verschiebung richtet sich Toleranz nun auf „das wechselseitige Existenzrecht von Identitäten“ (ebd.) so, als stünden sich die Repräsentanten unterschiedlicher Überzeugungen, Erfahrungen und Praktiken in einer das Subjekt allumfassend kennzeichnenden Differenz gegenüber. Die Identifikation von Subjekten entlang bestimmter Wesensmerkmale oder Praktiken reduziert diese auf jene Differenzmerkmale, welche wiederum für die gleichsam automatische Herausbildung eines je spezifischen Bewusstseins zugrunde gelegt werden, also etwa ein „schwarzes Bewusstsein“ oder eine „weibliche Moral“ (ebd., S. 275). Im Multikulturalismus wären es mithin Personen in ihrer wesenhaften, ethnisch codierten Differenz, die der Toleranz und des Schutzes bedürften und sich zugleich reduziert auf einen jeweiligen Wesenskern, verkörpert in unverlierbaren und unabänderlichen Merkmalen, gegenüberstünden. Es ließe sich also von einer Subjektivierung der Toleranz im normativen Horizont eines identitätspolitisch ausbuchstabierten Anerkennungsideals sprechen.

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Die Dramatik dieser auf Personen erweiterten Toleranzsemantik liegt darin, dass sie das Subjekt, welches sich gemäß der traditionellen Toleranzauffassung noch reflexiv zu seinen Überzeugungen und sozialen Praktiken ins Verhältnis zu setzen vermag und diese frei wählen kann, durch ein mit wesenhaft überhöhten Merkmalen behaftetes Subjekt ersetzt, die dessen Identität totalisierend, auch als Gruppenidentität festschreiben. Alle Andersheit, so Brown, wird im Subjekt verortet und konstruiert „als Teil einer gemeinschaftlichen Identität“ (S. 276). „Wenn (...) Sexualität, Ethnizität, Hautfarbe oder Geschlecht diskursiv so behandelt werden, als würden sie über Subjektivität und Identität erschöpfend Auskunft geben, so beruft sich die gegenwärtige Praxis des ‚Toleranzlehrens‘ insofern stillschweigend auf diesen Strang der Toleranz, als sie diese Kennzeichnungen als eine Art von Gruppenidentität auffasst. Indem sie dies tut, verstärkt die Forderung nach Toleranz gegenüber Anderen, die ‚verschieden‘ sind, die totalisierenden Merkmale dieser Subjekt- und Identitätsformierung“ (ebd., S. 275). Wird ihm, dem „ganzen“ Subjekt, nun mit Toleranz begegnet, so bleiben all die genannten „traditionellen“, die Toleranz ebenfalls auszeichnenden Strukturmerkmale, wie die grundsätzliche Ablehnung des Tolerierten, das Machtgefälle, die Asymmetrie und Hierarchie sowie die grundsätzliche Aufkündbarkeit der Toleranz, noch im Spiel. Die Toleranzsemantik ist nicht einfach loszulösen von ihrem auf Duldung beruhenden Kern, auch dann nicht, wenn man unter Toleranz eher die „wertschätzende Anerkennung“ verstehen will. Das Toleranzkonzept schleppt sozusagen entgegen aller Reformulierungsversuche sein historisches Erbe mit. Toleranz lässt sich zwar im Sinne einer Tugend einfordern, ihre Praxis aber reifiziert zugleich Marginalität und bekräftigt bestehende soziale Ordnungen. Auch unter positiven Vorzeichen nehmen die auf die „ganze Person“ ausgeweiteten, ehemals zur Diskriminierung herangezogenen Differenzmerkmale die betroffene Person gefangen und reduzieren sie gleichsam auf eben die jeweils zugrunde gelegte Differenz (vgl. ebd.).

III. Schlussfolgerungen für die Pädagogik Abschließend soll gefragt werden, was sich aus den vorangegangenen Überlegungen zu Toleranz und Anerkennung für die Pädagogik schlussfolgern lässt.

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Auf der Ebene pädagogischer Programme – angeführt werden könnte das Programm einer Interkulturellen Pädagogik – wurde das Erziehungsziel Toleranz bereits einer Kritik unterzogen (vgl. Diehm 2000). Die programmatische Forderung nämlich, Toleranz gegenüber Kulturen zu lehren, welche im Rahmen anerkennungs- und identitätspolitischer Motive des Multikulturalismus zu verorten ist, führe schließlich, so die Kritik, unausweichlich in eine Essentialisierung von Kultur und Kulturen und reduziere etwa junge Kinder zu Repräsentanten ihrer vermeintlichen Herkunftskultur. Auch einer Reifizierung von Kulturdifferenz sei vor diesem Hintergrund nicht auszuweichen. Hier schließt diese Kritik am neu definierten Toleranzkonzept nach Wendy Brown formuliert an. Schulpädagogisch ließe sich auf der Ebene des Unterrichtshandelns durchdeklinieren, in welche Aporien eine didaktisierte Erziehung zur Toleranz im hier entfalteten Sinn führt. Es wären dann die institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen, die spezifisch pädagogischen Arrangements der Schule also, zu der auch Lehrmittel gehören, in Rechnung zu stellen (vgl. Diehm/Radtke 1999). Henning Röhr (2003, S. 264) präsentiert einen Vorschlag, der Toleranz im Sinne eines sozialen Verhältnisses versteht. Vor dem Hintergrund eines solchen Verständnisses interessiert weniger die Frage, „ob und wie im Zögling oder Schüler eine tolerante Haltung hervorgebracht werden kann, sondern vielmehr (…), ob man die Erziehungsprozesse selbst als mehr oder weniger tolerante beschreiben darf.“ Toleranz wird in dieser Sichtweise als eine Einflussgröße beschrieben, die als ‚nicht-intentionale Erziehung‘ oder ‚intentionale Sozialisation‘ zur Geltung gelangen sollte – so die paradoxe Formulierung von Frank-Olaf Radtke (1994). Diese Analyseebenen bleiben in der folgenden Betrachtung unbeachtet. Vielmehr sollen an einem kleinen Beispiel, das sich systematisch auf der Ebene des situativen, pädagogischen Handelns ansiedeln lässt, die möglichen, theoretisch bereits erörterten Folgen einer Toleranzerziehung für einen sozialpädagogischen Bereich, nämlich den der Früherziehung, gedankenexperimentell veranschaulicht werden. Das Beispiel entstammt einer empirischen Studie, die van Ausdale und Feagin (2001) in den USA vorlegten. Es handelt sich um eine ethnographische Untersuchung, die ihr Augenmerk in sozialkonstruktivistischer Perspektive auf den alltäglichen Umgang von Vorschulkindern einer day-care-Einrichtung mit Ethnizität bzw.

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race richtet. Im Rahmen ihrer Feldforschung in einer solchen Vorschuleinrichtung hat Debra van Ausdale während elf Monaten nach der sogenannten, auf Corsaro zurückgehenden, least-adult-Methode7 die drei- bis sechsjährigen Kinder ca. zehn Stunden täglich beobachtet. In Anlehnung an die theoretische Rahmung ethnographischer Studien aus dem Bereich der Geschlechterforschung, die Mechanismen des „doing gender“ zum Untersuchungsgegenstand haben (vgl. Thorne 1993), geht es auch in dieser Forschung um die Frage, wie sich bereits sehr junge Kinder vorfindbarer ethnischer Differenzierungen im sozialen Umgang miteinander bedienen. Sie tun dies, so ein evidenter Befund, in äußerst kompetenter Weise. Im Sinne aktiver Re-Produktion setzen die Kinder ethnische (im anglo-amerikanischen Kontext meint dies insbesondere Hautfarbe) Differenzierungen bewusst, im Sinne von „Werkzeugen“ (tools) oder Ressourcen ein, um komplexe soziale Situationen interaktiv zum Zwecke eigener Identitätskonstruktion und -stabilisierung und zum Zwecke von Fremdzuschreibungen im Sinne von Identitätszuweisung zu gestalten. In diesem Zusammenhang ließe sich also durchaus von einem ‚doing race‘ oder ‚doing racsim‘ sprechen (vgl. hierzu auf den hiesigen Kontext übertragen: Diehm/Kuhn 2005 und 2006). Hier eine beobachtete Szene aus der Studie, in der ein dreijähriges Mädchen ihr rassistisches Wissen gezielt einsetzt, um eine schwarzes Mädchen ihrer Gruppe zu erniedrigen: „Carla, ein drei Jahre altes Kind, bereitet sich auf die Ruhezeit vor. Sie trägt ihre Decke zur anderen Seite des Klassenraums. Eine Lehrerin fragt sie, was sie tue. ‚Ich muss das wegräumen‘, erklärt Carla. ‚Warum?‘ fragt die Lehrerin. ‚Weil ich nicht neben einem Nigger schlafen kann‘, sagt Carla und zeigt auf Nicole, ein vier Jahre altes Kind auf der Decke neben sich. ‚Nigger stinken, ich kann nicht neben einer schlafen.‘ Ungläubig ermahnt die Lehrerin, die weiß ist, Carla, ihre Decke zurückzutragen und keine ‚verletzenden Wörter‘ zu gebrauchen. Carla sieht belustigt aus, fügt sich aber.“ (Ebd., S. 1, Übersetzung I. D.) Dieses Beispiel kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass selbst Dreijährige weder unwissend noch „unschuldig“ sind, noch einfach wiedergeben oder imitieren, was sie irgendwo gehört oder gesehen haben. Sie sind in der Lage, ethnische Differenzierungen zu nutzen, auch in verletzender Weise, und ein spezifisches, ein7

Der/die Forscher/in versucht, sich im Feld systematisch als erwachsene Person weitest möglich zurück zu nehmen und sich in seinem/ihrem Verhalten den Kindern so weit anzunähern, dass sie/er von diesen als ihresgleiche/r wahrgenommen werden kann.

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schlägiges Wissen auf eine spezifische Situation und ihre je spezifische Interaktion anzuwenden. Es ist den Verfassern der Studie zuzustimmen, wenn sie konstatieren, wie bemerkenswert die Palette an Konzepten sei, die Carla miteinander verbinde. Was würde geschehen, wenn die Pädagogin das in dieser Szene agierende Kind in erzieherischer Absicht zur Toleranz im Umgang mit dem dunkelhäutigen, also ethnisch sich unterscheidenden Kind aufforderte? Eine solche Aufforderung würde sich auf dessen nicht verlierbare, phänotypische Merkmale beziehen, also auf die ganze Person im Sinne Browns. In eine solche Aufforderung, ein dunkelhäutiges Kind zu tolerieren, sind nicht vertretbare soziale Implikationen eingelassen: Den Anderen zu tolerieren, setzt die Ablehnung des zum Hauptwesenszug erklärten Differenzmerkmals (Ablehnungskomponente) voraus – hier ist es die Hautfarbe, welche angeblich die gesamte Identität einer Person erschöpfend zu konstituieren scheint. Folgerichtig erstreckte sich die Ablehnung ebenfalls auf die „ganze“ Person, die dann der unterschwelligen Duldung unterworfen wäre. Wann die Grenzen der Toleranz erreicht wären, ließe sich jedoch nicht genau absehen, aber eine mögliche Aufkündigung der bis dahin gewährten Toleranz träfe ebenfalls die „ganze“ Person. Eine in dieser Situation vorgebrachte Toleranzforderung transportierte mithin die äußerst prekäre Botschaft der Hierarchie, der Asymmetrie und der Aufkündbarkeit von Interaktionen und Beziehungen. Superioritäts- und Inferioritätsgefühle, welche die sozial-ethnische Ordnung ausmachen, würden auch in dieser Situation perpetuiert, weil mitkommuniziert würde, was bekämpft, was als Problem empfunden und beschrieben wird und was der Tugend der Toleranz bedarf, um es auszuhalten: die wesenhaft überhöhten Differenzmerkmale nämlich, die im Zuge der Identitätspolitik zwar einem Anerkennungsgebot unterliegen, paradoxerweise eine vollumfängliche Anerkennung strukturell aber von vornherein unterminieren. Carla, die offensichtlich weiß, was sie tut – im Originaltext heißt es: „she looks amused“ –, in einer solchen Situation zu Toleranz aufzufordern, würde sie in ihrem bereits ausgebildeten Wissen um die Diskrepanz zwischen Semantik und real wirksamer Ordnungsstrukturen nachgerade bestätigen. Eine solchermaßen verschobene Kommunikation kann nicht im Interesse von Pädagogik liegen. Dass Toleranzforderungen im pädagogischen Kontext Strukturprobleme mit sich führen, könnte mit dieser Szene exemplarisch deutlich geworden sein. Als mögliche Sozialisationseffekte eines heimlichen Lehrplans gilt es sie für päd-

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agogisches Handeln systematisch zu bedenken. Denn der logische oder Kategorienfehler besteht offenbar darin, dass man Toleranz behandelt als handele es sich um Anerkennung. Anerkennung wird als Steigerungsform der Toleranz gesehen und es wird ihr ein Vorrang eingeräumt. Das Goethe-Zitat legt diese Sichtweise im Übrigen ebenfalls nah. Würde die Erzieherin in der vorgestellten Szene auf Toleranz abheben, sie einfordern als probate Haltung auf Seiten von Carla, so würde sie ein ‚So-Tun-als-ob‘ im Sinne Voltaires erwarten, würde sie Anerkennung einfordern, so würde sie nicht garantieren können, ob ihr Plan auch aufgeht. Erinnern wir uns des zentralen Einwands des Liberalismus, wonach es sich im Falle der „wertschätzenden Anerkennung“ um ein knappes Gut handelt, welches zwar eingefordert werden, aber nicht vorab als garantiert gelten kann. Wie die Toleranz muss Anerkennung vielmehr er- bzw. gelebt werden, schon gar nicht ist in einem curricularisierten Sinne zu einem Lerngegenstand zu machen. Toleranz und Anerkennung können mithin wohl nicht pädagogisch eingefordert oder gar gelehrt, sondern in einem sozialisatorischen Sinne nur erfahren werden, um sie dann ihrerseits sozial zu praktizieren. Peter Gardner (1993, S. 99) bringt es treffend auf den Punkt, wenn er formuliert: „Tolerance is something which is caught rather than taught.“ Der Vorschlag von Röhr (2003, S. 264), Toleranz als ein soziales Verhältnis aufzufassen, ist m. E. ebenso auf die Anerkennung zu übertragen. Hinweise auf die Plausibilität eines solchen Übertrags finden sich in der Philosophie der Anerkennung, wie sie bereits von Fichte grundgelegt wurde. Er verweist mit dem Begriff der Anerkennung auf ein reziprokes Anerkennungsverhältnis zwischen zwei Personen, welche für die Herausbildung ihrer Personalität die soziale Form der Anerkennung durch andere Personen brauchen (vgl. Frischmann 2009, S. 150). In diesem Zusammenhang betont Fichte die herausragende Rolle des menschlichen Leibes, der leiblichen Existenz und die damit verbundene Herausbildung der menschlichen Vernunft sowie die der Erziehung, welche er als eine Aufforderung zur Selbsttätigkeit, ohne direkte Aufforderung zwar, jedoch im Sinne eines Einwirkens versteht. Erziehung basiert in Fichtes Auffassung auf Anerkennung zwischen Erwachsenen und Kindern – damit ist das Anerkennungsverhältnis auch bei ihm als ein asymmetrisches markiert (vgl. ebd., S. 156). „Eine positive moralische Erziehung,“ – so Fichte (zitiert nach Frischmann 2009, S. 157f.) in den Aphorismen über die Erziehung – „d.h. eine solche, die sich den Zweck setze und ihn ausdrücklich ausspreche, den Zögling zur Tu-

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gend zu bilden, giebt es nicht; vielmehr würde ein solches Verfahren den inneren moralischen Sinn ertödten und gemüthlose Heuchler und Gleissner bilden.“ Diese Überlegungen lassen eine weitere Parallele der beiden Konzepte Toleranz und Anerkennung erkennen: die ihnen inhärente Asymmetrie. „Im Ergebnis zählt eine Anerkennung stets nur dann, wenn mich der Andere freiwillig und, ganz allgemein gesprochen, aus einer Position der (zumindest relativen und fallbezogenen) Überlegenheit anerkennt. Ob man etwa eine rechtliche Gleichstellung einklagt oder ob man als ‚origineller und eloquenter Kopf‘ anerkannt werden möchte, in beiden Fällen sind diejenigen, von denen man Anerkennung erstrebt, keine x-beliebigen und ebenso wenig die Weise, in der man Anerkennung von ihnen erwartet bzw. erhofft. Insofern scheint es mir zumindest voreilig, wenn nicht irreführend, Anerkennung automatisch mit Gleichwertigkeit und Reziprozität zu verbinden“ (Röhr 2003, S. 274). Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht nicht um eine generelle Ablehnung des Toleranzgedankens und seine radikale Verbannung aus pädagogischen Überlegungen. Toleranz ist für jede demokratische Gesellschaft in der Tat eine unerlässliche, notwendige, wenn auch, wie Iring Fetscher (1991) nahe legt, vielleicht „kleine“ Tugend – insofern sie sich auf Meinungen und Überzeugungen, ja, sogar Lebensstile, die sich daraus ableiten, bezieht. Für den politischen wie sozialen Umgang erweist sich das „traditionelle“ Toleranzverständnis also als unbedingt relevant, so dass es auch im Kontext von Bildung, etwa Politischer Bildung, und Erziehung als Gegenstand der Reflexion Berücksichtigung finden muss. Die hier vorgetragene Kritik richtet sich vielmehr auf einen undifferenzierten, mitunter naiven Umgang mit den beiden herausgestellten Toleranzverständnissen, so sie nicht unterschieden, sondern neuerdings weitgehend in eins gesetzt gebraucht und in wohlmeinender Absicht auf die „ganze“ Person angewandt werden. Will sagen: Werden Toleranz und Anerkennung synonym gebraucht, kann dies höchst problematische Nebenfolgen solcher Art nach sich ziehen, wie sie am Beispiel der vorgestellten Szene gedankenexperimentell entfaltet werden sollten. An die eingangs angesprochene zentrale, wenngleich zumeist weitgehend implizit gehaltene Prämisse von Erziehungsprogrammen: die Erziehung der Jugend zur Tugend unmittelbar geknüpft erscheint eine weitere, ebenfalls zumeist implizite, aber für die Pädagogik kon-

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stitutive Grundannahme: die sogenannte frühe Prägungsannahme (vgl. Oelkers 1992). Sie basiert auf der Vorstellung des „je jünger, desto besser/ wirksamer“8. In der volkstümlichen Aussage „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ ist sie zum Topos geworden und konnte von Harm Paschen (1988) in einer Analyse des „Hänschenarguments“ ebenfalls als eine Grundfunktion der Pädagogik rekonstruiert werden. Im Zugriff auf die möglichst jungen, sprich: noch formbaren Individuen (Erziehung der Kinder/Jugend) rechnet diese pädagogische Vorstellung nicht nur mit der nachhaltigen, weil früh einsetzenden Einflussnahme/ Prägung/ Verbesserung (Erziehung zur Tugend) des einzelnen, sondern geht darüber hinaus davon aus, dass sich auf diesem Weg auch die Gesellschaft – als ein aus Individuen bestehendes Ganzes gedacht 9 – verbessern ließe. So dominant und unhintergehbar diese Grundannahmen die pädagogische Theoriegeschichte und ihre jeweiligen Programmatiken bis heute durchziehen, so wenig empirische Evidenz kommt ihnen bislang zu. Zu diesem Schluss kommen sowohl Oelkers als auch Paschen, so dass dieser Befund auf das Programm einer Interkulturellen Pädagogik und die ihm inhärente programmatische Ausrichtung auf eine Erziehung zur Toleranz übertragbar erscheint. Die explizite Formulierung des Ziels, zu Toleranz erziehen zu wollen, gibt vor, im nicht explizit gemachten Rückgriff auf die oben genannten Prämissen, dieses auch erreichen zu können. An empirischer Evidenz mangelt es jedoch auch in diesem speziellen Fall (vgl. Diehm 2000). Gleiches lässt sich für jenes im Kontext Interkultureller Pädagogik die Toleranz in ihrer Bedeutung noch überflügelnde Erziehungsziel der Anerkennung von Differenz festhalten. Wie im Vorangegangenen bereits mehrfach betont, erscheint eine Erziehung zur Toleranz sowenig sinnvoll wie eine Erziehung zur Anerkennung. Recognition is something which is caught rather than taught, so wäre Gardners pointierte Einsicht im Hinblick auf dieses Konzept variieren.

Literatur Amos, Karin, S.: Zero Tolerance an öffentlichen Schulen in den USA – amerkanisches Syndrom oder Symptom für eine Neubestimmung gesellschaftlicher Mitgliedschafts- und Erziehungsverhältnisse. In: Zeitschrift für Pädagogik 52, 2006, Heft 5, S. 717-731 8

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Oelkers (1992) hat ihre historischen Wurzeln bis in den Pietismus und Sensualismus eindrücklich zurückverfolgt. Vgl. hierzu besonders den Beitrag von Frieda Heyting (1999).

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Borst, Eva: Anerkennung der Anderen und das Problem des Unterschieds. Hohengehren 2003 Breidenstein, Georg/ Kelle, Helga: Geschlechteralltag in der Schulklasse. Ethnographische Studien zur Gleichaltrigenkultur. Weinheim/München 1998 Brezinka, Wolfgang: Glaube, Moral und Erziehung. In: Ders.: Gesammelte Schriften Bd. 8, München, Basel 1991 Brown, Wendy: Reflexionen über Toleranz im Zeitalter der Identität. In: Forst, Rainer (Hrsg.): Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend. Frankfurt a. M. 2000, S. 257-281 Brumlik, Micha: Selbstachtung und nationale Kultur. Zur politischen Ethik multikultureller Gesellschaften. In: Reese-Schäfer, Walter (Hrsg.): Identität und Interesse. Der Diskurs der Identitätsforschung. Opladen 1999, 45-63 Brunner, José/ Peled, Yoav: Das Elend des liberalen Multikulturalismus: Kymlicka und seine Kritiker. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 46, 1998, Heft 3, S. 369-391 Diehm, Isabell: Erziehung und Toleranz. Handlungstheoretische Implikationen Interkultureller Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 46, 2000, Heft 2, S. 252-274 – Die Ambivalenz des Toleranzpostulats in der Interkulturellen Pädagogik. In: Ergen, Özkan/ Lenhart, Volker (Hg.): „Konflikt und pädagogische Intervention. Pädagogischer Umgang mit politischen, ethnischen und interreligiösen Konflikten.“ Bern, Berlin u.a. 2004, S. 127-146 – „Intoleranz als Problem der Pädagogik.“ Einleitung in den Thementeil 2. In: Zeitschrift für Pädagogik 52, 2006, Heft 5, S. 687-698 Diehm, Isabell/ Radtke, Frank-Olaf: Erziehung und Migration. Eine Einführung. Stuttgart 1999 Diehm, Isabell/ Kuhn, Melanie: Ethnische Unterscheidungen in der frühen Kindheit. In: Hamburger, Franz/ Badawia, Tarek/ Hummrich, Merle (Hrsg.): Migration und Bildung. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zumutung in der Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden 2005, S. 221-231 – „Doing Race/Doing Ethnicity“ in der frühen Kindheit. In: Otto, Hans-U./ Schrödter, Mark (Hrsg.): Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Sonderheft 8, neue praxis, 2006, S. 140-151 Fetscher, Iring: Notwendige Erinnerung an eine „kleine“ Tugend. In: Universitas. Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft 46, 1991, Heft 7, S. 617-627 Forst, Rainer: Einleitung. In: Ders. (Hrsg.): Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend. Frankfurt/M. 2000, S. 7-25 Forst, Rainer (Hrsg.): Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend. Frankfurt/M. 2000 Fraser, Nancy: From Redistribution to Recognition? Dilemmas of Justice in a ,Post-Socialist‘ Age. In: New Left Review 212, 1995, S. 68-93

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Anerkennung und Verachtung Gegensatz, Komplementarität und Verquickung BURKHARD LIEBSCH Der Andere [wird] durch meine Passion [...], was er ist. Jean-Paul Sartre1 Der Empfang des Anderen ist [...] die Scham der Freiheit über sich selbst. Emmanuel Levinas2

I. Das (moralische) Gesicht des Anderen zwischen Verachtung und Anerkennung Vom verächtlichen Lächeln bis hin zur abgrundtiefen Verachtung kennen wir viele, teils flüchtige, teils außerordentlich beständige Formen moralischer Diskreditierung Anderer, die sie sich für etwas oder selbst (auch grundlos) zuziehen. So harmlos der erste Fall ggf. erscheinen mag, so radikal kann die Verachtung den Anderen im zweiten Fall erfassen – bis zur „restlosen“ Verachtung, sei es in Gedanken, in Worten oder Untaten, die den Verachteten noch über seinen Tod hinaus treffen sollen. Solche Verachtung, so scheint es, muss, kann oder will im Anderen nichts mehr anerkennen, was sich dieser Gewalt widersetzt. Vielmehr suggeriert sie, die ihm entgegengebrachte Verachtung lasse es nicht etwa an eigentlich gebotener Achtung fehlen (wie es bei bloßer Missachtung der Fall zu sein scheint), sondern der Andere habe radikale Verachtung geradezu verdient, sie sei also die ihm in Wahrheit angemessene Haltung. Demnach wäre der Verachtete gewissermaßen an sich verächtlich und die ihm geltende Verachtung bräuchte ihn gar nicht erst verächtlich zu machen; sie würde der Verächtlichkeit des Anderen nur richtig Rechnung tragen. 1 2

Vgl. Sartre 2005, S. 882 Vgl. Levinas 1987, S. 119

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Demgegenüber verstehen wir Verachtung gewöhnlich als eine Form spezifisch moralischer Gewalt, die Andere verletzt, indem sie sie verächtlich macht3; und zwar so, dass sie im Extremfall Gefahr laufen, geradezu ihr Gesicht zu verlieren und insofern aus einer (oder sogar aus jeglicher) menschlichen Gemeinschaft verstoßen zu werden. Von Gewalt lässt sich aber nur sprechen, wenn sie Anderen widerfährt, die einen Anspruch darauf erheben oder haben, nicht verletzt zu werden (zur näheren Begründung vgl. Liebsch 2010a). Verachtung als eine derart einschneidende, u. U. das Gesicht der Anderen ruinierende Form moralischer Gewalt zu verstehen, bedeutet demzufolge, diesen elementaren Anspruch Anderer anzuerkennen. Im Gegensatz dazu liegt radikale Verachtung vor, wenn sie in der Sicht des Verächters jeden solchen Anspruch in Abrede stellt. Genau diesen Sinn hat die sog. Menschenverachtung, die in ihrem eigenen Verständnis keineswegs als bloße Missachtung einzustufen ist, sondern auf den Ruin jeglichen menschlichen Anspruchs Anderer hinausläuft.4 Was eingangs als Diskreditierung bezeichnet wurde, würde so gesehen ganz und gar in Abrede stellen, dass ein Verachteter überhaupt auf irgendetwas Anspruch erheben kann. Insofern sprengt radikale Verachtung auch die Ökonomie moralischer Abwertungen, Umwertungen und Entwertungen. Sie lässt am Ende überhaupt nichts mehr gelten, was am radikal Verachteten von irgendeinem Wert wäre. So gesehen scheint Verachtung mit Anerkennung unvereinbar zu sein – und Anerkennung umgekehrt Verachtung auszuschließen. Müssten nicht soziale Beziehungen und politische Lebensformen, die gegenseitiger Anerkennung verpflichtet sind, in der Tat jeglicher (nicht nur radikaler) Verachtung ein Ende bereiten? Sobald man verschiedene Formen der Anerkennung unterscheidet und näher untersucht, zeigt sich, dass die Dinge keineswegs so einfach liegen. Das lässt sich im Anschluss an den aktuellen Diskussionsstand der Philosophie der Anerkennung zeigen (II.), der die Frage aufzuwerfen zwingt, ob eine angeblich ganz und gar der Anerkennung Anderer 3

4

Davon spreche ich hier in einem weiten Sinne, der ein Verächtlich-machen nicht nur mit Worten, sondern auch durch wortloses Tun einschließt. Ob es sich tatsächlich so verhalten kann, ist gleichwohl mit Fug und Recht zu bestreiten. Insbesondere Levinas hat sich für einen durch keine Gewalt zu liquidierenden Anspruch des Anderen stark gemacht, der sich keinem ihm erst gewährten „Kredit“ verdanken soll und daher auch keiner „Diskreditierung“ scheint zum Opfer fallen zu können. Ob dieser Ansatz überzeugt, bleibe dahingestellt (vgl. Sartre 2005, S. 314, 576). Wenn dieser Anspruch nur zu bezeugen ist (wie auch Levinas annimmt), dann ist er jedenfalls vermittels der Bezeugung in die gewaltsame Welt selbst verwickelt und kann insofern nicht als schlechterdings unantastbarer unabhängig von ihr gedacht werden (vgl. Liebsch 2007a).

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verpflichtete politische Ordnung gleichwohl Spielräume der Verachtung lässt (III.), so dass Anerkennung und Verachtung doch (gewissermaßen komplementär) nebeneinander bestehen können, statt einander gänzlich auszuschließen. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, ob sich Anerkennung auch selbst Verachtung zuzieht (IV.), wie ein Seitenblick auf aktuelle Formen verachteter Gewalt lehrt, die ihrerseits Verachtung – auch der Anerkennung selbst – zum Ausdruck bringen. Vorherrschenden pädagogischen, soziologischen und politologischen Diagnosen zufolge entspringen diese Formen der Gewalt einer Geschichte versagter bzw. gescheiterter Anerkennung. So suggerieren diese Diagnosen, die gelingende Anerkennung sei im Grunde das, was Verachtung ausschließe, und insofern komme sie auch als probates Heilmittel gegen Verachtung in Frage. So gesehen wäre die Verachtung der Anerkennung ihrerseits nur Ausdruck gescheiterter oder versagter Anerkennung; und sie würde deshalb, richtig verstanden, die Aussicht eröffnen, ihr durch Anerkennung entgegenzutreten, auch wenn die Verachtung der Anerkennung diesen Eindruck zunächst gerade nicht erweckt. Man wird sehen, dass der Verachtung so leicht nicht beizukommen ist. Denn bei näherem Hinsehen erweist sie sich als ein überaus vielschichtiges Phänomen. Sie ist keineswegs nur Ausdruck gescheiterter oder versagter Anerkennung; sie kommt vielmehr auch mit Anerkennung verschwistert und verquickt vor. Und schließlich ist eine Verachtung der Anerkennung selbst zu bedenken, die weder im Prozess noch im Ziel der Anerkennung eine letzte Maßgabe menschlichen Lebens erkennt, sondern gerade in der Befreiung von der Anerkennungsabhängigkeit, die bis zur unersättlichen Sucht gehen kann, den Beginn dessen sieht, was menschliches Leben genannt zu werden verdient. Sofern diese Verachtung allerdings an Andere adressiert ist und von ihnen als solche verstanden werden soll, enthält sie doch in sich selbst eine wenigstens implizite Anerkennung der Freiheit Anderer, diese Verachtung anzunehmen oder zurückzuweisen. So führt der im Folgenden einzuschlagende Weg zunächst von der Anerkennung zur Verachtung und von letzterer zur Anerkennung zurück (V.) – jedoch ohne eine dialektische Synthese in Aussicht zu stellen.

II. Von der (verrechtlichten) Anerkennung zur Verachtung In seinen Reflexionen über die verschlungenen „Wege der Anerkennung“ stellt Ricœur mit Recht die Gefahr einer Popularisierung und

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Banalisierung der Rede von Anerkennung im Kontext einer sog. Politik der Differenz und umkämpfter ethnischer Identität fest (Ricœur 2006, S. 235, 267). Nicht selten wird tatsächlich der Anschein erweckt, wo auch immer eine abweichende bzw. differente Identität Anderer im Spiel sei, müsse es um deren Anerkennung gehen, so als begründe Identitäts-Differenz ohne Wenn und Aber einen normativen Anspruch auf ihre Würdigung. Scheinbar genügt es dann, sich nicht anerkannt zu fühlen, um berechtigt Klage zu führen gegen Andere. Doch selbst wenn sie wirkliches Leiden und nicht bloß narzisstische Kränkung zum Vorschein kommen lassen, verleihen Gefühle noch keine Rechte. Dass ihr Gegebensein nicht zu leugnen (und insofern anzuerkennen) ist, bedeutet nicht, dass dies allein einen Anspruch auf etwas begründet, der Anerkennung verdient. Ironischerweise hat gerade die diskursive Konjunktur und die mit ihr nicht selten einhergehende Banalisierung der Anerkennung den Blick auf die Frage verstellt, was – unbedingt, unter allen Umständen und unabdingbar – anzuerkennen ist. Sie lässt die Dramatik der Kämpfe vergessen, in denen es um die verbindliche Etablierung elementarster Ansprüche auf ein menschenwürdiges Dasein ging, die inzwischen vielfach als Rechte positiviert worden sind. Doch wer die Geschichte der Kämpfe um Anerkennung vergisst oder sie für ein „historisches“, im Grunde erledigtes Phänomen hält und glaubt, nach der Anerkennung, die in der rechtlich-institutionellen Grundstruktur moderner Gesellschaften garantiert worden ist, könne es nur noch um Reputation, Ansehen oder soziale Geltung gehen, wenn von Anerkennung die Rede ist, der irrt sich. Eine solche Einschätzung kann nur in saturierten gesellschaftlichen Schichten oder Sphären um sich greifen, in denen man kaum noch Hunger, wohl aber zuviel Appetit und anstelle unmenschlicher Lebensverhältnisse Fragen guten, besseren oder noch besseren Lebens zu kennen scheint, das in seinem Überfluss schließlich keinen Sinn mehr dafür hat, worum sich „menschliches“ Leben eigentlich dreht oder drehen muss (Sartre 2005, S. 117). Dabei mehren sich die Hinweise darauf, dass in heutigen Gesellschaften selbst geradezu eine „Sucht nach Anerkennung“ (Heitmeyer 2002) auf Seiten derer um sich greift, denen keine befriedigende Teilhabe am allgemein guten Leben mehr offen steht und die deshalb immer öfter zur Gewalt greifen, um zu erzwingen, nicht als bloße Versager oder schlicht Überflüssige und gesellschaftlicher Abfall sich selbst überlassen zu bleiben. Doch besteht die starke Neigung, dies als Problem bloß individueller Selbstachtung zu psychologisieren und die Gesellschaft vom Vorwurf mangelnder Anerkennung zu entlasten.

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Stimmt es etwa nicht, dass die Anerkennung in den modernen Staaten schon „vorhanden“ ist, wie bereits Hegel glaubte eindeutig feststellen zu können (vgl. Hösle 1987, S. 374)? Garantieren sie nicht in ihrer institutionellen Grundstruktur längst die Würde und die unveräußerlichen Rechte eines jeden Einzelnen, um jedem im Rahmen eines rechtlich pazifizierten politischen Systems ein freies Leben zu ermöglichen?5 Musste Anerkennung ursprünglich in harten Auseinandersetzungen erkämpft werden, so wäre sie demnach heute verwirklicht im Sinne rechtlich kompatibel gemachter Freiheiten aller in einer bürgerlichen Ordnung des Zusammenlebens, die ihnen alles bietet, was eine derartige Ordnung überhaupt nur garantieren kann, ohne dem Leben selbst vorzugreifen, das sie schützen soll. Endlich wäre demzufolge die Anerkennung verwirklicht als das, worauf sie von Anfang an abzielte. Und es bliebe heute nur noch die Aufgabe ihrer Ausweitung auf andere Staaten und auf die Verhältnisse zwischen ihnen (vgl. Mori 1989, S. 70). So würde endlich eine Idee weltweit nachvollzogen, ohne die, so scheint es, menschliche Lebensverhältnisse gar nicht mehr vorstellbar sind. Was ursprünglich ein unbedingtes Verlangen derer war, die unter versagter Anerkennung litten, wird nun zu einer Forderung gegen Dritte – nicht, weil man selbst anerkannt sein will, sondern weil man ihnen zum Vorwurf macht, Andere (unterdrückte ethnische und politische Minderheiten, Konfessionen, Frauen mit ihren elementarsten Rechten usw.) nicht anzuerkennen oder nicht einmal deren Verlangen nach Anerkennung als solches wahrzunehmen. Es handelt sich insofern – vor allem im Kontext weltweiter Durchsetzung der Menschenrechte – um eine kategorische Forderung nach Anerkennung der Anerkennung selbst, das heißt, dass jeder Andere Anerkennung jener Rechte verdient hat, ohne sie sich je erst eigens verdienen zu müssen. Noch bevor man darüber streitet, wie diese Rechte genau zu formulieren sind, geht es darum, einen universalen Anspruch auf diese Rechte jeder Anfechtung, jeder Geringschätzung und Verachtung zu entziehen. Jedem steht demnach Anerkennung wenigstens dieses Anspruchs zu, insbesondere seiner Rechte auf ein menschenwürdiges Dasein. Die Anerkennung betrifft insofern die grundlegendste bzw. elementarste moralische Qualität menschlicher Beziehungen und zugleich deren umfassendsten Schutz, von dessen Sinn man allerdings niemanden mit rein argumentativen Mitteln überzeugen kann. 5

Kritisch dazu Margalit (1997), der zeigt, dass wir es hier keineswegs mit einer bloß „rhetorischen“ Frage zu tun haben.

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Und doch könnte es sehr wohl sein, dass menschliche Lebensverhältnisse einerseits zwar ohne Anerkennung jenes Anspruchs nicht denkbar sind, dass aber dennoch die Garantie der auf ihm beruhenden Rechte, mit Wittgenstein zu reden, unsere wirklichen Lebensprobleme noch gar nicht berührt.6 Definieren jene Rechte nicht eine Schwelle, jenseits deren überhaupt erst ein menschliches bzw. menschenwürdiges Leben sich entfalten kann? Bezieht sich die Anerkennung lediglich auf die unabdingbaren rechtlichen Voraussetzungen menschlichen Lebens? Tritt sie dann weitgehend in den Hintergrund des Lebens, das man im Schutz der Rechte lebt? Lässt das nicht eine politische Philosophie übersehen, die ganz und gar auf eine Verrechtlichung der Anerkennung setzt, ohne für eine nicht zu verrechtlichende Anerkennung viel Verständnis aufzubringen?7 Eine allein in rechtlicher Perspektive gedachte Anerkennung zieht vielfach Kritik auf sich unter Hinweis auf eklatante Widersprüche zwischen der Geltung von Grundrechten (wie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und der Gleichheit vor dem Gesetz8) einerseits und einer sozialen Realität andererseits, in der diese Rechte „im Prinzip“ anerkannt sind, tatsächlich aber oft folgenlos bleiben. (Man denke nur an die skandalöse systematische, im Durchschnitt etwa 20-prozentige Schlechterbezahlung von Frauen im Vergleich zu Männern in den gleichen Funktionen.) Andere nehmen genau das zum Anlass, die im Recht verkörperte Anerkennung nur umso energischer praktisch einzufordern, statt sie zynisch als leeres Vokabular preiszugeben, das nur auf dem Papier gilt.9 Doch hat die Frage Gewicht, ob die Anerkennung dieser Rechte nicht selbst dann noch, wenn sie faktisch überzeugend realisiert wäre, hinter viel weiter reichenden Ansprüchen auf Anerkennung zurückbleiben muss. 6

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Das scheint zu gelten, wenn man Anerkennung und Recht so zusammendenkt, dass sie eine gerechte Gesellschaftsordnung definieren, „die es jedem einzelnen Subjekt erlauben [soll], sich in kommunikative Beziehungen zu begeben, die als Ausdruck der eigenen Freiheit erfahren werden können“. Das ist vielleicht eine Minimalbestimmung (deren historische Bedeutung deswegen freilich nicht gering zu schätzen ist); doch mit konkretem Leben hat sie noch kaum etwas zu tun, derart inhaltslos erscheint sie. Auch die Theorie, die sich auf die sittliche Ermöglichung „zwangloser“ bzw. „ungezwungener Selbstverwirklichung“ konzentriert, leidet hier an Unbestimmtheit; vgl. Honneth 2001, S. 29, 35, 49. Vgl. Ricœur 2006, S. 229, mit Blick auf Hegel. Artikel 2 (1) und (2) des Deutschen Grundgesetzes. Vgl. Sartres Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Anerkennung (Sartre 2005, S. 254-258). Erstere bezichtigt Sartre, die Gewalt konkreter Missachtung von Rechten zu beerben und auf Dauer zu stellen. Wenn sich ein liberales Recht dieser Hypothek nicht entledigen kann, gerät es in der Tat zur schieren Mystifikation von Anerkennung.

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Diese Ansprüche beziehen sich nicht allein auf ein Recht, vor dem alle gleich sind, die in seinem Schutz zusammen leben, sondern darüber hinaus auf das Selbst jedes Einzelnen, darauf also, als wer man sich versteht, verstanden wissen will oder verstanden wird. Keineswegs ist zwar das Selbst jeglicher Gleichheit schlechterdings entrückt. Vielmehr ist jeder, als Selbst, mit jedem anderen Selbst vergleichbar. Zugleich hat aber jedes Selbst an einer Alterität teil, die nicht in der Vergleichbarkeit mit Anderen aufgeht. Als vergleichbar erweist sich hier, was nicht von sich aus gleich ist oder gleich zu machen ist. Nicht einmal im Verhältnis zu sich entgeht das Selbst einer dem Vergleich sich widersetzenden Alterität, wenn es in sich selbst auf befremdliche Weise „wie ein Anderer“ ist (Ricœur 2006). Wenn das Selbst nach Anerkennung begehrt, so geht dieses Verlangen nicht in der Würdigung seiner Gleichheit (vor dem Recht oder als Selbst) auf. Vielmehr begehrt es nach Anerkennung im Lichte seiner inneren Alterität, die es der Gleichheit und der Vergleichbarkeit, womöglich radikal, entrückt. Für Maurice Blanchot muss es in diesem Sinne im Verhältnis zum Anderen um die „Anerkennung der gemeinsamen Fremdheit“ gehen, „in der das Trennende zur Beziehung selbst wird“ (Blanchot 1990, S. XII f.).10 Aber lässt sich die institutionelle (rechtliche) Grundstruktur einer Gesellschaft auch nur denken, die dem Rechnung tragen könnte? Oder bleibt die über das Recht hinausgehende Anerkennung, nach der das Selbst verlangt, besonderen Beziehungen anvertraut? Könnte sie am Ende ein einziger Mensch befriedigen? Oder ist mit ihr jeder Andere überfordert? An dieser Stelle kommt eine Unterscheidung von drei Ebenen bzw. Dimensionen der Anerkennung zum Zuge, die in der einschlägigen Literatur deutlich getrennt werden (A – C; vgl. Honneth 1998). Die grundlegendste Ebene bzw. Dimension der Anerkennung bezieht sich auf die Konstitution und soziale Instituierung einer Person (A), der bereits bei ihrer Aufnahme unter die Lebenden (typischerweise vor allem in eine familiale Lebensform, in der sich die sog. primäre Sozialisation vollzieht) als jemandem ein scheinbar unanfechtbarer Status eingeräumt werden soll11, den sie nicht erst zu er10

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Das Blanchot-Zitat sollte freilich nicht so gelesen werden, als laufe es nach bewährtem Muster auf eine Integration der fraglichen Fremdheit in die Anerkennung hinaus. Wenn die Fremdheit nur eine umbenannte Gemeinsamkeit ist, wird sie letztlich dialektisch wieder eskamotiert; vgl. Blanchot 1991, S. 105, 115, 129; sowie Waldenfels 2006, S. 76 f. Bei näherem Hinsehen zeigt sich indessen, wie umstritten die Deutung dieses Prozesses ist. Ch. Taylor behauptet, so werde der „Wert“ der menschlichen Person durch Anerkennung bezeugt. Andere sprechen davon, die Anerkennung stifte originär menschliche Personalität im Akt der Aufnahme in eine Anerkennungs-

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kämpfen braucht.12 Davon ist (B) die Anerkennung in der Sphäre des Rechts zu unterscheiden, das die sog. „äußere Freiheit“ im Zeichen der Gleichheit regelt. Darüber hinaus geht es (C) in der Sphäre gesellschaftlicher Wertschätzung darum, sich als dieser oder jener in seiner individuellen Identität anerkannt zu wissen (vgl. Ricœur 2006, S. 235, 310).13 Diesem grob vereinfachten, weder verschiedene Lebensformen noch institutionelle Kontexte berücksichtigenden Modell14 zufolge würde sich vor allem in einer familialen Lebensform die Konstitution eines sozialen Wesens vollziehen, dem unter den rechtlich garantierten Bedingungen der Gleichheit dann der Weg offen stehen wür-

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gemeinschaft. Doch soll dieser Akt auf einen vorgängigen Anspruch des Anderen antworten, der ihm von sich aus bereits zukommt (vgl. Spaemann 1996). Demzufolge würde die soziale Instituierung der Person ihrerseits auf ein responsives Geschehen im Verhältnis zu dem ursprünglich fremden Wesen antworten, als welches das Kind zur Welt kommt, ohne schon Person zu sein. So wird die Anerkennung als Zuerkennen, nicht als Verleihung eines Anspruchs begriffen, der Anderen nicht zur Disposition stehen soll. Vgl. dazu Schnädelbach 2000, S. 150; wo die Anerkennung demgegenüber auf das Verhältnis zwischen kämpferisch eingestellten Freiheiten beschränkt wird, während mit Blick auf die Familie festgestellt wird, hier finde „nur Erkennen statt“ – „ohne Gegensatz des Willens“ (Hegel); vgl. Ricœur 2006, S. 230. Solche schematischen Aufteilungen können heute gewiss nicht mehr befriedigen. An anderer Stelle bezweifelt der Autor selbst, ob Anerkennung immer das Resultat eines Kampfes sein müsse (S. 113). Demgegenüber erweckt noch J. Derrida den Eindruck, nicht nur sozialer Kampf, sondern Krieg beginne bereits in der Familie („mit dem Kind“, heißt es hier, ebd., S. 140 ff.). Nur die Beziehung zwischen Bruder und Schwester scheint davon ausgenommen (ebd., S. 166 f.). So erspart man sich jegliche Mühe einer phänomenologischen Revision des Sinns der asymmetrischen primären Anerkennung, die in der Aufnahme eines Neugeborenen liegt. Ricœur spricht hier irreführenderweise von dem Ziel, „Gewissheit“ hinsichtlich der eigenen Identität zu erlangen. Doch die kardinale Identitäts-Frage, wer man ist, erlaubt, wenn sie im praktischen Modus der Selbst-Bezeugung beantwortet werden muss (Ricœur 2006, S. 124, 180, 310), gar keine solche Gewissheit (jedenfalls nicht im cartesianischen Sinne). Im Übrigen ist nicht zu erkennen, wie sich die Pluralität sozialer Kontexte, an denen das Selbst teil hat, mit einem solchen Ziel vereinbaren lassen soll. Zum Teil liegt es nahe, A – C als Entwicklungsstufen der Anerkennung zu verstehen, zum Teil ist aber auch von Dimensionen und von verschiedenen Sphären der Anerkennung die Rede, die mehr oder weniger von Anfang an die Geschichte jedes Einzelnen in verschiedenen Lebensformen und institutionellen Kontexten, etwa pädagogischen, bestimmen. Tatsächlich geschieht die absolut asymmetrische Anerkennung des Neugeborenen in einer familialen Lebensform so, dass sie zugleich einer erst werdenden Person gilt und deren rechtlichen Status betrifft. Darüber hinaus antizipiert die Anerkennung des Kindes als eines werdenden Selbst dessen unverfügbare künftige, eigene Geschichte (vgl. Liebsch 2005). Deshalb ziehe ich es vor, A – C als Dimensionen der Anerkennung zu verstehen, deren genetische und durch soziale Sphären bedingte Ausprägungen differenziell zu betrachten wären.

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de, in einem lebenslangen Prozess um seine Anerkennung als individuelles Selbst zu kämpfen, das allerdings die ungeklärte Frage aufwirft, ob sich überhaupt eine Form der Anerkennung vorstellen lässt, in der seine Alterität und Fremdheit „aufgehoben“ wäre. Judith Butler meint, es gehe im Prozess der Anerkennung nicht allein darum, etwa eine ursprünglich gestiftete Anerkennung nur sekundär zu bestätigen. Vielmehr stehe im „performativen“ Geschehen der Anerkennung der Andere als Anzuerkennender immer wieder rückhaltlos auf dem Spiel (vgl. Butler 2001). Eine Anerkennung, die nicht durch fortwährendes praktisches Anerkennen einzulösen sei, wäre in dieser Sicht pure Fiktion. Demnach kann sich niemand auf einer einmal erfolgten Anerkennung ausruhen und sie auf Dauer für gesichert halten. Wenn die Anerkennung nicht erneuert und dadurch bezeugt wird, muss sie demzufolge verblassen – bis es den Anschein hat, als sei sie nie erfolgt. Ob das für alle drei Ebenen bzw. Dimensionen der Anerkennung gleichermaßen zutrifft, bleibe vorerst dahingestellt. Gewiss aber trifft Butlers Einschätzung auf die Anerkennung im gesellschaftlichen Kontext dessen zu, was man im allgemeinen als Wertschätzung bezeichnet. Sie ist auf dem „Markt“ sozialer Achtung (Luhmann 1978) am meisten umkämpft, erweist sich aber zugleich als äußerst unbeständig und flüchtig. Während auf der ontogenetisch primären Ebene die Anerkennung im günstigsten Fall einseitig gewährt wird wie eine Gabe15, fällt sie in dem Moment, wo jemand ins gesellschaftliche Feld umkämpfter Wertschätzung eintritt, scheinbar in nichts zusammen. Das individuelle Selbst ist demnach nichts, wenn es sein Anerkanntsein nicht Anderen abzunötigen versteht. So wird es den Normen der Anerkennung „unterworfen“, wie Judith Butler schreibt. Es muss nach Anerkennung begehren, wenn es nur als anerkanntes auf dem Markt komparativer Existenz bestehen kann.16 So verkehrt sich die in der familialen Liebe angeblich ursprünglich bedingungslose Anerkennung ins schiere Gegenteil. Was die Liebe unentgeltlich und sogar ohne die geringste Rücksicht auf irgendeine moralische Ökonomie (wie die der Dankbarkeit) zu gewähren schien, 15

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Während Ricœur mit Blick auf Levinas die Asymmetrie einer an-ökonomischen (nicht als „Kredit“ zu gewährenden und nicht zu kapitalisierenden) Gabe in die Reziprozität der Anerkennung einzufügen versucht (Ricœur 2006, S. 275-305), geht Sartre davon aus, diese werde bereits in der Gabe vorausgesetzt (Sartre 2005, S. 646). Die anerkennungstheoretische Literatur ist in dieser Hinsicht m.E. noch weit entfernt von einer überzeugenden Konzeption. Allerdings ist die Frage, ob sich aus dieser Form der Subjektivierung als einer Unterwerfung unter die Dynamik der Anerkennung nicht ein tiefer Vorbehalt gegen die Anerkennung selbst und ihre Bedingungen speist.

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erweist sich in der komparativen Existenz buchstäblich als wertlos. Selbst wenn man als Person unbedingte Aufnahme gefunden und deren erneute, nachträgliche Bestätigung nach unvermeidlichen Krisen immer wieder erfahren hat, begründet das keinerlei Ansehen auf dem Markt gesellschaftlichen Lebens, das überhaupt keine Anerkennung mehr kampflos gewährt. So ist jede tatsächlich erreichte Anerkennung von vornherein entwertet in dem Wissen, dass sie ohne eigene Anstrengung womöglich niemals gewährt worden wäre. Deshalb fragt sich Ricœur, ob der Kampf um Anerkennung nicht unweigerlich in der Form eines endlos „unglücklichen Bewusstseins“ stattfinden muss, dessen Verlangen letztlich nicht zu befriedigen sein wird (Ricœur 2006, S. 273, 303). Dabei fließt unausgesprochen die Prämisse ein, das Selbst werde im Feld umkämpfter Wertschätzung (vergeblich) nach einer Entschädigung für die unvermeidlich eingebüßte unbedingte und ungeteilte Anerkennung suchen, die es im Kontext einer familialen Lebensform zunächst erfahren haben mag.17 Möglicherweise verhält es sich indessen genau umgekehrt: so nämlich, dass gerade der ursprüngliche Mangel an dieser Anerkennung zu dem fatalen und tragikomisch von Geltungssüchtigen in Szene gesetzten Missverständnis führt, soziale Reputation, Ansehen und Ehren könnten Ersatz für eine verfehlte oder ganz versagte Liebe bieten, die nachträglich wie ein gebrochenes Versprechen unbedingter bzw. vorbehaltloser Aufnahme unter die Lebenden erscheint. Zugleich könnte diese Hypothese das tiefe (aber in gewisser Weise kindische) Ressentiment erklären, das ein unglückliches Bewusstsein gegen jede Anerkennung hegt, die allenfalls mehr oder weniger teuer bezahlte und zudem höchst vergängliche und begrenzte Wertschätzung, aber niemals mehr kampflose Anerkennung des Selbst in Aussicht stellt. Anerkennung, die ursprünglich kampfloses Anerkanntwerden verspricht, aber niemals ihr Versprechen hält (und womöglich gar nicht halten kann), zieht schließlich sogar Verachtung auf sich. Liegt darin nur ein Missverständnis ihrer Logik, wenn man sich insgeheim weit mehr (nämlich Liebesersatz) von der Anerkennung verspricht, als sie je leisten kann? Ein unglückliches Bewusstsein muss sich offenbar in die „schlechte Unendlichkeit“ eines Verlangens verstricken, dessen Unstillbarkeit es nicht realisiert. Immerfort entzieht sich ihm die Wirklichkeit 17

Hier mischen sich allerdings in fragwürdiger Art und Weise spekulative Begrifflichkeit und empirische Hypothesen. Häufig mit der Nebenfolge einer fatalen Idealisierung der Familie als einer vorbildlichen Anerkennungsgemeinschaft. Ich unterstelle hier im Übrigen in keiner Weise, dass jene ursprüngliche Anerkennung nur in einer konventionellen bürgerlichen Lebensform erfolgen kann.

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eines befriedigenden Anerkanntseins in eine flüchtige Zukunft, der es doch, wie ein Süchtiger, nachläuft, ohne die geringste Vorstellung davon, was eine effektive Anerkennung überhaupt bedeuten würde und wie das Verlangen zu erfüllen wäre. Selbst ausdrückliche (und in dieser Form seltene) Akte der Anerkennung können eine Sucht nach Anerkennung nicht befriedigen. Sie bewirken nicht, dass die Anerkannten sie als solche anerkennen können und sich auf Dauer anerkannt wissen werden. Man mag die Sucht nach persönlicher Anerkennung, deren epidemische Ausbreitung von Soziologen diagnostiziert wird, für eine Pathologie halten. Sie wirft aber die grundsätzliche Frage auf, ob durch die Anerkennung als Person (A) und durch die Anerkennung, die man als Rechtssubjekt18 erfährt (B), für die Anerkennung überhaupt viel gewonnen ist, nach der ein individuelles Selbst begehrt (C). Mehr noch: Regelt das Recht lediglich das äußere Zusammenspiel heterogener Freiheiten, so kann es sich durchaus mit einer negativen Sozialität vertragen, in der man einander in der Gesinnung eines „Volks von Teufeln“ begegnet.19 Sichert es nur den äußeren Rechtsfrieden, so bleibt es Kant zufolge (dem wir bekanntlich diese Prägung verdanken) ganz und gar offen, in welcher moralischen Einstellung die Bürger einander begegnen. In dieser Hinsicht erscheint vieles denkbar: von der Gleichgültigkeit über die Geringschätzung bis hin zur Verachtung und darüber hinaus (bis zum Hass). Es wäre demnach durchaus vorstellbar, dass als Rechtssubjekte anerkannte Personen einander mit Verachtung begegnen. Schließen sich also Anerkennung und Verachtung keineswegs gegenseitig aus?

III. Anerkannt und dennoch verachtet? Abgesehen vom Hass stellt Verachtung die vielleicht stärkste Herausforderung für soziales Leben dar, weil sie wie jener – aber vielfach 18

19

Ich sehe hier davon ab, dass speziell Hegel den Begriff der Person durch den Begriff eines „Trägers von Rechtsansprüchen“ erläutert. Der Rückblick auf Kant dient im Folgenden nur zur Erhärtung des Verdachts, dass Anerkennung und Verachtung gewissermaßen verschwistert auftreten können. Dass etwa Hegel den Kantischen Rechtsbegriff nicht teilt, versteht sich von selbst. Dass man allerdings heute den Hegelschen Begriff als Begriff eines objektiven Geistes rekonstruieren könnte, der nicht etwa nur gewisse gesellschaftliche Sphären „durchsetzt“, sondern geradezu konstituiert als eine ihnen immanente (und sich dann eigensinnig auch geschichtlich entfaltende) Rationalität, scheint mir zweifelhaft (vgl. Honneth 2001, S. 32 f., 59, 91).

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weit subtiler – bis zur Aufkündigung eines sozialen Verhältnisses zum Anderen selbst gehen kann, ohne dabei unbedingt mit Recht und Gesetz in Konflikt zu geraten.20 Man muss nichts tun, was strafbar wäre, und kann Anderen doch im Geist einer Verachtung begegnen, die sie herabsetzt, gering schätzt oder ihnen jeglichen „Wert“ abspricht (vgl. ausführlich dazu Liebsch 2007b). Selbst mit Kant, der bekanntlich die Würde eines jeden (und die auf sie gegründete Achtung der „Menschheit“) vom relativen „Preis“ oder Wert trennt, den man in der Achtung Anderer genießt, wäre es denkbar, Andere zwar nicht als würdelos, wohl aber als minderwertig oder wertlos zu verachten. Die Anerkennung Anderer als Menschen und Personen bräuchte so gesehen ihrem Verachtetwerden im bürgerlichen Leben nicht im Wege zu stehen (Kant 1977, §§25, 37, 39). Und Anerkennung als bürgerliches Rechtssubjekt muss keineswegs Verachtung in einer speziellen Hinsicht ausschließen, die sich auf verächtliches Verhalten gründet. Wer sich schamlos gleichsam selbst wegwirft, sich durch Opportunismus oder Intriganz selbst erniedrigt oder durch fortgesetzte Scheinheiligkeit als Heuchler entlarvt, hat, so scheint es, die Verachtung selbst verdient, mit der er bedacht wird. So genannte kalte Verachtung bedeutet, die Verächtlichkeit, die sie feststellt, sei nicht etwa dem Verächter, sondern allein dem Verachteten zu verdanken. Die Verachtung reduziert sich in diesem Falle auf eine bloße Feststellung dessen, was als Verächtliches vorliegt. Demgegenüber macht die heiße Verachtung erst verächtlich, was sich von sich aus (in der Perspektive Dritter) keineswegs als objektiv Verächtliches darstellt. Sie lässt Verachtete durch Abwertung und Entwertung so tief fallen und als derart gering erscheinen, dass sie als Nichtswürdige erscheinen, die keinerlei Achtung verdienen. Als Menschen mögen sie dann noch gelten, aber das erscheint nicht als ihr Verdienst. Alles, was sie selbst, als individuelle Personen, ausmacht, zieht sich demgegenüber heiße Verachtung zu, wenn die Verachtung die ganze Person (oder den „Charakter“) der Anderen erfasst. 20

Ich verstehe Verachtung hier nicht als bloße Missachtung. Letztere setzt das, was zu achten wäre, bereits voraus. Der Begriff verleitet dazu, in der Missachtung lediglich eine verfehlte Achtung zu sehen. Weit radikaler kann aber die Verachtung auch das zu Achtende selbst leugnen. Und sie kann destruktive Formen annehmen, denen man nicht Rechnung tragen kann, wenn man in der Verachtung nur einen Mangel an Achtung erkennt. Diese Deutung legt demgegenüber Honneth nahe, der Missachtung als Mangel an Achtung für bestimmte menschliche Eigenschaften begreift, und sie geradezu als „Anerkennungsvergessenheit“ einstuft (Honneth 2005, S. 15-23).

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Wie der Hass kann diese Verachtung sprichwörtlich „glühen“ und erweist sich darin zutiefst mit dem Verachteten verstrickt – so als ob die Verächter nicht existieren könnten ohne diejenigen, die sie verachten. Genau das leugnet die kalte Verachtung, die allein die objektive Verächtlichkeit der Verachteten festzustellen meint, sich selbst aber souverän über sie erhaben dünkt. Heiße Verachtung kann sich niemals zu einer Vergleichgültigung der Verachteten durchringen und bleibt von ihnen so sehr abhängig, dass der Verdacht geweckt wird, ohne die Verachtung und die Verachteten könnten die Verächter gar nicht auskommen. Demgegenüber leugnet die kalte Verachtung, dass die Verachtung für die Verächter selbst im Geringsten notwendig sein könnte. Das führt zu der Frage, wofür man sich Verachtung zuzieht. Verächter geben niemals zu, Andere für nichts zu verachten. Nie ist die Verachtung um ihren Grund verlegen. Durch Berufung auf ihren Grund hält sie sich aufrecht und wird zur gewohnheitsmäßigen Struktur, zur Hexis einer Lebensform und zum Habitus eines Lebens in Verachtung Anderer. Doch wofür werden Andere verachtet, worauf gründet sich Verachtung? Worauf kann sie sich überhaupt gründen und was rechtfertigt sie womöglich? Sollte sich Verachtung überhaupt nicht rechtfertigen lassen, fällt sie dann nicht ganz und gar auf die Verächter selbst zurück? In diesem Falle wäre überhaupt nichts objektiv verachtenswert und die Verachtung würde nur einen moralischen Irrweg der Verächter bedeuten, die sich zu einer moralischen, kaum zu überbietenden Disqualifikation Anderer hinreißen lassen. Genau darauf scheint die Verachtung in ihren extremsten Formen hinauszulaufen: dass die Verachteten ihr moralisches Gesicht verlieren. In ihrer verachteten Nichtswürdigkeit werden sie in den Augen ihrer Verächter endgültig zu moralischen Un-Personen. Was immer sie fortan sagen oder tun werden, wird nur ihre Verächtlichkeit bestätigen. Den einmal und endgültig als schamlosen Opportunisten entlarvten Intriganten wird auch keine noch so sehr betonte Ehrlichkeit mehr retten können. Sie bestätigt nur die weit gediehene Verstellung, von der sich der Verächter nicht täuschen lässt, glaubt er doch zu wissen, was sich hinter der Maske einer demonstrativen Ehrlichkeit und Anständigkeit verbirgt. Für Kant handelt es sich in dem Fall, wo Andere nicht nur in ihrem Ansehen (oder in ihrem relativen bürgerlichen „Wert“) entwertet, sondern geradezu als Personen durch Verachtung entwürdigt werden, um Hochverrat an der Menschheit des Anderen, dessen sich der absolute Verächter schuldig macht. Verachtung in diesem radikalen Sinne kann für Kant schlechterdings nicht erlaubt sein. Sie ist

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zwar subjektiv möglich, fällt aber auf den Verächter selbst zurück, der sich überdies hinsichtlich der Verachtbarkeit des Anderen selbst täuscht. Wenn die Würde des Anderen tatsächlich unantastbar ist und keiner relativen Wertschätzung unterliegt, dann ist streng genommen niemand radikal verachtbar. In seiner menschlichen Würde könnte und dürfte also kein Anderer je absolut verachtet werden. Was wir gewöhnlich Verachtung nennen, wäre demgegenüber als geringe oder fehlende bzw. dem Anderen entzogene Wertschätzung zu verstehen. Und was wir in diesem Sinne auch als Entwertung zu bezeichnen pflegen, wie sie bereits ein flüchtiger geringschätziger Blick anzeigen kann, betrifft in einem kantischen Verständnis stets nur den relativen, niemals den absoluten Wert des Anderen. Nur als solche könnte sie ggf. gerechtfertigt erscheinen. So gesehen kann man also Personen als solche streng genommen nicht (radikal) verachten. Ihre Anerkennung würde dem nur Rechnung tragen. Gleichwohl könnte man Anderen, ungeachtet ihres Anerkanntseins als Personen, weitgehend Wertschätzung entziehen und sie in diesem Sinne durchaus verachten. So würden Andere ungeachtet ihrer Anerkennung verachtet und ihre Anerkennung würde sie in keiner Weise davor bewahren, in ihrem „Wert“ für Andere dennoch abschätzig, geringschätzig, herablassend und am Ende verächtlich beurteilt und behandelt zu werden. Wofür nun aber? So souverän sich auch immer ein Verächter über einen Verachteten erhaben dünkt, nie wird er zugeben, der Grund der Verachtung liege womöglich allein in ihm selbst.21 Vielmehr macht der Verächter stets glauben, nur das am Verachteten selbst Verächtliche mit Verachtung zu quittieren. Worin aber liegt dieses Verächtliche? Offenbar können Dinge nicht im engeren Sinne verachtet werden. Misst man gewissen Dingen keine Bedeutung zu oder schätzt man sie gering, so handelt es sich doch niemals um eine Verachtung, die das Verachtete selbst treffen könnte. Gerade das aber gehört scheinbar wesentlich zur Verachtung: dass sie als solche auf der Seite des Verachteten zu realisieren ist. Verachtung „gelingt“ gewissermaßen nicht befriedigend, wenn sich niemand verachtet erfährt. So ist sie stets an das Selbst Anderer adressiert und bleibt unerfüllt, wenn nur das verachtende Subjekt um seine Verachtung weiß, aber hinnehmen muss, dass das Objekt seiner Verachtung selbst völlig unberührt von ihr bleiben kann. Paradoxerweise steigert indessen gerade das die Intensität der unbefriedigten Verachtung, die in der Ahnungslosigkeit des Verachteten, der nicht einmal weiß von 21

Genau das suggeriert aber Nietzsches Begriff souveräner Verachtung!

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seiner „objektiven“ Verächtlichkeit, nur eine Bestätigung dieser moralischen Disqualifikation erkennt. Der Verachtete, der seine Verächtlichkeit nicht realisiert, scheint noch weniger „wert“ als derjenige, der immerhin angesichts seines Verachtetwerdens leben und der Verachtung standhalten muss. Während in diesem Fall die Verachtung ihr Ziel erreicht, sich darin befriedigt weiß und so gelingt, muss die auf eine innerliche Haltung beschränkte Verachtung, die Andere nicht effektiv treffen kann, unbefriedigt bleiben und gewinnt gerade dadurch immer neue Nahrung. Sie muss durch gesteigerte innere Verachtung gleichsam dafür entschädigen, dass sie dem Verachteten die Wahrheit seiner Verächtlichkeit nicht mitteilen kann. So erweist sich der Verächter, der vermeintlich moralisch hoch über dem Verachteten steht, als zutiefst mit ihm verstrickt. Um von dieser Verstrickung loszukommen, kämpft darum das verachtende Subjekt um eine souveräne Haltung, die es glauben macht, es sei in keiner Weise selbst davon abhängig, seine Verachtung dem Verachteten auch wirklich zeigen zu müssen.22 Dabei verstrickt es sich aber in eine Aporie: wie soll es möglich sein, souverän, aber intensiv und tief, im Extremfall „abgrundtief“, zu verachten und dabei doch in keiner Weise abhängig zu werden vom Verachteten als solchen? Aus der Abhängigkeit wird man sich umso weniger lösen können, wie sich der Grund der Verachtung (bzw. ihr Wofür) als mit dem Selbstverständnis des Verächters verflochten erweist. Wo das Selbst des Verächters nicht direkt berührt ist, mag ein kaum zu bemerkender, einmaliger Blick oder die Spur eines verächtlichen Lächelns genügen, um eine moralische Disqualifikation zum Ausdruck zu bringen, die ggf. folgenlos bleibt. Anders verhält es sich, wenn die Disqualifikation einen moralischen Unterschied tangiert, ohne dessen Aufrechterhaltung das Selbst sozusagen nicht mehr wüsste, wer es ist. Würde sich der besagte Unterschied nicht aufrecht erhalten lassen, müsste es folglich sein moralisches Gesicht verlieren. Je größer diese Gefahr, desto schärfer wird die Verachtung ausfallen, um diese unannehmbare Möglichkeit auszuschließen. Die eigentümliche Nähe dessen, was verachtet wird, zum eigenen Selbstverständnis des Verächters korrespondiert bemerkenswert mit der Tiefe einer Verachtung, die unbedingt einen moralischen Unterschied aufrecht erhält, ohne den sie nicht bestehen könnte.23 So dient 22

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In Anlehnung an Schopenhauer wäre dieser Fall als reine Verachtung einzustufen, vgl. Schopenhauer 1986, §324, S. 693. Da es hier lediglich um einige Aspekte des Verhältnisses von Anerkennung und Verachtung geht, verzichte ich darauf, an dieser Stelle eine genauere Phänomenologie jener Nähe zu skizzieren. Nur am Rande sei deshalb auf Aurel Kolnais

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die Verachtung einer exklusiven moralischen Selbsterhaltung und bringt zugleich deren eminente Bedrohung zum Vorschein, die ohne jene Nähe nicht zu denken wäre. Weder diese Nähe noch jene Tiefe aber liegen in einem objektiven Verhältnis einfach vor. Zwar kann Verachtung auf eine festgestellte unannehmbare Differenz reagieren, doch oft genug stellt sie diese erst her, um eine Nähe zu leugnen, aus der allein sich die Tiefe des Gefühls erklärt. Nur wo eine quasi verwandtschaftliche Nähe zum Verachteten wenigstens intuitiv realisiert wird und nicht etwa schiere Gleichgültigkeit im Verhältnis zum Anderen vorliegt, bedarf es der Verachtung, um durch deren Tiefe angesichts dieser Nähe für Distanz zu sorgen. Gerade ein um seine eigene Nacktheit wissendes und sich ihrer schämendes Leben bedenkt ein anderes mit Verachtung, das sich schamlos entblößt (vgl. Blumenberg 2006, S. 778). Die Schamlosigkeit ist aber keine der Entblößung sozusagen anhaftende Eigenschaft, sondern wird erst in einer schamhaften oder beschämten Realisierung der eigenen Nacktheit als solche konstituiert. Ohne diese spezielle, keineswegs naturgegebene Realisierung der Nacktheit würde es weder die Nähe zur Entblößung des Anderen noch die subjektive Notwendigkeit geben, sie im Sinne eines absoluten moralischen Unterschieds zu disqualifizieren. Wo eine solche Disqualifikation vorliegt, betrifft das Wofür der Verachtung in der Sicht des Verächters das, was menschliches Leben überhaupt ausmacht.24 Wer die entsprechende Grenzlinie übertritt, wirft sich scheinbar selbst weg. Und wer das nicht realisiert, kennt offenbar nicht einmal den Unterschied zwischen menschlichem und nicht-menschlichem oder un-menschlichem Leben. D. h. das Verächtliche liegt wiederum ganz im Verachteten selbst. Die Verachtung scheint das Wofür der Verachtung nicht zu konstituieren, sondern nur zu quittieren. Dabei ist jener Unterschied keineswegs durch die Anthropogenese ein für allemal eindeutig markiert. Alle Versuche, im Rekurs auf

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Vorschlag hingewiesen, diese Nähe durch einen in „erkalteter“ Verachtung ggf. nahezu unkenntlich gewordenen Ekel zu erklären; Kolnai 2007, S. 9, 57. Der Autor begreift die Verachtung im Übrigen als Hybris bzw. als „hochmütigen“ Ausdruck eines „moralischen Verwerfungsgefühls“ (ebd., S. 56-8), das sich seiner selbst normativ völlig sicher sei. Kolnai untersucht aber nicht weiter, inwieweit die gefühlte Intention der Verachtung das Verächtliche konstituiert und verächtlich macht. An dieser Stelle zeigt sich, wie schwer, wenn nicht unmöglich es ist, den Unterschied zwischen der Anerkennung des Anderen hinsichtlich seiner Würde einerseits und der Dimension seines relativen Wertes andererseits, in der er völlige Verachtung erfahren kann, aufrecht zu erhalten.

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minimale Konstituentien Konturen einer „allgemein-menschlichen“ Lebensform zu ermitteln, kranken daran, dass es im Leben selbst entscheidend darauf ankommt, wie sie zum Bestandteil einer solchen Lebensform werden (vgl. Nussbaum 1999). Menschen haben nicht nur bestimmte Bedürfnisse, sondern stillen sie auch auf (sub-)kulturell spezifische Art und Weise. Was die einen noch für Essen halten, gilt für die anderen längst als Fressen; und wo die einen noch zu wohnen meinen, herrscht für die anderen bereits „asoziale“ Verwahrlosung. Usw. Die besondere Schärfe solcher Bewertungen markiert einen „kategorischen“ Unterschied zu Anderen, die ihren Verächtern gerade dadurch nahe gehen, dass sie sich auf eine Art und Weise disqualifizieren, die an die Form menschlichen Lebens selber rührt. Tiefe Verachtung läuft dann darauf hinaus, mit den Verachteten nichts mehr gemeinsam haben zu wollen – nichts oder allenfalls noch die Tatsache, es mit (verächtlichen) menschlichen „Subjekten“ zu tun zu haben, denen aber jede Anerkennung und Wertschätzung als Mitbürger oder individuelles Selbst entzogen wird. Es wäre allerdings weltfremd, zu glauben, zwischen der Anerkennung als Mensch, als Mitbürger und individuellem Selbst verliefen eindeutige und klar erkennbare Grenzen. Die einen können sich gerade dadurch bereits als Menschen verachtet sehen, dass ihnen die anderen „nur“ jeglichen individuellen oder bürgerlichen Wert abzusprechen glauben. Daran ändert auch der Rückgriff auf Surrogate des Asozialen wie Pöbel und Unterschicht oder auf euphemistische Neologismen wie „Prekariat“ nichts.25 Während solche Begriffe noch das Bild einer eindeutig vertikal geschichteten Gesellschaft evozieren, hält sich die Verachtung im bürger25

Und genauso wenig wie die neuerdings festzustellende Verschiebung der Kategorie des Asozialen auf eine Klasse, die sich von jeglicher sozialen Verpflichtung ihres ökonomischen Handelns scheint entbunden zu haben. Weit mehr noch als diejenigen, die aus eigener Kraft nur noch mit Mühe oder gar nicht mehr zu „bürgerlichen“ Lebensformen finden (aber sonst niemandem schaden), haben Finanzspekulanten mit den von ihnen angerichteten ökonomischen Desastern zu regelrechten Epidemien der Verachtung Anlass gegeben. Auch die „Blickrichtung“ einer Phänomenologie der Verachtung sollte sich auf jeden Fall vor einer (impliziten) moralischen Überheblichkeit in Acht nehmen, die nahe liegt, wenn sie die Anlässe und Gründe der Verachtung nur „unten“ auf einer imaginären sozialen Stufenleiter ausmacht und benennt. Genau das schien noch Nietzsches Apologie einer „aristokratischen Werthungsweise“ nahe zulegen, die sich auch im Verachten „nicht verleugnet“. Sie benutzt Ausdrücke wie „unglücklich“ und „bedauernswürdig“, um in einer für die Verachteten fast unverständlichen Sprache wissen zu lassen, was von ihnen moralisch zu halten ist. Nichts nämlich (vgl. Nietzsche 1980, S. 271 f.)

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lichen Leben selbst längst nicht mehr an vorgegebene Klassengrenzen, die vielfach von einer Pluralität heterogener Lebensformen unterlaufen oder überschritten werden. Dadurch wird es unvermeidlich schwieriger, wenn nicht unmöglich, sich unter Berufung auf die Zugehörigkeit zu vertikal klar gegliederten sozialen Ordnungen von Anderen im Modus der Verachtung abzuheben. So verbreitet und stark die Neigung auch nach wie vor ausgeprägt sein mag, sich in einer vertikalen Perspektive als Bessergestellter und infolge dessen als „besserer Mensch“ zu fühlen – in sich nicht mehr eindeutig stratifizierte Gesellschaften machen es doch schwierig (und zugleich für viele gerade dadurch nötiger), Andere moralisch unter sich zu wissen. Das mag erklären, wie man sich müht, die gesuchte Niveaudifferenz erst durch Verachtung moralisch Diskreditierter zu etablieren, weil man sie gerade nicht als objektiven, sozialstrukturell fundierten Unterschied vorfindet. Auch in diesem Fall aber verheimlicht die Verachtung gewissermaßen vor sich selbst, welchen Anteil sie ihrerseits an der Konstitution des Verachteten hat. Nichts wird der Verachtung derart unbequem wie diese Einsicht. Die Verachtung gibt stets vor, nur objektiv Verächtliches zum Vorschein zu bringen und moralisch angemessen zu quittieren. Dass das Verächtliche selbst sich dem Blick dessen verdanken könnte, der sich moralisch über es erhaben wähnt, kommt nicht in Betracht. Denn das hieße, dass das für an sich verächtlich Gehaltene so womöglich nur erscheint, weil es zuvor verächtlich bzw. verachtenswert gemacht wurde. Phänomenologisch spricht allerdings nichts dafür, dass dieser subjektive Anteil an der Verachtung je gänzlich fehlen könnte. In der Welt gibt es nichts objektiv Verächtliches. Und eine soziale Welt kann es nur als zwischen-menschliche geben, indem Menschen einander als Andere und Fremde begegnen. So muss sich alles, was bislang als Verachtung diskutiert wurde, als Prozess der Etablierung mehr oder weniger starrer und tiefgreifender moralischer Differenzen in Relationen verstehen lassen, die moralische Diskreditierung zulassen, aber nicht von sich aus vorgeben. Und zwar so wenig, dass prima facie niemand davon ausgenommen zu denken ist, Gegenstand der Verachtung Anderer zu werden, sei es vorübergehend, sei es auf Dauer, sei es als Einzelner, sei es als Angehöriger einer verachteten Gruppe, eines Geschlechts, einer Ethnie, eines Volkes, einer Nation, einer Religion oder einer ggf. durch kollektive Verachtung erst formierten Rasse.26 Dabei kommt als Wofür der Verachtung 26

Ein bezeichnendes Beispiel in diesem Sinne ist die erstaunlich flexible Anwendung rassistisch-biologistischer Begriffe aus dem Arsenal der NS-Ideologie auf

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ein kontingenter Anlass, ein bestimmtes Tun oder auch das bloße Sein Anderer in Betracht, das, wenn es im Ganzen verachtet wird, wiederum an die Grundfrage rührt, ob sich in Menschen, die allesamt Gegenstand der Verachtung Anderer werden können, dennoch irgend etwas der Verachtbarkeit entzieht. Kant schien sich dessen sicher zu sein, wo er vom absoluten Wert, d. h. von der Würde des Menschen sprach. Doch praktisch ist deren Achtung nur zu „erzeigen“ (wie Kant formulierte), nicht zu beweisen. Dass Andere nicht bis ins Letzte zu verachten sind, ist gleichfalls nur performativ zu bezeugen, und nicht argumentativ dergestalt sicherzustellen, dass man dem radikalen Verächter Anderer ein Missverständnis nachweisen könnte, das darin liegen würde, dass er eigentlich Unverachtbares mit Verachtung belegt.

IV. Verachtung der Anerkennung Die Frage, was sich der Verachtbarkeit entzieht, führt uns also in ungewisses Terrain. Auch die Würde des Menschen hat man schließlich als humanistische Sentimentalität verspottet und zum Gegenstand der Verachtung gemacht. Dabei ist nicht nur an gewisse menschenverachtende Verbrechen zu denken, die als derart eingestufte immer noch den Maßstab der Würde als dasjenige voraussetzen, wogegen sie verstoßen haben. Vielmehr ist auch dieser Maßstab als solcher in Zweifel gezogen worden. So hat uns Nietzsche eine souveräne Verachtung empfohlen. Nicht aber als Verbrechen oder gar als Verächtlichkeit aus purem Ressentiment, sondern als Ausdruck einer radikalen Freiheit, die sich gerade das leistet, was die normale Verachtung sich einzugestehen weigert: Das Verächtlichmachen des Anderen aus freien Stücken, das auch ihm nicht zu verwehren ist. Damit setzt sich Nietzsche ohne Umschweife über die seiner Meinung nach überwiegend ressentimentgeladenen Formen moralischer Diskreditierung und Distinktion (Simmel) hinweg und redet der Verachtung eines mediokren, die eigenen Landsleute, die nach 1945 als Vertriebene auf gastliche Aufnahme im Westen Deutschlands angewiesen waren. Die vielfach eklatante Ungastlichkeit der Westdeutschen war offenbar nur zum Teil einer ökonomisch prekären Lage, inzwischen dokumentierten historischen Befunden zufolge aber mehr noch einem verbreiteten Bedürfnis nach neuen underdogs zu verdanken, nachdem sich die Angehörigen einer sog. Herrenrasse gerade erst die finale Verachtung ihres „Führers“ für ihre weltgeschichtliche Niederlage zugezogen hatten. Vgl. Kossert 2008, S. 75, 84.

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moralisch gezähmten, bürgerlichen Lebens selbst27 das Wort. Aber nicht etwa, um besser dazustehen als Andere, sondern um ganz und gar selbst und frei zu leben, statt sich in einem endlos unglücklichen Bewusstsein von Maßstäben sozialer Reputation, der Wertschätzung oder der Anerkennung abhängig zu machen und auf diese Weise letztlich der Selbstverachtung zum Opfer zu fallen (vgl. Nietzsche 1980, Bd. 5, S. 156, 368).28 Statt sich lange bei der Verächtlichkeit Anderer aufzuhalten oder sich dem Zwang zur sozialen Distinktion zu unterwerfen, die notfalls auch zur Verachtung greift, um das Selbst um jeden Preis von Anderen unterscheiden zu können, lenkt Nietzsche unseren Blick zurück von den Verachteten und von der Verachtung auf die Verächter selbst. Während die normale Verachtung glauben macht, sie habe ihren zureichenden Grund allein in der objektiven Verächtlichkeit des Verachteten, lehrt gerade der große Verächter Nietzsche, dass es die Verächter allzu oft bloß nötig haben, Andere zu verachten. Man braucht seiner „Lösung“ im Sinne souveräner Verachtung nicht beizupflichten, um doch in seiner Philosophie einen gewissen Beitrag zur Aufklärung über die Verachtung erkennen zu können, die vielfach vor sich verbirgt, was sie tut. Sie ist deshalb kaum mehr in der unendlichen Selbstgerechtigkeit ihrer Diskreditierung Anderer aufrecht zu erhalten, wenn sie mit der Einsicht konfrontiert wird, wie der Verächter mit dem Verachteten verstrickt ist und es sogar verächtlich macht. Aufklärung über Verachtung kann deutlich machen, wie das verachtende Subjekt davon profitiert, nach dem Motto: Wenn ich wenigstens auf jemanden herabsehen, ihn gering schätzen oder sogar verachten kann, dann bin ich (besser). Um mir wenigstens einen geringen Wert zu bescheinigen, genügt es demnach, irgend jemanden auszumachen, der sich für eine moralische Diskreditierung eignet. Indem ich diesen verachte, kann ich mich eines gewissen eigenen Wertes versichern. So ergibt sich eine neue Variation des cogito: ich verachte dich, also bin ich (besser). Je höher die Werte, die ich dabei für mich in Anspruch nehme, desto tiefer muss der Andere fallen. Je tiefer der Andere fällt, desto 27

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Bekanntlich zieht sich die Traditionslinie dieser Verachtung von Nietzsche über Ernst Jünger und Carl Schmitt bis weit in die Gegenwart hinein durch. Man mag freilich bezweifeln, ob sie je dem Anspruch gerecht geworden ist, sich vom Ressentiment zu lösen. Speziell Schmitt wird man dafür gewiss nicht als Vorbild gelten lassen können. Das macht nicht zuletzt das späte Glossarium (Schmitt 1991) deutlich. Siehe auch Nietzsche 1980, Band 9, S. 395: „Ich verachte jeden, der sein will wie ein Andrer“, heißt es in den Nachgelassenen Fragmenten der Jahre 1881-1889.

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höher komme ich selbst zu stehen. Darin liegt der Genuss der Verachtung. Wenn ich schon nicht steigen kann in der Achtung Anderer, so kann doch ein Anderer tief unter mir stehen; und zwar so sehr, dass ich ihm danken müsste dafür, überhaupt sozial, als jemand, zu existieren (was keine Selbstgewissheit, wie man sie aufs cogito zu gründen versuchte, je garantieren kann; vgl. Liebsch 2006). Aber so hängt der Verächter ganz und gar ab vom tief Verachteten und muss sich ständig mit dieser Tiefe befassen, um oben bleiben zu können, gemessen an seiner eigenen imaginären Skala. Eben diese Abhängigkeit muss nun aber den Genuss der Verachtung vergällen, wenn der Verächter, der sich durch moralische Diskreditierung weit über den Verachteten erhoben hat, realisiert, nicht loszukommen von der übergroßen Bedeutung, die ein durch Verachtung erniedrigtes Subjekt für ihn haben muss. Zudem bleibt er abhängig davon, dass die Verachteten die Verachtung wahrnehmen und in gewisser Weise als solche anerkennen, wenn er sich nicht mit einer reinen (innerlich bleibenden) Verachtung begnügen kann, sondern darauf aus ist, die Verachtung im Wissen der Verachteten ans Ziel kommen zu lassen, verächtlich zu sein. Während eine kalte Verachtung, die äußerlich nicht bekundet wird und scheinbar dessen auch nicht bedarf, Gefahr läuft, sich um ihren Erfolg zu bringen, hält die äußerlich bezeigte heiße Verachtung an ihrem eigentlichen Ziel fest, dass die Verachteten ihrerseits die ihnen entgegengebrachte Verachtung gegen sich wenden sollen. So käme das Verachtetwerden durch einen Anderen am Ende der Selbstverachtung gleich, in der sich der Verachtete selbst verurteilt. Die ganz und gar internalisierte Selbstverachtung bedarf schließlich keines äußeren Verächters mehr, um das Subjekt ohne jede Aussicht auf Rettung in der Verächtlichkeit festzuhalten. Das besorgt es selbst – unter dem verinnerlichten, in gewisser Weise anerkannten Blick des Anderen, den es schließlich sich zu eigen macht und auf sich zu werfen meint. Dann ist die Selbstverachtung vollkommen und macht jegliche Fremdverachtung entbehrlich. Nur wo die Selbstverachtung nicht so weit geht, bleibt immer noch ein Rest, der von unwiderruflicher Verächtlichkeit des Subjekts (in ihm selbst) nicht überzeugt ist. Daraus mögen Affekte wie Wut, Zorn und Hass keimen (wie schon Schopenhauer beobachtet hat), die sich für Verachtung an Anderen schadlos halten. Während diese heißen Affekte noch in der moralischen Inferiorität verharren, die dem Verachteten vom Anderen zugeschrieben wurde, kann der Diskreditierte auch durch Gegen-Verachtung mit seinem Verächter gleichzuziehen versuchen, um sich aus der Umklammerung dieser Unterlegenheit

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zu lösen, in der er durch den Blick des Anderen festgehalten wird. Wenn die Verachtung ein Übel ist, das sich als moralische Diskreditierung kaum überbieten lässt, so erscheint sie doch – gemäß einer uralten Psycho-Logik – weniger einschneidend, wenn der Andere durch Gegen-Verachtung (seiner selbst oder seiner Verachtung) auf das gleiche Niveau herabgezogen werden kann, auf dem er das verachtete Subjekt zu fixieren sucht. Das Risiko, sich in eine derartige destruktive Reziprozität zu verstricken, besteht für jede Verachtung, die äußerlich bezeigt wird und dem Anderen im Extremfall eine unwiderrufliche und absolute moralische Diskreditierung bedeutet. Das kann kein Verachteter, der sich nicht insgeheim längst selbst genauso tief verachtet, auf sich sitzen lassen, wenn ihm noch an einer minimalen Selbstachtung liegt. Gelingt es einer kalten Verachtung nicht, innerlich zu bleiben und nach außen völlige Vergleichgültigung des Verachteten zu demonstrieren, so provoziert sie die Gegenwehr der Selbstachtung, der nichts weniger hinnehmbar erscheint, als sich auf Dauer mit einer kalten Verachtung Anderer bedacht zu glauben, die sich unangreifbar gibt. Wut, Zorn, Hass und Gegen-Verachtung durchkreuzen dies gewaltsam, bis die Verächter eine elementare Gleichheit anerkennen – und sei es nur die der Verwundbarkeit durch die Gewalt derer, denen am Ende nichts anderes mehr bleibt, als durch sie zu affirmieren, dass sie existieren als auf Selbstachtung angewiesene Wesen. In dieser Gewalt findet sich eine Spur des basalsten Anerkennungsanspruchs: sich als da-seiender mit dem Anspruch auf Selbstachtung gewürdigt zu wissen und nicht nur als verächtliches oder „wertloses“ Leben vorhanden zu sein (vgl. Sartre 2005, S. 838). Sie baut darauf, dass schon ihre gewaltsam erzwungene Beachtung dieses Minimum an Anerkennung impliziert. Darin mag sie sich allerdings irren. Denn die erzwungene Zurkenntnisnahme der Gewalt braucht dem Anderen, der sie verübt hat, doch in keiner Weise Recht zu geben. Doch handelt es sich um einen erstaunlich erfolgreichen Irrtum. In der Sicht derer, die mit Gewalt auf ihr wirkliches, bloß vermutetes oder auf Andere projiziertes Verachtetwerden antworten, triumphiert sie gegen den latenten Zynismus einer rechtsstaatlichen Ordnung, die selbstgerecht das „Vorhandensein“ von allgemeiner gegenseitiger Anerkennung als modernen Fortschritt für sich verbucht, aber nicht im Geringsten sicherstellt, dass sich alle in ihr auch nur wahrgenommen wissen und als politische Subjekte Gehör finden.29 Aus 29

Das hat die Politische Philosophie u.a. im Anschluss an J. Rancière in den letzten Jahren wieder verstärkt zu Bewusstsein gebracht (vgl. Bröckling/ Feustel 2010).

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dem anerkannten „normativen Gut“ der Anerkennung folgt nicht wie von allein, dass sie sich in einem fortlaufenden Prozess als Sorge um die Wahrnehmung und Artikulation derer bewähren würde, denen es an Anerkennung (nicht dagegen an Verachtung oder an schierem Desinteresse) mangelt. Diese Sorge müsste sich eine auf Anerkennung verpflichtete rechtsstaatliche Ordnung in erster Linie selbst abverlangen, statt sie als historischen Fortschritt bereits für verwirklicht halten zu lassen, mit der Folge, dass man Anerkennung (und deren Anerkennung) nur noch von Anderen (anderswo auf der Welt) fordert. Wo die Anerkennung nicht in der Form dieser Sorge zur gelebten30 Wirklichkeit wird, provoziert sie Verachtung gegen hehres moralisches Vokabular, das einen falschen Schein bemäntelt. Am Ende kippt die Gewalt, die ihn durchkreuzt, das Kind mit dem Bade aus. Mit der mangelhaften Wirklichkeit der Anerkennung wird der Begriff selbst verworfen und die Gewalt derer, die sich vor allem verachtet, aber niemals anerkannt wissen31, kommt nicht etwa in einem Kampf für und um Anerkennung, sondern nur noch als dessen verächtliche Zerstörung zum Zug.

V. Von der Verachtung (zurück) zur Anerkennung Dabei findet sich am Grund der Verachtung selbst eine residuale Spur des Begehrens, Anerkennung zu finden: wenigstens als jemand Gehör zu finden, der etwas zu sagen oder zu beklagen hat.32 Sogar terrorisierende Gewalt baut vielfach noch darauf, auch wenn sie nur noch (paradox) in der Weise des Abbruchs von Kommunikation kommuniziert. So revoziert sie, was Derrida die Eröffnung der Sprache (Derrida 1976, S. 150)33 durch den Anspruch Anderer nennt, der nur durch das Hören auf ihn bezeugt wird. Auch diese Gewalt spricht Andere an, aber so, dass ihnen jegliche Antwortmöglichkeit genom30

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Zur Zeit Hegels hätte man gesagt: zur sittlichen Wirklichkeit (vgl. Schnädelbach 2000, S. 154). Sittlichkeit impliziert die Rekonstruierbarkeit der faktischen Lebensverhältnisse (nicht nur des Rechts) aus der Anerkennung, die immer auf dem Spiel steht, auch dort, wo Lebensformen vom Recht stabilisiert sein mögen (das seinerseits auf die Realität faktischer Anerkennung verwiesen bleibt). Ich lasse dahingestellt, ob es sich hier nicht tatsächlich um eine projizierte Form der Selbstverachtung handelt, für die man sich an Anderen schadlos hält. Nach wie vor halte ich es aber für einen Irrtum, anzunehmen, derartige Anerkennung sei Anderen nur abzunötigen in einem sozialen oder politischen Kampf, freiwillig und kampflos gewährt werde sie dagegen nie. Vgl. zum sprachtheoretischen Kontext ausführlich Liebsch 2010b, in press.

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men wird. Diese minimale Voraussetzung aller „menschlichen“ Kommunikation überhaupt, ansprechbar zu sein und erwidern zu können, hat ursprünglich niemand je erkämpfen müssen. Sie wird in jeder Aufnahme eines Neugeborenen unter die Lebenden neu gestiftet, die dem Sinn nach nicht als ein Kampf um Anerkennung geschieht, sondern, bevor überhaupt ein Kampf anheben kann, dem Anderen einseitige, bedingungslose bzw. vorbehaltlose und freiwillige Anerkennung als eines Ansprechenden und Antwortenden zu gewähren hat. Nur unter dieser Voraussetzung werden ursprünglich Personen als solche sozial konstituiert. Doch diese Voraussetzung bleibt auf Dauer prekär. Sie steht immer wieder auf dem Spiel, wenn es darum geht, sich überhaupt artikulieren zu können, Gehör zu finden und in diesem Sinne zu „zählen“. Erst die lang anhaltende Erfahrung, nicht zu zählen, d. h. im Grunde gänzlich überflüssig zu sein, erklärt eine finale Gewalt, die den derart am eigenen Leib realisierten Abbruch der Kommunikation inmitten einer auf Anerkennung verpflichteten Gesellschaft ihrerseits destruktiv gegen Andere in Szene setzt.34 In dieser Sicht führt uns der eingeschlagene Weg von der Anerkennung zur Verachtung von letzterer wieder zur Anerkennung zurück, wenn es denn stimmt, dass selbst in der vermeintlich souveränen Verachtung noch ein Moment der Anerkennung liegt, ohne das sie nicht auskommen kann. Zweifellos ist aber dieses Moment weit davon entfernt, sich als Basis einer allen Anderen zugedachten positiven Anerkennung ihres Status als Person, als Rechtssubjekt und als eines individuellen, unverfügbaren Selbst zu eignen. Die heute geläufigen Theorien der Anerkennung bauen allesamt darauf, dass es jedem im Grunde unumgänglich um volle Anerkennung in diesem dreifachen Sinne gehen muss. In Anlehnung an Heidegger und Sartre könnte man sagen: Menschen sind demnach soziale Wesen, denen es in ihrem Mit(einander)sein darum geht, allseits anerkannt 34

Es wäre freilich ein im schlechten Sinne romantischer Irrtum, durch eine Anerkennung des Begehrens, Gehör zu finden, alle sozialen Konflikte lösen und selbst noch einer Gewalt begegnen zu wollen, die ihrerseits nur noch jegliche Anerkennung zu verwerfen scheint und sich in der Verachtung Anderer, ihrer Opfer und der Gesellschaft selbst, gefällt. Zudem sollte keine Rekonstruktion aus Verachtung motivierter Gewalt diese als Produkt versagter Anerkennung gewissermaßen nobilitieren. Im Übrigen ist es Aufgabe einer phänomenologischen Erforschung der Gewalt, zu eruieren, inwieweit sie sich aus einem ursprünglichen (dann aber enttäuschten) Begehren nach Anerkennung speist oder ob sie zu einer Nietzscheanischen Souveränität vorzustoßen versucht, die scheinbar von keinerlei Anerkennung mehr etwas wissen will.

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zu werden – und durch Anerkennung Anderer überhaupt erst zu werden, wozu sie ontologisch gewissermaßen disponiert sind. Demnach wären sie in der Tat Wesen, denen das Wesentliche gerade mangelt: die Anerkennung, die nicht bloß würdigt, was sie von sich aus ohnehin schon sind, sondern erst zeitigt und stiftet, was oder wer sie werden können. Dass es sich aber im menschlichen Selbstsein tatsächlich so verhält, ist durch nichts zu beweisen, sondern nur zu bezeugen. Einen souveränen Verächter der Anerkennung werden wir niemals davon mit Argumenten allein überzeugen können, auch er sei im Grunde ein auf Anerkennung angewiesenes, insofern soziales Wesen. Nietzsche jedenfalls hat die Vorstellung, menschliche Freiheit lasse sich mit einer Sozialität des Lebens vereinbaren, das unablässig um Anerkennung zu kämpfen zwinge, bis heute unwiderlegt zurückgewiesen. Man mag ihm zwar entgegenhalten, parasitär von einer primären Anerkennung zu zehren, ohne die kein noch so souveräner Verächter je die ersten Jahre seines Lebens überlebt hätte. Aber das ist noch kein Argument dagegen, diese Anerkennung mit all ihren Mängeln und Zwängen nicht doch hinter sich lassen zu können. Jedenfalls hat m. W. noch kein Anerkennungstheoretiker gezeigt, dass wir zu einem niemals endenden Kampf um allseitige Anerkennung verurteilt sind. Dass Ricœur in diesem Zusammenhang an die Hegelsche Figur des unglücklichen Bewusstseins erinnert, ist immerhin ein Indiz dafür, dass in der Anerkennung selbst ein Missverständnis, ja ein tragisches Verkennen liegen könnte (Ricœur 2006, S. 318, 321). Gemeint ist hier nicht allein das geradezu kindische Verlangen, in gesellschaftlicher Anerkennung Ersatz für Liebe zu finden, sondern die „Verwechselung“ einer notwendigerweise reziproken Struktur der Anerkennung mit einer unvermeidlich radikal einseitigen Gabe, in deren Form uns die Anerkennung (im besten Fall) längst begegnet, bevor wir sie überhaupt als solche realisieren können. Möglicherweise wird sie gesucht, wo sie nie zu finden sein wird, dafür aber erfahren und gefunden, wo man sie nie gesucht hat: in der ersten Aufnahme unter die Lebenden, in der ein Versprechen vorbehaltloser Anerkennung liegt, das allerdings nur nachträglich zu bezeugen und zu bekräftigen ist.35 35

Zu warnen ist allerdings vor einer in jüngster Zeit verstärkt festzustellenden Idealisierung dieser Aufnahme (oder gar der Zeugung von Leben, die hier in keiner Weise gemeint ist) als einer unzweideutig guten „Gabe“ und vor der Fehleinschätzung, sie erübrige eine fortgesetzte Geschichte der Anerkennung, in der ihr ursprünglicher Geist gegen vielfache Widerstände zu bewähren und zu bewahrheiten ist. Wo das nicht gelingt, muss die „Gabe“ der Anerkennung, die in

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Eine von Nietzsche inspirierte Hermeneutik des Verdachts mag darin ein ganzes Nest fragwürdiger Idealisierungen wittern, sie hat aber keine praktisch attraktive Alternative zu einer Anerkennung, die jeden Neuankömmling als Person, als Rechtssubjekt und individuelles, fremdes Selbst gastlich aufzunehmen verspricht. Auch so wird freilich die Theorie der Anerkennung die Verachtung nicht los. Denn gerade aus der unvermeidlichen Übermäßigkeit eines Versprechens, von dem niemand genau wissen kann, ob und wie es dauerhaft verlässlich einzulösen sein soll, bezieht eine Kritik der Anerkennung die meiste Kraft, die sie verächtlich als uneinlösbares, immer schon gebrochenes Versprechen entlarvt (vgl. Liebsch 2008). Dagegen ist bloße Emphase auch hier keine Lösung.

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Autorinnen und Autoren des Bandes Nicole Balzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lektorin im Arbeitsbereich Historisch-systematische und vergleichende Bildungsforschung an der Universität Bremen. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Erziehungs- und Bildungsphilosophie, Anerkennungs- und Machttheorien, Forschungen zu sozialer Ungleichheit, empirische Bildungsforschung mit Fokus Sozialisations- und Praxistheorie. Ausgewählte Veröffentlichungen: Art. „Pädagogik“. In: C. Kammler/ R. Parr/ U. J. Schneider (Hrsg.): Foucault-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2008, S. 406-416; „Die doppelte Bedeutung der Anerkennung – Anmerkungen zum Zusammenhang von Anerkennung, Macht und Gerechtigkeit“. In: L. Pongratz/ R. Reichenbach/ M. Wimmer (Hrsg.): Bildung und Gerechtigkeit. Stuttgart 2007, S. 49-75. María do Mar Castro Varela, Professorin für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Diversity an der Alice-SalomonHochschule Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Postkoloniale Theorie, Kritische Migrationsforschung sowie Gender und Queer Studies. Publikationen u.a.: „Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung“ (2005, mit N. Dhawan), „Unzeitgemäße Utopien. Migrantinnen zwischen Selbsterfindung und gelehrter Hoffnung“ (2007), „Hegemony and Heteronormativity“ (im Ersch., gem. mit N. Dhawan und A. Engel). Isabell Diehm, Professorin für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Migrationspädagogik und Kulturarbeit an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Forschungsschwerpunkte: Erziehung und Migration, Frühe Kindheit in Einwanderungsgesellschaften, Kindheitsforschung, Erziehung und Gender. Publikationen: „Erziehung und Migration“ (gem. mit F.-O. Radtke, 1999); „Erziehung und Toleranz“ (ZfPäd 4/2000); „Doing ethnicity/ Doing race in früher Kindheit“ (np 8/2006, gem. mit M. Kuhn); „Intoleranz als Thema der Erziehungswissenschaft“ (ZfPäd 5/2006);

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AUTORINNEN UND AUTOREN DES BANDES

„Children and the Good Life: New Challenges for Research on Children” (2010 im Ersch., hrsg. gem. mit S. Andresen, U. Sander und H. Ziegler). Burkhard Liebsch, derzeit Professor im Bereich Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Leipzig. Arbeitsschwerpunkte: Praktische und Sozialphilosophie, Politische Theorie in kulturwissenschaftlicher Perspektive; Philosophie der Geschichte, Phänomenologie, Hermeneutik. Veröffentlichungen u.a.: „Geschichte als Antwort und Versprechen“ (1999); „Moralische Spielräume“ (1999); „Zerbrechliche Lebensformen“ (2001); „Gastlichkeit und Freiheit“ (2005); „Revisionen der Trauer“ (2006); „Subtile Gewalt“ (2007); „Gegebenes Wort oder Gelebtes Versprechen. Quellen und Brennpunkte der Sozialphilosophie“ (2008); „Für eine Kultur der Gastlichkeit“ (2008); „Menschliche Sensibilität“ (2008). (Mit-)Hrsg. von: „Hermeneutik des Selbst“ (1999); „Vernunft im Zeichen des Fremden“ (1999); „Gewalt Verstehen“ (2003); „Handbuch der Kulturwissenschaften“ (2004); „Bezeugte Vergangenheit – versöhnendes Vergessen. Geschichtstheorie nach Paul Ricœur“ (Sonderband Nr. 24 der Dt. Zeitschrift für Phil., 2010); „Kreuzungen – Brüche – Überschreitungen: Zwischen Hegel und Levinas“ (2010). Paul Mecheril, Professor an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaft. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Cultural Studies; Methodologie interpretativer Forschung; Pädagogische Professionalität; Interkulturelle Bildung; Migrations- und Rassismusforschung. Jüngste Buchpublikationen: „Migrationspädagogik“ (2010, gem. mit M. Castro Varela, I. Dirim, A. Kalpaka, C. Melter); „Spannungsverhältnisse. Assmiliationsdiskurse und interkulturell pädagogische Forschung“ (2009, hrsg. gem. mit I. Dirim, M. Gomolla, S. Hornberg, K. Stojanov); „Rassismus bildet. Subjektivierung und Normalisierung in der Migrationsgesellschaft“ (2010, gem. hrsg. mit A. Broden); „Zwischen Praxis, Politik und Wissenschaft“ (2010, gem. hrsg. mit B. Wassilios, F. Hamburger). Norbert Ricken, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Bremen. Wissenschaftliche Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Theorie und Geschichte von Erziehung und Bildung sowie Wissenschaftstheorie und -geschichte der Erziehungs-

AUTORINNEN UND AUTOREN DES BANDES

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wissenschaft. Subjektivationsforschung und Praxistheorie sowie (Inter-)Subjektivitäts-, Sozial- und Erziehungsphilosophie mit den Schwerpunkten Identitäts-, Anerkennungs- und Machttheorie. Grundfragen pädagogischer Anthropologie. Wichtigste Buchpublikationen: „Subjektivität und Kontingenz. Markierungen im pädagogischen Diskurs“ (1999); „Michel Foucault: Pädagogische Lektüren“ (2004, gem. hrsg. mit M. Rieger-Ladich); „Die Ordnung der Bildung. Beiträge zu einer Genealogie der Bildung“ (2006); „Über die Verachtung der Pädagogik. Analysen – Materialien – Perspektiven“ (2007, Herausgabe). Alfred Schäfer, Professor für Systematische Erziehungswissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Bildungsphilosophie, Konstitutionsprobleme von Erziehungstheorien und Bildungsethnologie. Buchveröffentlichungen (Auswahl): „Das Unsichtbare sehen“ (2004); „Kindliche Fremdheit und pädagogische Gerechtigkeit“ (2007, Herausgabe); „Die Erfindung des Pädagogischen“ (2009). Christiane Thompson, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung“ an der Universität Freiburg (CH). Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Bildungs- und Erziehungsphilosophie, kulturwissenschaftliche Bildungsforschung sowie pädagogische Phänomene aus machtanalytischer Sicht. Aktuelle Buchveröffentlichungen: „Bildende Widerstände – widerständige Bildung. Blickwechsel zwischen Pädagogik und Philosophie“ (2008, hrsg. zusammen mit G. Weiß); „Bildung und die Grenzen der Erfahrung. Randgänge der Bildungsphilosophie“ (2009); „Autorität“ und „Scham“ (2009, beide hrsg. gem. mit A. Schäfer).