Anerkennung 9783110254143, 9783110254129

Over the past two decades scholars in the fields of political and social philosophy have devoted much time to the subjec

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Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung
2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen
2.1 Die Semantik von „Anerkennung“ und „recognition“ – zwei bzw. drei Familien von Bedeutungen
2.2 Anerkennung von Personen – eine oder mehrere Formen?
2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete interpersonale Verhältnisse, soziale und institutionelle Sphären
2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen der Anerkennung
2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv für ihre Objekte?
3 Fichte über Auffordern und Anerkennen
3.1 Aufforderung und Anerkennung
3.2 Die Aufforderung zur Freiheit
3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts
4 Hegel über Anerkennung
4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist
4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen
4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung
4.4 Hegels Ambiguitäten
4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?
5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie: Charles Taylor und Nancy Fraser
5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“
5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung
5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser?
6 Axel Honneth und das Anerkennungsparadigma
6.1 Eine formale Theorie des guten Lebens basierend auf dem Begriff der Anerkennung
6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung
6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth
7. Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen
7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre Bedeutsamkeit
7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform und die Rolle intersubjektiver Anerkennung
7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal
Anhang
Literatur
Namensregister
Sachregister
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Anerkennung
 9783110254143, 9783110254129

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Heikki Ikäheimo Anerkennung

Grundthemen Philosophie

Herausgegeben von Dieter Birnbacher Pirmin Stekeler-Weithofer Holm Tetens

Heikki Ikäheimo

Anerkennung

Aus dem Englischen übersetzt von Nadine Mooren

ISBN 978-3-11-025412-9 e-ISBN 978-3-11-025414-3 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // ​dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin / ​Boston Einbandabbildung: Martin Zech Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Danksagung Ich danke Arto Laitinen für viele Jahre philosophischer Diskussion und Zusammenarbeit, Jussi Kotkavirta, Michael Quante, Ludwig Siep, Axel Honneth, Pirmin Stekeler-Weithofer, Nicholas Smith und Paul Redding für ihre großzügige Unterstützung in unterschiedlichen Stadien meiner Arbeit und ihnen allen, wie auch Andrew Chitty, Jean-Philippe Deranty, Carl-Göran Heidegren, Volker Heins, Matthias Iser, Simon Lumsden, Emmanuel Renault, Hans-Christoph Schmidt am Busch, Italo Testa, Ariane ten Hagen, Titus Stahl und Andreas Wildt für ihre Inspiration, Kollegialität und philosophische Unterweisung. Auch wenn ich überrascht wäre, wenn irgendeiner von ihnen mit allem, was ich in diesem Buch sage, einverstanden wäre, kann jeder von ihnen Spuren seiner eigenen Ideen darin wiederfinden. Es geschieht sehr selten, dass man den Dank überschätzt, den man Anderen für das, was man von ihnen gelernt hat, schuldet und sehr leicht, dass man ihn vergisst oder unterschätzt. Darüber hinaus danke ich Nadine Mooren für die ausgezeichnete Arbeit, die sie bei der Übersetzung des ursprünglich englischsprachigen Manuskripts ins Deutsche geleistet hat und für ihre Hilfe bei der Bewältigung der besonderen Herausforderung, die sich daraus ergab, dass ich auf Finnisch nachgedacht, auf Englisch geschrieben und dabei immer einen deutschen Leser im Sinn hatte. Gertrud Grünkorn verdient Dank und Lob für ihre Geduld und die Aufmunterung, die sie während der Abfassung und Fertigstellung dieses Buches gespendet hat. Ich möchte auch dem Australian Research Council, der Macquarie University und der UNSW Australia für ihre finanzielle Unterstützung danken, ohne die dieses Buches nicht hätte realisiert werden können. Schließlich danke ich meiner Frau Ming-Chen Lo für ihre unermüdlichen Ermutigungen und Anregungen und dafür, dass sie alles lohnenswert macht.

Inhalt 1 Einleitung  1 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen  7 2.1 Die Semantik von „Anerkennung“ und „recognition“ – zwei bzw. drei Familien von Bedeutungen  7 2.2 Anerkennung von Personen – eine oder mehrere Formen?  10 2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete interpersonale Verhältnisse, soziale und institutionelle Sphären  11 2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen der Anerkennung  14 2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv für ihre Objekte?  18 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen  29 Aufforderung und Anerkennung  30 3.1 Die Aufforderung zur Freiheit  31 3.2 3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts  40 4 Hegel über Anerkennung  63 4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist  65 4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen  69 4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung  73 4.4 Hegels Ambiguitäten  78 4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel?  91 5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie: Charles Taylor und Nancy Fraser  101 5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“  103 5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung  116 5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser?   131 6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma  135 6.1 Eine formale Theorie des guten Lebens basierend auf dem Begriff der Anerkennung  136 6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung  139 6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth  154

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 Inhalt

7. Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen   163 7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre Bedeutsamkeit  165 7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform und die Rolle intersubjektiver Anerkennung  168 7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal  177 Anhang  211 Literatur  213 Namensregister  219 Sachregister  221

1 Einleitung Jeder, der dieses Buch liest, weiß aus persönlicher Erfahrung, wie gut es sich anfühlen kann, von Anderen anerkannt zu werden und wie schmerzhaft es sein kann, wenn eine angemessene Form von Anerkennung ausbleibt – dies ist unabhängig davon, ob er jemals explizit über diese Sachverhalte nachgedacht hat oder nicht. Wir erwarten von Anderen, dass sie unsere Präsenz im geteilten sozialen Raum anerkennen, wir erwarten Anerkennung für unsere Erfolge und unsere Leistungen und wir haben die Erwartungshaltung, dass unsere Rechte gebührende Anerkennung erfahren. Auf politischen Schauplätzen bringen ethnische, religiöse, sexuelle und andere Minderheiten Forderungen nach Anerkennung ihrer Existenz, ihrer besonderen Eigenheiten, Bedürfnisse bzw. Rechte zum Ausdruck. Doch was genau ist Anerkennung und warum ist sie so bedeutsam? In den letzten zwei Jahrzehnten ist Anerkennung zu einem der am intensivsten diskutierten Themen der Politischen und Sozialphilosophie geworden. Viele unterschiedliche Antworten sind auf diese beiden Fragen gegeben worden. Die mit diesem Buch verfolgte Absicht ist es, einen selektiven, zugleich historischen und systematischen Überblick über diese Antworten zu geben: historisch in dem Sinne, dass ich sowohl die Ansichten der Pioniere des Anerkennungsdiskurses, J. G. Fichte und G. W. F. Hegel, diskutieren werde als auch einen Vergleich und eine Gegenüberstellung mit den Konzeptionen von drei Autoren der Gegenwart, Charles Taylor, Nancy Fraser und Axel Honneth anstelle. Systematisch ist dieser Überblick deswegen, weil ich mich auf die Klärung der Fragen konzentriere, was genau das Phänomen bzw. die Phänomene kennzeichnet, die diese Autoren mit dem Ausdruck „Anerkennung“ bezeichnen, was diese ihres Erachtens so bedeutsam macht und welche philosophischen Probleme mit ihren jeweiligen Ansätzen einhergehen. Darüber hinaus beginnt und endet das Buch mit Kapiteln, die rein systematischer Natur sind und in denen Fragen diskutiert wie auch begriffliche Unterscheidungen eingeführt werden, die über die Ansichten der fünf erwähnten Autoren hinaus als nützliche Mittel für die Reflexion und Ausarbeitung des Anerkennungsthema dienen sollen. Der Überblick ist selektiv, insofern ich mich lediglich auf eine geringe Anzahl zentraler Autoren der Vergangenheit und Gegenwart konzentriere1 und in jedem der Fälle entweder nur einen repräsentativen Text (so im Fall von Fichte, Hegel und Taylor) oder eine überschaubare Zahl von Texten diskutiere (so bei Fraser und Honneth). Die Fokussierung auf eine relativ begrenzte Auswahl repräsentativer Texte ist durch die Tatsache begründet, dass so eine recht gründliche Betrachtung im Hinblick auf den darin jeweils wirksamen Begriff bzw. Begriffe von Anerkennung möglich ist. Ich möchte dazu ermutigen, sich unter Zuhilfenahme dieses Buches selbst mit diesen Texten aus-

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einanderzusetzen und hoffe, dass es als sekundäre Lektüre auch zu Seminaren, in denen die Primärtexte gelesen und diskutiert werden, einen Beitrag leisten kann. Unabhängig davon kann das Buch aber auch als eigenständige Einführung zum Thema Anerkennung gelesen werden, insofern ich eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte der diskutierten Primärtexte gebe. Die begrifflichen Unterscheidungen, die in diesem Buch entwickelt werden, sind darüber hinaus so angelegt, dass sie auch in praktisch jedem anderen Text, der von Anerkennung handelt, angewendet werden können und einen differenzierten und systematischen Zugriff auf das Thema ermöglichen. Das Buch beginnt im 1. Kapitel mit der Klärung einer Reihe von terminologischen und begrifflichen Fragen, die die generelle Idee von „Anerkennung“ betreffen. Jedem dieser Zusammenhänge kommt spezifische Relevanz zu, wenn es darum geht, die Konstellation von Phänomenen, die im Hinblick auf Bedürfnisse, Forderungen und Diskurse der Anerkennung zur Diskussion stehen, auf klare und differenzierte Weise zu behandeln. Die Unterscheidungen, die ich in diesem Kapitel einführe, werden in den nachfolgenden Kapiteln fruchtbar gemacht, um die Texte von Fichte, Hegel, Taylor, Fraser und Honneth zu verstehen und auch im abschließenden systematischen Kapitel zur Anwendung kommen. Der erste dieser Texte, der in Kapitel 2 behandelt wird, ist der erste Teil von Fichtes Grundlage des Naturrechts. Hier werde ich das Augenmerk auf den Begriff der „Aufforderung“ legen, inwiefern diesem im Zusammenhang der Entwicklung von individuellen menschlichen Wesen zu „freien Vernunftwesen“ oder „Personen“ eine notwendige Bedeutung zukommt und darauf, was genau er unter „Anerkennung“ versteht, die er als notwendige Bedingung dafür erachtet, dass ein solches Auffordern überhaupt stattfinden kann. Unter Zuhilfenahme einiger der in Kapitel 1 etablierten Unterscheidungen werde ich eine Reihe zentraler Ambivalenzen von Fichtes Behandlung des Themas in den Blick nehmen. Diese Ambivalenzen sind nicht nur Probleme, die mit Fichtes Behandlungsweise einhergehen. Sie zu verstehen, ist auf eine allgemeine Weise aufschlussreich, wenn es die Phänomene, über die Fichte spricht, auf kohärente Weise zu hinterfragen gilt. In Kapitel 3 wende ich mich Hegel zu, der Fichtes Arbeiten über Aufforderung und Anerkennung gekannt hat und in dessen eigener Konzeption man eine Antwort auf ein zentrales Problem findet, mit dem Fichtes Ansatz belastet ist: Wie ist Freiheit mit der Vorstellung zu vereinbaren, dass man im Rahmen von Anerkennung durch andere Personen affiziert und somit „bestimmt“ wird? Hegels Begriff „konkreter Freiheit“ stellt einen Versuch dar, die notwendige Abhängigkeit menschlicher Wesen voneinander sowie die wechselseitige Bestimmung des jeweils Anderen in einen sinnvollen Begriff von Freiheit zu integrieren. Dieses Kapitel analysiert Hegels Überlegungen zu den vielfachen Bedeutungen von

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Anerkennung sowie deren Verknüpfung mit dem Begriff der konkreten Freiheit und des „Geistes“ anhand des „Selbstbewusstseins-Kapitels“ seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Nach meiner Lesart steht „Anerkennung“ in diesem Text für einer Reihe miteinander zusammenhängender Phänomene, die zusammengenommen auf spezifische Art und Weise eine „geistige“ Lebensform von einer bloß „natürlichen“ Lebensform unterscheiden; oder mit anderen Worten: die Lebensform menschlicher Personen von einfacheren tierischen Formen des Lebens. Nach Hegel kommt Anerkennung eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung dessen zu, was er als die normative Essenz dieser Lebensform begreift, nämlich die konkrete Freiheit. Mit Kapitel 4 wenden wir uns historisch und begrifflich einem ganz anderen Kontext zu, in dem das Anerkennungsthema in den letzten zwei Jahrzehnten intensiver Diskussionsgegenstand gewesen ist. Hier sollen die teilweise konfligierenden Auffassungen untersucht werden, die die gegenwärtigen Politischen Philosophen Charles Taylor und Nancy Fraser zur Rolle von Bedürfnissen und Forderungen nach „Anerkennung“ vertreten, die ethnische, sexuelle und andere Minderheiten in der politische Sphäre artikulieren. Damit einhergehend sollen ihre Antworten auf die Frage betrachtet werden, wie diese Bedürfnisse und Forderungen sowie ihr Verhältnis zu anderen politischen Angelegenheiten am Besten in Begriffe zu fassen sind. Viele der ursprünglichen Einsichten in das Wesen und die Bedeutsamkeit von Anerkennung, wie wir sie bei Fichte und Hegel finden werden, fehlen in den Theorien von Taylor und Fraser. Stattdessen bieten diese Theorien neue Elemente für ein umfassendes Verständnis der Phänomene, auf die der Begriff „Anerkennung“ verweist. Kurz gesagt: Während man bei Fichte und Hegel wichtige Erkenntnisse zur konstitutiven Bedeutsamkeit von Anerkennung für das, was wir sind, findet, nämlich menschliche Personen, lenkt Taylor die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Anerkennung für die Frage, wer jemand ist, bzw. auf die qualitative Selbstauffassung von Personen. Nancy Fraser kritisiert in ihren Arbeiten genau diese Betonung von „Identität“ und „Selbstidentität“, die sie in der Konzeption Taylors und ähnlichen Anerkennungskonzeptionen findet. Fraser zufolge verstärken diese Konzeptionen eine unglückliche Tendenz westlicher politischer Diskurse der letzten Jahrzehnte, indem sie Probleme, die mit „Anerkennung von Identitäten“ zu tun haben, überbetonen, während sie Fragen der gerechten Verteilung von materiellen und anderen Ressourcen ignorieren. Frasers eigener Beitrag zur Anerkennungsdebatte kreist daher um die Vorstellung, dass Anerkennung neben Verteilungsgerechtigkeit eines von zwei Elementen darstellt, um eine „Inklusion“ von Individuen und Gruppen als gleichberechtigt Partizipierende am sozialen Leben zu ermöglichen.

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In Kapitel 5 wird mit der Arbeit von Axel Honneth der in meinen Augen bislang ambitionierteste Versuch diskutiert, den Begriff der Anerkennung im Rahmen der Politischen und Sozialphilosophie zur Anwendung zu bringen. Seine Arbeit wird heutzutage häufig mit einem neuen, anerkennungstheoretischen „Paradigma“ des kritischen sozialen und politischen Denkens in Verbindung gebracht. Ich werde den Schwerpunkt auf Honneths ursprüngliche programmatische Fassung seiner anerkennungstheoretischen Annäherung an die soziale und politische Wirklichkeit in seiner 1992 erschienenen Monographie Kampf um Anerkennung legen, auf einige interne Spannungen zu sprechen kommen und erläutern, auf welche Weise sich diese Spannungen in Honneths Folgearbeiten zum Thema Anerkennung ausgewirkt haben. Eine der innovativsten Einsichten Honneths besteht darin, Anerkennung in drei ihr zukommende Formen bzw. Dimensionen auszudifferenzieren. Diese Vorstellung organisiert teilweise auch die Auseinandersetzung mit den anderen Autoren, die in diesem Buch behandelt werden, so beginnend mit Fichte, der ausschließlich eine der drei von Honneth benannten Dimension von Anerkennung in den Blick nimmt – ich nenne diese die „deontologische Dimension“. In ihr geht es um Normen, Gesetze, Autorität und Respekt. Bei Hegel begegnen wir dann, neben der deontologischen Dimension, einer zweiten Dimension von Anerkennung, die von mir so genannte „axiologische Dimension“, die von Wertschätzung, der Sorge um sich selbst und um andere wie auch von Liebe handelt. Schließlich werden wir bei Taylor etwas entdecken, das der dritten Dimension, wie Honneth sie bestimmt, zumindest recht nah kommt. Diese nenne ich die „kooperative bzw. kontributive Dimension“, in ihr geht es um Leistungen und Beiträge zum Wohl Anderer sowie um die Wertschätzung, die man dafür erfährt. Das abschließende 6. Kapitel nimmt ein entscheidendes Problem in den Blick, das Fichtes und Hegels Anerkennungstheorien von denen der drei Gegenwartsautoren unterscheidet. Während es für Fichte und Hegel unproblematisch war, Anerkennung als etwas zu begreifen, das wesentlich zur Verfasstheit „freier Vernunftwesen“, „Personen“ bzw. „Menschen“ im allgemeinen gehört, neigen die Autoren gegenwärtig zur Vorsicht im Umgang mit solchen Generalisierungen und tendieren dazu, sich auf weniger ambitionierte Behauptungen über die Bedeutsamkeit von Anerkennung in ihren jeweils eigenen oder ähnlichen Gesellschaften (d.h. moderne, westliche, demokratische, liberale, kapitalistische Gesellschaften) zu beschränken. Auch wenn in diesem Zusammenhang sicherlich Grund zur Vorsicht besteht, sollte diese Bedachtsamkeit dennoch nicht mit einer unkritischen Ablehnung jeglicher Annahmen über eine mögliche universale Bedeutsamkeit von Anerkennung für ein gutes und gelingendes Leben verwechselt werden. Im Abschlusskapitel arbeite ich mit begrifflichen Werkzeugen, die in den vorangegangenen Kapiteln des Buches eingeführt wurden, um so die begriffli-

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che Landschaft zu beleuchten, innerhalb derer Behauptungen für bzw. gegen die universale Bedeutsamkeit von Anerkennung für den Menschen vorgebracht und bewertet werden. Das Ziel ist es, eine Reihe potentieller Verwirrungen und Missverständnisse aufzuklären, die einer unbefangenen Beurteilung von Annahmen und Argumenten zur Relevanz von Anerkennung (in ihren vielfachen Bedeutungen) für das menschliche Leben im allgemeinen, unabhängig von kulturellen oder anderen Unterschieden, hinderlich sein können. Abschließend skizziere ich eine mögliche Weise, wie eine immanente Sozialkritik mit übergreifender interkultureller Anwendbarkeit ausgehend von einer Konzeption des „vollwertigen“ Personseins und der Bedeutung, die Anerkennung dabei spielt, begründet werden kann. Diese Skizze ist eine rationale Rekonstruktion alltäglicher ethischer und moralischer Intuitionen und Annahmen zur Frage, was die menschliche Koexistenz wahrhaft „menschlich“ bzw. „unmenschlich“ macht. In ihr werden einige der grundlegenden sozialontologischen Thesen Fichtes und Hegels über die menschliche Lebensform, eine differenzierte Konzeption dessen, was es heißt, eine Person zu sein, sowie im weitesten Sinne Honneths drei-dimensionale Interpretation von Anerkennung fruchtbar gemacht. Es ist eine diesem Buch zugrundeliegende Überzeugung, dass das volle Potential des Begriffs bzw. der Begriffe von Anerkennung, das diese für ein Verständnis der Struktur und Dynamik des sozialen, politischen und individuellen menschlichen Lebens sowie für deren Evaluation und Kritik haben könnten, bisher nicht vollständig ausgeschöpft wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, muss eine Vielzahl von Perspektiven und Einsichten aus der älteren und neueren Literatur zum Thema Anerkennung zusammengetragen und philosophisch systematisiert werden. Das Bestreben dieses Buchs ist es nicht, die umfassende Synthese all dieser Perspektiven und Einsichten zu leisten, sondern vielmehr Klarheit und ein gewisses Maß an systematischer Einheitlichkeit in die verschiedenen Debatten um Anerkennung zu bringen und so vielleicht Anderen dabei zu helfen, sich einer solchen Synthese anzunähern. Vor allem aber richtet sich das Buch an jeden wissbegierigen Leser, der ein ernsthaftes Interesse für die philosophische Untersuchung der Frage mitbringt, wonach wir eigentlich begehren, wenn wir nach Anerkennung verlangen und warum genau es uns ein so dringliches Anliegen ist, dieses Bedürfnis befriedigt zu sehen.

2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen Was also ist Anerkennung? Das Ziel dieses ersten Kapitels ist es, einige begriffliche Zusammenhänge, die mit dem Anerkennungs-Begriff einhergehen, zu klären. Dem Leser soll auf diese Weise einerseits eine angemessen differenzierte Einstiegsvorstellung des Themas geboten werden. Andererseits werden auf diese Weise Unterscheidungen eingeführt, die dann auch in den anschließenden Kapiteln zur Anwendung kommen werden. Mit Blick auf zwei Sprachräume, die besonders wichtig sind für die Geschichte und die gegenwärtigen Debatten unseres Themas, beginne ich (in Abschnitt 2.1.) mit einigen Beobachtungen zur Bedeutung des Titelwortes: „Anerkennung“ im Deutschen und „recognition“ im Englischen. Zweitens (in Abschnitt 2.2.) werde ich auf die Vorstellung zu sprechen kommen, dass es mehr als eine Form von Anerkennung geben könnte und drittens (in Abschnitt 2.3.) einige Zusammenhänge voneinander unterscheiden, die nicht miteinander verwechselt werden sollten, sofern man adäquat über dieses Thema nachdenken und diskutieren will. Hierbei handelt es sich um Einstellungen, Einstellungskomplexe und andere psychologische Zusammenhänge, konkrete interpersonale Verhältnisse sowie soziale und institutionelle Kontexte bzw. Sphären. Ausgehend von der These, dass Einstellungen in vielerlei Weise das Grundelement einer angemessenen Analyse von Anerkennung darstellen, werde ich viertens (in Abschnitt 2.4.) Verknüpfungen von anerkennenden Einstellungen zu „Anerkennungsakten“ und „Ausdrucksweisen von Anerkennung“ diskutieren. Fünftens thematisiere ich (in Abschnitt 2.5.) die Frage, ob Anerkennung von Subjekten oder Personen etwas ist, das responsiv auf Personen oder einen Aspekt des Personseins eingeht oder ob sie konstitutiv für Personen oder einen Aspekt des Personseins ist. Dabei werde ich die vielen konzeptuellen Möglichkeiten zusammenstellen und erläutern, was genau es für den Begriff der Anerkennung bedeutet, wenn diese oder jene Alternative zutrifft.

2.1 Die Semantik von „Anerkennung“ und „recognition“ – zwei bzw. drei Familien von Bedeutungen Es ist ein Merkmal der Debatten über „Anerkennung“, dass die Bedeutung dieses zentralen Ausdrucks von den verschiedenen Autoren häufig sehr unterschiedlich aufgefasst wird. Darin spiegeln sich zumindest teilweise seine mannigfaltigen außerakademischen Gebrauchsweisen wider. Wie von einigen Autoren bemerkt wurde (Margalit 2001), vermag die Bedeutungspluralität die Quelle für eine fruchtbare Fusion von Einsichten zu sein, sie kann aber auch zu Konfusionen führen, die dem wissenschaftlichen und philosophischen Vorankommen, dem

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

kollektiven Selbstverständnis und politischen Debatten abträglich sein können. Es ist daher wichtig, einige Bemerkungen zu den verschiedenen Bedeutungen, die dem Titelwort dieses Buches im alltäglichen wie auch im theoretischen Sprachgebrauch zukommen, zu machen und darüber hinaus einen kurzen Blick über die deutsche Sprache hinaus zu werfen. Obwohl Fichte und Hegel, die für das Thema wegbereitenden Autoren, auf Deutsch geschrieben haben und viele der wichtigen Arbeiten zu Anerkennung in den letzten Jahren von Autoren vorgelegt wurden, die auf Deutsch schreiben, werden die meisten internationalen Diskussionen über dieses Thema (wie über die meisten philosophischen oder wissenschaftlichen Themen) heutzutage auf Englisch geführt. Es ist daher wichtig, sowohl im Hinblick auf die deutsche „Anerkennung“ als auch die englische „recognition“, die in der Literatur wechselseitig als Übersetzungen dienen, ein angemessenes Verständnis ihrer semantischen Eigentümlichkeiten zu gewinnen.1 Der englische Ausdruck „recognition“ hat einen weitergefassten expliziten Bedeutungsumfang als der deutsche Ausdruck „Anerkennung“ und diese relative Vielzahl an Bedeutungen von „recognition“ führt leicht zu Mehrdeutigkeiten und unkontrollierten Verwechslungen ihrer unterschiedlichen Bedeutungen. Diese gehen zudem im Übersetzungsprozess ursprünglich englischsprachiger Texte ins Deutsche leicht verloren, was Verständnisschwierigkeiten auf Seiten des deutschen Lesers zur Folge haben kann. Wenn Autoren explizit die Bedeutungen oder Gebrauchsweisen des englischen Ausdrucks „recognition“ diskutieren, dann organisieren sie diese gewöhnlich in drei Bedeutungsfamilien. Auch für uns ist es nützlich, dieser Methode zunächst zu folgen. Eine der Bedeutungsfamilien von „recognition“ wird vom deutschen Ausdruck „Anerkennung“ nicht geteilt, zwei andere sind jedoch beiden gemeinsam. Erstens gibt es einen Sinn des englischen Wortes „recognition“, in dem es mehr oder weniger synonym mit „Identifizierung“ oder „Erkennen“ im Deutschen ist. In diesem Sinne kann man etwas oder jemanden numerisch als das Individuum anerkennen, d.h. identifizieren, das es, er oder sie ist (z.B. als den Fluss Rhein oder als Michael), man kann es qualitativ als Träger einer bestimmten Qualität oder bestimmter Qualitäten (z.B. als groß oder freundlich), oder gattungsmäßig als zu einer bestimmten Klasse oder Gattung gehörig erkennen (z.B. der Flüsse oder Menschen). Dabei ist zu beachten, dass „recognition“ sich in diesen Bedeutungen von numerischer, qualitativer und gattungsmäßiger Identifikation im Prinzip auf jedes mögliche Objekt beziehen kann – Personen, materielle Dinge wie auch auf abstrakte Entitäten. Die zweite Bedeutungsfamilie des englischen „recognition“ ist diejenige, nach der das Wort mehr oder weniger ein Synonym für „akzeptieren“ oder „zugestehen“ im Deutschen ist bzw. für „acknowledging“ im Englischen. Während alles



2.1 Die Semantik von „Anerkennung“ und „recognition“ 

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ein Objekt der Identifikation sein kann, betrifft diese zweite Bedeutungsfamilie nur das, was wir evaluative und normative Entitäten nennen können. „Anerkennen“ im Sinne von „to acknowledge“, „akzeptieren“ oder „zugestehen“ kann man nur Dinge wie Werte, Normen, Prinzipien, Regeln, Gründe, Verantwortlichkeiten, Verpflichtungen, Sünden, Schuld usw. Während „recognition“ als Identifikation im Prinzip auf alles Erdenkliche bezogen werden kann und „recognition“ als „acknowledging“ oder „akzeptieren“ sich auf evaluative und normative Entitäten bezieht, gibt es noch eine dritte Familie der Bedeutungsverwendung von „recognition“, die sich allein auf Personen, individuell oder im Kollektiv, bezieht. Im Rahmen dieser ausschließlich Personen-bezogenen Bedeutungsverwendung kann man bspw. sagen: „Anerkenne Klaus für seine Arbeit oder seine Beiträge!“ oder denken, dass man „den Mut der Bürger von Kairo im Arabischen Frühling anerkennen sollte“. Die Semantik des deutschen Ausdrucks „Anerkennung“ unterscheidet sich in gewisser Weise hiervon. Ihre Bedeutung scheint grob die zwei zuletzt genannten Bedeutungen des englischen „recognition“ abzudecken. Wie im Englischen, so kann man auch im Deutschen Personen (die dritte Bedeutungsfamilie) und evaluative und normative Entitäten (die zweite Bedeutungsfamilie) anerkennen.2 Der Hauptunterschied ist der, dass die Oberflächenbedeutung des deutschen Ausdrucks „Anerkennung“ nicht die erstgenannte Bedeutungsfamilie miteinschließt, nach der das englische „recognition“ ein Synonym für „Identifikation“ ist. Schaut man allerdings unter die Oberflächenstruktur, dann fällt auf, dass der deutsche Ausdruck „Anerkennung“ doch auch ähnlich wie der englische Ausdruck „identification“ funktioniert. Dies hängt damit zusammen, dass die Kluft zwischen dem Erkennen oder Identifizieren von etwas als etwas und dem Anerkennen, dass etwas in bestimmter Weise beschaffen ist (bzw. dass etwas der Fall ist), leicht zu überbrücken ist. Man kann hier etwa an Fälle denken, in denen jemand eine Tatsache von praktischer oder moralischer Relevanz zunächst ableugnet, sie dann aber schließlich doch anerkennt. Damit will ich sagen, dass das scheinbar nicht-normative Phänomen des Identifizierens bzw. Erkennens von etwas als ein Normativität involvierender Fall von Anerkennung beschrieben werden kann, sobald die Aufforderung dazu gegeben wird, dass man etwas als das, was es ist, identifizieren sollte.3 Hierbei geht es nicht nur um einen epistemischen Sinn von Normativität, demzufolge man Objekte, Ereignisse etc. korrekt identifiziert bzw. daran scheitert – Normativität in dieser epistemischen Bedeutung ist bei Identifikationsakten notwendigerweise beteiligt. Vielmehr geht es hier um eine Art des praktischen Sollens. Wenn jemand dazu ermahnt wird, „die Tatsachen anzuerkennen“, dann geht es dabei normalerweise nicht so sehr (oder zumindest nicht ausschließlich) darum, keinen epistemischen Fehler zu begehen, in dem Sinne, dass er etwas anderes für wahr hält, als der Fall ist.

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

Entscheidend ist vielmehr, dass er den Anforderungen begegnen soll, die die in Frage stehenden Tatsachen an ihn stellen.

2.2 Anerkennung von Personen – eine oder mehrere Formen? Die verschiedenen Themen, die unter dem Titel „Anerkennung“ oder „recognition“ firmieren, sind letztendlich in vielerlei Weise miteinander verknüpft und sobald man tiefer in eines der fraglichen Phänomene eindringt, beginnen die sauberen Unterschiede zwischen den zwei (bzw. drei) Bedeutungsfamilien ihre Offensichtlichkeit zu verlieren. Nichtsdestoweniger ist es hilfreich, zumindest anfänglich mit diesen Unterscheidungen zu arbeiten. Tut man dies, dann kann man sagen, dass der explizite Fokus der gegenwärtigen Debatte in der Politischen und der Sozialphilosophie mehrheitlich auf dem Thema der Anerkennung von Personen liegt. Dasselbe gilt für den überwiegenden Teil der älteren Literatur zu unserem Thema. Allerdings war Anerkennung von Personen schon bei Fichte und Hegel, die in den nächsten beiden Kapiteln diskutiert werden, eng mit einer Art Anerkennung (bzw. Akzeptanz) von Institutionen verbunden, und wie wir noch sehen werden, hängt dies mit einer Ambivalenz der institutionellen und nicht-institutionellen Bedeutung im Begriff des Personseins zusammen. Im Hinblick auf Anerkennung von (bzw. für) Personen ist es eine wichtige systematische, aber häufig nicht thematisierte Frage, ob hierbei eine oder mehrere Formen anzunehmen sind. Oder um dies anders auszudrücken: Es stellt sich die Frage, ob „Anerkennung für Personen“ eine Familie mit vielen Mitgliedern, oder traditioneller verstanden eine Gattung für verschiedene Arten bezeichnet, oder ob es vielleicht doch nur eine Art und Weise gibt, eine Person oder Personen anzuerkennen. Wie wir später sehen werden, hat sich nicht einmal Hegel, unser zentraler klassischer Referenzautor, eindeutig zu dieser Frage verhalten. Auch heute noch wird die Anerkennungsthematik manchmal ohne ein ausdrückliches Bewusstsein, das in diesem Zusammenhang überhaupt eine Problematik besteht, diskutiert. Grundsätzlich schwankt die Beantwortung dieser Frage, sei es explizit oder implizit, zwischen eindimensionalen und multidimensionalen Konzeptionen von Anerkennung. Während es multidimensionalen Konzeptionen zufolge zwei, drei oder mehrere Formen bzw. Arten von Anerkennung gibt, existiert den eindimensionalen Konzeptionen zufolge nur eine einzige Art. Es ist selbstverständlich möglich und tatsächlich auch häufig der Fall, dass ein Autor auf der expliziten Ebene eine eindimensionale Konzeption vertritt, sich implizit jedoch auf eine multidimensionale Konzeption verpflichtet. Mit anderen Worten: Er gesteht nicht ausdrücklich zu, dass die Art und Weise, wie er über Anerkennung spricht,



2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete interpersonale Verhältnisse 

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ihn in Wahrheit darauf festlegt, dass es mehr als eine Weise der Anerkennung gibt. Hierbei muss es sich nicht zwangsläufig um ein Problem handeln, denn es muss möglich sein, sich auf der Gattungsebene auf das zu konzentrieren, was allen Arten oder Formen gemeinsam ist und von dem zu abstrahieren, was sie unterscheidet. Ein mangelndes Bewusstsein von dieser Problematik mag aber dennoch zu der Annahme verleiten, dass etwas in Bezug auf Anerkennung im Allgemeinen wahr ist, obwohl es in Wahrheit nur im Hinblick auf einige ihrer besonderen Arten zutrifft (vorausgesetzt es gibt mehr als eine Art). Die bekannteste und einflussreichste ausdrücklich multidimensionale Konzeption der Anerkennung von Personen stammt von Axel Honneth, der − indem er sich teilweise auf eine rationale Rekonstruktion der Anerkennungskonzeption des jungen Hegel, teilweise auf aktuellere Theoretiker bezieht − drei Formen bzw. Arten unterscheidet. Diese nennt er „Liebe“, „Respekt“ bzw. „Achtung“ und „Wertschätzung“ (Honneth 2003) (vgl. 6.2.).

2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete interpersonale Verhältnisse, soziale und institutionelle Sphären Man kann sich dem Anerkennungsthema aus verschiedenen Perspektiven annähern, die allesamt wichtige Aspekte dieses Themas beleuchten. In einer Perspektive kann man sich auf die wechselseitig aufeinander bezogenen Handlungen der Subjekte bzw. Personen konzentrieren. Dieser Perspektive werden wir im nächsten Unterkapitel nachgehen. In einer anderen Perspektive stehen die Einstellungen, die Subjekte bzw. Personen zueinander einnehmen, im Vordergrund, und in vielerlei Hinsicht sind Einstellungen die grundlegenden Elemente, anhand welcher man eine große Anzahl der für unser Thema relevanten Phänomene am besten analysieren kann. Im Rahmen dieser Perspektive, die sich auf Einstellungen konzentriert, ist es wichtig, klar zwischen den folgenden Aspekten zu unterscheiden: (a) Einstellungen, (b) komplexen Gefügen von Einstellungen und anderen psychischen Zuständen, (c) konkreten interpersonalen Relationen und (d) sozialen und institutionellen Kontexten bzw. Sphären.4 Der Ausdruck „Anerkennung von Personen“ lässt noch offen, ob sowohl der Anerkennende und der Anerkannte Personen sind. Ohne weiteres Wissen könnte der eine oder der andere z.B. auch für eine Institution stehen. Wir wollen uns hier aber auf den besonderen Unterfall der Anerkennung von Personen konzentrie-

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

ren, demgemäß es sich sowohl beim Anerkennenden als auch beim Anerkannten um eine Person handelt: auf interpersonale bzw. intersubjektive Anerkennung.5 Wir wollen des Weiteren zum Zwecke eines vereinfachten Zugangs solche Fälle fokussieren, in denen es um individuelle Personen und nicht um Kollektive oder Gruppen von Personen geht. Es ist die intersubjektive Dyade eines einzelnen menschlichen Anerkennenden und eines einzelnen Anerkannten, die die Imagination der Theoretiker seit Fichte und Hegel am stärksten gebannt hat und in den meisten Fällen implizit oder explizit als das Kernphänomen intersubjektiver bzw. interpersonaler Anerkennung angesehen wurde. Sich allein auf Einstellungen zu konzentrieren  – besonders zwischen nur zwei Personen bzw. einer intersubjektiven „Dyade“ – beinhaltet naturgemäß eine Abstraktion von der unendlich subtilen Komplexität des sozialen Lebens. Es ist jedoch nichts Schädliches an einer solchen methodologischen Abstraktion, wenn man den größeren Kontext, in den Einstellungen eingebettet sind, im Hinterkopf behält. Legt man den Fokus auf Einstellungen des Anerkennens (wie z.B. Liebe oder Respekt), dann muss bereits die simple Tatsache mitberücksichtigt werden, dass es für eine Person kaum möglich ist, nur eine Einstellung oder auch nur Einstellungen einer Art bzw. eines Typs gegenüber einer anderen Person zu haben. Anerkennende Einstellungen (a) sind immer Teil eines komplexeren Gefüges von Einstellungen (b), die eine Person gegenüber einer anderen hat und dieses ist wiederum Teil des noch weiteren Gefüges, das die Einstellungen beider Parteien zueinander umfasst. Dieses beidseitige Gefüge ist darüber hinaus Teil eines übergreifenden Zusammenhangs all derjenigen Einstellungen, die sie gegenüber dritten Personen, sich selbst und der Welt in einem weiter gefassten Sinne einnehmen. Die Einstellungen, die Menschen zueinander, zu sich selbst und zur Welt einnehmen, sind keine isolierten, bloß äußerlich verbundenen Atome, sondern beeinflussen, bedingen und konstituieren einander auf vielerlei Weise. Anerkennende Einstellungen stellen in diesem Sinne keine Ausnahme dar. Wir wollen unsere Aufmerksamkeit jetzt allein den Einstellungen und Einstellungskomplexen zwischen Personen widmen. Man denke etwa an Liebe als eine Form von Anerkennung. Es besteht ein großer Unterschied darin, ob man sich unter Liebe zwischen Personen eine bestimmte Einstellung vorstellt, die einer oder beide Beteiligten zueinander einnehmen oder ob man sich darunter ein Gefüge bzw. eine Kombination von Einstellungen vorstellt, die einer (oder beide) der Beteiligten zum anderen oder zueinander einnehmen. Miteinander kombinierte Einstellungen oder Einstellungen, die die Form eines komplexeren Gefüges annehmen, sind die Grundlage von Emotionen (bspw. ist Lisas Sorge um Karls Gesundheit konstituiert durch Lisas Liebe zu Karl in Verbindung mit ihrer Überzeugung, dass Karl sich ungesund ernährt) und sie werden häufig von verschiedenen Arten von Empfindungen und anderen nicht-intentionalen



2.3 Einstellungen, Einstellungskomplexe, konkrete interpersonale Verhältnisse 

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Zuständen begleitet (z.B. sexueller Erregung oder Niedergeschlagenheit). Über Einstellungskomplexe zu sprechen bezieht somit zahlreiche psychologische Phänomene mit ein und zwar nicht nur Einstellungen, sondern auch Emotionen und Empfindungen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass etwa Psychologen oder andere Theoretiker Liebe mit solchen Gefügen psychologischer Zustände und Prozesse identifizieren. Da diese aber eine immense Variation erlauben und da jedes solcher komplexen Gefüge einer dauernden, manchmal turbulenten Veränderung unterworfen ist, erzeugt die Diskussion solcher Phänomene auf der Ebene der Gefüge, wenn die individuellen Elemente nicht genauer betrachtet werden, endlose Möglichkeiten der Vagheit und Mehrdeutigkeit. Einstellungen sind genauso wie Einstellungskomplexe und andere psychologische Zustände Teil der inneren Verfasstheit von interpersonalen Beziehungen (c). In der Forschungsliteratur trifft man häufig auf die Vorstellung von „Verhältnissen der Anerkennung“ (oder „Anerkennungsbeziehungen“). Ohne nähere Erläuterung erlaubt dieser Ausdruck eine Vielzahl von Interpretationen, so dass es möglich und wahrscheinlich ist, dass er bei unterschiedlichen Menschen die unterschiedlichsten Assoziationen hervorruft. Man könnte etwa meinen, dass die Existenz einer anerkennenden Einstellung einer Person zu einer anderen als solche schon ein „Verhältnis der Anerkennung“ zwischen Personen etablierte. Oder man könnte auch annehmen, dass es eine Wechselseitigkeit anerkennender Einstellung geben muss, damit ein Anerkennungsverhältnis existiert. Im diesem Sinne gibt es kein Anerkennungsverhältnis zwischen zweien, wenn A B anerkennt, aber B nicht A anerkennt. (Ein solcher Gedanke mag von der Idee herstammen, die gewöhnlich Hegel zugeschrieben wird, dass einseitige Anerkennung in gewissem Sinne keine wirkliche bzw. keine genuine Anerkennung darstellt.) Da Anerkennung von Personen im Allgemeinen – ähnlich wie Liebe im Besonderen − auch leicht mit Gesamtkomplexen intersubjektiver Einstellungen und den begleitenden Gefühlen und Empfindungen identifiziert werden kann, ist dies eine dritte mögliche Lesart von „Verhältnissen der Anerkennung“. Die zugrundeliegende Intuition könnte hier die sein, dass selbst dann, wenn es in Ordnung sein mag, sich auf Einstellungen des Anerkennens zu konzentrieren, die Gesamtbeziehung des Anerkennens nur dann angemessen ins Auge gefasst ist, wenn auch andere psychologische Faktoren miteinbezogen werden. Selbstverständlich deckt der Gedanke einer „Beziehung“ zwischen Personen mehr als nur psychologische Aspekte ab. Das, was wir „konkrete interpersonale Beziehungen“ nennen können, besteht nicht nur aus psychologischen oder „subjektiven“ Elementen, sondern auch aus all den „objektiven“ Elementen, die auf sinnvolle Weise als wesentlich bzw. als wichtig für eine Beziehung zwischen Personen verstanden werden können. Eine konkrete Beziehung zwischen engen Freunden oder Ehegatten ist z.B. ein höchst kompliziertes Gefüge und es

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

gibt keinen offensichtlichen Weg, definitiv zu bestimmen, was genau zu dieser Beziehung als derjenigen Einheit, die sie darstellt, dazu gehört und was gewissermaßen ihre Bedingungen der Möglichkeit oder mehr äußerliche Bestimmungen sind. Aus einer Perspektive kann man bspw. sagen, dass verheiratet zu sein und somit bestimmte institutionell definierte Rollen sowie deontische Machtbefugnisse zu besitzen, Teil der konkreten Beziehung ist, in der Eheleute zusammen leben. Aus einer anderen Perspektive lässt sich aber auch dafür argumentieren, dass die Institution der Ehe und die Partizipation an ihr nur ein Teil des größeren sozialen und institutionellen Kontextes (d) darstellen, in den diese konkrete Beziehung eingebettet und somit nicht Teil der Beziehung selbst ist. Je nach dem, welchen Zugang man wählt, werden Institutionen eine größere oder eine geringere Rolle bei der Bestimmung der konkreten Beziehung spielen. Insgesamt ist es entscheidend, (a) individuelle intersubjektive Einstellungen, (b) Einstellungskomplexe (und andere sie begleitenden psychologischen Phänomene), (c) konkrete interpersonale Beziehungen und (d) umfassendere soziale und institutionelle Kontexte und Sphären als analytisch distinkte Themenbereiche zu erkennen. Sie können auf zahllose Weisen miteinander verknüpft sein, indem sie sich gegenseitig beeinflussen und einander auf die verschiedensten Weisen konstituieren. Allerdings sollte dabei immer ein Bewusstsein darüber vorhanden sein, welche Ebene des Redens über Anerkennung zwischen Personen oder über Anerkennungsbeziehungen jeweils gemeint ist.6

2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen der Anerkennung Wie ich bereits erwähnte, kann man sich dem Thema der Anerkennung von Personen  – als Ergänzung zur Annäherung über Einstellungen − auch aus einer anderen Perspektive annähern, nämlich indem man das Augenmerk auf Akte und Handlungen legt.7 Diese Alternative wird nicht nur durch den oft gebrauchten Ausdruck „Akt der Anerkennung“ nahegelegt, sondern auch durch die häufig geäußerte Intuition, dass bloße Einstellungen ohne Handlungen nicht im eigentlichen Sinne als Anerkennung angesehen werden können. (Man denke etwa an den Satz: „Wenn Du mich nicht respektvoll behandelst, dann respektierst Du mich auch nicht wirklich“.) Doch selbst in dieser Perspektive sind Einstellungen von zentraler Wichtigkeit, weil Handlungen durch die Einstellungen, die sie zum Ausdruck bringen bzw. die sie motivieren, als genuine Akte der Anerkennung identifiziert werden. Da man von Handlungen sprechen kann, die Einstellungen „zum Ausdruck bringen“ und da man das „Zum-Ausdruckbringen von Anerkennung“ auch als eine bestimmte Art von Handlung verstehen kann, ist es am ange-



2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen der Anerkennung 

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messensten, wenn man Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen von Anerkennung gemeinsam diskutiert. Es ist ein Allgemeinplatz der philosophischen Handlungstheorie, dass Handlungen sich dadurch von natürlichen Ereignissen unterscheiden, dass wir sie als Wirkungen, Externalisierungen, Verkörperungen oder „Ausdruck“ von Einstellungen (bzw. Absichten) begreifen. Wir „lesen“ unsere wechselseitigen Einstellungen und andere Dinge in unseren jeweiligen Handlungen. Ein besonderer Fall von Handlungen sind solche, die vollzogen werden, um die eigenen Absichten oder Einstellungen anderen Personen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Konzentrieren wir uns auf anerkennende Einstellungen, dann können wir als „Akt der Anerkennung“ in einem weiten Sinne all diejenigen Akte oder Handlungen bezeichnen, die auf die eine oder andere Weise durch Anerkennung motiviert sind. In einem strikteren Sinne sind aber nur diejenigen Handlungen von A, die A vollführt, um seine Anerkennung gegenüber B auszudrücken, „Akte der Anerkennung“. Es ist wichtig, nicht die immense Mannigfaltigkeit sozialer Handlungen und Praxen, in denen Einstellungen der Anerkennung eine motivierende Rolle spielen, mit „Akten der Anerkennung“ in diesem strikten Sinne zu identifizieren.8 Gesteht man zu, dass anerkennende Einstellungen fundamental für jede (zumindest nicht zutiefst pathologische) Form menschlicher Interaktion, für alle interpersonalen Verhältnisse und indirekt auch für Selbstverhältnisse sind – eine Vorstellung, die wir bei Fichte und Hegel finden −, dann ist eine solche Reduktion der Bedeutsamkeit von Anerkennung auf eine lediglich kleine Unterklasse von Handlungen ernstlich irreführend. Was ist aber nun dafür erforderlich, damit jemandem (man nenne ihn B) verständlich werden kann, dass eine andere Person (man nenne sie A) eine anerkennende Einstellung ihm gegenüber hat? Es scheint klarerweise nicht notwendig zu sein, dass A B explizit sagt, dass sie B z.B. wertschätzt, um B dies klarzumachen. Allgemeiner gesagt ist es nicht notwendig, dass A in irgendeiner Weise absichtsvoll mit dem Motiv handelt, ihre Einstellungen gegenüber B zum Ausdruck zu bringen. „Akte der Anerkennung“ im strikten Sinn sind nicht notwendig, damit für B deutlich wird, dass in As Einstellungsgefüge ihm gegenüber Anerkennung involviert ist. Die Handlung einer Person vollständig zu verstehen beinhaltet ein Verständnis der Motive bzw. der motivierenden Gründe für die Handlung. Die Motive oder Gründe, die die Handlungen einer Person motivieren, geben uns im Prinzip ihre Einstellungen gegenüber allem zu verstehen, was für die fragliche Handlung relevant ist. Warum hilft A B, wenn B schwierige Zeiten in ihrem Leben durchmacht? Es gibt selbstverständlich viele mögliche Motive dafür, warum A dies tut, aber ein Kandidat ist, dass A B liebt. Im Prinzip ist es keineswegs notwendig, dass A dies B auch sagt, damit B dies wissen kann. Oder was sagt es B über As Ein-

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

stellungen ihr gegenüber, dass A B immer dann um Hilfe bittet, wenn es eine besonders schwierige Aufgabe in der Arbeit zu bewältigen gibt? Es gibt vielerlei Möglichkeiten, aber eine von ihnen ist, dass A B für ihre Fähigkeiten und Erfolge in ähnlichen Situationen wertschätzt. A muss B keinen Orden oder eine goldene Uhr „als Anerkennung für“ Bs Leistungen überreichen oder andere „Akte der Anerkennung“ im strikten Sinne vollziehen, damit B ihr Einstellungsgefüge, das eine anerkennende Einstellung der Wertschätzung enthält, versteht. Natürlich mag es manchmal einen großen Unterschied ergeben, ob A ihre Einstellungen gegenüber B absichtsvoll zum Ausdruck bringt bzw. kommuniziert oder nicht. Nehmen wir an, dass A und B Kollegen sind und dass A B nicht für ihre Fähigkeiten und Leistungen schätzt, da aus ihrer Sicht das, was B tut, größtenteils nutzlos oder sogar schädlich ist. Sagt A dies zu B, dann mag der Grund dafür sein, dass sie B nichtsdestoweniger als jemanden respektiert, der es verdient, kritisiert zu werden und der fähig ist, aus Kritik zu lernen. Es ist auch möglich, dass As Kritik an B explizit durch die Tatsache motiviert ist, dass A sich ernsthaft um B sorgt und somit auch darum, wie sie in ihrem Leben und in ihrer Arbeit zurechtkommt. Macht A sich nicht die Mühe, ihren Mangel an Wertschätzung gegenüber B zu kommunizieren, wird B dies aber anhand ihres Verhaltens verständlich, dann mag B sich wundern, ob A sie eigentlich respektiert, oder ob A sich überhaupt um B kümmert usw. Der springende Punkt hierbei ist, dass auch Unterlassungen Einstellungen „kommunizieren“ können und die Wahl zwischen expressiven Handlungen und Unterlassungen manchmal einen fühlbaren Unterschied ausmachen kann. Es scheint kaum nötig, darauf hinzuweisen, dass Menschen ihre Einstellungen nicht immer aufrichtig zum Ausdruck bringen. Was als ein „Akt der Anerkennung“ im strikten Sinne erscheint, stellt klarerweise keinen genuinen Akt des Anerkennens dar (zumindest nicht im strikten Sinne), wenn es kein ernsthafter Versuch ist, seine wahren Einstellungen zu kommunizieren: eine „respektvolle“ Verbeugung kann unaufrichtig sein, genauso wie die Vergabe einer goldenen Uhr „als Anerkennung“ für die unersetzbaren Dienste eines Arbeiters, der sich in den Ruhestand begibt. Selbst in Fällen wie diesen kann es B noch gelingen, an As Handlungen abzulesen, ob und in welchem Maße A sie wirklich anerkennt. Sie mag schließen und dies möglicherweise zurecht, dass der vorgetäuschte „Akt des Anerkennens“ in Wahrheit As Mangel an angemessener Anerkennung ihr gegenüber offenbart. 9 Es ist auch möglich, dass A anerkennende Einstellungen gegenüber B hat, aber dass diese A zu keinerlei Art von Handlung führen, durch die sie für B erkennbar würden. Es sind in diesem Zusammenhang zwei Arten von Fällen denkbar. Erstens kann As anerkennende Einstellung gegenüber B in As motivationalem Gesamthaushalt bzw. „Motivationenset“ eine solche Rolle spielen,



2.4 Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen der Anerkennung 

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die A zu einer bestimmten Handlung führte, wäre A nur nicht aus irgendeinem Grunde unfähig, diese Handlung auszuführen. A könnte z.B. an einer körperlichen Lähmung leiden. Zweitens könnte A anerkennende Einstellungen gegenüber B haben, doch diese Einstellungen spielen in As motivationalem Haushalt keine solche Rolle, dass sie A dazu anleiteten „aus Anerkennung“ gegenüber B zu handeln, selbst wenn sie physisch dazu in der Lage wäre. A könnte stärkere Motivationen haben, anders zu handeln. Nehmen wir mal den Extremfall an, in dem A vor die Wahl gestellt ist, entweder B zu retten, den sie innig liebt oder die Welt zu retten und A die letztere Alternative wählt. Wenn es aus einem unerfindlichen Grund so wäre, dass die Rettung der Welt von A verlangte, ihre Einstellung der Liebe gegenüber B nicht auszudrücken (z.B. indem sie sagte oder auf andere Weise zeigte, dass es ihr sehr leid tut), dann zeigte sich As Liebe gegenüber B nicht einmal in As Handlungen. In beiden Arten von Fällen könnte B immer noch in der Lage sein, As anerkennende Einstellungen ihm gegenüber in As Emotionen (z.B. Trauer oder Angst) zu erkennen, in dem Maße nämlich, in dem sie sich auf eine andere Weise als in As Handlungen zeigten. Es ist häufig von vitaler Wichtigkeit zu wissen, dass man von jemandem geliebt oder auf andere Art und Weise anerkannt wird, selbst wenn es für diese Person keinen Weg gibt, diese Einstellungen in Handlungen zum Ausdruck zu bringen. Insgesamt gilt daher, dass selbst dann, wenn anerkennende Einstellungen ihr Subjekt mit der Motivation ausstatten, auf eine bestimmte Weise zu handeln, nicht einmal „Akte der Anerkennung“ in diesem weiten Sinne notwendig sind, damit Andere in der Lage sind, anerkennende Einstellungen in größeren Einstellungsgefügen zu erkennen. Darüber hinaus ist es selbstverständlich nicht notwendig, aus Anerkennung zu handeln – weder im strikten noch im weiten Sinne −, um anerkennende Einstellungen zu haben. Auch wenn es solche Einstellungen sind, die Subjekte zum Handeln disponieren, können sie Handlungen keineswegs garantieren. In der Deutung der Einstellungen Anderer kann man klarerweise immer auch fehlgehen und man kann sich leicht ernsthaft darüber täuschen, was die anerkennenden Einstellungen Anderer gegenüber einem selbst betrifft – bspw. indem man aufrichtiges Lob als Sarkasmus interpretiert oder Sarkasmus als Lob, oder auch einfach dadurch, dass man die Handlungsmotive des Anderen missversteht. Egal auf welche Weise sich Einstellungen des Anerkennens in den Handlungen, Körperhaltungen usw. einer Person zeigen, ist es daher immer möglich, dass es Anderen nicht gelingt, diese adäquat zu interpretieren oder dass sie sie missverstehen. Das heißt auch, dass selbst dann, wenn A B „Anerkennung zu geben hat“, B nicht notwendig auch „Anerkennung empfängt“ (vgl. Laitinen 2010). Andererseits kann B glauben, dass sie Anerkennung von A empfängt, obwohl A

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

ihr in Wahrheit keine Anerkennung gegenüber aufbringt bzw. zumindest nicht so sehr oder in der Art, wie B glaubt. An diesem Punkt ist es allerdings wichtig zu bemerken, dass diese Details der innersubjektiven und intersubjektiven Psychologie von Einstellungen und ihrer Verbindung zu Handlungen und Ausdrucksweisen ohne weitere Erläuterungen nur auf das anwendbar sind, was ich unten nicht-institutionelle bzw. rein intersubjektive Anerkennung zwischen Personen nennen werde. Diese ist dem entgegengesetzt, was ich institutionell vermittelte Anerkennung zwischen Personen nennen werde, bei der es wesentlich um Handlungen und Unterlassungen geht, während die motivierenden Einstellungen nicht zentral sind. Worauf diese Unterscheidung hinausläuft, wird in Kürze (in Abschnitt 2.5.) klarer werden und im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit Fichte (Abschnitt (3.3.4) und Hegel (4.2 und 4.4) noch detaillierter dargestellt werden.

2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv für ihre Objekte? Eine der Fragen zur Anerkennung von Personen, die gegenwärtige Autoren beschäftigt, ist die, ob es sich bei ihr um eine Antwort auf vorgegebene Objekte oder einen Aspekt dieser Objekte handelt, oder ob sie in irgendeiner Weise konstitutiv für ihre Objekte bzw. einen Aspekt an ihnen ist.10 Doch was genau bedeutet das Zutreffen des einen oder des anderen für das Phänomen der Anerkennung? Da präzise Definitionen dessen, was genau die unterschiedlichen Autoren unter „Anerkennung“ verstehen wollen, rar sind, läuft es hier mindestens so sehr, wenn nicht noch mehr, auf eine Frage der begrifflichen Spezifikation hinaus, was (d.h. welches Phänomen oder welche Phänomene) genau mit diesem Ausdruck gemeint ist, sowie auf die empirische Frage des Auffindens von Fakten zu einem begrifflich bereits gut abgegrenzten Phänomen. Es ist wahrscheinlich, dass sich die unterschiedlichen mit dem Begriff „Anerkennung“ bezeichneten Phänomene dadurch unterscheiden, ob und wie sie entweder in responsiver Weise auf ihre Objekte ansprechen oder konstitutiv für sie sind, oder auch beides. Des Weiteren können sowohl das responsive „Ansprechen auf“ etwas als auch das „Konstitutiv-Sein für“ etwas ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Die grundsätzliche Idee, dass Anerkennung von Personen von responsiver Art ist, kann in zwei Versionen vorliegen – einer kausalen und einer normativ verstandenen. Nach der kausalen Version ist Anerkennung „kausal responsiv“ in dem Sinne, dass sie durch einen Aspekt ihres Objekts verursacht, ausgelöst bzw. hervorgerufen wird und somit zumindest in einem gewissen Maße durch dieses erklärbar ist. Der normativen Version zufolge ist Anerkennung „normativ



2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv? 

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responsiv“ auf etwas, das ihrem Objekt angehört und damit der Mangel bzw. die Abwesenheit von Anerkennung in dessen Namen kritisierbar. In ähnlicher Weise kann auch die Idee, dass Anerkennung konstitutiv für etwas ist, in zwei Versionen auftreten – einer kausalen und einer ontologischen Variante. Während Anerkennung der kausalen Version zufolge „kausal konstitutiv“ bzw. wie man auch sagen könnte, in Bezug auf ihre Objekte oder einen Aspekt von ihnen eine „generierende“ Funktion hat, ist Anerkennung gemäß der ontologischen Version „ontologisch konstitutiv“ für ihre Objekte oder einen Aspekt dieser Objekte (vgl. hierzu auch Laitinen 2002). Mit anderen Worten: Während Anerkennung im Rahmen der ersten Version eine wichtige kausale Rolle im Werden ihrer Objekte zukommt, ist sie im Rahmen der zweiten Version gewissermaßen Teil ihres ureigenen Wesens. Bis hierhin habe ich recht unspezifisch von „Objekten und Aspekten der Objekte“ gesprochen. Dabei erlaubt der Ausdruck „Aspekt der Objekte“ zwei Lesarten: erstens, dass es sich bei einem solchen „Aspekt“ um wesentliche Merkmale oder Eigenschaften handelt, ohne die das Objekt nicht das wäre, was es ist und zweitens, dass es sich dabei um unwesentliche bzw. akzidentelle Eigenschaften des Objekts handelt, ohne die das Objekte immer noch dieselbe Art von Objekt wäre. Wenn wir über Personen als den Objekten der Anerkennung sprechen, dann geht es der ersten Option zufolge um wesentliche Merkmale von Personen, die sie überhaupt zu Personen machen, oder anders gesagt: um Konstituenten ihres Personseins überhaupt. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch auch eine Ambivalenz hinsichtlich des Begriffs des Personseins zu gewärtigen. In vielen alltäglichen Verwendungsweisen wird „Person“ mehr oder weniger als ein Synonym für „menschliches Individuum“ gebraucht. Die Reflexion darüber, was jemanden tatsächlich zur Person macht oder was „eigentümliche Merkmale des Personseins“ sind, fördert jedoch schnell zwei distinkte, wenn auch miteinander zusammenhängende Sets von Intuitionen und korrespondierenden theoretischen Konzeptualisierungen zu Tage. Man kann entweder der Auffassung sein, dass es eine bestimmte psychologische Konstitution oder Fähigkeiten (etwa Selbstbewusstsein oder Vernunft) sind, die Personen in spezifischer Weise von Nicht-Personen unterscheiden. Alternativ kann der Unterschied, der Personen im Wesentlichen von Nicht-Personen abgrenzt aber auch ein bestimmter Status sein (paradigmatisch der, ein Rechtsträger zu sein). Nach der ersten Auffassung, wir wollen sie den psychologischen Begriff des Personseins nennen, ist man eine Person, wenn man über eine Personsein-stiftende („person-making“ im Englischen) psychologische Konstitution verfügt, während man nach der zweiten Auffassung, diese wollen wir den Begriff des Personseins qua Status nennen, dann eine Person ist, wenn einem ein Personsein-stiftender Status zukommt.11 Beide Auffassungen spielen in der

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Literatur zum Personsein eine wichtige Rolle und den meisten Theorien zufolge kommt sowohl den psychologischen Kapazitäten wie auch dem Status eine ausschlaggebende Rolle fürs Personsein zu. Die Auffassungen treten aber auch häufig getrennt voneinander auf, so etwa in dem Gedanken, dass Sklaven unabhängig von ihrem Status selbstbewusste, denkende und kommunizierende Wesen sind und somit Personen wie jeder andere auch (der psychologische Begriff); oder in dem Gedanken, dass Menschen, die an ernsthaften intellektuellen Beeinträchtigungen leiden, unabhängig von ihren Fähigkeiten bzw. einem Mangel derselben, ein Recht auf Leben besitzen und damit Personen sind, wie jeder andere auch (der Begriff des Personseins qua Status). Egal ob man Anerkennung als ein responsives Ansprechen aufs Personsein (bzw. die Tatsache, dass x eine Person ist) begreift oder als konstitutiv für dieses oder beides, es ist wichtig, sich explizit dazu zu verhalten, ob man das Personsein in seinem psychologischen oder im Sinne des Status oder in beiderlei Sinn verstanden wissen will.

2.5.1 Anerkennung als Antwort aufs Personsein12 Wir wollen als nächstes die allgemeine Idee, dass Anerkennung von Personen responsiv auf ihr Personsein als solches bzw. auf ihre Personsein-stiftenden Merkmale oder sie als Träger solcher Merkmale anspricht, näher betrachten. Kombiniert man die unterschiedlichen Lesarten der kausalen und normativen Responsivität auf der einen Seite sowie die Differenzierungen des psychologischen Personseins und des Personseins qua Status auf der anderen Seite, dann erhalten wir vier verschiedene Versionen dieser allgemeinen Idee: I. Anerkennung ist kausal responsiv in Bezug auf die Personsein-stiftende psychologische Konstitution des Objekts (KRP), II. Anerkennung ist kausal responsiv in Bezug auf den Personsein-stiftenden Status des Objekts (KRS), III. Anerkennung ist normativ responsiv auf die Personsein-stiftende psychologische Konstitution des Objekts (NRP) und IV. Anerkennung ist normativ responsiv auf den Personsein-stiftenden Status des Objekts (NRS). Nach der ersten Version (KRP) wird Anerkennung auf irgendeine Weise durch die psychologische Personsein-stiftende Verfasstheit des Anderen ausgelöst, verursacht oder hervorgerufen, etwa durch seine rationalen, kommunikativen oder anderen Fähigkeiten, seine Sorge ums Wohl oder andere Belange, die gemäß einer überzeugenden Konzeption sein Personsein konstituieren. Man kann sagen,



2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv? 

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dass A gemäß dieser Lesart durch Bs psychologisches Personsein auf eine Weise dazu bewegt wird, B anzuerkennen. Nach der zweiten Lesart (KRS) wird die Anerkennung eines Anderen auf irgendeine Weise durch den Personsein-stiftenden Status des Anderen ausgelöst, verursacht oder hervorgerufen. Dieser Auffassung zufolge ist es also ein solcher Status von B, der A (zumindest im Normalfall) dazu bewegt, B anzuerkennen. Nach der dritten Lesart (NRP) liegt es an der psychologischen Konstitution einer Person, dass sie anerkannt werden soll bzw. Anerkennung „verdient“. Wenn A sich nicht zur Anerkennung von B veranlasst sieht, ist A daher durch Rekurs auf die Tatsache, dass B eine psychologische Person ist, kritisierbar. Schließlich ist nach der vierten Lesart (NRS) der normative Status einer Person der Grund dafür, dass sie Anerkennung verdient bzw. anzuerkennen ist. Wenn sich A hier nicht zur Anerkennung von B veranlasst sieht, kann A durch Rekurs auf die Tatsache, dass B aufgrund ihres Status eine Person ist und dass ein solcher Status Anerkennung verlangt, kritisiert werden. Klarerweise sind hybride Interpretationen, die zwei oder mehrere dieser vier Sichtweisen miteinander kombinieren, möglich. Diese können nicht nur in dem Sinne Kombinationen darstellen, als Anerkennung ihnen zufolge (im Normalbzw. Gelingensfall) sowohl kausal responsiv aufs Personsein qua psychologischer Verfasstheit oder qua Status als auch normativ responsiv (und somit in von der Norm abweichenden Fällen kritisierbar durch den Bezug) aufs Personsein ist. Sie können auch dadurch Kombinationen darstellen, dass sie zwei Auffassungen des Personseins kombinieren und damit implizieren, dass sowohl die psychologische Verfasstheit als auch der normative Status ein Teil dessen ist, was es heißt, eine Person zu sein. Damit wird zudem zum Ausdruck gebracht, dass während es in der Regel eines dieser Elemente des Personseins des Objekts ist (möglicherweise das psychologische), das andere Personen normalerweise zur Anerkennung bewegt, das andere Element (möglicherweise der Status) begründet, warum sie − egal ob andere auf diese Weise bewegt sind oder nicht − in jedem Fall Anerkennung aufbringen sollten. Eine weitere Quelle der Komplexität und der potentiellen Konfusion hängt mit der Tatsache zusammen, dass der Ausdruck „Status“ in zwei ganz unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden kann: Einerseits ist ein Status etwas ontologisch Objektives, andererseits aber auch etwas ontologisch Subjektives. Dass etwas ontologisch objektiv ist, bedeutet, dass seine Existenz nicht von den Einstellungen bzw. der Intentionalität irgendeines Subjekts abhängt; dass etwas ontologisch subjektiv ist, heißt hingegen, dass seine Existenz von den Einstellungen oder der Intentionalität eines oder mehrerer Subjekte abhängt. „Ontologisch objektiv“ ist somit synonym mit „Intentionalitäts-unabhängig“ und „ontologisch subjektiv“ mit „Intentionalitäts-abhängig“.13 Der „Status“ Jupiters als dem größten Planeten im Sonnensystem ist bspw. ontologisch objektiv, weil

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

er unabhängig von den Einstellungen existiert, die irgendjemand ihm gegenüber hat. Der Status von Euro-Noten als Geld ist im Gegensatz dazu ontologisch subjektiv, weil Euro-Noten nur dann Geld sind, wenn sie von den relevanten Subjekten als Geld behandelt oder für ein solches „gehalten“ werden. Was den „Status einer Person“ angeht, so kann dieser im Prinzip als etwas angesehen werden, das ontologisch objektiv ist und somit als etwas, das einigen Entitäten unabhängig von irgendjemandes Gedanken, Auffassungen oder Einstellungen zukommt. Alternativ kann er auch als etwas ontologisch Subjektives konzipiert werden und damit als etwas, dessen Existenz von bestimmten Einstellungen abhängt. Dies gilt auch für Aspekte, die oft als ein Teil oder als der Hauptaspekt des Personseins qua Status verstanden werden: Meint man, dass Anerkennung in irgendeiner Weise responsiv auf einen solchen Aspekt anspricht, dann ist immer noch die ontologische Frage zu beantworten, ob der Aspekt selbst ontologisch objektiv oder subjektiv ist.14 Des Weiteren beinhaltet die ontologisch subjektive bzw. Intentionalitätsabhängige Konzeption des Status zwei verschiedene wichtige Ideen, die leicht miteinander verwechselt werden können.15 Eine von ihnen ist − in einem Sinn, den ich noch erläutern werde – institutionell, die andere nicht-institutionell bzw. rein intersubjektiv. Bezogen auf den Status einer Person können wir entsprechend zwischen dem institutionellen und dem nicht-institutionellen oder rein intersubjektiven Konzept des Personenstatus unterscheiden. Ein Beispiel für einen nicht-­ institutionellen Status ist etwa, jemandem am Herzen zu liegen. Dies ist ein Status, den ein Objekt einfach kraft der Tatsache besitzt, dass jemand bestimmte Arten von Einstellungen ihm gegenüber hat, durch welche ihm das „am Herzen liegen“ zugeschrieben wird. (Diese Einstellungen können kausal responsiv sein, indem sie auf bestimmte an der Objekt-Person wahrgenommene Eigenschaften eingehen. In diesem Fall sind diese Eigenschaften kausal konstitutiv bzw. generativ für die Einstellungen, die dann wiederum ontologisch konstitutiv für den Status sind.) Für das nicht-institutionelle oder rein intersubjektive Konzept des Personenstatus gilt analog, dass Personsein heißt, Objekt der personifizierenden Einstellungen eines Anderen zu sein, durch die einem in seinen Augen ein Personsein-stiftender Status zugeschrieben wird. Durchschnittliche Erwachsene dürften einen solchen Status in der alltäglichen Interaktion in den Augen Anderer besitzen, in der sie einander fundamental anders denn als „bloße Dinge“ sehen und behandeln.16 Der institutionelle Status beinhaltet demgegenüber Rechte oder andere „deontische Mächte“ (um einen Ausdruck von John Searle zu übernehmen17), die, obwohl sie nicht von den Einstellungen irgendeiner Person abhängig sind, von den Einstellungen eines relevanten Kollektivs von Menschen abhängen. Nehmen wir etwa den Sachverhalt, dass etwas als Geld „zählt“. Diese institutionelle Tat-



2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv? 

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sache hängt nicht von den Einstellungen irgendeiner Einzelperson ab; allerdings hängt sie vom System der Normen und Institutionen ab, von dem sie ein Teil ist und die im Allgemeinen von den relevanten Personen bzw. einem Kollektiv von Personen als gültig anerkannt wird. Analog gilt, dass Personsein im Sinne des institutionellen Statuskonzepts bedeutet, bestimmte Personsein-stiftende Rechte oder andere deontische Machtbefugnisse zu besitzen, die den institutionellen Status einer Person innerhalb eines Institutionensystems (wie einer wirksamen staatlichen Verfassung) ausmachen, das vom relevanten Kollektiv (den Bürgern) generell als gültig anerkannt wird. Bisher sollte klar geworden sein, dass die scheinbar unschuldige Idee, dass Anerkennung responsiv auf das Personsein ihres Objekts anspricht, eine ganze Reihe unterschiedlicher Bedeutungen haben kann. Durch die Einführung der Idee des Personsein-stiftenden Status als einem ontologisch subjektiven Phänomen und somit als etwas, das von Intentionalität und bestimmten Einstellungen abhängt, nähern wir uns bereits der Idee an, dass Personsein in einem gewissen Sinne von anerkennenden Einstellungen abhängig sein könnte, bzw. mit anderen Worten, dass diese konstitutiv fürs Personsein in dem einen oder anderen Sinne sind. Wir wollen daher im Folgenden versuchen, die verschiedenen Versionen dieser allgemeinen Idee genauer voneinander zu unterscheiden.

2.5.2 Anerkennung als konstitutiv fürs Personsein Indem wir die Unterscheidungen zwischen dem „kausal“ und „ontologisch“ Konstitutiven, wie auch zwischen dem psychologischen und dem Statusbegriff des Personseins hinzunehmen, können wir zunächst die folgenden Varianten der allgemeinen Idee, dass Anerkennung von Personen konstitutiv fürs Personsein ist, auflisten: I. Anerkennung ist kausal konstitutiv (bzw. wirkt „erzeugend“) für die Personsein-stiftende psychologische Verfasstheit (KKP), II. Anerkennung ist kausal konstitutiv für den Personsein-stiftenden Status (KKS) III. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für die Personsein-stiftende psychologische Konstitution (OKP) und IV. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für den Personsein-stiftenden Status (OKS). Die Dinge verkomplizieren sich allerdings noch ein wenig mehr, sobald wir auch die Möglichkeit miteinbeziehen, dass Anerkennung nicht nur für das Personsein (sei es im psychologischen oder Statussinn) des Objekts, sondern auch des Sub-

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jekts der Anerkennung (im kausalen oder ontologischen Sinn) konstitutiv ist. Während der Fokus der Gegenwartsdebatten oft, vielleicht sogar überwiegend, auf der Wichtigkeit von Anerkennung durch Andere für den Anerkannten liegt (vgl. Kapitel 5), betont zumindest Hegel (wie wir in Kapitel 4 sehen werden) genauso die Wichtigkeit des Anerkennens Anderer für den Anerkennenden selbst. Wir wollen als Nächstes einen Blick auf die möglichen Varianten des allgemeinen Gedankens, dass Anerkennung konstitutiv fürs Personsein ist, werfen, indem wir auch die Subjekt-Objekt-Unterscheidung fruchtbar machen. Hieraus ergeben sich die folgenden Möglichkeiten: I. Anerkennung ist kausal konstitutiv für bzw. generiert die Personsein-stiftende psychologische Konstitution (KKP) des (1) Objekts der Anerkennung (KKPO) oder (2) des Subjekts der Anerkennung (KKPS), II. Anerkennung ist kausal konstitutiv für bzw. generiert den Personsein-stiftenden Status (KKS) des (3) Objekts der Anerkennung (KKSO) oder (4) des Subjekts der Anerkennung (KKSS), III. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für die Personsein-stiftende psychologische Konstitution (OKP) des (5) Objekts der Anerkennung (OKPO) oder (6) des Subjekts der Anerkennung (OKPS), IV. Anerkennung ist ontologisch konstitutiv für den Personsein-stiftenden Status (OKS) des (7) Objekts der Anerkennung (OKSO) oder (8) des Subjekts der Anerkennung (OKSS).18 „Kausal konstitutiv“ und „generierend“ sind hier in einem sehr weiten Sinne zu verstehen, der jede wichtige Funktion umfasst, die Anerkennung für das Werden bzw. die Genese des Personseins zukommen kann oder für die Prozesse, durch die Individuen sich zu Personen entwickeln und durch die ihr Personsein aufrechterhalten wird. Der Unterschied zum „ontologisch Konstitutiven“ in allen seinen Varianten besteht darin, dass die Tatsache, dass etwas kausal konstitutiv für x ist, nicht beinhaltet, dass es selbst ein Element oder Konstituent von x ist, während dies genau das ist, was die ontologische Konstitutivität von etwas für x beinhaltet. Nach der ersten Lesart (KKPO) spielt Anerkennung eine wichtige Rolle im Werden der psychologischen Personsein-stiftenden Charakteristika oder Fähigkeiten des Objekts der Anerkennung, sei es, dass das Anerkanntsein selbst Bestandteil des Personseins ist oder auch nicht. Es lässt sich entlang der zweiten Lesart (KKPS) auch dafür argumentieren, dass die Anerkennung für Andere eine



2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv? 

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wichtige kausal-genetische Rolle in der Entwicklung oder Aufrechterhaltung der Personsein-stiftenden Fähigkeiten des Anerkennenden spielt. Möglicherweise ist das Anerkennen Anderer etwas, das ihre Entwicklung veranlasst oder auch laufende Entwicklungsprozesse unterstützt, wodurch diese erneuert oder aufrechterhalten werden. Gemäß der dritten Lesart (KKSO) kommt Anerkennung eine kausale bzw. erzeugende Rolle im Werden des Personenstatus des Objekts zu und gemäß der vierten Interpretationsweise (KKSS) im Werden des Personenstatus des anerkennenden Subjekts. Die dritte Lesart könnte zutreffend sein, wenn Anerkennung dafür sorgte, dass dem Objekt der Status einer Person zukommt (egal, ob für das Bestehen dieses Status auch kontinuierliche Anerkennung erforderlich ist oder nicht). Die vierte Lesart könnte wahr sein, wenn jemand durch die Anerkennung Anderer dazu tendierte, ihrerseits eine Antwort auszulösen, durch die ihm selbst der Status einer Person zugeschrieben würde. Nach der sechsten Lesart (OKPS) ist es Teil des psychologischen Personseins, Anderen Anerkennung entgegenzubringen. Die fünfte Lesart (OKPO) könnte dann wahr sein, wenn es (a) der Fall wäre, dass psychologische Vorgänge, die für Personen wesentlich sind, in dem starken Sinn sozial wären, dass sie zu erhalten die Teilnahme an sozialen Praxen erfordert und wenn (b) solche Teilnahme notwendigerweise beinhaltete, von Anderen in einem relevanten Sinne anerkannt zu werden. Solche stark sozialen bzw. „externalistischen“ Auffassungen der psychologischen Verfasstheit von Personen werden gegenwärtig von einigen Neo-Hegelianischen Philosophen vertreten, die allesamt von der Annahme ausgehen, dass diese Auffassung auf Hegel zurückgeht (vgl. Brandom 2009 und Pippin 2011). Folgt man der siebten Lesart (OKSO), dann besteht der Personenstatus (zum Teil oder insgesamt) darin, Objekt von Anerkennung zu sein. Wie wir noch sehen werden, ist dies eine wichtige Variante der allgemeinen Idee, dass Anerkennung konstitutiv für Personsein ist: Wenn Personsein einen Status darstellt (sei dieser intersubjektiv oder institutionell) und wenn Anerkennung konstitutiv für diesen Status ist, dann ist es ontologisch konstitutiv für mein Personsein, dass ich anerkannt werde. Die achte Lesart (OKSS) läuft auf die Annahme hinaus, dass mein Personenstatus (zum Teil oder zur Gänze) darin besteht, jemand zu sein, der Andere anerkennt, also Anerkennender zu sein. Der Ausdruck „Anerkennender“ besitzt in dieser Formulierung jedoch eine andere Bedeutung als die bisherigen Verwendungsweisen (i.e. als Bezeichnung für eine psychologische Fähigkeit); er steht hier vielmehr für einen bestimmten Status. Die Doppeldeutigkeit dieser beiden Bedeutungen von „Anerkennender“ zeigt sich manchmal in dem häufig Hegel zugeschriebenen Gedanken, dass B „A als einen Anerkennenden anerkennen“ muss, damit As Anerkennung von B wirklich als Anerkennung von B zählt (vgl. Laitinen 2010). Darin spiegelt sich die generelle Ambivalenz der zwei Les-

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 2 Vorbereitende Differenzierungen und Fragen

arten des Ausdrucks „etwas als x anerkennen“ wider: Man kann Anerkennung entweder als eine Antwort auf das x-Sein des Objekts deuten (in diesem Fall werden die psychologischen Fähigkeiten des Anerkennenden betrachtet) oder auch als etwas verstehen, das das Objekt zu x macht (in diesem Fall wird der Anerkennende qua seines Status betrachtet). Es ist genau diese Ambivalenz des Antwortens (bzw. Respondierens) und des Konstituierens, die geklärt werden soll und dabei zeigt sich auch ihre enge Verbindung zur Ambivalenz von Status und Fähigkeit. Als Status verstanden kann Anerkennender zu sein als Teil des Status einer Person aufgefasst werden: Nur dann, wenn mir dieser Status zugeschrieben wird, „zählt“ meine Anerkennung und ich als Anerkennender. Wird die Tatsache, dass ich Anerkennender bin, hingegen als eine Fähigkeit begriffen, kann sie diese Rolle nicht spielen. Sie kann dann aber als eine „Adäquatheitsbedingung“ verstanden werden, so dass „B als einen Anerkennenden qua Status anzuerkennen“ (was Teil ihres Personseins qua Status sein kann) nur dann adäquat ist, wenn B der (potentiellen oder tatsächlichen) psychologischen Fähigkeit nach Anerkennender ist. Was die allgemeine Idee anbelangt, dass Anerkennung in einem gewissen Sinne aufs Personsein antwortet, gilt wiederum, dass es hybride Auffassungen geben kann, die zwei oder mehrere der diskutierten Versionen der Konstitutivität von Anerkennung fürs Personseins kombinieren. Bezieht man zudem mit ein, dass dem Begriff des „Status“ recht unterschiedliche Bedeutungen zukommen können, dann wird die Liste möglicher Kombinationen der letztgenannten Idee noch länger. Diskutiert man die Vorstellung, dass Anerkennung in einem gewissen Sinne konstitutiv für das Personsein qua Status ist, dann ist der ontologisch objektive bzw. Intentionalitäts-unabhängige Begriff des Status offensichtlich nicht Teil des Bildes. Implizit sind jedoch beide Versionen des ontologisch subjektiven bzw. Intentionalitäts-abhängigen Statusbegriffs − die institutionelle und die intersubjektive – relevant und sollten nicht miteinander verwechselt werden. Damit will ich sagen, dass Anerkennung sowohl (kausal oder ontologisch) konstitutiv für das intersubjektive Personsein qua Status als auch (kausal oder ontologisch) konstitutiv für den institutionellen Personenstatus sein könnte. Wie wir in den nächsten Kapiteln sehen werden, sind beide Vorstellungen in den Konzeptionen von Fichte und Hegel präsent. Sie beinhalten zwei recht unterschiedliche Bedeutungen von „Anerkennung“, wie sie am Ende von Abschnitt 2.4. erwähnt wurden: eine institutionell vermittelte und eine rein intersubjektive.



2.5 Verhält sich Anerkennung von Personen responsiv oder ist sie konstitutiv? 

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2.5.3 Anerkennung von „Identitäten“ In Abschnitt 2.5. habe ich darauf hingewiesen, dass die Rede von einem „Aspekt“ im Rahmen der Frage, ob bzw. in welchem Maße Anerkennung für ihre Objekte oder einen „Aspekt ihrer Objekte“ konstitutiv ist bzw. auf sie antwortet, zwei Lesarten erlaubt: Erstens kann es sich bei dem „Aspekt“ um wesentliche Eigenschaften handeln, ohne die das Objekt nicht mehr das wäre, was es ist. Zweitens können damit auch unwesentliche oder akzidentelle Eigenschaften des Objekts gemeint sein, ohne die das Objekt nicht aufhörte, das zu sein, was es ist. Ich fuhr dann fort, die erste Option der wesentlichen bzw. Personsein-stiftenden Eigenschaften und ihr Verhältnis zu Anerkennung zu diskutieren. Ein großer Teil der gegenwärtigen Debatten über die Anerkennung von Personen handelt allerdings von Eigenschaften, die nicht wesentlich im Sinne einer Personsein-stiftenden Bedeutung sind, sondern vielmehr qualitative Eigenschaften darstellen, die von einer Person oder einer Personengruppe zur nächsten variieren können. So lässt sich zumindest ein Großteil der Rede über die „Anerkennung der „Identität“ bzw. „Anerkennung der Differenz“ verständlich machen, die in etwa auf dasselbe hinauslaufen, da es in diesen Diskursen paradigmatisch um diejenigen Aspekte der „Identität“ von Personen bzw. Personengruppen geht, die diese von anderen Personen bzw. Gruppen unterscheiden, z.B. ihre bestimmten ethnischen, kulturellen, linguistischen, religiösen oder sexuellen Eigenheiten. Auf die Verknüpfung von Anerkennung mit den Identitäten von Personen werden wir in Kapitel 5 zurückkommen. In den nächsten beiden Kapiteln liegt der Fokus hingegen zunächst auf dem Verhältnis von Anerkennung zu dem, was Personen in erster Linie zu Personen macht.

3 Fichte über Auffordern und Anerkennen Nachdem im vorangegangenen Kapitel einige grundlegende begriffliche Mittel eingeführt wurden, die hilfreich sind, wenn es um diejenigen Konstellationen von Phänomenen geht, die in den Diskussionen über Anerkennung entscheidend sind, ist es nun Zeit, einen Blick auf einige der tatsächlichen Diskurse zu werfen. In diesem und im nächsten Kapitel werde ich mit J.G. Fichte und G.W.F. Hegel zwei klassische Referenzquellen diskutieren. Hegel ist zweifellos die zentrale klassische Referenz zum Thema – so dass praktisch jede Abhandlung über die Ursprünge des Themas auch eine Diskussion über Hegel, seine berühmten Figuren des Herrn und des Knechts und über ihre „Dialektik der Anerkennung“, beinhaltet. Allerdings wird es weithin akzeptiert, dass Hegels Denken über dieses Thema direkt von Fichte beeinflusst wurde und dass Fichte darüber hinaus auch als erster den Begriff „Anerkennung“ in einem Kontext und in einer Weise verwandte, die der Hegels teilweise sehr ähnlich ist.1 Dies macht Fichte zu einem guten Ausgangspunkt für das Unternehmen, die Ursprünge der expliziten Diskussionen über Anerkennung aufzuspüren.2 Mit Fichte zu beginnen hat zudem noch andere hervorstechende Vorteile. Zuallererst gibt es einen relativ kompakten Text von ihm, der das Thema ausdrücklich und ausführlich diskutiert – nämlich die §§ 1 – 7 seiner Grundlage des Naturrechts von 1796 – 1797 (ab hier als Grundlage bezeichnet).3 In diesem wegbereitenden Text spricht Fichte viele Fragen und Probleme der Anerkennung an (oder ist zumindest mit ihnen konfrontiert), auf die Hegel so nie ausführlich in seinem Werk reflektiert hat, von denen aber begründeterweise angenommen werden kann, dass sie ihm aufgrund seiner Fichtelektüre vertraut waren. Viele dieser Fragen und Probleme beruhen auf Unterscheidungen, die wir im vorherigen Kapitel eingeführt haben und antizipieren Unklarheiten, mit denen Diskurse über Anerkennung seit jeher behaftet sind; manche von ihnen kann man auch in Hegels Werk finden. Mit Fichte anzufangen bietet so einen guten Zugang zum Verständnis bestimmter zentraler Ambiguitäten und Probleme, die auftauchen, sobald man sich mit dem Thema systematisch auseinanderzusetzen beginnt. Zweitens ist Anerkennung im Rahmen der Fichte’schen AnerkennungsKonzeption  – die eng verbunden ist mit seiner Konzeption der Aufforderung − von ausdrücklicher und grundlegender Bedeutung für das Dasein vernünftiger, freier Wesen, oder in seinen Worten für Personen, sowohl was ihr individuelles als auch was ihr kollektives Dasein betrifft. Ein Blick auf Fichtes Reflexionen über Anerkennung erlaubt es uns daher, relativ tief in die zu diskutierende grundlegende Bedeutsamkeit von Anerkennung für die Lebensform menschlicher Personen einzudringen. Im Folgenden werde ich weniger versuchen, einen Überblick über Fichtes Gedanken über Anerkennung zu geben, als eine Fallstudie seiner

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Behandlung des Themas in der Grundlage präsentieren und mich dabei auf einige der Schlüsselprobleme konzentrieren. Ein Überblick hätte nicht nur eine Reihe von Texten Fichtes zu berücksichtigen, sondern auch etwaige Verschiebungen und Veränderungen in seinem Denken, die es im Rahmen einer kurzen Behandlung verhinderten, ins Detail zu gehen. Dabei sind es die Details sowie die Probleme, die mit ihnen einhergehen, über die wir uns Klarheit zu verschaffen haben.4

3.1 Aufforderung und Anerkennung Der Kontext von Fichtes Diskussion über Anerkennung in der Grundlage ergibt sich aus dem Gesamtziel seines Buches, das darin besteht, ein System von Rechten und institutionellen Strukturen aus den notwendigen Bedingungen des Selbstbewusstseins, genauer noch des Bewusstseins seiner selbst als freies Vernunftwesen, zu deduzieren (d.h. deren Notwendigkeit zu erweisen). Da man nach Fichtes Auffassung kein freies Vernunftwesen sein kann, ohne dass man sich seiner selbst als solches bewusst ist bzw. ohne dass man sich als solches interpretiert, kann man alternativ auch sagen, dass Fichte zu zeigen versucht, dass bestimmte Rechte notwendig sind, damit es überhaupt freie und vernünftige Wesen geben kann. Dies ist ein radikales wie auch ambitioniertes Programm für eine Rechtstheorie, doch meinen die meisten Interpreten, dass Fichte letztendlich daran scheitert, es zufriedenstellend zu realisieren. Da unser Hauptaugenmerk auf Fichtes Behandlung des Anerkennungs- und Aufforderungs-Themas liegt und was wir daraus im Rahmen unseres hiesigen Erkenntnisinteresses lernen können, werden wir uns nicht ausführlich mit dem allgemeinen Ziel des Buches beschäftigen. Dennoch wird sich zeigen, dass das Problem von Fichtes Versuch, sein Programm durchzuführen mit der in 2.5.1. vorgenommenen Unterscheidung von Personsein im institutionellen Sinn (d.h. „Personsein-stiftende“ Rechte zu besitzen), im psychologischen Sinn (d.h. Fähigkeiten und oder Eigenschaften zu haben, die das Personsein ausmachen) und im intersubjektiven Sinn (d.h. in den Augen Anderer eine fürs Personsein konstitutive Signifikanz zu haben), sowie auch mit verschiedenen korrespondierenden Bedeutungen dessen, was es heißt, „als Person anerkannt“ zu sein, zusammenhängt.5 Die Fichte’sche Vorstellung, die für uns die größte Bedeutung besitzt, ist die, dass die Bewusstwerdung seiner selbst als frei und vernünftig es erfordert, Interaktionen mit anderen freien Vernunftwesen einzugehen, welche zu vernünftiger Freiheit „auffordern“. Wir wollen versuchen zu klären, was es heißt, in Fichtes Sinn aufgefordert zu werden und wie er das Konzept der Anerkennung in enger Beziehung zu dem der Aufforderung begreift.



3.2 Die Aufforderung zur Freiheit 

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Das Erste, was es in diesem Zusammenhang zu verstehen gilt, ist die Tatsache, dass sich seiner selbst bewusst zu sein nach Fichte nicht bedeutet, dass man sich etwas bewusst ist, das schon unabhängig von dieser Bewusstseinshaltung bestand oder bestehen könnte. Es gibt kein vorher-gegebenes „Selbst“ oder „Ich“, dessen sich das Selbstbewusstsein bewusst ist und das unabhängig von der Tatsache, dass es ein Bewusstsein von ihm gibt, existierte. Die Art des Bewusstseins von sich selbst, die Fichte meint, ist vielmehr ein notwendiges und konstitutives Element des Ich-Seins. Nach Fichtes Terminologie „setzt“ sich das Ich selbst, wobei dem „Setzen“ sowohl der epistemische Sinn des sich selbst Bewusstwerdens als auch der praktische Sinn des sich selbst Hervorbringens zukommt. Nach einer ungenerösen Lesart könnte dies nach einem unplausiblen metaphysischen Münchhausen-Trick aussehen – sich selbst zur Existenz bringen, indem man sich als existierend annimmt; wenn man aber versteht, was dies beinhaltet, verschwindet dieser Eindruck zugunsten einer viel plausibleren Einsicht. Was in diesem Zusammenhang entscheidend ist, ist ein freies Vernunftwesen – welches Fichte, beginnend mit § 5 der Grundlage, kurz als „Person“ bezeichnet. Damit sich dieses seiner selbst als es selbst bewusst wird, muss es sich seiner selbst als ein freies Vernunftwesen bewusst sein, oder wie Fichte schreibt, als „freie Tätigkeit“. Es ist nichts sonderlich Gewagtes oder offenkundig Problematisches daran, zu meinen, wie Fichte dies tut, dass man kein freies Vernunftwesen sein kann, ohne sich als ein solches zu begreifen. Was aber ist mit dem Gedanken, dass man ein freies Vernunftwesen wird, dadurch dass man sich als ein solches auffasst, ein Gedanke der eindeutig auch zu dem gehört, was Fichte sagen will? Diesbezüglich ist es wichtig, wenigstens darauf hinzuweisen, wie bereits geschehen, dass Fichte die Selbstbewusstwerdung als freies Vernunftwesen oder als Person nicht als etwas darstellt, das das Subjekt allein mit seinen eigenen Mitteln vollbringen könnte. Ganz im Gegenteil kommt das Selbstbewusstsein als freies Wesen – kraft dessen man ein freies Wesen ist − durch die Interaktion mit einem anderen freien Vernunftwesen zu Stande. Warum ist das so?

3.2 Die Aufforderung zur Freiheit Eine zentrale Prämisse von Fichtes Argumentation ist der Gedanke, dass man sich selbst nur dadurch als ein von der Welt unterschiedenes Subjekt freier Tätigkeit oder Wirksamkeit begreifen kann, dass man die Welt als etwas erfährt, das der eigenen Tätigkeit Widerstand leistet. Auch die epistemische Relation zur Welt – wahrnehmen, erkennen, etwas für wahr halten etc. – beruht auf der Subjekt-Objekt-Unterscheidung, die auf diese Weise zu Stande kommt.6 Wichtig ist es indes zu bemerken, dass Fichte in der Grundlage die These aufstellt, es sei unmög-

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

lich, sich allein dadurch seiner selbst als freier Tätigkeit bewusst zu werden, dass man den Widerstand gewöhnlicher Objekte gegen die eigene Tätigkeit erfährt. Warum ist das so? Dies ist deshalb so, weil ein Bewusstsein von Objekten als Objekte, die von einem selbst verschieden sind und der eigenen Tätigkeit Widerstand leisten, bereits präsupponiert, dass man sich seiner eigenen Tätigkeit in Bezug auf sie bewusst ist. Sich seiner eigenen Tätigkeit bewusst zu sein, setzt aber wiederum voraus, dass man bereits ein Bewusstsein von Objekten hat, die diesen Widerstand leisten. Und so weiter. Kurz gesagt argumentiert Fichte dafür, dass der Versuch das Zustandekommen von Selbstbewusstsein über die praktische Begegnung mit gewöhnlichen natürlichen Dingen zu erklären, zu einem infiniten Regress führt und daher misslingt. Fichtes gewagte und an dieser Stelle vielleicht überraschende Behauptung ist, dass die eben erwähnte Zirkularität nur durch die Annahme vermieden werden kann, dass das Subjekt sich seiner selbst bewusst wird, dadurch, dass es mit etwas konfrontiert ist, das sowohl eine unabhängige Andersheit ist, die sich auf das Subjekt auswirkt oder von diesem als Widerstand wahrgenommen wird, als auch die eigene Tätigkeit des Subjekts ist. Die Henne-oder-Ei-Frage, ob zuerst das Selbstbewusstsein oder ein Bewusstsein von unabhängiger Objektivität da sein muss, lässt sich vermeiden, wenn beide auf irgendeine Art verknüpft werden können (SW III, 32). Wie aber könnte dieses merkwürdige Bewusstseinsobjekt aussehen, ein Objekt, das sowohl vom Subjekt verschieden als auch das Subjekt selbst ist? Das Objekt, an das Fichte denkt, ist – oder besser gesagt: beinhaltet − eine spezielle Form der Repräsentation der freien Subjekttätigkeit, die ihm von außen präsentiert wird. Es gibt drei wichtige miteinander zusammenhängende Bedingungen, die dieses Phänomen erfüllen muss (siehe Beiser 2002, 340 – 343). Erstens (a) muss die Repräsentation so verfasst sein oder dem Subjekt in einer solchen Weise gegeben sein, dass das Subjekt sie als etwas von ihm Unabhängiges erfährt, das sich auf es auswirkt oder es beeinflusst. Zweitens (b) kann diese Auswirkung oder Beeinflussung nicht von gewöhnlicher kausaler Art sein, da das Subjekt dadurch in eine bloße Kette von Ursache und Wirkung eingesetzt und als bloßes Ding behandelt würde. Als bloßes Ding kausal bewegt zu werden, würde nicht dabei helfen, ein Bewusstsein von sich selbst als freies Vernunftwesen hervorzubringen. Ganz im Gegenteil muss die Wirkung oder Beeinflussung das Subjekt auf irgendeine Weise als ein freies Wesen beeinflussen. Alternativ kann man auch den Begriff verwenden, den Fichte selbst beginnend mit § 5 seiner Grundlage verwendet: Um sich seiner selbst als Person bewusst zu werden, und so eine Person zu werden, muss man erfahren, wie auf einen selbst als eine Person und nicht wie auf ein bloßes Ding eingewirkt wird. Dass der Inhalt der Repräsentation das Subjekt als ein freies Wesen ist, heißt drittens (c), dass der Inhalt radikal unbestimmt sein muss. Frei zu sein, heißt,



3.2 Die Aufforderung zur Freiheit 

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nicht durch irgendetwas bestimmt zu sein, und daher kann das Subjekt nicht durch eine Beschreibung mit fest umrissenem Gehalt oder endgültiger Bestimmung repräsentiert werden. Die Art der Repräsentation, die in Fichtes Augen alle diese Bedingungen erfüllt, ist eine „Aufforderung“ zu Freiheit oder freier Tätigkeit durch ein anderes freies Vernunftwesen. Man kann sich die Aufforderung gut als einen kommunikativen Akt mit repräsentationalem Gehalt und einem bestimmten Modus, in dem dieser präsentiert wird, vorstellen. Der repräsentierte Gehalt in all seiner Unbestimmtheit ist die Freiheit oder die freie Tätigkeit des Adressaten der Aufforderung. Aber es ist der Modus, in welchem dieser präsentiert wird und durch den der Adressat angesprochen wird, der darüber entscheidet, ob er auf die richtige Weise beeinflusst wird. Eine Aufforderung zur Freiheit repräsentiert den Adressaten nicht als aktuell frei (schließlich soll er erst durch den besagten Prozess frei werden), und sie präsentiert die Freiheit des Adressaten auch nicht nur als eine bloße, noch nicht aktualisierte Möglichkeit (auch wenn sie das auch tut). Eine Aufforderung zur Freiheit repräsentiert die Freiheit des Adressaten vielmehr „als etwas, das im künftigen seyn soll“ (SW III, 33), und darüber hinaus als etwas, das der Adressat selbst realisieren soll. Es ist der „fordernde“ Modus der Repräsentation, die normative Erwartung bzw. der Anspruch, mit dem das auffordernde Subjekt den Adressaten konfrontiert, der sie beeinflusst und auf diese Weise die erste Bedingung erfüllt (a). Die Aufforderung zur Freiheit bewegt den Adressaten somit nicht mittels einer gewöhnlichen kausalen Einwirkung und sie behandelt den Adressaten auch nicht wie ein gewöhnliches Objekt. Sie fordert oder lädt ein, aber sie zwingt das Subjekt nicht dazu, seine Freiheit oder freie Tätigkeit auszuüben (etwas, das unmöglich wäre). Obwohl es noch immer etwas unklar ist, auf welche Weise genau die Aufforderung das Subjekt beeinflusst, behandelt sie es klarerweise als freies Wesen und scheint auf diese Weise die Bedingung (b) zu erfüllen. Gleichzeitig ist der repräsentationale Gehalt der Aufforderung radikal unbestimmt: Er ist nicht nur keine Repräsentation einer bestimmten Weise zu handeln, die der Adressat umzusetzen hätte, Fichte meint auch, dass der Adressat der Aufforderung frei ist zu handeln, „aber es ebensowohl auch unterlassen kann“ (SW III, 34). Fichte bringt eindeutig zum Ausdruck, dass beide Weisen angemessene Antworten auf die Aufforderung darstellen und damit Weisen sind, die eigene freie Tätigkeit auszuüben. Was auch immer das genau heißt, Bedingung (c) scheint hiermit erfüllt zu sein. Aber was meint oder könnte Fichte mit der Ausübung freier Wirksamkeit meinen, wenn diese etwas ist, das genauso gut durch Handeln wie durch „Nichthandeln“ (SW III, 34) ausgeübt werden kann? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir verstehen, was nach Fichte in einem umfassenderen Sinne dazu

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

erforderlich ist, um ein freies Vernunftwesen zu sein. Die Hauptstoßrichtung seiner Argumentation ist es, die notwendige Sozialität freier Vernunftwesen zu betonen und damit ist die in Frage stehende Ausübung freier Wirksamkeit etwas, das in einem sozialen Kontext stattfindet. Hierbei kommt der Vorstellung eine zentrale Bedeutung zu, dass die Aufforderung notwendigerweise als Aufforderung durch ein anderes freies Vernunftwesen erfahren wird. Dadurch, dass das Subjekt sich auf diese Weise zur Freiheit aufgefordert erfährt, erfährt es sich zugleich als Gegenüber eines anderen freien Vernunftwesens. Die Aufforderung zu vernünftiger Freiheit als das, was sie ihrem Wesen nach ist, zu erfahren, heißt nach Fichte in der Tat, sich als eingeladen oder dazu aufgefordert zu sehen, neben der anderen Person Mitglied einer „Gemeinschaft freier Wesen“ (SW III, 72 – 73) zu sein. Wichtig ist, dass eine Gemeinschaft freier Wesen im Fichte’schen Sinne nicht einfach eine Pluralität oder ein Aggregat von Subjekten ist, die unabhängig von der Gemeinschaft frei wären. Im Gegenteil können Subjekte nur dadurch, dass eine Gemeinschaft in einem ganz bestimmten Sinne geformt wird, als freie und vernünftige Wesen existieren. Es ist wesentlich für eine solche Gemeinschaft und folglich für die Zugehörigkeit zu ihr, dass die Subjekte zueinander in einer Beziehung stehen, die Fichte „Rechtsverhältnis“ SW III, 40) nennt. Ein Rechtsverhältnis zwischen zwei Parteien zeichnet sich dadurch aus, dass beide ihre „Freiheit so“ „beschränke[n]“, dass der andere auch frei sein kann (SW III, 89), oder dass beide ihre Freiheit begrenzen „durch (…) [die] Möglichkeit [der] Freiheit [des Anderen]“ (SW III, 52). Fichte beschreibt die wechselseitige Begrenzung der Freiheit mithilfe der Möglichkeit (oder dem „Begriff“ (SW III, 10)) der Freiheit der anderen Personen als ein Kennzeichnen von wechselseitig exklusiven „Sphäre[n] [der] Freiheit“ (SW III, 46). Fichtes Argument ist, dass man nur dann frei sein kann, wenn man über eine Sphäre der Freiheit verfügt, in die Andere nicht eingreifen und er meint, dass man dies nur erwarten kann, wenn man selbst nicht in die Freiheitssphären Anderer eingreift.7 Unglücklicherweise beinhaltet die Metapher der sich wechselseitig ausschließenden Freiheitssphären aber ein ernsthaftes Problem für Fichtes Konzeption der Selbstbewusstwerdung freier Wesen qua Aufforderung. Diese Konzeption steht ganz im Geiste des modernen liberalen politischen Denkens, das sich auf Rechte konzentriert, die Individuen voreinander und vor dem Staat beschützen, und scheint daher gut zu Fichtes Projekt einer Theorie der Rechte zu passen. Das Problem damit ist allerdings, dass sie viel zu simpel zu sein scheint, um die intimeren Verhältnisse zu begreifen, deren Hervorgehen sich mit den ersten Andeutungen von so etwas wie dem Bewusstsein seiner selbst als frei nahelegt. Fichte schreibt auf einem relativ abstrakten Niveau und sagt nicht viel über die empirischen Instanziierungen des Aufforderns. Jedoch ist empirisch gesehen



3.2 Die Aufforderung zur Freiheit 

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die menschliche Kindheit klarerweise der paradigmatische Schauplatz für diejenigen Vorgänge, über die Fichte spricht. Obwohl die Vorstellungen von sich wechselseitig ausschließenden Sphären und der Nichteinmischung in die persönliche Sphäre durch Andere einige Aspekte der Beziehungen zwischen dem auffordernden Erwachsenen und den kindlichen Adressaten solcher Aufforderungen zu erfassen vermögen, sind sie kaum zureichend für ein umfassendes Verständnis solcher Beziehungen. In diesem Zusammenhang gilt es auch, ein potentielles Missverständnis bezüglich des Aufforderungs-Begriffs aufzuklären. Fichtes Formulierungen erwecken häufig den Eindruck, als handle es sich bei einer „Aufforderung“ um ein singuläres Ereignis, durch das ein vollständig bewusstloses Wesen plötzlich zur Bewusstheit seiner selbst als frei erwachte und dadurch sogleich eine freie Person würde − ein einmaliges Ereignis, das man sicherlich nur schwerlich im wirklichen Leben ausfindig machen könnte. Tatsächlich hat Fichte kein solches einmaliges Ereignis im Sinn, sondern vielmehr einen Prozess – den Prozess der Erziehung. An einer Stelle im Text stellt Fichte ein wenig abrupt fest: „[d]ie Aufforderung zur freien Selbstthätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, ausserdem würden sie nicht Menschen.“ (SW III, 39).8 Fichte expliziert nur in geringem Maße, was genau er mit der Identifikation von „Auffordern“ und „Erziehen“ im Sinn hat. Es lässt sich aber aus dem Kontext erschließen, dass das Wesentliche der Erziehung für Fichte die Förderung der kindlichen Entwicklung zu einer vernünftigen und freien Person ist. Kurz gesagt: Auffordern ist das Element der Erziehung, kraft dessen das Kind in die Lage gebracht wird, sich zu einem freien Vernunftwesen zu entwickeln und d.h. zum Mitglied einer Gemeinschaft solcher Wesen. Das Problem von Fichtes Ansatz lässt sich nun besser charakterisieren: Seine zentrale Metapher ist ungeeignet dafür, mit der prozessualen und stufenweise fortschreitenden Natur wirklicher Erziehung sowie den großen Differenzen zwischen den frühen und späten Phasen dieses Prozesses zurechtzukommen. Von „sich wechselseitig ausschließenden Sphären der Freiheit“ zu sprechen, mag passend sein, wenn man eine politische Ordnung beschreibt, die sich auf den durch Rechte vermittelten Schutz der Individuen voreinander konzentriert und so auf diejenigen Rechtsverhältnisse, in die eine Person als junger erwachsener Bürger eintritt. Als Beschreibung elementarer Beziehungsverhältnisse zwischen Kindern und Erwachsenen, mit denen der Prozess der Erziehung einsetzt, wirkt eine solche Beschreibung hingegen seltsam entfremdet bzw. atomistisch. Und in der Tat weist Fichte es in seiner später im Buch ausführlich stattfindenden Diskussion der Familie ausdrücklich zurück, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern primär rechtlich zu verstehen.9 Somit besteht zum Teil eine Diskrepanz

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

zwischen dem, was Fichte zu sagen versucht und dem, was seine Metaphern zum Ausdruck bringen. Wir können anfangen, die zu beschreibende Situation aufzuklären, indem wir eine Unterscheidung thematisieren, die Fichte selbst nicht explizit macht, nämlich die zwischen institutionellen und nicht-institutionellen bzw. rein intersubjektiven Beziehungen oder Beziehungsfaktoren. Während das Ziel der Grundlage darin besteht, die Notwendigkeit eines bestimmten institutionalisierten Rechtssystems und somit eines Systems von darauf beruhenden menschlichen Beziehungen zu erweisen (hier soll der junge Erwachsene schließlich ankommen), handelt seine Diskussion der notwendigen sozialen Bedingungen der Selbstbewusstwerdung von einer grundsätzlich intersubjektiven und nicht-institutionalisierten Form der Interaktion (damit beginnt das Kind seinen langen Weg in Richtung Erwachsensein). Konzentriert man sich auf die Frühphase des Aufforderungsprozesses im Sinne der Erziehung, dann ergibt es wenig Sinn, sich die Aufforderung des Kindes als seine Einführung in eine Gemeinschaft vorzustellen, die sich etwa durch exklusive Eigentumsrechte auszeichnet, durch die jeder eine exklusive Freiheitssphäre genießen und mit seinem Eigentum ungestört tun kann, was er will.10 Noch allgemeiner gesehen ist es keine angemessene Beschreibung dessen, was Auffordern in der frühen Kindheit bedeutet, wenn man sagt, dass es darum geht, das Kind dazu einzuladen, Mitglied eines Systems institutionalisierter Rechtsbeziehungen irgendeiner Art (sowie korrespondierender Pflichten) zu sein. Fichte wird kaum ernsthaft gemeint haben, dass Kinder erst dadurch, dass man sie mit ihren Rechten bekannt macht und dazu ermuntert, diese auszuüben, zum Bewusstsein ihrer selbst als freie Vernunftwesen erwachen. Es gibt eine Möglichkeit dieser Kritiklinie mit dem Verweis auf einen vermittelnden Begriff in Fichtes Werk zu begegnen, den ich bisher noch nicht erwähnt habe: dem Begriff des „Urrechts“. Fichte unterscheidet zwischen einem „Urrecht“, d.h. vor-institutionellen oder natürlichen Rechten auf der einen Seite und „wirkliche[n]“ (SW III, 122), d.h. institutionalisierten Rechten auf der anderen Seite. Angewandt auf die Interaktion von Kind und Erwachsenem bezieht sich das „Rechtsverhältniss“ (SW III, 52) hauptsächlich auf Urrechte. Nach Fichte beinhalten die Urrechte das „Recht auf die Fortdauer der absoluten Freiheit und Unantastbarkeit des Leibes“ und das „Recht auf die Fortdauer unseres freien Einflusses in die gesammte Sinnenwelt“ (SW III, 119).11 Aber selbst dann, wenn man zugesteht, dass Fichte die Beziehung zwischen Erwachsenem und Kind nicht im Sinne von institutionalisierten Rechten, sondern im Sinne dieser nicht-institutionalisierten oder Urrechte auffasst, bleibt eine fundamentale Inadäquatheit seiner Darstellung bestehen. Die Berufung auf solche Urrechte, die dem Kind hypothetisch zugeschrieben werden, stellt eine ziemlich leblose, abstrakte und unpas-



3.2 Die Aufforderung zur Freiheit 

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sende Beschreibung der Art von Interaktion dar, die das Kind bei der Entwicklung eines Verständnisses seiner selbst als rationalem und freiem Wesen (in der spezifischen Weise, in der alle rationalen Wesen frei sind) unterstützt. Die Metapher der „einander ausschließenden Sphären“ der Freiheit, innerhalb welcher jeder absolut frei d.h. unbehindert ist, findet hierin ihren Nachhall. Ich möchte versuchen, das Problem mit dieser Metapher noch etwas besser zu veranschaulichen. Schaut man sich die frühen Arten der innigen Interaktion von Kind und Mutter bzw. Umsorgendem an, dann ist es alles andere als offensichtlich, wie die „Sphären“ der Freiheit voneinander abzugrenzen sind und was man genau tun kann oder sollte (bzw. nicht tun sollte), um dabei nicht den Körper des Anderen in seiner Freiheit oder seinen Einfluss auf die sinnliche Welt zu beeinträchtigen. Sollte dies unklar oder unbestimmt sein, dann ist der einzige sichere Weg, sich der Interaktion insgesamt zu enthalten, denn fast jede Art der Interaktion kann in irgendeiner Weise die Freiheit oder den Einfluss auf die Welt des anderen körperlichen Wesens behindern. Man denke nur an das Halten des Säuglings. Aber wie Fichte selbst feststellt, reicht es nicht, dass ich lediglich „das Handeln unterlasse“, das der Freiheit des Anderen zuwiderläuft. Ich muss „ihm wirklich gemäss handel[n]“, und „mich wirklich auf eine Wechselwirkung mit [dem Anderen] einlassen“, denn „[a]usserdem12 bleiben wir geschieden und sind gar nichts für einander“ (SW III, 45). Es muss eine wechselseitige Interaktion zwischen dem Kind und dem Erwachsenen geben, damit die Entwicklung des Kindes zu einem freien und vernünftigen Wesen positiv vorangehen kann. Daher kann Nichteinmischung – ein „sich Heraushalten“ und „gewähren Lassen“ – hier nicht die Lösung sein.13 Was aber ist dann die Lösung? Ich möchte keine vollständige Revision, aber eine Art Nachabstimmung des Fichte’schen Vokabulars vorschlagen, die es besser auf die strikt intersubjektiv verfassten Phänomene abstimmt, die entscheidend für die Frühphase des Erziehungsprozesses sind. Das Erste, was in dieser Hinsicht zu tun ist, ist, dass wir den Begriff des Rechts von der zentralen Position, die Fichte ihm zuweist, auf eine etwas nebensächlichere Position verlegen und die zentrale Stellung stattdessen dem Begriff der Autorität geben.14 Dies bedeutet, dass wir die primären Formen sozialer Beziehungen, die am Beginn des langen Aufforderungsprozesses qua Erziehung wesentlich sind, in der Hauptsache nicht als „Rechtsverhältnisse“ charakterisieren sollten, da dadurch der Eindruck vermittelt wird, die Haupt­ sache sei hierbei, dass das Kind ein Träger von Rechten unter anderen wird. Die „Gemeinschaft freier Wesen“, in die einzutreten das Kind aufgefordert wird, wird treffender charakterisiert, wenn man sie als „Verhältnisse der Ko-Autorität“ bestimmt. Damit soll gesagt werden, dass Mitglied einer Gemeinschaft freier Wesen zu werden bedeutet, dass man Autorität teilt, bzw. eine „Ko-Autorität“ ist, die mit den relevanten Anderen unter den Bedingungen und Normen der Koexis-

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

tenz lebt. Fichtes Rede vom Begrenzen der eigenen Freiheit durch die Freiheit Anderer ist auf dieser grundlegenden Ebene der Sozialität darüber hinaus besser als Ausdruck des Phänomens zu verstehen, dass wir Andere als Autoritäten für die Normen der Koexistenz und somit für uns selbst erachten. Ich werde durch die Autorität, die Andere für mich darstellen, begrenzt bzw. begrenze mich selbst, indem ich ihre Autorität anerkenne. Frei zu sein heißt hier weniger, eine exklusive Sphäre zu haben, innerhalb welcher ich tun kann, was ich will, als vielmehr Autorität bezüglich der Normen der Gemeinschaft, in der man mit den relevanten Anderen lebt, zu besitzen und zu teilen oder mit anderen Worten: an dem regierenden Leben in der Gemeinschaft als ein maßgebliches Mitglied neben anderen zu partizipieren. Fichtes Metapher der einander ausschließenden Sphären der Freiheit kann neu interpretiert werden, als metaphorisierender Versuch, die schwierige Frage zu adressieren, was es heißt, Autorität mit anderen zu teilen. Kurz gesagt: In einem solchen Sinne Autorität und somit Freiheit zu teilen bedeutet, dass keiner, um Fichtes Formulierungen aufzugreifen, „alle Freiheit“ haben kann, sondern nur „einen Theil“ davon (SW III, 8). Jeder stellt ein ursprüngliches Zentrum von Autorität dar, dessen Autorität nicht abgeleitet oder reduzierbar auf die irgendeines Anderen ist. Ausgestattet mit diesem neubestimmten Vokabular können wir nun noch einmal nachfragen, was die Ausführung „freier Tätigkeit“ ist, wenn sie genauso gut durch Handeln wie durch Unterlassen vom Handeln realisiert werden kann? Wir können dies als Ausführung der eigenen Autorität über die Normen der Koexistenz mit anderen interpretieren, durch die man zugleich aktives Mitglied einer Gemeinschaft freier Wesen ist. Genau dies ist es, wozu die Aufforderung zur Freiheit bzw. zur Ausführung freier Tätigkeit ihren Adressaten einlädt. Ob die Ausübung von Autorität bzw. Ko-Autorität über die Normen und Regeln, die die Koexistenz strukturieren, Handeln oder Unterlassen vom Handeln erfordert, hängt ganz von der jeweils gegebenen Situation ab. Jede Weise, diese Normen zu unterstützen, geltend zu machen, in Frage zu stellen, neu auszulegen oder zu verändern ist eine Weise, seine freie Tätigkeit als Mitglied einer Gemeinschaft freier Wesen auszuüben und dies kann man sowohl durch Handeln als auch durch das Unterlassen desselben „tun“.15 Die Beziehungen zwischen Mitgliedern einer Gemeinschaft freier Wesen „Rechtsverhältnisse“ zu nennen, wie Fichte dies tut, ist allerdings auch hier auf der nicht-institutionellen Stufe nicht gänzlich deplatziert, wo die Erziehung zur vollgültigen Person ihren Anfang nimmt. Denn Normen legen fest, was jemand in einer bestimmten Situation befugt und berechtigt ist, zu tun (oder nicht zu tun) und was er verpflichtet ist, zu tun (oder nicht zu tun). Dies ist eine andere Art, wie die Rede von „ausschließenden Sphären“ auch im Rahmen des neube-



3.2 Die Aufforderung zur Freiheit 

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stimmten Vokabulars Sinn ergibt: Rechte, wie informell auch immer, etablieren gewissermaßen Sphären desjenigen, das nicht verletzt werden soll („wir einigen uns darauf, dass ich dazu berechtigt bin, so zu handeln und dass Du kein Recht hast, mich dabei zu behindern“). Mit dem neu gewonnenen Vokabular können wir sogar Fichtes Idee der nicht-institutionellen Urrechte auf „Freiheit und Unantastbarkeit des Leibes“ und „freien Einfluss in die gesammte Sinnenwelt“ Rechnung tragen. Entscheidend ist, dass diese in Bezug auf die eigentliche konkrete Interaktion eine Konkretisierung erfordern. Der einzig gangbare Weg, dies zu erreichen, besteht in einer konstanten Berichtigung und Aushandlung der Bedingungen, Regeln und Normen der Interaktion, die selbst Teil der Struktur der Interaktion sind. Zur Diskussion stehen die unzähligen informellen Bedingungen, Regeln und Normen, die die menschliche Interaktion strukturieren, soweit diese nicht vom Instinkt allein geleitet ist; Normen, von denen es zu viele gibt und die sich zu sehr im Fluss befinden, um sie jemals auflisten zu können, die fortwährend verhandelt, neu definiert, neu ausgelegt und auf diese Weise von genau den Individuen, die in die konkrete Interaktion involviert sind, legitimiert werden. (Man bemerke, dass dies keineswegs außerhalb der Interaktion oder in einem expliziten reflexiven Diskurs geschehen muss. Es finden die meiste Zeit über, ohne die Interaktion zu unterbrechen, Aushandlungen etc. in der Interaktion selbst statt; nämlich durch die zahlreichen, oft kaum bewussten Weisen, in denen Menschen  – einschließlich Kleinkinder und ihre Mütter  – einander durch Körperhaltung, Mimik, Stimmlage usw. Zustimmung oder Missbilligung, Einigkeit oder Dissens, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit signalisieren.) Kraft dieser Normen und der Tatsache, dass beide Autorität über diese ausüben und somit übereinander, belässt die Interaktion leiblicher Wesen beide in ihrer Freiheit, auch wenn sie sich als leiblich-verfasste Wesen im endlichen Raum und in konkreter Interaktion unausweichlich gegenseitig beeinflussen und in ihren Handlungsmöglichkeiten behindern. Das Ziel kann es hierbei, wie ich vorschlagen möchte, nicht sein, nicht beeinflusst und so durch den Anderen behindert zu werden, sondern auf eine Weise beeinflusst und behindert zu werden, die man billigt und akzeptiert.16 Hierin wird anschaulich, was es für den eigenen Körper bedeutet, „frei und unverletzlich“ zu sein und für einen selbst „freien Einfluss“ auf die Welt zu haben. Rechte sind deswegen Teil der Darstellung. Zentral dafür, dass man auf dieser grundlegenden Ebene Mitglied einer Gemeinschaft freier Wesen ist, ist es, Autorität bezüglich der Normen, die die Interaktion regeln und damit auch der informellen und nicht-institutionellen bzw. der Urrechte einer jeden Person zu haben und zu teilen. Rekonstruiert man Fichtes Gedanken auf diese Weise, dann kann nun zusammengenommen gesagt werden, dass die Aufforderung zur Freiheit auf der grund-

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

legendsten Ebene für jede Interaktionsweise bzw. -qualität steht, durch die der Adressat eingeladen wird, Autorität bezüglich der Bedingungen bzw. Normen der Interaktion zu teilen und auf diese Weise zusammen mit dem Auffordernden eine Ko-Autorität der Normen zu sein. Indem der Erwachsene mit dem Kind auf eine Weise interagiert, die es als Einladungen oder Aufforderungen zur Übernahme von Verantwortung für ein gemeinsames Leben begreifen kann, macht er das Kind mit Repräsentationen seiner Freiheit bzw. seiner selbst als frei (in der obigen Bedeutung) bekannt – im Sinne einer Potentialität, die es zu verwirklichen hat.17 Tatsächlich frei wird man dadurch, dass man sich selbst als frei begreift, in dem praktischen Sinne, dass man sich mit dem verantwortlichen und freien Ideal seiner selbst identifiziert, folglich Verantwortung übernimmt und mit Anderen Autorität auszuüben beginnt.

3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts Was hat dies nun alles mit „Anerkennung“ zu tun und was versteht Fichte unter diesem Begriff? Wir befinden uns jetzt am Anfang der expliziten Diskurse über Anerkennung und können bereits hier eine Reihe von Ambiguitäten feststellen, die seit jeher in den Diskursen zu finden sind. Fichtes Schwierigkeiten im Umgang mit diesem problematischen Begriff und sein Schwanken zwischen verschiedenen, wenn auch verwandten Bedeutungen, sind besonders aufschlussreich für jeden, der versucht, ein Verständnis des hier in Frage stehenden Komplexes von Phänomenen zu gewinnen. Fichtes Text enthält, um ein wenig vorauszugreifen, eine gewisse Unschlüssigkeit bzw. schwankt begrifflich hin und her zwischen (I.) einem Verständnis von Anerkennung als bloß epistemischer oder theoretischer Einstellung auf der einen Seite und als praktischer Einstellung auf der anderen Seite, und (II.) einer Konzeption von Anerkennung als einer Einstellung oder einem mentalen Akt (sei es theoretisch oder praktisch) einerseits und als einem Akt oder einer „Behandlungsweise“ andererseits. Wir wollen das erste die Theorie-Praxis-Oszillation und das zweite die Einstellungs-Handlungs-Oszillation nennen. Darüber hinaus gibt es zwei unterschiedliche Arten konkreter Beziehungen, mittels welcher Fichte in der Grundlage über Anerkennung nachdenkt, ohne dass er klar zwischen ihnen unterscheiden würde. (A) Die eine ist die rein intersubjektive Beziehung zwischen dem erwachsenen Auffordernden und dem kindlichen Adressaten der Aufforderung. Fichte



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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meint sowohl, dass der Auffordernde den Adressaten zuerst als freies Vernunftwesen „anerkennen“ muss, um ihn zu Freiheit und Vernünftigkeit aufzufordern, als auch dass der Adressat den Auffordernden als freies Vernunftwesen „anerkennen“ muss, um die Aufforderung als Aufforderung verstehen zu können und angemessen auf sie zu reagieren. (B) Der andere thematische Komplex betrifft die spezifische Art der Beziehung zwischen Individuen, die gemeinsam an einer „Gemeinschaft freier Wesen“ teilhaben. Diese ist nach Fichtes Beschreibung eine Beziehung, die durch institutionalisierte Rechte vermittelt ist. Nach Fichtes Konzeption spielt „Anerkennung“ auch in dieser Beziehung eine zentrale Rolle. Obwohl diese thematischen Zusammenhänge insofern miteinander zusammenhängen, als das Kind ausgehend von der ersten Beziehungsart in Beziehungen der zweiten Art eintreten soll, sind sie von ganz unterschiedlicher Art und wie wir sehen werden, hängt ein Teil der Differenz damit zusammen, dass sie unterschiedliche Anerkennungs-Konzepte so wie auch unterschiedliche Begriffe des Personseins involvieren.

3.3.1 Die „Anerkennung“ des Adressaten der Aufforderung durch den Auffordernden Wir wollen mit der Beziehung zwischen dem Auffordernden und dem Adressaten der Aufforderung beginnen (A). Fichte meint, dass der Auffordernde etwas bzw. jemanden als freies Vernunftwesen „anerkennen“ muss, um ihn zu vernünftiger Freiheit aufzufordern. Die scheinbare Zirkularität dieses Gedankens – immerhin soll das Objekt einzig durch den Prozess des Aufforderns ein freies Wesen werden − lässt sich leicht auflösen, wenn man Freiheit und Rationalität vor der Aufforderung als Potentiale versteht, deren Verwirklichung eine Aufforderung erfordert. Die erste Aufgabe des Auffordernden besteht daher darin, im Adressaten der Aufforderung ein Potential für rationale Freiheit zu erkennen. Es stellt eine etwas schwierigere Angelegenheit dar, dass Fichte bezüglich der Haltung des Auffordernden zum Adressaten vor dem Auffordern zwischen zwei unterschiedlichen Konzeptionen schwankt. Einerseits stellt er dies oft als einen rein epistemischen Sachverhalt des Erkennens oder des Identifizierens (siehe 1.1.) eines Adressaten als potentiell rationalem Wesen dar und bezeichnet diesen epistemischen Akt oder Zustand als „Anerkennung“.18 In bestimmten anderen Textpassagen hat Fichte jedoch etwas anderes im Sinn als eine bloß epistemische Identifikation, nämlich eine praktische Einstellung oder einen praktischen mentalen Akt, etwas, das er an einer Stelle als „Respekt“ (SW III, 84) bezeichnet.

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Diese zwei unterschiedlichen Vorstellungen gründen in zwei unterschiedlichen Problemen, und der Hauptgrund für Fichtes Unentschiedenheit bzw. die TheoriePraxis-Oszillation (1) ist, wie wir sehen werden, noch ein drittes Problem, das mit Freiheit zu tun hat. Welches sind die beiden erstgenannten Probleme, die Fichte zu diesen zwei unterschiedlichen Vorstellungen von der Haltung des Auffordernden gegenüber dem Adressaten der Aufforderung führen und die er teils als Angelegenheit theoretischer, teils als Angelegenheit praktischer Einstellungen konzipiert? Zunächst ist hier Fichtes Version des sogenannten Problems des Fremdpsychischen zu nennen. Fichte fragt: „Denn wie weiss ich denn, welches bestimmte Object ein vernünftiges Wesen sey?“ (SW III, 80). Im Rahmen unseres Themas besteht das Problem in der Frage, wie der Auffordernde wissen kann, ob etwas möglicher Adressat einer Aufforderung ist. Fichtes Antwort auf diese Frage ist eine Geschichte über das Zustandekommen eines gut begründeten epistemischen oder theoretischen Bewusstseinszustandes, nämlich den Glauben oder das Wissen, dass der Andere tatsächlich ein dem Potential nach rationales Wesen ist. Mit anderen Worten: Fichte beantwortet das Problem des Fremdpsychischen mit einer Konzeption, derzufolge die „Anerkennung“ eines potentiellen Adressaten eine Angelegenheit epistemischer Identifikation ist. Fichte hat aber zweitens noch ein anderes Problem vor Augen. So führt die Vorstellung, dass Rationalität abhängig ist von der Aufforderung eines Anderen, auf die folgende Möglichkeit: „Meine Vernünftigkeit hängt demnach ab von der Willkür, dem guten Willen eines Anderen, von dem Zufalle; und alle Vernünftigkeit hängt ab von dem Zufalle.“ (SW III, 74). Dies würde, nach Fichtes Auffassung, die Unabhängigkeit der Person beeinträchtigen: „So kann es nicht seyn: denn dann bin ich als Person zuerst doch nicht selbstständig, sondern nur ein Accidens eines anderen, welcher wieder ist ein Accidens eines dritten, und so ins Unendliche.“ (ebd.). Vernünftige Freiheit als etwas in dieser Weise Kontingentes zu begreifen, ist etwas, das Fichte nicht akzeptiert. Die Antwort auf dieses Problem – wir können es als das Problem der Kontingenz bezeichnen – ist eine Theorie, der gemäß der Auffordernde zur Aufforderung „genötigt“ (SW III, 74, 85) wird. Anders gesagt beantwortet Fichte das Problem der Kontingenz mit einer Theorie, in der die „Anerkennung“ eines potentiellen Adressaten durch den Auffordernden einen praktischen oder motivationalen mentalen Akt darstellt – einen solchen der Nötigung. Was beim Leser Verwirrung stiften könnte, ist die Tatsache, dass Fichte zu versuchen scheint, beide Probleme  – das Problem des Fremdpsychischen und das Problem der Kontingenz – im selben Zuge zu beantworten (SW III, 64 – 73). Dabei gelingt es ihm jedoch nicht, eine konsistente Konzeption zu entwerfen, weil ihn die Probleme auf unterschiedliche Wege führen, die ihn beide nicht vollkom-



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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men zufriedenstellen. Auf der einen Seite ist es gerade die Art und Weise, in der die Haltung des Auffordernden zum Adressaten (oder anders gesagt: die Haltung des Erwachsenen zum Kind) im Sinne des Problems des Fremdpsychischen ausgearbeitet ist  – nämlich in epistemischen Begrifflichkeiten des Wissens oder Glaubens, dass letztgenannter potentiell rational ist (oder als solcher erkannt werden kann) –, durch die das Problem der Kontingenz entsteht: Gegenüber der Annahme, dass A im epistemischen Sinne des Glaubens oder Annehmens dahin geführt wird, B als ein potentiell rationales Wesen und somit als einen geeigneten Adressaten der Aufforderung „anzuerkennen“,  – oder B als einen solchen zu identifizieren −, ist es aber noch eine völlig andere Frage, ob A B tatsächlich auffordert und auf diese Weise die Verwirklichung ihrer Potentiale ermöglicht. Vielleicht hat A einen Beweggrund dies zu tun, vielleicht hat sie diesen aber auch nicht. Auf der anderen Seite sieht die Vorstellung, dass der Auffordernde auf eine gewisse Weise zur Aufforderung genötigt ist, wie eine Lösungsmöglichkeit für das Problem der Kontingenz aus. Dies würde es Fichte auch erlauben, das Problem des Fremdpsychischen zu reformulieren und zu sagen, dass die ursprüngliche Beziehung zwischen Aufforderndem und Adressaten keine des Wissens, Glaubens, Annehmens und Identifizierens ist, sondern eine des motivationalen Affiziertseins.19 Anders gesagt würde dies Fichte die Aussage ermöglichen, dass das Entscheidende an der Haltung des Auffordernden zum Adressaten keine motivational neutrale, epistemische oder theoretische Einstellung ist, sondern eine motivational wirksame praktische Einstellung der „Anerkennung“, durch die der Auffordernde zum Auffordern genötigt wird. Allerdings ist auch dies eine Lösung, die Fichte letztendlich nicht akzeptieren kann, weil sie die Freiheit des Auffordernden aufs Spiel setzte. Hier kommt das oben erwähnte dritte Problem ins Spiel. Fichtes Besorgnis, die Freiheit des Auffordernden zu beeinträchtigen, ist, so mein Vorschlag, der Hauptgrund für seine Theorie-Praxis-Oszillation. Auf dem Spiel steht hier nicht Freiheit in dem Sinne, dass man in der Lage ist, in der Außenwelt ohne die Behinderung durch Andere zu handeln – Fichtes Rede von den ausschließenden „Sphären der Freiheit“ bezieht sich im Wesentlichen hierauf −, und auch nicht Freiheit im Sinne der Autonomie, d.h., dass man unter selbst autorisierten Bedingungen handelte und behandelt würde – im Rahmen meiner Rekonstruktion war dies das Wesentliche des Aufforderns als Erziehung. Was hier im Gegenteil auf dem Spiel steht, ist Freiheit in einem innerlich-mental kausalen Sinn, d.h. dass die Handlungsabsichten eines Subjekts nicht durch irgendetwas anderes als das Subjekt selbst verursacht sind. So wie Fichte nicht akzeptiert (wie wir in 2.2. gesehen haben), dass das Auffordern die Ursache dafür ist, dass der Adressat der Aufforderung in einer bestimmten Weise handelt, akzeptiert er es auch nicht, dass der potentielle

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Adressat der Aufforderung, oder irgendetwas in ihm, die Ursache für einen motivationalen Zustand des Auffordernden ist, der zum Auffordern führte. Fichte wendet mehrere Seiten dafür auf, dieses dritte Problem zu lösen, indem er eine Theorie entwickelt, die erklären soll, wie jemand durch einen anderen affiziert werden kann, ohne dass die eigene Reaktion durch die Wirkung verursacht wäre. Das Herzstück dieser Theorie, die in ihren Details recht problematisch ist, ist die Idee, dass Andere mich nicht wirklich auf eine Weise affizieren, die mein Handeln zur Folge hat Ihre Rolle ist gewissermaßen nur, dass sie mich dazu bringen, solche Effekte innerlich zu „imitieren“ (SW III, 61 – 73).20 Daher ist es nicht der Fall, dass das potentielle Vernunftwesen, oder etwas in ihm, den Auffordernden in irgendeiner Weise affiziert und dass der Auffordernde dadurch dazu veranlasst oder bewegt wird, Ersteren aufzufordern. Der Auffordernde „imitiert“ vielmehr innerlich eine Wirkung des Anderen und bringt sich dadurch selbst dazu, so zu handeln (SW III, 66). Dieser innere Akt der Imitation ist in dem geforderten Sinn absolut frei, insofern er durch nichts, was dem Subjekt selbst äußerlich ist, verursacht wird (SW III, 64 – 65).21 Während Fichte hier eine schwierige Frage zu bewältigen sucht – denn wie kann ich von Anderen affiziert werden, ohne dass meine Freiheit dadurch beeinträchtigt wird−, eliminiert seine Antwort darauf dasjenige, was eine Lösung für das Problem der Kontingenz darstellen könnte. Folgen wir diesem Gedankengang, dann ist es letztendlich nicht der Fall, dass der potentielle Adressat der Aufforderung den Auffordernden in irgendeiner Weise zum Auffordern „nötigt“, sondern vielmehr so, dass der Auffordernde dies selbst tut. Ist dies der Fall und der innere Akt der Imitation tatsächlich frei in dem kausalen Sinn, dass er nicht durch irgendetwas anderes als das Subjekt ausgelöst wurde, wie Fichte insistiert, dann werden wir zum Problem der Kontingenz zurückgeführt, nur jetzt auf einer tieferen Ebene: Vielleicht hat das Subjekt ein Motiv dafür, innerlich eine Wirkung des Anderen zu imitieren, vielleicht aber auch nicht. Es gibt noch eine andere, hiermit eng verbundene Weise, in der Fichtes Zögern bzw. Schwanken zwischen der epistemisch-theoretischen und praktischen Vorstellung der „Anerkennung“ des Adressaten der Aufforderung durch den Auffordernden zum Ausdruck kommt. Diese hängt mit der Frage zusammen, von was für einer „Nötigung“ Fichte primär spricht: Ist sie von praktischer oder von theoretischer Art? Dass sie von theoretischer Art ist bedeutet, dass das Subjekt den Anderen epistemisch als ein potentielles Vernunftwesen identifiziert und dass es dadurch logisch dazu genötigt ist, den Anderen zur Verwirklichung seiner Freiheit aufzufordern.22 Ob das Subjekt den Anderen tatsächlich auffordert, bleibt ihm vollständig selbst überlassen, wenn es dies aber nicht tut, kann es als logisch oder theoretisch inkonsistent kritisiert werden.23 Es ist nicht ganz einfach zu sehen, worin genau die logische Inkonsistenz liegt, die man begeht,



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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wenn man ein Kind, das man für ein potentielles Vernunftwesen hält, nicht auffordert. Fichtes Diskussion dieses Themas (SW III, 74 – 80) gibt darauf keine wirklich stimmige Antwort, da sie zwei Problematiken nicht klar auseinanderhält: den mentalen Akt bzw. die anerkennende Einstellung gegenüber dem Anderen als einem (potentiellen) Vernunftwesen auf der einen Seite, und die tatsächliche Behandlung des Anderen als ein solches Wesen auf der anderen Seite, was in diesem Fall bedeutet, es zur Verwirklichung seiner Freiheit aufzufordern. Wir nähern uns hier dem an, was ich oben Fichtes Einstellungs-HandlungsOszillation genannt habe. Fichtes Argument läuft auf den Gedanken hinaus, dass es unmöglich ist, den Körper eines menschlichen Wesens konsistenterweise als etwas anderes als den eines – wenn nicht tatsächlichen, dann zumindest potentiellen  – Vernunftwesens zu begreifen,24 und schließt mit der Behauptung ab, dass, weil dies so ist, „jeder Mensch innerlich genöthigt [wird], jeden anderen für seines Gleichen zu halten“ (SW III, 80). Auch wenn das Kind noch kein eigentliches Vernunftwesen ist, ist es für Andere unmöglich, sein körperliches Dasein als etwas anderes denn als dasjenige eines Wesens, das potentiell rational ist, zu begreifen. Obschon dies ein interessantes Argument ist, steckt der Teufel in einem scheinbar unschuldigen Detail: nämlich in der Idee des etwas für etwas „halten“, die zwischen einem mentalen Akt bzw. einer Einstellung und einem tatsächlich vollzogenen Akt oder einer Behandlungsweise changiert. Fichte stellt sich selbst die Aufgabe, zu zeigen, dass der Auffordernde aus Gründen der Konsistenz dazu genötigt ist, das Kind im Sinne einer auffordernden Interaktion für frei und vernünftig zu halten, aber tatsächlich argumentiert er nur dafür, dass er aus Gründen der Konsistenz dazu genötigt ist, es im Sinne eines (epistemischen) mentalen Aktes oder einer Einstellung für ein potentiell freies und vernünftiges Wesen zu halten. Egal ob Fichte mit dem Vorschlag Recht hat oder nicht, dass es eine theoretische oder logische Nötigung gibt, den Körper eines menschlichen Wesen als den eines freien Vernunftwesens zu identifizieren  – da er auf keine andere Art widerspruchsfrei aufgefasst werden kann25 –, vollständig unberührt bleibt hierbei die Frage, ob der Andere auch wie ein solches Wesen zu behandeln ist. Kurz gesagt: selbst dann, wenn es logisch inkonsistent wäre (und auf diese Weise nicht einfach nur falsch), ein freies Vernunftwesen, mit dem man bewusst konfrontiert ist, für etwas anderes als ein solches Wesen zu „halten“ in dem Sinne, dass man es als ein solches Wesen identifiziert, wäre es einfach eine andere Frage, ob irgendetwas inkonsistent daran ist, es nicht für ein solches Wesen zu „halten“ in dem Sinne, dass man es wie ein solches Wesen behandelt (was in diesem Kontext bedeutete, es aufzufordern). Fichte bietet aber auch eine andere, praktische Version dessen an, was es bedeutet, dass der Auffordernde zum Auffordern „genötigt“ ist  – eine Version, die so aussieht, als könnte sie als Antwort auf das Problem der Kontingenz

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

dienen. Nach einer weiteren Diskussion der Erfahrung eines anderen Wesens, dem genuin menschliche Merkmale zu eigen sind – wie z.B. die Augen, die Intelligenz zum Ausdruck bringen, die aufrechte Haltung, der Mund und „das ganze ausdrückende Gesicht“ (SW III, 84)  – schließt Fichte mit der Aussage ab, dass dies „jeden, der menschliches Angesicht trägt, nöthigt, die menschliche Gestalt überall (…) anzuerkennen und zu respectiren [Betonung H.I.]“ und dass die „Menschengestalt (…) dem Menschen nothwendig heilig“ ist (SW III, 84 – 85). Fichte scheint hier darauf hinweisen zu wollen, dass es so etwas wie eine normale Reaktion auf einen menschlichen Körper (im Rahmen meines Arguments vor allem den eines Kindes) gibt, die nicht allein eine epistemische bzw. theoretische Angelegenheit ist; es geht nicht nur darum, Überzeugungen zu bilden und den menschlichen Körper als Körper eines (potentiell oder tatsächlich) freien Vernunftwesens zu identifizieren, mit anderen Worten: es ist nicht allein ein theoretisch mentaler Akt oder eine Einstellung, die als solche keine Motivation involvierte. Entscheidend ist im Gegenteil ein motivational wirksames Phänomen. Den anderen menschlichen Körper als „heilig“ anzusehen, ihn oder seinen Besitzer „anzuerkennen und zu respektieren“ schließt klarerweise eine motivationale Veränderung ein, einen Grad des Affiziertseins, durch den man die Bereitschaft erlangt, auf eine angemessene Art und Weise zu handeln und das andere Wesen auf eine angemessene Art und Weise zu behandeln. Ein paar Seiten früher hat Fichte einen Hinweis gegeben, was dies genauer beinhalten könnte. Als Antwort auf das Problem des Fremdpsychischen  – „wie weiss ich denn, welches bestimmte Object ein vernünftiges Wesen sey“ (SW III, 80) − präsentiert er die folgende bemerkenswerte Textstelle: Die Natur hat diese Frage längst entschieden. Es ist wohl kein Mensch, der bei der ersten Erblickung eines Menschen, ohne weiteres, die Flucht nehme wie vor einem reissenden Thiere, oder Anstalt mache ihn zu tödten und zu verspeisen, wie ein Wild; der nicht vielmehr sogleich auf wechselseitige Mittheilung rechnete. Dies ist so, nicht durch Gewohnheit und Unterricht, sondern durch Natur und Vernunft (SW III, 81)

Zusätzlich zu der Aussage, dass die normale Reaktion auf ein anderes menschliches Wesen unmittelbar ist, im Gegensatz zu etwas, das wir uns erst angewöhnen und erlernen müssten, sagt er, dass sie ein Rechnen auf bzw. die Erwartung wechselseitiger Mitteilung beinhaltet. Man könnte dies als einen rein epistemischen oder theoretisch-mentalen Akt der Voraussicht oder Vermutung verstehen, dass es wahrscheinlich zur Mitteilung oder Kommunikation kommen wird. Bestimmte Beobachtungen sprechen aber für eine andere Interpretation: nämlich dafür, dass das, was hier entscheidend ist, eine Art der praktischen Einstellung ist, die eine Bereitschaft oder Motivation beinhaltet, sich an einer Kommunikation zu beteiligen. Immerhin erfordert Kommunikation, dass zwei beteiligt sind und deswegen



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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gibt es ohne die Motivation zur Kommunikation mit dem Anderen keinen Grund für die Erwartung oder die Annahme, dass eine Kommunikation bevorsteht. Im hiesigen Kontext – der Beziehung von Kind und Erwachsenem − liegt es nahe, dass es um die Motivation geht, das Kind zur Kommunikation aufzufordern, wobei dies selbst schon eine kommunikative Handlung ist. Das Bild von der Beziehung des Auffordernden zum Adressaten vor dem Auffordern würde demnach folgendermaßen aussehen: Der Auffordernde ist durch die Erfahrung der schieren Präsenz des Adressaten in einem gemeinsamen Raum zum Auffordern „genötigt“; genauer noch: diese Nötigung ist (bzw. ist Teil) einer praktischen Einstellung „der Anerkennung oder des Respekts“ gegenüber dem Kind als potentiellem freien Vernunftwesen und somit als einem möglichen Kommunikationspartner. So vielversprechend dieser Interpretationsweg auch aussehen mag, Fichte kann ihm schlussendlich nichtsdestoweniger nicht beipflichten, da er wiederum die innere kausale Freiheit oder „Selbstursächlichkeit“ des Auffordernden aufs Spiel setzte. Selbst wenn so etwas wie „Respekt“ den Auffordernden zum Auffordern motivierte, darf dieser Respekt  – Fichtes Prämissen gemäß  – nicht durch das Objekt (den Adressaten) oder durch die Begegnung mit ihm verursacht sein; im Gegenteil müsste er ein Produkt der spontanen inneren „Imitation“ des Auffordernden von einer solchen Wirkung sein. Dies aber würde bedeuten, dass der Respekt vollständig der freien Willkür des Auffordernden überlassen ist, und damit stehen wir wieder vor dem Problem der Kontingenz.

3.3.2 Die „Anerkennung“ des Auffordernden durch den Adressaten Fichtes Konzeption der Beziehung des Adressaten der Aufforderung zum Auffordernden ist in gewisser Weise weniger komplex als seine Konzeption der Beziehung des Auffordernden zum Adressaten. Dies ist deshalb so, weil das epistemologische „Problem des Fremdpsychischen“ hier in einer Weise Gestalt annimmt, die Fichte als nicht wirklich problematisch ansieht. Während der Auffordernde vor einem epistemischen Problem des „Anerkennens“ steht, insofern er in Bezug auf jemanden, der noch kein tatsächlich freies Vernunftwesen ist, das Potential, ein solches Wesen zu werden, identifizieren muss, ist die Frage, wie solche Potentiale zu erkennen sind, für den Adressaten der Aufforderung kein Problem. Schließlich ist der Auffordernde bereits ein tatsächlich freies Vernunftwesen und muss vom Adressaten nur als ein solches identifiziert werden. Da er dies nicht einmal als Problem zum Thema macht, scheint Fichte es schlicht für selbstverständlich zu erachten, dass Kinder zu einer solchen epistemischen Weise der „Anerkennung“ bzw. Identifikation fähig sind.

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Aber auch wenn Fichte das Problem des Fremdpsychischen im Falle der Beziehung des Adressaten zum Auffordernden nicht zu interessieren scheint, seine Präsentation dieser Beziehung ist dennoch mit der Ambivalenz zwischen dem Epistemischen bzw. Theoretischen auf der einen Seite und dem Praktischen auf der anderen Seite belastet  – also mit dem was ich oben (1) Theorie-PraxisOszillation genannt habe. Wie wir in Abschnitt 3.2. gesehen haben, meint Fichte, dass die Aufforderung den Adressaten auf eine adäquate Art und Weise affizieren muss und dies muss klarerweise etwas anderes als eine bloß „epistemische Wirkung“ in dem Sinne sein, dass das Subjekt einen Zustand des Glaubens, Annehmens etc. ausbildet. Aufgrund der obigen Beobachtungen und Überlegungen könnte man nun annehmen, dass (auch) die „Anerkennung“ des Auffordernden durch das Kind einer Art „Respekt“ ähnelt und dass dieser das Kind dazu bewegt, in adäquater Weise auf die Aufforderung zu reagieren. Genauer noch könnte man die Anerkennung in der Form des Respekts, den der Adressat gegenüber dem Auffordernden empfindet, als eine praktische Einstellung verstehen, die ihn als solche motiviert bzw. dazu bewegt, den Auffordernden angemessen zu „behandeln“, d.h. auf seine Aufforderung zu reagieren. Faktisch bestimmt Fichte die Beziehung des Adressaten zum Auffordernden die meiste Zeit über mithilfe eines epistemischen Vokabulars und scheint die „Anerkennung“ des Auffordernden als eine Angelegenheit des Wissens, Annehmens und Identifizierens zu verstehen (vgl. zum Beispiel SW III, 43 – 4.). Der Grund für die Unklarheit seiner Bestimmung des Wesens der Anerkennung des Auffordernden durch den Adressaten könnte aber auch damit zusammenhängen, dass Fichtes Formulierungen einfach etwas salopp sind. Als ein tieferer Grund könnte sich dahinter aber auch eine Art Beunruhigung im Hinblick auf die Selbstursächlichkeit des Adressaten verbergen: Wenn die Anerkennung des Auffordernden durch den Adressaten beinhaltete, dass der Adressat durch den Auffordernden zu einer Antwort bewegt wird, würde dies die Freiheit des Adressaten durch einen äußeren kausalen Einfluss beeinträchtigen. Im Gegenteil dazu scheint die Auffassung von Anerkennung als einem bloß epistemischen Akt weniger beunruhigend: Selbst dann, wenn das Kind nicht anders könnte, als den Auffordernden als freies Vernunftwesen und die Aufforderung als Aufforderung zu identifizieren, bliebe es zumindest seiner eigenen freien Entscheidung überlassen, ob es in einer bestimmten Weise reagiert bzw. ob es überhaupt regiert.26 Diese Unklarheit bezüglich der Frage, ob die „Anerkennung“ des Auffordernden durch den Adressaten von theoretischer oder praktischer Natur ist, (sc. die Theorie-Praxis-Oszillation), hängt auch mit einer gewissen Vagheit in Bezug auf die Frage zusammen, ob es sich hierbei überhaupt um mentale Akte oder Einstellungen handelt (seien sie theoretisch oder praktisch), oder doch eher um Handlungen bzw. Verhaltensweisen (Einstellungs-Handlungs-Oszillation). Fichte



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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zufolge bleibt ein fremdes Bewusstsein unzugänglich, wenn es sich nicht in Form von Handlungen realisiert und manifestiert. So schreibt Fichte: [Ein] Begriff bleibt im Innersten meines Bewusstseyns nur mir [dem Adressaten der Aufforderung, H.I.], nicht dem ausser mir, zugänglich. Nur Erfahrung giebt dem Individuum C [dem Auffordernden, H.I.] etwas, und diese errege ich lediglich durch Handeln. Was ich denke, kann der Andere nicht wissen. (SW III, 45)

Hier wird dafür argumentiert, dass der Auffordernde die Antwort des Adressaten nur dann erfahren kann, wenn sie sich in irgendeiner Art von Handlung des Adressaten zeigt, der in einer Weise „auf ihn“ einwirkt (ebd.). Der Adressat muss sich auf irgendeine konkrete Art und Weise zum Auffordernden als einem freien Wesen verhalten, damit dieser wissen kann, dass die Aufforderung die erwartete Antwort hervorgerufen hat. Fichte ist der Auffassung, dass es tatsächlich so etwas wie eine rein mentale Anerkennung („vor seinem eigenen Gewissen“, SW III, 44) gibt, aber er ist auch davon überzeugt, dass ein offenkundiges (oder wie er es nennt: ein „gemeingültiges“ (SW III, 47)) Anerkennen entsprechende Handlungen erfordert und dies meint eine angemessene Art, sich zum anderen zu verhalten. Dies betrifft ein wichtiges Thema, nämlich den Aspekt der Wechselseitigkeit von Anerkennung. So meint Fichte: „Ich kann einem bestimmten Vernunftwesen nur insofern anmuthen, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen, inwiefern ich selbst es als ein solches behandele.“ (SW III, 44). Ein Anderer wird mich nicht anerkennen – bzw. er wird nicht fortfahren, mich anzuerkennen −, wenn er nicht die Erfahrung macht, dass ich ihn anerkenne und er kann dies nur vermittelt meiner auf ihn bezogenen Handlungen erfahren. Mit Fichtes Metapher der wechselseitig ausschließenden Freiheitssphären ausgedrückt, entspricht dies der Idee, dass ich nur dann erwarten kann, dass Andere mich als frei anerkennen und mich nicht in meiner „Sphäre“ behindern, wenn ich ihnen gegenüber das gleiche tue. Mit dem von mir im Abschnitt 3.2 vorgeschlagenen Vokabular ausgedrückt, entspricht dies der Idee, dass ich nur dann von Anderen erwarten kann, mich als mündiges Subjekt und als Ko-Autorität gemeinschaftlicher Normen (und damit als Mitglied einer „Gemeinschaft freier Wesen“) anzuerkennen, wenn ich sie in gleicher Weise anerkenne. Jemand, der die Autorität Anderer nicht anerkennt und sie auf Weisen behandelt, die sie nicht akzeptieren können, ist kein mündiges Mitglied einer solchen Gemeinschaft. In Bezug auf die Beziehung zwischen dem Auffordernden und dem kindlichen Adressaten der Aufforderung ist Fichte der Auffassung, dass der Auffordernde begründete Zweifel daran haben darf, ob der Adressat ein vernünftiges Wesen ist und ob eine Aufforderung überhaupt sinnvoll ist, wenn der Adressat

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

auf die Aufforderung nicht in angemessener Weise reagiert. Die für den Adressaten angemessene und erwartungsgemäße Weise zu reagieren, besteht darin, dass er den Auffordernden auf eine Weise behandelt, die seine Anerkennung für ihn als einem freien Vernunftwesen zum Ausdruck bringt. Hierin findet die Anerkennung, die der Auffordernde dem Adressaten entgegengebracht hat, retrospektiv ihre Bestätigung bzw. Rechtfertigung. Legt man meine in Abschnitt 2.4. eingeführte Terminologie zugrunde, dann zielt Fichte auf das Argument, dass sich anerkennende Einstellungen nur in anerkennenden Handlungen zeigen und dass die Wechselseitigkeit von Anerkennung daher Handlungen erfordert. Was hier allerdings nicht relevant sein muss und auch nicht ist, sind (die in Abschnitt 2.4. von mir so genannten) Handlungen der Anerkennung im engen Sinne, d.h. Handlungen, deren vorrangiges und vorsätzliches Ziel es ist, Anerkennung zum Ausdruck zu bringen. Sind dann hier Handlungen der Anerkennung im weiten Sinne entscheidend, also Handlungen, die auf die eine oder andere Weise durch anerkennende Einstellungen motiviert sind? Angesichts der Unklarheit in Fichtes Position können wir an dieser Stelle keine großen Folgerungen mehr anstellen. Wenn die anerkennende Einstellung allein in epistemischer Identifikation bestehen soll, dann wird sie allein jedenfalls nicht motivieren (auch wenn sie eine notwendige Bedingung für das Entstehen einer Motivation darstellen könnte). Auf der anderen Seite gilt, dass wenn die anerkennende Einstellung als eine praktische Einstellung (z.B. des Respekts) aufgefasst wird, Probleme in Bezug auf die Freiheit der Person die Folge sind. Trotz dieser Schwierigkeiten ist der von Fichte beabsichtigte argumentative Punkt klarerweise der, dass die Tatsache, dass der Adressat den Auffordernden als ein freies Wesen behandelt, dem Auffordernden zu verstehen gibt, dass der Adressat ihn als ein solches anerkennt (ganz egal, ob damit ein Identifizieren, Respektieren oder ein anderes relevantes psychologisches Phänomen gemeint ist). Fichtes Vorstellung, dass der Adressat der Aufforderung sowohl durch Handeln als auch durch Unterlassen angemessen auf eine Aufforderung reagieren kann, stellt aber eine weitere Herausforderung dar. Das Problematische daran ist Folgendes: Wenn es wirklich stimmen sollte, dass Anerkennung sich nur in Form von „Behandlungsweisen und Handlungen“ zeigt, dann können Unterlassungen keine adäquate Antwort auf Aufforderungen darstellen, da sie dem Anderen gegenüber keine Anerkennung zum Ausdruck bringen. In diesem Fall gäbe es für den Auffordernden keine Veranlassung, im Anerkennen und Auffordern des Kindes fortzufahren, und damit wäre die weitere Entwicklung des Kindes zur Freiheit gefährdet. Im Rahmen der eigenen Formulierungen Fichtes gibt es keine explizite Lösung für dieses Problem. Es kann aber mithilfe des von mir in Abschnitt 3.2. vorgeschlagenen Vokabulars gelöst werden. Für diese Lösung ist es entscheidend,



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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dass Fichtes irreführende Identifikation von „Behandlung“ und „Handeln“ aufgebrochen und deren Verflechtung präzise bestimmt wird. Ich habe in Abschnitt 3.2. vorgeschlagen, dass ein aktives Mitglied einer Gemeinschaft freier Vernunftwesen zu sein – hierzu fordert die Aufforderung den Adressaten auf −, bedeutet, dass man gemeinsam mit den anderen Mitgliedern Ko-Autorität über die gemeinschaftlichen Regeln und Normen ausübt. Des Weiteren habe ich vorgeschlagen, dass jede Weise, in der jemand diese Normen unterstützt, bekräftigt, in Frage stellt, herausfordert, neuinterpretiert oder Vorschläge zu ihrer Veränderung macht, eine Weise ist, Ko-Autorität (bzw. „freie Wirksamkeit“) als ein Mitglied einer solchen Gemeinschaft auszuüben und dass dies etwas ist, das man sowohl durch Handeln als auch durch Unterlassen „tun“ kann. Es ist wichtig für die gegenwärtige Problematik, dass die Ausübung von KoAutorität es erfordert, die relevanten Anderen für Ko-Autoritäten zu halten und zwar in beiden Bedeutungen, die diesem Ausdruck zukommen  – im Sinne der innerlich-psychologischen Bedeutung, einer psychischen Einstellung oder Disposition und im Sinne der angemessenen Behandlung Anderer. Jemanden auf eine Weise zu behandeln ist jedoch nicht einfach das Gleiche wie zu handeln. Jemanden als Ko-Autorität zu behandeln kann je nach Situation auch (und dies wird häufig der Fall sein) die Form einer Unterlassung annehmen: Ich behandle Dich als jemanden, dem Autorität über mich zukommt, indem ich es unterlasse etwas zu tun, das Du missbilligst. Für die Beziehung der Ko-Autorität ist es entscheidend, dass B sowohl As Handlungen als auch seine Unterlassungen (mit hinreichender Verlässlichkeit) als den äußeren Aspekt von As Haltung gegenüber B interpretieren kann, der den inneren Aspekt (eine entsprechende psychische Einstellung oder Disposition gegenüber B) zum Ausdruck bringt. Es ist dieser innere Aspekt – die Einstellungen −, den wir wechselseitig in den sichtbaren Emotionen, Gesichtsausdrücken, Körperhaltungen, Stimmlagen der Anderen etc. (in den unzähligen Weisen, durch die Menschen, meist ohne klare Absicht, ihre Anerkennung füreinander (oder einen Mangel derselben) zum Ausdruck bringen) lesen bzw. zu lesen suchen. Nur in dem Maße, in dem ich glaube, dass diese Ausdrucksweisen den richtigen psychologischen Zustand zum Ausdruck bringen, glaube ich auch, dass der Andere mich angemessen „behandelt“ – egal, ob er in der jeweiligen Situation bestimmte Handlungen ausführt oder unterlässt.27

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

3.3.3 Worin besteht die Anerkennung zwischen dem Auffordernden und Aufgeforderten? So wichtig die Rolle von Anerkennung für Fichtes Konzeption der Beziehung zwischen dem Auffordernden und dem Adressaten der Aufforderung ist, es ist bisher auch eine gewisse Unklarheit in seinem Verständnis von Anerkennung deutlich geworden. Wir wollen als nächstes versuchen, seine Position und ihre Ambivalenzen mithilfe der Unterscheidungen, die in Kapitel 1 eingeführt wurden, zusammenzufassen. Zuallererst haben wir gesehen, dass Fichte zwischen verschiedenen Konzeptionen von Anerkennung, wie ich sie in Abschnitt 2.1. unterschieden habe, hin und her schwankt, insofern er Anerkennung manchmal als eine rein epistemische Einstellung, manchmal als eine praktische Einstellung oder Handlung versteht. Die erste Alternative können wir als „Identifikation“ bezeichnen. Die zweite Alternative ist dasjenige, was Fichte gelegentlich „Respekt“ nennt. Im Rahmen meiner rationalen Rekonstruktion von Fichtes Überlegungen bestand mein Interpretationsvorschlag darin, die Aufforderung als Aufforderung des Kindes zur Ko-Autorschaft über die Normen der Interaktion zu verstehen, an welcher es gemeinsam mit den auffordernden Erwachsenen teilnimmt, um auf diese Weise ein Mitglied einer Gemeinschaft freier Wesen zu werden. Anerkennung im Sinne von Respekt kann verstanden werden als die praktische Einstellung, jemanden als eine Autorität bezüglich der Normen der freien wechselseitigen Interaktion anzusehen. Wie wir gesehen haben, ist dies aber ein Gedanke, dem Fichte − aufgrund seiner Sorge um dessen Vereinbarkeit mit der inneren kausalen Freiheit des Auffordernden − nicht konsequent nachgeht. Sind wir jedoch bereit, diese Sorge beiseite zu stellen, ergibt sich das folgende Bild: Der Auffordernde ist aufgrund seines Respekts gegenüber dem Kind als einem potentiell autonomen bzw. freien Vernunftwesen dazu motiviert, mit dem Kind auf eine Art zu interagieren, die eine Aufforderung zur Autonomie enthält. „Respekt“ meint hierbei nichts Erhabenes oder feierlich Aufgeladenes, sondern einfach den Zustand, durch die Präsenz eines anderen Wesens affiziert zu sein, das über Eigenschaften verfügt, die sich von solchen eines bloßen Dinges oder eines trieb- und instinktgeleiteten Tieres eindeutig unterscheiden. Es ist der natürliche und „automatische“ Charakter dieser affektiven Reaktion auf ein anderes (potentielles oder aktuales) Vernunftwesen, den Fichte durch die Wendung, dies ereigne sich durch „Natur und Vernunft“ (SW III, 81) zum Ausdruck bringt. Die Frage, wie man im Sinne gerechtfertigten Glaubens wissen kann, dass etwas ein Vernunftwesen ist, wird hierbei nicht auftreten, wenn es der Fall ist, dass diese Reaktion tatsächlich Teil der vernünftigen menschlichen „Natur“ ist, deren Fähigkeiten zum Teil wiederum zur Definition des psychologischen Personseins gehören.28



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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Bezüglich der in Abschnitt 2.2. gestellten Frage, ob Anerkennung zwischen dem Auffordernden und dem Adressaten in einer oder in mehreren Formen auftaucht, ist zu sagen, dass Fichte es nicht ausdrücklich in Erwägung zieht, dass es mehr als eine Form geben könnte, und was im Text den Anschein einer Vielzahl von Formen hat, ist allein der Ambiguität seiner Position zuzuschreiben. Lassen wir seine Verwendung von „Anerkennung“ als Synonym von „epistemischer Identifikation“ außer Acht, dann spricht er von Anerkennung als Respekt. Im nächsten Kapitel werde ich auf zwei „Dimensionen“ der Anerkennung bei Hegel zu sprechen kommen, eine, die ich die „deontologische Dimension“ nenne, in der es um Normen, Autorität und Respekt geht, sowie auf eine von mir so genannte „axiologische Dimension“, in der es um Werte, Sorge und Liebe geht. Fichtes Rede von Anerkennung als Respekt gehört vor dem Hintergrund dieser Unterteilung zur deontologischen Dimension. Im Sinne der in Abschnitt 2.3. vorgenommenen Unterscheidung zwischen Einstellungen, Einstellungskomplexen, konkreten zwischenmenschlichen Beziehungen und institutionellen Sphären oder Kontexten geht es hier vor allem um eine einzelne Einstellung innerhalb einer besonderen Art konkreter zwischenmenschlicher Beziehungen, nämlich der eines Auffordernden zu einem Adressaten. Stellen wir uns dies als die Beziehung zwischen einem Kind und seinen Eltern oder Fürsorgenden vor, dann ergibt sich die Einbettung in einen bestimmten institutionellen Kontext: die Familie.29 Für die Frühphasen des Aufforderns sind die institutionellen Dimensionen der Beziehung  – die Rechte und Pflichten der Eltern oder des Kindes, vorgestellt als institutionelle Rollen − allerdings irrelevant, denn Aufforderung und Anerkennung zwischen Aufforderndem und Adressaten betreffen ihre Objekte nicht als Träger bestimmter institutioneller Rollen oder deontischer Machtbefugnisse, sondern als freie Vernunftwesen und somit als Ko-Autoritäten geteilter Normen. Auffordern und Anerkennen zwischen Aufforderndem und Adressaten sind rein intersubjektive Phänomene. Wenn die Eltern allerdings vom Kind erwarten, dass es ihre Rechte als Eltern „respektiert“ (oder ihre „Autorität“ im Sinne des Rechts, dem Kind innerhalb des institutionellen Rahmens der Elternschaft etwas anordnen zu dürfen), dann fließt ein institutioneller Aspekt in die Beziehung ein. Respekt und Anerkennung stehen nun für ein institutionell vermitteltes Phänomen – Anerkennung wird jemandem als einem Träger institutionell definierter Rechte oder anderer deontischer Mächte entgegengebracht. Ich komme auf Anerkennung in diesem Sinne in Abschnitt 3.3.4. zurück. Im Hinblick auf die in Abschnitt 2.4. diskutierten Zusammenhänge – Einstellungen, Handlungen, Ausdrucksweisen von Anerkennung – hält Fichte die Einstellung für das zentrale Phänomen. Das Augenmerkt ist hier ein psychologisches und das zentrale Argument besteht darin, dass das Kind ohne bestimmte psychi-

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

sche Zustände und Vorgänge  – nämlich Einstellungen − nicht die fürs Personsein geforderte psychische Selbstbeziehung ausbilden wird. Allerdings muss die anerkennende Einstellung anhand der Weise, wie er „behandelt“ wird, vom Anerkannten festgestellt werden können. Jemanden auf eine Weise zu behandeln ist dennoch nicht einfach mit „Handeln“ zu identifizieren, da man jemanden sowohl durch Handlungen als auch durch Unterlassungen adäquat behandeln kann. Auf die in Abschnitt 2.5. diskutierte Frage, ob Anerkennung in responsiver Weise aufs Personsein anspricht oder konstitutiv fürs Personsein ist, lautet Fichtes Antwort schlicht und umfassend: „sowohl…als auch“. Da Fichtes Anerkennungskonzeption allerdings interne Spannungen enthält, gibt es keine einfache und unproblematische Antwort darauf, was dies im Einzelnen genau bedeutet. Ich möchte hierzu nur andeutungsweise einige Bemerkungen machen. Zuallererst geht es hier nicht um Personsein im institutionellen oder juristischen Sinne. Fichtes Aufmerksamkeit richtet sich auf das Werden einer Selbstbeziehung – das Bewusstsein seiner selbst als frei −, die konstitutiv ist für Personsein im psychologischen Sinn. Fichtes Hauptthese ist, dass das, was er Auffordern nennt, notwendig für das Zustandekommen dieses zentralen Elements psychologischen Personseins ist. Und da Auffordern Anerkennung beinhaltet, spielt auch Anerkennung eine Rolle beim Zustandekommen bzw. der Verwirklichung des psychologischen Personseins des anerkannten Kindes. Allgemein gesagt ist Anerkennung im Rahmen von Fichtes Ansatz daher kausal konstitutiv für die Personsein-stiftende psychische Konstitution des Objekts der Anerkennung (KKPO). Es ist aber wichtig darauf hinzuweisen, dass dies nicht heißt, dass Anerkennung im strengen Sinne die Ursache dafür ist, dass das Kind eine freie und vernünftige bzw. eine psychologische Person wird, betont Fichte doch, dass Freiheit nicht verursacht werden kann. Es ist jedoch seine Auffassung, dass sich das Kind ohne die Aufforderung und die damit einhergehende Anerkennung, nicht zu einer psychologischen Person entwickeln würde und daher gilt in einem weitgefassten Sinne KKPO. Fichte sagt nicht, dass Anerkennung auch ontologisch konstitutiv für das psychologische Personsein des Objekts der Anerkennung ist (OKPO); ob sie dies in gewisser Weise ist, bleibt somit der Überlegung Anderer überlassen. Da auch das Kind den Auffordernden auf eine Weise zu behandeln hat, die Anerkennung gegenüber dem Auffordernden als einem freien Wesen zum Ausdruck bringt – denn ohne dies, bliebe der Auffordernde im Ungewissen darüber, ob das Kind ein geeigneter Kandidat für die Aufforderung ist −, können wir sagen, dass Anerkennung Fichte zufolge auch (im angegebenen weiten Sinne) kausal konstitutiv für die Personsein-stiftende psychologische Konstitution des Subjekts der Anerkennung (in diesem Fall für das Kind) ist (KKPS). Fragt man nach der möglichen konstitutiven Rolle von Anerkennung im Hinblick auf den Status, dann geht es hier wiederum nicht um Personsein im Sinne



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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eines institutionellen Status. In Bezug auf Personsein qua intersubjektiven Status habe ich vorgeschlagen, dass das Wesentliche an der Beziehung und der wechselseitigen Interaktion, zu denen das Kind aufgefordert wird, darin besteht, dass die Subjekte einander als Autoritäten respektieren. Wenn wir zugestehen, dass für eine Person gehalten zu werden (ganz oder zum Teil) darin besteht, von Anderen als Autorität respektiert zu werden, dann ist Anerkennung diesem Ansatz zufolge offensichtlich ontologisch konstitutiv für einen intersubjektiven Personsein-stiftenden Status des Objekts (OKSintersO). Sie ist (teilweise oder in Gänze) dasjenige, was erforderlich ist, um in den Augen Anderer und folglich in der konkreten sozialen Interaktion den Status einer Person zu besitzen. Wie steht es in Fichtes Konzeption der Beziehung von Aufforderndem und Aufgeforderten um den responsiven Aspekt von Anerkennung? Personsein im institutionellen Sinn ist auch hier nicht entscheidend: Anerkennung antwortet in diesem Kontext weder kausal noch normativ auf einen institutionellen oder juristischen Status; solche Status sind irrelevant für die psychologischen und intersubjektiven Details der in Frage stehenden Beziehung. Relevant ist hingegen das psychologische Personsein. Betrachten wir die Anerkennung des Kindes durch den Auffordernden (im Sinnes des Respekts vor diesem als einer Ko-Autorität), dann beinhaltet die Tatsache, dass das Kind nur durch die Interaktion mit dem Auffordernden eine psychologische Person wird, dass die Anerkennung des Auffordernden auf das Kind anfänglich weniger als eine tatsächliche Person, denn als potentielle psychologische Person eingeht. Wie wir gesehen haben schwankt Fichte zwischen einem Verständnis von Anerkennung (zwischen Aufforderndem und Kind) als epistemischem Akt oder als Einstellung und einer praktischen Einstellung, die er „Respekt“ nennt. Als epistemische Einstellung wäre sie normativ responsiv auf das potentielle psychologische Personsein des Kindes (NRP) in dem epistemischen Sinn, dass es inkonsistent wäre, den menschlichen Körper als etwas anderes denn als den eines freien Vernunftwesens aufzufassen. Als eine praktische Einstellung wäre sie kausal responsiv in Bezug auf das potentielle psychologische Personsein des Kindes (KRP). Im Falle der Anerkennung des Auffordernden durch den Adressaten unterscheidet sich die Situation nur insofern, als der Auffordernde bereits eine aktual freie und vernünftige Person ist und das Potentialitäts-Aktualitäts-Problem daher nicht auftaucht. Die Ambivalenz, ob Anerkennung eine epistemische Einstellung (der Identifikation) oder eine praktische Einstellung (des Respekts) ist, ist hier allerdings gleichermaßen vorhanden, wie auch die Herausforderung, die mit dem Problem der inneren kausalen Freiheit einhergeht. Es ist erwähnenswert, dass Fichtes Diskussion der Anerkennung zwischen dem Auffordernden und dem Adressaten überhaupt nicht von solchen Eigenschaften von Personen handelt, die über das Personsein als solches hinausgin-

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

gen, vor allem nicht von solchen Eigenschaften, die bestimmte qualitative (seien es individuelle oder kollektive) „Identitäten“ ausmachen. Auch geht es in seiner Auseinandersetzung mit der Anerkennung freier erwachsener Personen, der wir uns jetzt zuwenden werden, nicht um die „Anerkennung von Identitäten“.30

3.3.4 Institutionell vermittelte Anerkennung in der Gemeinschaft freier Wesen Wie ich in Abschnitt 3.3. gesagt habe, gibt es zwei Arten von Beziehungen anhand welcher Fichte in der Grundlage seine Konzeption von Anerkennung darlegt. Bei der ersten (A) handelt es sich um die Beziehung zwischen dem erwachsenen Auffordernden und dem kindlichen Adressaten, die in den vorangegangenen Unterabschnitten diskutiert wurde. Die zweite Art der Beziehung (B) ist diejenige zwischen mehr oder weniger erwachsenen Personen, die bereits zu vernünftiger Freiheit aufgefordert bzw. erzogen wurden und die jetzt Mitglieder der „Gemeinschaft freier Wesen“ sind, in der jeder über seine eigene „Freiheitssphäre“ verfügt. Obwohl diese beiden Beziehungsarten insofern miteinander zusammenhängen, als das Kind von der einen Art der Beziehung in die zweite hinübergehen soll, sind sie ganz unterschiedlich beschaffen. Eine der vielen Differenzen zwischen diesen beiden Kontexten ist die, dass die Beziehung in A asymmetrisch ist, da einer der Beteiligten bereits ein freies Vernunftwesen bzw. eine Person ist, während dies für den anderen nicht gilt, während die Beziehung in B als Beziehung zwischen zwei vollentwickelten Personen im Prinzip symmetrisch verfasst ist. Noch wichtiger ist die Tatsache, dass die relevanten Aspekte der Beziehung zwischen dem Auffordernden und dem Adressaten der Aufforderung in A „rein intersubjektiv“ sind, während sie in B durch institutionalisierte Rechte und Pflichten festgelegt sind. Wie wir noch sehen werden unterscheidet sich das, was Fichte in diesem zweiten Kontext (ab § 8) mit „Anerkennung“, als auch mit „Personsein“ und „Freiheit“ meint, signifikant von dem, was er damit im Rahmen des ersten Kontextes bezeichnet. (Sollte Fichtes Programm der Deduktion eines Systems von Rechten tatsächlich gescheitert sein, wie viele gemeint haben, dann scheint dies einiges damit zu tun zu haben, dass die Bedeutungen zentraler Begriffe – nicht nur „Anerkennung“, sondern auch „Personsein“ und „Freiheit“  – im Verlauf seiner Ausführungen ohne irgendeine ausdrückliche Bemerkung wechseln.31) Der Begriff „Freiheit“, − um mit diesem zu beginnen – steht immer noch im Zentrum von Fichtes Argumentation, jedoch nicht mehr in dem Sinne innerer Kausalität, der die in Abschnitt 3.3.1. diskutierten Schwierigkeiten bereitete. Dies hat mit der Tatsache zu tun, dass bei der Diskussion dieser zweiten Art von Beziehung die meisten psychologischen Details, die bei der ersten Art relevant waren, ihre Wichtigkeit verlieren. Die hier entscheidende Bedeutung von Freiheit



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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ist die Freiheit, ohne Behinderung kausale Wirkungen in der Außenwelt herbeizuführen. Freiheit in diesem Sinne beinhaltet so notwendigerweise Handlungen in Bezug auf andere in der Welt befindliche Objekte, womit Konflikten zwischen Subjekten, die ihre Freiheit in Bezug auf dieselben Objekte auszuleben bzw. zu verwirklichen suchen, der Boden bereitet ist. Fichte ist der Auffassung, dass dies die Notwendigkeit aufzeigt, einer jeden Person ein exklusives Recht auf eine begrenzte Sphäre von Objekten einzuräumen, in Bezug auf welche sie absolut frei darin ist, ihre Wünsche und Absichten zu realisieren – mit anderen Worten kommt hierin die Notwendigkeit von Privateigentum zum Ausdruck. Das Privateigentum eines jeden Individuums ist die exklusive „Freiheitssphäre“ dieser Person und innerhalb dieser kann diese Person allein und niemand sonst seine äußere kausale Freiheit ausüben. Dies ist der Punkt, auf den hin Fichtes Metapher der einander ausschließenden Freiheitssphären die ganze Zeit über angelegt war, eine Metapher, die so seltsam unangemessen schien, um die Anfänge des Aufforderungsprozesses, der Erziehung, begreiflich zu machen, die aber in diesem Zusammenhang Sinn ergibt. Für unser Thema ist es wichtig, dass Fichte Eigentum dadurch von bloßem Besitz unterscheidet, dass jemandes Besitz nur dadurch zu seinem Eigentum wird, wenn es von Anderen als solches „anerkannt“ wird. Die exklusive Freiheitssphäre einer jeden Person im Sinne ihrer Sphäre des Privateigentums wird durch „wechselseitige Anerkennung“ zwischen Personen in ihrer Rolle als Eigentümer sichergestellt (SW III, 129 – 130). Was heißt „Anerkennung“ dann in diesem Zusammenhang genau? Es gibt eine potentiell irreführende Ähnlichkeit zu dem, was der Begriff in Kontext A bedeutet, da Anerkennung in beiden Kontexten für die Anerkennung eines Anderen als frei steht. Da nun aber „Freiheit“ etwas ganz Anderes als in Kontext A bedeutet, hat auch „Anerkennung“ eine andere Bedeutung angenommen. Diese hat fast nichts mehr mit den psychologischen, intra- und intersubjektiven Zusammenhängen zu tun, die in Kontext A entscheidend waren, insofern sie sich nun einfach auf die Freiheit des Anderen bezieht, hinsichtlich einer exklusiven Sphäre von Objekten ungehindert durch Andere zu tun, was auch immer er will. Die zugrundeliegende Vorstellung ist grob gesagt die, dass ich Dich als frei anerkenne, indem ich mit meinen Handlungen nicht in Dein Eigentum eingreife. In seiner Diskussion von Kontext B fasst Fichte sogar zwei Arten von Anerkennungsbeziehungen ins Auge, wobei es bei der ersten misslingt, die Stabilität der wechselseitig ausschließenden Freiheitssphären als Sphären des Privateigentums sicherzustellen. Im Sinne der ersten Beziehung, die Fichte im Rahmen einer Art von Gedankenexperiment in Betracht zieht, steht „gegenseitige An­erkennung“ für die Verpflichtung, nicht in das Eigentum des Anderen ein­ zugreifen. Diese gegenseitige oder „wechselseitige Anerkennung“, auf die sich

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

„[a]lles Eigenthum gründet“ ist bedingt durch „gegenseitige Declaration“.32 Um sich selbst zur Nicht-Einmischung zu verpflichten, muss man wissen, dass der Andere in gleicher Weise verpflichtet ist, und dies setzt voraus, dass beide ihre Verpflichtung offen erklären. Fichte zufolge kann der Inhalt der Erklärung (bzw. Deklaration) – was auch immer ihr tatsächlicher Wortlaut ist oder ob sie überhaupt in Worten ausgedrückt ist − rekonstruiert werden als „nur dies soll mein seyn“, was zugleich heißt: „das Ausgeschlossene mag dein seyn“ (SW III, 129). Diese Beziehung beinhaltet noch einen anderen Sinn von „Anerkennung“, auch wenn Fichte den Ausdruck „Anerkennung“ dafür in diesem Kontext selbst nicht benutzt. Damit meine ich die wechselseitige Anerkennung des Rechts, dass jeder der Beteiligten das Recht hat, darüber zu urteilen, wann Rechte verletzt wurden (SW III, 95). Während der zuerst genannte Sinn von Anerkennung in Kontext A überhaupt nicht auftaucht, kommt diese zweite Bedeutung dem ziemlich nahe, was ich in meiner Nachbestimmung des Fichte’schen Vokabulars als die primäre Bedeutung von Anerkennung vorgeschlagen habe: Anerkennung des Anderen als Richter oder Ko-Autorität über die Bedingungen oder gemeinschaftlichen Normen. Beide dieser Anerkennungsweisen können immer noch als „rein intersubjektiv“ bezeichnet werden, weil sie frei sind von jeglicher Beeinflussung oder Vermittlung durch einen „dritten“ institutionellen Faktor. Selbst dann, wenn man meint, dass durch die wechselseitige Anerkennung als der gegenseitigen Erklärung über exklusive Freiheitssphären oder Privateigentum eine Institution zustande kommt, nämlich die des Privateigentums, ist Anerkennung dabei doch immer noch ein „vor-institutionelles“ oder „rein intersubjektives“ Phänomen, da sie selbst nicht durch Institutionen, die unabhängig von der Anerkennung vorhanden wären, beeinflusst oder vermittelt ist. Fichte meint allerdings, dass es dieser rein intersubjektiven Beziehung der Anerkennung in Wirklichkeit nicht gelingen kann, eine dauerhafte Institution des Privateigentums hervorzubringen und Freiheit im erstrebten Sinne abzusichern. Dies sei deshalb so, weil Individuen sich der tatsächlichen Einstellungen, Absichten oder „inneren Gesinnungen“ (SW III, 100) des Anderen nicht sicher sein können. Die eigene Verpflichtung, seine Freiheit auf eine begrenzte Sphäre von Objekten zu beschränken und sich nicht in die des Anderen einzumischen, ergibt nur dann Sinn, wenn man selbst glaubt, dass der Andere sich ernsthaft auf dasselbe verpflichtet. Aber da man sich niemals der wahren Absichten des Anderen sicher sein kann, ist eine solche Verpflichtung letzten Endes extrem riskant: Absichtserklärungen können betrügerisch sein und selbst dann, wenn sie es zum Zeitpunkt der Erklärung nicht sind, gilt, dass Meinungen sich ändern können.



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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Wir können ergänzen, dass für die „Anerkennung“ bzw. Akzeptanz der Autorität des Anderen oder seines Urteils darüber, ob jemandes Rechte verletzt wurden, auch ein Vertrauen in die Aufrichtigkeit oder die Verpflichtung des Anderen zu Fairness im Urteil erforderlich ist und ein solches Vertrauen ist ebenso vernünftigerweise nicht zu erwarten. Insgesamt wäre ein System des Privateigentums, das allein auf wechselseitiger intersubjektiver Anerkennung beruhte, allenfalls eine höchst instabile Einrichtung und in dem Maße, in dem Individuen sich auf ihr eigenes Interesse besinnen, ist dies nichts, auf das sie sich voraussichtlich verpflichten würden. Um dieses Problem zu lösen, führt Fichte ein „drittes“, unabhängiges institutionelles Element ein und damit auch eine neue Art von Anerkennungsverhältnis, das nicht mehr rein intersubjektiv, sondern institutionell vermittelt ist. Die Beteiligten sollen die Autorität über ihre Beziehung (das schließt deren Gehalt, das Urteil darüber, ob ihre Rechte respektiert oder verletzt wurden und das Recht, Rechtsbrecher zu nötigen oder zu strafen, ein) nun einer unparteiischen und zuverlässigen dritten Instanz anvertrauen. Diese dritte Instanz ist keine dritte Person, sondern das positive Recht bzw. ein Staat, dem ein System von Normen zugrunde liegt, die als Gesetze niedergeschrieben sind. Fichte glaubt, dass das positive Recht so detailliert sein kann, dass es die Gerichtsurteile im Voraus festlegt und auf diese Weise jede Möglichkeit von Parteilichkeit ausschließt (SW III, 101 – 104). Es ist jetzt der Staat, der sich auf Gesetze gründet, die von den Bürgern akzeptiert werden, dessen „Anerkennung“ des Eigentums aller individuellen Bürger es im Rahmen des Rechtssystem zu ihrem Eigentum macht und auf diese Weise die jeweiligen Freiheitssphären sicherstellt. Darüber hinaus muss jeder Staat das Eigentum jedes unmittelbar benachbarten Staates „anerkennen“. Dadurch, dass jeder Staat das Eigentum seiner eigenen Bürger und auch das Eigentum jedes Nachbarstaates (d.h. deren Autorität über ihre Bürgerschaft und deren Eigentum) anerkennt, anerkennt das „ganze menschliche Geschlecht“ jedermanns Eigentum. Fichte zufolge wird auf diese Weise letztendlich jedermanns Freiheit im äußerlich kausalen Sinn sichergestellt (SW III, 131). Wofür aber steht „Anerkennung“ dann in diesem Kontext? Klarerweise muss sie etwas ganz anderes bedeuten als in Fichtes Diskussion der Beziehung zwischen dem Kind und dem Auffordernden. Sie ist jetzt am besten als eine mit bestimmten Rechten und Pflichten einhergehende Statuszuschreibung zu verstehen, die der Staat in Bezug auf seine individuellen Bürger vornimmt. Eigentümer und im relevanten Sinne frei zu sein, beinhaltet, Träger des Rechts auf eine unverletzliche Sphäre materieller Dinge zu sein sowie die Pflicht, sich nicht in die jeweiligen Sphären Anderer einzumischen. Damit ist auch gesagt, was es in

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

diesem Kontext heißt, Person zu sein – es bedeutet, einen institutionellen Status innezuhaben.33 Der Staat anerkennt seine Bürger zudem nicht einfach und ein für alle Mal als freie Personen. Im Gegenteil beschützt und wahrt der Staat im praktischen Sinn von „Anerkennung“ fortwährend ihren (institutionellen) Status als Personen, indem er diejenigen straft und denjenigen Strafe androht, die ungesetzlicherweise in das Eigentum anderer eingreifen  – mit anderen Worten: indem er die Bürger zum Gesetzesgehorsam zwingt. Die Drohung mit Nötigung ist daher Teil der fortwährenden Anerkennung der Bürger als freier Personen durch den Staat. Obwohl Fichte dies selbst nicht tut, können wir an dieser Stelle zwei weitere Bedeutungen einführen, in denen so etwas wie Anerkennung notwendiges Merkmal der Fichte’schen Gemeinschaft freier Wesen als einer Gemeinschaft von Individuen ist, denen der institutionelle Status freier Personen zukommt. Auf der einen Seite müssen die Bürger im umfassenden Sinn die Legitimation des Staates „anerkennen“, das System institutionellen Personseins aufrechtzuerhalten, dessen Kern die Institution des Privateigentums ist. Auf der anderen Seite müssen die Individuen wechselseitig ihren Personenstatus „anerkennen“, der in ihrer Anerkennung des Staates gründet. Verglichen mit der Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn, die in Kontext A entscheidend ist, sind alle der drei erwähnten Bedeutungen von „Anerkennung“ in Kontext B (im Rahmen ihrer zweiten, nach Fichte nun erfolgreichen Auslegung)  – die Anerkennung der Individuen als freie Personen durch den Staat, die Anerkennung des Staates als legitime Autorität durch die Individuen und die wechselseitige Anerkennung des freien Personenstatus durch die Bürger (was vom Staat anerkannt und somit hervorgebracht wird) − durch und durch institutionelle Angelegenheiten, die ein komplexes institutionelles System mit einschließen, das größtenteils unabhängig von einem bestimmten Individuum oder bestimmten Individuen besteht. Was zeichnet „Anerkennung“ in diesem Kontext (B) im Lichte der Unterscheidungen des 1. Kapitels aus? Im Hinblick auf die verschiedenen Bedeutungen von „Anerkennung“, die in Abschnitt 2.1. unterschieden wurden, können wir zunächst festhalten, dass es hier nicht um epistemische Anerkennung im Sinne des „Identifizierens“ geht. Alle drei von mir gerade diskutierten Bedeutungen können vielmehr als unterschiedliche Varianten der „Anerkennung“ („acknowledgement“ auf Englisch) von evaluativen bzw. normativen Entitäten verstanden werden. Die „abwärts gerichtete“ vom Staat vollzogene Anerkennung der Bürger verleiht ihnen Rechte und andere deontische Machtbefugnisse; die „aufwärts gerichtete“ Anerkennung, die Bürger dem Staat gegenüber vorbringen, entspricht im Wesentlichen der Anerkennung der Gesetze und Normen, die ihn als Institution konstituieren. Die „horizontale“ Anerkennung der Bürger untereinan-



3.3 Anerkennung in Fichtes Grundlage des Naturrechts 

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der schließlich betrifft ihre jeweiligen Rechte und geht sie weniger als einzelne Individuen, denn als Träger von Rechten an. Wir können nun festhalten, dass die einfache Unterscheidung zwischen Anerkennung („acknowledgement“) evaluativer und normativer Entitäten auf der einen Seite und Anerkennung von Personen auf der anderen Seite nicht so unproblematisch ist, wie sie anfänglich schien: Es gilt, eine „rein intersubjektive“ Anerkennung zwischen Personen und eine institutionell vermittelte Anerkennung (oder „acknowledgement“) zwischen Personen voneinander zu unterscheiden. (Ab dem nächsten Kapitel werde ich auf Letztere mit „Anerkennung*“ Bezug nehmen.) Bezüglich der in Abschnitt 2.2. gestellten Frage, ob es eine oder mehrere Formen von Anerkennung gibt, ist zu sagen, dass in Kontext B keine neue Form rein intersubjektiver Anerkennung eingeführt wird, dass aber institutionell bzw. institutionell vermittelte Bedeutungen von Anerkennung relevant werden. Diese beiden sind nicht miteinander zu verwechseln. Ein relevanter Punkt ergibt sich vor dem Hintergrund der Unterscheidungen aus dem Abschnitt 2.3.: Während Einstellungen in Kontext A das zentrale Phänomen darstellen, sind sie in Kontext B relativ irrelevant. Genauer gesagt sind sie nur im Rahmen der strikt intersubjektiven Konzeption der Entstehung und Existenz von Privateigentum relevant, − eine Konzeption, die Fichte als unhaltbar zurückweist. Wie wir gesehen haben, beinhaltet Anerkennung in diesem imaginären Arrangement eine offene Erklärung, einen intentionalen Akt des Ausdrucks von Anerkennung. Das Problem dabei ist, dass es niemals Gewissheit geben kann, ob ein solcher Ausdruck aufrichtig ist und ob er tatsächliche Einstellungen bzw. „innere Dispositionen“ zum Ausdruck bringt, die die erforderlichen Handlungsweisen bzw. Unterlassungen (oder zumindest deren Wahrscheinlichkeit) durch die jeweils Beteiligten garantierten. Diese Ungewissheit von Einstellungen soll durch die institutionelle Konzeption des Privateigentums beseitigt werden. Dass der Staat die Bürger „anerkennt“, ist keine Angelegenheit bestimmter Einstellungen, sondern meint ganz einfach, dass bestimmte Rechte und Pflichten in Gesetzesform vorliegen und durch die einschlägigen Staatsbeamten (Polizisten und Richter) gemäß den ihnen gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten geltend gemacht werden. Gleichermaßen ist die von den Bürgern vollzogene „Anerkennung“ des Staates wie auch ihres (institutionellen) Personenstatus bloße Sache ihrer Handlungen und Unterlassungen. Es spielt keine wirklich entscheidende Rolle, wie ihre Einstellungen gegenüber dem Staat und zueinander genau beschaffen sind, so lange sie die Legitimität des Staates und ihren jeweiligen Personenstatus praktisch „anerkennen“, indem ihre Handlungen und Interaktionen zum Ausdruck bringen, dass sie dem Gesetz gehorchen. Obwohl wir auch in diesem Zusammenhang von „Akten und Ausdrucksweisen der Anerkennung“ (vgl. 1.4.) sprechen können (das geschriebene Recht ist in der Tat eine Art Deklaration und auf diese

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 3 Fichte über Auffordern und Anerkennen

Weise in einem relevanten Sinn Ausdruck von Anerkennung), müssen diese anders als in Kontext A nicht als Expressionen bestimmter zugrundeliegender Einstellungen verstanden werden. Mit Bezug auf die Frage aus Abschnitt 2.5., ob Anerkennung, wie sie in Kontext B verstanden wird, responsiv aufs Personsein eingeht oder konstitutiv für es ist, haben wir gesehen, dass die „Anerkennung“ durch den Staat ontologisch konstitutiv für den institutionellen Personenstatus der Bürger als Objekte der Anerkennung ist (OKSinstO). Auf der anderen Seite geht die gegenseitige Anerkennung der Bürger in diesem Kontext zumindest normativ responsiv auf den jeweiligen insti­ tutionellen Personenstatus (NRSinst) ein; unterlassene Anerkennung wird entsprechend kritisiert und bestraft. Vorausgesetzt, dass die Furcht vor Strafe durch den Staat eine gewisse motivierende Rolle bei der Anerkennung eines Bürgers durch einen anderen spielt, bedeutet dies, dass Anerkennung in diesem Sinne auch kausal responsiv auf den institutionellen, vom Staat geschützten Personenstatus der Anderen anspricht (KRSinst): Ich bin geneigt, Dich und Deinen Status anzuerkennen, denn Dich nicht anzuerkennen, bedeutet, gegen das Gesetz zu verstoßen und mich strafbar zu machen.

4 Hegel über Anerkennung Obwohl es in vielerlei Hinsicht aufschlussreich ist, Fichtes Überlegungen zum Auffordern und Anerkennen nachzugehen und zu rekonstruieren, findet Fichte in gegenwärtigen Debatten über Anerkennung, − zumindest außerhalb von Spezialistenkreisen − kaum Erwähnung. Im Gegensatz dazu stellt Hegel die Standardreferenz dar und zwar in einem Maße, dass seine Erwähnung oft (explizit oder implizit) zur ostensiven Definition dessen gebraucht wird, was mit „Anerkennung“ gemeint sein soll: Man spricht dann über das, was Hegel mit diesem Begriff in Verbindung gebracht hat. Die Klarheit, die durch diese Referenz erreicht werden soll, ist allerdings trügerisch, wie der Umgang mit Hegels Text gleich zeigen wird. Ein erstes Hindernis, mit dem man beim Studium Hegels konfrontiert ist, hängt mit seiner Methode und seiner Art zu schreiben zusammen. Auch wenn Fichte wahrscheinlich nicht zu den Philosophen gehört, die am leichtesten zugänglich sind, erreicht Hegels Art zu Schreiben einen noch viel höheren Grad der begrifflichen Abstraktion, die oft viel mehr selbständiges Nachdenken und Ergänzen von Details seitens des Lesers erfordert, als dies bei den meisten anderen Philosophen der Fall ist (auch bei Fichte). Die positive Seite hieran ist aber, dass Hegels Texte sich für Philosophen und Denker, die geduldig genug waren, sich eingehender mit ihnen zu befassen, als unerschöpfliche Inspirationsquelle erwiesen haben – wobei Hegels Ideen vermittelt durch die jeweiligen philosophischen oder politischen Anschauungen häufig auch eher frei interpretiert, rekonstruiert oder reformuliert worden sind. Die Kehrseite hiervon ist, dass die Frage „Was hat Hegel selbst über x gedacht?“ dabei oft übergangen worden ist. Eine erschöpfende und vollständig unvoreingenommene Darstellung von Hegels Gedanken über Anerkennung zu bieten, wäre eine nur schwer zu leistende Aufgabe und sie ist auch nicht mein Ziel in diesem Kapitel.1 Stattdessen werde ich einen Schlüsseltext in Hegels Werk analysieren, der explizit von unserem Thema handelt und versuchen zu klären, was genau Anerkennung diesem Text zufolge beinhaltet und auf welche Art und Weise sie sich vollzieht. Ich werde mich nicht zur Entwicklung von Hegels Gedanken über Anerkennung äußern und auch Hegels Rezeption von Fichtes Gedanken über Anerkennung und verwandte Themen nicht ausdrücklich diskutieren. Solcherlei Vorhaben würden es unmöglich machen, den Begriff der Anerkennung selbst im Detail zu betrachten und dabei sind es wieder die Details, die für uns am aufschlussreichsten sind. Dabei sollten dann aber auch viele Ähnlichkeiten mit und Kontraste zu Fichtes Anerkennungskonzeption in der Grundlage deutlich werden.

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 4 Hegel über Anerkennung

Ein großer Teil der Aufmerksamkeit in Bezug auf „Anerkennung“ bei Hegel hat sich auf seine so genannte Jenaer Zeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konzentriert, die mit dem Verfassen der berühmten Phänomenologie des Geistes (Werke 3), die Hegel 1807 veröffentlichte, endete. Bis vor kurzem war es eine weit verbreitete Annahme, dass das Thema innerhalb des Hegel’schen Werks mit Abschluss dieser Periode seine Relevanz verloren hätte (vgl. Habermas 1999). Obwohl diese Ansicht mittlerweile in Frage gestellt wurde (Williams 1992, 1997), ist der meistgelesenste Text Hegels über Anerkennung immer noch das „Selbstbewusstseins“-Kapitel der Phänomenologie des Geistes, in dem Hegel seine Gedanken anhand der Figuren von „Herr und Knecht“ (Werke 3, 196 – 210) illustriert. Auch der Text, auf den wir uns in diesem Kapitel konzentrieren werden, enthält die Figuren des Herrn und des Knechts, er stammt allerdings aus der letzten Periode des Hegel’schen Werks und findet sich innerhalb der Darstellung seiner reifen systematischen Gedanken in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, deren endgültige Fassung im Jahr 1830 erschien. Es handelt sich um das Kapitel „Das Selbstbewußtsein“ im ersten Teil seiner Philosophie des Geistes, die den Titel „Der subjektive Geist“ trägt.2 Der wesentliche Vorteil dieser Textversion im Vergleich zur Version aus der Phänomenologie des Geistes von 1807 ist der, dass er frei ist von einer Komplikation, die unvermeidlich jede Lektüre der Phänomenologie belastet. Damit meine ich die Tatsache, dass Hegel die Phänomenologie des Geistes als eine Einleitung in sein philosophisches System geschrieben hat und dass es manchmal recht schwierig zu bestimmen ist, ob das, was Hegel in diesem Text sagt, eine neutrale Beschreibung der jeweils relevanten Phänomene darstellt oder dem spezifischen Ziel und der Methode des Buches dient.3 Solche Komplikationen fehlen in der Enzyklopädie, die keine Einleitung zu Hegels philosophischem System darstellt, sondern selbst das System ist. Dies bedeutet, dass auch das Kapitel, in dem die Figuren des Herrn und des Knechts sowie der so genannte Kampf des Anerkennens präsentiert werden, nicht mit irgendeinem externen Ziel oder einer Vorgehensweise belastet ist, sondern einfach Hegels Konzeption der in Frage stehenden Phänomene bietet. Eine weitere bedeutsame Differenz liegt darin, dass die Paragraphen, die in der Phänomenologie des Geistes explizit von Anerkennung handeln mit einer Beschreibung der Ungleichheit der Beziehung von Herr und Knecht enden, was manche Leser und Autoren zu der Annahme verleitet hat, dass es in Hegels Anerkennungskonzeption wesentlich um Herrschaft geht4. Die Enzyklopädie-Version beschreibt indessen auch (wenn auch sehr kurz) einen Zustand der wechselseitigen Anerkennung, in dem einseitige Herrschaft überwunden wird. Ein dritter Vorteil der Enzyklopädie-Version ist der, dass sie Teil von Hegels reifem philosophischen System ist, das sein Denken in der elaboriertesten Form



4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist 

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präsentiert und wichtige Elemente beinhaltet, die in der einleitenden Phänomenologie des Geistes vollständig fehlen, für ein Verständnis der umfassenden Bedeutung von Anerkennung für Hegel jedoch unabdingbar sind. Dazu gehört vor allem die Philosophie der Natur, mit ihrer abschließenden Diskussion der tierischen Lebensform, wie auch ein Abschnitt über Anthropologie, die in der Enzyklopädie beide der Diskussion von Anerkennung vorangehen. Obwohl die Version der Phänomenologie des Geistes die berühmtere ist und sich ein Großteil der Sekundärliteratur auf diese konzentriert, hat die Enzyklopädie-Version insgesamt einige Vorteile, die sie zu einem besseren Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Hegels Gedanken über Anerkennung machen. Trotz der Differenzen zwischen den beiden Texten, ist das, was Hegel darin über die berühmten Figuren Herr und Knecht sagt, im Wesentlichen miteinander kompatibel. Die Enzyklopädie-Version zu studieren stellt somit auch eine gute Grundlage für ein Studium der Phänomenologie-Version und damit zusammenhängenden Diskussionen dar.

4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist In einer ersten groben Annäherung kann man sagen, dass Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel der Enzyklopädie eine analoge Rolle zukommt, wie der Aufforderung und der interpersonalen Anerkennung in Fichtes Grundlage. In beiden Texten stellt interpersonale bzw. intersubjektive Anerkennung ein zentrales Element der Bildung von Subjekten zu reifen menschlichen Personen dar. Eine der Differenzen zwischen diesen Texten liegt darin, dass Fichte im Rahmen eines Modells voranschreitet, in dem ein bereits freies Vernunftwesen, eine Person, einem noch nicht freien Vernunftwesen ermöglicht, durch Anerkennung und Auffordern ein solches zu werden, während es im Rahmen des Hegel’schen Aufbaus zwei Subjekte sind, die sich anfänglich beide in einem prävernünftigen Zustand befinden und diesen durch einen Prozess des Anerkennens überwinden werden.5 Eine weitere Differenz liegt darin, dass Fichte die Verwirklichung von vernünftiger Freiheit bzw. Personsein durch Auffordern und Anerkennen als einen durchweg friedlichen Prozess präsentiert, während Hegels Konzeption ein starkes Konflikt-Moment enthält. Ein dritter, signifikanter Unterschied besteht in der Weise, wie Hegels Konzeption von Freiheit von derjenigen Fichtes abweicht. Hegels originelle Freiheitskonzeption stellt zugleich einen Schlüssel dafür dar, seine Gedanken über Anerkennung zu verstehen und ist für uns somit ein guter Ausgangspunkt. Um zu verstehen, wie Hegel Freiheit begreift, müssen wir uns allerdings auch seinen Begriff des Geistes näher ansehen und das, was ihm zufolge als die drei grundlegenden Prinzipien des Bereichs des Geistes gekenn-

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 4 Hegel über Anerkennung

zeichnet werden kann. Den Begriff „Geist“, wie er im Titel der Philosophie des Geistes vorkommt, versteht man am besten als einen allgemeinen Begriff für all dasjenige, dass die menschliche Lebensform oder die Lebensform menschlicher Personen von bloß tierischen Formen des Lebens unterscheidet. Hegels Philosophie der Natur endet mit einer Strukturbeschreibung des animalischen Lebens (Werke 9, §§ 350 – 376) und der Subjektive Geist, der erste Teil seiner Philosophie des Geistes, beginnt mit einem Abschnitt über Anthropologie (Werke 10, §§ 388 – 412). Dadurch ist der Übergang von der Philosophie der Natur zur Philosophie des Geistes thematisch ein Übergang von der animalischen Lebensform zu einer Lebensform, die genuin menschlich ist. Hegel räumt allerdings ein, dass Menschen einen Teil ihrer Konstitution mit nicht-menschlichen Tieren teilen. Dies kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass die Präsenz und Aufhebung bloßer Animalität ein wiederkehrendes Thema innerhalb des Subjektiven Geistes ist. Das gilt auch für das Selbstbewusstseins-Kapitel, in dem es in zentraler Weise darum geht, wie Menschen bloße Animalität oder eine bloß natürliche Lebensform durch Anerkennung überwinden bzw. aufheben. Obwohl Hegel den Begriff „Person“ im Selbstbewusstseins-Kapitel nicht benutzt, geht es darin in grundlegender Weise um die Entwicklung von a-rationalen Wesen, die an natürliche Imperative gebunden sind, zu − um Fichtes Terminologie zu verwenden − freien Vernunftwesen, bzw. um die Entwicklung zu Personen, sowohl im Sinne der psychischen Fähigkeiten als auch im Sinne des Status. Worin besteht nun die Verbindung zwischen „Geist“, Freiheit und den drei allgemeinen Prinzipien, die ich erwähnt habe? Und worin bestehen diese Prinzipien? Hegel diskutiert den „Begriff des Geistes“ in der Enzyklopädie am Anfang der Philosophie des Geistes und sagt, dass das „Wesen des Geistes […] die Freiheit [ist] […] [oder] die absolute Negativität“ (Werke 10, § 382). Was hier etwas rätselhaft klingt, erklärt Hegel ausführlicher in seinen Vorlesungen von 1827/8 über die Philosophie des (subjektiven) Geistes. Dort schreibt er: „Der Mensch ist natürlich, aber als Mensch […] auch Geistiges“ (EW, 4). Und weiter heißt es: „Geist sind wir selbst“, womit Hegel meint, dass wir zwar als Menschen sowohl natürlich als auch geistig sind, dass aber im Geist unser Wesen zum Ausdruck kommt. Da unser Wesen der Geist ist und das Wesen des Geistes Freiheit, liegt es Hegel zufolge in unserem Wesen, frei zu sein und dies ist, wie er sagt, auch unsere „Bestimmung“.6 Indem er die Freiheit als unsere Bestimmung bezeichnet, bringt Hegel zum Ausdruck, dass dies etwas ist, zu dessen Realisierung wir nicht nur eine innewohnende Tendenz bzw. einen Trieb7 besitzen, sondern dessen Realisierung auch unsere Aufgabe ist (EW, 6). Kurz gesagt meint Hegel damit, dass Menschen sowohl „Tiere“ als auch Personen sind, dass aber das Personsein ihr Wesen ist, zu dessen Verwirklichung sie tendieren und verpflichtet sind, wobei diese Verwirklichung im Wesentlichen bedeutet, frei zu werden.



4.1 Anerkennung, Freiheit und Geist 

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Genau wie in der veröffentlichten Ausgabe identifiziert Hegel in den Vorlesungen Freiheit als das Wesen des Geistes und damit unser Wesen mit „absoluter Negativität“, oder wie er auch sagt mit der „Negation der Negation“ (EW, 139). Was haben diese Formulierungen zu bedeuten? Hegel erklärt, dass Freiheit in dem „konkreten“ Sinne, den er meint, „abstrakter“ oder „formaler“ Freiheit, womit er die Freiheit von Bestimmung durch Anderes meint (EW, 14), entgegengesetzt ist. Obwohl Hegel sich hier nicht kommentierend auf Fichte bezieht, sind die zwei Konzepte von Freiheit, mit denen Fichte in der Grundlage operiert – innere kausale Freiheit als Freiheit von äußerlicher Beeinflussung der eigenen Handlungsabsichten sowie äußere Freiheit, in der Welt ungehindert durch Andere handeln zu können  – Beispiele für das, was Hegel mit „abstrakten“ Freiheitsauffassungen meint. Man kann Hegel so verstehen, dass solche Auffassungen unnütz sind, da sie den Begriff der Freiheit für etwas Unmögliches in Anschlag bringen: Nicht-Beeinflussung oder Nicht-Determinierung durch etwas, durch das man notwendig beeinflusst und bestimmt wird. Es gibt keinen Weg zu vermeiden, dass die eigenen Absichten durch verschiedene Faktoren, die nicht vollständig im Bereich der eigenen unmittelbaren Kontrolle liegen, beeinflusst werden, auch werden Andere auf irgendeine Weise immer meine Handlungsmöglichkeiten beeinflussen. Das heißt aber nicht, dass wir deswegen nicht frei sein können, sondern dass wir Freiheit auf eine andere Weise konzipieren müssen. Statt auf „abstrakte“ oder „formale“ Freiheit zielt Hegel auf „konkrete Freiheit“ ab. Dies bezeichnet er metaphorisch als „bei sich selbst sein“ in dem, was einen bestimmt, beschränkt oder „negiert“.8 Konkrete Freiheit hat formal die Struktur von absoluter Negativität bzw. die Struktur der Negation der Negation oder wie Hegel auch sagt, die Struktur „gedoppelter Negation“ (Werke 6, 404). Die erste „Negation“ meint hier die Beschränkung oder Bestimmung durch eine Andersheit; die zweite Negation  – die die „absolute Negation“ vervollständigt und konkrete Freiheit mit sich bringt – bedeutet die Überwindung der Äußerlichkeit, Fremdheit oder Feindlichkeit dessen, durch das man beschränkt wird. Das erste der drei Prinzipien, die ich erwähnt habe, ist genau dieses Prinzip der absoluten Negation bzw. der konkreten Freiheit, oder wie Hegel es oft ausdrückt, des im Anderen bei sich selbst sein. Auf rudimentäre Art und Weise ist dieses Prinzip Hegel zufolge auch in der Natur instanziiert, wobei gilt, dass je mehr ein natürliches Phänomen es verwirklicht, umso näher ist seine Seinsweise der eines „geistigen“ Phänomens.9 Während allerdings die Natur das Prinzip der absoluten Negation oder konkreten Freiheit nur in sehr begrenztem Maße verwirklichen kann, realisiert es der Bereich des Geistes bzw. der Bereich des Menschen in maximalem Grad. Der Grund hierfür ist, dass Menschen bewusste Wesen sind bzw. Wesen, die mit Bewusstsein ausgestattet sind. Wichtig ist, dass Hegel mit „Bewusstsein“ eine intentionale Beziehung meint, durch die ein Subjekt etwas

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 4 Hegel über Anerkennung

als (ein ihm gegenüberstehendes) Objekt erfährt. Diese intentionale, in Subjekt und Objekt differenzierte Form des Gegebenseins und der Weltbeziehung steht in Kontrast zu vor-intentionalen Formen des Gegebenseins bzw. des Weltbezugs, d.h. zur bloßen Empfindung und zum Gefühl, über die nach Hegels Konzeption auch nicht-menschliche Wesen verfügen. Hegel diskutiert die vor-intentionalen Formen der Empfindung und des Gefühls in seiner Anthropologie (dem ersten Hauptabschnitt des Subjektiven Geistes), während die intentionalen Formen des Bewusstseins Hauptthema der Phänomenologie sind (dem zweiten Hauptabschnitt, in welchem auch das Selbstbewusstseinskapitel zu finden ist).10 Ein hierbei zentraler Punkt ist, dass das Prinzip der absoluten Negation bzw. des „im Anderen (oder in der Andersheit) bei sich selbst sein“ im Menschen als bewusstem Wesen die konkretere Form des Bewusstseins seiner selbst im Anderen annimmt. Bewusstheit oder Bewusstsein seiner selbst im Anderen ist das zweite der drei von mir erwähnten Prinzipien. Dadurch, dass sie sich im Anderen ihrer selbst bewusst sind, sind Menschen geistige Wesen und auf diese Weise in einem viel höheren Grade im konkreten Sinne frei als jedes nur natürliche Wesen. Entscheidend ist, dass etwas als ein von mir selbst unterschiedenes Objekt erfahren wird, jedoch in einer solchen Weise, dass das Objekt nicht als etwas mir Fremdes oder Feindliches erfahren wird, sondern vielmehr auf eine Weise, die mich selbst oder einen Aspekt von mir widerspiegelt. Es ist besonders wichtig, dass das Wort „Selbst-Bewusstsein“ im Titel des Kapitels, das wir analysieren wollen, nicht (zumindest nicht hauptsächlich) so zu verstehen ist, wie es meistens in der Philosophie verstanden wird, nämlich als Bewusstsein der eigenen mentalen Zustände, sondern als Bewusstsein meiner selbst – oder eines Aspekts meiner selbst – in dem, was mir selbst ein anderes ist. Hierin besteht eine sichtliche Anspielung auf Fichte, denn wie Fichte, nimmt auch Hegel eine enge Verknüpfung zwischen Selbstbewusstsein und Freiheit an und begreift darüber hinaus beide aus ihrem Verhältnis zur Andersheit. Nichtsdestoweniger versteht er dies alles etwas anders als Fichte. Was genau hat Hegel also im Sinn? Dem Prinzip des „Bewusstseins seiner selbst im Anderen“ kommen verschiedene Weisen der Realisation bzw. der konkreten Instanziierung zu. Auf der allgemeinsten Ebene gibt es theoretische (bzw. epistemische) und praktische Dimensionen seiner Realisation. Alle epistemischen Tätigkeiten beinhalten zuallererst, dass etwas als ein mir äußerliches Objekt aufgefasst und ich so als Subjekt von ihm bestimmt werde. Dies ist die erste Negation, oder wie wir auch sagen können: das Moment des Unterschieds. Wenn dies erfolgreich ist, beinhalten sie zweitens einen Wissenserwerb und ein Verständnis von dem, das als Objekt gesetzt ist, dessen Fremdheit auf diese Weise überwunden wird. Dies ist die zweite Negation, oder wie wir sagen können: das Moment der Identität. Indem sie mithilfe von Begriffen, mit denen sie auch in Gedanken operieren können, Strukturen



4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen 

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der Wirklichkeit (seien sie natürlich oder geistig) erkennen und verstehen, sind Menschen in der Lage „sich selbst zu finden“ oder genauer ihre Gedanken in der Realität, wodurch sie sich zumindest in bestimmten Hinsichten in der Welt zu Hause oder mit ihr versöhnt fühlen können und in diesem Sinne im Verhältnis zu ihr „konkret frei“ sind.11 Praktische Tätigkeiten können in ähnlicher Art menschliche Weisen die Welt zu domestizieren sein, dadurch dass sie Weisen der Entäußerung ihrer Anliegen, Interessen und Gedanken in der Welt sind und auf diese Weise Wirklichkeiten hervorbringen, die ihnen notwendig eine Art von Zuhause schaffen, das sie selbst widerspiegelt oder es ihnen ermöglicht, darin „ihrer selbst bewusst“ zu sein. Dies soll bedeuten, dass Menschen mittels solcher praktischer Tätigkeiten oder „Arbeit“ die äußere Natur bzw. eine bloß animalische Umgebung ein Stück weit als Kollektiv hinter sich lassen und zum Teil damit beginnen, sich in einer Welt des objektivierten oder „objektiven Geistes“, den sie selbst hervorgebracht haben, aufzuhalten. (Ich sage „zum Teil“, weil Menschen auch verkörperte Tiere sind, die durch die Naturgesetze bestimmt sind und die die Natur daher niemals vollständig hinter sich lassen können.) Unter all den Weisen, in denen Menschen sich ihrer selbst bewusst werden oder sich selbst im Anderen „finden“ können, um so im Umgang mit dem, was sie bestimmt, konkrete Freiheit zu erlangen, gibt es in Hegels Konzeption eine ganz besonders hervorzuhebende Eigentümlichkeit in Bezug auf die Weise, in der sie sich selbst im jeweils Anderen finden können. Dieser besonderen Instanziierung des zweiten Prinzips kommt eine zentrale Rolle zu, nicht nur innerhalb einer harmonischen sozialen und politischen Ordnung, sondern auch innerhalb der Entwicklung von Menschen zu psychologischen Personen sowie im Hinblick auf deren spezifische Konstitution. Damit spreche ich von der Struktur bzw. dem Prinzip der (wechselseitigen) Anerkennung, die das dritte der drei Prinzipien darstellt.12 Aber was genau ist Anerkennung gemäß dem Kapitel der Enzyklopädie − dem Selbstbewusstseins-Kapitel −, das explizit von diesem Thema handelt?

4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen Was genau „Anerkennung“ im Selbstbewusstseins-Kapitel von Hegels Enzyklopädie bedeutet, ist nicht viel leichter zu sagen als im Falle von Fichtes Grundlage.13 Zuallererst ist der Text relativ kurz und schreitet auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau voran, das es für den Leser mehr oder weniger notwendig macht, viele Details, die Hegel selbst oft nur andeutet, eigenständig herauszuarbeiten. Obwohl die Tatsache, dass Hegel den Text mit den berühmten Figuren von „Herr und Knecht“ (bzw. „Sklave“, denn Hegel benutzt beide Ausdrücke14) illus­

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 4 Hegel über Anerkennung

triert, eine willkommene Konkretisierung dessen bietet, was ansonsten eine sehr abstrakte Lektüre darstellte, bringt diese Illustration zweitens auch ihre eigenen Probleme mit sich. Das Hauptproblem, das mit dieser metaphorischen Darstellungsweise einhergeht, ist die Tatsache, dass sie den Leser leicht dazu verführt, Anerkennung allein im Lichte realer Weltherren und Knechte zu betrachten, während man diese Figuren am besten lediglich als eine spezifische Illustration allgemeiner Intersubjektivitäts- und Sozialstrukturen versteht, wie sie innerhalb der Lebensform menschlicher Personen in den unterschiedlichsten konkreten Instanziierungen vorkommen. Um sich dem anzunähern, was genau im Selbstbewusstseins-Kapitel passiert und was „Anerkennung“ darin bedeutet, ist es notwendig, einige Unterscheidungen einzuführen, die Hegel selbst nicht explizit vornimmt. Einige von diesen haben wir bereits bei der Analyse von Fichtes Text verwendet, andere sind Hegel eigentümlich. (1) Erstens gibt es eine Unterscheidung, die wir bereits im Rahmen der Diskussion von Anerkennung im institutionellen Kontext (B) bei Fichte berührt haben (vgl. Abschnitt 3.3.4.). Ich erwähnte dort die „abwärts gerichtete Anerkennung“ der Bürger durch den Staat, in dem Sinne, dass der Staat den Bürgern Rechte und einen Schutz dieser Rechte garantiert, während die Bürger für ihren Teil den Staat „aufwärts gerichtet“ als legitim „anerkennen“. Diese beiden Bedeutungen von „Anerkennung“ (die an sich schon recht verschieden sind) kontrastieren nicht nur mit intersubjektiver Anerkennung, wie sie für die Beziehung des Auffordernden und des Adressaten der Aufforderung einschlägig ist (A), sondern auch mit der Anerkennung zwischen Bürgern im institutionellen Kontext des Staates, die im wechselseitigen Respekt ihre jeweiligen Rechte zum Ausdruck kommt. Die hier relevante Unterscheidung wird in der Hegel-Forschung manchmal als die von „vertikaler“ und „horizontaler“ Anerkennung (ursprünglich in Siep 1979) beschrieben. Die Ausdrücke „intersubjektive“ und „interpersonale“ Anerkennung beziehen sich auf horizontale Anerkennung, und in dieser Weise wird der Begriff auch in vielerlei Hinsicht in Debatten über Hegel und Anerkennung gebraucht. Was nichtsdestoweniger das horizontale und vertikale Verständnis von Anerkennung bei Hegel verbindet, ist, dass sie als Instanziierungen des Prinzips des „Bewusstseins seiner selbst im Anderen“ verstanden werden können. Wie ich in Abschnitt 4.4. zeigen werde, ist die Unterscheidung der vertikalen und der horizontalen Bedeutung eng verbunden mit einer Unterscheidung von „dyadischen“ und „triadischen“ Weisen, Anerkennung im allgemeinen zu begreifen (vgl. auch Siep 1979, 53ff.). (2) Wie wir sehen konnten, gestaltet sich horizontale Anerkennung zwischen Individuen zweitens im Wesentlichen auf zwei Weisen aus. Wir konnten dies bereits im Rahmen der Auseinandersetzung mit Fichte beobachten. Auf der



4.2 Anerkennung – vorbereitende Unterscheidungen 

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einen Seite gibt es rein intersubjektive Anerkennung, die mit keiner internen oder begrifflichen Beziehung auf die institutionellen Rollen des Anerkannten einhergeht und sich auf diesen allein als Träger einer bestimmten psychologischen Verfasstheit bezieht. Auf der anderen Seite steht die „institutionelle bzw. institutionell vermittelte (horizontale) Anerkennung“, bzw. die Anerkennung eines Subjekts als Inhaber institutioneller Rollen, die in bestimmten deontischen Machtbefugnissen wie Rechten und Pflichten bestehen. Beide Varianten horizontaler Anerkennung instanziieren bzw. realisieren das allgemeine Prinzip des Bewusstseins seiner selbst im Anderen, genauer noch: in einem anderen Subjekt. Allerdings stehen sie für ganz verschiedene Phänomene. Ich werde diese Differenz von nun an dadurch kennzeichnen, dass ich „Anerkennung*“ (und „Respekt*“) zur Bezeichnung der institutionell vermittelten Bedeutung horizontaler Anerkennung verwende. (3) Drittens und eng verbunden mit den vorangegangenen zwei Unterscheidungen ist zwischen rein intersubjektiven bzw. nicht institutionalisierten sozialen Normen und Normsystemen einerseits und institutionalisierten Normsystemen bzw. tatsächlichen Institutionen andererseits, zu unterscheiden. Gemäß meiner rationalen Rekonstruktion von Fichtes Konzept des Aufforderns als Erziehung stellt das Auffordern eine rein intersubjektive Interaktion dar, innerhalb welcher das Kind dazu aufgefordert wird, Verantwortung zu übernehmen, um auf diese Weise an der Autorität über die sozialen Normen teilzuhaben. Dies suggeriert ebenso wie Fichtes Gedankenexperiment, das Privateigentum auf eine rein intersubjektive Vereinbarung zu gründen (Fichte präsentiert dies, bevor er das genuin institutionelle Konzept des Privateigentums entwickelt, das durch den Staat gesichert ist), auf ein System von Normen sowie korrespondierenden Rechten und Pflichten, die allein von der Autorität der beteiligten Parteien abhängen. Dass die Individuen, die die Beziehung bilden, die alleinigen Autoritäten und Verwalter der Normen und Regeln ihrer Interaktion sind, bedeutet aber, dass den Normen keine wirkliche Unabhängigkeit zukommt. Im Gegensatz dazu kommt den institutionalisierten Normen und Normsystemen bzw. den tatsächlichen Institutionen, etwa dem Staat bei Fichte (zumindest) ein (gewisser) Grad von Unabhängigkeit von jedem einzelnen Subjekt bzw. einer intersubjektiven Dyade zu. Die institutionalisierten Normen bilden eine relativ unabhängige „dritte Instanz“, die nicht nur von diesem oder jenem Individuum oder Individuenpaar autorisiert und verwaltet wird, deren Leben sie regeln, sondern auch (und im Extremfall fast ausschließlich) von einer dritten Person oder Personen – sei es ein Tyrann, eine bestimmte herrschende Klasse oder das Kollektiv als Ganzes. Im Sinne des Prinzips des Bewusstseins seiner selbst im Anderen stellen so institutionalisierte Normen tatsächlich eine Andersheit für diejenigen Individuen dar, deren Leben sie bestimmen (dies instanziiert die erste

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 4 Hegel über Anerkennung

Negation bzw. das Moment der Differenz).15 Aus der Perspektive konkreter Freiheit ist die zentrale Frage hinsichtlich dieser Normen, ob bzw. in welchem Grade die Individuen sie oder die Institutionen als Widerspiegelungen ihrer eigenen aufgeklärten Interessen und Urteile über das Richtige und Gute erkennen und sich so in den Institutionen „ihrer selbst bewusst“ sein können (darauf spielt die zweite Negation bzw. das Einheitsmoment an). Dass Individuen sich in der Beziehung auf Institutionen ihrer selbst bewusst sein können  – dass sie in diesem Sinne von den Institutionen „anerkannt“ sind − bedeutet, dass sie die Institutionen von sich aus als legitim „anerkennen“ können. (4.) Viertens besteht ein sehr wichtiges im Gegensatz zu Fichte neues Element von Hegels Behandlung des Anerkennungsthemas in dem Gedanken, dass Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn zwei Dimensionen hat. Ich werde diese die deontologische und die axiologische Dimension nennen. Während die deontologische Dimension rein intersubjektiver Anerkennung Themen wie Normen, Autorität, Gehorsam und Respekt betrifft, geht es bei der axiologischen Dimension um Themen wie Werte, Sorge, Fürsorge und Liebe. (5.) Damit einige der Schwierigkeiten der Hegel’schen Diskussion im Selbstbewusstseins-Kapitel Sinn ergeben, ist es fünftens wichtig − sowohl im Hinblick auf rein intersubjektive Anerkennung als auch auf institutionell vermittelte horizontale Anerkennung* −, Weisen, die in einem bestimmten Sinne nicht genuin interpersonal oder personifizierend sind, von solchen abzugrenzen, die es sind. Was ich mit nicht genuin personifizierender institutionell vermittelter horizontaler Anerkennung* meine, ist die Anerkennung* von jemandem als Träger einer institutionellen Rolle oder eines institutionellen Status, der nicht der der Person ist, sondern bspw. der eines Sklaven. Im Gegensatz dazu beinhaltet der genuin personifizierende oder interpersonale Anerkennungsmodus, jemanden als Träger „Personsein“-stiftender deontischer Machtbefugnisse, z.B. das Recht auf Leben und Eigentum anzuerkennen – mit anderen Worten: jemanden als Person im Sinne des in den Kapiteln 2.5.1. und 3.3.4. diskutierten institutionellen StatusBegriffs des Personseins anzuerkennen*. Mit der Rede von der nicht-personifizierenden bzw. nicht genuin interpersonalen Weise rein intersubjektiver Anerkennung will ich darauf abheben, dass jemand auf eine Art und Weise anerkannt wird, durch die ihm der Anerkennende die Zuschreibung des vollständigen Personseins vorenthält, er erscheint dem Anerkennenden bspw. vielmehr nur als nützlich. Demgegenüber beinhaltet intersubjektive Anerkennung im genuin interpersonalen bzw. personifizierenden Sinn, den Anderen im Lichte einer „genuin Personsein-stiftenden intersubjektiven Bedeutsamkeit“ zu betrachten und d.h. als eine Person im Sinne des intersubjektiven Status-Begriffs, der in Kapitel 1.5.1. eingeführt wurde. Wie ich zeigen werde, gilt diese Unterscheidung sowohl für die axiologische wie auch für die



4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung 

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deontologische Dimension von Anerkennung, wie sie sich in Hegels Text darstellen. (6.) Es gilt, eine weitere Unterscheidung explizit zu machen, auch wenn diese weniger direkt mit der Bedeutung des Ausdrucks „Anerkennung“ zu tun hat als vielmehr mit der speziellen Architektur bzw. Struktur des Textes. Die Philosophie des Subjektiven Geistes (und wahrscheinlich die gesamte Hegel’sche Realphilosophie bestehend aus der Philosophie der Natur (Werke 9) und der Philosophie des Geistes (Werke 10)) kann nämlich aus zwei einander entgegengesetzten Perspektiven bzw. „Richtungen“ gelesen werden. In der hier so genannten bottom-upPerspektive beschreiben die aufeinander folgenden Unterkapitel des Textes aufeinander folgende Stadien eines Entwicklungsprozesses. Tatsächlich existierende Entitäten können dabei ein bestimmtes Stadium realisieren oder instanziieren, ohne auch die späteren, weiterentwickelten realisieren oder instanziieren zu müssen. Im Gegensatz dazu beschreiben die aufeinander folgenden Kapitel aus Sicht der top-down-Perspektive jeweils intern miteinander verknüpfte Momente des vollständig entwickelten oder ausgebildeten Ganzen, das die vollständig „geistige“ oder freie menschliche Person ist. Es sieht so aus, als hätte Hegel beim Verfassen des Textes beide Perspektiven beabsichtigt. Wie wir sehen werden hat dies (nicht nur, aber auch) Konsequenzen für den Versuch, seine Anerkennungstheorie zu rekonstruieren.

4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung Bevor ich das Selbstbewusstseins-Kapitel mithilfe der genannten Unterscheidungen analysiere, möchte ich zuerst noch kurz die Struktur und die Hauptereignisse des Textes skizzieren. Ich werde dabei allein die bottom-up-Perspektive einnehmen und jeden Unterabschnitt als Auseinandersetzung mit einem bestimmten Entwicklungsstadium verstehen. Diese „Lese-Richtung“ bzw. Lesart fügt sich besser zur illustrativen Geschichte von Herr und Knecht und erlaubt auf diese Weise einen immanenteren Zugang zum Text.

4.3.1 Das primitive Subjekt der „Begierde“ Das Kapitel besteht aus einer kurzen Einleitung (Werke 10, §§ 424 – 425) und drei Unterabschnitten: Die Begierde (§§ 426 – 429), Das anerkennende Selbstbewusstsein (§§ 430 – 435) und Das Allgemeine Selbstbewusstsein (§§ 436 – 437). Im ersten Unterabschnitt Die Begierde beschreibt Hegel eine primitive Weise der praktischen Intentionalität bzw. des Objektbezugs, der allein durch die unmittelbar

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 4 Hegel über Anerkennung

gegebenen und gefühlten physiologischen Bedürfnisse des Subjekts bestimmt ist sowie durch die Begierde nach Objekten, die – wie auch immer sie beschaffen sein mögen – der Instinkt heraushebt, weil sie unmittelbare Befriedigung zu versprechen scheinen. Die Objekte erscheinen dem begehrenden Subjekt somit ausschließlich im Lichte von Kriterien wie „begehrenswert“ oder „zu vermeiden“. In seiner Perspektive haben sie keine anderen Eigenschaften.16 Obwohl das Subjekt die Objekte seiner Begierde als von seinem eigenen Körper unterschieden erfährt, ist ihre Bedeutsamkeit für das Subjekt vollständig durch sein eigenes Wesen bestimmt – Hegel bringt dies zum Ausdruck, indem er sagt, dass sie als unabhängige Objekte als „ein Nichtiges“ bestimmt sind (Werke 10, § 426). Im Sinne des Prinzips des Bewusstseins seiner selbst im Anderen instanziiert die Begierde auf diese Weise ein Bewusstsein ihrer selbst im Objekt (dies entspricht der zweiten Negation bzw. dem Moment der „Identität“), sie instanziiert aber keinen adäquaten Sinn von Andersheit des Objekts (dies wäre die erste Negation bzw. das Moment des „Unterschieds“).17 Man könnte daher sagen, dass sich das Subjekt seiner selbst nur im Objekt bewusst ist.18 Dies ist in aller Knappheit Hegels Beschreibung des Subjekts vor der Anerkennung, und sie weicht in wichtigen Aspekten deutlich von der korrespondierenden Beschreibung bei Fichte ab. Eine Differenz besteht darin, dass Hegels Subjekt bereits vor der Anerkennungsbegegnung in praktischen Beziehungen zu den Objekten in der Welt als Objekten steht, auch wenn es diesen noch an vollständiger Andersheit bzw. Unabhängigkeit mangelt, während Fichtes Subjekt jeden Sinn von unabhängiger Objektivität allein durch die Begegnung mit dem auffordernden und anerkennenden Anderen gewinnt.19 Mit anderen Worten: Während Fichtes Subjekt vor der Anerkennung noch überhaupt kein intentionales Subjekt ist, das sich selbst als ein Subjekt gegenüber Objekten begreift, ist Hegels Subjekt vor der Anerkennung bereits ein solches, wenn auch in einem sehr primitiven bzw. unentwickelten Sinn.20

4.3.2 Bildung durch einen „Prozeß des Anerkennens“ Der Übergang zum nächsten Unterkapitel Das anerkennende Selbstbewusstsein geschieht durch die Einführung eines neuen Objekts, genauer eines anderen Subjekts, das der Reduktion auf diejenigen Bedeutsamkeiten Widerstand leistet, in deren Licht das primitive und begehrende Subjekt die Welt sieht. Hegel schreibt, dass, während das Objekt der Begierde ein „selbstlose[r]“ Gegenstand ist und daher „keinen Widerstand leisten“ kann (Werke 10, § 427), das andere Subjekt ein „freie[s] Objekt“ (Werke 10, § 429) ist, das einer solchen Reduktion widersteht. In partieller Analogie zu Fichte begreift Hegel das andere Subjekt als das paradigmatische Objekt, das dem ersten Subjekt als erstes die Welt in ihrer genui-



4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung 

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nen Unabhängigkeit enthüllt. Und ähnlich wie bei Fichte ist es ein wesentliches Element dieser Überlegungen, dass das erste Subjekt sich selbst als ein Objekt der Intentionalität des anderen Subjekts erfährt. In diesem Unterkapitel begegnen wir den berühmten Figuren von „Herr“ und „Knecht“. Im Gegensatz zu Fichte stellt Hegel die intersubjektive Begegnung alles andere als friedlich dar. Für beide Subjekte – und beide sind als gleichermaßen primitiv zu verstehen  – stellt der Andere gerade aufgrund seines Widerstands gegen die Tatsache, allein im Lichte von Bedeutsamkeiten des unmittelbaren Bedürfnisses gesehen und behandelt zu werden, ein Problem dar. Während die begehrende Beziehung zu Objekten durch eine Identität ohne hinreichenden Unterschied gekennzeichnet war (bzw. die zweite Negation ohne die erste), ist die Begegnung mit dem anderen Subjekt durch einen Unterschied ohne ein hinreichendes Maß an Identität charakterisiert (bzw. die erste Negation ohne die zweite). Keines der Subjekte kann sich seiner selbst in dem Widerstand leistenden Anderen bewusst sein. Die Entwicklung bzw. der „Prozeß des Anerkennens“, der in diesem Unterkapitel beschrieben wird, ist hauptsächlich ein Fortschritt der Weisen und Grade, in dem Subjekte in der Lage sind, sich so zueinander zu verhalten, dass sie sich sowohl wechselseitig Unabhängigkeit gewähren als sich auch im Anderen ihrer selbst bewusst sind. Das Telos dieser Entwicklung ist das wechselseitige Bewusstsein seiner selbst in einem anderen freien Wesen und somit eine „konkret freie“ Beziehung. Erreicht wird dies durch die graduelle Entwicklung von Intentionalitätsstrukturen, die eine Affirmation des Anderen durch Anerkennung beinhalten. Das andere Subjekt oder eine andere Person anzuerkennen heißt in einem bestimmten Sinne, sie zu affirmieren; und sich seiner selbst im Anderen bewusst zu sein, heißt, sich bewusst zu sein, dass man selbst durch ihn affirmiert wird. Der erste und primitivste Versuch, Freiheit in Bezug auf andere Subjekte zu verwirklichen, ist allerdings noch sehr weit von diesem Telos entfernt: es ist der wechselseitige Versuch, die Andersheit und Unbeugsamkeit des Anderen vollständig zu eliminieren und führt auf diese Weise zu einem „Kampf“ (Werke 10, § 432). In dem Maße, in dem beide tatsächlich unbeugsam sind, ist es ein Kampf „auf Leben und Tod“ (ebd.). Soll sich jedoch eine soziale Beziehung ergeben, dann müssen beide Subjekte am Leben bleiben. Die einfachste Lösung für dieses Problem, innerhalb welcher beide Subjekte am Leben bleiben und eine soziale Beziehung ausprägen, besteht darin, dass ein Subjekt sich der Perspektive bzw. dem Willen des anderen beugt. Der sich Unterordnende wird dadurch zum Sklaven bzw. Knecht und macht den unbeugsamen Anderen zum Herrn. Der Herr ist sich nun seiner selbst als affirmiert bewusst bzw. als „vom Ersten als dem Unterworfenen anerkannt“ (Werke 10, § 433). Der Knecht, auf der anderen Seite, wird vom Herrn zunächst nicht anerkannt und kann sich daher nicht seiner

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selbst durch dessen Affirmation bewusst sein. Was die Bildung von Subjektivität betrifft, so hat der Knecht eine bloß Begierde-bestimmte praktische Orientierung bereits dadurch hinter sich gelassen, dass er „die Erhaltung seines Lebens“ (Werke 10, § 432) der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung vorzieht, während der Herr scheinbar genau deswegen überlegen zu sein scheint, weil er weniger um sein Leben besorgt sein muss. Die Beziehung von Herr und Knecht prägt allerdings auch die Subjektivität des Herrn, indem sie ihn zwingt, ebenfalls die unmittelbare Begierde-Orientierung hinter sich zu lassen. Wie Hegel ausführt, muss „das Mittel der Herrschaft, der Knecht, in seinem Leben gleichfalls erhalten werden“, und dies schafft eine „Gemeinsamkeit des Bedürfnisses und der Sorge für dessen Befriedigung“ (Werke 10, § 434). Dadurch, dass er für das Leben und Wohl eines anderen Subjekts zu sorgen hat, nämlich den Knecht (der dem Herrn tot, zu schwach oder zu krank, um arbeiten zu können, nichts nützt), kann auch der Herr nicht am Standpunkt der unmittelbaren Begierde festhalten, die durch „die rohe Zerstörung des unmittelbaren Objekts“ (Werke 10, § 434) gekennzeichnet ist. Was sich nun stattdessen einstellt, ist, „Erwerbung, Erhaltung und Formieren“ des Objekts (Werke 10, § 434), „eine die Zukunft berücksichtigende und sichernde Vorsorge“ (ebd.).21 Mit nur wenigen inhaltlich dichten Sätzen beschreibt Hegel das Werden einer völlig neuen praktischen Orientierung, die sich nicht nur um die unmittelbare Befriedigung sorgt, sondern um das Leben als Ganzes und so um zukünftiges Wohlergehen – und bedeutender Weise nicht nur um das eigene Leben und Wohl, sondern auch um das eines Anderen. Der Knecht ist derjenige, der Objekte „erwirbt, erhält und formiert“, oder mit anderen Worten: derjenige, der arbeitet, um in konkreter Weise sowohl für seine eigene als auch für die Zukunft seines Herrn zu sorgen. Doch auch der Herr ist besorgt um das zukünftige Wohlergehen beider und auch er hat daher eine psychische Verfassung ausgebildet, die von der des primitiven, solipsistisch begehrenden Subjekts radikal verschieden ist. Was den Knecht betrifft, so hat seine Arbeit für den Herrn weitere Effekte in Bezug auf die Bildung seiner Subjektivität bzw. psychischen Struktur: so meint Hegel, dass der Knecht „sich im Dienste des Herrn seinen Einzel- und Eigenwillen ab[arbeitet und] (…) die innere Unmittelbarkeit der Begierde auf[hebt]“ (§ 435). Dies versteht man am besten als Beschreibung der neuen zukunfts-bezogenen Einstellung des Knechts, der die unmittelbare Befriedigung zugunsten zukünftigen Wohlergehens auf­ opfert und dem Knecht in ihrer Eingewöhnung zur „zweiten Natur“ wird.22 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Geschichte von Herr und Knecht zwar mit dem wechselseitigen Versuch, die jeweilige Andersheit vollständig zu vernichten und somit mit einer Anfechtung des Anderen beginnt, dass sie sich aber zunehmend zu einer Situation entwickelt, in der beide sich zum Anderen als einem Anderen verhalten, sich aber im Anderen ihrer selbst



4.3 Das Selbstbewusstseins-Kapitel – eine kurze Einführung 

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bewusst sein können bzw. bewusst, dass der andere sie in irgendeiner Art und Weise affirmiert. Der Herr kann im Gehorsam des Knechts die „Anerkennung“ bzw. Affirmation seines Willens durch den Knecht erkennen und der Knecht kann in der instrumentellen Sorge des Herrn um sein Wohlergehen zumindest in einem gewissen Grad eine „Anerkennung“ oder Affirmation seines Interesses an seiner Selbsterhaltung und seinem Wohl erkennen.

4.3.3 Die konkret freie Beziehung wechselseitiger Anerkennung Hegel nennt den Zustand, der das Ende vom „Prozeß des Anerkennens“ darstellt das „Allgemeine Selbstbewusstsein“. Im dritten und letzten Unterkapitel des Selbstbewusstseinskapitels, das den Titel „Das allgemeine Selbstbewußtsein“ trägt, beschreibt Hegel kurz den in Frage stehenden Zustand im Sinne der Konzeption von konkreter Freiheit als dem Wissen seiner selbst in einem unabhängigen Anderen und präsentiert, ebenfalls sehr knapp, einige Gedanken bezüglich seiner konkreten Realisationsformen. Er schreibt: Das allgemeine Selbstbewußtsein ist das affirmative Wissen seiner selbst im andern Selbst, deren jedes als freie Einzelnheit absolute Selbständigkeit hat, aber, vermöge der Negation seiner Unmittelbarkeit oder Begierde, sich nicht vom Andern unterscheidet, Allgemeines und objektiv ist und die reelle Allgemeinheit als Gegenseitigkeit so hat, als es im freien Andern sich anerkannt weiß und dies weiß, insofern es das Andere anerkennt und es frei weiß. (Werke 10, § 436)

Beide Subjekte „wissen“ sich bzw. sind sich ihrer selbst jetzt in dem Sinne im Anderen bewusst, dass der eine durch die Anerkennung des Anderen affirmiert wird. Beide sind füreinander „absolut selbständig“ und versuchen nicht, den anderen der eigenen egozentrischen Perspektive unterzuordnen (dies war die erste Negation bzw. das Moment des Unterschieds); in einem gewissen Sinne „unterscheiden“ sie sich jedoch auch nicht vom Anderen (dies ist die zweite Negation bzw. das Moment der Identität). Hegel meint, dass dies aufgrund der „Negation“ bzw. der Überwindung der „Begierde“ so ist, aber diese „Negation“ muss nicht nur als Abwesenheit der primitiven Einstellung unmittelbarer Begierde verstanden werden, sondern positiver als das Einschließen der neuen Form der subjektiven Orientierung, in der die Anerkennung des Anderen eine zentrale Rolle spielt. Durch die Anerkennung affirmiert und übernimmt der Anerkennende Elemente der Perspektive des Anerkannten in seine eigene Perspektive; wird der Anerkannte sich dessen bewusst, so „weiß“ er sich selbst „affirmativ“ im Anerkennenden.

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Hegel führt weiter aus, dass das „allgemeine Selbstbewußtsein“ als wechselseitiges Wissen seiner selbst in einem freien Anderen die „Substanz“ der verschiedenen Weisen des sozialen Lebens, wie etwa „der Familie, des Vaterlandes, des Staats; sowie aller Tugenden, der Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, des Ruhms“ ist, die diesen ihre wesentliche „Geistigkeit“ (ebd.) verleiht. Diese Liste mutet wie eine bunte Mischung von Phänomenen an und Hegel scheint ersichtlich nur eine sehr allgemeine Aussage zu machen, der gemäß alle diese Phänomene Instanziierungen des „Geistes“ und damit der konkreten Freiheit sind, in dem Sinne des wechselseitigen Wissens seiner selbst als anerkannt durch freie Andere.23 Warum aber soll man sich nur dann als durch ein anderes freies Wesen anerkannt wissen können, „insofern [man] das Andere anerkennt“? Die Antwort ist einfach und hängt mit dem Wort „frei“ zusammen: Derjenige, der mich anerkennt ist in seiner Beziehung auf mich nur dann konkret frei, wenn ich ihn anerkenne und ihm dadurch ermögliche, sich in mir seiner selbst bewusst zu sein, weil ich ihn durch meine Anerkennung affirmiere.24

4.4 Hegels Ambiguitäten Alles in allem illustrieren der Herr und der Knecht die simultane Subjektivitätsentwicklung von der Animalität zum psychologischen Personsein sowie von rein natürlichen Beziehungen zu Beziehungen „geistiger“ Natur. Das Innersubjektive bzw. Psychologische und das Intersubjektive entwickeln sich Hand in Hand, und Hegel ist der Auffassung, dass die Entwicklung ein Telos hat, das er im Sinne des Konzepts konkreter Freiheit begreift. Obwohl Anerkennung bei all dem eine zentrale Rolle spielen soll, bleibt der Begriff der Anerkennung selbst innerhalb von Hegels Diskussion nichtsdestoweniger relativ vage. Im Folgenden werde ich mithilfe der Unterscheidungen aus Abschnitt 4.2. eine Reihe von Themen analysieren, die Hegel bei der Verwendung dieses Begriffs im Sinne gehabt zu haben scheint, die er selbst jedoch nicht klar voneinander unterscheidet.25 Wie kommen die Unterscheidungen im Text zur Anwendung und was sagen sie uns über das dabei wirksame Konzept bzw. die relevanten Konzepte von Anerkennung?

4.4.1 Vertikale und horizontale Anerkennung Ich beginne mit der Unterscheidung zwischen dem vertikalen und horizontalen Sinn von Anerkennung: Hegel artikuliert diesen Unterschied selbst nicht.



4.4 Hegels Ambiguitäten 

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Zudem gibt es im Text eine gewisse Ambivalenz in Bezug auf die Frage, ob die illustrativen Figuren von Herr und Knecht „horizontal“ oder „vertikal“ zueinander in Beziehung stehen. Auf der einen Seite vermittelt ein Großteil des Textes den Eindruck, dass das Herr-Knecht-Verhältnis der Illustration einer horizontalen Beziehung zwischen zwei Individuen dient, die eine intersubjektive Dyade bilden. Es ist dies zunächst die primitive Dyade zweier begehrender Subjekte, die einander begegnen; auf der nächsten Stufe ein Kampf zwischen zwei Subjekten auf mehr oder weniger gleichem „horizontalen“ Grund, der dann zum Verhältnis von einem Herrn und einem Knecht führt. Außerdem begreift Hegel das Ende der Entwicklung im Unterkapitel „Allgemeines Selbstbewusstsein“, wie ich bereits bemerkte, in einer Weise, die die horizontale Lesart unterstützt, als eine Beziehung zwischen „Selbsten“. Doch auf der anderen Seite spricht Hegel in § 433 wie auch in den Vorlesungen über den empirischen Beginn von Staaten durch Gewalt und Unterwerfung und interpretiert die Figur des Herrn als Fürst, König bzw. Tyrann, der regierend „über“ einer Menge anderer steht. In den Vorlesungen spricht er vom Tyrannen Peisistratus, der den Athenern die Gesetze Solons auferlegte und assoziiert die Figur des Herrn ganz deutlich mit Peisistratus und die des Knechts mit den Athenern (vgl. Werke 10, § 435Z.; EW, 173; GK, 345). In diesem Zusammenhang thematisiert Hegel dennoch nicht die horizontalen Beziehungen zwischen Individuen – oder wie er schreibt das „Zusammenleben der Menschen“ (Werke 10, § 433) – die Gesetz oder Autorität unterworfen sind, sondern versteht die Individuen als vertikal auf den „Herrn“ bzw. Tyrannen Bezogene, während jener sie als externe Autorität beherrscht, aber nicht von ihnen beherrscht wird.26 Anders formuliert: Während Hegel das Herr-Knecht-Verhältnis die meiste Zeit als eine dyadische Beziehung zu verstehen scheint, die kein „drittes“ Element beinhaltet, operiert er in § 433 und an manchen Stellen in den Vorlesungen mit einem triadischen Modell, das sowohl horizontale Beziehungen zwischen Individuen als auch vertikale Beziehungen zwischen ihnen einerseits und einem Herrscher oder „Herrn“ andererseits beinhaltet. Hegel überlässt es schlichtweg dem Leser, die Details des triadischen Modells zu durchdenken. Es ist zunächst sehr überraschend, dass Hegel das allgemeine Selbstbewusstsein allein mithilfe der horizontalen Begrifflichkeit begreift und jegliche Bezugnahme auf vertikale Anerkennung unterlässt, selbst dann, wenn er vom „Staat“ spricht. Warum erwähnt er dabei keine vertikalen Anerkennungsbeziehungen zwischen den Bürgern und dem Staat? Die Diskussion der nächsten Unterscheidung wird eine Antwort auf diese Frage liefern.

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4.4.2 Rein intersubjektive und institutionell vermittelte horizontale Anerkennung Wie für die erste Unterscheidung zwischen der vertikalen und horizontalen Bedeutung von Anerkennung, so gilt auch für die zweite Unterscheidung zwischen dem rein intersubjektiven und dem institutionell vermittelten Sinn von horizontaler Anerkennung, dass Hegel diese als solche im Text nicht explizit artikuliert. Der Text verhält sich im Hinblick auf diese Unterscheidung allerdings ambivalent. Um die Beziehung zu verstehen, die im „Allgemeinen Selbstbewußtsein“ als eine rein intersubjektive Beziehung beschrieben wird, muss man den „Herrn“ und den „Knecht“ als intersubjektive Rollen deuten, die allein durch die Weise bestimmt sind, in der die fraglichen Individuen sich zueinander verhalten: Ich betrachte Dich als meinen Herrn und mich selbst als Deinen Knecht, Du betrachtest mich als Deinen Knecht und Dich selbst als meinen Herrn, und dies allein ist es, was Dich zum Herrn und mich zum Knecht macht. Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn bzw. ihr Fehlen ist hier das entscheidende Element für die Art, in der wir uns zueinander verhalten und daher konstitutiv für Herrschaft resp. Knechtschaft als relationale bzw. intersubjektive Rollen. Im Gegensatz dazu erfordert die Lesart des Verhältnisses von Herr und Knecht als institutionell vermittelter (bzw. „institutioneller“) Beziehung, dass man den „Herrn“ und den „Knecht“ als Rollen, Positionen oder als Status in einem institutionellen System versteht und daher als relativ unabhängig von der Art und Weise, wie die Individuen in diesen Positionen sich selbst betrachten. Natürlich müssen sie einander als Träger ihrer institutionellen bzw. institutionell vermittelten Positionen anerkennen* bzw. als Träger institutionalisierter Rechte und Pflichten. Doch besitzen sie diese institutionellen Rollen nicht allein aufgrund ihrer wechselseitigen Anerkennung* und die Institution von Herrschaft und Knechtschaft ist als solche auch nicht in irgendeinem signifikanten Maße davon abhängig. Da vieles von dem, was Hegel im Selbstbewusstseins-Kapitel sagt, ein streng horizontales bzw. dyadische Modell nahelegt, das keine Bezüge auf eine „dritte“ institutionelle Instanz beinhaltet, scheint es ein weitestgehend angemessenes Vorgehen zu sein, den Text im Sinne einer rein intersubjektiven Lesart zu rekonstruieren. Das bedeutet allerdings auch, dass man die Ausdrücke „Herr“ und „Sklave“ oder „Knecht“ metaphorisch verstehen muss, denn normalerweise bezeichnen wir damit keine isolierte intersubjektive Dyade, sondern Individuen, die Positionen innehaben, die durch die institutionelle Gesamtstruktur der Gesellschaft bestimmt sind. Sklaverei in einem nicht-metaphorischen Sinn ist eine soziale Institution der tatsächlich existierenden Welt.



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Diese Ambivalenz zwischen dem rein intersubjektiven und dem institutionellen Sinn von horizontaler Anerkennung besteht auch in Hegels Kurzdarstellung des „Allgemeinen Selbstbewußtseins“ und im Hinblick auf den Zustand der wechselseitigen Anerkennung. Man fragt sich, was genau Hegel im Sinn hatte mit seiner eher wahllosen Liste von Phänomenen, deren „Substanz“ das „allgemeine Selbstbewußtsein“ darstellen soll, die ihre „Geistigkeit“ begründet und sie so zu Instanziierungen von konkreter Freiheit macht. Bei diesen handelte es sich, zur Erinnerung, um die „Familie, das Vaterland, de[n] Staat, sowie alle Tugenden, der Liebe, der Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, und des Ruhms“. Es erscheint weitestgehend richtig, zu sagen, dass die Rollen wenigstens von Freunden oder Menschen, die einander lieben, wesentlich intersubjektiver Natur sind und dass der für diese Beziehungen einschlägige Sinn von Anerkennung der intersubjektive ist.27 Im Gegensatz dazu beinhalten die den Staat konstituierenden Verhältnisse selbstverständlich auch institutionelle Rollen und Beziehungen. Wenn Hegels These daher lautet, dass horizontale Anerkennung die Substanz der „Geistigkeit“ des Staates ist bzw. einer konkret freien Gemeinschaft, dann ist es schwierig zu glauben, dass er nicht auch an institutionell vermittelte horizontale Anerkennung denkt bzw. an Anerkennung zwischen Bürgern als Inhabern der verschiedenen sozialen und institutionellen Positionen, die der Staat in sich fasst. Es gibt allerdings mindestens einen möglichen Grund dafür, warum Hegel besonders die rein intersubjektive horizontale Anerkennung betont wissen wollte. Wie ich in der Auseinandersetzung mit Fichte (in Abschnitt 3.3.4.) herausgestellt habe, besteht eine signifikante Differenz zwischen rein intersubjektiver Anerkennung und institutionell vermittelter Anerkennung* in der psychologischen Tiefe, die erstere besitzt und der letzteren fehlt. In Bezug auf die institutionelle Form von Anerkennung ist es von geringer Relevanz, worin genau die Einstellungen des Anerkennenden und des Anerkannten zueinander bestehen, denn Anerkennung* ist primär eine Sache von Handlungen und Unterlassungen, weniger von Einstellungen. Rein intersubjektive Anerkennung ist demgegenüber in erster Linie eine Angelegenheit, die mit Einstellungen zu tun hat sowie mit verwandten psychischen Zuständen und Prozessen. Hegel zufolge vermittelt rein intersubjektive Anerkennung (deren Formen ich weiter unten diskutiere) die Intentionalität bzw. die subjektiven Perspektiven der Subjekte miteinander, so dass der Anerkennende sich einen Teil der Perspektive des Anerkannten aneignet und die Welt auf diese Weise zum Teil aus dessen Perspektive betrachtet. Anders ist dies im Fall der institutionell vermittelten Anerkennung*, bei der der Anerkennende* durch seine Handlungen und Unterlassungen lediglich auf den institutionellen Status des Anzuerkennenden antwortet, ohne notwendigerweise in einer bestimmten Weise auf dessen Weltsicht anzusprechen. Mit Hegels Worten: Nur rein intersubjektive Anerkennung „vereinigt die Menschen auf innerliche Weise“ (Werke

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10, § 431Z.), während institutionelle Anerkennung* die Subjekte in einer wichtigen Hinsicht als einander Fremde belässt und daher das Moment der Einheit von konkreter Freiheit nicht im selben Maße realisiert. (Ich werde in Kürze auf dieses Thema zurückkommen, wenn ich die fünfte Unterscheidung der „nichtpersonifizierenden“ und der „personifizierenden“ Weise von intersubjektiver und institutionell vermittelter horizontaler Anerkennung diskutiere. Es ist nämlich die personifizierende Weise rein intersubjektiver horizontaler Anerkennung, die in größtem Maße eine innere Verbindung zwischen Menschen herstellt.) Die Annahme scheint nichtsdestoweniger unplausibel, dass Hegel nicht auch institutionell vermittelte horizontale Anerkennung* im Sinn hatte, zumindest im Zusammenhang seiner Überlegungen zum Staat. Auch wenn rein intersubjektive Anerkennung in der Tat die ideale Instanziierung von konkreter Freiheit ist, sind Rechte und damit wechselseitige Anerkennung* zwischen Bürgern als Rechtsträgern sicherlich auch in Hegels Augen ein zentrales Element des Staates. Die Bestimmung des allgemeinen Selbstbewusstseins im Sinne von Anerkennung* lieferte auch eine Erklärung dafür, warum Hegel in diesem Kontext jede ausdrückliche Erwähnung vertikaler Anerkennung unterlassen kann, obwohl vertikale Anerkennung zwischen Bürgern und dem Staat klarerweise wesentlich für das soziale Leben innerhalb eines Staates ist. So kann man die vertikale, „aufwärtsgerichtete“ Anerkennung des Staates durch die Bürger und deren wechselseitige horizontale Anerkennung* einfach als zwei Perspektiven derselben Sache betrachten. Den Staat anerkennen heißt, seine Gesetze und Institutionen als gültig bzw. legitim anzuerkennen und zu akzeptieren, und dies bedeutet wiederum, seine Mitbürger als Träger von Rechten und anderer deontischer Machtbefugnisse, die die Gesetze ihnen zumessen (bzw. die sie aufgrund ihrer „Anerkennung“ durch den Staat besitzen), anzuerkennen*. Spricht man explizit über horizontale Anerkennung* zwischen Bürgern als Träger von Rechten und Pflichten, dann spricht man implizit auch über vertikale Anerkennung zwischen den Bürgern und dem Staat.

4.4.3 Nicht-institutionelle bzw. rein intersubjektive Normen und institutionalisierte Normen bzw. tatsächliche Institutionen Im Hinblick auf die dritte Unterscheidung von nicht-institutionellen bzw. rein intersubjektiven Normen und institutionalisierten Normen bzw. tatsächlichen Institutionen besteht ein Problem des Hegel’schen Textes darin, dass Hegels einzige explizite Bezugnahme auf Normen im Selbstbewusstseins-Kapitel wie auch in den Vorlesungen sich im Kontext der Diskussion um Solon, Peisistratos und die Athener findet, wo sie sich auf institutionalisierte Normen bzw. „Gesetze“ bezieht.



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Solche Normen passen jedoch nicht zum dyadischen bzw. rein intersubjektiven Modell, das auch (und vielleicht sogar überwiegend) in Hegels Text relevant ist, denn es beinhaltet keinerlei Referenz auf eine institutionelle „dritte“ Instanz. Im Rahmen des dyadischen Modells spielen nur solche Normen eine Rolle, die aus dem Wechselspiel der Subjekte, die diese intersubjektive Dyade bilden, selbst hervorgehen und von diesen gehandhabt werden. Will man Einsichten, die sich aus Fichtes Behandlung des Themas ergeben haben, fruchtbar machen, indem man auch Hegels Anerkennungskonzeption innerhalb des Herr-Knecht-Verhältnisses (allein oder hauptsächlich) in einer deontologischer Lesart von Normen, Autorität und Anerkennung entweder als (rein intersubjektive) Zuschreibung von Autorität über Normen oder als (institutionell vermittelte) Antwort auf einen deontischen Status rekonstruiert, dann ist es wichtig, sich dieses Unterschiedes zwischen dem dyadischen und dem triadischen Modell und damit auch der Differenz zwischen einem intersubjektiven und einem institutionellen Konzept sozialer Normen bewusst zu sein. Anders als in Fichtes Grundlage, in der wir zumindest im Prinzip getrennte Diskussionen der nicht-institutionellen und institutionellen Beziehungen finden und entsprechend zwei Konzeptionen von Normen rekonstruieren können − eine rein intersubjektive und eine institutionelle −, werden diese im Selbstbewusstseinskapitel der Hegel’schen Enzyklopädie überhaupt nicht voneinander unterschieden.

4.4.4 Die axiologische und die deontologische Dimension rein intersubjektiv verfasster horizontaler Anerkennung Das Vorangegangene führt uns zu einer vierten Unterscheidung zwischen dem, was ich die axiologische und die deontologische Dimension horizontaler intersubjektiver Anerkennung genannt habe. Im Rahmen einer rationalen Rekonstruktion, die sich sowohl auf Hegels Text einstellt als auch begrifflich angemessen ist, um das darin diskutierte Gesamtphänomen zu begreifen, kommen Anerkennung zwei Dimensionen zu: einerseits ist sie eine Art Sorge um das Leben und Wohlergehen des Anderen, andererseits besteht sie in der praktischen Einstellung, den Anderen an der Autorität über die Normen, die die Interaktion und das Leben insgesamt organisieren, teilhaben zu lassen. In „Das anerkennende Selbstbewußtsein“ spricht Hegel zuerst über die axiologische Dimension, wenn er das Bedürfnis des Herrn hervorhebt, den „Knecht, in seinem Leben [zu] erhalten“ (Werke 10, § 434) und damit impliziert, dass der Herr eine Art Sorge für das Wohl des Knechts zu entwickeln hat. Er handelt daraufhin von der deontologischen Dimension, wenn er den Dienst und den Gehorsam des Knechts gegenüber dem Herrn diskutiert (Werke 10, § 435). Der durch den

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Text hervorgerufene Eindruck ist somit, dass der Herr im Sinne der axiologischen Dimension der Sorge um das knechtische Wohl Anerkennung gegenüber dem Knecht zu entwickeln hat, während der Knecht Anerkennung im Sinne der deontologischen Dimension einen Gehorsam gegenüber den Befehlen, Regeln und der Autorität des Herrn auszubilden hat. Ungesehen dieses Eindrucks ist es allerdings klar, dass auch der Knecht sich um das Wohl des Herrn sorgen muss. Immerhin hängen sein Leben und Wohl zu einem großen Teil davon ab, wie gut er für den Herrn sorgt, dessen Bedürfnisse befriedigt und sein Wohlergehen sichert. Andersherum gesehen lässt sich leicht dafür argumentieren, dass auch der Herr Anerkennung gegenüber dem Knecht ausprägen muss, indem er auch ihm Autorität innerhalb der Beziehung zuweist. Warum ist dies so? Dies ist deshalb der Fall, weil jede Norm oder Regel, die er dem Knecht auferlegt, es erfordert, dass der Knecht sie in konkreten Fällen befolgt. Da keine Regel oder Norm alle konkreten Anwendungsmöglichkeiten und jeden Fall, in dem ihr zu folgen wäre, vollständig bestimmen kann, muss der Knecht mittels seiner eigenen Urteilskraft bestimmen, wie eine gegebene Norm im konkreten Fall anzuwenden ist. Ist der Inhalt einer Norm bspw. „Bereite angemessene Speisevorräte für den Winter vor!“, dann hängen die genauen Erfüllungsbedingungen, unter den je besonderen Umständen, von verschiedenen Faktoren ab, die in geschickter Weise das ganze Jahr über berücksichtigt werden müssen. Es mag sogar Umstände geben, in denen der Knecht den Herrn kritisieren muss. Hegel deutet dies in seinen Vorlesungen durch die Betonung an, dass wirksames Befehlen es erfordert, vernünftig zu befehlen und sinnlose und absurde Befehle zu vermeiden.28 In einem Fall, in dem die Befehle oder Regeln des Herrn inkonsistent oder unrealisierbar sind, ist der Knecht angesichts der Gefahr, diese nicht ausführen zu können, genötigt, dies explizit zu machen. Auf das Versagen des Herrn, vernünftig befohlen zu haben, nicht hinzuweisen und ihn somit nicht zu kritisieren, würde dessen Befehle bzw. Regeln unrealisiert lassen und den Knecht in die Gefahr der Bestrafung bringen. Da der Knecht besser damit vertraut ist, was genau sein Wohl fördert oder schädigt, gilt auch für den Fall, dass der Herr darin scheitert, sich angemessen um den Knecht zu kümmern, dass er im Prinzip vom Knecht unter Berufung auf die Sorge des Herrn um sich selbst kritisiert werden kann. Zusammengenommen gilt Folgendes: Wenn der Herr seinem Eigeninteresse als Herr wirklich nachgehen will, dann muss er in der Praxis nicht nur für das Wohl des Knechts sorgen, sondern diesen auch als eine Autorität innerhalb ihrer Beziehung ansehen und entsprechend behandeln. Im Sinne einer rationalen Rekonstruktion kann man daher sagen, dass sowohl der Herr als auch der Knecht ein gewisses Maß an Anerkennung für den Anderen aufbringen müssen, sowohl



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im axiologischen Sinn der Sorge um das Wohl des Anderen als auch im deontologischen Sinn der Berücksichtigung ihrer jeweiligen Autorität.29

4.4.5 Der nicht-interpersonale bzw. nicht-personifizierende und der genuin interpersonale oder personifizierende Modus von Anerkennung Für ein volles Verständnis des Anerkennungsthemas im Selbstbewusstseinskapitel fehlt allerdings noch immer ein entscheidender Aspekt. Wir können dieses fehlende Element mithilfe der Unterscheidung dessen artikulieren, was ich in Abschnitt 4.2. die nicht genuin interpersonale bzw. nicht genuin personifizierende und die genuin interpersonale bzw. personifizierende Weisen horizontaler Anerkennung genannt habe – sowohl in ihrer intersubjektiven als auch in ihrer institutionellen Bedeutung. Zum Zweck der besseren Vereinbarkeit mit Hegels eigener Terminologie können wir dies als die Unterscheidung von nur unvollständig geistigen Weisen horizontaler Anerkennung einerseits und vollständig geistigen Weisen andererseits reformulieren. Wiederum gilt aber, dass Hegel diese Unterscheidung selbst nicht explizit macht; auch aus Interpretationen ist sie mir nicht bekannt. Eine Standardvariante, die Entwicklung des Herr-Knecht-Verhältnisses zu betrachten, besteht in der Ansicht, dass es sich dabei um eine Entwicklung von einer einseitigen, extrem ungleichen bzw. asymmetrischen Anerkennungsbeziehung zu einer vollständig gleichen bzw. symmetrischen Beziehung handelt. Eine Weise, diese Idee zu formulieren ist die, dass am Beginn einer der Beteiligten der Herr und der andere Knecht ist, während am Schluss der Entwicklung beide Parteien gewissermaßen sowohl Herr als auch Knecht sind (Pinkard 2002, 283). Aber diese bloß strukturelle Weise, die Entwicklung zu begreifen, ignoriert etwas, das von fundamentaler Wichtigkeit ist. Wir wollen uns nochmal vor Augen führen, worin genau die Anerkennung zwischen Herr und Knecht bestand, soweit wir sie bisher beschrieben haben, indem wir uns zuerst auf die Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn konzentrieren. Was genau bedeutet es für den dienstbaren Knecht, den Herrn im intersubjektiven Sinn anzuerkennen, wenn man die zwei Dimensionen horizontaler Anerkennung berücksichtigt? Im Rahmen der deontologischen Dimension scheint es darum zu gehen, dass der Knecht den Befehlen des Herrn und somit dem Herrn als Autorität über die Regeln und Normen ihrer Beziehung aus Furcht gehorcht (wobei es sich im Wesentlichen um eine Furcht um sein eigenes Leben handelt) (vgl. Werke 10, § 435). Die deontologische Einstellung der Anerkennung des Knechts gegenüber dem Herrn ist daher so etwas wie furchtsamer Gehorsam. Im Rahmen der axiologischen Dimension geht es darum, dass der Knecht sich

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in instrumenteller Weise um das Leben und das Wohl des Herrn kümmert. Motiviert ist er durch die (nicht-instrumentelle) Sorge um sein eigenes Leben und Wohlergehen, die von denen des Herrn abhängen. Die axiologische Einstellung der Anerkennung, die der Knecht gegenüber dem Herrn einnimmt, handelt also von der instrumentellen Sorge um Leben und Wohl des Herrn. Kraft der Tatsache, dass der Knecht den Herrn durch seinen furchtsamen Gehorsam und die instru­ mentelle Sorge um dessen Wohl anerkennt, kann der Herr sich seiner selbst (wie auch seiner Autorität und seines Wohls) bewusst sein, da ihn der Knecht darin bekräftigt. Wie wir gesehen haben, ist auch der Herr dazu angehalten, eine ­instrumentelle Haltung der Sorge um das Wohl des Knechts auszubilden sowie er die Tatsache zu berücksichtigen hat, dass auch dem Knecht zumindest ein gewisses Maß an Autorität innerhalb ihrer Beziehung zukommt. Aufgrund dieser Einstellungen des Herrn kann auch der Knecht sich durch die Affirmation des Herrn in einem gewissen Maße seiner selbst bewusst sein. Hegel vollzieht im Text gleich nach seiner Diskussion des knechtischen Gehorsams gegenüber dem Herrn (in § 435) einen Übergang zum „Allgemeinen Selbstbewußtsein“.30 Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob Hegel wirklich meint, dass die wechselseitige Anerkennung zwischen Freien, die er im letzten Kapitel „Das allgemeine Selbstbewußtsein“ diskutiert und die durch die konkrete Freiheit vollständig verwirklicht sein soll, einfach in der wechselseitigen instrumentellen Sorge um den Anderen und der beiderseits widerwilligen Zuschreibung eines gewissen Maßes an Autorität besteht, wobei beides eher durch Furcht oder praktische Notwendigkeit motiviert ist. Wenn alles das, was im „Prozeß des Anerkennens“ geschieht, darin besteht, das Anerkennung wechselseitig bzw. symmetrisch wird, dann scheint dies die Implikation zu sein. Als Bild einer Gemeinschaft von sich wechselseitig anerkennenden freien Wesen macht dies einen eher zynischen oder enttäuschenden Eindruck und ist nur schwierig mit Phänomenen wie Liebe oder Freundschaft in Einklang zu bringen, die Hegel als Instanziierungen des „allgemeinen Selbstbewußtseins“ und konkreter Freiheit erwähnt. Bei näherem Hinsehen macht Hegel jedoch deutlich, dass dies keine korrekte Auslegung von wechselseitiger Anerkennung als der vollständigen Realisierung von konkreter Freiheit ist. Im Zusatz zu § 436 des „Allgemeinen Selbstbewußtseins“ sagt Hegel: Der „dem Knecht gegenüberstehende Herr war noch nicht wahrhaft frei; denn er schaute im Anderen noch nicht durchaus sich selber an“ (Betonung H.I.) (Werke 10, § 436 Z.). Dies bezieht sich auf einen Satz aus § 431 Z., den ich bereits kurz erwähnte: „[die] Freiheit des Einen im Anderen vereinigt die Menschen auf innerliche Weise; wogegen das Bedürfniss und die Noth dieselben nur äusserlich zusammenbringt“. Ich habe oben vorgeschlagen, den Unterschied zwischen rein intersubjektiver Anerkennung und institutionell vermittelter horizontaler Aner-



4.4 Hegels Ambiguitäten 

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kennung* darin zu sehen, dass nur erstere „die Menschen auf innerliche Weise“ „vereinigt“. Im Falle der nicht genuin personifizierenden Anerkennung zwischen Herr und Knecht ist so etwas allerdings noch nicht vollständig gegeben. Hegel selbst erklärt dies nicht weiter. Man kann sein Argument jedoch auf die folgende Art und Weise rekonstruieren: Wenn A sich um Bs Leben und Wohl auf bloß instrumentelle oder bedingungsmäßige Weise sorgt – aufgrund von „Bedürfniss und Noth“ wie Hegel sagt −, dann sorgt er sich nicht in der gleichen Weise darum, wie B sich selbst darum sorgt, nämlich intrinsisch. Personen sorgen sich im Gegensatz zu Tieren um ihr Wohl oder Leben als ein Ganzes und es ist ihnen wesentlich, sich darum nicht (zumindest nicht ausschließlich) auf instrumentelle Weise oder zum Zweck von etwas anderem zu sorgen, sondern sie sorgen sich (zumindest auch) intrinsisch bzw. „um ihrer selbst willen“. Wenn A sich um Bs Wohl nur in einem instrumentellen Sinn sorgt, dann heißt dies, dass er es dadurch nicht in einer Weise affirmiert, die die Wichtigkeit, die B selbst empfindet, vollständig widerspiegelte. Anders ausgedrückt: Axiologische Anerkennung im Modus der instrumentellen Sorge um das Wohl eines Anderen weist dem Anzuerkennenden oder seinem Leben und Wohl nicht dieselbe Bedeutung zu, die sie für den Anzuerkennenden als psychologische Person selbst besitzen. Instrumentelle Sorge ist keine vollständig personifizierende bzw. vollständig interpersonale Weise intersubjektiver Anerkennung, weil sie ein wesentliches Element des praktischen Selbstbezugs psychologischer Personen nicht vollständig affirmiert, nämlich die intrinsische Sorge um sich selbst bzw. die Selbstliebe. Etwas annähernd Analoges scheint auch mit Blick auf die deontologische Dimension zu gelten: Wenn A dem Willen von B nur konditionaler Weise gehorcht, weil er ihn fürchtet oder aus einem anderen bloßen Klugheitsgrund (aufgrund von „Bedürfniss und Not“), dann affirmiert oder spiegelt seine Einstellung gegenüber B nicht vollständig das Verhältnis wider, in dem Personen zu ihrer eigenen Autorität stehen. Wenn A Bs Autorität nur bedingterweise gehorcht bzw. anerkennt – insofern die Autorität, die B in As Augen hat, einfach verschwindet, sobald die Bedingung, wie etwa Todesdrohung oder -furcht nicht mehr gegeben ist oder insofern als B für A lediglich Autorität in der technischen Ausführung fremder Zwecke besitzt, aufgrund welcher er die von A vorgeschriebenen Normen anzuwenden vermag, aber keine unabhängige oder unbedingte Autorität über die Normen, nach denen A und B leben –, dann nimmt er B niemals vollkommen als Autorität ernst. In dem Maße, in dem Autorität über die Normen oder Bedingungen der Interaktion zu haben auch ein wesentliches Element des Personseins ausmacht, stellt Anerkennung im Sinne des Gehorsams, der aus Not, Notwendigkeit oder irgendeiner anderen konditionalen Zuschreibungsform von Autorität geboren ist, keine vollständig personifizierende bzw. interpersonale Weise intersubjektiver Anerkennung dar. Sie affirmiert auch ein wesentliches Element der

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praktischen Selbstauffassung nicht, das für psychologisches Personsein konstitutiv ist, nämlich sich selbst als irreduziblen Ursprung von Autorität anzusehen – eine Selbstauffassung, die normalerweise Selbstachtung genannt wird. Keine dieser unvollständig personifizierenden Weisen der Anerkennung erlaubt es dem Anerkannten, sich durch die Affirmation des Anerkennenden vollständig seiner selbst bewusst zu sein und somit vereinigt keine von beiden die Individuen innerlich vollständig miteinander. Was heißt es aber dann, jemanden im horizontalen und intersubjektiven Sinn auf eine vollständig „personifizierende“ oder vollständig „geistige“ Weise anzuerkennen, die es dem Anerkannten ermöglichte, sich im Anerkennenden vollständig seiner selbst bewusst zu sein und die die Individuen innerlich „vollständig“ vereinigte? Im Rahmen der axiologischen Dimension beinhaltet dies, kurz gesagt, sich um den Anderen in der gleichen Art zu sorgen, wie man sich um sich selbst sorgt, nämlich intrinsisch und um „ihrer selbst willen“. Sich um den Anderen auf eine Weise zu sorgen, die seine Sorge um sich selbst und seine Selbstliebe widerspiegelt, wird gewöhnlich Liebe genannt. Ähnlich gilt es im Rahmen der deontologischen Dimension die Autorität des Anderen in der gleichen Weise wie die eigene aufzufassen, als nicht abgleitet von der Autorität eines anderen, sondern als „unbedingt“. Wenn wir diese Selbstauffassung „Selbstachtung“ nennen, dann kann man die anerkennende Einstellung, die dies vollständig widerspiegelt, als Achtung bezeichnen. Dabei geht es nicht allein um furchtsamen Gehorsam, noch darum, dem Anderen bezüglich der Interpretation und Ausführung von Zwecken lediglich technische Autorität zuzuschreiben, sondern um eine praktische Einstellung, die den Anderen als Subjekt mit unabhängigen Zweckvorstellungen betrachtet und Autorität über die Normen und Prinzipien der Koexistenz in einer von mir unabhängigen Sichtweise zulässt. Es bedarf noch der Erklärung, wie genau Liebe und Achtung, anders als instrumentelle Sorge und bedingte Formen der Zuschreibung von Autorität, „Menschen innerlich vereinigen“. Man kann dies verständlich machen, wenn man das Wesen der infrage stehenden praktischen Einstellungen betrachtet. Wenn Selbstliebe bedeutet, dass mir intrinsisch am Guten und Schlechten für mich selbst gelegen ist, dann bedeutet Liebe zu Anderen, deren Selbstliebe tatsächlich widerzuspiegeln und dass der liebenden Person intrinsisch etwas an dem liegt, was gut und schlecht für die geliebte Person ist. Das Wohl, die Hoffnungen und Ängste der geliebten Personen bestimmen somit partiell mit, was positiven oder negativen Wert für die liebende Person hat, unabhängig davon, welchen Wert (wenn überhaupt einen) dieselben Dinge oder Angelegenheiten anderenfalls für sie hätten. Wenn Selbstachtung darüber hinaus bedeutet, für die eigenen Urteile über das Richtige und Falsche irreduzible Autorität zu beanspruchen (zwar nicht in dem Sinne, dass man notwendigerweise immer recht hat, aber in dem Sinne, das man nicht von der Autorität eines anderen abhängt), dann bedeutet Achtung



4.4 Hegels Ambiguitäten 

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für den Anderen, nachzuempfinden, dass den Urteilen der respektierten Person subjektiv empfundene Verbindlichkeit zukommt, die sich weder aus den Urteilen des Respektierenden (oder Anderer) noch aus ihren Klugheitserwägungen oder Kalkülen ableiten lässt. Die Urteile der respektierten Person machen auf diese Weise einen Teil dessen aus, was die respektierende Person für das Richtige oder Falsche hält.31 „Triangulation“ ist ein Begriff, der oft benutzt wird, um eine subjektive Per­ spektive auf die Welt mit der Perspektive eines Anderen zu vermitteln, und folgen wir der Terminologie der „axiologischen“ und „deontologischen“ Dimension von Anerkennung, dann können wir die Weisen, in denen Liebe und Achtung die Perspektiven der liebenden oder respektierenden Personen untereinander vermitteln, „axiologische“ und „deontologische Triangulation“ nennen. Hierbei geht es nicht um ein vollständiges Verschmelzen der Perspektiven, so dass meine evaluative Perspektive komplett durch das bestimmt würde, was gut oder schlecht für denjenigen ist, den ich liebe, oder dass im Respektieren eines anderen meine eigenen unabhängigen Urteile überhaupt keinen Einfluss hätten. Die axiologische und deontologische Perspektive des Anderen wird im Gegenteil ein Teil meiner eigenen Perspektive und „dezentriert sie“ somit teilweise.32 Ich sehe die Welt, was das Gute und Böse, das Richtige und Falsche angeht, gewissermaßen aus meiner eigenen und aus der Perspektive des Anderen; beide sind meine Per­ spektiven. Die geliebte oder respektierte Person kann sich daher ihrer Perspektive durch deren genuine Affirmation meiner Anerkennung bewusst sein und gleichzeitig auch der Tatsache, dass meine eigene Perspektive von ihrer irreduzibel unabhängig bleibt. Was institutionell vermittelte horizontale Anerkennung* betrifft, so scheint dieser im Vergleich mit rein intersubjektiver Anerkennung jetzt eine eher marginale Rolle zuzukommen, denn sie ist nicht in der Lage, Menschen in demselben Grad innerlich zu vereinigen bzw. sie zu einem vollständigen Bewusstsein ihrer selbst im Anderen zu befähigen. Es scheint schlichtweg nicht dieselbe psychologische Intimität involviert zu sein, wenn jemand als Träger von Rechten oder anderen deontischen Machtbefugnissen anerkannt* wird, wie auch die eigene subjektive Perspektive nicht mit der des anderen vermittelt wird. Die Unterscheidung zwischen nicht-personifizierenden und personifizierenden Weisen horizontaler Anerkennung gilt aber trotzdem auch für institutionell vermittelte horizontale Anerkennung*. Darüber hinaus lässt sich der Unterschied, ob man jemanden einerseits als Träger deontischer Machtbefugnisse anerkennt*, die ihn nicht zur Person im institutionellen Sinne machen, oder ob man ihn andererseits als Träger Personsein-stiftender deontischer Machtbefugnisse anerkennt* in der Geschichte von Herr und Knecht leicht ausmachen: Die Differenz besteht darin, dass man den Anderen einmal als jemanden anerkennt*, der besessen werden kann, aber

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 4 Hegel über Anerkennung

selbst nicht besitzen kann (als Sklaven, der keine Person im institutionellen Sinne ist) und dass man den Anderen ein anderes Mal als jemanden anerkennt*, der besitzen, aber selbst nicht besessen werden kann (als einen Herrn, der in der institutionellen Bedeutung Person ist). Diese Unterscheidung ist von zentraler Wichtigkeit, wenn man den „Prozeß des Anerkennens“ im Selbstbewusstseinskapitel nach institutioneller Lesart als eine Darstellung der Entwicklung sozialer Institutionen rekonstruieren möchte. Gemäß dieser institutionellen Lesart besteht das „allgemeine Selbstbewusstsein“ in wechselseitiger Anerkennung* oder Achtung* zwischen Individuen als Trägern von Rechten und anderer deontischer Machtbefugnisse, die jeder Person als institutionelle Person zukommen.

4.4.6 Bottom-up und top-down Perspektive Was die letzte Unterscheidung zwischen der bottom-up und der top-down Perspektive des Hegel’schen Textes betrifft, so habe ich den Text nur aus der bottom-upPerspektive betrachtet, nach der er als eine höchst stilisierte Bildungsgeschichte sozialer und psychologischer Strukturen zu verstehen ist, durch die Menschen in ihren eigenen und in den Augen anderer zu vollwertigen Personen werden. Die komplementäre top-down Perspektive versteht „Begierde“, ungleiche und bedingte Anerkennung sowie vollständig personifizierende Anerkennung hingegen als Elemente oder Momente des vollentwickelten konkreten Ganzen, das die freie und vernünftige menschliche Person darstellt, die in Gemeinschaft mit anderen freien und vernünftigen menschlichen Personen lebt. Weniger vollständig ausgebildete Intentionalitätsstrukturen, psychologische Profile, interpersonale Beziehungen und institutionelle Strukturen werden in jeder menschlichen Gesellschaft immer eine gewisse Präsenz behalten. Dies ist nicht nur deshalb so, weil sie mit jeder neuen Generation aufs Neue auftreten, sondern auch weil Phänomene wie etwa der Drang nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung oder egoistische Motivationen normaler Bestandteil des Lebens von Erwachsenen sind. Bei entwickelten erwachsenen Personen sind allerdings die Ebenen, die in der idealisierten Entwicklungsgeschichte „früher“ auftreten, durchdrungen von Phänomenen, die zu den „späteren“ oder weiterentwickelten Ebenen gehören: Die unmittelbaren Bedürfnisse eines Erwachsenen sind nicht die eines Tieres oder eines menschlichen Kindes, und die ungleichen oder strategischen Anerkennungsbeziehungen zwischen Erwachsenen nehmen äußerst selten die brutale Form von Herrschaft und Knechtschaft an. Dennoch liegt der Vorteil der top-down Lesart in der Betonung, dass Natur sowohl in der Form physiologischer Bedürfnisse und Begierden als auch in Gestalt der „halb-geistigen“, instrumentalisierenden bzw. strategischen Beziehungen und Einstellungen niemals gänzlich



4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel? 

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überwunden oder eliminiert werden, sondern auch im wohlgeordneten und kultivierten Leben, das konkrete Freiheit im höchsten Maße realisiert, verschiedenste Funktionen besitzen. In Hegels Staatstheorie, wie sie in der Philosophie des Objektiven Geistes präsentiert wird, geht es zentral um die ideale institutionelle Struktur, innerhalb welcher jede dieser Ebenen des Menschseins  – die natürliche, die „halb-geistige“ und die vollständig geistige  – in einer solchen Weise koexistieren können, dass sie ein soziales Leben konstituieren, das in jeglicher Hinsicht und im größten Maße konkrete Freiheit ermöglicht.

4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel? Wie wir gesehen haben, verweist die Frage, was genau „Anerkennung“ im Selbstbewusstseins-Kapitel beinhaltet, auf eine recht komplexe Thematik. Wir wollen als nächstes versuchen, größere Klarheit in diese zu bringen, indem wir sie im Licht der in Kapitel 1 erarbeiteten Unterscheidungen betrachten. Anders als Fichte oszilliert Hegel in seiner Darstellung nicht zwischen einer lediglich epistemischen und einer praktischen Bedeutung von Anerkennung, wie sie in Abschnitt 2.1. besprochen wurden, sondern fasst Anerkennung durchgehend und konsistent in ihrer praktischen Bedeutung. Dies gilt sogar in Bezug auf die Architektonik des „Selbstbewusstseins“-Kapitels, das insgesamt von praktischen Aspekten der Intentionalität bzw. der Subjekt-Objekt-Beziehung handelt (während die theoretischen bzw. epistemischen Aspekte allgemeiner Gegenstand des thematisch parallelen Kapitels „Das Bewußtsein als solches“ sind). Hegels Diskussion von Anerkennung enthält jedoch ein epistemisches Element, da er Anerkennung als Instanziierung des allgemeineren Prinzips des Bewusstseins seiner selbst im Anderen deutet. Hegel zufolge erlangt man dadurch konkrete Freiheit in Anerkennungsbeziehungen, dass man sich als anerkannt „weiß“ bzw. seiner selbst als anerkannt bewusst ist. Obwohl Hegels Diskussion nicht zwischen dem Epistemischen („identification“ auf Englisch) und dem Praktischen oszilliert, schwankt sie, wie wir gesehen haben (bzw. unterscheidet zumindest nicht explizit) zwischen der zweiten und der dritten Bedeutungsfamilie von „Anerkennung“, d.h. zwischen Anerkennung im Sinne der Anerkennung normativer Entitäten („acknowledgement“ auf Englisch) wie Normen und Institutionen einerseits und Anerkennung von Personen andererseits. In der Diskussion der Hegel’schen Texte wurde allerdings deutlich, dass diese Unterscheidung selbst nicht ganz unproblematisch ist, da „Anerkennung von Personen“ in zwei Varianten auftritt, die ich rein intersubjektiv und institutionell vermittelt genannt habe. Es hat jetzt den Anschein, als sei nur die rein intersubjektive Form von Anerkennung klar von der Anerkennung norma-

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tiver Entitäten zu unterscheiden, während institutionell vermittelte horizontale Anerkennung* als ein Aspekt an ihr auftritt. Individuen (horizontal) als Träger von Rechten und anderer deontischer Machtbefugnisse anzuerkennen*, meint schlicht den Gehorsam und somit die (vertikale) Anerkennung der Gesetze, die durch jene Rechte bestimmt werden. Die Frage, die in Abschnitt 2.2. formuliert wurde, ob Anerkennung von Personen in einer oder mehreren Formen auftritt, möchte ich hier spezifizieren und lediglich auf Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn beziehen. Obwohl Hegel solche Formen selbst nicht explizit differenziert, können wir im Sinne einer rationalen Rekonstruktion sagen, dass Hegels Konzeption im SelbstbewusstseinsKapitel zwei Formen beinhaltet bzw. genauer: zwei „Dimensionen“ von Anerkennung: die axiologische und die deontologische. In Bezug auf beide Dimensionen können wir dann weiter zwischen einer nicht genuin „personifizierenden“ und einer „personifizierenden“ Form unterscheiden: im Hinblick auf die axiologische Dimension zwischen instrumenteller oder in anderer Weise konditionaler Sorge und intrinsischer oder unbedingter Sorge um den Anderen (bzw. Liebe); im Hinblick auf die deontologische Dimension zwischen bedingter und unbedingter Zuschreibung von Autorität (bzw. Achtung). Eine Gemeinsamkeit des personifizierenden bzw. genuin interpersonalen Anerkennungsmodus in beiden Dimensionen liegt darin, dass der Anerkennende den Anzuerkennenden im Lichte von Bedeutsamkeiten betrachtet, die identisch sind mit den Bedeutsamkeiten, in deren Licht eine normale Person sich selbst betrachtet: als jemand, dessen Leben und Wohl intrinsische Wichtigkeit besitzen, und als jemand, der über unbedingte Autorität verfügt. Wir können des Weiteren eine Reihe von Überlegungen vor dem Hintergrund der Unterscheidungen aus Abschnitt 2.3 in Bezug auf Einstellungen, Einstellungsgefüge, konkrete interpersonale Beziehungen und institutionelle Sphären oder Kontexte anstellen. Ob im Text irgendwelche bestimmten institutionellen Sphären abgerufen werden, hängt davon ab, ob man ihn im Sinne der rein intersubjektiven bzw. der institutionellen Lesart versteht. Im Sinne der Letzteren bezieht sich Hegels Illustration überwiegend auf den institutionellen Kontext der Sklaverei. Aber er diskutiert auch die „Geburt“ von Staaten aus Herrschaft und hat also auch diesen institutionellen Kontext im Sinne. Beide dieser institutionellen Kontexte versteht man jedoch am besten als bloße, aber paradigmatische Beispiele dafür, wie die Strukturen, über die Hegel spricht, in die soziale Realität übersetzt werden können. Im Prinzip können ungleiche Rechte und Pflichten in den unterschiedlichsten institutionellen Kontexten bestehen. Liest man das Kapitel hingegen als eine Darstellung rein intersubjektiver Strukturen, dann erscheinen Institutionen und institutionalisierte Normen als größtenteils irrelevant oder nur äußerlich mit den Hauptargumenten verbunden. (Natürlich



4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel? 

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hindert aber nichts an einem Interpretationsversuch, der sowohl die rein intersubjektiven als auch die institutionellen Aspekte in ein Bild zu integrieren sucht.) Egal ob man die Beziehung von „Herr“ und „Knecht“ rein interpersonal oder als durch Institutionen vermittelte interpretiert, sie ist sicherlich eine konkrete Beziehung mit verschiedenen Elementen, die durch Einstellungen und andere mentale Zustände, die die Subjekte in Bezug aufeinander oder im Allgemeinen haben, keineswegs erschöpfend begriffen wird. Eine wichtige Problematik, die Hegel in diesem Zusammenhang erwähnt, ist die Arbeit bzw. die praktische Aktivität, die sich die Natur aneignet und dadurch das zukünftige Leben und Wohlergehen des Arbeitenden und seines Herrn sicherstellt. Um ein vollständiges Bild von der konkreten Beziehung zu zeichnen, die Hegel zur Illustration seiner philosophischen Argumente verwendet, wäre daher viel mehr als bloß psychologische oder interpersonale Phänomene diskutieren. Der ausdrückliche Fokus des Selbstbewusstseinskapitels – wie des ganzen Abschnitts „Phänomenologie – Bewusstsein“  – liegt allerdings auf den intentionalen Strukturen und ihrer Entwicklung zum vollständig ausgebildeten psychologischem Personsein. Für Hegel ist hierbei, wie klar geworden sein sollte, ein Komplex von Einstellungen zentral, der einerseits aus Einstellungen der Anerkennung, andererseits aus einem bestimmten Bewusstsein bzw. der Überzeugung auf Seiten des Anerkannten besteht, dass der Anerkennende ihm gegenüber solche Einstellungen hat. Vor dem Hintergrund der Themen, die in Abschnitt 2.4. diskutiert wurden – Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen von Anerkennung  – ist festzuhalten, dass Handlungen und Ausdrucksformen von Anerkennung (in den unterschiedlichen Bedeutungen dieser Begriffe) für Anerkennungsbeziehungen in vielfacher Weise relevant sind. Unter anderem deswegen, weil ohne sie Individuen nicht in der Lage wären, wechselseitig die Einstellungen des anderen festzustellen und sich in ihm ihrer selbst bewusst zu sein. Aus der Perspektive konkreter Freiheit sind es tatsächlich die Einstellungen selbst, die das Kernthema darstellen und kraft welcher Individuen „innerlich“ vereinigt und zu einem wirklichen Selbstbewusstsein im Anderen gelangen können. Die meisten dieser psychologischen Feinheiten gelten allerdings nur für Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn. Wie ich auch in Abschnitt 3.3.4. im Fichte-Teil herausgestellt habe, spielt der Gehalt der Einstellungen des Anerkennenden* zum Anerkannten* als einem Individuum nur eine geringe Rolle. Die Hauptsache ist die, dass der Anerkennende* sich auf eine Art und Weise verhält, die dem institutionellen Status bzw. den deontischen Machtbefugnissen des Anzuerkennenden* gemäß ist. Aufgrund ihrer psychologischen „Oberflächlichkeit“ kann institutionell vermittelte Anerkennung* daher keine so starke kultivierende Wirkung auf Subjektivitäts- bzw. Intentionalitätsstrukturen haben wie rein intersubjektive Anerkennung, was mit ein Grund dafür ist, sie gegenüber rein

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intersubjektiver Anerkennung als eine weniger zentrale Bedeutung von „Anerkennung“ innerhalb des Selbstbewusstseinskapitel zu betrachten. Wie steht es mit der Frage, die in Abschnitt 2.5. gestellt wurde? Spricht Anerkennung gemäß der Konzeption des Selbstbewusstseinskapitels responsiv auf einen Aspekt ihres Objekts an, ist sie vielmehr konstitutiv für dieses Objekt oder trifft vielleicht sogar beides zu? Es scheint klar zu sein, dass eine detaillierte Antwort auf diese Frage aufgrund der Vielzahl und der Komplexität der Phänomene, die der Begriff „Anerkennung“ in diesem Text abdeckt, eine schwierige Aufgabe darstellt. Zuallererst kommt Anerkennung darin, genau so wie in Fichtes Grundlage, eine rein intersubjektive und eine institutionell vermittelte Bedeutung zu; zweitens besitzt die rein intersubjektive Anerkennung zwei Dimensionen, die axiologische und deontologische, und drittens macht Anerkennung innerhalb des dargestellten idealisierten Entwicklungsprozesses in beiderlei Bedeutungen und in beiden Dimensionen eine Transformation durch. „Anerkennung“ zwischen Herr und Knecht ist nicht dasselbe wie „Anerkennung“ zwischen genuin freien Personen. Es ist, um die Dinge noch etwas komplizierter zu machen, sogar denkbar, bereits die erste Begegnung der begehrenden Subjekte als eine erste widerwillige Form von „Anerkennung“ zu verstehen, der Anerkennung eines Anderen als etwas, das der Reduktion auf Bedeutsamkeiten der unmittelbaren Bedürfnisse und Begierden widersteht. In Bezug auf rein intersubjektive Anerkennung können wir die Frage nach der Responsivität resp. Konstitutivität von Anerkennung daher gemäß den drei Entwicklungsstadien von Hegels Bewusstseinsgeschichte differenzieren: (a) die erste Realisation durch den Widerstand des anderen Subjekts, (b) die noch nicht ganz vollständig personifizierende und noch nicht vollständig „geistige“ Anerkennung zwischen dem Herrn und dem Knecht und (c) die vollständig personifizierende und vollständig geistige bzw. freie Anerkennung. Für die institutionell vermittelte Form von Anerkennung sind nur die Entwicklungsstadien (b) und (c) einschlägig. Die erste Realisation oder Anerkennung des Anderen als einem unabhängigen Wesen, das Widerstand leistet ist kausal responsiv auf etwas, das dem anderen Subjekt zugehört, nämlich die von ihm geleistete Widerständigkeit. Da der Andere dadurch als widerständig erfahren wird, dass er ein anderes Subjekt mit einem unabhängigen Innenleben und einer eigenen Perspektive auf die Welt ist, antwortet diese erste Form von Anerkennung in kausal responsiver Weise auf die psychologische Konstitution des Objekts der Anerkennung. Hierbei ist bereits eine rudimentäre Form sozialer Normativität mit im Spiel: Beide Subjekte fordern eine bestimmte Art der Behandlung (nämlich eine solche, durch die sie nicht auf ein bloßes Objekt der Begierde reduziert werden) und würden bereits (auf grobe Art und Weise) versuchen, dasjenige Verhalten zu „kritisieren“ oder zu „bestrafen“, das dieser Forderung nicht gerecht wird.



4.5 Was heißt Anerkennung im Selbstbewusstseins-Kapitel? 

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Im Fall (b), der Anerkennung zwischen Herr und Knecht, ist die rein intersubjektive Anerkennung des Herrn durch den Knecht auf eine ähnliche Weise normativ responsiv: Das Verhalten, das der Herr vom Knecht erwartet, stellt das normative Kriterium dar, auf dessen Grundlage der Knecht vom Herrn kritisiert oder bestraft wird, wenn der Knecht darin fehlgeht, ihn in der geforderten Weise „anzuerkennen“ (d.h. kein Interesse für sein Wohlergehen zeigt und seinen Befehlen und Regeln nicht gehorcht). Da Furcht vor Strafe das einzige Motiv des Knechts ist, den Herrn auf diese Weise anzuerkennen, ist die Anerkennung des Herrn durch den Knecht auch kausal responsiv auf die Absichten und die psychologische Konstitution des Herrn. Wie sieht es mit der (rein intersubjektiven) Anerkennung des Knechts durch den Herrn aus? Sie scheint augenscheinlich weder normativ noch kausal in der gleichen Weise responsiv auf den Knecht anzusprechen wie es die Anerkennung des Knechts in Bezug auf ihn tut. Der Knecht stellt keine unabhängigen Normen oder Kriterien auf, anhand welcher er den Herrn kritisieren könnte. Er kann ihn nur kritisieren, indem er an Regeln und Normen appelliert, die der Herr selbst vorgeschrieben hat, (z.B. wenn dieser nicht bedacht hat, was es erfordert, bestimmte Befehle in konkreten Fällen anzuwenden), oder an das Wohl des Herrn (wenn der Herr sich nicht in adäquater Weise um das Wohl des Knechts kümmert und damit um dessen Fähigkeit, für den Herrn arbeiten zu können). Der Knecht befindet sich darüber hinaus auch nicht in einer Lage, aus der heraus er den Herrn bedrohen könnte, um ihm so auf „kausale“ Weise eine anerkennende Reaktion zu entlocken. Bei sorgfältigerer Betrachtung ist die Differenz zwischen der Anerkennung des Herrn und des Knechts letzten Endes vielleicht aber doch nicht so signifikant. So gilt nämlich für beide, dass ihr letzter Zweck und Bezugspunkt ihr eigenes Wohlergehen ist. Auch der Knecht gehorcht dem Herrn nur deswegen (bzw. das Wohl des Herrn hat nur deswegen Wert für ihn), weil er sich um sein eigenes Leben und Wohlergehen sorgt. Es ist allein die Sorge des Knechts um sich selbst, die den Befehlen des Herrn „Autorität“ bzw. dem Wohl des Herrn Wichtigkeit verleiht. Ähnliches gilt für die Kausalitätsproblematik: Nur weil der Knecht sich um sich selbst sorgt, ist der Herr in der Lage, ihn zu motivieren bzw. den Knecht überhaupt auf irgendeine Art und Weise zu „bewegen“. Es ist genau dieser Egoismus bzw. diese letzte Selbst-Bezüglichkeit der nicht vollständig personifizierenden bzw. nicht vollständig „geistigen“ (rein intersubjektiven) Anerkennung (des Knechts und des Herrn), die sie von der vollständig personifizierenden geistigen Anerkennung unterscheidet, wie sie im Kapitel „Allgemeines Selbstbewusstsein“ beschrieben wird. Anerkennung in Form von genuinem Respekt und Liebe (c) bezieht sich nicht auf die Sorge des Anerkennenden um sich selbst und daher wäre es unmöglich, sie durch eine Drohung oder durch

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die Berufung auf das Wohl des Anerkennenden hervorzurufen. Respekt und Liebe können weder erzwungen noch durch Bestechung erlangt werden. Antworten sie aber dann in irgendeiner Weise normativ oder kausal responsiv auf etwas, das den Anzuerkennenden ausmacht? Wenn Liebe oder die intrinsische Sorge für den Anderen bedeutet, dass man dessen Wohl als genauso wichtig ansieht wie das eigene, dann scheint die Liebe zum Anderen schlichtweg durch den Anderen als singuläre menschliche Person motiviert zu sein, dessen Leben gedeihen und zerstört werden kann, der mal glücklich ist und mal leidet. Respekt wird demgegenüber − da die Sorge um sich selbst hier ausgeschlossen ist – wie auch nach Fichte dadurch ausgelöst, dass man im Anderen einem (mehr oder weniger) vernünftigen Wesen begegnet. Sieht man sowohl in der Vernunft als auch in der Glücksfähigkeit Merkmale, die das Personsein ausmachen, dann suggeriert dies, dass genuiner Respekt und Liebe kausal responsiv in Bezug auf die Personsein-stiftende psychologische Konstitution des Adressaten der Anerkennung sind (KRP). Da Hegels Konzeption sich, anders als Fichtes, gegenüber dem Begriff der inneren kausalen Freiheit neutral verhält, gibt es keine Prämisse, die seine Akzeptanz der Konklusion verhinderte, dass genuin personifizierende oder geistige Anerkennung eine Affizierung durch das Objekt der Anerkennung beinhaltet. Spricht rein intersubjektive und genuin personifizierende Anerkennung bei Hegel dann normativ responsiv in Bezug auf das Objekt der Anerkennung an? Die Antwort hierauf ist „Ja“ und „Nein“. Da Anerkennung in der genannten Bedeutung von den potentiellen Rechten und anderen deontischen Machtbefugnissen des Anerkannten absieht, kann sie nicht durch die Berufung auf Normen, egal ob diese intersubjektiver oder institutionalisierter Natur sind, kritisiert werden. Es gibt kein Recht darauf, geliebt zu werden und daher auch keine korrespondierende Pflicht, zu lieben. Im Falle des Respekts besteht ein wichtiger Kontrast zur Herr-Knecht-Beziehung darin, dass die Normen der Interaktion von sich wechselseitig respektierenden Individuen beiderseitig autorisiert und bekräftigt werden, so dass die Urteile beider Subjekte über das, was angemessen bzw. unangemessen ist, zählen. Nichtsdestoweniger ist Respekt selbst nichts, was auf solche Normen, die von beiden autorisiert wurden, antwortete, denn solche Normen existieren nur dann, wenn die Individuen einander als Ko-Autoritäten respektieren. Tun sie dies nicht, gibt es auch keine Norm bzw. kein Recht, mittels dessen man einen Mangel an Respekt kritisieren könnte. Doch selbst wenn Liebe und Respekt als rein intersubjektive Phänomene nicht normativ responsiv in Bezug auf die sie implizierenden deontischen Machtbefugnisse oder Normen derjenigen antworten, können sie immer noch als normativ responsiv in Bezug auf eine Art basale Forderung oder normative Erwartung verstanden werden, mit denen Personen sich in der Interaktion konfrontieren.



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Anders als das Leben nicht-personaler Tiere, das durch natürliche Instinkte organisiert wird, wird das Leben von Personen in einem großen Maße durch soziale Normen organisiert. Aus Sicht einer Person läuft etwas fundamental falsch, wenn sie (in jeweiliger Übereinstimmung mit dem Entwicklungsniveau ihrer psychischen Fähigkeiten) von anderen nicht wie jemand behandelt wird, dem Autorität über diejenigen Normen zukommt, gemäß denen die Anderen, deren Handlungen auf mich zurückwirken können, leben sollen.33 Wenn es zudem Teil der Personsein-stiftenden psychologischen Konstitution von Individuen ist, sich auf intrinsische Weise um ihr Leben und Wohl sorgen, dann ist es ein fundamentales Übel, von Anderen (deren Handlungen mich in Mitleidenschaft ziehen können) nicht wie jemand behandelt zu werden, dessen Leben eine intrinsische Bedeutsamkeit zukommt. Angesichts dieser sozusagen „proto-normativen“ Bedeutung ergibt es Sinn, zu sagen, dass rein intersubjektive personifizierende Anerkennung auch normativ responsiv in Bezug auf die psychologische Konstitution des Anzuerkennenden ist (NRP). Ist rein intersubjektive Anerkennung, wie sie im Selbstbewusstseinskapitel präsentiert wird, dann konstitutiv fürs Personsein bzw. für etwas, das Personen zugehört, und wenn dies der Fall ist, wofür ist sie konstitutiv und wie gestaltet sich dies genau aus? Wir müssen hier nicht nur die drei Stadien von Hegels idealisierter Geschichte unterscheiden, sondern auch zwischen der potentiellen konstitutiven Wirkung von Anerkennung auf das Subjekt der Anerkennung einerseits sowie auf das Objekt der Anerkennung andererseits differenzieren. Anders als Fichte in der Grundlage und anders als die zeitgenössischen Autoren, die in den nächsten beiden Kapiteln dieses Buches diskutiert werden, sagt Hegel nichts Explizites über die Möglichkeit, dass Anerkennung auf irgendeine Weise konstitutiv für das psychologische Personsein des Objekts der Anerkennung sein könnte. Seine Betrachtung impliziert jedoch eine Vielzahl von Weisen, wie Anerkennung kon­stitutiv für den Personen-Status des Anerkannten sein kann. Schon bei der ersten primitiven Begegnung (a) wird das andere Subjekt im Lichte einer Bedeutsamkeit bzw. eines „Status“ betrachtet, die es von bloßen Objekten der Begierde radikal unterscheiden. Als rein intersubjektive Beziehung verstanden sind (b) der „Herr“ und der „Knecht“ nichts anderes als bestimmte Status, die den Individuen in der Perspektive des Anderen zukommen. Diese Status werden durch die Einstellungen konstituiert – seien es anerkennende oder andere −, die die Subjekte gegenüber einander und gegenüber sich selbst haben. Im Rahmen von genuin personifizierender Anerkennung, die konkrete Freiheit im größten Maße realisiert (c), sieht schließlich jeder Anerkennende das Objekt seiner Anerkennung wie sich selbst im Lichte praktischer Bedeutsamkeiten  – liebend als jemand, dessen Leben und Wohl von intrinsischer Wichtigkeit ist, respektierend als eine irreduzible Quelle von Autorität. Während der intersubjektive Status einer

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Person bei Fichte lediglich in der deontologischen Bedeutsamkeit bestand, die durch Respekt zugeschrieben wird − nämlich der unbedingten Autorität über die Normen der Koexistenz −, beinhaltet er bei Hegel auch die axiologische Bedeutsamkeit, die durch Liebe zugeschrieben wird und darin besteht, dass Leben und Wohl eines Individuums von unbedingter Wichtigkeit sind. Beide Formen der intersubjektiven Anerkennung sind auf diese Weise ontologisch konstitutiv für den intersubjektiven Personen-Status des Objekts der Anerkennung (OKSintersO). Genau dieser Sachverhalt, dass das andere Subjekt im Lichte dieser intersubjektiven Bedeutsamkeiten gesehen wird, ist es, der die psychologische Konstitution des Subjekts der Anerkennung transformiert und bildet. Ich sprach darüber bereits oben mithilfe der Begriffe des „Dezentrierens“ und der „Triangulation“, und wir können jetzt die genannten drei Stadien der idealpsychologischen Entwicklung anhand dieser Begriffe weiter analysieren. Die ursprüngliche Begegnung (a), in der das Subjekt die Existenz eines anderen Subjekts als Subjekt durch die von ihm eingenommene Perspektive realisiert, transformiert bereits den natürlichen Solipsismus des ersten Subjekts und etabliert eine primitive Form der Dezentrierung der eigenen Perspektive, die diese neben eine andere stellt und sich von ihr herausfordern lässt. (Wie wir gesehen haben, ist diese Herausforderung keine friedliche Herausforderung, wie sie in Fichtes Aufforderung Gestalt annimmt, sondern ein ernsthafter Konflikt.) Im nächsten Stadium der Idealentwicklung, nämlich der Beziehung, die durch die Figuren von Herr und Knecht illustriert wird, (b) überwinden die Subjekte ihre unmittelbare Begierde-Orientierung, indem sie sich selbst und einander als Subjekte mit zeitlich ausgedehntem, aber endlichem Leben begreifen. Sie entwickeln auf diese Weise zunehmend eine intrinsische Sorge um sich selbst, auch wenn die Sorge um einander weiterhin instrumentell verfasst ist. Obwohl sie keine Solipsisten im unmittelbar animalischen Sinne mehr sind, sind sie trotzdem auf grundlegende Weise egoistisch. Beide sehen die Welt zwar auch aus der Perspektive der Sorgen und Urteile des Anderen, doch der letzte Bezugspunkt ihres Handelns bleiben ihre je eigenen Sorgen und Ziele, so dass eine Sorge um und die Autorität des Anderen nur unter der Bedingung zählen, dass sie für sie selbst relevant sind. Obwohl wir hier bereits von einer Dezentrierung oder Triangulierung von Perspektiven sprechen können, handelt es sich hierbei daher noch um keine vollständige Dezentrierung oder Triangulierung, wie sie genuin personifizierende Anerkennung kennzeichnet. Im Rahmen von genuin personifizierender Anerkennung (c) besitzen die Sorgen und die Autorität des Objekts der Anerkennung die gleiche unbedingte Wichtigkeit wie die eigenen. Was gut und was übel, was richtig und falsch ist, wird somit zugleich aus zwei Perspektiven begriffen, von denen keine auf die andere reduziert werden kann. Nur Subjekte, die über solche strukturell dezen-



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trierten praktischen Perspektiven verfügen, für die das Wohl Anderer nicht zu zählen aufhört und für die, die Autorität anderer nicht ihr Gewicht verliert, wenn der Andere aufhört, von instrumenteller Bedeutsamkeit für das eigene Wohl zu sein, können in Hegels Verständnis auf vollständig freie Art und Weise zusammenleben und eine im höchsten Grade „geistige“ Gemeinschaft freier Wesen bilden. Jede der drei idealisierten Sozialisationsstufen bringt also eine Weiterentwicklung der psychologischen Struktur mit sich, durch die zunehmend der Unterschied zwischen menschlichen Personen und „begehrenden“ bzw. instinktgeleiteten Tieren deutlicher wird. Sie stellen Weisen dar, in denen rein intersubjektive Anerkennung ontologisch konstitutiv für die Personsein-stiftende psychologische Konstitution der Subjekte der Anerkennung ist (OKPS) und sie korrespondieren mit dem Personsein-stiftenden intersubjektiven Status der Objekte von Anerkennung (OKSintersO). Es besteht keine Notwendigkeit, eine strikte zeitliche Reihenfolge zwischen diesen Stadien anzunehmen. Die top-down-Lesart des Hegel’schen Textes legt nahe, dass sie als gleichzeitige Elemente der psychologischen Verfasstheit menschlicher Personen verstanden werden können. Im vollständig personifizierenden Anerkennungsmodus kommt nach Hegel allerdings die „höchste“ Weise zum Ausdruck, weil sie konkrete Freiheit vollständig realisiert und daher das „Wesen“ des Geistes bzw. der Lebensform menschlicher Personen ausmacht. Als höchster bzw. fortentwickeltster Form kommt ihr darüber hinaus eine moralische bzw. ethische Qualität zu, die auch in der Formulierung impliziert ist, dass sie die Form ist, durch die Personen einander vollständig als Personen erachten. Was Personsein als einen institutionellen Status angeht, so ist dies nichts, was Hegel im Selbstbewusstseinskapitel ausdrücklich diskutierte. Um seine Auffassung zu diesem Thema zu ermitteln, wäre seine Philosophie des Objektiven Geistes beginnend mit dem Abschnitt „Recht“ (Werke 10, §§ 488 – 502) sowie der korrespondierende Abschnitt „Das abstrakte Recht“ in seiner Philosophie des Rechts (Werke 7, §§ 34 – 104) zu konsultieren. Eine Auseinandersetzung mit diesen Texten liegt zwar außerhalb meiner Erkenntnisziele, doch möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Potentiale lenken, die Hegels Konzept konkreter Freiheit für ein Nachdenken über institutionelle Anerkennung zu bieten hat. Im Hinblick auf die vertikale „aufwärts gerichtete“ Anerkennung des Staates erlaubt dieses Konzept die Annahme eines Kontinuums von weniger freien zu freieren Relationen zwischen Individuen und Institutionen. Eine bloße Strafandrohung kann Individuen dazu motivieren, den Staat im Sinne des Gesetzesgehorsams „anzuerkennen“ und damit auch dazu, die durch die Gesetze geregelten Rechte der Anderen zu respektieren*. In dem Maße allerdings, in dem ein Individuum „sich seiner selbst im Staat bewusst ist“ und ihn als rechtmäßig anerkennt, ist seine

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Anerkennung* Anderer als Träger von Rechten und anderer deontischer Kräfte (sowohl „Personsein-stiftender“ wie auch anderer) zumindest nicht ausschließlich durch die Furcht vor drohender Strafe motiviert. Doch der Anerkennung des Staates und der Anerkennung* anderer Rechtsträger liegt nichtsdestoweniger eine wirksame Motivation zugrunde, am wahrscheinlichsten die Sorge um sich selbst und bestimmte Andere sowie das Urteil, dass der Staat und seine Gesetze zum eigenen Wohl und dem Wohl Anderer beitragen. Eine weitere wichtige Frage ist es dann, in welchem Grad die Anerkennung der staatlichen Legitimität durch die Bürger lediglich auf der Sorge um das eigene Wohl beruht und inwieweit auch auf der Sorge um Andere. In dem Grade, in dem Letzteres gegeben ist, ist rein intersubjektive Anerkennung im Sinne der instrumentellen oder intrinsischen Sorge um Andere zumindest ein Aspekt, der Bürger zur vertikalen Anerkennung des Staates und damit auch zur horizontalen Anerkennung* Anderer als Träger deontischer Machtbefugnisse motiviert (vor allem der fundamentalen Rechte, die fürs Personsein als institutionellem Status konstitutiv sind). In dem Maße, in dem ein Individuum Andere als Autoritäten bezüglich der Regeln und Normen der Koexistenz respektiert, bieten ihm die Zustimmung der Mitbürger und deren vertikale Anerkennung des Staates unabhängige Gründe dafür, den Staat in gleicher Weise zu akzeptieren bzw. anzuerkennen und somit auch dafür, die entscheidenden deontischen Machtbefugnisse anzuerkennen*. In diesem Sinne trägt Hegels höchst differenziertes begriffliches System dem Verständnis Rechnung, dass sich hinter rechtlichen Verhältnissen in unterschiedlichem Grade genuin ethische Motive verbergen.

5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie: Charles Taylor und Nancy Fraser Angesichts der Tatsache, dass Hegel kaum zu den Philosophen gerechnet werden kann, die besonders einfach zu lesen und zu verstehen wären, kann man sich fragen, wie es überhaupt möglich ist, dass ein Thema, das fast überall mit seinem Namen assoziiert wird, auch außerhalb von Spezialistenkreisen auf so großes Interesse gestoßen ist. Eine Erklärung hängt zum Teil damit zusammen, dass sich andere Philosophen und Denker das Thema bei Hegel aus der Perspektive ihrer eigenen Erkenntnisinteressen angeeignet haben, und zwar gewöhnlich auf eine viel zugänglichere Weise als bei Hegel selbst. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang Alexandre Kojève. Seine berühmten Pariser Vorlesungen über Hegel in den 1930er Jahren, die nach dem Krieg veröffentlicht wurden, haben besonders in Frankreich (aber nicht nur dort) in wahrscheinlich größerem Maße dafür gesorgt, dem Thema allgemeine Aufmerksamkeit zu verschaffen als irgendetwas, das Hegel selbst geschrieben hat.1 Das Thema und die Figuren von Herr und Knecht in Hegels Auseinandersetzung mit Anerkennung erlauben vielerlei Anspielungen auf Deutungen, die das Thema innerhalb der marxistischen Tradition erfahren hat und von denen Kojève ebenfalls beeinflusst wurde. Und auch wenn man sich die moderne Entwicklungspsychologie ansieht, ist es leicht Strömungen zu entdecken, in denen dem Begriff bzw. dem Thema wichtige Rollen zukommen.2 Kurz gesagt: Obwohl Hegel die einschlägige philosophische Referenz für die unterschiedlichen Zugriffsweisen auf das Thema ist, hat es im Denken des 20. Jahrhunderts ein Eigenleben gewonnen, das relativ unabhängig von allem ist, was Hegel jemals geschrieben hat. Anerkennung ist jedoch nicht allein ein Thema der akademischen Diskussion zwischen Philosophen und anderen Theoretikern. Sie ist auch außerhalb der akademischen Welt präsent, da das Wort „Anerkennung“ sowie seine Entsprechungen in anderen Sprachen Teil des alltäglichen Diskurses sind, in dem Phänomene von großer existentieller, sozialer und politischer Bedeutsamkeit zum Ausdruck gebracht werden. Praktisch jeder Erwachsene besitzt ein gewisses Verständnis davon, was es heißt, von Anderen „anerkannt“ zu werden bzw. dass einem eine solche Anerkennung vorenthalten wird, und die meisten Menschen können die Schmerzlichkeit bestätigen, keine hinreichende Anerkennung erfahren zu haben. Obwohl der genaue Inhalt der Anforderungen von „Anerkennung“, wie sie von den unterschiedlichen unterdrückten oder Minderheitengruppen in der politischen Sphäre gefordert wird, variiert3 und nicht immer ganz klar sein mag (vgl. Thompson 2006 und Seymour 2010), beziehen sie sich alle auf etwas,

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das verständlich genug ist, um auch ohne ausgearbeitete philosophische Analysen politische Wirkungen erzielen zu können. Sowohl die offensichtliche Bedeutsamkeit von Anerkennung für den Common Sense als auch die Attraktivität der Idee von Anerkennung für diejenigen, die sich in politischen Bewegungen und Kämpfen engagieren (seien es marxistische Klassenkämpfe, Anti-Kolonialismus-Bewegungen, Anstrengungen für die Emanzipation von Frauen, Kämpfe um die Anerkennung von sexuellen, ethnischen oder religiösen Minderheiten o. ä.), stellen wichtige Aspekte der Entwicklung dar, die das Thema in den letzten zwei Jahrzehnten in die Aufmerksamkeit von kritischen Sozial- und Politischen Philosophen gerückt hat. Die drei Gegenwartsautoren, die in diesem und dem nächsten Kapitel diskutiert werden − Charles Taylor, Nancy Fraser und Axel Honneth – haben auf je unterschiedliche Weise die explizite wie implizite Präsenz der Anerkennungsidee in der gegenwärtigen Tagespolitik und im alltäglichen Diskurs ausgewertet und darauf reagiert. Taylor und Fraser sind Schlüsselautoren der Diskussionen, die unter dem Titel „Politik der Anerkennung“ firmieren. Insbesondere Taylor kommt eine zentrale Stellung unter den Autoren zu, die diesem Begriff zu größerer Aufmerksamkeit verholfen haben. Fraser kritisiert einige der Ideen, die sie als grundlegend für dieses Konzept ansieht und Honneth geht in kritische Distanz zu einem exzessiven Fokus auf nur solche politischen Bewegungen, die explizit in Bezug zur „Politik der Anerkennung“ stehen. Seine Arbeit zehrt jedoch stark von der existentiellen Bedeutsamkeit, die der Erfahrung von ausbleibender Anerkennung zukommt. Mein Ziel besteht im Folgenden in der Klärung des Inhalts und der Rolle des Anerkennungsbegriffs in den einschlägigen Arbeiten dieser drei Gegenwartsautoren. Es soll gezeigt werden, wo ihre Verständnisse des infrage stehenden Begriffs und Phänomens voneinander oder von Fichte und Hegel abweichen, welche Ideen dieser Pioniere in ihren Arbeiten möglicherweise fehlen und welche fruchtbaren neuen Elemente sie zu einer umfassenden Konzeption der Bedeutsamkeit von Anerkennung für die Lebensform menschlicher Personen in ihren unterschiedlichen Bedeutungen hinzufügen. Um ein wenig vorauszugreifen: Obwohl die Auseinandersetzung mit Fichtes und Hegels Gedanken über Anerkennung uns mit einem reichhaltigen Fundus von Weisen bekannt gemacht hat, in denen Anerkennung für die psychologischen und sozialen Strukturen bedeutsam ist, die die personale menschliche Lebensform ausmachen, ist ein äußerst wichtiges Element bisher unbeachtet geblieben. Damit meine ich die Bedeutsamkeit von Anerkennung nicht nur für das, was Personen in erster Linien zu Personen macht, d.h. für ihre „Personsein-stiftenden“ Eigenschaften, sondern auch für das, was Personen voneinander unterscheidet, mit anderen Worten: für ihre qualitative „Identität“ bzw. ihre „Selbstidentität“. Die damit zusammenhän-



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gende Vorstellung, die diese Autoren explizit machen, ist eine dritte Dimension von Anerkennung im Sinne der Wertschätzung bestimmter qualitativer Eigenschaften einer Person oder von Personen. Ein drittes neues Thema, dem wir in der Arbeit dieser Autoren schließlich begegnen werden, ist die Anerkennung von Gruppen oder Kollektiven.

5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“ Der wichtigste Beitrag Charles Taylors zu unserem Thema ist sein Aufsatz „Die Politik der Anerkennung“ (Originaltitel: „The Politics of Recognition“), der seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1992 wahrscheinlich zum meistgelesenen und meistzitierten Text über Anerkennung in den gegenwärtigen Debatten der Politischen und Sozialphilosophie geworden ist. Dieser Text, der zu einem großen Teil die terminologischen Grundlagen für die Debatten gesetzt hat, die auf ihn folgten, soll im Folgenden diskutiert werden. In Abschnitt 5.1.1. gebe ich zuerst eine Übersicht über die zentralen Inhalte. In Abschnitt 5.1.2. folgen Beobachtungen zum Anerkennungskonzept, wie es ausdrücklich oder auch implizit im Text präsentiert wird.

5.1.1 Ein thematischer Überblick Taylor beginnt seinen Aufsatz mit dem Hinweis darauf, dass eine Reihe von Strömungen der Gegenwartspolitik es „[u]nter vielerlei Vorzeichen (…) mit dem Bedürfnis, ja mit der Forderung nach Anerkennung zu tun“ hat. Er bemerkt dann weiter, dass der Dringlichkeit der Forderungen nach Anerkennung die „Annahme, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Anerkennung und Identität“ (Taylor 2009, 13) zugrunde liegt. Taylor deutet an, dass das Bedürfnis nach Anerkennung der Identität bzw. bestimmter identitätsstiftender Merkmale eine der treibenden Kräfte von nationalistischen Bewegungen, politischen Bewegungen von Minderheitengruppen, von einigen Formen des Feminismus wie auch von dem ist, was unter dem Namen „Politik des Multikulturalismus“ auftritt. Obwohl Taylor nicht behauptet, dass Forderungen nach Anerkennung den einzigen Faktor darstellen, der solche Bewegungen antreibt, assoziiert er deren Dringlichkeit mit dem Gedanken, dass „Identität“  – womit er „das Selbstverständnis der Menschen bezeichnet, ein Bewusstsein von den [sie] bestimmenden Merkmalen“ (ebd.) – zum Teil durch Anerkennung durch Andere bzw. deren Abwesenheit geprägt wird. So schreibt er: „Wir bestimmen unsere Identität stets im Dialog und manchmal sogar im Kampf mit dem, was unsere „signifikanten

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Anderen“ in uns sehen wollen.“ (Ebd., 20). Die Anerkennung, die Andere denjenigen Eigenschaften entgegenbringen, die für die eigene Identität (aktual oder potentiell) wichtig sind, bzw. ihr Mangel ist von wesentlicher Bedeutsamkeit, da dies Einfluss auf die Identifikation oder Evaluation dieser Merkmale und somit auf die Selbstidentität haben kann. Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Abhängigkeit, die nach Taylor zwischen der Identität bzw. Selbstidentität und Anerkennung besteht, in besonderer Weise ein Produkt der Moderne ist. Die These lautet nicht, dass Selbstidentitäten nicht auch in vor-modernen Gesellschaften von den Auffassungen Anderer abhingen. Die Moderne, wie Taylor sie begreift, beinhaltet vielmehr zwei Faktoren, die die Identität unseres Selbst allererst als Problem thematisch werden lassen und auf diese Weise auch Anerkennung bzw. deren Mangel für moderne Individuen zu einer dringlicheren Angelegenheit machen als es bei ihren vormodernen Vorfahren jemals der Fall war. Der erste der erwähnten Faktoren ist der Zusammenbruch der stabilen sozialen Hierarchien, die zuvor die Position jedes Individuums innerhalb der sozialen Ordnung angaben und damit ihre „Identität“. Dem liegt der Gedanken zugrunde, dass die eigene Identität in vormodernen Gesellschaften – sowohl in den Augen Anderer als auch in der eigenen Perspektive – in großem Maße durch die soziale Position definiert war, in die man hineingeboren wurde. Auch der eigene Wert bzw. die eigene „Ehre“ war somit größtenteils durch die angeborene Position bestimmt sowie durch die damit einhergehenden Erwartungen. Während „Ehre“ in diesem Sinne „eng mit Ungleichheit verknüpft war“, ist das Konzept der „Würde“, das diese im Zuge des Zusammenbruchs der rigiden vormodernen Sozialordnung zum Teil ersetzt, universalistisch und egalitaristisch angelegt. Die neue Vorstellung besteht darin, dass jedes menschliche Wesen nun allein aufgrund der Tatsache, dass es ein menschliches Wesen bzw. eine Person ist und somit unabhängig von seiner sozialen Position, Rolle oder seinem Status, „Würde“ besitzt (ebd., 15). Zusammen mit dieser Entwicklung wird die Forderung nach „gleicher Anerkennung“ für jeden geboren – Anerkennung ist nun die angemessene Antwort auf den universalen Status eines jeden menschlichen Wesens als Person mit gleicher Würde. Der zweite Faktor der Artikulation personaler Identität und deren Anerkennung als explizitem Problem ist allerdings, dass einhergehend mit dem universalistischen und egalitaristischem Ideal der Würde von Personen eine weitere neue Idee entsteht – die „individualisierte Identität“. Taylor hebt hier die besondere Rolle von Johann Gottfried Herder hervor, der die damit verbundene Vorstellung von „Authentizität“ zum Ausdruck gebracht hat, dass man dem je eigenen „Maß“ gemäß ist, das die individuellen Weisen des Menschseins definiert (ebd., 32).4 In diesem Zusammenhang ist Taylors Betonung wichtig, dass die Vorstellung bzw. das Ideal der Authentizität in Bezug auf die eigene einzigartige Identität miss-



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verstanden wird, wenn man übersieht, dass keiner seine einzigartige Identität alleine, d.h. „monologisch“ findet bzw. definiert, sondern dass jeder dies nur im „Dialog“ mit Anderen, seien sie gegenwärtig oder erinnert, tun kann. Taylor verweist in diesem Zusammenhang auf den Sozialpsychologen George Herbert Mead und seine Idee der „signifikanten Anderen“. Diese stehen für diejenigen Menschen, deren evaluative Vorstellungen von mir und deren Anerkennung meiner Person, die wichtigste Bedeutung sowohl für die Entstehung als auch den Erhalt meiner Identität bzw. Selbstidentität zukommt (ebd.). Taylor will hier darauf hinaus, dass das moderne Individuum, dem seine Einzigartigkeit sowohl zum Problem als auch zum Ideal geworden ist, sich nun ganz besonders um die Anerkennung durch solche signifikanten Anderen bzw. um deren Ausbleiben sorgt. Ein großer Teil von Taylors Aufsatz ist bezogen auf die spezifisch moderne Spannung zwischen der universalistischen Vorstellung gleicher Würde auf der einen Seite und der Vorstellung von einer einzigartigen Identität auf der anderen Seite. Basierend auf diesen zwei Vorstellungen oder Idealen rekonstruiert Taylor zwei unterschiedliche „Politiken der Anerkennung“. Obwohl sie für zwei ganz unterschiedliche Stoßrichtungen zu stehen scheinen, versucht Taylor dafür zu argumentieren, dass sie zumindest partiell miteinander versöhnt werden können. Er schreibt: Aus dem Übergang von der Ehre zur Würde ist eine Politik des Universalismus erwachsen, die betont, dass Würde etwas ist, das allen Bürgern in gleichem Maße zukommt, und die ihrem Inhalt nach auf die Angleichung und den Ausgleich von Rechten und Ansprüchen zielt. Sie will um jeden Preis einen Zustand vermeiden, in dem es Bürger „erster“ und „zweiter“ Klasse gibt. (ebd., 24)

Dies kontrastiert auf folgende Weise mit der „Politik der Differenz“: Während die Politik der allgemeinen Würde auf etwas Universelles zielt, auf etwas, das für alle gleich ist, auf ein identisches Paket von Rechten und Freiheiten, verlangt die Politik der Differenz, die unverwechselbare Identität eines Individuums oder einer Gruppe anzuerkennen, ihre Besonderheit gegenüber allen Anderen. Dem liegt das Argument zugrunde, dass gerade diese Besonderheit bisher verkannt und verdeckt und einer dominierenden oder von einer Mehrheit gestützten Identität assimiliert wurde. (ebd., 25)

Taylor stellt heraus, dass interne Verknüpfungen zwischen diesen zwei „Politiken“ bestehen: Erstens soll auch die Forderung bzw. das Prinzip nach Anerkennung der einzigartigen Identität allgemein für jeden gelten; in diesem Sinne ist es universalistisch. Zweitens kann hiermit einhergehend die Forderung bzw. das Prinzip der Anerkennung der „gleichen Würde“ aller und damit auch die Gleichstellung der Rechte und Ansprüche auf Bereiche ausgedehnt werden, die in direkter Weise die einzigartige Identität von Individuen und Gruppen betreffen.

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So wie eine sozioökonomische Benachteiligung einer Bürgerschaft zweiter Klasse gleichkommen kann, die mit personaler Würde unvereinbar sei, kann Identität, wenn sie negativ gewertet oder ausgelegt wird, dieselben Effekte haben. Die von Taylor in seinem Aufsatz in Angriff genommene Kernfrage ist, ob bzw. wie eine liberale Gesellschaft, die sich auf das Prinzip gleicher Würde und gleicher Rechte gründet, mit den möglichen Benachteiligungen umgehen sollte, die aus dem Umstand erwachsen, dass bestimmte Weisen der Identität gegenüber anderen benachteiligt oder zu ihren Ungunsten gewertet werden. Dabei fokussiert er den konkreten Fall der französischsprechenden Quebecer im von der englischen Sprache dominierten Kanada. Die Frage ist, ob ein liberaler Staat „blind gegenüber Differenzen“ sein sollte, in dem Sinne, dass er auf sich allein gestellte linguistisch-kulturelle Minderheiten gedeihen bzw. vergehen lässt, oder ob er diese aktiv unterstützen sollte, indem er dem Prinzip folgt, dass Sprache und Kultur wichtige Elemente der Identität dieser Bürger darstellen. Im letzteren Fall wäre ihr Untergang als etwas zu werten, das sie schädigt und schließlich dazu verurteilte, Bürger zweiter Klasse zu sein. Taylor unterstützt kurz gesagt diese letztere Auffassung.5 Es gibt aber noch eine andere Strömung der „Politik der Differenz“, die anders als der rechtlich umgesetzte Schutz und die Unterstützung bestimmter „Identitäten“ keine Implikation der „Politik gleicher Würde“ darstellt und auch nicht ohne weiteres damit in Einklang gebracht werden kann. Dies ist die Forderung, dass bestimmte kulturelle oder andere Eigenschaften, die für die Selbstidentität bestimmter Menschen wichtig sind bzw. sein könnten, nicht nur durch Rechte geschützt und unterstützt, sondern auch positive Wertschätzung erfahren sollten (ebd., 58ff.). Hinter dieser Forderung steht eine ernsthafte Motivation, die mit der Annahme verbunden ist, dass es in multikulturellen Gesellschaften nicht zu rechtfertigen ist, die Überlegenheit von Praxen und Gewohnheiten einer Kultur – in der westlichen Welt paradigmatischerweise die europäische Mehrheitskultur – als selbstverständlich anzunehmen und dass es da, wo dies nichtsdestoweniger getan wird, von denjenigen, die einen anderen kulturellen Hintergrund mitbringen, legitimerweise als Kränkung erfahren wird. Besonders einschlägig ist dieser Gedanke vor dem Hintergrund des europäischen Kolonialismus, der u.a. in dem Versuch bestand, den kolonialisierten nicht-europäischen Völkern ein Selbstbild der eigenen kulturellen Minderwertigkeit aufzuzwingen. Da, wo die Unterjochten die herablassenden und verächtlichen Anschauungen ihrer Kolonialherren als ihre Selbstanschauung verinnerlichten, funktionierte dies als ein psychologischer Mechanismus ihrer Unterdrückung. Die Abwertung bzw. der Mangel an Anerkennung gegenüber nicht-europäischen Minderheitengruppen in multikulturellen westlichen Gesellschaften – sei es durch den kulturellen Mainstream, die



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staatlichen Institutionen oder durch beides − verweist somit auf ein ernsthaftes politisches Problem. Eine „differenz-politische“ Antwort auf dieses Problem, die einfach nur gleiche Wertschätzung oder positive Wertschätzung für alle Kulturen oder kulturellen Praktiken forderte, stellt in Taylors Augen jedoch keine vernünftige Antwort dar. Ihm zufolge ist „[e]in positives Urteil, das auf Verlangen abgegeben wird, (…) ein Unsinn“ und ein solches Urteil auf Verlangen zum Ausdruck zu bringen „ein Akt von atemberaubender Herablassung“ (ebd., 57). Evaluative Urteile können wie alle Urteile nicht auf Abruf bestimmte Schlussfolgerungen liefern,6 und positive Wertschätzung für jemanden zum Ausdruck zu bringen, obwohl man ihn nicht wirklich wertschätzt, ist ein Akt der Unaufrichtigkeit. Im schlimmsten Fall wird er als Verachtung der eigenen Intelligenz erfahren und damit als ein Akt der Herablassung oder der Demütigung. Es gibt allerdings eine Modifikation der Forderung nach Wertschätzung von Kulturen bzw. kulturellen Praktiken, die nach Taylor nicht nur kohärent, sondern auch als sinnvoller Ansatz zu empfehlen sei. Dies ist der mit der Annahme einhergehende Grundsatz, dass jede Kultur etwas für alle menschlichen Wesen Wertvolles aufweist oder etwas leisten oder beitragen kann, und dass Werturteile über ihre Gewohnheiten und Praxen nur nach ernsthafter Prüfung dieser Annahme abgegeben werden sollten. Was eine solche ernsthafte Prüfung erfordert, ist die Offenheit gegenüber der Möglichkeit, dass die beurteilende Perspektive selbst, oder die von ihr zugrunde gelegten Kriterien der Beurteilung, sich im Verlauf der Prüfung ändern können, weil man mit der anderen Kultur vertraut wird. Es lohnt sich hier, Taylor ausführlich zu zitieren: Hier muss das eintreten, was Gadamer „Horizontverschmelzung“ genannt hat. Wir lernen, uns in einem erweiterten Horizont zu bewegen, in dem wir das, was uns vorher als die selbstverständlichen Koordinaten unserer Urteile erschien, nun als mögliche Koordinaten neben denen der uns bislang nicht vertrauten Kultur wahrzunehmen vermögen. Die „Horizontverschmelzung“ wird wirksam, indem wir ein neues Vergleichsvokabular entwickeln, mit dessen Hilfe wir solche Gegensätze artikulieren können. Finden wir schließlich eine inhaltliche Bestätigung unserer anfänglichen Annahme, so geschieht dies auf der Grundlage eines Wertverständnisses, das uns anfänglich nicht zu Gebote stand. (Ebd., 54)

Was Taylor hier eigentlich in die Diskussion der Frage von Anerkennung als Wertschätzung einer anderen Kultur oder ihrer Praxen einführt, ist eine Form des Respekts in dem Sinne, dass die andere Kultur als möglicher Inhaber von Kriterien und Normen der Beurteilung aufgefasst wird, die es wert sind, von ihnen zu lernen und sie als Teil der Kriterien oder Normen anzueignen, anhand derer man selbst wichtige Themen evaluiert, einschließlich der Praxen der infrage stehenden Kultur wie auch der eigenen Kultur. Insgesamt interpretiert Taylor die Strö-

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mung der Politik der Differenz, die auf die Wertschätzung von Kulturen fokussiert ist, somit in einer Weise, dass sie als Implikation der Politik gleicher Würde verstanden werden kann. Er tut dies genauer gesagt auf zweierlei Weisen: Auf der einen Seite gilt die Annahme eines möglichen Wertes gleichermaßen für alle Kulturen und damit für alle Personen als Träger kulturell spezifischer Eigenschaften. Auf der anderen Seite scheint die Idee der Verschmelzung von Horizonten zu implizieren, dass diejenigen, deren evaluativen Horizont man (zumindest der Möglichkeit nach) bereit ist, mit dem eigenen Horizont verschmelzen zu lassen, auf diese Weise als vernünftige Wesen respektiert werden, denen Autorität über die Kriterien oder Normen der Evaluation, und damit der Interaktion, zukommt. Es erscheint sinnvoll, beide Wege – die Annahme eines möglichen Wertes und die Annahme der vernünftigen Einsicht in die Kriterien der Evaluation – als Elemente dessen zu interpretieren, was es heißt, Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund als Personen mit der gleichen Würde wie man selbst zu behandeln, ohne dass von deren kulturellen Besonderheiten bzw. „Differenzen“ abstrahiert würde, weil es diese gerade im Auge zu behalten gilt.

5.1.2 Beobachtungen zu Anerkennung und Identität in Taylors Text In seinem Aufsatz behandelt Taylor ein weites Feld von Problembezügen, deren genauer Zusammenhang untereinander nicht ohne weiteres erschlossen werden kann. Im Folgenden werde ich einige Beobachtungen dazu darlegen, worin der Vollzug von Anerkennung seinem Aufsatz zufolge besteht und in welchen Punkten Taylor sich von der Vorstellung der Bedeutsamkeit von Anerkennung absetzt, die wir bei Fichte und Hegel entdecken konnten bzw. was er deren Konzeption hinzufügen kann. Obwohl Taylors Anerkennungskonzeption in dem genannten Aufsatz oft als hegelianisch aufgefasst wird – wie wir sehen werden auch von Nancy Fraser –, spielt Hegel in seinem Essay eigentlich nur eine nebengeordnete Rolle. Dabei ist es vielleicht am wichtigsten, dass er Hegel nicht explizit mit der Idee der Anerkennung von „Identitäten“ in Verbindung bringt.7

Die kontributive Dimension von Anerkennung Ein eindeutig neues Element, das mit Taylors Essay zu unserer Darstellung von Anerkennung hinzukommt, die ich mithilfe von Fichtes und Hegels8 Texten rekonstruiert habe, ist Anerkennung im Sinne der Wertschätzung bestimmter Eigenschaften von Personen, genauer noch: bestimmter kultureller Praxen und Schöpfungen des Menschen. Da es in dieser Dimension von Anerkennung um Wertungen und Wertschätzungen geht, könnte sie „axiologisch“ genannt



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werden. Um sie aber nicht mit der Dimension zu verwechseln, die von Sorge und Liebe handelt, werde ich sie mit einem anderen Namen versehen, der später auch etwas abdecken kann, das in Axel Honneths Anerkennungsmodell eine wichtige Rolle spielt. Taylor macht Gebrauch von der Vorstellung, dass jede noch so unterschiedliche Kultur etwas Wertvolles zur Menschheit im Allgemeinen beizutragen hat bzw. zur „Geschichte der Menschheit“ (ebd., 60). Er spricht von „ein[em] Universum, (…) in dem verschiedene Kulturen einander mit unterschiedlichen Arten von Leistungen ergänzen“ (ebd., 66, Anmerkung 41). Es ist diese Leistung, die kulturelle Praxen beisteuern und damit ihr Wert für die Menschheit als Ganze, der Kulturen (und damit die Gruppen und Individuen, aus denen sie bestehen) nach Taylor zu möglichen Objekten von Anerkennung im Sinne einer positiven Wertschätzung macht. Ich werde dies daher im Folgenden als die „kontributive Dimension“ von Anerkennung bezeichnen. Werden die beiden Dimensionen, die wir bei Hegel entdeckten, sowie diese Dimension als Dimensionen desselben Sachverhalts zugestanden, nämlich der horizontalen Anerkennung, dann haben sich für diese Form der intersubjektiven Anerkennung nun also insgesamt drei Dimensionen ergeben.

Würde und die deontologische Dimension von Anerkennung Neben der kontributiven Dimension beinhaltet Taylors Diskussion auch ein Verständnis von Anerkennung als Respekt, der zur deontologischen Dimension von Anerkennung gehört und die wir sowohl bei Fichte als auch bei Hegel fanden. Taylors Essay zeichnet sich insbesondere durch die enge Verbindung aus, die zwischen dieser Dimension und der Idee der Würde angenommen wird, wobei letztere insbesonders durch Immanuel Kant bekannt geworden ist: Die Politik der allgemeinen Menschenwürde beruht auf der Idee, dass alle Menschen gleichermaßen geachtet werden sollen. […] Für Kant, der den Begriff der Würde in diesem Zusammenhang schon sehr früh und mit nachhaltiger Wirkung verwendete lag das Achtunggebietende an den Menschen darin, dass sie zu vernünftigem Handeln fähig sind, dazu, ihr Leben von Grundsätzen leiten zu lassen. (28)

Dies steht in Zusammenhang mit Taylors Rede von der „Verschmelzung der Horizonte“ und des Respekts in dem Sinne, dass die andere Kultur ernsthaft als möglicher Inhaber vernünftiger Kriterien bzw. Normen des Urteilens aufgefasst wird, die man sich selbst auch aneignen sollte. Gemäß der Lesart, die ich im Rahmen der Auseinandersetzung mit Fichte und Hegel vorgeschlagen habe, heißt Respekt, den Anderen als eine Autorität über die Normen, Regeln oder „Prinzipien“ des gemeinsamen Leben zu erachten. Taylors Formulierung dieser Dimension unter den Bedingungen des Konzepts gleicher Würde bringt jedoch

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ein ernsthaftes moralisches und philosophisches Problem mit sich, das er mit vielen Debatten über Würde teilt. Einerseits ist der Gedanke der, dass alle Menschen gleiche Würde besitzen und daher den gleichen Respekt verdienen. Andererseits wird jedoch gesagt, dass Menschen, die als rationale Akteure „zu vernünftigem Handeln fähig sind, dazu, ihr Leben von Grundsätzen leiten zu lassen“ (ebd.), Würde zukommt. Die offensichtliche Spannung gründet hier in der Tatsache, dass nicht alle menschlichen Wesen in gleichem Maße vernünftige bzw. rationale Wesen sind (man denke etwa an Kleinkinder). Noch problematischer ist, dass manche menschliche Wesen überhaupt keine rationalen Wesen sind, nicht mal dem Potential nach (bspw. Menschen, die mit schwerwiegenden mentalen Beeinträchtigungen geboren worden sind).9 Manchmal versucht man dieses Problem dadurch zu lösen, dass man zwischen dem Begriff eines menschlichen Wesens und dem einer Person unterscheidet und sagt, dass nur diejenigen menschlichen Wesen, die auch Personen im Sinne von rationalen Wesen sind, Würde besitzen und aus diesem Grunde Respekt verdienen. Doch die Schlussfolgerung dieser Überlegung – dass nicht alle Menschen Würde besitzen bzw. Respekt verdienen – wird in der Regel als zutiefst besorgniserregend betrachtet. Taylor spricht dieses Problem in seinem Aufsatz nicht an. Da es sich jedoch um ein Problem von großer philosophischer und moralischer Bedeutsamkeit handelt, das auch (wenn auch nicht ausschließlich) Theorien der Anerkennung betrifft, werde ich darauf im letzten Kapitel nochmal zurückkommen.

Ungeklärte Verbindungen intersubjektiver und institutioneller Anerkennung Taylors Konzeption kennzeichnet es, recht rasch zwischen der horizontalen Anerkennung zwischen Individuen und der vertikalen Anerkennung des Staates hin und herzuwechseln und es zum größten Teil dem Leser zu überlassen, die genauen Verbindungen zwischen beiden zu erschließen. Auch wenn man zugesteht, dass Taylors Gedanken zur Relevanz von Anerkennung im Sinne der positiven Evaluation bestimmter Merkmale für die personale Identität alles in allem korrekt ist, ist immer noch nicht ganz klar, wie dies mit der vertikalen „Anerkennung“ bestimmter kultureller Merkmale durch den Staat im Sinne ihres gesetzlichen Schutzes zusammenhängt. Man könnte sogar meinen, dass der staatliche Schutz von Kulturen bzw. bestimmten kulturellen Eigenheiten nicht notwendig eine positive Wertschätzung zum Ausdruck bringt  – dass er schlicht durch die Anerkennung der Bedeutsamkeit motiviert ist, die diejenigen empfinden, die diese Kulturen verkörpern. Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass ein gesetzlicher Schutz tatsächlich eine positive Wertschätzung derjenigen zum Ausdruck bringt, deren Ansichten die Legislative widerspiegelt – in einer Demo-



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kratie standardmäßig die der Mehrheit −, doch er kann genauso gut Ausdruck bloßer Toleranz sein. Das Entscheidende hierbei ist, dass bloße Toleranz eigentlich eine negative Evaluation impliziert: Positiv evaluierte Entitäten sind nichts, das toleriert werden müsste.10 Das Gleiche gilt für horizontale Anerkennung* im Sinne der Nicht-Verletzung der Rechte kultureller oder anderer Identitäts-Gruppen durch die Mehrheit: Diese ist keineswegs notwendig auch ein Anzeichen für genuine intersubjektive Anerkennung. Nur so viel scheint klar zu sein: Wenn etwas durch die staatliche Gesetzgebung geschützt ist, kann es zumindest nicht als so schlecht beurteilt werden, dass es von denen, auf deren Autorität der Staat beruht, für intolerabel gehalten würde. Da der gesetzliche Schutz bzw. die „rechtliche Anerkennung“ einer Kultur kompatibel mit einer negativen evaluativen Beurteilung dieser Kultur ist, trägt er aber nicht notwendig viel aus, wenn es darum geht, denen, die eine bestimmte Kultur für ihre Identität als bedeutsam ansehen, Anerkennung im Sinne der positiven Evaluation zu garantieren. Das Bedürfnis nach Anerkennung in diesem Sinne scheint nur von der zweiten Strömung der Politik der Differenz direkt und unzweideutig adressiert zu werden, die die Evaluation von Kulturen und kulturellen Eigenheiten ausdrücklich thematisiert.

Anerkennung von Individuen, Gruppen und Kulturen Hiermit werden wir jedoch auf eine Reihe komplexerer Fragen verwiesen. Wenn wir mit Taylor annehmen, dass ein zentrales Element der Bedeutsamkeit von Anerkennung in ihrer Wirkung auf (a) die Selbstidentität von Individuen besteht, dann müssen wir fragen, wie genau die „Anerkennung“ von (b) Gruppen und (c) Kulturen damit zusammenhängt, diese beeinflusst oder ihr förderlich ist. Um diese Zusammenhänge zu klären, müssen wir das komplexe Zusammenspiel von Identifikation und Anerkennung klären − Phänomene, die in englisch-sprachigen Debatten aufgrund der Mehrdeutigkeit des englischen Wortes „recognition“ leicht miteinander vermischt werden. In Abschnitt 2.1. unterschied ich zwischen der numerischen Identifikation von etwas als demjenigen Individuum, das es ist, der qualitativen Identifikation von etwas, als demjenigen, dem eine bestimmte Qualität bzw. bestimmte Qualitäten zukommen und der generischen Identifikation von etwas als einer bestimmten Klasse oder einer bestimmten Art zugehörig. Diese epistemischen Operationen können im Prinzip auf jedes Objekt angewandt werden, einschließlich Menschen bzw. Personen. Die Identifikation von Personen stellt allerdings einen besonderen Fall dar, weil Personen in diesem Fall nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der Identifikation – ihre Selbst-Identifikation einbegriffen – sind.

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Mehr als um die numerische Identifikation und Selbst-Identifikation einer Person als ein und dasselbe Individuum11 geht es hier aber primär um qualitative und generische Identifikation sowie um Selbst-Identifikation. Der Unterschied zwischen qualitativer und generischer Identifikation wird traditionell so gezogen, dass qualitative Identifikation sich auf akzidentelle Eigenschaften bezieht, also auf Eigenschaften, die eine Entität verlieren und dennoch dieselbe Entität bleiben kann, während generische Identifikation sich auf wesentliche Eigenschaften bezieht, deren Verlust oder Veränderung bedeutet, dass das fragliche Individuum zu existieren aufhört oder zu einem anderen Individuum wird. Ein Beispiel für eine akzidentelle Qualität ist etwa lockiges Haar zu haben, während ein Beispiel für eine wesentliche Qualität etwa die Qualität ist, ein Mensch oder eine Person zu sein (bzw. jede andere Qualität, kraft welcher man Mensch oder Person ist). In den meisten Fällen, die für die „Politik der Identität“ oder der „Differenz“ relevant sind, geht es jedoch nicht zentral um eine Entweder-Oder-Unterscheidung von qualitativer und generischer Identifikation und damit zwischen akzidentellen und wesentlichen Eigenschaften – wobei Letztere definieren, „was“ die infrage stehende Entität ist. Vielmehr geht es um Qualitäten, die Andere oder die Person selbst als mehr oder weniger wichtig dafür erachten, „wer“ sie ist. (Indem man in Bezug auf etwas fragt, „wer“ es ist, ist die Frage nach seiner „Was“-heit implizit mitbeantwortet: Es ist eine Person und damit jemand.) Darin ist ein Kontinuum von mehr zu weniger wichtigen Qualitäten enthalten. Etwas umgangssprachlicher können wir auch sagen, dass je näher eine Qualität dem ersten Ende des Kontinuums kommt, desto mehr „definiert“ sie die Person bzw. Personen. Zwei oder mehr Personen können natürlich eine unbegrenzte Anzahl von Qualitäten teilen und damit Kriterien, anhand welcher sie im Prinzip als ähnlich oder qualitativ identisch angesehen werden können. Sie bilden auf diese Weise eine Gruppe, die durch die jeweils gegebene Qualität definiert ist. Doch werden einige solcher Ähnlichkeiten als vollkommen unwichtig angesehen (werden) und die korrespondierenden „Gruppenbildungen“ deshalb auch als gänzlich trivial (bspw. die Gruppe der Leute mit kürzlich geschnittenen Zehennägeln). Andere Ähnlichkeiten werden hingegen als wichtiger erachtet. Aus Sicht einer dialogischen Auffassung der Konstitution von Identität ist das Zusammenspiel, die wechselseitige Beeinflussung und die Spannung zwischen Selbst- und Fremdidentifikationen (also Identifikationen durch Andere) ein zentrales Thema. Die „Anderen“ können sowohl diejenigen sein, die das relevante Merkmal teilen (oder meinen dies zu tun) als auch diejenigen, die es nicht teilen (oder glauben, es nicht zu teilen). Die eigene Auffassung davon, was wichtige oder das eigene Selbst kennzeichnende Aspekte sind, kann durch beide Arten der „Fremd-Identifikation“ beeinflusst sein oder mit diesen in einem Spannungsverhältnis stehen.



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Wie wichtig es bspw. ist, französischsprachig oder homosexuell oder eine Person mit einheimischen Ursprüngen zu sein und wie wichtig es demzufolge für einen selbst ist, diese Merkmale mit Anderen zu teilen, kann in signifikanter Weise von der Relevanz abweichen, die Andere darin sehen – egal, ob auch sie diese Merkmale teilen oder nicht. Mit anderen Worten: Die Rolle bzw. Wichtigkeit, die bestimmten Merkmale für einen selbst und daher für die eigene Identität zukommt, kann sich signifikant von der Einschätzung der eigenen Identität durch Andere unterscheiden. Eine Weise, einer Person Gewalt anzutun, besteht offensichtlich darin, ihr Selbstdefinitionen aufzuzwingen und sie im Lichte solcher Bestimmungen zu behandeln, die sie selbst vernünftigerweise nicht teilen kann. Allgemeiner gesagt: Man kann einer Person dadurch Gewalt antun, dass man ihre Selbstbestimmungen nicht ernst nimmt. Jemand könnte es schlichtweg für nicht besonders wichtig halten, dass er französischsprachig, schwul oder jemand mit einem einheimischen Ursprung ist und es als unangenehm und kränkend empfinden, wenn Andere ihn vornehmlich im Lichte dieser Qualität betrachten und ihn zusammen mit Anderen, die dieses Merkmal auch besitzen, in dieselbe Gruppe „einsortieren“. Diese Überlegungen verhalten sich als solche, das gilt es zu beachten, jedoch vollständig neutral zu der Frage, ob eine bestimmte Qualität positiv oder negativ bewertet wird. Selbst im allgemeinen positiv ausfallende Evaluationen, etwa in Bezug auf eine ethnisch definierte Gruppe, könnten von einem Individuum mit der relevanten ethnischen Herkunft als bedrückend empfunden werden, wenn sie von anderen nicht primär in diesem Licht gesehen zu werden wünscht. Es lassen sich daher zwei kritische Punkte gegenüber der ungeklärten Verbindung zwischen der Anerkennung von Individuen und der Anerkennung von Gruppen bei Taylor erheben: Erstens ist es möglich, dass Anerkennung im Sinne der positiven Wertschätzung einer Gruppe von Menschen für die Selbstidentität einer Person selbst nicht besonders entscheidend ist, wenn sie das Merkmal, das sie mit den anderen in der Gruppe teilt, als nicht wichtig oder ausschlaggebend dafür ansieht, wer sie ist. Zweitens kann es sein, dass Anerkennung im Sinne der positiven Wertschätzung einer Gruppe in Wahrheit einen Mangel an Anerkennung im Sinne des Respekts gegenüber Individuen darstellt, da deren eigene Selbsteinschätzungen nicht ernst genommen werden und damit die individuelle Autorität, ihre eigene Identität zu bestimmten, nicht respektiert wird.12 Je nach gesetzlich ergriffener Maßnahme kann das Problem im Rahmen rechtlicher Anerkennung noch schlimmer ausfallen: Der gesetzliche Schutz einer ethnischen Gruppen kann auf die Unterdrückung oder Geringschätzung bestimmter Individuen hinauslaufen, wenn eine Regel auf alle Individuen mit einem ethnischen Hintergrund

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angewandt wird, ganz unabhängig davon, für wie bedeutsam sie diesen für die Frage ansehen, wer sie sind. Auch wenn Maßnahmen positiver Diskriminierung hilfreich sein können, um Minderheitengruppen in den Arbeitsmarkt zu inte­ grieren, mag das jeweilige Individuum selbst nicht wegen seines ethnischen Hintergrunds, sondern wegen seiner persönlichen Fähigkeiten angestellt werden wollen. Und auch wenn es aus Sicht des dauerhaften Bestands einer Sprache und der engen Verbindung einer Kultur mit dieser Sprache nützlich sein mag, gesetzlich zu regeln, dass alle Kinder von Muttersprachlern in der Schule die Sprache ihrer Vorfahren lernen, kann dies für einige Kinder und ihre Eltern auch eine Einschränkung bedeutsamer Optionen der Selbstentfaltung und damit eine Geringschätzung ihrer Autorität darstellen, ihre Identität selbst zu definieren. Dieser Problemaufriss wird selbstverständlich noch durch den Gedanken verkompliziert, dass die Art und Weise, wie man sich selbst wahrnimmt und beurteilt immer auch auf irgendeine Art dadurch beeinflusst ist, wie Andere einen wahrnehmen und beurteilen. Das heißt, dass selbst der Standpunkt, von dem aus man gegen etwas Widerstand leistet oder die Evaluationen Anderer kritisiert, niemals einen gänzlich souveränen Bereich darstellt, der vollkommen isoliert von sozialen Einflüssen wäre. Andererseits gilt, dass auch die Einschätzung meiner Identität durch Andere von meinen Selbsteinschätzungen und wie diese sich in meinen Handlungen und Kommunikationen zeigen, nicht gänzlich unabhängig sein muss. Taylors Vorstellung, dass Identität – sowohl als Selbstidentität wie auch als Identität in den Augen Anderer – dialogisch verfasst ist, kann auch als ein Ideal verstanden werden: Wie Andere eine Person bestimmen, sollte ihrer Selbstwahrnehmung und Selbstbestimmung angemessen sein und umgekehrt. Wir haben nun feststellen können, dass (b) die „Anerkennung einer Gruppe“ sich keineswegs automatisch in (a) die Anerkennung von Individuen übersetzen lässt, in dem Sinne, dass sie positive Bedeutung für deren Selbstverständnis hätte. Wie aber verhält es sich mit (c) der „Anerkennung“ einer Kultur bzw. ihrer Praxen und Weltanschauung? Auch hierbei hängt viel davon ab, in welchem Maße ein Individuum die fraglichen Praxen und Weltanschauungen für ihre eigene Identität als wichtig erachtet. Die vielleicht größte Kränkung in diesem Zusammenhang besteht darin, einfach anzunehmen, dass Individuen mit einem bestimmten kulturellen Hintergrund durch ihre Kultur „definiert“ sind, in dem Sinne, dass sie unreflektiert den Praxen folgten und in die Weltanschauungen versunken wären, die man als charakteristisch für diese Kultur ansieht. Wie wir in Abschnitt 5.2. sehen werden, gehört dies zu den Problemen, die Nancy Fraser bei Taylor und in ihren Augen vergleichbaren Ansätzen von Anerkennung gefunden zu haben meint.



5.1 Charles Taylors „Politik der Anerkennung“ 

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Der Schwerpunkt liegt auf der Identität der Objekte der Anerkennung, weniger auf dem Personsein der anerkennenden Subjekte Ich möchte die Diskussion von Taylors Konzeption damit abschließen, dass ich das Augenmerk auf zwei wichtige Aspekte lenke, durch die sich Taylors Ansatz von Hegels und Fichtes unterscheidet. Erstens ist deutlich geworden, dass Anerkennung in Fichtes und Hegels Fassung in erster Linie das „Was“ einer Person betrifft – ihr Personsein im allgemeinen −, während es bei Taylor zum Teil auch um die qualitativ bestimmten Identitäten von Personen − also die Frage „Wer“ sie sind – geht.13 Einerseits bedeutet dies, dass die ontologische Gesamtbedeutung von Anerkennung, wie wir sie bei Fichte und Hegel finden, − also die Weise, in der Anerkennung konstitutiv fürs Personsein ist – in Taylors Aufsatz nicht direkt thematisiert wird. Auf der anderen Seite führt Taylor eine nützliche Ergänzung zum Gesamtbild der vielfältigen Bedeutsamkeit von Anerkennung für Personen und ihre Lebensform ein.14 Darüber hinaus gilt, dass obwohl die qualitativen Merkmale, die Personen individuell oder kollektiv von anderen Personen unterscheiden, als solche nicht wesentlich für ihr Personsein sind (Menschen sind ungeachtet ihrer qualitativ verschiedenen „Identitäten“ Personen), die Anerkennung dieser Merkmale, bzw. ihr Fehlen, aber trotzdem kausal relevant sein kann für die Entwicklung Personsein-stiftender Fähigkeiten und Eigenschaften der Anerkannten. Im schlimmsten Fall können Verletzungen des qualitativen Selbstverständnisses, die durch das Fehlen von Anerkennung durch relevante Andere verursacht sind, sogar die Entwicklung oder Ausübung Personsein-stiftender psychologischer Fähigkeiten schädigen. Fehlt jemandem aufgrund geringen Selbstwertgefühls die Fähigkeit oder der Mut, sich in der sozialen Interaktion auf eine Weise zu präsentieren, die Andere dazu anregt, ihn als Ko-Autorität und damit auch als Person im intersubjektiven Sinne anzuerkennen, dann kann dies die Chancen der Ausübung und dadurch auch der Entwicklung der entsprechenden Fähigkeiten vermindern. Ich werde auf diese Themen zurückkommen, wenn ich Axel Honneths Auffassung von Anerkennung diskutiere. Zweitens konzentriert sich Taylor − anders als Fichte und Hegel − fast ausschließlich auf die Wirkung, die Anerkennung auf die Objekte der Anerkennung hat, und sagt relativ wenig über die Wirkung auf die anerkennenden Subjekte. Dieser Fokus auf die Objekte und der damit verbundene Mangel an Aufmerksamkeit für die anerkennenden Subjekte sind relativ typisch für die gegenwärtig stattfindenden Diskussionen über Anerkennung in der Politischen und Sozialphilosophie. Am nächsten kommt Taylor einer Thematisierung der konstitutiven Bedeutsamkeit von Anerkennung für das anerkennende Subjekt im Rahmen seiner Diskussion der „Horizontverschmelzung“: Ein Teil der Wirkung von Anerkennung besteht dort darin, dass sie den Horizont des Anerkennenden mit dem

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des Anerkannten vermittelt. Man kann dies als eine Reformulierung von Hegels Gedanken ansehen, dass Anerkennung den vor der Anerkennung bestehenden Solipsismus bzw. Egoismus des Anerkennenden überwindet. Obwohl Taylor dies nicht explizit im Rahmen der ontologischen Ebene seines Aufsatzes diskutiert, stellt sein Argument eine fruchtbare Anwendung dieses Gedankens dar: Die „Verschmelzung“ bzw. die wechselseitige Vermittlung von Perspektiven muss auch in den interkollektiven und interkulturellen Verhältnissen beständig „am Laufen gehalten“ werden, sollen diese durch unausgesöhnte Differenzen und drohende Konflikte nicht übermäßig belastet werden.

5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung Nancy Fraser ist eine weitere zentrale Autorin, die sich in der letzten Zeit mit der besonderen politischen Anstrengung der „Politik der Anerkennung“ auseinandergesetzt hat. Ihr Zugang zu dem Thema unterscheidet sich allerdings in signifikanter Weise von dem Taylors und stellt in großen Teilen eine Kritik seines und (in Frasers Augen) ähnlicher Ansätze der Politik der Anerkennung dar. Fraser betrachtet das gesamte Thema aus einer ganz anderen Perspektive und gibt dem einschlägigen Begriff Bedeutungen, die in vielerlei Weise von dem abweichen, was wir bei Fichte, bei Hegel und auch bei Taylor kennengelernt haben. Fraser hat ihre Kritik an Taylor und anderen sowie ihre Alternativkonzeption von Anerkennung und deren Bedeutung für die Politik der Gegenwart in einer Reihe von Aufsätzen und Büchern vorgelegt, einschließlich ihrer „Tanner Vorlesungen“ an der Universität Stanford im Jahre 1996 (Fraser 1998), und sie hat zusammen mit Axel Honneth ein Buch verfasst, in dem beide versuchen, ihre Position durch die kontrastierende Bezugnahme auf die Position des Anderen zu formulieren (Fraser & Honneth 2003). Fraser kritisiert in diesen Texten eine Überbetonung des Themas der „Identität“ in der gegenwärtigen politischen Debatte sowie in Theorien der Anerkennung  – im zuletzt genannten Werk zielt ihre Kritik insbesondere auf Honneths Ansatz. Indem sie die an „Identität“ und „Selbstverwirklichung“ orientierten Modelle von Anerkennung kritisiert, die sie bei Taylor und Honneth findet, bringt Fraser als ihre eigene Alternative das „Statusmodell“ der Anerkennung in die Diskussion ein, das als ein Rahmen dienen soll, innerhalb dessen Probleme der Anerkennung sowohl von politischen Akteuren als auch von Theoretikern verstanden werden sollen.15



5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung 

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5.2.1 Frasers Kritik des „Identitäts-“ und „Selbstverwirklichungsmodells“ der Anerkennung Was meint Fraser mit der Rede vom „Identitätsmodell“? Es lohnt sich, ihre Rekonstruktion der dem Identitätsmodell zugrundeliegenden Leitidee ausführlicher zu zitieren: Die Annäherung an die Politik der Anerkennung  – ich werde dies als „Identitätsmodell“ bezeichnen  – geht gewöhnlich von der Hegel’schen Vorstellung aus, dass Identität dialogisch verfasst ist und durch einen Prozess der wechselseitigen Anerkennung etabliert wird. Nach Hegel bezeichnet Anerkennung eine ideale wechselseitige Beziehung zwischen Subjekten, durch die jedes den Anderen sowohl als Gleichen wie auch als Selbständigen begreift. Dieses Verhältnis ist konstitutiv für Subjektivität: zum Individuum wird man nur dadurch, dass man ein anderes Subjekt anerkennt und von diesem anerkannt wird. Die Anerkennung durch Andere ist somit wesentlich für die Entwicklung der Selbstwahrnehmung. Die Verweigerung von Anerkennung  – bzw. mangelnde Anerkennung  – bedeutet sowohl eine Verzerrung des eigenen Selbstverhältnisses als auch eine Verletzung der Identität. (Übersetzt nach Fraser 2000, 109)

Fraser zufolge übertragen die Befürworter des Identitätsmodells der Anerkennung dieses „Hegel’sche Anerkennungsschema auf den kulturellen und politischen Kontext“ und vertreten die Vorstellung, dass „die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die eine Abwertung bzw. mangelnde Anerkennung erfährt, dem Erleiden einer Verzerrung des Selbstbildes gleichkommt“ (übersetzt nach Fraser, ebd.). Bevor ich mich der näheren Klärung von Frasers Kritik und ihrem alternativen „Statusmodell“ von Anerkennung zuwende, ist es angebracht, ihre Rekonstruktion „der Hegel’schen Vorstellung“ von Anerkennung näher zu betrachten. Anders als Taylor, der, wie wir gesehen haben, recht vorsichtig ist, die Vorstellung der intersubjektiven bzw. anerkennungsbezogenen Verfasstheit von Identität nicht allzu sehr mit Hegel in Verbindung zu bringen,16 schreibt Fraser die Vorstellung, dass „Identität dialogisch verfasst ist“ dem Ursprung nach Hegel zu. Darüber hinaus identifiziert sie diese Vorstellung mehr oder weniger mit dem Gedanken, dass die Beziehung der Anerkennung „konstitutiv für Subjektivität“ ist und dass Verweigerungen von Anerkennung das eigene „Selbstverhältnis“ (Kursivierung H.I.) verzerren. Dieses Hin- und Hergleiten zwischen Begriffe wie „Identität“, „Subjektivität“ und „dem Selbst“ bzw. „Selbstverhältnis“ ist recht typisch für viele der gegenwärtigen Texte zum Thema Anerkennung, und für viele Erkenntniszwecke ist ein solcher Mangel an begrifflicher Präzision auch nicht allzu folgenreich. Folgenreich ist er allerdings, wenn man sich dafür interessiert, worin genau die konstitutive Rolle von Anerkennung (in ihren unterschiedlichen Bedeutungen) besteht oder was genau sie nach Hegel ausmacht. Ich gehe an dieser Stelle nicht auf solche Probleme ein. Unabhängig von der Frage, ob Frasers Kritik am Identi-

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tätsmodell der Anerkennung stimmig ist oder nicht, genügt es hier zu sagen, dass ihre Anwendbarkeit auf Hegel fragwürdig ist. Für Frasers eigene Zwecke sind Fragen einer angemessenen Hegeldeutung wie auch systematische Fragen, die die Ontologie des Personseins betreffen, allerdings bestenfalls von marginalem Interesse. Sie interessiert sich hauptsächlich für „Anerkennung“ als eine Dimension von sozialer Gerechtigkeit und damit als etwas, das in Bezug auf Forderungen und Kämpfe für Gerechtigkeit im politischen Raum relevant ist. Fraser stellt die allgemeine Beobachtung auf, dass Forderungen und Kämpfe um ökonomische Gerechtigkeit im Sinne der materialen Umverteilung seit den 70er Jahren zunehmend in „kulturelle“ Kämpfe übergegangen sind, bei denen es um die „Anerkennung“ der unterschiedlichsten Minderheitengruppen geht, seien diese durch die Sexualität, das Geschlecht oder die ethnische Herkunft bestimmt.17 Dies hat zu einer neuen „Grammatik politscher Forderungen“ (übersetzt nach Fraser 2000, 108) geführt, deren Konsequenzen zum Teil höchst problematisch sind. Erstens wurden ökonomische Verteilungsfragen größtenteils an den Rand der politischen Diskussion gedrängt. Denn der marxistische „Ökonomismus“ wurde durch einen „Kulturalismus“ ersetzt, der Ungerechtigkeit im öffentlichen Diskurs und kulturellen Raum überwiegend, wenn nicht ausschließlich im Sinne der „erniedrigenden Repräsentation“ der verschiedensten Gruppen begreift. Soziale und ökonomische Strukturen sind qua ihrer Verbindung mit Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit größtenteils ins Vergessen geraten – und all dies geschah genau in der Zeit, in der ein sich aggressiv ausdehnender Kapitalismus immer drastischere ökonomische Ungleichheiten produziert hat (übersetzt nach Fraser, ebd., 110 – 111). Das zweite Problem, das aus dem Fokus auf die Anerkennung von Identitäten folgte, ist eines, das ich bereits in meiner Auseinandersetzung mit Taylor erwähnt habe: Forderungen nach Anerkennung von Gruppenidentitäten tendieren dazu, Druck auf Individuen auszuüben, sich der jeweiligen Gruppenkultur anzupassen und schrecken vor gruppenwidrigem Verhalten wie auch vor Versuchen der individuellen Selbstbestimmung der eigenen Identität unabhängig von der Gruppe ab; sie tendieren dazu, Gruppenidentitäten zu vereinfachen und zu „verdinglichen“ und ermuntern zu „Konformismus, Intoleranz und Patriarchalismus“ wie auch zu „Separatismus und Enklavenbildung“ (übersetzt nach Fraser, ebd., 112 – 113). Fraser schreibt sowohl Taylor als auch Honneth eine theoretisch elaborierte Form des Identitätsmodells zu, die sie selbst als „Selbstverwirklichungsmodell“ bezeichnet. Diesem Modell zufolge besteht das Unrecht mangelnder bzw. fehlender Anerkennung darin, dass sie zu einer „beeinträchtigte[n] Subjektivität und beschädigte[n] Selbstidentität“ des Objekts der Anerkennung führen kann, seine psychische Fähigkeit zur vollständigen Selbstverwirklichung beeinträchtigt und



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auf diese Weise die Fähigkeit, ein „gutes Leben“ zu führen (Fraser & Honneth 2003, 44f.). Das erste Problem, das Fraser in Bezug auf dieses Modell diagnostiziert, ist sein Rückgriff auf das Konzept des guten Lebens. Sie vertritt die liberale Auffassung, dass jede Bezugnahme auf die Idee des guten Lebens unter modernen und postmodernen politischen Bedingungen, die durch eine Pluralität von Vorstellungen des Guten bzw. des guten Lebens gekennzeichnet sind, fragwürdig ist: Unter diesen Bedingungen gibt es weder eine Konzeption der Selbstverwirklichung oder des guten Lebens, die von allen geteilt werden müsste, noch eine solche, die als maßgeblich veranschlagt werden könnte. Daher entpuppt sich jeder Versuch, die Forderungen nach Anerkennung dadurch zu rechtfertigen, dass man sich auf eine bestimmte Weise der Selbstverwirklichung oder des guten Lebens beruft, als sektiererisch. Für diejenigen, die die dabei theoretisch vorausgesetzte Konzeption des Ethischen nicht teilen, kann kein derartiges Verfahren derlei Forderungen verbindlich festsetzen. (Ebd. 46 – 7)

Fraser greift hier wahrscheinlich eher Honneth als Taylor an. Ich werde auf ihre generelle Behauptung, der zufolge jeder Versuch, sich im Rahmen einer Anerkennungstheorie auf eine Konzeption der Selbstverwirklichung oder des guten Lebens zu beziehen, notwendig sektiererisch ist, noch zurückkommen, wenn ich Honneths Ansatz diskutiere. An dieser Stelle ist es hinreichend, zu bemerken, dass ihre Skepsis gegenüber jeder inhaltlichen Annahme über das gute Leben in der politischen Theorie damit zusammenhängt, dass sie sich einem „liberalen“ Zugang „Kantischer“ Provenienz verschrieben hat – im Gegensatz zu einem kommunitaristischen Zugang „Hegel’scher“ Provenienz, den sie Taylor und Honneth zuschreibt. Während die zuerst genannte Position die Auffassung vertritt, dass der Staat sich neutral gegenüber unterschiedlichen Konzeptionen des guten Lebens zu verhalten hat, besteht der zuletzt genannte Standpunkt, wie Fraser ihn versteht, auf der Gültigkeit der Annahme, dass jede politische Gemeinschaft auf eine geteilte Vorstellung vom guten Leben angewiesen ist. Für Fraser besteht ein hiermit eng verwandtes Problem des Selbstverwirklichungsmodells in seinem „Psychologismus“. Einerseits mache das Modell „alles nur noch schlimmer“ („[it] add[s] insult to injury“), indem es das Augenmerk auf die „Deformierungen (…), die das Selbstbewußtsein der Unterdrückten erleidet“ (ebd., 47) lege und damit nur einen kleinen Schritt davon entfernt sei, den Opfern selbst die Schuld für ihre Unterdrückung und die fehlende Anerkennung zuzuschreiben. Dabei ist nicht ganz klar, warum genau der Fokus auf die psychischen Schäden der Opfer durch mangelnde oder falsche Anerkennung dazu führen sollte, dass sie selbst dafür angeklagt werden. Möglicherweise meint Fraser aufgrund der Annahme des Identitäts- bzw. Selbstverwirklichungsmodell, der zufolge die Identität des Selbst und die Selbstverständnisse im Dialog mit den

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Ansichten Anderer konstituiert werden, dass das Subjekt zum Teil auch selbst Verantwortung für die Resultate zu tragen hat. Fraser scheint, wie auch immer dies im Einzelnen begründet ist, davon auszugehen, dass es problematisch ist, zu tief in die Psychologie des nicht anerkannten Objekts einzudringen. Andererseits dringt das Selbstverwirklichungsmodell ihrer Meinung nach aber auch zu tief in die psychologische Verfasstheit der Subjekte der Unterdrückung und fehlenden Anerkennung ein. So schreibt sie: „wenn mangelnde Anerkennung mit Voreingenommenheit vonseiten der Unterdrücker gleichgesetzt wird, scheint es zu ihrer Überwindung nötig zu sein, deren Überzeugungen zu überwachen – was seinerseits autoritär und wenig liberal wäre“ (ebd., 48). Drittens geht das Selbstverwirklichungsmodell nach Frasers Auffassung mit der absurden Implikation einher, dass Gerechtigkeit es erfordere, „daß moralisch gesehen jedermann einen Anspruch darauf erheben kann, gesellschaftliche Achtung zu genießen“ (ebd., 49), weil es bei sozialer Gerechtigkeit wesentlich um Formen der Anerkennung geht, die die psychischen Fähigkeiten des Objekts erhalten, die es für seine Selbstverwirklichung und damit für sein gutes Leben braucht. Überraschenderweise erwähnt Fraser nicht Taylors Argument für die Unmöglichkeit einer positiven Evaluation „auf Abruf“, doch sie ist, was die Absurdität dieser Idee betrifft, mit Taylor ganz offensichtlich einer Meinung. Infolgedessen trifft dieser Aspekt ihrer Kritik am „Selbstverwirklichungsmodell“ Taylor nicht. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, trifft sie auch Honneth nicht, da das Empfangen von Anerkennung in ihrer relevanten Bedeutung  – Wertschätzung in Honneths dreigliedriger Unterteilung von Formen der Anerkennung – bei Honneth abhängig von den Leistungen des Anzuerkennenden bzw. seiner Fähigkeit dazu ist und damit klarerweise kein moralisches Recht darstellt, das jedermann zukommen würde. Eine vierte ernsthafte Schwäche des Selbstverwirklichungsmodells besteht nach Fraser darin, dass dieses die Chancen, Ansprüche auf Anerkennung theoretisch und praktisch mit Ansprüchen auf die Umverteilung von Ressourcen und Wohlstand zusammenzuschließen, schmälert. Der Grund hierfür ist der, dass das Selbstverwirklichungsmodell Anerkennung als eine ethische Frage des guten Lebens auffasst, was sie inkommensurabel mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit macht, die neutral gegenüber den unterschiedlichen Vorstellungen vom guten Leben sein sollen (ebd., 33).

5.2.2 Frasers Statusmodell Was aber sind nun die Hauptbestandteile von Frasers eigenem „Statusmodell“ der Anerkennung? Die zentrale Idee Frasers besteht darin, Anerkennung nicht



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psychologisch, sondern im Sinne des „Status“ zu beschreiben. Dies bedeutet nicht, dass Fraser notwendigerweise die psychologische Bedeutsamkeit von Anerkennung verneinen würde. Ihrer Ansicht nach ist dies vielmehr nicht das, worauf eine politisch nützliche Konzeption der Anerkennung sich konzentrieren sollte. Fraser schlägt vor, dass man Forderungen nach Anerkennung am besten als Forderungen nach Gerechtigkeit rekonstruiert und dass man sich eine gerechte Ordnung am besten als eine solche vorstellt, in der jedem der Status eines „vollwertigen Partners in der sozialen Interaktion“ (ebd., 44) zukommt sowie die Fähigkeit, „ebenbürtig“ (ebd., 46) an den unterschiedlichen Bereichen des sozialen Lebens zu partizipieren. Innerhalb ihres Ansatzes müssen zwei eng miteinander zusammenhängende Bedingungen erfüllt sein, damit jedem ein solcher Status und damit auch die Fähigkeit zu einer ebenbürtigen Partizipation, zukommen. Die erste ist eine „objektive Bedingung“. Sie beinhaltet, dass die Verteilung von materiellen Ressourcen sicherstellen muss, dass alle Teilnehmer hinreichend unabhängig sind. Diese Bedingung schließt soziale Arrangements aus, die „Verelendung, Ausbeutung und schwerwiegende Ungleichheiten in Sachen Wohlstand, Einkommen und Freizeit institutionalisieren“ und damit einigen Menschen die Mittel verweigern, mit Anderen im sozialen Raum als Ebenbürtige zu interagieren (ebd., 55). Zweitens gehört zur Gerechtigkeit auch eine von Fraser so genannte „intersubjektive Bedingung“. Danach ist es erforderlich, wie sie schreibt, „daß institutionalisierte kulturelle Wertmuster allen Partizipierenden den gleichen Respekt erweisen und Chancengleichheit beim Erwerb gesellschaftlicher Achtung gewährleisten“. Ausgeschlossen werden auf diese Weise „institutionalisierte Wertschemata (…), die einige Leuten den Status eines vollberechtigten Partners in der Interaktion vorenthalten – sei es, indem ihnen in übertriebenem Maße eine „Andersartigkeit“ zugeschrieben wird, sei es, indem man es versäumt, ihnen ihre Besonderheit zuzubilligen“ (ebd.). Während Forderungen nach „Umverteilung“ beinhalten, dass die objektive Bedingung erfüllt wird, verlangt die Verfasstheit von Forderungen nach „Anerkennung“ die Erfüllung der intersubjektiven Bedingung. Gerechtigkeit als partizipatorische Gleichheit erfordert insgesamt die Erfüllung beider Bedingungen und die Betonung hiervon stellt Frasers Versuch dar, die Diskurse und Forderungen nach Umverteilung und Anerkennung miteinander zu verknüpfen. Dieser Ansatz erfordert keine psychologischen Komplexitäten, er impliziert nicht die problematische Anforderung der gleichen Wertschätzung für jeden und es wird keine Haltung bezüglich des Inhalts des guten Lebens eingenommen. Dem Statusmodell der Anerkennung gemäß bedeutet „anerkannt“ zu sein schlicht, dass einer der beiden Aspekte gegeben ist, der dafür erforderlich ist, den Status eines vollständig Ebenbürtigen im sozialen Leben und der Interaktion zu besitzen. Frasers Anspruch ist es, mit diesem Modell sowohl eine

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bessere theoretische Fassung realer Kämpfe um Gerechtigkeit zu bieten als auch dem Selbstverständnis und damit den Praxen der politischen Akteure dienlicher zu sein als das Identitäts- bzw. Selbstverwirklichungsmodell es vermögen. Fraser vertritt im Weiteren die Auffassung, dass jeder gegenwärtige Kampf um Gerechtigkeit implizit oder explizit sowohl Ansprüche auf Umverteilung als auch auf Anerkennung enthält und daher entsprechend analysiert werden kann und dass nahezu jeder Anspruch für das eine auch Implikationen bezüglich des anderen hat. Einerseits können „institutionalisierte Wertmuster“, in deren Licht einige partikuläre Merkmale, − wie zum Beispiel eine bestimmte sexuelle Orientierung oder ethnische Herkunft – eine negative Wertschätzung erfahren, wodurch den Trägern dieser Merkmal ein gleicher Respekt bzw. eine gleiche Wertschätzung vorenthalten wird, negative Auswirkungen auf das Ansehen solcher Menschen auf dem Arbeitsmarkt haben und damit auch auf ihren materiellen Wohlstand. Andererseits übersetzt sich relative materielle Armut in der Regel in einen geringeren Respekt und geringere Wertschätzung für die, die davon betroffen sind. Ein weiterer Aspekt dieses Ineinandergreifens von Anerkennung und Umverteilungsfragen besteht darin, dass Versuche, Ungerechtigkeiten innerhalb der einen Dimension zu bekämpfen, manchmal größere Schwierigkeiten innerhalb der anderen Dimension nach sich ziehen. Beispielsweise können Umverteilungsmaßnahmen, mit denen beabsichtigt wird, materiell Benachteiligten zu helfen, dazu führen, dass diese Menschen als faule Trittbrettfahrer angesehen werden und ihnen in der öffentlichen Vorstellung weniger bis gar keine Wertschätzung entgegengebracht wird (ebd., 90). Darauf bestehend, dass Probleme der Anerkennung und der Umverteilung eng miteinander verflochten sind und nicht einfach sauber getrennt werden können, nennt Fraser ihre Position einen „perspektivischen Dualismus“ (ebd., 88): Soziale Gerechtigkeit aus der Perspektive von Anerkennung oder Umverteilung zu betrachten, bedeutet, dass man sich denselben Bereich von Problemen aus sich einander wechselseitig ergänzenden Perspektiven ansieht. Fraser etabliert zudem eine erhellende Unterscheidung zweier unterschiedlicher politischer Strategien zur Bekämpfung von Ungerechtigkeit und wendet diese Unterscheidung sowohl auf den Aspekt der Umverteilung als auch auf den der Anerkennung an. Während „affirmative Strategien“ darauf abzielen, „den Konsumanteil der Benachteiligten zu erhöhen, während er die zugrundeliegende Wirtschaftsstruktur intakt läßt“, wollen „transformative Strategien“ korrigierend auf „ungerechte Verteilung [einwirken] (…), indem der Rahmen, der sie hervorbringt, neu abgesteckt wird“ (ebd., 102f.). Ein klassisches Beispiel für eine affirmative Strategie innerhalb der Umverteilungsdimension ist der liberale Wohlfahrtsstaat, der versucht, materiellen Wohlstand mithilfe von Besteuerung und anderen Maßnahmen auszugleichen, während er die zugrundliegenden ökonomischen Strukturen



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intakt lässt. Im Kontrast dazu stellt der Sozialismus ein klassisches Beispiel für eine transformative Strategie in Bezug auf Umverteilung dar, da er darauf abzielt, den gesamten ökonomischen Rahmen als Ursprungsursache der ungerechten Verteilung von Ressourcen zu verändern. Innerhalb der Dimension von Anerkennung präsentiert Fraser den „Mainstream-Multikulturalismus“ (ebd., 103) als Beispiel für eine affirmative Strategie, da er das Ziel verfolgt, „ungerechterweise abgewertete Gruppenidentitäten wieder [aufzuwerten] (…), während weder der Gehalt jener Identitäten noch die ihnen zugrundeliegenden Gruppendifferenzen angetastet werden“ (ebd., 104). Anders gesagt: Innerhalb der Anerkennungsdimension fordert eine affirmative Strategie Anerkennung für Individuen mit bestimmten Merkmalen, ohne dass die Identifikation oder Gruppenzugehörigkeit der infrage stehenden Individuen sowie das fragliche Merkmal oder die fraglichen Merkmale in Frage gestellt würden. Es ist aus diesem Grunde genauer besehen die affirmative Strategie, die dazu neigt, Gruppenidentitäten zu vereinfachen bzw. zu „verdinglichen“ sowie „Konformismus, Intoleranz und Patriarchalismus“ (übersetzt nach Fraser 2000, 112) und „Separatismus und Enklavenbildung“ (übersetzt nach ebd., 113.) befördert. Transformative Strategien innerhalb der Politik der Anerkennung „destabilisieren“ bzw. stellen demgegenüber existierende Identifikationen und Gruppierungen in Frage und somit die zwischen ihnen bestehenden Differenzierungen. Solche Strategien werden überall dort gebraucht, wo die Identifikationen bzw. Unterscheidungsmerkmale selbst in irgendeiner Weise eine Be- bzw. Unterdrückung von Individuen mit sich bringen. Während Taylors Aufsatz sich hauptsächlich mit affirmativen Strategien beschäftigt, ohne die damit einhergehenden Probleme zu diskutieren, wartet Fraser mit einer deutlich differenzierteren Sichtweise für die Debatte auf: Je nach Fall mag es oft angemessener sein, eine bestimmte Zugehörigkeit oder Gruppierung zu problematisieren als die fraglichen Individuen als Träger der bestimmten Qualität oder Qualitäten „anzuerkennen“ (sei es durch die Zuschreibung von Rechten oder eine Weise der positiven Wertschätzung), wodurch die äußerliche Identifikation und Gruppierung nur weiter bestärkt wird.

5.2.3 Beobachtungen zum Modell Frasers Frasers einschlägige Schriften bieten einen Detailreichtum sowie ein vielfaltiges Arsenal an empirischen Beispielen, anhand derer sie ihre Auffassung nahebringt. Für uns am relevantesten ist allerdings die Art und Weise, wie sich die Vorstellung von Anerkennung innerhalb ihrer Behandlung verändert bzw. entwi-

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ckelt, welche für ein umfassendes Bild nützlichen Elemente sie einführt und an welchen es ihr mangelt.

Institutionen, Einstellungen und repräsentative Darstellungen Ein Unterschied, der Fraser zufolge zwischen ihrem eigenen Modell der Anerkennung und dem von Taylor und Honneth besteht, ist, dass sie Anerkennung und fehlerhafte Anerkennung nicht nur im Sinne von intersubjektiven Einstellungen begreift, sondern im Sinne eines komplexen Gefüges, das sich aus Einstellungen, sozialen Interaktionsweisen und „institutionalisierten Wertmustern“ zusammensetzen soll: Mangelnde Anerkennung bedeutet dieser Auffassung zufolge nicht allein, schlecht von jemandem zu denken, auf jemanden herabzusehen oder ihm gegenüber abwertende Einstellungen oder Überzeugungen zu besitzen. Es heißt vielmehr, dass jemandem aufgrund bestimmter institutionalisierter kultureller Wertmuster, die ihm vergleichsweise weniger Respekt und Achtung zubilligen, der Status eines vollwertigen sozialen Interaktionspartners und die ebenbürtige Partizipation am sozialen Leben versagt wird. Wenn solche Muster der Geringschätzung und Missachtung institutionalisiert werden, erschweren sie partizipatorische Gleichheit so sicher wie Verteilungsungerechtigkeiten. (Übersetzt nach Fraser 1998, 25 – 26. Betonung H.I.)

Fraser scheint in dieser Textpassage eine Art von Idealtypus zu konstruieren, in dem Einstellungen, Interaktionen sowie kulturelle Wertemuster und Institutionen derart übereinstimmend zusammenwirken, dass einige Menschen systematisch von einer vollständigen Partizipation als Ebenbürtige am Sozialleben ausgeschlossen werden. Sie scheint so etwas wie das Folgende im Sinn zu haben: 1) Die relevanten Anderen (die Mehrheit oder Menschen in Schlüsselpositionen) schließen einige (z.B. Frauen oder Menschen mit einer anderen ethnischen Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung) von einer gleichen Partizipation am sozialen Leben durch konkrete Interaktionsweisen aus (z.B. dadurch, dass sie nicht mit ihnen reden, sich nicht mit ihnen anfreunden, sie nicht zu sozialen Ereignissen einladen, sie nicht einstellen, sie nicht als Mieter akzeptieren usw.); 2) diese exkludierenden Weisen der Interaktion (bzw. der Vermeidung von Interaktion) sind motiviert bzw. gründen auf bestimmten Einstellungsgefügen, die keinerlei bzw. vergleichsweise wenig Respekt oder Wertschätzung gegenüber den fraglichen Individuen beinhalten; 3) die Einstellungsgefüge gründen in bestimmten kulturellen Wertemustern bzw. mit Werten aufgeladenen Darstellungen, in deren Licht diese Menschen als eines gleichen Respekts bzw. der gleichen Wertschätzung „unwürdig“ angesehen werden (etwa wenn Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe als weniger vernunftbegabt dargestellt werden, Frauen als



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weniger produktiv als Männer, Homosexuelle als moralisch fragwürdig usw.); 4) die Wertemuster bzw. Darstellungen schweben nicht einfach frei im diskursiven Raum, im alltäglichen Gespräch, der populären Kultur oder Kunst usw. umher, sondern sind in einer gewissen Weise institutionalisiert bzw. der institutionellen Struktur der Gesellschaft immanent. Wenn Interaktionen, Einstellungen, Wertemuster und Institutionen eine solche eng-verbundene Totalität der Exklusion bilden, können die Konsequenzen für diejenigen, die ausgeschlossen werden, in der Tat schwerwiegend sein. Frasers Art der Formulierung neigt allerdings dazu, Fälle, in denen nicht alle diese Elemente nahtlos ineinandergreifen, Menschen jedoch nichtsdestoweniger von einer gleichberechtigten Partizipation ausgeschlossen werden, herunterzuspielen. Es kann aufgrund von Handlungen, die durch negative Einstellungen ihnen gegenüber geleitet sind, klarerweise unterschiedliche Grade der Exklusion von Individuen bzw. Gruppen aus dem sozialen Leben geben, auch wenn keine Exklusion auf der Ebene der Institutionen vorliegt  – zumindest wenn man mit „Institutionen“ die expliziten bzw. formalisierten Regeln, Normen und Gesetze einer Gesellschaft meint. (Ich werde in Kürze auf die Frage zurückkommen, wie Institutionen bei Fraser zu interpretieren sind.) Gesetze und Grade können vollständig „blind“ gegenüber „Differenzen“ sein, etwa gegenüber der ethnischen Herkunft oder sexuellen Orientierung und sie können sogar Maßnahmen der positiven Diskriminierung einer bestimmten Gruppe verordnen, während weitverbreitete negative Einstellungen gegenüber den Individuen dieser Gruppe ihnen nichtsdestoweniger gleichberechtigte Partizipation in den unterschiedlichsten Sphären des Soziallebens versagen. Was auch immer die Gesetze beinhalten, die Mehrheit bzw. die dominierende Gruppe mag Menschen mit einer bestimmten ethnischen Herkunft oder sexuellen Orientierung in überwiegend negativem Lichte sehen und mit ihnen entsprechend umgehen: Sie sind in der konkreten Interaktion schlicht nicht willkommen und haben auf diese Weise keinen gleichen Zugang und Rang innerhalb der unterschiedlichen Sphären des Soziallebens. Im Sinne des „Status“-Modells formuliert haben diese Individuen zwar einen gleichen (oder vielleicht sogar erhöhten) institutionellen Status, doch sie besitzen in den Augen ihrer potentiellen Interaktionspartner aus der Gruppe der Mehrheit keinen gleichen intersubjektiven Status. Die Gefahr, die mit Frasers Sorge um eine Psychologisierung und ihrer konsequenten Neigung, eine unabhängige Bedeutsamkeit von Einstellungen herunterzuspielen, einhergehen könnte, besteht darin, dass solche alltäglichen nicht-institutionellen Formen der Exklusion  – etwa Sexismus oder Rassismus in Alltagsinteraktionen und Einstellungen – vollständig aus dem Katalog sozialer Schädigungen verschwinden. Auch wenn diese in der Tat schwierig direkt durch institutionelle Veränderungen zu adressieren sind,

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ist dies sicherlich nicht Grund genug, sie als soziale Probleme nicht mehr ernst zu nehmen.18 In gleicher Weise müssen auch „Wertemuster“ bzw. wertegeladene Darstellungen nicht in formalen Institutionen verkörpert sein, um schädlich oder ein Grund für das Leid derjenigen zu sein, die sie betreffen. Egal wie fair, gleichheitsbestrebt oder unterstützend die Institutionen sein mögen, vorurteilsbeladene, verhöhnende oder fremdenfeindliche Dar- bzw. Vorstellungen  – im Alltagsgespräch, der Populärkultur, der Kunst, in Radiosendungen mit Zuhörerbeteiligung, in Diskussionsforen im Internet usw.  – können beklemmend und ernie­ drigend sein und besonders bei Kindern und Jugendlichen im schlimmsten Fall psychische Schäden verursachen. Obwohl Sexismus, Rassismus, Homophobie usw. doppelt schlimme Auswirkungen haben, wenn sie institutionalisiert sind, stellen ungerechte oder stereotypische kulturelle Negativdarstellungen sicherlich ein Problem dar, dass eine Sozialkritik auch „unterhalb“ der Institutionalisierungsebene an der Basis des Alltagslebens zu kritisieren und zu analysieren in der Lage sein sollte. Immerhin ist dies der Ort, an dem die potentiell gefährlichsten und schädlichsten Formen der Exklusion bevor sie in die politischen und institutionellen Sphären eintreten in der Regel zu gären beginnen und an Kraft gewinnen.19 Aus der umgekehrten Perspektive betrachtet kann es aber auch aufgrund von Gesetzen und Institutionen Weisen der Exklusion von Individuen und Gruppen geben, sogar wenn Negativdarstellungen oder -einstellungen ihrer Interaktionspartner ihnen gegenüber fehlen. Wenn das Gesetz eine bestimmte Gruppe aus einem bestimmten Berufsfeld ausschließt, ist es wahrscheinlich, dass sie davon ausgeschlossen wird, ganz egal wie die Einstellungen ihrer Interaktionspartner beschaffen sind: denn Individuen dieser Gruppe einzustellen, würde bedeuten, gegen das Gesetz zu verstoßen. Mit anderen Worten: Menschen können aus bestimmten Bereichen des sozialen Lebens durch einen ungleichen institutionellen Status ausgeschlossen werden, auch wenn sie in den Augen ihrer Interaktionspartner einen mehr oder weniger gleichgestellten intersubjektiven Status besitzen.20 Trotz dieser Beobachtungen trifft Fraser ohne Zweifel einen zentralen Aspekt des Problems sozialer Exklusion, wenn sie es im Sinne der Verflechtung von Einstellungen und Institutionen begreift. Nicht nur stellt die Kombination von intersubjektiver und institutioneller Exklusion ein größeres Übel dar, als wenn nur eine von beiden vorläge. Darüber hinaus beeinflussen Einstellungen und Institutionen einander wechselseitig. Einerseits internalisieren Individuen im Rahmen ihrer Sozialisation die impliziten und expliziten Werte und Wertemuster, die in den gesellschaftlichen Institutionen verkörpert sind und obwohl sie im Idealfall eine kritische Distanz zu ihnen gewinnen, hinterlassen diese Werte



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und Wertemuster in der Regel zumindest eine Spur in ihren Einstellungen etwa gegenüber anderen Leuten. Natürlich beeinflussen auch nicht-institutionelle kulturelle Repräsentationen die Einstellungen der Menschen und damit ihre Denk-, Wahrnehmungs-, Reaktions- und Interaktionsgewohnheiten, doch diejenigen, die in institutionalisierter Form vorliegen, erhalten aufgrund dieser Verfasstheit eine zusätzliche Portion subjektiver Autorität und Plausibilität: Dass das Gesetz eine bestimmte ethnische Gruppe aus dem öffentlichen Dienst ausschließt, scheint die Geschichten zu bekräftigen, die man von Familienmitgliedern, Nachbarn oder in den Massenmedien über ihr betrügerisches Wesen hört. Es erfordert oft mehr als ein durchschnittliches Maß selbstständigen Denkens, besonders in jungen Jahren, um etwas ernsthaft in Zweifel zu ziehen, das sowohl die institutionellen Strukturen als auch die öffentliche Vorstellung der eigenen Gesellschaft als Wahrheit präsentieren. Im Hinblick auf Anerkennung formuliert bedeutet dies, dass die staatliche Verweigerung von vertikaler „abwärts gerichteter“ Anerkennung für eine bestimmte Gruppe von Menschen der Verweigerung intersubjektiver Anerkennung Berechtigung verleiht. Auf der anderen Seite hängt die Legitimität, Stabilität und schließlich die Existenz von bestimmten Normen, Gesetzen, Institutionen und dem Staat als dem umfassenden System der Institutionen davon ab, in welchem Maße sie Werte verkörpern, die weithin von denen geteilt werden, die jenen zuallererst Autorität verleihen. (Selbst nicht-demokratische Systeme können nicht allein mittels Zwang überleben. Zumindest diejenigen, die es aufnötigen, müssen dem System etwas abgewinnen können, wenn sie ihr Leben dafür riskieren, es aufrecht zu erhalten.) Auch wenn sich institutioneller Wandel nur langsam vollzieht, kann sich eine Situation, in der die Institutionen eine bestimmte Gruppe von Menschen auf eine Weise behandeln, die für die Mehrheit oder diejenigen, die im Besitz von Macht sind, inakzeptabel ist, langfristig nicht halten. Institutionelle Exklusion muss im Großen und Ganzen von denen akzeptiert werden, deren Willen und Autorität die Institutionen aufruhen. Dies impliziert gewisse Einstellungen ihrerseits gegenüber denen, die ausgeschlossen werden. Bezogen auf Anerkennung bedeutet dies, dass die vertikale „aufwärtsgewandte“ Anerkennung des Staates durch seine Bürger zum Teil davon abhängt, in welchem Maße seine „abwärtsgewandte“ Anerkennung bestimmter Gruppen die Sichtweisen und Einstellungen der Mehrheit oder der Einflussreichen gegenüber diesen Gruppen widerspiegelt: Institutioneller Sexismus oder Rassismus wird bspw. nicht lange aufrecht erhalten werden können, wenn er nicht durch intersubjektiven Sexismus bzw. Rassismus mitgetragen wird. Wie ich oben sagte, kommt ein institutioneller Wandel, der die Inklusion von Minderheitengruppen beeinflussen könnte, gewöhnlich an der Basis intersubjektiver Beziehungen und Einstellungen in Gang  – sei es ein Wandel zum Schlechteren oder zum Besseren.

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 5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

Wir können nun genauer nach den Implikationen fragen, die sich aus der Verflechtung des Intersubjektiven und Institutionellen im Hinblick auf die Unterscheidung rein intersubjektiver von institutionell vermittelter horizontaler Anerkennung ergeben, wie ich sie im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit Fichte und Hegel eingeführt habe. Während institutionell vermittelte Anerkennung* meiner Explikation zufolge die Anerkennung von jemandem als Träger einer bestimmten institutionell definierten Rolle oder Position beinhaltet, die sich aus bestimmten Rechten und anderen „deontischen Machtbefugnissen“ ergibt, sieht rein intersubjektive Anerkennung im Gegenteil dazu von solchen Rollen bzw. Positionen ab. Motiviert durch die obigen Beobachtungen zu Frasers Anerkennungskonzeption möchte ich in Bezug auf diese Unterscheidung drei weitere Aspekte erläutern. Erstens schließt die Tatsache, dass rein intersubjektive Anerkennung keine Anerkennung von jemandem als Träger einer institutionell definierten Rolle bzw. Position involviert, als solche nicht aus, dass sie in irgendeiner Weise durch Insti­ tutionen beeinflusst ist. Eine solche Beeinflussung kann sich in maßgeblicher Weise genau dadurch ergeben, dass Wertemuster bzw. wertegeladene Repräsentationen, wie sie bspw. die Einstellungen gegenüber bestimmten Menschen betreffen, durch die Fixierung in Gestalt von formalen Institutionen (Gesetzen, Verordnungen und expliziten Normen) an zusätzlicher Plausibilität gewinnen und affektive Verstärkung erfahren. Zweitens thematisiert Frasers explizite Einführung von wertegeladenen Repräsentationen bzw. „Wertemustern“ anders als bloße Einstellungen die Differenz und das Verhältnis von Anerkennung in der Vorstellung und Anerkennung in der realen Begegnung. Damit wird auf einen sehr komplexen Sachverhalt verwiesen, der auf die wichtige Tatsache aufmerksam macht, dass, obwohl tatsächliche zwischenmenschliche Begegnungen oft Einfluss auf die wechselseitigen Einstellungen haben können – man respektiert oder schätzt jemanden z.B. mehr als man das Bild, das man von ihm hatte, respektiert bzw. geschätzt hat −, stereotypische Darstellungen oder falsche Bilder Individuen auch gegen solche Veränderungen „immunisieren“ können, auch dann, wenn sie sich tatsächlich begegnen sollten. Verachtung, mangelnder Respekt oder Hass gegenüber dem Bild, das man von Anderen hat, kann die Aufmerksamkeit so lenken, dass man nur die negativen Aspekte sieht und blind gegenüber all dem bleibt, was in der tatsächlichen Begegnung dazu führen könnte, den Anderen als jemanden zu erkennen, der Respekt und Wertschätzung verdient.21 Wenn jemanden zu lieben heißt, sich bedingungslos um sein Wohl zu sorgen, dann schließt dies in gewisser Weise ein, dass man von ihm als einer singulären, sterblichen und verletzlichen Person gerührt wird. Auch wenn Liebe (ein Thema, das Fraser überhaupt nicht berührt) als die nicht-instrumentelle Sorge um jemand anderen nicht bedeutet, dass man



5.2 Nancy Fraser und das „Statusmodell“ der Anerkennung 

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sich um ihn als Träger dieser oder jener Merkmale sorgt, sondern schlicht als ein Wesen, das fähig ist, glücklich und unglücklich zu sein, kann sie nichtsdestoweniger durch die Einstellung gegenüber diesen Merkmalen beeinflusst sein. Wenn man sich daran gewöhnt hat, sich Menschen einer bestimmten Gruppe auf eine solche Art und Weise vorzustellen, die starke negative Gefühle hervorruft, dann kann die eigene Aufmerksamkeit auf eine Art beeinflusst sein, die es unmöglich macht, sie als singuläre verletzliche Individuen anzusehen und in der tatsächlichen Begegnung mit einem Individuum dieser Gruppe eine Erfahrung zu machen, die zu nicht-instrumenteller Sorge oder Liebe motiviert.22 Drittens ist nicht ganz klar, was genau Fraser mit der Institutionalisierung von Wertemustern meint. Ich habe dies bisher als Kodifikation offizieller bzw. expliziter Normen, Gesetze oder Verordnungen des Staates als der institutionellen Totalität interpretiert und damit als Verkörperung dessen, was ich im vorangegangenen Kapitel als die „eigentlichen Institutionen“ bezeichnet habe.23 Was ich mit diesem Ausdruck meinte, sind Normensysteme, die relativ unabhängig von den Einstellungen irgendeines bestimmten Individuums sind, dessen Leben sie regeln. Während nicht-institutionelle bzw. informelle Normen der Interaktion, die nur durch die Akteure selbst vollzogen und verwaltet werden, sich eher verändern, wenn deren Einstellungen zueinander bzw. ihre Interaktionsmuster sich wandeln, verändert ein Mentalitätswandel als solcher nicht die institutionellen Normen oder Gesetze des Landes oder die „eigentlichen“ Institutionen, die darüber hinaus das Leben und die Interaktion strukturieren. Man kann sich diesen Zusammenhängen selbstverständlich auch ausgehend von einem weiter gefassten bzw. weniger strikten Begriff von „Institution“ nähern, der mehr informelle Normen und Regeln umfasst, die direkt von den Einstellungen derer abhängen, deren Leben sie regeln bzw. die durch sie ihr Leben strukturieren.24 Versteht man „Institutionalisierung“ ausgehend von einem solchen weiter gefassten Begriff von Institution, dann muss diese nicht mehr als die wertegeladenen Darstellungen bzw. Wertemuster umfassen, die sich in den informellen Normen der alltäglichen Interaktion und den sozialen Praxen widerspiegeln, ohne dass diese irgendwo kodifiziert wären oder durch irgendeine äußere Kraft (paradigmatischerweise den Staat) bekräftigt würden. Es ist denkbar, dass Immigranten nicht nur im Allgemeinen als faul, weniger verlässlich oder weniger ordentlich als die Durchschnittsbevölkerung vorgestellt werden, sondern dass, sich mit ihnen anzufreunden, sie zum Weihnachtsessen einzuladen, sie einzustellen oder sie als Mieter zu akzeptieren usw. auch bedeutet, gegen eine ungeschriebene soziale Norm oder Regel zu verstoßen. Das bedeutet, dass solche konkreten Akte der intersubjektiven Inklusion nicht nur als unklug, sondern auch als moralisch falsch erachtet werden und somit etwas darstellen, aufgrund dessen

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 5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

man möglicherweise einer sozialen bzw. intersubjektiven Sanktionierung ins Auge sehen muss. Obwohl „Institutionalisierung“ in Gestalt von informellen Normen und deren Bekräftigung durch soziale Sanktionen die Exklusion umso schlimmer macht, sind es wiederum die Einstellungen und Wertemuster, die das Kernproblem ausmachen, da die informellen Normen vollständig auf ihnen beruhen. Problematisch ist hierbei wieder Frasers Widerwille, von Sachverhalten zu sprechen, die die psychische Struktur der Individuen betreffen: Auch wenn die Kontrolle von Einstellungen sicherlich nicht erstrebenswert ist, erscheint eine Beeinflussung der informellen, die Interaktion leitenden Alltagsnormen kaum möglich, wenn man nicht auch die Einstellungen und Repräsentationen, die sie konstituieren und durchdringen, in irgendeiner Weise beeinflusst. Ein rechtliches Verbot von Exklusion durch informelle Normen des Sozialen, das vom Staat (oder den Institutionen im eigentlichen Sinne) geltend gemacht wird, hat häufig eine indirekt hilfreiche Wirkung, da es die Menschen zur konkreten Auseinandersetzung miteinander zwingt und so Vorurteile und Stereotypen in Frage stellt, die die informellen Normen stützen. Intersubjektive Probleme können zwar, wie bemerkt, nicht immer und überall auf der Ebene der formalen Institutionen gelöst werden, doch dies stellt keinen hinreichend Grund dafür dar, sie im Rahmen einer kritischen Sozialphilosophie als soziale Probleme nicht ernst zu nehmen.

In Absehung von Ethik und „Hegel’schem Kommunitarismus“ Eine abschließende und damit zusammenhängende Beobachtung, die ich im Hinblick auf Frasers Modell erläutern möchte, betrifft ihr Misstrauen gegenüber allen substantiellen Behauptungen, die das gute Leben innerhalb der Politischen Philosophie betreffen. Fraser assoziiert Hegel mit dem „Kommunitarismus“, der die Wichtigkeit der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv für das individuelle Wohlergehen betont, dessen Mitglieder eine gemeinsame Auffassung vom guten Leben teilen, und kontrastiert dies mit einem Kantischen Liberalismus, der von Konzeptionen des guten Lebens abstrahiert, indem er die Aufmerksamkeit auf universale Rechte legt (vgl. Fraser 2001, 22f.). Obwohl eine solche Sichtweise auf Hegel nicht ungewöhnlich ist, verdeckt sie einen wesentlichen Aspekt der Hegel’schen Auffassung von Gemeinschaft (wobei Hegel einige Elemente von Fichte geerbt hat). Damit meine ich seinen Gedanken, dass eine wahrhaft „geistige“ menschliche Gemeinschaft eine Gemeinschaft freier Wesen ist. Wie wir im vorangegangenen Kapitel gesehen haben, enthält der Gedanke konkreter Freiheit als der Substanz und dem telos dieser Lebensform keinen Bezug auf irgendeine bestimmte Auffassung vom guten Leben, sondern stellt vielmehr ein recht abstraktes Prinzip dar. Dies ist das Prinzip des „Sich-Findens“ in seinen Mitmenschen und den Instituti-



5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser? 

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onen der eigenen Gesellschaft – im Grunde genommen ist dies das Prinzip eines sozialen Lebens, das sowohl von Herrschaft als auch von Entfremdung frei ist. Sogar die bloße Erwägung der Möglichkeit, dass Hegels Ideal nicht nur eine kulturell spezifische Ansicht des Guten widerspiegelt, sondern etwas, das von allgemeinerer menschlicher Natur ist, wird a priori durch Frasers Diktum ausgeschlossen, dass alle Bezugnahmen auf das guten Leben „zwangsläufig sektiererisch sind“ (übersetzt nach: ebd., 21). Was Frasers eigenes Modell betrifft, so führt die Tatsache, dass sie psychologische, ontologische und ethische Erwägungen a priori zurückweist, schlussendlich zu einer seltsamen Inhaltsleere des obersten Ziels ihres eigenen Modells – der Partizipation als Ebenbürtiger am sozialen Leben. Obwohl ihre Schriften voller politischer Einsichten sind, sind diejenigen, die meinen, dass Philosophen zumindest versuchen sollten, etwas mehr darüber zu sagen, was das soziale Leben gut oder schlecht macht, als dass es die Menschen entweder als „Ebenbürtige“ „inkludiert“ oder ausschließt, dazu angehalten, sich bei anderen Autoren umzusehen. Die Frage nach der Möglichkeit einer nicht-sektiererischen bzw. „formalen“ Konzeption des guten Lebens, die sich sowohl durch ihre psychologische als auch ihre sozial-diagnostischen Analysen auszeichnet, begegnet uns im Rahmen der Auseinandersetzung mit Axel Honneths Arbeit über Anerkennung, der ich mich in Kapitel 5 zuwenden werde.

5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser? Wie können wir Taylors und Frasers Anerkennungskonzeptionen mithilfe der uns zur Verfügung stehenden Unterscheidungen aus den vorherigen Kapiteln zusammenfassen? Geht man von den Unterscheidungen aus Abschnitt 2.1. aus, dann ist es wahrscheinlich richtig zu sagen, dass beide Autoren sowohl von Anerkennung im epistemischen Sinne der „Identifikation“ als auch von Anerkennung in ihren praktischen Bedeutungen sprechen. Wie ich in Abschnitt 5.1.2. gezeigt habe, ist Taylors Auffassung von der Wirkung, die die Anerkennung bestimmter qualitativer Merkmale auf die Selbstidentität von Individuen hat, eng mit dem Thema der qualitativen und generischen Identifikation verbunden, d.h. mit der Identifikation von Menschen als Träger bestimmter Qualitäten und ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Klassen oder Arten, durch die sie mit Anderen, die die Merkmale teilen, in eine Gruppe zusammengefasst werden können. Frasers Kritik am „Identitätsmodell“ richtet sich gegen die von ihr bezeichnete Tendenz, die so verfassten generischen Identifikationen und Gruppierungen im Rahmen der theoretischer Entwürfe, die sich − einschließlich Taylors − dem Identitätsmodell verschrieben haben, noch zu verstärken.

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 5 Anerkennung in der gegenwärtigen Politischen Philosophie

Es ist wichtig festzuhalten, dass die enge Verbindung, die sowohl bei Taylor als auch bei Fraser zwischen interpersonaler Anerkennung und qualitativer bzw. generischer Identifikation angenommen wird, darin gründet, dass beide Autoren – Taylor in affirmativer, Fraser in kritischer Weise – sich insbesondere auf die Anerkennung bestimmter qualitativer Merkmale von Individuen und Gruppen konzentrieren. Es ist eine gängige Fehlannahme der gegenwärtigen Debatten, dass dies auch das sei, womit Hegel sich auseinandergesetzt habe (und vielleicht auch Fichte, wenn er auch in den gegenwärtigen Diskussionen viel seltener erwähnt wird). Wie wir im Abschnitt 5.2.1. sehen konnten, schreibt Fraser das Identitätsmodell auch Hegel zu und meint, dass dieses vermeintlich Hegel’sche Modell von Anerkennung anfällig sei für die Übel der gewaltsamen bzw. ungerechten und äußerlich vorgenommenen (generischen) Identifikationen von Individuen. Wie wir allerdings in dem vorangegangenen Kapitel herausarbeiten konnten, setzt Hegel sich mit einem ganz anderen Set von Problemen auseinander als Taylor und Fraser, die die Anerkennung von Identität diskutieren. Die Schwierigkeit, festzulegen, was genau Taylor und Fraser mit Anerkennung meinen, hängt damit zusammen, dass beide in einer Weise schreiben, die sich in Bezug auf die Unterscheidungen, die ich in den Abschnitten 4.2. und 4.4. expliziert habe, nicht eindeutig einordnen lässt. Keiner von beiden differenziert explizit zwischen „vertikalen“ und „horizontalen“ Lesarten von Anerkennung (siehe Abschnitt 4.4.1.) und beide überlassen es auf diese Weise ihren Lesern, herauszufinden, was mit dem Gedanken von Anerkennung geschieht, wenn man ihn aus dem interpersonalen „horizontalen“ Kontext in ein „vertikales“ Setting überträgt, mit anderen Worten: wenn Anerkennung zwischen Individuen und Gruppen ersetzt wird durch eine Weise der Anerkennung, die vom Staat bzw. seinen Institutionen ausgeht. Aufgrund dessen bleibt in ihren Schriften auch die Unterscheidung von „rein intersubjektiver“ und „institutionell vermittelter“ horizontaler Anerkennung (siehe Abschnitt 4.4.2.) unerwähnt. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Dimensionen (Abschnitt 4.4.4.) bzw. „Formen“ (Abschnitt 2.2.) von Anerkennung unterscheidet Taylor zwischen zweien  – der Evaluation bestimmter identitätsrelevanter Merkmale und der gleichen Zuschreibung von Rechten −, während Frasers Modell ein Amalgam von Gedanken darstellt, angesichts dessen es schwieriger ist, klar zwischen unterschiedlichen Dimensionen oder Formen von Anerkennung zu unterscheiden. Weder Taylor noch Fraser erwähnen irgendetwas, das der Unterscheidung von „nicht vollständig personifizierenden“ Weisen horizontaler Anerkennung, die sich allein aus Klugheitserwägungen ergeben und „vollständig personifizierenden“ Weisen horizontaler Anerkennung gleichkäme, wie ich sie oben in der Auseinandersetzung mit Hegels Konzeption diskutiert habe (siehe Abschnitt 4.4.5.).



5.3 Was bedeutet Anerkennung bei Taylor und Fraser? 

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Aufgrund des relativen Mangels an begrifflicher Differenzierung in den Anerkennungskonzeptionen von Taylor und Fraser ist der Versuch, sie im Hinblick auf die Unterscheidung von Einstellungen, Einstellungsgefügen, konkreten interpersonalen Beziehungen und sozialen bzw. institutionellen Kontexten aus Abschnitt 2.3. wie auch die Unterscheidung von Einstellungen, Handlungen und Ausdrucksweisen aus Abschnitt 2.4. zu betrachten, nicht ganz einfach und vielleicht auch nicht sonderlich interessant und fruchtbringend. Das heißt aber nicht, dass es nicht fruchtbar sein könnte, die von ihnen diskutierten Themen und Ansichten ausgerüstet mit den von ihnen bereitgestellten begrifflichen Unterscheidungen weiter auszuarbeiten. In Bezug auf die Frage, ob Anerkennung responsiv auf eine (wesentliche oder akzidentelle) Eigenschaft des Personseins anspricht oder konstitutiv für dieses ist (siehe Abschnitt 2.5), konnten wir bspw. herausstellen, dass Taylors Aufsatz das Augenmerk mehr auf die Beziehung von Anerkennung zu personaler Identität als auf deren Verhältnis zum Personsein legt. Frasers Modell sieht insgesamt von ontologischen Fragen ab und kann damit wenig zur Beantwortung dieser Fragen beitragen. Die Verknüpfung, die sie zwischen Anerkennung und sozialer Inklusion nahelegt, ist allerdings etwas, das im Hinblick auf den Statusbegriff des Personseins nähere Aufmerksamkeit verdient. Es ist wohl keine Form sozialer Exklusion so schwerwiegend wie die, vom Personsein ausgeschlossen zu werden. Da das Personsein als Status darüber hinaus etwas darstellt, das von der Anerkennung durch Andere abhängt, kann ein Mangel an Anerkennung die schwerwiegende Form der Exklusion von vollständigem Personsein zur Folge haben. Ich komme im abschließenden Kapitel auf diese Thematik zurück.

6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma Axel Honneths Werk steht für den bisher wahrscheinlich ambitioniertesten Versuch, Anerkennung zum expliziten Kernbegriff der Philosophie zu machen. Bei Honneth wird Anerkennung in den Mittelpunkt dessen erhoben, was manche Kommentatoren bereits als ein neues „Paradigma“ der kritischen Sozial- und Politischen Philosophie bezeichnen. In der Tradition der Kritischen Theorie der „Frankfurter Schule“ stehend, ist es Honneths Ziel, Elemente und Gedanken früherer Generationen der Frankfurter Schule  – von Theodor Adorno und Max Horkheimer bis zu Jürgen Habermas – mit einer Konzeption der sozialen Wirklichkeit zu verschmelzen, die die sich darin ereignenden sozialen Kämpfe herausarbeitet. Er kritisiert die Denker der ersten Generation der Frankfurter Schule dafür, dass es ihnen an einer angemessenen Konzeption sozialer Interaktion mangelt, und versucht, ein reichhaltigeres und antagonistischeres Bild von Interaktion einzuführen, das unterschiedlichen Formen der Auseinandersetzung und des Konflikts auf angemessenere Weise Rechnung trägt als dasjenige, das in der sprachzentrierten Theorie von Rationalität, Moralität und Politik bei Habermas zu finden ist. Er stützt sich auf Aspekte der Gesellschaftskonzeption Michel Foucaults, demzufolge Gesellschaften Arenen strategischer Kämpfe zwischen Individuen und Gruppen sind, zeigt sich allerdings zugleich kritisch gegenüber Foucaults letztlich vorgenommener Reduktion dieser strategischen Interaktion auf anonyme Prozesse der „Macht“. In einer von Foucault deutlich verschiedenen Weise begreift er die sozialen Kämpfe auch nicht (zumindest nicht ausschließlich) als strategische Kämpfe um Macht und Eigeninteresse, sondern als moralisch motivierte „Kämpfe um Anerkennung“.1 Honneth hat seine Konzeption der Rolle von Anerkennung und des Ringens um Anerkennung im sozialen, politischen und individuellen Leben ursprünglich in dem 1992 erschienenen Buch Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte (Honneth 2003) vorgelegt. In der Folge hat er viele seiner Gedanken überarbeitet und reformuliert, eine Vielzahl von Aufsätzen geschrieben, in denen er u.a. die Konzeptionen derjenigen Denker rekonstruiert, die er als wichtige Vorgänger bzw. Verbündete für sein eigenes Projekt ansieht, und seine Anerkennungstheorie im Rahmen der Analyse bestimmter Entwicklungen der kapitalistischen Gegenwart fruchtbar gemacht. Seit dem Werk Kampf um Anerkennung stellt Hegel eine wichtige Bezugsgröße für Honneths Arbeit dar. So entwickelt er die Konzeption moralisch motivierter Kämpfe um Anerkennung und ihrer Auswirkungen auf soziale Prozesse das erste Mal anhand einer Rekonstruktion der Politischen und Sozialphilosophie Hegels – allerdings nicht des Hegels der Enzyklopädie, wie er in Kapitel 3 diskutiert wurde, sondern des jüngeren Hegel der so genannten Jenaer Zeit zwischen 1800 und

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 6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

1807. Honneth arbeitet Hegels Gedanken über das Wesen und die Bedeutsamkeit von Anerkennung und Anerkennungskämpfen schließlich weiter aus, indem er sich auf die Sozialpsychologie George Herbert Meads und neuere Strömungen der Psychoanalyse und Entwicklungspsychologie bezieht. Im Folgenden werde ich nicht Honneths Hegeldeutung diskutieren,2 sondern die Grundzüge seiner eigenen Theorie der Bedeutsamkeit von Anerkennung für die menschliche Lebensform präsentieren, wie sie im Kampf um Anerkennung vorliegt. Dabei werde ich insbesondere auf einige unaufgelöste Spannungen und Ambivalenzen Bezug nehmen, die auch in späteren Weiterentwicklungen seines Ansatzes zum Tragen kommen und die ich gegen Ende dieses Kapitels diskutieren werde. Wie auch bei den anderen Autoren, die an früherer Stelle in diesem Buch diskutiert wurden, geht es mir bei der Fokussierung auf die Probleme bzw. Ambivalenzen des Honnethschen Ansatzes nicht darum, seine Bedeutsamkeit oder Fruchtbarkeit in Frage zu stellen. Mein Ziel besteht vielmehr darin, größtmögliche Klarheit über das Konzept bzw. die Konzepte von Anerkennung zu gewinnen, die darin zur Anwendung kommen und Themen herauszuarbeiten, die einer weiteren Klärung oder Ausarbeitung bedürfen.3

6.1 Eine formale Theorie des guten Lebens basierend auf dem Begriff der Anerkennung Honneth hat sich im Kampf um Anerkennung die Bearbeitung einer anspruchsvollen Aufgabe zum Ziel gesetzt. Er möchte soziale Entwicklungen als Geschehnisse begreifen, die sich durch soziale Kämpfe bzw. Bewegungen vollziehen und die durch die moralische Mangelerfahrung adäquater Anerkennung motiviert sind. Honneth möchte dies darüber hinaus mit dem Entwurf eines „formale[n] Konzept[s] des guten Lebens“ verknüpfen, das nicht nur ein Kriterium für die kritische Evaluation unterschiedlicher sozialer Ordnungen liefert, sondern auch das implizite Telos genuin emanzipatorischer bzw. fortschrittlicher sozialer Bewegungen darstellt. Sein Projekt ist sowohl für die Politische, für die Sozial- als auch die Moralphilosophie von Bedeutsamkeit – dieses Merkmal unterscheidet ihn von Frasers Engführung auf die Politische Philosophie.4 Ein wichtiges Leitprinzip von Honneths Unternehmen ist die im weitesten Sinne Hegel’sche Vorstellung immanenter Kritik: Die kritische Sozialphilosophie soll nicht von Maßstäben der Kritik ausgehen, die den Lebensformen, die sie kritisiert und bewertet, äußerlich sind, sondern solche Maßstäbe stattdessen innerhalb dieser Formen selbst auffinden. Diese Forderung besitzt sowohl eine epistemische wie auch eine praktische Dimension. In epistemischer Perspektive besitzt die Sozialphilosophie als endliche menschliche Tätigkeitsweise



6.1 Eine formale Theorie des guten Lebens 

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keinen privilegierten Standpunkt oder Maßstab, anhand dessen sie die relative Leistung unterschiedlicher sozialer Ordnungen in einer Weise beurteilen könnte, die über das hinausginge, was Menschen, die innerhalb dieser Ordnung leben, qua Reflexion im Prinzip auch selbst akzeptieren könnten.5 In praktischer Perspektive muss die Sozialphilosophie sich auf explizite oder implizite Überzeugungen, Intuitionen oder Zugeständnisse normaler Menschen berufen können, wenn sie etwas in der Wirklichkeit verändern will. Sie muss diese Überzeugungen auf eine Art und Weise artikulieren, die dabei hilft, rudimentäre Motivationen zu emanzipatorischen und politischen Bewegungen zu entfesseln. Für Honneth bietet die Vorstellung des konstitutiven Bedürfnisses nach Anerkennung einen Ankerpunkt für eine solche immanent kritische, epistemisch gerechtfertigte und politisch wirkmächtige Form der Kritischen Theorie. Warum brauchen Menschen Anerkennung? Honneth spürt die Vorstellung, dass menschliche Personen ihre Identität bzw. ihr Selbstverständnis der Anerkennung durch Andere verdanken, in einer unausgereiften Form schon beim jungen Hegel auf sowie später in weniger „metaphysische“ Begriffe gegossen auch bei George Herbert Mead. Honneth hat sich später von einigen Details der Meadschen Konzeption distanziert,6 doch die Grundidee ist erhalten geblieben: Die Selbstkonzeption eines Subjekts wird zuallererst durch die Internalisierung evaluativer und normativer Konzeptionen über es selbst aufgebaut, die mit der Anerkennung bzw. dem Mangel an Anerkennung durch relevante Andere einhergehen. Obwohl Honneth oft den Begriff der „Identität“ verwendet, bezieht er sich damit überwiegend nicht auf qualitative Merkmale, die ein Individuum von Anderen unterscheidet – so wie Taylor und Fraser dies tun −, als vielmehr auf drei praktische Selbstverhältnisse bzw. „Selbstbeziehungen, wie sie weiter unter in Abschnitt 6.3. diskutiert werden.7 Trotz dieses Unterschieds geht Honneths Ansatz mit einer ausgeprägten Betonung des Psychologischen einher, insofern er die Motivation für emanzipatorische Bewegungen und die Kriterien für eine gute Gesellschaft hauptsächlich anhand von psychologischen Begriffen ausbuchstabiert. Nur dadurch, dass ich mich selbst als Objekt der Anerkennung Anderer erfahre, kann ich (in der Kindheit und Jugend) ein positives Selbstverhältnis ausprägen und (im Erwachsenenleben) aufrechterhalten, das eine bedeutsame psychische Ressource für eine gedeihliche Lebensführung ist. Erfahrungen von fehlender Anerkennung können zutiefst schmerzen, sie können aber auch eine potentielle Motivationsquelle darstellen, die – wenn sie angemessen artikuliert und kollektiv organisiert werden – zu politischen „Kämpfen um Anerkennung“ führen. Solche Kämpfe um Anerkennung sind moralisch motiviert, da eine angemessene Form von Anerkennung der zentrale moralische Anspruch ist, mit dem Personen einander in ihren Interaktionen wechselseitig konfrontieren. Das implizite

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 6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

Telos dieser Kämpfe  – das denen, die sich in solchen Kämpfen engagieren, oft nicht ausdrücklich bewusst ist, das der Sozialphilosoph jedoch als solches rekonstruieren kann – ist eine gute Gesellschaft, d.h. eine Gesellschaft, in der Ansprüche auf Anerkennung in adäquater Weise erfüllt werden und so die Entwicklung und den Erhalt positiver Selbstbeziehungen sowie ein gedeihliches individuelles Leben ermöglichen. Es ist bemerkenswert, dass, obwohl Honneth die psychologische Konstitution der menschlichen Person als zutiefst soziale begreift, sein evaluativer Standard für eine gute Gesellschaft von entschieden individualistischer Natur ist. Der Maßstab, anhand dessen die unterschiedlichen bestehenden Gemeinschaften und Gesellschaften kritisch evaluiert werden können und sollen, ist das Maß, in dem sie soziale Rahmenbedingungen und dadurch angemessene psychologische Ressourcen für das individuelle Wohlergehen bereitstellen. Ein zentraler Anspruch des Honneth’schen Projekts besteht darin, auf diese Weise eine bloß „formale Konzeption des guten Lebens“ (Honneth 2003, 275) zu bieten, die nicht an irgendein bestimmtes kulturelles oder historisches Set von Werten gebunden ist. Er bezieht sich lediglich auf die „strukturellen“ Bedingungen derjenigen sozialen Relationen, die die individuelle Selbstrealisation in jeder Gesellschaft unterstützen. Honneth meint darüber hinaus, dass dies ein implizites Ideal aller Gesellschaften darstellt, bzw. − wie er es ausdrückt −, dass man es „von der Vielfalt aller besonderen Lebensformen normativ ablesen kann“ (ebd., 276) als ein implizites normatives Kriterium der Gutheit sozialer Relationen und Interaktion, mit dem die Individuen, die in diesen Gesellschaften zu Hause sind, im Prinzip einverstanden sein können.8 Wenn es Honneths Konzeption des guten Lebens und einer guten Gesellschaft wirklich gelänge, in diesem Sinne „formal“ zu sein, wäre damit Frasers a priori Einwand widerlegt, dass jeder Bezug auf Vorstellungen des guten Lebens notwendigerweise Ausdruck einer partikularen, anfechtbaren Vision ist und daher keine universelle Gültigkeit beanspruchen kann. Viele Kommentatoren haben Honneths Anspruch, dass sein Modell des guten Lebens von „allen partikularen Formen des Lebens“ geteilt wird, allerdings mit dem Einwand angegriffen, dass das Ideal der individuellen Selbstverwirklichung spezifisch für die europäische Moderne ist und keineswegs von allen Kulturen geteilt wird.9 Anstatt zu versuchen, den Universalitätsanspruch seiner formalen Konzeption des guten Lebens systematisch zu verteidigen, hat Honneth im Hinblick auf dieses Problem interessanterweise in seinen Veröffentlichungen seit dem Kampf um Anerkennung mit deutlicher Zurückhaltung reagiert. Dies mag teilweise mit dem fallibilistischen Geist seines Projekts und seiner Offenheit gegenüber Kritik, empirischer Falsifikation, Verbesserung und Reformulierung zusammenhängen.10 Wie ich zeigen werde, spiegeln sich darin aber auch unaufgelöste Spannungen wider, die sein Programm seit der Ursprungsformulierung enthält. Kurz gesagt strebt Honneths



6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung 

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Position in zwei entgegengesetzte Richtungen, eine universalistische und eine, die historistischer bzw. relativistischer Art ist; einige seiner Formulierungen weisen in die erste Richtung, andere in die zweite. Diese Ambivalenz bzw. Oszillation hängt eng mit einer zweiten Ambivalenz zusammen, die er mit Fichte und Hegel teilt – nämlich die Ambivalenz, Anerkennung einerseits als ein rein intersubjektives Phänomen und andererseits als ein institutionell vermitteltes Phänomen zu betrachten.

6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung Eine der originellsten Einsichten, die Honneth zur Bestimmung des Anerkennungsbegriffs beisteuert, ist seine explizite Differenzierung von drei Dimensionen der Anerkennung. In den vorangegangenen Kapiteln habe ich bereits alle drei Dimensionen erwähnt  – zuerst die deontologische Dimension des Respekts bei Fichte, zweitens die axiologische Dimension der Liebe in der Auseinandersetzung mit Hegel und schließlich die kontributive Dimension der Wertschätzung bzw. der positiven Bewertung, die ich aus Taylors Aufsatz herausgearbeitet habe. Obwohl Honneth zur Kennzeichnung der Dimensionen selbst nicht die Ausdrücke „deontologisch“, „axiologisch“ und „kontributiv“ verwendet, war meine Verwendung dieser Begriffe in den vorangegangenen Kapiteln bereits durch Honneth geprägt. Die Differenzierung der drei Dimensionen in Honneths eigenen Schriften funktioniert in den Grundzügen folgendermaßen: Ausgehend von Hegel, Mead und anderen theoretischen Quellen nimmt Honneth an, dass es drei grundlegende Dimensionen der positiven personalen Selbstbeziehung bzw. des personalen Selbstverständnisses gibt, die die grundlegenden psychologischen Ressourcen für eine erfolgreiche Selbstrealisation darstellen und somit auch für die individuelle Entwicklung notwendig sind – nämlich Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstwertgefühl. Diese werden durch drei korrespondierende Formen der Anerkennung – Liebe, Respekt und Wertschätzung – aufrechterhalten, die im Rahmen der modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften als zentrale Normen bzw. moralische Erwartungshaltungen institutionalisiert sind. Sie sind darüber hinaus konstitutiv für drei entsprechende Sphären des sozialen Lebens, für die Familie und persönliche Nahbeziehungen, den Bereich des Gesetzes und den Bereich der Arbeit.11 Personen bedürfen hinreichend viel Anerkennung in allen drei Ausprägungsweisen, um die geeigneten psychologischen Ressourcen für ein gelingendes individuelles Leben aufzubauen.

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 6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

6.2.1 Liebe als Anerkennung Die erste Dimension, die Honneth in seinem Buch erörtert  – eine Dimension, die seiner Konzeption zufolge im Leben eines Individuums für gewisse Zeit die grundlegendste ist − ist die (axiologische) Dimension der Liebe (Honneth 2003, 153 – 172.). Honneth zehrt in diesem Zusammenhang stark von der psychoanalytischen Tradition der Objektbeziehungstheorie wie auch von der experimentellen Entwicklungspsychologie. In seiner Diskussion der frühkindlichen Beziehung zur Mutter müssen beide nach einer anfänglichen Phase ihrer relativ ununterschiedenen Einheit, zunehmend lernen, die Unabhängigkeit des anderen zu akzeptieren. Dabei bezieht er sich explizit auf Hegels Konzeption des Bewusstseins seiner selbst im Anderen (bzw. „Seinselbstsein in einem Fremden“ (ebd., 154)), wenn er den gelingenden Fall der psycho-sozialen Kindesentwicklung im Sinne einer „Balance zwischen Selbstständigkeit und Bindung“ begreift (ebd.). Da es mit der vollständigen Unfähigkeit, alleine zurechtzukommen, in die Welt geboren wird, kommt es nicht nur bei der physiologischen, sondern auch bei der psychologischen Entwicklung des menschlichen Kindes wesentlich auf eine kontinuierliche Fürsorge und die Erfahrung des Umsorgtwerdens an. Einige Aspekte in Honneths Beschreibung der frühesten Beziehungsphase zwischen Kind und Mutter ähneln Hegels Beschreibung der praktischen Beziehung des primitiven begehrenden Subjekts zu seiner Umwelt: Für das Subjekt ist die Mutter bzw. die Brust als unmittelbares Objekt der Begierde nur zur Befriedigung seiner Bedürfnisse da. Darüber hinaus muss das Kind in Analogie zu Hegels idealisierter Entwicklungsgeschichte auch im Rahmen der individuellen Realentwicklung lernen, die Mutter als ein unabhängiges anderes Subjekt zu akzeptieren. Dies kann ein möglicher Grund für eine Krise sein, in der das Kind in aggressiver Weise versucht, die Mutter, die es verzweifelt braucht und zu verlieren fürchtet, zu dominieren.12 Dadurch, dass das Kind lernt, die Selbstständigkeit der Mutter zu akzeptieren und die Erfahrung macht, dass es nichtsdestoweniger von der selbstständigen Mutter geliebt wird, entwickelt es einen grundlegenden Sinn von Sicherheit und Selbstvertrauen, bzw. die Fähigkeit, ohne erdrückende Todes- und Verlassensängste allein zu sein. Dieser grundlegende Sinn von Sicherheit und Selbstvertrauen, der den Kern einer gesunden Psyche ausmacht, erlaubt es dem Individuum im späteren Leben nicht nur, mit Anderen vertrauensvolle Beziehungen einzugehen, in denen es sich zu Hause fühlen kann, ohne das Bedürfnis zu verspüren, die Anderen zu dominieren, sondern in einem allgemeineren Sinne auch, hinreichend viel Selbstvertrauen zu besitzen, um sich in allen Bereichen des Lebens verwirklichen zu können. Es empfindet Zuversicht dabei, seine individuellen Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen und ihnen gemäß zu handeln,



6.2 Die drei Dimensionen von Anerkennung 

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da es durch die Sorge und Liebe Anderer (der Mutter oder eines Erziehers) früh im Leben eine Affirmation seiner eigenen Bedeutsamkeit erfahren hat. Es fürchtet sich zudem nicht davor, seine eigenen Ansichten vorzutragen, da es die grundsätzliche Zuversicht ausgebildet hat, dass die Differenz oder Unabhängigkeit von Ansichten nicht bedeuten muss, dass sich die Anderen vollständig von ihm abwenden (ebd., 167, 211). Auch wenn sich die ursprüngliche Konstellation des Umsorgt- und Geliebtwerdens durch einen selbstständigen Anderen auf die Beziehung zwischen dem Kind und seiner Mutter bezieht, besitzt diese Dimension von Anerkennung nach Honneth Bedeutsamkeit für jede „primäre Beziehung“, die „aus starken Gefühlsbindungen zwischen wenigen besteh[t]“ (ebd., 153). Beziehungen zwischen engen Freunden wie auch zwischen Liebespartnern stellen Konstellationen dar, in denen gegenseitige Liebe erwartet wird. In der modernen kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft bildet allerdings die Kernfamilie den primären institutionellen Kontext der Liebe; in diesem stehen liebevolle Beziehungen als konstitutive Norm im Zentrum. Vor dem Hintergrund der Unterscheidungen, die ich in Kapitel 2.3. zwischen Einstellungen, Einstellungsgefügen, konkreten interpersonalen Beziehungen sowie sozialen und institutionellen Sphären vorgenommen habe, kommt der Liebe im Kampf um Anerkennung die Bedeutung einer konkreten intersubjektiven Beziehung zu, die idealerweise sowohl Aspekte der Einheit als auch der Differenz aufweist. Sie tut dies kraft der Subjekte, die geeignete intentionale Zustände bzw. Einstellungen zueinander ausprägen. Es geht also um ein Gefüge von Einstellungen: auf Seiten des Kindes darum, die Selbständigkeit der Mutter zu akzeptieren sowie die Überzeugung auszubilden, dass die selbstständige Mutter es nichtsdestoweniger liebt; auf Seiten der Mutter darum, die Selbstständigkeit des Kindes zu akzeptieren, (ohne die die Mutter nicht in der Lage wäre, ruhig und fürsorglich auf den anfänglichen Ärger des Kindes zu reagieren, wenn dieses mit der Selbstständigkeit der Mutter konfrontiert wird) sowie um eine liebevolle und fürsorgliche Einstellung gegenüber dem Kind. Auch wenn die Einstellungen im Rahmen der Mutter-Kind-Beziehung somit zum Teil durch eine Asymmetrie gekennzeichnet sind, gilt, dass es das Ziel der später im Leben einzugehenden Liebesbeziehungen ist, mehr oder weniger symmetrisch verfasst zu sein, indem sie auf beiden Seiten Akzeptanz für die Selbstständigkeit des Anderen, Liebe, ein Wissen um die Akzeptanz, die der andere gegenüber der eigenen Selbstständigkeit aufbringt und Zuversicht, vom Anderen geliebt zu werden, aufweisen. Es ist allerdings bemerkenswert, dass Honneth, obwohl er sich auf die Idealstruktur der konkreten Beziehung konzentriert und das Gefüge von Einstellungen diskutiert, aus dem sie besteht, im Kampf um Anerkennung eigentlich nicht klar macht, worin genau die Einstellung der Liebe an sich besteht. Was heißt es denn

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genau, dass die Mutter das Kind liebt oder dass Freunde einander lieben, zusätzlich zur Akzeptanz der Unabhängigkeit bzw. Selbstständigkeit des Anderen (die allein klarerweise noch keine Liebe ist)? Honneth bestimmt den Begriff der Liebe ausführlicher in dem Artikel „Liebe und Moral. Zum moralischen Gehalt affektiver Bindungen“ (Honneth 2000), wo er das Wesentliche der Liebe im Sinne von Handlungen bzw. Akten fasst, „Akte […] die wie die bedingungslose Fürsorge oder das verständnisvolle Verzeihen zu erkennen geben, dass sie allein um des individuellen Wohlergehens eines konkreten Anderen willen geschehen“ (ebd., 235 – 236) mit anderen Worten: Akte, deren Motiv eine nicht-instrumentelle bzw. „bedingungslose“ Sorge um das Wohlergehen des Anderen ist. Abstrahieren wir von den Akten und konzentrieren uns allein auf die motivierenden Einstellungen, dann sind wir mit dem Anerkennungskonzept der Liebe konfrontiert, das wir implizit bereits in Hegels Entwicklungsgeschichte fanden: die nicht-instrumentelle oder unbedingte Sorge um das Wohl des Anderen. Honneths Ausführungen im genannten Artikel sind allerdings nicht völlig stimmig, insofern er die so verstandene Liebe ab und an mit der Wertschätzung der qualitativen „Einzigartigkeit“ des Anderen, der „einzigartige[n] Weise, in der jene Eigenschaften in ihr zusammentreffen“ (ebd., 222) vermischt. Der Hauptgrund für diese gelegentliche Unstimmigkeit scheint das Fehlen einer deutlichen Unterscheidung von Einstellungen, Einstellungsgefügen und konkreten Beziehungen zu sein. Auch wenn eine konkrete Beziehung ohne die einfache Einstellung der Liebe als unbedingter Sorge um den Anderen es wohl nicht verdiente, als „Liebesbeziehung“ bezeichnet zu werden, beinhalten auch Liebesbeziehungen zwangsläufig noch viele andere intersubjektive Einstellungen. Die wechselseitige Wertschätzung der qualitativen Merkmale ist gewöhnlich entscheidend dafür, dass Freundschaften oder Lebenspartnerschaften entstehen und damit eine wichtige Komponente der Einstellungen, die an solchen Beziehungen beteiligt sind. Allerdings hängt die Einstellung der Liebe als bedingungsloser Sorge um das Wohl des Anderen nicht von dessen qualitativen Eigenschaften ab. Um der Komplexität konkreter interpersonaler Beziehungen Rechnung zu tragen und den spezifischen Beitrag dieser Einstellungen auch im Hinblick auf das subjektive Wohlergehen zu begreifen, ist es hilfreich, die einstellungsbezogenen Aspekte von Liebesbeziehungen deutlicher auseinanderzuhalten als Honneth selbst es oft tut.13

6.2.2 Respekt als Anerkennung So wie die axiologische Dimension der Liebe ist auch die deontologische Dimension des Respekts in Honneths Konzeption wesentlich für die positive Entwick-



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lung psychischer Fähigkeiten als notwendige Bedingungen der individuellen Realisation des Selbst. Während die Erfahrung des Geliebtseins das Selbstvertrauen stärkt, unterstützt die Erfahrung des Respektiertwerdens die Selbstachtung. An Honneths Erörterung des Respekts sticht die enge Verknüpfung von Respekt und institutionalisierten Rechten hervor. Obwohl er es nicht wie Fichte darauf anlegt, ein System von Rechten zu deduzieren und eher Hegel als Fichte Honneths klassischer Referenzautor ist, besteht die Grundidee der Honnethschen Diskussion von Respekt und Rechten in der seit Fichte bekannten Idee, dass der Besitz von Rechten die Bedingung für eine bestimmte Art der Selbstbeziehung ist, die für individuelle Freiheit konstitutiv ist. Während Fichte versuchte, dafür zu argumentieren, dass es wesentlich für das Selbstbewusstsein eines freien Wesens ist, als Träger von Rechten respektiert zu werden, sieht Honneth die wesentliche Bedeutung von Respekt in seiner Stützung der Selbstachtung, die die zentrale Ressource erfolgreicher Selbstverwirklichung ist. Honneth zitiert Joel Feinbergs Beschreibung der psychologischen Wirkungen, die mit dem Besitz von Rechten einhergehen: Von Anderen als Träger von Rechten respektiert zu werden „ermöglicht uns, ihnen „aufrechten Hauptes“ und „auf Augenhöhe“ zu begegnen wie auch, dass wir uns allen Anderen auf fundamentale Art und Weise ebenbürtig fühlen können“14. Honneth folgt Rudolph von Ihering, T. H. Marshall und Anderen bei seiner Rekonstruktion der spezifischen Natur des modernen Gesetzes und der Rechte. Während Rechte oder Privilegien in traditionellen Gesellschaften an eine bestimmte angeborene soziale Position gebunden waren, genießen Individuen im Rahmen der modernen Gesetzesordnung als Rechtspersonen mit gleichen Grundrechten und Pflichten fundamentale Gleichheit, die vollständig unabhängig davon ist, welche gesellschaftliche Rolle oder Position sie besitzen. Ein Individuum, das sich selbst als jemanden versteht, der allen anderen rechtlich gleichgestellt ist, achtet sich selbst und empfindet, dass es Anderen „aufrechten Hauptes“ begegnen kann. Honneth zitiert darüber hinaus T. H. Marshalls einflussreiche Interpretation der drei Entwicklungsstadien moderner Rechte, der zufolge grob skizziert gilt, dass die Bürgerrechte, die Individuen einen grundlegenden Schutz ihres Lebens und Eigentums bieten, im 18.  Jahrhundert entstanden, dass die politischen Rechte zur Partizipation an der politischen Willensbildung (zumindest für männliche Erwachsene) im 19.  Jahrhundert geboren wurden und dass soziale Rechte, die die materiellen und Ausbildungsbedingungen sichern, um so die politischen Rechte unabhängig von der sozialen Herkunft auch ausüben zu können, im 20.  Jahrhundert entstanden (ebd., 187 – 191). Jede „Generation“ der Rechtsentwicklung bedeutete eine verstärkte Inklusion und Gleichstellung von Bürgern hin zu vollwertigen Gesellschaftsmitgliedern. Nach Marshall stellt dies „eine Bereicherung des Stoffes dar, aus dem der Status der Rechtsperson gemacht

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ist und ein Zugewinn im Hinblick auf die Zahl derer, denen ein solcher Status zukommt“15. Problematisch ist allerdings, dass auch Honneths Darstellung, wie schon Fichtes und Hegels, durchtränkt ist mit der Ambivalenz von rein intersubjektivem und institutionell vermitteltem Respekt*. Dies hat zudem Konsequenzen in Hinblick auf Honneths These von der psychologischen Bedeutsamkeit, die dieser Dimension von Anerkennung zukommen soll. Während Honneth Liebe als eine intersubjektive Angelegenheit zwischen konkreten Personen interpretiert, die einander psychologisch gesehen nahe stehen, versteht er Respekt auf eine unpersönlichere Weise, die die Unterscheidung zwischen dem Intersubjektiven und dem Institutionellen, mit allen Vor- und Nachteilen, weniger deutlich erkennen lässt. In den vorangegangenen Kapiteln habe ich sowohl die vertikale Anerkennung der Individuen durch den Staat im Sinne der Zuschreibung von Rechten als auch die institutionell vermittelte horizontale Anerkennung* zwischen Individuen als Trägern von Rechten den rein intersubjektiven Formen von Anerkennung gegenübergestellt und den Mangel an psychologischer Tiefe betont, der in den Fällen der nicht-rein-intersubjektiven Formen vorliegt. Honneth meint allerdings, wie seine Zustimmung zum Zitat Feinbergs zeigt, dass es eine bedeutsame Verbindung von Rechten auf der einen Seite und psychologischen bzw. positiven praktischen Selbstbeziehungen der Rechtsträger auf der anderen Seite gibt. Worin aber besteht diese Verbindung? Honneth artikuliert diese Verbindung mithilfe einer Idee, die man in George Herbert Meads Theorie der Entstehung des sozialisierten Subjekts oder „Selbst“ (ebd., 114 – 147) finden kann. In Meads Theorie beinhaltet die Sozialisation, dass man lernt, sich selbst aus der Perspektive seiner Interaktionspartner zu sehen. Eine entscheidende Dimension dieses Prozesses besteht darin, sich aus der Sicht ihrer normativen handlungsbezogenen Erwartungshaltungen zu betrachten. Hierbei geht es nicht um Erwartungen im Sinne von Annahmen oder Hypothesen darüber, wie man handeln wird, sondern um normative Erwartungen, also darum, wie man den Anderen zufolge handeln sollte. So wie der Bereich an Interaktionspartnern des Kindes sich ausweitet, lernt es, sich selbst aus der normativen Perspektive von immer mehr Individuen zu betrachten und kann schließlich aus der Erfahrung dieser Vielzahl von konkreten Anderen die Perspektive eines „generalisierten Anderen“ (ebd., 125 – 129) abstrahieren. Honneth erklärt, dass die normativen Erwartungen des generalisierten Anderen die sozialen Normen sind, „denn jene verinnerlichten Normen sagen ihm sowohl, welche Erwartungen es an alle anderen legitimerweise richten darf, als auch welche Verpflichtungen es ihnen gegenüber berechtigterweise zu erfüllen hat“ (ebd., 125) und dass man darüber hinaus durch die „Verinnerlichung“ dieser Erwartungen zu einem „sozial akzeptierten Mitglied seines Gemeinwe-



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sens“ (ebd., S, 126) wird. Ein entscheidender Zug in Honneths Argument hängt damit zusammen, dass er dieses Mead’sche Modell auf die moderne Rechtsordnung anwendet und in spezifischer Weise interpretiert. Honneth hebt die Vorstellung hervor, dass Rechte innerhalb der modernen Rechtsordnung jedem menschlichen Wesen „als freiem Wesen“ (ebd., 179) oder als moralisch „zurechnungsfähige Person“ (ebd., 178) zugeschrieben werden und dass das moderne Recht Respekt gegenüber der „Willensfreiheit der Person“ (ebd., 180 – 181) zum Ausdruck bringt. Mit „Freiheit“ bezieht Honneth sich auf Freiheit in dem spezifischen „moralpsychologischen“ Sinne Kants als der Fähigkeit, Handlungen aus der Perspektive verallgemeinerbarer moralischer Prinzipien (im Gegensatz zu empirischen Motiven wie etwa Gefühlen, die Menschen Kant zufolge ins Reich der Kausalität verweisen) zu beurteilen und ihnen entsprechend zu handeln. Der von Kant inspirierten Interpretation des modernen Rechts bei Ihering folgend, kommt Honneth zu einer Deutung, der gemäß Rechte zu haben bedeutet, „als eine Person“ respektiert zu werden. So ansprechend diese Formulierung auch klingen mag, ist sie doch unklarer, als Honneth anzuerkennen scheint. Der Begriff der „Person“, wie Honneth ihn in diesem Kontext verwendet, schwankt nämlich zwischen dem von mir so genannten Personsein im Sinne eines institutionellen Status, dem zufolge Person zu sein einfach heißt, institutionell garantierte Rechte zu besitzen und Personsein wie auch Freiheit in der moralpsychologischen Bedeutung nach Kant, die vor allem die Fähigkeit meint, Handlungen (die eigenen wie auch die Anderer) nach Maßgabe ihrer Verallgemeinerbarkeit und moralischen Vertretbarkeit zu beurteilen. Während „als Person“ respektiert zu sein im ersten Fall bedeutet, als Rechtsträger respektiert* zu sein bzw. auf Weisen behandelt zu werden, die mit den eigenen Rechten und dem eigenen Status als Rechtsträger vereinbar sind, heißt es im zweiten Fall, als jemand respektiert zu sein, der die (aktuale oder potentielle) psychologische Fähigkeit zu moralischem Personsein besitzt, so dass Andere z.B. beschämt sind, wenn man sie für etwas kritisiert, das man als moralisch inakzeptable Handlung ansieht. Zwischen diesen beiden Bedeutungen nicht explizit zu unterscheiden hat den rhetorischen Effekt, dass sie entweder wie die gleich Sache dastehen, was sie klarerweise nicht sind, oder dass Respekt* für jemanden qua Rechtsträger gewissermaßen notwendigerweise auch Respekt für ihn als jemand mit den psychologischen Fähigkeiten des moralpsychologischen Personseins nach Kant impliziert, wobei überhaupt nicht offensichtlich ist, warum dies so sein sollte. Man betrachte auch die folgenden beiden Einwände bezüglich der zuletzt genannten Vorstellung. Erstens besitzen, wie ich im Rahmen der Auseinandersetzung mit Taylor herausgestellt habe, tatsächlich nicht alle Menschen gleichermaßen die Fähigkeit moralischer Urteilskraft, oder um dies in Meads Terminologie

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auszudrücken, nicht gleichermaßen die Fähigkeit, Handlungen und Ansprüche aus der Perspektive des „generalisierten Anderen“ zu beurteilen. Von Kindern erwartet man nicht das gleiche Maß „moralischen Verantwortungsbewusstseins“ wie von Erwachsenen. Und noch wichtiger ist es, dass manche Kinder niemals die psychologischen Fähigkeiten ausbilden, die Kant als moralpsychologische Fähigkeiten von Personen ansieht bzw. die Fähigkeiten, die notwendig wären, um die Perspektive des generalisierten Anderen bei Mead einzunehmen. Nichtsdestoweniger meint man gewöhnlich, dass dies kein Grund ist, ihnen den Schutz von Grundrechten vorzuenthalten. Worauf ich hinauswill, ist, dass der Vorstellung, die Zuschreibung von Rechten impliziere Respekt vor den entsprechenden Individuen als Personen im moralpsychologischen Sinne Kants, in Wirklichkeit durch den praktischen Rechtsgebrauch widersprochen wird: Dass man jemandem Rechte zuschreibt und ihn als Träger dieser Rechte respektiert*, impliziert nicht notwendigerweise, dass man ihn auch als frei und autonom im Kantischen Sinne respektiert. Da die konsistente Anwendung dieses Prinzips in der Tat bedeutete, Menschen mit schwerwiegender mentaler Behinderung vom Rechtsschutz auszuschließen, würden viele seine konsistente Anwendung als vollständig inakzeptabel erachten. Zweitens: Obwohl der Besitz mancher Rechte, etwa das Recht auf politische Partizipation, von einem hinreichenden Maß rationaler Fähigkeiten abhängt (nur psychologisch mehr oder weniger normalen Erwachsenen werden sie gewährt) und obwohl diese Rechte somit im Prinzip als Ausdruck der Idee gedeutet werden können, dass die Zuschreibung von Rechten Respekt gegenüber den Rechtsträgern als moralpsychologische Personen zum Ausdruck bringt, ist es immer noch eine empirische Frage, ob einzelne Rechtsträger es tatsächlich so sehen, dass sie diese Rechte aus dem Grunde besitzen (oder ob sie diese Zusammenhänge überhaupt kennen bzw. verstanden haben). Das heißt, dass Rechte zu haben und im juridischen bzw. institutionellen Sinne Person zu sein im Verständnis der Rechtsträger keineswegs notwendig mit der Selbstauffassung verknüpft ist, eine psychologische Person zu sein, die die Fähigkeit besitzt, Normen und Prinzipien der Koexistenz zu beurteilen oder eine Person, die von Anderen im intersubjektiven Sinne als eine Autorität bezüglich dieser Normen respektiert wird.16 Das Fazit, das aus diesen beiden Überlegungen folgt, ist, dass institutionelles Personsein, das Subjekte mit der gleichen Menge von Rechten ausstattet, es Individuen ohne Zweifel in einem wichtigen Sinne erlaubt, Anderen „aufrechten Hauptes“ zu begegnen und sich ihnen in fundamentaler Weise ebenbürtig zu fühlen („in some fundamental way the equal of everyone“). Der Gedanke aber, dass dies es ihnen standardmäßig erlaubte, sich als gleichberechtigte Autorität bezüglich des Inhalts akzeptabler Normen  – seien es moralische oder Normen anderer Art − zu fühlen, ist sowohl begrifflich als auch empirisch nicht haltbar.



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Respekt* für sich selbst in der ersten Bedeutung und Respekt für sich selbst in der zweiten Bedeutung sind schlichtweg zwei verschiedene praktische Selbstverhältnisse, und das erste führt keinesfalls notwendig zum zweiten. Obwohl Honneth insgesamt zweifellos einen ganz wichtigen Punkt vor Augen hat, wenn er die Bedeutsamkeit für die individuelle Selbstachtung und für die gelingende Entwicklung des Individuums herausstellt, die mit der Erfahrung einhergeht, dass Andere dem Individuum Respekt zollen, und obwohl die Erfahrung des Mangels von Respekt zweifellos eine starke Motivation für politische Bewegungen liefern kann, leidet seine Auseinandersetzung mit diesem Thema im Kampf um Anerkennung an einem gewissen Differenzierungsmangel. So wie sie dasteht, vermischt sie die institutionell vermittelte Form von Respekt* mit rein intersubjektivem Respekt und in der Folge auch die Selbstachtung*, die jemand als anzuerkennender Rechtsträger besitzt, mit der Selbstachtung, über die jemand als Autorität bezüglich gemeinschaftlicher Normen, eigener und fremder Rechte verfügt.17 Auch wenn die psychologische Tiefe im Prinzip eine herausstechende Tugend von Honneths Anerkennungstheorie ist, fehlt es ihm doch bei der Diskussion der deontologischen Dimension, die er ausschließlich im Kontext institutionalisierter Rechte begreift, an einer Ausarbeitung dessen, was bereits Fichte zu artikulieren versuchte: die Rolle von rein intersubjektivem Respekt für die Entwicklung von Individuen zu „freien Vernunftwesen“ bzw. Personen im psychologischen Sinne.18

6.2.3 Wertschätzung als Anerkennung Während Liebe sich nach Honneth auf ihre Objekte als verletzliche singuläre Wesen bezieht und Respekt auf diese als moralisch verantwortliche Wesen mit gleichen Rechten, bezieht sich Anerkennung als Wertschätzung auf ihre Objekte als Träger bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten. Und während Liebe das grundsätzliche Selbstvertrauen des Anerkannten unterstützt und Respekt seine Selbstachtung, befördert Wertschätzung sein Selbstwertgefühl, d.h. die positive Einschätzung bestimmter persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten (Honneth 2003, 196 – 210). Es sind allerdings nicht alle Arten von Eigenschaften und Fähigkeiten relevante Gegenstände der Wertschätzung: nur diejenigen, die andere als etwas begreifen können, das einen Beitrag zu ihrem Leben leistet oder zu etwas, das sie als wertvoll ansehen. Warum nur solche Eigenschaften? Eine dementsprechende Leitidee findet man bei Hegel wie auch beim jungen Karl Marx – nämlich die, dass Menschen ihrer Natur nach kooperative Wesen sind bzw. Wesen, deren Existenz von Kooperation bzw. der beiderseitigen Kontribution zu geteilten Zwecken abhängt. Daher ist es eines der wichtigsten Merkmale eines vollwertigen

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Mitglieds der menschlichen Gemeinschaft, fähig und motiviert zu sein, etwas zu den geteilten Zwecken oder der gemeinsamen Vorstellung des Guten beizutragen, wie auch immer diese definiert sind.19 Wie auch bei der deontologischen Dimension von Anerkennung betont Honneth die historischen Veränderungen von Wertschätzung und der damit bezeichneten kontributiven Dimension. Er skizziert zwei idealisierte historische Stadien der Letzteren  – das „traditionelle“ bzw. „traditionale“ und das „moderne“ Stadium – sowie einen „historischen Strukturwandel“ von dem ersten zum zweiten Stadium (ebd., 198 – 199). Während die Gesellschaft im kollektiven Selbstverständnis traditionaler Gesellschaften eine Ständeordnung beinhaltet, deren Mitglieder bestimmte Rollen und Aufgaben im sozialen Ganzen besitzen, das von Gott oder durch die ewige Ordnung der Dinge vorherbestimmt ist, verlieren solche meta-sozialen Erklärungen und Legitimationen der sozialen Ordnung im Übergang zur Moderne zunehmend an Glaubwürdigkeit. Dieser Übergang geht mit zwei wichtigen Veränderungen der kontributiven Dimension von Anerkennung einher. Erstens: Während Individuen in vormodernen Ordnungen entsprechend ihrem jeweiligen Stand „geehrt“ (ebd., 199) werden, wie es scheint en masse, und Unterschiede der Ehre zwischen Individuen eines Standes nur den Grad widerspiegeln, in dem diesem oder jenem Individuum die Verwirklichung der Werte zugeschrieben wird, die seinen Stand ausmachen, wird die an Stände gebundene „Ehre“ mit dem Aufstieg des Bürgerstandes mehr und mehr durch individualisierte Formen der „Wertschätzung“ ersetzt, die sich von der vorgegebenen sozialen Rangordnung zunehmend ablöst. Während der kriterielle Rahmen zur Bewertung der Leistung, die bestimmte Rollen, Persönlichkeitsmerkmale und Tätigkeiten zum sozialen Ganzen beitragen, in der vormodernen Welt nicht in Frage gestellt wird, wird dieser im Zuge der Moderne zunehmend zum Gegenstand von Aushandlungsprozessen. Es wird jetzt zumindest im Prinzip für jedes Individuum möglich, unabhängig von seinem sozialen Hintergrund Wertschätzung für seine individuellen Leistungen zum gemeinsamen Wohl zu erfahren. Zur gleichen Zeit aber verliert die inhaltliche Bestimmung des gemeinsamen Guten und damit auch das, was als relativer kontributiver Wert bestimmter individueller Fähigkeiten und Tätigkeiten zu diesem Guten aufgefasst wird, seine Selbstevidenz und wird zu einem Feld der Anfechtung und sozialer Kämpfe. Honneth versucht hier einen Mittelweg zu finden, der zwischen der Akzeptanz, dass soziale Wertschätzung von der Existenz eines „intersubjektiv geteilten Wertehorizont“ (ebd., 196) abhängt auf der einen Seite bzw. einer hinreichend geteilten Vorstellung von den wichtigsten gemeinsamen Bedürfnissen, Zwecken und was einen Beitrag zu diesen darstellte – ein Zugeständnis, das politische Liberalisten wie Nancy Fraser, die auf der Bedeutsamkeit eines Wertepluralismus beharren, unmittelbar beunruhigen muss − und



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der von ihm betonten Offenheit des modernen Wertehorizonts für Anfechtungen und Kämpfe auf der anderen Seite, vermitteln kann. Eine gute Gesellschaft erlaubt Individuen Weisen der Selbstverwirklichung, für die sie kontributive Wertschätzung erfahren können, um auf diese Weise ein hinreichendes Maß an Selbstwertgefühl zu entwickeln. Und auch wenn es immer möglich ist, dass die vorherrschende Konzeption des gemeinsamen Guten und das, was als wertvoller Beitrag zu diesem gilt, parteiisch ist, so dass ungerechterweise bestimmte Tätigkeiten und Gruppen anderen vorgezogen werden, lässt eine gute Gesellschaft im Prinzip Raum für die konstante Anfechtbarkeit und Neubestimmung des Inhalts des gemeinsamen Guten. Im Grunde bietet sie damit jedem jenseits von unfairer Bevorteilung die Chance, für seine Leistungen und Beiträge zum gemeinsamen Guten wertgeschätzt zu werden und sich als wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu erfahren. Wie wir in Abschnitt 5.2.1. gesehen haben behauptet Fraser, dass nach Honneths Modell „moralisch gesehen jedermann einen Anspruch darauf erheben kann, gesellschaftliche Achtung zu genießen“ (Honneth & Fraser 2003, 49). Dies ist jedoch klarerweise nicht, was Honneth zum Ausdruck bringen will. Er versucht vielmehr Bedingungen und Umstände zu bestimmen, anhand welcher Leistungen fair beurteilt werden und jeder, unabhängig von seinem sozialen Hintergrund oder anderen äußerlichen Faktoren, die Chance hat, wertgeschätzt zu werden – natürlich unter der Bedingung, dass er etwas geleistet hat, das der Wertschätzung würdig ist. Eine der Fragen, die Honneths Diskussion der kontributiven Dimension von Anerkennung und der formalen Auffassung des guten Lebens im Kampf um Anerkennung allerdings nicht vollständig bzw. eindeutig beantwortet, ist die Frage, worin Wertschätzung besteht. Was genau heißt es, jemanden für eine Leistung zum Wohl der Anderen bzw. zum allgemeinen Wohl zu schätzen? Ein Problem sticht hier besonders hervor: Wertschätzung bzw. kontributive Wertschätzung sieht verdächtig danach aus, den Anderen nur instrumentell wertzuschätzen bzw. ihn für das allgemeine Wohl zu „instrumentalisieren“. Honneth betont jedoch, dass Erwartungen von Anerkennung moralische Erwartungen sind. Die Frage einmal beiseite gestellt, ob es ein unumgänglicher Bestandteil menschlicher Beziehungen ist, dass Andere instrumentalisiert werden und ob wir dies für menschliche Beziehungen erwarten wollen, klingt die Vorstellung, dass es eine moralische Erwartung verletzte, von Anderen nicht instrumentalisiert zu werden, seltsam. Der junge Marx meinte, dass der Sachverhalt, dass sowohl Arbeiter bzw. Produzenten wie auch diejenigen, die ihre Produkte konsumieren, dazu gezwungen sind, einander (und auch sich selbst) instrumentell zu verstehen ein wesentliches Element der „entfremdeten“ Natur des Lebens unter kapitalistischen Bedingungen ist und etwas, das diesem einen unmoralischen Cha-

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rakter verleiht.20 Es ist nicht klar, wie Honneths Ansatz mit der möglichen Kritik umginge, dass Wertschätzung nur eine instrumentelle Weise der Wertschätzung darstellt und somit nichts Moralisches, das Menschen wechselseitig voneinander erwarteten, sondern vielleicht eher etwas, dass sie wie einen unumgänglichen Lebensumstand akzeptierten. Aber gibt es – so kann man fragen – eine Weise, wie man jemanden für seine Leistungen anders denn instrumentell wertschätzen kann? Ich glaube, dass dies möglich ist. Man denke an Dankbarkeit. Wenn A B für seine positiven Leistungen zu etwas wertschätzt, das für A von Wert ist, A aber B gegenüber keine Dankbarkeit empfindet, neigen wir dazu, zu denken, dass A B nur instrumentell wertschätzt. Vielleicht „instrumentalisiert“ oder „benutzt“ A B nicht in dem konkreten Sinn, dass er ihn dazu zwingt, zu tun, was A will, doch nichtsdestoweniger ist As Einstellung gegenüber B eine der instrumentellen Wertschätzung und damit eine Einstellung des „Instrumentalisierens“: A wertschätzt B als Mittel zu einem Zweck. Manchmal kann instrumentelle Wertschätzung ohne Dankbarkeit eine angemessene Einstellung darstellen, manchmal aber auch nicht. In dem Maße, in dem B tut, was er tut, weil er etwas dafür zurückerhalten möchte, etwa eine finanzielle Belohnung, will er gerade, dass A seine Tat instrumentell wertschätzt, nämlich als Mittel, das einem Zweck von A dient und dass dieser daher eine Vergütung auszahlen will. Damit kontrastiert das Folgende: Wenn B nicht handelt, weil er etwas dafür zurückerhalten möchte, also nicht „um seiner selbst (Bs) Willen“, sondern vielmehr „um As willen“ handelt, also aufgrund eines intrinsischen Interesses an As Wohl, erwartet er gewöhnlich etwas anderes: nämlich Dankbarkeit. Das heißt nicht, dass B handelt, weil er As Dankbarkeit erwartet, denn dann würde er nicht um As willen handeln und somit auch keine Dankbarkeit verdienen. Nur uneigennützige Handlungen verdienen Dankbarkeit; sie verleihen einer aufrichtigen Erwartung von Dankbarkeit ihren besonderen moralischen Charakter.21 Und es ist diese besondere moralische Logik, die altruistische (oder liebende) Leistungen, deren angemessene bzw. erwartungsgemäße Antwort Dankbarkeit ist, von der ökonomischen Logik des Handelns unterscheidet, das auf eine Entlohnung kalkuliert und dessen angemessene bzw. erwartungsgemäße Antwort in instrumenteller Wertschätzung − einem Lohn − besteht.22 Das Augenmerk von Honneths Diskussion der kontributiven Dimension von Anerkennung liegt auf der institutionellen Sphäre der sozialen Reproduktion und Arbeit und sein zentrales Argument lautet, dass Kämpfe um eine faire Entlohnung der Arbeit, wie auch Kämpfe um die Anerkennung bestimmter Aktivitätsformen, wie etwa die Anerkennung von Hausarbeit als in erster Linie sozial nützliche „Arbeit“,23 keine strategischen Kämpfe um materielle Vorteile sind (zumindest nicht nur), sondern (wenigstens partiell) durch die moralische Erwartung einer angemessenen bzw. kontributiven Wertschätzung durch die



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anderen Gesellschaftsmitglieder motiviert sind. Das Medium allerdings, in dem diese Wertschätzung zum Ausdruck gebracht wird, ist Honneth zufolge das Geld. Hierbei stellt sich die schwierige Frage, inwiefern Erwartungen auf Entlohnung von Arbeit als moralische Erwartungen begriffen werden können. Die moralische Logik des Geschenks und der Dankbarkeit scheint dem nicht angemessen zu sein, da sie Forderungen nach Entlohnung ausschließt und Entlohnung auch als die falsche oder unangemessene Antwort ausweist.24 Wenn dies aber der Fall ist, inwiefern kann Erwartungen, Forderungen und Kämpfen für einen fairen Lohn dann überhaupt ein moralischer Charakter zukommen? Es gibt zwei Wege, die man einschlagen kann, um dieses Problem zu lösen. Der erste führt uns auf ein Thema, dass in Honneths intellektuellem Austausch mit Nancy Fraser, der Koautorin des gemeinsamen Buches Umverteilung oder Anerkennung? in den Vordergrund rückt, nämlich das „Leistungsprinzip“ (vgl. Fraser & Honneth 2003, 147 – 159). Dies ist das Prinzip der modernen Bürgerlichkeit, dem zufolge die Fähigkeiten und Leistungen des Individuums je nach ihrem Wert für das gemeinsame Gute und unabhängig vom sozialen Hintergrund des Individuums wertgeschätzt und entlohnt werden sollten. Auch wenn der Sachverhalt der instrumentellen Wertschätzung sich an sich durch nichts moralisch Ehrwürdiges auszeichnet, gewinnt er solcherlei jenem Gedanken zufolge dadurch, dass man nach Maßgabe eines fairen und von ihm anerkannten Prinzips instrumentelle Wertschätzung erfährt. Ergänzt man hierzu die Erfahrung des Respektiertwerdens als jemand, der zusammen mit anderen Autorität über den Gehalt und die korrekte Anwendung des kontributiven Prinzips besitzt, dann ergibt sich ein Aspekt, der als moralisch charakterisiert werden kann: Selbst dann, wenn der Forderung nach Entlohnung, so lebenswichtig sie für den Arbeiter ist, keine positive moralische Qualität zukommt, die implizite Forderung, als eine beteiligte Autorität hinsichtlich des Entlohnungsprinzips respektiert zu werden, besitzt eine solche moralische Dimension. Diese zuletzt genannte implizite Forderung beinhaltet schlichtweg als Person im Sinne einer Ko-Autorität über die Normen der Koexistenz respektiert zu werden und sie impliziert (in dem Maße, in dem sie aufrichtig gemeint ist) die Verpflichtung, andere gleichermaßen zu respektieren. Man beachte allerdings, dass dieser Gedankengang die spezifisch moralische Qualität der Anerkennung von Leistungen de facto von der kontributiven Dimension in die deontologische Dimension von Normen, Autorität und Respekt überträgt. Es ist jetzt in Wirklichkeit die deontologische Dimension, die Forderungen nach fairer Entlohnung ein moralisches Element verleiht, während die erwartete Weise der Wertschätzung des Arbeiters für seine Beiträge zur instrumentellen Wertschätzung abgestuft wird. Wenn dies bedeutet, dass diese Form der Wertschätzung selbst keine Form von Anerkennung darstellt – da Anerkennung nach Honneth etwa ist, dessen Erwartung eine moralische Erwartung ist −, dann hat

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Honneth in Wirklichkeit überhaupt keine dritte unabhängige Form oder Dimension von Anerkennung eingeführt. Es gibt allerdings noch einen zweiten Ansatz, um über den moralischen Charakter von Erwartungen, Forderungen und Kämpfen um einen fairen Lohn nachzudenken, nämlich den, dass man die moralische Logik von altruistischen oder liebevollen Beiträgen wie auch der Dankbarkeit als einen ihnen in Wahrheit zugehörigen Aspekt begreift. Folgt man dieser Überlegung, dann ist Dankbarkeit eine dritte Einstellung der Anerkennung, die der kontributiven Dimension als Anerkennungsdimension eine gewisse Eigenständigkeit verleiht.25 So wie die meisten menschlichen Handlungen und Interaktionen kann auch Arbeit durch die verschiedensten Motive geleitet sein, die sich unter anderem hinsichtlich ihres moralischen Charakters voneinander unterscheiden. Eine naheliegende Motivation der Arbeit ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen (und den seiner Angehörigen), eine Motivation, die von einer Entlohnung abhängt und somit „eigennützig“ ist. Es gibt aber auch noch andere Motivationen zu arbeiten, eine von ihnen stellt die aufrichtige und uneigennützige Sorge um Andere dar, der Wunsch, (über die eigene Familie hinaus) zum Leben seiner Mitmenschen oder Mitbürger etwas beizutragen. Für den jungen Marx bestand ein wesentlicher Unterschied zwischen entfremdeter und nicht-entfremdeter Arbeit darin, dass sich unter entfremdeten Bedingungen (im Kapitalismus) sowohl der Arbeiter als auch der Konsument instrumentell zueinander verhalten und lediglich aus Sicht ihrer eigenen Bedürfnisse, während nicht-entfremdete Arbeitsbedingungen (wie sie im Kommunismus gegeben sein sollen) es dem Arbeiter – wie Honneth es formuliert− erlauben, gegenüber den Konsumenten seiner Produkte und deren Bedürftigkeit „eine Art von liebevolle Bejahung“ zum Ausdruck zu bringen (Honneth 2003, 237).26 Mit anderen Worten erlauben sie dem Arbeiter, ein intrinsisches Interesse gegenüber anderen Menschen als Konsumenten seiner Arbeitsprodukte aufzubringen, wodurch die Arbeitstätigkeit zumindest teilweise einen altruistischen bzw. liebevollen Beitrag zu deren Wohl darstellen kann. Honneth weist darauf hin, dass Marx dieses Modell der altruistischen Kooperation später aufgegeben hat, wodurch die Verknüpfung zwischen seinem Modell und Hegels Begriff der Anerkennung verlorengegangen sei (ebd.). Soweit ich dies einschätzen kann, gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass Honneth diese Idee verwenden würde, wobei unklar bleibt, warum nicht. In den großen modernen Gesellschaften, in denen die Verbindung von Arbeitstätigkeit und Konsum wie auch das Verhältnis von Arbeiter und Konsument in den meisten Arbeitsbereichen normalerweise zu entfernt und abstrakt sind, was es dem Arbeiter schwierig macht, überhaupt irgendeine klare Vorstellung vom Konsumenten auszubilden und irgendeine z.B. liebende Einstellung diesem gegenüber einzunehmen, könnte man die Marx’sche Konzeption als



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eine romantische Utopie kritisieren. Und doch gilt dies sicherlich nicht für alle Formen von Arbeit. Insbesondere in Bezug auf die innerfamiliäre Hausarbeit, aber auch in den Professionen der Pflegearbeit und Grundschulausbildung gibt es die starke Erwartungshaltung, dass der Arbeitende zumindest ein gewisses Maß an intrinsischer Sorge für das Wohl derjenigen aufbringt, die die Nutznießer seiner Arbeit sind. Auch wenn es unrealistisch sein mag, sich von solchen Motivationen in vielen anderen Arbeitskontexten allzu viel zu erwarten, wäre auch ihr vollständiger Ausschluss von allen anderen Arbeitsformen unnötig und in ungerechtfertigter Weise zynisch. Es würde bedeuten, dass man a priori ausschlösse, dass Arbeiter außerhalb dieser Sektoren jemals das Gefühl hatten, sie täten ihren Mitmenschen durch ihre Arbeit etwas Gutes oder trügen etwas zur Gesellschaft bei – und zwar nicht nur aus persönlichem Interesse. Es würde auch bedeuten, dass man a priori ausschlösse, dass es außerhalb der genannten Bereiche jemals genuine Gründe der Dankbarkeit für bestimmte Arbeiten gibt. Es scheint somit der Fall zu sein, dass nicht alle Erwartungen von „Anerkennung“ für bestimmte Leistungen im Bereich der Arbeit ausschließlich Erwartungen finanzieller Vergütung sind, sondern dass einige von ihnen auch in Erwartungen von Dankbarkeit bestehen und dass die moralische Logik, die in Letzterem enthalten ist, ihnen einen spezifisch moralischen Charakter verleiht.27 Kombinieren wir nun die beiden Überlegungen zum moralischen Charakter von Forderungen nach gerechtem Lohn, so erhalten wir im Resultat ein nuancierteres Bild von den möglichen Motivationen und Erwartungen, die involviert sein können, wann auch immer Individuen oder Gruppen „Anerkennung“ für gesellschaftlich bedeutsame Leistungen fordern bzw. dafür kämpfen. Da wir über Lohnarbeit sprechen ist ein zentraler Bestandteil selbstverständlich die Erwartung instrumenteller Wertschätzung der eigenen Leistung, d.h. ein angemessener Lohn. Zusätzlich aber könnte es zwei weitere Bestandteile geben, die anders als der erste klarerweise eine moralische Qualität besitzen und die (folgt man Honneth) charakteristisch für genuine Anerkennungsphänomene sind: Erstens ist dies die Erwartung, dass man selbst bzw. die eigene Peergroup im Hinblick auf den Inhalt und die gerechte Anwendung des Kontributionsprinzips als Ko-Autorität respektiert wird; zweitens, die Erwartung der Dankbarkeit, in einem Maße, dass die Motivation zu arbeiten auch die uneigennützige Sorge um diejenigen einschließt, die durch die eigene Arbeitsaktivität begünstigt werden oder deren Produkte konsumieren. Obwohl bloße Entlohnung ohne Dankbarkeit keine adäquate Antwort auf das zuletzt genannte Motiv darstellt, besteht augenscheinlich kein Grund, die Möglichkeit auszuschließen, dass eine Entlohnung in manchen Umständen von Dankbarkeit begleitet wird oder zumindest von den Empfängern so interpretiert wird.28

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Es gibt allerdings noch ein Problem: In Anbetracht der Tatsache, dass in großen Gesellschaften die Arbeiter wie auch die Konsumenten der von ihnen produzierten Produkte oft bis überwiegend keinen persönlichen Kontakt miteinander haben und wenig bis gar kein Wissen übereinander als individuelle Personen besitzen, scheint es recht problematisch, überhaupt davon zu sprechen, dass sie irgendwelche Einstellungen zueinander haben. Ich werde auf dieses Problem im letzten Kapitel (7.3.5.) zurückkommen, wenn ich die Rolle der Vorstellungskraft innerhalb von Anerkennungsbeziehungen zwischen Individuen thematisiere, die einander wenig bis gar nicht kennen.

6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth Am Ende von Abschnitt 6.1. erwähnte ich Honneths Zögern bezüglich der transkulturellen und transhistorischen Gültigkeit seiner „formalen Konzeption“ des guten Lebens. Diese Thematik hängt eng mit der Ambiguität bzw. Spannung zwischen seiner Konzeption von Anerkennung als rein intersubjektiver Angelegenheit einerseits und seinem Verständnis von Anerkennung als vermittelt durch institutionalisierte Normen und Prinzipien andererseits zusammen. Wie ich gezeigt habe, ist diese Ambiguität bereits im Kampf um Anerkennung vorhanden, sie tritt jedoch erst in Honneths folgenden Arbeiten mehr in den Vordergrund. Ich nutze den restlichen Teil des Kapitels dazu, der Rolle und der Wirkung dieser Spannung in den späteren Arbeiten nachzuspüren. Viele wichtige Aspekte von Honneths Arbeiten seit dem Kampf um Anerkennung werden dabei nicht im Detail diskutiert werden. Da die infrage stehende Ambiguität jedoch den Kern von Honneths Gesamtprojekt betrifft, verdient sie eine nähere Betrachtung.29 Insofern Honneths Arbeit bisher den wohl ambitioniertesten Versuch darstellt, Anerkennung zum zentralen Organisationsprinzip in der Politischen, der Sozial- und Moralphilosophie zu machen, kann sich der Hinweis auf einige darin enthaltenen Probleme für jeden als hilfreich erweisen, der an den Potentialen dieses Begriffs und den Möglichkeiten, diese weiter zu entfalten, interessiert ist.

6.3.1 Anerkennungsprinzipien Eine der Neuheiten in Honneths Ansatz, wie er ihn im gemeinsamen Buch mit Nancy Fraser zum Ausdruck bringt (Honneth & Fraser 2003) ist die relative Deemphase der psychologischen Aspekte von Anerkennung, wie sie im Kampf um Anerkennung präsent waren, sowie die zunehmende Betonung der „Anerkennungsprinzipien“, die zentral sind für das, was der Gesellschaft in den Augen



6.3 Die zwei Ebenen von Anerkennung bei Honneth 

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ihrer Mitglieder Legitimität verleiht und anhand welcher sie zu jeder Zeit deren aktuellen Zustand wie deren Funktionsweise beurteilen. In der kapitalistischbürgerlichen Gesellschaft orientiert sich die Kernfamilie am „Anerkennungsprinzip der Liebe“ (Fraser & Honneth 2003, 173), Rechtsverhältnisse orientieren sich am „Prinzip der Rechtsgleichheit“ (ebd., 181) und die Sphäre der Arbeit am bereits erwähnten „Leistungsprinzip“. Honneth hebt nun recht energisch hervor, dass diese Prinzipien das Werk der europäischen Moderne und somit nicht von universal menschlicher Natur sind. Allerdings spricht er nichtsdestoweniger an manchen Stellen des Buches in einem „anthropologischen“ und universalistischen Ton, wenn er im Hinblick auf das Bedürfnis nach Anerkennung von „quasitranszendentalen Interessen“ der menschlichen Gattung“ spricht, wobei „Erwartungen sozialer Anerkennung“ „ihrer Form nach“ als „eine anthropologische Invariante“ (die von historisch veränderlichen „Gehalten“ abhängt) angesehen werden könnten (ebd., 206) und hervorhebt, dass Kämpfe um Anerkennung auf „unabgegoltene Ansprüche der menschlichen Gattung“ (ebd., 280) verweisen. Honneths Denken wird so in zwei gegensätzliche Richtungen gezogen: eine historistische, die betont, dass Anerkennungsprinzipien, auf denen die Legitimität der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft aufruht, jeweils spezifisch für diese Gesellschaft sind und eine universalistische, die demgegenüber suggeriert, dass Bedürfnisse nach Anerkennung universal menschlich und unabhängig von Zeit, Ort und kulturellem Kontext sind. Das Problem mit dem ersten Gedankengang ist Folgendes: Wenn Anerkennungsprinzipien wirklich spezifisch für die europäische Moderne bzw. die kapitalistisch-bürgerliche Sozialordnung sind und wenn eine Sozialkritik sich auf diese und keine anderen immanenten Prinzipien berufen muss, dann ist Honneths Behauptung, dass die normativen Standards seiner „formalen Konzeption des guten Lebens“ sich „von der Vielfalt aller besonderen Lebensformen normativ abheben lassen“ (Honneth 2003, 276), falsch. Er spricht genau genommen nicht von Standards, die überall gültig sind, sondern von Standards, die einer bestimmten Gesellschaftsform immanent sind. Honneth scheint darauf hinauszuwollen, den historistischen und universalistisch-anthropologischen Gedankengang miteinander zu versöhnen bzw. zu verbinden. Es ist allerdings nicht klar, wie diese Vereinigung funktionieren kann. Eine zentrale Schwierigkeit rührt von der Tatsache her, dass die universalistische Rede von Anerkennung und das Bedürfnis nach dieser als einer „anthropologischen Invariante“ sich auf Anerkennung in der rein intersubjektiven Bedeutung zu beziehen scheinen, während die sich historisch verändernden „Anerkennungsprinzipien“ auf institutionalisierte Prinzipien und Normen Bezug nehmen. Da Honneth diese Unterscheidung zwischen dem intersubjektiven und institutionellen Aspekt nicht explizit macht, bleibt die Spannung zwischen ihnen, statt versöhnt zu werden, als ein unartikuliertes internes Problem seines Modells

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bestehen. Das Problem besteht zusammengefasst darin, dass rein intersubjektive Anerkennung streng genommen nicht durch Normen oder Prinzipien geregelt werden kann; bzw. um ganz genau zu sein, kann die „vollständig geistige“ bzw. „genuin personifizierende“ Weise, die ich in den Abschnitten 4.2. und 4.4.5. charakterisiert habe, dies nicht leisten. Und doch scheint es so, dass die universalistischen Bemühungen Honneths sich, wenn überhaupt, auf Anerkennung im rein intersubjektiven Sinn und auf die genuin personifizierende Weise stützen. Gemäß den „Anerkennungsprinzipien“, wie Honneth sie formuliert, soll man sich in der Familie und in engen persönlichen Bindungen um Personen kümmern, im rechtlichen Bereich sollen Personen Gleichheit genießen und im Bereich der Produktion und der Arbeit sollen sie entsprechend ihrer Leistungen Wertschätzung erfahren. In dem Maße, wie diese Sphären ihren „Prinzipien“ oder „normativen Maßstäben der Anerkennung“ gerecht werden, können Individuen die Erfahrung machen, dass die Gesellschaft ihre fundamentalen Bedürfnisse nach Anerkennung befriedigt und somit legitim ist. Im Hinblick auf die axiologische Sphäre besteht allerdings ein Problem darin, dass es zwar institutionalisierte Normen, Prinzipien und Gesetze geben mag, die vorschreiben, dass Eltern sich um ihre Kinder kümmern sollen, ein Gesetz, das vorschreibt, dass sie sie lieben sollen, jedoch wenig Sinn ergibt, da die Einstellung der Liebe nichts ist, was vorgeschrieben werden könnte. Das Gleiche gilt für die kontributive Dimension: Obwohl es institutionalisierte Normen bzw. Prinzipien geben kann, die faire Methoden vorschreiben, wie Leistungen zu evaluieren und dotieren sind und auch wenn es sogar institutionalisierte Verfahren geben kann, wie vorliegende Evaluationen angefechtet werden können, kann die Einstellung genuiner Dankbarkeit nicht verordnet werden, genauso wenig wie die Motivation zu arbeiten, um sich auf diese Weise der Dankbarkeit würdig zu erweisen. Man könnte meinen, dass diese Unmöglichkeit von der Irreduzibilität der axiologischen und kontributiven Dimension von Anerkennung auf die deontologische Dimension herrührt, die es mit Normen zu tun hat. In Wirklichkeit hat dies seinen Grund jedoch in der Irreduzibilität rein intersubjektiver Anerkennung im vollständig personifizierenden Sinne in jeder der drei Dimensionen; sie lässt sich nicht auf irgendetwas reduzieren, dass durch Normen oder Prinzipien vorgeschrieben werden könnte (seien diese institutionalisierter oder informeller Natur). Demzufolge gilt dies auch für die deontologische Dimension. Obwohl Gesetze, die Individuen oder Gruppen Rechte zuschreiben, von ihnen fordern, einander als Träger von Rechten zu respektieren*, bzw. sich auf eine Weise zu verhalten, die diese Rechte nicht verletzt, können von Individuen bzw. Gruppen gesetzlich keine Einstellungen des genuinen Respekts gefordert werden (denn solche Einstellungen zu haben, bedeutet, durch die Autorität des Anderen über mich auf die unmittelbare Weise, die ich in den Abschnitten 4.2. und 4.4.5. erläu-



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tert habe, motivational „affiziert“ zu sein). Genauso wie es im Fall, dass ich liebe oder Dankbarkeit empfinde, weil es eine entsprechende Norm gibt, keine genuine Liebe bzw. Dankbarkeit ist, stellt der Fall, dass ich Andere aus demselben Grund für Autoritäten halte, keine Form des genuinen Respekts dar. Innerhalb jeder der drei Dimensionen verträgt sich das, was am wichtigsten für die psychologische Entwicklung und das Wohl ist  – nämlich die anerkennenden Einstellungen zwischen Individuen  – nicht gut mit der Vorstellung von „Prinzipien“, „Normen“ und „Befehlen“ der Anerkennung. Ich habe allerdings noch nicht erklärt, warum genau man annehmen soll, dass es gerade die rein intersubjektiven Einstellungen der Anerkennung in ihrer unbedingten Weise sind, in denen die universalistischen Ansprüche von Honneths Modell verankert sind bzw. verankert sein sollten und damit auch, warum man annehmen sollte, dass Honneth diese Ansprüche gefährdet, wenn er die Rolle dieser Einstellungen innerhalb seiner Theorie aufs Spiel setzt. Obwohl die Psychologie in Honneths Diskussion mit Fraser eine verhältnismäßig geringere Betonung erfährt als im Kampf um Anerkennung, weist er der Psychologie im Rahmen der anthropologisch-universalistischen Ausrichtung seines Arguments dennoch eine zentrale Rolle zu. So spricht er von „der Struktur der menschlichen Interessenlage“ (Honneth & Fraser 2003, 281; Betonung H.I.), die er in enger Verbindung mit „der Struktur der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ (ebd., 282, Betonung H.I.) sieht und die normative Kriterien für die Kritik an „alle[n] gegebenen Organisationsformen von Gesellschaft“ (ebd., 281) zur Verfügung stellen soll – augenscheinlich sowohl in Bezug auf die Moderne als auch auf die Vormoderne. Honneth schreibt: Im Kern läuft meine Vorstellung auf die Hypothese hinaus, daß jede soziale Integration von Gesellschaften auf geregelte Formen der wechselseitigen Anerkennung angewiesen ist, an deren Unzulänglichkeiten und Defiziten sich stets wieder Empfindungen der Mißachtung festmachen, die als Antriebsquelle gesellschaftlicher Veränderungen gelten können. (Ebd., 282)

Es sind Gefühle der „Demütigung und Missachtung“ (ebd.), verursacht durch einen Mangel an Anerkennung, die (in schlimmen Fällen) zur Zersetzung von Gesellschaften bzw. (in positiven Fällen) zu emanzipatorischen Bewegungen und damit zu einem Fortschritt hin zu einer besseren Gesellschaft, tendieren. Es ist wichtig, dass Honneth auch in diesem Zusammenhang die Ansicht wiederholt, dass Erwartungen und Erfahrungen von Anerkennung bzw. fehlender Anerkennung, auf denen seines Erachtens jegliche Form sozialer Integration zurückgeführt werden kann, „moralische“ Erwartungen und Erfahrungen sind (ebd., 186, 201 – 203). Es gilt daher zu fragen, wie Anerkennung auszusehen hat, wenn die diesbezüglichen Erwartungen und Erfahrungen bzw. deren Fehlen moralische

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Erwartungen und Erfahrungen sind. Da Honneth sich noch immer dem verpflichtet zu fühlen scheint, was er im Kampf um Anerkennung über die psychologische Bedeutsamkeit von Anerkennung gesagt hat, stellt sich darüber hinaus die Frage, wie Anerkennung verfasst sein muss, wenn ihr eine solche Bedeutsamkeit zukommen soll. Ich habe oben die Vorstellung nahegelegt, dass institutionell vermittelte Anerkennung* bzw. die Anerkennung von jemandem als einem Träger von Rechten (die in diesem Fall durch „Anerkennungsprinzipien“ verordnet werden), keine so direkte Verbindung zu den Selbstverhältnissen der Objekt-Personen beinhalten, wie dies im Falle der rein intersubjektiven Anerkennung gegeben ist – bzw. genauer gesprochen, wie dies im Rahmen ihrer genuin personifizierenden Weise der Fall ist. Dasselbe gilt für die vertikale Anerkennung der Individuen durch den Staat, in dem Sinne, dass diesen Rechte garantiert werden, was eine Vorbedingung für den horizontalen Respekt* zwischen Individuen qua Träger genuin institutionalisierter Rechte darstellt. Der moralische Charakter sowohl der vertikalen Anerkennung von Individuen durch den Staat als auch der horizontalen Anerkennung* zwischen Individuen scheint darüber hinaus alles andere als auf der Hand zu liegen, denn Rechte können aus den unterschiedlichsten Gründen beansprucht, gewährt und respektiert* werden, wobei offensichtlich nicht alle moralischer Natur sind.30 Letztlich schließt die Beschränkung, dass Erwartungen der Anerkennung moralische Erwartungen sind auch intersubjektive Anerkennung in ihrem konditionalen Modus aus  – im Sinne der bloß instrumentellen Sorge um das Wohl Anderer, der bloß bedingten Zuschreibung von Autorität und der lediglich instrumentellen Wertschätzung Anderer für ihre Leistungen. In Anbetracht der Tatsache, dass Honneth weiterhin der Auffassung ist, dass Anerkennung im relevanten Sinne entscheidenden Einfluss auf die Psychologie ihrer Empfänger hat, und angesichts der Tatsache, dass er daran festhält, Erwartungen und Erfahrungen von Anerkennung wie deren Fehlen als moralische Erwartungen und Erfahrungen zu begreifen, scheint es zusammengenommen so zu sein, dass Liebe, Respekt und Dankbarkeit, oder etwas Ähnliches (angenommen es gibt ähnlich relevante Formen der bedingungslosen intersubjektiven Anerkennung), diejenigen Gegenstände darstellen, über die wir zu reden haben. Ihr Verhältnis zu den institutionalisierten Prinzipien und Normen wäre dann eine Frage, die genauer auszuarbeiten ist. Vorausgesetzt, dass solche Einstellungen im strengen Sinne nicht durch Normen angeordnet werden können, schließt sich die Frage an, ob es andere Arten gibt, wie sie durch Normen affiziert werden können und wenn ja, welche. Dies ist eine Frage, die ich in Abschnitt 5.2.3. im Zusammenhang mit Frasers Modell bereits kurz berührt habe, doch sie erforderte sicherlich eine genauere Untersuchung, die bestimmte, ob und wie die Vorstellung von sich historisch und kulturell verändernden „Normen der Anerkennung“



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und von „Anerkennungsordnungen“ mit der Vorstellung von bedingungsloser intersubjektiver Anerkennung vereinbart werden kann. Eine andere Frage und Richtung, ausgehend von welchen man diesen Problembereich fruchtbar ausarbeiten könnte, ist die nach den Bedingungen, auf Basis derer institutionalisierte Normen und Prinzipien als Ausdruck oder Verkörperung von genuin personifizierender intersubjektiver Anerkennung zwischen Ko-Autoritäten (in Demokratien zwischen Gesellschaftsmitgliedern) erfahren werden können. Die Aufgabe läge hierbei in einer genaueren Untersuchung der unterschiedlichen möglichen Motive von sozialen und politischen Prozessen, die zur Institutionalisierung bestimmter Prinzipien oder Normen führen bzw. diese unterstützen. Solche Prozesse können klarerweise sowohl rein strategische Kämpfe zwischen egoistisch motivierten Parteien (die zum Teil ideologischen Rückhalt erfahren, der ihre Interessen als gemeinschaftliche Interessen verschleiert) wie auch moralische und ethische Motive in Gestalt bedingungsloser bzw. genuin personifizierender Anerkennung zwischen den Gesellschaftsmitgliedern involvieren. Am Ende von Abschnitt 4.5. habe ich herausgestellt, dass der von Hegel bereitgestellte begriffliche Rahmen im Prinzip die Vorstellung einer Vielzahl von moralischen und ethischen Motiven als dem Hintergrund rechtlicher Relationen erlaubt. Obwohl andere Gesellschaften andere Institutionen oder institutionalisierte Prinzipien umfassen als die kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaften, ist in dieser Perspektive für die moralische und ethische Qualität jeder Gesellschaft und damit ihre Fähigkeit, die positiven Selbstbeziehungen ihrer Mitglieder zu unterstützen, das Maß ausschlaggebend, in dem die Prinzipien Ausdruck der bedingungslosen intersubjektiven Anerkennung der Mitglieder sind und somit als ein bedeutsamer Ausdruck derselben erfahren werden können. Wir haben hiermit einen Standpunkt der Kritik gewonnen, der nicht von irgendeinem bestimmen Rahmen institutioneller Prinzipien abhängt und der somit einen Standpunkt darstellt, ausgehend von dem man, wie Honneth schreibt, „alle gegebenen Formen der Organisation von Gesellschaft“ (ebd., 281), kritisch evaluieren kann. In dem Maße, in dem bedingungslose intersubjektive Anerkennung eine moralische Erwartung darstellt, die über kulturelle und Epochengrenzen hinweg geteilt wird, da sie im Allgemeinen auf „der Struktur der menschlichen Interessenlage“ beruht bzw. auf der universellen menschlichen Abhängigkeit von genuin personifizierender Anerkennung, ist dies darüber hinaus ein immanenter Standpunkt der Kritik, insofern er sich nicht einfach auf vom Philosophen ausgedachte Kriterien bezieht, sondern, um noch einmal mit Honneth zu sprechen, auf universale Bedürfnisse und „Ansprüche der menschlichen Gattung“ (ebd.).

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6.3.2 Die zunehmende Kluft zwischen den Ebenen Honneths Werk seit Publikation seiner Debatte mit Fraser im Jahre 2003 ist umfassend, daher werde ich nur einige allgemeine Beobachtungen dazu anstellen, inwiefern die eben diskutierte Spannung eine Rolle darin spielt. In seiner Monographie Verdinglichung aus dem Jahre 2005 verfolgt Honneth das Ziel, das „Verdinglichungs“-Konzept zu rehabilitieren, das durch Georg Lukács und andere Autoren der marxistischen Tradition berühmt geworden ist. In Anlehnung an Adorno und Horkheimer arbeitet Honneth die Konzeption aus, dass die Verdinglichung anderer Personen eine Form des „Vergessens“ darstellt und schlägt vor, dies noch genauer als Vergessen einer „elementaren“ Form der Anerkennung der anderen Person zu verstehen. Es geht hier um eine emotionale Einstimmung auf den Anderen, die in der frühen Kindheit die Perspektive des Kindes auf die Perspektive der Mutter oder eines anderen Fürsorgenden hin öffnet, es dem Kind so ermöglicht, sich selbst „in die Perspektive des Anderen“ (Honneth 2005, 51) hineinzuversetzen und auf diese Weise an einer Welt der geteilten Bedeutungen teilzunehmen. In der Perspektive des konkreten Anderen „gewinnt“ das Kind „eine Ahnung von der Fülle an existentiellen Bedeutungen (…), die situationale Gegebenheiten für den Menschen besitzen können“ und wird sich „eine[r] Welt [von] bedeutungsvollen Qualitäten“ bewusst, in der es sich praktisch zu involvieren gilt (ebd., 52). Mit anderen Worten: Das zunächst hilflose Kind muss die praktische Bedeutung der Dinge, Qualitäten, Ereignisse und Umstände aus der Perspektive des Erwachsenen erlernen, und die elementare Form der Anerkennung des Erwachsenen, die emotionale Einstimmung auf diesen, ermöglicht es dem Kind, einen Zugang zur Perspektive des Erwachsenen zu gewinnen. Honneths Idee ist es nun, dass das „Vergessen“ oder die Unterdrückung dieser ursprünglichen emotionalen Einstimmung der Grund für emotional kalte Beziehungen zu Anderen, rein „beobachtende“ oder „verdinglichende“ Weisen ist, innerhalb welcher die Anderen anstatt als Subjekte oder Personen als bloße Objekte oder Dinge erscheinen. Die Details dieses interessanten Vorschlags können hier nicht diskutiert werden, doch der Hauptgedanke im Hinblick auf den Begriff der Anerkennung ist der, dass diese „elementare“ bzw. „existentielle“ Form der Anerkennung „allen anderen, gehaltvolleren Formen der Anerkennung zugrunde liegt“ (ebd., 60, Anm. 19). Mit Letzteren meint Honneth offensichtlich die drei Formen der Anerkennung Liebe, Respekt und Wertschätzung, wie sie aus dem Kampf um Anerkennung bekannt sind. Dabei evoziert diese Formulierung die Erwartung, er denke über diese Formen der Anerkennung nun im Sinne von unterschiedlichen Weisen, in denen das Subjekt die Welt aus der praktischen Perspektive des anderen Subjekts betrachtet und Dinge, Qualitäten, Ereignisse und Umstände nun im Lichte der praktischen Bedeutsamkeit erblickt, die sie für den



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Anderen haben. Die „elementarere“ Form der Anerkennung und der „emotionalen Einstimmung“ – so scheint Honneth zu suggerieren – ist etwas, wodurch dies möglich wird. Diese höchst interessante Art und Weise, die drei Dimensionen der intersubjektiven Anerkennung verständlich zu machen, ist zumindest im Hinblick auf Liebe und Respekt sehr plausibel: Wie ich im Zusammenhang der Hegelanalyse (in den Abschnitten 4.4.5. und 4.5.) vorschlug, beinhaltet oder bedeutet Liebe als eine Form der Anerkennung, die Welt aus der Perspektive des Anderen zu betrachten, aus der Perspektive dessen, was gut oder schlecht für ihn ist, und Respekt als Anerkennung bedeutet, die Welt aus der Perspektive der Urteile des Anderen über moralisch Richtiges und Falsches zu betrachten. Unglücklicherweise ist dies, wie wir gesehen haben, nicht die Art und Weise, wie Honneth diese Formen der Anerkennung in seinen früheren Werken meistens beschreibt. Streng genommen ist es auch nicht die Art und Weise, wie er sie in Verdinglichung beschreibt. In Verdinglichung begreift Honneth die „substantielleren“ Formen der Anerkennung wieder anhand der Rede von Prinzipien bzw. der „internalisierten Normen der Anerkennung“. Dem Werk Verdinglichung zufolge gilt, dass diese „kulturell spezifischen Anerkennungsnormen regulieren, wie sich Subjekte in den unterschiedlichen sozialen Beziehungen auf legitime Weise zueinander verhalten“ und welche „Pflichten“ ihnen wechselseitig zukommen (übersetzt nach Honneth 2008, 153).31 Gemäß dieser Beschreibung stellen die drei substantielleren Formen der Anerkennung somit keine rein intersubjektiven Phänomene dar, sondern vielmehr etwas, das durch die institutionalisierten Normen einer „Anerkennungsordnung“ organisiert wird. Da die Übernahme der Perspektive eines Anderen eine Angelegenheit von Einstellungen und anderen psychologischen Phänomenen ist und da diese im strengen Sinne nicht durch Normen angeordnet werden können, entsteht eine Kluft zwischen Honneths Vorschlag, dass die drei Formen der Anerkennung die Übernahme der praktischen Perspektive des Anderen beinhalten einerseits und der Tatsache, dass er sie im Sinne von Normen der Anerkennung beschreibt andererseits. Da er den Unterschied wie auch das Verhältnis zwischen Anerkennung im intersubjektiven Sinn und im institutionell vermittelten Sinn nicht klar artikuliert, behalten seine Formulierungen im Hinblick auf diese beiden Formen ihre Ambivalenz. Was die Spannung zwischen der universal-anthropologischen und der historistischen Perspektive auf Anerkennung betrifft, so mag man vermuten, dass die Einführung der „elementareren“ Formen von Anerkennung in Verdinglichung zumindest teilweise durch den Wunsch motiviert ist, auf den Vorwurf des historischen Relativismus zu antworten. Es ist jetzt die elementare Form, in der Honneth die universalistischen Ambitionen seines Projekts verankert: Während die drei

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 6 Axel Honneth und das Anerkennungs­paradigma

„substantielleren“ Formen der Anerkennung bzw. die Prinzipien, durch die sie organisiert werden, spezifisch für die kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaften der Moderne sind, ist die „elementarere“ Form und ihre Bedeutsamkeit etwas universal Menschliches. Trotz Honneths Annahme, dass Letztere die „Grundlage“ der zuerst genannten ist, bleibt es jedoch, wie wir gesehen haben unklar, in welchem Verhältnis die beiden genau zueinander stehen sollen. Aufgrund dieser Unklarheit scheint Honneths Strategie in Verdinglichung keine erfolgreiche Lösung im Hinblick auf die Spannung zwischen den universal-anthropologischen und den historistischen Motiven seines Projekts darstellen zu können.32 Honneth hat das in Verdinglichung umrissene Projekt (zumindest bisher) nicht weiter ausgearbeitet und in seiner zuletzt erschienenen Monographie Das Recht der Freiheit (Honneth 2011) den Leitbegriff der Anerkennung durch den Leitbegriff der Freiheit ersetzt (in einer Weise, die stark von Hegel beeinflusst ist, demzufolge Freiheit bedeutet, „sich selbst im Anderen zu finden“). Rein intersubjektive Anerkennung spielt in diesem Buch im besten Fall noch eine nebensächliche Rolle, und Honneth scheint auch seine früheren universalistischen Aspirationen weitestgehend aufgegeben zu haben, wenn er den Geltungsbereich des Projekts in Das Recht auf Freiheit explizit auf eine Rekonstruktion der normativen Prinzipien beschränkt, die in seiner eigenen Gesellschaft institutionalisiert sind. Eine Ausarbeitung des Zusammenhangs zwischen dieser jüngsten Entwicklung seiner Politischen und Sozialphilosophie und der in Verdinglichung noch sehr präsenten Konzeption der rein intersubjektiven (und intrasubjektiven) Dynamik der Anerkennung, steht allerding noch aus.33 Da Honneths Werk zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Buches in weiten Teilen eine work in progress darstellt, ist zu erwarten, dass er sich den oben herausgestellten Problemen in seinen zukünftigen Ausarbeitungen noch widmen wird.34

7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen In den vorangegangenen Kapiteln habe ich Verknüpfungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Anerkennungstheorien von fünf zentralen Autoren herausgearbeitet. Es besteht jedoch zwischen den Pionieren des Anerkennungsdiskurses, Fichte und Hegel, einerseits und den gegenwärtigen Autoren Taylor, Fraser und Honneth andererseits ein weiterer, grundlegenderer Unterschied. Damit meine ich die relative Ungezwungenheit, mit der Fichte und Hegel über die Verfasstheit „freier Vernunftwesen“, „Personen“ und „Menschen“ im allgemeinen und die Bedeutung, die Anerkennung dabei zukommt, geschrieben haben. Taylor, Fraser und Honneth verhalten sich demgegenüber, wie die meisten gegenwärtigen Politischen und Sozialphilosophen, was solche Generalisierungen betrifft viel zurückhaltender. Es zeichnet die Haltung gegenwärtiger Autoren der Politischen und Sozialphilosophie aus, dass sie aufmerksam sind gegenüber der historischen und kulturellen Varianz des menschlichen Lebens, der Situiertheit des Philosophen oder Theoretikers und dem Risiko, aus einer bestimmten (westlichen) Erfahrungswelt Verallgemeinerungen für die ganze Menschheit zu ziehen. Das Risiko, so meint man, bestehe darin, etwas als ein universales Modell oder eine Norm des menschlichen Lebens zu präsentieren, was in Wahrheit nur eine bestimmte Weise des Menschseins oder einer gesellschaftlichen Organisation darstellt, so dass andere Weisen des individuellen und kollektiven Lebens, schlichtweg aufgrund ihrer Andersartigkeit für abnormal bzw. weniger vollkommen gehalten werden. Es ist allerdings auch keiner der drei Gegenwartsautoren gewillt, sich dem Extrem einer relativistischen Position zu verschreiben, d.h. einer Position, die sich von allen Versuchen abwendete, etwas von allgemeiner Gültigkeit darüber zu sagen, was das menschliche Leben zu einem guten Leben macht oder menschliche Beziehungen und Institutionen gerecht. Auf je eigentümliche Weise und motiviert durch teilweise unterschiedliche Interessen versucht jeder von ihnen sowohl die kulturelle und historische Varianz des menschlichen Lebens und entsprechende normative Auffassungen anzuerkennen als auch einen mutwilligen Relativismus zu vermeiden, der auf jegliche Ansprüche allgemeinerer Natur verzichtet. Taylor unterscheidet in seinem Aufsatz zwischen der Politik der Differenz und der Politik der allgemeinen Würde und versucht, so viel wie möglich von Letzterer in Erstere zu integrieren. Fraser weist jede Art der Bezugnahme auf eine Vorstellung des guten Lebens in der Politischen Philosophie zurück, denn ihrer Auffassung zufolge, sind diese notwendigerweise sektiererisch bzw. spiegeln zwangsläufig eine bloß partikulare Sicht des menschlichen Lebens wider.

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Ihre Strategie, mit der sie sowohl Sektierertum als auch Relativismus vermeiden will, besteht in der Konzentration auf das ganz abstrakte bzw. allgemeine normative Prinzip der gleichberechtigten „Teilnahme als Ebenbürtiger am sozialen Leben“, wobei sie so wenig wie möglich über das soziale Leben selbst sagt bzw. darüber, was dieses besser oder schlechter macht. Honneth scheut nicht davor zurück, über das gute Leben zu sprechen, doch versucht er dabei auf einer Ebene zu bleiben, die abstrakt bzw. „formal“ genug ist, um nicht-sektiererisch zu sein. Wie wir gesehen haben ist sein ambitioniertes Projekt der Vermittlung bzw. Versöhnung von universalistischen und partikularistischen Motiven jedoch mit einer Reihe begrifflicher Spannungen und Unklarheiten belastet. Nach der Diskussion all dieser unterschiedlichen Konzeptionen von Anerkennung bleibt die ungeklärte Frage bestehen, was an der Bedeutsamkeit von Anerkennung (bzw. den unterschiedlichen Phänomenen, die darunter gefasst werden) eigentlich genau von universalistischer Natur ist und was daran der historischen und kulturellen Varianz zuzuschreiben ist. Dies ist die Frage, auf die ich in diesem abschließenden Kapitel eingehen werde. Ich werde als erstes (in 7.1.) einige begriffliche Probleme klären, die auf dem Spiel stehen, wenn es um die entweder universalistische oder historisch kulturelle Varianz von Anerkennung sowie deren Bedeutsamkeit für das menschliche Leben geht. In den Abschnitten 7.2. und 7.3. werde ich zweitens einen möglichen Weg skizzieren, wie eine universalistische bzw. „anthropologische“ Interpretation der gleichzeitig ontologischen und ethischen Bedeutsamkeit von Anerkennung zu rehabilitieren ist. Diese Skizze zehrt von Hegels Ideen der Menschheit, des „Geistes“ und der „konkreten Freiheit“, wie auch von Honneths mehrdimensionaler Anerkennungskonzeption. Sie entwirft ein Ideal – im besten Fall das Ideal – des menschlichen Lebens mit all seinen individuellen, sozialen und politischen Aspekten im Sinne der mannigfaltigen Elemente des von mir sogenannten „voll ausgebildeten Personseins“. Das allgemeine Kriterium, das dabei vorgeschlagen wird, um die Gutheit einer Gesellschaft zu ermessen, wie auch immer diese institutionell beschaffen sein mag, oder einer menschlichen Beziehung bzw. eines Netzwerks von Beziehungen, wie auch immer der kulturelle Kontext beschaffen sein mag, ist das Maß, in dem diese die Verwirklichung der unterschiedlichen Elemente des menschlichen Personseins im vollwertigen Sinne unterstützen bzw. damit kompatibel sind. Egal ob es mithilfe dieses bestimmten Modells gelingt, ein Ideal zu artikulieren, das in den unterschiedlichsten Gesellschaften und Kulturen auf Akzeptanz stößt, es ist in jedem Fall wichtig zu fragen, ob das anerkennungstheoretische Paradigma in der kritischen Sozialphilosophie (oder einer ihrer Versionen) Relevanz besitzt, nicht nur für die Minderheit der menschlichen Gattung, die in liberalen und kapitalistischen Gesellschaften lebt (bzw. im „Westen“), sondern auch für den Rest der Menschheit. Positiver formuliert: Sollte irgendeine Weise,



7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre Bedeutsamkeit 

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eine universalistische Konzeption der Bedeutsamkeit von Anerkennung für das menschliche Leben zu rehabilitieren, gangbar sein, dann stellte sie einen Standpunkt für eine immanente kritische Prüfung einer jeden Form der sozialen Organisation des menschlichen Lebens zu Verfügung bzw. einer jeden menschlichen Beziehungsform und damit eine Plattform des interkulturellen und intersozialen Dialogs, Vergleichs und der Kritik. Die folgenden Überlegungen sollten mindestens für jeden hilfreich sein, der sich weiter mit der Frage beschäftigen möchte, was genau an Anerkennung und ihrer Bedeutsamkeit eigentlich universal menschlich ist und was nicht.1

7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre Bedeutsamkeit Die erste Herausforderung, der sich jede These über die mögliche universale Bedeutsamkeit von Anerkennung zu stellen hat, ist die Leugnung, dass das Phänomen selbst – also Anerkennung – etwas historisch und kulturell invariantes ist. Eine einfache Version dieses Skeptizismus geht von der Alltagsbeobachtung aus, dass es von einer Kultur und einer Epoche zur nächsten verschieden ist, was genau solche Begriffe wie „Liebe“ oder „Respekt“ (sowie deren Äquivalente in anderen Sprachen) bedeuten.2 So gesehen scheint etwa die These über die universale Bedeutsamkeit der Liebe bei der Entwicklung einer positiven Selbstauffassung schon allein deswegen verworren zu sein, weil es nichts gibt, auf das sich der Begriff „Liebe“ bzw. seine Entsprechungen zu unterschiedlichen Zeiten und Orten gleichermaßen beziehen könnte. Diese Variante des Skeptizismus gegenüber universalen Behauptungen über die Bedeutsamkeit von Anerkennung in irgendeiner ihrer Formen lässt sich jedoch leicht durch den Hinweis entschärfen, dass man nicht darüber redet, worauf sich dieses oder jenes Wort in den unterschiedlichen Sprachen und historischen wie kulturellen Kontexten bezieht. Es wird vielmehr ein bestimmtes Phänomen als universal bedeutsam behauptet – sei dies angemessen oder nicht –, und welches Wort auch immer dafür gebraucht wird, ist dabei nebensächlich. Es geht um die Phänomene, nicht um die Worte. Das bedeutet auch, dass man, wenn man irgendwelche Thesen über die universale Bedeutsamkeit von etwas aufstellen will, das man „Anerkennung“, „Liebe“, „Respekt“ etc. nennt, genau beschreiben muss, welches Phänomen man damit meint und in welcher Bedeutung man die entsprechenden Ausdrücke verwendet. Eine Problematik, die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist, stellen die Unterscheidungen dar, die ich in Abschnitt 2.3. eingeführt habe. Will man behaupten, dass Anerkennung oder eine ihrer besonderen Formen eine

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

bestimmte Bedeutsamkeit für das menschliche Leben über verschiedene Kulturen oder Epochen hinweg zukommt, dann gilt es zu spezifizieren, ob man (a) über eine bestimmte Art der Einstellung, (b) ein bestimmtes Gefüge von Einstellungen und andere psychologische Zustände, (c) über eine bestimmte Art der konkreten interpersonalen Beziehung oder (d) über eine bestimmte Institution redet. Nehmen wir als Beispiel das Leben der modernen westlich-bürgerlichen Familie. Die bürgerliche Familie im Allgemeinen ist einerseits (d) eine Institution, für die bestimmte Normen konstitutiv sind, die zum Teil als Gesetze niedergeschrieben sind, zu einem anderen Teil auch nicht niedergeschrieben sind, aber von den Mitgliedern einer Gesellschaft durchgesetzt werden. Diese Normen definieren die deontischen Machtbefugnisse bzw. bestimmte Rechte und Pflichten, die mit den ineinander verflochtenen Rollen innerhalb der Familie einhergehen. Jede individuelle Familie ist aus institutioneller Sicht eine bestimmte Instanziierung der allgemeinen Institution der bürgerlichen Familie und jede Frau, jeder Mann und jedes Kind, das Teil dieser Familie ist, ist Träger einer Rolle und damit Träger bestimmter Rechte und Pflichten als Ehefrau, Ehemann bzw. Kind. Die institutionelle Perspektive bildet das Leben innerhalb einer Familie jedoch nur in begrenzter Weise ab: Familienmitglieder stehen (c) in konkreten interpersonalen Beziehungsverhältnissen zueinander und ihre institutionalisierten Rechte und Pflichten, die sie gegenüber einander und gegenüber der Gesellschaft besitzen, sind nur ein Element dieser Beziehungen neben im Prinzip unendlich vielen anderen Elementen.3 Eine offensichtlich zentrale Klasse von Elementen der konkreten interpersonalen Beziehung bestimmter Familienmitglieder stellen die Einstellungen, Emotionen und anderen psychologischen Zustände oder Dispositionen dar, die sie in Bezug auf die Anderen besitzen. Diese psychologischen Phänomene gehen (b) in Gefüge bzw. Verbindungen ein, die von sehr komplizierter Natur sein können. Einstellungen der Anerkennung (a) sind ein, aber ein recht zentraler Bestandteil innerhalb solcher Gefüge. Fragt man nach der historischen oder kulturellen Invarianz oder Varianz der Rolle oder Bedeutsamkeit von Anerkennung bzw. nach der Invarianz oder Varianz von Anerkennung selbst, dann hängt alles davon ab, auf welcher Ebene man Anerkennung genau verorten will. Institutionen (d), wie die bürgerliche Familie, sind selbstverständlich historisch und kulturell spezifisch und obwohl die institutionalisierten und informellen Normen, die in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten die sexuellen Beziehungen und die Fürsorge des Nachwuchses strukturieren, wichtige Elemente mit ihr teilen mögen, weichen sie im Detail doch auch stark von ihr ab. Akzeptiert man um des Arguments willen Honneths Idee von „Anerkennungsordnungen“, die aus institutionalisierten „Normen der Anerkennung“ bestehen, dann fasst man sie ähnlich wie andere soziale Normen, die die menschliche Interaktion regeln, leicht als kulturell und historisch variante



7.1 Über die Varianz oder Invarianz von Anerkennung und ihre Bedeutsamkeit 

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Phänomene auf. Identifiziert man Anerkennung mit Institutionen oder institutionalisierten Normen bzw. Prinzipien, dann variieren diese selbstverständlich von einem historischen und kulturellen Setting zum nächsten aufgrund der entsprechenden Variation der Rechte und Pflichten von Vätern, Müttern und Kindern, die die kleinste reproduktive Einheit der Gattung darstellen. In Bezug auf (c) die konkreten interpersonalen Beziehungen gilt Folgendes: Auch wenn bereits jede Beziehung innerhalb derselben Gesellschaft und derselben Zeit sich in vielerlei Hinsicht von jeder anderen Beziehung unterscheidet, so unterscheiden sich die unterschiedlichen Kulturen, Gesellschaften und historischen Epochen doch durch für sie jeweils typische Beziehungsmuster voneinander. Kommt durch diese auch eine gewisse Uniformität im Hinblick auf bestimmte Instanziierungen desselben Beziehungstyps innerhalb einer Gesellschaft ins Spiel, so unterscheiden sich diese Muster im Vergleich der Kulturen und Epochen miteinander natürlich immens. Selbst dann, wenn man akzeptiert, dass diese Varianz nicht grenzenlos ist (aufgrund so universaler anthropologischer Fakten wie etwa dem, dass menschliche Kinder in der Kindheit hilflos und der Fürsorge und Aufmerksamkeit durch Erwachsene bedürftig sind), impliziert die Identifikation von Anerkennung mit konkreten interpersonalen Beziehungen bzw. „Anerkennungsverhältnissen“ im Vergleich der Gesellschaften, Kulturen oder Epochen eine große Varianz. Betreffs (b) der Gefüge von Einstellungen, anderen psychologischen Zuständen und Dispositionen sind die typischen Muster konkreter interpersonaler Beziehungen teilweise durch typische Einstellungsgefüge konstituiert, die die beteiligten Individuen zueinander einnehmen und beide sind durch zahlreiche andere Faktoren geprägt – geographische, historische, ökonomische, kulturelle, religiöse, die Bildung betreffende etc. −, die in den unterschiedlichen Gesellschaften und Epochen variieren. Auch wenn die Varianz aufgrund relativ stabiler oder sich zumindest nur langsam verändernder Tatsachen menschlicher Wesen und ihrer Bedürfnisse hier wiederum nicht endlos ist, scheint eine große historische und kulturelle Varianz, wenn man Anerkennung mit solchen psychologischen Gefügen identifiziert, offensichtlich. Betrachtet man Anerkennung auf der Ebene von Institutionen, konkreten interpersonalen Beziehungen oder Einstellungsgefügen, dann lässt sich insgesamt der Schluss nicht umgehen, dass Anerkennung selbst nichts darstellt, das in allen kulturellen und historischen Kontexten oder allen Gesellschaften von gleicher Art wäre. Doch diese − fast schon triviale – Folgerung lässt eine tiefergehende Frage bezüglich Einstellungen der Anerkennung leicht aus dem Blickfeld geraten. Das ganze Buch hindurch habe ich betont, dass es gerade die anerkennenden Einstellungen sind, die nicht aus dem Blick geraten dürfen, will man die Konstellation von Phänomenen, um die es in den klassischen und gegenwärtigen

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Texten über „Anerkennung“ geht, klar erfassen. Gibt es einen unwandelbaren Kern in den Einstellungen der Anerkennung und etwas universal Gültiges in ihrer Bedeutsamkeit für menschliche Wesen, das unabhängig von bestimmten Kulturen, Epochen und den Besonderheiten institutioneller Strukturen ist? Und wenn ja, könnte dies vielleicht einen Standpunkt für eine immanente Sozialkritik liefern, der die Chance böte, quer durch die Kulturen anwendbar zu sein? Wofür ich im Folgenden argumentieren werde ist erstens (in 7.2.1.), dass jede der drei Dimensionen von Anerkennung, die in den vorangegangen Kapiteln diskutiert wurde, aufgrund bestimmter allgemeiner struktureller Tatsachen der menschlichen Lebensform, ein notwendiges Element jeder menschlichen Gesellschaft darstellt; zweitens (in Abschnitt 7.2.2.), dass der entscheidende Faktor der ethischen oder moralischen Qualität sozialer Beziehungen und damit des menschlichen Lebens in seiner wesentlichen sozialen Ausgestaltung der Modus der intersubjektiven Anerkennung ist.

7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform und die Rolle intersubjektiver Anerkennung Ich beginne mit einer Erörterung von drei universalen Tatsachen über menschliche Wesen bzw. die menschliche Lebensform, die offensichtlich unabhängig von der Kultur, der Epoche und den institutionellen Details von Gesellschaften sind und von direkter Relevanz für die Frage nach der möglichen universalen Bedeutsamkeit von Einstellungen der Anerkennung sind. Erstens ist das instinktgeleitete Verhalten beim Menschen, anders als bei weniger komplexen Tierarten, in einem großen Maße der Organisation des Lebens durch geteilte Normen gewichen. Zweitens leben Menschen im Gegensatz zu weniger komplexen Tieren nicht allein in der Gegenwart; und im Rahmen ihrer subjektiven Erfahrung suchen sie nicht allein die unmittelbare Befriedigung ihrer Wünsche und Bedürfnisse. Sie sorgen sich vielmehr um ihr zukünftiges Wohl und im umfassendsten Sinn um ihr Leben als Ganzes sowie um alles, was dazu einen positiven oder negativen Beitrag leisten könnte. (Hierbei ist die spezifisch menschliche Fähigkeit involviert, sich mögliche zukünftige Zustände und Ereignisketten vorstellen zu können.) Drittens sind Menschen abhängig von Kooperation oder zumindest von den Handlungen vieler, die zu gemeinsamen Zielen beitragen und so das individuelle Überleben und die kollektive Reproduktion des Lebens ermöglichen. Kooperation oder kontributive Handlungen zwischen Menschen sind durch die erwähnten geteilten Normen bzw. die normativen Erwartungen geregelt und motiviert durch die „zukunftsbezogenen“ Sorgen um Leben, Glück und Wohlergehen.



7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform 

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Evolutionär gesprochen hat sich jedes dieser drei ineinander verflochtenen spezifisch menschlichen Merkmale schrittweise entwickelt. Wäre man in der Lage, weit genug in die ferne Vergangenheit zurückzublicken, würde man beobachten können, wie Menschen allmählich zu „einfacheren Tieren“ werden. In evolutionärer Perspektive stellt kein Faktum über den Menschen eine vollständig unveränderliche „anthropologische Konstante“ dar. Doch die drei Merkmale können offensichtlich in Bezug auf alle existierenden menschlichen Gesellschaften Gültigkeit beanspruchen, wie auch in Bezug auf alle vergangenen menschlichen Zivilisationen, die in der Lage waren, Aufzeichnungen über ihre Lebensform zu hinterlassen. Um diese Kulturen oder Zivilisationen von früheren Stadien der menschlichen Evolution abzugrenzen, wollen wir spezifizieren, dass wir uns nur auf die menschliche Lebensform konzentrieren, insofern sie „mehr als eine bloß animalische Lebensform“ ist, mit anderen Worten: dass unser Interesse der Lebensform von „Menschen als Personen“ bzw. „menschlichen Personen“ gilt.4 So konkretisiert besteht die Behauptung darin, dass die eben erwähnten drei allgemeinen Merkmale oder Tatsachen für alle „menschlichen Gesellschaften“ gelten, mit denen ich im Folgenden genauer noch „Gesellschaften menschlicher Personen“ meine: Sie alle sind Spezifikationen bzw. bestimmte Instanziierungen der allgemeinen Lebensform menschlicher Personen oder kurz gesagt der „menschlichen Lebensform“, die sich durch die drei zusammenhängenden Tatsachen auszeichnet.5

7.2.1 Die drei Dimensionen der Anerkennung als wesentliche Bestandteile der menschlichen Lebensform Worin besteht aber nun die Relevanz dieser drei universalen Fakten über menschliche Gesellschaften für die Frage nach der universalen Bedeutsamkeit von Anerkennung bzw. von anerkennenden Einstellungen für die menschliche Lebensform? Als erstes ist zu beobachten, dass eine grobe Korrespondenz zwischen den drei Fakten und den drei Dimensionen der Anerkennung besteht, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln erörtert wurden: Organisation des Lebens mittels geteilter bzw. sozialer Normen innerhalb der deontologischen Dimension, Sorge um Leben und Glück innerhalb der axiologischen Dimension und Kooperation oder kontributives Handeln innerhalb der kooperativen bzw. kontributiven Dimension. Worin aber besteht genau der Zusammenhang zwischen den Fakten und den Dimensionen von Anerkennung? Ich möchte dies im Hinblick auf jede einzelne der drei Dimensionen erläutern. Erstens ist irgendeine Form oder irgendein Modus deontologischer Anerkennung (im Sinne der Zuschreibung von Autorität)

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

aufgrund der Erfordernisse, die mit der Organisation und Regelung des Lebens durch geteilte Normen einhergehen, klarerweise ein notwendiges Element der menschlichen Lebensform und damit jeder menschlichen Gesellschaft. Die Vorstellung, dass die Orientierung an Normen ein spezifisches und konstitutives Merkmal der menschlichen Lebensform ist, wurde in den letzten Jahren nachdrücklich von einer einflussreichen Strömung Hegel-inspirierter Philosophie vorgetragen, die wir, aufgrund ihrer vornehmlichen Beschäftigung mit Fragen von Normen, Autorität und kollektiver Autonomie „deontologischen Neo-Hegelianismus“ nennen können. Zu ihren Leitfiguren gehören die Amerikaner Robert Brandom und Terry Pinkard.6 Einer ihrer zentralen Gedanken ist ganz allgemein gesagt der, dass der Unterschied des nach Hegel „geistigen Bereiches“ von der Natur, bzw. der Lebensform menschlicher Personen von einer bloß natürlichen Lebensform darin besteht, dass wir als Personen mittels kollektiv autorisierter und verwalteter Normen die Welt organisieren und diese als entsprechend strukturiert erfahren. Diese sozialen Normen regeln alle spezifisch menschlichen Tätigkeiten, einschließlich der Tätigkeit der sprach-basierten Kommunikation und des Denkens. Die Sprache selbst wird durch semantische Normen konstituiert, die die korrekte und inkorrekte Verwendung von Worten bestimmen sowie die Urteile und Schlüsse, in die sie involviert sind.7 Dies bedeutet, dass die Verwendung einer Sprache zur Kommunikation und im linguistisch strukturierten Denken die Anwendung dieser Normen erfordert. Da die menschliche Lebensform durch soziale Normen organisiert ist und da es keine anderen „Verwalter“ für die Gehalte dieser Normen gibt wie auch keine andere Quelle ihrer Autorität als die menschlichen Wesen selbst, sind Menschen kollektiv gesprochen selbstbestimmte bzw. autonome Wesen. Doch wieso stellt Anerkennung ein notwendiges Element für die normengeleitete Struktur der Lebensform dar? Der Grund hierfür ist, dass Menschen als Personen einander als an Autorität Teilhabende „anerkennen“ müssen, mit anderen Worten als „Ko-Autoritäten“ der Normen. Das eigene Verhalten wäre nicht von sozialen Normen geleitet, hielte man keinen seiner Mitmenschen für eine Autorität, die über die Richtigkeit oder Falschheit der eigenen Handlungen und Gedanken urteilen darf. „Anerkennung“ meint hier also primär die horizontale Zuschreibung von Autorität sowie den Sachverhalt, dass man Andere als KoAutoritäten erachtet, sowohl in Bezug auf die Normen der Koexistenz, wie auch in Bezug auf jede Form der gemeinsamen Aktivität (eine davon ist die sprachliche Kommunikation) und des individuellen Handelns, die sich auf andere auswirken. Dass sich normengeleitete Strukturen sogar auf Aktivitäten sprachlicher Kommunikation und damit auf das Denken, insofern es sprachlich strukturiert ist, erstrecken, zeigt an, wie tief soziale Normen der Verfasstheit individueller Sprecher und Denker, d.h. menschlicher Personen, immanent sind. Dies heißt darüber



7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform 

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hinaus einerseits, dass es eine notwendige Bedingung der Personsein-stiftenden Verfasstheit überhaupt ist, Andere als Autoritäten anzuerkennen. Andererseits ist es eine notwendige Bedingung für die Partizipation an der gemeinsamen Ausübung von Autorität über Normen, dass man selbst von Anderen anerkannt wird und in deren Augen als Ko-Autorität gilt. Sollte der deontologische Neo-Hegelianismus mit diesen allgemeinen Ideen auf der richtigen Spur sein, wovon ich überzeugt bin, dann ist Anerkennung in irgendeinem Modus der Zuschreibung von Autorität in der Tat eine notwendige und zentrale Komponente der menschlichen Lebensform.8 Da Menschen sich als Personen zweitens um ihr zukünftiges Wohl sorgen und sich dessen Abhängigkeit von der Existenz und dem Wohl wenigstens einiger anderer Personen bewusst sind, ist irgendeine Form bzw. irgendein Modus axiologischer Anerkennung von (zumindest einigen) Anderen im Sinne der Sorge um deren Leben und Wohlergehen eine weitere notwendige Komponente der menschlichen Lebensform und damit einer jeden menschlichen Gesellschaft. Es gibt eine lange philosophische Tradition, die Differenz zwischen Personen und Tieren, die keine Personen sind, mithilfe der axiologischen Begrifflichkeit des Wertschätzens und Sorgens zu begreifen. Beginnend mit Aristoteles᾽ Ausführungen in der Nikomachischen Ethik, der von den Menschen schreibt, dass sie ein nicht-instrumentelles bzw. „intrinsisches“ Interesse an ihrem guten Leben bzw. der eudaimonia nehmen (Aristoteles 2009), über John Lockes Überlegungen zur zentralen Fähigkeit von „Personen“, „die glücklich oder unglücklich sein können“ (Locke 1981, 435f.) im Versuch über den menschlichen Verstand bis zu Harry Frankfurts zeitgenössischer Unterscheidung von Personen und Subjekten, die keine Personen sind, mittels der Fähigkeit ersterer, sich von den unmittelbaren „first order“ Motivationen bzw. Begierden distanzieren zu können (Frankfurt 1971), bestand der Gedanke darin, dass das, was wesentlich für Menschen als Personen ist, in einer besonderen Struktur von Sorgen, Sorgen um sich selbst und Wertungen besteht. Wie ich in Kapitel 4 gezeigt habe ist dies auch ein Aspekt von Hegels idealisierter Konzeption der Überwindung eines lediglich animalischen Modus der Intentionalität (den Hegel im Selbstbewusstseinskapitel „Begierde“ nennt) und damit des Werdens psychologischen Personseins. Man muss zu diesem allgemeinen Bild nur das Faktum ergänzen, dass menschliche Individuen konstitutiv unfähig sind, ihr zukünftiges Wohlergehen als Einzelne zu sichern und es wird klar, warum sie sich notwendigerweise auch um das Leben und adäquate Wohl Anderer sorgen: Mich um mein eigenes Leben zu sorgen impliziert die Sorge um diejenigen, von denen mein Leben abhängt. Die Anerkennung Anderer in irgendeiner Form bzw. in irgendeinem Modus der Sorge um ihr Leben und Wohl ist eine logische Konsequenz der Sorge um sich

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

selbst  – und damit klarerweise ein notwendiger Bestandteil der menschlichen Lebensform.9 Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit menschlicher Personen voneinander ist drittens eine Form der kontributiven Anerkennung Anderer ein notwendiger Aspekt der menschlichen Lebensform und damit auch jeder menschlichen Gesellschaft. Diese dritte These hängt eng mit der zweiten zusammen. Das zukünftige Wohl zu sichern erfordert konkrete Handlungen und da individuelle Handlungen zu dessen Sicherung allein nicht hinreichend sind, ist irgendeine Art von Kooperation oder sind zumindest Handlungen Mehrerer gefordert, die ineinandergreifen und einander unterstützen. Der Grund dafür, warum die Sorge um sich selbst zur Sorge um das Leben und Wohl Anderer führt, ist derselbe, der auch bei Hegel im Verhältnis des Herrn zu seinem Knecht zum Tragen kommt: Man sorgt sich um das Leben und Wohl Anderer, weil man ihrer Leistungen, Beiträge oder ihrer Unterstützung zum Erhalt des eigenen Lebens und Wohlergehens bedarf. Axiologische Anerkennung als eine Form der Sorge um das Leben und Wohl anderer folgt mit anderen Wort logisch aus der kontributiven Form von Anerkennung, die den Anderen dafür wertschätzt, dass er etwas zum Leben Notwendiges zur Verfügung stellt. Infolgedessen gehört auch kontributive Anerkennung, in welchem Modus auch immer, als ein notwendiger Bestandteil zur menschlichen Lebensform. Insgesamt kann man ohne allzu große Probleme behaupten, dass die menschliche Lebensform aufgrund der drei unkontroversen, oben genannten Fakten notwendigerweise die erwähnten drei Dimensionen von Anerkennung (bzw. die drei Arten anerkennender Einstellungen) beinhaltet: Andere als Autoritäten zu erachten, sich um das Leben und Wohl Anderer zu sorgen und Andere im Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse und Werte als (potentiell oder aktual) Beitragende wertzuschätzen. Dies sind schlichtweg unterschiedliche Manifestationen der konstitutiven Abhängigkeit, die zwischen menschlichen Personen besteht. Obwohl wir nun zu dem Schluss gekommen sind, dass jede der drei Dimensionen von Anerkennung ein notwendiges Element der ontologischen Verfasstheit der Lebensform menschlicher Personen darstellt, ist dies aus Sicht dessen, was in den vorangegangenen Kapiteln über Anerkennung gesagt wurde, doch eine eher bescheidene Schlussfolgerung, die etwas Wichtiges außer Acht lässt. Um es mit Hegel’schen Begriffen zu sagen: Alle oben genannten Weisen sind lediglich Weisen, in denen Menschen durch „das Bedürfniß und die Noth“ (E3, § 431Z; vgl. oben Abschnitt 4.4.5.) aneinander gebunden sind und wie bereits in der Diskussion des Hegel’schen Ansatzes deutlich wurde, gilt es mehr über die ethische Bedeutsamkeit von Anerkennung für den „Geist“ bzw. die menschliche Lebensform zu sagen. Dies bringt uns zurück zur wichtigen Problematik des Anerkennungsmodus, den ich in Abschnitt 4.2. eingeführt und in Abschnitt 4.4.5.



7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform 

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im Hinblick auf die deontologische und axiologische Dimension bei Hegel und in Abschnitt 6.2. im Hinblick auf die kontributive Dimension bei Honneth diskutiert habe.

7.2.2 Der Anerkennungsmodus und das gute Leben innerhalb der menschlichen Lebensform Wofür ich im Folgenden im Anschluss an meine frühere Diskussion von Hegel und Honneth argumentieren möchte ist, dass der Modus von Anerkennung unabhängig von der jeweiligen Kultur, Epoche und den Einzelheiten der institutionellen Struktur eine zentrale Determinante der ethischen Qualität des menschlichen Lebens und menschlicher Beziehungen darstellt. Auf dem Umweg über die Betrachtung eines Vokabulars, das der Umgangssprache nähersteht, möchte ich mich dem annähern. Sucht man nach tiefverwurzelten moralischen oder ethischen Intuitionen, im Hinblick auf die gute Aussicht besteht, sie in den unterschiedlichsten Kulturen, vielleicht sogar durchgängig wiederzufinden, dann scheinen Intuitionen in Bezug auf die Frage, was es heißt, „als ein menschliches Wesen“ gesehen und behandelt zu werden und was es heißt, dass das Gegenteil der Fall ist, also „unmenschliche“ und „entmenschlichende“ Verhaltensweisen zu erfahren, sehr gute Kandidaten zu sein. Sie rekurrieren auf die Vorstellung, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen akzeptablen Behandlungs- und Verhaltensweisen gegenüber Menschen und akzeptablen Verhaltensweisen gegenüber Entitäten, die keine Menschen sind, gibt. Menschliche Wesen sind keine „bloßen Dinge“ und daher sollten sie nicht wie bloße Dinge behandelt bzw. „verdinglicht“ werden. Doch obwohl die Vorstellung von einer menschlichen Behandlungsweise in weithin geteilten und tief verwurzelten moralischen bzw. ethischen Intuitionen widerhallt, ist sie als Vorstellung in vielerlei Hinsicht nichtsdestoweniger sehr vage. Denn was bedeutet es konkret, „als ein menschliches Wesen erachtet und behandelt“ zu werden, welche Anschauungs- und Behandlungsweisen können unter diesen Begriff gefasst werden? Ist beispielsweise die Instrumentalisierung eines Anderen in der Weise, wie Hegels Herr seinen Knecht behandelt eine menschliche Behandlungsweise des Knechts oder bedeutet dies im Gegenteil, ihn auf „unmenschliche“ oder „entmenschlichende“ Art und Weise zu behandeln? Um etwas erfolgreich als ein Mittel zu einem bestimmten Zweck zu verwenden, muss man selbstverständlich in der Lage sein, es generisch als die Art von Entität zu identifizieren, die es ist und qualitativ als eine Entität, der im Hinblick auf den jeweiligen Zweck bestimmte Eigenschaften zukommen. In diesem Sinne muss der Herr seinen Knecht „als ein menschliches Wesen“ ansehen und behandeln. Doch

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

geht es bei der ethischen oder moralischen Vorstellung, wie ein menschliches Wesen betrachtet und entsprechend behandelt zu werden, klarerweise um etwas Anderes. In ihr geht es nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, darum, als menschliches Wesen korrekt identifiziert zu werden. Worum aber geht es dann? Könnte es darum gehen, als ein menschliches Wesen identifiziert zu werden und gemäß einigen fundamentalen Menschenrechten behandelt zu werden? Im Hinblick auf Anerkennung formuliert: Könnte es darum gehen, als ein Mensch identifiziert zu werden und als ein Träger solcher Rechte anerkannt* zu werden? In der Tat können es wohl teilweise Rechte sein, um die es den Intuitionen einer menschlichen Behandlungsweise geht; zumindest stellen sie einen wichtigen begrifflichen Rahmen dar, innerhalb dessen solche Intuitionen in der westlichen Welt artikuliert und institutionalisiert werden – man denke an die Ideen der „Menschenrechte“, „Verletzungen der Menschenrechte“ und „Verbrechen gegen die Menschheit“ (insofern man die letztgenannten als Rechtsverletzungen versteht). Doch gibt es sicherlich noch mehr über diese Intuitionen zu sagen als in der Idee von Rechten zum Ausdruck kommt. Betrachten wir das folgende Beispiel: B hat alle, die sie liebt und allen irdischen Besitz bei einem fürchterlichen Unfall verloren und ist nun zutiefst verzweifelt; A erwägt Bs missliche Lage in allen Einzelheiten und behandelt B gemäß der ihr zukommenden Rechte, ist jedoch emotional vollkommen unberührt von ihrem Leid. A identifiziert B also nicht nur korrekt als ein menschliches Wesen, sondern er respektiert* B auch als Rechtsträger. Trotzdem scheint etwas Fundamentales zu fehlen, dessen Mangel die Aussage intuitiv richtig erscheinen lässt, dass As Verhältnis zu B etwas „Unmenschliches“ bzw. „Entmenschlichendes“ zukommt. Das Problem (sofern man zugesteht, dass hier eines besteht) liegt in As Mangel an rein intersubjektiver Anerkennung gegenüber B im Sinne der Sorge um ihr Wohl. Wir wollen dem Szenario noch ein weiteres Element hinzufügen: A identifiziert B nicht nur als ein menschliches Wesen und behandelt sie gemäß ihrer (Bs) Rechte, A ist von Bs Elend auch emotional berührt. In diesem Szenario identifiziert A B also als menschliches Wesen, anerkennt* sie als einen Träger von Menschenrechten und anderen Rechten und bringt B darüber hinaus Anerkennung im Sinne der Sorge um ihr Wohl entgegen. Stellen wir uns jedoch vor, dass A sich nur wegen der negativen Effekte, die Bs Lage in Bezug auf ihn selbst (A) hat oder haben könnte, um Bs Lage sorgt bzw. wegen der emotionalen Kosten, die für ihn aufgrund der Situation angefallen sind oder noch anfallen könnten. Sobald A realisiert, dass es solche Kosten nicht gibt, kehrt er zu einem Zustand der vollständigen emotionalen Gleichgültigkeit gegenüber Bs Schicksal zurück. Wenn es unter diesen Umständen immer noch Sinn ergibt, zu sagen, dass As Beziehung gegenüber B „unmenschliche“ Kälte zum Ausdruck bringt, oder dass seinen Einstellung ihr gegenüber etwas „Entmenschlichendes“ zukommt, dann hat dies



7.2 Die Konstitution der menschlichen Lebensform 

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nichts mit As Mangel an Sorge um B zu tun, sondern damit, dass seine Sorge nur in einem konditionalen Modus vorliegt. Es mangelt klarerweise an etwas von zentraler ethischer Relevanz, wenn Individuen sich nur im konditionalen Modus, wie wir ihn am Anfang von Hegels Herr-Knecht-Verhältnis kennengelernt haben, um das Leben oder Wohl Anderer sorgen, d.h. insofern die Anderen notwendig oder nützlich für ihr eigenes Leben oder Wohlergehen sind. In ähnlicher Weise fehlt etwas von fundamentaler ethischer Wichtigkeit, wenn sie einander nur konditionalerweise oder instrumentell als Beitragende zu ihrem eigenen Leben und Wohl wertschätzen, ohne dass das geringste Maß an Dankbarkeit vorläge (vorausgesetzt, dass die Anderen zumindest zum Teil selbstlos handelten und somit Dankbarkeit verdienen). Schließlich fehlt etwas von fundamentaler Natur, wenn Individuen einander nur im konditionalen Sinn als Autoritäten bezüglich der gemeinsamen Normen erachten, – so wie Hegels Knecht und Herr sich anfänglich begegnen – dem Anderen nur aus Sorge ums eigene Leben gehorcht wird oder weil es nur möglich ist, dem Anderen erfolgreich Befehle zu erteilen, wenn man ihm ein Minimum an „technischer“ Autorität zuschreibt oder auch weil es aus anderem Grunde nützlich ist, d.h. eigentlich ohne den geringsten echten Respekt füreinander. Die ethische Problematik, die mit solchen Fällen einhergeht, erkennt man leicht daran, dass sie sogar mit der vorsätzlichen Verletzung oder Tötung des Anderen ohne jede Scham und Reue kompatibel sind. Wenn die einzige Art und Weise, in der der Andere für einen „Autorität“ besitzt, dadurch bedingt ist, dass er in der Lage ist, einem selbst Furcht einzuflößen (so wie dies bei Hegels Herrn gegenüber dem Knecht der Fall ist) oder dass er sich in irgendeiner Weise als nützlich darstellt, dann könnte man den anderen ohne ihm gegenüber irgendeine Art von Schuld zu empfinden, ernsthaft verletzen oder sogar töten, sobald die Bedingung nicht mehr gegeben ist.10 Das Urteil des Anderen stellt schlicht keinen unbedingten oder unbedingt motivierenden Anspruch dar. Und wenn die einzige Art, in der man sich um das Leben und Wohl des Anderen sorgt oder seine Leistungen wertschätzt, von instrumenteller Natur ist, wird man sobald er aufhört nützlich zu sein kein Mitleid empfinden, wenn sein Leben in eine missliche Lage gerät. Ethisch oder moralisch macht es die Situation nicht besser, wenn solche Einstellungen wechselseitig oder symmetrisch vorliegen, denn dies bedeutet lediglich, dass „unmenschliche“ affektive Kälte auf beiden Seiten gegeben ist. Selbst dann, wenn Individuen einander letztendlich nicht verletzen würden oder einander sogar wechselseitig Hilfe anböten, doch dies nur, weil es von ihnen aufgrund der einschlägigen Rechte und Pflichten (bzw. der ihnen übergeordneten Normen oder Gesetze) gefordert wird, behielte ihre Beziehung auf der Ebene rein intersubjektiver Anerkennung noch immer ihre „unmenschliche“ Gefühlskälte und Gleichgültigkeit.

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

Ich halte die Vermutung für recht plausibel, dass ein Bild von sozialen Beziehungen, das nur konditionale Formen von Anerkennung beinhaltet – so diese mit der (gegen seine Einwilligung vollzogenen)11 Verletzung und Tötung des Anderen ohne Scham und ohne Mitleid für das Leid und den Tod des Anderen vereinbar sind − in den unterschiedlichsten Kulturen, historischen Epochen und unabhängig von den unterschiedlichen institutionellen Strukturen der Gesellschaften intuitiv als genuin „menschlichen“ bzw. „menschenwürdigen“ Beziehungen widersprechend aufgefasst werden würde. Anders gesagt: Die Annahme scheint plausibel, dass es eine sehr breite Übereinstimmung bezüglich der „Unmenschlichkeit“ gäbe, die einem Bild des menschlichen Lebens und des Sozialen ohne unbedingte Einstellungen intersubjektiver Anerkennung anhaftet. Worin aber besteht der Gehalt der Vorstellung von „Unmenschlichkeit“ in diesem Zusammenhang? Im Prinzip kann er auf zwei unterschiedliche Weisen rational rekonstruiert werden. Erstens kann man sich vorstellen, dass Beziehungen, die nur konditionale Formen von Anerkennung involvieren, in dem Sinne „unmenschlich“ sind, dass sie die Reproduktion des Lebens innerhalb der menschlichen Lebensform verunmöglichen. Diese Vorstellung würde bspw. dann der Wirklichkeit entsprechen, wenn Kinder das Erwachsenenalter nicht erlebten oder sich nicht zu gut-funktionierenden erwachsenen Mitgliedern menschlicher Gesellschaften entwickeln könnten, weil die sie umgebenden sozialen Beziehungen nur konditionale Weisen der Anerkennung beinhalten. Aus evolutionärer Perspektive wäre diese Vorstellung auch dann zutreffend, wenn es der Fall wäre, dass menschliche Gesellschaften, die nur (oder zum größten Teil) aus Beziehungen konditionaler Anerkennung bestehen, weniger robust und weniger fähig sind, in schwierigen Zeiten und unter Wettbewerbsbedingungen mit anderen Gesellschaften zu überleben, als Gesellschaften, für die das nicht gilt. Zweitens kann man sich aber auch vorstellen, dass Beziehungen, die lediglich konditionale Anerkennung beinhalten, das Ideal der „Menschlichkeit“ nicht realisieren, oder um es mit Hegel zu sagen, dass sie das Wesen des Menschen nicht verwirklichen bzw. so weit davon entfernt sind, es zu verwirklichen, dass sie sich den unklaren Grenzen dessen annähern, was überhaupt noch als menschlich gelten kann. Obwohl es Argumente und empirische Belege geben mag, die den ersten Gedankenstrang unterstützen, bzw. den Gedanken, dass unbedingte Anerkennung in irgendeiner Weise notwendig ist, damit sich menschliches Leben reproduzieren kann (dass also die ethische Differenz, die mit dem Modus der Anerkennung einhergeht, auch ontologisches Gewicht besitzt),12 werde ich mich auf eine rationale Rekonstruktion des zweiten Gedankenganges konzentrieren, also den Gedanken, dass unbedingte Anerkennung in irgendeiner Weise das Ideal oder Wesen des Menschen ausmacht oder eine Komponente desselben darstellt.



7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal 

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Hierbei geht es um das umgangssprachliche, alltägliche Äquivalent dessen, was Hegel in seiner Philosophie des Geistes in philosophischer Terminologie formuliert hat. Wie ich in Kapitel 4 gezeigt habe, besteht das „Wesen“ des menschlichen Seins nach Hegel im „Geist“, das Wesen des Geistes in „konkreter Freiheit“ und Anerkennung stellt ein zentrales Element der Verwirklichung von konkreter Freiheit und damit des menschlichen Wesens dar. Genauer ist es die rein intersubjektive Anerkennung im unbedingten bzw. „genuin personifizierenden“ Modus, die konkrete Freiheit als Selbstbewusstsein in einem selbstständigen Anderen realisiert und damit das menschliche Wesen im größten Maße (vgl. Abschnitt 4.4.5.). Überträgt man Hegels „Geist“-Terminologie, wie ich vorgeschlagen habe,13 in die Terminologie des „Personseins“, dann steht die vollständige Realisierung des Geistes bzw. von „Geistigkeit“ durch diese Weise von Anerkennung für die vollständige Verwirklichung des Personseins. Diesem Gedankengang folgend sind Beziehungen, denen es an unbedingter intersubjektiver Anerkennung mangelt genau aus dem Grunde „unmenschlich“ oder „entmenschlichend“, weil sie das menschliche Wesen oder Ideal, nämlich das Personsein, nicht adäquat realisieren. Zum Teil ist dies auch der Grund dafür, warum ich konditionale Einstellungen der Anerkennung als „nicht genuin personifizierend“ bezeichnet habe.

7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal Doch was genau ist Personsein, was genau kann es heißen, dass voll ausgebildetes Personsein das menschliche Wesen ausmacht und wie genau wird dies durch Anerkennung realisiert? Dies sind die Fragen, die ich auf den verbleibenden Seiten dieses abschließenden Kapitels zu klären versuche. Das erste Problem, mit dem es sich zu befassen gilt, ist die Tatsache der Pluralität von Konzepten des Personseins und damit die Pluralität der Vorstellungen, was es heißt „eine Person zu sein“. Ich habe bereits in Abschnitt 2.5. darauf hingewiesen, dass es drei verschiedene Konzepte des Personseins gibt und diese Unterscheidung in den nachfolgenden Kapiteln fruchtbar gemacht für die Diskussion der Frage, worauf Anerkennung antwortet bzw. wofür sie gemäß den Ansichten der unterschiedlichen Autoren konstitutiv ist. Wie gesagt können diese Auffassungen auf der basalsten Ebene in zwei Hauptvarianten geteilt werden − die psychologische und die Status-bezogene Auffassung. Dem psychologischen Konzept des Personseins zufolge heißt eine Person zu sein, eine bestimmte Personsein-stiftende psychologische Konstitution oder Fähigkeiten zu besitzen. Nach dem Statuskonzept des Personseins heißt Personsein hingegen einen bestimmten Personsein-

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

stiftenden Status oder verschiedene Status des Personseins inne zu haben. Das Statuskonzept des Personseins untergliedert sich darüber hinaus in zwei weitere Begriffe – das institutionelle Statuskonzept und das intersubjektive Statuskonzept. Im Rahmen des institutionellen Statuskonzepts des Personseins besitzt man als Person bestimmte Personsein-stiftende Rechte oder andere deontische Machtbefugnisse und somit den Status einer Person innerhalb eines in­stitutionellen Systems von Normen und Gesetzen.14 Gemäß dem intersubjektiven Statuskonzept des Personseins besitzt man als Person eine Personsein-stiftende Signifikanz in den Augen relevanter Anderer; man besitzt also den Status einer Person, der in diesen Bedeutsamkeiten besteht, die in den konkreten interpersonalen Beziehungen und Interaktionskontexten zugeschrieben werden. Ich werde als Nächstes erklären, wie es angesichts dieser Pluralität möglich ist, von Personsein als dem menschlichen Wesen oder Ideal im Singular zu reden und welche Bedeutung Anerkennung dabei zukommt.

7.3.1 Die Elemente vollständig ausgebildeten Personseins und ihre Beziehung zu Anerkennung Als erstes gilt es festzuhalten, dass jedes dieser drei Konzepte des Personseins wichtigen philosophischen und Alltagsvorstellungen in Bezug aufs Personsein Rechnung trägt. Der Mangel oder die Einbuße eines jeden – der psychologischen Fähigkeiten, der Bedeutsamkeit in den Augen der Anderen und des eigenen Status als Rechtsträger  – kann sinnvollerweise als Mangel oder Einbuße eines Aspekts oder Elements des vollausgebildeten Personseins beschrieben werden. Im Rahmen eines Entwurfs, der beabsichtigt, den ethischen Intuitionen des Alltags gerecht zu werden, sollte daher auch keine dieser Auffassungen ignoriert werden. Die beste Art und Weise, diese Pluralität systematisch zu begreifen besteht, wie ich vorschlagen möchte, darin, jedes der drei Konzepte als Auffassung bestimmter Elemente, oder wie ich sagen werde, Ebenen des „vollständig ausgebildeten“ Personseins zu verstehen. Im letzten Kapitel habe ich bereits über Weisen gesprochen, in denen Anerkennung (in den unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes) auf solche Ebenen bezogen ist. Nun ist es Zeit, diese Ausführungen zu systematisieren. In Entsprechung zu den drei universalen Tatsachen über die Lebensform menschlicher Personen (vgl. Abschnitt 7.2.) und den drei damit verbundenen Dimensionen von Anerkennung (vgl. Abschnitt 7.2.1.), schlage ich darüber hinaus vor, dass wir in ähnlicher Weise auch das vollwertige Personsein als bestehend aus drei Dimensionen – eine deontologische, eine axiologische und eine kontributive − begreifen sollten. Diese Ebenen und Dimensionen und somit die Elemente



7.3 Vollständig ausgebildetes Personsein als menschliches Ideal 

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vollständig ausgebildeten Personseins, wie auch die Formen von Anerkennung, die für die jeweilige Dimension am Wichtigsten sind, können schematisch in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Tabelle 1: Die Elemente vollständig ausgebildeten Personseins Ebene

Deontologische Dimension

Axiologische Dimension Kontributive Dimension

Psychologische Fähigkeit, Ko-Autorität Ebene über Normen auszuüben

Fähigkeiten der Sorge und Wertschätzung

Fähigkeiten und Motivation, etwas beizutragen

Intersubjektive Bedeutsamkeit einer (Status)Ebene ­Ko-Autorität

Bedeutsamkeit von jemandem, dessen Wohlergehen wichtig ist

Bedeutsamkeit eines wertgeschätzten ­Beitragenden

Institutionelle Personsein-stiftende (Status-) ­deontische Machtbefugnisse Ebene (paradigmatischer Weise basale Rechte) Formen von Anerkennung

Auf der intersubjektiven Entweder instrumenEbene: entweder kondititelle Sorge ums Wohl onale Zuschreibung von oder genuine Liebe ­Autorität oder genuiner Respekt Auf der institutionellen Ebene: vertikale abwärts gerichtete Anerkennung und horizontaler Respekt*

Entweder instrumentelle Wertschätzung oder genuine Dankbarkeit.

In jeder Dimension geht intersubjektive Anerkennung in irgendeiner Weise responsiv auf die entsprechenden psychologischen Elemente des Personseins des Anzuerkennenden ein und ist zugleich in gewissem Maße konstitutiv für die entsprechenden psychologischen Elemente seines Personseins. Darüber hinaus geht institutionell vermittelte (horizontale) Anerkennung* oder Respekt* in irgendeiner Weise auf die institutionelle Ebene des Personseins des Anerkennenden ein, mit anderen Worten: auf die Personsein-stiftenden deontischen Machtbefugnisse, die er als Person besitzt. Diese Machtbefugnisse sowie der institutionelle Status, den sie konstituieren, sind das Werk eines Kollektivs von Individuen, die im psychologischen Sinne und dem intersubjektiven Status nach Personen sind (sie sind zumindest im Rahmen der deontologischen Dimension Ko-Autoritäten in Bezug auf die relevanten Normen bzw. Gesetze). Die genaue Beschaffenheit der Prozesse oder politischen Formen, durch die Institutionen und deontische Status zustande kommen und durch die sie in den verschiedenen Gesellschaf-

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ten in Stand gehalten werden, müssen uns an dieser Stelle nicht interessieren. Im Allgemeinen jedoch wird jemandes Personsein qua institutionellem Status durch die Status-Zuschreibungen konstituiert, die eine einschlägige Instanz, die die Macht dazu besitzt, garantiert und behauptet („vertikale abwärts gerichtete Anerkennung“), − paradigmatischer Weise ist dies der Staat. Es ist ein wichtiges Merkmal der Tabelle, dass diese sich neutral gegenüber dem jeweiligen Modus intersubjektiver Anerkennung verhält.15 Der Modus spezifiziert in jeder Dimension, worin genau die intersubjektive Bedeutsamkeit liegt, die für die intersubjektive Ebene des Personseins konstitutiv ist. Im Rahmen der deontologischen Dimension des Personseins sieht der Anerkennende das Objekt der Anerkennung als jemanden an, dem Autorität zukommt und der mit ihm eine „Ko-Autorität“ darstellt. Doch während dies im Rahmen von bedingter Anerkennung lediglich „Autorität unter Vorbehalt“ ist (dies ist die Art, die der Herr dem Knecht und der Knecht dem Herrn zugesteht), beinhaltet unbedingte Anerkennung bzw. Respekt die Zuschreibung „unbedingter Autorität“. Letztere ist, wie ich in Abschnitt 4.4.5. vorschlug, etwas, das eine Person, die über Selbstachtung verfügt, in ihren eigenen Augen besitzt. Im Rahmen der axiologischen Dimension des Personseins sorgt sich der Anerkennende um das Leben und das Wohl des Objekts der Anerkennung, doch während dessen Leben und Wohl gemäß der Logik bedingter Anerkennung für den Anerkennenden nur bedingte und instrumentelle Bedeutung besitzt, sind sie für ihn im Rahmen von unbedingter Anerkennung, der Liebe, von intrinsischer Wichtigkeit. Letztere kommt dem eigenen Leben und Wohl zu, wenn eine Person der Eigenliebe fähig ist. Im Rahmen der kontributiven Dimension schließlich wertschätzt der Anerkennende das Objekt der Anerkennung als jemanden, der etwas leistet oder beiträgt. Im Hinblick auf bedingte Anerkennung besitzt der Anerkannte jedoch lediglich instrumentellen Wert für den Anerkennenden, im Rahmen von unbedingter Anerkennung sieht der Anerkennende den Anzuerkennenden hingegen als jemanden an, der seine Dankbarkeit verdient. Letzteres beschreibt, wie eine Person sich normalerweise sieht, wenn sie am Leben, Wohlergehen bzw. Glück Anderer absichtsvoll und in intrinsischer Sorge um deren Leben und Wohl mitwirkt – so erweist sie sich nämlich deren Dankbarkeit als würdig. Man beachte, dass sowohl der bedingte als auch der unbedingte Modus von Anerkennung die Identifikation des Anderen als jemand, der mit Personseinstiftenden psychologischen Fähigkeiten und Merkmalen ausgestattet ist, involviert und damit dessen generische Identifikation als psychologische Person. Allerdings kann der konditionale Modus vom Anerkannten nichtsdestoweniger gerade deswegen sinnvoll als erniedrigend, „entmenschlichend“, „entpersonifizierend“ oder „verdinglichend“ dargestellt und erfahren werden, weil er dem Anerkannten keine vollständige oder genuine Personsein-stiftende intersubjek-



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tive Bedeutsamkeit bzw. den entsprechenden Status zuschreibt, d.h. eine Bedeutsamkeit oder einen Status, den eine Person in ihren eigenen Augen besitzt. Es ist nicht notwendig festzusetzen, dass die vom konditionalen bzw. nicht genuin personifizierenden Modus der Anerkennung zugeschriebenen Bedeutsamkeiten überhaupt nicht Personsein-stiftend sind, sondern nur, dass sie nicht genuin oder vollständig Personsein-stiftend sind. Das heißt, dass einem Individuum auf allen drei Dimensionen etwas zum vollwertigen Personsein Notwendiges vorenthalten wird, nicht nur dadurch, dass die relevanten Anderen es an der entsprechenden Form von intersubjektiver Anerkennung fehlen lassen, sondern auch dadurch, dass sie ihm diese Form der intersubjektiven Anerkennung nur im bedingten Modus, also nur unter Vorbehalt entgegenbringen. Ein unmittelbarer Vorteil dieser Herangehensweise besteht darin, dass sie es ermöglicht, in angemessener Differenziertheit über Personifikation einerseits und Ent-Personifikation bzw. Verdinglichung andererseits nachzudenken und zwar der Art, dass diese in Graden und Dimensionen auftreten. Es ist kaum je der Fall, dass jemand vollständig entpersonifiziert oder verdinglicht wird, aber sehr häufig der Fall, dass jemand in einem gewissen Grade in Bezug auf eine oder mehrere Dimensionen von Anerkennung de-personifiziert oder verdinglicht wird.16 Es ist das allgemeine Ausmaß der Personifikation bzw. De-Personifikation von Individuen und Gruppen und damit das Ausmaß der Realisierung von intersubjektivem Personsein, das, wie ich vorschlagen möchte, der entscheidende Maßstab für die ethische oder moralische Qualität von Gesellschaften, institutionellen Strukturen, sozialen Arrangements, interpersonalen Beziehungen und Einstellungsgefügen darstellt. Eine weitere Folge dieses Modells ist, dass es die Unzulänglichkeit von bedingter Anerkennung für ihre Objekte in gewisser Weise vereinfachend erklärt. Dies hängt mit der fundamentalen Diskrepanz zusammen, die zwischen dem Selbstverhältnis einer normalen Person und der Weise, wie ein Anerkennender sich qua konditionaler Anerkennung zu ihr verhält, besteht. Anders als bei Honneth (besonders in seiner Debatte mit Fraser) ist dies keine Diskrepanz zwischen Anerkennung und institutionalisierten Prinzipien oder Normen, die von einer Gesellschaft zur nächsten verschieden sein können, sondern vielmehr zwischen Anerkennung und fundamentalen moralischen Erwartungen, die Personen allein aufgrund ihrer psychologischen Konstitution in Bezug aufeinander haben, bzw. kraft derjenigen Arten der Selbstbeziehung, die zum Teil die Voraussetzung dafür darstellen, ein Leben als vollausgebildete Person führen zu können. So verstanden ist diese Diskrepanz und die auf Seiten des Anerkannten empfundene subjektive Unzulänglichkeit daher – im Prinzip − etwas universal Menschliches. Sie bietet somit einen Standpunkt, um das soziale Leben einer jeden menschlichen

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Gesellschaft unabhängig von der historischen Epoche, Kultur oder den Einzelheiten der institutionellen Struktur zu evaluieren und immanent zu kritisieren. Mithilfe dieser Herangehensweise kann auch Fichtes wichtiges Konzept der „Aufforderung“ wieder in die Diskussion eingebracht werden, doch nun ausgehend von einer differenzierteren Auffassung von Anerkennung und Personsein, als wir sie bei Fichte vorfanden. Es sind die Erwartungen, die sich aus den erwähnten, für die psychologische Ebene des Personseins konstitutiven Selbstbeziehungen ergeben, die Anderen gegenüber Ansprüche bzw. Aufforderungen darstellen, die Bedeutsamkeiten, die eine Person für sich selbst besitzt, zu affirmieren, indem man sich ihr gegenüber in einer Weise verhält, die von denselben Bedeutsamkeiten getragen ist. Sie stellen mit anderen Worten „Ansprüche auf Anerkennung“ bzw. „Aufforderungen zur Anerkennung“ dar, auf die unbedingte oder genuin personifizierende intersubjektive Anerkennung die erwartungsgemäße Antwort ist und die durch konditionale Anerkennung enttäuscht werden.17

7.3.2 Einige Komplikationen, die mit der Konstitutivität und Responsivität von Anerkennung im Hinblick aufs Personsein einhergehen Ich möchte im Folgenden zwei naheliegende Probleme ansprechen, die mit der Annahme der Responsivität und Konstitutivität von Anerkennung im Hinblick auf die verschiedenen Elemente des vollwertigen Personseins, wie ich sie soeben dargelegt habe, einhergehen. Erstens: Gesteht man zu, dass Anerkennung in responsiver Weise auf die psychologische Ebene des Personseins bzw. auf die eben erwähnten Selbstbeziehungen des Anerkannten eingeht, ist es dann nichtsdestoweniger möglich, der sehr plausiblen Vorstellung, die wir bereits bei Fichte und später besonders bei Honneth fanden, Rechnung zu tragen, dass Anerkennung eine irgendwie beschaffene kausale Rolle im Werden dieser Strukturen zukommt? Kurz gesagt: Wie kann Anerkennung eine Antwort auf etwas darstellen, das sie selbst erst zustande bringt? Die Beantwortung dieser Frage ist relativ einfach. Sie erfordert lediglich die Annahme, dass die fraglichen Selbstbeziehungen bereits in der Kindheit in unausgereifter Form oder als Potentiale existieren. Dies erlaubt es dann widerspruchsfrei anzunehmen, dass es bereits in der frühen Kindheit etwas gibt – nämlich Ansätze zu bestimmten Fähigkeiten oder Potentialen −, das der Anerkennende wahrnehmen und auf das er mittels Anerkennung reagieren kann, womit er zu deren Weiterentwicklung bzw. Realisierung beiträgt. Sieht man von der Uneindeutigkeit seiner Formulierungen ab, dann ist dies sehr wahrscheinlich das, was Fichte im Rahmen seiner Überlegungen zur „Anerkennung“ des Objekts der Aufforderung durch den Auffordernden bereits im Auge hatte (siehe Abschnitt 3.3.1.).



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Im Hinblick auf die zwischen konditionaler Anerkennung und den Personsein-stiftenden Selbstbeziehungen bestehende Unstimmigkeit können wir nun ergänzen, dass die Intensität der Erfahrung eines solchen Missverhältnisses auf Seiten des Anerkannten, sein „Unrechts“-Empfinden, zum Teil vom Entwicklungs- bzw. Verwirklichungsgrad abhängt, den seine Personsein-stiftenden psychologischen Strukturen erreicht haben. Ein Individuum, das über eine robuste Form der Selbstachtung verfügt bzw. sich selbst als eine gleichberechtigte KoAutorität neben Anderen begreift, wird ein solches Missverhältnis sehr intensiv empfinden, während ein Individuum, das vielleicht aufgrund von mangelnder Erfahrung von Respekt in der Kindheit und Jugend, über eine weniger ausgeprägte Selbstachtung verfügt, es weniger stark oder vielleicht auch gar nicht empfinden wird.18 Doch auch in letzterem Fall kann ein Anerkennender nichtsdestoweniger in der Lage sein, nicht-aktualisierte Potentiale auf Seiten des Objekts der Anerkennung wahrzunehmen und auf diese einzugehen. Alles, was benötigt wird, damit dieser Prozess in Gang kommt, sind Ansätze der Erwartungshaltung, bereits in früher Kindheit wie jemand behandelt zu werden, der Autorität über die Normen oder Bedingungen der Koexistenz besitzt.19 Ein zweites Problem besteht in der offensichtliche Inkompatibilität der Vorstellung einer kausalen Responsivität von intersubjektiver Anerkennung im unbedingten Modus auf die psychologische Ebene des Personseins des Anzuerkennenden mit dem Gedanken, dass Anerkennung aufgrund von normativer Responsivität auf diese Elemente des Personseins eingeht (vgl. Abschnitt 2.5.1). Ausgehend von meinen Ausführungen zu Respekt und Liebe bei Hegel und dem Thema der Dankbarkeit bei Honneth, möchte ich hier nahelegen, dass es sich bei jeder dieser drei unbedingten Einstellungen von Anerkennung um unmittelbar motivierende Einstellungen handelt. Sie gegenüber einem Anderen zu besitzen bedeutet, von ihm motivational affiziert oder „berührt“ zu sein, ohne dass diese Motivation von Klugheitserwägungen oder der Sorge um sich selbst herrührte. Ein Mangel an unbedingter Anerkennung steht somit für eine mangelnde Motivation dieser Art. Im Extremfall kann ein fehlendes Berührtsein durch die Autorität des Anderen, sein Wohl oder seine selbstlosen Beiträge, als „unmenschliche“ affektive Kälte empfunden werden. Akzeptiert man jedoch, dass der Anerkennende im Rahmen von unbedingter bzw. genuin personifizierender Anerkennung unmittelbar durch den Anerkannten affiziert wird, dass eine solche Art der Anerkennung in kausaler und responsiver Weise auf etwas, das dem Anerkannten zugehört, anspricht (nämlich die „Ansprüche“ seiner Personsein-stiftenden Selbstbeziehungen), dann bedeutet dies, dass Anerkennung in diesem Sinne, wie auch ihr Fehlen, nicht der Freiwilligkeit des Anerkennenden untersteht.20 Wenn sie dies aber nicht tut, scheint die Abwesenheit von unbedingter Anerkennung nichts zu sein, für das man den

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Anerkennenden verantwortlich machen und kritisieren könnte und somit auch nichts, das negative moralische Gefühle oder „Unrechts“-Empfinden auf Seiten des Anzuerkennenden hervorrufen könnte. Hiermit scheint die wichtige, insbesondere für Honneth bedeutsame Vorstellung außer Kraft gesetzt, dass das Fehlen von Anerkennung eine mögliche Quelle moralischen Unrechtsempfindens ist, die unter geeigneten Umständen explizite Forderungen oder Kämpfe um angemessenere Formen von Anerkennung motivierte. Anders gesagt: Wie kann unbedingte intersubjektive Anerkennung in normativer Weise auf etwas im Anzuerkennenden eingehen, wenn sie eine kausale Antwort darauf darstellt? Eine Lösung für dieses scheinbare Problem ergibt sich, wenn man akzeptiert, dass Personen eine gewisse Kontrolle über die subjektiven und objektiven Faktoren zukommt, die es mehr oder weniger wahrscheinlich machen, dass sie in einschlägigen Situationen durch andere Personen affiziert werden, selbst dann, wenn die Affizierung qua Liebe, Respekt oder Dankbarkeit nicht der unmittelbaren Kontrolle der Person untersteht.21 Man kann sich selbst eine Unempfindlichkeit gegenüber den Urteilen, den Schicksalen oder der Selbstlosigkeit Anderer angewöhnen, genauso wie die entgegengesetzten Eigenschaften der Sensibilität und Offenheit gegenüber den Ansprüchen und „Aufforderungen“ Anderer. Des Weiteren kann man mehr oder weniger Kontrolle darüber haben, ob man an sozialen Praxen partizipieren möchte oder nicht, in denen es eine Voraussetzung der erfolgreichen Teilnahme darstellt, gegenüber Anderen Kälte und emotionale Unempfindlichkeit zu zeigen  – seien dies ganz bestimmte Andere oder Andere im Allgemeinen −, wobei eine längerfristige Praxis den eigenen Charakter wahrscheinlich entsprechend formte. Jede Übernahme von Rollen oder Funktionen, die es erfordern, sich Anderen gegenüber kühl, kalkulierend, instrumentalisierend, manipulativ oder in anderer Weise „verdinglichend“ zu verhalten, kann zur habituellen „zweiten Natur“ werden und die eigenen typischen Reaktionsmuster und Einstellungsgefüge gegenüber Anderen (im Besonderen oder im Allgemeinen) beeinflussen.22 Ob es sinnvoll ist, ein Individuum als verantwortlich für einen Mangel an unbedingter, genuin personifizierender Anerkennung anzusehen und ob es von Anderen sinnvollerweise als moralischer Affront erfahren werden kann, hängt von dem Maß der Kontrolle ab, die dem Individuum über die Prozesse seiner Persönlichkeitsentwicklung zukamen, einschließlich der Partizipation an Praxen und der Übernahme von Rollen, die entweder der Sensibilität oder der Unsensibilität gegenüber Anderen förderlich waren.



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7.3.3 Personifizierende Anerkennung und das Personsein des Anerkennenden Im Rahmen der Diskussion der Frage, auf welche Weise Anerkennung die verschiedenen Elemente vollständig ausgebildeten Personseins realisiert bzw. für diese konstitutiv ist, habe ich in diesem Kapitel bisher nur das Personsein des Anerkannten ins Auge gefasst. Zur Erinnerung: Intersubjektive Anerkennung ist, wie oben herausgestellt, sowohl kausal als auch normativ responsiv im Hinblick auf die psychologische Ebene des Personseins des Anerkannten (KRP und NRP), kausal konstitutiv im Hinblick auf diese (KKP) und ontologisch konstitutiv für die intersubjektive Ebene des Personseins des Anerkannten (OKSintersO). Wie aber steht es um das Personsein des Anerkennenden? Die Frage, die hierbei vielleicht am Wichtigsten ist, ist die, ob es gute Gründe für die Annahme gibt, dass der Modus der Anerkennung in irgendeiner Weise Relevanz für die Entwicklung oder Konstitution der psychologischen Ebene des Personseins des Anerkennenden besitzt, mit anderen Worten: für seine Personsein-stiftenden psychologischen Fähigkeiten und Strukturen? Ist die Neigung zur unbedingten Anerkennung Anderer lediglich ein akzidentelles Persönlichkeitsmerkmal oder ist sie Teil dessen, was jemand zur Person im psychologischen Sinne macht? Die Beantwortung dieser Frage ist kompliziert. Hiermit zusammenhängende Aspekte haben in den Abschnitten 4.4.5. und 4.5. im Zusammenhang mit der „Triangulation“ bzw. intersubjektiven Vermittlung der Perspektive des Anerkannten, die durch intersubjektive Anerkennung, besonders in ihrem unbedingten oder genuin personifizierenden Modus zustande kommt, bereits Erwähnung gefunden. Der zugrunde liegende Gedanke war dort der, dass eine Person nur dadurch, dass sie genuin personifizierende Einstellungen intersubjektiver Anerkennung gegenüber Anderen hat, sich selbst im eigentlichen Sinne als eine Person neben anderen Personen begreifen kann. Dies stellte sich als entscheidend für die Verwirklichung vollständiger Freiheit im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen in ihrem „konkreten“ Hegel’schen Sinne heraus, weil auf diese Weise das realisiert wird, was Hegel als das Wesen oder Ideal des Menschen begreift. Dieser Auffassung zufolge heißt Person im vollgültigen Sinne zu sein also zum Teil, sich selbst auf konkrete, motivational wirksame Weise als eine Person unter vielen anderen Personen zu verstehen. Hierfür ist es erforderlich, sich zu Anderen qua unbedingter intersubjektiver Anerkennung zu verhalten. Im Folgenden soll diesem Zusammenhang eine Konkretisierung hinzugefügt werden. Wenn man zugesteht, dass zumindest ein Teil der mentalen Störungen, die unter dem Namen „Psychopathie“ firmieren, Defizite Personsein-stiftender Fähigkeiten darstellen und wenn man sie durch eine permanente Verminderung affektiver Ansprechbarkeit gegenüber anderen Personen im Sinne der verminderten Fähigkeit zu unbedingten Einstellungen der Anerkennung korrekt beschreibt,

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dann stellt die Psychopathie ein Phänomen dar, an dem man die Rolle der Fähigkeit zu unbedingter intersubjektiver Anerkennung (neben anderen konstitutiven Fähigkeiten des Personseins) in erhellender Weise studieren könnte.23 Die psychologischen Profile von Individuen, die als Psychopathen beschrieben und diagnostiziert sind, werden aufgrund ihres Mangels an Ansprechbarkeit für die Urteile, Bedürfnisse, Leiden und die Selbstlosigkeit anderer Personen, sowohl von Laien wie auch von Experten, häufig als „menschlich kalt“ oder „nicht vollständig menschlich“ charakterisiert − was es Psychopathen erschreckend leicht macht, andere ohne Gewissensbisse und Mitleid auszunutzen und zu verletzen. Zu untersuchen wäre daher, ob oder wie genau ihre permanent verminderte Fähigkeit zu unbedingter Anerkennung  – dazu, sich unmittelbar von Anderen als Autoritäten, der intrinsischen Bedeutsamkeit ihres Wohlergehens oder ihrer Uneigennützigkeit ansprechen zu lassen − zu einer allgemeineren Einschränkung der psychologischen Fähigkeiten, die zum Personsein gehören, beiträgt, z.B. der Fähigkeit ein Leben zu führen, das an sozialen Normen orientiert ist, längerfristige Sorgestrukturen, die das unmittelbare Begehren übersteigen, auszuprägen und positiv zum Leben oder den Zwecken Anderer beizutragen. Eine weitere Frage, die von direkter sozialkritischer Relevanz ist, wäre, in welchem Maße soziale Strukturen oder Praxen, die genuin personifizierende Anerkennung demotivieren oder behindern, genau die Strukturen, die uns zu Personen im psychologischen Sinne machen, verletzen, indem sie „Psychopathie-ähnliche“ Defizite des Personseins produzieren.24

7.3.4 Die relative Unabhängigkeit der institutionellen Ebene des Personseins Die vorangegangenen Überlegungen führen uns zu einem Problem zurück, das ich bereits in früheren Kapiteln berührt habe. Wir sind nun tatsächlich in ein schwieriges ethisches und politisches Fahrwasser geraten, insofern begründete Besorgnis besteht, dass die Rede von Menschen mit begrenzten Personseinstiftenden Fähigkeiten, einer nur eingeschränkt ausgeprägten psychologischen Ebene des Personseins, impliziert, dass ihnen in gewisser Weise auch nur in vermindertem Maße ein Personsein-stiftender Status zukommt bzw. zukommen sollte. Um dieser Sorge angemessen zu begegnen, ist es wichtig, das Wesen der institutionellen Ebene vollwertigen Personseins in seiner Eigenheit zu erkennen, genauer: ihre Unabhängigkeit von der psychologischen und der intersubjektiven Ebene zu begreifen. Die institutionelle Ebene des Personseins bzw. Personsein als ein institutioneller oder rechtlicher Status ist eine institutionelle Schöpfung, d.h. dass es von konkreten Gemeinschaften abhängt, zu bestimmen, welche Rechte und darüber hinausgehende deontische Machtbefugnisse zu ihr gerech-



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net werden sollen, wie auch die Träger eines solchen Status zu bestimmen. Mit diesem Sachverhalt geht unvermeidlich die Macht politischer Gemeinschaften einher, Individuen und Gruppen von dieser Art des Personseins und dem damit einhergehenden institutionellen Schutz auszuschließen. Die moderne Philosophie ist reich an Argumenten dafür, dass grundlegende Rechte und institutionelles Personsein für jeden Gültigkeit besitzen sollten. Jedoch haftet vielen dieser Argumente eine Schwierigkeit an, wie ich bereits im Zusammenhang mit Taylors Gebrauch der Kantischen Vorstellung von der gleichen Würde aller menschlichen Wesen, die „zu vernünftigem Handeln fähig sind“ (Taylor 2009, 28; siehe oben Abschnitt 5.1.2.) herausgestellt habe.25 Worin dieses Problem besteht wird deutlich, sobald man die Tatsache in Betracht zieht, dass menschliche Wesen sich in ihren psychologischen Fähigkeiten nicht gleichen und wichtiger noch, dass manche menschliche Wesen nicht einmal dem Potential nach sinnvoll als rationale Akteure aufgefasst werden können. Wenn man beispielsweise Individuen mit extrem psychopathischen Neigungen nach irgendeiner einschlägigen Definition nicht als „rationale Akteure“ einordnet, heißt das, dass der Schutz Personsein-stiftender Grundrechte nicht auf sie auszudehnen ist? Man kann dieselbe Frage im Hinblick auf jede ernsthafte und dauerhaft bestehende mentale Störung oder Behinderung stellen. Die positive Seite der Tatsache, dass das Personsein als institutioneller Status eine institutionelle Schöpfung ist und damit etwas, das politische Gemeinschaften nach ihrem Gutdünken gesetzlich ausgestalten können, ist allerdings, dass es auch in ihrer Gewalt liegt, allen menschlichen Wesen in ihrem Einflussbereich unabhängig von ihren sich individuell unterscheidenden psychologischen Fähigkeiten bestimmte Grundrechte und den Status institutionellen Personseins einzuräumen. Angesichts des Schreckens der eugenischen Programme des 20. Jahrhunderts, in der Menschen als lebensunwerte „Untermenschen“ angesehen und ausgelöscht wurden, scheint es eine sicherere Strategie zu sein, rechtlich festzuschreiben, dass alle menschlichen Wesen unabhängig von ihren psychologischen Fähigkeiten oder Besonderheiten Personen im institutionellen Sinne sind bzw. Träger von Grundrechten – vor allem des Rechts auf Leben.26 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Unabhängigkeit der institutionellen Ebene des Personseins ist ihre Unabhängigkeit von der intersubjektiven Ebene. Wie deutlich geworden sein sollte, hängt das intersubjektive Personsein vollständig vom intersubjektiven Kontext ab, insofern man es nur dann besitzt, wenn (bzw. in dem Grade, wie) die relevanten Anderen einem selbst Einstellungen intersubjektiver Anerkennung entgegenbringen. Intersubjektives Personsein stellt aus diesem Grunde ein fragiles Phänomen dar. Man kann in einem sozialen Kontext in besonderem Maße als Person „zählen“, in einem anderen Kontext jedoch nur in ganz geringem Maße oder überhaupt nicht.27 Da Einstellungen sich wandeln

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können, kann sich darüber hinaus auch das eigene intersubjektive Ansehen als Person in demselben Kontext, derselben intersubjektiven Beziehung oder demselben Beziehungsnetzwerk verändern. Diese Fragilität und Unvorhersehbarkeit intersubjektiver Beziehungen und Einstellungen macht Fichte zufolge ein genuin institutionelles System von Grundrechten erforderlich, durch welches das Personsein als ein institutioneller Status staatlich geltend gemacht wird. Wie auch immer die Einstellungen bestimmter Individuen zueinander beschaffen sein mögen, die institutionelle Ebene des Personseins garantiert ihnen den Schutz der Grundrechte und stabilisiert und befriedet ihre Beziehungen und Interaktionen auf eine allgemeine Weise.

7.3.5 Intersubjektive Anerkennung und moralische Vorstellungskraft Was ich insgesamt vorschlagen möchte ist eine differenzierte Konzeption der unterschiedlichen Weisen, in denen Anerkennung konstitutiv ist für diejenigen Beziehungen, die „wahrhaft menschlich“ bzw. „genuin personifizierend“ sind, in dem Sinne, dass sie die Realisierung der unterschiedlichen Dimensionen vollständig ausgebildeten Personseins ermöglichen. Mängel im Hinblick auf die relevanten psychologischen Fähigkeiten, an intersubjektiver Bedeutung in den Augen anderer sowie ein Mangel an Grundrechten können allesamt als Fehlen oder Defizit vollwertigen Personseins erfahren und gedeutet werden. Darüber hinaus hängen alle diese Elemente des vollausgebildeten Personseins auf verschiedene Weise von den unterschiedlichen Bedeutungen von Anerkennung ab. Das dadurch nahegelegte universale Kriterium für die Evaluation und Kritik der ethischen Qualität von Formen menschlicher Koexistenz ist somit das Maß, in dem sie die unterschiedlichen Weisen von Anerkennung, in ihrer Konstitutivität für die unterschiedlichen Dimensionen des Personseins, beinhalten, unterstützen bzw. mit diesen vereinbar sind. In Bezug auf dieses Modell müssen wir uns noch mit einer weiteren Frage befassen. Ich habe einen starken Akzent auf rein intersubjektive Anerkennung, ihre Differenz zur institutionell vermittelten Form der Anerkennung* und die Bedeutung des genuin personifizierenden Modus rein intersubjektiver Anerkennung gelegt. Die Frage ist nun, ob dieser zentrale Aspekt des Modells überhaupt jenseits von persönlichen Nahbeziehungen Gültigkeit beanspruchen kann. Wenn nicht, stellt sich die Frage, inwiefern das von mir vorgeschlagene Modell einer Evaluation und Kritik sozialer Beziehungen im weitesten Sinne dienen kann. Reduziert es sich im Hinblick auf soziales und politisches Leben jenseits der Sphäre von engen Beziehungen darauf, lediglich an die Bedeutung von Rechten, institutionell vermittelte Anerkennung* und somit ans Personsein



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im institutionellen Sinne zu appellieren? Eine mögliche Antwort wäre zu sagen, dass neben Rechten der Grad, in dem Gesellschaften enge persönliche Beziehungen (Familien, Freundschaften, kollegiale Arbeitsverhältnisse etc.) unterstützen oder zumindest mit Beziehungen kompatibel sind, die genuin personifizierende Einstellungen intersubjektiver Anerkennung involvieren, für die ethische Qualität von Gesellschaften entscheidend ist. Auf diese Weise läge der Fokus der ethischen Evaluation und Gesellschaftskritik stark auf persönlichen Nahbeziehungen, während die ethische Evaluation anderer, weniger intimer sozialer Beziehungen nur in dem Maße interessierte, wie sie diese Beziehungen unterstützen, ermöglichen oder (mindestens) damit vereinbar sind. Tatsächlich habe ich aber bereits nahegelegt, dass intersubjektive Anerkennung auch eine direktere Bedeutung im Hinblick auf entferntere soziale Beziehungen zukommt. Gestützt auf Hegel am Ende des Abschnitts 4.5. und in der Auseinandersetzung mit Honneths Konzeption am Ende des Abschnitts 6.3.1. habe ich gesagt, dass Institutionen bzw. institutionalisierte Normen, die eine Gesellschaft organisieren, ethisch beurteilt werden können, indem gefragt wird, in welchem Grade sie als angemessene Ausdrucksweisen unbedingter intersubjektiver Anerkennung zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft angesehen werden können. Die Herausforderungen, die sich einem solchen Ansatz stellen, liegen dann selbstverständlich darin, ob der Vorstellung von intersubjektiven Einstellungen zwischen Personen, die einander kaum oder gar nicht kennen, überhaupt ein plausibler Sinn abgewonnen werden kann. Wenn nicht, ergibt es wenig Sinn, über große Gesellschaften nachzudenken, in denen sich die meisten Mitglieder entweder gar nicht oder nur vage kennen. Es besteht in diesem Zusammenhang ein zweifaches Problem. Erstens muss A sich gedanklich auf B beziehen, um gegenüber B Einstellungen irgendwelcher Art zu haben und dies ist selbstverständlich unmöglich, wenn B A vollständig unbekannt ist. Zweitens ist intersubjektive Anerkennung im Falle von genuin personifizierender intersubjektiver Anerkennung  – zumindest im Hinblick auf die deontologische und axiologische Dimension – selbst gegenüber jemandem, den man nur vage kennt, höchst problematisch. Dies ist deshalb der Fall, weil die spezifischen Formen von intersubjektiver Anerkennung – genuin personifizierende Sorge um das Wohl des Anderen (Liebe) und genuin personifizierende Zuschreibung von Autorität (bzw. Respekt)  – die von mir sogenannte axiologische und deontologische Triangulation beinhalten, also den Sachverhalt, dass man die Welt (einschließlich der eigenen Handlungen) auf motivational wirksame Weise aus der Perspektive der Autorität und der Angelegenheiten des Anzuerkennenden betrachtet. Wie aber ist es möglich, Zugang zur Perspektive von jemandem zu haben, den man gar nicht richtig kennt und seine eigene Perspektive mit dessen Perspektive zu vermitteln?28

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Die Antwort hierauf ist, kurz gefasst, dass dies unmöglich ist. Doch gibt es etwas, dass praktisch gesehen in etwa dasselbe leistet: nämlich die Vorstellungskraft. Genauer denke ich hier erstens an Einstellungen gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern qua Vorstellung, bzw. an imaginierte Andere, die als gedankliche Platzhalter derjenigen realen Anderen dienen, die man nicht näher kennt sowie zweitens an das Phänomen, dass man sich die Einstellungen vorstellt, die andere Gesellschaftsmitglieder (seien sie reale oder vorgestellte) gegenüber einem selbst und gegenüber Anderen haben. In Abschnitt 5.2. wies ich bereits kurz auf die Wirkung hin, die mit der Vorstellung negativer Stereotypen im Hinblick auf die Qualität der wirklichen Begegnung mit Individuen einer bestimmten Gruppe einhergehen kann, hier geht es nun um die Bedeutsamkeit der Vorstellungskraft und der Anerkennung von Menschen, denen man vielleicht niemals persönlich begegnen wird. Dieser Zusammenhang verweist auf ein umfängliches Thema, das mit vielen komplizierten Fragen verbunden ist, die hier nicht diskutiert werden können.29 Ich werde lediglich andeutungsweise einige Bemerkungen zur Bedeutsamkeit dieser Phänomene für das soziale und politische Leben machen, die an anderer Stelle näher zu untersuchen wären. Angesichts der deontologischen Dimension intersubjektiver Anerkennung, die die vertikale („aufwärts“ gerichtete) Anerkennung von Institutionen oder institutionalisierten Normen so analysiert, dass sie horizontale Anerkennung im Sinne der Anerkennung der Autorität anderer Individuen über diese Normen enthält, ist es nicht erforderlich, sich die genannten Phänomene ausschließlich als Beziehungen zwischen Individuen, die einander persönlich kennen, vorzustellen. Individuen gehorchen oder „respektieren“ Normen auch in einer weniger konkreten Bedeutung der Anerkennung anderer Mitglieder einer Gesellschaft als Ganzer, die sie zum größten Teil nicht persönlich kennen und somit für sie nur oder hauptsächlich in der Vorstellung existieren.30 Zugestanden dies ist so, besteht eine wichtige Frage darin, ob Individuen den vorgestellten Anderen, die stellvertretend den Platz von wirklichen aber unbekannten Anderen einnehmen, nur bedingterweise Autorität zuschreiben, so wie Hegels Knecht dem Herrn, oder auch unbedingte Autorität zuerkennen, d.h., dass sie sich diese (egal wie vage) im Sinne von genuinem Respekt vorstellen. Ist mein Respekt gegenüber anderen Mitgliedern meiner Gesellschaft, wie ich sie mir vorstelle lediglich konditional, dann folge ich den Normen und Gesetzen unserer Koexistenz nur in dem Maße, als dies meinen Interessen dienlicher ist als die Normen zu brechen. Wäre ich der Auffassung, es sei vorteilhafter für mich, gegen sie zu verstoßen und glaubte ich, dass ich damit davonkäme, dann würde ich gegen sie verstoßen. Gleichermaßen wichtig ist die Frage, ob die Mitglieder einer Gesellschaft meinen, dass andere Mitglieder (einschließlich derjenigen, die sie nicht kennen) ihnen gegenüber und/oder gegenüber anderen („dritten“) Gesell-



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schaftsmitgliedern (überwiegend oder ausschließlich) bedingte oder unbedingte deontologische Anerkennung empfinden. Wer von Anderen nur bedingterweise Anerkennung erwartet, hat Grund dazu, im Umgang mit ihnen misstrauisch zu sein. In dem Maße, in dem ein solcher Vertrauensmangel zwischen Gesellschaftsmitgliedern ihrer Motivation und Fähigkeit zur Kooperation und kollektivem Handeln abträglich ist, stellt die ethische Schlechtigkeit des Mangels an genuinem Respekt zwischen ihnen, wie sie sich einander vorstellen, klarerweise auch eine funktionale Schlechtigkeit dar, die das objektive Funktionieren der Gesellschaft negativ beeinflusst.31 Ähnliches können wir auch im Hinblick auf die axiologische und die kontributive Dimension feststellen. (Diese drei „Dimensionen“ hängen in diesem Zusammenhang eng miteinander zusammen.) Es ist gegenwärtig eine mehr oder weniger gängige Annahme unter Philosophen, dass Liebe im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen nur dann ein Platz zukommen kann, wenn die beteiligten Personen einander psychisch nahe stehen, wie etwa Familienmitglieder, Freunde oder Liebespartner. Ähnliches gilt für Dankbarkeit. Ein etwas anderes Bild entsteht jedoch, wenn man die Wichtigkeit von Einstellungen gegenüber imaginierten Anderen zugesteht wie auch die Bedeutsamkeit ihrer von mir vorgestellten Einstellungen. Für eine realistische Konzeption des eigenen Lebens und des Sozialen im Allgemeinen ist es erforderlich, dass man sich seiner Abhängigkeit von den Leistungen und somit auch der Existenz anderer Personen bewusst ist. Darüber hinaus ergibt es einen wesentlichen Unterschied, ob oder in welchem Maße Individuen und Gruppen andere Gesellschaftsmitglieder für sich lediglich als instrumentell wertvoll ansehen, ohne dass eine intrinsische Sorge um deren Wohl damit einherginge oder ob ihre Vorstellungen von den Anderen (zumindest in einem gewissen Maß) mit einem intrinsischem Interesse einhergehen. In ähnlicher Weise ergibt es einen wesentlichen Unterschied, ob oder in welchem Maße sie die Leistungen anderer Gesellschaftsmitglieder, die etwas zu ihrem eigenen Wohl oder zum Gemeinwohl beitragen, lediglich unter instrumentellen Gesichtspunkten betrachten oder (mit einer gewissen) Dankbarkeit. Darüber hinaus beeinflusst es zwangsläufig Einstellungen, Motivationen und damit auch Handlungen, inwiefern die Mitglieder einer Gesellschaft sich vorstellen, dass Andere im Hinblick auf die axiologische und kontributive Dimension nur konditionale oder auch unbedingte Einstellungen der Anerkennung gegenüber ihnen und gegenüber Anderen haben. Sofern dem Begriff der Solidarität zwischen Individuen, die einander kaum oder gar nicht kennen, also in Bezug auf große gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge, irgendeine moralische oder ethische Bedeutung zukommt, sind nicht-instrumentelle Sorge und Dankbarkeit gegenüber anderen vorgestellten Mitgliedern der Gesellschaft sowie die Annahme, dass Andere ähnliche Einstel-

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 7 Anerkennung, Sozialkritik und die Lebensform menschlicher Personen

lungen haben, für dessen Sinngehalt mit Sicherheit zentral.32 Auch in diesem Zusammenhang ist ethische Gutheit eng verbunden mit funktionaler Gutheit, insofern Solidarität bzw. die für sie konstitutive Motivation, uneigennützig etwas zum allgemeinen Wohl beizutragen, dem kollektiven Handeln und objektiven Funktionieren der Gesellschaft förderlich sind. Eine weitere Anschlussfrage ist, inwiefern das von mir vorgestellte Modell auch über die gesellschaftlichen und nationalen Grenzen hinweg anwendbar ist, d.h. auf Individuen und Volksgruppen, die physisch und kulturell weit voneinander entfernt sind, die aber nichtsdestoweniger unvermeidlich in konkreten Beziehungen zueinander stehen, weil sie einander auf dem begrenzten Planeten durch ihre Handlungen, Praxen und politischen Entscheidungen affizieren. Die Berücksichtigung der Vorstellungsdimension kann dabei helfen, auch im Hinblick auf internationale und globale Beziehungen die Bedeutung von intersubjektiver Anerkennung in ihren verschiedenen Modi zu erfassen.33 Sollte mein Modell sich als tauglich erweisen, dann sollten sowohl die oben angesprochenen Alltagsintuitionen und Ausdrucksweisen, wie auch die Weise, wie ich sie philosophisch rekonstruiert habe, hinreichend unabhängig von der kulturellen und historischen Varianz der Normen, Prinzipien, Weltanschauungen und Werthierarchien sein – zumindest in dem Maße, dass sie den Ausgangspunkt für einen ernsthaften Dialog bieten können. Obwohl institutionelle Strukturen und konkrete Interaktions- und Beziehungsmuster von einer Gesellschaft zur nächsten sehr verschieden sein können, besteht mein Vorschlag darin, dass sie alle demselben Standard verpflichtet sind, der auf diese Weise einen Ansatzpunkt für eine immanente Kritik und Evaluation des sozialen Leben wie auch sozialer Beziehungen bietet, sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch im Hinblick auf zwischen ihnen bestehende Zusammenhänge. Die vorrangige Frage einer Gesellschaft ist nicht, ob sie modern, bürgerlich, kapitalistisch etc. ist, sondern der Grad, in dem sie die unterschiedlichen Aspekte des vollständig ausgebildeten und vollwertigen menschlichen Personseins fördert bzw. integrieren kann. Im Hinblick auf die Verhältnisse zwischen Gesellschaften ist das Ausmaß entscheidend, in dem „wir“ (wer auch immer wir sind) in der Lage sind, uns „die Anderen“ auf eine genuine und motivational wirksame Weise als Mitmenschen vorzustellen, bzw. als Personen mit genauso unbedingten „Ansprüchen“ wie unsere eigenen – somit der Grad, in dem wir fähig sind, uns und sie als Teil eines umfassenden „Wir“ von Mitmenschen der personalen Lebensform zu erleben.

Anmerkungen Kapitel 1 1 Die in dieser Hinsicht wichtigsten Auslassungen sind die vier Folgenden. Erstens werde ich Alexandre Kojève und die französische Tradition nur erwähnen (vgl. den Anfang von Kapitel 4) und die generelle Anerkennungskonzeption, die sie ausgehend von Kojéve zur Anwendung gebracht hat, nicht weiter diskutieren. Zweitens beziehe ich mich nur relativ knapp (in Kapitel 7.2.1.) auf eine wichtige Strömung der gegenwärtigen anglo-amerikanischen Philosophie, die dem Begriff, bzw. Begriffen der Anerkennung zentrale Rollen zuweisen und zu deren prominentesten Befürwortern Robert Brandom, Terry Pinkard und Robert Pippin zählen. Drittens gibt es Philosophen, wie zum Beispiel Aristoteles (vgl. Williams 2010 und Ikaheimo 2012a), Rousseau (vgl. Neuhouser 2008 und 2009), oder auch Marx (vgl. Quante 2009 und Brudney 2009), in deren Arbeiten der Begriff der Anerkennung auf weniger ausdrückliche Weise präsent ist, die aber wichtige Einsichten zum Thema beizutragen haben und kürzlich aus anerkennungstheoretischen Perspektiven interpretiert wurden. Darüber hinaus gibt es Kritiken an verschiedenen Aspekten des anerkennungstheoretischen Denkansatzes, die in diesem Buch nicht diskutiert werden (Oliver 2001, Markell 2003, McNay 2008, Bedorf 2010). Um sich auf produktive bzw. erhellende Art und Weise mit solchen Kritiken auseinanderzusetzen, sind zuallererst eine gründliche Analyse und ein Verständnis des Gegenstands dieser Kritiken erforderlich.

Kapitel 2 1 Zu den Bedeutungen des korrespondierenden Ausdrucks im Französischen, „reconnaissance“, die dem englischen „recognition“ sehr nahe sind, vgl. Ricoeur 2006. 2 In diesem Sinne bietet das Duden Synonymwörterbuch (4. Aufl., Mannheim 2007) zwei weitgefasste Bedeutungsfamilien von Synonymen für „Anerkennung“ an. Die erste beinhaltet: Achtung, Ansehen, Auszeichnung, Beifall, Belobigung, Belohnung, Bewunderung, Ehre, Glanz und Gloria, Hervorhebung, Hochachtung, Honorierung, Lob, Respekt, Würdigung, Anerkenntnis, Ehrerbietung, Wertschätzung, Ästimation, und Belobung. Die zweite Familie hat zwei Untergruppen, deren erste beinhaltet die Wörter: Beglaubigung, Bekräftigung, Bestätigung, Erlaubnis, Genehmigung, Justifikation, Legitimation, Absegnung, Rekognition, und die zweite beinhaltet: Akzeptanz, Annahme, Befürwortung, Beipflichtung, Beistimmung, Bejahung, Berücksichtigung, Billigung, Duldung, Einverständnis, Einwilligung, Gutheißung, Tolerierung, Verständnis, Zubilligung, Zugeständnis, Zustimmung, Mutualismus und Sanktion. Es gäbe vieles angesichts dieser Auswahl zu analysieren, der für uns wesentliche Punkt ist aber, dass der Duden die Existenz zweier Bedeutungsfamilien von „Anerkennung“ bestätigt. Obwohl Wörterbücher immer auch Ausnahmen zu allgemeinen Regeln angeben, scheint es in Bezug auf die meisten Wörter, die als zur ersten Familie zugehörig genannt werden, wahr zu sein, dass sie überwiegend für Akte oder Einstellungen gegenüber Personen verwendet werden, während die Vorkommnisse der zweiten Bedeutungsfamilie überwiegend für Akte oder Einstellungen verwendet werden, die mit „normativen“ Entitäten oder Tatsachen zu tun haben. 3 Andreas Wildt (2009, 187) nennt dieses „widerstrebende Akzeptieren von Tatsachen“ „propositionale Anerkennung“.

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 Anmerkungen zu Kapitel 2

4 Vgl. auch Carl-Göran Heidegrens Unterscheidung zwischen Einstellungen, zeitlich ausgedehnten Beziehungen und sozialen wie institutionellen Strukturen in seinem sehr hilfreichen Buch Heidegren 2009. 5 Ich verwende „interpersonal“ und „intersubjektiv“ hier als austauschbare Begriffe. In Kapitel 4 wird eine terminologische Unterscheidung zwischen ihnen eingeführt, um einige Details von Hegels Anerkennungskonzeption zu diskutieren. 6 Verwechslungen zwischen (a), (b), (c) und (d) sind in der Literatur nicht selten und in einem gewissen Maße kann man sie bis zu Aristoteles’ Diskussion der philia in der Nikomachischen Ethik zurückverfolgen. Vgl. Ikäheimo 2012a. 7 Dieser Abschnitt beruht auf Abschnitt 2.4. von Ikäheimo & Laitinen 2007. Ich danke Arto Laitinen für seine Erlaubnis, diesen Text zu verwenden. 8 Axel Honneth fasst Anerkennung dieser Anschauung gemäß zu eng, wenn er schreibt, „ob in Gesten, Sprechakten oder institutionellen Vorkehrungen, stets haben wir es in solchen Äußerungen oder Maßnahmen nur dann mit einem Fall von „Anerkennung“ zu tun, wenn ihr primärer Zweck in irgendeiner Weise affirmativ auf die Existenz der anderen Person oder Gruppe gerichtet ist.“ (Honneth 2004, 55 – 56) 9 „Anerkennung“ wird auch im Rahmen der Literatur zum Firmen-Management thematisiert. Die dahinterstehende Idee besteht im Wesentlichen darin, dass die Anerkennung, die von Seiten des Managements gegenüber den Arbeitern gezeigt wird, deren Motivation hebt und somit die Produktivität steigert. 10 Vgl. Markell 2000, Laitinen 2002, Honneth 2002 und Ikäheimo 2007. Diese Debatte hat auch historische Bezugspunkte, da es weithin anerkannt ist, dass zumindest Hegel Anerkennung als etwas aufgefasst hat, das Menschen als Personen von einfacheren Tieren unterscheidet bzw. in einem gewissen Sinne konstitutiv für sie als nicht bloß natürliche Wesen ist. Die Deutungen weichen jedoch in den Details voneinander ab. 11 Michael Tooley zufolge ist Personsein bspw. schlicht gleichgesetzt mit „having a serious right to life“. Vgl. Tooley 1972. In Ikäheimo 2009 habe ich den psychologischen und den Statusbegriff des Personseins als eine Reaktion auf teilweise konfligierende Intuitionen bezüglich bestimmter Härtefälle wie sehr junge Kinder, kognitiv schwer beeinträchtigte oder irreversibel komatöse Menschen verständlich zu machen gesucht. 12 Dieser Unterabschnitt ist genauso wie Abschnitt 2.5.2. von relativ technischem Inhalt. Um das auf diese Abschnitte Folgende zu verstehen, ist es aber nicht notwendig, alle Details verinnerlicht zu haben. Auf die meisten Problematiken, die in diesen Unterkapiteln eingeführt werden, komme ich an späterer Stelle des Buches zurück und der Leser kann dann, wenn nötig, auch auf diese Abschnitte zurückgreifen. 13 Zu diesen Unterscheidungen vgl. Searle 2011, Kapitel 1. 14 In Hegel’scher Terminologie formuliert bedeutet die erste Option, dass der in Frage stehende Status Teil des Bereichs der Natur ist, die zweite, dass er Teil des Bereiches des „Geistes“ ist. Man beachte, dass die Idee eines Status, der von Gottes Intentionalität oder Einstellungen abhängt – etwa wertvoll, liebenswert, in „Gottes Augen“ gleich zu sein oder „Gott-gegebene Rechte“ zu besitzen –, hier eine potentielle Quelle für Konfusionen darstellt. Die Konfusion tritt zutage, wenn die theologische Quelle solcher Vorstellungen vergessen oder nicht explizit reflektiert wird und auf diese Weise das, was ursprünglich als abhängig von göttlicher Intentionalität gedacht war, als vollständig Intentionalitäts-unabhängig verstanden wird. Die Linkshegelianische Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs und Anderer geht davon aus, dass die Vorstellung von Gottes Intentionalität nur eine entfremdete Repräsentation der menschlichen Intentionalität ist. Viele Interpreten würden dafür argumentieren, dass auch Hegel dies im Grunde so gesehen hat.



Anmerkungen zu Kapitel 2 und 3 

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15 Searle 2010 unterscheidet diese beiden Ideen nicht klar voneinander. 16 Die Analogie kommt an ihre Grenzen, da es klarerweise von fundamentalerer Wichtigkeit ist, von Anderen als eine Person statt als ein bloßes Ding angesehen zu werden, als die Tatsache, dass man diesen am Herzen liegt. 17 Searle verwendet den Ausdruck „deontic power“ als einen Allgemeinbegriff für „Rechte, Pflichten, Verpflichtungen, Forderungen, Genehmigungen, Ermächtigungen, Ansprüche und so weiter“ (Searle 2012, 20). Er deckt eine Unterklasse dessen ab, was ich an früherer Stelle in diesem Kapitel „evaluative und normative Entitäten“ genannt habe, nämlich die deontologische Dimension (im Gegensatz zur axiologischen Dimension). In den Abschnitten 4.2. und 4.4. sage ich mehr zur Unterscheidung der deontologischen und der axiologischen Dimension. 18 Man beachte die Tatsache, dass dieselbe Person sowohl Subjekt als auch Objekt von Anerkennung sein kann und dass dies im Rahmen von wechselseitigen Anerkennungsprozessen per definitionem der Fall ist.

Kapitel 3 1 Zu Fichtes Einfluss auf Hegel und Hegels Fichtekritik, siehe Siep 1979, Wildt 1982, Düsing 1986 und Williams 1992. Diese Arbeiten sind auch in einem allgemeineren Sinn empfehlenswerte Lektüren zum Thema Anerkennung bei Fichte und Hegel. 2 Es besteht immer Diskussionsspielraum im Hinblick auf die Frage nach dem Anfang des Nachdenkens und Schreibens über ein bestimmtes gesellschaftlich und psychologisch relevantes Thema. Die Phänomene, auf die sich die Diskussionen über Anerkennung konzentrieren, sind selbstverständlich nicht erst zur Zeit von Fichte und Hegel entstanden und deren Ideen über Anerkennung sind auch nicht, unbeeinflusst von früheren Gedanken über diese Phänomene, in einem Vakuum geboren. Doch ist es vor allem Fichte und Hegel wie auch späteren Diskussionen, die von ihnen beeinflusst sind, zu verdanken, dass man heute ähnliche Ideen in früheren Phasen der Philosophiegeschichte identifizieren kann. Zu Aristoteles und Anerkennung, vgl. Williams 2010 und Ikaheimo 2012; zu Rousseau und Anerkennung, vgl. Neuhouser 2008 und 2009. 3 SW III. 4 Für eine bündige Gesamtrekonstruktion von Fichtes Gedanken über Anerkennung, siehe Düsing 2000. 5 Sowohl Fichte als auch Hegel verwenden den Begriff „Persönlichkeit“, wo ich von „Personsein“ spreche. Der Ausdruck „Personsein“ ist für unsere Zwecke geeigneter, da er sich eindeutiger auf die allgemeine Eigenschaft „Person zu sein“ bezieht und weniger auf die besonderen qualitativen Eigenschaften, die die Persönlichkeiten von Personen voneinander unterscheiden. 6 In § 1 der Grundlage argumentiert Fichte dafür, dass die Subjekt-Objekt-Unterscheidung notwendig die Aktivität des Subjekts erfordert sowie für die wechselseitige Abhängigkeit bzw. „nothwendige Wechselwirkung“ von „Wollen und Vorstellen“ (SW III, 21). 7 Für eine klare Formulierung dieser Idee, siehe auch SW IV, 292. 8 SW III, 39. Man könnte meinen, dass Fichte nicht nur an die individuelle Entwicklung des Kindes zum Erwachsensein denkt, sondern auch an eine Art phylogenetische Geschichte der graduellen Entwicklung der Menschheit. Dies widerspricht allerdings dem Gedanken, den Fichte in der Grundlage vorbringt, dass „das erste Menschenpaar“ von „[e]in[em] Geist“ erzogen wurde (SW III, 39). Fichte hat hier keine graduelle Entwicklung der Menschheit im Sinn, sondern eine Generationenkette, deren jede durch eine vorangegangene, bereits freie und vernünftige,

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 Anmerkungen zu Kapitel 3

zur Freiheit aufgefordert werden muss, so dass die Frage nur die ist, wer die erste Generation aufgefordert hat. 9 Vgl. SW III, 356: „Vom Rechte ist hier noch gar nicht die Rede. Man kann ebensowenig sagen, das Kind habe ein Recht, diese physische Erhaltung von der Mutter zu fordern, als man sagen kann, der Ast habe ein Recht, auf dem Baume zu wachsen; und ebensowenig, die Mutter habe die Zwangspflicht, ihr Kind zu erhalten, als man sagen kann, der Baum habe die Zwangspflicht, den Ast zu tragen. Es ist Naturgesetz, jedoch in Verbindung mit der Vernunft.“ 10 Für die Beschreibung eines solchen Rechtszustandes, vgl. auch SW IV, 292. 11 Für eine Verteidigung Fichtes, in der diese Differenz betont wird, vgl. Bernstein 2009. Die genannten Rechte sind Spezifikationen der allgemeinen Form des Urrechts: „Das Urrecht ist daher das absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu seyn (schlechthin nie Bewirktes)“ (SW III, 113). 12 Fichte verwendet „außerdem“ hier in der älteren Bedeutung von „ansonsten“. 13 Fichte selbst bemerkt, dass das Konzept des Urrechts nur eine notwendige methodologische „Fiktion“ seiner Wissenschaft der Rechte ist. In Wirklichkeit gibt es keine „Urrechte“ oder natürlichen Rechte, die dem gemeinschaftlichen Leben mit Anderen vorausgingen (SW III, 112). 14 Dass eine solche Änderung dem gerecht wird, was Fichte auszudrücken versuchte (der die Sprache des Rechts vielleicht zum Zweck der Deduktion des Rechtssystems in unzulässiger Weise ausgedehnt hat), lässt sich bspw. durch SW III, 50 belegen: „(…) indem ich mich gegen ihn auf jenes gemeinschaftliche Gesetz berufe, lade ich ihn ein, mit mir zugleich zu richten“. 15 In der einfachsten Form kann man dies so verstehen, dass die Aufforderung dem Kind auf irgendeine Weise sowohl die Möglichkeit als auch die Einladung und das Erfordernis mitteilt, auf jede mögliche Interaktionsweise zustimmend oder ablehnend zu reagieren, wobei die jeweilige Haltung darüber hinaus eine angemessene Antwort auf die zustimmende oder ablehnende Einstellung des Auffordernden bzw. Interaktionspartners sein muss. 16 Nedim Nomer entwickelt teilweise eine ähnliche Interpretation von Fichtes Argument, in der er die Notwendigkeit einer dauernden Berichtigung und Aushandlung der Regeln der „myriad interactions“ (Nomer 2010, 484) aufzeigt, denen Fichtes Gesellschaft freier Wesen aufruht. Nomer scheint mir aber ein wenig zu nachsichtig zu sein, wenn er meint, dass man solche Ideen tatsächlich in Fichtes Texten finden kann. Eine textliche Stützung dieser These ist nur in schwacher Form gegeben (wenn auch nicht vollständig inexistent; siehe SW III, 50: „indem ich mich gegen ihn auf jenes gemeinschaftliche Gesetz berufe, lade ich ihn ein, mit mir zugleich zu richten“). Ich sehe eine solche Interpretationslinie eher als Rekonstruktion eines Aspektes an, den Fichte zwar im Sinn hatte, den er aber selbst nicht richtig ausdrücken und mit den von ihm verwendeten Metaphern und Begriffen auch nicht richtig durchdenken konnte. 17 Es wäre nicht schwierig, dies als einen Zirkel und somit als einen gescheiterten Versuch anzusehen, Selbstbewusstsein durch die Konfrontation mit alltäglichen Gegenständen zu explizieren (vgl. das Ende von Abschnitt 3.1.). Kurz gesagt: Sich selbst mit einer Repräsentation seiner eigenen Freiheit konfrontiert zu sehen, scheint bereits eine Art Selbstbewusstsein vorauszusetzen, durch das man etwas als Repräsentation seiner selbst begreifen kann. Aber mit der Annahme, dass man über keine relevante Form von Selbstbewusstsein verfügen kann, ohne dass man aufgefordert wird, befinden wir uns in einem explanatorischen Zirkel. Der naheliegende Ausweg scheint zu sein, dass man Minimalformen von Selbstbewusstsein zulässt, die es ermöglichen, sich selbst als Adressat der Aufforderung aufzufassen, aber selbst nicht von der Aufforderung abhängig sind. Zum Problem der Zirkularität bei Fichte, vgl. Henrich 1966 und 1970. 18 Vgl. SW III, 46: „Aber das Individuum C kann nicht auf die beschriebene Weise auf mich gehandelt haben, ohne wenigstens problematisch mich anerkannt zu haben; und ich kann es



Anmerkungen zu Kapitel 3 

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nicht, als so handelnd, setzen, ohne dies (dass es mich wenigstens problematisch anerkenne) zu setzen.“ 19 Ein solcher Zug wird gewöhnlich mit dem späten Wittgenstein in Verbindung gebracht und mit denen, die mit seinen Ansätzen weitergearbeitet haben, wie zum Beispiel Stanley Cavell. 20 Einige fragwürdige Details von Fichtes Theorie, die hier nicht weiter diskutiert werden sollen, gründen auf der Unterscheidung von „niederen“ und „höheren“ Organen, die aus „gröbere[r] und subtilere[r] Materie“ bestehen sollen (SW III, 73). Fichte versucht eine Art physiologischer Instantiierung der Fähigkeit zu selbstursprünglicher Handlungsfreiheit ohne vorausgegangene Ursachen einzuführen – eine „höhere“ Instanz aus „subtilere[m]“ Stoff, die gegen kausale Vorgaben geschützt ist. 21 Um genau zu sein, affiziert der Andere das „höhere Organ“ des Subjekts und das Subjekt imitiert eine Wirkung des Anderen auf seine „niederen Organe“ (die in Wirklichkeit nicht stattfindet); dies veranlasst seine Handlung. Vgl. SW III, 71. 22 Vgl. SW III, 74: „als vernünftiges Wesen genöthiget, d.i. durch Consequenz verbunden sey, mich als ein vernünftiges Wesen zu behandeln”. 23 Vgl. SW III, 49 – 50, wo Fichte die allgemeine Version einer solchen Kritik vorstellt: „Seine Handlung X widerspreche seiner eigenen Voraussetzung, dass ich ein vernünftiges Wesen sey: er sey inconsequent verfahren.“ 24 SW III, 77: „Ich kann die Erscheinung eines menschlichen Leibes nicht begreifen, ausser durch die Annahme, dass er der Leib eines vernünftigen Wesens sey“. 25 Möglicherweise stützt Fichte sich hier auf eine Prämisse, die man in Frage stellen kann: nämlich die, dass jeder menschliche Körper der Körper eines zumindest potentiell vernünftigen Wesens ist. Da dies nicht zutreffend ist (man denke etwa an Kinder mit schwerwiegenden geistigen Behinderungen), kann es konsistenter Weise nicht der Fall sein, einen menschlichen Körper einfach mit dem Körper eines vernünftigen Wesens gleichzusetzen. Fichte erwägt diesen Einwand leider nicht. 26 Hier ist zu bemerken, dass die Beunruhigung in Bezug auf die Entscheidungsfreiheit des Adressaten mit Fichtes Vorstellung, dass die Aufforderung es der Entscheidung des Adressaten überlässt, mit einer Handlung oder einer Unterlassung zu reagieren, eigentlich nicht beseitigt ist, denn beides sind Weisen des Reagierens. Das Problem liegt tiefer, insofern es die ganze Idee des Zum-Reagieren-Bewegtsein berührt – sei es durch Handeln oder Nicht-Handeln. 27 Man denke an einen Fall, in dem A bestimmte Handlungen ausführt oder unterlässt, um B zu dem beruhigenden Gedanken zu verleiten, dass A B als Ko-Autor gemeinsamer Regeln anerkennt (vielleicht mit der Absicht des zukünftigen Irrglaubens von B). Hierbei wird B nicht als eine Ko-Autorität angesehen, da es an einem innerlichen Aspekt mangelt; ohne den innerlichen Aspekt ist der äußere Aspekt dessen, was A tut (oder unterlässt) keine ernstgemeinte Weise, B als Ko-Autorität zu behandeln. Jemanden als Ko-Autorität zu behandeln erfordert es nicht nur, bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen, sondern ihm gegenüber auch das Haben einer angemessenen psychischen Einstellung. 28 Eine solche Auffassung erforderte selbstverständlich einen wissenschaftlichen Nachweis. Ein in dieser Hinsicht einflussreicher Ansatz handelt von den so genannten „Spiegelneuronen“. Vgl. Gallese 2013. 29 Fichte diskutiert die Familie an einer späteren Stelle in seinem Buch. Vgl. SW III, 304 – 368. 30 Vgl. hierzu dennoch die ergebnisreiche Interpretation von Fichtes Anerkennungskonzeption bei Andreas Wildt, der eine starke Betonung auf die Signifikanz von Anerkennung für die moralische „Ich-Identität“ legt (Wildt 1982).

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 Anmerkungen zu Kapitel 4

31 Für eine Interpretation, die die Grundlage nicht als ein vollständig gescheitertes Unternehmen ansieht, vgl. Siep 1992b. 32 SW III, 129: „Alles Eigenthum gründet sich auf wechselseitige Anerkennung, und diese ist bedingt durch gegenseitige Declaration.“ 33 Fichte identifiziert Personsein mehr oder weniger mit Freiheit. Vgl. SW III, 94: „was gehört dazu, dass jemand überhaupt frei oder Person sey?“

Kapitel 4 1 Für eine Übersicht über Hegels Gedanken zum Thema Anerkennung, vgl. Williams 1992 und 1997. Zu Hegels Kritik an und Aneignung von Fichte, vgl. Siep 1979, Wildt 1982, Düsing 1986 und Williams 1992. 2 Hegel hat drei Versionen der Enzyklopädie veröffentlicht, in jeder neuen Version mehr Material ergänzt und Details weiter ausgearbeitet; die erste erschien 1817, die zweite 1827 und die dritte 1830. Ich beziehe mich auf die weithin gebräuchliche letzte Version des Textes („Werke 10“) sowie auf zwei frühere Vorlesungsmanuskripte von 1825 („GK“) und 1827 – 8 („EW“), die dasselbe Material behandeln. Die Enzyklopädie von 1830 besteht aus drei Hauptteilen − Logik, Philosophie der Natur und Philosophie des Geistes. Die Philosophie des Geistes hat wiederum drei Teile – den Subjektiven Geist, den Objektiven Geist und den Absoluten Geist. Die Philosophie des Subjektiven Geistes unterteilt sich in drei Hauptabschnitte: Die Anthropologie – Die Seele, Die Phänomenologie des Geistes – das Bewußtsein, und die Psychologie – Der Geist. Die Phänomenologie enthält schließlich auch drei Kapitel: Das Bewußtsein als solches (Werke 10, §§ 418 – 423), Das Selbstbewußtsein (Werke 10, §§ 424 – 437) und Die Vernunft (Werke 10, §§ 438 – 439). Unser Fokus liegt auf dem Kapitel Das Selbstbewußtsein. 3 Das Ziel der Phänomenologie des Geistes war es, die rationale Notwendigkeit der fundamentalen Annahmen von Hegels philosophischem System dadurch zu erweisen, dass gezeigt wird, inwiefern alle alternativen Konzeptionen des Verhältnisses von Realität und Geist scheitern müssen. Gemäß dem Plan, den Hegel für das Buch entworfen und in seiner Einleitung präsentiert hat, werden alle grundlegenden Alternativkonzeptionen der Relation von Realität und Geist bzw. „Gestalten des Bewußtseins“, wie Hegel sie nennt, thematisiert, indem jede von ihnen an von ihr selbst aufgestellten Kriterien gemessen wird. (Vgl. meine Diskussion des Konzepts „immanenter Kritik“ in Abschnitt 6.1.) Die unterschiedlichen Kapitel des Buches diskutieren solche Bewusstseinsgestalten jeweils aus der Perspektive dieses methodischen Gesamtziels. In dem Maße, in dem Hegel tatsächlich dem Programm gefolgt ist, das er ursprünglich für sein Werk entworfen hat, gilt dies auch für das Kapitel der Phänomenologie des Geistes, in dem er das Herr-KnechtVerhältnis und den „Kampf des Anerkennens“ darstellt. Zur Phänomenologie des Geistes insgesamt, vgl. Siep 2000. Zum Thema Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes, vgl. etwa Canivez 2011. 4 Ein solches Missverständnis ist in vielen Deutungen verbreitet, die durch Alexandre Kojèves berühmte Pariser Vorlesungen über Hegel in der 1930er und 40er Jahren beeinflusst worden sind (vgl. Kojève 1975), dies schließt die Deutungen von Jean-Paul Sartre in seinem Werk Das Sein und das Nichts (Sartre 1993) und von Emmanuel Levinas in Totalität und Unendlichkeit (2003) ein. Für eine Kritik an Sartres und Levinas’ Deutung der Hegel’schen Anerkennungskonzeption, vgl. Williams 1992, 290 – 301.



Anmerkungen zu Kapitel 4 

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5 Hegels unterschiedliche Weisen, diese Problematik zu fassen, besitzen einen unmittelbaren Vorteil: Er ist nicht mit der unliebsamen Frage konfrontiert, die da lautet: „aber wenn es ein bereits vernünftiges Wesen erfordert, um jemand anderem zur Vernünftigkeit zu verhelfen, wer half dann dem ersten vernünftigen Wesen vernünftig zu werden?“, eine Frage, die Fichte zu beantworten hatte. Hegels Modell erlaubt die Annahme primitiver Subjekte, die sich durch Anerkennung gemeinsam zu fortschrittlicheren Zuständen entwickeln. Aufgrund dieses Aspekts erweist sich Hegels Modell im Hinblick auf die angemessene Abbildung der graduellen Evolution der menschlichen Lebensform im Vergleich mit Fichtes Modell als empirisch angemessener. Hegel selbst schrieb vor Darwin und glaubte auch nicht an prä-Darwinsche Theorien natürlicher Evolution. Dies verunmöglicht es jedoch nicht, ausgehend von seiner Entwicklungskonzeption von Anerkennung über Evolution nachzudenken. Für eine solche Anknüpfung, vgl. Ikäheimo 2010. 6 „Wenn gefragt wird, was der Geist ist, so ist der eigentliche Sinn dieser Frage: was ist das Wahrhafte des Geistes, und das ist gleichbedeutend damit: was ist die Bestimmung des Menschen? – Bestimmung sagt einen Unterschied aus, ein Ziel, einen Zweck, der erreicht werden soll, zu was soll der Mensch sich machen, was soll er sein, was in sich durch seine Freiheit hervorbringen? Bestimmung heißt aber auch auf der anderen Seite ebenso das Ursprüngliche, was der Mensch an sich ist. Der Mensch soll sich hervorbringen, aber er kann sich zu nichts anderem machen, kann keinen anderen Zweck haben, als was er ursprünglich an sich ist.“ (EW, 6) 7 „Trieb“ ist Hegels allgemeiner Ausdruck für den teleologischen Drang der menschlichen Lebensform. Er spricht von dem Trieb des Geistes, die Objektivität zu erkennen (Werke 10, § 416 Zusatz), dem Trieb des Selbst-Bewusstseins, das zu realisieren, was es implizit ist (Werke 10, § 425), dem Trieb zum Wissen (Werke 10, § 443 Zusatz), dem Trieb zum Guten und Wahren (Werke 8, § 225), etc. 8 Hegel drückt sich im Hinblick auf diesen Punkt manchmal missverständlich aus und es ist auch möglich, dass seine Studenten ihn in ihren Vorlesungsmitschriften nicht immer richtig verstanden haben. Vgl. EW, 14: „[D]ie konkrete Freiheit ist, das ich in der Bestimmtheit meiner – Schranke, Negation – nur bei mir selbst bin, das andere annihiliere.“ (Ferdinand Walters Mitschrift, die in einer Fußnote in EW, 14 reproduziert ist, ist in diesem Punkt sogar noch verwirrender.) Dies ist eine irreführende oder zumindest unnötig dramatische Formulierung der hier interessierenden Idee. Das Entscheidende im Hinblick auf konkrete Freiheit ist nicht die Annihilation des Anderen, sondern eine Versöhnung mit ihm, die allein die Überwindung oder Aufhebung seiner vollständigen Äußerlichkeit, Fremdheit oder Feindschaft beinhaltet. 9 Der tierische Organismus als der „höchste Punkt der Natur“ (Werke 9, § 350 Zusatz) weist intern „konkrete Freiheit“ auf, insofern jedes seiner Organe jedes andere Organ affiziert bzw. bestimmt (erste Negation), allerdings in einer solchen Weise, dass sie alle zur Ermöglichung der Existenz und dem Funktionieren jedes anderen beitragen (zweite Negation). Das Tier weist zudem einen gewissen, wenn auch minimalen Grad an konkreter Freiheit im Hinblick auf die äußere Welt auf, insofern es Teile davon als seine eigene Umwelt zu behandeln vermag, was zu seiner Lebenserhaltung dient. (Siehe Werke 9, §§ 353 – 366.) 10 Hegels Gedanke, dass Tiere nicht über Bewusstsein bzw. Intentionalität verfügen, bringt Probleme mit sich, die ich in Ikäheimo 2010a diskutiere. 11 Hegel diskutiert dies im Kapitel „Das Bewußtsein als solches“ (Werke 10, §§ 418 – 421), das dem Kapitel „Das Selbstbewußtsein“ in der Enzyklopädie vorausgeht. In all dem gibt es keinen Hinweis auf einen subjektiven Idealismus, denn alle Strukturen, mit deren Hilfe Subjekte erfolgreich die Welt begreifen sind für Hegel tatsächliche Strukturen der Welt (das heißt, sie sind nicht bloß Strukturen, wie die Welt als durch Subjektivität organisiert erscheint) und sie werden nur in

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 Anmerkungen zu Kapitel 4

der Interaktion mit der Welt zu Strukturen des Denkens eines Subjekts. Anders als Kant ist Hegel begrifflicher Realist. Vgl. Halbig 2002. 12 Leider macht Hegel selbst nirgendwo klar, wie diese drei Prinzipien miteinander zusammenhängen. 13 Ich würde dafür argumentieren, dass diese Aufgabe auch angesichts jedes anderen Textes, in dem Hegel über „Anerkennung“ spricht, nicht einfacher ist. 14 Vgl. z.B. Werke 10, § 433Z, und EW, 171. 15 Man beachte allerdings, dass sogar nicht-institutionalisierten Normen ein Minimum an Unabhängigkeit von jedem einzelnen Individuum zukommt, da mindestens zwei Individuen erforderlich sind, um überhaupt soziale Normen zu besitzen. Zudem hängt jedes Individuum, das unter den Bedingungen solcher Normen lebt, zu einem gewissen Grad von der Autorität eines anderen Individuums als Ko-Autorität der gegebenen Normen ab. Ich allein kann keine Normen erlassen, die uns beide binden. 16 Robert Brandom (2007) nennt dies „erotic significances“, Robert Pippin (2011) „orectic significances“. 17 In Hegels höchst unkonventioneller Terminologie kann man auch sagen, dass die Begierde zu viel Selbstbewusstsein und zu wenig Bewusstsein instanziiert. 18 Auf der anderen Seite gilt, dass alles, was für die physiologischen Bedürfnisse des primitiven Subjekts nicht als unmittelbar relevant gegeben ist, ihm unbekannt bleibt. Daher ist das vollständige Bild der intentionalen Beziehung des begehrenden Subjekts zur Welt eine Mischung aus einem extremen Mangel an Unabhängigkeit von der Objektivität innerhalb einer sehr begrenzten Sphäre und einer extremen Fremdheit in Bezug auf den Rest der Welt. Dies vollständig zu rekonstruieren, würde nicht nur eine Bezugnahme auf Hegels Diskussion der tierischen Weltbeziehung in der Philosophie der Natur (Werke 9, §§ 353 – 366) erfordern, sondern auch auf das Anfangskapitel des „Sinnlichen Bewußtseins“ (Werke 10 10, §§ 418 – 419) des Kapitels „Das Bewusstsein als solches“ (Werke 10, § 418 – 421), das dem „Selbstbewusstsein“ vorausgeht. Für eine solche Rekonstruktion vgl. Ikäheimo 2010a. 19 Eine detailliertere Analyse der Struktur der begehrenden Objektbeziehung hätte zwischen der raum-zeitlichen Andersheit des Objekts und der Andersheit im Sinne der Signifikanz des Objekts für das Subjekt zu unterscheiden. Vgl. ebd. 20 Dies heißt unter anderem, dass Hegel nicht anfällig ist für ein Zirkularitätsproblem, das Fichtes Konzeption belastet: Wenn das Subjekt vor der intersubjektiven Begegnung unfähig ist, irgendetwas als ein von ihm unterschiedenes Objekt zu begreifen, wie kann es jemals den Auffordernden oder Anerkennenden als ein von ihm unterschiedenes aufforderndes Wesen erfahren? Hegel umgeht dieses Problem, indem das Subjekt vor der Anerkennung seines Erachtens bereits zu einer primitiven Weise der Subjekt-Objekt-Unterscheidung fähig ist. 21 „Dies Verhältnis ist […], da das Mittel der Herrschaft, der Knecht, in seinem Leben gleichfalls erhalten werden muß, Gemeinsamkeit des Bedürfnisses und der Sorge für dessen Befriedigung. An die Stelle der rohen Zerstörung des unmittelbaren Objekts tritt die Erwerbung, Erhaltung und Formierung desselben als des Vermittelnden, worin die beiden Extreme der Selbständigkeit und Unselbständigkeit sich zusammenschließen; – die Form der Allgemeinheit in Befriedigung des Bedürfnisses ist ein dauerndes Mittel und eine die Zukunft berücksichtigende und sichernde Vorsorge.“ (Werke 10, § 434) 22 Hegel diskutiert die Habitualisierung als ein wichtiges Moment des Subjektiven Geistes, bzw. des psychologischen Personseins, gegen Ende der Anthropologie (Werke 10, §§ 409 – 410). 23 Nach Vorlesungsmitschriften von 1825 sagt Hegel: „die Formen gehen uns nichts an, es sind die des Gefühls, Neigung, Wohlwollen, Liebe, Freundschaft“ (GK, 347). Hegel spricht hier auf



Anmerkungen zu Kapitel 4 

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einem sehr hohen begrifflichen Abstraktionsniveau und fokussiert die Struktur konkreter Freiheit als Bewusstsein seiner selbst in einem anderen freien Wesen, die er als die „Substanz“ all dieser konkreteren Phänomene begreift. 24 Zu Anerkennung als „Freigabe“ vgl. Williams 1996, 21. Williams ist beeinflusst von Siep 1992a. 25 Die verschiedenen Themen hängen in vielfacher Weise miteinander zusammen, um aber entscheiden zu können, wie sie genau miteinander zusammenhängen, muss man zunächst in der Lage sein, sie voneinander zu unterscheiden. 26 Vgl. Werke 10, § 433: „Der Kampf des Anerkennens und die Unterwerfung unter einen Herrn ist die Erscheinung, aus welcher das Zusammenleben der Menschen als ein Beginnen der Staaten, hervorgegangen ist.“ Und § 435Z.: „So war es zum Beispiel notwendig, daß, nachdem Solon den Atheniensern demokratische, freie Gesetze gegeben hatte, Peisistratos sich eine Gewalt verschaffte, durch welche er die Athenienser zwang, jenen Gesetzen zu gehorchen. Erst als dieser Gehorsam Wurzel gefaßt hatte, wurde die Herrschaft der Peisistratiden überflüssig.“ 27 Liebende und Freunde mögen auch in institutionellen Relationen zueinander stehen, doch dies ist nicht das, was sie als Liebende und Freunde ausmacht. Ihr wesentliches Merkmal sind die einschlägigen Weisen wechselseitig vollzogener intersubjektive Anerkennung. 28 GK, 342: „Wer befehlen will muss vernünftig befehlen, nur wer vernünftig befehlt dem wird gehorcht […] Zum Befehlen gehört Verstand, um nichts albernes Abgeschmaktes vorzubringen […]“. 29 Viele zeitgenössische Lesarten tendieren dazu, Anerkennung bei Hegel primär und manchmal ausschließlich im Sinne der deontologischen Terminologie von Normen, Autorität und Respekt zu betrachten und lassen die axiologische Dimension der Werte, Sorge und Liebe außer Acht. Vgl. z.B. Brandom 2009, Kapitel 1 und 2; Pinkard 2002, Kapitel 11. 30 In den Vorlesungen fügt Hegel einige Details hinzu, die den Übergang weniger abrupt erscheinen lassen. Er wird auf diese Weise der Prozessualität bzw. der graduellen Veränderung gerecht, auf die er hinaus will: „Das Instrument dient dem Herrn daher auch mit Willen, bleibt an sich freies Selbstbewusstsein und dieser Wille des Knechts muss den Herrn geneigt gemacht werden, er muss für den Knecht als Lebendiges sorgen, ihn schonen als an sich freien Willen, so wird der Knecht in die Gemeinsamkeit der Vorsorge aufgenommen, so wird er auch Zweck, er gilt, er hat seine Ehre, ist Glied der Familie.“ (GK, 342) Obwohl dies nur studentische Mitschriften zu Hegels Vorlesung sind, die nicht immer vollständig verlässliche Quellen darstellen, lassen sich anhand dieser Passage zwei wichtige Momente ausmachen: (1) Der furchtsame Gehorsam des Knechts gegenüber dem Herrn wird zur Klugheitserwägung, ihm zu dienen. Der Herr wird zu jemandem, der den Knecht zumindest nicht mehr ausschließlich durch unmittelbare Todesdrohungen zu motivieren sucht, sondern auch durch positive Anreize (so verspricht der Herr etwa, sich um den Knecht zu sorgen, sofern dieser für ihn arbeitet). Dies ist ein Übergang von einem „Sklav” zu einem „Knecht“. (2) Eine Beziehung wechselseitiger Instrumentalisierung wird zu einer Beziehung, die auch durch wechselseitige nicht-instrumentelle Sorge charakterisiert ist und durch „Ehre“. Dies ist der Übergang des Knechts zu einem „Glied der Familie“. Hierbei rückt nicht nur die nicht-instrumentelle Sorge (oder Liebe) in den Vordergrund, sondern auch die Ehre und gegenseitige Dankbarkeit für die Beiträge zur Familie als einer „Gemeinschaft der Vorsorge“. Somit ist auch so etwas wie Anerkennung oder Wertschätzung für die geleisteten Beiträge (dies ist in Axel Honneths Arbeit zu Anerkennung wichtig) in dieser Passage präsent. 31 Ein guter „Lackmustest“ genuinen Respekts besteht darin, zu schauen, ob man sich vor einem anderen wirklich schämen kann, bzw. ob man auf seine negativen Urteile über einen selbst mit Scham antwortet.

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 Anmerkungen zu Kapitel 4 und 5

32 Von „Teilen“ zu sprechen klingt so, als würde das Phänomen im Sinne von äußerlichen Beziehungen aufgefasst werden. Dies ist zum Teil der Fall: Meine unabhängigen Urteile und die Urteile derer, die ich respektiere, können sich in Harmonie zueinander befinden oder auch konfligieren, was zu einem Konflikt innerhalb meiner selbst führt. Eine solche Art des Konflikts ist zentral für das, was moralisches Lernen, die Justierung moralischer Urteile und die Bildung moralischer Vorstellungskraft antreibt, aber sie kann auch zu einem (zumindest zeitweiligen) unversöhnlichen innerlichen Konflikt des Subjekts führen. Um dies noch anders zu formulieren: Integration ist das Ideal, aber es handelt sich um eine Integration von teils unabhängigen Elementen oder Teilen, die auch unintegriert bleiben können. Für Hegel ist ein Mangel an innerer Integration charakteristisch für psychische Pathologien, von denen er einige im AnthropologieAbschnitt der Philosophie des Subjektiven Geistes diskutiert. 33 Vgl. Rainer Forsts Diskussion zum „Recht der Rechtfertigung“ in Forst 2008.

Kapitel 5 1 Kojèves Vorlesungen wurden von vielen zukünftigen Hauptakteuren der Französischen Intellektuellenszene besucht und hatten auf diese Weise großen Einfluss auf die Französische Philosophie der Nachkriegszeit. In Kojèves recht freier Interpretation von Hegel ist die menschliche „Begierde nach Anerkennung“ die treibende Kraft der Geschichte und steht als solche im Zentrum der gesamten Hegel’schen Philosophie. Vgl. Kojève 1975 und zu Kojèves Einfluss auf die Französische Philosophie der Nachkriegszeit Descombes 1979. 2 Vgl. Benjamin 1990, Wildt 2010 und Honneth 2003, 153 – 172. 3 Vgl. Thompson 2006 und Seymour 2010. 4 Für eine erhellende Darstellung zum Verhältnis von Taylor und Herder, vgl. Markell 2003, Kapitel 2. 5 Für eine Kritik an diesem Aspekt von Taylors Aufsatz vgl. Appiah 1994. 6 „Bei unserer Beschäftigung mit einer Kultur werden wir etwas entdecken, das großen Wert besitzt, oder nicht. Aber zu fordern, daß wir etwas finden müssen, ist genauso unsinnig, wie zu verlangen, wir müßten herausfinden, daß die Erde rund oder flach oder daß die Lufttemperatur hoch oder niedrig ist.“ (Taylor 2009, 56) 7 Die längste explizite Bezugnahme auf Hegel, die man im Text findet, bringt ihn vielmehr mit der Politik der gleichen Würde in Zusammenhang. Vgl. Taylor 2009, 36 – 7. 8 Wenn ich von einer „Ergänzung“ spreche, meine ich nicht, dass Taylor der Erste ist, der daran gedacht hat. Ganz im Gegenteil ist die Vorstellung von Anerkennung für individuelle Leistungen wahrscheinlich die paradigmatische Bedeutung von „Anerkennung“ im umgangssprachlichen Diskurs. Sie ist auch ausdrücklich eine der drei Dimensionen von Anerkennung, die man in derselben Zeit bei Axel Honneth findet und die ich im nächsten Kapitel besprechen werde. 9 Vgl. Fußnote 25, S. 197 zu einem ähnlich gelagerten Problem bei Fichte. Man beachte, dass Taylors Formulierung mehrdeutig ist, da er von „unserem Status“ als rationale Akteure und weniger von unserer Fähigkeit zu rationaler Akteurschaft spricht. Diese Ambivalenz von Fähigkeit und Status tendiert dazu, das Problem, auf das ich aufmerksam machen möchte, zu verdecken. Sie ist in Diskursen über Würde und Personsein unglücklicherweise aber recht häufig anzutreffen. 10 Zum Thema der „Toleranz“ vgl. Forst 2003. 11 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen von „personaler Identität“, vgl. Quante, 2007.



Anmerkungen zu Kapitel 5 

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12 Neben Anderen hat Anthony Appiah (1994) kritisiert, dass Taylor diese Spannung zwischen individuellem Selbstverständnis und Fremdbeschreibung übersieht und damit die Tatsache, dass Individuen auf Gruppen reduziert werden, mit denen sie selbst sich möglicherweise nicht besonders stark identifizieren können. 13 Ich verwende den Ausdruck „teilweise“, weil Taylors „Politik der gleichen Würde“ einen anderen Aspekt von Personen betrifft: nämlich ihre Würde als Personen unabhängig von bestimmten Differenzen. Taylor diskutiert die mögliche konstitutive Bedeutsamkeit dieses Phänomens fürs Personsein nicht explizit. 14 Ich stelle damit keine Thesen über die Originalität von Taylors Essay auf, sondern weise nur auf das hin, was wir mit der Lektüre seines Aufsatzes vernünftigerweise zur bisher erarbeiteten Gesamtvorstellung der Bedeutsamkeit von Anerkennung hinzufügen können. Taylor selbst anerkennt andere Autoren, wie z.B. Rousseau, Herder und G.H. Mead als Quellen der von ihm insgesamt formulierten Auffassung. Darüber hinaus kannte Taylor beim Verfassen seines Aufsatzes bereits Honneths Arbeit, die mit teilweise ähnlichen Ansätzen aufwartet. Taylor war einer der Gutachter von Honneths Habilitationsschrift, die einen Teil seiner bahnbrechenden Monographie Kampf um Anerkennung ausmacht, welche im nächsten Kapitel diskutiert wird. 15 Vgl. besonders Fraser 2000. 16 Anders als viele Autoren, die sich an den aktuellen Debatten über die Politik der Anerkennung beteiligen, hat Taylor, genauso wie Honneth, ernstzunehmende Arbeiten zur Hegel-Forschung beigetragen. Zu Taylors Interpretation von Hegel, vgl. Taylor 1975 und 1979. 17 Als Amerikanerin denkt Fraser hauptsächlich an die jüngste Geschichte und die gegenwärtige Situation der US-Politik. Sie stellt allerdings heraus, dass Identitäts-Probleme nach dem Ende des Kalten Krieges auf der internationalen Bühne in den Vordergrund getreten sind und ergänzt das Folgende: „Mit der Jahrhundertwende sind die Themen der Anerkennung und der Identität noch zentraler geworden […] [V]on Ruanda bis zu den Balkanstaaten haben Fragen der „Identität“ ethnische Säuberungen und sogar Genozide angeheizt − wie auch Bewegungen, die sich angeregt sahen, dagegen Widerstand zu leisten.“ (Übersetzt nach Fraser 2000, 107) 18 In Fraser & Honneth 2003, 29 reformuliert Fraser die oben zitierte Passage auf eine Weise, die Einstellungen eine noch geringere Rolle inn Bezug auf soziale Exklusion zuweist. 19 Für eine teilweise ähnlich gelagerte Kritik an Fraser vgl. Zurn 2008, 156 – 159. 20 Frasers terminologische Entscheidung, von der „intersubjektiven Bedingung“ partizipatorischer Gleichheit zu sprechen, verdunkelt diese Unterscheidung. 21 Fraser versteht Respekt und Wertschätzung auf die folgende Weise: „An dieser Stelle setze ich die  – in der Moralphilosophie mittlerweile gängige  – Unterscheidung zwischen Respekt und Achtung voraus. Ihr zufolge wird Respekt allgemein und jeder Person des gemeinsamen Menschseins halber geschuldet; Achtung hingegen wird entsprechend den persönlichen und je eigentümlichen Merkmalen, Fertigkeiten oder Leistungen in unterschiedlichem Maße verteilt. Daher ist die Vorschrift, jedem den gleichen Respekt zu zollen, vollkommen vernünftig, diejenige aber, jedem die gleiche Achtung zu gewähren, ist ein Oxymoron.” (Fraser & Honneth 2003, 49, Anm. 32; Fraser 2001, 39, Anm. 6) Frasers Begriff von Respekt unterscheidet sich also von demjenigen, den ich in der Diskussion von Fichte und Hegel eingeführt habe. 22 Ich werde im abschließenden Kapitel aus einer anderen Perspektive auf die Bedeutung der Imagination für Anerkennung zurückkommen. 23 Vieles, was Fraser schreibt, scheint diese Interpretation zu stützen. Vgl. zum Beispiel: Fraser & Honneth 2003, 18, wo sie über die Institutionalisierung von heterosexuellen Wertemustern spricht, die Heterosexualität „allerorten institutionalisiert“, „die rechtliche Konstruktion von Fa-

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 Anmerkungen zu Kapitel 5 und 6

milie, Intimität, Privatsphäre“ etc. prägen und „auf zahlreichen Feldern politischer Regulierung (…) verwurzelt“ sind (ebd., 30). 24 George Herbert Mead definiert „Institution“ auf die folgende Weise: „[E]ine Institution [ist] letztlich nichts anderes als eine Organisation von Haltungen, die wir alle in uns tragen; die organisierten Haltungen der anderen, die das Verhalten kontrollieren und bestimmen.“ (Mead 1973, 255)

Kapitel 6 1 Für eine kurze Übersicht über Honneths Rekonstruktion von Horkheimer, Adorno, Foucault und Habermas, vgl. das Nachwort zu Honneth 1988. Eine exzellente Darstellung von Honneths Denken und seiner Gesamtentwicklung bietet Deranty 2009. Zum Verhältnis zwischen Honneth und Habermas, vgl. Iser 2008. Zu Anerkennung als zentralem Prinzip der Kritischen Theorie insgesamt, siehe Schmidt am Busch 2011. 2 Zu seiner Deutung des Jenaer Hegel, vgl. Honneth 2003, Kapitel 1 – 3. Zu seiner späteren Deutung von Hegels Philosophie des Rechts, vgl. Honneth 2001. 3 Beim Verfassen dieses Kapitels profitierte ich von Diskussionen über Honneth mit Loughlin Gleeson. 4 Zu Honneths eigener Auffassung der Unterscheidung einer Kritischen Sozialphilosophie von der Politischen Philosophie, vgl. Honneth 1994. 5 Honneth schließt sich Habermas Kritik an, dass es den Vertretern der frühen Frankfurter Schule an kritischer Reflexion auf die Begründung ihrer eigenen kritischen Maßstäbe fehlte. (Vgl. das Nachwort zu Honneth 1988). Die Vorstellung einer immanenten Kritik findet sich bereits in der methodologischen Einleitung von Hegels Phänomenologie des Geistes. Hegel versucht darin zu erklären, wie es möglich sein kann, den Common Sense bzw. „das natürliche Bewusstsein“ auf die Ebene des philosophischen Begreifens der Wirklichkeit zu heben und zwar durch eine Argumentationsmethode, die sich allein auf die eigenen Voraussetzungen des Common Sense bezieht, d.h. ohne Wahrheiten oder Kriterien vorzugeben, durch die er aus der Perspektive eines epistemisch privilegierten Standpunkts beurteilt würde. 6 Vgl. das Nachwort, das der zweiten Ausgabe des Kampf um Anerkennung (Honneth 2003) beigefügt ist. 7 Vgl. auch Deranty 2009, 431. 8 Vgl. Kauppinen 2002 zu den vielfachen Weisen, in denen etwas als normatives oder evaluatives Kriterium einer Kultur oder Gesellschaft implizit sein kann und somit etwas darstellt, auf das sich eine immanente Sozialkritik beziehen kann. 9 Vgl. insbesondere Zurn 2000. 10 Zu Honneths „fallibilistischer“ Methodologie, vgl. Deranty 2009, besonders 277 – 2 86. 11 Vgl. das Schema in Honneth 2003, 211. Dieses Schema ist unglücklicherweise etwas verwirrend, insofern es Einstellungen und soziale institutionelle Sphären (vgl. 2.3.) ohne Differenzierung gemeinsam unter dem Titel „Anerkennungsformen“ fasst. 12 Honneth stützt sich hier stark auf Donald Winnicott, wie auch auf Jessica Benjamins (1990) psychoanalytische Studie der frühen Interaktion, die ausdrücklich das Hegel’sche Modell von Begierde und Anerkennung nutzt. 13 Für nähere Ausführungen zur Liebe als einer Form der Anerkennung, vgl. Ikäheimo 2012a.



Anmerkungen zu Kapitel 6 

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14 “Having rights enables us to ‚stand up like men‘, to look others in the eye, and to feel in some fundamental way the equal of anyone” (Feinberg 1980, 151 zitiert nach Honneth 2003, 194). 15 “[A]n enrichment of the stuff of which the status [of a full citizen or legal person] is made and an increase in the number of those on whom the status is bestowed” (Marshall 1963, 87, zitiert nach Honneth 2003, 191). 16 In einem kürzlich erschienenen Aufsatz diskutiert Honneth eine negative Entwicklung, die damit zusammenhängt, dass sich „infolge der siegreichen Kämpfe kultureller Minderheiten um rechtliche Gleichstellung die aktive, ermächtigende Bedeutung der Bürgerrechte weitgehend abgenutzt [hat], so dass sie häufig nicht länger als symbolische Zeichen einer wechselseitigen Achtung, sondern privatistisch als Instrumente der individuellen Leistungsabsicherung gedeutet werden“ (Honneth 2011b, 42). Honneth legt auf diese Weise die Annahme nahe, dass es eine Zeit gegeben hat, in der Individuen gleiche Rechte als ein Symbol der „wechselseitigen Achtung“ vor moralischer Autonomie „gedeutet“ haben und argumentiert, dass diese Lesart sich durch genau diese politischen Anstrengungen abgenutzt hat, durch die gleiche Rechte auf immer mehr Menschengruppen ausgedehnt wurden. 17 Im Falle politischer Rechte fallen Rechte und Autorität selbstverständlich zusammen, da diese Rechte die Ausübung von Autorität in politischen Auseinandersetzungen darstellen. Doch selbst der Besitz politischer Rechte stellt keine Garantie für intersubjektiven Respekt dar: Menschen beschweren sich häufig über die Rechte anderer, die sie im Rahmen der Partizipation an politischen Entscheidungen nicht der vernünftigen Urteilsbildung für fähig erachten. 18 Zu Honneths Versuch im Kampf um Anerkennung, Freiheit im Sinne der subjektiven Spontaneität auf der vor-sozialen Ebene von Subjektivität zu verorten – oder um Meads Terminologie zu borgen, dass Honneth sich auf das vor-soziale „Ich“ im Gegensatz zum sozial verfassten „Mich“ bezieht  – vgl. Honneth 2003, Kapitel 4. Zu Honneths späterer Abwendung von diesem Meadschen Modell, vgl. ebd., 312. 19 Zu Anerkennung und Arbeit beim jungen Marx, vgl. Brudney 2009 und Quante 2011. 20 Vgl. Quante 2011. 21 Da Taten, die zu dem Zweck ausgeführt werden, beim Empfänger Dankbarkeit hervorzurufen (dies könnte dem Akteur in vielerlei Hinsicht nützen) keine Dankbarkeit verdienen, müssen sie unter dem Deckmantel genuin nicht-instrumenteller Sorge um den Anderen ausgeführt werden und sind daher zwangsläufig unaufrichtig. 22 Zu zwei konfligierenden Auffassungen der Beziehung von Anerkennung als Wertschätzung und der ökonomischen Logik, siehe Ikäheimo & Laitinen 2010. 23 Vgl. Honneths diesbezügliche Diskussion in Fraser & Honneth 2003, 182 – 183. 24 Es wäre aus zweierlei Gründen unangemessen, auf „egoistische“ Leistungen mit Dankbarkeit zu antworten. Erstens verdienen egoistische Taten keine Dankbarkeit und zweitens ist Dankbarkeit nicht das, was der Akteur erstrebt (angenommen, dass sein Ziel nicht darin besteht, von fehlgeleiteter Dankbarkeit zu profitieren). Entsprechend wäre es unangemessen, auf „altruistische“ Leistungen lediglich mit instrumenteller Wertschätzung zu reagieren, etwa dadurch, dass man gegenüber anderen auf ihre Nützlichkeit verweist und keine Dankbarkeit zeigt oder dadurch, dass man einen Lohn anbietet. Solcherlei Verwechslungen der moralischen Logik des Schenkens und der Dankbarkeit mit der ökonomischen Logik werden häufig als kränkend oder beleidigend interpretiert (wenn nicht als Missverständnis). 25 Da Dankbarkeit die erwartungsgemäße Antwort auf Leistungen darstellt, die (zumindest partiell) durch die unbedingte Sorge um das Wohl Anderer motiviert sind, hängen die kontributive und die axiologische Dimension nichtsdestoweniger eng miteinander zusammen.

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 Anmerkungen zu Kapitel 6

26 Für eine gründliche Analyse des Marxschen Modells nicht-entfremdeter Arbeit aus Sicht des Anerkennungsbegriffs, vgl. Quante 2009, 275- 300. Vgl. auch Brudney 2009 und Ikäheimo 2012a. 27 Diese zwei Elemente im Hinblick auf Erwartungen zu unterscheiden – das klugheitsbezogene und das moralische – hilft einem auch dabei, die eigentümliche Schwierigkeit besser zu verstehen, die etwa mit den von Hausfrauen gestellten Ansprüchen auf angemessene „Anerkennung“ ihrer Arbeit und gesellschaftlichen Leistung einhergehen, wie auch mit den Ansprüchen auf adäquate Anerkennung, die Berufstätige aus dem Pflege- und Bildungsbereich einklagen. Da von diesen Gruppen erwartet wird, zumindest teilweise aufgrund von nicht-instrumenteller Sorge um einen unmittelbaren Nutzen ihrer Arbeit etwas zum gesellschaftlich Wohl beizutragen, kann man ihren Forderungen nach besserem Lohn, oder im Falle der Hausfrauen die Forderungen nach einem Lohn überhaupt, leicht mit einer moralischen Rüge ihrer Eigennützigkeit begegnen. Wann auch immer beide, sowohl die ökonomische Logik des Arbeitslohns und die moralische Logik der Dankbarkeit im Hinblick auf dieselbe Aktivität Anwendung finden, neigen beide Ansprüche auf adäquate Anerkennung dieser Aktivitäten wie auch die Antworten darauf, zu Ambivalenzen und potentieller Verwirrung der Beteiligten. Es ist die Aufgabe des Theoretikers, zu versuchen, die unterschiedlichen Probleme auseinanderzuhalten und zu klären. 28 Ich sehe hier von der von Fraser und anderen (in Fraser & Honneth 2003) gestellten He­ rausforderung ab, dass Honneth den unpersönlichen „ökonomischen Mechanismus“ nicht Ernst genug nimmt, der die Marktpreise von Produkten und der Arbeit unabhängig vom Gebrauchswert und damit von der instrumentellen Wertschätzung beeinflusst. Ob es Honneth gelungen ist, dieser Herausforderung in angemessener Art und Weise zu begegnen, ist eine komplexe Frage, die ich hier nicht versuchen werde zu beantworten. 29 Für eine umfassende Studie zu Honneths Arbeit, vgl. Deranty 2009. 30 Honneth anerkennt dies in der Passage, in der es heißt, dass sich „infolge der siegreichen Kämpfe kultureller Minderheiten um rechtliche Gleichstellung die aktive, ermächtigenden Bedeutung der Bürgerrechte weitgehend abgenutzt [hat], so dass sie häufig nicht länger als symbolische Zeichen einer wechselseitigen Achtung, sondern privatistisch als Instrumente der individuellen Leistungsabsicherung gedeutet werden.“ (Honneth 2011, 42) Offengelassen bleibt hier jedoch die Frage, was genau die Bedingungen sind, unter denen Rechte als seine moralische Angelegenheit erfahren werden (und damit nach Honneths Theorie in der Vergangenheit auch wurden) anstatt nur als Objekt konkurrierender egoistischer Interessen. 31 Diese Sätze entstammen Honneths Erwiderung („Rejoinder“) auf kritische Fragen von Judith Butler, Reymond Geuss und Jonathan Lear, die nur in der englischen Version des Buches zu finden ist. 32 Honneth hat auf andere Art und Weise durch die Einführung des Konzepts „moralischen Fortschritts“ (vgl. Fraser & Honneth 2003, 219) versucht, zwischen einem universalistischen und einem historistischen Verständnis der Kriterien des guten Lebens zu vermitteln. Die durch diese Strategie angebotene Lösung ist allerdings nicht zufriedenstellend, da sie das Problem lediglich verschiebt: Die Frage ist jetzt, ob die Kriterien dafür, was als moralischer Fortschritt zählen kann, selbst universal akzeptierbar sind oder nicht? 33 Vgl. Honneth 2011, 86, wo Honneth zwischen dem „Intersubjektiven“ und dem Institutionellen unterscheidet und „Sozialität“ mit Letzterem identifiziert. Auf derselben Seite spricht Honneth bemerkenswerter Weise auch von der „Anerkennung der Komplementarität von Zielen und Wünschen“, bzw. von der Anerkennung wechselseitiger Abhängigkeit. Dies scheint die zentrale Bedeutung von „Anerkennung“ in Das Recht der Freiheit zu sein. Wie sich dieses Phänomen, das gemäß den von mir in Abschnitt 2.1. eingeführten Unterscheidungen zur zweiten Bedeu-



Anmerkungen zu Kapitel 6 und 7 

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tungsfamilie von „Anerkennung“ gehört (im Englischen als „acknowledgement“ bezeichnet), zu intersubjektiver Anerkennung verhält, wird in seinem Buch allerdings nicht vollständig klar. 34 Da der Begriff der Anerkennung sich in Honneths Werk durch eine so durchweg zentrale und ausdrückliche Präsenz auszeichnet, wurden die meisten der Eigenheiten dieses Konzepts bei Honneth wie die Probleme, die mit seiner Behandlung desselben einhergehen bereits diskutiert oder zumindest erwähnt. Ich verzichte daher auf eine separate Erörterung dessen, was Anerkennung nach Honneth genau ausmacht.

Kapitel 7 1 Während ein westlicher Akademiker sich in den frühen 90er Jahren, als Honneth und Taylor ihre ersten bahnbrechenden Schriften über Anerkennung verfassten, noch relativ problemlos vorstellen konnte, dass sein Publikum fast ausschließlich aus Lesern der westlichen Welt mit einem relativ homogenen sozialen Erfahrungsraum besteht, vollzogen sich in der globalen Kommunikation und Migration in der Zwischenzeit so rapide Entwicklungen, dass dies heute, nur 20 Jahre später, nicht mehr der Fall ist. Will die kritische Sozialphilosophie über die Belange der Gegenwart sprechen, muss sie diese Abgeschiedenheit durchbrechen können und sich bewusst an einen globalen bzw. globalisierten Adressaten wenden. 2 Man beachte, dass mit „Liebe“ verschiedene traditionelle Worte übersetzt werden sollen, so etwa eros, filia oder auch agape, wobei mit jedem eine komplexe Geschichte unterschiedlicher Bedeutungen einhergeht. 3 Vgl. Kapitel 2.3. 4 Von „weniger komplexen“ oder „bloßen Tieren“ zu sprechen soll kein Werturteil implizieren, sondern lediglich diejenigen Tiere, die auch Personen sind von den Tieren, die keine Personen und somit im logischen Sinne „bloße Tiere“ sind, unterscheiden. Meine Ausführungen erlauben im Prinzip auch die Möglichkeit, dass es nicht-menschliche Tiere geben könnte, die Personen sind. 5 Zum Verhältnis von „Menschen“ und „Personen“ vgl. Quante 2007. Zur Identifikation einer Lebensform vgl. Stekeler-Weithofer 2011, 96 – 97 sowie Thompson 2008, 25 – 82. 6 Vgl. Brandom (2000) und Pinkard (2002). Robert Pippin (vgl. Pippin 2008) ist ein weiterer wichtiger Autor, dessen Ansatz dem von Brandom und Pinkard ähnelt, jedoch nicht so sehr auf die deontologische Dimension fokussiert ist. Pinkard (2012) kann als eine Erweiterung von Pinkards früherer ausschließlich deontologischer Perspektive angesehen werden. 7 Zu Brandoms „inferentialistischer“ Semantik, vgl. Wanderer 2008. 8 Meine Ausführungen zur Interaktion des Kindes und des Auffordernden bei Fichte, wie auch zur deontologischen Dimension von Anerkennung bei Hegel stützen sich bereits auf diese grundlegenden Vorstellungen des deontologischen Neo-Hegelianismus. 9 Könnte es Personen geben, die für ihr Überleben nicht auf Andere angewiesen sind? Wesen, die einander nicht bedürfen, würden, dies scheint eine plausible Mutmaßung, überhaupt keine soziale Lebensform bilden und es würde ihnen daher an all den Eigenschaften fehlen, die mit der Sozialität einhergehen, wie etwa sprachliche Kommunikation und auch sprach-basiertes Denken. Darüber hinaus wären sie ohne sprach-basiertes Denken auch unfähig, sich Vorstellungen von ihrer Zukunft zu machen und sich in einer Weise, die die Begierde transzendierte, um sich selbst zu sorgen – was insgesamt darauf hinaus läuft, dass sie im psychologischen Sinne keine Personen sein würden.

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 Anmerkungen zu Kapitel 7

10 Man könnte sich dennoch gegenüber Anderen schuldig fühlen, deren unbedingte Autorität man aufrichtig respektiert. Man könnte Schuld dafür empfinden, dass man die Rechte von B verletzt hat, die ihm kraft der Normen zukommen, die von denen autorisiert wurden, die man respektiert, während man zugleich nicht von B selbst gerührt wird (als jemand, der unbedingte Autorität besitzt oder als jemand, dessen Wohlergehen von intrinsischem Wert ist). 11 Ich sage „gegen seine Einwilligung“, da es denkbar ist, dass bspw. ein Krieger einen anderen Krieger ohne Scham und Mitleid tötet, doch ohne den Anderen auf eine Weise zu behandeln, die als „menschenverachtend“ oder demütigend aufgefasst würde. 12 Wie bemerkt, stützt Honneth sich auf psychoanalytische und entwicklungspsychologische Studien zur Bedeutsamkeit von Liebe für die kindliche Entwicklung (vgl. Honneth 2003, 148 – 172). Zum Argument, dass den zwischenmenschlichen Einstellungen unbedingter Anerkennung eine entscheidende Rolle dabei zukommt, warum Menschen und keine anderen Primaten zu vorsprachlichem kommunikativen Zeigen (mit dem Zeigefinger) und somit zu allen anderen komplexeren Kommunikations- und Erkenntnisweisen in der Lage sind, für die die vorsprachliche Kommunikation die Voraussetzung darstellt, vgl. auch Ikäheimo 2010b. 13 Zur Konzeption des „Geistes“ im Sinne des Personseins vgl. Stekeler-Weithofer 2011. Meine Rede vom Personsein als dem Wesen des Menschen ist von Stekeler-Weithofer stark beeinflusst, auch wenn ich nicht erwarte, dass er mir in allen Details meiner Ausarbeitung dieser Idee zustimmte. 14 Ich nehme an, dass es so etwas wie einen Personsein-stiftenden Status, der vollständig unabhängig von Intentionalität ist, nicht gibt. Theologisch motivierte Auffassungen gehen häufig davon aus, dass es einen Status „vor Gott“ gibt (etwa, den Status der Gleichheit aller oder den, „vor Gott“ von unschätzbarem Wert zu sein). Selbst in Bezug auf solche Weisen des Status meint man, dass sie abhängig von Intentionalität sind, nämlich der Gottes. 15 Im Hinblick auf vertikale abwärts gerichtete Anerkennung und auch im Hinblick auf horizontale Anerkennung* ist die Tabelle selbstverständlich nicht neutral. Hier ist nur der „personifizierende“ Modus dieser Formen von Anerkennung relevant, weil nur diese konstitutiv für den Status des Personseins im institutionellen Sinne sind. Hier geht es allerdings nicht um die spezielle Bedeutung von „personifizierend“ im Sinne von „unbedingt“, wie sie für rein intersubjektive Anerkennung einschlägig ist. 16 Ich schlage also eine andere Strategie als Axel Honneth vor, der schlussendlich meint, dass „Verdinglichung“ von Personen ein so extremes Phänomen darstellt, dass man es in der sozialen Wirklichkeit kaum antrifft (vgl. Honneth 2008, 148 – 149) – was in meinen Augen im Hinblick auf seine eigenen philosophischen und sozialkritischen Ziele kontraproduktiv ist. Die unglückliche Folge von Honneths Vorschlag besteht darin, dass er den Begriff der Verdinglichung für Sozialkritik praktisch nutzlos werden lässt, da er etwas fassen soll, was kaum jemand je erfährt. 17 Vgl. auch Honneths Diskussion von Stanley Cavells Konzept der „Forderungen“ bzw. „Aufforderungen“ des Anderen in Honneth 2005, 57. 18 Auf der anderen Seite wird jemand, der über eine robuste Form der Selbstachtung verfügt, in der Lage sein, Missachtung durch Andere leicht und ohne psychische Schäden „achsel­zuckend abzutun“. Jemand mit fragiler Selbstachtung wird wahrscheinlich sehr sensibel auf die Behandlung Anderer reagieren. Eine hierbei wichtige Unterscheidung ist die zwischen der Erfahrung von etwas als „Unrecht“ einerseits und dem Sachverhalt, dass man sich emotional verletzt fühlt andererseits. Die Robustheit der Selbstachtung ist sowohl die Voraussetzung dafür, mangelnden Respekt als Unrecht zu erfahren wie auch eine Art von Schutz davor, sich oder das eigene Selbstbild dadurch verletzen zu lassen.



Anmerkungen zu Kapitel 7 

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19 Der Primatenforscher und Evolutionäranthropologe Michael Tomasello bestätigt ausgehend von seinen empirischen Erhebungen, dass es solche Erwartungshaltungen ab der frühen Kindheit gibt: „Kinder folgen sozialen Normen nicht nur aktiv, sondern beteiligen sich schon fast ebenso früh an ihrer Durchsetzung.“ (Tomasello 2010, 41) Wir müssen hier nur ergänzen, dass die Durchsetzung sozialer Normen die Erwartung gegenüber Anderen impliziert, dass sie meine Autorität anerkennen, dies tun zu dürfen. 20 Besteht ein Unterschied zwischen dem Gehalt der Behauptung, dass „man zur Anerkennung durch etwas, das dem Anzuerkennenden eigen ist, bewegt ist“ und der Behauptung, dass „ihn (im unbedingten Modus rein intersubjektiver Anerkennung) anzuerkennen heißt, dass man von ihm bewegt ist“? Ich nehme an, dass es hier keinen relevanten Unterschied gibt. 21 Man beachte, dass ich hier nicht über die Verantwortung für Handlungen und Unterlassungen spreche, sondern über die schwierigere Frage der Verantwortung dafür bestimmte Einstellungen zu haben. Zum Verhältnis von anerkennenden Einstellungen und Handlungen vgl. Abschnitt 2.4. 22 Vgl. auch Honneth 2005, 94ff. zu den sozialen Ursachen der Verdinglichung. 23 Für eine klassische Untersuchung der Psychopathie vgl. Cleckley 1988. Obwohl Cleckley seine Theorie der Psychopathie nicht ausdrücklich mithilfe dieser Begriffe formuliert, stimmt sie nach meiner Lesart in großen Teilen mit der Vorstellung überein, dass eine verminderte Fähigkeit zur unbedingten und genuin personifizierenden Anerkennung Anderer ein wesentliches Merkmal dieser Störung darstellt. 24 „Psychopathie“ wird häufig als eine angeborene Veranlagung von sozial verursachter und „erworbener Soziopathie“ unterschieden. Ich blende solche Fragen der psychopathologischen Taxonomie hier aus. 25 Vgl. hierzu auch meine Ausführungen zur Ambivalenz des Personbegriffs in Honneths Diskussion der deontologischen Dimension in Abschnitt 6.2.2. 26 Hieraus ergeben sich allerdings komplizierte Anschlussfragen in Bezug auf Anfang und Ende des menschlichen Lebens, genauer sind dies Fragen zum Thema Abtreibung und Sterbehilfe. Für eine ausführliche Behandlung dieser Probleme vgl. Quante 2002. Wie steht es mit nicht-menschlichen Tieren? In dieser Rücksicht ist zweierlei zu bemerken. Erstens ist es im Prinzip möglich, dass andere Tierarten Elemente der psychologischen und intersubjektiven Ebene des Personseins teilen. Ob sie dies faktisch tun, stellt eine empirische Frage dar. Zweitens spricht insbesondere im Hinblick auf die institutionelle Ebene vollausgebildeten Personseins grundsätzlich nichts dagegen, auch einigen nicht-menschlichen Tieren den Schutz basaler Rechte zu gewähren, wenn die Gründe dafür die Einwände überwiegen. Darin ist die Möglichkeit impliziert, dass die personale Lebensform mehr einschließt als die Lebensform menschlicher Personen. 27 Vgl. Ikäheimo 2009 zur Rekonstruktion der Erfahrung von Menschen mit solchen Behinderungen. 28 Vgl. hierzu auch Brudney 2009 und dessen Argument gegen die Möglichkeit von Liebe zwischen Produzenten und Konsumenten, wie dies für den jungen Marx wichtig ist. In Ikäheimo 2012a findet sich meine Erwiderung auf Brudney. 29 Die vielleicht wichtigste Frage ist die Folgende: Wie genau unterscheiden sich ethisch bzw. moralisch wertvolle Vorstellungsweisen von der Welt aus der Perspektive Anderer von bloßen Projektionen oder egoistischen Phantasien? Die Anerkennung der universalen Tatsachen über die personale Lebensform des Menschen ist ein Schritt in Richtung einer Auseinandersetzung mit diesem Problem. Doch gäbe es hier noch viel mehr zu sagen. 30 Eine sehr hilfreiche weiterführende Lektüre zu diesem Thema ist Steve Elder-Vass’ Unterscheidung zwischen „proximate“ und „imagined norm-circles“ in Elder-Vass 2010, Kapitel 6.

210 

 Anmerkungen zu Kapitel 7

31 Soziologen sprechen häufig von Vertrauen als einer Art von „sozialem Kapital“, das für „soziale Integration“ und die Reproduktion von Gesellschaften erforderlich ist. 32 Vgl. Honneths Auseinandersetzung mit „Solidarität“ in Honneth 2003, bes. 278ff. 33 Vgl. Heins 2008, der die Anerkennungstheorie auf Fragen der globalen Solidarität und Gerechtigkeit ausdehnt sowie Lindeman 2010 zur Relevanz vorgestellter und realer Einstellungen der Anerkennung im Verhältnis zwischen Nationen. Lindeman zeigt, dass moralische Gefühle, die durch „unsere“ Einstellungen gegenüber „den Anderen“ ausgelöst werden, wie wir sie und ihre Einstellungen „uns“ gegenüber vorstellen, einen Unterschied zwischen Krieg und Frieden ausmachen können. Die Erwartung ökologischer Katastrophen und ernsthafter Knappheit an natürlichen Ressourcen im globalen Maßstab in relativ naher Zukunft sowie die Gefahren, die darin im Hinblick auf Überlebenskriege, Vernichtung und die psychologische Vorbereitung von Gewalt durch die „Entmenschlichung“ und „Entpersonifikation“ realer oder vorgestellter Feinde stecken, machen diese Fragen heute zu dringenderen als je zuvor.

Anhang „Anerkennung von Personen“

horizontal

vertikal

abwärts gerichtet

aufwärts gerichtet

institutionell vermittelt

deontologisch

bedingte Zuschreibung von Autorität

Respekt

bedingte Sorge ums Wohl

rein intersubjektiv

axiologisch

kontributiv

Instrumentelle Wertschätzung

Liebe

Dankbarkeit

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Namenregister Adorno, Theodor 135, 160, 204, Appiah, Anthony 202 Aristoteles 171, 193, 194, 195 Bedorf, Thomas 193 Beiser, Frederick 32 Benjamin, Jessica 202, 204 Brandom, Robert 25, 170, 193, 200, 201, 207 Brudney, Daniel 193, 205, 209 Cavell, Stanley 197, 208  Cleckley, Herbert 209 Deranty, Jean-Philippe 204, 206 Descombes, Vincent 202 Düsing, Edith 195, 198 Elder-Vass, Steve 203, 209 Feinberg, Joel 143, 144, 204 Fichte, Gottlob 1, 2, 3, 4, 5, 8, 10, 12, 15, 18, 26, 30-62, 63, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 75, 81, 83, 91, 93, 94, 96, 97, 98, 102, 108, 109, 115, 116, 128, 130, 132, 139, 143, 144, 147, 163, 182, 188, 195-198, 199, 200, 202, 203, 207, Forst, Rainer 202 Foucault, Michel 135, 204 Frankfurt, Harry 171 Fraser, Nancy 1, 2, 3, 102, 108, 114, 116-133, 136, 137, 138, 148, 149, 151, 154, 155, 157, 158, 160, 163, 181, 203, 205, 206 Gadamer, Hans-Georg 107 Habermas, Jürgen 64, 135, 204, Halbig, Christoph 199 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1, 2, 3, 4, 5, 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 18, 24, 25, 26, 29, 53, 63-100, 101, 102, 108, 109, 115, 116, 117, 118, 119, 128, 130, 131, 132, 135, 136, 137, 139, 140, 142, 143, 144, 147, 152, 158, 159, 161, 162, 163, 164, 170, 171, 172, 173, 175, 176, 177, 183, 185, 188, 189, 190, 194, 195, 198-202, 203, 204, 207, Heidegren, Carl-Göran 194 Heins, Volker 210 Henrich, Dieter 196 Herder, Johann Gottfried 104, 202, 203

Honneth, Axel 1, 2, 4, 5, 11, 102, 109, 115, 116, 118, 119, 120, 124, 131, 135-162, 163, 164, 166, 173, 181, 182, 183, 184, 189, 194, 201, 202, 203, 204-207, 208, 209, 210 Horkheimer, Max 135, 160, 204 von Ihering, Rudolph 143, 145 Ikäheimo, Heikki 193, 194, 195, 199, 200, 204, 205, 208, 209 Iser, Matthias 204 Kauppinen, Antti 204 Kojève, Alexandre 101, 193, 198, 202 Laitinen, Arto 17, 19, 25, 194, 205 Levinas, Emmanuel 198 Lindemann, Thomas 210 Locke, John 95, 171 Margalit, Avishai 7 Markell, Patchen 193, 194, 202, Marshall, T.H. 143, 205, Marx, Karl 147, 149, 152, 193, 205, 209 McNay, Lois 193 Mead, George Herbert 105, 136, 137, 139, 144, 145, 146, 203, 204, 205 Neuhouser, Frederick 193, 195 Nomer, Nedim 196 Oliver, Kelly 193 Pinkard, Terry 85, 170, 193, 201, 207 Pippin, Robert 25, 193, 200, 207, Pisistratus 82 Quante, Michael 193, 202, 205, 207, 209 Ricoeur, Paul 193 Rousseau, Jean-Jacques 193, 195, 203 Sartre, Jean-Paul 198 Schmidt am Busch, Hans-Christoph 204 Searle, John 22, 194, 195 Seymour, Michel 101, 202 Siep, Ludwig 70, 195, 198, 201 Solon 79, 82, 201 Stekeler-Weithofer, Pirmin 207, 208 Taylor, Charles 1, 2, 3, 4, 101, 102, 103-116, 117, 118, 119, 120, 123, 124, 131-133, 137, 139, 145, 163, 187, 202-203, 207 Thompson, Michael 207 Thompson, Simon 101, 202

220 

 Namenregister

Tomasello, Michael 208, 209 Tooley, Michael 194 Wanderer, Jeremy 207

Wildt, Andreas 193, 195, 197, 198, 202 Williams, Robert R. 64, 193, 195, 198, 201 Zurn, Christopher 203, 204

Sachregister Achtung 11, 88−90, 92, 109, 120, 121, 124, 149, 194, 203, 205, 206 Aktualität, Aktualisierung 33, 52, 55, 104, 145, 172, 183 Anerkennung − als konstitutiv 3, 7, 18–27, 30, 54, 55, 60, 62, 80, 94, 97, 98, 99, 115, 117, 133, 138, 168–172, 179, 180, 182–184, 185, 188, 194, 203, 208 − als responsiv 7, 18–26, 54, 55, 62, 94–97, 133, 179, 182, 183, 185 − Dimensionen von Anerkennung − axiologische Dimension 4, 53, 72, 83–89, 92, 94, 98, 108, 139, 140, 142, 156, 169, 171–173, 178, 179, 180, 189, 191, 195, 201, 205, 211 − deontologische Dimension 4, 53, 72, 73, 83–85, 87–89, 92, 94, 98, 109, 139, 142, 147, 148, 151, 156, 169, 170, 171, 173, 178–180, 189, 190, 191, 195, 201, 207, 209, 211 − kooperative/kontributive Dimension 4, 108, 109, 139, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 156, 168, 169, 172, 173, 178, 179, 180, 191, 205, 211 − Horizontal vs. Vertical 70, 78–79, 100, 110, 132 − horizontal 60, 70–72, 78–82, 83–86, 88–89, 92, 100, 110, 128, 132, 144, 158, 170, 179, 190, 208, 211 – vertikal 70, 78–80, 82, 92, 99–100, 110, 127, 132, 144, 158, 179, 180, 190, 208, 211 − rein intersubjektiv vs. institutionell vermittelt 18, 22, 26, 36, 40, 53, 56, 58, 59, 60, 61, 71, 72, 80–83, 85, 86 − institutionell vermittelt  18, 26, 35, 53, 56, 58, 59, 61, 63, 71, 72, 79, 80–83, 86, 89, 91, 92, 93, 94, 128, 132, 139, 144, 147, 154, 158, 161, 179, 188, 211 − nicht-institutionell bzw. rein intersubjektiv 18, 22, 26, 36, 40, 53, 56, 58–61, 71, 72, 80–83, 85, 86, 89, 91, 92, 93–97, 99, 100, 128, 132, 139, 144, 147,

154–158, 161, 162, 174, 175, 177, 188, 208, 209, 211 Arbeit 16, 69, 76, 93, 95, 114, 122, 139, 149, 150–156, 158, 189, 201, 205, 206 Aufforderung 2, 9, 30–45, 47–57, 59, 63, 65, 70, 71, 74, 98, 182, 184, 196, 197, 200, 207, 208 Autonomie 43, 52, 146, 170, 205 Autorität, Ko-Autorität 4, 37, 38, 39, 40, 43, 49, 50, 52, 53, 55, 58– 72, 79, 83–88, 92, 95–100, 108, 109, 111, 113, 114, 115, 116, 120, 127, 146, 147, 151, 153, 156–159, 169–172, 175, 179, 180, 183, 186, 189, 190, 197, 200, 201, 205, 208, 209, 211 Bedürfnis 1, 2, 3, 74, 75, 76, 83, 84, 86, 87, 90, 94, 103, 111, 137, 140, 148, 152, 155, 156, 159, 167, 168, 172, 186, 200, 207 Begierde 73–77, 79, 90, 94, 97, 98, 99, 140, 171, 186, 200, 202, 204, 207 Deontische Macht/Machtbefugnis/Kraft 14, 22, 23, 53, 60, 71, 72, 82, 89, 90, 92, 93, 96, 128, 166, 178, 179, 186, 195 Dezentrierung 89, 98 Einstellung 7, 11–18, 21, 22, 23, 40, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 58, 61, 62, 76, 77, 81, 83, 85–88, 90, 92, 93, 97, 124–130, 133, 141, 142, 150, 152, 154, 156, 157, 158, 161, 166–169, 172, 174–177, 183, 185, 187–191, 193, 194, 196, 197, 203, 204, 208, 209, 210 Einstellungskomplex, Einstellungsgefüge 7, 11–17, 53, 93, 124, 133, 141, 142, 166, 167, 181, 184 Ethik, ethisch 5, 99, 100, 119, 120, 131, 159, 164, 168, 172, 173, 174, 175, 176, 178, 181, 186, 188, 189, 191, 192, 209 Freie Vernunftwesen 4, 30, 31–37, 41, 45–56, 65, 66, 147, 164 Freiheit 2, 31–60, 65–69, 73, 77–78, 96, 130, 143, 145, 146, 162, 195–196, 197, 198, 199, 201, 205 − Freiheit, abstrakt  67 − Freiheit, konkret 2, 3, 67–69, 72, 75, 77−78, 81, 86, 91, 93, 97, 99, 131, 164, 177, 185, 199, 201

222 

 Sachregister

Freund, Freundschaft 13, 78, 81, 86, 124, 129, 141, 142, 189, 191, 200, 201 Gerechtigkeit 3, 118, 120−124, 210 Herr und Knecht/Sklave 29, 64−100, 101, 172, 173, 175, 180, 190, 198, 200, 201 Identifizierung, Identifikation 8, 9, 13, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 50, 52, 53, 55, 60, 91, 104, 111, 131, 132, 174, 180 Identität, Selbstidentität 3, 27, 56, 102−106, 108, 110−119, 122, 123, 132, 133, 137, 197, 202, 203 Institution (sehe auch ‚Anerkennung, institutionell vermittelt‘; ‚Norm, institutionalisierte‘; ‚Personsein, institutionell‘) 10, 11, 14, 23, 30, 36, 53, 58, 59, 61, 70, 71, 72, 80, 81, 82−83, 90−93, 99, 107, 124−130, 132, 154−156, 158−159, 161, 163, 166−168, 173, 176, 178, 179, 181, 182, 186−190, 192, 194, 201, 204 Intentionalität 21−23, 26, 67−68, 73, 74, 75, 81, 90, 91, 93, 141, 171, 194, 199, 208 Kampf 64, 75, 79, 102, 103, 118, 122, 135−138, 148, 149, 150, 151,152, 153, 155, 159, 184, 201, 205, 206 Konkrete interpersonale Relation/Beziehung/ Verhältnis 7, 11−14, 92 Lebensform, Form des Lebens 3, 5, 29, 65, 66, 70, 99, 102, 115, 130, 136, 138, 155, 168−172, 176, 178, 192, 199, 207, 209 Leistung 1, 4, 16, 109, 120, 137, 148−151, 153, 156, 158, 175, 191, 202, 203, 205, 206 Leistungsprinzip 151, 155 Liebe 4, 11−13, 17, 53, 72, 78, 81, 86−89, 92, 95−98, 109, 128−129, 139, 140−142, 144, 147, 150, 152, 155, 156, 157, 158, 160, 161, 165, 179, 180, 183, 184, 189, 191, 200, 201, 204, 207, 208, 209, 211 Menschenrecht 174 Missachtung 124, 157, 208 Moral, moralisch, Moralität 5, 9, 99, 110, 120, 125, 129, 135−137, 139, 145−146, 147, 149, 150−153, 157, 158, 159, 161, 168, 173, 174, 175, 181, 184, 188, 191, 199, 202, 205, 206, 209

Motivation 16−17, 42, 43−44, 46−47, 50, 90, 100, 137, 147, 152, 153, 156−157, 171, 179, 183, 185, 189, 191−192, 194 Norm 4, 9, 23, 37−40, 49, 51, 52, 53, 58, 59, 60, 84, 85, 87, 88, 91, 95−98, 100, 107, 108, 109, 125, 127, 128, 129, 130, 141, 144, 146, 147, 151, 155, 161, 168, 169, 170−171, 175, 179, 186, 192, 201, 208, 209, 210 − institutionalisierte 71−72, 82−83, 92, 139, 154−159, 161, 166−167, 178, 181, 189, 190 − nicht-institutionalisierte bzw. rein intersubjektive 71, 82−83, 183, 200 Personsein 5, 7, 10, 19−26, 29−32, 34, 38, 41, 56, 65−66, 73, 96, 102, 104, 110, 115, 118, 133, 145, 151, 163−192, 194, 195, 198, 202, 203, 207, 208, 209 − psychologisch 19−25, 30, 52, 54, 55, 69, 78, 87, 88, 97, 99, 145−147, 177−186, 200 − intersubjektiv 22, 26, 55, 72, 97−98, 177−186 − institutionell 22−23, 26, 30, 54, 55, 60, 61−62, 72, 89−90, 99, 100, 145−147, 177−179, 186−188 − Dimensionen von Personsein 179−181, 188, 209 Pflicht, Verpflichtung 9, 36, 38, 53, 56, 57, 58, 59, 61, 66, 71, 80, 82, 92, 96, 143, 144, 151, 158, 161, 166, 167, 175, 195, 196 Potentialität 26, 40−47, 52, 55, 104, 110, 147, 172, 182, 183, 187, 197 Recht 1, 20, 22, 23, 30, 34, 36, 37, 39, 41, 53, 56−61, 70, 71, 72, 80, 82, 92, 96, 99, 100, 105, 106, 111, 113, 120, 122, 123, 128, 130, 132, 143, 145, 146, 147, 156, 158, 166, 167, 174, 175, 178, 179, 186, 187, 188, 189, 194, 195, 196, 202, 203, 205, 206, 208, 209 Rechtsverhältnis (Fichte) 34, 35, 36, 37, 38 Rechtsträger 19, 82, 89, 90, 100, 144−147, 157−158, 166, 174, 178 Respekt 4, 11, 12, 14, 16, 41, 46, 47, 48, 50, 52, 53, 55, 59, 70, 72, 89, 95, 96, 97, 98, 100, 107, 108, 109, 110, 113, 121, 122, 124, 128, 139, 142−147, 151, 153, 157,

Sachregister 

158, 160, 161, 165, 175, 179, 180, 183, 184, 189, 190, 191, 193, 201, 202, 203, 205, 208, 211 Respekt* 71, 99, 144−147, 156, 158, 174, 179 Selbstachtung 88, 139, 143, 147, 180, 183, 208 Selbstbeziehung 54, 87, 137−139, 143, 144, 159, 181, 182, 183 Selbstbestimmung 113, 114, 119, 170 Selbstbewusstsein 19, 30−32, 34, 36, 64−100, 119, 143, 177, 196, 200 Selbstliebe 87, 88 Selbstwertgefühl 115, 139, 147, 149

 223

Solidarität 191, 192, 210 Status 19−26, 54−55, 59−62, 66, 72, 80, 81, 83, 93, 97−100, 104, 116−126, 133 Triangulation 89, 98, 185, 189 Verdinglichung 118, 123, 160−162, 173, 180, 181, 184, 208, 209 Wertschätzung 4, 11, 15, 16, 103, 106, 107, 108, 109, 110, 113, 120, 121, 122, 123, 124, 128, 139, 142, 147−154, 156, 158, 160, 171, 172, 175, 179, 180, 193, 201, 203, 205, 206 Würde 104−106, 108−110, 163, 187, 202, 203 Urrecht 36, 39, 196, 208